213 77 10MB
German Pages 1600 [1425] Year 2020
Europäisches Zivilprozessund Kollisionsrecht EuZPR / EuIPR Kommentar Band I Brüssel Ia-VO
Das Gesamtwerk EuZPR / EuIPR mit den Bänden Band I:
Zivilverfahren I: Brüssel Ia-VO, Brüssel I EU-DK Abk, LugÜbk 2007
Band II: Zivilverfahren II – Insolvenz: EG-VollstrTitelVO, EG-MahnVO, EG-BagatellVO, EU-KPfVO, HUrtÜbk, HProrogÜbk 2005, EG-ZustVO 2007, EG-BewVO, EuInsVO Band III: Internationales Schuldrecht: Rom I-VO, Rom II-VO Band IV: Ehescheidung – Güterrecht: Brüssel IIb-VO, Rom III-VO EG-UntVO, EU-EheGüterVO, EU-LP-GüterVO Band V: Sonstiges FamR – Erbrecht: EG-UntVO, HUntVerfÜbk 2007, HUntStProt 2007, KSÜ, ErwSÜ, EU-ErbVO, EU-SchutzMVO wird herausgegeben von Professor Dr. Thomas Rauscher, Leipzig
Europäisches Zivilprozessund Kollisionsrecht EuZPR / EuIPR Kommentar Band I Brüssel Ia-VO 5. Auflage (2021)
Herausgegeben von
Thomas Rauscher Kommentiert von Stefan Leible • Peter Mankowski • Steffen Pabst Ansgar Staudinger
Zitierempfehlung: Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2021), Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 1 Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2021), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 1
Redaktionelle Artikelüberschriften der Brüssel Ia-VO und in Teilen des LugÜbk 2007 wurden mit freundlicher Genehmigung des Verlages C.H.Beck übernommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN (print) 978-3-504-47208-5 ISBN (eBook) 978-3-504-38641-2 ©2021 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany
Bearbeiterverzeichnis Band I Ansgar Staudinger
Einl., Art. 2 lit. b–c, Art. 3, Art. 10–19, Art. 26, Art. 37, Art. 53, Art. 57–66, Art. 74–81 Brüssel Ia-VO
Stefan Leible
Art. 2 lit. a, Art. 7–9, Art. 29–36, Art. 38, Art. 45, Art. 54 Brüssel Ia-VO
Peter Mankowski
Art. 1, Art. 2 lit. d–f, Art. 4–6, Art. 20–25, Art. 27–28, Art. 39–44, Art. 46–52, Art. 55–56, Art. 67–73 Brüssel Ia-VO
Steffen Pabst
Brüssel I EU-DK Abk, LugÜbk 2007
Abkürzungsempfehlungen Brüssel Ia-VO
EU-LP-GüterVO
Brüssel IIb-VO
EU-SchutzMVO
EG-BewVO
ErwSÜ
EG-MahnVO
HProrogÜbk 2005
EG-UntVO
HUntStProt 2007
EG-VollstrTitelVO
HUntVerfÜbk 2007
EG-ZustVO 2007
HUrtÜbk
EU-BagatellVO
KSÜ
EU-EheGüterVO
LugÜbk 2007
EU-ErbVO
Rom I-VO
EuInsVO
Rom II-VO
EU-KpfVO
Rom III-VO
V
Bearbeiterverzeichnis Band I Ansgar Staudinger
Einl., Art. 2 lit. b–c, Art. 3, Art. 10–19, Art. 26, Art. 37, Art. 53, Art. 57–66, Art. 74–81 Brüssel Ia-VO
Stefan Leible
Art. 2 lit. a, Art. 7–9, Art. 29–36, Art. 38, Art. 45, Art. 54 Brüssel Ia-VO
Peter Mankowski
Art. 1, Art. 2 lit. d–f, Art. 4–6, Art. 20–25, Art. 27–28, Art. 39–44, Art. 46–52, Art. 55–56, Art. 67–73 Brüssel Ia-VO
Steffen Pabst
Brüssel I EU-DK Abk, LugÜbk 2007
Abkürzungsempfehlungen Brüssel Ia-VO
EU-LP-GüterVO
Brüssel IIb-VO
EU-SchutzMVO
EG-BewVO
ErwSÜ
EG-MahnVO
HProrogÜbk 2005
EG-UntVO
HUntStProt 2007
EG-VollstrTitelVO
HUntVerfÜbk 2007
EG-ZustVO 2007
HUrtÜbk
EU-BagatellVO
KSÜ
EU-EheGüterVO
LugÜbk 2007
EU-ErbVO
Rom I-VO
EuInsVO
Rom II-VO
EU-KpfVO
Rom III-VO
V
Kommentatoren/innen des Gesamtwerkes Dr. iur. Marianne Andrae em. Professorin an der Universität Potsdam
Dr. iur. Peter Mankowski Professor an der Universität Hamburg
Dr. iur. Kathrin Binder Rechtsanwältin in Wien und niedergelassene europäische Rechtsanwältin in Vaduz
Dr. iur. Gerald Mäsch Professor an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster Richter am Oberlandesgericht Hamm a.D.
Dr. iur. Markus Fehrenbach Professor an der Ruhr-Universität Bochum Dr. iur. Robert Freitag, Maître en droit (Bordeaux) Professor an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg Dr. iur. Urs Peter Gruber Professor an der Johannes Gutenberg Universität Mainz
Dr. iur. Steffen Pabst, LL.M. (Stockholm) Konzernjurist bei der LVV Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH, Leipzig Dr. iur. Peter Georg Picht, LL.M. (Yale) Professor an der Universität Zürich Associated Research Fellow, Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb
Dr. iur. Bettina Heiderhoff Professorin an der Westfälischen WilhelmsUniversität Münster
Dr. iur. Dr. iur. h.c. Thomas Rauscher Professor an der Universität Leipzig Professor h.c. an der ELTE Universität Budapest Dipl. Math.
Dr. iur. Jan von Hein Professor an der Universität Freiburg
Dr. iur. Johannes Scheller, geb. Cziupka Notarassessor in Hamburg
Dr. iur. Tobias Helms Professor an der Universität Marburg
Dr. iur. Ansgar Staudinger Professor an der Universität Bielefeld
Christian Hertel, LL.M. (George Washington Universität, Washington D.C.) Notar, Weilheim i. OB
Dr. iur. Karsten Thorn, LL.M. (Georgetown) Professor an der Bucerius Law School Hamburg
Dr. iur. Christoph Alexander Kern, LL.M. (Harvard) Professor an der Universität Heidelberg Dr. iur. Kathrin Kroll-Ludwigs Professorin an der Fachhochschule Aachen Dr. iur. Stefan Leible Professor, Präsident der Universität Bayreuth Dr. iur. Martin Löhnig Professor an der Universität Regensburg Dr. iur. Sven Loose Rechtsanwalt bei BSKP, Dresden Lehrbeauftragter an der Universität Leipzig Dr. iur. Katharina Lugani Professorin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Dr. iur. Robert Magnus Professor an der Universität Bayreuth VI
Dr. iur. István Varga Professor an der ELTE Universität Budapest Rechtsanwalt bei PROVARIS, Budapest Dipl. Phil. Dr. iur. Matthias Weller, Mag. rer. publ. Direktor des Instituts für deutsches und internationales Zivilverfahrensrecht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Dr. iur. Domenik Henning Wendt, LL.M. Professor an der Frankfurt University of Applied Sciences Dr. iur. Denise Wiedemann, LL.M. (Lissabon) Wiss. Referentin und Leiterin des Kompetenzzentrums Lateinamerika am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg Dipl. Rpfl.
Systematik des Gesamtkommentars (Stand: Oktober 2020) Band I: Zivilverfahren I I.1 I.2 I.3
Brüssel Ia-VO Brüssel I EU-DK Abk LugÜbk 2007
Band II: Zivilverfahren II – Insolvenz A. Zuständigkeit, Anerkennung, Vollstreckung II.1 EG-VollstrTitelVO II.2 EG-MahnVO II.3 EU-BagatellVO II.4 EU-KpfVO II.5 HProrogÜbk 2005 II.6 HUrtÜbk B. Rechtshilfe II.7 EG-ZustellVO 2007 II.8 Zust EU-DK Abk II.9 EG-BewVO C. Insolvenz II.10 EuInsVO Band III: Internationales Schuldrecht III.1 Rom I-VO III.2 Rom II-VO Band IV: Ehescheidung – Güterrecht A. Ehescheidung IV.1 Brüssel IIb-VO IV.2 Rom III-VO B. Güterrecht IV.3 EU-EheGüterVO IV.4 EU-LP-GüterVO Band V: Sonstiges FamR – Erbrecht A. Unterhalt V.1 EG-UntVO V.2 HUntVerfÜbk 2007 B. Kindes- und Erwachsenenschutz V.3 HUntStProt 2007 V.4 KSÜ V.5 ErwSÜ V.6 EU-SchutzMVO C. Erbrecht V.7 EU-ErbVO
VII
Inhaltsverzeichnis Seite
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommentarliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XIII XXXIV
Brüssel Ia-VO Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
Kapitel I Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen Artikel 1 Artikel 2 Artikel 3
[Anwendungsbereich] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Begriffsbestimmungen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Begriff „Gericht“] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75 180 199
Kapitel II Zuständigkeit Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen Vorbemerkungen zu Art. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikel 4 [Allgemeiner internationaler Gerichtsstand] . . . . . . . . . . . . . Artikel 5 [Keine exorbitanten Gerichtsstände] . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikel 6 [Beklagte ohne Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats]
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200 235 244 248
Artikel 7 Artikel 8 Artikel 9
[Besondere Gerichtsstände] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Gerichtsstand des Sachzusammenhangs] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Besonderer Gerichtsstand in Seehaftungssachen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
258 350 376
Artikel 10 Artikel 11 Artikel 12 Artikel 13 Artikel 14 Artikel 15 Artikel 16
[Zuständigkeit] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Gerichtsstände für Klagen gegen den Versicherer] . . . [Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses] . [Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen] . . . . . . . . . . . [Gerichtsstand für Klage des Versicherers; Widerklage] [Zulässige Gerichtsstandsvereinbarung] . . . . . . . . . [Abweichende Risiken] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abschnitt 2 Besondere Zuständigkeiten
Abschnitt 3 Zuständigkeit für Versicherungssachen . . . . . . .
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381 393 399 401 430 433 443
Vorbemerkungen zu Art. 17–19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikel 17 [Begriff der Verbrauchersache] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikel 18 [Gerichtsstände für Klagen des Verbrauchers und seines Vertragspartners] . Artikel 19 [Zulässige Gerichtsstandsvereinbarungen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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445 457 489 492
Abschnitt 4 Zuständigkeit bei Verbrauchersachen
IX
Inhaltsverzeichnis Seite
Abschnitt 5 Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge Artikel 20 Artikel 21 Artikel 22 Artikel 23
[Anwendungsbereich] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber] . . . . . . . . . . [Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitnehmer; Widerklage] [Zulässige Gerichtsstandvereinbarungen] . . . . . . . . . . . . .
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500 539 574 582
Artikel 24
[Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
591
Artikel 25 Artikel 26
[Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen] . . . . . . . . . . . . . [Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abschnitt 6 Ausschließliche Zuständigkeiten
Abschnitt 7 Vereinbarung über die Zuständigkeit 666 810
Abschnitt 8 Prüfung der Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens Artikel 27 Artikel 28
[Erklärung der Unzuständigkeit in Fällen des Art. 24] . . . . . . . . . . . . . . . . . [Erklärung der Unzuständigkeit von Amts wegen in sonstigen Fällen] . . . . . . .
830 835
Abschnitt 9 Anhängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren Artikel 29 Artikel 30 Artikel 31 Artikel 32 Artikel 33 Artikel 34
[Konkurrierende Rechtshängigkeit] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Im Zusammenhang stehende Verfahren] . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Priorität bei ausschließlicher Zuständigkeit] . . . . . . . . . . . . . . . . [Anrufung eines Gerichts] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Aussetzung/Einstellung eines Verfahrens wg. desselben Anspruchs] . . [Aussetzung/Einstellung bei im Zusammenhang stehenden Verfahren]
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846 867 873 880 884 891
[Einstweilige Maßnahmen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
893
Abschnitt 10 Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen Artikel 35
Kapitel III Anerkennung und Vollstreckung Abschnitt 1 Anerkennung Artikel 36 Artikel 37 Artikel 38
[Anerkennung einer Entscheidung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Vorlegung der Entscheidung und der Bescheinigung] . . . . . . . . . . . . . . . . . [Aussetzung des Verfahrens] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
910 918 919
Abschnitt 2 Vollstreckung Vorbemerkungen zu Art. 39–41 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikel 39 [Vollstreckbarkeit] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikel 40 [Sicherungsmaßnahmen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikel 41 [Recht des ersuchten Mitgliedstaats] . . . . . . . . . . . Artikel 42 [Vorlegung der Entscheidung und der Bescheinigung] Artikel 43 [Zustellung der Bescheinigung; Übersetzung] . . . . . . Artikel 44 [Antrag auf Versagung der Vollstreckung] . . . . . . . .
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. 922 . 967 . 991 . 997 . 1011 . 1023 . 1038
Abschnitt 3 Versagung der Anerkennung und Vollstreckung Unterabschnitt 1 Versagung der Anerkennung Artikel 45
X
[Antrag auf Versagung der Anerkennung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1051
Inhaltsverzeichnis Seite
Unterabschnitt 2 Versagung der Vollstreckung Artikel 46 Artikel 47 Artikel 48 Artikel 49 Artikel 50 Artikel 51
[Versagung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Gerichtliche Zuständigkeit; angewendetes Recht] [Unverzügliche Entscheidung] . . . . . . . . . . . . [Rechtsbehelf] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Weiterer Rechtsbehelf] . . . . . . . . . . . . . . . . [Aussetzung des Verfahrens] . . . . . . . . . . . . .
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1085 1098 1111 1113 1121 1125
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1136 1141 1143 1147 1154 1156
Abschnitt 4 Gemeinsame Vorschriften Artikel 52 Artikel 53 Artikel 54 Artikel 55 Artikel 56 Artikel 57
[Keine Nachprüfung in der Sache selbst] . . . . . . . . . . [Ausstellung der Bescheinigung] . . . . . . . . . . . . . . . [Anpassung; Übersetzung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Zwangsgeld] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Keine Sicherheitsleistung wegen Ausländereigenschaft] [Übersetzung/Transliteration] . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel IV Öffentliche Urkunden und gerichtliche Vergleiche Artikel 58 Artikel 59 Artikel 60
[Öffentliche Urkunden] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1157 [Gerichtliche Vergleiche] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1170 [Bescheinigung über eine öffentliche Urkunde] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1178
Kapitel V Allgemeine Vorschriften Vorbemerkung zu Art. 61–65 . . . . . . . . . . . . . . . . . Artikel 61 [Anerkennung von Urkunden] . . . . . . . . Artikel 62 [Bestimmung des Wohnsitzes] . . . . . . . . Artikel 63 [Bestimmung des Gesellschaftssitzes] . . . . Artikel 64 [Besonderheiten von Adhäsionsverfahren] . Artikel 65 [Streitverkündung statt Regressklage] . . . .
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1179 1179 1180 1185 1192 1193
Kapitel VI Übergangsvorschriften Artikel 66
[Übergangsvorschriften] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1195
Kapitel VII Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten Artikel 67 Artikel 68 Artikel 69 Artikel 70 Artikel 71 Artikel 71a Artikel 71b Artikel 71c Artikel 71d Artikel 72 Artikel 73
[Rechtsakte für besondere Rechtsgebiete] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Verhältnis zu EuGVÜ] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Ersetzung von Übereinkünften] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Fortgeltung außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO] . . . . . . . . . [Fortgeltung von Übereinkünften für besondere Rechtsgebiete] . . . . . . . . . [Gemeinsames Gericht] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Zuständigkeit eines gemeinsamen Gerichts] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Konkurrierende Rechtshängigkeit] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Anerkennung und Vollstreckung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Fortgelten von Vereinbarungen nach Art. 59 des Brüsseler Übereinkommens] [Unberührte Übereinkommen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1203 1209 1214 1226 1230 1255 1262 1273 1276 1279 1281 XI
Inhaltsverzeichnis
Kapitel VIII Schlussvorschriften Seite
Artikel 74 Artikel 75 Artikel 76 Artikel 77 Artikel 78 Artikel 79 Artikel 80 Artikel 81
[Übermittlung einzelstaatlicher Vollstreckungsvorschriften und -verfahren] . [Mitteilung der zuständigen Gerichte] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Notifizierung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Änderungen] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Erlass delegierter Rechtsakte] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Bericht] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Aufhebung] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . [Inkrafttreten] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1289 1289 1290 1290 1291 1291 1292 1292
Brüssel I EU-DK Abk Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark vom 19. Oktober 2005 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1295
LugÜbk 2007 Lugano-Übereinkommen vom 30.10.2007 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen . . . . . . . 1307
Gesetzesanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1335
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1349
XII
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.A. A.A. a.a.O. ABl.EG ABl.EU abl. Abs. abw.M. A.C. A.D. A.D.I. ADR ADSp AdWirkG a.E. A.E.D.I.Pr. AEntG AEUV a.F. AfP African J.Comp.L. AG AG AG AGG AGS AiB AIDA AJP A.K. AL All E.R. All E.R. (Comm.) allg. allg.M. Alt. AMG Am.J.Comp.L. Am.J.Int.L. AMPreisVO Am.Rev.Int.Arb. An.Der.Mar. Anh. Ank.L.Rev. Anm. Ann.Inst.Dr.int. AnwBl. AöR AP App.
am Anfang anderer Ansicht Ars Aequi am angegebenen Ort Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union ablehnend Absatz abweichende Meinung The Law Reports. Appeal Cases Arbetsdomstolen Actas de Derecho Industrial Alternative Dispute Resolution Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Gesetz über die Wirkungen der Annahme als Kind nach ausländischem Recht (Adoptionswirkungsgesetz) am Ende Anuario Español de Derecho Internacional Privado Arbeitnehmerentsendegesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht African Journal of Comparative Law Amtsgericht (mit Ortsname) Ausführungsgesetz (mit Gesetzesname) Die Aktiengesellschaft Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anwaltsgebühren spezial Arbeitsrecht im Betrieb Association Internationale du Droit d’Auteur Aktuelle juristische Praxis Astikos Kodix (griechisches Bürgerliches Gesetzbuch) Ad Legendum All England Law Reports All England Law Reports, Commercial Cases allgemein(-e, -er) allgemeine Meinung Alternative Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz) American Journal of Comparative Law American Journal of International Law Arzneimittelpreisverordnung American Review of International Arbitration Anuario de Derecho Maritimo Anhang Ankara Law Review Anmerkung Annuaire de l’Institut de Droit international Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsgerichtliche Praxis Corte di Appello XIII
Abkürzungsverzeichnis
AppG Arb. ArbG ArbGG AR-Blattei Arb.Int. ArbRB ArbVG arg. Art. A.S.A. Bull. ASVG AuA Aud. Prov. AÜG
AVRAG AWD AWG
Appellationsgericht Arbitration Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrechts-Blattei Arbitration International Arbeits-Rechts-Berater Arbeitsverfassungsgesetz (Österreich) argumentum Artikel Association of Swiss Arbitrators Bulletin Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (Österreich) Arbeit und Arbeitsrecht Audiencia Provincial Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) Arbeit und Recht ausführlich Ausführungsgesetz Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen ausnahmsweise Bundesgesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz) (Österreich) Australian Law Journal Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungsund Vollstreckungsausführungsgesetz) Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (Österreich) Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Außenwirtschaftsgesetz
BAG BAGE BÄrzteO BauR BayJMBl BayObLG BayVBl BB BC B.C.C. B.C.L.C. Bd. BDGesVR Bearb. BeckRS Belg. Belgrade L.Rev. BerGesVR Bespr.
Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesärzteordnung Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht Bayerisches Justizministerialblatt Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Betriebs-Berater Bilanzbuchhalter und Controller British Commercial Cases Butterworth’s Company Law Cases Band Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bearbeitung Beck’scher Rechtsprechungsservice belgisch (-e, -es) Belgrade Law Review Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Besprechung
AuR ausf. AusfG AuslInvestmG ausnw. AußStrG Australian L.J. AVAG
AVAuslEntschG
XIV
Abkürzungsverzeichnis
BetrVG BezG BG BGB BGBl. BGE BGH BGHR BGHZ B.I.E. BJM BKR Bl. BörsG BRAK BRAK-Mitt. BRAO BR-Drucks. Brook.J.Int.L. BRTV-Bau Brüssel I EU-DK Abk
Brüssel I-VO Brüssel Ia-VO Brüssel II-VO
Brüssel IIa-VO
Brüssel IIb-VO
BSGE Bspr. BT-Drucks. BtMG Bull. Bull.Civ. Bull. Comp.Lab.Rel. Bull.Joly sociétés Bus.L.Rev. BVerfG BVerfGE B.W. B.W.Krant Jaarboek
Betriebsverfassungsgesetz Bezirksgericht Schweizerisches Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof BGH-Report Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bijblad bij de Industriëele Eigendom Basler Juristische Mitteilungen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Blatt Börsengesetz Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Brooklyn Journal of International Law Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 19.10.2005 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25.6.2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen Entscheidungen des Bundessozialgerichts Besprechung Bundestags-Drucksache Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz) Bulletin Bulletin des arrêts civiles Bulletin of Comparative Labour Relations Bulletin Joly des sociétés Business Law Review Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Burgerlijk Wetboek (Niederlande) Burgerlijk Wetboek Krant Jaarboek XV
Abkürzungsverzeichnis
BWNotZ B.Y.I.L. bzgl. bzw.
Zeitschrift für das Notariat Baden-Württemberg British Yearbook of International Law bezüglich beziehungsweise
C.A. Cah.dr.eur. Cambridge Yb.Eur.Leg.Stud. Cass. Cass.civ. Cass.com. Cass.mixte Cass.soc. C.B. (N.S.) C.C.
Court of Appeal; Cour d’appel Cahier de droit européen Cambridge Yearbook of European Legal Studies
C.D.E. Ch. Ch.D. CIM CISG CIV
civ. C.J. C.J.Q. C.L.C. C.L.J. CLNI C.L.P. C.L.Pracz. Clunet C.M.L.Rev. CMNI CMR col. Col.Jur. Columb.L.Rev. C.O.M.I. comm. Comp.Jur.Rev. CornellInt’l L.J. XVI
Cour de Cassation; Corte di Cassazione Cour de Cassation, chambre civile Cour de Cassation, chambre commerciale Cour de Cassation, chambre mixte Cour de Cassation, chambre sociale Common Bench Reports, New Series Code Civil (Frankreich), codice civile (Italien), Código Civil (Spanien), Código Civil (Portugal) Cahiers de droit européen The Law Reports, Chancery Division High Court of Justice, Chancery Division Règles uniformes concernant le contrat de transport international ferroviaire des marchandises (Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern), Anh B COTIF Convention on Contracts for the International Sale of Goods (Wiener UNÜbereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf) vom 11.4.1980 Règles uniformes concernant le contrat de transport international ferroviaire des voyageurs (Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck), Anh A COTIF Chambre civile code judiciaire (Belgien) Civil Justice Quarterly Commercial Law Cases Cambridge Law Journal Convention de Strasbourg sur la limitation de la responsabilité en navigation intérieure (Straßburger Übereinkommen über die Beschränkungen der Haftung in der Binnenschifffahrt) vom vom 4.11.1988 Current Legal Problems Common Law Practice Journal du droit international, fondée par E Clunet Common Market Law Review Convention de Budapest relative au contract de transport de marchandises en navigation interieure (Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschiffahrt) vom 22.6.2001 Convention relative au contrat de transport international de marchandises par route (Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr) vom 19.5.1956 i.d.F. des Protokolls vom 5.7.1978 colonne Colectânea de Jurisprudência Columbia Law Review center of main interests Chambre commerciale Comparative Juridical Review Cornell International Law Journal
Abkürzungsverzeichnis
Corp.Rescue & Insol. COTIF c.p.c. CPR CR CRTD
ct. CVR
D. D.aff. DAR DAVorm DB dbr DGVZ d.h. DienstleistungsRL
Corporate Rescue and Insolvency Convention relative aux transports internationaux ferroviaires (Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr) vom 9.5.1980 i.d.F. vom 3.9.1999 Código de Processo Civil (Portugal), Code de procédure civile (Frankreich, Belgien, Luxemburg), codice di procedura civile (Italien) Civil Procedure Rules Computer und Recht Convention sur la responsabilite civile pour les dommages causes au cours du transport de marchandises dangereuses par route, rail et bateaux de navigation interieure (UN-Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Schäden bei der Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, der Schiene und auf Binnenschiffen) vom 10.9.1989 Court Convention relative au contrat de transport international de voyageurs et de bagages par route (Übereinkommen über den Vertrag über die internationale Beförderung von Personen und Gepäck auf der Straße) vom 1.3.1973
Dir.comm.int. Dir.com.scambi int. Dir.mar. Diss. D.J. D.Jur. D.M.F. Doc.Dir.Comp. D&P DRiZ Dr.soc. Dr.sociétés DS D.S. D.S.Jur. DStR DuD DVBl DZWIR DZWiR
Recueil Dalloz Dalloz Affaires Deutsches Autorecht Der Amtsvormund Der Betrieb Der Betriebsrat Deutsche Gerichtsvollzieher Zeitung das heißt Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt Diritto del commercio internazionale Diritto comunitario e degli scambi internazionali Diritto marittimo Dissertation Deutsche Justiz Recueil Dalloz. Jurisprudence Droit maritime français Documentação e Direito Comparado (Boletim do Ministério da Justiçia) Droit & Patrimoine Deutsche Richterzeitung Droit social Droit des sociétés Der Sachverständige Recueil Dalloz Sirey. hebdomadaire Reuceil Dalloz Sirey. Jurisprudence Deutsches Steuerrecht Datenschutz und Datensicherheit Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
E.A.T. EB ebd. ebf.
Employment Appeal Tribunal Empfangsbestätigung ebenda ebenfalls
XVII
Abkürzungsverzeichnis
E-CommerceRL
ed(s). E.E.D. EFZG EG EG EG-BagatellVO EG-BewDG EG-BewVO EGBGB EGGVG EGHGB EG-IAS-VO EGInsO EuInsVO EuInsVO 2000 EG-MahnVO EGMR EG-PKH-RL
EG-PKHVV EG-UntVO EGV EG-VollstrTitelDG EG-VollstrTitelVO EGZPO EG-ZustDG
XVIII
Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) editor(s) Episkopissi Emporikou Dikaiou Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz) Einführungsgesetz Europäische Gemeinschaften Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die grenzüberschreitende Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EG-Beweisaufnahmedurchführungsgesetz) Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27.1.2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen EG-Prozesskostenhilfevordruckverordnung Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 über einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen (EG-Vollstreckungstitel-Durchführungsgesetz) Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen Gesetz betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EG-Zustellungsdurchführungsgesetz)
Abkürzungsverzeichnis
EG-ZustVO 2000 EG-ZustVO 2007
EheG EheSchlRG Einl. einschl. E.I.P.R. E.J.C.C.L. Electr.J.Comp. L. Emory Int’l L.Rev. EMRK EntsendeRL EO EP EPÜ ERA E.R.C.L. Erg.-Lfg. E.R.P.L. ErwGr. E.S.Z.B. etc. ETR EU EU-KPfVO
EU-EheGüterVO
EU-ErbVO
EuGH EuGHE EuGH-VerfO EuGrCh EuGVÜ
Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29.5.2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates Ehegesetz (Schweden) Eheschließungsrechtsgesetz Einleitung einschließlich European Intellectual Property Review European Journal of Commercial Contract Law Electronic Journal of Comparative Law Emory International Law Review Europäische Menschenrechtskonvention Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen Exkutionsordnung (Österreich) Europäisches Parlament Übereinkommen über die Erteilung Europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen) vom 5.10.1973 i.d.F. vom 29.11.2000 Europäische Rechtsakademie European Review of Contract Law Ergänzungslieferung European Review of Private Law Erwägungsgrund (-grundes, -gründe) Europäisches System der Zentralbanken et cetera Europäisches Transportrecht Europäische Union Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24.6.2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstandes Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses Gerichtshof der Europäischen Union Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes der EG und des Europäischen Gerichts Erster Instanz Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofes Charta der Grundrechte der Europäischen Union EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („Brüsseler Übereinkommen“) vom 27.9.1968 XIX
Abkürzungsverzeichnis
EuInsÜ EuIPR EuLF EU-LP-GüterVO
EuR Eur.Bus.L.Rev. Eur.J.L.Reform Eur.J.Migr.&L. Eur.L.Rpter. Europ.Trans.L. EU-SchutzMVO EuSorgeÜbk 1980 EUV EuVollstrTitel EuZ EuZA EuZPR EuZVR EuZW EVÜ E.W.C.A. EWGV E.W.H.C. EWiR EWIV-VO EWR EWS EzA EZB EZB F. f. FactÜbk Fallimento FamFG FamG Fam. Law Fam.L.Q. FamRÄndG FamRB.int. FamRZ XX
EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren vom 23.11.1995 Europäisches Internationales Privatrecht European Legal Forum Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24.6.2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften Europarecht European Business Law Review European Journal of Law Reform European Journal of migration and law European Law Reporter European Transport Law: Journal for Law and Economics Verordnung (EU) Nr. 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.6.2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20.5.1980 Vertrag über die Europäische Union Europäischer Vollstreckungstitel Zeitschrift für Europarecht Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäisches Zivilprozessrecht Europäisches Zivilverfahrensrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom-Übereinkommen“) vom 19.6.1980 England and Wales Court of Appeal Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft High Court of England and Wales Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Europäischer Zahlungsbefehl Europäische Zentralbank Federal Reporter folgende Ottawaer UNIDROIT-Übereinkommen über das internationale Factoring vom 28.5.1988 Il fallimento (Zeitschrift) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Familiengesetz (Finnland) Family Law Familiy Law Quarterly Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (Familienrechtsänderungsgesetz) Der Familienrechtsberater – Beilage zum internationalen Familienrecht Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
Abkürzungsverzeichnis
Fasc. FernabsatzRL FF ff. FFE FG FG FG FGG FinDAG F.J.R. F.L.A. Fla.L.Rev. F.L.D.A. F.L.R. FlRG Fn. Foro it. Foro pad. Forum Int. R. FPR FS F.S.R. FuR
Fascicule Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz Forum Familienrecht folgende Forum Familien- und Erbrecht Festgabe Finanzgericht Freiwillige Gerichtsbarkeit Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz) Tijdschrift voor Familie- en Jeugdrecht Family Law Act (Vereinigtes Königreich) Florida Law Review Family Law Divorce Act (Irland) Family Law Reports Gesetz über das Flaggenrecht der Seeschiffe und die Flaggenführung der Binnenschiffe (Flaggenrechtsgesetz) Fußnote Il Foro Italiano Il Foro padano Forum des Internationalen Rechts Familie, Partnerschaft, Recht Festschrift Fleet Street Reports Familie und Recht
GA GAin GATT
Generalanwalt Generalanwältin General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) Gaz.Pal. La gazette du palais et du notariat Gaz.Pal.Doctr. Gazette du Palais, Doctrine GebrMG Gebrauchsmustergesetz G.E.D.I.P. Groupe européen de droit international privé gem. gemäß GenTG Gesetz zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz) GeschmMG Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (Geschmacksmustergesetz) GeschmMV Verordnung zur Ausführung des Geschmacksmustergesetzes (Geschmacksmusterverordnung) GewSchG Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz) G.F.S. Gedächtnis- und Festschrift GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ggf. gegebenenfalls ggü. gegenüber GGVO Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12.12.2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster Giur.Comp.dir.int.priv. Giurisprudenza Comparata di diritto internazionale privato Giur.it. Giurisprudenza italiana GKG Gerichtskostengesetz G.L.J. German Law Journal XXI
Abkürzungsverzeichnis
GmbHR GMVO GoA GPR grds. GRUR GRURInt GRUR-RR GS GVG GWB H. h.A. HAdoptÜbk 1993 HambR HandelsvertreterRL HarvLRev HausratsVO HAVE HBÜ Hdb. IZVR HErwSÜbk 2000 HG HGB High Ct. HKaufStÜbk 1955 HKindEntfÜbk h.L. H.L. h.M. HmbSchRZ HOAI Hof van Cass. HProdHPflÜbk 1973 HProrogÜbk 2005 Hrsg. Hs. HStVÜbk 1971 HTrustÜbk 1985
XXII
GmbH-Rundschau Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26.2.2009 über die Gemeinschaftsmarke Geschäftsführung ohne Auftrag Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union grundsätzlich Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Rechtsprechungs-Report Gedächtnisschrift Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Heft herrschende Ansicht Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption vom 29.5.1993 UN-Convention on the Carriage of Goods by Sea – Hamburg Rules (UNÜbereinkommen über die Beförderung von Gütern auf See) vom 31.3.1978 Richtlinie 86/653/EG des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter Harvard Law Review Verordnung über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats nach der Scheidung (Hausratsverordnung) Haftung und Versicherung Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Ziviloder Handelssachen vom 18.3.1970 Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13.1.2000 Handelsgericht Handelsgesetzbuch High Court Haager Übereinkommen betreffend das auf internationale Kaufverträge über bewegliche Sachen anzuwendende Recht vom 15.6.1955 Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 herrschende Lehre House of Lords herrschende Meinung Hamburger Zeitschrift für Schifffahrtsrecht Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen Hof van Cassatie Haager Übereinkommen über das auf die Produkthaftpflicht anzuwendende Recht vom 2.10.1973 Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005 Herausgeber Halbsatz Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4.5.1971 Haager Übereinkommen über das auf Trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung vom 1.7.1985
Abkürzungsverzeichnis
HUntAVÜbk 1958 HUntAVÜbk 1973 HUntStProt 2007 HUntStÜbk 1956 HUntStÜbk 1973 HUntVerfÜbk 2007 HUrtÜbk HZivPrÜbk 1954 HZÜ
I.A.C.P.I.L. IBR ICC ICC Int.Ct.Arb.Bull. I.C.C.L.R. I.C.L.Q. i.d.F. i.d.R. I.D.R. i.E. I.E.R. I.E.S.C. iFamZ I.F.L. IHR I.I.C. I.L.M. I.L.Pr. I.L.R.M. ILSA J.Int.&Comp.L. I.L.T. insbes. InsO Int.Arb.L.Rev. Int.Co.&Comm.L.Rev. Int.Constr.L.Rev. IntFamG IntFamRVG Int.Litig.Proc. Int’l Lawyer Int’l Lis
Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.4.1958 Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973 Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht vom 24.10.1956 Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2.10.1973 Haager Übereinkommen über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23.11.2007 Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 2.7.2019 Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 1.3.1954 Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15.11.1965 Interdisplinary Association of Comparative and Private International Law Immobilien- & Baurecht International Chamber of Commerce ICC International Court of Arbitration Bulletin International Company and Commercial Law Review International and Comparative Law Quarterly in der Fassung in der Regel Journal of International Dispute Resolution im Ergebnis Intellectuele eigendom & reclamerecht Supreme Court of Ireland Decisions Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht International Family Law Internationales Handelsrecht International Review of Intellectual Property and Competition Law International Legal Materials International Litigation Procedure Irish Law Reports Monthly ILSA (International Law Students’ Association) Journal of International and Comparative Law Irish Law Times insbesondere Insolvenzordnung International Arbitration Law Review International Company and Commercial Law Review The International Construction Law Review Gesetz zum Internationalen Familienrecht Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts (Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz) International Litigation Procedure The International Lawyer International Lis XXIII
Abkürzungsverzeichnis
Int.Rev.Ind.Cop.R.L. Int.Urt.Anerk. InvG InVo I.P.Q. IPR IPRax IPRG IPRspr I.R. I.R. i.R.d. i.S.d. i.S.v. i.V.m. IZ IZPR IZVR i.Zw.
International Review of Industrial Property and Copyright Law Internationale Urteilsanerkennung Investmentgesetz Insolvenz und Vollstreckung Intellectual Property Quarterly Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts IPR-Gesetz Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts Informations rapides Irish Reports im Rahmen des/der im Sinne des/der im Sinne von in Verbindung mit Zeitschrift für den Internationalen Eisenbahnverkehr Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht im Zweifel
J. JAmt JAP Jap. J.A.R. Jb.Ital.R. Jb.J.Ziv.R.Wiss. J.B.L. J.Bl. Jb.Prax.Sch. Jb.R.Soz. JCl.Droit.Int. JCl.Droit int.fasc. J.Cl.P. J.Cl.P. (C) J.Cl.P. (E) J.Cl.P. (G) J.Cl.P. (S) jdf. J.D.I. J.Empir.Leg.Stud. Jh.J.B. J.I.B.F.L. J.I.B.L.R. J.I.M.L. J.Int.Arb. J.Int.Bank.L. J.M.L.B. J.M.L.C. J.N. J.O. Jo.B.L. J.P.A. J.P.I.L.
Justice Zeitschrift für Jugendhilfe und Familienrecht Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung japanisch (-er, -es) Jaarboek voor Arbeidsrecht Jahrbuch für italienisches Recht Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler Journal of Business Law Juristische Blätter Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Juris-Classeur, Droit international Juris-Classeur, Droit international fascicule Juris-Classeur Périodique Juris-Classeur Périodique, édition Civil Juris-Classeur Périodique, édition Entreprise Juris-Classeur Périodique, édition Générale Juris-Classeur Périodique, édition Social jedenfalls Journal du droit international Journal of Empirical Legal Studies Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Journal of International Banking and Financial Law Journal of International Banking Law and Regulation Journal of International Maritime Law Journal of International Arbitration Journal of International Banking Law Jurisprudence de Mons, Liège et Bruxelles Journal of Maritime Law and Commerce Jurisdiktionsnorm (Österreich) Journal officiel Journal of Business Law Jurisprudence de port d’Anvers Journal of Public and International Law
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
J.Pr.I.L. J.R. J.T. J.T.dr.europeen. JuMiG JURA Jur.Büro Jur.comm.belge JuS J.W.T.L. JZ
Journal of Private International Law Juristische Rundschau Journal des tribunaux Journal des tribunaux (droit europeen) Justizmitteilungsgesetz Juristische Ausbildung Das Juristische Büro Jurisprudence commerciale belge Juristische Schulung Journal of World Trade: law, economics, public policy Juristenzeitung
KantonsG Kap. KapMuG Kapstadt-Übk
Kantonsgericht Kapitel Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Cape Town Convention on International Interests in Mobile Equipment (Kapstädter Übereinkommen über internationale Sicherungsrechte an beweglicher Ausrüstung) vom 16.11.2001 K.B. Kings Bench K.C.L.J. The King’s College Law Journal KfzPflVV Verordnung über den Versicherungsschutz in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung) KG Kammergericht KGR Report des Kammergerichts King’s Coll.LJ. King’s College Law Journal KlauselRL Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen KOM Dokumentenkennung der Kommission der EG KonsG Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) K.P.D. Kodix Politikis Dikonomias (Griechenland) K&R Kommunikation & Recht krit. kritisch Krit.Justiz Kritische Justiz KrWaffKontrG Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen KSchG Kündigungsschutzgesetz KSÜ Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19.10.1996 Ktg. Kantongerecht KTS Konkurs, Treuhand, Schiedsgerichtswesen KulturgüterrückgabeRL Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern KWG Gesetz über das Kreditwesen LA LAG LAGE LandesG L.E.C. LFGB Lit. L.J.
liber amicorum Landesarbeitsgericht Entscheidungssammlung der Landesarbeitsgerichte Landesgericht Ley de Enjuiciamiento Civil (Spanien) Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Litera Lord Justice XXV
Abkürzungsverzeichnis
L.J.J. LJZ Lloyd’s Rep. L.M. L.M.C.L.Q. L.M.K. L.O.P.J. Loyola L.A.In’l & Comp.Rev. LPartG L.Q.Rev. LuftVG LugÜbk 1988 LugÜbk 2007 luxemb. m. MaBV m. Anm. MarkenG Marq. L. Rev. m.a.W. MDR MDStV Med.-Arb. MHG Mich.L.Rev. MittBayNot Mitt.Pat. MittRhNotK M.J. MMR Mod.L.Rev. MoMiG Montr.Übk MR MSA MTC MuSchG m.w.N. XXVI
Lord Justices Liechtensteinische Juristenzeitung Lloyd’s Reports liber memorialis Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly Lindenmaier-Möhring, Kommentierte Rechtsprechung Ley Orgánica del Poder Judicial (Spanien) Loyola of Los Angeles International and Comparative Law Review Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft Law Quarterly Review Luftverkehrsgesetz Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 luxemburgisch mit Verordnung über die Pflichten der Makler, Darlehens- und Anlagenvermittler, Anlageberater, Bauträger und Baubetreuer (Makler- und Bauträgerverordnung) mit Anmerkung Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz) Marquette Law Review mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht Staatsvertrag über Mediendienste (Mediendienstestaatsvertrag) Mediation-Arbitration Gesetz zur Regelung der Miethöhe (Miethöhegesetz) Michigan Law Review Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Mitteilungen der deutschen Patentanwälte Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Maastricht Journal of European and Comparative Law Multimedia und Recht Modern Law Review Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen) vom 28.5.1999 Medien und Recht Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961 UN-Convention on International Multimodal Transport of Goods (UNÜbereinkommen über die internationale multimodale Güterbeförderung) vom 24.5.1980 Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz) mit weiteren Nachweisen
Abkürzungsverzeichnis
Nachw. n.c.p.c. Ned.Jbl. Ned.Jur. NEheG N.I.L.R. N.I.P.R. N.I.Q.B. N.J. N.J. N.J.A. NJOZ NJW NJW-RR NotBZ Nr. N.S.A. NSW N.T.B.R. N.T.E.R. N.T.H.R. Nuove leggi civ.Com. NVwZ Nw.J.Int’l L.&Bus. N.Y.U.L.Rev. NZA NZA-RR NZFam NZG NZI NZM NZV
Nachweis(e) Nouveau Code de procédure civile (Frankreich) Nederlands Juristenblad Nederlandse Jurisprudentie Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder Netherlands International Law Review Nederlands Internationaal Privaatrecht Northern Ireland Queen’s Bench Division Nederlandse Jurisprudentie Neue Justiz Nytt Jurisdik Arkiv Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Nummer(n) Naczelny Sa˛d Administracyjny (polnisches Oberstes Verwaltungsgericht) Nachschlagewerk der Rechtsprechung zum Gemeinschaftsrecht Nederlands Tijdschrift voor Burgerlijk Recht Nederlands Tijdschrift voor Europees Recht Nederlands Tijdschrift voor Handelsrecht Le Nuove Leggi Civili Commentate Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Northwestern Journal of International Law and Business New York University Law Review Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für Familienrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenzrecht Neue Zeitschrift für Mietrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
o. o.ä. öAnwBl ö.A.w.E. ÖBA ObG Obs. OGH O.H. Ohio St.L.J. ÖJZ ÖKSchG Ø.L.D. OLG OLG-NL OLGR O.R. ÖRZ öst.
oben oder ähnliches Österreichisches Anwaltsblatt öffentliche Aufgabe wahrnehmende Einrichtung Österreichisches Bank Archiv Obergericht Observations Österreichischer Oberster Gerichtshof Court of Session, Outer House Ohio State Law Journal Österreichische Juristenzeitung Konsumentenschutzgesetz (Österreich) Østre Landsret Dom Oberlandesgericht OLG-Rechtsprechung Neue Länder OLG-Report Obligationenrecht (Schweiz) Österreichische Richterzeitung österreichisch (-er, -es)
p. PECL
page Principles of European Contract Law XXVII
Abkürzungsverzeichnis
PflVG
Prot.EuGVÜ ProzRB
Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (Pflichtversicherungsgesetz) Pensionskassengesetz Präsident Protokoll Protokoll über die Position Dänemarks, beigefügt dem Amsterdamer Vertrag vom 2.10.1997 Protokoll zum EuGVÜ vom 27.9.1968 Der Prozess-Rechtsberater
Q.B. Q.B.D. Q.C.
The Law Reports, Queen’s Bench Division High Court of Justice, Queen’s Bench Division Queen’s Counsel
PKG Präs. Prot. Prot.Dk.
RabelsZ
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Rb. Rechtbank Rb. Kh. Rechtbank van Koophandel RBÜ Berner Übereinkommen über den Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 9.9.1886 i.d.F. vom 2.10.1979 RdA Recht der Arbeit R.D.C.B. Revue de droit commercial belge RDG Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz) RdU Recht der Umwelt RdW Recht der Wirtschaft Rec. Recueil des Cours de l’Academie de droit international R.E.D.I. Revista espanola de derecho internacional Rel. Tribunal da Relação Rev.Arb. Revue d’arbitrage Rev.belgedr.int. Revue belge de droit international Rev.crit.Dip. Revue critique de droit international privé Rev.crit.Jur.belge Revue critique de jurisprudence belge Rev.der.com.eur. Revista de derecho comunitario europeo Rev.dr.aff.int. Revue de droit des affaires internationales Rev.dr.fr.comm. Revue de droit français commerciale Rev.dr.int.dr.comp. Revue de droit international et de droit comparé Rev.dr.trav. Revue de droit du travail Rev.dr.unif. Revue de droit uniforme Rev.Fac.Dir.Univ.Lisboa Revista da Faculdade de Direito da Universidade de Lisboa Rev.gén.dr. civ.belge Revue générale de droit civil belge Rev.int.dr.comp. Revue internationale de droit comparé Rev.Inst.belge Revue d’Institut Belge Rev.int.y integr. Revista internacional y integración Rev.Lamy dr.aff. Revue Lamy de Droit des affaires Rev.MUE Revue du Marché Unique Européen Rev.ord.adv. Revista da Ordem dos Advogados Rev.proc.Coll. Revue des procédures collectives civiles et commerciales Rev.Scapel Revue Scapel Rev.soc. Revue des sociétés Rev.trim.dr.civ. Revue trimestrielle de droit civil Rev.trim.dr.eur. Revue trimestrielle de droit européen Rev.trim.dr.fam. Revue trimestrielle de droit familial R.F.D.A. Revue française de droit administratif RG Reichsgericht XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
RGBl. R.G.D.A. RGZ R.H.D.I. R.I.D.C. Ritsum.L.Rev. Riv.Arb. Riv.dir.eur. Riv.dir.fall.soc.com. Riv.dir.int. Riv.dir.int.priv.proc. Riv.dir.proc. Riv.notariato Riv.trim.dir.proc.civ. RIW RL Rom I-VO Rom II-VO Rom III-VO R.P.C. Rpfleger RPflG RpflStud. RRa Rs. R+S R.S.D.A. Rspr. RTD com. RTD eur. RVG R.V.J. R.W. Rz. S. S. s. SAE Sc. S.C. SchiedsVZ SchuldRAnpG Schw. SchwJZ S.C.L.R. Sem.jud.
Reichsgesetzblatt Revue générale du droit des assurances Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Revue hellénique de droit international Revue international de droit comparé Ritsumeikan Law Review (International Edition) Rivista d’arbitrato Rivista di diritto europeo Rivista di diritto fallimentare e della societá commerciale Rivista di diritto internazionale Rivista di diritto internazionale privato e processuale Rivista di diritto processuale Rivista del Notariato Rivista trimestrale di diritto e procedura civile Recht der Internationalen Wirtschaft Richtlinie Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“) Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20.12.2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts Reports of Patent Cases Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rechtspfleger – Studienhefte Reiserecht aktuell Rechtssache Recht und Schaden Revue Suisse de droit des affaires et du marché financier Rechtsprechung Revue trimestrielle de droit commercial et de droit économique Revue trimestrielle de droit européen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Revue valaisanne de jurisprudence Rechtskundig Weekblad Randziffer Satz Seite siehe Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen scilicet (lat nämlich) Supreme Court Zeitschrift für Schiedsverfahren Gesetz zur Anpassung schuldrechtlicher Nutzungsverhältnisse an Grundstücken im Beitrittsgebiet (Schuldrechtsanpassungsgesetz) schweizerisch (-e, -es) Schweizerische Juristenzeitung Scottish Civil Law Reports Semaine judiciaire
XXIX
Abkürzungsverzeichnis
SE-VO SGB sic! SJ SJZ Soc. sog. Somm. SorgeRÜbkAG
SortenschutzVO SortSchG Sp. Span. SpuRt S&S st. StaZ S.T.J. Str. Sv.J.T. SVR Sw.J.L.&Trade in the Americas S.Z. SZIER SZW SZZP T.B.H. TDG Temp.L.Rev. Texas Int’l L.J. T.f.R. T.G.I. Time-Sharing-RL 1994
Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) Sozialgesetzbuch sic! (Zeitschrift) Steuer-Journal Schweizer Juristenzeitung chambre sociale sogenannt Sommaires Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung und des Europäischen Übereinkommens vom 20.5.1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses (SorgerechtsübereinkommensAusführungsgesetz) Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27.7.1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz Sortenschutzgesetz Spalte Spanien (-s) Zeitschrift für Sport und Recht Schip en Schade ständige Das Standesamt (Zeitschrift für Standesamtwesen) Supremo Tribunal de Justicia Spiegelstrich Svensk Juristtidning Straßenverkehrsrecht – Zeitschrift für die Praxis des Verkehrsjuristen Southwestern Journal of Law and Trade in the Americas Sammlung der Rechtsprechung des Österreichischen Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen Schweizerische Zeitschrift für Internationales und Europäisches Recht Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Schweizerische Zeitschrift für Zivilprozessrecht
Tijdschrift voor Belgisch handelsrecht Gesetz über die Nutzung von Telediensten (Teledienstegesetz) Temple Law Review Texas International Law Journal Tidsskrift for Rettsvitenskap Tribunal de grande instance Richtlinie 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien Time-Sharing-RL 2009 Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.1.2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen T.I.P. Tijdschrift voor Internationaal Privaatrecht TMG Telemediengesetz TranspR Transportrecht Trav.Com.fr.DIP Travaux de Comité français de droit international privé Trib. Tribunal, Tribunale Trib.app. Tribunale di appello XXX
Abkürzungsverzeichnis
Trib.cant. Trib.comm. Trib.Sup. Trib.trav. Tru.L.I. Trusts att.Fid. Tulane J.Int’l&Comp.L. Tul.L.Rev. T.V.I. TzBfG
Tribunal cantonal Tribunal de commerce Tribunal Supremo Tribunal de travail Trust Law International Riviste Trusts e attività fiduciarie Tulane Journal of International and Comparative Law Tulane Law Review Tijdschrift voor Insolventierecht Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge
u. u.a. u.ä. UAbs. Übk UCC UFITA U.f.R. UhVorschG
unten und andere und ähnliches Unterabsatz Übereinkommen Uniform Commercial Code Archiv für Urheber- und Medienrecht Ugeskrift for Retsvaesen Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern allein stehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen United Kingdom House of Lords Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen Utrecht Law Review Uniform Law Review Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989 New Yorker UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958 University of Pennsylvania Law Review Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) unter Umständen
U.K.H.L. UKlaG U.L.R. Unif. L.Rev. UN-KinderrechteÜbk UNÜ U.Pa.LRev. UrhG u.U. v. v. v.a. VAG
versus von, vom vor allem Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Va.J.Int’lL Virginia Journal of International Law Vand.J.Transn.L. Vanderbilt Journal of Transitional Law Var. Variante VerbraucherkreditRL Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates VerbrauchsgüterkaufRL Richtlinie 99/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter verb. Rs. verbundene Rechtssache VerkProspG Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz (Verkaufsprospektgesetz) VermG Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) VersR. Versicherungsrecht VersRAI Versicherungsrecht Beilage Ausland vgl. vergleiche VO Verordnung XXXI
Abkürzungsverzeichnis
VOB/B Vorbem. vorl. vs. VuR VV VVG V.W. Vzngr. Wanderarbeitnehmer-VO
Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil B: Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen Vorbemerkung(en) vorläufig versus Verbraucher und Recht Vergütungsverzeichnis Gesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz) Versicherungswirtschaft Voorzieningenrechter
wbl WiB WiRO W.L.R. WM wobl WpHG W.P.N.R. WRP W.R.V. WSA WTO WuB WÜD WÜK WuW WVRK
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12.10.1929 Wirtschaftsrechtliche Blätter Wirtschaftsrechtliche Beratung Wirtschaft und Recht in Osteuropa The Weekly Law Reports Wertpapier-Mitteilungen Wohnrechtliche Blätter Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz) Weekblad voor privaatrecht, notariaat en registratie Wettbewerb in Recht und Praxis Wetboek van Rechtsvorderingen (Niederlande) Wirtschafts- und Sozialausschuss World Trade Organization (Welthandelsorganisation) Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 Wirtschaft und Wettbewerb Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.5.1969
YBCom.Arb. YBConsL. YBE.L. YBIntL. YBP.I.L.
Yearbook of Commercial Arbitration Yearbook of Consumer Law Yearbook of European Law Yearbook of International Law Yearbook of Private International Law
Zak ZAP z.B. ZBB ZBernJV ZBVR ZESAR ZEuP ZEuS ZEV ZfA ZfBR ZfIR ZfRV
Zivilrecht aktuell Zeitschrift für anwaltliche Praxis zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift des Bernischen Juristen-Vereins Zeitschrift für Betriebsverfassungsrecht Zeitschrift für Europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für deutsches und internationals Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, internationales Recht und Europarecht
WarschAbk
XXXII
Abkürzungsverzeichnis
ZfV ZGR ZHR ZIAS Ziff. ZIK ZInsO ZIP ZivG ZJapanR ZKM ZLR ZLW ZMR ZPO ZR ZRHO ZSR z.T. ZUM zust. Zust. EU-DK Abk ZustRG zutr. ZVersWiss ZVGB ZVglRWiss ZVI ZWeR ZZP ZZPInt
Zeitschrift für Versicherungswesen Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht Ziffer Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilgericht Zeitschrift für Japanisches Recht Zeitschrift für Konflikt-Management Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung Blätter für Zürcherische Rechtsprechung Rechtshilfeordnung in Zivilsachen Zeitschrift für Schweizerisches Recht zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht zustimmend Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen vom 19.10.2005 Gesetz zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren (Zustellungsreformgesetz) zutreffend Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zivilverfahrensgesetzbuch Polen Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht Zeitschrift für Wettbewerbsrecht Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International
XXXIII
Kommentarliteratur Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO78 (2020) zitiert: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Bearbeiter Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer, Internationales Zivilverfahrensrecht (Loseblatt, Stand: 2020) zitiert: Burgstaller/Neumayr/Bearbeiter Callies/Ruffert, EUV/EGV5 (2016) zitiert: Callies/Ruffert/Bearbeiter Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 (2015) zitiert: Czernich/Kodek/Mayr/Bearbeiter Dauner-Lieb/Heidel/Ring, NomosKommentar Bürgerliches Gesetzbuch: BGB3 (2016 ff.) zitiert: NK-BGB/Bearbeiter Fasching/Konecny, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen2 (2002–2011) zitiert: Fasching/Konecny/Bearbeiter Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss2 (2010) zitiert: Gebauer/Wiedmann/Bearbeiter Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht3 (2010) zitiert: Geimer/Schütze/Bearbeiter, EuZVR Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (Loseblatt, Stand 2020) zitiert: Geimer/Schütze/Bearbeiter Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union: EUV/AEUV (Loseblatt, Stand 2020) zitiert: Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bearbeiter Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht9 (2011) zitiert: Kropholler/von Hein Magnus/Mankowski, Brussels Ibis Regulation3 (2016) zitiert: Magnus/Mankowski/Bearbeiter Münchener Kommentar zum FamFG3 (2019) (Hrsg.: Rauscher) zitiert: MünchKommFamFG/Bearbeiter Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung5 (2016–2017) (Hrsg.: Krüger/Rauscher) zitiert: MünchKommZPO/Bearbeiter Musielak, ZPO17 (2020) zitiert: Musielak/Bearbeiter Prütting/Gehrlein, ZPO Kommentar12 (2020) zitiert: Prütting/Gehrlein/Bearbeiter Schlosser/Hess, EU-Zivilprozessrecht4 (2015) zitiert: Schlosser Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz7 (2020) zitiert: Schuschke/Walker/Bearbeiter Saenger, NomosKommentar Zivilprozessordnung: ZPO8 (2019) zitiert: NK-ZPO/Bearbeiter oder Saenger/Bearbeiter Staudinger, Kommentar zum BGB (1993 ff.) zitiert: Staudinger/Bearbeiter (Jahr) Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung: ZPO22 (2002–2013) bzw ZPO23 (2014 ff.) zitiert: Stein/Jonas/Bearbeiter (Jahr) Streinz, EUV/AEUV3 (2018) zitiert: Streinz/Bearbeiter Thomas/Putzo, ZPO41 (2020) zitiert: Thomas/Putzo/Bearbeiter Wieczorek/Schütze, ZPO3 (1994–2010) bzw ZPO4 (2012–2019) bzw ZPO5 (2019 ff.) zitiert: Wieczorek/Schütze/Bearbeiter (Jahr) Zöller, ZPO33 (2020) zitiert: Zöller/Bearbeiter
XXXIV
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) ABl. EU 2012 L 351/1 Art. 71a bis Art. 71d eingefügt durch VO (EU) Nr. 542/2014 v. 15.5.2014 ABl. EU 2014 L 163/1 Anh. I, II geändert durch DelVO (EU) Nr. 2015/281 v. 26.11.2014 ABl. EU 2015 L 54/1 Schrifttum: 1. Ausgewähltes jüngeres Schrifttum zum EuGVÜ: Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg.), Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano (1997); Basedow, in Max-Planck-Institut (Hrsg.), Hdb. IZVR I, Kap. II; Biavati, Le prospettive di riforma della convenzione di Bruxelles, Riv trim dir proc civ. 1999, 1201; Bogdan (Hrsg.), The Brussels Jurisdiction and Enforcement Convention – an EC Court Casebook (1996); Borrás (Hrsg.), La revisión de los Convenios de Bruselas de 1968 y Lugano de 1988 sobre competencia judicial y ejecución de resoluciones judiciales: una reflexión preliminar española (1998); Briggs/Roes, Civil Jurisdiction and Judgements2 (1997), zitiert: Briggs/Roes; Burgstaller (Hrsg.), Internationales Zivilverfahrensrecht (2000), 143; Calvo Caravaca (Hrsg.), Comentario al convenio de Bruselas relativo a la competencia judicial y la ejecución de resoluciones judiciales en materia civil y mercantil (1994); Coester-Waltjen, Die Bedeutung des EuGVÜ und des Luganer Abkommens für Drittstaaten, in FS Hideo Nakamura (1996), 89; Dietze/Schnichels, Die Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ und zur EuGVVO im Jahre 2004, EuZW 2005, 552; Donzallaz, La Convention de Lugano, Bde I–III (1996–1998); Fentiman/Nuyts/Tagaras/Watté (Hrsg.), L’espace judiciaire européen en matières civile et commerciale (1999); Gaudemet-Tallon, Compétence et exécution des jugements en Europe. Règlement no 44/2001, Conventions de Bruxelles et de Lugano3 (2002), zitiert: Gaudemet-Tallon; Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht (1997); Gottwald, Principles and Current Problems of Uniform Procedural Law in Europe under the Brussels Convention, Saint Louis-Warsaw Transatlantic Law Journal 1997, 139; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts (2000); Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht5; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht – Überlegungen zur Bewältigung von multi-forum disputes (1996); van Houtte/Pertegás Sender (Hrsg.), Europese IPR-verdragen (1997); Kaye (Hrsg.), European Case Law on the Judgments Convention (1998), zitiert: Kaye, Casebook; Kerameus, Erweiterung des EuGVÜ-Systems und Verhältnis zu Drittstaaten, in Gottwald (Hrsg.), Revision des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht (2000), 75; Klicka, Das Europäische Zuständigkeits- und Vollstreckungssystem in seiner Anwendung durch den österreichischen Obersten Gerichtshof, in FS Otto Sandrock (2000), 503; Krause, Turner/Grovit – Der EuGH erklärt Prozessführungsverbote für unvereinbar mit dem EuGVÜ, RIW 2004, 533; Kreuzer/Wagner, in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts Bd. 2 (Stand März 2002), zitiert: Dauses/Kreuzer/Wagner; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht6 (1998), zitiert: Kropholler6; Mari, Il diritto processuale civile della Convenzione di Bruxelles Bd. I: Il sistema della competenza (1999); Mayss/Reed, European Business Litigation (1998) 13, 389; Reithmann/ Martiny (Hrsg.), Internationales Vertragsrecht3 (1996); Salerno, La Convenzione di Bruxelles del 1968e la sua revisione (2000); Schlosser, Jurisdiction and International Judicial and Administrative Cooperations, 284th Recueil des Cours de l’Academie de Droit International de La Haye (2001); Schroeder, Zur Frage der Vereinbarkeit von Antisuit injunctions mit dem EuGVÜ, EuZW 2004, 470; Schulte-Beckhausen, Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im Europäischen Zivilprozessrecht (1994), zitiert: Schulte-Beckhausen; Stone, Civil Jurisdiction and Judgments in Europe (1998); Virgós Soriano/Garcimartín Alférez, Derecho procesal civil internacional: Litigación internacional (2000), Wieczorek/Schütze, ZPO Bd. I/13 (1994). 2. Ausgewähltes Schrifttum zur Brüssel I-VO: Andrews, Judicial Co-operation: Recent Progress, 1. Europäischer Juristentag, 2001; Beraudo, Le Règlement (CE) du Conseil du 22 décembre 2000 concernant la compétence judiciaire, la reconnaissance et l’exécution des décisions en matière civile et commerciale, JDI 128 (2001), 1033; Berger, Gerichtspflichtigkeit infolge Internetpräsenz, in Bauknecht/Brauer/Mück (Hrsg.), Informatik 2001, 1002; Bertoli, La disciplina della giurisdizione civile nel regolamento communitario n. 44/2001, Riv. dir. int. civ. proc 2002, 625; Bischoff, Besprechung des Gutachtens 1/03 des EuGH vom 7.2.2006, EuZW 2006, 295; Bonassies, L’entrée en vigueur du règlement communautaire no 44-2001 du décembre 2000 concernant la compétence judiciaire, la reconnaissance et l’exécution des décisions de justice en matière civile et commerciale, European Transport Law, Vol XXXVII, 6 (2002), 727; Bruneau, Les Règles Européennes de Competence en Matière civile et Commerciale, La Semaine Juridique 2001, 533; Coester-Waltjen, Die Europäisierung des Zivilprozesses, Jura 2006, 915; Couwenberg/ Pertegás Sender, Recente ontwikkelingen in het Europese bevoegdheids- en executierecht, in van Houtte/Pertegás Sender (Hrsg.), Het nieuwe Europese IPR: van verdrag naar verordening (2001), 31; Cuniberti, The Recognition of Foreign Judgements Lacking Reasons in Europe: Access to Justice, Foreign Court Avoidance, and Efficiency, ICLQ 2008, 25; Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Kurzkommentar Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht3
Staudinger
1
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Schrifttum
Brüssel Ia-VO
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Ausgewähltes Schrifttum zur Brüssel Ia-VO: Alio, Die Neufassung der Brüssel I-Verordnung, NJW 2014, 2395; Beraudo, Regards sur le nouveau règlement Bruxelles I sur la compétence judiciaire, la reconnaissance et l’exécution des décisions en matière civile et commerciale, Clunet 2013, 741; Cadet, Main features of the revised Brussels I Regulation, EuZW 2013, 218; Cadet, Le nouveau règlement Bruxelles I ou l’itinéraire d’un enfant gâté, Clunet 2013, 765; Deumier/Laazouzi/Treppoz, Le Règlement Bruxelles I bis et la géométrie dans l’espace, RDC 2013, 1037; Domej, Die Neufassung der EuGVVO – Quantensprünge im europäischen Zivilprozessrecht, RabelsZ 78 (2014), 508; Gaudemet-Tallon/Kessedjian, La refonte du règlement Bruxelles I, RTDEur 2013, 435; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht8 (2019); Hay, Notes on the European Union’s Brussels-I „Recast“ Regulation, EuLF 2013, 1; Leandro, Prime osservazioni sul regolamento (UE) n. 1215/2012 („Bruxelles I bis“), Il giusto proc. civ. 2013, 583; Mankowski, EuGVVO, Brüssel I a-VO und Spezialübereinkommen, TranspR 2014, 129; Mankowski, Die neuen Regeln über gemeinsame Gerichte in Art. 71a–71d Brüssel Ia-VO, GPR 2014, 330; Markus, Die revidierte europäische Gerichtsstandsverordnung, AJP 2014, 800; Nielsen The new Brussels I Regulation, CML Rev 50 (2013), 503; Nuyts, Bruxelles Ibis: présentation des nouvelles règles sur la compétence et l’exécution des décisions en matière civile et Commerciale, Actualités en droit international privé 2013, 77; Nuyts, La refonte du règlement Bruxelles I, RCDIP 2013, 1; Pohl, Die Neufassung der EuGVVO – im Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Kontrolle, IPRax 2013, 109; Reinmüller, Neufassung der EuGNVVO („Brüssel Ia-VO“) seit 10. Januar 2015, IHR 2015, 1; Rouchaud-Joët, Le nouveau règlement „Bruxelles I“: nouvelles règles sur la compétence judiciaire, la reconnaissance et l’exécution des décisions en matière civile et commerciale, J.D.E. 2014, 2; Schlosser/Hess, EU-Zivilprozessrecht4 (2015), EuZPR, zitiert Schlosser/Hess/Bearbeiter; Staudinger/Steinrötter, Das neue Zuständigkeitsregime bei zivilrechtlichen Auslandssachverhalten, JuS 2015, 1; von Hein, Die Neufassung der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO), RIW 2013, 97; Wagner, Staatenimmunität und internationale Zuständigkeit nach der EuGVVO, RIW 2014, 260; Weller, Der Ratsentwurf und der Parlamentsentwurf zur Reform der Brüssel I-VO, GPR 2012, 328. Materialien: 1. EuGVÜ: Jenard, Bericht zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 1979 C 59/1, zitiert Jenard-Bericht; Schlosser, Bericht zu dem Übereinkommen über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof, ABl. EG 1979 C 59/71 = BT-Drucks. 10/61, 31, zitiert: Schlosser-Bericht; Kerameus, Bericht über den Beitritt der Republik Griechenland zum EG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen,
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Brüssel Ia-VO Erwägungsgründe ABl. EG 1986 C 298/1, zitiert: Kerameus-Bericht; Almeida Crus/Desantes Real/Jenard, Bericht zu dem Übereinkommen über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zum Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie zum Protokoll betreffend die Auslegung dieses Übereinkommens durch den Gerichtshof in der Fassung des Übereinkommens über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und des Übereinkommens über den Beitritt der Republik Griechenland, zitiert: Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard-Bericht. 2. Brüssel I-VO: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, 14.7.1999, KOM (1999) 348; Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I – Regulation 44/2001 Application and Enforcement in the EU (2008); Europäischer Rat, Das Stockholmer Programm – ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, ABl. EU 2010 C 115/1 ff. 3. Brüssel Ia-VO: Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (Neufassung), KOM (2010) 748.
DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Art. 67 Abs. 4 und Art. 81 Abs. 2 Buchstaben a, c und e, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,1 gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,2 in Erwägung nachstehender Gründe: (1) Am 21.4.2009 hat die Kommission einen Bericht über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen3 angenommen. Dem Bericht zufolge herrscht allgemein Zufriedenheit mit der Funktionsweise der genannten Verordnung, doch könnten die Anwendung bestimmter Vorschriften, der freie Verkehr gerichtlicher Entscheidungen sowie der Zugang zum Recht noch weiter verbessert werden. Da einige weitere Änderungen erfolgen sollen, sollte die genannte Verordnung aus Gründen der Klarheit neu gefasst werden. (2) Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung vom 10./11.12.2009 in Brüssel ein neues mehrjähriges Programm mit dem Titel „Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger“4 angenommen. Im Stockholmer Programm vertritt der Europäische Rat die Auffassung, dass der Prozess der Abschaffung aller zwischengeschalteten Maßnahmen (Exequaturverfahren) während des von dem Programm abgedeckten Zeitraums fortgeführt werden sollte. Gleichzeitig sollte die Abschaffung der Exequaturverfahren von einer Reihe von Schutzvorkehrungen begleitet werden. (3) Die Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln, indem u.a. der Zugang zum Recht, insbesondere durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen, erleichtert wird. Zum schrittweisen Aufbau eines solchen Raums hat die Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, Maßnahmen zu erlassen, insbesondere wenn dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist. (4) Die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen erschweren das reibungslose Funktio1 Amtl. Fußnote: ABl. C 218 vom 23.7.2011, S. 78. 2 Amtl. Fußnote: Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 20.11.2012 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 6.12.2012. 3 Amtl. Fußnote: ABl. Nr. L 12 vom 16.1.2001, S. 1. 4 Amtl. Fußnote: ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1.
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nieren des Binnenmarkts. Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu gewährleisten, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind. (5) Diese Bestimmungen fallen in den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen i.S.v. Art. 81 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). (6) Um den angestrebten freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu verwirklichen, ist es erforderlich und angemessen, dass die Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Wege eines Unionsrechtsakts festgelegt werden, der verbindlich und unmittelbar anwendbar ist. (7) Am 27.9.1968 schlossen die seinerzeitigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf der Grundlage von Art. 220 vierter Gedankenstrich des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft das Übereinkommen von Brüssel über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, dessen Fassung danach durch die Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen5 geändert wurde („Brüsseler Übereinkommen von 1968“). Am 16.9.1988 schlossen die seinerzeitigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und bestimmte EFTAStaaten das Übereinkommen von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen6 („Übereinkommen von Lugano von 1988“), das ein Parallelübereinkommen zu dem Brüsseler Übereinkommen von 1968 darstellt. Am 1.2.2000 wurde das Übereinkommen von Lugano von 1988 auf Polen anwendbar. (8) Am 22.12.2000 nahm der Rat die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 an, die das Brüsseler Übereinkommen von 1968 im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander mit Ausnahme Dänemarks hinsichtlich der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten ersetzt, die in den Anwendungsbereich des AEUV fallen. Mit dem Beschluss 2006/325/EG des Rates7 schloss die Gemeinschaft mit Dänemark ein Abkommen über die Anwendung der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 in Dänemark. Das Übereinkommen von Lugano von 1988 wurde durch das am 30.10.2007 von der Gemeinschaft, Dänemark, Island, Norwegen und der Schweiz in Lugano unterzeichnete Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen8 („Übereinkommen von Lugano von 2007“) geändert. (9) Das Brüsseler Übereinkommen von 1968 gilt weiter hinsichtlich der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten, die in seinen territorialen Anwendungsbereich fallen und die aufgrund der Anwendung von Art. 355 AEUV von der vorliegenden Verordnung ausgeschlossen sind. (10) Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken; aufgrund der Annahme der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen9 sollten insbesondere die Unterhaltspflichten vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden. (11) Für die Zwecke dieser Verordnung sollten zu den Gerichten der Mitgliedstaaten auch gemeinsame Gerichte mehrerer Mitgliedstaaten gehören, wie der Benelux-Gerichtshof, wenn er seine Zuständigkeit in Angelegenheiten ausübt, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen. Daher sollten Entscheidungen dieser Gerichte gemäß dieser Verordnung anerkannt und vollstreckt werden. (12) Diese Verordnung sollte nicht für die Schiedsgerichtsbarkeit gelten. Sie sollte die Gerichte eines Mitgliedstaats nicht daran hindern, die Parteien gemäß dem einzelstaatlichen Recht an die 5 Amtl. Fußnote: ABl. Nr. L 299 vom 31.12.1972, S. 32; ABl. Nr. L 304 vom 30.10.1978, S. 1; ABl. Nr. L 388 vom 31.12.1982, S. 1; ABl. Nr. L 285 vom 3.10.1989, S. 1; ABl. C 15 vom 15.1.1997, S. 1. Siehe konsolidierte Fassung in ABl. C 27 vom 26.1.1998, S. 1. 6 Amtl. Fußnote: ABl. Nr. L 319 vom 25.11.1988, S. 9. 7 Amtl. Fußnote: ABl. Nr. L 120 vom 5.5.2006, S. 22. 8 Amtl. Fußnote: ABl. Nr. L 147 vom 10.6.2009, S. 5. 9 Amtl. Fußnote: ABl. Nr. L 7 vom 10.1.2009, S. 1.
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Brüssel Ia-VO Erwägungsgründe Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen, das Verfahren auszusetzen oder einzustellen oder zu prüfen, ob die Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, wenn sie wegen eines Streitgegenstands angerufen werden, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung getroffen haben. Entscheidet ein Gericht eines Mitgliedstaats, ob eine Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, so sollte diese Entscheidung ungeachtet dessen, ob das Gericht darüber in der Hauptsache oder als Vorfrage entschieden hat, nicht den Vorschriften dieser Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung unterliegen. Hat hingegen ein nach dieser Verordnung oder nach einzelstaatlichem Recht zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats festgestellt, dass eine Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, so sollte die Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache dennoch gemäß dieser Verordnung anerkannt oder vollstreckt werden können. Hiervon unberührt bleiben sollte die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten, über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen im Einklang mit dem am 10.6.1958 in New York unterzeichneten Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche („Übereinkommen von New York von 1958“) zu entscheiden, das Vorrang vor dieser Verordnung hat. Diese Verordnung sollte nicht für Klagen oder Nebenverfahren insbesondere im Zusammenhang mit der Bildung eines Schiedsgerichts, den Befugnissen von Schiedsrichtern, der Durchführung eines Schiedsverfahrens oder sonstigen Aspekten eines solchen Verfahrens oder für eine Klage oder eine Entscheidung in Bezug auf die Aufhebung, die Überprüfung, die Anfechtung, die Anerkennung oder die Vollstreckung eines Schiedsspruchs gelten. (13) Zwischen den Verfahren, die unter diese Verordnung fallen, und dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten muss ein Anknüpfungspunkt bestehen. Gemeinsame Zuständigkeitsvorschriften sollten demnach grundsätzlich dann Anwendung finden, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat. (14) Beklagte ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat sollten im Allgemeinen den einzelstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften unterliegen, die im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats gelten, in dem sich das angerufene Gericht befindet. Allerdings sollten einige Zuständigkeitsvorschriften in dieser Verordnung unabhängig vom Wohnsitz des Beklagten gelten, um den Schutz der Verbraucher und der Arbeitnehmer zu gewährleisten, um die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten in Fällen zu schützen, in denen sie ausschließlich zuständig sind, und um die Parteiautonomie zu achten. (15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden. (16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen. (17) Der Eigentümer eines Kulturguts i.S.d. Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern10 sollte eine auf Eigentum gestützte Zivilklage gemäß dieser Verordnung zur Wiedererlangung dieses Gutes vor dem Gericht des Ortes, an dem sich das Kulturgut zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts befindet, erheben können. Solche Klagen sollten nach der Richtlinie 93/7/EWG eingeleitete Verfahren unberührt lassen. 10 Amtl. Fußnote: ABl. Nr. L 74 vom 27.3.1993, S. 74.
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Erwägungsgründe
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(18) Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung. (19) Vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten ausschließlichen Zuständigkeiten sollte die Vertragsfreiheit der Parteien hinsichtlich der Wahl des Gerichtsstands, außer bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen, wo nur eine begrenztere Vertragsfreiheit zulässig ist, gewahrt werden. (20) Stellt sich die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats materiell nichtig ist, so sollte sie nach dem Recht einschließlich des Kollisionsrechts des Mitgliedstaats des Gerichts oder der Gerichte entschieden werden, die in der Vereinbarung bezeichnet sind. (21) Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren sowie zur Verhinderung von Problemen vorgesehen werden, die sich aus der einzelstaatlich unterschiedlichen Festlegung des Zeitpunkts ergeben, von dem an ein Verfahren als rechtshängig gilt. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte dieser Zeitpunkt autonom festgelegt werden. (22) Um allerdings die Wirksamkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen zu verbessern und missbräuchliche Prozesstaktiken zu vermeiden, ist es erforderlich, eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtshängigkeitsregel vorzusehen, um eine befriedigende Regelung in einem Sonderfall zu erreichen, in dem es zu Parallelverfahren kommen kann. Dabei handelt es sich um den Fall, dass ein Verfahren bei einem Gericht, das nicht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart wurde, anhängig gemacht wird und später das vereinbarte Gericht wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien angerufen wird. In einem solchen Fall muss das zuerst angerufene Gericht das Verfahren aussetzen, sobald das vereinbarte Gericht angerufen wurde, und zwar so lange, bis das letztere Gericht erklärt, dass es gemäß der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nicht zuständig ist. Hierdurch soll in einem solchen Fall sichergestellt werden, dass das vereinbarte Gericht vorrangig über die Gültigkeit der Vereinbarung und darüber entscheidet, inwieweit die Vereinbarung auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit Anwendung findet. Das vereinbarte Gericht sollte das Verfahren unabhängig davon fortsetzen können, ob das nicht vereinbarte Gericht bereits entschieden hat, das Verfahren auszusetzen. Diese Ausnahmeregelung sollte nicht für Fälle gelten, in denen die Parteien widersprüchliche ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen geschlossen haben oder in denen ein in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbartes Gericht zuerst angerufen wurde. In solchen Fällen sollte die allgemeine Rechtshängigkeitsregel dieser Verordnung Anwendung finden. (23) Diese Verordnung sollte eine flexible Regelung enthalten, die es den Gerichten der Mitgliedstaaten ermöglicht, vor den Gerichten von Drittstaaten anhängige Verfahren zu berücksichtigen, wobei insbesondere die Frage, ob eine in einem Drittstaat ergangene Entscheidung in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem Recht dieses Mitgliedstaats anerkannt und vollstreckt werden kann, sowie die geordnete Rechtspflege zu berücksichtigen sind. (24) Bei der Berücksichtigung der geordneten Rechtspflege sollte das Gericht des betreffenden Mitgliedstaats alle Umstände des bei ihm anhängigen Falles prüfen. Hierzu können Verbindungen des Streitgegenstands und der Parteien zu dem betreffenden Drittstaat zählen wie auch die Frage, wie weit das Verfahren im Drittstaat zu dem Zeitpunkt, an dem ein Verfahren vor dem Gericht des Mitgliedstaats eingeleitet wird, bereits fortgeschritten ist, sowie die Frage, ob zu erwarten ist, dass das Gericht des Drittstaats innerhalb einer angemessenen Frist eine Entscheidung erlassen wird. Dabei kann auch die Frage geprüft werden, ob das Gericht des Drittstaats unter Umständen, unter denen ein Gericht eines Mitgliedstaats ausschließlich zuständig wäre, im betreffenden Fall ausschließlich zuständig ist. (25) Unter den Begriff einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen sollten z.B. Anordnungen zur Beweiserhebung oder Beweissicherung i.S.d. Art. 6 und 7 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Staudinger
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Brüssel Ia-VO Erwägungsgründe Rechte des geistigen Eigentums11 fallen. Nicht mit eingeschlossen sein sollten Maßnahmen, die nicht auf Sicherung gerichtet sind, wie Anordnungen zur Zeugenvernehmung. Die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen12 sollte hiervon unberührt bleiben. (26) Das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege innerhalb der Union rechtfertigt den Grundsatz, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Außerdem rechtfertigt die angestrebte Reduzierung des Zeit- und Kostenaufwands bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten die Abschaffung der Vollstreckbarerklärung, die der Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat bisher vorausgehen musste. Eine von den Gerichten eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung sollte daher so behandelt werden, als sei sie im ersuchten Mitgliedstaat ergangen. (27) Für die Zwecke des freien Verkehrs von gerichtlichen Entscheidungen sollte eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat selbst dann anerkannt und vollstreckt werden, wenn sie gegen eine Person ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat ergangen ist. (28) Enthält eine Entscheidung eine Maßnahme oder Anordnung, die im Recht des ersuchten Mitgliedstaats nicht bekannt ist, so wird diese Maßnahme oder Anordnung, einschließlich des in ihr bezeichneten Rechts, soweit möglich an eine Maßnahme oder Anordnung angepasst, mit der nach dem Recht dieses Mitgliedstaats vergleichbare Wirkungen verbunden sind und die ähnliche Ziele verfolgt. Wie und durch wen diese Anpassung zu erfolgen hat, sollte durch die einzelnen Mitgliedstaaten bestimmt werden. (29) Die unmittelbare Vollstreckung ohne Vollstreckbarerklärung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat sollte nicht die Achtung der Verteidigungsrechte beeinträchtigen. Deshalb sollte der Schuldner die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung einer Entscheidung beantragen können, wenn er der Auffassung ist, dass einer der Gründe für die Versagung der Anerkennung vorliegt. Hierzu sollte der Grund gehören, dass ihm nicht die Gelegenheit gegeben wurde, seine Verteidigung vorzubereiten, wenn die Entscheidung in einer Zivilklage innerhalb eines Strafverfahrens in Abwesenheit ergangen ist. Auch sollten hierzu die Gründe gehören, die auf der Grundlage eines Abkommens zwischen dem ersuchten Mitgliedstaat und einem Drittstaat geltend gemacht werden könnten, das nach Art. 59 des Brüsseler Übereinkommens von 1968 geschlossen wurde. (30) Eine Partei, die die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung anficht, sollte so weit wie möglich im Einklang mit dem Rechtssystem des ersuchten Mitgliedstaats in der Lage sein, im selben Verfahren außer den in dieser Verordnung genannten Versagungsgründen auch die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Versagungsgründe innerhalb der nach diesem Recht vorgeschriebenen Fristen geltend zu machen. Allerdings sollte die Anerkennung einer Entscheidung nur versagt werden, wenn mindestens einer der in dieser Verordnung genannten Versagungsgründe gegeben ist. (31) Solange ein Verfahren zur Anfechtung der Vollstreckung einer Entscheidung anhängig ist, sollten die Gerichte des ersuchten Mitgliedstaats während des gesamten Verfahrens aufgrund einer solchen Anfechtung, einschließlich dagegen gerichteter Rechtsbehelfe, den Fortgang der Vollstreckung unter der Voraussetzung zulassen können, dass die Vollstreckung einer Beschränkung unterliegt oder eine Sicherheit geleistet wird. (32) Um den Schuldner über die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung zu unterrichten, sollte die gemäß dieser Verordnung ausgestellte Bescheinigung – erforderlichenfalls zusammen mit der Entscheidung – dem Schuldner innerhalb einer angemessenen Frist vor der ersten Vollstreckungsmaßnahme zugestellt werden. In diesem Zusammenhang sollte als erste Vollstreckungsmaßnahme die erste Vollstreckungsmaßnahme nach einer solchen Zustellung gelten.
11 Amtl. Fußnote: ABl. Nr. L 157 vom 30.4.2004, S. 45. 12 Amtl. Fußnote: ABl. Nr. L 174 vom 27.6.2001, S. 1.
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Erwägungsgründe
Brüssel Ia-VO
(33) Werden einstweilige Maßnahmen, einschließlich Sicherungsmaßnahmen, von einem Gericht angeordnet, das in der Hauptsache zuständig ist, so sollte ihr freier Verkehr nach dieser Verordnung gewährleistet sein. Allerdings sollten einstweilige Maßnahmen, einschließlich Sicherungsmaßnahmen, die angeordnet wurden, ohne dass der Beklagte vorgeladen wurde, nicht gemäß dieser Verordnung anerkannt und vollstreckt werden, es sei denn, die die Maßnahme enthaltende Entscheidung ist dem Beklagten vor der Vollstreckung zugestellt worden. Dies sollte die Anerkennung und Vollstreckung solcher Maßnahmen gemäß einzelstaatlichem Recht nicht ausschließen. Werden einstweilige Maßnahmen, einschließlich Sicherungsmaßnahmen, von einem Gericht eines Mitgliedstaats angeordnet, das für die Entscheidung in der Hauptsache nicht zuständig ist, sollte die Wirkung dieser Maßnahmen auf das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats gemäß dieser Verordnung beschränkt werden. (34) Um die Kontinuität zwischen dem Brüsseler Übereinkommen von 1968, der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung des Brüsseler Übereinkommens von 1968 und der es ersetzenden Verordnungen durch den Gerichtshof der Europäischen Union. (35) Um die internationalen Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten eingegangen sind, zu wahren, darf sich diese Verordnung nicht auf von den Mitgliedstaaten geschlossene Übereinkommen in besonderen Rechtsgebieten auswirken. (36) Unbeschadet der Pflichten der Mitgliedstaaten nach den Verträgen sollte diese Verordnung nicht die Anwendung der bilateralen Übereinkünfte und Vereinbarungen berühren, die vor dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 zwischen einem Drittstaat und einem Mitgliedstaat geschlossen wurden und in dieser Verordnung geregelte Angelegenheiten betreffen. (37) Um sicherzustellen, dass die im Zusammenhang mit der Anerkennung oder Vollstreckung von Entscheidungen, öffentlichen Urkunden und gerichtlichen Vergleichen nach dieser Verordnung zu verwendenden Bescheinigungen stets auf dem neuesten Stand sind, sollte der Kommission die Befugnis übertragen werden, gem. Art. 290 AEUV Rechtsakte hinsichtlich Änderungen der Anhänge I und II dieser Verordnung zu erlassen. Es ist besonders wichtig, dass die Kommission bei ihren vorbereitenden Arbeiten angemessene Konsultationen auch auf Expertenebene durchführt. Bei der Vorbereitung und Ausarbeitung delegierter Rechtsakte sollte die Kommission dafür sorgen, dass die einschlägigen Dokumente dem Europäischen Parlament und dem Rat gleichzeitig, rechtzeitig und auf angemessene Weise übermittelt werden. (38) Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden, insbesondere mit dem in Art. 47 der Charta verbürgten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht. (39) Da das Ziel dieser Verordnung auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht hinreichend verwirklicht werden kann und besser auf Unionsebene zu erreichen ist, kann die Union im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) tätig werden. In Übereinstimmung mit dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Verordnung nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. (40) Das Vereinigte Königreich und Irland haben sich gem. Art. 3 des dem EUV und dem seinerzeitigen Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands an der Annahme und Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 beteiligt. Gemäß Art. 3 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts haben das Vereinigte Königreich und Irland mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchten. (41) Gemäß den Art. 1 und 2 des dem EUV und dem AEUV beigefügten Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Verordnung und ist weder durch diese Verordnung gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet; dabei steht es Dänemark jedoch gem. Art. 3 des Abkommens vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerken-
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung nung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen13 frei, die Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 anzuwenden – HAT FOLGENDE VERORDNUNG ERLASSEN:
Einleitung I. Status quo des Europäischen Zivilverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehungsgeschichte der Brüssel Ia-VO
1 7
III. Primärrechtskonformität der Brüssel I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Inhalt der Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . .
10 11
V. Intertemporaler Anwendungsbereich . .
12
VI. Territorialer Geltungsbereich . . . . . . . VII. Außenkompetenz der Gemeinschaft . . .
13 21
VIII. Konkurrenzverhältnisse . . . . . . . . . . 1. Verhältnis der Brüssel Ia-VO zum Primärrecht und zu anderen Sekundärrechtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis der Brüssel Ia-VO zum EuGVÜ 3. Verhältnis der Brüssel Ia-VO zu anderen multilateralen Abkommen für besondere Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis der Brüssel Ia-VO zu bilateralen Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verhältnis der Brüssel Ia-VO zum nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . b) Nationale Ausführungsbestimmungen .
22
IX. Auslegung der Brüssel Ia-VO . . . . . . .
22 24
25 26 27 27 30
X. Vorabentscheidungsverfahren . . . . . . . 1. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . . 2. Vorlage im Erkenntnis- und Exequaturverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kontrollfähigkeit der internationalen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorlagen im Erkenntnisverfahren . . . . c) Vorlagen im Exequaturverfahren . . . . 3. Bindungswirkung der vom EuGH getroffenen Entscheidungen . . . . . . . . . 4. Eilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aufhebung von Art. 68 durch den Vertrag von Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Zukunft des Europäischen Zivilverfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. EG-UntVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rom III-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Brüssel IIa-VO . . . . . . . . . . . . . . . 4. EU-EhegüterVO und EU-LP-GüterVO . 5. Internationales Erbrecht . . . . . . . . . . 6. Verordnung zur vorläufigen Kontenpfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Haager Gerichtsstandsübereinkommen . 8. Internationales Familienrecht . . . . . . .
43 43 52 52 55 61 62 63 63a
. . . . . .
64 65 66 66a 67 68
. . .
69 70 71
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Schrifttum: 1. Zur Auslegung des EuGVÜ: Brückner, Bindungswirkung an die Entscheidungen des EuGH im EuGVÜ und der Luganer Konvention, in Hommelhoff/Jayme/Mangold (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt IPR und Rechtsangleichung (1995) 263; Hackspiel, Der Weg zum Europäischen Gerichtshof: Das Vorabentscheidungsverfahren nach dem Auslegungsprotokoll zum EuGVÜ, in Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg.), Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano (1997) 211; Jayme, Die Divergenzvorlage nach Art. 4 des Protokolls zum EuGVÜ – Ein Plädoyer für die Belebung eines vergessenen Rechtsinstituts, in Reichelt (Hrsg.), Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH (Wien 1998) 43; Lando, Vorabentscheidungsverfahren und Auslegungsprotokoll des EuGVÜ, in Reichelt (Hrsg.), Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH (1998) 31; Schmidt-Parzefall, Die Auslegung des Parallelübereinkommens von Lugano (1995) 23; Scholz, Das Problem der autonomen Auslegung des EuGVÜ (1998); Tagaras, Chronique de jurisprudence de la Cour de Justice relative à la Convention de Bruxelles, Cahiers de Droit Européene 1995, 157; Vandekerckhove, De interpretatie van europees bevoegdheids- en executierecht, in van Houtte/Pertegás Sender (Hrsg.), Het nieuwe Europese IPR: van verdrag naar verordening (2001) 11. 2. Zur Auslegung der Brüssel I-VO: Bitter, Auslegungszusammenhang zwischen der Brüssel I-Verordnung und der künftigen Rom I-Verordnung, IPRax 2008, 96; Hess, Methoden der Rechtsfindung im Europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 2006, 348; Kropholler, Die Auslegung von EG-Verordnungen zum Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, in Basedow u.a. (Hrsg.), Aufbruch nach Europa (2001) 583.
13 Amtl. Fußnote: ABl. Nr. L 299 vom 16.11.2005, S. 62.
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Staudinger
Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
I. Status quo des Europäischen Zivilverfahrensrechts Während das Europäische Zivilverfahrensrecht anfangs auf bi- und multilateralen Konventionen ba- 1 sierte, dominiert mittlerweile das sekundäre Gemeinschaftsrecht in Gestalt von Verordnungen. Auslöser hierfür ist der im Amsterdamer Vertrag1 neu geschaffene Kompetenztitel in Art. 61 lit. c, 65 EGV,2 der im Vertrag von Nizza3 in leicht veränderter Fassung fortbesteht.4 Diese primärrechtlich verankerte Ermächtigungsgrundlage erlaubt den Erlass von Harmonisierungsmaßnahmen, die das Internationale Zivilverfahrensrecht betreffen.5 Der europäische Gesetzgeber hat in der Vergangenheit wiederholt Rechtsinstrumente auf diesen Kompetenztitel gestützt. Ein weiterer Harmonisierungsschub erfolgte unter dem Regime des Vertrags von Lissabon6. Hiernach erfährt die nunmehr in Art. 81 AEUV enthaltene neue Kompetenzregel nämlich insoweit eine Erweiterung, als das Tatbestandserfordernis der Erforderlichkeit für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts durch die Einfügung des Wortes „insbesondere“ nur Beispielscharakter hat und wohl nicht mehr conditio sine qua non ist.7 Unter den auf Art. 81 AEUV gestützten Rechtsinstrumenten ist vor allem die Brüssel Ia-VO hervorzuheben,8 welche im Zentrum der nachfolgenden Einleitung steht. Diese Harmonisierungsmaßnahme gilt – mit Ausnahme Dänemarks9 – binnenmarktweit nach ihrem Art. 81 Brüssel Ia-VO ab dem 10.1.2015.10 Sie ist Nachfolgerin11 der Brüssel I-VO,12 die ihrerseits im Rahmen ihres zeitli1 ABl. EG 1997 C 340/145 ff. 2 Zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen der letzten fünfzehn Jahre siehe: Wagner, IPRax 2014, 217 ff. Eine Übersicht über das auf Art. 61 lit. c, 65 EGV gestützte Europäische Verfahrensrecht gibt Finger, FuR 2006, 56 ff.; zur Europäisierung des Zivilprozessrechts siehe auch Coester-Waltjen, Jura 2006, 914 ff. 3 ABl. EG 2001 C 80/1 ff.; der Vertrag ist am 1.2.2003 in Kraft getreten; zur Umbenennung des Amtsblattes vgl. den Hinweis in ABl. EG 2003 L 25; zum Vertrag von Nizza siehe die Kommentierung von Fischer, Der Vertrag von Nizza (2003); vgl. ferner etwa Pache/Schorkopf, NJW 2001, 1377 ff.; Linke, Das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit im Vertrag von Nizza (2006) im Hinblick auf das Kollisionsrecht: Jayme, IPRax 2001, 384 f.; zur Reform der Gerichtsbarkeit beachte etwa Rabe, EuR 2000, 811 ff.; Sack, EuZW 2001, 77 ff.; Tramon/Tüllmann, NVwZ 2004, 43 ff.; zu möglichen Reformen auch Remien in Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa (2001) 671 ff. 4 Beachte vor allem Art. 67 Abs. 5 EGV. 5 Siehe hierzu monographisch Besse, Die Vergemeinschaftung des EuGVÜ (2001). 6 Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 zur Änderung des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU 2007 C 306/1 ff.; beachte die konsolidierten Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), auf welche sich die Angaben im Text beziehen, ABl. EU 2008 C 115/1 ff.; hierzu siehe etwa: Bergmann, DÖV 2008, 305 ff.; Hatje/Kindt, NJW 2008, 1761 ff.; Lengauer, ZfRV 2008, 4 ff.; Oppermann, DVBl 2008, 473 ff.; Pache/Rösch, NVwZ 2008, 473 ff.; Pernice, EuZW 2008, 65 ff.; Streinz, ZG 2008, 105 ff.; Terhechte, EuR 2008, 143 ff.; zum gescheiterten Verfassungsvertrag und den Perspektiven der Gemeinschaft: Mayer, JZ 2007, 593 ff.; Rabe, NJW 2007, 3153 ff.; Richter, EuZW 2007, 631 ff.; Schubert/Schwithal, NJ 2008, 337 ff.; Weber, EuZW 2008, 7 ff.; vgl. auch Vedder/Wolff/von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag (2007). 7 Hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 495; Kohler/Pintens, FamRZ 2008, 1669 f.; Kohler, FamRZ 2008, 1673, 1674; Pintens, FamRZ 2005, 1597, 1598 f.; Schroeter, ZEuP 2006, 515, 534 ff.; Wagner, IPRax 2007, 290, 292; speziell zur Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Internationalen Familienrechts: Kohler/Pintens, FamRZ 2007, 1481 f.; Martiny, FPR 2008, 187, 189. 8 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2012 L 351/1 ff. 9 Zum Parallelübereinkommen mit Dänemark und das Verhältnis zur Brüssel Ia-VO siehe Rz. 15. 10 Zur Maßgeblichkeit der Brüssel Ia-VO für die neuen Mitgliedstaaten siehe Rz. 12 und Art. 66 Rz. 15 ff. 11 Art. 80 Brüssel Ia-VO. Auf Entscheidungen, die vor dem 10.1.2015 gerichtlich eingeleitet worden sind, ist gem. Art. 66 Abs. 2 weiterhin die Brüssel I-VO anzuwenden. Gleiches gilt für Urkunden und Vergleiche. 12 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 L 12/1 ff.; geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1496/2002 der Kommission (ABl. EG 2002 L 225/13). Durch die Beitrittsakte (ABl. EU 2003 L 236/33, 711 ff.) sowie die Verordnung (EG) Nr. 2245/2004 der Kommission (ABl. EU 2004 L 381/10 f.) wurden zum einen die Anhänge I bis IV sowie Art. 69 Brüssel I-VO vervollständigt sowie Art. 65 Brüssel I-VO ersetzt, zum anderen die Anhänge I bis IV geändert, um in der Hauptsache der Rechtslage in den zehn neuen Beitrittstaaten Rechnung zu tragen. Durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates (ABl. EU 2006 L 363/1 ff.) wurden die Anhänge I bis IV sowie Art. 69 Brüssel I-VO anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens vervollständigt. Überdies erfolgte eine Vervollständigung mit der Verordnung (EU)
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung chen,13 räumlichen14 und sachlichen15 Anwendungsbereichs das Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ)16 ablöste. Dieses Abkommen sieht nicht nur einen Zuständigkeitskatalog vor, sondern legt darüber hinaus einheitliche Grundsätze für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Titeln aus den Signatarstaaten fest. Als „convention double“ stammt das EuGVÜ in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahre 1968. Inhaltliche Revisionen, vor allem aber der Beitritt neuer Vertragsstaaten führten zu insgesamt vier Neufassungen des EuGVÜ.17 Dieses Übereinkommen legte den Grundstein für das Europäische Zivilprozessrecht und war Vorbild für das Parallelabkommen von Lugano.18 3
Die Brüssel IIa-VO,19 Nachfolgerin der Brüssel II-VO,20 ergänzt die Brüssel I-VO, die ihrerseits nach Art. 1 Abs. 3 Brüssel I-VO den Bereich der ehelichen Güterstände ausnimmt und allein vermögens-
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Nr. 517/2013 des Rates (ABl. EU 2013 L 158/1) im Wege des Beitritts Kroatiens. Eine weitere Änderung der Anhänge ging mit der Verordnung (EG) Nr. 280/2009 der Kommission vom 6.4.2009 (ABl. EU 2009 L 93/13 ff.) einher. Die Veröffentlichung des inhaltsgleichen Sekundärrechtsakts (EG) Nr. 1937/2004 in ABl. EU L 334/3 ist nach Maßgabe der Berichtigung im ABl. EU L 50/20 als unbeachtlich anzusehen. Art. 66 Brüssel I-VO. Vgl. auch die Ausführungen in Rz. 12. Vgl Art. 52 EUV und Art. 355 AEUV; siehe auch Rz. 13 ff. Siehe Art. 1 Brüssel I-VO. Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968, BGBl. 1972 II 774 ff. Siehe die konsolidierte Fassung ABl. EG 1998 C 27/1 ff. Hierzu sowie dem neuen Lugano Übereinkommen Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 1 ff. Liechtenstein ist bislang dem LugÜbk 2007 nicht beigetreten. Sofern die Brüssel Ia-VO intertemporal nicht eingreift, bleibt nur der Rückgriff auf das nationale Prozessrecht, wie etwa § 215 VVG: OLG München, VersR 2015, 1153 ff.; zu § 29c ZPO: BGH, NJW 2015, 169 ff.; dazu Mankowski, BB 2014, 3090 ff.; Vossler, NJW 2015, 171 f. Allerdings ist zu beachten, dass seit dem 10.1.2015 bei einer Klageerhebung die internationale und örtliche Zuständigkeit deutscher Gerichte jedenfalls in Verbrauchersachen gegenüber Unternehmern aus Liechtenstein unmittelbar aus Art. 6 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO folgt. Dies gilt gleichermaßen mit Blick auf die Pro- und Derogationsschranken in Art. 19 Brüssel Ia-VO. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 27. November 2003, ABl. EU 2003 L 338/1 ff., i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 2116/2004 des Rates vom 2. Dezember 2004 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 in Bezug auf Verträge mit dem Heiligen Stuhl, ABl. EU 2004 L 367/1 ff.; siehe hierzu Rauscher in dieser Kommentarreihe; siehe zur internationalen Zuständigkeit für Sorgerechts- und Unterhaltsverfahren betreffend ein in einem anderen Mitgliedstaat wohnendes Kind bulgarischer Eltern EuGH v. 16.1.2018 – C-604/17 – PM vs. AH, FamRZ 2019, 62; zur Zuständigkeit eines Gerichts für die Abänderung einer rechtskräftigen Entscheidung betreffend die elterliche Verantwortung und die Unterhaltspflichten für ein minderjähriges Kind siehe EuGH v. 15.2.2017 – C-499/15 – W u.a. vs. X, NJW 2017, 2013 ff. m. Anm. Obermann, NZFam 2017, 219 f.; Gewaltig, Von der nationalen zur europäischen Zuständigkeitsregelung im Familienrecht (2008) sowie Holzmann, Brüssel IIa VO: Elterliche Verantwortung und internationale Kindesentführungen (2008); vgl. auch Looschelders, JR 2006, 45 ff.; zur Abgrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs von Brüssel IIa-VO, MSA, KSÜ und autonomem Internationalen Zivilverfahrensrecht siehe Andrae, IPRax 2006, 82 ff., auch Rieck, NJW 2008, 182 ff. sowie Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 10 f.; zur einstweiligen Maßnahme i.S.d. Art. 20 Brüssel IIa-VO im Rahmen einer Vollstreckbarerklärung einer polnischen Entscheidung über die Kindesherausgabe siehe BGH, NJW 2016, 1445 ff.; zur rein erbrechtlichen Qualifizierung des pauschalisierten Zugewinnausgleichs nach § 1371 Abs. 1 BGB siehe Tönies-Bambalska, jurisPR-IWR 3/2018 Anm. 2; zum gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. Art. 8 Brüssel Ia-VO dieser Verordnung vergleiche die Entscheidung des EuGH v. 17.10.2018 – C-393/18 – DU vs. XB, BeckRS 2018, 24929; vgl. zur Durchführung der Brüssel IIa-VO das Gesetz zum internationalen Familienrecht, BGBl. 2005 I 162 ff.; zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 und zur Neuordnung bestehender Aus- und Durchführungsbestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Unterhaltsverfahrensrechts, BGBl. 2011 I 898 ff.; zum Referentenentwurf Schlauß, FPR 2004, 279 ff.; zum internationalen Familienverfahrensgesetz: Gruber, FamRZ 2005, 1603 ff.; Schlauß, Das neue Gesetz zum internationalen Familienrecht – Das internationale Familienrechtsverfahrensgesetz (IntFamRVG), 2005; Gruber, FPR 2008, 214 ff. sowie mit Blick auf die Vollstreckung: Schulte/Bunert, FamRZ 2007, 1608 ff.; Schulz, FamRZ 2011, 1273 ff. Zu weiteren Änderungen beachte auch das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Famili-
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Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
rechtliche Aspekte einbezieht.21 So gilt etwa die Brüssel IIa-VO nach ihrem ErwGr. 11 S. 1 Brüssel IIaVO nicht für Unterhaltsansprüche, die allein der Brüssel I-VO unterliegen,22 und zwar unabhängig davon, ob sie etwa aus einer registrierten Partnerschaft, Homosexuellenehe oder klassischen Ehe resultieren. Diese Zuständigkeitsregel entfällt in der Brüssel Ia-VO,23 sodass sich die Geltendmachung derartiger Ansprüche nach Art. 3 der EG-UntVO24 bestimmt.25 Angesichts der Tatsache, dass mittlerweile die Niederlande, Belgien, Spanien, Schweden, Portugal, Dänemark, Frankreich, Großbritannien26 sowie ab dem 1.1.2015 auch Luxemburg in ihrem jeweiligen nationalen Recht auch gleichgeschlechtlichen Paaren eine Eheschließung ermöglichen,27 andere Mitgliedstaaten zumindest eheähnliche Statusformen eingerichtet haben, wie etwa Deutschland in Form der registrierten Lebenspartnerschaft, muss der Begriff der Ehe im Sinne der Brüssel IIa-VO interpretiert werden. Dabei verbietet sich ein nationaler Blickwinkel.28 Vielmehr ist eine autonome Auslegung geboten.29 Bislang ist noch ungeklärt, inwieweit sich der Begriff der Ehe in der Brüssel IIa-VO bereits de lege lata auf die eingetragene Lebenspartnerschaft30 sowie die Homosexuellenehe erstreckt31, 32 oder es weiterer Harmonisierungsmaßnahmen bedarf.
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ensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz), BGBl. 2008 I 2586 ff., das gem. seinem Art. 112 seit dem 1.9.2009 in Kraft getreten ist (zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften, BGBl. 2009 I 2449). Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten vom 29. Mai 2000, ABl. EG 2000 160/19 ff. Zur Reform der Brüssel IIa-VO siehe die Angaben in Rz. 66. Hierzu Rauscher in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Einl. Brüssel IIa-VO Rz. 21; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/ Staudinger, Handbuch der Europäischen Rechtspraxis § 22 Rz. 210. ErwGr. 10 Brüssel Ia-VO. Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 L 7/1 ff.; hierzu Duncan, Yearbook of Private International Law 10 (2008), 313 ff.; Finger, FuR 2014, 82 ff.; Kohler/Pintens, FamRZ 2009, 1529 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 8 sowie die Ausführungen AndraeSchimrick in dieser Kommentarreihe; ferner zum neuen Unterhaltskollisionsrecht Lehmann, GPR 2014, 342; zur Frage, welche Behörde für die Einreichung eines Vollstreckungsantrags zuständig ist, siehe auch EuGH v. 9.2.2017 – C-283/16 – M.S. vs. P.S., NJW 2017, 1227 ff. = IPRax 2018, 518 ff.; zur Herleitung einer internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Abänderung eines deutschen Unterhaltstitels in den USA im Rahmen eines Korrekturverfahrens gemäß § 240 FamFG aus der Notzuständigkeit nach Art. 7 EG-UntVO siehe BGH, FamRZ 2016, 115 f. S. hierzu Mankowski, IPRax 2014, 249 ff. In England und Wales ist die gleichgeschlechtliche Ehe seit dem 13.3.2014 gesetzlich geregelt. Mit Blick auf Schottland ist das Gesetz am 16.12.2014 in Kraft getreten. In Irland wird das Gesetz betreffend die gleichgeschlechtliche Ehe im Laufe des Jahres 2015 verabschiedet. Darüber hinaus gehören seit dem 27.6.2010 Island sowie seit dem 1.1.2009 Norwegen zu den europäischen Nicht-EU-Ländern, die eine gleichgeschlechtliche Ehe ermöglichen. Aus deutschem Blickwinkel erklärte das BVerfG § 8 Abs. 1 Nr. 2 TranssexuellenG, wonach eine Personenstandsänderung voraussetzt, dass der Betroffene nicht verheiratet ist, für verfassungswidrig und bestätigte in diesem Zusammenhang den durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz von gleichgeschlechtlichen Partnern: BVerfG, NJW 2008, 3117, 3219 f. m. Anm. Henrich, FamRZ 2013, 432 f.; Anm. Kraus, StAZ 2011, 377 f. Vgl Rauscher in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 5; siehe zum Begriff der Zivilsache i.S.d. Brüssel IIa-VO das erste Vorlageverfahren zu diesem Rechtsakt: EuGH v. 27.11.2007 – C-435/06 – Korkein hallinto-oikeus, EuGHE I 2007, 10141 ff. = IPRax 2008, 509 ff. m. Anm. Gruber, 490 ff. = FamRZ 2008, 125, 127 hierzu Dutta, FamRZ 2008, 835 ff.; Pirrung, FS Kropholler (2008) 399 ff. Zum neuen Eilverfahren vor dem EuGH, welches insbesondere bei Familiensachen Bedeutung erlangt: Rz. 63a. Ablehnend Palandt/Thorn, BGB,77. Aufl. 2018, Art. 17b EGBGB Rz. 11; zur Brüssel II-VO Henrich, FamRZ 2002, 137, 141; Kohler, NJW 2001, 10, 15; Schack, RabelsZ 65 (2001), 615, 620 f.; Wagner, IPRax 2001, 281, 285. Bejahend bzgl. der Brüssel II-VO etwa Boele-Woelki, ZfRV 2001, 121, 127; Coester-Waltjen, zitiert nach dem Tagungsbericht von Adolphson, IPRax 2002, 337, 339: registrierte gleichgeschlechtliche Partnerschaften und nichteheliche Lebensgemeinschaften werden (jedenfalls) von der Brüssel II-VO nicht erfasst; vgl. die Angaben bei Gebauer/Staudinger, IPRax 2002, 273, 277; hierzu Jakob, FamRZ 2002, 501, 507 Fn. 88. Von einem traditionellen Begriff der Ehe gehen zumindest im Rahmen der Brüssel IIa-VO aus: Hk-ZPO/Dörner, Art. 1 EheGVVO Rz. 3, 7; MünchKommFamFG/Gottwald, Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 5; Rauscher in Rau-
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Lückenschließende Funktion hat ebenso die Verordnung über Insolvenzverfahren33, da sich die Brüssel Ia-VO nach Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO nicht auf Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren erstreckt.34
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Die neue EG-ZustVO 200735 hebt gemäß Art. 25 Abs. 1, 26 EG-ZustVO 2007die alte EG-ZustVO 200036 ab dem 13.11.2008 auf und verdrängt37 das Haager Zustellungsübereinkommen (HZÜ)38 soscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 1 Brüssel IIa-VO Rz. 6; Thorn in Boele-Woelki/Fuchs (Hrsg.), Legal Recognition of Same-Sex Couples in Europe (2003) 159, 166; vgl. das Stimmungsbild der Europäischen Gruppe für IPR in, IPRax 2002, 64 ff.; zur Entwicklung des Ehebegriffs durch den EGMR siehe Rixe, FPR 2008, 222, 223 f. 33 Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren, ABl. EU L 141/19 ff.; siehe auch das Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848, BGBl. 2017 I 1576; ferner zur neuen Verordnung: Parzinger, NZI 2016, 63 ff.; beachte die EuGH-Entscheidung zur Internationalen Zuständigkeit (noch zum Vorgängerrechtsakt: Verordnung (EG) 1346/2000 des Europäischen Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren): EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17 – Wiemer&Trachte GmbH vs. Zhan Oved Tadzher, BeckRS 2018, 28333; ebenfalls EuGH v. 4.10.2018 – C-337/17 – Feniks sp. z o.o.vs. Azteca Products & Services SL, RIW 2018, 760 ff. m. Bespr. Mankowski, EWiR 2018, 701 ff. sowie Josko de Marx, FD-InsR 2018, 411355; siehe darüber hinaus den Vorschlag für eine Richtlinie des europäischen Parlements und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie 2012/30/EU, KOM (2016) 723; hierzu Stellungnahme des Deutschen Steuerberaterverband e.V. (DStV) ZInsO 2018, 1607 ff.; Schmidt, WM 2017, 1735 ff. 34 Hierzu Becker, ZEuP 2002, 287 ff.; Deipenbrock, EWS 2001, 113 ff.; Ehricke, EWS 2002, 101 ff.; Eidenmüller, IPRax 2001, 2 ff.; Fach/Tirado, GPR 2007, 40 ff.; Haubold, IPRax 2003, 34 ff.; Huber, ZZP 114 (2001), 133 ff.; Kemper, ZIP 2001, 1609 ff.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 ff.; Paulus, ZIP 2002, 729 ff.; Paulus, DStR 2005, 334, 336 ff.; Paulus, RabelsZ 70 (2006), 458 ff.; Paulus, NZI 2008, 1 ff.; Wagner, ZEuP 2008, 6 ff.; Wimmer, ZinsO 2001, 97 ff.; Wimmer, NJW 2002, 2427 ff.; speziell zu Konzerninsolvenzen und grenzüberschreitender Sitzverlegung zwecks Ausnutzung eines vorteilhaften ausländischen Insolvenzrechts EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04 – Eurofood IFSC Ltd, EuGHEI 2006, 3813 ff. = NZI 2006, 360 ff. m. Anm. Kammel, 334 ff. = IPRax 2007, 120 ff. m. Anm. Hess/Laukemann, 89 ff. = NZG 2006, 633 ff. m. Anm. Paulus, 609 ff.; zur Abgrenzung der Brüssel I-VO und der EG-InsVO in Bezug auf die Insolvenzanfechtungsklage siehe die Vorabentscheidung des EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07 – Christopher Seagon vs. Deko Marty Belgium NV, EuGHE I 2009, 767 ff. = IPRax 2009, 513 ff. m. Anm. Fehrenbach, 492 ff.; siehe auch Mankowski/Willemer, RIW 2009, 669 ff.; beachte auch in Bezug auf Eigentumsvorbehalte EuGH v. 10.09.2009 – C-292/08 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH, EuGHE I 2009, 8421 ff. = EuZW 2009, 785 ff. sowie die Vorlage des BGH zu Insolvenzanfechtungsklagen, EuZW 2007, 582 ff.; dazu Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 503; Klöhn/Berner, ZIP 2007, 1418 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 20; Mörsdorf-Schulte, NZI 2008, 282 ff. Vgl auch Mäsch in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 1 EG-InsVO Rz. 17; ferner Pannen, Europäische Insolvenzverordnung (2007). Eine Klage, der ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung zugrunde liegt, welcher von einem Insolvenzverwalter im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erhoben wird und deren Erlös im Erfolgsfall der Gläubigergemeinschaft zufließt, fällt insoweit unter den Begriff „Zivil- und Handelssache“ des Art. 1 Abs. 1 BrüsselVO: EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17 – NK, Konkursverwalter der PI Gerechtsdeurwaarderskantoor BV und von PI vs. BNP Paribas Fortis NV, BeckRS 2019, 882. Dieser Richterspruch lässt sich wohl auf die Brüssel Ia-VO übertragen. 35 Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABl. EU 2007 L 324/79 ff. Unter den Begriff der Zivil- und Handelssache nach Art. 1 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1393/2007 fallen Klagen auf Entschädigung wegen Besitz- und Eigentumsstörung, auf Vertragserfüllung sowie Schadensersatzansprüche eines privaten Erwerbers von Staatsanleihen, siehe dazu EuGH v. 11.6.2015 – verb. Rs. C-226/13, C-245/13, C-247/13 und C-578/13, ZIP 2015, 1250 ff. Zu diesem Gemeinschaftsrechtsakt und seinen Vorarbeiten siehe die Bearbeitung von Heiderhoff in dieser Kommentarreihe sowie Grohmann/Gruschinske, DZWIR 2011, 441 ff.; Kondring, EWS 2013, 128 ff.; Stürner, ZZP 2013, 137 ff.; Sujecki, NJW 2008, 1628 ff. Die Rückwirkungen des europäischen Zustellungsrechts auf das nationale Recht besprechend Heckel, IPRax 2008, 218 ff.; siehe zu den Anforderungen an die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den EU-Mitgliedstaaten EuGH v. 2.3.2017 – C-354/15 – Andrew Marcus Henderson vs. Novo Banco SA, EuZW 2017, 344 ff.; der Empfänger hat das Recht zur Verweigerung der Annahme eines in einer ihm unbekannten Sprache abgefassten Schriftstücks: EuGH v. 28.4.2016 – C-384/14 – Alta Realitat SL vs. Erlock Film ApS u.a., BeckRS 2016, 80963; differenzierend LG Heidelberg, MMR 2018, 773 ff.; zur Auslegung des Art. 19 Abs. 4 letzter UAbs. EG-ZustVO 2007 in Bezug auf Anträge auf
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wie das Zivilprozessübereinkommen.39 Für den Sonderfall Dänemark, welches sich an den Rechtsetzungsmaßnahmen auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen nicht beteiligt,40 gilt nunmehr ein von der Europäischen Gemeinschaft geschlossenes Zustellungsübereinkommen.41 Dieser am 1.7.2007 in Kraft getretene42 Rechtsakt erstreckt die Geltung der alten EG-ZustVO 200043 auf das Verhältnis zwischen Dänemark und den übrigen EG-Mitgliedstaaten.44 Die Überarbeitung der Verordnung45, an welcher auch Dänemark teilnimmt46, dient dem Ziel, die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke47 in Zivil- und Handelssachen zwischen den Mitgliedstaaten weiter zu verbessern und zu beschleunigen, bestimmte Verordnungsvorschriften
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens auf Vorlage des Obersten Gerichts Polens siehe EuGH v. 7.7.2016 – C-70/15 – Emmanuel Lebek vs. Janusz Domino, EuZW 2016, 618 ff. m. Anm. Fabig, jurisPR-IWR 4/2017 Anm. 5; der Begriff des „außergerichtlichen Schriftstücks“ im Sinne der ZustVO 2007 erfasst auch private Schriftstücke, deren förmliche Übermittlung an ihren im Ausland ansässigen Empfänger zum Beweis, zur Geltendmachung oder zur Wahrung eines Rechts in Zivil- und Handelssachen erforderlich ist: EuGH v. 11.11.15 – C-223/14 – Tecom Mican SL vs. José Arias Domínguez, EWS 2015, 291 f.; der Umstand, dass bei der Zustellung eines Schriftstücks an den Empfänger das Formblatt in Anh. II zur ZustVO 2007 nicht beigefügt wurde, stellt eine Unterlassung dar, welche nach den Bestimmungen der ZustVO 2007 geheilt werden kann: EuGH v. 16.9.2015 – C-519/13 – Alpha Bank Cyprus Ltd vs. Dau Si Senh u.a., RIW 2015, 748 ff. Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl. EG 2000 L 160/37 ff.; siehe auch das Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EG-Zustellungsdurchführungsgesetz – ZustDG) vom 9.7.2001, BGBl. 2001 I 1536; siehe zu beiden Rechtsakten die Bearbeitung von Heiderhoff in dieser Kommentarreihe sowie Heidrich, EuZW 2005, 743 ff.; Rahlf/Gottschalk, EWS 2004, 303 ff. Dies gilt ebenso vom Grundsatz her für das deutsch-britische Übereinkommen über den Rechtsverkehr vom 20.3.1928, RGBl. 1928 II 623 ff.; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht17 (2014) Nr. 228. Dieses Abkommen fand bislang neben dem HZÜ nach dessen Art. 25 ergänzende Anwendung; siehe aber auch Heiderhoff in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), EG-ZustVO 2007 Art. 20 Rz. 2. Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15.11.1965, BGBl. 1977 II 1453 ff.; abgedruckt in Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht17 (2014) Nr. 211. Haager Übereinkommen über den Zivilprozess vom 1.3.1954, BGBl. 1958 II 577 ff.; abgedruckt in Jayme/ Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht17 (2014) Nr. 210. Die Sonderposition Dänemarks ergibt sich aus Art. 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls Nr. 22, ABl. EU 2008 C 155/299 ff. Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, ABl. EU 2005 L 300/55 ff.; hierzu auch Nielsen, IPRax 2007, 506 ff. ABl. EU 2007 L 94/70. Art. 3 Abs. 1 EG-ZustVO stellt klar, dass etwaige Änderungen der Zustellungsverordnung für Dänemark nicht bindend oder anwendbar sind. Zu diesem Parallelabkommen Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 486; Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 543; Jayme/ Kohler, IPRax 2007, 493, 499; Wagner, IPRax 2005, 494; Wagner, EuZW 2006, 424, 426; Wagner, EuZW 2007, 626, 629; in Bezug auf Dänemark beachte auch die Angaben in Rz. 15 und die Bearbeitung von Heiderhoff in dieser Kommentarreihe. Zu den neugefassten Durchführungsvorschriften §§ 183, 1067–1068 ZPO siehe das Gesetz zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung vom 30.10.2008, BGBl. 2008 I S. 2122 ff. (Gesetzesentwurf: BT-Drucks. 16/8839 v. 16.4.2008); hierzu Vollkommer/Huber, NJW 2009, 1105 ff.; vgl. auch Sujecki, EuZW 2008, 417. Gemäß Art. 3 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen hat Dänemark der Kommission mitgeteilt, dass es den Inhalt der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 umsetzen wird, vgl. ABl. EU 2008 L 331/21. In der Rechtssache Roda Golf & Beach Resort, S.L. hat der EuGH die Frage, ob die Zustellung von ausschließlich außergerichtlichen Schriftstücken zwischen Privatpersonen ohne zugrundeliegendes Gerichtsverfahren dem Gemeinschaftsrechtsakt unterliegt, bejaht, EuGH v. 25.6.2009 – C-14/08 – Roda Golf & Beach Resort, S.L., NJW 2009, 2513 ff. = EuGHE I 2009, 5439 ff.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung zu vereinfachen sowie die Rechtssicherheit zu erhöhen.48 Abschnitt 1 des II. Kapitels befasst sich mit der gewöhnlichen Übermittlung und Zustellung von Schriftstücken, welche gemäß Art. 4 ff. EG-ZustVO 2007 zwischen den in Art. 2 EG-ZustVO 2007 aufgeführten Ämtern erfolgt. Hierbei sieht der neue Gemeinschaftsrechtsakt etwa insoweit eine Änderung vor, als die Zustellung laut Art. 7 Abs. 2 EG-ZustVO 200749 in jedem Fall binnen eines Monats nach Eingang bei der Empfangsstelle stattfinden muss oder die Annahmeverweigerung in Art. 8 EG-ZustVO 200750 eine einheitliche Ausgestaltung erfährt. Der 2. Abschnitt betrifft weitere Zustellungsarten. Zu nennen sind beispielsweise die in Art. 12 EG-ZustVO 2007 geregelte Übermittlung auf konsularischem oder diplomatischem Wege, die Zustellung durch die diplomatischen oder konsularischen Vertretungen (siehe hierzu § 1067 ZPO) sowie die Zustellung durch die Post gemäß Art. 14 EG-ZustVO 200751 (beachte § 1068 ZPO). Diese Form ist nicht subsidiär,52 sondern gleichwertig und nach Art. 14 EG-ZustVO 2007 zwingend in den Mitgliedstaaten zuzulassen. Durch die Streichung von dessen Abs. 2 und die fehlende Bezugnahme in Art. 23 Abs. 1 EG-ZustVO 2007 obliegt die Ausgestaltung der postalischen Zustellung nicht mehr der nationalen Regelungsautonomie und erfolgt per Einschreiben mit Rückschein oder einem gleichwertigen Beleg.53 Die Brüssel Ia-VO nimmt in ihrem Art. 28 Abs. 3 auf die neue EG-ZustVO 2007 Bezug. Bedeutung erlangt diese Harmonisierungsmaßnahme ferner im Hinblick auf Art. 32 Brüssel Ia-VO sowie die Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 45 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO.54 Die EG-ZustVO 2007 verzichtet auf einen rechtshilferechtlichen ordre public-Vorbehalt55 wie in Art. 13 HZÜ, der etwa der Zustellung einer antisuit injunction56 oder gegebenenfalls einer Klage entgegensteht, wenn mit 48 Änderungsvorschlag der Kommission, KOM (2005) 305, 2, 3; zu der Überarbeitung siehe Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 549; Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 504; Rösler/Siepmann, RIW 2006, 512 ff.; Sujecki, EuZW 2006, 1; Wagner, EuZW 2007, 626, 627; einen Gesamtüberblick zum europäischen Zustellungsrecht bietet Rauscher, FS Kropholler (2008) 851 ff.; s. auch Strasser, Neues Europäisches Zustellungsrecht, Rpfleger 2013, 585 ff. 49 Beachte zu Art. 7 EG-ZustVO östOGH IPRax 2007, 134 ff. m. Anm. Kondring, 138 ff. 50 Beachte jüngst zur Annahmeverweigerung nach Art. 8 EG-ZustVO: OLG München, Beschl. v. 14.10.2019 – 14 W 1170/19; ferner zur Vorschrift: EuGH v. 8.11.2005 – C-443/03 – Götz Leffler vs. Berlin Chemie AG, EuGHE I 2005, 9611 ff. = EuZW 2006, 22 ff.; hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 548 f.; Rauscher, JZ 2006, 251 ff.; Rösler/Siepmann, NJW 2006, 475 ff.; Schütze, RIW 2006, 352 ff.; Stadler, IPRax 2006, 116 ff.; Sujecki, ZEuP 2007, 358 ff.; Wagner, EuZW 2006, 424, 427. Siehe ferner das zweite Vorabentscheidungsersuchen des belgischen Hof van Cassatie: EuGH v. 9.2.2006 – C-473/04 – Plumex vs. Young Sports NV, EuGHE I 2006, 1417 ff. = IPRax 2007, 320 f. m. Anm. Heiderhoff, 293 f.; hierzu auch Telkamp, GPR 2006, 145 ff. sowie Springer, Die direkte Postzustellung gerichtlicher Schriftstücke nach der Europäischen Zustellungsverordnung (EG) Nr. 1348/2000 (2008), 37 ff., 122 ff. Ein weiteres durch den BGH ersuchtes Vorlageverfahren zu dieser Norm: EuGH v. 8.5.2008 – C-14/07 – Ingenieurbüro Michael Weiss und Partner GbR vs. Industrie- und Handelskammer Berlin, EuGHE I 2008, 3367 ff. = NJW 2008, 1721 ff. m. Anm. Ahrens, 2817 ff. = IPRax 2008, 419 ff. m. Anm. Hess, 400 ff.; hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 19; Sujecki, EuZW 2008, 37 f.; zum Vorabentscheidungsersuchen siehe BGH, NJW 2007, 775 ff. siehe Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 503 f.; Stadler, ZZPInt 11 (2006), 227 ff.; Sujecki, EuZW 2007, 363 ff. 51 Zu der Vorgängervorschrift siehe LG Trier, IPRax 2004, 249 ff.; hierzu de Lind van Wijngaarden-Maack, IPRax 2004, 212 ff. 52 EuGH v. 9.2.2006 – C-473/04 – Plumex vs. Young Sports NV, EuGHE I 2006, 1417 ff. = IPRax 2007, 320 f. m. Anm. Heiderhoff, 293 f.; hierzu Telkamp, GPR 2006, 145 ff.; Wagner, EuZW 2006, 424, 427. Die Art. 12–15 EGZustVO eröffnen dem Antragsteller ein Wahlrecht OLG Hamburg, MDR 2007, 117 f. 53 Hierzu Sujecki, EuZW 2006, 1; Sujecki, NJW 2008, 1628, 1629 f.; zu der Konkretisierung der Vorgängervorschrift durch § 1068 ZPO siehe Gebauer/Wiedmann/Sujecki, Art. 14 EG-ZustVO Rz. 140 f. 54 Heiderhoff in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Einl. EG-ZustVO 2007 Rz. 15; hierzu siehe EuGH v. 14.12.2006 – C-283/05 – ASML Netherlands BV vs. SEMIS, EuGHE I 2006, 12041 ff. = IPRax 2008, 519 ff. m. Anm. Geimer, 498 ff. = ZZPInt 11 (2006) 190 ff. m. Anm. Leible/Reinert, 196 ff.; zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ/LugÜbk 1988 siehe EuGH v. 13.10.2005 – C-522/03 – Scania Finance France SA vs. Rockinger, EuGHE I 2005, 8639 ff. = IPRax 2006, 157 ff. m. Anm. Stadler, 116 ff. sowie BGH, NJW 2008, 1531 ff.; vgl. auch OLG Hamm, NJWRR 2007, 1722 ff. 55 Hierzu Geimer, Rz. 2158; Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts (1999) 213; Hess, NJW 2002, 2417, 2422; Lindacher, ZZP 114 (2001) 179, 184; Krause, RIW 2004, 533, 535 Fn. 19; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Einl. EG-ZustVO 2007 Rz. 12. 56 OLG Düsseldorf, IPRax 1997, 260 ff.; hierzu Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts (1999) 77 ff., 298; Hau, IPRax 1997, 245 ff.; Mankowski, EWiR 1996, 321 f.; Mansel, EuZW 1996, 335 ff.; kritisch Stürner, ZZP 109 (1996) 224 ff.; dem folgend Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts (1999) 79.
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Staudinger
Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
ihr Ansprüche auf Strafschadensersatz (punitive damages)57 bzw. auf Ersatz sogenannter treble damages58 oder in Form einer class action59, 60 geltend gemacht werden. Inzwischen hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Änderung der EG-ZustVO 2007 vorgelegt, um die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen zu modernisieren.61 Einige Bestimmungen der EG-ZustVO 2007 sollen damit geändert sowie neue Artikel hinzugefügt werden, sodass bestehende Mängel am bestehenden Rechtsakt ausgeräumt werden können.62 Einen weiteren Baustein des Europäischen Zivilprozessrechts bildet die EG-BewVO.63 Sie betrifft et- 6 wa die Zulässigkeit64 einer grenzüberschreitenden Videoverhandlung i.S.d. neu eingeführten § 128a ZPO.65 Auch für die EG-BewVO hat die Europäische Kommission im Jahr 2018 einen Änderungsvorschlag zum Zwecke der Beschleunigung der grenzüberschreitenden Beweisaufnahme vorgelegt.66
57 Beachte BVerfG, NJW 2003, 2598 ff.; vgl. dazu Hess, JZ 2003, 923 ff.; Oberhammer, IPRax 2004, 40 ff.; Rothe, RIW 2003, 859 ff.; Zekoll, NJW 2003, 2885 ff. Vgl zum Ganzen auch Stürner, JZ 2006, 60 ff. Siehe BVerfG, IPRax 2009, 249 f. sowie 253 ff. m. Anm. Rogler, 223 ff.; BVerfG, RIW 2007, 211 ff. m. Anm. von Hein, 249 ff. = JZ 2007, 1046 f. m. Anm. Stadler, 1047 ff. sowie OLG Düsseldorf, NJW-RR 2007, 640 ff.; zur entsprechenden Judikatur des U.S. Supreme Court Berger/Wilske, RIW 2007, 245 ff.; Corrigan/Wilske, RIW 2007, 32 ff.; Thomas/Wilske, RIW 2008, 668 ff. 58 Hierzu OLG Düsseldorf, IPRax 2009, 250 ff. m. Anm. Rogler, 223 ff.; OLG Koblenz, IPRax 2006, 25 ff. m. Anm. Piekenbrock, 4 ff. 59 Hierzu OLG Düsseldorf, IPRax 2009, 250 ff. m. Anm. Rogler, 223 ff.; BVerfG, NJW 2007, 3709 ff.; siehe im Zusammenhang mit dem US-amerikanischen Recht: Bellinghausen/Paheenthararajah, ZIP 2008, 492 ff.; Koch/ Horlach/Thiel, RIW 2006, 356 ff.; Petersen, RIW 2005, 812 ff.; zur Sammelklage aus skandinavischem Blickwinkel: Pedersen/Nebauer, ZfV 2007, 212 ff. 60 Die Europäische Kommission veröffentlichte am 27.11.2008 ein Grünbuch zum kollektiven Rechtsdurchsetzungsverfahren, mit welchem sie die Durchsetzung von Verbraucherrechten fördern will, vgl. KOM (2008) 794; hierzu Alexander, WRP 2009, 683 ff.; Krümmel/Sauer, BB 2008, 2586 ff.; Mattil/Desoutter, WM 2008, 521 ff. Darüber hinaus existiert seit dem 2.4.2008 ein Weißbuch zu Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts, vgl. KOM (2008) 165; hierzu Weidenbach/Saller, BB 2008, 1020 ff. Inwieweit die geplanten Harmonisierungsmaßnahmen Auswirkungen auf die Brüssel Ia-VO zur Folge haben, ist derzeit offen. In ihrem Grünbuch zur Überprüfung der Brüssel I-VO eröffnete die Kommission die Frage, ob für diese Verfahren besondere Zuständigkeitsvorschriften gebraucht werden, KOM (2009) 175, 12; Tamm, EuZW 2009, 439 ff. 61 Vorschlag der Europäischen Kommission vom 31.5.2018, KOM (2018) 379 endg. 62 Siehe ausführlich dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2019, 85, 93. 63 Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen vom 28.5.2001, ABl. EG L 174/1 ff.; siehe hierzu von Hein in dieser Kommentarreihe; siehe ebenfalls Huber, ZEuP 2014, 642 ff.; Thole, IPRax 2014, 255 ff.; vgl. ferner das EG-Beweisaufnahmedurchführungsgesetz, BGBl. 2003 I 2166 ff. Zum intertemporalen Anwendungsbereich siehe Art. 24 Abs. 2 EG-BewVO. Im Verhältnis zu den zehn mit Wirkung zum 1.5.2004 der EU beigetretenen neuen Mitgliedstaaten gilt der Sekundärrechtsakt seit diesem Stichtag; vgl. Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts, BGBl. 2003 II 1418; hierzu auch Hess, IPRax 2004, 374, 376. Entsprechendes gilt für Beweisaufnahmen im Verhältnis zu den am 1.1.2007 der EU beigetretenen Bulgarien und Rumänien (vgl. Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts, BGBl. 2006 II 1146, 1166) sowie zur Republik Kroatien, die am 1.7.2013 der EU beigetreten ist (vgl. Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts, BGBl. 2013 II 586, 592). Einen wertenden Überblick zu diesem Rechtsakt vier Jahre nach seinem Inkrafttreten bietet Knöfel, EuZW 2008, 267 ff.; siehe auch Heinze, IPRax 2008, 480 ff.; zum Verhältnis der EG-VollstrTitelVO zu nationalen Beweisverfahren: Sujecki, EWS 2013, 80. Beachte auch den Kommissionsbericht über die Anwendung der Harmonisierungsmaßnahme: KOM (2007) 769 sowie die Entschließung des EP, A6-0058/2009. 64 von Hein in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2016), Art. 1 EG-BewVO Rz. 22. 65 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001, BGBl. 2001 I 1887 ff.; zu § 128a ZPO siehe Fischer, DRiZ 2005, 90 ff.; eingehend hierzu auch von Hein in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2016), Art. 10 EG-BewVO Rz. 36 ff.; Gebauer/Wiedmann/Huber, Art. 10 EG-BewVO Rz. 139 ff.; zu grenzüberschreitenden Videoverhandlungen siehe Stadler, ZZP 115 (2002), 413, 441. 66 Vorschlag der Europäischen Kommission vom 31.5.2018, KOM (2018) 378 endg; dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2018, 85, 93.
Staudinger
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung 6a
Von Bedeutung ist des Weiteren die EG-VollstrTitelVO.67 Dieser Sekundärrechtsakt68 dient dem Ziel, einen Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Geldforderungen zu schaffen, der im Zweitstaat ohne ein vorheriges Zwischenverfahren vollstreckbar ist. Damit entfällt das bisher nach der Brüssel I-VO notwendige Vollstreckbarerklärungsverfahren69 und wird das in Art. 6 EMRK verbürgte Recht des Gläubigers auf eine effektive Zwangsvollstreckung gestärkt.70 Die in einem Mitgliedstaat ergangene und für vollstreckbar erklärte Entscheidung kann nun nach Art. 39 Brüssel Ia-VO auch in einem anderen Mitgliedstaat durchgesetzt werden, ohne dass es eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens mehr bedarf. Die EG-VollstrTitelVO, welche nach Art. 33 S. 1 EG-VollstrTitelVO am 21.1.2005 in Kraft getreten ist, gilt abgesehen von einigen Artikeln seit diesem Zeitpunkt71 in allen Mitgliedstaaten72 mit Ausnahme Dänemarks.73 Die EG-VollstrTitelVO ergänzt nach Art. 27 EG-VollstrTitelVO lediglich die Brüssel I-VO, sodass Gläubiger die Vollstreckbarerklärung wahlweise74 nach Maßgabe dieses Sekundärrechtsakts beantragen können.75 Das Wahlrecht des Gläubigers besteht auch 67 Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen vom 21. April 2004, ABl. EU L 143/15 ff.; vgl. hierzu die Ausführungen von Pabst in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), EG-VollstrTitelVO; der Bundestag hat am 12.5.2005 dem EG-Vollstreckungsdurchführungsgesetz zugestimmt; dieses trat zusammen mit der EG-VollstrTitelVO am 21.10.2005 in Kraft, BGBl. 2005 I 2477 ff.; zur Kritik an der vorgesehenen Vollstreckungsabwehrklage: Halfmeier, IPRax 2007, 382, 386 f.; Hess, IPRax 2004, 493 f.; Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453, 461; als Replik beachte die Angaben bei Wagner, IPRax 2005, 401, 405 ff.; siehe auch Röthel/Sparmann, WM 2006, 2285, 2292; zur Zulässigkeit von Rechtsbehelfen des Schuldners nach der griechischen ZPO Tsikrikas, ZZPInt 11 (2006), 51; siehe insbesondere zum Verhältnis der EG-VollstrTitelVO und der Brüssel I-VO zur Bestätigung eines aufgrund einer „glaubwürdigen Urkunde“ erlassenen Vollstreckungsbefehls durch einen kroatischen Notar EuGH v. 9.3.2017 – C-484/15 – Ibrica Zulfikarpasˇic´ vs. Slaven Gajer, IPRax 2018, 83 ff.; der Begriff der „unbestrittenen Forderung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 lit. b EG-VollstrTitelVO ist autonom zu bestimmen: EuGH v. 16.6.2016 – C-511/14 -Pebros Servizi Srl vs. Aston Martin Lagonda Ltd, NJW 2016, 2311 ff.; vgl. hierzu auch Sujecki, EWS 2017, 254 ff.; siehe zur Auslegung der Art. 17 lit. a und Art. 18 Abs. 1 lit. b EG-VollstrTitelVO hinsichtlich der erforderlichen Angaben für die Bestätigung einer gerichtlichen Entscheidung als europäischer Vollstreckungstitel über unbestrittene Forderungen EuGH v. 28.2.2018 – C-289/17 – Collect Inkasso OÜ u.a. vs. Rain Aint u.a., EuZW 2018, 341 ff.; EuGH v. 14.12.17 – C-66/17 – Grzegorz Chudas´ u.a. vs. DA Deutsche Allgemeine Versicherung Aktiengesellschaft, EuZW 2018, 152 ff. m. Anm. Cranchaw, jurisPR-IWR 1/2018 Anm. 3; zur Durchsetzung von Vollstreckungstiteln im Falle des Falschparkens im EU-Ausland siehe auch Staudinger/Frensing-Deutschmann, DAR 2016, 251, 254 ff.; zum niederländischen Durchführungsgesetz: Sujecki, IPRax 2006, 525 ff.; umfassend hierzu Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren (2008) 182 ff., 208. 68 Einen Überblick geben Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Staudinger, Handbuch der Europäischen Rechtspraxis § 22 Rz. 207 ff.; Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren (2008); Gebauer, NJ 2006, 103 ff.; Graf, v. Bernstorff, RIW 2007, 88 ff.; Luckey, ZGS 2005, 420 ff.; Rausch, FuR 2005, 437 ff.; Rauscher, GPR 2004, 286 ff.; Rott, EuZW 2005, 167, 168 f.; Röthel/Sparmann, WM 2006, 2285 ff.; Stein, EuZW 2004, 679 ff.; Rellermeyer, RPfleger 2005, 389 ff.; Strasser, Rpfleger 2007, 249 ff.; Wagner, IPRax 2005, 189 ff.; Wagner, NJW 2005, 1157 ff.; weitere Nachweise bei Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 486; aus polnischer Sicht siehe Taborowski, IPRax 2007, 250 ff.; eine Gegenüberstellung von Brüssel I-VO und EG-VollstrTitelVO bietet: Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung in Europa (2008) 256 ff. 69 Kritisch äußern sich etwa Stadler, RIW 2004, 801 ff.; Stadler, IPRax 2004, 2, 5 ff.; Kohler in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002), 147, 158 ff.; zum Bedeutungsverlust der Brüssel I-VO durch die Einführung des Europäischen Vollstreckungstitels: Mankowski, FS Kropholler (2008) 829 ff. 70 Hierzu Hess, JZ 2005, 540, 545. 71 Siehe Art. 33 S. 2 EG-VollstrTitelVO; vgl. Wagner, NJW 2004, 1835, 1836. 72 Dieser Sekundärrechtsakt gilt ebenso im Verhältnis zu den zehn mit Wirkung zum 1.5.2004 der EU beigetretenen neuen Mitgliedstaaten; vgl. Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts, BGBl. 2003 II 1418. Entsprechendes beansprucht für die am 1.1.2007 in die EU aufgenommenen Staaten Bulgarien und Rumänien Geltung, vgl. Akte über die Bedingungen des Beitritts, BGBl. 2006 II 1146, 1166 sowie für Kroatien im Wege des am 1.7.2013 erfolgten EU-Beitritts, vgl. Akte über die Bedingungen des Beitritts, BGBl. 2013 II 586, 592. 73 Vgl Art. 2 Abs. 3 EG-VollstrTitelVO sowie ErwGr. 25 EG-VollstrTitelVO. 74 Ein paralleles Vorgehen des Gläubigers dürfte aus Kostengründen wohl ein allein theoretisches Konstrukt sein. Jedenfalls wird das jeweilige nationale Zwangsvollstreckungsrecht als ultima ratio einer zweimaligen Vollstreckung entgegenstehen. 75 Siehe Heinig, GPR 2010, 36, 37; Wagner, NJW 2004, 1835, 1836. Besteht ein Europäischer Vollstreckungstitel, so fehlt es daneben für eine Vollstreckbarerklärung nach der Brüssel I-VO am Rechtsschutzbedürfnis: OLG
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Staudinger
Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
mit Blick auf die Brüssel Ia-VO, da der Sekundärrechtsakt die Anwendbarkeit der EG-VollstrTitel-VO nicht versperrt. Wenngleich beiden Verordnungen die Abschaffung des Exequaturverfahrens gemeinsam ist, so besteht der Unterschied darin, dass die Brüssel Ia-VO das sogenannte Modell des „umgekehrten Verfahrens“76 verfolgt. Dies hat zum Inhalt, dass der Schuldner derjenige ist, der aktiv handeln muss, sofern er die ipso iure bestehende Vollstreckbarkeit der Entscheidung beseitigen möchte.77 Unberührt bleibt laut Art. 28 EG-VollstrTitelVO78 ferner die EG-ZustVO. Mit der EG-VollstrTitelVO soll dem Gläubiger ein zeit- und kostensparender Weg eröffnet werden, seinen titulierten Anspruch innerhalb des Binnenmarktes durchzusetzen,79 indem das Exequaturverfahren unter Einschluss des ordre public-Vorbehalts80 entfällt.81 Im Ergebnis verankert der Gemeinschaftsgesetzgeber damit ein Stück weit das Herkunftslandprinzip im Europäischen Zivilverfahrensrecht.82 Denn eine Rechtsmäßigkeitskontrolle wird ausschließlich dem Erststaat zugewiesen, während dem Vollstreckungsstaat nur in äußerst beschränktem Maße Prüfungskompetenzen zukommen.83 Die Vollstreckung selbst unterliegt grds. dem Recht des Vollstreckungsstaates (Art. 20 Abs. 1 EG-VollstrTitelVO). Der sachliche Anwendungsbereich der EG-VollstrTitelVO bezieht sich nach Art. 2 Abs. 1 S. 1 EGVollstrTitelVO ausschließlich auf Geldforderungen84 in Zivil- und Handelssachen, sofern nicht – in Parallele zur Brüssel Ia-VO – ein Ausschluss gemäß Art. 2 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 2 EG-VollstrTitelVO eingreift.85 Der Sekundärrechtsakt bezieht mithin auch Unterhaltsansprüche ein.86 Als Grundlage eines Europäischen Vollstreckungstitels kommen nach Art. 3 Abs. 1 EG-VollstrTitelVO Entscheidungen87 (Art. 4 Nr. 1, 7 EG-VollstrTitelVO), gerichtliche Vergleiche (Art. 3 Abs. 1 lit. a, Art. 24 EG-VollstrTitelVO88) und öffentliche Urkunden (Art. 3 Abs. 1, lit. b, Art. 4 Nr. 3, Art. 25 EG-VollstrTitelVO)
76 77 78 79 80 81
82 83 84 85 86 87 88
Stuttgart, Rpfleger 2009, 688, 689 m. zust. Anm. Strasser, 690 f.; BGH, IPRax 2011, 81 f.; Anm. zu den beiden Urteilen Kienle, EuZW 2010, 334 f. Pohl, IPRax 2013, 109, 112; von Hein, RIW 2013, 97, 109. Pohl, IPRax 2013, 109, 112. Vgl auch ErwGr. 21 EG-VollstrTitelVO. Siehe hierzu Hüßtege, FS Jayme (2004) 371. Hierzu Hess, JZ 2005, 540, 545; kritisch Röthel/Sparmann, WM 2006, 2285, 2292 f.; Sujecki, ZEuP 2008, 458 ff.; zur mangelnden Bedeutung des ordre public-Vorbehaltes im Rahmen der Brüssel I-VO Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277, 279; siehe auch aus praktischem Blickwinkel Hohloch, FS Kropholler (2008) 809 ff. Vgl Art. 1 EG-VollstrTitelVO und Art. 5 EG-VollstrTitelVO; zu einer Fallkonstellation, bei welcher der Europäische Vollstreckungstitel angesichts der fehlerhaften Zustellung im Vollstreckungsmitgliedstaat nicht hätte überprüft werden können, wohingegen der im Anlassstreit maßgebliche Art. 34 Nr. 2 Brüssel I-VO (nun Art. 45 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO) den Schuldnerschutz sicherstellt, siehe OLG Zweibrücken, IPRax 2006, 487 ff. m. Anm. Roth, 466 f.; Windolf/Zemmrich, JuS 2007, 803 ff.; vgl. auch EuGH v. 14.12.2006 – C-283/05 – ASML Netherlands BV vs. SEMIS, EuGHE I 2006, 12041 ff. = IPRax 2008, 519 ff. m. Anm. Geimer, 498 ff. = ZZPInt 11 (2006) 190 ff. m. Anm. Leible/Reinert, 196 ff.; BGH, FamRZ 2008, 586, 588 m. Anm. Gottwald, 591 = IPRax 2008, 530 ff. m. Anm. Roth, 501 ff. sowie BGH, NJW-RR 2007, 638 f.; zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ/ LugÜbk 1988 siehe EuGH v. 13.10.2005 – C-522/03 – Scania Finance France SA vs. Rockinger, EuGHE I 2005, 8639 ff. = IPRax 2006, 157 ff. m. Anm. Stadler, 116 ff. sowie BGH, NJW 2008, 1531 ff.; vgl. auch OLG Hamm, NJW-RR 2007, 1722 ff. Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453, 454. Vgl östOGH IPRax 2008, 440 ff. m. Anm. Bittmann, 445 ff.; hierzu auch Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 16. Vgl Art. 4 Nr. 2 EG-VollstrTitelVO. Der Ausschluss im Hinblick auf „acta iure imperii“ in Art. 2 Abs. 1 S. 2 EG-VollstrTitelVO hat im Vergleich zur Brüssel Ia-VO wohl eine eher klarstellende Funktion. So auch Röthel/Sparmann, WM 2006, 2285, 2285; Strasser, FPR 2007, 451, 454; Wagner, IPRax 2005, 189, 192; zur Fortentwicklung der EG-VollstrTitelVO durch die geplante Unterhaltsverordnung: Gebauer, FPR 2006, 252 ff.; vgl. auch Rz. 6e, Rz. 65. Zu Rechtsbehelfsentscheidungen siehe Art. 3 Abs. 2 EG-VollstrTitelVO; hierzu Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Art. 3 EG-VollstrTitelVO Rz. 28; in Betracht kommt auch ein Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 140 ZPO: OLG Stuttgart, IPRax 2008, 260 f. m. Anm. Roth, 235 ff.; OLG Stuttgart OLGR 2008, 699 f. Angesichts der abweichenden Terminologie zu Art. 59 unterfällt dieser Kategorie auch der Beschluss nach §§ 794 Abs. 1 Nr. 4 lit. b, 796b ZPO; siehe die Angaben bei Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453, 456; zur umstrittenen Qualität des für vollstreckbar erklärten Anwaltsvergleichs als Titel im Rahmen der Brüssel I-VO vgl. die Angaben bei Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Staudinger, Handbuch der Europäischen Rechtspraxis § 22 Rz. 189, 202.
Staudinger
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung in Betracht.89 Der Titel muss im Ausgangsstaat vollstreckbar sein (Art. 6 Abs. 1 lit. a EG-VollstrTitelVO).90 Hingegen ist nicht erforderlich, dass die Entscheidung Rechtskraft entfaltet, sodass eine vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils nach dem Recht des Ursprungsstaats genügt. Darüber hinaus setzt die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel die Unbestrittenheit der Forderung voraus. Diese Bedingung liegt nach Art. 3 Abs. 1 lit. c EG-VollstrTitelVO selbst dann vor, wenn der Schuldner dem Anspruch zwar zunächst widersprochen hat, daraufhin aber nicht zur Verhandlung erscheint. Erfasst sind damit etwa auch Versäumnisurteile, welche im Anschluss an eine Verteidigungsanzeige im schriftlichen Vorverfahren ergehen.91 Dies erscheint nicht frei von Bedenken, weil es sich streng genommen nicht um einen konsensualen Titel, sondern einen „nicht mehr bestrittene(n)“ Anspruch handelt.92 Da es einigen Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften jedoch nicht möglich war, derartige Forderungen mit von Anfang an unbestrittenen gleichzusetzen, hat der Sekundärrechtsgeber in Art. 3 Abs. 1 lit. c EG-VollstrTitelVO einen Verweis auf nationale Besonderheiten aufgenommen.93 Darüber hinaus sind bei Entscheidungen unter Einschluss der Anerkenntnisurteile die Einhaltung der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO in Versicherungssachen sowie der ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 24 Brüssel Ia-VO zu prüfen.94 Dies gilt nicht für gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden.95 Ferner schreibt der Sekundärrechtsgeber in Art. 6 Abs. 1 lit. c EG-VollstrTitelVO für Verfügungen, die wie Versäumnisurteile in Abwesenheit getroffen werden und sich ebenso im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO oftmals als „Problemfälle“ erwiesen haben,96 gewisse Mindeststandards für das Gerichtsverfahren im Ausgangsmitgliedstaat vor. Dies gilt beispielsweise für die Zustellung der Klage (Art. 13–15 EG-VollstrTitelVO) sowie die ordnungsgemäße Unterrichtung des Schuldners über verfahrensrechtliche Erfordernisse für das Bestreiten der Forderung sowie etwaige Konsequenzen des Nichtbestreitens oder -erscheinens (Art. 17 EG-VollstrTitelVO).97 Sofern der Ablauf des Gerichtsprozesses diesen Mindestvorgaben nicht genügt, sieht Art. 18 EG-VollstrTitelVO unter bestimmten Voraussetzungen eine Heilung des Verfahrensmangels vor.98 Schließlich legt der Gemeinschaftsgesetzgeber fest, dass eine Säumnisentscheidung gegen einen Verbraucher nur dann als Grundlage eines Europäischen Vollstreckungstitels dienen kann, wenn dieser von den Gerichten seines Wohnsitzstaates erlassen wurde (Art. 6 Abs. 1 lit. d EG-VollstrTitelVO).99 Anerkenntnisurteile bleiben demgegenüber von diesem Schutzmechanismus ausgenommen.100 6b
Im Anschluss an das Grünbuch über europäische Mahnverfahren und Maßnahmen zur einfacheren und schnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Wert,101 zwei Verordnungsvorschläge102 sowie weitere Verhandlungen des Rates103 erließ der Gemeinschaftsgesetzgeber am 12.12.2006 die EG-MahnVO.104 Der Sekundärrechtsakt trat am 31.12.2006 in Kraft und gilt im Wesentlichen ab 89 Zum intertemporalen Anwendungsbereich beachte Art. 26 EG-VollstrTitelVO. 90 Siehe auch Art. 24 Abs. 1 und 25 Abs. 1 EG-VollstrTitelVO bzgl. gerichtlicher Vergleiche und öffentlicher Urkunden. 91 Siehe Gebauer/Wiedmann/Bittmann, Art. 3 EG-VollstrTitelVO Rz. 26; Stadler, RIW 2004, 801; Stein, EuZW 2004, 679, 680; Windolf/Zemmrich, JuS 2007, 803, 804; zur zeitlichen Abfolge zwischen dem Bestätigungsantrag des Vollstreckungsgläubigers und der Widerspruchsanzeige des Vollstreckungsschuldners OLG Wien Urt. v. 14.6.2007 – 1 R 85/07p m. Anm. Pichler, GPR 2008, 99. 92 Stein, EuZW 2004, 679, 680; Stein, IPRax 2004, 181, 188. 93 Hierzu Stein, EuZW 2004, 679, 680; Stein, IPRax 2004, 181, 188. 94 Vgl Art. 6 Abs. 1 lit. b EG-VollstrTitelVO. 95 Dies folgt aus Art. 24 Abs. 3, Art. 25 Abs. 3 EG-VollstrTitelVO. 96 Vgl Stadler, RIW 2004, 801, 808. 97 Siehe in diesem Zusammenhang Stein, IPRax 2004, 181, 188; zur Frage in welcher Sprache die Belehrung erfolgen muss Röthel/Sparmann, WM 2006, 2285, 2287 f.; zum Widerruf der Bestätigung nach dem Sekundärrechtsakt Roth, IPRax 2013, 239 ff. 98 Beachte in diesem Zusammenhang OLG Stuttgart, IPRax 2009, 342 m. Anm. Hüßtege, 321 ff. 99 Kritisch im Hinblick auf den lückenhaften Verbraucherschutz: Rott, EuZW 2005, 167, 168; zur in der Praxis problematischen Feststellung der Verbrauchereigenschaft im Falle fehlender Einlassung des Schuldners: Röthel/Sparmann, WM 2006, 2285, 2289; schließt ein Verbraucher einen Versicherungsvertrag, wird man ihn ebenso diesem Schutzregime unterstellen müssen. Zum prozessualen Verbraucherschutz gegen den Vollstreckungstitel: Mankowski, VuR 2010, 16 ff. 100 So zutreffend Wagner, IPRax 2005, 189, 194. 101 KOM (2002) 746.
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Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
dem 12.12.2008 (Art. 33 EG-MahnVO).105 Hiermit verfolgt der Gemeinschaftsgesetzgeber das Ziel, binnenmarktweit eine schnelle und effiziente Beitreibung unbestrittener, bezifferter Geldforderungen sicherzustellen und die Verfahrenskosten zu verringern.106 Dabei hat das Europäische Mahnverfahren nach ErwGr. 10 EG-MahnVO einen lediglich fakultativen Charakter, sodass es dem Gläubiger frei steht, einen unter den Sekundärrechtsakt fallenden Anspruch im Wege eines abgekürzten oder regulären Verfahrens nach Maßgabe der einschlägigen mitgliedstaatlichen Regeln durchzusetzen.107 Diese an sämtliche Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks108 adressierte Verordnung erfasst, anders als der erste Verordnungsvorschlag, der auch reine Inlandsfälle betraf,109 nur Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug (Art. 2 Abs. 1 S. 1 EG-MahnVO).110 Die Harmonisierungsmaßnahme betrifft Zivil- und Handelssachen losgelöst von der Art des sachlich zuständigen Gerichts und gilt indes nicht für Steuer-, Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Während sich insofern eine Übereinstimmung mit der Brüssel Ia-VO111 ergibt, deckt sich der Ausschlusskatalog des Art. 2 Abs. 2 EG-MahnVO nicht mit demjenigen der Brüssel Ia-VO. Der Rechtsakt sieht keinen Höchstbetrag vor,112 bis zu dem Geldforderungen113 im Wege des Mahnverfahrens beigetrieben 102 KOM (2004) 173/3; KOM (2006) 57; hierzu Sujecki, EuZW 2006, 330 ff.; Sujecki, ZEuP 2006, 124 ff. 103 Hierzu Sujecki, EuZW 2006, 609. 104 Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. EU 2006 L 399/1 ff.; zu diesem Gemeinschaftsrechtsakt etwa Fiorini, ICLQ 2008, 449 ff.; Freitag/Leible, BB 2008, 2750 ff.; McEleavy, ICLQ 2008, 449 ff.; Schimrick, NJ 2008, 491 ff.; Tschütscher/Weber, ÖJZ 2007, 303 ff.; Fabian, Die Europäische Mahnverfahrensverordnung im Kontext der Europäisierung des Prozessrechts (2010) sowie die Bearbeitung von Gruber in dieser Kommentarreihe; zur rügelosen Einlassung im Europäischen Mahnverfahren Eichel, GPR 2014, 56 ff.; siehe zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts des Ursprungsmitgliedstaates des europäischen Zahlungsbefehls im Zusammenhang mit einer Ausgleichsforderung wegen Flugverspätung EuGH v. 10.3.16 – C-94/14 – Flight Refund Ltd vs. Deutsche Lufthansa AG, IPRax 2017, 277 ff.; siehe insbesondere zum Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 EG-MahnVO und Art. 24 Brüssel Ia-VO in Fällen des Falschparkens im EU-Ausland Staudinger/ Frensing-Deutschmann, DAR 2016, 181, 185 f. 105 Zu den Durchführungsvorschriften §§ 1087–1096 ZPO des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BTDrucks. 16/8839 vom 16.4.2008) siehe die Pressemitteilung des BMJ vom 30.1.2008; vgl. auch Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305 ff.; Sujecki, EuZW 2008, 417. Beachte nunmehr auch das Gesetz zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung vom 30.10.2008, BGBl. 2008 I 2122 ff.; hierzu Vollkommer/Huber, NJW 2009, 1105 ff. 106 Vgl Art. 1 Abs. 1 EG-MahnVO sowie ErwGr. 9 EG-MahnVO. 107 So findet etwa das deutsche Mahnverfahren auch dann statt, wenn der Mahnbescheid in einem anderen Mitgliedstaat zuzustellen ist (§ 688 Abs. 3 ZPO, § 32 AVAG); eine rechtsvergleichende Gegenüberstellung von Vor- wie Nachteilen verschiedener Mahnverfahren findet sich bei: Einhaus, IPRax 2008, 323 ff.; Kormann, Das neue Europäische Mahnverfahren im Vergleich zu den Mahnverfahren in Deutschland und Österreich (2007); vgl. auch Sujecki, Das elektronische Mahnverfahren (2008); die Schwäche der EG-MahnVO betonend, wonach der Rechtsakt keine Aussagen über die verjährungsunterbrechende Wirkung der Einleitung des Mahnverfahrens enthält und somit die lex causae einschlägig ist: Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101, 1109. 108 Art. 2 Abs. 3 EG-MahnVO. 109 Kritisch unter Bezugnahme auf den Kompetenztitel Leible/Staudinger, EuLF (D) 2000/2001, 225, 228; zustimmend dagegen Sujecki, EuZW 2005, 45, 46; die Ausführungen der Kommission lassen erkennen, dass sie sich der primärrechtlichen Bedenken bewusst war, vgl. KOM (2004) 173/3, 7 f. Das Europäische Parlament sprach sich hingegen dafür aus, dem Sekundärrechtsakt allein grenzüberschreitende Mahnverfahren zu unterstellen; siehe den Bericht v. 18.7.2005, A6-0240/2005; im Hinblick auf die Brüssel Ia-VO vgl. die Angaben in Rz. 19. 110 Eine grenzüberschreitende Sache i.S.d. Verordnung ist gegeben, wenn zumindest eine der Parteien im Zeitpunkt der Antragstellung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (laut Art. 3 Abs. 2 EG-MahnVO finden insoweit die Art. 59, 60 Brüssel I-VO – nun Art. 62, 63 Brüssel Ia-VO – Anwendung) in einem anderen Mitgliedstaat als dem des befassten Gerichts hat, Art. 3 Abs. 1, 3 EG-MahnVO. Ausreichend ist demnach, wenn lediglich der Antragsgegner seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat: Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 306; McGuire, GPR 2007, 303, 304. 111 Vgl hierzu die Angaben bei Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Staudinger, Handbuch der Europäischen Rechtspraxis § 22 Rz. 216 f. 112 Siehe ErwGr. 9 S. 2 Verordnungsvorschlag KOM (2004) 173/3; Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101, 1108. 113 Herausgabeansprüche oder Forderungen, die etwa auf die Vornahme einer Handlung oder Unterlassung gerichtet sind, werden demnach ausgenommen; vgl. KOM (2004) 173/3, 11.
Staudinger
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung werden können. Diese müssen jedoch nicht nur unbestritten (Art. 1 Abs. 1 lit. a EG-MahnVO) und beziffert (Art. 4 EG-MahnVO),114 sondern zum Zeitpunkt der Beantragung115 des Europäischen Zahlungsbefehls auch fällig sein (Art. 4 EG-MahnVO). Künftig anfallende laufende Zahlungen bleiben mithin vom Anwendungsbereich ausgenommen.116 Die Harmonisierungsmaßnahme greift zudem unabhängig davon ein, ob der Anspruch von seinem Rechtsgrund her vertraglich oder deliktisch zu qualifizieren ist.117 Die Harmonisierungsmaßnahme sieht ein einstufiges,118 „nicht beweispflichtiges“119 Modell vor. Einem Antrag120 auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 1 EGMahnVO folgt, soweit die in Art. 7 Abs. 2 EG-MahnVO näher bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind und die Forderung begründet erscheint (Art. 8 S. 1, 11 Abs. 1 lit. b EG-MahnVO),121 die Ausfertigung eines Europäischen Zahlungsbefehls.122 Dieser ist mit dem Vollstreckungsbescheid in § 699 ZPO123 vergleichbar. Der Schuldner hat die Möglichkeit die Forderung zu begleichen oder innerhalb von 30 Tagen nach der Zustellung124 des Europäischen Zahlungsbefehls einen Einspruch einzulegen (Art. 16 EG-MahnVO). Die frist- und formgemäße Anzeige hat zur Folge, dass das Mahnverfahren beendet und grds. als ein streitiges Verfahren im Einklang mit den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses fortgesetzt wird. Diesbezüglich ist auf das Recht desjenigen Mitgliedstaates abzustellen, dem der Zahlungsbefehl entstammt (Art. 17 Abs. 1, 2 EG-MahnVO).125 Bleibt der Antragsgegner hingegen untätig, erklärt das Gericht im Ursprungsmitgliedstaat den Zahlungsbefehl unverzüglich für vollstreckbar (Art. 18 Abs. 1 EG-MahnVO).126 Hiervon unberührt bleibt das Recht des Antragsgegners ausnahmsweise auch nach Fristablauf die Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls zu beantragen (Art. 20 EG-MahnVO).127 Art. 19 EG-MahnVO zufolge wird der für vollstreckbar erklärte Europäische Zahlungsbefehl in anderen Mitgliedstaaten ohne Durchführung eines Exequaturverfahrens anerkannt und voll114 Damit sollen Geldforderungen – wie etwa bei immateriellen Schäden – unberücksichtigt bleiben, die sich nicht in Form eines konkreten Betrages beziffern lassen; vgl. KOM (2004) 173/3, 11. 115 Vgl hierzu Art. 7 ff. EG-MahnVO. 116 Beachte ErwGr. 9 S. 3 Verordnungsvorschlag KOM (2004) 173/3. 117 Beachte jedoch den Ausschlusstatbestand in Art. 2 Abs. 3 lit. d EG-MahnVO; kritisch hierzu Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101; Sujecki, NJW 2007, 1622, 1623. 118 Dem Schuldner stehen im deutschen Mahnverfahren mit dem Widerspruch und dem Einspruch zwei Rechtsbehelfe zu, wohingegen die EG-MahnVO nur den Einspruch kennt; vgl. auch Freitag, IPRax 2007, 509; Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101, 1101; Sujecki, NJW 2007, 1622, 1625; insoweit kritisch McGuire, GPR 2007, 303, 306 f. 119 Art. 7 Abs. 2 lit. e EG-MahnVO zufolge muss der Antrag lediglich eine Bezeichnung von Beweisen enthalten, ohne den Beweis erbringen zu müssen; hierzu Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101, 1103. 120 In Übereinstimmung mit der deutschen Rechtslage sieht der Sekundärrechtsakt keinen Anwaltszwang vor; vgl. Art. 24 EG-MahnVO; zum deutschen Recht siehe §§ 689 Abs. 1 S. 1, 78 ZPO. 121 Zur Prüfungsdichte siehe Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 307 f.; Rauscher in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2006), Einf. EG-MahnVO Rz. 22; Sujecki, NJW 2007, 1622, 1624; ein Vergleich mit den §§ 688 ff. ZPO findet sich bei Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101, 1106. 122 Art. 12 Abs. 1 EG-MahnVO zufolge erlässt das Gericht den Zahlungsbefehl so bald wie möglich und in der Regel innerhalb von 30 Tagen nach Einreichung des Antrags. 123 Legt der Antragsgegner gegen den Vollstreckungsbescheid im deutschen Recht nicht fristgemäß Einspruch (§ 700 ZPO) ein, wird er formell rechtskräftig (§§ 705, 339 Abs. 1 ZPO). Ob und inwieweit dieser Titel auch in materielle Rechtskraft erwächst – hiervon geht die gesetzliche Regelung in §§ 794 Abs. 1 Nr. 4, 795 S. 1, 767 Abs. 2, 796 Abs. 2 und 3 ZPO aus – wird jedoch zunehmend in Zweifel gezogen: vgl. Thomas/Putzo/ Hüßtege, § 700 ZPO Rz. 2. 124 Der Sekundärrechtsakt enthält besondere Regeln über die Zustellung des Zahlungsbefehls an den Antragsgegner (Art. 13–15 EG-MahnVO). Diese Vorschriften verdrängen jedoch weder das insoweit maßgebliche innerstaatliche Recht noch die EG-ZustVO 2007, sondern stellen nur einen Maßstab dar: Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 309; McGuire, GPR 2007, 303, 305; Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101, 1106 f.; vgl. auch Art. 27 EG-MahnVO; zur EG-ZustVO 2007 siehe Rz. 5. 125 Die Verfahrensordnung des betreffenden Mitgliedstaates entscheidet auch darüber, ob ein Anwaltszwang besteht; vgl. Art. 26 EG-MahnVO. 126 Damit soll der Zahlungsbefehl dem in einem ordentlichen Zivilprozess ergangenen rechtskräftigen Urteil gleichgestellt werden: siehe ErwGr. 15 S. 3 Verordnungsvorschlag KOM (2004) 173/3. 127 Hierzu Freitag, IPRax 2007, 509 ff.
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streckt.128 Die Vollstreckung selbst beurteilt sich nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates (Art. 21 Abs. 1 EG-MahnVO) und kann nur aus bestimmten Gründen verweigert, ausgesetzt oder beschränkt werden.129 Bei Verbraucherverträgen sieht der Gemeinschaftsrechtsakt in seinem Art. 6 Abs. 2 EG-MahnVO eine Sonderregel für die internationale gerichtliche Zuständigkeit bei Mahnverfahren vor. Hiernach sind – sofern der Verbraucher Antragsgegner ist – die Gerichte an seinem Wohnsitz ausschließlich zuständig.130 Im Übrigen greift der Zuständigkeitskatalog der Brüssel Ia-VO131 ein.132 Mangels entsprechender Vorschriften sind die Mitgliedstaaten frei, die sachliche und örtliche Zuständigkeit festzulegen sowie zentrale Mahngerichte zu schaffen.133 Im Nachgang zum Grünbuch über ein Europäisches Mahnverfahren sowie Maßnahmen zur einfachen und schnellen Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert134 sowie einem Verordnungsvorschlag der Kommission135 hat der Gemeinschaftsgesetzgeber am 11.7.2007 die EG-BagatellVO zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen136 erlassen. Mit dem nur grenzüberschreitende Sachverhalte137 innerhalb des Binnenmarkts (mit Ausnahme Dänemarks)138 erfassenden Sekundärrechtsakt139 verfolgt die Europäische Union das Ziel, als Alternative zu den innerhalb der Mitgliedstaaten bereits existierenden Instrumenten Rechtssachen mit geringem Streitwert einfacher, schneller und kostengünstiger beizulegen (Art. 1 S. 1, 2 EG-BagatellVO). Die am 1.8.2007 in Kraft getretene und ab 1.1.2009140 geltende small-claims Verordnung erfasst Zivil- und Handelssachen bis zu einem Wert von 2000 Euro,141 sofern nicht der Ausnahmekatalog 128 Kritisch zur Abschaffung des ordre public-Vorbehalts Sujecki, ZEuP 2008, 458 ff. 129 Vgl Art. 22, 23 EG-MahnVO; hierzu Freitag, IPRax 2007, 509 ff.; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 309 ff.; Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101, 1104 f.; speziell zur Vollstreckungsgegenklage bei Mahnverfahren Halfmeier, IPRax 2007, 381, 388. 130 Dies gilt auch im Hinblick auf Art. 24 und 25 Brüssel Ia-VO; zur Brüssel I-VO: Heinig, GPR 2010, 36, 37 f. m.w.N.; insoweit kritisch Einhaus, IPRax 2008, 323, 326; vgl. auch McGuire, GPR 2007, 303, 304. 131 Hierzu Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Staudinger, Handbuch der Europäischen Rechtspraxis § 22 Rz. 204. Noch zur Brüssel I-VO siehe insofern die Angaben bei Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Staudinger, Handbuch der Europäischen Rechtspraxis § 22 Rz. 181 ff. 132 Kritisch insoweit zur dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag Schollmeyer, IPRax 2002, 478, 483; Sujecki, EuZW 2005, 45, 46, 48; abweichend die Einschätzung von Einhaus, EuZW 2005, 165 f. 133 Ebenso Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 306; Sujecki, NJW 2007, 1622, 1623; zu den Mitteilungspflichten der Mitgliedstaaten siehe Art. 29 Abs. 1 lit. a EG-MahnVO. 134 KOM (2002) 746. 135 KOM (2005) 87; beachte hierzu auch das erläuternde Arbeitspapier der Kommission SEC (2005) 352; Haibach, European Review of Private Law 2005, 593 ff. 136 Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. EU 2007 L 199/1 ff.; zum Begriff der Parteien im Sinne dieser Verordnung vgl. die Entscheidung des EuGH v. 17.10.18 – C-393/18 PPU – DU vs. XB, BeckRS 2018, 24929; zur Reform des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen sowie der historischen Entwicklung dieser Verordnung siehe Huber, RIW 2018, 625 ff.; einen Überblick zur systematischen Einordnung dieser Verordnung im Rahmen der europäischen Zivilverfahren gibt Einhaus, RIW 2018, 631 ff. 137 Wie bei der EG-MahnVO hat der Gemeinschaftsgesetzgeber von einem gleichermaßen reine Inlandsfälle erfassenden Rechtsakt Abstand genommen, vgl. hierzu KOM (2005) 87, 5 ff.; Leible/Staudinger, EuLF (D) 2000/2001, 225, 228. 138 Vgl ErwGr. 38 EG-BagatellVO sowie Art. 2 Abs. 3 EG-BagatellVO. 139 Einen Überblick geben hierzu Brokamp, Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen (2008); Engels, AnwBl. 2008, 51 f.; Fiorini, ICLQ 2008, 449 ff.; Freitag/Leible, BB 2009, 2 ff.; Haibach, EuZW 2008, 137 ff.; Jahn, NJW 2007, 2890 ff.; Kern, JZ 2012, 389 ff.; Kotzur, GPR 2014, 98 ff.; McEleavy, ICLQ 2008, 449 ff.; Schimrick, NJ 2008, 491 ff.; Sujecki, ZRP 2014, 84 ff. sowie Varga in dieser Kommentarreihe. 140 Zu den Durchführungsvorschriften §§ 1097–1109 ZPO des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BTDrucks. 16/8839 vom 16.4.2008) siehe die Pressemitteilung des BMJ vom 30.1.2008; vgl. auch Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305 ff.; Sujecki, EuZW 2008, 417. Beachte nunmehr auch das Gesetz zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung vom 30.10.2008, BGBl. 2008 I 2122 ff.; hierzu Vollkommer/Huber, NJW 2009, 1105 ff. 141 Das Verfahren nach billigem Ermessen ist nach § 495a S. 1 ZPO allein bis zu einem Streitwert von sechshundert Euro zulässig.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung in Art. 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 der Verordnung eingreift. Über die Brüssel Ia-VO hinaus bleibt etwa das Arbeitsrecht ausgenommen.142 Die gemäß Art. 5 Abs. 1 EG-BagatellVO grds. schriftlich durchzuführenden Bagatellverfahren werden europaweit durch ein einheitliches Antragsformular beim zuständigen Gericht143 eingeleitet (Art. 4 EG-BagatellVO), ohne dass ein Anwaltszwang bestünde (Art. 10 EG-BagatellVO). Das Gesuch ist innerhalb von 14 Tagen nach Eingang des Klageformblatts abzusenden und dem Beklagten zuzustellen (Art. 5 Abs. 2 EG-BagatellVO), der Gegner muss hierauf binnen 30 Tagen antworten (Art. 5 Abs. 3 EG-BagatellVO). Innerhalb weiterer 30 Tage144 erlässt das Gericht – sofern sämtliche Entscheidungsgrundlagen vorliegen145 – ein Urteil. Um die Beitreibung geringfügiger Forderungen zu beschleunigen, ist die Entscheidung darüber hinaus – unbeschadet eines etwaigen Rechtsmittels146 – sofort vollstreckbar, und zwar über § 708 Nr. 11 ZPO hinaus ohne Sicherheitsleistung (Art. 15 Abs. 1 EG-BagatellVO). Sollte eine Partei das Urteil angefochten oder eine Überprüfung nach Art. 18 EGBagatellVO beantragt haben, kann das Vollstreckungsverfahren jedoch auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt und von einer zu leistenden Sicherheit abhängig gemacht werden (Art. 23 EG-BagatellVO). Nach Art. 20 EG-BagatellVO ist die Entscheidung schließlich in jedem anderen Mitgliedstaat ohne eine Anfechtungsmöglichkeit automatisch anzuerkennen und ohne ein vorangehendes Exequatur zu vollstrecken.147 Die Vollstreckung selbst unterliegt dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats; ein im Zuge des europäischen Bagatellverfahrens ergangenes Urteil ist insoweit mit einer im Vollstreckungsstaat erlassenen Entscheidung gleich zu behandeln (Art. 21 Abs. 1 EG-BagatellVO). Dies setzt voraus, dass der Antragsteller eine Ausfertigung des Urteils sowie eine Bestätigung i.S.v. Art. 20 Abs. 2 EG-BagatellVO vorlegt (Art. 21 EG-BagatellVO) und die Vollstreckung nicht ausnahmsweise nach Art. 22 EG-BagatellVO abzulehnen ist. Die Kommission hat im November 2013 einen Vorschlag zur Reform der EU-Mahn- sowie EU-BagatellVO vorgestellt.148 In diesem Zusammenhang erließ der supranationale Gesetzgeber schließlich am 16.12.2015 eine Änderungsverordnung.149 Eine der wichtigsten Anpassungen stellt dabei die Anhebung der Streitwertgrenze von 2.000 auf 5.000 Euro dar. Diese Neuregelung bezweckt insbesondere den Schutz auch mittelständischer Unternehmen. 6d
In der Zukunft dürfte die Bedeutung konsensualer Titel im Binnenmarkt noch weiter zunehmen. Die in Deutschland insbesondere mit der ZPO-Reform150 angestrebte stärkere Institutionalisierung des Schlichtungsgedankens entspricht einer allgemeinen Entwicklung im Binnenmarkt.151 Im Auftrag
142 Art. 2 Abs. 2 lit. f EG-BagatellVO auf die Brüssel I-VO Bezug nehmend. 143 Die internationale Zuständigkeit beurteilt sich nach der Brüssel Ia-VO; vgl. Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 311; Jahn, NJW 2007, 2890, 2893. 144 Vgl Art. 7 Abs. 1 EG-BagatellVO. 145 Andernfalls fordert das Gericht weitere Auskünfte von den Parteien ein, ordnet eine Beweisaufnahme an oder lädt zu einer mündlichen Verhandlung ein, Art. 5 Abs. 1 EG-BagatellVO. 146 Art. 17 Abs. 1 EG-BagatellVO zufolge steht es den Mitgliedstaaten frei, ein Rechtsmittel gegen ein unter dem Regime der Harmonisierungsmaßname ergangenes Urteil vorzusehen. In Deutschland findet ab einem Beschwerdewert über 600 Euro die Berufung (§§ 511 ff. ZPO) und im Falle ihrer Zulassung die Revision (§§ 542 ff. ZPO) statt; vgl. Jahn, NJW 2007, 2890, 2894. Darüber hinaus sieht Art. 18 EG-BagatellVO eine für alle Mitgliedstaaten verbindliche Sonderregel für die Überprüfung von Urteilen vor. 147 Kritisch zur Abschaffung des ordre public-Vorbehalts Sujecki, ZEuP 2008, 458 ff. 148 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, KOM (2013) 794; s. hierzu Huber, GPR 2014, 242 ff. 149 Verordnung (EU) 2015/2421 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. EU 2015 L 341/1 ff. 150 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001, BGBl. 2001 I 1887 ff. 151 Siehe hierzu auch Mayr/Weber, ZfRV 2007, 163 ff.; Stürner in Breidenbach u.a. (Hrsg.), Konsensuale Streitbeilegung (2001) 5, 10 f.; siehe auch Kayser, Alternative Formen gerichtlicher und außergerichtlicher Streitbeilegung im deutschen und französischen Zivilprozess (2006).
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der Kommission hatte die Storme-Kommission152 bereits im Jahre 1993 ein Modellgesetz vorgelegt, das gemeineuropäische prozessuale Grundsätze enthielt.153 Der Entwurf sah in der gerichtlichen Vergleichsförderung eine gemeinsame Verfahrenstradition. Die Kommission hat ferner zwei Empfehlungen154 für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten verabschiedet und ein Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht vorgelegt.155 Dem ist ein Richtlinienvorschlag hinsichtlich Mediationsverfahren156 gefolgt. Die nunmehr am 21.5.2008 erlassene EG-MediationsRL157 dient dem Ziel, den Unionsbürgern einen leichteren Zugang zur Streitschlichtung zu ermöglichen und die gütliche Beilegung von Streitigkeiten zu fördern.158 Der Sekundärrechtsakt159 erstreckt sich räumlich-territorial auf den gesamten Binnenmarkt mit Ausnahme Dänemarks,160 erfasst alle grenzüberschreitenden161 Zivil- und Handelssachen162 und war von den Mitgliedstaaten bis zum 21.5.2011 umzusetzen.163 Der Umsetzungspflicht kam Deutschland nach mit dem Erlass des Mediationsgesetzes,164 welches am 26.7.2012 in Kraft getreten ist.165 Die Harmonisierungsmaßnahme regelt die Mediation nicht umfassend, sondern enthält vielmehr Begriffsdefinitionen (Art. 3 EG-MediationsRL) sowie allgemeine Aussagen zur Sicherung von Qualitätsstandards (Art. 4 EG-MediationsRL).166 Ausgenommen bleiben etwa Vorschriften über das Mediationsverfahren als solches sowie die Benennung und Zulassung von Mediatoren.167 152 Storme (Hrsg.), Rapprochement du Droit Judiciare de l’Union européenne (1994). 153 Inwieweit dieses Reformprojekt angesichts des neuen Kompetenztitels in den Art. 61 ff. des Amsterdamer Vertrags revitalisiert wird, bleibt abzuwarten; zur Angleichung des Zivilprozessrechts siehe Kerameus, RabelsZ 66 (2002), 1 ff.; Kerameus in Arbeitsdokument des Europäischen Parlamentes, Reihe Rechtsfragen, Juri 103 DE, 10 – 1999, 85 ff.; siehe auch Storme, Uniform Law Review 2001-4, 763 ff.; Tarzia, Riv. dir. int. priv proc 2001, 869 ff.; siehe in diesem Zusammenhang auch Schelo, Rechtsangleichung im Europäischen Zivilprozessrecht (1999). 154 Empfehlung der Kommission vom 30.3.1998 betreffend die Grundsätze für Einrichtungen, die für die außergerichtliche Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten zuständig sind, ABl. EG L 115/31 ff.; Empfehlung der Kommission vom 4.4.2001 über die Grundsätze für an der einvernehmlichen Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten beteiligte außergerichtliche Einrichtungen, ABl. EG L 109/56 ff.; siehe in diesem Zusammenhang auch die Mitteilung der Kommission zur „Erweiterung des Zugangs der Verbraucher zur alternativen Streitbeilegung“ vom 4.4.2001, KOM (2001) 161. 155 Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht vom 19.4.2002, KOM (2002) 196; zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Empfehlung aus dem Jahre 1998 sowie dem Grünbuch siehe KOM (2002) 196, 30 Fn. 30. 156 KOM (2004) 718. 157 Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2008 L 136/3 ff. 158 Vgl Art. 1 Abs. 1 EG-MediationsRL, EuGH v. 14.6.2017 – C-75/16 – Livio Menini u.a. vs. Banco Popolare Società Cooperativa, EuZW 2017, 736 ff. m. Anm. Ulrici. 159 Hierzu allgemein Eidenmüller/Prause, NJW 2008, 2738 ff.; Wagner/Thole, ZKM 2008, 36 ff.; Wagner/Thole, FS Kropholler (2008) 915 ff.; Wozniewski, NZG 2008, 410 ff.; unter Berücksichtigung des Gesetzgebungsverfahrens Lahann, ZEuS 2008, 359 ff. 160 Siehe Art. 1 Abs. 3 EG-MediationsRL. 161 Demgegenüber erfasste der Richtlinienvorschlag auch inländische Sachverhalte; dies erschien im Hinblick auf den Kompetenztitel nicht frei von Bedenken; siehe insofern die Ausführungen von Leible/Staudinger, EuLF (D) 2000/2001, 225, 228. Vgl auch den Vermerk für den Ausschuss für Zivilrecht, Rat der EU, 29.7.2005, 11523/05, Fn. 1. In ErwGr. 8 der EG-MediationsRL stellt der Gemeinschaftsgesetzgeber ausdrücklich klar, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, den Rechtsakt auch auf reine Inlandsfälle zu erstrecken. 162 Die Harmonisierungsmaßnahme enthält keinen Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO vergleichbaren Ausnahmekatalog. Demnach erfasst die EG-MediationsRL etwa auch Familiensachen, hinsichtlich derer eine Vollstreckung der Vereinbarung gem. Art. 6 Abs. 1 S. 2 EG-MediationsRL versagt bleibt, wenn die Parteien über einen nicht disponiblen Anspruch verfügen möchten (vgl. Art. 1 Abs. 2 S. 1 EG-MediationsRL). 163 Vgl Art. 12 Abs. 1 EG-MediationsRL; zur Umsetzung siehe Hess, Mediation und andere Formen konsensualer Streitbeilegung, Gutachten zum 67, Juristentag 2008 (2008); Prütting, JZ 2008, 847 ff. 164 Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vom 21.7.2012, BGBl. 2012 I 1577 ff.; s. hierzu Ahrens, NJW 2012, 2465 ff.; Hage/Michaelis, ZfV 2013, 89 ff.; Horstmeier, JR 2012, 1 ff.; Prütting, AnwBl. 2012, 796 f.; Schekahn, JR 2013, 53 ff. 165 Gemäß Art. 9 des Mediationsgesetzes. 166 Hauser, SchiedsVZ 2015, 89 ff. 167 Siehe KOM (2004) 718, 2; beachte hierzu das erläuternde Arbeitspapier der Kommission SEC (2004) 1314.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung Dem Gemeinschaftsrechtsakt liegt ein weiter Mediationsbegriff zugrunde,168 wonach die Streitparteien mit Hilfe eines Mediators auf freiwilliger Basis selbst versuchen, eine Vereinbarung über die Beilegung ihrer Streitigkeiten zu erzielen.169 Unter Berücksichtigung von ErwGr. 11 EG-MediationsRL der Harmonisierungsmaßnahme unterfallen weder obligatorische Schlichtungsverfahren vor anerkannten Gütestellen (vgl. § 15a EGZPO) noch schiedsrichterliche Schlichtungsverfahren dem Rechtsakt. Ebenso sind Bemühungen des angerufenen Gerichts zur Streitbeilegung nicht eingeschlossen, wohingegen die Mediation durch einen Richter außerhalb seiner Zuständigkeit dem Sekundärrechtsakt unterfällt.170 Während Art. 5 Abs. 1 S. 1 EG-MediationsRL dem Richter die Möglichkeit einräumt, den Parteien eine außergerichtliche Streitschlichtung vorzuschlagen, was sich mit § 278 Abs. 5 S. 2 ZPO deckt,171 geht Art. 5 Abs. 1 S. 2 EG-MediationsRL über das deutsche Recht hinaus. Hiernach kann der zuständige Richter die Parteien nämlich dazu auffordern, eine Informationsveranstaltung über Mediation zu besuchen.172 Ferner beinhaltet die Harmonisierungsmaßnahme Vorgaben über die Vertraulichkeit der Mediation (Art. 7 EG-MediationsRL)173 sowie die Auswirkungen der Mediation auf die Verjährungsfristen (Art. 8 EG-MediationsRL). Auf den letzten Aspekt bezogen erscheint das deutsche Recht – §§ 203, 204 Abs. 1 Nr. 1, 4 BGB – bereits de lege lata im Einklang mit dem zukünftigen gemeinschaftsrechtlichen Standard zu stehen.174 Dies gilt wohl ebenso im Hinblick auf die Vorgabe in Art. 6 Abs. 1 EG-MediationsRL. Hiernach müssen alle Mitgliedstaaten sicherstellen, dass der Inhalt einer im Mediationsverfahren erzielten schriftlichen Vereinbarung auf Antrag vollstreckbar gemacht wird. Im deutschen Recht bestehen insofern als denkbare Vollstreckungstitel der protokollierte (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder schriftsätzliche Prozessvergleich (§ 278 Abs. 6 ZPO175), der vom Prozessgericht oder Notar für vollstreckbar erklärte Anwaltsvergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 4b ZPO) sowie die notarielle Urkunde (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Keine Antwort gibt die Richtlinie indes auf die Frage, ob den zuvor genannten Titeln auch im Rahmen der Brüssel I-VO – und nun auch mit Geltung für die Brüssel Ia-VO – die Qualität eines in einem anderen Mitgliedstaat (mit Ausnahme Dänemarks) anzuerkennenden bzw. zumindest für vollstreckbar zu erklärenden Titels zukommt. Zweifel sind insbesondere im Hinblick auf den Anwaltsvergleich angezeigt. Dieser genießt als solcher im Rahmen der Brüssel I-VO nicht die Qualität eines Vollstreckungstitels. Ebenso wenig ist der in § 794 Abs. 1 Nr. 4b ZPO aufgeführte gerichtliche bzw. notarielle Beschluss als Entscheidung im Sinne des Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO einzustufen.176 Denn weder der gerichtliche noch der notarielle Beschluss erwachsen in Bezug auf das (Fort-)Bestehen des titulierten Anspruchs in materielle Rechtskraft. Der Gegenstand des Verfahrens vor dem Gericht bzw. Notar erschöpft sich vielmehr in der Vollstreckbarerklärung des Anwaltsvergleichs. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO erfasst jedoch allein Entscheidungen in der Sache. Die zuvor genannten Beschlüsse sind indes wohl als öffentliche Urkunden gemäß Art. 58 Brüssel Ia-VO zu behandeln. Dies gilt ebenso für Vergleiche, die vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle im Rahmen obligatorischer (beachte § 15a EGZPO177) oder freiwilliger Konfliktlösung geschlossen 168 169 170 171 172
173 174 175 176
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Vgl Mähler/Kerntke, ZKM 2004, 151, 154. Art. 3 lit. a S. 1 EG-MediationsRL. Art. 3 lit. a S. 3, 4 EG-MediationsRL. Demgegenüber weitere gesetzliche Maßnahmen befürwortend Wagner/Thole, FS Kropholler (2008) 915, 925. Zum insoweit bestehenden Umsetzungsbedarf siehe Wagner/Thole, ZKM 2008, 36, 37 f. Siehe insoweit § 135 Abs. 1 FamFG (Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008, BGBl. 2008 I 2586 ff.); der Bundesrat hat dem Gesetz am 19.9.2008 zugestimmt (vgl. BR-Drucks. 617/08), so dass es nach Art. 112 Abs. 1 FamFG am 1.9.2009 in Kraft getreten ist. Beachte auch den Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/ 063/1606308.pdf. Zum Zeugnisverweigerungsrecht des Mediators nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO siehe Zöller/Greger, § 383 ZPO Rz. 20. Siehe auch Wagner/Thole, ZKM 2008, 36, 39. Hierzu Koch, NJ 2005, 97 ff. Anders noch zur Brüssel I-VO Eidenmüller, SchiedsVZ 2005, 124, 128 f. Seiner Ansicht nach ist bereits Art. 32 Brüssel I-VO (nun Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO) einschlägig; ebenso Geimer/Schütze/Tschauner, Art. 57 Rz. 6 Brüssel I-VO.
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werden.178 Ferner erließ der europäische Gesetzgeber am 21.5.2013 die AS-RL179, welche von den Mitgliedstaaten bis zum 9.7.2015 umzusetzen war. Die EG-Mediations-RL ist neben der AS-RL anwendbar.180 Mediation und AS-Verfahren unterscheiden sich darin, dass es sich bei Letzterem um einen standardisierten Vorgang handelt, während das Mediationsverfahren181 einen meist längeren Kommunikationsprozess der Parteien erfordert.182 Die AS-RL eröffnet dem Verbraucher die Möglichkeit, bei unabhängigen, transparenten, unparteiischen Stellen ein schnelles und faires AS-Verfahren gegen den Unternehmer durchzuführen, Art. 2 AS-RL.183 Um dieses Anliegen zu erreichen, sollen Konsument und Unternehmer über das AS-Verfahren informiert und einheitlichen Qualitätsanforderungen in der gesamten Union durchgesetzt werden.184 Art. 2 AS-RL definiert den Geltungsbereich der Richtlinie. Umfasst sind gem. Absatz 1 Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von inländischen und grenzübergreifenden Streitigkeiten über vertragliche Verpflichtungen aus Kauf- oder Dienstleistungsverträgen zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmen, soweit beide Parteien ihren Sitz in der Union haben.185 Kapitel II (Art. 5–12 AS-RL) des Unionsrechtsakts bestimmt die Regelungen über den Zugang zu und Anforderungen an AS-Stellen und AS-Verfahren. Dem Verbraucher soll nach Art. 5 Abs. 1 AS-RL der Zugang zu AS-Verfahren erleichtert werden und zudem ist dafür Sorge zu tragen, dass die unter diese Richtlinie fallenden Streitigkeiten einer AS-Stelle vorgelegt werden können. Einen Katalog von möglichen Zugangsschranken enthält Art. 5 Abs. 4 AS-RL. Insoweit kann es etwa AS-Stellen erlaubt werden, die Bearbeitung einer Beschwerde abzulehnen, wenn die Streitigkeit mutwillig oder schikanös erscheint (lit. b), bereits von einer anderen AS-Stelle oder einen Gericht behandelt wird (lit. c) oder unter/über einem im Voraus festgelegten Schwellenbetrag liegt (lit. d). Die weiteren Vorschriften des Kapitels verhalten sich zu den Anforderungen an die ASStellen. Hierzu zählt etwa Art. 6 Abs. 1 AS-RL, wonach die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen haben, dass die mit dem AS-Verfahren betrauten natürlichen Personen über das erforderliche Fachwissen verfügen, unabhängig und unparteiisch sind. Hinsichtlich der nötigen Fachkunde genügen ausreichende allgemeine Rechtskenntnisse, hingegen ist keine Qualifikation für den Berufsstand des Juristen erforderlich, ErwGr. 36 AS-RL. Ferner enthalten die weiteren Kapitel Vorschriften zur Information und Kooperation (Kapitel III) sowie der Rolle der zuständigen Behörden und der Kommission (Kapitel IV). Am 19.2.2016 erließ die hiesige Legislative das Transformationsgesetz (nachfolgend VSBG).186 Im ersten Abschnitt des Gesetzes sind der Anwendungsbereich (§ 1 VSBG) sowie die Verbraucherschlichtungsstellen (§ 2 VSBG) definiert. Vorschriften für die privaten Verbraucherschlich177 Hierzu BGH, NJW-RR 2005, 501 ff.; NJW 2005, 437 ff.; zu beiden Entscheidungen: Bitter, NJW 2005, 1235 ff. 178 Vgl zu den vorangehenden Ausführungen Art. 58 Rz. 15 ff.; Art. 59 Rz. 9 f. jeweils m.w.N. 179 Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. L 165 v. 18. Juni 2013, S. 63 ff.; dazu Berlin, ZKM 2013, 108 ff.; Hakenberg, EWS 2014, 181 ff.; Hirsch, NJW 2013, 2088 ff.; Hirsch, VuR 2014, 205; Wagner, NJW 2013, 2088; kritisch Eidenmüller/Engel, ZIP 2013, 1704 ff.; mit Blick auf die Fluggastrechte-VO Berlin, RRa 2014, 210 ff.; bzgl. der Auswirkungen auf das Reiserecht Tonner, RRa 2014, 234 ff. 180 Art. 3 Abs. 2 AS-RL. 181 Siehe überdies das UN-Übereinkommen über durch Mediation erzielte internationale Vergleichsvereinbarungen, welches am 20.12.2018 verabschiedet wurde. Nach Art. 11 UN-Übereinkommen über durch Mediation erzielte internationale Vergleichsvereinbarungen wurde das Übereinkommen am 7.8.2019 in Singapur und danach am Sitz der Vereinten Nationen in New York zur Zeichnung aufgelegt. Es tritt sechs Monate nach der Hinterlegung der dritten Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde in Kraft, Art. 14 UN-Übereinkommen über durch Mediation erzielte internationale Vergleichsvereinbarungen. Die BRAK befürwortet die Ratifikation des Übereinkommens, da dies den Rechtsstandort Deutschland stärke. 182 Tonner/Berlin, Zur Umsetzung der AS-Richtlinie, S. 16; Fuchs, ZUM 2016, 398 ff.; Kleinschmidt, ZZP 2015, 215 ff. 183 Hierzu Isermann, VuR 2018, 283 ff.; Scheiding, GewArch 2015, 253 ff. 184 ErwGr. 7 AS-RL. 185 Beachte den Ausnahmenkatalog in Art. 2 Abs. 2 AS-RL. 186 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten, BGBl. 2016 I 254 ff.; siehe jüngst OLG Celle, ZKM 2018, 189 f.; hierzu Hatilcik, jurisPR-IWR 6/2018 Anm. 4; Gössl, MDR 2017, 251 ff.; Hakenberg, EWS 2016, 312 ff.; Kotzur, VuR 2015, 243 ff.; Prütting, AnwBl. 2016, 190 ff.; Singbartl/Dziwis/Hageböke, GPR 2017, 13 ff.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung tungsstellen enthält der zweite Abschnitt (§§ 3–10 VSBG; hinsichtlich der Anerkennung dieser Schlichtungsstellen gelten die §§ 24–27 VSBG).187 In diesem finden sich die bestehenden Anforderungen an die Streitmittler, als die im konkreten Fall tätig werdenden Personen (§§ 6 und 7 VSBG). Mit § 6 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 VSBG verlangt das Gesetz, dass der Streitmittler die Befähigung zum Richteramt haben muss.188 Demgegenüber fordert die Richtlinie lediglich ausreichendes Fachwissen (siehe oben). Die Vorgaben für das Verfahren der nach dem VSBG zu errichtenden Stellen finden sich in den §§ 11–23 VSBG (Abschnitt 3). In diesem Abschnitt sind etwa die Ablehnungsgründe in § 14 VSBG (Art. 5 Abs. 4 AS-RL) kodifiziert. Der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgabe aus Art. 8 AS-RL (Effektivität) dient § 20 Abs. 2 VSBG. Demnach sind die Verfahren grundsätzlich innerhalb von 90 Tagen abzuschließen. Mit Eingang der vollständigen Beschwerdeakte beginnt diese Frist zu laufen. Die Informationspflichten des Unternehmers sind in § 36 VSBG (allgemeine) sowie § 37 VSBG (nach Entstehen der Streitigkeit) geregelt. Zudem enthält Abschnitt 9 (§§ 38–40 VSBG) Vorschriften für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Seit dem Inkrafttreten des VSBG am 1.4.2016 erhöhte sich die Anzahl der Verbraucherschlichtungsstellen sowie der Streitbeilegungsverfahren.189 Ferner rechnet der nationale Gesetzgeber vor dem Hintergrund der am 1.11.2018 eingeführten Musterfeststellungsklage190 mit einem weiteren Anstieg. Denn im Anschluss an eine erfolgreiche und rechtskräftige abgeschlossene Musterfeststellungsklage muss der Konsument seinen Anspruch noch der Höhe nach bestimmen und, soweit er keine Einigung mit dem Unternehmer findet, jenen gegebenenfalls individuell durchsetzen. Eine im Vergleich zum Klageweg vor den ordentlichen Gerichten kostengünstige und schnellere Alternative bietet die Verbraucherschlichtung. Dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen ist zu entnehmen, dass nach ersten Erfahrungen mit der Anwendung des VSBG Nachbesserungsbedarf besteht. Insbesondere betrifft dies die Frage, ob neben einem zivilprozessualen Musterfeststellungs- noch ein Streitbeilegungsverfahren durchgeführt werden kann. Diesbezüglich soll in § 14 Abs. 1 VSBG ein weiterer zwingender Ablehnungsgrund für den Fall eingefügt werden, dass sich der Verbraucher mit seinem streitigen Anspruch zur Eintragung in das Klageregister angemeldet hat und die Musterfeststellungsklage noch rechtshängig ist.191 6e
Am 15.4.2004 hat die Kommission ein Grünbuch192 zu „Unterhaltspflichten“ sowie am 15.12.2005 einen Verordnungsvorschlag193 veröffentlicht. Diese vorbereitenden Maßnahmen basierten zwar grds. auf den Schlussfolgerungen von Tampere,194 gingen über diese jedoch inhaltlich hinaus.195 Während Letztere nämlich nur gemeinsame Verfahrensvorschriften insbesondere im Bereich von Unterhaltsansprüchen zum Inhalt hatten, thematisierten die Dokumente der Kommission auch kollisionsrechtliche Fragestellungen. 187 Siehe hinsichtlich behördlicher Verbraucherschlichtungsstellen § 28 VSBG. 188 Alternativ genügt nach § 6 Abs. 2 S. 2 VSBG, dass der Streitmittler zertifizierter Mediator ist. Hierzu krit. Greger, MDR 2016, 365. 189 Vgl RefE eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen v. 23.1.2019. 190 Beachte das europäische Pendant: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, KOM (2018) 184. Der Rechtsakt befindet sich aktuell im Gesetzgebungsverfahren und benötigt noch die Zustimmung des Europäischen Parlaments. Dazu näher Basedow, EuZW 2018, 609 ff.; Domej, ZEuP 2019, 446 ff.; Halfmaier/Rott, VuR 2018, 243 ff.; Lühmann, NJW 2019, 570 ff.; Schneider, BB 2018, 1986, 1987. 191 Vgl § 14 Abs. 1 Nr. 3 VSBG-E-. 192 KOM (2004) 254; hierzu Wagner, FamRZ 2005, 410, 411 f.; Wagner, NJW 2005, 1754, 1757. 193 Vorschlag für eine Verordnung über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten, KOM (2005) 649; hierzu Beyer, FF 2007, 20 ff.; Boele-Woelki/Mom, FPR 2006, 232 ff.; Dörner, IPRax 2006, 550 ff.; Hess/Mack, JAmt 2007, 229 ff.; Gebauer, FPR 2006, 252 ff.; kritisch Linke, FPR 2006, 237 ff.; Strasser, FPR 2007, 451, 455. 194 Siehe auch den Text in NJW 2000, 1925. 195 Zur Entwicklung des Unterhaltsrechts auf europäischer und internationaler Ebene: Looschelders/Boos, FamRZ 2006, 374 ff.; zu den internationalen Rechtsgrundlagen: Faetan, JAmt 2007, 181 ff. sowie Martiny, FamRZ 2008, 1681 ff.; zum neuen Unterhaltskollisionsrecht ferner Lehmann, GPR 2014, 342.
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Nach langwierigen Verhandlungen erließ der Sekundärrechtsgeber schließlich am 18.12.2008 die EGUntVO.196 Ziel des Sekundärrechtsaktes ist es, die Beitreibung von Unterhaltsforderungen zu erleichtern.197 Ein weiteres Anliegen stellt die Abschaffung der bestehenden Rechtsquellenvielfalt198 durch ein harmonisiertes System der Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen dar.199 In Anschluss an Kapitel I, welches den Geltungsbereich200 der Harmonisierungsmaßnahme betrifft und Begriffsbestimmungen201 enthält, regeln die Art. 3–11 EG-UntVO des Kapitels II Fragen der internationalen Zuständigkeit.202 Die Zuständigkeit der Gerichte ist am gewöhnlichen Aufenthalt des Antragsgegners, des Unterhaltsberechtigten oder bei denjenigen Spruchkörpern begründet, vor welchen eine Personenstands- oder Sorgerechtsklage anhängig ist (Art. 3 EG-UntVO). Eine Parallele zu Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO weist Art. 5 EG-UntVO für die rügelose Einlassung auf. Unterhaltsrechtliche Besonderheiten statuiert daneben etwa Art. 4 Abs. 3 EG-UntVO, wonach bei Unterhaltsstreitigkeiten, die Kinder von unter 18 Jahren betreffen, keine Gerichtsstandvereinbarungen zulässig sind. Eine signifikante Abweichung von der Brüssel Ia-VO enthält die allgemeine Zuständigkeitsnorm des Art. 3 EG-UntVO. So schließt der Umstand, dass der Antragsgegner in einem Drittstaat beheimatet ist, nicht die Anwendung des Gemeinschaftsrechts aus.203 Anders noch als im Verhältnis zur Brüssel I-VO regelt die EG-UntVO Unterhaltsstreitigkeiten im Hinblick auf die Brüssel Ia-VO abschließend. Der Art. 1 Abs. 2 lit. e Brüssel Ia-VO nimmt konsequenterweise Unterhaltsstreitigkeiten von ihrem Anwendungsbereich gänzlich aus.204 Zu beachten bleiben in zeitlicher Hinsicht Art. 75205 und 76 EG-UntVO und mithin das Übergangsrecht. Die Art. 16 ff. EG-UntVO beinhalten Vorschriften über die Anerkennung, Vollstreckbarkeit und Vollstreckung von unterhaltsrechtlichen Entscheidungen. Hiernach werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen ungeachtet der Einlegung eines innerstaatlichen Rechtsbehelfs in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar anerkannt und vollstreckt, ohne dass die Anerkennung angefochten werden könnte (Art. 17 EG-UntVO). Nach Vorlage bestimmter Schriftstücke – hierzu zählt u.a. die Ausfertigung der Entscheidung (Art. 20 EG-UntVO) – erfolgt das Vollstreckungsverfahren, welches sich nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats beurteilt (Art. 41 EG-UntVO). Gleichwohl enthält der Sekundärrechtsakt in Art. 21, 42 vorrangige Vorschriften über die Verweigerung oder Aussetzung der Vollstreckung sowie das Verbot der sachlichen Nachprüfung der zu vollstreckenden Entscheidung. Die Anwendung nationalen Rechts scheidet mithin aus, wenn dieses mit den Vorgaben der EG-UntVO unvereinbar ist.206 Der Rechtssicherheit sollte zudem auch die Vereinheitlichung von Kollisionsnormen dienen.207 Jene Vorschriften flankieren nämlich die Abschaffung von Zwischenmaßnahmen im Stadium der An196 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 L 7/1 ff.; hierzu Duncan, Yearbook of Private International Law 10 (2008), 313 ff.; Dutta/Herrler, Die Europäische Erbrechtsverordnung (2014); Finger, FuR 2014, 82 ff.; Kohler/Pintens, FamRZ 2009, 1529 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 8 sowie die Ausführungen Andraein dieser Kommentarreihe. 197 KOM (2005) 649, 3; hierzu Hohloch, FPR 2006, 244 ff.; Linke, FPR 2006, 237 ff.; Strasser, FPR 2007, 451 ff. 198 Zu den insoweit konkurrierenden Staatsverträgen zählen das Haager Übereinkommen vom 2.10.1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (BGBl. 1986 II 826 ff.) sowie das Haager Übereinkommen vom 15.4.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern (BGBl. 1961 II 1006 ff.). 199 KOM (2005) 649, 4. 200 Die Maßnahme erstreckt sich laut Art. 1 Abs. 1 EG-UntVO auf Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts-, oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen. 201 Da Art. 2 EG-UntVO den Begriff der Unterhaltspflicht nicht definiert, bietet es sich insoweit an, das weite Verständnis der Brüssel I-VO bzw. des EuGVÜ heranzuziehen; vgl. Gebauer, FPR 2006, 252, 254; siehe hierzu Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2016), Anh. zu Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 2, 4. 202 Zur Bestimmung des anwendbaren Rechts siehe MünchKommBGB/Staudinger, Art. 15 EG-UntVO. 203 Vgl ErwGr. 15 S. 2 EG-UntVO. 204 Vgl auch ErwGr. 10 Brüssel Ia-VO. 205 Hierzu BGH, NJW 2015, 694. 206 Zum Kommissionsvorschlag siehe Gebauer, FPR 2006, 252, 255. 207 Auch auf kollisionsrechtlicher Ebene existieren mit dem Haager Übereinkommen vom 24.10.1956 über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht sowie dem Haager Übereinkommen
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung erkennung von Unterhaltsentscheidungen und verstärken die Titelfreizügigkeit.208 In Kapitel III enthielt der Kommissionsvorschlag daher ursprünglich Vorschriften über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht. Bereits am 23.11.2007 verabschiedete jedoch die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht unter Beteiligung der Europäischen Gemeinschaft ein Übereinkommen über die internationale Geltendmachung von Unterhaltsleistungen für Kinder und Familienangehörige sowie ein Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht.209 Vor dem Hintergrund jener Bemühungen um eine weltweite IPR-Harmonisierung entschied sich der Sekundärrechtsgeber im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens dazu, auf ein eigenständiges Anknüpfungssystem zu verzichten. Dementsprechend verweist Art. 15 EG-UntVO für die Bestimmung des auf Unterhaltspflichten anwendbaren Rechts – jedenfalls für die durch das Haager Protokoll gebundenen Mitgliedstaaten210 – auf jene Rechtsquelle. Das Haager Unterhaltsübereinkommen trat am 1.8.2014 in Kraft und ermöglicht nun die Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen auch außerhalb der Europäischen Union. Zu den Vertrags- gehören neben den 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union bisher Albanien, Bosnien-Herzegowina, Norwegen sowie die Ukraine. Aufgrund der Ratifikation durch die EU ist jedoch davon auszugehen, dass weitere Staaten zeitnah dem Übereinkommen beitreten werden.211 Mit Blick auf diese Mehrspurigkeit des Kollisionsrechts differenziert der Sekundärrechtsakt hinsichtlich seiner anerkennungs- und vollstreckungsrechtlicher Vorschriften in Kapitel IV zwischen Entscheidungen, die auf Grundlage des HUntStProt ergangen sind, und solchen, denen andere Kollisionsnormen zugrunde liegen.212 Während im ersten Fall die bereits dargestellte unmittelbare Anerkennung und Vollstreckung einschlägig ist (Art. 17–22 EG-UntVO), greift in den letztgenannten Konstellationen nur das verschlankte Exequaturverfahren der Art. 23 ff. EG-UntVO Platz. Hiernach wird ein in einem Mitgliedstaat ergangenes Urteil in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn es auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden ist (Art. 26 EG-UntVO). Zudem kann die Vollstreckbarerklärung nach Einlegung eines Rechtsbehelfs durch den Unterhaltsschuldner aufgrund eines Anerkennungsversagungsgrundes213 aufgehoben werden (Art. 34 EG-UntVO). In Bezug auf Europäische Vollstreckungstitel über Unterhaltspflichten, die nicht in einem an das HUntStProt gebundenen Staat ausgestellt wurden, verbleibt es darüber hinaus gem. Art. 68 Abs. 2 EG-UntVO bei der Anwendbarkeit der EG-VollstrTitelVO. 6f
Erwähnenswert ist ferner die am 27.1.2003 verabschiedete EG-PKH-RL,214 welche einen erleichterten Zugang des Antragstellers zur Prozesskostenhilfe sicherstellen soll. Die Harmonisierungsmaßnahme erstreckt sich nach Art. 1 Abs. 3 EG-PKH-RL räumlich-territorial auf den Binnenmarkt mit Ausnahme Dänemarks. Die Vorgaben der Harmonisierungsmaßnahme mussten – abgesehen von einem Sonderfall215 – bis zum 30.11.2004 in das jeweilige innerstaatliche Recht transformiert werden.216 Der
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vom 2.10.1973 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht zwei konkurrierende Staatsverträge; hierzu Wagner, FamRZ 2006, 979 ff. KOM (2005) 649, 5, 6. Die Texte sind auf der Seite der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht einsehbar: http://www. hcch.net/index_en.php?act=conventions.listing; hierzu: Bonomi, Yearbook of Private International Law 10 (2008), 333 ff.; Fucik, iFamZ 2008, 90 ff.; Ring, FPR 2013, 16 ff.; Nohe, FPR 2013, 31 ff.; MünchKommBGB/ Staudinger, Art. 15 EG-UntVO sowie die Bearbeitung von Andrae in dieser Kommentarreihe; zu der Konkurrenz zwischen der Harmonisierungsmaßnahme und dem von der Haager Konferenz verabschiedeten Rechtsakt: Andrae, FPR 2008, 196 ff.; Janzen, FPR 2008, 218 ff.; zum Verhältnis des Übereinkommens zur EGUntVO Finger, FuR 2014, 82 ff.; zur Rolle der USA in Bezug auf das Übereinkommen Turetsky, JAmt 2013, 375 ff. Eingehend zur internationalen Durchsetzung von Unterhaltsforderungen: Hau, FamRBint 2012, 19 ff. Siehe Pressemitteilung des BMJ vom 1.8.2014, einsehbar: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/ DE/2014/20140801_Unterhaltsabkommen.html; beachte dazu auch Lehmann, GPR 2014, 342. Kritisch Kohler/Pintens, FamRZ 2009, 1529, 1530 f. Art. 24 EG-UntVO führt u.a. den ordre public – Vorbehalt als Anerkennungsversagungsgrund fort. RL 2003/8/EG zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen vom 27.1.2003, ABl. EG L 26/41 ff.; berichtigt im ABl. EG 2003 L 32/15; zu diesem Sekundärrechtsakt Mankowski, RIW 2004, 587, 588; Jastrow, MDR 2004, 75 ff.; speziell mit Blick auf Familiensachen Motzer, FamRBint 2008, 16 ff. Eine vorprozessuale Rechtsberatung im Hinblick auf außergerichtliche Streitigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 lit. a EG-PKH-RL musste spätestens zum 30.5.2006 im nationalen Recht berücksichtigt werden.
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Einleitung
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deutsche Gesetzgeber ist diesem Gebot – wenn auch verspätet217 – durch das EG-Prozesskostenhilfegesetz vom 15.12.2004218 nachgekommen. Der Regelungsbereich des Sekundärrechtsakts erfasst gemäß Art. 1 Abs. 2 EG-Prozesskostenhilfegesetz im Einklang mit der Brüssel Ia-VO allein Zivilsachen. Ausgenommen bleiben Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Abweichend von der Brüssel Ia-VO sind demgegenüber etwa familien- und insolvenzrechtliche Verfahren einbezogen.219 Die Harmonisierungsmaßnahme beschränkt sich auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe, lässt hingegen reine Inlandsfälle unberührt. Eine Streitigkeit mit grenzüberschreitendem Bezug liegt nach Art. 2 EG-PKH-RL vor, wenn der Antragsteller seinen Wohnsitz220 bzw. gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig in einem anderen als dem Gerichtsstaat hat.221 Maßgeblich ist laut Art. 2 Abs. 3 EG-PKH-RL der Zeitpunkt der Antragstellung. Art. 3 Abs. 1 EG-PKH-RL bezieht dabei lediglich natürliche, nicht indes juristische Personen ein. Begrifflich erstreckt sich die Prozesskostenhilfe im Sinne der EG-PKH-RL von vorprozessualer Beratungshilfe,222 über den Rechtszug bis hin zur Titelvollstreckung.223 Der Gemeinschaftsgesetzgeber sieht ferner neben der Befreiung von Gerichtskosten ausweislich des Art. 7 EG-PKH-RL die Übernahme etwaiger Dolmetscher-, Übersetzungsund Reisekosten vor.224 Das Gesuch wird in der Regel225 bei einer deutschen Übermittlungsstelle226 eingereicht,227 welche dieses auf Ordnungsgemäßheit, Vollständigkeit sowie dahingehend prüft, ob der Antrag offensichtlich unbegründet ist oder nicht dem Regelungsbereich der Harmonisierungsmaßnahme unterliegt.228 Nach einer amtswegigen Übersetzung des Antrags und der begleitenden Dokumente sendet die Übermittlungsstelle das Gesuch an die ausländische229 Empfangsstelle.230 Die hierdurch anfallenden fi-
216 Art. 21 Abs. 1 S. 1 HS 1 EG-PKH-RL; siehe hierzu Jastrow, MDR 2004, 75. 217 Das Umsetzungsgesetz ist nach seinem Art. 9 am 21.12.2004 in Kraft getreten. 218 Gesetz zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EG-Prozesskostenhilfegesetz) vom 15.12.2004, BGBl. 2004 I 3392 ff.; siehe vor allem die §§ 1076–1078 ZPO. Beachte auch die Prozesskostenhilfebekanntmachung 2007 vom 11.6.2007, BGBl. 2007 I 1058. Über die PKH-RL hinaus hat der Gesetzgeber im Zuge der Transformation § 116 S. 1 Nr. 2 ZPO auf juristische EG-Personen und parteifähige Vereinigungen erstreckt, die in einem anderen Mitgliedstaat oder EWR-Staat gegründet wurden und dort ansässig sind. Die bisherige Regelung war mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot in Art. 12 Abs. 1 EG sowie Art. 48 EG unvereinbar. 219 Vgl Jastrow, MDR 2004, 75. 220 Nach Art. 2 Abs. 2 EG-PKH-RL gilt insofern Art. 59. 221 Siehe Art. 2 EG-PKH-RL. 222 Dies gilt für den Fall, dass diese die außergerichtliche Streitbeilegung fördert; beachte auch Art. 10 EG-PKHRL. Nach § 15a Abs. 2 S. 2 EGZPO besteht insoweit keine Zwangsschlichtung in grenzüberschreitenden Sachverhalten. 223 Die RL bezieht nach ihrem Art. 11 EG-PKH-RL die Vollstreckung öffentlicher Urkunden ein; dies betrifft im deutschen Recht mithin § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO; vgl. allgemein zur Titelvollstreckung Jastrow, MDR 2004, 75, 76. 224 Vgl BAG NJW 2017, 3741 f.; LAG Nürnberg, BeckRS 2017, 126999 m. Anm. Hansens, RVGreport 2018, 76 ff. 225 Der Antragsteller kann sich nach Art. 13 Abs. 1 lit. b EG-PKH-RL auch unmittelbar im Ausland an die Empfangsbehörde wenden; vgl. EuGH v. 26.7.2017 – C-670/15 – Sˇalplachta, RIW 2017, 693 ff. m. Anm. Padé, jurisPR-SozR 6/2018 Anm. 1; vorgehend BAG, RIW 2016, 459; BGH, BeckRS 2018, 16381. 226 Zuständig ist nach § 1077 Abs. 1 S. 1 ZPO vom Grundsatz her das Amtsgericht in dessen Bezirk der Antragsteller seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. 227 Der Antrag auf grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe sowie deren Übermittlung erfolgt auf der Grundlage zweier Formblätter; siehe Art. 16 EG-PKH-RL sowie § 1077 Abs. 2 ZPO und die EG-Prozesskostenhilfevordruckverordnung (EG-PKHVV) vom 21.12.2004, BGBl. 2004 I 3538 ff.; siehe auch Lauda, EuZW 2005, 99. 228 Beachte Art. 6 Abs. 1, 13 Abs. 3 EG-PKH-RL; § 1077 Abs. 3 S. 1 ZPO. 229 Die zuständige Empfangsstelle im Ausland lässt sich einem Handbuch der Europäischen Kommission bzw. dem Internet entnehmen. Beachte darüber hinaus das Gerichtsverzeichnis für eine Reihe von Sekundärrechtsakten, das in dem Europäischen Justiziellen Atlas in Zivilsachen eingestellt ist; siehe hierzu Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Staudinger, Handbuch der Europäischen Rechtspraxis § 22 Fn. 792; vgl. auch Rz. 6g. 230 Siehe Jastrow, MDR 2004, 75, 76.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung nanziellen Belastungen trägt entsprechend Art. 8 EG-PKH-RL der Wohnsitzstaat.231 Die Entscheidung darüber, ob dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu gewähren ist oder nicht, obliegt nach Art. 12 EG-PKH-RL der zuständigen Empfangsbehörde im Mitgliedstaat des Gerichtsstands. Eine Besonderheit besteht darin, dass hinsichtlich der Entscheidung über das Gesuch die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den jeweiligen EU-Ländern Berücksichtigung finden.232 Der Antragsteller muss jedoch die ungleichen Bedingungen beispielsweise durch Statistiken oder Nachweise über die inländische Gewährung von PKH belegen.233 Die Gerichtskosten sowie diejenigen nach Art. 7 EGPKH-RL sind gemäß Art. 8 EG-PKH-RL und Art. 12 EG-PKH-RL vom Forumstaat zu tragen. Denkbar ist es ebenso, dass ein Ersuchen einer ausländischen Übermittlungsstelle bei einem deutschen Gericht als Empfangsstelle eingeht. Im Einklang mit Art. 6 Abs. 2 EG-PKH-RL entscheidet das Prozess- oder Vollstreckungsgericht über das Ersuchen laut § 1078 Abs. 1, 2 ZPO nach Maßgabe der §§ 114 bis 116 ZPO. In weitgehender Übereinstimmung mit § 119 Abs. 1 ZPO schreibt § 1078 Abs. 4 ZPO eine Überprüfung der Bewilligung – unter Einschluss der Erfolgsaussichten – in jedem Rechtszug vor. 6g
Hinzuweisen ist zudem auf eine Entscheidung des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen.234 Dieses dient unter anderem dem Dialog zwischen Justizangehörigen sowie dem Ziel, die Öffentlichkeit über die Zusammenarbeit sowie die Justizsysteme in den einzelnen Mitgliedstaaten zu informieren. Praxisrelevanz kommt schließlich der Verordnung über Aktivitäten zur Erleichterung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen zu, welche die Basis für den „Europäischen Gerichtsatlas“235 bildet.236 Diese seit März 2004 in allen Amtssprachen der EU im Internet abrufbare Datenbank enthält Angaben vor allem bzgl. der zuständigen Gerichte für die Zustellung, Beweisaufnahme sowie Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen. In einem neuen Vorschlag plant die Kommission nunmehr eine Änderung des Netzes durch die Schaffung eines neuen Rechtsrahmens und die Bewilligung zusätzlicher Mittel.237 Auch der Rat veröffentlichte eine Entschließung über die Errichtung eines Netzes für die legislative Zusammenarbeit der Justizministerien der Mitgliedstaaten der Europäischen Union.238 Hiernach soll ein Netz von Justizministerien einen wirksamen Zugang zu den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften gewährleisten und insbesondere auf Anfrage entsprechende Informationen bereitstellen.
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Zudem wird der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union weitreichende Folgen für das Europäische Zivilverfahrensrecht haben. Den Grundstein des sogennanten Brexit legte das Referendum am 23.6.2016. Es stellt sich mithin die Frage, welche Rechtsquelle zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Sachverhalten maßgeblich ist. Die europäischen Rechtsinstrumente fallen mit dem Ablauf der Übergangsfrist239 im Verhältnis zum Vereinigten Königreich fort.240 Nach Durchführung des Brexit verfolgt das Vereinigte Königreich innerstaatlich den Weg, das bislang direkt anwendbare EU- in nationales Recht zu überführen und nicht ersatzlos aufzuheben.241 Zwar tritt die Brüssel Ia-VO zum Zeitpunkt des Austritts ipso iure im Verhältnis zum Vereinigten Königreich außer Kraft, dennoch würde dieser Rechtsakt sowie die zu ihm ergangene EuGH-Judikatur in britisches Zivilprozessrecht gegossen. Die genaue Inkorporierung des anwendbaren EU-Rechts erscheint jedoch nicht absehbar. Zudem mag auf Bedenken stoßen, dass die 231 232 233 234 235 236 237 238 239
Beachte Art. 13 Abs. 6 EG-PKH-RL. Siehe Art. 5 Abs. 4 EG-PKH-RL bzw. § 1077 Abs. 6 und § 1078 Abs. 3 ZPO. Vgl Jastrow, MDR 2004, 75, 77. ABl. EG 2001 L 174/25 ff.; zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndE 568/2009/EG ABl. EU 2009 L 168, 35. Abrufbar unter: https://e-justice.europa.eu/content_european_judicial_atlas_in_civil_matters-321-de.do. Zum Ausbau des Justiziellen Netzes siehe Wagner, IPRax 2005, 494, 496. Vgl KOM (2008) 380; siehe auch, EuZW 2008, 450. ABl. EU 2008 C 326/1 f. Vgl Art. 50 Abs. 3 EUV; siehe den Entwurf des Austrittsabkommens: Draft Agreement on the withdrawal of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland from the European Union and the Eurpean Atomic Energy Community, as agreed at negotiators’ level on 14 Novemver 2018. Am 9.1.2020 stimmte das britische Unterhaus dem Gesetz zur Ratifizierung des Austrittsabkommens zu, sodass am 31.1.2020 der geordnete Austritt erfolgen konnte. Die Übergangsphase soll noch bis Ende 2020 andauern. 240 Hierzu Hess, IPRax 2016, 409, 410; diese Rechtsfolge tritt bei Verordnungen automatisch ein. Indes bleiben nationale Vorschriften weiterhin anwendbar, welche zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden. 241 European Union (Withdrawal) Act 2018.
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nationalen Vorschriften sodann weder autonom auszulegen sind, noch durch den Gerichtshof konturiert werden können. Darüber hinaus gelten sie lediglich für den britischen Rechtsanwender. Das Vereinigte Königreich wird indes aus dem Blickwinkel der Mitgliedstaaten als Drittstaat anzusehen sein. Allerdings bleibt die Brüssel Ia-VO in Verbraucher- oder Arbeitssachen anzuwenden. Unabhängig davon, ob der Staat an einem zuständigkeitsrechtlichen Übereinkommen teilnehmen wird, beanspruchen die Schutzgerichtsstände kraft ihres Art. 6 Abs. 1 der Brüssel Ia-VO Geltung. Somit ist die künftige Entwicklung vor allem für Verfahren von Bedeutung, die bisher nach den Art. 4–16 Brüssel Ia-VO liefen. Aus dem Entwurf des Austrittsabkommens242, welcher jedoch letztlich nicht angenommen wurde, ergibt sich die Intention des Vereinigten Königreichs, nach dem Ausscheiden aus der Union nicht weiter am Sekundärrechtsakt festhalten zu wollen. So wird die Geltungsdauer der Brüssel Ia-VO nach Art. 67 des Entwurfes des Austrittsabkommens auf das Ende der Übergangszeit begrenzt. Wird somit ein Verfahren vor dem Austrittsdatum auf Grundlage der Brüssel Ia-VO eingeleitet, muss der Unionsrechtsakt auch für den weiteren Instanzenzug Geltung beanspruchen, selbst wenn dieser über den Stichtag hinausreicht. Dasselbe gilt im Übrigen für Vollstreckungsverfahren nach Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO.243 Die Titelfreizügigkeit nach Art. 39 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bleibt somit auch über den Zeitpunkt des Ausscheidens hinaus für zuvor ergangene Entscheidungen maßgeblich. Mit dem Wegfall der Brüssel Ia-VO steht ein Wiederaufleben des EuGVÜ in Frage.244 Bislang ist das Übereinkommen nicht außer Kraft getreten, da die Beendigung dieses völkerrechtlichen Vertrags grundsätzlich nur nach Maßgabe der Wiener Vertragsrechtskonvention (fortan: WVRK)245 erfolgen kann.246 Zudem belegt Art. 68 Brüssel Ia-VO, dass das EuGVÜ weiterhin etwa im Verhältnis zu europäischen Überseegebieten Anwendung findet.247 Diese Punkte sprechen zunächst für die Rückkehr zum EuGVÜ. Indes resultiert aus dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs nach Art. 50 Abs. 3 EUV, das Erlöschen aller Unionsrechtsakte. Dieses umfasst wohl ebenfalls die einvernehmliche Beendigung völkerrechtlicher Verträge i.S.d. Art. 54 WVRK.248 Somit scheidet ein Wiederaufleben des EuGVÜ aus.249 Durch seine EU-Mitgliedschaft ist das Vereinigte Königreich gem. Art. 216 Abs. 2 AEUV an das LugÜbk 2007 gebunden. Mit dem Austritt enfällt jedoch gleichermaßen nach Art. 50 Abs. 3 EUV die Wirkung des Art. 216 Abs. 2 AEUV und somit die Bindung an das Übereinkommen.250 Um den Anschluss an das Europäische Zivilprozessrecht herstellen zu können, kommt für das Vereinigte Königreich die Ratifizierung des LugÜbk 2007 in Betracht, welches das Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten zur Schweiz, Norwegen und Island regelt und mit der Brüssel I-VO weitestgehend textidentisch ist. Die Anwendung des Übereinkommens erfordert den eigenständigen Beitritt des Vereinigten Königreichs nach den Art. 70–72 LugÜbk 2007.251 Dieses kann in zwei Alternativen erfolgen. Einerseits ermöglichen es die Art. 70 Abs. 1 lit. a, 71 LugÜbk 2007 den Mitgliedstaaten, der Europäischen Freihandelsassoziation (fortan: EFTA) dem Übereinkommen beizutreten. Da das Vereinigte Königreich jedoch seit 1973 kein Mitglied der EFTA ist, bedarf es zunächst eines Wiederbeitritts. Andererseits erscheint ein Betritt nach Art. 70 Abs. 1 lit. c, 72 LugÜbk 2007 möglich, welcher die Zustimmung der Union voraussetzt (Art. 72 Abs. 3 LugÜbk 2007). Zudem müsste das Vereinigte Königreich nach Maßgabe des Art. 72 Abs. 1 lit. c LugÜbk 2007 Auskunft über dessen Justizsystem mit Angaben zur Ernennung der Richter und zu deren Unabhängigkeit, innerstaatliches Zivilprozess- und Vollstreckungsrecht sowie Internationales Zivilprozessrecht erteilen. 242 Draft Agreement on the withdrawal of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland from the European Union and the Eurpean Atomic Energy Community, as agreed at negotiators’ level on 14 Novemver 2018. Am 15.1.2019 lehnte das britische Unterhaus das mit der EU verhandelte Austrittsabkommen mit großer Mehrheit ab. 243 Hess, IPRax 2016, 409, 412. 244 Vgl etwa Grupp, EuZW 2017, 974, 975; Hess, IPRax 2016, 409, 413; Lehmann/Zetzsche, JZ 2017, 62, 70; Rühl, JZ 2017, 72, 77; Staudinger, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 1. 245 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, BGBl. 1985 II 926. 246 Hess, IPRax 2016, 409, 413. 247 Beachte etwa das Beispiel bei Hess, IPRax, 2016, 409, 413. 248 Demgegenüber stellt Rühl darauf ab, dass das EuGVÜ durch das Inkrafttreten der Brüssel I-VO nicht lediglich suspendiert, sondern beendet werden sollte: Rühl, JZ 2017, 72, 77. 249 Hess, IPRax 2016, 409, 413; Rühl, JZ 2017, 72, 77; Staudinger, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 1; a.A. Lehmann/ Zetzsche, JZ 2017, 62, 70. 250 Vgl Lehmann/Zetzsche, JZ 2017, 62, 70; Rühl, JZ 2017, 72, 78. 251 Ebenso Hess, IPRax 2016, 409, 414; Rühl, JZ 2017, 72, 78.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung Demgegenüber scheidet ein Wiederaufleben des Luganer Übereinkommens von 1988 aus.252 In Betracht kommt indes eine bilaterale Lösung.253 Diesbezüglich erscheinen unterschiedliche Ausgestaltungen eines Abkommens zwischen dem ausscheidenden Mitgliedstaat und der EU denkbar.254 So kann die Übereinkunft die gesamte Brüssel Ia-VO (dies entspricht dem dänischen Modell255) oder nur Teile des Rechtsaktes zur Anwendung berufen. Gleiches gilt hinsichtlich des LugÜbk 2007. In diesem Zusammenhang darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ein solches Abkommen mit dem Vereingten Königreich eines mit Drittstaatenbezug wäre. Folglich kann das dänische Modell nicht ohne weiteres übertragen werden, da die Brüssel Ia-VO Mitgliedstaatenbezug voraussetzt. Demgegenüber stellt das LugÜbk 2007 lediglich auf die Vertragsstaaten ab. Neben der Orientierung an bereits bestehenden Sekundärrechtsakten könnte das Abkommen ebenfalls gänzlich neue Regelungen für die internationale Zuständigkeit festlegen.
II. Entstehungsgeschichte der Brüssel Ia-VO 7
Die Kommission unterbreitete am 22.12.1997 einen Vorschlag für die Modernisierung des EuGVÜ (bzw. LugÜbk 1988).256 Daraufhin wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die mit der Revision sowohl des EuGVÜ als auch LugÜbk 1988 befasst war. Der Rat veröffentlichte die Ergebnisse dieser Gruppe im April 1999,257 entschied sich allerdings dafür, das Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages abzuwarten, um die Konvention in eine Verordnung zu überführen. Die Kommission legte daraufhin am 14.7.1999 einen Vorschlag vor, der weitgehend auf den Ergebnissen der Revisionskonferenz beruhte.258 Im Nachgang zu einer Stellungnahme des Parlaments259 unterbreitete die Kommission einen leicht veränderten Verordnungsvorschlag,260 der schließlich mit lediglich geringfügigen Modifikationen vom Rat verabschiedet wurde. Dieser Rechtsakt – die Brüssel I-VO – trat am 1.3.2002 in Kraft.261 Die Kommission hat einige Jahre später eine Studie in Auftrag gegeben, welche die praktische Anwendung der Brüssel I-VO evaluieren sollte.262 Eingang fanden die Ergebnisse im Heidelberger Report,263 der aus der Feder von Hess, Pfeiffer und Schlosser stammt. Der Studie schloss sich ein Grünbuch der Kommission an.264 Danach folgte die Verabschiedung des sogenannten Stockholmer Programms durch den Europäischen Rat, in dem er sich für eine umfassende Abschaffung des Exequaturverfahrens aussprach.265 Dieser Auffassung stimmte das Europäische Parlament einschränkend dahingehend zu, dass die Schaffung geeigneter Garantien für einen Ausgleich notwendig sei.266 Den Entwurf einer Neufassung der Brüssel I-VO machte die Kommission am 14.12.2010 bekannt.267 Das Europäi252 Hierzu Staudinger, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 1. 253 So bereits Dickinson, ZEuP 2017, 539, 542; Hess, IPRax 2016, 409, 413 f.; Staudinger, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 1. 254 Hierzu Dickinson, ZEuP 2017, 539, 542 f. 255 Siehe dazu: ABl. EU 2013 L 79/4. 256 KOM (1997) 609; ABl. EG 1998 C 33/20 ff. 257 Rat, der EU, 30.4.1999, 7700/99, abgedruckt in Gottwald (Hrsg.), Revision des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht (2000) 125 ff.; siehe dort auch die Beiträge von Kohler und Stadler. 258 KOM (1999) 348. 259 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 21.9.2000 (ABl. EG 2001 C 146/1 f.), siehe auch den Bericht von Wallis, den der federführende Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments Anfang September 2000 in einer Sondersitzung angenommen hatte: Report on the proposal for a Council regulation on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgements in civil and commercial matters, A5-0253/2000. 260 Siehe den geänderten Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM (2000) 689. 261 Art. 76 I Brüssel I-VO. 262 KOM (2009) 174. 263 Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I – Regulation (EC) No. 44/2001, The Heidelberg Report on the Application of Regulation Brussels I in 25 Member States (Study JLS/C4/2005/03), 2008. 264 KOM (2009) 175. 265 Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, ABl. EU 2010 C 115/1, 13. 266 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7.9.2010, P7_TA(2010)0304.
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sche Parlament hat sodann am 20.11.2012 den geänderten Vorschlag verabschiedet.268 Die Brüssel IaVO ist gem. ihrem Art. 81 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ab dem 10.1.2015 anwendbar und hebt gem. Art. 80 Brüssel Ia-VO die Brüssel I-VO auf. Die Brüssel I-VO basiert – wie auch die Brüssel IIa-VO – ausweislich ihrer Präambel sowie des 8 ErwGr. 3 Brüssel Ia-VO auf Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 lit. a Str. 3 EGV und unterlag somit dem in Art. 67 EGV normierten besonderen Beschlussverfahren. Hiernach handelte der Rat während eines Übergangszeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags einstimmig auf Vorschlag der Kommission oder auf Initiative eines Mitgliedstaats. Ungeachtet der Tatsache, dass die auf Art. 61 lit. c, 65 EGV beruhenden Verordnungen mitunter weitreichende Eingriffe in die Rechte Privater vorsehen, haben jene nur eine begrenzte demokratische Legitimation:269 So wirken die nationalen Parlamente zwar bei der Transformation von RLn i.d.R. durch den Erlass von Umsetzungsgesetzen mit. Demgegenüber gelten Verordnungen nach nunmehr Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV270 in jedem Mitgliedstaat unmittelbar. Ein Transformationsgesetz, das den Inhalt der Verordnung im nationalen Recht wiederholt, erweist sich hiernach nicht nur als überflüssig. Vielmehr ist eine solche Doppelung gemeinschaftsrechtlich vom Grundsatz271 her unzulässig. Vor diesem Hintergrund wäre eine unmittelbare Legitimation der Rechtsetzung auf supranationaler Ebene umso dringlicher.272 Bei Rechtsakten (RL, Verordnung), die sich auf Art. 95 EGV gründen, stand dem Europäischen Parlament ein Recht auf Mitentscheidung nach Maßgabe des Art. 251 EGV zu. Demgegenüber gewährte Art. 67 Abs. 1 EGV in der Fassung des Amsterdamer Vertrags dem Europäischen Parlament bei Rechtsakten wie der Brüssel I-VO lediglich ein Anhörungsrecht.273 Der Vertrag von Nizza274 brachte insoweit zwei bedeutsame Veränderungen mit sich:275 Zum einen haben die Staats- und Regierungschefs eine gemeinsame Erklärung zu Art. 67 EGV276 abgegeben.277 Zum anderen wurde dieser Vorschrift ein Abs. 5 angefügt. Hiernach beschloss der Rat „abweichend von Abs. 1 gemäß dem Verfahren des Art. 251 (…) die Maßnahmen nach Art. 65 mit Ausnahme der familienrechtlichen Aspekte“.278 Demnach griff mit Inkrafttreten des Vertrages von Nizza das Verfahren der Mitentscheidung nach Art. 251 EGV ein. Für Familiensachen sollte als Gegenausnahme wiederum das Prinzip der Einstimmigkeit gelten.279 Zweifelhaft erschien, welche Auswirkung dieser Vorbehalt etwa bei Sekundärrechtsakten hatte, die als Querschnittsmaterie nur teilweise familien267 KOM (2010) 748. 268 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20.11.2012 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) (KOM(2010)748). 269 Hierzu Mansel in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 1, 3 f. 270 Vor Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages Art. 249 Abs. 2 S. 2 EGV. 271 Siehe Rz. 30 ff. 272 So zu Recht Drappatz, Die Überführung des internationalen Zivilverfahrensrechts in eine Gemeinschaftskompetenz nach Art. 65 EGV (2002) 134. 273 Art. 6 EUV a.F. sah sogar allein eine Unterrichtung des Europäischen Parlaments vor. Dessen Position wurde mithin durch den Amsterdamer Vertrag gestärkt, auch wenn im Vergleich zu dem Kompetenztitel in Art. 95 EGV (nunmehr Art. 114 AEUV) noch keine vergleichbare Einflussnahmemöglichkeit bestand. 274 ABl. EG 2001 C 80/1, 14. 275 Hatje, EuR 2001, 143 ff.; zum Reformprozess siehe Wiedmann, EuR 2001, 185 ff.; siehe auch die Angaben in Rz. 1. 276 Die Bestimmung entfällt mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon. 277 Gemeinsame Erklärung der Hohen Vertragsparteien zu Art. 67 EGV in EG-Dokument SN 533/1/00 REV 1, 26; hierzu Basedow in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 19, 26 f. 278 Diese Ausnahme bestätigt implizit, dass Art. 65 EGV jedenfalls (auch) familienrechtliche Fragen mit einschließt; so ebenfalls Wagner, IPRax 2002, 75, 85; vom Grundsatz her ebenso Mansel in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 1, 5; dies ist insbesondere im Hinblick auf die Brüssel IIa-VO von Bedeutung, da in Zweifel gezogen wird, ob dieser Sekundärrechtsakt kompetenzwidrig erlassen wurde, siehe hierzu die Nachweise in Rz. 10. 279 Siehe zum Zusammenspiel des Art. 67 Abs. 1 und 5 EGV: Basedow in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 19, 26. In ihrer am 28.6.2006 veröffentlichten Mitteilung „Umsetzung des Haager Programms: Weitere Schritte“ wies die Kommission auf die von dem Einstimmigkeitserfordernis ausgehenden Schwierigkeiten hin KOM (2006) 331, 11 ff.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung rechtliche Angelegenheiten betrafen.280 Dies war etwa für die Revision der Brüssel I-VO von Bedeutung, die sich ausweislich der besonderen Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 2 Brüssel I-VO281 ebenso auf Unterhaltssachen erstreckte. Das Initiativrecht steht beim Mitentscheidungsverfahren ausschließlich der Kommission zu. 9a
Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon282 am 1.12.2009 gingen weitere Änderungen einher. Das Regelwerk beinhaltet die Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen nunmehr im 3. Kapitel des Titels V („Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“) des AEUV. Diesbezüglich erfährt die Kompetenz des Gemeinschaftsgesetzgebers durch die Einfügung des Wortes „insbesondere“ in Art. 81 AEUV eine inhaltliche Erweiterung.283 Um die demokratische Legitimation des Gemeinschaftsrechts zu erhöhen, werden das Europäische Parlament284 und die nationalen Parlamente grds. verstärkt an den Entscheidungsprozessen beteiligt.285 Demzufolge bringt etwa Art. 81 Abs. 3 AEUV für das Gebiet der Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitenden Bezügen eine Neuerung.286 Hiernach werden entsprechende Rechtsakte vom Rat in einem besonderen Gesetzgebungsverfahren einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments erlassen. Gleichwohl kann der Rat auf Vorschlag der Kommission einen Beschluss über diejenigen Aspekte des Internationalen Familienrechts fassen, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Mitentscheidungsrecht des Parlaments und Mehrheitsbeschluss des Rates) erlassen werden können. Die entsprechende Entscheidung trifft der Rat einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments, wobei den nationalen Parlamenten ein Vetorecht zusteht.287
III. Primärrechtskonformität der Brüssel I-VO 10
Mit Inkrafttreten der Brüssel I-VO zogen Teile der Literatur in Zweifel, ob Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 lit. a Str. 3 EGV288 tatsächlich eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Brüssel I-VO bot,289 insbesondere, wenn man die im ersten Tabak-Urteil des EuGH290 zu Art. 95 EGV (nunmehr Art. 114 AEUV)291 aufgestellten Erfordernisse auf diesen Kompetenztitel übertrug.292 Demnach hätte der Sekundärrechtsgeber in der Präambel der Brüssel I-VO hinreichend konkret nachweisen müssen, dass 280 Auf dieses Problem verwies in der Vergangenheit bereits Hess, JZ 2001, 573 Fn. 8; Basedow in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 19, 26. 281 Hierzu BGH, NJW-RR 2008, 156 ff.; zur Parallelvorschrift des LugÜbk 1988 OLG Dresden, NJW 2007, 446 f. 282 Hierzu siehe Rz. 1 Fn. 6. 283 Hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 495; Kohler/Pintens, FamRZ 2008, 1669 f.; Kohler, FamRZ 2008, 1673, 1674; Pintens, FamRZ 2005, 1597, 1598 f.; Schroeter, ZEuP 2006, 515, 534 ff.; Wagner, IPRax 2007, 290, 292. 284 Vgl Art. 14 EUV und Art. 289, 294 AEUV. 285 Vgl Art. 12 EUV und Art. 70 AEUV. 286 Vgl insoweit Kohler/Pintens, FamRZ 2007, 1481 f.; Martiny, FPR 2008, 187, 189. 287 Kritisch Kohler/Pintens, FamRZ 2007, 1481 f. 288 Zur sachlichen Erweiterung der Gemeinschaftskompetenz infolge Art. 81 AEUV siehe Rz. 1. 289 Ebenso wird die Primärrechtskonformität der Brüssel IIa-VO in Abrede gestellt; vgl. hierzu Rauscher in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Einl. Brüssel IIa-VO Rz. 3; kritisch Schack, 4. Aufl. Rz. 106b: Das Legitimationsdefizit sei vor allem im Familienrecht offensichtlich, da der Binnenmarkt nicht besser funktioniere, nur weil man Scheidungen erleichtere; Schack, RabelsZ 65 (2001), 615, 618 f.; anders: Leible/Staudinger, EuLF (D) 2000/2001, 225, 229; Wagner, IPRax 2002, 75, 85; Spellenberg, vermutet, der Gerichtshof werde die Brüssel IIa-VO nicht aufheben und begrüßt dies aus praktischen Gesichtspunkten: Spellenberg, FS Schumann (2001) 423, 428; so wohl auch Linke, (3. Auflage) Rz. 126 „rechtsetzungsbefugten Gemeinschaftsorganen“; umfassend dazu Dohrn, Die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft im Internationalen Privatrecht (2004). 290 EuGH v. 5.10.2000 – C-376/98 – Bundesrepublik Deutschland vs. Europäisches Parlament und Rat der EU, EuGHE I 2000, 8419 ff. = NJW 2000, 3701 ff.; zur Analyse dieser Entscheidung siehe etwa Amtenbrink, VuR 2001, 163 ff.; Cornides, ZfRV 2001, 130 ff.; Götz, JZ 2001, 34 ff.; Obergfell, EuLF (D) 2000/2001, 153 ff.; Reich, VuR 2001, 203 ff.; Roth in Ernst/Zimmermann (Hrsg.), Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform (2001) 225, 232 f.; Wägenbaur, EuZW 2000, 701 f. 291 Siehe ferner das zweite Urteil: EuGH v. 10.12.2002 – C-491/01 – The Queen vs. Secretary of State for Health, EuGHE I 2002, 11453 ff. = EuR 2003, 80 ff.; hierzu Selmayr/Kamann/Ahlers, EWS 2003, 49 ff.
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der freie Personenverkehr, auf den sich der Kompetenztitel IV bezog, ohne die Rechtsangleichung in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt würde. Dagegen beruht die Brüssel Ia-VO auf den Kompetenztitel V des AEUV, der den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts regelt, sodass der zur Brüssel I-VO angeführte Streit gegenstandslos wird.
IV. Inhalt der Brüssel Ia-VO Die Brüssel Ia-VO,293 welche bestimmte Zivil- und Handelssachen erfasst,294 ist wie das EuGVÜ in zwei Bereiche untergliedert: Zum einen normiert der Sekundärrechtsgeber einen Zuständigkeits292 Für eine lediglich eingeschränkte Übertragbarkeit der ratio decedendi des Urteils auf Art. 65 EGV: Mansel in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 1, 9; so auch Leible/Staudinger, EuLF (D) 2000/2001, 225, 229; weitergehend Kohler, Europäisches Kollisionsrecht zwischen Amsterdam und Nizza (2001) 3, 21 f. 293 Beachte die Verordnung (EU) Nr. 542/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 bzgl. der hinsichtlich des Einheitlichen Patentgerichts und des Benelux-Gerichtshofs anzuwendenden Vorschriften: ABl. EU 2014 L 163/1; hierzu Mankowski, GPR 2014, 330 ff. Zu den Unterschieden zwischen Brüssel Ia-VO und LugÜbk siehe Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 7 ff. 294 Vgl zur Reichweite des Begriffs der Zivilsachen: EuGH v. 15.5.2003 – C-266/01 – Preservatrice fonciere TIARD SA vs. Staat der Nederlanden, EuGHE I 2003, 4867 ff. = IPRax 2003, 528 ff. m. Anm. Geimer, 512 ff.; EuGH v. 5.2.2004 – C-265/02 – Frahuil vs. Assitalia SpA, EuGHE I 2004, 1543, 1554 Rz. 21 = IPRax 2004, 334 ff. m. Anm. Lorenz/Unberath, 298 ff. und Freitag, 305 ff.; zur Unanwendbarkeit des EuGVÜ für gegen Staaten gerichtete Schadensersatzklagen wegen militärischer Aktionen: EuGH v. 15.2.2007 – C-292/05 – Lechouritou u.a. vs. Bundesrepublik Deutschland, EuGHE I 2007, 1519 ff. = IPRax 2008, 250 ff. m. Anm. Geimer, 225 ff. = ZZPInt 11 (2006) 202 ff. m. Anm. Dutta, 208 ff.; hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 500; Stürner, GPR 2007, 300 ff.; zur Vollstreckbarerklärung eines die BRD infolge von Kriegsverbrechen zu Leistung von Schadensersatz verpflichtenden Urteils durch italienische Gerichte unter dem Regime der Brüssel I-VO: Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 15; umfassend Stürner, IPRax 2008, 197 ff. sowie die Entscheidungen des italienischen Corte de Cassazione IPRax 2008, XII. Im Hinblick auf die durch eine Wirtschaftskrise Argentiniens betroffene Staatsanleihen beachte auch zum Immunitätsverzicht und der Vollstreckung in Konten der Republik Argentinien BVerfGE 117, 141 ff. = IPRax 2007, 438 ff. m. Anm. von Hein, 399 ff. = NJW 2007, 2605 ff. m. Anm. Kleinlein, 2591 ff.; zu den Vorinstanzen siehe OLG Frankfurt/M. IPRax 2007, 331 ff. m. Anm. Schefold, 313 ff. sowie LG Frankfurt/M. WM 2003, 783; beachte in diesem Zusammenhang auch BGH, RIW 2007, 697 f.; zur unzulässigen Verweigerung der Erfüllung privatrechtlicher Ansprüche unter Berufung auf einen wegen Zahlungsunfähigkeit erklärten Staatsnotstand BVerfGE 118, 124 ff. = NJW 2007, 2610 ff. m. abw. Meinung Lübbe-Wolff, 2614 ff. = IPRax 2008, 427 ff. m. Anm. Stadler, 405 ff. = RIW 2007, 690 ff. m. Anm. Kleinlein, 695 f.; hierzu auch OLGR Frankfurt/M. 2008, 277 ff.; siehe auch zur Staatenimmunität aus argentinischem Blickwinkel: Zuppi, RIW 2007, 340 ff.; Erfüllungs- oder Schadensersatzansprüche eines Erwerbers von Staatsanleihen fallen unter den Begriff der Zivil- und Handelssache i.S.d. VO Nr. 1 393/2007 EuGH v. 11.6.2015 – verb. Rs. C-226/13, C-245/13, C-247/13, C-578/13; zur Unzuständigkeit deutscher Gerichte hinsichtlich der Klagen der vom Schuldenschnitt betroffenen Anleger aufgrund der Staatenimmunität Griechenlands beachte OLG Schleswig, ZIP 2015, 1253 ff.; in diesem Kontext ist ebenso die Vorlagefrage des BAG an den EuGH bzgl. des Einflusses von Eingriffsnormen (griechische Spargesetze) nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO bei der Klage eines griechischen Lehrers an einer griechischen Schule in Nürnberg gegen die Republik Griechenland zu berücksichtigen, BAG RIW 2015, 313 ff.; hierzu die Vorabentscheidung des EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15 – Griechenland vs. Nikiforidis, RIW 2016, 811 ff. m. Anm. Mankowski; siehe ferner die Nachfolgeentscheidung des BAG, MDR 2017, 1309 f.; noch zur BAG-Vorlage Ewert, jurisPR-IWR 3/2015 Anm. 5; Mauer, jurisPR-ArbR 42/2015 Anm. 3. Zu deutschen Arbeitsverträgen mit der Republik Griechenland und Gehaltskürzungen nach griechischem Recht siehe Siehr, RdA 2014, 206; zu diesem Themengebiet sind auch folgende Urteile zu beachten: LAG Düsseldorf Urt. v. 31.7.2014 – 15 Sa 1133/13; LAG Nürnberg Urt. v. 21.5.2014 – 4 Sa 374/12; LAG Hamm Urt. v. 3.4.2014 – 17 Sa 1387/13; zu Art. 18 Abs. 2 Brüssel I-VO (entspricht Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO): BAG RIW 2014, 691 ff. sowie Vorlage des LArbG Berlin-Brandenburg, BB 2011, 1012; EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11 – Mahamdia (Algerische Botschaft), NZA 2012, 935 ff.; zu den Voraussetzungen einer hoheitlichen Tätigkeit des Fahrers einer ausländischen Botschaft LArbG Berlin öAT 2014, 18 m. Anm. Bauschke, 112 ff.; beachte ebenfalls OLG Stuttgart, BeckRS 2015, 00845; beachte jüngst zur Einordnung des Zwangsvollstreckungsverfahrens, das von einer im Eigentum einer Gebietskörperschaft stehenden Gesellschaft gegen einen Falschparker mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat betrieben wird, EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15 – Pula Parking vs. Tederahn, DAR 2017,
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung katalog (Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO), der binnenmarktweit295 gilt und mithin einer Durchbrechung etwa nach Maßgabe der forum-non-conveniens-Doktrin entgegensteht. Dieser hat der EuGH in einer von ihrer ratio auf den Sekundärrechtsakt übertragbaren Entscheidung zum EuGVÜ ausdrücklich eine Absage erteilt.296 Der Gemeinschaftsgesetzgeber regelt zum anderen die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Titeln, die aus anderen Mitgliedstaaten stammen (Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO). Hierdurch soll der primärrechtlich verbürgten Titelfreizügigkeit297 Rechnung getragen werden.298 Der Sekundärrechtsakt basiert auf der Annahme, dass die Rechtspflege in allen Mitgliedstaaten gleichwertig ist. Nach ErwGr. 26 Brüssel Ia-VO rechtfertigt das „gegenseitige Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Gemeinschaft“, Entscheidungen vom Grundsatz her automatisch anzuerkennen. Das bisher nach der Brüssel I-VO verschlankte – aber notwendige – Vollstreckbarerklärungsverfahren entfällt mit der Brüssel Ia-VO. Die in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung wird nun so behandelt, als sei sie im ersuchten Mitgliedstaat ergangen.299 Das verschlankte Exequaturverfahren nach der Brüssel I-VO war Ausdruck des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten zueinander.300 Die gänzliche Abschaffung des Vollstreckbarverfahrens in der Brüssel Ia-VO verstärkt diesen Gedanken. Vor diesem Hintergrund stieß die Zulässigkeit von Prozessführungsverboten301 (antisuit injunctions) im Anwendungsbereich des EuGVÜ von jeher auf erhebliche Bedenken.302 Jene werden von englischen Gerichten303 erlassen, um Parteien die Einleitung eines Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat zu untersagen bzw. die Rücknahme einer dort bereits erhobenen Klage anzuordnen. Zwar sind
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254 ff.; zur selben Thematik Staudinger/Frensing-Deutschmann, DAR 2016, 181 ff. sowie Staudinger/FrensingDeutschmann, DAR 2016, 251 ff.; siehe im weiteren Zusammenhang auch EuGH v. 9.3.2017 – C-484/15 – Zulfikarpasˇic´ vs. Gajer, EWS 2017, 112 ff. Auch das Vergabeverfahren ist zivilrechtlich zu qualifizieren und unterfällt daher nicht der Ausnahme nach Art. 1 Abs. 2 S. 2 Brüssel I-VO: Vergabekammer München Beschl. v. 11.3.2015 – Z 3-3-3194-1-65-12/14. Beachte jüngst zum Rechtsstreit über die Änderung der Anleihebedingungen für die von einem Mitgliedstaat begebenen Anleihen EuGH v. 15.12.2018 – C-308/17 – Hellenische Ausgenommen bleibt Dänemark; zum entsprechenden Parallelabkommen siehe Rz. 15. Siehe EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02 – Owusu vs. Jackson u.a., EuGHE I 2005, 1383 ff. = IPRax 2005, 244 ff. m. Anm. Heinze/Dutta, 224 ff. = JZ 2005, 887 ff. m. Anm. Bruns, 890 ff.; vgl. auch McEleavy, ICLQ 2005, 973 ff.; Rauscher/Fehre, ZEuP 2006, 549 ff.; weitere Nachweise bei Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 487; zu der Frage, ob eine europarechtliche Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsabreden eine forum-non-conveniens-Prüfung darstellt Horn, IPRax 2006, 2, 3; Leible/Röder, RIW 2007, 481, 483. Zur Anwendung dieses Rechtsinstituts im Falle des Gletscherbahnunglücks von Kaprun Kitzmüller/Pirsching, ZfRV 2007, 147 ff. Hess bezeichnet die Titelfreizügigkeit als ungeschriebene „fünfte Marktfreiheit“: Hess, IPRax 2001, 301, 302 f.; Hess, IPRax 2001, 398, 391. Nach Ansicht von Kohler ist weder durch den Amsterdamer Vertrag noch durch den Vertrag von Nizza „eine primärrechtliche Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen geschaffen worden“; Kohler in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 147, 161. ErwGr. 26 S. 3 Brüssel Ia-VO. Dieses Vertrauen in die Rechtspflege anderer Mitgliedstaaten sowie die Schaffung von prozessualen Minimalstandards stellen den Grundstein für einen mit den EG-VollstrTitelVO, EG-MahnVO sowie EG-BagatellVO (siehe hierzu Rz. 6a–c) eingeleiteten Systemwechsel im europäischen Anerkennungsrecht dar; kritisch zu dieser Entwicklung: Kohler in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 147 ff.; Stadler, IPRax 2004, 2 ff.; Sujecki, ZEuP 2008, 458 ff. Hierzu Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht (1996) 191 ff.; Illmer, IPRax 2012, 264; Illmer, IPRax 2012, 406–413; Steinbrück, ZEuP 2010, 170 ff.; zu Drittstaatensachverhalten Illmer, IPRax 2011, 514 ff. Siehe etwa Hau, IPRax 1996, 44, 47 f.; Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht (1996) 216 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 45, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 97, Art. 27 Brüssel I-VO Rz. 20; Maack, Englische antisuit injunctions im europäischen Zivilrechtsverkehr (1999) 163 ff.; Mankowski, EWIR Art. 13 HZÜ 1/96, 321, 322; Mansel, EuZW 1996, 335, 338; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit: die internationale Zuständigkeit im Zivilprozess zwischen effektivem Rechtsschutz und nationaler Zuständigkeitspolitik (1995) 778 ff.; Schack, Rz. 860; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland (2002) Rz. 74. Siehe hierzu etwa die Entscheidung des englischen Court of Appeal in Turner vs. Grovit (1999) 3 All ER 616 = ILR 656 = 1999 3. WLR, 794; hierzu Fentiman, C.L.J. 2000, 45 ff.; Harris, The Law Quarterly Review 1999, 576 ff.; Hartley, ICLQ 2000, 166 ff.; weitere Angaben bei Thiele, RIW 2002, 383, 384; hierzu Ambrose, ICLQ 2003, 401 ff.; beachte auch die Entscheidung des englischen Court of Appeal (2007) 2 CLC 104; hierzu Dickinson, ICLQ 2008, 465 ff.; zu grenzüberschreitenden Insolvenzen: Chan Ho, ICLQ 2003, 697 ff.; jüngst Commercial Court London, RdTW 2013, 327 f.
Staudinger
Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
derartige injunctions nicht gegen einen ausländischen Spruchkörper, sondern gegen die gegnerische Partei selbst gerichtet.304 Nichtsdestotrotz bringen solche Unterlassungsverfügungen mittelbar die Geringschätzung der ausländischen Rechtspflege zum Ausdruck und stellen letztlich den Grundkonsens in Frage, auf dem die Brüssel Ia-VO aufbaut. Der EuGH hat dem Instrument der antisuit injunctions im Anwendungsbereich des EuGVÜ für den Fall eine klare Absage erteilt, dass das Prozessführungsverbot der Abwehr einer Klage dient, die aus Sicht der gegnerischen Seite zu einem schikanösen Zweck erhoben wird.305 Der Gerichtshof betont vor allem das gegenseitige Vertrauen in die Rechtssysteme anderer EU-Nationen, auf welchem das EuGVÜ beruhe. Das hierauf fußende, verbindliche Zuständigkeitssystem verbiete einen Eingriff in die Gerichtskompetenzen der übrigen Mitgliedstaaten.306 Die Entscheidung des EuGH lässt sich zwar von ihrem Anlassstreit her nicht unmittelbar dafür ins Feld führen, dass gleichermaßen eine antisuit injunction bei Bruch einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung ausscheide.307 Im Lichte der Ausführungen des Gerichtshofs, die keinen Anhaltspunkt für eine Differenzierung bieten, ist indes von einem allgemeinen Ausschluss derartiger Prozessführungsverbote auszugehen.308 Dieses Ergebnis ist auf die Brüssel Ia-VO zu übertragen und beansprucht gleichermaßen für Schiedsabreden sichernde antisuit injunctions Geltung.309
V. Intertemporaler Anwendungsbereich Der zeitliche Regelungsbereich der Brüssel Ia-VO – auch in Bezug auf die am 1.5.2004 bzw. am 1.1.2007 sowie am 1.7.2013 der EU beigetretenen Staaten310 – ergibt sich aus Art. 66311. Nach dessen Abs. 1 verbietet sich eine Rückwirkung des Sekundärrechtsakts. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob die Harmonisierungsmaßnahme gegebenenfalls als Auslegungshilfe im Rahmen der Interpretation des EuGVÜ herangezogen werden kann.312 Eine solche Vorwirkung steht nicht im Widerspruch zu 304 Hau, Positive Kompetenzkonflikte im Internationalen Zivilprozessrecht (1996) 214 ff.; Schmidt, RIW 2006, 492 ff. 305 EuGH v. 27.4.2004 – C-159/02 – Gregory Paul Turner vs. Felix Fareed Ismail Grovit, EuGHE I 2004, 3656 ff. = EuZW 2004, 468 ff. m. zust. Anm. Schroeder, 470 ff.; vgl. auch Heinze/Dutta, Yearbook of Private International Law 9 (2007) 415 ff.; siehe zur Vorlage des House of Lords: RIW 2002, 401; hierzu Muir Watt, Rev. crit. dip. 92 (2003) 116 ff.; Thiele, RIW 2002, 383 ff. 306 So vor allem die Entscheidungsgründe 24 und 27; zustimmend Krause, RIW 2004, 533, 539; Rauscher, IPRax 2004, 405, 406. 307 Für die Zulässigkeit einer solchen antisuit injunction: Geimer, Neuordnung des internationalen Zustellungsrechts (1999) 80 f. 308 So auch Krause, RIW 2004, 533, 540; Rauscher, IPRax 2004, 405, 408 f.; Schlosser/Hess/Hess, Art. 45 Rz. 11. 309 Beachte insoweit die Entscheidung des EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07 – Allianz SpA, vormals Riunione Adriatica Di Sicurtà SpA, Generali Assicurazioni Generali SpA vs. West Tankers Inc, EuGHE I 2009, 663 ff. = EuZW 2009, 215 ff. m. Anm. Schroeder, 218 f. = IPRax 2009, 336 ff. m. Anm. Illmer, 312 ff. = NJW 2009, 1655 f. m. Anm. Lehmann, 1645 ff.; hierzu auch Heinze/Dutta, Yearbook of Private International Law 9 (2007) 415 ff.; Heinze/Dutta, RIW 2007, 411 ff.; Illmer/Naumann, IHR 2007, 64 ff.; Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 501; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 13; Schlosser, RIW 2006, 486 ff.; in Abgrenzung dazu ist die Entscheidung des EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13 zu beachten. Hiernach verwehrt die Brüssel I-VO einem mitgliedstaatlichen Gericht nicht die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs, welcher es einer Partei untersagt, bestimmte Anträge bei einem Gericht dieses Mitgliedstaats zu stellen. Denn der Sekundärrechtsakt regelt selbst nicht die Anerkennung sowie das Exequatur von Schiedssprüchen in einem Zweitstaat, die von einem anderen mitgliedstaatlichen Schiedsgericht erlassen worden sind. 310 Zu intertemporalen Fragestellungen im Hinblick auf die Anwendung der Verordnungen in den EU-Beitrittsstaaten siehe Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts, BGBl. 2003 II 1408, 1418 (hierzu auch Hess, IPRax 2004, 374 ff.; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Überblick Rz. 5, Art. 66 Rz. 273 ff.; beachte in Bezug auf den Beitrittsstaat Polen, welcher das Lugano Übereinkommen ratifiziert hat, die Sonderregel in Art. 66 Abs. 2 lit. a Brüssel I-VO); in Bezug auf Bulgarien und Rumänien Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts, BGBl. 2006 II 1146, 1166 bzw. in Bezug auf Kroatien Art. 2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts, BGBl. 2013 II 586, 592; zur zeitlichen Anwendbarkeit der Brüssel I-VO im Hinblick auf die EU-Osterweiterung: Thomale, IPRax 2014, 239 ff. 311 MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 11. 312 Siehe noch zur Brüssel I-VO EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00 – Verein für Konsumenteninformation vs. K H Henkel, EuGHE I 2002, 8111, 8143 Rz. 49 = IPRax 2003, 341, 344 Rz. 49 m. Anm. Michailidou, 223 ff.; zur
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.313 Aus dem jüngst veröffentlichten Entwurf eines Austrittsabkommens ergibt sich die Intention des Vereinigten Königreichs, nach dem Ausscheiden aus der Union nicht weiter am Sekundärrechtsakt festhalten zu wollen. So wird die Geltungsdauer der Brüssel Ia-VO nach Art. 67 des Entwurfes auf das Ende der Übergangszeit begrenzt.
VI. Territorialer Geltungsbereich 13
Art. 299 EGV (nunmehr Art. 52 EUV) bestimmte nicht nur den Anwendungsbereich des EGV, sondern erlangt ebenso Bedeutung für die hierauf gestützten Sekundärrechtsakte.314 Die Hoheitsgebiete der in Art. 299 Abs. 1 EGV (nunmehr Art. 52 Abs. 1 EUV) angesprochenen Mitgliedstaaten sind nach Maßgabe der jeweiligen Verfassungen sowie anhand der allgemeinen Regeln des Völkerrechts festzulegen.315 Aus dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs resultiert nach Art. 50 Abs. 3 EUV das Erlöschen aller Unionsrechtsakte.316 Diese fallen dementsprechend mit dem Ablauf der Übergangsfrist317 im Verhältnis zum Vereinigten Königreich fort, welches somit aus dem Blickwinkel der verbliebenen Mitgliedstaaten als Drittstaat anzusehen sein wird.318
14
Nach Art. 69 EGV319 haben sowohl Großbritannien und Irland als auch Dänemark aufgrund entsprechender Protokolle Vorbehalte gegen mögliche auf Art. 61 EGV gestützte Sekundärrechtsakte eingelegt. Diese entfalten vom Grundsatz her in den zuvor genannten Mitgliedstaaten keine Wirkung. Großbritannien und Irland steht es nach Art. 3 des Protokolls Nr. 4 des Amsterdamer Vertrags frei, sich für ein sogenanntes „opt-in“ zu entscheiden.320 Dies setzt voraus, dass sie innerhalb von drei Monaten nach der Vorlage des Vorschlags oder einer Initiative dem Präsidenten des Rates schriftlich mitteilen, sie beabsichtigten sich an der Annahme und Anwendung der betreffenden Maßnahme zu beteiligen. Großbritannien und Irland haben von dieser Möglichkeit bislang bei sämtlichen Rechtsakten, die sich auf Art. 61 lit. c, 65 EGV gründen, Gebrauch gemacht.321 Auf der Ratstagung „Justiz und Inneres“ am 12.3.1999 haben Großbritannien und Irland jedenfalls mitgeteilt, sie wollten sich auch zukünftig in vollem Umfang an der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen beteiligen. Die Brüssel I-VO galt ebenso für das Vereinigte Königreich wie für Irland.322 Im Hinblick auf die Brüs-
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Vorwirkung der Brüssel I-VO im Verhältnis zum EuGVÜ siehe EuGH v. 12.5.2005 – C-112/03 – Société financière et industrielle du Peloux vs. Axa Belgium u.a., EuGHE I 2005, 3707 Rz. 41 = IPRax 2005, 531 ff. m. zust. Anm. im Hinblick auf die Brüssel I-VO Heiss, 497 ff. Zur Vorwirkung des Insolvenzübereinkommens siehe: EuGH v. 17.9.1997 – C-117/96 – Danmarks Aktive Handelsrejsende vs. Lønmodtagernes Garantifond, EuGHE I 1997, 5017, 5050 Rz. 23 = NZA 1997, 1155 f.; hierzu Jayme/Kohler, IPRax 1998, 417, 429; auch der BGH hat in der Vergangenheit bereits mehrfach das Insolvenzübereinkommen als Auslegungshilfe herangezogen, obwohl es noch nicht in Kraft getreten war; vgl. die Angaben bei Wunderer, WM 1998, 793, 794. Zur Vorwirkung der Brüssel I-VO vgl. EuGH v. 12.5.2005 – C-112/03 – Société Ginancière et industrielle du Peloux vs. Axa Belgium u.a., EuGHE I 2005, 3707 = IPRax 2005, 531 ff. m. zust. Anm. im Hinblick auf die Brüssel I-VO Heiss, 497 ff. Becker in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar2 (2009) Art. 299 EGV Rz. 2. Schmalenbach in Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft5 (2016) Art. 52 EUV Rz. 4. Siehe hierzu Rz. 6h. Vgl Art. 50 Abs. 3 EUV. Hierzu Hess, IPRax 2016, 409, 410; diese Rechtsfolge tritt bei Verordnungen automatisch ein. Indes bleiben nationale Vorschriften weiterhin anwendbar, welche zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden. Die Vorschrift ist im Zuge des Vertrags von Lissabon entfallen. Ab dem 1.12.2009 Art. 3 des Protokolls Nr. 21 über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. EU 2008 C 115/295. Vgl etwa ErwGr. 39 Rom II-VO Nr. 864/2007 (zu diesem Rechtsakt siehe die Angaben in Rz. 64); am 24.7.2008 teilte das Vereinigte Königreich der Kommission überdies mit, dass es sich an der Rom I-VO Nr. 593/2007 (vgl. hierzu Rz. 64) beteiligen möchte, vgl. KOM (2008) 730; am 22.12.2008 befürwortete die Kommission diesen Antrag, so dass der Gemeinschaftsrechtsakt am 15.1.2009 für das Vereinigte Königreich in Kraft getreten ist, 2009/26/EG, ABl. EU 2009 L 10/22. Vgl ErwGr. Nr. 20 Brüssel I-VO; zur Vollstreckung deutscher Titel in Großbritannien siehe Buchhold, NJW 2007, 2734 ff.
Staudinger
Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
sel Ia-VO haben diese Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 des dem EUV und AEUV beigefügten Protokolls Nr. 21 erklärt, dass sie sich an der Annahme sowie Anwendung der Brüssel Ia-VO beteiligen möchten, sodass die Verordnung auch für sie gilt.323 Dies ändert sich indes durch den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs.324 Für Dänemark sah das Protokoll Nr. 5325 demgegenüber kein entsprechendes „opt-in“ vor, so dass 15 die Brüssel I-VO mithin keine Wirkung entfaltete. Dies folgte nicht nur aus Art. 1 Abs. 3 sondern auch aus ErwGr. 21 Brüssel I-VO. Im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und Dänemark verblieb es damit bei der Anwendbarkeit des EuGVÜ sowie des Auslegungsprotokolls.326 Im Einzelfall konnte Art. 54 LugÜbk 1988 von seinem Rechtsgedanken herangezogen werden.327 Ein Desiderat blieb – gerade auch im Hinblick auf die neuen Beitrittsstaaten, weil sie weder dem EuGVÜ noch mit Ausnahme Polens328 dem LugÜbk 1988 unterliegen329 – ein Abkommen zwischen Dänemark und der Gemeinschaft, welches eine Erstreckung der Brüssel I-VO auf das Verhältnis zwischen Dänemark und den übrigen Mitgliedstaaten herbeiführen sollte.330 Umstritten war, ob die Abschlusskompetenz ihnen bzw. (konkurrierend oder ausschließlich) der Gemeinschaft zusteht.331 Der Rat der Europäischen Gemeinschaft hat jedenfalls am 20.9.2005 den Beschluss gefasst, in ihrem Namen das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu unterzeichnen.332 Im Anschluss an das Gutachten des EuGH zur Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft für den Abschluss des revidierten Lugano Übereinkommens333 unterzeichnete diese eine entsprechende völkerrechtliche Vereinbarung mit Dänemark.334 Mit diesem Abkommen, welches vom Rat am 27.4.2006 genehmigt wurde335 und am 1.7.2007 in Kraft getreten ist,336 streben die Vertragsparteien eine Ausweitung des räumlichen Anwendungsbereichs des Gemeinschaftsrechtsaktes sowie dessen einheitliche Anwendung und Auslegung an (Art. 1 Abs. 1, 2 Abkommen vom
323 Vgl ErwGr. Nr. 40 Brüssel Ia-VO. 324 Siehe hierzu Rz. 6h. 325 Nunmehr Protokoll Nr. 22 über die Position Dänemarks (ABl. EU 2008 C 115/299), nach dessen Art. 8 Dänemark die Möglichkeit besitzt, sich für ein „opt-in“-Verfahren, das bereits für das Vereinigte Königreich und Irland gilt, zu entscheiden. 326 Siehe auch ErwGr. 22 Brüssel I-VO. 327 Kohler, FS Geimer (2002) 461, 468 ff.; siehe auch Schoibl, JBl 2003, 149, 153. 328 Hierzu Staudinger in Rauscher, EuZPR/EUIPR (2011) Einf. LugÜbk 2007 Rz. 3. 329 Vgl Hess, IPRax 2004, 374, 375 Fn. 5. 330 KOM (2005) 145; hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 485 f.; Wagner, IPRax 2005, 494; ebenso stand der Abschluss eines Parallelabkommens der Gemeinschaft mit Dänemark zur Ausweitung der EG-ZustVO 2000 auf das Verhältnis zwischen diesem Staat und den übrigen EG-Mitgliedstaaten bevor; KOM (2005) 146; vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 486; Wagner, IPRax 2005, 494; zu diesem Abkommen siehe die Angaben in Rz. 5. 331 Kohler, FS Geimer (2002) 461, 470 f.; vgl. hierzu Leible/Staudinger, EuLF (D) 2000/2001, 225, 234 f. sowie die Angaben in Rz. 21; die Entscheidung Dänemarks, einen generellen Vorbehalt einzulegen, darf nicht systematisch durch den Abschluss von Parallelabkommen konterkariert werden; siehe hierzu Wagner, NJW 2003, 2344, 2346 unter Hinweis auf ein Gutachten, das der Juristische Dienst des Rates vorgelegt hat; vgl. hierzu auch Jayme/Kohler, IPRax 2005 481, 491. 332 Zum Beschluss siehe ABl. EU 2005 L 299/61. 333 Im Hinblick auf den Abschluss des revidierten Lugano-Abkommens hat der Rat den EuGH nach Art. 300 Abs. 6 EGV um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten; hierzu Wagner, NJW 2003, 2344, 2348; Jayme/ Kohler, IPRax 2005, 481, 491 f.; nach dem Gutachten 1/03 des Gerichtshofs vom 7.2.2006 besitzt die Europäische Gemeinschaft eine ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss des neuen Übereinkommens: EuGHE I 2006, 1145 ff.; hierzu Bischoff, EuZW 2006, 295 ff.; Lavranos, CMLR 2006, 1087 ff.; Schroeter, GPR 2006, 203 ff. Zu den nunmehr von der Europäischen Gemeinschaft unterzeichneten LugÜbk 2007 beachte die Angaben in Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 6, 20 ff. 334 Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2005 L 299/62 ff.; hierzu Nielsen, IPRax 2007, 506 ff.; zur entsprechenden Änderung des AVAG siehe BGBl. 2007 I 529 f., 1058. 335 ABl. EU 2006 L 120/22. 336 Zum Inkrafttreten siehe ABl. EU 2007 L 94/70.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen). Zu diesem Zweck können dänische Gerichte – unter den gleichen Voraussetzungen, die für die anderen mitgliedstaatlichen Spruchkörper gelten – den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung ersuchen und sind verpflichtet, der Judikatur des EuGH bei der Auslegung der maßgeblichen Vorschriften angemessen Rechnung zu tragen (Art. 6 Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen).337 Bzgl. der Brüssel Ia-VO hat Dänemark der Kommission mitgeteilt, dass es den novellierten Rechtsakt beachten wird. Die Brüssel Ia-VO gilt daher als Änderung des ursprünglichen Parallelabkommens und als Anhang dazu, so dass ihre Anwendbarkeit zwischen den Mitgliedstaaten und Dänemark über das Abkommen bewirkt wird.338 Aus deutschem Blickwinkel ist bei Fällen mit Berührungspunkten zu Dänemark somit nach wie vor grds. die Brüssel Ia-VO maßgeblich; die Übereinkunft lässt nämlich die Anwendung dieses Gemeinschaftsrechtsaktes unberührt (Art. 10 Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen). Gleichwohl beansprucht das Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen nach Art. 10 Abs. 2 lit. a etwa in Zuständigkeitsfragen auf jeden Fall Geltung, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in Dänemark hat oder Art. 24, 25 Brüssel Ia-VO einschlägig sind. In Fragen der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen gilt dieser Vorrang soweit Dänemark Ursprungsmitgliedstaat oder ersuchter Mitgliedstaat ist (Art. 10 Abs. 2 lit. c Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen). 16
Der Grundsatz in Art. 299 Abs. 1 EGV (nunmehr Art. 52 Abs. 1 EUV), wonach der Geltungsbereich der Brüssel I-VO die in dieser Vorschrift genannten Mitgliedstaaten erfasst, wird in Art. 299 Abs. 4 EGV (nunmehr Art. 355 Abs. 3 AEUV) für bestimmte europäische Hoheitsgebiete modifiziert. Die Brüssel Ia-VO gilt hiernach etwa für Gibraltar.339 Ausgenommen bleiben demgegenüber die sogenannten Mikrostaaten wie etwa Monaco und San Marino.340
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Sonderregeln für die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO beinhalten die Art. 349 und 355 Abs. 1, 2 sowie 4, 5 AEUV (ex Art. 299 Abs. 2, 3 sowie Abs. 5, 6 EGV). Kraft einer Erklärung der Niederlande erstreckte sich das EuGVÜ auf das Gebiet von Aruba und Saint-Pierre-et-Miquelon sowie Mayotte.341 Diese Erklärung entfaltet indes keinerlei Wirkung im Hinblick auf die Brüssel Ia-VO. Demgemäß verbleibt es insofern bei dem in Art. 355 Abs. 2 AEUV (Ex-Art. 299 Abs. 3 EGV) niedergelegten Grundsatz, so dass nach Art. 68 Abs. 1 Brüssel Ia-VO weiterhin das EuGVÜ zur Anwendung gelangt.342 Dies gilt ebenso im Verhältnis zu Dänemark.
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Vom Geltungsbereich ausgenommen bleiben nach Art. 299 Abs. 6 EGV (nunmehr Art. 355 Abs. 5 lit. a AEUV) die Färöer-Inseln (dänisches Hoheitsgebiet). Zudem waren bereits vor dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs die Hoheitszonen auf Zypern343, die britischen Kanalinseln (Guernsey, Jersey, Alderney, Sark) sowie die Isle of Man ausgenommen. 337 Zur Maßgeblichkeit des Klägergerichtsstandes des Geschädigten bei Direktklagen gegen den Versicherer gem. Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO im Verhältnis zu Dänemark siehe Art. 13 Rz. 24. 338 ABl. EU 2013 L 79/4; siehe auch Mansel/Thorn/R Wagner, IPRax 2015, 1, 5; mit Blick auf die Verordnung (EU) Nr. 542/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 bzgl. der hinsichtlich des Einheitlichen Patentgerichts und des Benelux-Gerichtshofs anzuwendenden Vorschriften: ABl. EU 2014 L 240/1; hierzu Mankowski, GPR 2014, 330 ff. 339 In Bezug auf die Brüssel I-VO: Kropholler/von Hein, Einl. Brüssel I-VO Rz. 52. 340 Ergibt sich aus Art. 52 Abs. 1 EUV. 341 Noch im Hinblick auf die Brüssel I-VO Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 486. 342 Die Brüssel I-VO betreffend Kohler, FS Geimer (2002) 461, 472. 343 In diesem Zusammenhang ist die Rs. C-420/07 – Meletis Apostolides/David Charles Orams und Linda Elizabeth Orams (EuGRZ 2009, 210 ff.) zu beachten, die Art. 1 Abs. 1 des Protokolls Nr. 10 zur Beitrittsakte Zy-
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Der Zuständigkeitskatalog der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO setzt tatbestandlich einen grenzüberschreiten- 19 den Sachverhalt voraus.344 Dies folgt bereits aus dem ErwGr. 4 Brüssel Ia-VO.345 Die Verordnung gründet überdies auf Art. 67 Abs. 4 i.V.m. Art. 81 Abs. 2 lit. a, c, e AEUV.346 Auf diesen Kompetenztitel konnte allein eine Maßnahme im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit „grenzüberschreitendem Bezug“ gestützt werden.347 Dies ist einhellige Ansicht im Schrifttum mit Blick auf die Brüssel I-VO,348 und muss mangels entgegenstehender Änderungen in der novellierten Fassung des Sekundärrechtsaktes sowie aufgrund des in ErwGr. 34 Brüssel Ia-VO genannten Kontinuitätsgrundsatzes fortgelten. Von der Systematik erlaubte dann aber Art. 67 Abs. 4, Art. 81 Abs. 2 lit. a, c, e AEUV nur einen Rechtsakt über die „Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten“.349 Ausgehend von dem Kompetenztitel des Vertrags von Lissabon, der im ErwGr. 5 Brüssel Ia-VO ausdrücklich angeführt wurde, dient die Verordnung somit dem Ziel, binnenmarktweit ein Zuständigkeitssystem hinsichtlich internationaler Sachverhalte zu schaffen. Für dieses Ergebnis lässt sich auch das Gebot der Primärrechtskonformität anführen, das im Rahmen der Interpretation zu beachten ist und – vergleichbar dem Gebot der verfassungskonformen Auslegung – Konflikte mit dem höherrangigen Primärrecht vermeiden soll. Erstreckte man die Brüssel Ia-VO auf Sachverhalte ohne grenzüberschreitenden Bezug, hätte dies zur Folge, dass der Sekundärrechtsakt kompetenzwidrig verabschiedet worden wäre. Für einen solchen Primärrechtsverstoß lässt sich jedoch weder dem Wortlaut der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO noch den Erwägungsgründen irgendein Anhaltspunkt entnehmen. Demzufolge besteht etwa lediglich bei internationalen Fallgestaltungen ein örtlicher Gerichtsstand nach Art. 18 Abs. 1, 2. Alt. Brüssel Ia-VO für Aktivprozesse des Verbrauchers, nicht indes in reinen Inlandsfällen.350 Große Teile des Schrifttums sowie der Judikatur befürworten einen Mitgliedstaatenbezug als unge- 20 schriebenes Tatbestandserfordernis des EuGVÜ bzw. der Brüssel I-VO.351 Eine solche Anwendungsschranke ist im Lichte der vom Gerichtshof erlassenen Urteile in den Rs. Group Josi/Universal General
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pern von 2003 zum Inhalt hat. Der maßgeblichen Vorschrift entsprechend ist die Anwendung des gemeinschaftlichen Besitzstands in den Teilen der Republik Zypern ausgeschlossen, in denen die Regierung der Republik Zypern keine tatsächliche Kontrolle ausübt. Nach Ansicht des EuGH hat diese Tatsache jedoch nicht zur Folge, dass einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung eines Gerichts der Republik Zypern mit Bezügen zu dem nicht von ihrer Regierung kontrollierten Gebiet nach Maßgabe der Brüssel I-VO verwehrt ist. Thomas/Putzo/Hüßtege, Vor Art. 1 Rz. 20; Linke/Hau, Rz. 4.35; MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 9 f.; abweichend Zöller/Geimer, Art. 4 Rz. 9; Zur Brüssel I-VO: ÖstOGH IPRax 2006, 607, 608 m. Anm. Heiderhoff, 612 ff.; Piltz, NJW 2002, 789, 790; siehe zum EuGVÜ EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02 – Owusu, vs. Jackson, u.a., EuGHE I 2005, 1383 ff. = IPRax 2005, 244 m. Anm. Heinze/Dutta, 224 ff. = JZ 2005, 887 m. Anm. Bruns, 890 ff.; vgl. auch McEleavy, ICLQ 2005, 973 ff.; weitere Nachweise bei Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 487. Zur Brüssel I-VO OLG Brandenburg, NJW-RR 2016, 1038 ff. m. Anm. Staudinger/Friesen, IPRax 2018, 366 ff.; Schack, Rz. 270. Zur Reform der Kompetenznorm durch den Lissaboner Vertrag siehe die Angaben in Rz. 1. Rossi in Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtecharta5 (EUV/AEUV) (2016) Art. 81 AEUV Rz. 11; zur Brüssel I-VO, die auf den Kompetenztitel gem. Art. 61 lit. c, Art. 67 Abs. 1 EGV gründete: Stumpf in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 81 AEUV Rz. 12. Siehe hierzu Tebbens in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 171, 176; Drappatz, Die Überführung des internationalen Zivilverfahrensrechts in eine Gemeinschaftskompetenz nach Art. 65 EGV (2002) 93; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Überblick Rz. 10; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Einl. Rz. 24. Vgl zur Brüssel I-VO: Leible/Staudinger, EuLF (D) 2000/2001, 225, 228. Zum Auslandsbezug der Mediationsrichtlinie siehe Rz. 6d Fn. 157. Zur Unanwendbarkeit von Art. 16 Abs. 1 Brüssel I-VO (entspricht Art. 18 Brüssel Ia-VO) bei Klagen des Verbrauchers gegen einen im Inland ansässigen Unternehmer östOGH IPRax 2006, 607, 608 m. Anm. Heiderhoff, 612 ff.; siehe auch Vor. Art. 17–19 Rz. 1. Vgl hierzu die Angaben zum Streitstand bei Gebauer, ZEuP 2001, 949, 950 f. Der BGH scheint nunmehr von dieser Anwendungsschranke im Lichte der jüngeren Judikatur des EuGH Abstand zu nehmen; siehe zum EuGVÜ: BGH, NJW-RR 2005, 1593, 1594.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung Insurance352 und Owusu/Jackson u.a.353 abzulehnen.354 Diese Urteile lassen sich von ihrer ratio decidendi auf die Brüssel I-VO und demnach auf die Brüssel Ia-VO übertragen. Überdies folgt nunmehr aus der Formulierung in Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sowie dem ErwGr. 13 Brüssel Ia-VO, dass Rechtsstreitigkeiten bereits dann der Harmonisierungsmaßnahme unterliegen, wenn sie einen Anknüpfungspunkt an das „Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten“ aufweisen. Zwar weicht der Wortlaut des ErwGr. 13 Brüssel Ia-VO von demjenigen in ErwGr. 8 S. 1 Brüssel I-VO insofern ab, als Letzterer die Konkretisierung „Hoheitsgebiet eines der Mitgliedstaaten“ enthielt. Jedoch knüpfen beide Fassungen an das „Hoheitsgebiet“ und nicht an „Hoheitsgebiete“ an, sodass die Verbindung zu einem Mitgliedstaat auch nach der Brüssel Ia-VO genügt.355 Die Bezugnahme kann sich ebenso darin erschöpfen, dass etwa Parteien eines Drittstaates die Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts nach Maßgabe des Art. 25 Brüssel Ia-VO wählen. Der Zuständigkeitskatalog greift mithin gleichfalls bei einem Sachverhalt ein, dessen grenzüberschreitendes Element sich in dem Bezug zu einem Drittstaat erschöpft, wie dies die Fälle der Art. 6 Abs. 1, 18 Abs. 1, 21 Abs. 2 und Art. 25 Brüssel Ia-VO bestimmen.
VII. Außenkompetenz der Gemeinschaft 21
Nach der Judikatur des Gerichtshofs356 in der Rs. AETR besteht eine Parallelität von Binnen- und Außenkompetenz357 der Gemeinschaft.358 Damit entsteht ein Gleichlauf der Kompetenz in foro interno und foro externo. Nach vordringender Ansicht359 im Schrifttum lässt sich diese AETR-Lehre auf die Ermächtigungsgrundlage in Art. 81 AEUV übertragen. Der Gemeinschaft wächst folglich mit dem Erlass360 eines auf Art. 81 AEUV gestützten Rechtsakts wie der Brüssel Ia-VO eine entsprechen352 EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98 – Group Josi vs. Universal General Insurance, EuGHE I 2000, 5925 ff. = EuLF (D) 2000/2001, 49 ff. m. Anm. Geimer, 54 ff. = IPRax 2000, 520 ff. m. Anm. Staudinger, 483 ff. = ZEuP 2001, 943 ff. m. Anm. Gebauer, 949 ff.; hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2000, 454, 459; Koch, NVersZ 2001, 60 ff.; Schack, Rz. 271; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 14; Staudinger, EuLF (D) 2000/2001, 40, 44; Zöller22/Geimer, Art. 2 EuGVÜ Rz. 1, Art. 17 EuGVÜ Rz. 5. 353 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02 – Owusu vs. Jackson u.a., EuGHE I 2005, 1383 ff. = IPRax 2005, 244 m. Anm. Heinze/Dutta, 224 ff. = JZ 2005, 887 m. Anm. Bruns, 890 ff.; vgl. auch McEleavy, ICLQ 2005, 973 ff.; weitere Nachweise bei Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 487. 354 So auch die Deutung der Entscheidung Group/Josi von Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Überblick Rz. 10; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Einl. Rz. 24; Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481; Kropholler/von Hein, vor Art. 2 Brüssel I-VO Rz. 8, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 3; Mayr, RabelsZ 69 (2005), 558, 561; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 26, 169; Thomas/Putzo/Hüßtege, Vor Art. 1 Rz. 21; entsprechend zur Brüssel II-VO Cour de cassation, IPRax 2006, 611 m. Anm. Dilger, 617 ff. kritisch äußert sich demgegenüber Schack, Rz. 271. 355 Überdies ist der Wortlaut des ErwGr. 13 Brüssel Ia-VO sowie des ErwGr. 8 S. 1 Brüssel I-VO etwa im Englischen, Französischen, Italienischen, Rumänischen, sowie Spanischen identisch und wird wie die deutsche Fassung des ErwGr. 13 Brüssel Ia-VO übersetzt. 356 EuGH v. 31.3.1971 – 22/70 – AETR, EuGHE I 1971, 263 ff.; siehe auch Gutachten 1/94 vom 15.11.1994, Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss völkerrechtlicher Abkommen auf dem Gebiet der Dienstleistungen und des Schutzes geistigen Eigentums, EuGHE I 1994, 5267 ff.; kritisch hierzu Mittmann, Die Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (2000) 13 ff.; zum Streitstand in der Literatur siehe die Angaben bei Schmalenbach in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV5 (2016) Art. 216 AEUV Rz. 10 f. Die Akzeptanz der Judikatur des EuGH in allen Mitgliedstaaten lässt sich mittelbar anhand ihrer Erklärung Nr. 10 zum Maastricht-Vertrag ablesen, die ausdrücklich auf das Urteil des Gerichtshofs v. 31.3.1971 – 22/70 – AETR Bezug nimmt. 357 Siehe hierzu Nakanishi, Die Entwicklung der Außenkompetenzen der Europäischen Gemeinschaft (1998); Schmalenbach in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV5 (2016) Art. 216 AEUV Rz. 10 f. 358 Diese Frage stellt sich beim EuGVÜ als völkerrechtlicher Konvention nicht. 359 Für eine Übertragbarkeit auf die Vorgängerbestimmung des Art. 65 EGV: Leible/Staudinger, EuLF (D) 2000/2001, 225, 234 f.; Leisle, ZEuP 2002, 316, 329; Tebbens in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 171, 186 f.; abweichend wohl Borrás, REDI 51 (1999), 382, 408 f.; offen lassend Basedow, CMLR 37 (2000), 687, 704. 360 Tebbens in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 171, 187; Staudinger/ Leible, EuLF (D) 2000/2001, 225, 235; hierzu Takahashi, ICLQ 2003, 529 ff.
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de Kompetenz im Außenverhältnis zu. Dies betrifft nicht nur die völkerrechtliche Vereinbarung mit Dänemark,361 sondern ebenso den Abschluss des Lugano-Revisionsübereinkommens362 und des von der Haager Konferenz363 angenommenen Gerichtsstandsübereinkommens364.365 Bedeutung erlangt die Außenkompetenz ferner im Hinblick auf den Abschluss neuer Konventionen i.S.d. Art. 71 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.366 Die Frage, inwieweit die Gemeinschaft im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten eine konkurrierende oder sogar ausschließliche Zuständigkeit besitzt, ist anhand des betreffenden Übereinkommens zu entscheiden. Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1.12.2009 ergeben sich insoweit Änderungen, als nunmehr die Europäische Union, welche gem. Art. 47 EUV Rechtspersönlichkeit besitzt, an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft tritt (Art. 1 EUV) und somit völkerrechtliche Vereinbarungen abschließt.367
VIII. Konkurrenzverhältnisse 1. Verhältnis der Brüssel Ia-VO zum Primärrecht und zu anderen Sekundärrechtsakten Innerhalb des Gemeinschaftsrechts besteht ein Stufenverhältnis zwischen Primär- und Sekundär- 22 recht.368 Laut Art. 13 Abs. 2 EUV handeln die Organe der Gemeinschaft, wie etwa das Parlament, der Rat oder die Kommission, nach Maßgabe der ihnen in den „Verträgen“ zugewiesenen Befugnisse. Vergleichbar der Normenhierarchie im autonomen Recht steht demnach der AEUV im Rang über den auf ihn gestützten Rechtsakten. Die Brüssel Ia-VO darf sich demzufolge nicht in Widerspruch zu den vor dem 1.12.2009 maßgeblichen Amsterdamer Vertrag setzen und ist – vergleichbar der verfas361 Hierzu siehe die Angaben in Rz. 15. 362 Im Hinblick auf den Abschluss des revidierten Lugano-Abkommens hat der Rat den EuGH nach Art. 300 Abs. 6 EGV um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten; hierzu Wagner, NJW 2003, 2344, 2348; Jayme/ Kohler, IPRax 2005, 481, 491 f.; nach dem Gutachten 1/03 des Gerichtshofs vom 7.2.2006 besitzt die Europäische Gemeinschaft eine ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss des neuen Übereinkommens von Lugano: EuGHE I 2006, 1145 ff.; hierzu Bischoff, EuZW 2006, 295 ff.; Lavranos, CMLR 2006, 1087 ff.; Schroeter, GPR 2006, 203 ff. Zu den nunmehr von der Europäischen Gemeinschaft unterzeichneten LugÜbk 2007 beachte die Angaben in Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 6, 20 ff. 363 Nachdem die Haager Konferenz ihre Satzung insoweit änderte, dass auch regionale Organisationen Mitglied werden können (BGBl. 2006 II 1417 ff.). Die Europäische Gemeinschaft ist am 4.3.2007 der Haager Konferenz beigetreten; vgl. Beschluss der Rates 2006/719/EG vom 5.6.2006, ABl. EU 2006 L 297/1 ff.; hierzu Wagner, IPRax 2007, 11 ff.; beachte auch Bischoff, ZEuP 2008, 334 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 ff.; Wagner, Jura 2011, 891 ff. 364 Siehe insoweit die Angaben in Rz. 70. 365 Zum Ganzen siehe auch Wagner, IPRax 2007, 290 ff.; Wagner, RabelsZ 73 (2009), 215 ff. 366 Siehe etwa die Einschätzung der Kommission zur Ratifikation des Änderungsprotokolls vom 3.6.1999 zur COTIF, KOM (2002) 18, 20; zum Luftverkehrsrecht McMahon, ICLQ 2003, 499 ff.; Thym, EuR 2003, 277 ff.; beide beziehen sich auf das Vertragsverletzungsverfahren EuGH v. 5.11.2002 – C-476/98 – Kommission vs. Bundesrepublik Deutschland, EuGHE I 2002, 9855 ff. = EuZW 2003, 82 ff.; dazu auch Bartlik, TranspR 2004, 61 ff. Die Europäische Gemeinschaft hat etwa das Montrealer Übereinkommen abgeschlossen (Beschluss des Rates vom 5.4.2001 über den Abschluss des Montrealer Übereinkommens durch die Europäische Gemeinschaft ABl. EG 2001 L 194/38 ff.) und in einen Sekundärrechtsakt eingekleidet (Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.5.2002 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen), so dass Vorschriften dieser Konvention ebenfalls der Auslegungszuständigkeit des Gerichtshofs unterliegen; ausführlich hierzu Basedow, FS Schlechtriem (2003) 165, 185 f.; siehe auch Staudinger/Schmidt-Bendun, VersR 2004, 971 ff.; Staudinger/ Schmidt-Bendun, NJW 2004, 1897 ff. Im Nachgang an einen Kommissionsvorschlag (KOM (2005) 592; hierzu Czerwenka, RRa 2003, 158 ff.; Lagoni, ZEuP 2007, 1079 ff.) hat die Europäische Gemeinschaft am 23.4.2009 die Verordnung (EG) Nr. 392/2009 über die Unfallhaftung von Beförderern von Reisenden auf See (ABl. EU 2009 L 131/24) erlassen, mit welcher das Athener Übereinkommen vom 13.12.1974 (vgl. BBl 1986 II 741/717) i.d.F. des Protokolls von 2002 (abgedruckt in KOM (2005) 592, 17 ff.) in das Gemeinschaftsrecht überführt wird; hierzu Czerwenka, TranspR 2010, 165 ff.; Czerwenka, DAR 2014, 242 ff.; Karsten, VuR 2009, 213 ff. 367 Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU (2008) 110; zum Verfassungsentwurf Fassbender, AVR 2004, 26, 30. 368 Biervert in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Auflage 2012, Art. 288 AEUV Rz. 11.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung sungskonformen Auslegung – im Einklang mit dem Primärrecht zu interpretieren. Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 Abs. 1 EUV369 bedarf der Erlass der Brüssel Ia-VO eines Kompetenztitels auf der Primärrechtsebene. Der Rechtssetzungsakt muss darüber hinaus den Geboten der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit nach Art. 5 Abs. 2 EUV entsprechen. 23
Innerhalb des Sekundärrechts besteht dagegen keine starre Normenhierarchie. Insbesondere genießt eine Verordnung trotz ihrer unmittelbaren Geltung nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV keinen generellen Vorrang vor einer RL als zweistufigem Rechtsetzungsinstrument nach Art. 288 Abs. 3 AEUV. Ebenso wenig lässt sich ein Stufenverhältnis unter Verweis auf den Urheber eines Rechtsakts ableiten, da die Gemeinschaftsorgane – soweit das Primärrecht keine Ausnahme vorsieht – vom Grundsatz her gleichberechtigt sind.370 Sofern der Wille des europäischen Gesetzgebers zum Konkurrenzverhältnis keinen ausdrücklichen Niederschlag in einem der beiden Rechtsinstrumente gefunden hat,371 verbleibt der Rückgriff auf ungeschriebene Grundsätze. Wie im nationalen Recht kann sich ein Stufenverhältnis etwa aus der „lex posterior“-Regel ergeben. Sie findet jedoch nur insoweit Anwendung, als beide Harmonisierungsmaßnahmen von demselben Organ erlassen wurden „und hinsichtlich der späteren Rechtshandlung ein identisches, jedenfalls nicht weniger strenges Verfahren gewählt wurde“.372 Ein Rangverhältnis kann ferner aus dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ abgeleitet werden.373 Aus den vorangehenden Ausführungen folgt etwa, dass neben den Zuständigkeitskatalog der Brüssel Ia-VO konkurrierend ein Gerichtsstand nach Maßgabe des Art. 6 der EG-Entsende-RL374 bzw. § 15 Arbeitnehmerentsendegesetz tritt.375 Ebenso gelangen die Prorogationsschranken der Brüssel IaVO neben denjenigen der RL über missbräuchliche Klauseln zur Anwendung.376 Die Brüssel Ia-VO ersetzt ausweislich ihres Erwägungsgrundes Nr. 1 S. 3 die Brüssel I-VO. Eine Rückwirkung des novellierten Sekundärrechtsaktes verbietet sich nach Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Dies hat zur Folge, dass die Brüssel I-VO gemäß Art. 66 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nur noch für die Fälle Anwendung findet, in denen die Klage vor dem 10.1.2015 erhoben wurde. 2. Verhältnis der Brüssel Ia-VO zum EuGVÜ
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Die Brüssel Ia-VO tritt nach Art. 68 Abs. 1 Brüssel Ia-VO im Verhältnis der Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Dänemarks – an die Stelle des EuGVÜ377, sofern Art. 299 EGV (nunmehr Art. 52 EUV) nicht entgegensteht.378 Nach Art. 68 Abs. 2 Brüssel Ia-VO gelten „Verweise“ auf das EuGVÜ als „Verweise auf die vorliegende Verordnung“, soweit sie die Bestimmungen des Brüsseler Abkommens zwischen den Mitgliedstaaten ersetzt. Diese Vorschrift erlangt etwa bei Art. 25 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 der EG-InsVO Bedeutung. In diesem Fall bedarf es keiner dynamischen Interpretation.379 Vielmehr besteht mit Art. 68 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eine ausdrückliche Anordnung des europäischen Gesetzgebers.380 Inwieweit Art. 68 Abs. 2 Brüssel Ia-VO auch Verweise auf das EuGVÜ im innerstaatlichen Recht betrifft, ist aus Sicht der jeweiligen lex fori zu bestimmen.381
369 Zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung siehe Lienbacher in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 5 EUV Rz. 1. 370 Biervert in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 288 AEUV Rz. 12. 371 Vgl hierzu Wagner, FS Schumann (2001) 535, 557. 372 Biervert in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 288 AEUV Rz. 12; vgl. weitere Angaben bei Staudinger, ZLR 2001, 649, 651; Leible, RIW 2001, 422, 430. 373 Allgemein hierzu Hofmann, Normhierarchien im europäischen Gemeinschaftsrecht (2000). 374 RL 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen vom 16.12.1996, ABl. EG 1997 L 18/1 ff. 375 Vgl Kropholler/von Hein, Art. 19 Brüssel I-VO Rz. 14 f.; Thomas/Putzo/Hüßtege, Art. 67 Rz. 2; Zöller/Geimer, Art. 67 Rz. 1. 376 Siehe hierzu Art. 19 Rz. 6. 377 Zum Konkurrenzverhältnis zwischen Brüssel I-VO und LugÜbk siehe Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 13. 378 Bedeutsam ist dies etwa für Aruba; vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 486. 379 Dies missversteht Becker, ZEuP 2002, 287, 311. 380 So auch Haubold, IPRax 2002, 157, 159; Leipold, FS Ishikawa (2001) 221, 222 Fn. 5. 381 Kohler, FS Geimer (2002) 461, 464 f.
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3. Verhältnis der Brüssel Ia-VO zu anderen multilateralen Abkommen für besondere Rechtsgebiete Das (umstrittene) Konkurrenzverhältnis etwa von CMR,382 COTIF383 sowie Montrealer384 oder Athe- 25 ner Übereinkommen385 zur Brüssel I-VO und damit ebenfalls zur Brüssel Ia-VO ist mit Hilfe Art. 71 Brüssel Ia-VO zu bestimmen.386 Dies gilt ebenso für das Verhältnis zu den Haager Konventionen auf dem Gebiet des Unterhaltsrechts.387 Aus Art. 57 Abs. 2 lit. b S. 2 EuGVÜ sowie dem in Art. 23 HUntAVÜbk 1973 verankerten Günstigkeitsprinzip folgerte die ganz herrschende Ansicht in der Vergangenheit, dass eine Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung parallel auf beide Konventionen gestützt werden konnte.388 Nach dem Wortlaut des Art. 23 HUntAVÜbk 1973 schließt das HUntAVÜbk 1973 die Anwendbarkeit einer anderen internationalen „Übereinkunft“ zwischen Ursprungs- und Vollstreckungsstaat nicht aus, „um die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung oder eines Vergleichs zu erwirken“. Während das EuGVÜ eine internationale Übereinkunft i.S.d. Art. 23 HUntAVÜbk 1973 darstellt, gehört die Brüssel Ia-VO zum Bereich des sekundären Gemeinschaftsrechts. Bei strenger grammatikalischer Interpretation des Art. 23 HUntAVÜbk 1973 müsste demnach das Günstigkeitsprinzip im Verhältnis zur Brüssel Ia-VO ausscheiden. Allerdings war bei der Ausarbeitung des HUntAVÜbk 1973 wohl kaum absehbar, dass auf Gemeinschaftsebene konkurrierende Regeln im Gewande einer unmittelbar geltenden Verordnung erlassen würden. Da die Brüssel Ia-VO an 382 Genfer Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr vom 19.5.1956, BGBl. 1961 II 1119 ff.; siehe in diesem Zusammenhang zu Art. 57 EuGVÜ: östOGH TranspR 2003, 66 und 67; HansOLG Hamburg, TranspR 2003, 23 ff. und 25 f.; Herber, TranspR 2003, 19 ff.; OLG München, TranspR 2003, 155 f.; BGH, NJW-RR 2004, 397 f.; BGH, NJW-RR 2004, 497 ff. m. Anm. Barnert, ZZP 118 (2005), 118 ff. sowie EuGH v. 28.10.2004 – C-148/03 – Nürnberger Allgemeine Versicherungs AG vs. Portbridge Transport International BV, EuGHE I 2004, 10327 ff. = EWS 2004, 574 f. = NJW 2005, 44 f. Demnach ist Art. 57 Abs. 2 lit. a EuGVÜ dahingehend auszulegen, dass ein Gericht eines Vertragsstaates seine Zuständigkeit auch dann auf ein besonderes Übereinkommen stützen kann, wenn sich der Beklagte nicht zur Sache einläßt; vgl. dazu die Anm. von Vogel, EWiR 2004, 1219 f. Zu Art. 71 EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08 – TNT Express Nederland BV vs. AXA Versicherung-AG, EuGHE I 2010, 4107 ff. = NJW 2010, 1736 ff. Hiernach gelangen die konkurrierenden staatsvertraglichen Bestimmungen nur dann zur Anwendung, sofern sie in hohem Maße vorhersehbar sind, eine geordnete Rechtspflege fördern und es erlauben, die Gefahr von Parallelverfahren so weit wie möglich zu vermeiden. Eine weitere Voraussetzung ist die Gewährleistung eines freien Verkehrs der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie des gegenseitigen Vertrauens in die Justiz im Rahmen der Union (favor executionis) unter mindestens ebenso günstigen Bedingungen, wie sie in der genannten Verordnung vorgesehen sind. 383 Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr vom 9.5.1980, BGBl. 1985 II 130 ff.; beachte nunmehr auch das Protokoll vom 3.6.1999 betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9.5.1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF), BR-Drucks. 929/99, 60 ff. Am 1.7.2006 ist das Protokoll von Vilnius in Kraft getreten, BGBl. 2006 II 827 ff. 384 Beschluss des Rates vom 5.4.2001 über den Abschluss des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr durch die Europäische Gemeinschaft (2001/539/EG), ABl. EG 2001 L 194/38. Die Europäische Gemeinschaft hat das Montrealer Übereinkommen abgeschlossen und in einen Sekundärrechtsakt eingekleidet (ABl. EG 2001 L 194/38 ff.), sodass Vorschriften dieser Konvention ebenfalls dem Auslegungsmonopol des Gerichtshofs unterliegen; ausführlich hierzu Basedow, FS Schlechtriem (2003) 165, 185 f. Zum gegenüber der Brüssel I-VO vorrangigen Gerichtsstand des MontrÜbk: Lehmann, NJW 2010, 655, 657; Lehmann, NJW 2007, 1500, 1501. 385 Athener Übereinkommen vom 13.12.1974 über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See; vgl. BBl 1986 II 741/717. Siehe hierzu im Zusammenhang mit der Direktlage gegen den Versicherer des Schädigers, Art. 13 Rz. 27. 386 Zur Frage der Abschlusskompetenz vgl. MünchKommZPO/Gottwald, Art. 71 Rz. 1; siehe oben Rz. 15, Rz. 21. 387 Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen vom 2.10.1973, BGBl. 1986 II 826 ff.; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht17 (2014) Nr. 181; Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15.4.1958, BGBl. 1961 II 1006 ff.; abgedruckt bei Jayme/ Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht17 (2014) Nr. 180. Zum neuen unterhaltsrechtlichen Übereinkommen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht und seinem Verhältnis zur EG-UntVO siehe Rz. 6e, Rz. 65. 388 Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht6 (1998) Art. 57 EuGVÜ Rz. 4.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung die Stelle des EuGVÜ tritt und nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers eine weitgehende Kontinuität389 gewahrt werden soll, ist im Wege einer dynamischen Interpretation der Begriff der internationalen „Übereinkunft“ in Art. 23 HUntAVÜbk 1973 dahin auszulegen, dass er auch die Brüssel Ia-VO erfasst. Andernfalls drohen dadurch Friktionen, dass eine parallele Anwendbarkeit von HUntAVÜbk 1973 und EuGVÜ etwa im Hinblick auf Sachverhalte zwischen Deutschland und Dänemark390 in Betracht kommt, nicht indes im Verhältnis zwischen Deutschland und anderen Mitgliedstaaten. Für den hier vertretenen Standpunkt lässt sich ferner Art. 68 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, wenn auch nicht unmittelbar, so doch zumindest von seinem Rechtsgedanken heranziehen. Das Brüsseler Übereinkommen von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) sah keine Teilnahme von Drittstaaten vor. Um dies den damaligen Vertragsstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)391 dennoch zu ermöglichen, wurde eine Parallelkonvention (damals noch LugÜbk 1988392) ausgearbeitet. Ihm gehörten die Mitgliedstaaten der EG sowie der EFTA (Finnland, Island, Norwegen, Österreich, Schweden und Schweiz) an. Nach der Novellierung des EuGVÜ und der damit einhergehenden Überleitung in die Brüssel I-VO war ein Gleichlauf mit dem LugÜbk 1988 nicht mehr gewährleistet. Die entsprechende Anpassung des LugÜbk 1988 an die Brüssel I-VO erfolgte nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten schließlich am 30.10.2007, da lange ungeklärt war, ob die einzelnen Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft selbst zum Abschluss des revidierten Übereinkommens berechtigt sind.393 Nachdem die Frage vom EuGH394 zugunsten der EG geklärt wurde, folgten die Ratifikationen des LugÜbk durch Dänemark, Norwegen, Island und die Schweiz.395 Aufgrund der seit dem 10.1.2015 geltenden Brüssel Ia-VO entsteht erneut ein Ungleichgewicht im Vergleich zur Parallelkonvention, die zum Großteil mit der nunmehr abgelösten Brüssel I-VO übereinstimmt. Es bleibt somit zu hoffen, dass eine erneute Revision des Übereinkommens in nächster Zeit folgen wird. Im Verhältnis zu Liechtenstein gilt weder die Brüssel Ia-VO noch das LugÜbk. Das Fürstentum nimmt zwar am EWR teil und zählt somit zu den EFTA-Staaten, jedoch ist bis dato eine Ratifikation des LugÜbk unterblieben.396 Am 1.10.2015 ist das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen397 in Kraft getreten,398 welches auf internationale Sachverhalte mit ausschließlichen Gerichtsstandvereinbarungen in Zivil- oder Handelssachen Anwendung findet. Es enthält Vorgaben über die Wirksamkeit und Durchsetzung von Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 3 ff. HProrogÜbk) sowie zur Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (Art. 8 ff. HProrogÜbk). Das Übereinkommen gilt zwischen der EU (seit dem 1.9.2018 nimmt ebenso Dänemark teil) und Mexiko, Singapur sowie 389 Siehe unten Rz. 35. 390 Nach Art. 1 Abs. 3 Brüssel I-VO (ErwGr. 22) gilt der Sekundärrechtsakt nicht für das Hoheitsgebiet Dänemarks. Vielmehr verbleibt es bei der Anwendbarkeit des EuGVÜ. Nach Inkrafttreten des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Dänemark über die gerichtliche Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen verdrängt jener Rechtsakt das EuGVÜ; beachte hierzu die Angaben in Rz. 15. 391 Geimer/Schütze/Paulus/E. Peiffer/M. Peiffer, Brüssel Ia-VO Einf. Rz. 119 f. 392 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen geschlossen in Lugano am 16.9.1988, ABl. EWG Nr. L 319, 9; berichtigt durch ABl. EWG Nr. L 20, 38; ABl. EG Nr. L 148, 86. 393 Dazu Czernich/Kodek/Mayr/Mayr, LGVÜ Einleitung Rz. 4; zum Übereinkommen im Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz Vollmer, jM 2018, 266. 394 Slg 2006, I-1145. 395 Siehe allgemein zum LugÜbk Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 1 ff. Zur Berücksichtigung der Brüssel Ia-VO im Rahmen der Auslegung vom LugÜbk Mankowski, FS Kostkiewicz 2018, 203 ff. 396 Hierzu ausführlich Baur, FS Wille, 2014, 25, 28; beachte zur Anwendbarkeit des § 215 VVG im Verhältnis zu Liechtenstein zuletzt BGH, VersR 2017, 779 ff. m. Anm. Günther, FD-Vers 2017, 388241; hierzu auch Staudinger, jurisPR-IWR 4/2017 Anm. 1. 397 Allgemein zu dem Übereinkommen Antomo, NJW 2015, 2919 ff.; Huber, IPRax 2016, 197 ff.; Lejeune, ITRB 2007, 65 ff.; Luginbühl/Wollgast, GRURInt 2006, 208 ff.; Putz, IWRZ 2018, 166 ff. 398 Beschluss des Rates vom 26.2.2009 (2009/397/EG), ABl. EU 2009 L 133, 1 ff.; beachte auch den Kommissionsvorschlag zu diesem Beschluss, KOM (2008) 538; im Anhang dieses Dokuments findet sich auch der Konventionstext; siehe zum Verhältnis zwischen dem HProrogÜbk 2005 und Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 268 ff.
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jüngst Montenegro.399 Die Unterzeichnung durch die Vereinigten Staaten von Amerika erfolgte zwar bereits 2009, die Ratifikation blieb bisher jedoch aus. Als Grund für diese Verzögerung soll ein Kompetenzstreit zwischen Bund und Einzelstaaten maßgeblich sein.400 Die Volksrepublik China unterzeichnete das Übereinkommen 2017, allerdings steht auch hier eine Ratifizierung noch aus.401 Gemäß Art. 26 Abs. 6 HProrogÜbk hat das Übereinkommen Vorrang vor Art. 25 Brüssel Ia-VO bei Vereinbarungen zwischen einer Partei mit Wohnsitz in einem EU-Staat und einer solchen, die in einem Dritt- als Vertragsstaat des Haager Übereinkommens domiziliert ist sowie bei Vereinbarungen zwischen Parteien mit Wohnsitz in einem EU-Staat zugunsten der Gerichte eines jenen Dritt- bzw. Vertragsstaates.402 Das Vereinigte Königreich hat wohl aufgrund des bevorstehenden Brexit ebenfalls die Haager Konvention unterzeichnet. Diese ist am 1.4.2019 gegenüber dem ausscheidenden Mitgliedstaat in Kraft getreten. 4. Verhältnis der Brüssel Ia-VO zu bilateralen Abkommen Inwieweit die Brüssel Ia-VO die Anwendbarkeit bilateraler Verträge ausschließt, ergibt sich aus 26 Art. 69 Brüssel Ia-VO und Art. 70 Brüssel Ia-VO. Sind weder die Brüssel Ia-VO noch andere Konventionen einschlägig, verbleibt es beim Rückgriff auf das nationale Recht. 5. Verhältnis der Brüssel Ia-VO zum nationalen Recht a) Allgemeine Grundsätze Die Brüssel Ia-VO gilt nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV in allen Mitgliedstaaten unmittelbar. Dies 27 stellt Art. 81 Abs. 3 Brüssel Ia-VO klar. Der Sekundärrechtsakt genießt Anwendungsvorrang403 vor dem gesamten nationalen Recht unter Einschluss des Verfassungsrechts.404 Dieser Vorrang ist – gerade im Hinblick auf Art. 79 Abs. 3 GG – nicht schrankenlos.405 Die Verlagerung406 der ordre publicKontrolle in die Rechtsbehelfsphase begegnet jedoch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.407 399 Für Mexiko gilt das Übereinkommen seit 1.10.2015, für Singapur seit dem 1.10.2016 und im Verhältnis zu Montenegro seit 1.8.2018. 400 Huber, IPRax 2016, 197 ff. 401 Putz, IWRZ 2018, 166 ff. 402 MünchKommZPO/Gottwald, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 5. 403 Grundlegend: EuGH v. 15.7.1964 – 6/64 – Costa, vs. E. N. E. L., EuGHE 1964, 1251, 1269 ff. = NJW 1964, 2371 ff.; BVerfGE 37, 271, 280 ff.; 73, 339, 375. 404 Ruffert in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV5 (2016) Art. 1 AEUV Rz. 19 f. 405 Siehe die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungskonformität der Bananenmarktordnung: BVerfG NJW 2000, 3124 ff.; hierzu Lecheler, JuS 2000, 120 ff.; Lindner, BayVBl. 2000, 758 ff.; Mayer, EuZW 2000, 685 ff.; Schmid, NVwZ 2001, 249 ff.; vgl. auch die Entscheidung des BVerfG zum Europäischen Haftbefehl: BVerfG, NJW 2005, 2289 ff.; hierzu Gas, EuR 2006, 285 ff.; Klink/Proelß, DÖV 2006, 469 ff.; Masing, NJW 2006, 264 ff.; Schmahl, DVBl 2007, 1463 ff. 406 Kritisch zur vollständigen Abschaffung der ordre public-Kontrolle in den jüngeren Gemeinschaftsrechtsakten wie der EG-VollstrTitelVO, der EG-MahnVO sowie der EG-BagatellVO (siehe hierzu Rz. 6a–6c): Sujecki, ZEuP 2008, 458 ff.; siehe aber auch aus praktischem Blickwinkel: Hohloch, FS Kropholler (2008) 809 ff. Die völlige Abschaffung des Exequaturverfahrens hat zur Konsequenz, dass keine inländische Abschlussentscheidung im Exequaturverfahren besteht, die mit Hilfe der Urteilsverfassungsbeschwerde angegriffen werden könnte. Dies wirft die Frage auf, ob ein vergleichbarer Gerichtsschutz im Ausgangsstaat existiert. Vgl in diesem Zusammenhang BVerfGE 58, 1, 40. Jedenfalls verbleibt die Menschenrechtsbeschwerde nach der EMRK, die als Individualrechtsbehelf an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerichtet werden kann; hierzu Hess, IPRax 2001, 389, 395; siehe auch Leipold, FS Stoll (2001) 625, 645 f. 407 Vgl hierzu Art. 59 Rz. 15; Kohler in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 147, 152 f.; krit. im Hinblick darauf, dass die Menschenrechte in das Rechtsbehelfsverfahren verdrängt werden: Jayme, Nationaler ordre public und europäische Integration (2000) 1, 23 f.; dagegen Geimer/Schütze, EuZVR Art. 41 Brüssel I-VO Rz. 27 Fn. 36. Das Beispiel eines sittenwidrigen „Bürgschaftsvergleichs“ zeigt, dass es Fallkonstellationen geben mag, in denen dem ordre public-Vorbehalt selbst bei konsensualen Titeln Bedeutung zukommt. Überdies kann nicht ausgeschlossen werden, dass Vergleiche unter erheblichem wirtschaftlichen Druck eingegangen werden. Hierauf verweist Hess, JZ 2000, 373, 377; dort allerdings im Hinblick auf class action settlements.
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Der Vorrang der Brüssel Ia-VO gilt im Verhältnis zu Bestimmungen, die vor der Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO ab dem 10.1.2015 datieren.408 Da der Grundsatz lex posterior im Verhältnis zwischen sekundärem Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht nicht eingreift, werden aber ebenso nach diesem Stichtag erlassene Bestimmungen verdrängt. Dies gilt gleichermaßen für Ausführungsvorschriften zur Brüssel Ia-VO,409 sofern sie dem Sekundärrechtsakt widersprechen.
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Damit bleibt der Rückgriff auf die ZPO sowohl im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit als auch bzgl. der örtlichen Zuständigkeit versperrt, wenn diese von der Brüssel Ia-VO unmittelbar festgelegt werden.410 Ebenso wenig gelangen die §§ 328, 722 f. ZPO zur Anwendung.411 Abweichendes gilt für nationale Verfahrensvorschriften, sofern sie die praktische Wirksamkeit der Brüssel Ia-VO nicht beeinträchtigen. Unter dieser Voraussetzung sind auch Präklusionsvorschriften oder im nationalen Recht wurzelnde Hinweis- bzw. Belehrungspflichten im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO zu beachten. Die umstrittene Frage, inwieweit eine harmonische Auslegung der Zuständigkeitsvorschriften der ZPO bei fehlender Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO möglich ist, verliert insofern an Relevanz, als die Brüssel Ia-VO im Gegensatz zur alten Fassung des Sekundärrechtsaktes nunmehr eine Vielzahl von Drittstaatensachverhalten412 regelt.413 b) Nationale Ausführungsbestimmungen
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Die Brüssel Ia-VO ist nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV in allen ihren Teilen verbindlich und entfaltet in jedem Mitgliedstaat eine unmittelbare Geltung. Angesichts dessen hält der EuGH414 bei einer Verordnung sogenannte „bestätigende“ Transformationsakte im nationalen Recht grundsätzlich für unzulässig, da andernfalls suggeriert werde, die Verordnung bedürfe wie eine RL zunächst der Umsetzung und allein die nationale Norm gelte unmittelbar. Nun besteht allerdings auf Gemeinschaftsebene auch kein allgemeines Verbot jedweder Art von Durchführungsbestimmung. Derartige Vorschriften sind jedenfalls dann gemeinschaftsrechtlich unbedenklich, wenn sie den Vorgaben der Verordnung entsprechen und deren Artikel nicht lediglich wiederholen, sondern sie konkretisieren.
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Mit dem Gesetz zur Änderung des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes vom 30.1.2002415 hat der Gesetzgeber verschiedene Eingriffe in das AVAG vorgenommen, um es an die Besonderheiten der Brüssel I-VO anzupassen. Zu diesem Zweck wurde innerhalb des zweiten Teiles „Besonderes“ ein Abschnitt 6 in das AVAG aufgenommen, der sich ausweislich seiner Überschrift auf die Brüssel I-VO bezieht. Der sechste Abschnitt besteht aus den Vorschriften § 55 und § 56 AVAG. § 55 Abs. 1 und 2 AVAG dienen einerseits dem Ziel, unzulässige Doppelregelungen auszuschließen416 und enthalten andererseits Durchführungsvorschriften. In § 55 Abs. 3 AVAG hat der Gesetzgeber schließ408 Zum zeitlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO s. Art. 81 S. 2 Brüssel Ia-VO; s. auch von Hein, RIW 2014, 97, 101. 409 S. hierzu Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften, BGBl. 2014 I Nr. 29, S. 890 ff. 410 Siehe etwa Art. 18 Rz. 1, Art. 18 Rz. 4; hierzu aus dem Blickwinkel der Brüssel IIa-VO EuGH v. 29.7.2007 – C-68/07 – Sundelind Lopez vs. Lopez Lizazo, EUGHE I 2007, 10403 ff. = IPRax 2008, 257 ff. m. Anm. Borrás, 233 ff.; hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 17 f.; zur Doppelfunktionalität der ZPO-Zuständigkeitsvorschriften: BGH, NJW 2015, 169 ff.; dazu Mankowski, BB 2014, 3090; Vossler, NJW 2015, 171 f.; Staudinger, JR 2012, 47 ff.; BGH, NJW 2011, 2059 m. Anm. Brand, S. 2061 f.; Kartheuser, GRURPrax 2011, 253; Rothkopf, NJ 2011, 384 f. 411 Beachte zu einem Anwendungsfall der §§ 722, 723 ZPO: BGH, NJW-RR 2007, 722 ff. 412 S. Art. 6 Abs. 1, 18 Abs. 1, 21 Abs. 2, 25. 413 S. hierzu BGH, JR 2012, 67 ff. m. Anm. Staudinger, S. 47 ff.; BGH, NJW 2011, 2059 ff. m. Anm. Brand, S. 2061 f. 414 EuGH v. 28.3.1985 – 272/83 – Kommission vs. Italien, EuGHE 1985, 1057, 1074 Rz. 26 f. 415 Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 8.7.2014, BGBl. 2014 I 890 ff.; Zur Novellierung des AVAG siehe zunächst das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivilund Handelssachen vom 19.2.2001, BGBl. 2001 I 288 ff.; hierzu BT-Drucks. 14/4591; in Bezug auf die mit der Brüssel I-VO einhergehenden Änderungen: Gesetz zur Änderung des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes vom 30.1.2002, BGBl. 2002 I 564 ff.; hierzu BR-Drucks. 743/01. 416 Vgl § 55 Abs. 1 AVAG.
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lich eine von der Brüssel I-VO eröffnete Option genutzt. Die Vollstreckbarerklärung einer notariellen Urkunde417 kann hiernach auch durch einen Notar erfolgen. Mit der Brüssel Ia-VO wird der Anwendungsbereich des AVAG beschnitten: Der nationale Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, Durchführungsvorschriften zu dem Sekundärrechtsakt in das Buch 11 der ZPO einzufügen und ausdrücklich davon abgesehen, sie dem AVAG zuzuordnen.418 Der Grund hierfür liegt darin, dass das AVAG das Vollstreckbarerklärungsverfahren regelt, welches im Zuge der Brüssel Ia-VO gerade abgeschafft wurde. Daraus folgt, dass das AVAG auf die Brüssel Ia-VO nicht anwendbar ist. Relevanz hat das AVAG nur für Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge nach seinem § 1 Abs. 1 sowie das revidierte Lugano Übereinkommen, wobei die §§ 55 bis 57 AVAG nur noch für letzteres einschlägig sind.419 Ebenso gelten die Bestimmungen des AVAG für jene Streitigkeiten, die intertemporal noch der Brüssel I-VO unterliegen, da der Gesetzgeber keine Übergangsregelung für diese Altverfahren geschaffen hat und daher die so entstandene Regelungslücke durch entsprechende Anwendung des AVAG zu füllen ist.420 Die Integration materiellrechtlicher Einwände gegen den titulierten Anspruch innerhalb des Rechtsbehelfsverfahrens steht im Widerspruch zur Brüssel I-VO. Demzufolge findet § 12 AVAG keine Anwendung und greift ebenso wenig die zeitliche Schranke in § 14 Abs. 1 AVAG.421
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Das Modell eines einheitlichen AVAG ist aus einem weiteren Grunde kritikwürdig. § 55 Abs. 1 AVAG schließt beispielsweise die Anwendbarkeit des § 36 AVAG nicht explizit aus. Hieraus folgern einige Stimmen in der Kommentarliteratur, § 36 AVAG finde auch im Rahmen der Brüssel I-VO Anwendung. Die Abschnittsüberschrift, der Gesetzeswortlaut („Ursprungsstaat“) sowie die systematische Stellung des § 36 AVAG zwingen hingegen zu dem Schluss, dass diese Vorschrift in Bezug auf die Brüssel I-VO tatbestandlich ausscheidet.422 In den Materialien findet sich kein Hinweis für einen abweichenden Willen des deutschen Reformgesetzgebers. Dieser hat in jüngster Vergangenheit allein § 35 AVAG novelliert, um diese Bestimmung an die Vorgaben der Brüssel I-VO anzupassen.423
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Der deutsche Gesetzgeber sollte sich von dem Modell eines einheitlichen AVAG trennen. Die Verwei- 34 sungstechnik in den §§ 50 ff. AVAG, die jeweils den Besonderheiten der Brüssel I-VO Rechnung tragen soll, führt gerade nicht zu einer Rechtsklarheit.424 Dem Gebot der Transparenz dürfte es eher entsprechen, diejenigen Durchführungsbestimmungen in einem Gesetzeswerk aufzunehmen, die sich auf die verschiedenen Sekundärrechtsakte beziehen. Hiervon getrennt sollten die entsprechenden Vorschriften zu multi- und bilateralen Konventionen zusammengefasst werden.425 Die Brüssel I- und IIa-VO weisen – bei allen Unterschieden im Detail – zahlreiche Übereinstimmungen auf.426 Dies gilt etwa im Hinblick auf die Aussetzung des Exequaturverfahrens.427 Demzufolge ist es nicht erforderlich, für jeden Sekundärrechtsakt ein einzelnes Ausführungsgesetz zu schaffen.428 Vielmehr lassen sich durch ein einheitliches Gesetzeswerk Wiederholungen vermeiden. Diesen Überlegungen schenkte der deutsche Gesetzgeber bisher allerdings keine Beachtung. Vielmehr ist erst vor kurzem ein
417 418 419 420 421
422 423 424 425 426 427 428
Siehe hierzu Art. 58 Rz. 26. BT-Drucks. 18/823, 1, 16. BT-Drucks. 18/823, 24. Vgl Rz. 12 und Art. 66, 76 Brüssel I-VO; ebenso BGH, NJW-RR 2017, 1342, 1343 f.; NJW-RR 2017, 1274, 1275; OLG Düsseldorf, BeckRS 2015, 16982. Vgl hierzu Art. 58 Rz. 32; Art. 59 Rz. 18 ff.; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Art. 45 Rz. 219 ff.; beachte hierzu: BGHZ 171, 310 ff. = FamRZ 2007, 989 ff. m. zust. Anm. Gottwald, 993 f. = IPRax 2008, 38 ff. m. krit. Anm. Hess, 25 ff. = JZ 2007, 894 ff. m. zust. Anm. Roth, JZ 2007, 898 ff. = JR 2008, 108 ff. m. zust. Anm. Looschelders/Gesing, 112 ff.; im Anschluss hieran: BGH, FamRZ 2008, 586 ff. m. Anm. Gottwald, 591 = IPRax 2008, 530 ff. m. Anm. Roth, 501 ff. sowie zum EuGVÜ BGH, NJW-RR 2009, 1000 f.; hierzu auch Strasser, FPR 2007, 451 ff.; OLG Düsseldorf, BeckRS 2008, 10026; LG Köln, IPRspr. 2008, Nr. 196, 624 ff. So auch MünchKommZPO4/Gottwald, Art. 46 Brüssel I-VO Rz. 2; abweichend Kropholler/von Hein, Art. 46 Brüssel I-VO Rz. 1. Vgl BR-Drucks. 743/01, 10. Siehe auch die Kritik von Hub, NJW 2001, 3145, 3150. Abweichend Hub, NJW 2001, 3145, 3151. Auf die Übereinstimmungen von EuGVÜ und Brüssel II-VO hinweisend: Wagner, IPRax 2001, 81. Vgl Art. 35 Brüssel IIa-VO; siehe noch zur Brüssel II-VO Kropholler, (7. Auflage) Rz. 152. So etwa der Vorschlag von Hess, JZ 2001, 573, 577; Hub, NJW 2001, 3145, 3150 f.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung Rechtsakt zum Internationalen Familienrecht429 in Kraft getreten, welcher neben Durchführungsbestimmungen zur Brüssel IIa-VO auch solche hinsichtlich EuSorgeÜbk 1980430 und HKindEntfÜbk 1980431 beinhaltet.
IX. Auslegung der Brüssel Ia-VO 35
Die Brüssel Ia-VO bildet einen Teil des sekundären Gemeinschaftsrechts und unterliegt mithin einem besonderen Auslegungskanon, der sich nicht vollständig mit denjenigen Sinnbestimmungsmitteln deckt, die bislang bei der Interpretation des EuGVÜ Geltung beanspruchten.432 Dies darf allerdings nicht zu dem vorschnellen Schluss verleiten, der bisherige Stand von Rechtsprechung und Lehre zum Abkommen werde mit dem Inkrafttreten der Verordnung Makulatur. Den Erwägungsgründen der Harmonisierungsmaßnahme ist vielmehr mittelbar zu entnehmen, dass dem Sekundärrechtsgeber an einer „Kontinuität zwischen dem Brüsseler Übereinkommen und dieser Verordnung“ gelegen und insbesondere die Judikatur des EuGH bei identischen Vorschriften der Brüssel I-VO sowie Brüssel IaVO heranzuziehen ist.433 Zudem stützt sich die Brüssel I-VO – wie unmittelbar am Anfang der Begründung betont wird – auf den Verordnungsvorschlag vom 28.12.1999.434 Hierin streicht die Kommission nicht nur die „weitgehende Übereinstimmung zwischen dem Brüsseler Übereinkommen und dem vorliegenden Verordnungsvorschlag“ heraus. Sie betont überdies, dass eine Vielzahl von Artikeln des Abkommens unverändert in die Verordnung überführt worden sei. Für ihre Interpretation werde auf die „erläuternden Berichte verwiesen, die anlässlich der einzelnen Beitritte veröffentlicht worden sind“. Mithin bedeutet die Brüssel I-VO keinen Bruch. Vielmehr wird der bisherige status quo des Europäischen Zivilprozessrechts – abgesehen von einigen inhaltlichen Veränderungen – in das Gemeinschaftsrecht überführt. Die Kommission nimmt ferner in den Fußnoten unmittelbar auf die im Amtsblatt veröffentlichten Berichte etwa von Jenard435 und Schlosser436 Bezug. Daher kommt sowohl der Judikatur des EuGH als auch den Auslegungsberichten von Jenard, Jenard/Möller437 sowie Schlosser weiterhin Bedeutung bei der Interpretation der Brüssel I-VO zu. Dies gilt natürlich unter der einschränkenden Voraussetzung, dass die betreffende Vorschrift inhaltlich unverändert in die Brüssel I-VO eingestellt wurde.438 Diese Erwägungen sind ebenfalls auf die Brüssel Ia-VO zu übertragen.439 429 Gesetz zum internationalen Familienrecht, BGBl. 2005 I 162 ff.; zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes, BGBl. 2007 I 529 f.; zum Referentenentwurf Schlauß, FPR 2004, 279 ff.; zum internationalen Familienverfahrensgesetz: Gruber, FamRZ 2005, 1603 ff.; Schlauß, Das neue Gesetz zum internationalen Familienrecht – Das internationale Familienrechtsverfahrensgesetz (IntFamRVG) (2005); Gruber, FPR 2008, 214 ff. sowie mit Blick auf die Vollstreckung: Schulte/Bunert, FamRZ 2007, 1608 ff. Zu weiteren Änderungen beachte auch die FGG-Reform, welcher der Bundesrat am 19.9.2008 zugestimmt hat (vgl. BR-Drucks. 617/08), so dass das Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008 (FamFG, BGBl. 2008 I 2586 ff.) nach seinem Art. 112 Abs. 1 am 1.9.2009 in Kraft getreten ist; vgl. Pressemitteilung des BMJ vom 19.9.2008. Beachte auch den Regierungsentwurf, abrufbar unter: http://www.bmj.bund.de/ files/-/3019/RegE_FGG-Reformgesetz.pdf. 430 Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20.5.1980, BGBl. 1990 II 220 ff., abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht (17. Auflage 2014) Nr. 183. 431 Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980, BGBl. 1990 II 207 ff., abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht17 (2014) Nr. 222. 432 Hierzu Kohler, FS Geimer (2002) 461, 463 f.; Kropholler in Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa (2001) 583 ff. 433 Vgl – wenn auch in anderem Zusammenhang – die Aussage des Gemeinschaftsgesetzgebers im ErwGr. 34; das Erfordernis der Kohärenz betont auch EuGH v. 1.10.2010 – C-167/00 – Verein für Konsumenteninformation vs. K H Henkel, EuGHE I 2002, 8111, 8143 Rz. 49 = IPRax 2003, 341, 344 m. Anm. Michailidou, 223. 434 ABl. EG 1999 C 376/1 = BR-Drucks. 534/99, 12. 435 ABl. EG 1979 C 59/1 ff. 436 ABl. EG 1979 C 59/71 ff. 437 ABl. EG 1990 C 189/57 ff. 438 Kropholler in Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa (2001) 583, 592; Kropholler, Rz. 45; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 327.
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Staudinger
Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
Der Inhalt der Brüssel Ia-VO ist nicht mit Hilfe nationaler, sondern allein nach europäischen Aus- 36 legungsmethoden zu bestimmen, sofern nicht ein Verweis wie etwa in Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO erfolgt. Bereits zum EuGVÜ hat sich in der Judikatur des EuGH immer stärker das Prinzip der autonomen Interpretation herauskristallisiert. Hierfür spricht nunmehr auch der gemeinschaftsrechtliche Ursprung der Harmonisierungsmaßnahme. Eine solche autonome Auslegung soll die Wirksamkeit und einheitliche Anwendung des Sekundärrechtsakts gewährleisten, wobei in erster Linie die Systematik und die Zielsetzungen des Rechtsinstruments beachtet werden müssen.440 Ausgangspunkt der Auslegung bildet zunächst der Wortlaut, wobei auf den gemeinschaftsweiten 37 Wortsinn abzustellen ist. Die Fassungen der Brüssel Ia-VO genießen in jeder Sprache dieselbe Autorität, da es keinen verbindlichen Urtext gibt. Die mit dieser Vielfalt verbundenen Schwierigkeiten werden sich durch die Osterweiterung noch verstärken. Die Formel – „Anfang und Ende jeder Auslegung bilde der Wortlaut“ – lässt sich nicht auf die Interpretation der Brüssel Ia-VO übertragen. Der Gerichtshof unterscheidet begrifflich nicht zwischen Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung. Vielmehr setzt der EuGH beide Formen wie im romanischen Rechtskreis gleich.441 Demnach besteht auf supranationaler Ebene kein Analogieverbot. Vielmehr ist es zulässig, eine regelungsbedürftige Lücke im Gemeinschaftsrecht durch eine entsprechende Anwendung von Vorschriften zu schließen. Es bleibt abzuwarten, ob die Neufassung der Brüssel I-VO den EuGH davon abhalten wird, Rechtsfortbildung zu betreiben.442 Im Rahmen der historischen Auslegung sind vor allem die Erwägungsgründe der Verordnung zu be- 38 rücksichtigen, da sie über die Motive ihres Erlasses Aufschluss geben. Einen weiteren Anhaltspunkt vermögen etwa die Erläuterungen zum Verordnungsvorschlag der Kommission zu bieten. Dies betrifft insbesondere das Verständnis der Neuerungen in der Brüssel Ia-VO.443 Als Auslegungsquellen dienen schließlich die Berichte zum EuGVÜ, sofern das Abkommen wörtlich in die Verordnung überführt wurde.444 Den nach dem Inkrafttreten der Brüssel I-VO abgegebenen gemeinsamen Erklärungen etwa von Rat und Kommission zu Art. 15 Brüssel I-VO445 – nun Art. 17 Brüssel Ia-VO – kommt eine lediglich eingeschränkte Aussagekraft zu. Den Gerichtshof vermögen solche Erklärungen allenfalls in seiner Entscheidungsfindung zu leiten, sofern sie sich der Europäische Gesetzgeber nicht zu Eigen macht. Dies hat der EuGH jüngst in zwei Urteilen klargestellt: in dem verbundenen Verfahren Pammer446 sah der Gerichtshof in der Sprache des Internetauftritts sowie der Währung schwache Indizien für ein Ausrichten des Unternehmens.447 Überdies steht mit der Rechtssache Mühlleitner448 fest, dass der Vertrag nicht durch Fernkommunikationsmittel zustande kommen muss, um den Anwendungsbereich der Art. 15 ff. Brüssel I-VO – nun Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO – zu eröffnen. Mit den beiden Entscheidungen gab der EuGH zu erkennen, dass er an die Erklärung des Rates und Kommission aus dem ErwGr. 24 Rom I-VO nicht gebunden ist.
439 Siehe den Vorschlag der Kommission KOM 2010, 748, S. 15. 440 Vgl etwa zum EuGVÜ: EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00 – Verein für Konsumenteninformation vs. K H Henkel, EuGHE I 2002, 8111, 8139 Rz. 35 = IPRax 2003, 341, 343 m. Anm. Michailidou, 223. 441 Baldus/Becker, ZEuP 1997, 874, 883; vgl. auch Canaris, FS Bydlinski (2002) 47, 81 im Hinblick auf das Institut der richtlinienkonformen Auslegung. 442 So die Vermutung von Kropholler,8 Rz. 46. 443 Vgl in Bezug auf die Brüssel I-VO Kropholler/von Hein, Einl. Brüssel I-VO Rz. 76. 444 Wie bereits im Hinblick auf das EuGVÜ kann im Einzelfall auch der Auslegungsbericht zum LugÜbk 1988 herangezogen werden; vgl. Kropholler/von Hein, Einl. Brüssel I-VO Rz. 76. 445 Abgedruckt, IPRax 2001, 259, 261. 446 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09 – Peter Pammer vs. Karl Schlüter GmbH & Co. KG und Hotel Alpenhof GesmbH vs. Oliver Heller, EuZW 2011, 98 ff. = EuGHE I 2010, 12527 ff. m. Anm. Clausnitzer, 104 f.; s. auch Mankowski, EWiR 2011, 111 f.; Staudinger, AnwBl. 2011, 327 ff. 447 Das Gericht verweist zwar auf die Erklärung des Rates und der Kommission, die im ErwGr. 24 der Rom-I-VO zitiert wird, widerspricht aber der dortigen Aussage dahingehend, dass die Zurverfügungstellung einer anderen Sprache oder Währung des Internetauftritts Anhaltspunkte darstellen, die zur Bejahung des Ausrichtens führen können (NJW 2011, 505, 509, Rz. 84). 448 EuGH v. 6.9.2012 – C-190/11 – Mühlleitner vs. Yusufi, EuZW 2012, 917 ff. m. Anm. Hofmann/Szalai, NJ 2013, 200 ff.; Staudinger, DAR 2012, 634 f.; Staudinger/Steinrötter, NJW 2012, 3227; Sujecki, EuZW 2012, 919 f.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung 39
Zweifelsfragen lassen sich ferner durch eine systematische Auslegung klären.449 Maßstab bildet jedoch nicht allein die Brüssel Ia-VO. Als Auslegungshilfen können ebenso andere Sekundärrechtsakte450,451 sowie das Europäische Vertragsrecht452 als aquis communautaire dienen. Dies bezieht das UN-Kaufrecht453 gleichermaßen mit ein wie das Römische Schuldvertragsübereinkommen454 oder bestimmte Principles.455
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Wenn auch keine starre Hierarchie innerhalb der europäischen Sinnbestimmungsmittel existiert, so kommt doch regelmäßig der Teleologie im Rahmen der Auslegung eine besondere Bedeutung zu.456 Welchen Zielen und Zwecken die Brüssel Ia-VO dient, ergibt sich insbesondere aus ihrer Ermächti-
449 Vgl EuGH v. 4.10.2018 – C-337/17 – Feniks sp. z o.o. vs. Azteca Products & Services SL, RIW 2018, 760 ff. m. Bespr. Mankowski, EWiR 2018, 701 ff. sowie Josko de Marx, FD-InsR 2018, 411355. 450 Dies betrifft etwa die Verbraucherrechte- oder E-Commerce-RL sowie die Rom I-VO; hierzu Bitter, IPRax 2008, 96 ff. Zur Berücksichtigung der Fünften Kraftfahrzeughaftpflicht-RL 2005/14/EG durch den EuGH im Zusammenhang mit der Direktklagemöglichkeit des Geschädigten an dessen Heimatforum siehe Art. 13 Rz. 6; beachte den Reformvorschlag der Kraftfahrzeughaftpflicht-RL KOM (2018) 336. 451 Zu befürworten ist die Einbeziehung erlassener und im Amtsblatt veröffentlichter Gemeinschaftsrechtsakte, auch wenn diese erst in Zukunft in Kraft treten, wohingegen die Berücksichtigung sich erst in Planung befindender Rechtsakte keine Zustimmung verdient (so aber in Zusammenhang mit Art. 45 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO und § 12 AVAG: BGH, FamRZ 2007, 989, 993 m. Anm. Gottwald, 993 f. = IPRax 2008, 38 ff. m. krit. Anm. Hess, 25 ff.; siehe auch Art. 59 Rz. 18). 452 Vgl hierzu Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat „Ein Kohärentes Europäisches Vertragsrecht. Ein Aktionsplan“, KOM (2003) 68; hierzu Schmidt-Kessel, RIW 2003, 481 ff.; Staudenmayer, EuZW 2003, 165 ff.; siehe zum Europäischen Vertragsrecht auch KOM (2001) 398 vom 11.7.2001; KOM (2004) 651; hierzu Lando, RIW 2005, 1 ff.; Staudenmayer, EuZW 2005, 103 ff.; von Bar/Schulte-Nölke, ZRP 2005, 165 ff. Im Dezember 2007 wurde ein erster Entwurf des geplanten Gemeinsamen Referenzrahmens (Draft Common Frame of Reference) veröffentlicht: Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law – Draft Common Frame of Reference (DCFR) Interim Outline Edition, edited by Study Group on a European Civil Code/Research Group on EC Private Law (Acquis Group); hierzu Eidenmüller/ Faust/Grigoleit/Jansen/Wagner/Zimmermann, JZ 2008, 529 ff.; Leible, BB 2008, 1469 ff.; Leible, NJW 2008, 2558 ff.; Remien, GPR 2008, 124 ff.; Schulze, ZEuP 2007, 731 ff.; Zoll, GPR 2008, 106 ff. 453 Wiener UN-Übereinkommen über Verträge über den Internationalen Warenkauf vom 11.4.1980 (CISG), BGBl. 1989 II 588 ff.; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht17 (2014) Nr. 77. 454 Römisches EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (BGBl. 1980 II 812 ff.) i.d.F. des 4. Beitrittsübereinkommens vom 14.4.2005, BGBl. 2006 II 348 ff.; abgedruckt bei: Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht (17. Auflage 2014) Nr. 70; siehe die integrierte Fassung des Abkommens auf der Grundlage des 4. Beitrittsübereinkommens von Luxemburg vom 14.4.2005, mit welchem die zehn neuen Mitgliedstaaten dem EVÜ beigetreten sind, ABl. EU 2005 C 334/3 ff.; vgl. hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 504. Dem Gerichtshof steht nunmehr eine Kompetenz für die Auslegung des EVÜ zu, da Belgien als letzter Signatarstaat seine Ratifikationsurkunde für das 1. und 2. Protokoll (Protokolle vom 19.12.1988 i.d.F. des 4. Beitrittsübereinkommens vom 14.4.2005, BGBl. 2006 II 348 ff.; abgedruckt bei: Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht [17. Auflage 2014] Nr. 70a, b) am 5.5.2004 hinterlegt hat. Demzufolge sind beide Protokolle am 1.8.2004 in Kraft getreten; das Bundesministerium der Justiz hat durch Anordnung vom 21.4.2005 den Generalbundesanwalt beim BGH als zuständige Stelle im Sinne des Art. 3 des Ersten Protokolls bestimmt, BGBl. 2005 II 402; vgl. hierzu Jayme/ Kohler, IPRax 2007, 493, 505; aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des niederländischen Hoge Raad hat der EuGH am 6.10.2009 in der Rs. C-133/08 – Intercontainer Interfrigo S. C. (ICF) erstmals Art. 4 EVÜ ausgelegt. Das bereits im Januar 2003 eingeleitete Verfahren zur Überarbeitung und Vergemeinschaftung des EVÜ ist am 17.6.2008 mit dem Erlass der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) zum Abschluss gekommen (abgedruckt ABl. EU 2008 L 177/6 ff.; hierzu siehe die Angaben in Rz. 64). 455 Siehe zu den UNIDROIT-Principles of international commercial contracts (einsehbar unter: http://www. unidroit.org/english/principles/contracts/principles2010/integralversionprinciples2010-e.pdf) die Nr. 55 der Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in der Rs. Tacconi: EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00 – Officine Meccaniche Tacconi SpA vs. Heinrich Wagner Sinto Maschinenfabrik GmbH (HWS), EuGHE I 2002, 7357 ff. = NJW 2002, 3159 f. 456 Vgl die Angaben bei Kropholler/von Hein, Einl. Brüssel I-VO Rz. 77; Schack, Rz. 96.
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Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
gungsgrundlage und damit aus Art. 67 Abs. 4, Art. 81 Abs. 2 lit. a, lit. c, lit. e AEUV. Der Gerichtshof stützt sich beim EuGVÜ vor allem auf das Prinzip der integrationsfreundlichen Auslegung.457 Die Vorschriften des Abkommens sind hiernach „dynamisch“ auszulegen. Ziel ist es, das stärkere Zusammenwachsen der Signatarstaaten zu fördern. Im Zweifel genießt damit eine die Integration begünstigende Auslegungsmöglichkeit den Vorzug.458 Dieser Ansatz lässt sich auf die Brüssel Ia-VO übertragen. Beachtung verdient ferner die Auslegungsmaxime des effet utile,459 wonach die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sichergestellt werden soll.460 Aus dem Stufenbau des Gemeinschaftsrechts folgt, dass die Brüssel Ia-VO primärrechtskonform461 41 auszulegen ist. Die Interpretation der Harmonisierungsmaßnahme darf sich folglich nicht in Widerspruch setzen zu den höherrangigen Normen des AEUV.462 Die Auslegung bzw. Rechtsfortbildung muss vielmehr im Lichte des Kompetenztitels oder etwa der Grundfreiheiten463 vertretbar sein. Hierin liegt ein wirkungsvolles Korrektiv zur teleologischen Interpretation unter Beachtung des effet utile. Die Auslegung der Brüssel Ia-VO nach ihrem Sinn und Zweck kann nicht über den primärrechtlich gesteckten Rahmen hinausgehen.464 Der Gerichtshof 465 zieht schließlich bei Zweifelsfragen die EMRK466 als Quelle heran. Seit Inkrafttreten des Vertrages von Nizza sind überdies der Aussagegehalt in Art. 6 Abs. 2 EUV sowie die Grundrechtscharta zu beachten.
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X. Vorabentscheidungsverfahren 1. Allgemeine Grundsätze Sofern sich Zweifelsfragen bei der Auslegung der Brüssel Ia-VO stellen, besitzt der Gerichtshof eine Auslegungszuständigkeit. Art. 267 AEUV regelt die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs im
457 So etwa EuGH v. 15.11.1983 – 288/82 – Duijnstee vs. Goderbauer, EuGHE 1983, 3663, 3674 f. 458 Kropholler/von Hein, Einl. Brüssel I-VO Rz. 78; Iversen in Brödermann/Iversen (Hrsg.), Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht (1994) 407 Rz. 934. 459 Der Grundsatz des effet utile entstammt dem Völkerrecht. Hiernach sind Bestimmungen in Gründungsverträgen internationaler Organisationen im Hinblick auf ein vorgegebenes Vertragsziel extensiv auszulegen; vgl. auch Art. 31 Abs. 1 letzter Satzteil Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, BGBl. 1985 II 926. 460 Zum effet utile in der Judikatur des Gerichtshofs umfassend: Streinz, FS Everling II (1995) 1491 ff. m.w.N. Speziell im Hinblick auf die Gewährleistung von Fahrgastrechten i.S.d. Verordnung (EG) Nr. 261/2004: Staudinger, IPRax 2008, 493, 496; jüngst OVG Münster DVBl 2013, 998 ff. 461 Vgl hierzu Pernice in Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Altband II (Stand: Oktober 1999) Art. 164 EGV Rz. 30. 462 Ein Vergleich lässt sich insoweit zu dem Prinzip der verfassungskonformen Auslegung von einfachgesetzlichen Bestimmungen ziehen. 463 Zum Spannungsverhältnis von Verbraucherschutz, Herkunftslandprinzip bzw. Dienstleistungsfreiheit siehe beispielsweise Art. 17 Rz. 13a f. 464 Anders als beim EuGVÜ geht es mithin um die Abgrenzung der Gemeinschaftszuständigkeit von den Befugnissen der Mitgliedstaaten. 465 EuGH v. 28.3.2000 – C-7/98 – Krombach vs. Bamberski, EuGHE I 2000, 1935, 1969 Rz. 41 = JZ 2000, 723, 724 Nr. 37 m. Anm. von Bar, 725 ff. = ZIP 2000, 859, 862 Nr. 37 m. Anm. Geimer, 863 f. = EWiR 2000, 441 m. Anm. Hau, 441 f. = IPRax 2000, 406 ff. m. Anm. Piekenbrock, 364 ff.; zum Vorabentscheidungsersuchen siehe: BGH IPRax 1998, 205 ff. m. Anm. Piekenbrock, 177 ff.; die Abschlussentscheidung des BGH ist abgedruckt in BGHZ 144, 390 ff. = JZ 2000, 1067 f. m. Anm. Gross, 1068; zur Krombach,-Entscheidung des EGMR (29731/96 Krombach/Frankreich, NJW 2001, 2387 ff.): Gundel, NJW 2001, 2380 ff.; zu den Urteilen des EuGH und des EGMR: Matscher, IPRax 2001, 428 ff. Zu einem gerichtlichen Ausschließungsbeschluss und der Beeinträchtigung des Rechts auf Verteidigung EuGH v. 2.4.2009 – C-394/07 – Marco Gambazzi vs. DaimlerChrysler Canada Inc, CIBC Mellon Trust Company, EuGHE I 2009, 2563 ff. = EuZW 2009, 422 ff. m. Anm. Sujecki, 424 ff.; beachte in diesem Zusammenhang Cuniberti, ICLQ 2008, 25 ff. 466 BGBl. 1952 II 685 ff., 953.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung Wege der Vorabentscheidung. Zur Vorlage an den EuGH sind nach Art. 267 Abs. 3 AEUV allein die letztinstanzlichen Spruchkörper verpflichtet.467 44
Nach dem Protokoll468 von 1971 zum EuGVÜ werden zwar ebenso erstinstanzliche Spruchkörper vom Vorlageverfahren ausgenommen, hingegen sind die als Rechtsmittelinstanz entscheidenden Gerichte befugt, den EuGH zur Vorabentscheidung anzurufen. Unterinstanzliche Gerichte sind nach Maßgabe des Art. 267 Abs. 2 AEUV vorlageberechtigt, jedoch nicht –verpflichtet.
45
Nach wohl einhelliger Auffassung469 sind nicht die „abstrakt“ letzten Instanzen und damit in Deutschland neben dem BVerfG die fünf obersten Gerichtshöfe des Bundes (Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesfinanzhof, Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht) zur Vorlage verpflichtet. Vielmehr ist eine konkrete bzw. funktionelle Betrachtungsweise geboten und auf die jeweilige Verfahrensart abzustellen. Dies steht im Einklang mit der ratio des vom EuGH erlassenen Urteils470 in der Rs. Schweden/Kenny Roland Lyckeskog471 und trägt dem Gedanken des Individualrechtsschutzes Rechnung.472 Zwar wird in der Literatur etwa von Dauses473 der Vorzug eines abstrakten Verständnisses gerade darin gesehen, dass mit ihr ein spürbarer Entlastungseffekt des Gerichtshofs erreicht werde. Die Ausführungen von Dauses beziehen sich allerdings auf Art. 177 EWGV, den Vorläufer des Art. 234 EGV, nun Art. 267 AEUV. Bei allen drei Vorschriften geht mit einem institutionellen Ansatz keine Verkürzung des Rechtsschutzes einher, da den mitgliedstaatlichen Spruchkörpern auf jeder Stufe des Instanzenzugs zumindest die Vorlageberechtigung erhalten bleibt. Vor dem Hintergrund der Ziele des Vorabentscheidungsverfahrens sowie des Individualrechtsschutzes muss aber der konkreten Betrachtungsweise der Vorzug eingeräumt werden. Abzustellen ist somit darauf, ob die Entscheidung des betreffenden Gerichts im konkreten Rechtsstreit noch angefochten werden kann. Dabei unterfallen dem Begriff des Rechtsmittels in Art. 267 AEUV alle ordentlichen Rechtsbehelfe. Hierzu zählt nach ganz herrschender Meinung474 etwa auch die Nichtzulassungsbeschwerde im verwaltungs- (§ 133 VwGO) sowie finanzgerichtlichen Verfahren (§ 115 FGO).475
467 Jüngst BVerfG, NJW 2014, 2489; EuGH v. 18.7.2013 – C-136/12 – Consiglio di Stato, EuZW 2013, 782, 783 m. Anm. Leupold, EuZW 2013, 785 f.; siehe auch Betz, Die verfassungsrechtliche Absicherung der Vorlagepflicht, 2013; Lehner, FS Spindler zum 65. Geburtstag S. 329 ff.; zu den Auswirkungen der Nichteinhaltung der Vorlagepflicht letztinstanzlicher mitgliedstaatlicher Gerichte Schilling, EuGRZ 2012, 133 ff.; hierzu auch Starck, MarkenR 2012, 53 ff.; zu den Änderungen infolge des Vertrags von Lissabon Bergmann, ZAR 2011, 41 ff. 468 Zum EuGVÜ siehe das Luxemburger Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen durch den Gerichtshof vom 3.6.1971 (BGBl. 1972 II 846 ff.) in der Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens vom 29.11.1996 (BGBl. 1998 II 1412 ff.), abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht10 (2000) Nr. 151 und ABl. EG 1998 Nr. L 27/28. 469 Dies galt jedenfalls im Hinblick auf Art. 68 Abs. 1 EGV: Hess/Müller, JZ 2002, 607, 610; Kropholler, Internationales Privatrecht5 (2004) § 10 III 1. lit. b, 78; Rossi in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV3 (2007) Art. 68 EGV Rz. 2; Schwarze in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar2 (2009) Art. 234 EGV Rz. 41; im Hinblick auf Art. 267 AEUV Wegener in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV5 (2016) Art. 267 AEUV Rz. 27; Schwarze in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 267 AEUV Rz. 43. 470 EuGH v. 4.6.2002 – C-99/00 – Schweden vs. Kenny Roland Lyckeskog, EuGHE I 2002, 4839 ff. = EuZW 2002, 476, 477 f.; zur Entscheidung siehe Groh, EuZW 2002, 460 ff. 471 So in der Vergangenheit auch schon die Einschätzung von Geiger, EUV/EGV – Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft3 (2000) Art. 234 EGV Rz. 14; Krück in Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag5 (1999) Art. 177 EGV a.F. Rz. 68; zweifelnd Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag2 (1995) 111. 472 Vgl hierzu Borchardt in Lenz (Hrsg.), EU- und EG-Vertrag4 (2006) Art. 234 EG Rz. 41; Herrmann, EuZW 2006, 231, 232; Schwarze in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 267 AEUV Rz. 5. 473 Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag2 (1995) 111. 474 Wegener in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EGV/AEUV5 (2016) Art. 267 AEUV Rz. 26; Schwarze in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 267 AEUV Rz. 44 jeweils m.w.N. 475 Ausgenommen bleiben lediglich außerordentliche Rechtsbehelfe. Dies gilt etwa im Hinblick auf das Wiederaufnahmeersuchen oder die Verfassungsbeschwerde; vgl. hierzu die Angaben bei Schwarze in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 267 AEUV Rz. 44.
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Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
Nicht zu den Gerichten i.S.d. Art. 267 AEUV zählen Spruchkörper, soweit sie in dem betreffenden Ausgangsverfahren eine Tätigkeit ohne Rechtsprechungscharakter ausüben und etwa wie ein AG im Handelsregisterverfahren als Behörde fungieren.476 Ebenso wenig zählen Schiedsgerichte zu den vorlagebefugten bzw. -verpflichteten Spruchkörpern i.S.d. Art. 267 AEUV.477 Dies gilt auch nach der Reform des Schiedsverfahrensrechts.478 Zur Beurteilung der Frage, ob ein Gericht i.S.d. Art. 267 AEUV vorliegt, ist auf die vom EuGH entwickelten Kriterien abzustellen. Hierzu zählen eine gesetzliche Grundlage der Einrichtung, der ständige Charakter, eine obligatorische Gerichtsbarkeit, ein streitiges Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch diese Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit.479
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Dem Gerichtshof muss vom Grundsatz her eine Frage zur Interpretation der Brüssel Ia-VO vor- 47 gelegt werden. Nationales Recht – auch wenn auf dieses im Sekundärrechtsakt Bezug genommen wird – bildet als solches keinen Vorlagegegenstand. Dennoch ist eine Vorabentscheidung zur Brüssel Ia-VO zulässig, wenn der nationale Gesetzgeber etwa im Wege einer autonomen Harmonisierung bestimmte sekundärrechtliche Vorschriften auf reine Inlandsfälle erstreckt, um eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Fallgestaltungen zu vermeiden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Gesetzgeber sich an die Interpretation der in der Brüssel Ia-VO enthaltenen Vorschriften bindet.480 Die Zweifelsfrage muss sich in einem schwebenden (streitigen) Verfahren stellen. Ausgenommen 48 bleibt in der Regel der einstweilige Rechtsschutz, sofern den Parteien der Weg offen steht, die Streitfrage zum Gemeinschaftsrecht erneut in einem Hauptsacheverfahren überprüfen zu lassen.481 Sie muss nicht zwingend von den Prozessbeteiligten aufgeworfen werden, sondern kann auch von dem nationalen Gericht ausgehen. Notwendig ist, dass der Spruchkörper eine Entscheidung über die Vorlagefrage „zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält“. Diese tatbestandliche Einschränkung findet sich ebenso in Art. 267 Abs. 2 AEUV sowie dem dieser Bestimmung nachgebildeten Art. 3 des Auslegungsprotokolls zum
476 EuGH v. 10.7.2001 – C-86/00 – HSB-Wohnbau GmbH, EuGHE I 2001, 5353 ff. Der Gerichtshof konstatierte allerdings, dass ein Gericht, bei dem eine Berufung gegen eine Entscheidung eines mit der Führung des Handelsregisters betrauten Gerichts anhängig ist, als vorlagebefugter Spruchkörper anzusehen ist: EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06 – Cartesio Oktató és Szolgáltató Bt, EuGHE I 2008, 96419704 = wbl 2009, 75, 76 f.; hierzu Schmidtbleicher, BB 2007, 613 ff.; zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Poiares Maduro: Wilhelmi, DB 2008, 1611 ff. 477 EuGH v. 23.3.1983 – 102/81 – Nordsee vs. Nordstern, EuGHE 1982, 1095 ff. = NJW 1982, 1207 f.; Zöller/Geimer, § 1051 ZPO Rz. 18; Geimer, Rz. 246m, 3868; EuGH v. 1.6.1999 – C-126/97 – Eco Swiss China Time Ltd vs. Benetton Int, EuGHE I 1999, 3055 ff. = EuZW 1999, 565 ff. m. Anm. Spiegel, 568 f.; hierzu Peruzzetto, JDI 2000, 299 ff.; Weyer, EuR 2000, 145 ff.; EuGH v. 27.1.2005 – C-125/04 – Guy Denuit, Betty Condenier vs. Transorient – Mosaïque Voyages et Culture SA, EuGHE I 2005, 923 ff. = RIW 2005, 454; mit Blick auf Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern kritisch: Micklitz, EWS 2006, 1, 15; in Abgrenzung hierzu EuGH v. 13.2.2014 – C-555/13 – Merck Canada Inc. vs. Accord Healthcare Ltd u.a., EuZW 2014, 301. Danach ist ein Schiedsgericht vorlageberechtigt i.S.d. Art. 267 AEUV, wenn dessen Zuständigkeit nach nationalem Recht zwingend vorgegeben wird; zur Bindung staatlicher Gerichte an die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln bei der Aufhebung von Schiedssprüchen: EuGH v. 26.10.2006 – C-168/05 – Claro, Slg 2006, I-10421 = RIW 2007, 226 ff.; EuGH v. 6.10.2009 – C-40/08 – Telecomunicaciones, Slg 2009, I-9579 = EWiR 2010, 91 m. Anm. Mankowski, 91 f.; Eichstädt, Der schiedsrechtliche Aquis communautaire, 2013, S. 350, 353, 357; zuletzt zur Verletzung des materiellen ordre public durch eine Schiedsvereinbarung: östOGH IPRax 2018, 532 m. Anm. Thorn/Nickel, 541. 478 Siehe Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren3 (2006) Rz. 179; Geimer, Rz. 246m, 3868. 479 EuGH v. 30.6.1966 – 61/65 – Vaassen-Göbbels, Slg 1966, 584; EuGH v. 21.3.2000 – verb. Rs. C-110/98 bis C-147/98 – Gabalfrisa SL u.a. vs. Agencia Estatal de Administración Tributaria (AEAT), Slg I 2000, 1577 ff. = EWS 2000, 217 ff.; EuGH v. 30.5.2002 – C-516/99 – Walter Schmid, EuLF 2002, 233 ff. 480 Siehe nunmehr in Abgrenzung zur „Kleinwort Benson-Doktrin“: EuGH v. 7.1.2003 – C-306/99 – BIAO vs. FA für Großunternehmen Hamburg, EuGHE I 2003, 1 ff. = JZ 2003, 413, 415 Rz. 93 m. Anm. Luttermann, 417, 418. 481 Schwarze in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 267 AEUV Rz. 46 m.w.N.; Wegener in Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV5 (2016) Art. 267 AEUV Rz. 31 m.w.N.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung EuGVÜ.482 Die Beurteilung, ob die Entscheidungserheblichkeit und damit Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung gegeben ist, obliegt dem nationalen Gericht und ist der Nachprüfung durch den EuGH entzogen.483 50
Eine Vorlage ist nicht geboten, wenn die Frage bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens war, eine gesicherte Judikatur des EuGH vorliegt oder eine bestimmte Auslegung derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.484 Hier ist indes angesichts der vom Gerichtshof aufgestellten hohen Anforderungen Vorsicht geboten. Der nationale Spruchkörper muss zu der Überzeugung gelangen, dass ebenso aus dem Blickwinkel der Gerichte in den übrigen Mitgliedstaaten die gleiche Gewissheit besteht. Die sogenannte CILFIT-Doktrin des EuGH485 ist mithin kein Feigenblatt, um eine fehlende Dialogbereitschaft der nationalen Spruchkörper zu kaschieren. Von einer mangelnden Entscheidungserheblichkeit ist nach Ansicht des BGH486 auch dann auszugehen, wenn alle Auslegungsmöglichkeiten zu einem übereinstimmenden Ergebnis führen. Dies erscheint jedoch zweifelhaft.
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Missachtet der staatliche Spruchkörper seine im Primärrecht wurzelnde Vorlagepflicht, verstößt er gegen das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Das Urteil kann dementsprechend im Wege der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.487 In Betracht kommt zudem ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258, 259 AEUV sowie gegebenenfalls eine Staatshaftung. Nach der Leitentscheidung des EuGH in der Rs. C-224/01488 sind die Mitgliedstaaten zum Schadensersatz aufgrund von judikativen Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht selbst dann verpflichtet, wenn jene im Rahmen einer letztinstanzlichen Verfügung stattgefunden haben. Zwar schränkt der EuGH den Staatshaftungsanspruch dahingehend ein, dass hinsichtlich dessen Begründung jedenfalls ein offenkundiger Rechtsverstoß bestehen muss und ferner noch weitere Qualifikationen erforderlich sind. Hieraus ergibt sich jedoch, dass die aus § 839 Abs. 2 BGB folgende Richterprivilegierung,489 welche eine Straftat erfordert, im Einzelfall durchaus über die vom Gerichtshof gestellten Anforderungen an eine Staatshaftung hinausgehen kann. Soweit dies tatsächlich der Fall ist, steht § 839 Abs. 2 BGB der gemeinschaftsrechtlichen Haftung nicht entgegen.490
482 Protokoll betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof, abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht10 (2000) Nr. 151 und ABl. EG 1998 Nr. L 27/28. 483 Schwarze in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 267 AEUV Rz. 37 m.w.N.; Wegener in Calliess/ Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV5 (2016) Art. 267 AEUV Rz. 22; vgl. auch EuGH v. 25.10.2005 – C-350/03 – Schulte vs. Deutsche Bausparkasse Badenia AG, EuGHE I 2005, 9215 ff. = NJW 2005, 3551 ff. sowie Staudinger, NJW 2005, 3521. 484 Siehe die Angaben zur Judikatur des EuGH bei Schwarze in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3 (2012) Art. 267 Rz. 48; zum Merkmal des „Ausrichtens“ i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO (entspricht Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO) unter Berufung auf die acte claire-Doktrin und zugleich gegenteiliger Auffassung BGH, NJW 2006, 1672, 1673; a.A. östOGH ÖJZ 2005, 307, 308; kritisch Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 546; Looschelders, JR 2007, 459, 460 f.; vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 502. 485 EuGH v. 6.10.1982 – 283/81 – CILFIT vs. Ministero della Sanità, EuGHE 1982, 3415; hierzu Herrmann, EuZW 2006, 231 ff. 486 BGH IPRax 2003, 346, 349; krit. hierzu Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 328, 330. 487 BVerfG NJW 2014, 2489 ff.; BVerfG NJW 2011, 3428 ff. 488 EuGH v. 30.9.2003 – C-224/01 – Köbler vs. Österreich, EuGHE I 2003, 10239 ff. = NJW 2003, 3539 ff.; vgl. zu dieser Entscheidung Kenntner, EuZW 2005, 235, 237; Gundel, EWS 2004, 8 ff.; Kremer, NJW 2004, 480 ff.; siehe auch Hellwig/Moos, JA 2011, 196 ff. 489 Siehe hierzu Hk-BGB/Staudinger, § 839 BGB Rz. 36. 490 So auch Gundel, EWS 2004, 8, 16. Zur Geltendmachung einer Vorlagepflichtverletzung im Rahmen der Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO vgl. BGH, GRUR 2006, 346 ff. = NJW-RR 2006, 45 ff. m. Anm. Leible, LMK 2006, 1786 ff.
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2. Vorlage im Erkenntnis- und Exequaturverfahren a) Kontrollfähigkeit der internationalen Zuständigkeit Die internationale Zuständigkeit ist nach Ansicht des BGH491 auf Revisionsebene kontrollfähig. Der 52 Wortlaut des § 545 Abs. 2 ZPO sowie die Gesetzesbegründung verbieten eine derartige Auslegung nicht.492 Dies gilt ebenso für § 576 Abs. 2 ZPO.493 Gleichermaßen ist – entgegen der Auffassung des OLG Stuttgart494 – die Kontrolle in der Berufungsinstanz zulässig.495 Hierfür lässt sich ins Feld führen, dass Berufungen nach dem politischen Formelkompromiss496 in § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG497, 498 gerade dann beim OLG gebündelt werden, wenn eine Partei bei Eintritt der Rechtshängigkeit in der ersten Instanz, also im Zeitpunkt der Klagezustellung ihren allgemeinen Gerichtsstand im Ausland hat.499 In solchen Fallgestaltungen stellen sich aber stets Fragen der internationalen Zuständigkeit, denen in den Augen des Gesetzgebers eine solche Bedeutung zukommt, dass sie von spezialisierten Senaten eines OLG’s oder über den veränderten Instanzenzug letztlich vom BGH geklärt werden sollen.500 Nur auf diese Weise wird man der besonderen Funktion der internationalen Zuständigkeit als Transmissionsriemen für das Verfahrens- und Kollisionsrecht gerecht und trägt den überragenden Interessen der Verfahrensbeteiligten sowie den Belangen der staatlichen Rechtspflege hinreichend Rechnung.501 Ferner stellt allein eine Kontrollbefugnis der internationalen Zuständigkeit in der Berufungs- und Revisionsinstanz die praktische Wirksamkeit des Vorabentscheidungsverfahrens sicher.
491 Siehe etwa BGH, NJW 2015, 169; BGH, GRUR 2012, 621, 622; BGH, NJW-RR 2010, 279; BGH, NJWRR 2007, 1509, 1510; NJW 2007, 3501, 3502; JZ 2005, 736, 737 m. Anm. Ohly, 738 ff.; NZI 2003, 545 m. Anm. Mankowski, 546 f. und, NJW 2003, 426 ff. m. Anm. Leible, NJW 2003, 407 ff. = IPRax 2003, 346 ff. m. Anm. Piekenbrock/Schulze, 328 ff. = JZ 2003, 850 ff. m. Anm. Staudinger, 852 ff. 492 Siehe hierzu Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 1, 2 ff. 493 BGH, NJW-RR 2010, 279; BGH, WM 2005, 2274, 2275 = IPRax 2007, 128 ff. m. Anm. Dutta, 109 ff. 494 OLG Stuttgart, MDR 2003, 350 m. Anm. Braun, 351 f. 495 Siehe auch OLG Braunschweig, NJW 2006, 161; OLG Celle OLGR 2002, 281. 496 Das Bundesjustizministerium konnte eines ihrer Kernziele, den dreistufigen Instanzenzug bundesweit zu etablieren, nicht verwirklichen; hierzu Oberheim, JA 2002, 408, 413 f.; Rimmelspacher, Jura 2002, 11, 12; Schellhammer, MDR 2001, 1142; Schnauder, JuS 2002, 68, 73. 497 Zu der Frage, ob für die Wohnsitzbestimmung einer Partei i.S.v. § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG die Brüssel I-VO in ihrem räumlichen Anwendungsbereich maßgeblich ist: BGH, IPRax 2008, 135 f. m. Anm. von Hein, 112 ff. = EuZW 2007, 580 ff. m. Anm. Ringe/Willemer, 44 ff.; ebenso BGH, NJW 2009, 1610, 1611 und LG Nürnberg-Fürth, NJW-RR 2009, 1655 f. Zu dieser streitbefangenen Vorschrift siehe auch Brand/Karpenstein, NJW 2005, 1319 ff.; Haverkamp, ZZP 120 (2007) 427 ff.; Fölsch, MDR 2008, 301 ff. sowie aus der Rechtsprechung etwa BGH, NJW-RR 2007, 574 f. (Zwangsvollstreckungssachen); OLG Köln, NZI 2008, 61 f. m. Anm. Mankowski, 62 f. (Insolvenzangelegenheiten); OLG München, NJW-RR 2008, 461 ff. (Wohnungseigentumssachen); BGH, NJW-RR 2008, 144 (beschränkte Nachprüfung des Gerichtsstandes durch das Rechtsmittelgericht) sowie BGH, IPRax 2008, 133 ff. m. Anm. von Hein, 112 ff. (strikt formale Anwendung der Norm). Siehe in weiterem Zusammenhang BVerfG, NJW 2005, 2137 f. sowie BGH, NJW 2005, 3776 f. 498 Wird abweichend von § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG etwa Berufung beim LG eingelegt, kommt weder eine Verweisung nach § 281 ZPO noch laut § 17a Abs. 2 GVG bzw. im Lichte des Meistbegünstigungsgrundsatzes in Betracht: BGH, NJW 2003, 2686, 2687; Staudinger, ZGS 2004, 161; Staudinger, ZEuP 2004, 767, 781; eine methodisch nicht zweifelsfreie Analogie zu § 281 ZPO setzt jedenfalls eine Antragstellung vor Ablauf der Berufungsfrist voraus; für eine entsprechende Anwendung: Grunsky, FS Jayme (2004) 285, 292 ff.; Grunsky, LMK 2004, 173, 174. 499 Einer späteren Verlegung des Wohnsitzes kommt keine Bedeutung zu: BGH, NJW 2006, 2782 f.; LG Berlin, IPRax 2007, 127 f. m. Anm. Staudinger, 105 ff. Nach Auffassung des BGH ist die Zuständigkeitskonzentration des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG nicht eröffnet, wenn einer von mehreren allgemeinen Gerichtsständen der Partei im Ausland liegt: IPRax 2008, 135 f. m. Anm. von Hein, 112 ff. = EuZW 2007, 580 ff. m. Anm. Ringe/ Willemer, 44 ff. 500 Gerade bei Sachverhalten mit Auslandsbezug bestehe ein „großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche Rechtsprechung“; BT-Drucks. 14/6036, 116. 501 Siehe hierzu BGH, NJW 2003, 828, 830.
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Hieran ändert auch die Neufassung von § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG nichts. Mit dem vom Bundestag am 27.6.2008 beschlossenen Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entfallen die bisherigen Ausnahmetatbestände – lit. b und c502 – der Vorschrift ersatzlos (vgl. Art. 22 Nr. 14),503 sodass nunmehr die Landgerichte gem. § 72 Abs. 1 GVG in den vor den Amtsgerichten verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten die Berufungsinstanz darstellen.504 Hintergrund dieser Reform war die Tatsache, dass sich die maßgebliche Vorschrift in der Praxis nicht bewähren konnte505 und sich als sogenannte Rechtsmittelfalle erwiesen hat,506 sodass nunmehr ein noch größeres Bedürfnis dafür besteht, auch im weiteren Verfahrensverlauf eine Kontrolle der internationalen Zuständigkeit zu gewährleisten.
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Ob nun im Lichte der vom BGH507 gefällten Entscheidungen für den in- und vor allem ausländischen Rechtsanwender eine transparente Gesetzeslage in sämtlichen Fallkonstellationen besteht, muss bezweifelt werden. Rechtssicherheit und -klarheit lassen sich wohl nur durch eine Nachbesserung der ZPO-Novelle erzielen. Wie bei der Schuldrechtsreform wird die Legislative somit nicht um ein Reparaturgesetz umhinkommen. b) Vorlagen im Erkenntnisverfahren
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In denjenigen Fällen, in denen der Wert des Beschwerdegegenstands nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht wird, scheidet eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV aus, da die Entscheidung des Gerichts noch mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann.
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Die Berufung ist überdies bei kleineren Streitwerten statthaft, soweit das Gericht des ersten Rechtszuges jene in seinem Urteil nach § 511 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 S. 1 ZPO zulässt, sei es wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache, wegen der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Judikatur.508 Nach § 511 Abs. 4 S. 2 ZPO bleibt das Berufungsgericht an die Zulassung gebunden.509 Die Nichtzulassung der Berufung ist nicht rechtsmittelfähig.510 Ebenso wenig kann eine Berufung auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt werden. Bisher ermöglichte § 321a ZPO a.F. der infolge des erstinstanzlichen Urteils beschwerten Partei, noch im Ausgangsprozess den
502 Hierzu BGH, IPRax 2007, 528 f. m. Anm. Althammer, 514 ff. sowie OLG Düsseldorf, ZEV 2008, 82 f. und OLG Köln, FamRZ 2008, 1091 f. 503 Nachdem der Bundesrat der Reform zustimmte (vgl. BR-Drucks. 617/08), trat das Gesetz nach seinem Art. 112 Abs. 1 am 1.9.2009 in Kraft; BGBl. 2008 I 2586 ff. Mit der ebenfalls beschlossenen Neufassung von § 545 Abs. 1 ZPO erfährt der Anwendungsbereich für die revisionsgerichtliche Überprüfung von Rechtsnormen eine Erweiterung (Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9733, 301), so dass nunmehr jede Rechtsverletzung die Revision eröffnet. Demnach dürfte auch die fehlerhafte Anwendung ausländischen Sach- oder Internationalen Privatrechts Beachtung finden, vgl. Aden, RIW 2009, 475 ff.; Eichel, IPRax 2009, 389 ff.; Hess/Hübner, NJW 2009, 3132, 3133; anders dagegen: Althammer, IPRax 2009, 381, 389; Roth, JZ 2009, 585, 590. 504 Siehe auch Carl, VersR 2009, 1471 ff. und Grimme/Voll, VersR 2009, 1602 f. 505 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BR-Drucks. 309/07, 728. 506 Ringe/Willemer, EuZW 2008, 44, 48; die Neuregelung ebenso einstufend: Carl, VersR 2009, 1471, 1473. 507 Siehe etwa BGH, NJW-RR 2007, 1509, 1510; NJW 2007, 3501, 3502; JZ 2005, 736, 737 m. Anm. Ohly, 738 ff. und, NZI 2003, 545 m. Anm. Mankowski, 546 f. in Festhaltung an: BGH, NJW 2003, 426 ff. m. Anm. Leible, NJW 2003, 407 ff. = IPRax 2003, 346 ff. m. Anm. Piekenbrock/Schulze, 328 ff. = JZ 2003, 850 ff. m. Anm. Staudinger, 852 ff. 508 Schwierigkeiten ergeben sich hier vor allem bei der Abgrenzung der beiden Wege; siehe Herzler, NJ 2001, 617, 622; Jauernig, NJW 2001, 3027 f.; zur Auslegung des § 511 Abs. 4 S. 1 s. jüngst BVerfG WM 2014, 251 ff.; BVerfG WM 2011, 2155 ff. 509 Die erweiterte Statthaftigkeit der Berufung ist Ausprägung eines Grundgedankens, auf dem das novellierte Rechtsmittelrecht aufbaut. Nach dem Willen des Reformgesetzgebers soll jeder Rechtsstreit unabhängig vom Streitwert die Möglichkeit erhalten, vor dem BGH als Revisionsinstanz verhandelt zu werden; BTDrucks. 14/3750, 37 ff., 42 ff. 510 Siehe etwa die Kritik von Ebel, ZRP 2001, 309, 310. Er hält es vor allem für bedenklich, die Nichtzulassung der Berufung bei amtsgerichtlichen Urteilen abzuschneiden; ebenso kritisch äußert sich Schellhammer, MDR 2001, 1141, 1142.
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Mangel511 zu rügen sowie die Fortsetzung des Ursprungsverfahrens zu beantragen. Die diesbezüglich bestehende Rechtslage hat das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidung vom 30.4.2003512 als unzureichend bewertet. Dem Gesetzgeber wurde deshalb aufgegeben, die Rechtsschutzmöglichkeiten bei Verletzung rechtlichen Gehörs bis zum 31.12.2004 zu erweitern. Im Nachgang ist das am 1.1.2005 in Kraft getretene Anhörungsrügengesetz ergangen,513 dessen § 321a ZPO n.F. nunmehr eine generelle Anhörungsrüge bei Endentscheidungen vorsieht.514 Stellte man allein auf die theoretische Möglichkeit ab, dass der erstinstanzliche Spruchkörper die Berufung in seinem Urteil zulässt, entfiele per se die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV. Im Ergebnis liefe der mit Hilfe des Art. 267 Abs. 3 AEUV angestrebte Dialog zwischen den mitgliedstaatlichen Gerichten und dem EuGH weitgehend leer. Um der Gefahr zu begegnen, dass Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt werden, unterliegen sie dem Gebot des effet utile. Art. 267 Abs. 3 AEUV ist damit in der Weise zu interpretieren, dass ein Gericht lediglich dann keiner Vorlagepflicht unterliegt, wenn es die Berufung in seinem Urteil zulässt.515 Maßgeblich ist dabei eine ex ante-Prognose des nationalen Spruchkörpers zu dem Zeitpunkt, in dem die Auslegung der Brüssel Ia-VO entscheidungserheblich wird.
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Das OLG ist wiederum angesichts der Möglichkeit, nach § 544 ZPO Nichtzulassungsbeschwerde 58 einzulegen, jedenfalls nach dem 31.12.2001516 nicht als letztinstanzliches Gericht i.S.d. Art. 267 Abs. 3 AEUV anzusehen.517 Dies steht im Einklang mit dem Urteil des EuGH in der Rs. Schweden/Kenny Roland Lyckeskog.518 Nach Ansicht des Gerichtshofs ist ein Spruchkörper kein letztinstanzliches Gericht i.S.d. Art. 234 Abs. 3 EGV,519 wenn seine Entscheidung noch mit einem Rechtsmittel angefochten werden kann. Dies gelte selbst dann, wenn der iudex ad quem diesen Rechtsbehelf zulasse. Sofern die umstrittene (internationale) Zuständigkeit aus dem Gemeinschaftsrecht520 folgt, dürfte der Rs. wohl i.d.R. grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 511 Abs. 4 Nr. 1 bzw. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zukommen.521 Hierfür spricht, dass eine Entscheidung des EuGH jedenfalls die Spruchkörper im
511 Vgl in diesem Zusammenhang auch den Beschluss des BVerfG v. 16.1.2002. Nach Ansicht des Ersten Senats des BVerfG steht es im Widerspruch zur Verfassung, dass keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit besteht, um entscheidungserhebliche Verstöße gegen das in Art. 103 Abs. 1 GG verankerte Verfahrensgrundrecht zu rügen. Da diese Einschätzung von der Rechtsauffassung des Zweiten Senats abweicht, hat der Erste Senat das Plenum des BVerfG angerufen, BVerfG ZVI 2002, 122. 512 BVerGE 107, 395 ff. = NJW 2003, 1924 ff. = ZIP 2003, 1102 ff. = EuGRZ 2003, 273 ff.; vgl. dazu etwa Bloching/Kettinger, NJW 2005, 860 ff.; Gehb, DRiZ 2005, 121 ff.; Dörr, Jura 2004, 334 ff.; Meyer-Mews, NJW 2004, 716 ff.; siehe nachfolgend ferner den Beschluss BVerfGE 108, 341 ff. = NJW 2003, 3687 ff. 513 Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vom 9.12.2004, BGBl. 2004 I 3220 ff. 514 Vgl die Ausführungen von Huber, JuS 2014, 402 ff.; Piekenbrock, AnwBl. 2005, 125, 126; Schnabl, Die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO (2007); vgl. zu § 321a ZPO auch BGH, NJW-RR 2006, 45 ff. = GRUR 2006, 346 f. m. Anm. Leible, LMK 2006, 1786 ff. 515 Vgl hierzu – wenn auch im Hinblick auf Art. 234 EGV – Geiger, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft4 (2004) Art. 234 EGV Rz. 15; siehe auch Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften: Praxis und Rechtsprechung (1986) 46. 516 Bis zu diesem Stichtag hängt die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 26 Nr. 8 EGZPO von einer Beschwerde von 20.000 Euro ab. Unterhalb dieses Wertes ist das OLG demnach als letztinstanzliches Gericht zu qualifizieren; zur Verfassungsmäßigkeit von § 26 Nr. 8 EGZPO siehe BGH, NJW-RR 2003, 645; Die Beschränkung nach § 26 Nr. 8 EGZPO war zunächst mit einem Verfallsdatum bis 31.12.2014 versehen. (BGBl. 2011 I 2082). Der Gesetzgeber hat die Streitwertgrenze nun bis zum 31.12.2016 verlängert (BGBl. 2014 I 1962). 517 Vgl Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, GVG Anh. § 1 Rz. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege, Vor Art. 1 Rz. 24. 518 EuGH v. 4.6.2002 – C-99/00 – Schweden vs. Kenny Roland Lyckeskog, EuGHE I 2002, 4839, 4885 f. Rz. 16 ff. = EuZW 2002, 476, 477 f.; hierzu Groh, EuZW 2002, 460 ff. 519 Auch wenn sich das Urteil des EuGH auf Art. 234 Abs. 3 EGV bezieht, lässt es sich doch von seiner ratio her auf Art. 68 Abs. 1 EGV übertragen. 520 So mit Blick auf das Gemeinschaftsrecht auch Piekenbrock/Schulze, JZ 2002, 911, 915; Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 1, 6. 521 Zur Verfassungskonformität des § 543 Abs. 2 ZPO: BVerfG, NJW 2005, 3345 f.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung Ausgangsverfahren rechtlich bindet. Sie entfaltet darüber hinaus eine Präjudizwirkung für alle Gerichte in den Mitgliedstaaten und dient als Leitlinie zur Interpretation textidentischer Bestimmungen des EuGVÜ sowie LugÜbk 1988.522 Der iudex a quo wird somit wohl in Deutschland stets die Berufung bzw. Revision zulassen müssen. Die Frage, ob die Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den EuGH und der damit einhergehende Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nach § 321a ZPO analog gerügt werden kann, ist bisher höchstrichterlich nicht ausdrücklich entschieden.523 Hierfür spricht allerdings die Tatsache, dass § 321a ZPO der Wahrung der das Verfahrensrecht prägenden Verfassungsprinzipien dient und zu den Verfahrensgrundrechten ebenso Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG zählt.524 60
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entscheidet das Berufungsgericht gem. § 542 Abs. 2 ZPO letztinstanzlich, sodass diesen Spruchkörper nach Art. 267 Abs. 3 AEUV eine Pflicht zur Vorlage trifft. c) Vorlagen im Exequaturverfahren
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Mit dem Wegfall des Exequaturverfahrens in der Brüssel Ia-VO wird demzufolge auch eine Vorlage durch den BGH im Beschwerdeverfahren nach Art. 32 ff. Brüssel I-VO hinfällig.525 3. Bindungswirkung der vom EuGH getroffenen Entscheidungen
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Ergeht auf Vorlage eines Höchstgerichts nach Art. 267 Abs. 1 AEUV eine Vorabentscheidung, bindet sie unmittelbar jedenfalls die mit dem Ausgangsverfahren befassten staatlichen Spruchkörper.526 Auf supranationaler Ebene fehlt zwar eine dem § 31 Abs. 1 BVerfGG vergleichbare Vorschrift. Dennoch entfaltet das Urteil des EuGH zumindest eine Präjudizwirkung für alle Gerichte in den Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO.527 4. Eilverfahren
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Um in Anbetracht der Dringlichkeit bestimmter Fälle ein hinreichend schnelles528 Vorlageverfahren zu gewährleisten, kann der Gerichtshof seit dem 1.3.2008 im Eilwege entscheiden. Kraft Genehmigung des Rates, welcher die Satzung des Gerichtshofs um den Art. 23a erweiterte,529 ist die Verfahrensordnung insbesondere infolge der Einführung von Art. 104b geändert worden.530 Dieser Vorschrift zufolge kann ein Vorabentscheidungsersuchen etwa über die Fragen zum Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts (3 Teil Titel IV des EGV) einem Eilverfahren unterworfen werden, wenn die rechtlichen und tatsächlichen Umstände eine Dringlichkeit und Abweichung der üblichen Vor-
522 Hierzu Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 1 ff. 523 Zur Bejahung der Frage aber tendierend BGH, NJW 2006, 1978 f.; ebenfalls befürwortend: Leible, LMK 2006, 178600; Poelzig, ZZP 121, 233 ff.; ablehnend Huber, JuS 2005, 1109, 1113. 524 Leible, LMK 2006, 178600. 525 Zur Brüssel I-VO: Rauscher in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Einl. Brüssel II-VO Rz. 24; Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 1, 6. 526 Hess, § 12 Rz. 49 f.; Kropholler/von Hein, Einl. Brüssel I-VO Rz. 67; Schmidt-Parzefall, Die Auslegung des Parallelübereinkommens von Lugano (1995) 35 f.; weitergehend Brückner in Hommelhoff/Jayme/Mangold (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt, IPR und Rechtsangleichung (1995) 263, 267 ff. 527 Vgl Hess, § 12 Rz. 53 f.; Staudinger, NJW 2005, 3521. Nationale Gerichte sind allerdings nicht zur Überprüfung und Aufhebung rechtskräftig gewordener Entscheidungen verpflichtet, auch wenn diese gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen: EuGH v. 16.3.2006 – C-234/04 – Rosmarie Kapferer vs. Schlank & Schick GmbH, EuGHE I 2006, 2585 ff. = EuZW 2006, 241 ff. 528 Beabsichtigt ist wohl eine Reduzierung der durchschnittlichen Verfahrensdauer von 21 auf etwa 3 bis 4 Monate, vgl. Gardette, EuZW 2008, 98; auch die Erklärung des Rates, ABl. EU 2008 L 24/44. 529 Beschluss des Rates vom 20.12.2007 zur Änderung des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofs, ABl. EU 2008 L 24/42 f. 530 ABl. EU 2008 L 24/39 ff.; hierzu Gardette, EuZW 2008, 98 f.; Hakenberg/Schilhan, ZfRV 2008, 104, 109 f.; Kohler/Pintens, FamRZ 2008, 1669, 1670 f.; Kokott/Dervisopoulos/Henze, EuGRZ 2008, 10 ff.; Kühn, EuZW 2008, 263 ff.; Paraschas, DRiZ 2009, 256 ff.; Rieck, NJW 2008, 2958 f.
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Einleitung
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gehensweise rechtfertigen. Für einen solchen Fall beinhaltet das neue Procedere etwa verkürzte Fristen sowie den Verzicht auf förmliche Schlussanträge des Generalanwalts. Nunmehr liegen bereits die ersten auf diesem Wege ergangenen Entscheidungen vor,531 von denen eine – mit Blick auf die Eilbedürftigkeit in Angelegenheiten der elterlichen Sorge – die Brüssel IIa-VO betrifft.532 Eine ausdrückliche Verankerung dieses neuen Eilweges enthält Art. 267 Abs. 4 AEUV jedenfalls für inhaftierte Personen betreffende Verfahren. 5. Aufhebung von Art. 68 durch den Vertrag von Lissabon Vor dem Hintergrund der mit Art. 68 Abs. 1 EGV einhergehenden restriktiven Vorlagepraxis trat die 63a Kommission dafür ein, die Norm zugunsten der Anwendung von Art. 234 EGV zu streichen.533 In ihrer Mitteilung nahm sie insoweit auf Art. 67 Abs. 2 Str. 2 EGV Bezug, wonach der Rat fünf Jahre nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags einen Beschluss über die Anpassung der Zuständigkeiten des Gerichtshofs zu treffen verpflichtet ist. Ungeachtet der hierfür vorgebrachten Argumente – Sicherstellung der einheitlichen Anwendung und Interpretation des Gemeinschaftsrechts sowie Ausbau des Rechtsschutzes – blieben diese Bemühungen erfolglos.534 Eine Korrektur ergibt sich jedoch nunmehr durch den Vertrag von Lissabon,535 welcher eine Streichung von Art. 68 EGV vorsieht und somit den Rückgriff auf Art. 267 AEUV gestattet.536 Dementsprechend steht sämtlichen Spruchkörpern die Möglichkeiten offen, den Gerichtshof um Vorabentscheidung anzurufen. Unklar bleibt jedoch, inwieweit dieses Verfahren für bereits am 1.12.2009 an- bzw. rechtshängige Rechtsstreitigkeiten Geltung beansprucht oder vielmehr insofern nach wie vor Art. 68 Abs. 1 EGV maßgeblich bleibt. Mangels ausdrücklicher Aussagen des Unionsgesetzgebers ist einer entsprechenden Rückwirkung grds. entgegenzutreten. In diesem Sinne findet etwa die Brüssel Ia-VO nach Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nur auf Verfahren Anwendung, die ab dem 10.1.2015 eingeleitet werden. Zur Sicherstellung des effet utile im Gemeinschaftsrecht erscheint es dagegen angezeigt, mithilfe von Art. 267 AEUV die einheitliche Interpretation und Anwendung des Sekundärrechtsakts zu gewährleisten. Dies gilt umso mehr, als Art. 10 Protokoll Nr. 36537 zum EUV sowie AEUV Übergangsbestimmungen hinsichtlich der Befugnisse des Gerichtshofs zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Maßgabe des Titels VI des EUV a.F. enthält. Vor diesem Hintergrund entfallen ab dem 1.12.2009 die Einschränkungen des Art. 68 Abs. 1 EGV ebenfalls für bereits vor nationalen Gerichten anhängige Verfahren.538 Die obigen Ausführungen – etwa zur Kontrollfähigkeit der internationalen Zuständigkeit – bleiben jedoch nach wie vor von Bedeutung.
531 Hierzu sowie zu anderen Ersuchen Kohler/Pintens, FamRZ 2008, 1669, 1671. 532 EuGH v. 11.7.2008 – C-195/08 PPU – Inga Rinau, EuGHE I 2008, 5271 ff. = NJW 2008, 2973 ff. m. Anm. Rieck, 2958 ff. = FamRZ 2008, 1729 ff. m. Anm. Schulz, 1732 ff.; hierzu Kohler/Pintens, FamRZ 2008, 1669, 1671; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 18. 533 Mitteilung der Kommission über die Anpassung der die Zuständigkeit des Gerichtshofs betreffenden Bestimmungen des Titels IV des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft im Hinblick auf die Gewährleistung eines effektiveren gerichtlichen Rechtsschutzes, KOM (2006) 1; siehe hierzu den zustimmenden Bericht des Europäischen Parlaments vom 27.3.2007, A6-0082/2007. 534 Vgl auch Wagner, IPRax 2007, 290, 292. 535 Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 zur Änderung des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU 2007 C 306/1 ff.; beachte die konsolidierten Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), ABl. EU 2008 C 115/1 ff.; hierzu siehe etwa: Bergmann, DÖV 2008, 305 ff.; Hatje/ Kindt, NJW 2008, 1761 ff.; Lengauer, ZfRV 2008, 4 ff.; Oppermann, DVBl 2008, 473 ff.; Pache/Rösch, NVwZ 2008, 473 ff.; Pernice, EuZW 2008, 65; Streinz, ZG 2008, 105 ff.; Terhechte, EuR 2008, 143 ff.; zum gescheiterten Verfassungsvertrag und den Perspektiven der Gemeinschaft: Mayer, JZ 2007, 593 ff.; Rabe, NJW 2007, 3153 ff.; Richter, EuZW 2007, 631 ff.; Schubert/Schwithal, NJ 2008, 337 ff.; Weber, EuZW 2008, 7 ff.; vgl. auch Vedder/Wolff/von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag (2007). 536 Siehe auch Schroeter, ZEuP 2006, 515, 545 f. 537 ABl. EU 2008 C 115/322 ff. 538 In diese Richtung wohl: EuGH v. 20.11.2009 – C-278/09 – Martinez, EuGHE I 2009, 11099 ff. = IPRax 2011, 166 f.
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XI. Zukunft des Europäischen Zivilverfahrensrechts 64
Die Europäisierung des Internationalen Zivilprozessrechts539 ist – wie diejenige des Internationalen Privatrechts540 durch die Rom I-VO541 und die Rom II-VO542 – im Vergleich zum Stand der Vorauflage bereits weit fortgeschritten. Der nachfolgende Überblick kann angesichts der Dynamik dieses Rechtsgebietes, welche insbesondere in dem vom Europäischen Rat am 4./5.11.2004 verabschiedeten Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union543 so539 Hess, NJW 2000, 23 ff.; Hess, JZ 2001, 573 ff.; Hess, IPRax 2001, 389 ff.; Wagner, NJW 2003, 2344 ff.; Wagner, NJW 2004, 1835 ff. 540 Die Brüssel Ia-VO gewährt dem Kläger zum Teil die Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen. In Anbetracht der Gefahr eines forum shoppings besteht ein unabweisbares Bedürfnis für eine Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts. 541 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 L 177/6; hierzu: Clausnitzer/ Woopen, BB 2008, 1798 ff.; Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 ff.; Lando/Nielsen, CML Rev 2008, 1687 ff.; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 ff.; Mankowski, IHR 2008, 133 ff.; Martiny, RIW 2009, 737 ff.; Pfeiffer, EuZW 2008, 622 ff.; Solomon, Tulane Law Review 82 (2008) 1709 ff.; Wagner, IPRax 2008, 377 ff.; sowie die Beiträge in Baetge/von Hein/von Hinden (Hrsg.), Festschrift Kropholler (2008) und Bonomi/Volken (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 10 (2008); beachte auch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 25.6.2009, BGBl. 2009 I 1574 ff.; zu den Vorarbeiten beachte die Beiträge in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2003) und Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007) sowie Bonomi (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 5 (2003); Fricke, VersR 2006, 745 ff.; Fricke, VersR 2005, 726 ff.; Heiss, VersR 2006, 185 ff.; Junker, RIW 2006, 401 ff.; Kieninger, EuZ 2007, 22 ff.; Leible, EuZ 2006, 78 ff.; Leible, IPRax 2006, 365 ff.; López-Rodríguez, European Review of Private Law 12 (2004), 167 ff.; Mankowski, IPRax 2006, 101 ff.; Mankowski, RIW 2005, 481, 483; Mankowski, ZEuP 2003, 483 ff.; Martiny, ZEuP 2008, 78; Martiny, ZEuP 2007, 212 ff.; Martiny, ZEuP 2003, 590 ff.; Max Planck Institute for Comparative and International Law RabelsZ 71 (2007), 225 ff.; Meeusen/Pertegás/Straetmans (Hrsg.), Enforcement of International Contracts in the European Union (2004); Mauer/Sadtler, DB 2007, 1586 ff.; Staudinger, AnwBl. 2008, 8 ff.; speziell zum kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz: Basedow, FS Jayme (2004) 3 ff.; Bitterich, RIW 2006, 262 ff.; Bitterich, GPR 2006, 161 ff.; Ehle, GPR 2003-04, 49 ff.; Ferrari/Staudinger, Art. 29 EGBGB Rz. 30 ff., Art. 29a EGBGB Rz. 21 f., Art. 34 EGBGB Rz. 30; Hoffmann/Primaczenko, IPRax 2007, 173 ff.; Looschelders, FS Lorenz (2004) 441 ff.; Mankowski, ZVglRWiss 105 (2006), 120 ff.; Roth, FS Sonnenberger (2004) 591 ff.; Rühl, GPR 2006, 196 ff.; Siems, GPR 2005, 158 ff. 542 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU 2007 L 199/40; zu diesem Sekundärrechtsakt siehe: zur Rechtsfrage, wie Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO für die Bestimmung des auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus einem Verkehrsunfall anzuwendenden Rechts auszulegen ist, EuGH v. 10.12.15 – C-350/14 – Lazar vs. Allianz SpA, NJW 2016, 466 ff. m. Anm. Staudinger; hinsichtlich der Regressklage eines ausländischen Kfz-Versicherers bei Unfall mit Kfz-Gespann im Inland, EuGH v. 21.1.2016 – C-359/14 und C-475/14 – ERGO Insurance vs. P&C Insurance u.a., NJW 2016, 1005 ff.; bzgl. der Rom II-VO innerhalb der deutschen Rechtspraxis und damit verbundene Reformüberlegungen siehe Garcimartín Alférez, EuLF 2007, I-77 ff.; Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 ff.; Junker, NJW 2007, 3675 ff.; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 ff.; Kühne, FS Deutsch (2009) 817 ff.; Leible, RIW 2008, 257 ff.; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 ff.; Ofner, ZfRV 2008, 13 ff.; Staudinger, AnwBl. 2008, 8 ff.; Sujecki, EWS 2009, 310 ff.; Symeonides, AJCL 56 (2008), 173 ff.; Wagner, IPRax 2008, 1 ff.; Wurmnest, ZVglRWiss 115, 624 ff. sowie die Beiträge in Baetge/von Hein/von Hinden (Hrsg.), Festschrift Kropholler (2008) und Bonomi/Volken (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 9 (2007); beachte auch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom 10.12.2008, BGBl. 2008 I 2401 f.; zum Entwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 16/9995): Wagner, IPRax 2008, 314 ff.; zu den vorausgegangenen Verordnungsvorschlägen: Benecke, RIW 2003, 830 ff.; Fuchs, GPR 2003-04, 100 ff.; von Hein, VersR 2007, 440 ff.; Huber/Bach, IPRax 2005, 73 ff.; Leible/Engel, EuZW 2004, 7 ff.; Mankowski, RIW 2005, 481 ff.; Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256 ff.; Staudinger, Mitteilungsblatt DAV Internationaler Rechtsverkehr 2007, 28 ff.; Symeonides, FS Jayme (2004) 935 ff.; Wagner, IPRax 2006, 372 ff.; hierzu mit Blick auf Verkehrsunfälle: Huber, SVR 2009, 9 ff.; Junker, JZ 2008, 169 ff.; Staudinger, ZGS 2005, 121; Staudinger, SVR 2005, 441 ff.; Staudinger, FS Kropholler (2008) 691 ff.; Thiede/Kellner, VersR 2007, 1624 ff. 543 Siehe die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 10.5.2005, KOM (2005) 184; beachte ferner das Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union des Rates, ABl. EG 2005 C 53/1 ff.; zum Haager Programm auch Wagner, IPRax 2005, 66 f.;
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Einleitung
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wie dem konkretisierenden Aktionsplan zum Haager Programm544 in Erscheinung tritt, bestenfalls eine Momentaufnahme darstellen. Bereits an dieser Stelle ist jedoch die inhaltliche Veränderung der in Planung befindlichen Maßnahmen zu erwähnen. Jene zeichnen sich nämlich insbesondere auf dem Gebiet des Internationalen Familienrechts545 als sogenannte gemischte Vorhaben durch ihren sowohl verfahrens-546 als auch kollisionsrechtlichen Regelungsgehalt aus. Dies zeigt das Interesse des europäischen Gesetzgebers, bestehende Lücken zu schließen. Ein weiteres wesentliches Merkmal stellt der Systemwechsel im Anerkennungsrecht dar, mit welchem das Zwischenverfahren vollends entfällt. Einen an diese Entwicklungen anknüpfenden Entwurf veröffentlichte die Europäische Kommission am 10.5.2009.547 Zur Verwirklichung eines Europäischen Rechtsraums hat jenes Vorhaben gemeinsam mit dem vom Europäischen Rat am 10./11.12.2009 angenommenen Stockholmer Programm548 dazu geführt, dass insbesondere das Exequaturverfahren mit der Brüssel Ia-VO generell abgeschafft worden ist.549 1. EG-UntVO Die von der EG am 18.12.2008 erlassene EG-UntVO550 sieht neben der vom Grundsatz her maßgebli- 65 chen unmittelbaren Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen in ihrem Art. 15 einen Hinweis auf das Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vor.551 Der Ansatz des Gemeinschaftsgesetzgebers, das internationale Zivilverfahrensrecht durch IPR-Vorschriften zu ergänzen, erhält damit insoweit eine Modifikation, als die europäischen Spruchkörper aufgrund eines gemeinschaftsrechtlichen Rechtsanwendungsbefehls, auf Bestimmungen staatsvertraglicher Provenienz zurückgreifen. Der am 31.1.2009 in Kraft getretene Sekundärrechtsakt findet grds. ab dem 18.6.2011 Anwendung, sofern das HUntStProt 2007552 zu diesem Zeitpunkt im Binnenmarkt maßgeblich ist; andernfalls beansprucht die Harmonisierungsmaßnahme ab dem Beginn der Anwendbarkeit jenes Protokolls in der Gemeinschaft Geltung (Art. 76 EG-UntVO). 2. Rom III-VO Des Weiteren legte die Kommission – im Nachgang an ein Grünbuch über das anzuwendende Recht 66 und die gerichtliche Zuständigkeit in Scheidungssachen553 – einen Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003554 im Hinblick auf die Zuständigkeit in Ehesachen und zur Einführung von Vorschriften betreffend das anwendbare Recht in diesem Bereich vor
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Wagner, IPRax 2005, 494 ff.; dieses Programm baut auf den Schlussfolgerungen von Tampere auf; der Text ist abgedruckt in, NJW 2000, 1925; beachte auch das am 10./11.12.2009 verabschiedete Stockholmer Programm, s. dazu ausführlich Wagner, IPRax 2009, 97 ff. Aktionsplan des Rates und der Kommission zur Umsetzung des Haager Programms zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, ABl. EU 2005 C 198/1 ff. Zu dieser Entwicklung Andrae, Internationales Familienrecht (3. Aufl 2014); Kohler/Pintens, FamRZ 2007, 1481 ff.; Martiny, FPR 2008, 187 ff.; Pintens, FamRZ 2005, 1597 ff. Zum Anerkennungsprinzip: Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 ff. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger, KOM (2009) 262; hierzu, EuZW 2009, 794. Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, ABl. EU 2010, C 115/1 ff.; hierzu Wagner, IPRax 2010, 97 ff. Siehe Erwägungsgründe 2 ff. Brüssel Ia-VO; vgl. auch Lenaerts/Stapper, RabelsZ 78, 252, 280; Pohl, IPRax 2013, 109, 113. Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 L 7/1 ff.; zum Unterhaltskollisionsrecht: Lehmann, GPR 2014, 330 (342). Beachte insoweit die Ausführungen in Rz. 6e. Seit dem 1.8.2013 ist das Protokoll durch die Teilnahme Serbiens neben den EU-Mitgliedstaaten auch völkerrechtlich in Kraft getreten. Dementsprechend lässt es sich nun über die Verweisung des Art. 15 EG-UntVO direkt anwenden. KOM (2005) 82; siehe hierzu das erläuternde Arbeitspapier der Kommission SEC (2005) 331; vgl. auch Bauer, IPRax 2006, 202, 203 f.; Finger, FF 2007, 35 ff. Vgl. hierzu die Angaben in Rz. 3.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung (Brüssel IIa-Änd-E).555 Mit der geplanten Harmonisierungsmaßnahme beabsichtigte die Kommission einen klaren und möglichst umfassenden Rechtsrahmen für Ehesachen im Binnenmarkt zu schaffen.556 Hierfür sollte aus internationalzivilverfahrensrechtlichem Blickwinkel etwa nach Art 3a Brüssel IIa-Änd-E die Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung bei Ehescheidungen und Trennungen ohne Auflösung des Ehebandes für mehr Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit sorgen.557 Neben der Streichung des überflüssigen Art. 6 Brüssel IIa-VO normiert Art. 7 Brüssel IIa-Änd-E eine Restzuständigkeit für den Fall, dass trotz fehlenden gewöhnlichen Aufenthaltsorts in einem Mitgliedstaat sowie keiner gemeinsamen Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats ein enger Bezug zum Binnenmarkt besteht. Darüber hinaus enthalten Art. 20a–e Brüssel IIa-Änd-E kollisionsrechtliche Vorgaben für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes.558 Die Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts soll die gegenseitige Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen vereinfachen und die infolge divergierender materiell- und kollisionsrechtlicher Vorschriften bestehende Rechtsunsicherheit beseitigen.559 Neben der in Art. 20a Brüssel IIa-Änd-E der geplanten Harmonisierungsmaßnahme enthaltenen Rechtswahlmöglichkeit560 greift die objektive Anknüpfung561 nach Art. 20b Brüssel IIa-Änd-E Platz. Zudem schließt Art. 20d Brüssel IIa-Änd-E im Einklang mit der Rom I- und II-VO562 eine Rück- und Weiterverweisung aus. Zuletzt soll nach Art. 20e Brüssel IIa-Änd-E die Anwendung einer Bestimmung des maßgeblichen Rechts nur bei einem offenkundigen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung am Forum versagt werden. Der erste Bericht563 vom 19.9.2008 über den Kommissionsvorschlag enthielt zwar einige Änderungsanträge, welche die Wirkung des geplanten Gemeinschaftsrechtsaktes verstärken sollten und somit eine grds. Zustimmung des Berichterstatters des Rechtsausschusses intendierten. Mit Blick auf den Wunsch Schwedens, in Scheidungssachen stets die lex fori anzuwenden, schienen die Beratungen jedoch zunächst gescheitert zu sein.564 Die Kommission hat sich wegen bestehender Differenzen mit Blick auf die Regelungen über das anzuwendende Recht dazu entschlossen, den Verordnungsvorschlag zurückzunehmen.565 Im Nachgang zur erfolglosen geplanten Harmonisierungsmaßnahme haben vierzehn Mitgliedstaaten einen Antrag auf Verstärkte Zusammenarbeit gem. Art. 20 EUV sowie Art. 326–334 AEUV gestellt,566 welcher am 30.3.2010 Unterstützung von Seiten der Kommission fand.567 Hieran anknüpfend ermächtigte der Rat am 12.10.2010 die entsprechenden Mitgliedstaaten, zu denen auch Deutschland zählt, untereinander die Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts zu beginnen.568 Der Rat der Europäischen Union erließ am 20.12.2010 die Rom III-VO569, welche gemäß ihrem Art. 21 ab 555 KOM (2006) 399; hierzu Beyer, FF 2007, 20 ff.; Gärtner, Die Privatscheidung im deutschen und gemeinschaftsrechtlichen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht (2008) 207 ff.; Kohler, FPR 2008, 193 ff.; Wagner, StAZ 2007, 101 ff.; zu den Vorarbeiten Wagner, FamRZ 2003, 803 ff.; speziell zur Gesetzgebungskompetenz der Gemeinschaft Wagner, RabelsZ 68 (2004) 120 ff. 556 KOM (2006) 399, 2. 557 Zur Rechtswahl Finger, FuR 2013, 305 ff.; Rösler, RabelsZ 78, 155 ff. 558 Kritisch Pabst, FPR 2008, 230 ff.; vgl. auch Kohler, FamRZ 2008, 1673 ff. 559 KOM (2006) 399, 2, 3. 560 Die subjektive Anknüpfung bleibt durch Art. 20a Abs. 1 lit. a–d Brüssel IIa-Änd-E auf die Rechtsordnungen beschränkt, zu welchen ein enger Bezug der Ehegatten besteht. 561 Maßgeblich ist insoweit der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt, der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt, sofern ein Ehegatte in diesem Staat noch domiziliert ist, die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten oder der Staat der Antragstellung. Zur Bedeutung der Staatsangehörigkeit im Rahmen des Scheidungsgerichtsstandes nach Maßgabe der Brüssel IIa-VO: EuGH v. 4.6.2006 – C-158/08 – Hadady vs. Hadady, EuGHE I 2009, 4696 ff. = FamRZ 2009, 1571 ff. m. Anm. Kohler, 1574 f. 562 Vgl hierzu die Angaben in Rz. 64. 563 Bericht vom 19.9.2008, A6-0361/2008. 564 Vgl Wagner, NJW 2008, 2225, 2226 f.; siehe auch Pressemitteilung des Rates, Press: 146, Nr. 9956/08, 22; ausführlich Kohler, FPR 2008, 193, 195 f.; zur durch das Einstimmigkeitsprinzip eingeschränkten Gesetzgebungskompetenz der Gemeinschaft siehe Martiny, FPR 2008, 187, 188 ff. sowie die Angaben in Rz. 1. 565 ABl. EU 2013 C 109/7. 566 Hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 9; zu den antragsstellenden Mitgliedstaaten s. ABl. EU 2010 L 189/7. 567 Vorschlag für einen Beschluss des Rates Nr. 405/2010/EU über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, KOM (2010) 104/2.
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Einleitung
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dem 21.6.2012 gilt. Ausweislich des Art. 2 Rom III-VO berührt der Sekundärrechtsakt nicht die Anwendung der Brüssel IIa-VO. Dem Sekundärrechtsakt können alle Mitgliedstaaten beitreten, wobei sich bisher neben den ursprünglichen Antragstellern noch Litauen570, Griechenland571 und am 11.2.2018 auch Estland572 angeschlossen haben.573 Eine für den deutschen Gesetzgeber folgenträchtige Entscheidung574 des EuGH erging am 20.12.2017 im Bereich der Privatscheidung. Das OLG München legte dem EuGH sowohl mit Beschluss vom 2.6.2015575 als auch am 29.6.2016576 die Frage vor, ob die Rom III-VO auch für sogenannte Privatscheidungen eröffnet sei. Den ersten Beschluss wies der EuGH als unzuständig zurück, nahm sich der Frage aber nach der wiederholten Vorlage des OLG an und kam zu dem Ergebnis, dass Privatscheidungen, die von einem geistlichen Gericht durchgeführt werden, nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Rom III-VO fallen. Im Anschluss daran änderte der deutsche Gesetzgeber mit Verkündung des Gesetzes zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des Internationalen Privatrechts577 am 20.12.2018 den Art. 17 EGBGB dahingehend, dass ein zweiter Absatz eingefügt wurde, demzufolge bei Scheidungen, die nicht unter die Rom III-VO fallen, dennoch einige ihrer Artikel unter bestimmten Voraussetzungen entsprechend anzuwenden sind.578 Damit soll ein möglichst umfassender Gleichklang des anwendbaren Rechts für alle Scheidungsarten erreicht werden. 3. Brüssel IIa-VO Eine Novellierung der Brüssel IIa-VO, welche die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet des Ehe- und Kindschaftsrechts regelt, nimmt mittlerweile Gestalt an. Bereits am 15.4.2014 legte die Kommission einen Bericht über die Anwendung der Verordnung vor, welcher den Rechtsakt als verbesserungswürdig einstufte.579 Nach der öffentlichen Beteiligung und im weiteren Nachgang des Verfahrens wurde am 30.6.2016 ein Reformvorschlag vorgelegt.580 Dieser verfolgt das Ziel, die Brüssel IIa-VO noch effektiver zu gestalten. Insbesondere soll der Abschnitt über das Verfahren im Bereich der elterlichen Verantwortung geändert werden, da sich dieser infolge der soeben genannten Befragung als anfällig für Probleme erwies, die dringend behoben werden müssen. Das Kapitel über Ehesachen birgt laut der Kommission nur wenige Schwach-
568 Beschluss 2010/405/EU des Rates vom 12.7.2010 über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. EU 2010 L 189/12 f. 569 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. EU 2010 L 343/10 ff.; dazu Raupach, Ehescheidung mit Auslandsbezug in der Europäischen Union, 2014; aus der Judikatur beispielhaft: OLG Nürnberg, FamRZ 2014, 835 f.; OLG Hamm, IPRax 2014, 349 m. Anm. Helms, IPRax 2014, 334; auch von Bedeutung hinsichtlich der Qualifikation einer „Abendgabe“ und der Anwendbarkeit des deutschen Sachrechts ist die Entscheidung des OLG Hamm, FamRZ 2016, 1926 ff.; zur internationalen Zuständigkeit für Scheidungen und Folgesachen siehe OLG Jena, NJW 2015, 2270 f.; zum Versorgungsausgleich bei einer deutsch-französischen Ehe beachte OLG Zweibrücken, NJW-RR 2015, 1157 ff. 570 ABl. EU 2012 L 323/18. 571 ABl. EU 2014 L 23/41. 572 ABl. EU 2016 L 216/23. 573 Siehe auch KOM (2014) 225. 574 EuGH v. 20.12.2017 – C-372/16 – Soha Sahyouni vs. Raja Mamisch, FamRZ 2018, 169 ff. m. Anm. Mayer; beachte hierzu Antomo, NJW 2018, 435 ff.; Coester-Waltjen, IPRax 2018, 238; ferner Dimmler, FamRB 2018, 91; Dutta, FF 2018, 60; Majer, NZFam 2017, 1010 f.; Rieck, NZFam 2018, 128 ff. 575 OLG München, NZFam 2016, 703 ff. 576 OLG München, NZFam 2016, 790 ff. 577 BGBl. 2018 I 2573. 578 BT-Drucks. 19/4852, 38. 579 KOM (2014) 225; zu den Änderungsvorschlägen der Kommission im Einzelnen: Kohler/Pintens, FamRZ 2014, 1498, 1501 ff. 580 KOM (2016) 411.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung stellen, so dass die Vorschriften über das Scheidungsverfahren weitestgehend unberührt bleiben.581 Daher wird im Zusammenspiel mit der Rom III-VO auch keine Änderung erwartet. Am 9.5.2017 legte der Rechtsausschuss den Entwurf eines Berichts über den Vorschlag einer Neufassung vor, zu dem sich das Europäische Parlament am 18.1.2018 entschlossen hat.582 Der Rat der Union einigte sich am 7.12.2018 über den Entwurf der neuen Brüssel IIa-VO, so dass nunmher die Reform des Rechtsakts, welcher hauptsächlich zu Änderungen für das Kindschaftsrecht führen wird, unmittelbar bevorsteht.583 4. EU-EhegüterVO und EU-LP-GüterVO 67
Dem Haager Programm584 entsprechend legte die Kommission zudem am 17.7.2006 ein Grünbuch zu den Kollisionsnormen im Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung der gerichtlichen Zuständigkeit und der gegenseitigen Anerkennung vor.585 Im Anschluss daran hat die Kommission am 16.3.2011 sowohl einen Vorschlag zu einer Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts, als auch des Güterrechts eingetragener Partnerschaften veröffentlicht.586 Die Vorschläge sind nunmehr umgesetzt worden. Im Wege der verstärkten Zusammenarbeit gemäß Art. 326 ff. AEUV sind die beiden neuen nahezu inhaltsgleichen Güterrechtsverordnungen (EU-EhegüterVO587 und EU-LP-GüterVO588) Mitte 2016 verabschiedet worden und gelten seit dem 29.1.2019 in 18 Mitgliedstaaten.589 Nicht teilgenommen haben, wie erwartet, Großbritannien, Irland, Dänemark und Polen. Die Verordnungen gelten für Paare einer Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft, die seit dem Stichtag eingegangen oder über die seitdem eine güterrechtliche Rechtswahl getroffen wurde.590 Mit Hilfe der Rechtsakte ist es für europäische Ehegatten und eingetragene Lebenspartnerschaften einfacher ihr Eigentum zu verwalten, und im Falle des Todes oder einer Trennung eine Teilung herbeizuführen.591 Da keine der Verordnungen den Begriff der Ehe definiert, ist unklar, unter welchen Rechtsakt die in einigen europäischen Mitgliedstaaten anerkannten gleichgeschlechtlichen Ehen fallen.592 Gem. ErwGr. 17 EU-EhegüterVO bestimmt sich die Definition nach dem nationalen Recht der europäischen Länder. Richtig erscheint es, den Begriff an die lex fori anzuknüpfen, sodass die Gerichte der EUStaaten, welche die Ehe homosexueller Paare bereits anerkennen, die EU-EhegüterVO im gegebenen Falle anwenden. Im Gegenzug unterstellen die Länder, die bei Gleichgeschlechtlichkeit die eingetragene Lebenspartnerschaft bejahen, güterrechtliche Fragen der EU-LP-GüterVO.593 Da in Deutschland die 581 582 583 584 585 586 587
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589 590 591 592 593
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KOM (2016) 411, 3. Zum Verfahrensgang siehe 2016/0190(CNS). Hierzu das Dokument des Europäischen Rats vom 12.12.2018 15401/18. KOM (2005) 184; vgl. auch Wagner, IPRax 2005, 66, 67. KOM (2006) 400; hierzu Martiny, FPR 2008, 206 ff.; Martiny, FS Kropholler (2008) 373 ff.; Wagner, FamRZ 2009, 269 ff. KOM (2011) 126, KOM (2011) 127; dazu Martiny, IPRax 2011, 437 ff.; beachte jüngst auch Buschmann, GPR 2014, 4 ff.; Kohler/Pintens, FamRZ 2014, 1498 ff. Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, ABl. EU 2016 L 183; beachte hierbei auch die Veränderungen in Art. 14 ff. EGBGB durch das Gesetz zum Internationalen Güterrecht und zur Änderung von Vorschriften des Internationalen Privatrechts BGBl. 2018 I 2580. Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24. Juni 2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, ABl. EU 2016 L 159. Heiderhoff, IPRax 2018, 1, 4. Heiderhoff, IPRax 2018, 1 ff. Vgl Rodríguez Rodrigo/Miller, NZFam 2016, 1065 ff.; Weber, DNotZ 2016, 659 ff. Vgl Kohler/Pintens, FamRZ 2016, 1509 f. Noch zum alten Recht BGH, FamRZ 2016, 1251 ff. m. Anm. Dutta, = NJW 2016, 2322 m. Anm. Rauscher; BGH, NJW 2016, 2949, 2953; Martiny, ZfPW 2017, 1, 7 f.; anders dagegen Dutta, FamRZ 2016, 1973, 1976, der die Definition an das Recht des Ortes der Begründung der gleichgeschlechtlichen Ehe anknüpft.
Staudinger
Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
Ehe für gleichgeschlechtliche Paare anerkannt ist, verwenden die Gerichte folgerichtig die EU-EhegüterVO in diesen Fällen. Zudem hat der EuGH594 im März 2018 überzeugend entschieden, dass die güterstandsabhängige Erbteilserhöhung gem. § 1371 BGB nicht in den Anwendungsbereich der EuGü-VO595, sondern den der EU-Erb-VO fällt, da sich die Norm auf Erbsachen im Sinne der Verordnung beziehe und der Ausschluss in Art. 1 II lit. d) EU-ErbVO nicht greife.596 5. Internationales Erbrecht Rechtsinstrumente sind darüber hinaus auf dem Gebiet des Erbrechts angedacht.597 Dieses Rechts- 68 gebiet zählte wie das Familienrecht bereits zu den Prioritäten im Rahmen des Aktionsplans von Wien Ende 1998598 sowie des vom Rat der EU am 24.11.2000 verabschiedeten Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen.599 Nach Ansicht des Rates sind gegebenenfalls flankierende Maßnahmen zur Harmonisierung des Kollisionsrechts600 im Bereich der Testamente und Erbrechtssachen zu treffen.601 Das Programm soll von der Annahme der Brüssel I-VO an umgesetzt werden.602 Dementsprechend hat die Kommission am 1.3.2005 ein Grünbuch zum Erb- und Testamentsrecht603 vorgelegt. Der anvisierte Rechtsakt sollte der zunehmenden Mobilität sowie der steigenden Zahl internationaler familiärer Bindungen innerhalb des Binnenmarktes Rechnung tragen und die Arbeit des Rechtsanwenders bei einem Erbfall mit Auslandsbezug erleichtern.604 Gegenstand der Konsultation waren neben der Harmonisierung des Kollisionsrechts auch Fragen der internationalen Zuständigkeit in Erbfällen sowie die Erleichterung der Abwicklung von Erbschaften durch die Abschaffung von Zwischenmaßnahmen bei der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen. Jedoch haben die Arbeiten an diesem „ganzheitlichen Ansatz“605 eine Verzögerung erfahren, so dass es zu einer Veröffentlichung eines entsprechenden Verordnungsvorschlags606 erst am 14.10.2009 kam. Mit dem geplanten Sekundärrechtsakt beabsichtigte die Kommission eine Stärkung der Freizügigkeit von in der EU ansässigen Bürgern, welche in Anbetracht der Behördenvielzahl sowie der materiellrechtlichen und prozessualen 594 EuGH v. 1.3.2018 – C-558/16 – Doris Margret Lisette Mahnkopf u.a., NJW 2018, 1377f. 595 So BGH, NJW 2015, 2185 ff.; zum ursprünglichen Streitstand siehe Dörner, IPRax 2014, 323 ff.; Dörner, ZEV 2012, 505, 507. 596 Beachte hierzu Dörner, ZEV 2018, 305 ff. 597 Siehe in der Vergangenheit bereits den Entwurf eines EG-Familien- und Erbrechtsübereinkommens, der von der Groupe européen de droit international privé ausgearbeitet wurde, abgedruckt in IPRax 1994, 67 ff.; die Kommission hat eine Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse mittlerweile vorliegen; vgl. hierzu die Angaben bei Wagner, NJW 2003, 2344, 2347. 598 Aktionsplan zum Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. EG 1999 C 19/1 ff.; abgedruckt in, IPRax 1999, 288 ff.; hierzu Drappatz, Die Überführung des internationalen Zivilverfahrensrechts in eine Gemeinschaftskompetenz nach Art. 65 EGV (2002) 176 ff.; Tarko, ÖstJZ 1999, 401, 407 ff. 599 Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 C 12/1, 8; abgedruckt in IPRax 2001, 163, 164. 600 Zu den Unterschieden siehe auch Remien, CML Rev 38 (2001), 53, 71 f. 601 IPRax 2001, 163, 168 unter E. 602 Vgl III. Nr. 1: „Das Programm wird ab der Annahme der Brüssel I-VO, dem grundlegenden Rechtsinstrument für die gegenseitige Anerkennung, umgesetzt.“; ferner: „Das Programm wird durch den Beginn der Beratungen über die erste Stufe in einem oder mehreren Bereichen eingeleitet.“, ABl. EG 2001 C 12/1, 16. 603 KOM (2005) 65; beachte hierzu das erläuternde Arbeitspapier der Kommission SEC (2005) 270; siehe aus dem Schrifttum Bauer, IPRax 2006, 202 f.; Dörner, ZEV 2005, 137 ff.; Dörner/Hertel/Lagarde/Riering, IPRax 2005, 1, 2 ff.; Jud, GPR 2005, 133 ff.; Lehmann, IPRax 2006, 204 ff.; Lehmann, FPR 2008, 203 ff.; Navrátilová, GPR 2008, 144 ff.; Stumpf, EuZW 2006, 587 ff.; Wagner, IPRax 2005, 494, 495. 604 KOM (2005) 65, 3. 605 So Dörner, ZEV 2005, 137, 137. 606 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen und öffentlichen Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, KOM (2009) 154; hierzu Dörner, ZEV 2010, 221 ff.; Hohloch/Heckel in Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts2 (2010), Kapitel 26 Rz. 10; Kindler, IPRax 2010, 44 ff.; Steinmetz/Löber/Alcázar, ZEV 2010, 234 ff.; Süß, ZErb 2009, 342 ff. und Max Planck Institute for Comparative and International Law, RabelsZ 74 (2010) 522 ff.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten nur unzureichend gegeben ist.607 Zu den Hauptzielen des Vorschlags zählte daher die Schaffung einer Möglichkeit, den Nachlass vorab zu regeln und zugleich die Rechte etwa von Erben, Vermächtnisnehmern oder Nachlassgläubigern wirksam zu wahren.608 Hierbei sollte es jedoch weder zu einer Harmonisierung des Erbrechts noch des Sachenrechts der Mitgliedstaaten kommen.609 Den Kommissionsvorschlag hat der Rat angenommen, sodass die Rom IV-VO610 am 27.7.2012 im Amtsblatt der Europäischen Union verkündigt wurde. Der Sekundärrechtsakt gilt gemäß Art. 84 Rom IV-VO seit dem 17.8.2015 uneingeschränkt. Um positive oder negative Kompetenzkonflikte zu vermeiden, sollen ausweislich Art. 4 Rom IV-VO vom Grundsatz her die mitgliedstaatlichen Spruchkörper am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes international zuständig sein.611 Zur Schaffung eines Gleichlaufs von Forum und anwendbarem Recht haben diese Spruchkörper gem. Art. 5 Abs. 1 Rom IV-VO jedoch die Möglichkeit, auf Antrag einer Partei auf die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates zu verweisen, dessen Recht der Erblasser qua Parteiautonomie für maßgeblich erachtete. Eine unter gewissen Bedingungen einschlägige Maßgeblichkeit der Gerichte am Belegenheitsort normiert Art. 10 Rom IV-VO, sofern der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt seines Todes in einem Drittstaat hatte. Auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts will die Verordnung etwaige mit einer Nachlassspaltung verbundene Probleme dadurch vermeiden,612 dass nach Art. 21 Rom IV-VO nunmehr der gesamte Nachlass einem einzigen Erbstatut unterworfen wird. Als Anknüpfungskriterium rekurriert sie dabei auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Verstorbenen. Ferner enthält Art. 22 Rom IV-VO eine subjektive Anknüpfung, welche es dem Erblasser ermöglicht, sein Heimatrecht zu wählen.613 Die Wählbarkeit anderer Rechtsordnungen – etwa des Ehegüterstatuts – bleibt aufgrund der allgemeinen Zielsetzung der Verordnung allerdings ausgeschlossen.614 Hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung orientiert sich Kapitel IV der Verordnung an den entsprechenden Bestimmungen der Brüssel I-VO,615 wohingegen eine Parallelstellung zur Brüssel IaVO aufgrund der dortigen Aufhebung des Exequaturverfahrens616 nicht möglich ist. Nach Maßgabe von Art. 39 Abs. 1 Rom IV-VO werden sämtliche gerichtlichen Entscheidungen und Vergleiche ohne besonderes Verfahren anerkannt. Bildet die Frage, ob eine Entscheidung anzuerkennen ist, als solche den Gegenstand eines Streits, soll eine dahingehende Feststellung im Vollstreckbarkeitserklärungsverfahren nach Maßgabe der Art. 45–58 Rom IV-VO erfolgen. Jene Bestimmungen greifen kraft des Verweises in Art. 43 Rom IV-VO auch hinsichtlich der Vollstreckbarkeit Platz, wobei Art. 40 Rom IV-VO spezielle Nichtanerkennungsgründe enthält. Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Ur607 608 609 610
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KOM (2009) 154, 2. KOM (2009) 154, 2. KOM (2009) 154, 4. Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU 2012 L 201/107 ff.; hierzu Janzen, DNotZ 2012, 484 ff.; Wilke, RIW 2012, 601 ff. Von diesen rein erbrechtlichen Fragestellungen i.S.d. Verordnung in Erbsachen, die bereits nach Maßgabe ihres Art. 1 Abs. 2 lit. f nicht der Brüssel Ia-VO unterfallen (vgl. Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 28; Wagner, NJW 2013, 3128, 3129; siehe auch Lüttringhaus, VersR 2010, 183, 186 f.), gilt es etwa Streitigkeiten zu unterscheiden, bei denen die Erbberechtigung als reine Vorfrage auftritt (zur Direktklage von Erben gem. Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b siehe Art. 13 Rz. 23); bzgl. Ausschlagserklärung OLG Düsseldorf, BeckRS 2018, 30010; Ort des Nachlassvermögens oder Staatsangehörigkeit nicht ausreichend EuGH v. 21.6.2018 – C-20/17 – Vincent Pierre Oberle, NJW 2018, 2309 ff.; zum gewöhnlichen Aufenthalt OLG Hamm, NJW 2018, 2061. Zum Verordnungsvorschlag der Kommission, siehe KOM (2009) 154, 6. Zum Vermächtnis EuGH v. 12.10.2017 – C-218/16 – Aleksandra Kubicka vs. Przemysława Bac, NJW 2017, 3767 ff.; OLG Nürnberg, ZEV 2017, 579 f.; zur internationalen Zuständigkeit für die Erbscheinserteilung OLG Hamburg, FGPrax 2017, 129 f. Siehe Begründung der Kommission, KOM (2009) 154, 7; zum pauschalen Zugewinnausgleich beim Tod eines Ehegatten EuGH v. 1.3.2018 – C-558/16 – Doris Margret Lisette Mahnkopf, NJW 2018, 1377 f. KOM (2009) 154, 8. Siehe Rz. 7, Rz. 64.
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Einleitung
Einl. Brüssel Ia-VO
kunden (Art. 59 Rom IV-VO und Art. 60 Rom IV-VO) erfährt angesichts ihrer Bedeutung für die Erbrechtspraxis dadurch eine Erleichterung, dass sie lediglich aufgrund eines ordre public-Verstoßes oder einer Anfechtung der Gültigkeit der Urkunde versagt werden kann. 6. Verordnung zur vorläufigen Kontenpfändung Der Sekundärrechtsgeber hat mit der Verordnung zur vorläufigen Kontenpfändung617 jüngst einen 69 weiteren Rechtsakt erlassen, welcher auf ein Grünbuch618 der Kommission zurückgeht. Diese ist gemäß ihrem Artikel 54 am 17.7.2015 in Kraft getreten und gilt seit dem 18.7.2017. Durch das Vorhaben strebte die Kommission an, die grds. dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates unterliegende Vollstreckung von Urteilen erstmals durch einen Gemeinschaftsrechtsakt zu vereinheitlichen. Dies gelte insbesondere mit Blick auf die Rechtspraxis von Gläubigern, die in der Regel zunächst versuchen, die Bankkonten von Schuldnern sperren zu lassen, sowie die Tatsache, dass die Brüssel Ia-VO eine entsprechende einseitige grenzüberschreitende Vorgehensweise nicht zulasse.619 Die derzeitige Rechtslage erschwere eine grenzüberschreitende Forderungsbeitreibung und könne sowohl den freien Verkehr von Zahlungsaufträgen beeinträchtigen als auch die Interessen von Unternehmern und Verbrauchern gefährden.620 Als Lösung wurde mit Artikel 7 EU-KPfVO die Einführung eines europäischen Pfändungsbeschlusses zur Verhinderung von Geldtransfer und Sicherstellung von Geldbeträgen im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes realisiert.621 Darüber hinaus biete es sich nach Auffassung der Kommission aus Gründen der Effektivität des Gläubigerschutzes an, die Geltung des europäischen Pfändungsbeschlusses in der Gemeinschaft derart auszugestalten, dass ein Zwischenverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat entfällt.622 Artikel 22 EU-KPfVO normiert nun ausdrücklich, dass der Pfändungsbeschluss zur Anerkennung weder eines Zwischenverfahrens noch einer Vollstreckbarerklärung im Vollstreckungsstaat bedarf. Mit dem Grünbuch zur Transparenz des Schuldnervermögens623 befindet sich ein weiteres Projekt in Vorbereitung. Auch dieser geplanten Harmonisierungsmaßnahme liegt die Überlegung zugrunde, dass die Eintreibung von Forderungen innerhalb der Gemeinschaft infolge der unterschiedlichen nationalen Rechtsgrundlagen sowohl die Funktionsweise des Binnenmarktes als auch die Interessen der Bürger zu beeinträchtigen im Stande ist.624 Im Mittelpunkt des Grünbuchs steht demnach die Verbesserung der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen durch eine Verbesserung der Transparenz des Schuldvermögens sowie des Auskunftsrechts des Gläubigers unter gleichzeitiger Wahrung der Privatsphäre des Schuldners.625 Als mögliche Maßnahmen kommen nach Auffassung der Kommission etwa die Erstellung eines Handbuchs zum Zwangsvollstreckungsrecht und zur Zwangsvollstreckungspraxis in den Mitgliedstaaten, die Erweiterung der Register und die Verbesserung des Registerzugangs oder die Herstellung eines Informationsaustauschs zwischen den Vollstreckungsbehörden in Betracht.626
617 Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2014 L 189/59 ff.; zum Verordnungsvorschlag s. KOM (2011) 445, 2 ff.; kritisch hierzu Domej, ZEuP 2013, 496 ff.; Stamm, IPRax 2014, 124 ff. 618 Grünbuch zur effizienten Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: Vorläufige Kontenpfändung, KOM (2006) 618; hierzu von Bernstorff, RIW 2007, 88, 91; zur Kontenpfändung im Zusammenhang mit dem Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen: Hök, MDR 2005, 306 ff.; hierzu ausführlich Sujecki, EuZW 2012, 327 ff.; kritisch Stamm, IPRax 2014, 124 ff. 619 Mit Blick auf die Brüssel I-VO: KOM (2006) 618, 2 f. 620 KOM (2006) 618, 3 f. 621 Zum Grünbuch: KOM (2006) 618, 4 ff. 622 KOM (2006) 618, 9 ff. 623 Grünbuch Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens, KOM (2008) 128; hierzu Bruns, ZEuP 2010, 809 ff.; Hess, FS Kropholler (2008) 795 ff. 624 KOM (2008) 128, 3. 625 KOM (2008) 128, 4 f. 626 KOM (2008) 128, 5 ff.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung 7. Haager Gerichtsstandsübereinkommen 70
Während die Brüsseler Bürokratie das Projekt eines Europäischen Zivilprozessrechts mit ungebrochenem Elan vorantreibt, zeichnet sich in Bezug auf „Drittstaatensachverhalte“ – mit Ausnahme etwa des Unterhalts627- und Erbrechts628 sowie einiger Bestimmungen der Brüssel Ia-VO629 – keine vergleichbare Entwicklung mit multilateralen Verträgen ab. So wird das von der Haager Konferenz630 seit 1992 diskutierte weltweite Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen631 im Schrifttum632 wohl zutreffend633 als gescheitert angesehen. Als Teilerfolg konnte anlässlich der 20. Diplomatischen Konferenz im Juni 2005 allein die Konvention über die Vereinbarung gerichtlicher Zuständigkeiten (Convention on Choice of Court Agreements) erzielt werden.634 Unter Berufung auf das Gutachten des EuGH 1/03 über die Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Lugano Übereinkommens635 beschloss der Rat die Unterzeichnung des Übereinkommens im Namen der Europäischen Gemeinschaft,636 welche die Konvention am 1.4.2009 unterzeichnete. Die Kommission hat am 30.1.2014 einen Vorschlag zur Genehmigung des Übereinkommens abgegeben.637 Am 1.10.2015 ist das Haager Übereinkommen völkerrechtlich in Kraft getreten.638 8. Internationales Familienrecht
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Im Bereich des Familienrechts gab es auf europäischer Ebene außerdem weitere Veränderungen639: Der deutsche Gesetzgeber versuchte, die gerade durch die Flüchtlingsbewegung vermehrt aufkom-
627 Hierzu siehe Rz. 6e. 628 Hierzu Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. 2012 L 201, 107 ff. 629 In Bezug auf Art. 21 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1 Alt. 2, Art. 25, Art. 26 Brüssel Ia-VO, siehe dort. 630 Zu dieser Institution: Basedow, FS Lorenz (2001) 463 ff.; siehe auch Pirrung in Basedow (Hrsg.), Aufbruch nach Europa (2001) 785 ff. 631 Preliminary Draft Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters, einzusehen unter der Internetadresse: http://www.hcch.net/upload/wop/jdgmpd11.pdf; im Hinblick auf Vergleiche bzw. judgments by consent siehe Art. 59; zum Konventionsentwurf van Loon in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002) 193, 200 ff.; Wagner, IPRax 2001, 533 ff.; siehe ferner Burbank, The American Journal of Comparative Law 2001, 203 ff.; Grabau/Hennecke, RIW 2001, 569 ff.; von Mehren, The American Journal of Comparative Law 2001, 191 ff.; von Mehren, Rev. crit. dip. 2001, 85 ff.; von Mehren, IPRax 2000, 465 ff.; zu einer Haager Konvention über die Urteilsanerkennung siehe bereits Juenger, GS Lüderitz (2000) 329 ff. 632 Schack, Rz. 134. 633 Siehe die Informationen zum Verfahrensstand in IPRax 2004, Heft 4, XI. 634 Vgl hierzu die Angaben bei Beaumont, JPrIL (2009) 5, 125 ff.; Beaumont/Yuksel, The Validity of Choice of Court Agreements under the Brussels I Regulation and the Hague Choice of Court Agreements Convention in Convergence and Divergence in Private International Law in Liber amicorum Kurt Siehr (2010), 563; Garnett, JPrIL (2009) 5, 161 ff.; Eichel, RIW 2009, 289 ff.; Fricke, VersR 2006, 476 ff.; Luginbühl/Wollgast, GRURInt 2006, 208 ff.; Rühl, IPRax 2005, 410 ff.; Wagner, RabelsZ 73 (2009) 100 ff. Nach den USA und Mexiko hat die EG am 1.4.2009 die Konvention unterzeichnet; umfassende Angaben zur Literatur und den einzelnen Konventionsstaaten sind abrufbar unter: http://www.hcch.net/index_en.php?act=conventions.text & cid=98; ein umfassender Bericht findet sich bei Hartley/Dogauchi Explanatory Report on the 2005 Hague Choice of Court Agreements Convention (2013). 635 Siehe hierzu Rz. 21, 25. 636 Beschluss des Rates vom 26.2.2009 (2009/397/EG), ABl. EU 2009 L 133/1 ff.; beachte auch den Kommissionsvorschlag zu diesem Beschluss, KOM (2008) 538; im Anhang dieses Dokuments findet sich auch der Konventionstext. 637 KOM (2014) 46. 638 Siehe hierzu Rz. 25; beachte zum Verhältnis zwischen dem HProrogÜbk 2005 und Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 268 ff. 639 Beachte hierzu auch den Überblickaufsatz zum Internationalen Familienrecht: Finger, JR 2018, 595 ff.
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Einleitung
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menden Kinderehen in Europa zu bekämpfen640 und führte zudem als weiterer Mitgliedstaat die „Ehe für alle“ ein641. Sowohl im Kollisionsrecht als auch im nationalen Recht wurde begonnen, der Heirat von Minderjäh- 72 rigen entgegen zu wirken.642 Seit dem 22.7.2017 gelten daher einzelne neue Vorschriften im BGB, PStG, AsylG, EGBGB und FamFG. So wurde etwa das Mindestalter für Ehen auf 18 Jahre festgesetzt und ein bußgeldbewehrtes Trauungsverbot bestimmt, falls das Verbot der Kinderehe durch die Eheschließung nach traditionellen oder religiösen Bräuchen zu umgehen versucht wird.643 Durch die Änderungen im Kollisionsrecht unter Beachtung der Übergangsvorschrift Art. 229 § 44 EGBGB sind auch nach ausländischem Recht geschlossene Ehen gemäß Art. 13 Abs. 3 EGBGB unwirksam oder aufhebbar, sofern die Ehemündigkeit eines Verlobten ausländischem Recht unterliegt, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. bzw. 18. Lebensjahr nicht vollendet hatte, und einer der Ehepartner nunmehr seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet.644 Die Zuständigkeit knüpft für solche Verfahren seit der Novellierung des § 98 Abs. 2 FamFG an den schlichten Aufenthalt des Minderjährigen an.645 Der BGH hat zu Recht erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des neuen Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB und legte dem BVerfG daher mit Beschluss vom 14.11.2018 die Frage vor.646 Wie er, sehen auch vermehrt Stimmen in der Literatur647 das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen kritisch. Der Senat kam zu der Überzeugung, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB nicht mit den Art. 1, 2 S. 1, 3 S. 1648 und 6 S. 1 GG vereinbar ist, da es unter anderem nicht mit dem Schutz des Kindeswohles und dem Verbot die Ehe zu schädigen, in Einklang gebracht werden kann. An dem Gesetz ist außerdem zu kritisieren, dass es den Kinder- und Jugendschutz verkürzt. Der Minderjährige kann durch die Abschaffung des § 8 Abs. 2 BGB nicht selbst seinen Wohnsitz begründen und sein Rechtskreis wird durch die Erhöhung des Mindestalters für Ehen wieder verringert. Außerdem kommt es zu einer Schieflage im Verhältnis zum Recht der EU und anderen völkerrechtlichen Verträgen, da andere Mitgliedstaaten womöglich die Eheschließung vor dem 18. Lebensjahr weiterhin anerkennen werden. Im Zusammenhang mit dem Internationalen Familienrecht ist außerdem der Antrag zu einem Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der Mehrehen nennenswert.649 Der Freistaat Bayern hatte diesen am 5.6.2018 ausgearbeitet, um der Polygamie entgegenzuwirken. Der Entwurf verkennt allerdings, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko ein Abkommen besteht, dass unter anderem eine Rententeilung bei Mehrehen enthält und demzufolge solche als wirksam anerkennt, sofern sie in Marokko zuvor geschlossen wurden.650 Solche Staatsverträge genießen Vorrang
640 Dazu trat am 22.7.2017 das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in Kraft, das zu Änderungen in verschiedenen Gesetzen (u.a. BGB, EGBGB) führte, BGBl. 2017 I 2429. 641 Hierzu verkündete der Bundestag das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts am 20.7.2017, BGBl. 2017 I 2787. 642 Siehe auch BeckOGK-BGB/Kriewald, 1.12.2018, § 1303 Rz. 49 ff.; Antomo, ZRP 2017, 79 ff.; Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes durch BGH in Frage gestellt: Vorlage an das BVerfG durch Beschluss v. 14.11.2018 – XII ZB 292/16. 643 Antomo, ZRP 2017, 79, 82. 644 So auch AG Kassel, FamRZ 2018, 1149 ff. m. Anm. Dutta; VG Berlin, BeckRS 2018, 551 m. Anm. Keil, jurisPR-IWR 2/2018 Anm. 4; VG Berlin, BeckRS 2017, 135671; zur Ausnahme des Härtefalls siehe OLG Oldenburg, FamRZ 2018, 1152 f.; AG Frankenthal, NZFam 2018, 331 m. Anm. Majer; Antomo, ZRP 2017, 79, 81 f. 645 BeckOGK-BGB/Kriewald, 1.12.2018, § 1303 Rz. 54; Coester, FamRZ 2017, 77 ff. 646 BGH, MDR 2019, 102 ff. m. Anm. Keil, jurisPR-IWR 1/2019 Anm. 2. 647 Vgl MünchKommBGB/Coester, Art. 13 EGBGB Rz. 38; Palandt/Thorn, Art. 13 EGBGB Rz. 20 ff.; Coester, FamRZ 2017, 77 ff.; Hüßtege, FamRZ 2017, 1374 ff.; Jayme, IPRax 2018, 473 ff., Keil, jurisPR-IWR 2/2018 Anm. 4; Reuß, FamRZ 2019, 1 ff.; anders dagegen Majer, NZFam 2017, 537 ff. 648 Diesbezüglich zur Ungleichbehandlung gegenüber gleichgeschlechtlichen Ehen siehe Palandt/Thorn, Art. 13 EGBGB Rz. 20. 649 BR-Drucks. 249/18. 650 Jayme, IPRax 2018, 473, 474.
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Einl. Brüssel Ia-VO Einleitung vor nationalen Kollisions- und Sachnormen, sodass der Gesetzesentwurf des Freistaates wenig zielführend wäre. 74
Große Beachtung fand auch die weitere Entwicklung auf dem Gebiet des Eherechts. Am 30.6.2017 stimmte der Bundestag dem vom Bundesrat eingebrachten Gesetz651 zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts zu.652 Es ist am 1.10.2017 in Kraft getreten und führte zu Änderungen im BGB, EGBGB, LPartG, PStG, TSG. Somit wurde Deutschland zum 16. Mitgliedstaat der EU653, der die gleichgeschlechtliche Ehe anerkennt. Durch das Einführungsgesetz können gem. § 1 S. 1 LPartG keine Lebenspartnerschaften in Deutschland mehr begründet werden. Das LPartG behält dennoch einen Anwendungsbereich, da die bis zum 1.10.2017 eingegangenen Lebenspartnerschaften weiterhin bestehen bleiben und nicht kraft Gesetzes aufgehoben oder in eine Ehe umgewandelt werden.654 Dafür ist gem. § 20a Abs. 1 LPartG eine Erklärung beider Ehepartner vor einem Standesbeamten notwendig. Durch die Umwandlung wird eine Ehe eingegangen, deren Beginn rückwirkend auf den Tag der Begründung der Lebenspartnerschaft fällt.655 Dies ist jedoch keine Pflicht für gleichgeschlechtliche Paare, sondern eine Option, um die gleichen Rechte wie Ehepaare zu erlangen.656 Neben den Veränderungen im LPartG ist es im Adoptionsrecht nun auch gleichgeschlechtlichen Ehepaaren möglich, gemeinsam ein Kind zu adoptieren.657 Die Einführung der Ehe für alle in Deutschland hat außerdem Folgen für das internationale Eheschließungsrecht. So müssen etwa seit der Umsetzung Ausländer, deren Heimatstaat am Erfordernis der Geschlechtsverschiedenheit festhält, gem. § 1309 Abs. 3 BGB kein Ehefähigkeitszeugnis mehr beibringen, um die Eingehung gleichgeschlechtlicher Ehen zu erleichtern. Dies ändert nichts an den materiellen Voraussetzungen einer Eheschließung nach Art. 13 Abs. 1, Abs. 2 EGBGB. Dennoch erscheint die Ablehnung der Eheschließung durch den Heimatstaat, soweit dies allein auf der Geschlechtsgleichheit der Betroffenen beruht, mit der Eheschließungsfreiheit unvereinbar und dürfte damit nach Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB unbeachtlich sein.658 Zudem entfällt die spezielle Vorbehaltsklausel in § 17b Abs. 4 EGBGB a.F.659, wonach die Wirkungen im Ausland eingetragener Lebenspartnerschaften nicht weiter gehen konnten als nach deutschem Recht vorgesehen. Stattdessen finden die Abs. 1–3 nach § 17b Abs. 4 EGBGB auf gleichgeschlechtliche Ehen Anwendung, sodass im Ausland geschlossene homosexuelle Ehen in Deutschland nicht länger als eingetragene Lebenspartnerschaften behandelt, sondern uneingeschränkt anerkannt werden. Bei der Reform des Gesetzes Ende 2018 wurden kleinere Korrekturen an der Norm vorgenommen.660 So erfolgt die Anwendung nur unter der Maßgabe, dass sich das auf die Ehescheidung und auf die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendende Recht nach der Rom III-VO661 richtet. Außerdem wollte der Entwurf die Lücke schließen, dass das Gesetz keine Kollisionsregeln für Personen enthielt, die weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht angehören.662 Daher unterfallen Art. 17b Abs. 4 EGBGB nun „Ehegatten [die] demselben Geschlecht […] oder […] weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht“ angehören.
651 BT-Drucks. 18/6665. 652 BGBl. 2017 I 2787; siehe ferner den von der AfD-Fraktion vorgelegten Gesetzesentwurf BT-Drucks. 19/4810 vom 8.10.2018, mit welchem das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts aufgehoben werden soll. 653 BeckOK-BGB/Heiderhoff, 1.11.2017, Art. 17b EGBGB Rz. 6.1. 654 Schmidt, NJW 2017, 2225 ff. 655 Breuers, JM 2017, 442. 656 Schmidt, NJW 2017, 2225 ff. 657 Beachte zur ersten Kindesadoption durch ein gleichgeschlechtliches Paar nach der neuen Rechtslage AG Berlin, Beschl. v. 4.10.2017 – 166A F 8790/16; allgemein zum Thema Breuers, JM 2017, 442. 658 Vgl dazu MünchKommBGB/Wellenhofer, Vorb. § 1303 Rz. 15; Schmidt, NJW 2017, 2225 ff. 659 Siehe allgemein zur alten Norm noch BeckOK-BGB/Heiderhoff, 1.11.2017, Art. 17b EGBGB Rz. 50 f. 660 BGBl. I 2018, S. 2639. 661 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010. 662 Siehe hierzu auch BVerfG, NJW 2017, 3643 ff.; BGH, NJW 2018, 1671 ff.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Kapitel I Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Artikel 1 [Anwendungsbereich] (1) Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii). (2) Sie ist nicht anzuwenden auf: a) den Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen, die ehelichen Güterstände oder Güterstände aufgrund von Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfalten, b) Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren, c) die soziale Sicherheit, d) die Schiedsgerichtsbarkeit, e) Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen, f) das Gebiet des Testaments- und Erbrechts, einschließlich Unterhaltspflichten, die mit dem Tod entstehen. I. 1. 2. 3.
Zivil- und Handelssachen . . . . . . . . . . Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . Immunitätsfragen . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . b) Militär und Menschenrechtsverletzungen c) Arbeitssachen . . . . . . . . . . . . . . . . d) Staatsanleihen und spätere Eingriffe des schuldnerischen Staates . . . . . . . . . . e) Haftung internationaler Organisationen 4. Ausgrenzung öffentlich-rechtlicher Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zessionsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Qualifikation von Sicherungsmaßnahmen
II. Ausnahmebereiche nach Abs. 2 . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausnahmegegenstand nicht nur Vorfrage b) Mehrere Ansprüche . . . . . . . . . . . . c) Entscheidungen über mehrere Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Weitere Ausnahme über Spezialabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen nach Abs. 2 lit. a . . . . . . . . a) Familienrechtliche Statussachen . . . . . b) Rechts- und Handlungsfähigkeit . . . . . c) Güterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insolvenzverfahren (Abs. 2 lit. b) . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivilsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abgrenzung zwischen Gesellschaftsund Insolvenzsachen . . . . . . . . . . . .
1 1 9 15 15 19 21 23 28 29 66 69a 70 70 73 74 76 81 82 82 83 88 98 98 129 137
d) Aussonderungs- und Absonderungsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Klagen auf Feststellung zur Insolvenztabelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Internationale Zuständigkeit für insolvenzrechtliche Annexverfahren . . . . . . 4. Soziale Sicherheit (Abs. 2 lit. c) . . . . . . . 5. Schiedsgerichtsbarkeit (Abs. 2 lit. d) . . . . a) Hintergrund in der Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO als „legislative Ersatzgesetzgebung“ . . . . . . . . . . . . c) Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahren vor staatlichen Gerichten . . . aa) Hilfsverfahren . . . . . . . . . . . . . bb) Klagen aus einem Schiedsspruch . . cc) Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . dd) Anti-suit injunctions . . . . . . . . . ee) Einredesituation . . . . . . . . . . . . ff) Klagen auf Feststellung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . gg) Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Schiedsabreden . . . e) Inkorporation von Schiedssprüchen . . . f) Anerkennung entgegen einer Schiedsabrede ergangener Entscheidungen zur Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Prioritätskonflikte bei mehreren angerufenen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . h) Anerkennung der Entscheidungen staatlicher Gerichte durch Schiedsgerichte . .
Mankowski
143 144 148 149 157 162 172 180 181 181 184 185 186 203 209 214 216 218 229 230
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich i) Andere Formen der Alternative Dispute Resolution (insbesondere Schlichtung und Mediation) . . . . . . . . . . . . . . . 6. Familienrechtliche Unterhaltspflichten (Abs. 2 lit. e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Erbrecht (Abs. 2 lit. f) . . . . . . . . . . . . .
235 243 247
a) Rücksicht auf die EU-ErbVO . . . . . . . b) Testaments- und Erbrecht . . . . . . . . . c) Mit dem Tod entstehende Unterhaltspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
247 252 258
III. Abweichungen unter Art. 1 LugÜbk 2007 .
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich Neues zu Annexzuständigkeit und Forderungsanmeldung: Das EuGH-Urteil in der Rs. 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Mankowski
Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
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Mankowski
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich Should Be Embraced, NIPR 2011, 280; Jonathan Harris, Arbitration Clauses and the Restraint of Proceedings in Another Member State of the European Union, [2005] LMCLQ 159; Jonathan Harris/Lein, Arbitration and Brussels I: The Recast, in Lein (Hrsg.), The Brussels I Review Proposal Uncovered (2012) 191; Hartley, The Scope of the Convention: Proceedings for the Appointment of an Arbitrator, (1991) 16 ELRev 529; Hartley, The Brussels I Regulation and Arbitration, (2014) 63 ICLQ 843; Hartley, Antisuit Injunctions in Support of Arbitration: West Tankers Still Afloat, (2015) 64 ICLQ 965; Hascher, Recognition and Enforcement of Judgments on the Existence and Validity of an Arbitration Clause under the Brussels Convention, (1997) 13 Arb. 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Mankowski
Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
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I. Zivil- und Handelssachen 1. Grundsätzliches 1
Art. 1 Brüssel Ia-VO bestimmt den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO. Soweit entweder keine Zivil- oder Handelssache im Sinne von Abs. 1 oder aber eine Ausnahme nach Abs. 2 vorliegt, ist die Brüssel Ia-VO sachlich nicht anwendbar und kommen nationale Regeln (auch einschließlich etwaiger exorbitanter Gerichtsstände) zum Zuge.1 Der sachliche Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ist indes weit. Er umfasst grundsätzlich alle Zivilsachen.2 Die gesondert erwähnten Handelssachen sind nur ein Unterfall der Zivilsachen.3 An einer positiven Definition von „Zivil1 Siehe nur Mankowski, The saga of the Greek State bonds and their haircut: Hellas triumphans in Luxemburg. Really? (November 22, 2018) http://conflictoflaws.net/2018/the-saga-of-the-greek-state-bonds-and-their-hair cut-hellas-triumphans-in-luxemburg-really; Arnold/Garber, IPRax 2019, 385, 390 f. 2 Siehe EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 38 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; EuGH v. 22.10.2015 – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 Rz. 28 – Aannemingsbedrijf Aertssen NV u. Aertssen Terrassements SA vs. VSB Machineverhuur BV, Van Sommeren Bestrating BV u. Jos van Sommeren. Zur systematischen Einbindung in die Zusammenhänge des Unionsrechts Basedow, FS Thue (2007) 151. 3 Zustimmend Arnold, ZEuP 2012, 315, 317; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 6 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 19; Czempiel, 2. Kap. § 3.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
sache“ versucht sich Abs. 1 allerdings nicht.4 Ausgegrenzt sind jedoch rein öffentlich-rechtliche Verfahren.5 Art. 1 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO nennt entsprechende Verfahren beispielhaft. Entscheidend ist allein die Qualifikation in der Sache. Es herrscht ein materielles Verständnis, das sich prozessual im Streitgegenstand konkretisiert.6 Ausgegrenzt sind auch materielle Strafsachen.7 Dagegen kommt es nicht auf die Art des angerufenen Gerichts an. Eine materielle Zivilsache kann also auch vor einem ArbG8 oder sogar vor einem Straf-, Verwaltungs-, Sozial- oder FG verhandelt werden,9 erst recht vor einem besonderen Handelsgericht10 (z.B. einem Tribunal de commerce in Frankreich oder einer Rechtbank van koophandel in Belgien). Die Brüssel Ia-VO wendet sich an zwei Stellen spezifisch Zivilverfahren vor Strafgerichten zu: in Art. 7 Nr. 4 Brüssel Ia-VO und in Art. 64 Brüssel Ia-VO. Dies ist Beleg genug dafür, dass Zivilverfahren von der Brüssel Ia-VO erfasst sind, gleich vor welchem Gerichtszweig oder Gerichtstyp sie verhandelt werden.11 Dass das erkennende Gericht ein Strafgericht ist, schreckt die Brüssel Ia-VO nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass es sich um eine materielle Zivilsache handelt.12 Dementsprechend unterfällt eine Zivilsache, die vor einem Strafgericht verhandelt wird, der Brüssel I-VO.13 Zivilverfahren sind keine Strafverfahren. Dies gilt auch für das Adhäsionsverfahren. Es fällt nicht allein durch seine Verbindung mit einer Strafsache aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO heraus.14 Eine akzessorische (Adhäsions-)Klage übernimmt nicht akzessorisch den Charakter der strafrechtlichen Hauptklage oder Anklage.15 Auch eine Klage auf Entschädigung wegen Missbrauchs der Justiz durch Anstrengen einer Privat- oder Nebenklage vor einem Strafgericht ist eine Zivilsache für die Zwecke des Abs 1 S 1.16
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Materielle Zivilsachen können auch vor Verwaltungsgerichten anhängig sein oder gemacht werden.17 Eine materielle Zivilsache kann erst recht eine Sache der freiwilligen Gerichtsbarkeit18 oder
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Bericht Jenard, ABl. EWG 1979 C 59/9; Gärtner, German L.J. 8 (2007) 417, 420; H. Roth, IPRax 2018, 41, 42. GA Szpunar, Schlussanträge v. 23.4.2020 in der Rs. C-73/19, ECLI:EU:C:2020:297 Rz. 19. Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 18. Siehe nur Toader, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 515, 516. Siehe nur BAGE 153, 138 Rz. 12; BAGE 157, 258 Rz. 13; BAGE 158, 266 Rz. 58: Individualarbeitsrechtsstreitigkeiten sind Zivil- und Handelssachen i.S.v. Abs. 1. Siehe nur EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:144 – Volker Sonntag vs. Hans Waidmann, EuGHE 1993 I 1963, 1996 Rz. 16; EuGH v. 28.3.2000 – C-7/98, ECLI:EU:C:2000:164 – Dieter Krombach vs. André Bamberski, EuGHE 2000 I 1935, 1967 Rz. 30; EuGH v. 22.10.2015 – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 Rz. 27 – Aannemingsbedrijf Aertssen NV u. Aertssen Terrassements SA vs. VSB Machineverhuur BV, Van Sommeren Bestrating BV u. Jos van Sommeren, IPRax 2019, 147. Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 2. EuGH v. 22.10.2015 – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 Rz. 34 – Aannemingsbedrijf Aertssen NV u. Aertssen Terrassements SA vs. VSB Maschineverhuur BV, Van Sommeren Bestrating BV u. Jos van Sommeren; Hess, IPRax 1994, 10, 11; Mankowski, FG Machacek und Matscher (2008) 785, 786. Siehe nur EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:144 Rz. 16 – Volker Sonntag vs. Hans Waidmann; EuGH v. 28.3.2000 – C-7/98, ECLI:EU:C:2000:164 Rz. 30 – Dieter Krombach vs. André Bamberski; EuGH v. 22.10.2015 – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 Rz. 31 – Aannemingsbedrijf Aertssen NV u. Aertssen Terrassements SA vs. VSB Maschineverhuur BV, Van Sommeren Bestrating BV u. Jos van Sommeren, IPRax 2019, 147. BGH v. 24.9.2019 – V ZB 39/18 Rz. 16; Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 15. Zuerst muss natürlich die Qualifikation als Zivilsache erfolgen; Burgstaller/Neumayr, in Burgstaller/Neumayr Art. 5 EuGVVO Rz. 61 (Okt. 2002). Siehe nur BGH, RIW 2017, 78 Rz. 18; Davenport v. Corinthian Motor Policies at Lloyd’s 1991 SLT 774 (OH, Lord McCluskey); Layton/Mercer, Rz. 15.100; Mankowski, FG Machacek und Matscher (2008) 785, 787. EuGH v. 22.10.2015 – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 Rz. 33 – Aannemingsbedrijf Aertssen NV u. Aertssen Terrassements SA vs. VSB Maschineverhuur BV, Van Sommeren Bestrating BV u. Jos van Sommeren. Vgl. aber auch Thomale, IPRax 2017, 463, 465 f., der Rücksicht auf Besonderheiten wegen der Verknüpfung mit Sanktionszwecken oder Täter-Opfer-Ausgleich anmahnt. Cass., Rev. crit. dip. 2019, 820, 821; Chalas, Rev. crit. dip. 2019, 821, 822–825. Conseil d’État, Rev. crit. dip. 91 (2002) 103 m. Anm. Audit; östOGH, EuLF 2007, II-129; Cour administrative d’appel Nantes, RFDA 2000, 1110 m. Anm. Lalauze; Grabinski, FS Tilmann (2003) 461, 465; Unzutreffend Trib. Novara (2000) 22 EIPR N-142. Siehe nur EuGH v. 3.10.2013 – C-386/12, ECLI:EU:C:2013:633 Rz. 17 – Siegfried Janós Schneider = FamRZ 2013, 1873 m. Anm. Wendenburg; GA Bot, Schlussanträge v. 6.9.2012 in der Rs. C-456/11, ECLI:EU:C:2012:554 Rz. 39, 44; BGH v. 24.9.2019 – V ZB 39/18 Rz. 17, 21; Kümmerle, GPR 2014, 170 (170).
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich eine Streitigkeit wegen privatwirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand sein.19 Im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit muss es sich allerdings um eine echte Parteistreitigkeit handeln, nicht aber z.B. um Registerstreitigkeiten zwischen Bürger und Staat.20 Umgekehrt führt allein die Tatsache, dass eine Klage vor einem Zivilgericht erhoben wurde, nicht dazu, dass es sich um eine Zivil- und Handelssache handeln müsste: Wird eine Klage vor einem Zivilgericht erhoben, obwohl hoheitliches Handeln eines Staates ihr Gegenstand ist, so bleibt es bei der Ausgrenzung einer solchen Klage durch Abs. 1 S. 2.21 4
Ob im konkreten Fall eine materielle Zivil- und Handelssache vorliegt, orientiert sich im ersten Zugriff an dem Vortrag des Klägers.22 Handelt es sich schon danach nicht um eine Zivil- und Handelssache, so ist die Brüssel Ia-VO sachlich nicht anwendbar, es sei denn, der Beklagte brächte durchschlagende Einwände vor, die doch die Anwendbarkeit tragen. Umgekehrt können bei Klägervortrag, der zur Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO führen würde, Einwände des Beklagte gehört werden, dass keine Zivil- und Handelssache oder eine nach Abs. 2 ausgeschlossene Materie vorliege.23
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Der Begriff der Zivil- und Handelssache ist Brüssel Ia-VO-autonom auszufüllen,24 nicht durch Rückgriff auf ein nationales Verfahrensrecht oder materielles Recht,25 z.B. die lex fori des Urteilsstaates,26 sondern losgelöst von einer einzelnen Rechtsordnung.27 Erstens sollen die Staaten keine Möglichkeit zur selbstbegünstigenden Qualifikation nach ihrem eigenen Gusto haben.28 Zweitens soll es keine 19 Geimer, NJW 1976, 441; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 3 (2005); Kropholler/von Hein, Rz. 9 f.; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 13 (2016). 20 Salerno 43 f.; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 22; Kropholler/von Hein, Rz. 12; Mock, IPRax 2009, 271, 273; Kindler, IPRax 2014, 486, 487. Vgl. aber auch Calvo Caravaca/Carrascosa González, Derecho internacional privado vol I (19. Aufl. 2018) 187; Carrillo Lerma, Cuad der trans 6 (1) (2014), 349, 354 f. 21 EuGH v. 16.12.1980 – 814/79, ECLI:EU:C:1980:291 Rz. 15 – Niederlande vs. Reinhard Rüffer; EuGH v. 28.7.2016 – C-102/15, ECLI:EU:C:2016:607 Rz. 40 – Siemens Österreich AG vs. Gazdasági Versenyhivatal. 22 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 17 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 22. 23 Zöller/Geimer, Rz. 29; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 22. 24 Siehe nur EuGH v. 14.10.1976 – 29/76, ECLI:EU:C:1976:137 Rz. 3 – LTU Lufttransportunternehmen GmbH & Co KG vs. Eurocontrol = NJW 1977, 489 m. Anm. Geimer; EuGH v. 14.7.1977 – 9/77 u. 10/77, ECLI:EU:C: 1977:132 Rz. 7 – Bavaria Fluggesellschaft Schwabe & Co KG u. Germanair Bedarfsluftfahrt GmbH & Co KG vs. Eurocontrol; EuGH v. 22.2.1979 – 133/78, ECLI:EU:1979:49 Rz. 3 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler; EuGH v. 16.12.1980 – 814/79, ECLI:EU:C:1980:291 Rz. 7 – Niederlande vs. Reinhard Rüffer; EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:144 Rz. 18 – Volker Sonntag vs. Hans Waidmann; EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00, ECLI:EU:C:2002:656 Rz. 28 – Gemeente Steenbergen vs. Luc Baten; EuGH v. 3.10.2013 – C-386/12, ECLI:EU:C:2013:633 Rz. 18, – Siegfried Janós Schneider; EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI: EU:C:2014:2319 Rz. 24 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA; EuGH v. 22.10.2015 – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 Rz. 29 – Aannemingsbedrijf Aertssen NV u. Aertssen Terrassements SA vs. VSB Maschineverhuur BV, Van Sommeren Bestrating BV u. Jos van Sommeren; EuGH v. 28.7.2016 – C-102/15, ECLI:EU:C:2016:607 Rz. 30 – Siemens Österreich AG vs. Gazdasági Versenyhivatal; EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 33 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn; EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 46 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubsund Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o.; EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 30 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale; BGE 124 III 382, 395; Trib. Sup. Span., Yb Int L XIII (2007) 304 = AEDIPr 2007, 1066, 1067 m. Anm. Lara Aguado; Hoge Raad Ned, Jur 2019 Nr. 100 S. 1695, 1698; A-G Vlas, Ned. Jur. 2019 Nr. 99 S. 1681, 1689; Geimer, IPRax 2003, 512, 514; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 5 (2005); Kropholler/von Hein, Rz. 3 f. Eingehend Czempiel, 3. Kap. § 2. 25 Siehe nur EuGH v. 28.7.2016 – C-102/15, ECLI:EU:C:2016:607 Rz. 30 – Siemens Österreich AG vs. Gazdasági Versenyhivatal; EuGH v. 22.10.2015 – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 Rz. 29 m.w.N. – Aannemingsbedrijf Aertssen NV u. Aertssen Terrassements SA vs. VSB Maschineverhuur BV, Van Sommeren Bestrating BV u. Jos van Sommeren; EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn, ECLI:EU:C: 2017:193 Rz. 33; Lelouvier in Attal, Rev. jur. Comm. 2017, 581, 592 f. 26 So aber BGHZ 65, 291. 27 Siehe nur EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 24 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA; EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 46 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o.; EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 30 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale; C. Kohler, IPRax 2015, 52, 53.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Möglichkeit zu divergierenden Qalifikation zwischen einem erststaatlichen Erkenntnis- und einem zweitstaatlichen Vollstreckungs-, Vollstreckungsversagungs- oder Anerkennungsverfahren geben.29 Auch eine Anlehnung an die Begriffsbildung in bilateralen Abkommen ist allenfalls Hilfsmittel, aber keine zwingende Vorgabe; vielmehr sind insoweit aufbrechende Divergenzen in Kauf zu nehmen.30 Maßgeblich sind vielmehr Zielsetzung und Systematik der Brüssel Ia-VO sowie die allgemeinen Grundsätze aus der Gesamtheit der mitgliedstaatlichen Prozessrechtsordnungen.31 Freilich ist dies allein nur ein Postulat samt Negativabgrenzung.32 Praktisch wird ein Rekurs auf gemeinsame Grundsätze kaum je erfolgen, weil es nahezu unmöglich und jedenfalls zu aufwendig ist, das Recht im Ansatz aller Mitgliedstaaten zu ermitteln.33 Aus einer Berücksichtigung gemeinsamer nationaler Überzeugungen zu einer vorsichtigen Anlehnung an das Verständnis von § 13 GVG und § 40 VwGO34 stünde jedenfalls im Ruch eines „einseitigen“ Rekurses auf deutsches Recht.
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Hinzu kann eine Anlehnung an Art. 45 Abs. 4 AEUV (ex Art. 39 Abs. 4 EGV) und die dortige Hand- 7 habung der Begriffe „öffentliche Verwaltung“ und „Ausübung hoheitlicher Tätigkeit“ treten,35 eventuell unterstützt durch Ausblicke auf benachbarte Phänomene im sonstigen Primärrecht.36 Auf die Staatsangehörigkeit der Verfahrensbeteiligten kommt es in keinem Fall an.37 Nur eine autonome Qualifikation sichert angesichts der in den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich verlaufenden Abgrenzungslinien zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht (wenn das letztere dort überhaupt eine eigene Rechtsmaterie bildet)38 eine einheitliche Anwendung der Brüssel Ia-VO.39 Zwar ist im Prinzip jeweils positiv festzustellen, ob eine Zivil- und Handelssache vorliegt.40 Jedoch kann im Ansatz ein Umkehrschluss aus Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO helfen, dass jenseits der dort ausgenommenen Bereiche der wesentliche Teil des Zivil- und Handelsrechts grundsätzlich erfasst sein soll, um so das Ziel der Brüssel Ia-VO zu fördern, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu erhalten und weiterzuentwickeln.41 Dem effet utile der Brüssel Ia-VO ist am besten mit einem möglichst weiten Anwendungsbereich gedient. Tendenziell ist der Begriff der Zivil- und Handelssache daher eher weit auszulegen.42 Geboten und sachlich sinnvoll ist eine rechtsaktübergreifende Auslegung mit den Verordnungen 8 des Europäischen Zivilverfahrensrechts und mit den anderen Verordnungen des europäischen In-
28 Geimer, IPRax 2003, 512, 514. 29 Toader, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 515, 516. 30 EuGH v. 14.7.1977 – 9/77 u. 10/77, ECLI:EU:C:1977:132 Rz. 7 – Bavaria Fluggesellschaft Schwabe & Co KG u. Germanair Bedarfsluftfahrt GmbH & Co KG vs. Eurocontrol. 31 EuGH v. 14.10.1976 – 29/76, ECLI:EU:C:1976:137 Rz. 4 – LTU Lufttransportunternehmen GmbH & Co KG vs. Eurocontrol = NJW 1977, 489 m. Anm. Geimer; EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 33 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn; EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 46 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o.; Audit, Rev. crit. dip. 91 (2002) 105, 109; S. Lorenz/Unberath, IPRax 2004, 298, 299. 32 Strikwerda, Ned. Jur. 2013 Nr. 500 S. 5727, 5728. 33 Vgl. Strikwerda, Ned. Jur. 2013 Nr. 500 S. 5727, 5728. 34 Dafür Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 3; H. Roth, IPRax 2018, 41, 42. 35 Soltész, 174–181; skeptisch Heß, IPRax 1994, 10, 13. 36 Soltész, 171–174, 181–186. 37 OLG Frankfurt v. 2.10.1981 – 3 UF 278/80, FamRZ 1982, 528. 38 Dazu Soltész, 88–139. 39 S. Lorenz/Unberath, IPRax 2004, 298, 299; S. Lorenz/Unberath, FS Schlosser (2005) 513, 520. 40 Landbrecht, EuZW 2015, 76, 77. 41 EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 27 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA. 42 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 Rz. 23 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH vs. Alice van der Schee; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 Rz. 25 – NK vs. BNP Paribas Fortis NV; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 Rz. 31–38 – NK vs. BNP Paribas Fortis NV EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 47 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o.; EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 31 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale; Sana Hassib Sabbagh vs. Wael Said Khoury [2014] EWHC 2433 (Comm) [257] (Q.B.D., Sue Carr J.); Peretz Winkler and Arzal Finance Corp vs. Angela Shamoon, Alexander Shamoon and Philippe Grumbach [2016] EWHC 217 (Ch.) [59] (Ch. D., Henry Carr J.); C. Kohler, IPRax 2015, 52, 53.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich ternationalen Zivilverfahrensrecht. Der Begriff der „Zivil- und Handelssachen“ begegnet mit einem grundsätzlich einheitlichen Begriffsgehalt insbesondere in Art. 1 Abs. 1 EG-ZustVO und Art. 1 Abs. 1 EG-BeweisVO wieder. Erkenntnisse, die sich aus der Auslegung des Begriffs in diesen Normen ergeben, kann man daher grundsätzlich auf seine Auslegung unter Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO übertragen. Insbesondere lohnt ein Blick auf zu diesen Normen ergangene Entscheidungen des EuGH.43 Allerdings ist jeweils zu beachten, ob unterschiedliche Funktionen und Zwecke der einzelnen Verordnungen nicht doch eine rechtsaktautonome Auslegung gebieten und im Detail einer Übertragung entgegenstehen.44 2. Begriff des Gerichts 9
„Gericht“ muss ein mit Aufgaben der Rechtsprechung befasster staatlicher Spruchkörper sein. Private Rechtsprechungsorgane, insbesondere Schiedsgerichte, fallen nicht unter den Gerichtsbegriff, wie sich auch aus dem grundsätzlich gleichlaufenden Gerichtsbegriff unter Art. 2 Brüssel Ia-VO und vormals nach Art. 32 Brüssel I-VO ableiten lässt.45 Im Übrigen ist die formelle Bezeichnung des Spruchkörpers unerheblich. Auch ein Spruchausschuss kann materiell ein Gericht sein. Art. 62 LugÜbk 2007 bezieht in den Gerichtsbegriff auch formelle Verwaltungsbehörden ein, wenn diese Behörden materielle Rechtsprechungsfunktionen wahrnehmen. Unter Art. 62 LugÜbk 2007 zählt nur die Funktion, nicht die Bezeichnung oder die Organisationsstruktur.46 Art. 2 lit. c S. 2 Vorschlag Brüssel Ia-VO war auf einem ähnlichen Weg.
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Modernes Recht trennt weniger scharf zwischen Verwaltung und Rechtsprechung, so dass es gerechtfertigt wäre, beide gleich zu behandeln, wenn sie gleiche Funktionen erfüllen.47 De regulatione lata bleibt dieser Weg aber versperrt, wie der Umkehrschluss aus Art. 3 Brüssel Ia-VO zeigt. Dort werden einzelne, ausgewählte Verwaltungsstellen ausdrücklich in den Gerichtsbegriff einbezogen, weil man dies konstitutiv für nötig hält. Auch der Kontrast zu Art. 62 LugÜ 2007 ist aussagekräftig.48 Der Gerichtsbegriff der Brüssel Ia-VO ist auf der anderen Seite nicht identisch mit demjenigen des Art. 267 AEUV (ex Art. 234 EGV), sondern weiter.49 Während Art. 267 AEUV (ex Art. 234 EGV) Spruchkörper mit grundsätzlicher Verwaltungstätigkeit ausgrenzt, insbesondere Registergerichte erster Instanz,50 fallen sie unter Abs. 1. Für Registergerichte erhellt dies schon aus der Existenz des Art. 24 Nr. 3 Brüssel Ia-VO. Diese Norm wäre wenig sinnvoll, wenn Registergerichte schon über den Gerichtsbegriff ausgegrenzt wären. Eine Berechtigung zur Vorlage an den EuGH kann keine Voraussetzung des Gerichtsbegriffs sein.
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Nach der deutschen Fassung des Abs. 1 S. 1 kommt es nicht auf die Art der Gerichtsbarkeit an. Damit verwendet die deutsche Fassung eine deutschrechtliche Terminologie aus dem deutschen Gerichtsverfassungsrecht, vermeidet aber zugleich den Terminus „Rechtsweg“, um auch Strafgerichte einzubeziehen, die nach deutscher Terminologie wie die Zivilgerichte zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören und nicht zu einem anderen Rechtsweg.
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In anderen Fassungen wird dagegen eine etwas anders gelagerte Terminologie verwendet. Dort erfolgt durchgängig ein Bezug nicht auf die Gerichtsbarkeit, sondern auf das Gericht. Die anderen Fassungen verwenden hier im Prinzip denselben Ausdruck, den sie auch als Definiendum in Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO verwenden. Eine Ausnahme macht aber die englische Fassung. In ihr gibt es eine, soweit ersichtlich, nur im Englischen auftauchende Doppelung „court or tribunal“. Eine vergleichbare
43 Zur EuGH-Rechtsprechung bei anderen Verordnungen Czempiel, 4. Kap. § 3. 44 GA Bot, Schlussanträge v. 4.7.2018 in der Rs. C-308/17, ECLI:EU:C:2018:528 Rz. 51–57; Czempiel, 3. Kap. § 3 II. 45 CMA CGM SA vs. Hyundai Mipo Dockyard Co Ltd. [2008] EWHC 2791 (Comm), [2009] 1 Lloyd’s Rep. 213, 223 f. (Q.B.D., Burton J.). 46 Pocar-Bericht Nr. 175; Acocella, FS Schwander (2011) 643, 653; C. Rauscher, ZVR 2018, 261. 47 Markus, FS Schwander (2011) 747, 753. 48 C. Rauscher, ZVR 2018, 261. 49 Vgl. für die Parallelfrage bei Art. 1 EG-BeweisVO Geimer/Schütze/Knöfel, Art. 1 EuBewVO Rz. 22 (2007). 50 EuGH v. 10.7.2001 – C-86/00, ECLI:EU:C:2001:394 Rz. 14-16 – HSB-Wohnbau GmbH; EuGH v. 22.1.2002 – C-447/00, ECLI:EU:C:2002:38 Rz. 19-22 – Holto Ltd.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Doppelung und Aufspaltung in zwei Ausdrücke gibt es nicht im Französischen („jurisdiction“), im Italienischen („autorità giurisdizionale“), im Spanischen („órgano jurisdiccional“), im Portugischen (nur „tribunal“), im Holländischen („gerecht“), im Schwedischen („domstol“) und im Rumänischen („instanta“). Ein eigenständiger Gehalt für das englische „tribunal“ lässt sich nicht identifizieren. Eine ähnliche Abweichung der englischen Fassung gibt es übrigens auch bei ErwGr. 8 Rom II-VO. Dort wird teilweise der Schluss gezogen, „tribunal“ meine Schiedsgerichte.51 Das kann bei Abs. 1 S. 1 aber nicht der Fall sein, denn Schiedsgerichte grenzt Abs. 2 lit. d sicher aus.52
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Im schiedsrechtlichen Bereich werfen gesetzlich vorgeschriebene Zwangsschiedsgerichte ein Problem 14 auf. Formell sind sie keine staatlichen Stellen, funktionell aber nehmen sie materielle Rechtsprechungsaufgaben wahr und ersetzen von Gesetzes wegen, nicht kraft Parteivereinbarung wie „normale“ Schiedsgerichte staatliche Gerichte. Sie unterfallen dem Gerichtsbegriff des Art. 267 AEUV.53 Diese charakterprägenden Besonderheiten sprechen dafür, sie nicht in den Ausnahmebereich des Abs. 2 lit. d fallen zu lassen, sondern auch für die Zwecke der Brüssel Ia-VO als Gerichte einzuordnen.54 3. Immunitätsfragen a) Grundsätzliches Immunitätsfragen sind eigentlich als Fragen der Gerichtsbarkeit der gesamten Brüssel Ia-VO vor- 15 gelagert.55 Zuständigkeit setzt Rechtsprechungsgewalt voraus.56 Immunitätsfragen sind keine eigentlichen, echten Zuständigkeitsfragen im strengen Sinne.57 Sie sind Fragen des Völkerrechts, zu deren Beantwortung der EuGH nicht befugt ist.58 Abs. 1 S. 2 a.E.59 schließt nach der Neufassung durch die zur Brüssel Ia-VO führende Novelle die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii) ausdrücklich aus. Formell ist dies ein Fortschritt, materiell keine große Veränderung,60 sondern nur eine Klarstellung.61 Systematisch mag man kritisieren, dass Stellung und Zusammenhang die Immunität mit der Frage nach der sachlichen Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO vermengen.62 Die Ausgrenzung des öffentlichen Rechts und Im-
51 G. Wagner, IPRax 2008, 1, 3; A. Staudinger, AnwBl. 2008, 8, 13; A. Staudinger, EuLF 2007, I-257, I-263. 52 Kondring, RIW 2010, 184, 190; Mankowski, FS von Hoffmann (2011) 1012, 1022. 53 EuGH v. 13.2.2014 – C-555/13, ECLI:EU:C:2014:92 Rz. 18-25 – Merck Canada Inc vs. Accord Healthcare Ltd. = EuZW 2014, 301 m. insoweit krit. Anm. Jukic´. 54 Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 160 (Mankowski). 55 GA Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussanträge v. 8.11.2006 in der Rs. C-292/05, ECLI:EU:C:2006:700 Rz. 78; ÖstOGH SZ 74/86 S. 561 = ecolex 2002, 59 (Obwexer 57); Grovit vs. De Nederlandsche Bank [2006] 1 All ER (Comm) 397, 408–410 (Q.B.D., Tugendhat J.); Dutta, ZZP Int 11 (2006) 208, 217; Muir Watt/Pataut, Rev. crit. dip. 97 (2008) 61, 68; R. Wagner, RIW 2014, 260 (260 f.); Mankowski, EWiR 2018, 477, 478; Hauser, BKR 2019, 333, 334; vgl. auch BGH v. 26.6.2003 – III ZR 245/98, NJW 2003, 3488 = BGHZ 155, 279; Cassaz. Giust civ. 2004 I col. 1191 m. Anm. Baratta; ArbG Köln, RIW 1999, 623 m. Anm. Kollatz; Gianelli, Riv. dir. int. 2004, 643; Geimer/Schütze/Tschauner, Art. 35 EuGVVO Rz. 3 (2005); M. Stürner, IPRax 2008, 197, 203; Geimer, IPRax 2008, 225, 226. 56 GA Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussanträge v. 8.11.2006 in der Rs. C-292/05, ECLI:EU:C:2006:700 Rz. 77; Joubert, T.B.H. 2014, 53, 54. 57 Migliorini, Riv. dir. int. 2012, 1089, 1097. 58 Mankowski, ZIP 2019, 193, 194; S. Arnold/Garber, ÖJZ 2019, 920. Anderer Ansicht, soweit Völkergewohnheitsrecht möglicherweise Auswirkungen auf die Auslegung des Unionsrechts hat, GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 103–105. 59 Eingefügt durch den Rat, Dok.10609/12 Add 1. 60 Dopagne, Clunet 140 (2013) 494, 496; Joubert, T.B.H. 2014, 53, 58. 61 GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 56; GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 77; Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 13. 62 Pataut, Rev. crit. dip. 102 (2013) 223, 226; Joubert, T.B.H. 2014, 53, 59; Hauser, BKR 2019, 333, 334. Vgl. auch GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 131: Schwierigkeit, das Verhältnis zwischen Staatenimmunität und den Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel I(a)-VO „in einen Kontext einzufügen“; ähnlich GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU: C:2020:252 Rz. 55.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich munität sind zwei verschiedene Kategorien und haben nicht denselben Zuschnitt.63 Trotzdem sollte man Auslegungsparallelismus walten lassen und das europäische Verständnis letztlich völkerrechtsakzessorisch ausfüllen.64 Auch damit verbleibt allerdings ein gewisser Spielraum. Denn die Völkerrechtspraxis ist nicht vollständig einheitlich.65 16
In anderen Rechtsakten ist die Ausnahme vom sachlichen Anwendungsbereich für acta iure imperii seit jeher ausdrücklich benannt (Art. 2 Abs. 1 S. 2 EG-VollstrTitelVO; Art. 2 Abs. 1 EG-MahnVO; Art. 1 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO). In Art. 1 Abs. 1 S. 2 Brüssel I-VO war dies noch nicht der Fall. Abs. 1 S. 2 holt dies als einzige Veränderung im ersten Absatz (verglichen mit der Brüssel I-VO) nach66 und stellt sich in eine Reihe mit jenen anderen Verordnungen. Inhaltlich Neues, Weiterführendes oder Veränderndes ist damit nicht verbunden.67 Generell wird der ausdrücklichen Benennung nur deklaratorischer Charakter ohne konstitutive Bedeutung zugeschrieben.68 Art. 2 Abs. 1 EG-VollstrTitelVO war der Prototyp. Er geht auf einen Wunsch der Bundesrepublik Deutschland69 zurück, der seinerseits wieder aus den Fällen Distomo und Kalavrita herrührt: Die Bundesrepublik Deutschland wollte sichergestellt sehen, dass Entscheidungen über die Staatshaftung für deutsche Kriegsverbrechen nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden können.70 Es fand auch seinen Weg in Abs. 1 S. 2,71 als Klarstellung für den Terminus der Zivil- und Handelssache.72 Zugleich belegt dies, dass es kein eigenes europäisches Verständnis von acta iure imperii gibt, sondern dass sich Art. 2 Abs. 1 EGVollstrTitelVO inhaltlich an den im Völkerrecht gebräuchlichen Maßstäben zu orientieren beabsichtigt.73 Im Wege der systematischen Auslegung innerhalb des europäischen Verfahrensrechts war dies schon bei der älteren Brüssel I-VO zu beachten.74 Was actum iure imperii unter Abs. 1 S. 2 ist, wird kaum je nicht Immunität begründen, jedenfalls nicht unter einem Immunitätsregime, das streng zwischen acta iure gestionis und acta iure imperii unterscheidet.75 Auf der anderen Seite wird eine öffentlich-rechtliche Streitsache nicht dadurch automatisch zu einer Zivil- und Handelssache, indem man dem Beklagten auf der vorangehenden Stufe der Gerichtsbarkeit die Immunität abspricht.76
63 Pataut, Rev. crit. dip. 102 (2013) 223, 226 f.; Joubert, T.B.H. 2014, 53, 60. 64 Wie hier Hauser, BKR 2019, 333, 335 sowie GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 106–129. Skeptisch indes R. Wagner, RIW 2014, 260, 263 f. Der Sache nach anders EuGH v. 15.11.2018 – C-308/17, ECLI:EU:C:2018:911 Rz. 31 – Hellenische Republik vs. Leo Kuhn. Eingehend Czempiel, 5. Kap. § 4 II. 65 Siehe van Hoek, MedNedVIR 138 (2011) 1; Xiaodong Yang, State Immunity in International Law (2012); Hazel Fox/Webb, The Law of State Immunity (2013). 66 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 77; Laazouzi, Rev. crit. dip. 103 (2014) 118, 120 f. 67 von Hein, RIW 2013, 97, 100; Joubert, T.B.H. 2014, 53, 58. 68 GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 3; Rauscher/Pabst, Art. 2 EG-VollstrTitelVO Rz. 6; Kropholler/von Hein, Art. 2 EuVTVO Rz. 2; J. Münch, FS Rechberger (2005) 395, 402; R. Wagner, EuZW 2006, 424, 427 Fn. 48; Zilinsky, NILR 2006, 471, 476; Tschütscher/M. Weber, ÖJZ 2007, 303, 306 sowie EuGH v. 15.2.2007 – C-292/05, ECLI:EU:C:2007:102 – Irini Lechouritou vs. Bundesrepublik Deutschland, EuGHE 2007, I 1519, I 1557 Rz. 45. A.A. Geimer/Schütze/Knöfel, Art. 1 EuBewVO Rz. 14 (2007). 69 Rat der Europäischen Union, Vermerk des Vorsitzes vom 30.6.2003, 10660/03 JUSTCIV 92 S. 2; Rat der Europäischen Union, Vermerk der deutschen Delegation vom 28.7.2003, 11813/03 JUSTCIV 122 S. 2. 70 Rauscher/Pabst, Art. 2 EG-VollstrTitelVO Rz. 6; Kropholler/von Hein, Art. 2 EuVTVO Rz. 2; Requejo, EuLF 2007, I-206, I-209; Knöfel, 23. FIREU-Newsletter vom 12.5.2015, 1, 4. 71 Über Report on the proposal for Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (recast), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Tadeusz Zwiefka, 15 October 2012, A7-0320/2012. 72 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 77; Magnus/ Mankowski/Rogerson, Rn. 13. 73 Mankowski in von Hoffmann (Hrsg.), Universalität der Menschenrechte (2009) 139, 170; s. Dörr in Leible/M. Ruffert (Hrsg.), Völkerrecht und IPR (2006) 175, 190. 74 Mankowski in von Hoffmann (Hrsg.), Universalität der Menschenrechte (2009) 139, 171; Requejo, EuLF 2007, I-206, I-208; R. Wagner, RIW 2014, 260, 263. 75 Mankowski, EWiR 2018, 477, 478 sowie M. Stürner, IPRax 2008, 197, 203; R. Wagner, RIW 2014, 260, 264; S. Arnold/Garber, ZZP Int 20 (2015) 171, 192 f. 76 Siehr, FS Konstantinos Kerameus, Bd. I (2009) 1293, 1297.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Ebenfalls zu beachten ist die Erstreckung der Immunität vom Staat auch auf die an dessen Akten 17 notwendig Beteiligten, wie ErwGr. 12 Rom II-VO sie vornimmt. Anderenfalls drohte nämlich über eine Inanspruchnahme des Agierenden im Außenverhältnis und einen Regress im Innenverhältnis die Immunität unterlaufen und damit ineffektiv zu werden. Dies gilt auch bei einer Delegation eigentlicher hoheitlicher Aufgaben seitens des Staates auf beliehene Unternehmer und ähnliche Private.77 Man darf bei diesen nicht nur auf ihre Rechtsnatur als Unternehmen des Privatrechts abstellen,78 sondern muss fragen, ob in der Privatisierung von Aufgaben ein Funktionstransfer liegt, welcher die Verbindung zu staatlicher Hoheit letztlich auflöst.79 Auf die Rechtsnatur des Unternehmens abzustellen würde allerdings die Abgrenzung erleichtern und damit Abgrenzungskosten sparen.80 Problemfall sind Private Military Firms.81 Bei ihnen steht im Raum, ob dem beauftragenden Staat eine hinreichende Kontrolle und Einflussnahme bei seinen de facto-Soldaten bleibt.82 Immunität ist eine völkerrechtliche Frage. Sie ist gegründet auf die Gleichheit der Staaten und den Grundsatz par in parem non habet imperium.83 Zugleich ist sie eine Ausnahme von der territorialen Beschränkung staatlicher Hoheit.84 Zwar sind beide völkerrechtliche Übereinkommen, die sich der Immunität widmen, nämlich das Baseler Übereinkommen von 197285 und das UN-Übereinkommen von 200486, nicht in Kraft. Sie sind jedoch verallgemeinerungsfähig und verkörpern Völkergewohnheitsrecht.87 Bei materiell hoheitlicher Betätigung kommt es auf die Form dieser Hoheitsbetätigung nicht an,88 sie kann sich auch in ein formell privatrechtliches Gewand kleiden, ohne dass sich an ihrer Substanz etwas ändern würde.
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b) Militär und Menschenrechtsverletzungen Klagen, die natürliche Personen in einem Vertragsstaat gegen einen anderen Vertragsstaat erheben und die auf Ersatz des Schadens gerichtet sind, den die Hinterbliebenen der Opfer des Verhaltens von Streitkräften im Rahmen von Kriegshandlungen im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates erlitten haben, sind jedenfalls keine Zivilsachen.89 Operationen von Streitkräften im Ausland sind ein typischer Ausdruck staatlicher Souveränität, schon deshalb, weil sie von den zuständigen staatlichen Stellen einseitig und zwingend beschlossen werden und sich untrennbar mit der Außen- und Sicher-
77 Deshalb dürfte die Regresshaftung eines Arztes gegenüber einer kassenärztlichen Vereinigung öffentlich-rechtlicher Natur sein; im Ergebnis übereinstimmend Monomeles Thessaloniki 19.12.2017 – 19865/2017; Anthimos, IPRax 2019, 343, 344. 78 Atteritano in Frazioni/Ronzitti (Hrsg.), War by Contract (2011) 475. 79 Requejo Isidro, YbPIL 14 (2012/13) 113, 134; vgl. auch Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 27. 80 Atteritano in Frazioni/Ronzitti (Hrsg.), War by Contract (2011) 475. 81 Eingehend Requejo Isidro, YbPIL 14 (2012/13) 113, 125–135. 82 Requejo Isidro, YbPIL 14 (2012/13) 113, 134. 83 Siehe nur EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 54 f. – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 56 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale. 84 Joubert, T.B.H. 2014, 53, 55. 85 Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16.5.1972, BGBl. 1990 II 34. 86 UN Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property, adopted by the General Assembly 2 December 2004, OR A/59/49. 87 EGMR v. 23.3.2010 – 15869/02 § 66 – Cudak vs. Litauen; EGMR v. 18.1.2011 – 2555/03 – Guadagnino vs. Frankreich u. Italien; EGMR v. 29.6.2011 – 34869/05 § 54 – Sabeh El Leih vs. Frankreich; EGMR v. 17.7.2012 – 156/04 – Wallishauser vs. Österreich; BAG, RIW 2017, 611 Rz. 17; Cass. soc., D 2009, 1148 = JCP G 2009 II 10097 m. Anm. Mélin; Cass. soc., Rev. crit. dip. 102 (2013) 179 m. Anm. d’Avout; Martiny, IPRax 2013, 536, 538; Joubert, T.B.H. 2014, 53, 56; R. Wagner, RIW 2014, 260, 261; Dopagne, Clunet 140 (2013), 494, 499 f.; Junker, Internationales Zivilprozessrecht, 4. Aufl. 2019, § 4 Rz. 3; Mankowski, WuB 2018, 187, 188; Hess, IPRax 2018, 351, 352 f. sowie Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 561, 571; Hauser, BKR 2019, 333, 335. 88 Laazouzi, Rev. crit. dip. 103 (2014) 118, 123. 89 EuGH v. 15.2.2007 – C-292/05, ECLI:EU:C:2007:102 Rz. 46 – Irini Lechouritou vs. Bundesrepublik Deutschland; Magniez, EuLF 2007, I 94, 95; Carnerero Castilla, AEDIPr 2007, 899, 901.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich heitspolitik von Staaten verknüpft zeigen.90 Dies ist nicht davon beeinflusst, ob der betreffende Akt rechtmäßig oder rechtswidrig ist.91 Die Qualität als souveränes Handeln wird von der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit nicht beeinflusst.92 Die Prüfung der Rechtswidrigkeit kann keine Vorfrage für die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO sein, weil darunter die Rechtssicherheit zu stark leiden würde.93 Zudem ist die Feststellung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit gerade zentraler Gegenstand des gesamten Verfahrens.94 Umso weniger spielt Territorialität eine Rolle, die in extremer Konsequenz dazu führen würde, dass staatliches Handeln außerhalb der eignen Grenzen nie hoheitlich sein könnte.95 20
Sofern ausnahmsweise doch Konfliktlagen zwischen Immunität und Brüssel Ia-VO auftreten sollten, sind diese auf Grund völkerrechtsfreundlicher Auslegung der Brüssel Ia-VO zugunsten der Staatenimmunität aufzulösen.96 Es geht jedenfalls nicht an, Menschenrechtsverletzungen immer als Zivilund Handelssachen zu qualifizieren, um deren gerichtliche Verfolgung zumindest vor Zivilgerichten zu erlauben.97 Vielmehr ist auch für Menschenrechtsverletzungen98 genau zwischen dem Handeln Privater und dem hoheitlichen Handeln von (ausländischen) Staaten zu unterscheiden; die acta iure imperii-Grenze gilt auch dort.99 Solange das Völkerrecht keine Durchbrechung dieser Grenze und damit eine Immunitätsausnahme zumindest für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen kennt, folgt dem die VO. Kohärenz obwaltet.100 c) Arbeitssachen
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Ihre praktisch größte Bedeutung haben Immunitätsfragen in Arbeitssachen.101 Es gilt: Wenn der Arbeitnehmer in seiner Tätigkeit Teil hat an der Ausübung von Souveränität seitens des einstellenden Staates, so genießt der Staat im Innenverhältnis zum Arbeitnehmer Immunität.102 Ausländische Staa90 EuGH v. 15.2.2007 – C-292/05, ECLI:EU:C:2007:102 Rz. 37 – Irini Lechouritou vs. Bundesrepublik Deutschland. 91 EuGH v. 15.2.2007 – C-292/05, ECLI:EU:C:2007:102 Rz. 43 – Irini Lechouritou vs. Bundesrepublik Deutschland; GA Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussanträge v. 8.11.2006 in der Rs. C-292/05, ECLI:EU:C:2006:700 Rz. 64; Gärtner, German L.J. 8 (2007) 417, 436 f.; Dutta, ZZP Int 11 (2006) 202, 215. 92 GA Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussanträge v. 8.11.2006 in der Rs. C-292/05, ECLI:EU:C:2006:700 Rz. 64; Spiegel, NIPR 2007, 340, 341 f.; Czempiel, 5. Kap. § 5 V. 93 Dutta, ZZP Int 11 (2006) 202, 215. 94 EuGH v. 15.2.2007 – C-292/05, ECLI:EU:C:2007:102 Rz. 43 – Irini Lechouritou vs. Bundesrepublik Deutschland; Geimer, IPRax 2008, 225. 95 GA Ruiz-Jarabo Colomer, ECLI:EU:C:2006:700 Rz. Schlussanträge v.67; Gärtner, German L.J. 8 (2007) 417, 432 f. 96 Dutta, AöR 133 (2008) 191, 197. 97 Dafür Cassaz., Foro it. 2008, 1568; Cassaz., Riv. dir. int. 2008, 896; Cassaz., riv dir int 2009, 618; G Fischer, FS Walter Remmers (1995) 447; Kessedjian, Trav. Com. fr. DIP 2002–2004, 151, 159, 162; Halfmeier, RabelsZ 68 (2004) 653; Gattini, (2005) 3 J Int Crim L 224; de Sena/de Vittor, (2005) 16 Eur J Int L 89; Focarelli (2005) 54 ICLQ 951; Focarelli, 103 Am J Int’l L 122 (2009). 98 Zu Zuständigkeitsfragen bei zivilrechtlichen Haftungsklagen wegen Menschenrechtsverletzungen unter der Brüssel Ia-VO Mankowski in von Hoffmann (Hrsg.), Universalität der Menschenrechte (2009) 139, 173–181; für eine durch Art. 6 Abs. 1 EMRK gerechtfertigte Notzuständigkeit nach dem Weltrechtsprinzip Mankowski in von Hoffmann (Hrsg.), Universalität der Menschenrechte (2009) 139 184–189. 99 Deutlich IGH v. 3.2.2012 – Deutschland vs. Italien (Griechenland als Intervenient), ICJ Rep. 2012, 99 = ILM 2012, 659 = Rev gén dr int public 2012, 396 m. Anm. Hoeffner; Cass. Rev. crit. dip. 94 (2005) 80; App. Torino, Riv. dir. int. 2012, 916; Trib. Firenze, Riv. dir. int. 2012, 583; aus der Diskussion z.B. Tomuschat 44 Vand J Trans L 1105 (2011); Gattini, Leiden J Int L 24 (2011) 173; Conforti, Ital Yb Int L 21 (2011) 135; Espósito, Ital Yb Int L 21 (2011) 161; Espósito, JIDS 2013, 439; Laval, 58 Am J Int’l L 147 (2012); Hess, IPRax 2012, 201; Ciampi, Riv. dir. int. 2012, 374; Kloth/M Brunner, ArchVR 2012, 218; Ciampi, Riv. dir. int. 2012, 374; P. C. Bornkamm, German L.J. 13 (2012) 773; Payandeh, JZ 2012, 949; Serranò, Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 617; Krajewski/C Singer, Max Planck Yb UN L 16 (2012) 1; van Alebeek, German Yb Int L 55 (2012) 281; Barker, (2013) 62 ICLQ 741; Mora, Can Yb Int L 2012, 243; Kolb/Jardim Oliveira, SZIER 2013, 243; Blanke/Falkenberg, German L.J. 14 (2013) 1817; Boschiero, Essays in Honor of Tullio Treves (2013) 781; Steger, Staatenimmunität und Kriegsverbrechen (2013); A. Bucher, SZIER 2014, 553; Vrellis, FS Nikolaos Klamaris Bd. II (2016) 875. 100 Vgl. R. Wagner, RIW 2013, 851, 856. 101 Eingehend z.B. Majer, NZA 2010, 1395.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
ten können in ihren diplomatischen Vertretungen, also Botschaften und Konsulaten, Arbeitgeber sein, sowohl für entsandte Kräfte als auch für im Empfangsstaat rekrutierte Ortskräfte. Die Immunitätsgrenze in den Streitigkeiten zwischen den Arbeitnehmern und dem sie einstellenden ausländischen Staat verläuft nicht nach der rechtlichen Form des Vertrags als privat- oder öffentlich-rechtlich,103 sondern entlang der Wahrnahme hoheitlicher Tätigkeit durch die Arbeitnehmer; handelt der Arbeitnehmer im Außenverhältnis iure gestionis für den Staat, so besteht im Innenverhältnis keine Immunität.104 Art. 11 UN-Übk. über Staatenimmunität vom 2.12.2004 bietet eine völkergewohnheitsrechtliche Stütze.105 Er hebt allerdings nicht ausschließlich auf die Art der Tätigkeit ab, sondern kombiniert diese mit anderen Momenten.106 Fahrer,107 Haustechniker108 und Aufzugsmonteure109 nehmen keine hoheitliche Tätigkeit wahr; deshalb kann der arbeitgebende Staat sich ihnen gegenüber nicht auf Immunität berufen. Diplomaten, Kryptographen, Militärattachés und Geheimdienstmitarbeiter dagegen sind in hoheitlichen Angelegenheiten tätig,110 außerdem Pressesprecher,111 Finanz/Haushaltsverwalter112 und Visasachbearbeiter.113 Für Lehrer werden Differenzierungen gemacht. Lehrer an nur angeschlossenen Einrichtungen (z.B. dem Institut Français in Berlin) sollen nicht hoheitlich agieren,114 entsandte Kräfte an Schulen gezielt für Schüler aus dem Entsendestaat dagegen doch.115 Der Unterricht an einer Schule, welche der Empfangsstaat als Privatschule anerkennt mit dem Entsendestaat als beliehenem Träger, ist jedoch keinesfalls eine hoheitliche Tätigkeit.116 Für die Abgrenzung spielt keine Rolle, ob der Arbeitnehmer Beamter ist oder nicht. Denn anderenfalls würde man die Immunität akzessorisch abhängig machen von Verbeamtungsrecht und -praxis des einstellenden Staates.117 Selbst wenn es Gerichtsstandsklauseln gibt, welche eine ausschließliche Zuständigkeit von Gerichten oder Stellen im Entsendestaat festschreiben, schlägt dies nicht durch, sondern muss sich mit Blick auf Art. 25 Brüssel Ia-VO der Entscheidung in der Immunitätsfrage beugen.118 Zu weit ginge allerdings, aus dem Arbeitnehmerschutz als erklärter europäischer Politik der Art. 20–23 Brüssel Ia-VO wegen Spezialität und Partikularität des EU-Rechts dessen Vorrang vor dem Völkerrecht konstruieren zu wollen.119 Im Gegenteil respektiert die Brüssel Ia-VO das Völkerrecht und ist deshalb im Fall eines drohenden Konflikts völkerrechtskonform auszulegen.120 102 Siehe nur Pingel, Clunet 130 (2003) 1115; Pataut, Rev. crit. dip. 102 (2013) 223, 225. 103 BAG v. 1.7.2010 – 2 AZR 270/09, IPRax 2013, 576, 577; BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 741/13 [18]. 104 Siehe nur Cass. soc. Clunet 139 (2012) 1394 m. Anm. El Sawah; BAG, RIW 2014, 691 Rz. 18. Zweifelnd, ob die Unterscheidung acta iure gestionis/acta iure imperii in Arbeitssachen passt, Spiegel, Vreemde staten voor de Nederlandse rechter (2001) 59–67; Xiaodong Yang, State Immunity in International Law (2012) 132–134; de Boer, NedJur 2013 Nr. 334 S. 3723, 3724. 105 EGMR v. 23.3.2010 – 15869/02 § 66 – Cudak vs. Litauen = JCP G 2010.395 m. Anm. Picheral = JCP G 2010.859 m. Anm. Sudre; EGMR v. 18.1.2011 – 2555/03 – Guadagnino vs. Frankreich u. Italien; EGMR v. 29.6.2011 – 34869/05 § 54 – Sabeh El Leih vs. Frankreich = Clunet 139 (2012) 1040 m. Anm. Levivie = Procédures 2011 comm. 266 m. Anm. Fricero = JCP G 2011, 1509 m. Anm. Sudre; LAG Nürnberg v. 25.9.2013 – 2 Sa 253/12 Rz. 92; d’Avout, Rev. crit. dip. 102 (2013) 182, 187; Dopagne, Clunet 140 (2013) 494, 500 f. 106 de Boer, NedJur 2013 Nr. 334 S. 3723. 107 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 53-56 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; BGE 120 II 400; s. aber auch BAG v. 1.7.2010 – 2 AZR 270/09, IPRax 2013, 576, 577 f. 108 BAGE 113, 327, 331. 109 BAGE 87, 144, 159. 110 Hessisches LAG, IPRspr. 2011 Nr. 177 S. 436 f. 111 BAG, AP § 20 GVG Nr. 2. 112 Hessisches LAG, IPRspr. 1998 Nr. 134. 113 BAG, AP § 20 GVG Nr. 3. 114 LAG Berlin, IPRax 2001, 144. 115 LAG Düsseldorf, IPRspr. 2011 Nr. 179 S. 438 f.; LAG Hamm, IPRspr. 2011 Nr. 180 S. 442 f. 116 BAG, NJW 2013, 1461; BAG v. 14.2.2013 – 3 AZB 5/12, NZA 2013, 468; BAG, NJOZ 2013, 1835; BAG, EzA § 20 GVG Nr. 8; LAG Nürnberg v. 25.9.2013 – 2 Sa 253/12 Rz. 82–88. 117 Mankowski, IPRax 2001, 123, 125. 118 Nino, Giur. it. 2013, 1841, 1845. 119 So aber Nino, Giur. it. 2013, 1841, 1845 f. 120 Migliorini, Riv. dir. int. 2012, 1089, 1101.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich d) Staatsanleihen und spätere Eingriffe des schuldnerischen Staates 23
Staatsanleihen als solche haben nichts spezifisch Hoheitliches und sind nicht iure imperii, sondern iure gestionis.121 Anleihen könnte theoretisch jeder Private begeben.122 Dass das über die Anleihen erlöste Fremdkapital staatlichen Zwecken und dem öffentlichen Wohl zugeführt wird, ändert den Charakter der Handlungsform Staatsanleihe nicht. Nachlaufende Ereignisse ändern an der Qualifikation nichts.123
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Staaten haben indes eine Möglichkeit, die Privaten nicht zu Gebote steht: Sie können versuchen, sich durch eigenen Eingriff von ihrer Anleiheschuld zu befreien. Sie können durch legislative Enteignung ihrer Gläubiger ihre eigenen Schulden aus der Welt zu schaffen versuchen.124 Betont man das formell hoheitliche Gewand des Eingriffs, namentlich eines formellen Gesetzes, so wäre jeder Eingriff durch Gesetz oder anderen formellen Hoheitsakt ein actum iure imperii.125 Damit würde man jedoch Form über Inhalt stellen.126 Man würde es damit dem schuldnerischen Staat zu leicht machen und zu starke Anreize setzen, sich durch Wahl eines formell passenden Instruments zu lösen. Eine „überholende Immunität“ gibt es ebenso wenig wie eine „Selbstimmunisierung“.127
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Art. 10 Abs. 1 UN-Übk. über Staatenimmunität vom 2.12.2004 lautet: „If a State engages in a commercial transaction with a foreign natural or juridical person and, by virtue of the applicable rules of private international law, differences relating to the commercial transaction fall within the jurisdiction of a court of another State, the State cannot invoke immunity from that jurisdiction in a proceeding arising out of that commercial transaction.“ Diese Richtschnur ist zu beachten,128 nicht zu ignorieren.129 Das UN-ImmÜbk hat (mindestens) Indizcharakter für das nationale Immunitätsverständnis130 und das Verständnis von acta iure imperii. Es herrscht ein enges Immunitätsmodell, demzufolge erforderlich ist, dass die Souveränität des Staates materiell berührt ist.131 Diese sachlichen Maßstäbe sind auch bei Abs. 1 S. 2 zu beachten.
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Ob die Brüssel Ia-VO sachlich eröffnet ist oder nicht, stellt – sofern die Hürde Immunität denn überwunden sein sollte – nur die Weichen für das Regime, das über die internationale Zuständigkeit entscheidet. Wenn sie wegen Abs. 1 S. 2 nicht eröffnet ist, kommt das nationale IZPR des jeweiligen Fo121 Siehe nur EuGH v. 11.6.2015 – verb. Rs. C-226/13, C-245/13, C-247/13, C-578/13, ECLI:EU:C:2015:383 Rz. 53 – Stefan Fahnenbrock u.a. vs. Hellenische Republik; BVerfGE 117, 141, 153; BGH v. 8.3.2016 – VI ZR 516/14, IPRax 2017, 370 = WM 2016, 734, 735; östOGH, ÖBA 2014, 879; östOGH, ÖJZ 2016, 164, 165 f.; östOGH, ÖBA 2016, 538; OLG Oldenburg, RIW 2016, 459, 460 m. Anm. M. J. Müller; OLG Köln v. 12.5.2015 – 8 U 44/15, WM 2016, 1590, 1592; M. J. Müller, RIW 2016, 80, 81; Mankowski, EWiR 2016, 285; Kräft, GWR 2016, 189; M. J. Müller, RIW 2016, 464; M. J. Müller, NJW 2016, 1662; S. Arnold/Garber, ZZP Int 20 (2015) 171, 185; S. Arnold/Garber, ÖJZ 2017, 124; Kuypelants, Sovereign Defaults before Domestic Courts (2018) Rz. 3.11–3.13; Vogl, EWiR 2019, 95, 96; Hubcheva, ZFR 2019, 123. 122 Siehe nur Baars/Böckel, ZBB 2004, 445, 452; Garber, ÖJZ 2016, 167; Mankowski, WuB 2017, 292, 293. 123 Thole, WM 2012, 1793, 1794; Garber, ÖJZ 2016, 167; Mankowski, WuB 2016, 617, 618; Mankowski, WuB 2017, 292, 293. 124 Treffend Markus, SZIER 2019, 67, 72. 125 BGH v. 19.12.2017 – XI ZR 796/16, IPRax 2018, 401 = WM 2018, 223; OLG Schleswig v. 7.7.2016 – 5 U 84/15, IPRax 2017, 386 = WM 2017, 285; OLG München v. 17.11.2016 – IX ZR 65/15, NZG 2017, 310; M. Arndt, jurisPR-BKR 8/2015 Anm. 2 sub C; Kehrberger, EuZW 2019, 90, 91. 126 Vgl. EuGH v. 11.6.2015 – verb. Rs. C-226/13, C-245/13, C-247/13, C-578/13, ECLI:EU:C:2015:383 Rz. 56 – Stefan Fahnenbrock u.a. vs. Hellenische Republik. 127 Siehe nur M. J. Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger (2015) 190–192; M. J. Müller, RIW 2016, 80 f. 128 Hess, IPRax 2018, 351, 352–354. 129 Dafür aber BGH v. 19.12.2017 – XI ZR 796/16, IPRax 2018, 401 = WM 2018, 223 Rz. 31. 130 EGMR v. 23.3.2010 – 15869/02 § 66 – Cudak vs. Litauen; EGMR v. 18.1.2011 – 2555/03 – Guadagnino vs. Frankreich u. Italien; EGMR v. 29.6.2011 – 34869/05 § 54 – Sabeh El Leih vs. Frankreich; EGMR v. 17.7.2012 – 156/04 – Wallishauser vs. Österreich; BAG, RIW 2017, 611 Rz. 17; Cass. soc., D 2009, 1148 = JCP G 2009 II 10097 m. Anm. Mélin; Cass. soc., Rev. crit. dip. 102 (2013) 179 m. Anm. d’Avout; Martiny, IPRax 2013, 536, 538; Joubert, T.B.H. 2014, 53, 56; R. Wagner, RIW 2014, 260, 261; Dopagne, Clunet 140 (2013), 494, 499 f.; Junker, Internationales Zivilprozessrecht (4. Aufl. 2019) § 4 Rz. 3; Mankowski, WuB 2018, 187, 188; Hess, IPRax 2018, 351, 352 f. sowie Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2015) Rz. 561, 571. 131 Pataut, Rev. crit. dip. 102 (2013) 223, 225 f.; Mankowski, RdA 2018, 181, 182.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
rumstaats zum Zuge.132 Institutionelle Gläubiger können sich dies für zukünftige Anleihen sogar zunutze machen, indem sie darauf drängen, in die Anleihebedingungen eine Immunitätsverzichtsklausel aufzunehmen.133 Damit würden die Gläubiger die Immunitätshürde nehmen können und stünden dann vor den nationalen Zuständigkeitsregimes einschließlich deren exorbitanter Gerichtsstände (die Art. 5 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ausschlösse).134 Soweit man bereit ist, dem Anleiheschuldnerstaaten für seine späteren hoheitlichen Eingriffe in seinen Anleiheschuld Immunität zuzugestehen, ist der Weg dorthn allerdings bereits auf einer dem Zuständigkeitsregime vorgelagerten Stufe effektiv versperrt.135 Eingriffsgesetze von Anleiheschuldnerstaaten müssen sich richtigerweise in der Begründetheit durch den engen Filter einer Sonderanknüpfung nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO zwängen.136 Die Gesetzgebung des schuldnerischen Staates ist insoweit nur eine Frage der Begründetheit, die sich genauso stellen würde, wenn ein beliebiger Privater Anleiheschuldner wäre137 (übrigens schon aus Gleichbehandlungsgründen, weil es sich bei einem legislativen Eingriff in vertragliche Verpflichtungen des Staates z.B. aus einem Arbeitsverhältnis genauso verhielte138). Insoweit geht es um Rechtsschutz des Vertragspartners und einen möglichen Vertragsbruch, wenn auch mit eigenen legislativen Mitteln des Schuldnerstaates.139 Wer „privat“ als Anleiheschuldner begonnen hat, kann nicht selber nachträglich die Regeln ändern.140 Für den Rechtsschutz des Vertragspartners darf es keine Rolle spielen, mit welchen Handlungsmitteln der Staat seine vertragliche Verpflichtung bricht.141 Selbstnützige Legislativeingriffe sind nicht zu prämieren.142 Schuldenschnitt und das Vermeiden eines Staatsbankrotts (sowie – im Sonderfall Griechenlands – eines Zusammenbruchs der Euro-Zone143) als verfolgte Ziele gehören jedenfalls erst in die Begründetheit, als mögliche Eingriffsrechtfertigungen.144
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e) Haftung internationaler Organisationen Abs. 1 S. 2 a.E. nimmt in seinem Wortlaut nur die Haftung des Staates für hoheitliches Handeln aus. Internationale Organisationen aber erwähnt er nicht. Auch bei ihnen erfolgt richtigerweise eine Anlehnung an die Immunitätsmaßstäbe des Völkerrechts. Denn es wäre sehr verwunderlich, wenn hier entgegen dem Völkerrecht und in Verletzung des Völkerrechts durch bloße redaktionelle Unachtsamkeit und fehlendes Augenmerk Immunität versagt würde. Soweit das Völkerrecht ihnen Immunität für ihr delegiertes hoheitliches Handeln gewährt,145 sind internationale Organisationen ausgenom-
132 Mankowski, LMK 2018, 412877; Mankowski, ZIP 2019, 193, 197; M. Weller/S. Walter, BKR 2019, 123, 124; Pfeiffer, IWRZ 2019, 86; Hauser, BKR 2019, 333, 339 sowie östOGH, BKR 2019, 184; östOGH, ecolex 2019/229, 517 m. krit. Anm. Wittich. 133 Pfeiffer, IWRZ 2018, 76, 77; Mäsch, LMK 2018, 405953 sub 3. 134 Mankowski, ZIP 2019, 193, 197; M. Weller/S. Walter, BKR 2019, 123, 124. 135 ÖstOGH, BKR 2019, 148; M. Weller/S. Walter, BKR 2019, 123, 124. 136 Mankowski, WuB 2017, 292, 294; Mankowski, WuB 2018, 187, 188; s. auch Mäsch, LMK 2018, 405953. 137 M. J. Müller, RIW 2016, 80, 81; M. J. Müller, RIW 2016, 464; S. Arnold/Garber, ZZP Int 20 (2015) 171, 186 f.; Mankowski, WuB 2017, 292, 293 sowie Rohrer, ÖJZ 2017, 124. 138 Mankowski, WuB 2018, 187, 188 unter Hinweis auf EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 – Republik Griechenland vs. Grigorios Nikiforidis = RIW 2016, 811 m. Anm. Mankowski. 139 M. Weller/A. Fischer, IWRZ 2016, 172, 173; S. Lorz, Ausländische Staaten vor deutschen Zivilgerichten, 2017, S. 85 sowie M. J. Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger (2015) 396–402. 140 Mankowski, WuB 2017, 292, 294. 141 M. Weller/A. Fischer, IWRZ 2016, 172, 173; S. Lorz, Ausländische Staaten vor deutschen Zivilgerichten (2017) 85. 142 Mankowski, EWiR 2015, 431, 432; Garber, ÖJZ 2016, 167; M. J. Müller, BGH v. 12.4.2016 – XI ZR 305/14, NJW 2016, 2662; Mäsch, LMK 2018, 405953; Vogl, EWiR 2019, 95, 96; Hauser, BKR 2019, 333, 338. 143 Siehe EuGH v. 15.11.2018 – C-308/17, ECLI:EU:C:2018:911 Rz. 40 – Hellenische Republik vs. Leo Kuhn; GA Bot, Schlussanträge v. 4.7.2018 in der Rs. C-308/17, ECLI:EU:C:2018:528 Rz. 71–76 sowie Nourissat, Procédures N° 1, janvier 2019, 13, 14. 144 Siehe EGMR v. 21.7.2016 – 63066/14, 66101/14, 64297/14 – Mamatas et al vs. Greece; D. Paulus, EWiR 2016, 577, 578; Mankowski, WuB 2016, 783; ähnlich Kerber, WM 2019, 1333, 1334; vgl. aber auch Hippeli, jurisPRHaGesR 8/2016 Anm. 4 sub C. 145 Grundlegend Wenckstern, Die Immunität internationaler Organisationen (= Hdb. IZVR II/1) (1994).
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich men. Immunitätsfragen stellen sich von den Vereinten Nationen146 bis zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich für eine Vielzahl von Organisationen ganz unterschiedlichen Zuschnitts. Sie sind jeweils unter Bezugnahme auf Aufgaben und Ausgestaltung der einzelnen beklagten Organisation zu beantworten. Dabei ist die Funktionalität der Organisation das Kriterium, nicht die für Staaten hergebrachte Unterscheidung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis.147 Jedenfalls ist ihre Haftung nicht per se aus dem sachlichen Anwendungsbereich der VO ausgegrenzt.148 Achtung und Immunität sind geboten, wenn anders die garantierte Funktion der betreffenden internationalen Organisation konkret nicht gewährleistet wäre.149 4. Ausgrenzung öffentlich-rechtlicher Sachen 29
Die Brüssel Ia-VO erfasst nur Zivil- und Handelssachen. Damit grenzt sie öffentlich-rechtliche Sachen aus ihrem sachlichen Anwendungsbereich aus.150 Abs. 1 S. 2 nennt die wichtigsten Beispielsfälle für ausgegrenzte Materien. Öffentlich-rechtliche Materien sind anders gelagert. Sie berühren das Souveränitätsverhältnis zwischen einem Staat und seinen Einwohnern, den seinem Recht Unterworfenen.151 Sie berühren Hoheitsrechte und hoheitliches Handeln. Zudem vollzieht sich öffentlich-rechtliches Handeln gemeinhin nicht durch Gerichte, sondern durch Verwaltungsbehörden. Dies ist ein anders gelagerter Mechanismus.
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Allerdings verzichtet Abs. 1 bewusst darauf, den Terminus „öffentlichrechtlich“ zu verwenden, denn dieser ist in den Mitgliedstaaten unterschiedlich zugeschnitten und hat keinen einheitlichen Inhalt.152 Die private-public divide an sich ist aber ein altbekanntes Phänomen, das in seiner Wurzel bis auf Ulp. 1.1.2 zurückgeht.153 Die positive Eingrenzung auf Zivil- und Handelssachen leistet deshalb im Ergebnis gleiche Dienste, indem sie einen Gegenbegriff zum öffentlichen Recht zum Tatbestandsmerkmal hat. Für Rechtsanwender, deren heimische Rechtsordnung die Unterscheidung kennt, ist Abs. 1 S. 2 weitgehend deklaratorisch, dagegen nicht für Rechtsanwender, deren heimische Rechtsordnung die Unterscheidung nicht kennt.154 Im Hintergrund steht die grundsätzliche Nichtanwendung öffentlichen Rechts außerhalb seines Erlassstaates.155 Daraus folgt wiederum die mangelnde extraterritoriale Durchsetzbarkeit öffentlichen Rechts im Ausland. Diese besteht im Grundsatz fort und ist keineswegs ein überholtes Axiom,156 sondern gängige Praxis.
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Der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO wird im Wesentlichen nach der Natur der zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Rechtsbeziehungen oder durch den Gegenstand des Rechtsstreits abgegrenzt.157 Eine Differenzierung des Maßstabs, je nachdem, ob es sich um einen Aktiv146 Siehe nur IGH v. 26.2.2007 – Bosnia-Herzegovina vs. Serbia and Montenegro, ICJ Rep. 2007, 18; EGMR v. 11.6.2013 – Association Mothers of Srebrenica vs. Netherlands; Papa, Diritti umani e dir int 2014, 27; Andreoli, Riv. dir. int. 2014, 443. 147 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 63 f.; Anne Peters, SZIER 2011, 307, 413 f. 148 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 66 f. 149 Siehe GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 68 mit Rz. 65. 150 GA Szpunar, Schlussanträge v. 23.4.2020 in der Rs. C-73/19, ECLI:EU:C:2020:297 Rz. 19. 151 Mankowski, NZA 2009, 584, 585. 152 Siehe Heß, IPRax 1994, 10; Knöfel, GPR 2015, 251 (251 f.). 153 Hess, RdC 388 (2016) 49, 71. 154 Muir Watt/Pataut, Rev. crit. dip. 97 (2008) 61, 75. 155 Muir Watt/Pataut, Rev. crit. dip. 97 (2008) 61, 75. 156 A.A. Schlosser, Rec. des Cours 284 (2000) 9, 330; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3; Soltész, 167 ff.; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 1; NomosKommentar BGB/Knöfel, Art. 1 Rom II-VO Rz. 20. 157 Siehe nur EuGH v. 15.2.2007 – C-292/05, ECLI:EU:C:2007:102 Rz. 30 – Irini Lechouritou vs. Bundesrepublik Deutschland; EuGH v. 18.10.2011 – C-406/09, ECLI:EU:C:2011:668 Rz. 39 – Realchemie Nederland BV vs. Bayer CropScience AG; EuGH v. 11.4.2013 – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 Rz. 32, IPRax 2014, 167 – Land Berlin vs. Ellen Mirjam Sapir; EuGH v. 12.9.2013 – C-49/12, ECLI:EU:C:2013:545 Rz. 33, IPRax 2015, 84 – The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs vs. Sunico ApS; EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 26 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA; EuGH v. 22.10.2015 – C-523/14, ECLI:EU:C:2015:722 Rz. 30 – Aannemingsbedrijf Aertssen NV u. Aertssen Terrassements SA vs. VSB Machineverhuur BV, Van Sommeren Bestra-
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
oder um einen Passivprozess des Staates handelt, ist schon aus Gründen der Waffengleichheit nicht angezeigt, um die Privilegierung des Stärkeren nicht noch weiter zu verstärken.158 Vielmehr weisen Art. 47 GRC; Art. 6 EMRK als unionsgrund- und menschenrechtliche Fundierung deutlich in die gegenteilige Richtung.159 Grundsätzlich sind die Grundlage der Klage und die Modalitäten der Klagerhebung zu ermit- 32 teln.160 Die Grenzziehung ist wegen der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte und der Regelungsmaterien schwierig,161 namentlich angesichts immer neuer Grauzonen und Akzentverschiebungen durch Verflechtungen von Staat und Markt.162 Ein enges Verständnis des Öffentlich-rechtlichen und korrespondierend ein weites Verständnis der Zivil- und Handelssachen163 könnten integrationsfördernd wirken, weil sie zu einem weiten Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO führen.164 Ob das europäische IZVR funktionell auf den Sachverhalt zugeschnitten sei,165 formuliert die Fragestellung nur um und entbindet nicht davon, ausfüllende Wertungen und Aspekte zu gewinnen. Eine Differenzierung zwischen Kernbereich und Außenbereich der Zivil- und Handelssachen als erste Analysestufe erscheint sinnvoll und weiterführend.166 Eine Streitsache ist dann öffentlich-rechtlicher Natur und keine Zivilsache, wenn der geltend ge- 33 machte Klaganspruch seinen Ursprung in einer genuin hoheitlichen Tätigkeit hat.167 Es zählt die Substanz, nicht das Gewand; eine formell zivilrechtliche Klage kann einen hoheitlichen Ursprung nicht erfolgreich verschleiern.168 Gefordert ist eine negative Ab- und Ausgrenzung hoheitlichen Handelns: Die Brüssel Ia-VO ist dann anwendbar, wenn nicht hoheitlich gehandelt wird.169 Hoheitlich ist nicht bereits alles, was irgendeinen Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse auf-
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ting BV u. Jos van Sommeren; EuGH v. 28.7.2016 – C-102/15, ECLI:EU:C:2016:607 Rz. 31 – Siemens Österreich AG vs. Gazdasági Versenyhivatal; EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 32 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale; GAin Kokott, Schlussanträge v. 7.7.2016 in der Rs. C-417/15, ECLI:EU:C:2016:535 Rz. 27. Knöfel, FS Ulrich Magnus (2014) 459, 467; Knöfel, GPR 2015, 251, 254 sowie Thorn, BerDGesVR 44 (2010) 305, 327. Knöfel, GPR 2015, 251, 256. EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00, ECLI:EU:C:2002:656 Rz. 31 – Gemeente Steenbergen vs. Luc Baten; EuGH v. 22.5.2003 – C-266/01, ECLI:EU:C:2003:282 Rz. 23 – Préservatrice foncière TIARD SA vs. Staat der Nederlanden; EuGH v. 11.4.2013 – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 Rz. 34 – Land Berlin vs. Ellen Mirjam Sapir, IPRax 2014, 167; EuGH v. 12.9.2013 – C-49/12, ECLI:EU:C:2013:545 Rz. 35 – The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs vs. Sunico ApS; EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 34 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn; EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 48 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o.; EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 35 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale; GAin Kokott, Schlussanträge v. 3.7.2014 in der Rs. C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2046 Rz. 23. Dietze, EuZW 2013, 506; Dietze, EuZW 2013, 830, 831. Knöfel, GPR 2015, 251, 252. Dafür C. Kohler, IPRax 2015, 52, 53; Knöfel, GPR 2015, 251, 254. S. Arnold, ZEuP 2012, 315; S. Arnold, LMK 2013, 352012. Darauf stellt S. Arnold, ZEuP 2012, 315, 317 f.; S. Arnold, LMK 2013, 352012 ab. Knöfel, GPR 2015, 251, 254 f. EuGH v. 16.12.1980 – 814/79, ECLI:EU:C:1980:291 Rz. 8 – Niederlande vs. Reinhard Rüffer; EuGH v. 1.2.2002 – v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 Rz. 26 – Verein für Konsumenteninformation vs. Karl Heinz Henkel; EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00, ECLI:EU:C:2002:656 Rz. 30 – Gemeente Steenbergen vs. Luc Baten; EuGH v. 15.2.2007 – C-292/05, ECLI:EU:C:2007:102 Rz. 31 – Irini Lechouritou vs. Bundesrepublik Deutschland; EuGH v. 11.4.2013 – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 Rz. 33 – Land Berlin vs. Ellen Mirjam Sapir; EuGH v. 12.9.2013 – C-49/12, ECLI:EU:C:2013:545 Rz. 34 – The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs vs. Sunico ApS, 39; EuGH v. 15.11.2018 – C-308/17, ECLI:EU:C:2018:911 Rz. 34 – Hellenische Republik vs. Leo Kuhn; EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 49 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o.; EuGH v. 5.12.2019 – C-421/18, ECLI:EU:C:2019:1053 Rz. 22 – Ordre des avocats du barreau de Dinant vs. JN; GAin Kokott, Schlussanträge v. 11.4.2013 in der Rs. C-49/12, ECLI:EU:C:2013:231 Rz. 42, 46; Hoge Raad, Ned. Jur. 2005 Nr. 347 S. 2669; A-G Strikwerda, Ned. Jur. 2005 Nr. 347 S. 2665, 2667; Trenk-Hinterberger, EuLF 2003, 87, 89; Vlas, Ned. Jur. 2005 Nr. 347 S. 2670. Czempiel, 5. Kap. § 3 I. Dietze, EuZW 2013, 506.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich weist.170 Gefordert ist vielmehr, dass die konkret anspruchsauslösende Handlung eine Wahrnehmung und Ausübung hoheitlicher Befugnisse darstellt.171 Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach dem anwendbaren nationalen Recht des agierenden Staates; das muss das Gericht ermitteln.172 Eine Beschränkung der Suche nach acta iure imperii allein auf die Staatshaftung wäre einengend. Die Haftung kann man als exemplarisch genannt ansehen und sich insoweit auf das „insbesondere“ im Wortlaut des Abs. 1 S. 2 berufen.173 33a
Unionsrecht soll jedoch im Ergebnis nicht determinieren, wann Gerichte als solches erkanntes qualifiziert staatliches Handeln anderer Mitgliedstaaten beurteilen sollen.174 Für die Ausübung von Polizeigewalt, das Erheben von Steuern und Abgaben, Enteignungen und Staatshaftung passt die auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse zugeschnittene Brüssel Ia-VO nicht.175 Teilweise wird ein Induktionsschluss nach dem eiusdem generis-Prinzip aus Gemeinsamkeiten der Ausnahmetatbestände in Abs. 2 als methodisches Vorgehen vorgeschlagen.176
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Abs. 1 S. 2 nennt ausdrücklich Steuersachen177 und Zollsachen178 sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Diese Aufzählung ist aber nicht abschließend, sondern nur illustrativ und exemplarisch.179 Sie soll Zweifel vermeiden180 und dient der Klarstellung, weil namentlich die common lawStaaten in ihrem nationalen Recht keine strikte Grenzlinie zwischen Zivilrecht und öffentlichem Recht kennen181 und das Steuerrecht zum private law schlagen.182 Eine funktionelle Abgrenzung nach Über/ Unterordnungsverhältnissen erscheint als Grundansatz richtig, obwohl sich ein echter Rückgriff auf die Gedankenwelt der deutschen §§ 13 GVG; 40 VwGO zur Konkretisierung im Detail natürlich verbietet.183
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Da Abs. 1 alle Arten der Gerichtsbarkeit erfasst, spielt auch die internrechtlich bedeutsame Abgrenzung zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten und Gerichtszweigen keine Rolle.184 Dagegen ist die Abgrenzung zwischen den Souveränitätssphären verschiedener Staaten bedeutsam, da insoweit mangelnde Durchsetzung ausländischer öffentlich-rechtlicher Forderungen einerseits und staatliche Immunität andererseits hineinspielen.185 Wegen unionsautonomer Begriffsbildung sollte es nur auf Funktionalität ankommen, nicht auf die internrechtliche Qualifikation im Recht des betreffenden Mitgliedstaats, ob dieser etwas z.B. dem Steuer- bzw. Zollrecht oder dem Schadensersatzrecht zuordnet.186 170 GAin Kokott, Schlussanträge v. 11.4.2013 in der Rs. C-49/12, ECLI:EU:C:2013:231 Rz. 46; S. Arnold/Garber, ZZP Int 20 (2015) 171, 193. 171 EuGH v. 14.10.1976 – 29/76, ECLI:EU:C:1976:137 Rz. 4 – LTU Lufttransportunternehmen GmbH & Co KG vs. Eurocontrol; EuGH v. 16.12.1980 – 814/79, ECLI:EU:C:1980:291 Rz. 15 – Niederlande vs. Reinhard Rüffer; EuGH v. 15.2.2007 – C-292/05, ECLI:EU:C:2007:102 Rz. 41 – Irini Lechouritou vs. Bundesrepublik Deutschland; EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 30 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA; EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 33 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale; GAin Kokott, Schlussanträge v. 11.4.2013 in der Rs. C-49/12, ECLI:EU:C:2013:231 Rz. 46. 172 EuGH v. 5.12.2019 – C-421/18, ECLI:EU:C:2019:1053 Rz. 22 – Ordre des avocats du barreau de Dinant vs. JN. 173 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 78. 174 C. Kohler, IPRax 2015, 52, 55. 175 C. Kohler, IPRax 2015, 52, 55. 176 Toader, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 515, 521; GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 58. 177 Dazu Arenas García, La Ley Unión Europea 1 de diciembre 2013, 29; Arenas García, REDI 2014-1, 259. 178 Dazu Vismara, Riv. dir. int. priv. proc. 2019, 114. 179 Siehe nur GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 57; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 8 (2016). 180 EuGH v. 22.5.2003 – C-266/01, ECLI:EU:C:2003:282 Rz. 38 – Préservatrice foncière TIARD SA vs. Staat der Nederlanden; Dickinson (2018) 14 JPrIL 1, 5. 181 Huet, Clunet 131 (2004) 646, 649; Lehmann, ZZP Int 9 (2004) 172, 174; Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 12. 182 Bericht Schlosser, ABl. EWG 1979 C 51/83 Nr. 24; C. Kohler, IPRax 2015, 52, 54. 183 Ähnlich Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 27 f. 184 M. Lehmann, ZZP Int 9 (2004) 172, 175 f. 185 Vgl. M. Lehmann, ZZP Int 9 (2004) 172, 176 f.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Das Unionsrecht stellt den autonomen Obersatz und dessen Begrifflichkeit, das nationale Recht 36 steuert nur die Ausformungsbasis für den Untersatz bei, und die Subsumtion ist wieder europäisch.187 Jede am internen Recht orientierte Qualifikation würde Wertungsprobleme aufwerfen, zuallererst bei jenen Mitgliedstaaten, die in ihrem internen Recht öffentliches Recht nicht trennscharf abgrenzen, sondern als Sondermaterie erst allmählich aus dem allgemeinen Recht herauszulösen beginnen, zuvörderst dem Vereinigten Königreich und Irland.188 Ein privatrechtlicher Gedanke des Schadensausgleichs soll aber auch im Verhältnis zwischen Fiskus und Bürger für Betrugsfälle (z.B. bei einem Umsatzsteuerkarussell) passen.189 Autonome Auslegung muss sich nicht notwendig vollkommen lösen,190 sondern kann in Rückkopplung mit nationalem Recht geschehen.191 Andererseits darf sie sich nicht doch entgegen ihrer eigenen Prämisse letztlich von einem bestimmten nationalen Recht dominieren lassen.192 Eine Behörde wird bei hoheitlichem Ursprung ihrer Zuständigkeit nicht zur beliebigen Privatperson, gleich welcher Handlungsform sie sich bedient.193 Als Faustformel lässt sich sagen: Klagen zwischen Privaten werden durch Abs. 1 in aller Regel nicht 37 ausgegrenzt, da Private prinzipiell keine Hoheitsrechte haben.194 Das gilt selbst dann, wenn hoheitliche Maßnahmen eines Staates Einfluss auf den Inhalt der Beziehung zwischen den Privaten haben.195 Sofern andere ausnahmsweise Hoheitsrechte für den Staat ausüben dürfen, handeln sie gemeinhin nicht als Private.196 Die formelle Natur einer Belehnung durch förmlichen Verwaltungsakt aber verleiht dem Beliehenen nicht per se delegierte Hoheitsbefugnisse, wenn sich seine Tätigkeit in einem nichthoheitlichen Bereich bewegt.197 Handeln für den Staat ist nicht automatisch hoheitliches Handeln,198 ebenso wenig Handeln im Interesse eines Staates.199 Z.B. kann, gerade im Lichte der Ausnahme des Art 51 AEUV, ein Zertifizierer nicht hoheitlich handelt, selbst wenn die Zertifizierung als solche gesetzlich vorgeschrieben ist und in Verfolgung gewichtiger öffentlicher Interessen erfolgt.200 Dass es eine gesetzliche, also formell hoheitliche Ermächtigungsgrundlage gibt, macht eine dadurch befugte Tätigkeit ebenfalls nicht automatisch hoheitlich.201
186 Entgegen EuGH v. 12.9.2013 – C-49/12, ECLI:EU:C:2013:545 Rz. 41 – The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs vs. Sunico ApS; Dietze, EuZW 2013, 830, 831. Kritisch auch Arenas García, AEDIPr 2013, 1089, 1091 f.; Pfeiffer, ZZP 127 (2014) 409, 412 f.; C. Kohler, IPRax 2015, 52, 54; Knöfel, GPR 2015, 251, 253. 187 Lund, IPRax 2014, 140, 144. 188 Dietze, EuZW 2013, 830, 831. 189 S. Arnold, LMK 2013, 352012. 190 Dahin aber Pfeiffer, ZZP 127 (2014) 409, 412. 191 Killias, SZIER 2014, 687, 699. 192 Collins, (2014) 130 LQRev 353; C. Kohler, IPRax 2015, 52, 54; Dickinson, (2018) 14 JPrIL 1, 6 f.; vgl. auch GA Wahl, Schlussanträge v. 7.4.2016 in der Rs. C-102/15, ECLI:EU:C:2016:225 Rz. 45. 193 Siehe C. Kohler, IPRax 2015, 52, 54. 194 Magnus/Mankowski/Rogerson, Art. 1 Rz. 13; Stein/Jonas/G. Wagner, Rz. 11; Lund, IPRax 2014, 140, 141 Fn. 6. 195 Goldman Sachs International vs. Novo Banco SA, [2015] EWHC 2371 (Comm) [72] (Q.B.D., Hamblen J.); Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 23 mit Fn. 30 (2016). 196 Ebenso Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 24; vgl. auch GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 78 Fn. 37. Übersehen von GA Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussanträge v. 8.11.2006 in der Rs. C-292/05, ECLI:EU:C:2006:700 Rz. 197 Siehe EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 35 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn; EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 39 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale; GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 67-70; GA Szpunar, Schlussanträge v. 23.4.2020 in der Rs. C-73/19, ECLI:EU:C:2020:297 Rz. 31; A. Staudinger/FrensingDeutschmann, DAR 2016, 181, 183. 198 EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:144 Rz. 21 – Volker Sonntag vs. Hans Waidmann; EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 41 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale; GA Szpunar, Schlussanträge v. 23.4.2020 in der Rs. C-73/19, ECLI:EU:C:2020:297 Rz. 29. 199 EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 42 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale. 200 EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 49-52 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale. 201 GA Szpunar, Schlussanträge v. 23.4.2020 in der Rs. C-73/19, ECLI:EU:C:2020:297 Rz. 32, 34.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich 38
Dass eine Behörde oder eine Körperschaft des (nationalen) öffentlichen Rechts handelt, führt ebenfalls nicht automatisch zur Unanwendbarkeit des Brüssel Ia-VO.202 Eine staatliche Stelle handelt dann nicht hoheitlich, wenn ihre Aufgaben und Befugnisse sich funktionell nicht von jenen Privater unterscheiden.203 Gerade wenn eine Behörde sich gezwungen sieht, ihr Recht aktiv vor Gericht zu verfolgen, also nicht selber Hoheitsakte zur Rechtsdurchsetzung zu schaffen vermag, kann dies gegen Sonderrechte der Behörde sprechen.204
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Dagegen bestehen Sonderrechte des Staates,205 wenn er etwas kann, das ein beliebiger Privater nicht tun könnte und mehr Rechte besitzt als ein Privater.206 Sonderrechten fehlt das Moment der Freiwilligkeit auf Seiten des Schuldners, der nach Ob und Höhe des Anspruchs unterworfen bleibt.207 Im Ergebnis ähnelt dies der deutschen Sonderrechtstheorie.208 Selbstdurchsetzung von Rechten und Ansprüchen qua selbst erlassenem Verwaltungsakt ist ein Sonderrecht, das Privaten so nicht zu Gebote steht.209 Umgekehrt genießt keine hoheitlichen Sonderrechte zur Selbstdurchsetzung seiner Ansprüche, wer sich – wie jeder andere Private auch – der Gerichte zur Durchsetzung seiner Ansprüche bedienen muss.210 Sogenannte prozedurale Prävalenz einer Partei wird zur verfahrensrechtlichen Lösung eines verfahrensrechtlichen Problems erhoben.211 Bereits das Potenzial, also die Möglichkeit zur Selbstdurchsetzung, zählt, gleich ob sie konkret wahrgenommen wird oder nicht.212 Dass ein Anspruch seinen Ursprung in einem hoheitlichen Akt hat, nimmt diesem Anspruch jeden Charakter als Zivilsache, unabhängig davon, in welches Gewand ihn die lex fori kleidet und ob ihn die lex fori als zivilrechtlich ansieht oder nicht.213 Maßgeblich ist nicht eine Rechtsfolge (z.B. Entschädigung oder Schadensersatz), die bei isolierter Betrachtung zivilrechtlich einzuordnen wäre, sondern die Rechtsgrundlage.214 Welche Rechte staatliche Stellen wahrnehmen, bestimmt als Untersatz das nationale Recht, während Obersatz und Subsumtion europäisch-autonom sind.215 Sonderrechte sind mehr als Immunität: Immunität ist gleichsam nur passiver Schutzschild, Sonderrechte sind dagegen Befugnisse zu aktiver Tätigkeit.216 202 Siehe nur EuGH v. 14.10.1976 – 29/76, ECLI:EU:C:1976:137 Rz. 4 – LTU Lufttransportunternehmen GmbH & Co KG vs. Eurocontrol; EuGH v. 16.12.1980 – 814/79, ECLI:EU:C:1980:291 Rz. 12 – Niederlande vs. Reinhard Rüffer; EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:144 Rz. 20, 39 – Volker Sonntag vs. Hans Waidmann; EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 50 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubsund Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o.; GAin Kokott, Schlussanträge v. 11.4.2013 in der Rs. C-49/12, ECLI:EU:C:2013:231 Rz. 42; A-G Vlas, Ned. Jur. 2019 Nr. 99 S. 1681, 1689; Lund, IPRax 2014, 140, 141; Bolle, 92. 203 BGE 124 III 436, 440; Kropholler/von Hein, Rz. 8; Dickinson/Lein/Illmer, Rz. 2.16. 204 EuGH v. 12.9.2013 – C-49/12, ECLI:EU:C:2013:545 Rz. 39 – The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs vs. Sunico ApS; GAin Kokott, Schlussanträge v. 11.4.2013 in der Rs. C-49/12, ECLI:EU:C: 2013:231 Rz. 44; Rauscher, ZZP Int 8 (2002) 324, 325. 205 Sonderverpflichtungen des Staates aufgrund hoheitlichen Charakters der Staatsaktivität könnten ebenfalls erfasst sein; s. Dickinson, (2018) 14 JPrIL 1, 7. 206 EuGH v. 28.4.2009 – C-420/07, ECLI:EU:C:2009:271 Rz. 44 – Meletis Apostolidis vs. David Charles Orams u. Linda Elizabeth Orams; EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 31 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA; EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 49 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o.; Summers v. Stubbs, Q.B.D. 20.12.2002; Layton/Mercer, Rz. 12.021; Magnus, FS Kühne (2009) 779, 787. 207 Béraudo, JCl. Droit int. fasc. 631-20 no 6 (1994); Huet, Clunet 131 (2004) 646, 648. 208 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 92; Dutta, ZZP Int 11 (2006) 208, 212 f. 209 Siehe EuGH v. 12.9.2013 – C-49/12, ECLI:EU:C:2013:545 Rz. 39 – The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs vs. Sunico ApS; GAin Kokott, Schlussanträge v. 11.4.2013 in der Rs. C-49/12, ECLI:EU:C: 2013:231 Rz. 44. Näher Czempiel, 5. Kap. § 5 IX. 210 Vgl. GA Szpunar, Schlussanträge v. 23.4.2020 in der Rs. C-73/19, ECLI:EU:C:2020:297 Rz. 71 f. 211 Czempiel, 6. Kap. § 3 I. 212 Czempiel, 6. Kap. § 3 III. 213 EuGH v. 15.2.2007 – C-292/05, ECLI:EU:C:2007:102 Rz. 37 – Irini Lechouritou vs. Bundesrepublik Deutschland. 214 Gärtner, German L.J. 8 (2007) 417, 423 f. 215 Stein/Jonas/G. Wagner, Rz. 1; Bolle, 93. 216 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 93.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Was ein beliebiger Privater auch machen könnte, ist nicht spezifisch hoheitlich. Das sog. schlichte 40 (oder schlicht-hoheitliche) Verwaltungshandeln fällt damit im Prinzip unter die Brüssel Ia-VO.217 Dies gilt insbesondere für „einfache“ Verträge zwischen Staat und Bürgern in Abschluss, Erfüllung und Leistungsstörung,218 auch dann, wenn das betreffende staatliche Organ dabei jenseits seines Verbandszwecks ultra vires handelt.219 Gleichermaßen ist die zweite Stufe, der privatrechtliche Vertrag bei einem zweistufigen Handeln aus hoheitlicher Bewilligung und vertraglichem Vertragsschluss (z.B. bei der Vergabe öffentlicher Aufträge) der Brüssel Ia-VO unterworfen.220 Ein gesetzlich angeordneter Kontrahierungszwang macht als solcher den entstehenden Vertrag noch nicht hoheitlich.221 Beschaffungstätigkeit über Verträge mit Lieferanten ist erst recht eine Zivilsache.222 Dies gilt auch bei entsprechenden Vertragsschlüssen nach Ausschreibungen.223 Auch wenn eine staatliche Versicherung auf Vertragsbasis agiert, handelt es sich um eine Zivilsache.224 Öffentlich-rechtliche (Zwangs-)Versicherungen ohne vertragliche Grundlage fallen jedoch aus der Brüssel I-VO heraus.225 Damit eine Sache über Art. 1 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO aus der Brüssel Ia-VO herausfällt, muss es sich 41 um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in der Hauptsache handeln. Ist bloß ein präjudizieller Aspekt, eine Vorfrage, öffentlich-rechtlicher Natur, so reicht dies nicht.226 Umgekehrt reicht es für die Einbeziehung unter die Brüssel Ia-VO nicht und ist Abs. 1 S. 2 anwendbar, wenn sich in einer öffentlich-rechtlichen Hauptsache eine zivilrechtliche Vorfrage stellt.227 Wiedergutmachungs- und Entschädigungsansprüche (die je nach historischem Kontext sehr par- 42 tikuläre Erscheinungen sein können228) sollen Zivilsachen sein, sofern ihre Rechtsgrundlage alle Arten von ausgleichsverpflichteten Grundstückseigentümern gleichermaßen erfasst, seien es Privatpersonen, sei es der Fiskus, ohne dass einzelne Kategorien von Eigentümern Sonderrecht genössen.229 Erst recht sollen zu viel gezahlte Entschädigungen, d.h. überzahlte Differenzen, Zivilsachen sein230 (denn letztlich seien sie nur bei Gelegenheit potentiell hoheitlicher Tätigkeit geschehen231). Jeder belastete Eigentümer müsse eine Überzahlung im Klagwege zurückfordern.232 Eine irrtümliche rechtsgrundlose Überzahlung sei als ungerechtfertigte Bereicherung rückabzuwickeln.233 Allerdings wird dabei die Perspektive sehr auf den Verpflichteten konzentriert und die Sonderberech- 43 tigung des Staates, welcher das Verwaltungsverfahren auf Restitution oder Entschädigung durchführt, hintan gestellt.234 Ausgleichs- und Prozessbeziehung ist nämlich jene zwischen Eigentümer und Be217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234
Kubis, ZEuP 1995, 846, 857. Soltesz, 128; Bolle, 94. Bolle, 95–98. BGE 124 III 436, 440 f.; Soltész, 158–160; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 10; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 21; Kropholler/von Hein, Rz. 9. Basedow inMax-Planck-Institut (Hrsg.), Hdb. IZVR I Kap. II Rz. 84; Soltész, 43 f. Kropholler/von Hein, Rz. 9; Magnus, FS Kühne (2009) 779, 787; S. Arnold/Garber, ZZP Int 20 (2015) 171, 194. GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 101. BGE 124 III 382, 397. Kropholler/von Hein, Vor Art. 8 Rz. 6; Looschelders in MünchKomm zum VVG, Bd. 3 (2. Aufl. 2017) IntVersR Rz. 185; Looschelders, IPRax 2018, 360, 361. Schlosser/Hess/Schlosser Rz. 6; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 15 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 32. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 16 (2016). Laazouzi, Rev. crit. dip. 103 (2014) 118, 127. EuGH v. 11.4.2013 – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 Rz. 35 f. – Land Berlin vs. Ellen Mirjam Sapir; GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 28.11.2012 in der Rs. C-645/11, ECLI:EU:C:2012:757 Nr. 71 f. EuGH v. 11.4.2013 – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 Rz. 37 – Land Berlin vs. Ellen Mirjam Sapir; Vanleenhove, T.B.H. 2015, 53, 55. C. Kohler, IPRax 2015, 52, 55. GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 28.11.2012 in der Rs. C-645/11, ECLI:EU:C:2012:757 Nr. 72. EuGH v. 11.4.2013 – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 Rz. 37 – Land Berlin vs. Ellen Mirjam Sapir; GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 28.11.2012 in der Rs. C-645/11, ECLI:EU:C:2012:757 äge v. Nr. 76 f.; Vanleenhove, T.B.H. 2015, 53, 55 f. GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 28.11.2012 in der Rs. C-645/11, ECLI:EU:C:2012:757 Nr. 74; Dietze, EuZW 2013, 506; Strikwerda, Ned. Jur. 2013 Nr. 500 S. 5727, 5729; Laazouzi, Rev. crit. dip. 103 (2014) 118, 124 f.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich rechtigtem, in der sich beide auf Augenhöhe begegnen.235 Das Auskehren der Entschädigung erfolgt nicht qua Hoheitsrecht des Berechtigten, sondern aufgrund hoheitlicher Anordnung des moderierenden Staates durch Gesetz oder gesetzeskonkretisierenden Verwaltungsakt. 44
Umgekehrt begründen staatliche Handlungen, die beliebige Private nicht vornehmen könnten, keine Zivilsachen.236 Dies gilt z.B. für das einseitige Festsetzen von Bußgeld- oder Strafzahlungen,237 Gebührenansprüche staatlicher Stellen,238 Gerichtskostenansprüche des Staates,239 Zwangsbeiträge hoheitlich agierender Kammern (z.B. Rechtsanwaltskammern),240 Erstattungsansprüche nach einer behördlichen Ersatzvornahme241 oder die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen durch den Sozialversicherungsträger,242 erst recht für Enteignungen.243 Wenn die Gebühren allerdings nur besonderes Gewand für ein Entgelt als Gegenleistung vom Staat oder einer staatlich betrauten Institution erbrachter wirtschaftlicher Leistungen sind, z.B. Nutzungsgebühren für Flughäfen,244 Gebühren für Leistungen öffentlicher Krankenhäuser245 oder Dienstleistungen einer Kammer,246 so liegt wegen wirtschaftlicher Betätigung vergleichbar einer privatwirtschaftlichen Betätigung eine Zivilsache vor.247 Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gebühren gesetzlich festgelegt sind oder nach Gutdünken bestimmt werden können.248 Verwaltungsprivatrecht fällt sachlich unter die Brüssel Ia-VO.249
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Die Abgrenzung zwischen Privatstrafen (z.B. Vertrags- oder Vereinsstrafen) und öffentlich-rechtlichen repressiven Strafen vollzieht sich auch danach, ob die Sanktionsleistung einem Privaten individuell zugute kommt.250 Freiwillige Ausgleichsleistungen im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs im Umfeld eines Strafverfahrens werden nicht staatlich erzwungen und sind daher nicht hoheitlich.251 Kriminalsanktionen sind dagegen hoheitlich, auch wenn sie sich in das Gewand einer Absprache (eines strafprozessualen Deals) kleiden.252 Strafschadensersatz, der privaten Klägern zufließt, ist eine materielle Zivilsache.253 235 Lund, IPRax 2014, 140, 141. 236 EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:144 Rz. 21 – Volker Sonntag vs. Hans Waidmann; EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00, ECLI:EU:C:2002:656 Rz. 36 f. – Gemeente Steenbergen vs. Luc Baten; EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 41 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale; Heß, IPRax 1994, 10, 12; Obwexer, ecolex 2002, 57, 59; Vlas, Ned. Jur. 2005 Nr. 65 S. 396, 397. 237 Hof ’s-Gravenhage, NIPR 2000 Nr. 206 S. 344. 238 EuGH v. 14.10.1976 – 29/76, ECLI:EU:C:1976:137 Rz. 4 – LTU Lufttransportunternehmen GmbH & Co KG vs. Eurocontrol = NJW 1977, 489 m. Anm. Geimer; EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 Rz. 27 – Verein für Konsumenteninformation vs. Karl Heinz Henkel; VG Schleswig v. 30.10.1990 – 2 A 240/89, NJW 1991, 1129; AG Münster v. 23.11.1994 – 29 C 517/94, DAR 1995, 165 m. Anm. Schulte = IPRspr. 1994 Nr. 146; Schmittmann/Kocker, DAR 1996, 293; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 6 (2005); Wieczorek/ Schütze/G. Schulze, Rz. 41. 239 Geimer, MittBayNot 1997, 93; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 12. 240 Siehe EuGH v. 5.12.2019 – C-421/18, ECLI:EU:C:2019:1053 Rz. 22 f. – Ordre des avocats du barreau de Dinant vs. JN. 241 EuGH v. 16.12.1980 – 814/79, ECLI:EU:C:1980:291 Rz. 8 – Niederlande vs. Reinhard Rüffer; EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 Rz. 28 – Verein für Konsumenteninformation vs. Karl Heinz Henkel; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 13; Kropholler/von Hein, Rz. 7. Kritisch Schlosser, IPRax 1981, 155. 242 Rb. Rotterdam, NIPR 1999 Nr. 294 S. 400 f. 243 Kropholler/von Hein, Rz. 7; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 9; Geimer, IPRax 2003, 512, 514. 244 Zu der Differenzierung der dabei einschlägigen Rechtsverhältnisse GAin Kokott, Schlussanträge v. 3.7.2014 in der Rs. C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2046 Rz. 31–38. 245 A.A. östOGH, unalex AT-659. 246 GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 29.7.2019 in der Rs. C-421/18, ECLI:EU:C:2019:644 Rz. 41. 247 EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 33 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA; Landbrecht, EuZW 2015, 76, 78; A. Staudinger/Frensing-Deutschmann, DAR 2016, 181, 183. 248 GAin Kokott, Schlussanträge v. 3.7.2014 in der Rs. C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2046 Rz. 32 f. 249 Musielak/A. Stadler Rz. 2; H. Roth, IPRax 2018, 41, 42 sowie C. Rauscher, DAR 2017, 257, 258. 250 Schlosser-Bericht Nr. 29; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 2 (2005); Kropholler/von Hein, Rz. 13. 251 Magnus, FS Kühne (2009) 779, 788. 252 Magnus, FS Kühne (2009) 779, 788. 253 Vgl. Trib. Siracusa, NGCC 2019, 936 nota Caroccia.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Zwangsgelder und Ordnungsgelder in der Vollstreckung einer Entscheidung aus einer Zivil- und Handelssache folgen jedoch – gleich ob sie dem privaten Vollstreckungsgläubiger oder dem Fiskus zufallen – dem Charakter der Hauptsache und fallen unter die Brüssel Ia-VO,254 wie bereits die Existenz des Art. 55 Brüssel Ia-VO belegt.255 Maßgeblich ist der Charakter der Ansprüche, die durchgesetzt werden; auf einen Strafcharakter oder auf den Gläubiger des Zwangs- bzw. Ordnungsgeldanspruchs kommt es nicht an.256 Konsequenterweise fallen Zwangs- oder Ordnungsgelder in der Vollstreckung einer wegen Art. 1 Abs. 2 lit. a aus der Brüssel Ia-VO herausfallenden Entscheidung ihrerseits ebenso wenig unter die Brüssel Ia-VO.257
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Haben Parkgebühren oder Mautgebühren im Kern Entgeltcharakter, so ist ihre Beitreibung nicht 47 hoheitlich.258 Den Charakter einer öffentlichen Abgabe haben sie typischerweise nicht.259 Vielmehr genießen sie dem Grunde nach das Privileg der (besseren) zivilrechtlichen Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Durchsetzung,260 auch wenn Streit um die Angemessenheit in der Höhe eine zweite Hürde sein mag261 und besonders belastende Umstände wie späte Geltendmachung, unterbliebene Erstinformation oder hohe geltendgemachte Beitreibungskosten hinzutreten.262 Anders verhält es sich bei Bußgeldbescheiden oder kostenpflichtigen Verwarnungen wegen Ordnungswidrigkeiten;263 für sie gilt das weniger günstige Vollstreckbarerklärungsregime des Rahmenbeschlusses 205/214/JI264.265 Die Qualifikation geschieht wiederum funktionell und nicht kraft Verweisung auf das formelle Gewand, welches das Recht des betroffenen Staates der Maßnahme verleiht.266 Public enforcement in Kartellsachen ist Aufgabe von Kartellbehörden. Der Staat geht hoheitlich vor. Nur und allein er kann public enforcement betreiben, kein Privater. Public enforcement ist eine verwaltungsrechtliche Angelegenheit im Sinne von Abs. 1 S. 2.267 Alle Folgesachen zur ursprünglichen Durchsetzung qua public enforcement folgen in Charakter und Qualifikation der ursprünglichen Sache. Die Rückzahlung einer zu Unrecht erhobenen Geldbuße ist Rückweg zum verwaltungsrechtlichen Hinweg.268 Wiederum deren Rückrückzahlung samt Zinsen folgt als Rückrückweg dem Rück254 EuGH v. 18.10.2011 – C-406/09, ECLI:EU:C:2011:668 Rz. 41 f. – Realchemie Nederland BV vs. Bayer CropScience AG; BGH v. 25.3.2010 – I ZB 116/08, IPRax 2012, 72 = WM 2010, 894, 895; Hall FS Bornkamm (2014) 1045 (1045–1047); Payan, Rev. crit. dip. 2016, 195, 196. Näher Art. 55 Brüssel Ia-VO Rz. 3 f. (Mankowski). 255 Art. 55 Brüssel Ia-VO Rz. 4 (Mankowski) und BGH v. 25.3.2010 – I ZB 116/08, WM 2010, 894, 896 = BGHZ 185, 124 = Rpfleger 2010, 523 m. Anm. Heggen (dazu Bittmann, IPRax 2012, 62). 256 EuGH v. 18.10.2011 – C-406/09, ECLI:EU:C:2011:668 Rz. 40-42 – Realchemie Nederland BV vs. Bayer CropScience AG. 257 EuGH v. 9.9.2015 – C-4/14, ECLI:EU:C:2015:563 Rz. 3, IPRax 2017, 4937–40 – Christophe Bohez vs. Ingrid Wiertz; GA Szpunar, Schlussanträge v. 16.4.2015 in der Rs. C-4/14, ECLI:EU:C:2015:233 Rz. 54 f.; M. Streicher, FamRB 2016, 50, 51; Payan, Rev. crit. dip. 2016, 195, 196; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 52. 258 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 36 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn; AG Bobek, Schlussanträge v. 27.10.2016 in der Rs. C-551/15, ECLI:EU:C:2016:825 Rz. 49 f.; A. Staudinger/ Frensing-Deutschmann, DAR 2016, 181, 182 f.; H. Roth, IPRax 2018, 41, 42; Toader, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 515, 525. 259 Wolber, EuZW 2017, 680, 682 gegen AG Münster, IPRspr. 1994 Nr. 146 S. 333 f. 260 Hess, RdC 388 (2016) 49, 207. 261 Pronebner, ZVR 2018, 243, 244. 262 Solche Umstände kritisiert die Empfehlung des Arbeitskreises I: Privates Inkasso nach Verkehrsverstößen im Ausland des 56. Deutschen Verkehrsgerichtstages 2018, NZV 2018, 69. 263 OLG Brandenburg, BeckRS 2017, 101348; AG München, DAR 2015, 700, 701; Jaklin, DAR 2015, 701 f.; S. Trautmann, NZV 2018, 49, 51 f. 264 Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24.2.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABl. EG 2005 L 76/16; zu praktischen Erafhrungen damit u.a. Johnson/Lorch, DAR 2013, 253; Johnson/Lorch, RAW 2014, 103; Johnson/Lorch, DAR 2015, 423. 265 S. Trautmann, NZV 2018, 49, 51 f. 266 S. Trautmann, NZV 2018, 49, 50. 267 EuGH v. 28.7.2016 – C-102/15, ECLI:EU:C:2016:607 Rz. 34 – Siemens Österreich AG vs. Gazdasági Versenyhivatal; GA Wahl, Schlussanträge v. 7.4.2016 in der Rs. C-102/15, ECLI:EU:C:2016:225 Rz. 34; Mankowski, EWiR 2016, 679, 680. 268 EuGH v. 28.7.2016 – C-102/15, ECLI:EU:C:2016:607 Rz. 35 – Siemens Österreich AG vs. Gazdasági Versenyhivatal; Mankowski, EWiR 2016, 679, 680; Kecsmar, J. dr. eur. 2016, 319, 320.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich weg und damit dem Hinweg.269 Qua Akzessorietät schlägt der Charakter des ursprünglichen Hinwegs durch.270 Der Innenregress zwischen den Kartellanten ist dagegen selbst dann eine Zivil- und Handelssache, wenn es um Regress für ein behördlich verhängtes Bußgeld geht.271 49
Private enforcement, indem der Staat Privaten Anreize zur Rechtsverfolgung setzt und sie gleichsam für seine Zwecke in Dienst nimmt, ist insgesamt eine Zivilsache, auch wenn dies die Grenze der private-public divide verschieben mag.272 Dies gilt auch für kartellrechtliche follow on-Schadensersatzklagen Privater, die sich die Ergebnisse und Feststellungen einer vorangegangenen kartellbehördlichen Untersuchung zunutze machen. Erst recht ist der Innenregress zwischen den Kartellanten eine Zivilsache, wenn im Außenverhältnis Schadensersatz an private Kartellgeschädigte zu zahlen ist.273
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Der vertragliche Erwerb von Leistungen Privater durch staatliche Stelle (z.B. Straßenbauleistungen) ist zivilrechtlicher Natur.274 Klagt ein Staat als Eigentümer wegen Verletzung seines Eigentums, so handelt er nicht hoheitlich.275 Im umgekehrten Fall ist auch bei hoheitlicher Zweckbestimmung die Haftung für Emissionen staatlicher Einrichtungen zivilrechtlich.276
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Kostenerstattungsansprüche von Notaren, die diese selber festsetzen können, also zumindest Ansprüche von Notaren im Bereich des Lateinischen Notariats, weisen eine hoheitliche Komponente auf,277 während die Honoraransprüche von Rechtsanwälten Zivilsachen sind,278 selbst soweit es sich um gerichtlich bestellte Pflichtverteidiger handelt.
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Die staatliche Leistungsverwaltung muss bei hoheitlichem Charakter auch im Binnenmarkt und auch angesichts der Freiheiten und Teilhaberechte des Primärrechts für die Bürger die Beschränkung hinnehmen, dass sie nicht die erleichterten grenzüberschreitenden Durchsetzungsmöglichkeiten nutzen kann wie in Zivilsachen.279 Im Zweifel wird sie sowieso im Inland agieren und dort Verwaltungsakte erlassen. Eine binnenmarktergänzende Funktion der Brüssel Ia-VO insbesondere im Bereich der passiven Dienstleistungsfreiheit besteht insoweit nicht.280
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Theoretisch ist denkbar, dass der Klaganspruch teilbar und teils Zivilsache, teils Nicht-Zivilsache ist.281 Freilich sollte man eine Teilung wenn möglich vermeiden, um keine Friktionen und Doppelbefassungen mit letztlich parallelen Fragen aufkommen zu lassen.282
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Eine Staatsbank und eine delegierte Bank können hoheitlich agieren.283 Staatsunternehmen oder staatliche beherrschte Unternehmen werden dagegen nicht hoheitlich tätig, wenn sie wie normale, 269 EuGH v. 28.7.2016 – C-102/15, ECLI:EU:C:2016:607 Rz. 36–38 – Siemens Österreich AG vs. Gazdasági Versenyhivatal; Wurmnest, EuZW 2016, 784, 785; Toader, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 515, 523. 270 Nourissat, Procédures décembre 2016, 23. 271 A.A. Wolf, IPRax 2018, 475, 477. 272 EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 38 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA; EuGH v. 29.7.2019 – C-451/18, ECLI:EU:C: 2018:635 Rz. 24 – Tibor-Trans Fuvarozó és Kereskedelmi Kft vs. DAF Trucks NV; Knöfel, GPR 2015, 251, 254 f.; Hensler/Thornburg in Hensler/Hodges/Tzankova (Hrsg.), Class Actions in Context (2016) 259; Hess, RdC 388 (2016) 49, 118. 273 C. Krüger, Kartellregress (2010) 142; A. Wolf, IPRax 2018, 475, 477 sowie OLG Hamm v. 1.12.2016 – 32 SA 43/16, IPRax 2018, 501, 504 Rz. 47 = NZKart 2017, 79; Mankowski, EWiR 2017, 415. 274 Schlosser/Hess/Schlosser Rz. 12; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 8 (2005); Kropholler/von Hein, Rz. 9. 275 Vgl. OLG Karlsruhe, VersR 2005, 1551 m. Anm. Dumbs, wo dies scheinbar selbstverständlich vorausgesetzt wird. 276 Soltész, 194 f. 277 Geimer, DNotZ 1975, 478; Geimer, MittBayNot 1997, 93; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 12; Kropholler/von Hein, Rz. 7; Magnus, FS Kühne (2009) 779, 788; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 27 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 41. 278 BGH, IPRspr. 2005 Nr. 156 S. 428; LG Paderborn v. 22.12.1994 – 5 S 302/94, EWS 1995, 248; Soltész, 195 ff.; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 24; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 27 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 41. 279 A.A. Soltész, 160–165. 280 A.A. Soltész, 160–165 und allgemein 156 f. 281 GA Szpunar, Schlussanträge v. 23.4.2020 in der Rs. C-73/19, ECLI:EU:C:2020:297 Rz. 79 Fn. 68; Polak, Ars Aequi 2003, 676, 682 sowie Strikwerda, Ned. Jur. 2005 Nr. 347 S. 2665, 2667. 282 Siehe Rauscher, ZZP Int 8 (2002) 324, 326 f.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
private Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr teilnehmen, Beschaffungsverträge abschließen, Umsatzgeschäfte tätigen oder Beteiligungen an anderen Unternehmen erwerben.284 Auch Verstöße gegen das Kartellrecht begehen sie nicht in einer hoheitlichen Funktion.285 Besonderheiten in der Governance und Steuerung durch politische Entscheidungsgremien, insbesondere bei kommunalen Eigenunternehmen, ändern daran nichts.286 Dass der Staat oder eine staatliche Gliederung Anteilseigner ist, sei es auch Mehrheits- oder Alleineigentümer, bewirkt nicht per se eine Ausübung hoheitlicher Befugnisse.287 Andererseits können Staatsunternehmen sich aber auch in den Dienst hoheitlicher Aufgaben stellen und bei deren Umsetzung helfen. Insoweit müsste bei den sog. „Stellvertreterklagen“, bei denen statt des Staates das ihm verbundene Unternehmen verklagt wird, die funktionelle Abgrenzung durchschlagen. Bloße Beihilfe und Vorschub für die Politik eines Staates reichen aber noch nicht, um die Tätigkeit des betreffenden Unternehmens in den Bereich hoheitlichen Handelns zu ziehen; das ist insbesondere für Klagen aus corporate complicity liability oder vergleichbaren Tatbeständen zu beachten.288 Gleiches gilt im Prinzip auch für Staatsfonds: Als Investor in Beteiligungen, Anleihen oder andere 55 Vermögenswerte könnte sich theoretisch jeder Private gleichermaßen betätigen. Selbst wenn sie Ausführende einer nationalen Strategie, festgelegt von den Organen des hinter ihnen stehenden Staates, sind, ergibt sich nichts anderes.289 Eine etwaige Grauzone in der modernen Entwicklung zwischen hoheitlichem Handeln und wirtschaftlichen Staatsaktivitäten existiert zwar faktisch,290 kann aber nicht von einer im jeweiligen Ergebnis klaren rechtlichen Zuweisung entbinden. Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen drittstaatlicher Gerichte könnte zwar materiell durchaus eine Zivil- und Handelssache sein,291 fällt aber auf andere Weise aus der Brüssel Ia-VO heraus,292 denn Art. 32 ff. Brüssel Ia-VO befassen sich nur mit der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen aus Mitgliedstaaten.293
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Bei Tarifverträgen ist zwischen mehreren verschiedenen Dimensionen zu unterscheiden:294 Erstens 57 regeln Tarifverträge die Beziehungen zwischen den Tarifvertragsparteien. Die Tarifvertragsparteien haben keinerlei öffentlichen Auftrag und handeln als Koalitionen des Privatrechts. Insoweit liegt eine Zivil- oder Handelssache vor. Zweitens können Tarifverträge in ihrem normativen Teil individuelle Ansprüche von Arbeitnehmern begründen, die anschließend Gegenstand von Prozessen zwischen Arbeitnehmern und deren Arbeitgebern sein können. Insoweit liegen individuelle Arbeitsstreitsachen vor. Sie sind unbezweifelbar Zivil- und Handelssachen und werden schon ausweislich Art. 20–23 Brüssel Ia-VO von der Brüssel Ia-VO erfasst. Drittens kann ein Tarifvertrag ausnahmsweise Beitragspflichten von Arbeitgebern zu Gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien begründen. Mangels hoheitlichen Handelns der allein auf tarifvertraglicher Basis eingerichteten Gemeinsamen Einrichtungen handelt es sich dann jedenfalls um eine Zivil- oder Handelssache. Fraglich ist nur, ob 283 Grovit vs. De Nederlandse Bank (2008) ILPr 227, 232 (C.A., per Dyson LJ.). 284 AG Bobek, Schlussanträge v. 27.10.2016 in der Rs. C-551/15, ECLI:EU:C:2016:825 Rz. 51; Magnus, FS Kühne (2009) 779, 787. 285 EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 36 f. – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA; Nourissat, Procédures janvier 2015, 42; Landbrecht, EuZW 2015, 76, 77. 286 A.A. M. Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 521 f. 287 EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 37 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA. 288 Knöfel, FS Rolf A Schütze zum 80. Geb. (2014) 243, 247. 289 Näher de Meester, (2009) 46 C.M.L. Rev. 779; Bismuth, Ann fr dr int 2010, 567; A-C Hahn, SZW 2012, 103; Adinolfi, in Bassan (Hrsg.), Research Handbook on Sovereign Wealth Funds and International Investment Law (2015) 223. 290 Siehe nur van Aaken, in A. Peters/Lagrange/Oeter/Tomuschat (Hrsg.), Immunities in the Age of Global Constitutionalism (2015) 131. 291 A.A. wohl Layton/Mercer, Rz. 12.025. Ungenau EuGH v. 20.1.1994 – C-129/92, ECLI:EU:C:1994:13 Rz. 15 f. – Owens Bank Ltd. vs. Fulvio Bracco. 292 Siehe im Ergebnis EuGH v. 20.1.1994 – C-129/92, ECLI:EU:C:1994:13 Rz. 38 – Owens Bank Ltd. vs. Fulvio Bracco. 293 Siehe nur östOGH, ZfRV 2002, 24; Kropholler/von Hein, Art. 32 EuGVVO Rz. 18. 294 Mankowski, NZA 2009, 584, 585 f.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich die Ausnahme für den Bereich der sozialen Sicherheit aus Abs. 2 lit. c greift.295 Viertens mag es vorkommen, dass ein Tarifvertrag der Koalition auf Arbeitnehmerseite unmittelbare Positionen gegen einzelne Arbeitgeber einräumt. Auch deren gerichtliche Durchsetzung wäre mangels hoheitlichen Agierens irgendeines Beteiligten eine Zivil- oder Handelssache. Fünftens mag eine formell staatliche Einrichtung Leistungen, z.B. Urlaubsentgelte, auskehren, die ihrerseits aus tarifvertraglich vereinbarten Lohnzuschlägen der Arbeitgeber zu bestreiten sind; dann handelt es sich um eine Zivil- und Handelssache.296 58
Wenn eine Behörde nach dem nationalen Verfahrensrecht quasi-stellvertretend für einen Privaten auftritt und letztlich private Interessen fördert, liegt eine Zivilsache vor.297 Verbandsklagen privater Verbände (z.B. nach dem UKlaG) sind Zivilsachen, auch wenn sie mit der Marktreinhaltung mittelbar gesamtgesellschaftliche Interessen verfolgen.298 Dabei ist nicht entscheidend, dass sie auf Verhältnisse des Privatrechts einwirken sollen,299 sondern dass keine hoheitlichen Sonderrechte im Schwange sind.300 Die zivilrechtliche Qualifikation gilt selbst für das britische Office of Fair Trading, das eben keine hoheitlichen Sonderrechte zur Selbstdurchsetzung seiner Ansprüche genießt, sondern sich wie jeder andere Private auch der Gerichte zur Durchsetzung seiner Ansprüche bedienen muss.301 Wenn eine Gewinnabschöpfung nicht dem klagenden Verband zugute kommt, sondern in die Staatskasse fließt, ändert dies nichts daran,302 dass der betreffende Verband trotzdem keine hoheitlichen Befugnisse wahrnimmt.303 Agieren Verbände (wie namentlich bei der action civile in Frankreich) funktionell als Hilfsstaatsanwälte, so ist dem eventuell bei der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung Rechnung zu tragen.304
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Amtshaftungsansprüche sind von der Brüssel Ia-VO nur ausgeschlossen, soweit für spezifisch hoheitliches Handeln gehaftet wird.305 Hoheitlich ist auch militärisches Handeln der Streitkräfte,306 z.B. bei Manöverschäden.307 Keine Bedeutung hat auch das eventuelle Bestehen einer öffentlichrechtlichen Versicherung für das betreffende Handeln.308 Staatshaftung309 ist gemeinhin spezifisch, 295 Näher dazu E. Eichenhofer, IPRax 2008, 109 und LAG Frankfurt, IPRax 2008, 131; knapp BAG v. 2.7.2008 – 10 AZR 355/07, NZA 2008, 1084, 1085. 296 EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 51, 54 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o. 297 R vs. Crown Court at Harrow, ex parte UNIC Centre Sarl (2000) 2 All ER 449, 459 (Q.B.D., Newman J.). 298 Siehe nur EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 Rz. 30 – Verein für Konsumenteninformation vs. Karl Heinz Henkel; GA Szpunar, Schlussanträge v. 23.4.2020 in der Rs. C-73/19, ECLI:EU:C:2020:297 Rz. 40, 46; östOGH, JBl 2000, 803; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 11; Michailidou, IPRax 2003, 223, 224; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 19; Rott/v. der Ropp, ZZP Int 9 (2004) 3, 7 f.; A. Stadler, JZ 2009, 121, 124. Vgl. auch BGH v. 9.7.2009 – Xa ZR 19/08, NJW 2009, 3371 = BGHZ 182, 41; Lakkis, Der kollektive Rechtsschutz der Verbraucher in der Europäischen Union (1997) 135; Maurer, Grenzüberschreitende Unterlassungsklagen von Verbraucherschutzverbänden (2001) 11 f.; A. Stadler, VuR 2010, 83, 85 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 13, 41 (2016); van der Plas, NIPR 2019, 537, 547. 299 A.A. EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 Rz. 30 – Verein für Konsumenteninformation vs. Karl Heinz Henkel. 300 Insoweit zutreffend v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 Rz. 30 – Verein für Konsumenteninformation vs. Karl Heinz Henkel. Wie hier Stadler, JZ 2009, 121, 124. 301 Rott/v. der Ropp, ZZP Int 9 (2004) 3, 8. 302 Entgegen Pieckenbrock, IPRax 2006, 4, 8. 303 Stadler, JZ 2009, 121, 125; Rott in Cafaggi/Micklitz (Hrsg.), Public and Private Enforcement in Consumer Protection (2009) 379, 381 f. 304 Mäsch, ZEuP 2003, 375, 392–396. 305 EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:144 Rz. 19 – Volker Sonntag vs. Hans Waidmann; Czernich/ Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 9; Geimer, IPRax 2003, 512, 514; Dutta, ZZP Int 11 (2006) 208, 214; Brenn, ÖJZ 2014, 840 sowie BGH v. 26.6.2003 – III ZR 245/98, NJW 2003, 3488 = BGHZ 155, 279. Ungenau Neumayr, ERA-Forum 2005, 172, 181 f. unter Hinweis auf östOGH SZ 74/86, S. 561. 306 IGH v. 3.2.2012 – Deutschland vs. Italien (Griechenland als Intervenient), Riv. dir. int. 2012, 475; GA RuizJarabo Colomer, Schlussanträge v. 8.11.2006 in der Rs. C-292/05, ECLI:EU:C:2006:700 Rz. 57; Geimer, Dike Int 33 (2002) 882; Geimer, LMK 2003, 215, 216; Mankowski, RIW 2004, 587, 596; Gärtner, German L.J. 8 (2007) 417, 431; Rolf Wagner, RIW 2013, 851, 853. 307 Geimer, IPRax 2003, 512, 514. 308 EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:144 Rz. 28 – Volker Sonntag vs. Hans Waidmann.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
weil sie spezifische Sanktion für rechtswidriges hoheitliches Handeln ist,310 wenn denn das hoheitliche Handeln das anspruchsauslösende Moment ist.311 Das Handeln staatseigener Wirtschaftsbetriebe ist in aller Regel privatrechtlich, nicht öffentlich-rechtlich, wiederum unabhängig davon, wie das jeweilige nationale Recht es qualifiziert.312 Beliehene Unternehmer nehmen zwar stellvertretend für den Staat Aufgaben wahr, haben nicht per se hoheitliche Befugnisse und Sonderrechte.313 Das Bestehen eines öffentliches Interesses ist nur ein Indiz für hoheitliches Handeln.314 Z.B. sind Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Sendungen staatlicher Rundfunkanstalten Zivilsachen.315 Schiffszertifizierer agieren ebenfalls zivilrechtlich.316 Wenn der Staat hoheitliche Aufgaben auf formell eigenständige Einrichtungen ausgelagert hat, verschieben sich die Qualifikationsmaßstäbe nicht. Dass solche Einrichtungen formell eigenständig sind und formell eigene Rechtspersönlichkeiten haben, macht sie zwar zu den richtigen Beklagten, aber es ändert nichts daran, dass die wahrgenommene Aufgabe eine hoheitliche ist und keine in das Zivilrecht fallende. Ob eine Behörde, eine staatliche Agentur oder ein beliehener Unternehmer eine bestimmte Aufgabe wahrnimmt, ändert nichts an der Natur der Aufgabe. Hoheitliches bleibt hoheitlich. Verursacht sie in Wahrnehmung einer hoheitlichen Aufgabe (z.B. dem Sammeln von Daten) Schäden, so ist die Haftung in der Folge auch „hoheitlich“ und keine Zivilsache.317 Umgekehrt bleibt Nichthoheitliches nichthoheitlich, und eine daraus resultierende Haftung gegenüber Dritten ist ebenfalls nichthoheitlich.318 Eine Klage des Staates als Gläubiger aus einer Bürgschaft zur Sicherung von Zoll- oder Steuerforde- 60 rungen ist in aller Regel eine Zivilsache.319 Die Bürgschaft ist ein eigenständiges Rechtsverhältnis, und der Charakter der gesicherten Schuld färbt nicht auf die Bürgschaft ab.320 Es besteht keine Geprägetheorie, und der Charakter eventueller Einwendungen prägt die Klage aus der Bürgschaft nicht.321 Bloße Vorfragen sind auch hier im Speziellen nicht ausschlaggebend für die Natur des Klaggegenstands.322 Hoheitliche Sonderbefugnisse bestehen jedenfalls solange nicht, wie der Bürge nicht von Rechts wegen verpflichtet ist, die Bürgschaft einzugehen;323 ob der Hauptschuldner verpflichtet ist, eine Bürgschaft oder sonstige Sicherheit beizubringen, ist für die Bürgschaft irrelevant. Die freiwillige Begründung der Bürgschaft durch den Bürgen indiziert das Fehlen hoheitlichen Zwangs.324
309 Rechtsvergleichend dazu z.B. Oliphant (Hrsg.), The Liability of Public Authorities in Comparative Perspective (2018). 310 Dutta, ZZP Int 11 (2006) 208, 215; Leandro, Riv. dir. int. priv. proc. 2007, 759, 764. 311 GAin Kokott, Schlussanträge v. 3.7.2014 in der Rs. C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2046 Rz. 26. 312 Kropholler/von Hein, Rz. 10. 313 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 35 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn; GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 68 sowie Hoge Raad, NIPR 2001 Nr. 203 S. 344 f. 314 GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 78. 315 Kubis, Internationale Zuständigkeit bei persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen (1999) 23 f.; Geimer, IPRax 2003, 512, 514; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 18. 316 EuGH v. 7.5.2020 – C-641/18, ECLI:EU:C:2020:349 Rz. 49-52 – LG vs. Rina SpA u. Ente Registro Italiano Navale; GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 90–99. 317 GA Szpunar, Schlussanträge v. 23.4.2020 in der Rs. C-73/19, ECLI:EU:C:2020:297 Rz. 57. 318 GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 70. 319 EuGH v. 22.5.2003 – C-266/01, ECLI:EU:C:2003:282 Rz. 27-36 – Préservatrice foncière TIARD SA vs. Staat der Nederlanden = A.A. 2003, 676 m. Anm. Polak = NTER 2003, 243 m. Anm. van Haersolte-van Hof = Ondernemingsrecht 2004, 101 m. Anm. Ibili = Ned. Jur. 2005 Nr. 65 m. Anm. Vlas; OLG Frankfurt, IPRspr. 1999 Nr. 153; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 9; Lopez, La Ley 5883 (31 de octubre de 2003) 1, 3; Briggs (2004) LMCLQ 313, 318. 320 EuGH v. 22.5.2003 – C-266/01, ECLI:EU:C:2003:282 Rz. 28 f. – Préservatrice foncière TIARD SA vs. Staat der Nederlanden. 321 Geimer, IPRax 2003, 512, 515; Hau, GPR 2003/4, 94, 98; Mankowski, RIW 2004, 481, 494 f. 322 Gomez v. Gomez-Monche Vives, [2008] ILPr 461, 485 = [2008] 3 WLR 309, 331 f. (Ch. D., Morgan J.); Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 3 (2005); Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 18. 323 EuGH v. 22.5.2003 – C-266/01, ECLI:EU:C:2003:282 Rz. 32-34 – Préservatrice foncière TIARD SA/Staat der Nederlanden. 324 EuGH v. 22.5.2003 – C-266/01, ECLI:EU:C:2003:282 Rz. 33 – Préservatrice foncière TIARD SA vs. Staat der Nederlanden; Briggs [2004] LMCLQ 313, 318.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich 61
Staatliche Bürgschaften oder Garantien zur Exportförderung (z.B. Hermes-Bürgschaften) verfolgen zwar volkswirtschaftliche Ziele und mögen auch auf Haushaltsgesetzen beruhen; funktionell vergleichbar könnten aber auch private Personalsicherheitengeber handeln.325
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Teilweise werden betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten über Abs. 1 aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgegrenzt.326 Es handele sich nicht um Individualverfahren, sondern um Repräsentanz und Vertretung von kollektiven Erscheinungsformen.327 Der Parteibegriff der Brüssel Ia-VO passe nicht für Betriebsverfassungsorgane.328 Indes sind betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten nur im Ausnahmefall (z.B. bei Streitigkeiten um die behördliche Anerkennung einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 7 BetrVG) genuin öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, bei denen auf einer Seite ein Hoheitsträger hoheitlich agiert,329 im Regelfall aber nicht.330
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Einrichtungen der Betriebsverfassung (also Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte, Könzernbetriebsräte usw) agieren nicht im Status eines Hoheitsträgers, sondern bündeln auf kollektiver Ebene die Individualinteressen der von ihnen repräsentierten privaten Personenkreise.331 Nach der allgemeinen Abgrenzungsformel fallen sie daher auf die Seite der Zivil- und Handelssachen,332 es sei denn, man wollte einen zusätzlichen konturenoffenen Ausnahmetatbestand für Kollektivverfahren schaffen. Dieser harrte noch der Definition.
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Allenfalls mag man an einer Ausgrenzung über Abs. 2 lit. c denken, weil erhebliche Verflechtungen mit öffentlich-rechtlichen Tatbeständen bestünden.333 Letztlich vermag aber auch Abs. 2 lit. c nicht durchzuschlagen, denn Fragen der sozialen Sicherheit im eigentlichen Sinn sind nicht betroffen, wenn z.B. um eine Betriebsvereinbarung gestritten wird.334
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Ausgegrenzt sind jedenfalls auch echte Strafsachen, in denen der Staat einen (vermeintlich bestehenden) Bestrafungsanspruch durchzusetzen versucht.335 Geldstrafen, Bußgeldzahlungen und Einzug von Vermögenswerten zugunsten des Staates als spezifisch strafrechtliche Sanktionen sind ebenfalls keine Zivilsachen, wie schon im Kontrast die Existenz des Rahmenbeschlusses 2005/214/JL336 belegt,337 ebenso etwaige Kosten, Auslagen oder sontigen Nebenforderungen dazu, selbst wenn sie höher sein sollten als die eigentliche Hauptforderung.338 Der fehlende zivilrechtliche Charakter gilt auch
325 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 40 (2016). 326 LAG Berlin-Brandenburg, NZA-RR 2011, 491 = IPRspr. 2011 Nr. 186 S. 479 f.; Birk, RdA 1983, 139, 149; Ulrich Fischer, FS 50 Jahre BAG (2004) 1293, 1297 f.; Stein/Jonas/G. Wagner, Rz. 15; vgl. auch Ankersen, ZIAS 2001, 371, 373. Dagegen Kirschbaum, Handbuch zum Internationalen Betriebsverfassungsrecht (1994) 74 ff.; Boemke, jurisPR-ArbR 27/2011 Anm. 5 sub D; Boemke, DB 2012, 802, 803. Differenzierend Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 29–34. 327 Ulrich Fischer, FS 50 Jahre BAG (2004) 1293, 1298. 328 Ulrich Fischer, FS 50 Jahre BAG (2004) 1293, 1298 f. 329 Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 29 f.; s. auch van Hoek in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 173, 177 f. 330 Ulrich Fischer, FS 50 Jahre BAG (2004) 1293, 1297 f. 331 Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 30. 332 Ebenso Kirschbaum in Runggaldier (Hrsg.), Österreichisches Arbeitsrecht und das Recht der EG (1990) 335, 339–341; Kirschbaum, Handbuch des Betriebsverfassungsrechts (1994) 74–76; Magnus, FS Kühne (2009) 779, 788. 333 So Kirschbaum, Handbuch des Betriebsverfassungsrechts (1994) 335, 339. 334 Im Ergebnis ebenso Ulrich Fischer, FS 50 Jahre BAG (2004) 1293, 1298; Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 34. 335 Siehe nur Schlosser-Bericht Nr. 29; Layton/Mercer, Rz. 12.023. 336 Rahmenbeschluss 2005/214/JL des Rates über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitgen Anerkennung von Geldstrafen und Gelbußen, ABl. EG 2005 L 76/16. 337 OLG Brandenburg v. 25.1.2017 – 7 W 115/16; Layton/Mercer, Rz. 12.023, 15.100; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rz. 402; Cranshaw, jurisPR-IWR 2/2017 Anm. 4 sub C I 3, 4. 338 Cranshaw, jurisPR-IWR 2/2017 Anm. 4 sub C II 3.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
für Wiedergutmachungsanordnungen oder die Anordnung von Sühnegeldzahlungen an das Opfer, die entweder vom Gericht oder von den Strafverfolgungsbehörden ausgehen.339 5. Zessionsfälle Am nicht zivilrechtlichen Charakter eines Anspruchs, z.B. einer Steuer- oder Zollforderung, ändert sich nichts, wenn die Befugnis zur Geltendmachung dieses Anspruchs auf eine Privatperson übergeht,340 sei es durch Abtretung, sei es durch Legalzession. Die Forderung behält ihren Charakter bei und mutiert nicht durch Gläubigerwechsel zu einer zivilrechtlichen.341 Abzustellen ist richtigerweise nicht auf die Parteien des konkreten Prozessverhältnisses,342 sondern auf die Natur des geltend gemachten Klaganspruchs.343 Für Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO müssen die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehende Rechtsbeziehung, die Grundlage der erhobenen Klage und die Modalitäten ihrer Erhebung berücksichtigt werden.344 Rechtsbeziehung und Klaggrundlage bildet aber der Klaganspruch. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass Abs. 1 auf Zivil- und Handelssachen abhebt, den Klaganspruch indes nicht gesondert erwähnt.345
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Dass eine Legalzession kein hoheitliches Sonderrecht bildet, ist unerheblich.346 Der Erwerbsmodus 67 für den Klaganspruch ist irrelevant (ebenso der Erwerbsgrund347) und färbt nicht auf das Objekt des Übergangs ab;348 schließlich wird nicht der Erwerbsmodus, sondern der Klaganspruch geltend gemacht. Der Entstehungsgrund, nicht die Geltendmachung in Ausübung oder Nichtausübung hoheitlicher Tätigkeit ist hier entscheidend.349 Dass der übergegangene Anspruch nach nationalem Prozessrecht vor einem Zivilgericht geltend zu machen ist, darf nach dem Grundansatz des Abs. 1, der von nationalen Einordnungen und der Art des Gerichts gerade abstrahiert, ebenfalls keine gewichtige Rolle spielen.350 Der Hinweis auf eine Konzentration, wenn auch konkurrierende privatrechtliche Ansprüche z.B. aus Geschäftsführung ohne Auftrag geltend gemacht werden,351 verfängt nicht, denn zu seiner Fundierung fehlt es an einem Prinzip der „Qualifikationsänderung qua Attraktivität“. Im Gegenteil sind die einzelnen Klaggründe isoliert zu betrachten.352
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Daher ist umgekehrt ein Regress seitens öffentlicher Einrichtungen jedenfalls dann Zivilsache, wenn 69 er auf dem übergegangenen Recht eines Privaten oder allgemeinen Grundsätzen über den Regress Drittzahlender beruht und kein hoheitliches Sonderrecht besteht.353 Insoweit kann der Staat durch 339 Kaye 589; C. Kohler in M. Will (Hrsg.), Schadensersatz im Strafverfahren (1990) 74; Schoibl, FS Sprung (2001) 321, 326; Burgstaller/Neumayr/Burgstaller, Art. 5 EuGVVO Rz. 61; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 7 Brussels Ibis Regulation Rz. 402; a.A. Layton/Mercer, Rz. 12.023, 15.100. 340 QRS I Aps vs. Flemming Frandsen [1999] 1 WLR 2169, 2173–2175 = [2000] ILPr 8, 12–16 (C.A., per Waller LJ.), [1999] ILPr 432, 441 (Q.B.D., Sullivan J.). A.A. EuGH v. 5.2.2004 – C-265/02, ECLI:EU:C:2004:77 Rz. 21 – Frahuil SA vs. Assitalia SpA. 341 A.A. S. Lorenz/Unberath, IPRax 2004, 298, 299 f.; Mäsch/Fountoulakis, GPR 2005, 98 f. 342 A.A. Mäsch/Fountoulakis, GPR 2005, 98 f. 343 Mankowski, EWiR Art. 5 EuGVÜ 1/04, 379, 380. 344 EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00, ECLI:EU:C:2002:656 Rz. 31 – Gemeente Steenbergen vs. Luc Baten; EuGH v. 22.5.2003 – C-266/01, ECLI:EU:C:2003:282 Rz. 23 – Préservatrice foncière TIARD SA vs. Staat der Nederlanden; EuGH v. 5.2.2004 – C-265/02, ECLI:EU:C:2004:77 Rz. 20 – Frahuil SA vs. Assitalia SpA; GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 84. 345 A.A. Lehmann, ZZP Int 9 (2004) 172, 179 f. 346 A.A. EuGH v. 15.1.2004 – C-433/01, ECLI:EU:C:2004:21 Rz. 21 – Freistaat Bayern vs. Jan Blijdenstein; EuGH v. 5.2.2004 – C-265/02, ECLI:EU:C:2004:77 Rz. 21 – Frahuil SA vs. Assitalia SpA. 347 Vlas, Ned. Jur. 2005 Nr. 66 S. 401. 348 Mankowski, RIW 2004, 481, 495. 349 Freitag, IPRax 2004, 305, 307. A.A. S. Lorenz/Unberath, IPRax 2004, 298, 299; S. Lorenz/Unberath, FS Schlosser (2005) 513, 520 f. 350 A.A. S. Lorenz/Unberath, IPRax 2004, 298, 299; Freitag, IPRax 2004, 305, 308. 351 Freitag, IPRax 2004, 305, 308. 352 Sogleich Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 44. 353 EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00, ECLI:EU:C:2002:656 Rz. 37 – Gemeente Steenbergen vs. Luc Baten; EuGH v. 15.1.2004 – C-433/01, ECLI:EU:C:2004:21 Rz. 20 – Freistaat Bayern vs. Jan Blijdenstein; Trenk-Hinterber-
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich beliebige Private substituiert werden.354 Die Einordnung als öffentlich-rechtliches Handeln nach dem Recht des Staates, welchem die handelnde Stelle angehört, ist dabei ohne Bedeutung. Werden dagegen hoheitliche Sonderbefugnisse zur Durchsetzung benutzt, die nicht jedem beliebigen Gläubiger zu Gebote stünden, so liegt keine Zivilsache mehr vor.355 Die Abgrenzung ist nicht einfach und erfordert Recherche im Recht des Staates, welchem die handelnde Behörde angehört, inwieweit es hoheitliche Sonderrechte konstituiert.356 Ob der Behörde eine Legalzession zugute kommt oder ob für sie ein eigener Anspruch begründet wird, steht prinzipiell gleich.357 6. Qualifikation von Sicherungsmaßnahmen 69a
Sicherungsmaßnahmen sind differenziert hauptsacheakzessorisch zu qualifizieren. Einstweiliger Rechtsschutz auf Sicherungsmaßnahmen ist dann eine Zivil- und Handelssache, wenn der zu sichernde Anspruch eine Zivil- und Handelssache ist.358 Es kommt auf den einzelnen zu sichernden Anspruch an, nicht auf die Hauptsache schlechterdings.359 Dies korrespondiert damit, dass Art. 35 nur in solchen Eilverfahren herangezogen werden kann, die in den sachlichen Anwendungsbereich der VO fallen.360
II. Ausnahmebereiche nach Abs. 2 1. Grundsätzliches 70
Die grundsätzliche Leitlinie für die Ausnahmebereiche umschreibt ErwGr. 10 Brüssel Ia-VO im Sinne einer Tendenzaussage361: (10) Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken; aufgrund der Annahme der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen sollten insbesondere die Unterhaltspflichten vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen werden.
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Abs. 2 enthält einen Ausnahmekatalog. Dass Ausnahmen per se eng zu verstehen seien,362 ist ein Postulat, das seinerseits in Widerspruch zum eigenen effet utile der Ausnahmen steht. Die Ausnahmen sind alle objektiv ratione materiae formuliert; es erfolgt keine Ausnahme aus subjektiv-persönlichen Gründen, weil nach der Person des Klägers oder des Beklagten als solcher differenziert würde.363 Die Änderungen in der Reform von der Brüssel I- zur Brüssel Ia-VO waren durchweg nur kosmetischer Natur.364 Die einzige Änderung von wirklicher Bedeutung ist nicht im Wortlaut des Abs. 2 er-
354 355 356 357 358 359 360 361 362
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ger, EuLF 2003, 87, 89; Martiny, IPRax 2004, 195, 200–202; Huet, Clunet 131 (2004) 635, 636; Vlas, Ned. Jur. 2005 Nr. 411 S. 3143. Kropholler/Blobel, FS Sonnenberger (2004) 453, 465 f.; Martiny, IPRax 2004, 195, 201. Stolz, 8 f.; Trenk-Hinterberger, EuLF 2003, 87, 89; P. Rodière, RTD eur. 2003, 529, 531; Jayme/Kohler, IPRax 2003, 485, 489 f.; Martiny, IPRax 2004, 195, 200. Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 16. Neu, EuZW 2004, 278. GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 51, 97. GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 51. GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 2.4.2020 in der Rs. C-186/19, ECLI:EU:C:2020:252 Rz. 52 unter Hinweis auf EuGH v. 28.4.2005 – C-104/03, ECLI:EU:C:2005:255 Rz. 10 mwN – St. Paul Dairy Industries NV vs. Unibel Exser BVBA. Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 48. EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 27 – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA, IPRax 2015, 543; EuGH v. 6.6.2019 – C-361/18, ECLI:EU:C:2019:473 Rz. 43 – Ágnes Weil vs. Géza Gulácsi; Peretz Winkler and Arzal Finance Corp vs. Angela Shamoon, Alexander Shamoon and Philippe Grumbach, [2016] EWHC 217 (Ch.) [59] (Ch. D., Henry Carr J.); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 47 sowie Sana Hassib Sabbagh vs. Wael Said Khoury [2014] EWHC 2433 (Comm) [257] (Q.B.D., Sue Carr J.). Aud. Prov. Barcelona, AEDIPr 2000, 775.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
folgt, sondern besteht in dem neuen ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO, der Abs. 2 lit. d ergänzt. Allerdings hat Abs. 2 seine Stellung im Gesamtsystem verändert: Diente Art. 1 Abs. 2 EuGVÜ oder Brüssel I-VO vertikal der Abgrenzung zwischen europäischem und mitgliedstaatlichem Recht, so erfolgt mit der steigenden Zahl anderer EU-Verordnungen die Abgrenzung heute eher horizontal zwischen der Brüssel Ia-VO und ihren europäischen Schwesterverordnungen.365 Der Ausnahmekatalog des Abs. 2 stimmt in vielem nicht mit jenem des Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO über- 72 ein. Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO enthält einige Tatbestände, die sich in Abs. 2 nicht finden. Dies trifft namentlich die Ausnahmen für Wertpapierrecht aus Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO,366 für Gesellschaftsrecht aus Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO, für trusts aus Art. 1 Abs. 2 lit. h Rom I-VO, für culpa in contrahendo aus Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO und für Gruppenversicherungsverträge zugunsten von Arbeitnehmern aus Art. 1 Abs. 2 lit. j Rom I-VO. Alle diese Bereiche fallen aber unter die Brüssel IaVO. Insoweit hat die Triangulierung mit den Rom I und II-Verordnungen ihre Grenzen. Die Brüssel Ia-VO hat einen weiteren sachlichen Anwendungsbereich als selbst die Rom I- und die Rom IIVerordnungen zusammen. a) Ausnahmegegenstand nicht nur Vorfrage Damit Abs. 2 eingreift, muss ein Gegenstand aus einem der dort aufgezählten Bereiche Hauptgegen- 73 stand des Verfahrens sein. Es reicht nicht aus, wenn ein solcher Gegenstand incidenter zu klären ist.367 Insofern besitzt ein in einer Zivilsache angerufenes Gericht die Kompetenz, die incidenter aufgeworfene Vorfrage zu beantworten, selbst wenn diese Vorfrage isoliert betrachtet aus der Brüssel IaVO herausfiele.368 Die Vorfrage ist nicht Streitgegenstand, und die Entscheidung über sie erwächst in aller Regel nicht mit in Rechtskraft. Die Zuweisung der Vorfrage an das Gericht der Hauptsache vermeidet Verfahrensdoppelungen und ist ein die gesamte Brüssel Ia-VO (mit Ausnahme des Art. 24 Nr. 4) durchziehendes Strukturprinzip.369 Was Vorfrage und was Hauptfrage ist, bestimmt sich nach dem Klagantrag370 und steht insoweit in der Initiative des Klagenden.371 Das gilt selbst dann, wenn die Vorfrage der eigentliche Schwerpunkt der Streitigkeit ist und die Hauptfrage als solche schnell zu entscheiden wäre.372 Verteidigungseinwände des Beklagten zählen nicht für die Qualifikation.373 Bei der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung kommt es ebenfalls darauf an, ob der Streitgegenstand der Entscheidung unter einen Tatbestand des Abs. 2 fällt oder nicht.374 b) Mehrere Ansprüche Bei Anspruchskonkurrenz sind die einzelnen Klagansprüche grundsätzlich isoliert zu betrachten, so dass für den einen die Brüssel Ia-VO anwendbar sein kann, für den anderen nicht.375 Der Versuch ei364 365 366 367 368
369 370 371 372 373 374 375
E. Guinchard, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 319, 332. Dickinson/Lein/Illmer, Rz. 2.24. Thole, WM 2014, 1205 f. BGH NZI 2015, 1033, 1035 Rn. 22. Siehe nur EuGH v. 25.7.1991 – C-190/89, ECLI:EU:C:1991:319 Rz. 26-28 – Marc Rich and Co. AG vs. Società Italiana Impianti PA; OLG Stuttgart, IPRax 2001, 152; OLG Düsseldorf, EuLF 2007, II-142, II-144; The „Heidberg“ [1994] 2 Lloyd’s Rep. 287 (Q.B.D., Judge Anthony Diamond QC); Phillip Alexander Securities and Futures Ltd. v. Bamberger [1997] ILPr 73, 99 (Q.B.D., Waller J.); Zellner v. Phillip Alexander Securities and Futures Ltd. [1997] ILPr 730, 742 (Q.B.D., Judge R Jackson QC); Mankowski, JZ 1998, 898, 900 sowie OLG Düsseldorf v. 18.7.1997 – 22 U 271/96, NJW-RR 1998, 283, 284; Alfred C Toepfer International GmbH v. Molino Boschi Srl [1997] ILPr 133, 138 (Q.B.D., Mance J.). de Boer, Ned. Jur. 1997 Nr. 715 S. 3938; Mankowski, JZ 1998, 898, 900. BGH NZI 2015, 1033, 1035 Rn. 22. BGH NZI 2015, 1033, 1035 Rn. 21; B. Audit Clunet 136 (2009) 1285, 1289; Mankowski, NZI 2015, 1037, 1038. GAin Kokott, Schlussanträge v. 7.7.2016 in der Rs. C-417/15, ECLI:EU:C:2016:535 Rz. 30. EuGH v. 22.5.2003 – C-266/01, ECLI:EU:C:2003:282 Rz. 42 – Préservatrice foncière TIARD SA vs. Staat der Nederlanden; BGH NZI 2015, 1033, 1035 f. Rn. 23; Mankowski, NZI 2015, 1037, 1038. Siehe nur Kropholler/von Hein, Rz. 18. Siehe nur Stolz, 18; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 79; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 19 (2016).
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich ner einheitlichen Qualifikation nach der Natur des Streitgegenstands376 vermag dem nicht abzuhelfen, denn gerade die Qualifikation führt ja zur Einordnung der verschiedenen Klagansprüche. Einen Unterschied zwischen Klagansprüchen und Streitgegenstand konstruieren zu wollen überzeugt nicht. Besondere Bedeutung hat dies für Unterhaltsklagen, die mit Statusverfahren verbunden sind.377 Eine „Qualifikation qua Sachzusammenhangs“, bei der die anderen Ansprüche akzessorisch einem tragenden Anspruch folgen und dessen Natur annehmen, ist ebenfalls abzulehnen.378 Ansonsten stellte man es in gewissem Umfang dem Kläger anheim, allein durch geschickte Antragsformulierung und Nominierung eines bestimmten Antrags als Hauptantrag Streitgegenstände unter die Brüssel Ia-VO zu ziehen und sich dadurch unter Umständen ansonsten nicht bestehende Gerichtsstände zu eröffnen. Der Schutz des Beklagten würde damit hintangestellt. 75
Bei alternativen Ansprüchen, von denen nicht alle von der Brüssel Ia-VO erfasst sind, hängt die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO ebenfalls davon ab, auf welchen Klaganspruch das Gericht seine Entscheidung stützt.379 Insoweit folgt die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO mittelbar der Entscheidung in der Sache. Es färbt aber nicht der eine Anspruch auf die anderen dergestalt ab, dass die Brüssel IaVO schon dann für alle Ansprüche anwendbar wäre, wenn auch nur einer unter sie fällt. Damit zöge man eigentlich nicht unter sie fallende Ansprüche unter sie, während man ihr umgekehrt eigentlich erfasste Ansprüche entzöge, wenn man sie schon bei einem nicht unter sie fallenden Anspruch für unanwendbar hielte. c) Entscheidungen über mehrere Gegenstände
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Abs. 2 gilt auch für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung. Eine Entscheidung wird nur insoweit nach der Brüssel Ia-VO anerkannt und für vollstreckbar erklärt, wie die Brüssel Ia-VO sachlich anwendbar ist. Ob und, wenn ja, in welchem Umfang, eine Entscheidung unter die Brüssel Ia-VO fällt, beurteilt sich nach den in ihr sachlich ausgeurteilten Ansprüchen. Soweit sie Ansprüche betrifft, die unter die Brüssel Ia-VO fallen, fällt sie ihrerseits nicht unter die Brüssel Ia-VO. Soweit sie dagegen Ansprüche betrifft, die nicht unter die Brüssel Ia-VO fallen, fällt sie ihrerseits nicht unter die Brüssel Ia-VO.
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Bei mehreren ausgeurteilten Ansprüchen ist wiederum zwischen den einzelnen Ansprüchen zu unterscheiden. Fällt nur einer von mehreren unter die Brüssel Ia-VO, so erfolgt nur eine Teilanerkennung unter Art. 36 ff. Brüsssel Ia-VO bzw. eine Teilvollstreckung der Entscheidung über Art. 39 ff. Brüsssel Ia-VO;380 inwieweit die anderen Teile der Entscheidung anerkannt und vollstreckt werden können, richtet sich nach den jeweils für diese Teile sachlich einschlägigen Regeln, seien es Unionsrechtsakte, seien es multi- oder bilaterale Abkommen, sei es nationales Recht. Diese Trennung ist namentlich für Entscheidungen in Scheidungssachen bedeutsam, bei denen im Verbund eine Entscheidung Scheidung, Unterhalt, Güterrecht, Sorgerecht und ggf. Versorgungsausgleich aburteilt. Unter die Brüssel Ia-VO fällt dann eventuell, je nach Verständnis, der Versorgungsausgleich, nicht aber die anderen Aspekte, jedenfalls wegen Abs. 2 lit. e nicht der Unterhalt. Eine Schwerpunktbildung und Gewichtung dergestalt, dass die Brüssel Ia-VO anwendbar wäre, wenn die Entscheidung überwiegend Materien betrifft, die unter die Brüssel Ia-VO fallen, scheidet bei klarer Trennbarkeit aus.
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Probleme können insbesondere Entscheidungen bereiten, die einen Gesamtvermögensausgleich zwischen (bisherigen) Ehegatten vornehmen, ohne deutlich zwischen unterhaltsrechtlichen und anderen, insbesondere güterrechtlichen Aspekten zu unterscheiden.381 Dies ist gerade der Fall bei englischen Entscheidungen, die einen Gesamtvermögensausgleich nach sec 25 Matrimonial Causes Act 1973 ins Werk setzen.382 Bei ihnen ist vordringlich an Hand der Entscheidungsgründe zu beurteilen, welchen 376 Dafür Haas, NZG 1999, 1148, 1153; Kropholler/von Hein, Rz. 19; ähnlich M. Weller, IPRax 1999, 20. 377 Siehe nur Hausmann, FamRZ 1980, 418, 420. 378 EuGH v. 6.3.1980 – 120/79, ECLI:EU:C:1980:70 Rz. 9 – Luise de Cavel vs. Jacques de Cavel; Dauses/Kreuzer/ R. Wagner, Kap. Q Rz. 30; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 13; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 75. 379 Grunsky, JZ 1973, 641, 644; Stolz, 19 f.; Kropholler/von Hein, Rz. 20. 380 BGH v. 12.8.2009 – XII ZB 12/05, IPRax 2011, 187 = NJW-RR 2010, 1, 2. 381 Vgl. Moore v. Moore [2007] 2 FLR 339 = [2007] ILPr 481 (C.A.). 382 BGH v. 12.8.2009 – XII ZB 12/05, IPRax 2011, 187 = NJW-RR 2010, 1, 2.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Charakter die einzelnen Positionen haben könnten.383 Spricht die Entscheidung selber von einer Gesamtauseinandersetzung oder der Verteilung von Vermögenswerten, so handelt es sich in aller Regel um Güterrecht i.S.v. Abs. 2 lit. a und nicht um Unterhalt i.S.v. Art. 5 Nr. 2 Brüssel I-VO/LugÜbk 2007 und der EG-UntVO.384 In die Auslegung sind auch die Anträge einzubeziehen, soweit sie in der Entscheidung dokumentiert sind. Begehrt der Antragsteller die Verteilung von Vermögenswerten oder allgemein finanziellen Ausgleich, ohne Bedürfnisse zugrunde zu legen, so spricht dies für eine güter- und gegen eine unterhaltsrechtliche Qualifikation.385 Im Fall eines non liquet, wenn sich also nicht sicher feststellen lässt, ob eine unterhaltsrechtliche 79 Qualifikation richtig ist, sollte man die Brüssel Ia-VO im Zweifel nicht anwenden, da sie im betroffenen Gesamtbereich der Ehesachen nur einen kleinen Ausschnitt erfassen will und sich im Zweifel zurücknimmt. Methodisch kann man dies auf eine weite Auslegung von Abs. 2 lit. a stützen. Dies dürfte etwa dann eingreifen, wenn sich Einzelpositionen entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht in hinreichendem Maße identifizieren lassen. Kostenentscheidungen folgen dagegen als genuine Folge- und Nebensachen der Qualifikation des 80 Hauptanspruchs. Wenn die Hauptsache wegen Abs. 2 nicht unter die Brüssel Ia-VO fällt, gilt das gleiche für die Kostensache.386 Hier ist Akzessorietät gerechtfertigt, weil aus dem Charakter des Instituts bedingt. Der Kläger hat keine Manipulationsmöglichkeiten durch geschickte Reihung. d) Weitere Ausnahme über Spezialabkommen Einen weiteren Ausnahmebereich neben jenem des Abs. 2 beschreibt Art. 71 Brüsssel Ia-VO, der Spezialübereinkommen und besonderen Rechtsakten des Gemeinschaftsrechts Vorrang vor der Brüssel Ia-VO einräumt. Die beiden Ausnahmeregelungen des Abs. 2 und des Art. 71 Brüsssel Ia-VO haben grundsätzlich abschließenden Charakter, der allerdings Analogien in geeigneten Materien nicht prinzipiell ausschließt.387 Das UNÜ gewinnt Vorrang mit Hilfe der Spezialregelung des Art. 73 Abs. 2 Brüsssel Ia-VO.
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2. Ausnahmen nach Abs. 2 lit. a a) Familienrechtliche Statussachen Abs. 2 lit. a nimmt alle Statussachen von der Brüssel Ia-VO aus. Dies betrifft insbesondere Ehesachen (zuvörderst Scheidungen, Trennungen von Tisch und Bett, Eheaufhebungen, Annullierungen)388 und Kindschaftssachen, darunter vorrangig die Sorgerechtsentscheidungen,389 aber auch Vaterschaftsverfahren390 und Besuchs- oder Umgangsrechtsstreitigkeiten.391 Für Ehesachen und die mit ihnen zusammenhängenden Sorgerechtssachen betreffend gemeinsame Kinder der Ehegatten galt seit dem 1.3.2001 die Brüssel II-VO, für Ehesachen und alle Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (auch für nicht gemeinsame Kinder) gilt seit 1.3.2005 die Brüssel IIa-VO. Auch ein Verbundverfahren zwischen Statussache und Unterhalt bringt die Statussache nicht unter die Brüssel Ia-VO; vielmehr sind beide Teile zuständigkeits- wie anerkennungsrechtlich gesondert zu betrachten.392 Aus383 384 385 386 387 388
389 390 391 392
Siehe BGH v. 12.8.2009 – XII ZB 12/05, IPRax 2011, 187 = NJW-RR 2010, 1, 3. Moore v. Moore [2007] 2 FLR 339 [92] = [2007] ILPr 481 (C.A.). Moore v. Moore [2007] 2 FLR 339 [94] = [2007] ILPr 481 (C.A.). LG Hamburg, NJW-RR 1996, 516; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 13. Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 26. BGH v. 12.2.1992 – XII ZR 25/91, IPRax 1994, 40 = NJW-RR 1992, 642 m.w.N.; Cassaz. Riv. dir. int. priv. proc. 1979, 161; Cassaz. Giur. it. 1982 I/1 Sp. 1452 m. Anm. Franchi; Cassaz. Riv. dir. int. priv. proc. 1994, 212; BayObLG v. 29.3.1990 – BReg 3 Z 31/89, NJW-RR 1990, 842; BayObLG v. 25.9.2002 – 2 UF 128/02, FamRZ 2003, 1567, 1568; Aud. Prov. Barcelona, AEDIPr 2002, 621; Aud. Prov. Málaga, AEDIPr 2002, 622, 623. BGHZ 88, 113; Layton/Mercer, Rz. 12.029. Cass. civ., Rev. crit. dip. 93 (2004) 440, 441 m. Anm. Ancel. Rb’s Hertogenbosch, Ned. Jur. 1979 Nr. 164; Layton/Mercer, Rz. 12.029. Cass. civ., Rev. crit. dip. 73 (1984) 501; Cass. civ., Rev. crit. dip. 74 (1985) 677; Cass. civ. Rev. crit. dip. 76 (1987) 745 m. Anm. Simon-Depitre; Cass. civ., Rev. crit. dip. 84 (1995) 68; Cass. civ., Bull. civ. 1995 I no 242;
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich genommen sind auch Adoptionen, Betreuungs- und Vormundschaftssachen, Entmündigungsverfahren, Pflegschaftsverfahren und verwandte Verfahren393 sowie Verschollenheitsverfahren und Todeserklärungen.394 Scheidungsvereinbarungen werden zwar anlässlich der Scheidung geschlossen, betreffen aber nicht den Status als solchen,395 sondern in der Regel die finanziellen Folgen und die elterliche Sorge. b) Rechts- und Handlungsfähigkeit 83
Der Ausschluss von Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie der gesetzlichen Vertretung natürlicher Personen meint insbesondere die Rechts- und Handlungsfähigkeit geisteskranker und psychisch kranker Personen.396 Dem sollte man die Geschäftsfähigkeit hinzugesellen. Die Dreiteilung der deutschen Rechtssystematik in Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit schlägt sich nicht in einer gleichermaßen klaren terminologischen Untergliederung auf der europäischen Ebene nieder, ist aber richtigerweise in ihrer Gesamtheit abzubilden und hier einzuordnen. Schon die terminologische Zweiteilung in Rechts- und Handlungsfähigkeit ist eine Eigenheit der deutschen Fassung.397 Fassungen in anderen Sprachen verwenden nur einen einheitlichen Begriff. „Legal capacity“ und „capacité“ erfasst alle drei Elemente aus der Dreiteilung des deutschen Rechts und erlauben als monistisches Konzept gar keine Binnenunterteilungen.398 Die Begriffe der Rechts- und Handlungsfähigkeit sind verordnungsautonom auszulegen.399 Sie müssen Gegenstand des Streitverfahrens sein und nicht nur bloße Vorfrage;400 damit Abs. 2 lit. a greift, muss eine konstitutive, für den gesamten Rechtsverkehr verbindliche Entscheidung über die Rechts-, Geschäfts- oder Handlungsfähigkeit einer Partei Klagbegehr sein.401
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Die elterliche Sorge, deren Zuweisung und Verteilung gehören jedenfalls unter die Brüssel IIa-VO, nicht unter die Brüssel Ia-VO. Dort haben sie eine eingehende spezielle Regelung erfahren.
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Betreuungsfragen gehören, soweit es diese gibt, vor Gerichte, die auf diese sensible Materie spezialisiert sind. Sie rühren an den Kern der Person und sind für diese Person übergreifende Frage, die sich ihrem Ansatz nach nicht oder nur selten auf einzelne Rechtsgeschäfte oder Bereiche beschränken. Aus deutscher Sicht vermeidet die Ausklammerung aus der Brüssel Ia-VO Friktionen und Wertungsdivergenzen mit rein innerstaatlichen Genehmigungsanträgen nach §§ 1908i Abs. 1 S. 1, 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB, für die nach §§ 272 Abs. 1 Nr. 1, 271 Nr. 3 FamFG das Betreuungsgericht zuständig ist, und anderen auf § 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB verweisenden Vorschriften.402 Die Art der Gerichtsbarkeit allein könnte allerdings angesichts Abs. 1 S. 1 kein Argument sein.
86
Unter Abs. 2 lit. a fallen Anträge auf familien-, vormundschafts- oder betreuungsgerichtliche Genehmigung einer Veräußerung von Vermögenswerten durch eine ganz oder teilweise geschäftsunfähige Person.403 Maßgeblich ist der Charakter der in Rede stehenden Maßnahme als Schutzmaßnah-
393 394 395 396 397 398 399 400 401 402 403
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Cass. civ., Rev. crit. dip. 93 (2004) 440, 441; Hof van Cass. J. trib. 2002, 234; Lagarde, in Mélanges en l’honneur d’Alfred E vOverbeck (1990) 511; Ancel, Rev. crit. dip. 93 (2004) 442; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 14 (2005); Martiny, FamRZ 2008, 1681, 1682. Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 14; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 10 (2005); Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 51 (2016). Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 10 (2005); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 51. Vgl. aber Cass. civ., Rev. crit. dip. 94 (2005) 111 m. Anm. de Vareilles-Sommières. Schlosser-Bericht Nr. 51; Kropholler/von Hein, Rz. 22; von Hein, IPRax 2015, 198, 199. GAin Kokott, Schlussanträge v. 7.7.2016 in der Rs. C-417/15, ECLI:EU:C:2016:535 Rz. 25. GAin Kokott, Schlussanträge v. 7.7.2016 in der Rs. C-417/15, ECLI:EU:C:2016:535 Rz. 25; Klöpfer, EuZW 2017, 39. EuGH v. 3.10.2013 – C-386/12, ECLI:EU:C:2013:633 Rz. 19, IPRax 2015, 235 – Siegfried Janós Schneider = FamRZ 2013, 1873 m. Anm. Wendenburg = REDI 2014-1, 248 m. Anm. González Beilfuss; GAin Kokott, Schlussanträge v. 7.7.2016 in der Rs. C-417/15, ECLI:EU:C:2016:535 Rz. 25. EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:881 Rz. 25 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt; Klöpfer, EuZW 2017, 39; Tjarks, IWRZ 2017, 131. GAin Kokott, Schlussanträge v. 7.7.2016 in der Rs. C-417/15, ECLI:EU:C:2016:535 Rz. 30. Wendenburg, FamRZ 2013, 1874, 1875. EuGH v. 3.10.2013 – C-386/12, ECLI:EU:C:2013:633 – Siegfried Janós Schneider = FamRZ 2013, 1873 Rz. 23–26; Marchal Escalona, AEDIPr 2013, 1026, 1027 f.; von Hein, IPRax 2015, 198, 199.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
me.404 Dass es sich um eine Schutzmaßnahme handeln muss, ist unionsrechtliche Vorgabe im Obersatz. Das Material für den Untersatz aber liefert das Recht des um Erlass der Maßnahme angerufenen Gerichts zu, insbesondere welche Zwecke diese verfolgt und wozu sie dienen soll.405 Indes greift der Ausschluss nur, wenn das Verfahren jene Genehmigung zum Gegenstand hat. Handelt es sich bei der Genehmigung dagegen um eine bloße Vorfrage und rankt sich der Streit um die Folgen einer fehlenden, aber möglicherweise notwendigen Genehmigung, so greift der Ausschluss nicht.406 Insbesondere gehört ein Streit um Bestand oder Wirksamkeit eines möglicherweise genehmigungsbedürftigen Vertrags unter die Brüssel Ia-VO.407 Erst recht fällt eine Klage aus einem Rechtsgeschäft, welches der Betreute mit Genehmigung des Betreuers oder des Gerichts abgeschlossen hat, unter die Brüssel Ia-VO.408
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c) Güterrecht Die familienrechtlichen Sachen sind nicht insgesamt aus der Brüssel Ia-VO ausgegrenzt. Jedoch fallen 88 Güterrechtssachen über Abs. 2 lit. a heraus.409 Die Abgrenzung zwischen Unterhaltssachen und Güterrechtssachen richtet sich danach, ob für den konkreten Anspruch die Kriterien Bedürftigkeit bzw. Bedürfnissicherung des Berechtigten einerseits und Leistungsfähigkeit des Verpflichteten andererseits bestehen; ist dies der Fall, so handelt es sich um eine Unterhaltssache.410 Güterrechtliche Fragen sind solche Fragen, die während der Ehe oder nach deren Auflösung zwischen den Ehegatten untereinander, ausnahmsweise auch zwischen mindestens einem der Ehegatten und Dritten, wegen solcher Rechte an und auf Vermögen entstanden sind, die sich aus der ehelichen Beziehung ergeben,411 z.B. Eigentumsübertragungen und property adjustments.412 Ob der konkrete Güterstand von Gesetzes wegen oder auf Grund einer Vereinbarung zwischen den Ehegatten besteht, macht für lit. a keinen Unterschied. Gesetzliche und vertragliche Güterstände sind gleichermaßen erfasst. Anzulegen ist ein europäischer, kein nationaler Maßstab: Was das nationale Recht des Forums oder das Ehegüterrechtsstatut als güterrechtlich ansehen, ist nicht ausschlaggebend.413 Erster Ort, um daran den europäischen Begriff des Güterrechts festzumachen, sollte – auch schon im 89 zeitlichen Vorgriff bei Altehen, also jenseits Art. 69 Abs. 3 EuGüVO – Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 lit. a EuGüVO sein.414 Art. 3 Abs. 1 lit. a EuGüVO definiert „ehelicher Güterstand“ als sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen, die im Verhältnis der Ehegatten untereinander sowie zwischen ihnen und Dritten gelten. Diese Definition impliziert ein sehr weites Verständnis:415 Zu den güterrechtlichen Gegenständen gehören eben nicht nur die Güterstände im eigentlichen Sinne, sondern darüber hinaus auch alle anderen vermögensrechtlichen Beziehungen, die sich aus der Ehe oder deren Auflösung ergeben.416 Eine Sonderordnung unter den Ehegatten ist nicht mehr verlangt.417 Ansons404 EuGH v. 3.10.2013 – C-386/12, ECLI:EU:C:2013:633 Rz. 25 f. – Siegfried Janós Schneider. 405 Siehe EuGH v. 3.10.2013 – C-386/12, ECLI:EU:C:2013:633 Rz. 25 – Siegfried Janós Schneider. 406 Carrillo Lerma, Cuad der trans 6 (1) (2014) 349, 353; von Hein, IPRax 2015, 198, 199 f.; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 58. 407 Carrillo Lerma, Cuad der trans 6 (1) (2014) 349, 353 f.; von Hein, IPRax 2015, 198, 199 f. 408 Kümmerle, GPR 2014, 170, 171; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 52 (2016). 409 Einen einfachen Beispielsfall bietet Vzngr. Rb. ’s-Gravenhage, NIPR 2012 Nr. 104 S. 157. 410 EuGH v. 27.2.1997 – C-220/95, ECLI:EU:C:1997:91 Rz. 22 – Antonius van den Boogaard vs. Paula Laumen. 411 Schlosser-Bericht Nr. 50. 412 Mantegazza v. Mantegazza [2017] EWHC 3811 (Fam) [44], [2018] 3 FCR 864 (FD, Moor J.). 413 Gaudemet-Tallon Rz. 41; de Vareilles-Sommières, Rev. crit. dip. 94 (2005) 112, 113. 414 Mankowski, IPRax 2017, 541, 547; Nourissat, Procédures Août-Septembre 2017, 18; Mansel/Thorn/R. Wagner, IPRax 2018, 121, 133 f.; Dimmler, EuGH v. 14.6.2017 – C-67/17, FamRB 2018, 3; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 61. 415 Ebenso Nademleinsky, EF-Z 2014, 143. 416 So schon vor Wirksamwerden der EuGüVO EuGH v. 27.3.1979 – 143/78, ECLI:EU:C:1979:83 Rz. 7 – Jacques de Cavel vs. Luise de Cavel; dem mit Recht heute noch folgend EuGH v. 14.6.2017 – C-67/17, ECLI:EU:C: 2017:459 Rz. 2 – Todor Iliev vs. Blagovesta Ilieva; EuGH v. 6.6.2019 – C-361/18, ECLI:EU:C:2019:473 Rz. 41 – Ágnes Weil vs. Géza Gulácsi; Schlosser-Bericht Nr. 50; s. auch Aud. Prov. Almería, AEDIPr 2005, 624. 417 Kemper, FamRB 2019, 32, 35.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich ten müsste man unter Umständen mühsame Abgrenzungen zwischen ehewirkungs- und ehegüterrechtlichen Vermögensfolgen vornehmen, zudem entgegen der Prämisse autonomer Qualifikation auf der Grundlage nationalen Rechts, weil die Divergenzen der mitgliedstaatlichen Rechte keine gemeinsame Grundlinie erkennen lassen.418 Ebenso entfällt eine in gleicher Weise mühsame Abgrenzung zum Sachenrecht.419 90
Daher fallen auch Vereinbarungen über den Verkauf von Anteilen am Gemeinschaftsgut seitens des einen Ehegatten an den anderen Ehegatten unter die Ausnahme für das Güterrecht420 oder die Rückforderung für die gemeinsame Ehewohnung geleisteter Kreditbeiträge.421 Die Zuteilung von Ehewohnung oder Hausrat bzw. Haushaltsgegenständen ist für die Zwecke des Abs. 2 lit. a güterrechtlich einzuordnen,422 gleichermaßen die Teilung während der Ehe erworbener Gegenstände im Scheidungsfall,423 desgleichen finanzielle Beiträge für den gemeinsamen Haushalt oder die Ehewohnung oder die Zuweisung eines Grundstücks zwischen Ehegatten.424 Nicht erfasst sind allerdings Grundstücksverkäufe, sei es zwischen den Ehegatten, sei es an Dritte, um den anderen Ehegatten auszahlen zu können.425
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Den Versorgungsausgleich sollte man ebenfalls Abs. 2 lit. a unterstellen,426 zumal weil er funktionell nur wenigen europäischen Rechtsordnungen überhaupt bekannt ist und viele Staaten über güterrechtliche Ausgleichsmechanismen zu wirtschaftlich ähnlichen Ergebnissen kommen.427
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Zu diesem weit verstandenen Bereich würden bei voller Konsequenz auch Schenkungen zwischen Ehegatten und deren Rückabwicklung zählen.428 Dagegen spricht jedoch der eigenständige vertragliche Rechtsgrund der Schenkung.429 Auch Differenzierungen danach, ob der Widerrufsgrund ehespezifisch ist,430 vermögen nicht zu überzeugen. Ähnliches lässt sich für Ansprüche aus Ehegatten-Innengesellschaften anführen.431 Unter die Brüssel Ia-VO fallen sicher Ansprüche aus Verlöbnisbruch432 und aus Arbeitsverträgen zwischen Ehegatten.433 Voreheliche Schenkungen sind ebenfalls nicht güterrechtlich.434 Gesamtschuldnerische Ausgleichsansprüche zwischen Ehegatten dagegen dürften eher güterrechtlich einzuordnen sein.435 Probleme kann die Überwölbung durch einen trust qua marriage 418 Hausmann, FamRZ 1980, 418, 423. 419 Dimmler, EuGH v. 14.6.2017 – C-67/17, FamRB 2018, 3. Vgl. aber auch Mußeva, IPRax 2018, 616 = FamRZ 2017, 2009. 420 Cass. civ., Rev. crit. dip. 94 (2005) 111 m. Anm. de Vareilles-Sommières; vgl. auch Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 863, 866. 421 Nademleinsky, EF-Z 2014, 143. 422 Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 12 (2005); OK BGB/Heiderhoff, BGB (ed. 2014) Art. 17a EGBGB Rz. 26; Winkler von Mohrenfels in MünchKomm/BGB, Bd. 11 (7. Aufl. 2018) Art. 17a EGBGB Rz. 22. 423 EuGH v. 14.6.2017 – C-67/17, ECLI:EU:C:2017:459 Rz. 30 – Todor Iliev vs. Blagovesta Ilieva (mit berechtigtem Hinweis in Rz. 31, dass die Brüssel IIa-VO nur für den Scheidungsausspruch selber, nicht für Entscheidungen über Schedungsnebenfolgen gilt). 424 Siehe Rb’s Hertogenbosch in Kaye, Casebook 673. Aud. Prov. Almería, AEDIPr 2005, 624 (kein Art. 22 Nr. 1 Brüssel Ia-VO). 425 Vzngr. Rb. Zutphen, NIPR 2007 Nr. 120 S. 172. 426 Kropholler/von Hein, Rz. 27; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 20; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 12 (2005); Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 56 (2016); eingehend Stolz, 87–94. 427 Rechtsvergleichender Überblick bei Mankowski in Staudinger (2003), Art. 13–17b EGBGB, Art. 17 EGBGB Rz. 305–316. 428 Basedow in Max-Planck-Institut (Hrsg.), Hdb. IZVR I Kap. II Rz. 104. 429 Hausmann, FamRZ 1980, 418, 424; Stolz, 41 sowie Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 105; S. Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 516, 517. 430 Dafür Stolz, 43 f. 431 Hausmann, FamRZ 1980, 418, 424; Basedow in Max-Planck-Institut (Hrsg.), Hdb. IZVR I Kap. II Rz. 104; Stolz, 61 f.; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 103; Kropholler/von Hein, Rz. 27; Geimer/ Schütze/Pörnbacher, Rz. 12 (2005). 432 Mankowski, IPRax 1997, 173, 174; Gottwald, JZ 1997, 92; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 113; S. Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 516, 517; unzutreffend BGHZ 132, 105, 107 = NJW 1996, 1411 und der Sache nach BGH, IPRax 2005, 545, 546. 433 Stolz, 47–52; Kropholler/von Hein, Rz. 27. 434 Gottwald, JZ 1997, 92; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 15; S. Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 516, 517. 435 Basedow in Max-Planck-Institut (Hrsg.), Hdb. IZVR I Kap. II Rz. 104; Stolz, 53–57.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
settlement ergeben.436 Güterrechtlich ist aber jedenfalls eine Scheidungsvereinbarung über die Verteilung von Gesellschaftsanteilen.437 Auch eine Nutznießung an Erträgen des früher gemeinsamen Ehegutes nach der Scheidung kann güterrechtlich sein.438 Die Verwaltung von Vermögen des einen durch den anderen Ehegatten ist Güterrecht, soweit sie ehebedingten Besonderheiten unterliegt und insbesondere soweit ihre Einsetzung auf einem Güterstand beruht, dagegen kein Güterrecht, sofern sie auf einem eigenständigen Auftrag oder Geschäftsbesorgungsvertrag beruht.439 Maßnahmen wie Betretungs-, Näherungs- oder Kontaktverbote etwa nach dem GewaltschutzG sind nicht mehr vermögensrechtlicher Natur, selbst wenn sie mit Bezug auf die Ehewohnung ausgesprochen werden, sondern persönlicher; daher sind sie kein Güterrecht, sondern als deliktische Ansprüche von der Brüssel Ia-VO erfasst.440 Güterrechtlichen Fragen einer Ehe sind gleichgestellt güterrechtliche Fragen von Verhältnissen, die 93 nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfalten. Diese Formulierung ist übernommen aus Art. 1 Abs. 2 lit. b Var. 2 Rom II-VO; 1 Abs. 2 lit. b Rom I-VO. Die Bezugnahme sollte gemäß ErwGr. 8 Rom I-VO nach der lex fori ausgelegt werden. Die bisher rein ehegüterrechtliche Ausnahme wird auf andere Partnerschaften mit eigenem Güterrechtsregime ausgedehnt.441 Allerdings steht dies unter dem Vorbehalt einer eheähnlichen Ausgestaltung durch das anwendbare nationale Recht. Die Erweiterung über die traditionelle verschiedengeschlechtliche Ehe hinaus ist jedenfalls eine notwendige Konsequenz aus der Fortentwicklung in den Sachrechten.442 Soweit die EU-PartVO intertemporal anwendbar ist (nach Maßgabe ihres Art. 69), wird sie mehr als nur auslegungsleitender Fixstern sein, sondern selber Anwendung heischen,443 indes nur für eingetragene Partnerschaften (wie sie Art. 2 lit. b EU-PartVO definiert). Güterrecht wird in Art. 3 Abs. 1 lit. a EU-PartVO ebenso umschrieben wie in Art. 3 Abs. 1 lit. a EuGüVO für das eheliche Güterrecht. Problematisch ist die Behandlung von vermögensrechtlichen Ansprüchen zwischen den Partnern einer bloßen nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Deren Beziehungen zueinander sind richtigerweise familien-, nicht schuldrechtlich zu qualifizieren.444 Jedenfalls soweit die nichteheliche Lebensgemeinschaft rechtlich in irgendeiner Weise formalisiert ist, sollte man die vermögensrechtlichen Ansprüche im Innenverhältnis der Partner zueinander analog Abs. 2 lit. a Var. 5, 6 von der Brüssel Ia-VO ausnehmen,445 selbst wenn es sich bei ihnen nach dem jeweiligen Innenwirkungsstatut nicht um Güterrecht handelt. Insoweit trägt der Umkehrschluss aus dem Erfordernis der Vergleichbarkeit mit einer Ehe aus Abs. 2 lit. a Var. 6 nicht.446 ErwGr. 16 EU-PartVO besagt im Kern nur etwas für die Anwendbarkeit der EU-PartVO und trägt ebenfalls keinen weitergehenden Umkehrschluss.447 Nichteheliche Lebensgemeinschaften werden vereinzelt im Sekundärrecht schon Ehen gleichgestellt.448 Ein Distanz436 437 438 439 440 441 442 443 444 445
446 447 448
Eingehend Conrad,160–189. Cass. civ. D 2004, 2475; Courbe/Chanteloup, D 2005, 1261. Vgl. auch Trib. Sup. Aranzadi 1998 Nr. 10538. Aud. Prov. Baleares, REDI 1996-2, 266. Ähnlich Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 107. Bamberger/H. Roth/Heiderhoff, BGB (2014) Art. 17a EGBGB Rz. 27. Näher dazu Lagarde, Rev. crit. dip. 95 (2006) 331, 333 f.; Quiñones Escámez in Calvo Caravaca/Rodríguez Rodrigo (dir.), Parmalat y otros casos de derecho internacional privado (2007) 475, 478 f.; Leible/M. Lehmann, RIW 2008, 528, 530; Cerqueira, Rev. crit. dip. 2016, 285, 287. Silvestri, Riv. trim. dir. proc. civ. 2013, 677, 690. Rauscher, ZZP 131 (2018) 402, 403. Siehe ausführlich Mankowski in Staudinger, BGB, Art. 13–17b EGBGB (2011) Anh. zu Art. 13 EGBGB Rz. 50 ff. Mankowski, NZFam 2019, 890; s. auch Winfrid Burger, FamRB 2020, 26, 27. Ähnlich, aber weitergehend CA Liège, RCDB 2015, 531, 532; Stolz, 68–72; Nordhues, DRiZ 1991, 136, 137 Fn. 25; R. Wagner, IPRax 2001, 281; R. Wagner, FamRZ 2009, 269, 270. A.A. EuGH v. 6.6.2019 – C-361/18, ECLI:EU:C:2019:473 Rz. 43 f. – Ágnes Weil vs. Géza Gulácsi (indes rein faktische Lebengemeinschaft); Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 114 f.; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 13 (2005); Rixhon, RCDB 2015, 533, 534; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 60 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 68. Vgl. aber EuGH v. 6.6.2019 – C-361/18, ECLI:EU:C:2019:473 – Ágnes Weil vs. Géza Gulácsi Rz. 44. Siehe auch Mankowski, NZFam 2019, 890. Anders Brosch, FamRZ 2019, 1560. Art. 5 Abs. 1 Entscheidung Nr. 2004/676/EG des Rates vom 24.9.2004 über das Statut der Bediensteten der Europäischen Verteidigungsagentur, ABl. EG 2004 L 310/9.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich gebot zwischen registrierten und nichtregistrierten Partnerschaften449 besteht im Unionsrecht jedenfalls nicht als striktes Gebot, obwohl zuzugestehen ist, dass die EU-PartVO nur erstere erfasst. 95
Vermögensrechtliche Beziehungen innerhalb einer registrierten gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft nimmt Abs. 2 lit. a Var. 6 sogar direkt aus. Dieser Tatbestand leistet heute in den Mitgliedstaaten der EU-PartVO (z.B. Deutschland) die nötige Abgrenzung zur EU-PartVO, auch wenn er einer aus einer früheren Epoche des europäischen IPR und IZPR stammenden Formulierung folgt (wie sie auch Art. 1 Abs. 2 lit. b Var. 2 Rom I-VO; 1 Abs. 2 lit. b Var. 2 Rom II-VO verwenden).450 Die Abgrenzungslinie verläuft entlang dem Güterstandsbegriffs des Art. 3 Abs. 1 lit. a EU-PartVO, der sich genau so weit auf alle Vermögensrechtlichen Beziehungen im Innenverhältnis der Partner erstreckt wie Art. 3 Abs. 1 lit. a EU-GüVO auf die vermögensrechtlichen Innenbeziehungen von Ehegatten.451
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Erst recht fallen vermögensrechtliche Beziehungen innerhalb einer gleichgeschlechtlichen Ehe (wie es sie in vielen zumal nord- und westeuropäischen Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO einschließlich Deutschlands gibt) unter Abs. 2 lit. a Var. 5 oder Var. 6. Ob das Güterrecht gleichgeschlechtlicher Ehen Gegenstand der EU-GüVO oder EU-PartVO ist, ist eine Abgrenzungsfrage zwischen diesen beiden Verordnungen. Aus der limitierten Sicht der Brüssel Ia-VO ist aber jedenfalls zu konstatieren: Es fällt nicht unter die Brüssel Ia-VO, sondern in deren Mitgliedstaaten unter eine der beiden Güterrechtsverordnungen. Der Ausschlusstatbestand aus der Brüssel Ia-VO hat indes in allen Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO die gleiche sachliche Reichweite, unabhängig davon, ob der Forummitgliedstaat auch Mitgliedstaat der Güterrechtsverordnungen ist.
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Eine durchgängig gleiche Bedeutung des Ehebegriffs innerhalb des Unionsrechts, zumindest innerhalb des Sekundärrechts, bleibt ein Desiderat und ein Wunsch für die Zukunft452 (der sich angesichts des Widerstands konservativer osteuropäischer Mitgliedstaaten wohl kaum wird verwirklichen lassen). 3. Insolvenzverfahren (Abs. 2 lit. b) a) Grundsätzliches
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Insolvenzrechtliche Verfahren fallen nicht unter die Brüssel Ia-VO. Für sie gilt vielmehr seit dem 31.5.2002 die EuInsVO 2000453 und seit dem 26.6.2017 die EuInsVO 2015454 Bezweckt ist ein lückenloses Ineinandergreifen,455 also Komplementarität.456 Was nicht unter die EuInsVO 2000 bzw. 449 450 451 452 453
So ein Argument bei Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 68. Ebenso Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 67. Mankowski, NZFam 2019, 890. Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 24. VO (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABl. EG 2000 L 160/1. Für die hier allein relevanten Zwecke der Qualifikationsabgrenzung steht die EuInsVO pars pro toto. Die Richtlinien 2001/17/EG des Rates und des Europäischen Parlaments vom 19.3.2001 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen (ABl. EG 2001 L 110/28) und 2001/24/EG des Rates und des Europäischen Parlaments vom 4.4.2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten (ABl. EG 2001 L 125/15) werden im Folgenden nicht gesondert erwähnt, weil sie sich in der hier allein interessanten Qualifikationsfrage von der EuInsVO 2000/EuInsVO 2015 nicht signifikant unterscheiden. Sie sind in Deutschland umgesetzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen zur Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten vom 10.12.2003 (BGBl. 2003 I 2478) sowie das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts vom 14.3.2003 (BGBl. 2003 I 345). Eingehend zu ihren spezifischen aufsichtsrechtlichen Fragen Kollhosser/Goos, FS Gerhardt (2004) 487 sowie Wimmer, ZInsO 2002, 897; C. Keller, BKR 2002, 347; Geiger, VW 2002, 1157; Horsch, VW 2003, 1960. Generell zu den Richtlinien z.B. Deguée, (2004) 15 Eur Bus LRev 99. 454 VO (EU) Nr. 848/2015 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. EU 2015 L 141/19. 455 Siehe nur Schlosser-Bericht ABl. EWG 1979 C 59/71 Nr. 53; EuGH v. 22.2.1979 – 133/78, ECLI:EU:1979:49 Rz. 3 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler; EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 21 – Nickel & Goeldner Spedition GmbHvs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 11.6.2015 – C-649/13, ECLI:EU:C:2015:384 Rz. 26 – Comité d’entreprise de Nortel Networks Sa vs. Cosme Rogeau; EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:EU:C:2017:847 Rz. 17 – Tünkers France u. Tünkers Maschinenbau AG
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
die EuInsVO 2015 fällt, soll spiegelbildlich unter die Brüssel Ia-VO fallen (und umgekehrt).457 Zuständigkeitslücken und daraus resultierend die Anwendung nationalen Zuständigkeitsrechts wird im Interesse der Rechtssicherheit zum wichtigen Ziel erklärt.458 Die Doktrin vom lückenlosen Aneinanderschmiegen ist bereits vierzig Jahre alt. Sie begleitet bereits die explizite Ausklammerung der Insolvenzsachen aus dem EuGVÜ 1978.459 Bei der Erarbeitung der EuInsVO 2000 wurde sie bekräftigt: Es dürfe kein Niemandsland zwischen den beiden europäischen Regimes entstehen, das durch nationales Recht auszufüllen wäre.460 Eine Anpassung im Verhältnis zu den LugÜbk-Vertragsstaaten außerhalb der EU mag problematisch sein, die eben keine Mitgliedstaaten der EuInsVO 2000/EuInsVO 2015 sind.461 Der lückenlose Anschluss ist zudem nirgends in einer echten normativen Regel ausdrücklich garantiert, und der Insolvenzbegriff des Abs. 2 lit. b könnte theoretisch in Randbereichen weiter sein als jener der EuInsVO 2000/EuInsVO 2015.462
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Außerdem bestand gerade im Zwischenbereich der in Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO 2000 ge- 100 nannten Annexentscheidungen bzw. Annexverfahren463 kein eigener, ausdrücklich normierter Zuständigkeitstatbestand unter der EuInsVO 2000, obwohl die EuInsVO 2000 diese Verfahren sachlich erfasste; insoweit besteht eine europäische Regelungslücke für die Zuständigkeit, indes nur, wenn man sich nicht zu einer analogen oder direkten Anwendung des Art. 3 EuInsVO 2000 verstehen konnte.464 Dies hat sich für die EuInsVO 2015 indes geändert, denn Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 ist Zuständigkeitstatbestand für die in Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO 2015 genannten Annexentscheidungen bzw. -verfahren. Schon die richterrechtliche Ausdehnung des insolvenzrechtlichen Zuständigkeitstatbestandes aus 101 Art. 3 EuInsVO 2000 auf Annexverfahren durch den EuGH465 seit Deko Marty hatte die Lückenfrage
456 457
458 459 460
461 462 463 464 465
vs. Expert France = NZI 2018, 44 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 20.12.2017 – C-649/16, ECLI:EU:C:2017:986 Rz. 24 – Peter Valach u.a. vs. Waldviertler Sparkasse Bank AG u.a. = NZI 2018, 231 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 Rz. 33 – Skarb Pánstwa Rzczpospolitej Polskiej – Generalny Dyrektor Dróg Krajowych i Autostra vs. Stephan Riel; BGH, RIW 2014, 530, 531 = ZIP 2014, 1131; Tchenguiz v. Kaupthing Bank HF [2017] EWCA Civ 93 [36]-[37], [2017] 2 BCLC 299 (C.A., per M. Briggs LJ.); Re Rodenstock GmbH [2011] EWHC 1104 (Ch.), [2011] Bus LR 1245 [47] (Ch. D., M. Briggs J.); Fondazione Enasarco v. Lehman Brothers Finance SA [2014] EWHC 34 (Ch.), [2014] 2 BCLC 662 [28] (Ch. D., David Richards J.); G. C. Schwarz, NZI 2002, 290, 291 f.; Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31, 35; Mörsdorf-Schulte, NZI 2008, 282; Kusche, 88–94; M. Stürner, IPRax 2015, 535. P. Schulz, EWiR 2019, 305, 306. Siehe nur EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 21 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 11.6.2015 – ECLI:EU:C:2015:384 Rz. 26 – Comité d’entreprise de Nortel Networks SA vs. Cosme Rogeau; EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:EU:C: 2017:847 Rz. 17 – Tünkers France u. Tünkers Maschinenbau AG vs. Expert France = NZI 2018, 44 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 20.12.2017 – C-649/16, ECLI:EU:C:2017:986 Rz. 24 – Peter Valach u.a. vs. Waldviertler Sparkasse Bank AG u.a. = NZI 2018, 231 m. Anm. Mankowski. GA Wahl, Schlussanträge v. 28.6.2018 in der Rs. C-296/17, ECLI:EU:C:2018:515 Rz. 59. Schlosser-Bericht ABl. EWG 1979 C 59/71 Nr. 53. Erläuternder Bericht Virgós/Schmit zum EuInsÜ, abgedr. in Stoll (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht (1994) Nr. 77; außerdem z.B. Dutta [2008] LMCLQ 88, 93; Mankowski/M. Müller/J. Schmidt/Mankowski, Art. 6 EuInsVO 2015 Rz. 1; Mankowski, NZI 2018, 46, 47; Guski, ZIP 2018, 2395, 2396. Haubold, IPRax 2002, 157, 161; Markus, AJP 2017, 287, 294. Magnus/Mankowski/Rogerson, Art. 1 Brussels Ibis Regulation Rz. 29. Vgl. aber Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31, 35 f.; Espiniella Menendez, REDI 2012-2, 225, 226. Eingehend dazu Leipold, FS Ishikawa (2001) 221; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky/Duursma-Kepplinger, EuInsVO (2002) Art. 25 EG-InsVO Rz. 18 ff. Dazu Vorauflage Brüssel Ia-VO Art. 1 Rz. 91–94 (Mankowski). EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 Rz. 19 ff. – Christopher Seagon als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Frick Teppichböden Supermärkte GmbH vs. Deko Marty Belgium NV; EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 Rz. 27 – F-Tex SIA vs. Lietuvos-Anglijos UAB „JadecloudVilma“ = EuZW 2012, 427 m. Anm. Sujecki; EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 Rz. 30, IPRax 2014, 425 – Ralph Schmid als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen von Aletta Zimmermann vs. Lilly Hertel; EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 21 – Nickel & Goeldner Spedition
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich für praktische Zwecke beantwortet und negativ beschieden.466 Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 hat dies legislativ nachvollzogen467 und damit ultimative Klarheit geschaffen: Er schafft eine ausschließliche (insolvenzrechtliche) Zuständigkeit auch für insolvenzrechtliche Annexklagen,468 wie sie der EuGH in Wiemer & Trachte bereits unter dem Regime der EuInsVO 2000 etablierte.469 Dies gilt auch bei Immobilienbezug;470 EuInsVO 2000 und 2015 kennen keinen ausschließliche Belegenheitszuständigkeit bei Immobilien vergleichbar Art. 24 Nr. 1 Unterabs. 1.471 101a
Die Anerkennungsregimes von EuInsVO 2000/EuInsVO 2015 und Brüssel Ia-VO schließen ebenfalls nahtlos aneinander an und lassen keinen Platz für eine Lücke.472 Nur für die Zuständigkeit gibt es bei Klagen gegen Drittstaatsansässige in normalen Zivilsachen eine von den nationalen Rechten der Mitgliedstaaten über Art. 6 Abs. 1 zu füllende Lücke.473 Die Ausschließlichkeit der Zuständigkeit aus Art. 6 EuInsVO 2015474 kann insoweit freilich für Friktionen sorgen.475 Jedenfalls verhindert Art. 1 Abs. 2 lit. d LugÜ 2007 eine Anerkennung unter dem LugÜbk 2007.476
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Jenseits dessen gilt aber jedenfalls in eine Richtung477 ein einfacher Grundsatz: Was unter die EuInsVO 2000 bzw. 2015 fällt, kann nicht unter die Brüssel Ia-VO fallen.478 Die vorrangige Orientierungsmarke setzt Art. 7 EuInsVO 2015 bzw. Art. 4 EuInsVO 2000: Jedenfalls was in Art. 4 Abs. 2 EuInsVO 2000 bzw. Art. 7 Abs. 2 EuInsVO 2015 aufgezählt ist, ist im Prinzip insolvenzrechtlich einzuordnen.479 Diese Norm ist die große Qualifikationsnorm in der EuInsVO 2000 bzw. 2015,480 und die
466 467 468
469
470 471 472 473 474 475 476 477 478 479
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GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C: 2014:2410 Rz. 31 – H. als Insolvenzverwalter über das Vermögen der G. T. GmbH vs. H. K. BGH, RIW 2014, 530, 531 (dazu Mankowski, EWiR 2015, 93). Siehe GA Wahl, Schlussanträge v. 28.6.2018 in der Rs. C-296/17, ECLI:EU:C:2018:515 Rz. 66. GA Wahl, Schlussanträge v. 28.6.2018 in der Rs. C-296/17, ECLI:EU:C:2018:515 Rz. 66 f.; P. Schulz, EuZW 2015, 596, 598; Norkus, ERA-Forum 2015, 197, 207; Gottwald, FS Isaak Meier (2015) 249, 251; Wedemann, IPRax 2015, 505, 508; Mankowski/M. Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015 (2016) Art. 6 Rz. 27; J. Schmidt, ZInsO 2018, 2629, 2631; Mankowski, NZI 2018, 996, 997; R. Dammann/Rotaru, D 2019, 619, 621 sowie Thole, ZIP 2012, 605, 609; Thole, ZEuP 2014, 39, 60. A.A. Bork, FS Siegfried Beck (2016) 49, 61; Bork/ van Zwieten/Ringe, European Insolvency Regulation (2016) Art. 6 Rz. 35. EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17, ECLI:EU:C:2018:902 Rz. 32–43 – Wiemer & Trachte GmbH vs. Zhan Oved Tadzher; EuGH v. 4.12.2019 – C-493/18, ECLI:EU:C:2019:1046 Rz. 29, 40 – UB vs. VA, Tiger SCI, WZ (als Insolvenzverwalter von UB) und Banque patrimoine et immobilier SA = NZI 2020, 123 m. Anm. Mankowski; J. Schmidt, ZInsO 2018, 2629, 2631; Mankowski, NZI 2018, 996, 997; Brinkmann/C. Kleindiek, EWiR 2019, 19, 20; Planitzer, ZIK 2019/1, 5, 8–10; Nourissat, Procédures N° 1, janvier 2019, 13; Jault-Seseke/Robine, Bull. Joly Sociétés 2019, 49, 51 f.; R. Dammann/Rotaru, D 2019, 619, 620 f.; Dahl/Taras, NJW-Spezial 2019, 367; Menjucq, Rev. proc. coll. N° 6, novembre-décembre 2019, 42, 43. Ablehnend Rübbeck, DZWiR 2019, 63, 65 f.; Fritz/Scholtis, IWRZ 2019, 139. EuGH v. 4.12.2019 – C-493/18, ECLI:EU:C:2019:1046 Rz. 34 – UB vs. VA, Tiger SCI, WZ (als Insolvenzverwalter von UB) und Banque patrimoine et immobilier SA = NZI 2020, 123 m. Anm. Mankowski. Mankowski, NZI 2020, 125, 126. EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 Rz. 21 – F-Tex SIA vs. Lietuvos-Anglijos UAB „Jadecloud-Vilma“; Schlosser-Bericht Nr. 53; BGH, RIW 2014, 530, 531. Haas, ZIP 2013, 2381 f. Zu ihr umfassend Bramkamp, Die Attraktivgerichtsstände des europäischen Insolvenzrechts (2019). Gottwald, FS Isaak Meier (2015) 249, 261. Gottwald, FS Isaak Meier (2015) 249, 252 f. Siehe aber für einen verwickelten Fall die komplizierten Überlegungen in BGE 140 III 320, 332–334; dazu Mankowski, EWiR 2014, 691. EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 Rz. 33 – Skarb Pánstwa Rzczpospolitej Polskiej – Generalny Dyrektor Dróg Krajowych i Autostra vs. Stephan Riel; G.C. Schwarz, NZI 2002, 290, 292; Mastrullo, Rev. proc. coll. N° 6, novembre-décembre 2019, 41. Mankowski, EWiR § 135 InsO 1/09, 215, 216; Mankowski, NZI 2010, 508, 511; Mankowski, NZI 2013, 714; Mankowski, NZI 2014, 922; Mankowski, EWiR 2015, 93, 94; Mankowski, NZI 2018, 234, 235; Mankowski, NZI 2019, 304, 305; Mankowski, NZI 2019, 864; Mankowski/Willemer, RIW 2009, 669, 672; F. Bittmann/U.P. Gruber, GmbHR 2008, 867, 869; Wedemann, IPRax 2012, 226, 227; s. auch Fondazione Enasarco v. Lehman Brothers Finance SA [2014] EWHC 34 (Ch.), [2014] 2 BCLC 662 [43] (Ch. D., David Richards J.); Piekenbrock, ZIP 2014, 2067, 2072 f.; Undritz, EWiR 2018, 243, 244; Musielak/Voit/A. Stadler Rz. 6; Wieczorek/ Schütze/G. Schulze, Rz. 75. Vgl. auch AG Bobek, Schlussanträge v. 18.10.2018 in der Rs. C-535/17, ECLI:EU: C:2018:850 Rz. 90.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
EuInsVO 2000 bzw. 2015 ist der speziellere und ausgefeiltere Rechtsakt im Vergleich mit dem doch eher wortkargen Abs. 2 lit. b.481 Der Katalog des Art. 4 Abs. 2 EuInsVO 2000 bzw. Art. 7 Abs. 2 EuInsVO 2015 mag sich zwar generischer Termini bedienen und nicht jede Erscheinung jedes nationalen Rechts spezifisch erfassen, aber er leistet eine doch schon recht detaillierte Einsteuerung. Die Funktionsunterschiede zwischen IPR und IZVR sind nicht so groß, dass sie unterschiedliche Qualifikationsmaßstäbe gebieten würden.482 Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 2000 bzw. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO 2015 fangen auf, was durch die Maschen des 103 Netzes in Art. 4 Abs. 2 EuInsVO 2000 bzw. Art. 7 Abs. 2 EuInsVO 2015 fällt, aber dennoch Insolvenzrecht ist. Er verwendet eine offene Begrifflichkeit. Er macht es notwendig, sich der Zwecke und der Erscheinungsvielfalt des Insolvenzrechts jenseits nationaler Ausgestaltungen in einer Weise zu vergegenwärtigen, die es erlaubt, einzelne Erscheinungen einzuordnen. Darauf baut eine Attraktivzuständigkeit des Insolvenzforums auf.483 Soweit Abs. 2 lit. b reicht, umfasst er auch einen Ausschluss des einstweiligen Rechtsschutzes aus der Brüssel Ia-VO.484 Umgekehrt erfasst die EuInsVO alle insolvenzferneren (eigentlich unechten) Annexsachen, wie sie Art. 25 Abs. 2 EuInsVO 2000 bzw. Art. 32 Abs. 2 EuInsVO 2015 deklaratorisch erwähnt.485 Dafür streitet auch der genetische Kontext: Im Bericht Jenard wird für die Lösung von Streitfragen auf das damals (1968) für die Zukunft geplante EuInsÜbk verwiesen.486 Entsprechend haben die Entwürfe zum EuInsÜ von 1970 (Art. 17 Nr. 8 EuInsÜ) und 1980 (Art. 15 Abs. 7 EuInsÜ) Annexzuständigkeiten vorgesehen.487 Insolvenzverfahren sind alle Gesamtverfahren, die auf der Zahlungseinstellung, der Zahlungsunfähigkeit oder der Krediterschütterung des Schuldners beruhen und ein Eingreifen der Gerichte beinhalten, das in eine zwangsweise kollektive Liquidation der Vermögenswerte des Schuldners oder zumindest eine Kontrolle durch die Gerichte (z.B. zur Sanierung eines Rechtsträgers) mündet.488 Prägend ist der Bezug auf die kollektive Haftungsordnung.489 Liquidations- und Sanierungsverfahren sind gleichermaßen erfasst.490 Insolvenzverfahren treten in verdrängenden Vorrang vor normalen Zivilverfahren, soweit sie einen Übergang der Verfügungsbefugnis über das schuldnerischen Vermögen auf einen zumindest vorläufig bestellten Insolvenzverwalter und im Interesse der Gleichbehandlung der Gläubiger einen Ausschluss der individuellen Rechtsverfolgung seitens einzelner Gläubiger bewirken.491 An die Stelle eines vom Insolvenzschuldner personenverschiedenen Insolvenzverwalters kann der Insolvenzschuldner selber treten, wenn eine nach der lex fori concursus zulässige Eigenverwaltung angeordnet ist.492 Prinzipielle Voraussetzung ist die Eröffnung eines – sei es 480 Mankowski, NZI 2010, 508, 511 m.w.N.; Mankowski, NZI 2010, 1004; Mankowski, NZI 2013, 714; Wedemann, IPRax 2012, 226, 227. 481 Kropholler/von Hein, Einl. Rz. 40; Reinhart, IPRax 2012, 418, 419; Mankowski, NZI 2014, 922. 482 Guski, ZIP 2018, 2395, 2399. 483 Mankowski, NZI 2013, 714; Mankowski, NZI 2019, 304, 305 sowie Laukemann, IPRax 2003, 150, 152. 484 Aud. Prov. Palma de Mallorca, AEDIPr 2003, 882, 883; Fuentes Mañas, AEDIPr 2003, 884, 885; Wieczorek/ Schütze/G. Schulze, Rz. 77. 485 Mankowski, NZI 2008, 604, 605; Mankowski, NZI 2010, 508, 509. 486 Bericht Jenard, ABl. EWG 1979 C 59/1, 12 Fn. 2. 487 Piekenbrock, ZIP 2014, 2067, 2071. 488 Grundlegend EuGH v. 22.2.1979 – 133/78, ECLI:EU:1979:49 Rz. 4 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler = Rev. crit. dip. 68 (1979) 657 m. Anm. Lemontey = Rev. soc. 1980, 526 m. Anm. Bismuth = Gaz Pal 1979.1.20207 m. Anm. Georges-Étienne; bekräftigt durch EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 Rz. 19 f. – Christopher Seagon als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Frick Teppichböden Supermärkte GmbH vs. Deko Marty Belgium NV; EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08, ECLI:EU:C:2009:419 Rz. 20-25 – SCT Industri AB in likvidation vs. Alpenblume AB = NZI 2009, 569 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 Rz. 26 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH vs. Alice van der Schee; s. auch z.B. Hof ’s-Gravenhage, [1991] ILPr 259, 262; OLG Saarbrücken, [1991] ILPr 459, 461; CA Paris, Clunet 119 (1992) 187; Hof Leeuwarden, NIPR 2008 Nr. 298 S. 555; Jyske Bank (Gibraltar) Ltd. v. Spjednaes [1999] 2 BCLC 101, 119–123 (Ch. D., Evans-Lombe J.); Aud. Prov. Álava, REDI 2013-1, 233 m. Anm. Carballo Piñeiro; Freitag, ZIP 2014, 302, 304. 489 Guski, ZIP 2018, 2395, 2399. 490 Wedemann, ZEuP 2014, 861, 869. 491 Siehe nur Freitag, ZIP 2014, 302, 305. 492 Siehe nur Reinacher/Reinalter, IPRax 2016, 614, 617. Zu eng unter der EuInsVO 2000 App. Trento (Bolzano), IPRax 2016, 612, 614.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich auch nur vorläufigen – Insolvenzverfahrens,493 jedenfalls soweit Vorfeldgestaltungen von der EGuInsVO 2000/EuInsVO 2015 nicht erfasst sind. Haupt-, Sekundär- und isolierte Partikularinsolvenzverfahren sind gleichermaßen erfasst. 105
Diejenigen Klagen fallen aus der Brüssel Ia-VO heraus, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens erfolgen und in engem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen.494 Inwieweit dies wirklich zwei verschiedene Kriterien sind, kann man durchaus anzweifeln.495 Die Grundidee ist indes einleuchtend, ihre Konkretisierung und Konturierung aber nicht einfach.496 Normalfall des Abs. 2 lit. b sind Gesamtverfahren; dies zieht Einzelstreitverfahren nur dann unter die Ausnahme, wenn sie ein großes Näheverhältnis zu Insolvenzverfahren aufweisen.497 Dieses Kriterium ist vage, an der Außengrenze unscharf, ausfüllungsbedürftig und der Rechtssicherheit nicht zuträglich.498 Zwar hat Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 es kodifiziert und ihm damit den gesetzgeberischen Segen erteilt.499 Damit schreibt der Gesetzgeber aber mangels eigener Konkretisierung nur alle Schwächen und Vagheiten dieses Kriteriums an der Außengrenze fort.500
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Hinzu kommt die unterschiedliche Einordnung des Insolvenzrechts in den Gesamtrechtssystemen der Mitgliedstaaten: Während das Insolvenzrecht in den germanischen Rechtsordnungen zum Verfahrensrecht gehört, gehört es in den romanischen Rechtsordnungen – nach dem Vorbild des französischen Kaufmannskonkurses – zum Wirtschaftsrecht im engeren Sinne.501 Noch obendrauf lagert sich als weitere Ebene der weltweit zu beobachtende Übergang innerhalb der Insolvenzzwecke, dass neben die Liquidation mindestens gleichberechtigt die Sanierung als dominierendes Paradigma tritt.502 Das richter- und staatszentrierte Insolvenzmodell wird außerdem zunehmend durch ein für private Steuerung offeneres Insolvenzmodell verdrängt, gerichts- und verwalterfern, grundsätzlich schuldnergesteuert.503 Auf der anderen Seite wird Gläubigerautonomie zu einem wichtigen Schlagwort.504 Gläubigerausschuss, Gläubigerversammlung und Einfluss der Gläubiger bei der Auswahl des Insolvenzverwalters sind mögliche Elemente. 493 Freitag, ZIP 2014, 302, 305, 306. 494 Grundlegend EuGH v. 22.2.1979 – 133/78, ECLI:EU:1979:49 Rz. 4 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler; EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08, ECLI:EU:C:2009:419 Rz. 21 – SCT Industri AB in likvidation vs. Alpenblume AB; EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 Rz. 26 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH vs. Alice van der Schee; EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 Rz. 29 – F-Tex SIA vs. Lietuvos Anglijos UAB „Jadecloud Vilma“ = EuZW 2012, 427 m. Anm. Sujecki; EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 Rz. 24 – ÖFAB Östergötlands Fastigheter AB vs. Frank Koot u. Evergreen Investments BV; EuGH v. 17.10.2013 – C-519/12, ECLI:EU:C:2013:674 Rz. 18 – OTP Bank Nyilvánosan Müködö Részvénytársaság vs. Hochtief Solution AG; EuGH v. 9.4.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 23 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17, ECLI:EU:C:2018:902 Rz. 36 – Wiemer & Trachte GmbH, in Insolvenz vs. Zhan Oved Tadzher = NZI 2019, 301 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 Rz. 34 – Skarb Pánstwa Rzczpospolitej Polskiej – Generalny Dyrektor Dróg Krajowych i Autostra vs. Stephan Riel = NZI 2019, 861 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 Rz. 34 – Skarb Pánstwa Rzczpospolitej Polskiej – Generalny Dyrektor Dróg Krajowych i Autostra vs. Stephan Riel = NZI 2020, 40 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 4.12.2019 – C-493/18, ECLI:EU:C:2019:1046 Rz. 25 – UB vs. VA, Tiger SCI, WZ (als Insolvenzverwalter von UB) und Banque patrimoine et immobilier SA = NZI 2020, 123 m. Anm. Mankowski; dem folgend z.B. Hof ’s Hertogenbosch, NIPR 2013 Nr. 261 S. 447 f.; Fondazione Enasarco vs. Lehman Brothers Finance SA [2014] EWHC 34 (Ch.), [2014] 2 BCLC 662 [33] (Ch. D., David Richards J.). 495 Prosteder, IWRZ 2018, 135, 136. 496 Jault-Seseke/Robine, Bull. Joly Sociétés 2018, 652, 653. 497 Haas, NZG 2013, 1161, 1162. 498 Mankowski, NZI 2014, 922; Arts, RIW 2015, 243; Mankowski/M. Müller/J. Schmidt/Mankowski, Art. 6 EuInsVO 2015 Rz. 4; Arts, RIW 2016, 151, 152; Mankowski, NZI 2018, 46 m.w.N.; Mankowski, NZI 2018, 234; Undritz, EWiR 2018, 243, 244; Mastrullo, Rev. proc. coll. mai-juin 2018, 60, 61; Parzinger, GWR 2018, 278; Guski, ZIP 2018, 2395, 2396. 499 Siehe nur Prager/C. Keller, NZI 2013, 57, 60; Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1 sub II 5 Fn. 24; Henry, D 2015, 979, 982; Mankowski/M. Müller/J. Schmidt/Mankowski, Art. 6 EuInsVO 2015 Rz. 3 m.w.N.; Arts, RIW 2016, 151, 152. 500 Thole, ZEuP 2014, 39, 59; McCormack, (2014) 10 JPrIL 41, 51; Wimmer, jurisPR-InsR 7/2015 Anm. 1 sub II 5; Robine/Jault-Seseke, Bull. Joly Sociétés 2015, 514, 516 f.; Mankowski/M. Müller/J. Schmidt/Mankowski, Art. 6 EuInsVO 2015 Rz. 3; Epeoglou, (2018) BULA 88, 92.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Das alles hat Folgen für die Qualität des einschlägigen, kasuistischen505 Fallrechts: Jeder neue Fall des EuGH droht zum Überraschungspaket zu werden.506 Aus übermäßig einzelfallorientierten Entscheidungen kann man induktiv nichts gewinnen.507 Sie sind facettenreich, aber konturenschwach.508 Ihnen fehlen eben ein abstrakter Überbau und ein fallübergreifender Lösungsansatz.509 Dies fördert Prognoseunsicherheit510 und schafft Haftungsrisiken für Berater.
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Trotzdem muss man bei aller berechtigten Kritik zugestehen, dass es bisher nicht gelungen ist, eine 108 überzeugendere und belastbarere Alternative zu präsentieren.511 Einen umfassenden und abschließenden Katalog der erfassten Klaggegenstände nach den Insolvenzrechten aller Mitgliedstaaten kann man schlechterdings nicht ausformulieren;512 selbst wenn dies gelänge, müsste dieser Katalog aber dynamisch sein, um nicht zu erstarren und mit den Entwicklungen in den nationalen Insolvenzrechten Schritt zu halten. So hätte man kaum die Peeters/Gatzen-Klage513 des niederländischen Rechts in einen Katalog aufgenommen. Funktionell wirft sie übrigens die Frage auf, ob eine Schadensersatzklage gegen einen potentiellen Gehilfen bei Unterschleifen des Insolvenzschuldners zu Lasten der Masse insolvenzrechtlich zu qualifizieren ist514 oder, wie es der EuGH in NK/BNP Paribas Fortis letztlich getan hat,515 allgemeinzivilrechtlich.516 Das kann auch für die Haftung von Beratern Bedeutung haben.517 Indizielle Abgrenzungskriterien sind: das Entscheidungsorgan; die Prozessführungsbefugnis; eine Bezugnahme auf das Insolvenzverfahren in Rechtsfolge oder Tatbestand.518 Aus Art. 1 Abs. 1 EuInsVO 2000/EuInsVO 2015 kann man als Merkmale des Kollektivverfahrens Insolvenz als Verfahrensvoraussetzung, Vermögensbeschlag gegen den Schuldner, Verfahrensbeteiligung des Verwalters (in insolvenzspezifischer Befugnis519) und Verfolgen des Insolvenzzwecks (Liquidierung, Sanierung, gleichmäßige Gläubigerbefriedigung520) im einzelnen Verfahren ableiten.521 Dass die Insolvenzmasse vergrößert 501 Arts, RIW 2016, 151, 152. 502 Siehe nur Frölich, Ars Aequi 2015, 192; Madaus, KSzW 2015, 183; Mankowski, Rechtskultur (2016) 261–264 m.w.N. 503 G. Pape, ZInsO 2016, 125 (125 f.). 504 Siehe nur Mankowski, Rechtskultur (2016) 265 f. 505 Mastrullo, Rev. proc. coll. 2018 comm. 105; Jault-Seseke/Robine, Bull. Joly Sociétés 2018, 652, 653; Mankowski, NZI 2018, 234, 235; Parzinger, GWR 2018, 278; Mankowski, NZI 2019, 304. 506 Mankowski/M. Müller/J. Schmidt/Mankowski, Art. 6 EuInsVO 2015 Rz. 4; Mankowski, NZI 2018, 234, 235. 507 Mankowski, NZI 2014, 922; Mankowski, NZI 2018, 234, 235; Mankowski, NZI 2019, 304, 305; Guski, ZIP 2018, 2395, 2397. Positiver Henry, Rev sociétés 2018, 415. 508 Mankowski, NZI 2019, 304, 305. 509 Mankowski, NZI 2018, 46, 47; P. Schulz, EWiR 2019, 305, 306. 510 Undritz, EWiR 2018, 243, 244. 511 Mankowski, NZI 2018, 234. 512 Guski, ZIP 2018, 2395, 2396. 513 Namensgebend der Fall Hoge Raad, Ned. Jur. 1983 Nr. 597 noot B. Wachter. 514 Hof ’s-Hertogenbosch, JOR 2013 Nr. 318; Veder JOR 2013 Nr. 318; Veder, JOR 2016 Nr. 104; Beunk/Schuijling JOR 2016 Nr. 247; Bos, WPNR 7183 (2018) 199, 202–204. 515 EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 Rz. 31–38 – NK vs. BNP Paribas Fortis NV = Act Proc Coll 2019 comm. 97 note V. Legrand = NZI 2019, 302 m. Anm. Mankowski; ebenso AG Bobek, Schlussanträge v. 18.10.2018 in der Rs. C-535/17, ECLI:EU:C:2018:850 Rz. 72–84; J. Schmidt, ZInsO 2019, 995, 997; Poesen, T.B.H. 2019, 531, 532 f.; Laurent Mertens, J. dr. eur. 2019, 325, 327; Mastrullo, Rev. proc. coll. N° 6, novembre-décembre 2019, 39, 40. Abwägend Lunetti, Fall 2019, 749, 755–758. 516 van Bekkum/van Hees, TOP 2014 Nr. 307; Broeders, JOR 2017 Nr. 334; Welling-Steffens, Ondernemingsrecht 2018, 158, 160–162; s. auch A-G Vlas, ECLI:NL:PHR:2017:427 = Ned. Jur. 2017 Nr. 351. 517 J. Schmidt, ZInsO 2019, 995, 998. 518 Grundlegend EuGH v. 22.2.1979 – 133/78, ECLI:EU:1979:49 Rz. 4 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler. 519 Haas, ZIP 2013, 2381, 2384 f. 520 Siehe Fondazione Enasarco v. Lehman Brothers Finance SA, [2014] EWHC 34 (Ch.), [2014] 2 BCLC 662 [42] (Ch. D., David Richards J.). 521 EuGH v. 22.2.1979 – 133/78, ECLI:EU:1979:49 Rz. 4 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler; G. C. Schwarz, NZI 2002, 290, 293; Joh Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2011) 98; Thole, IPRax 2012, 205, 207.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich wird, kann ein wichtiges Indiz sein,522 auch wenn dies in einem Spannungsverhältnis dazu steht, dass allein die Beteiligung eines Insolvenzverwalters an einem Streit für dessen insolvenzrechtliche Qualifikation nicht ausreichen würde.523 110
Generell sollen insolvenznahe Einzelverfahren grenzüberschreitend mit denjenigen Insolvenzverfahren koordiniert sein, denen sie zuzuordnen sind.524 Wären sie nicht ausgenommen, so wären auch solche Staaten, welche die Insolvenz nicht anerkennen, über die Anerkennungsregeln des Brüssel Ia/ LugÜbk 2007-Systems gezwungen, Entscheidungen in solchen insolvenznahen Zivilsachen trotzdem anzuerkennen.525 Das wäre inkonsequent und würfe Friktionen auf.
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Materielle und formell-verfahrenstechnische Aspekte sind insoweit miteinander verwoben.526 Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2, ErwGr. 6 EuInsVO 2000 und Art. 6 Abs. 1; 32 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO 2015 greifen diese Abgrenzung auf.527 Insoweit will sich die EuInsVO 2000/EuInsVO 2015 bewusst an die Auslegung des Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ durch den EuGH528 anlehnen.529
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Der EuGH leitet aus ErwGr. 6 EuInsVO 2000 zum einen und ErwGr. 7 Brüssel I-VO zum anderen als Leitlinie ab, dass die EG-InsO 2000 tendenziell eher eng und das Brüssel I/Ia-System eher weit auszulegen sei530 (allerdings ohne dass dies konkret immer durchgehalten würde531). Die Ersetzung der EuInsVO 2000 durch die EuInsVO 2015 lässt keine Abkehr des EuGH von seiner Linie erwarten, zumal auch anderwärts die Anwendung von Brüssel Ia-VO (und LugÜbk 2007) oft als die Regel bezeichnet wird.532 Aus der Sicht von Brüssel Ia-VO und LugÜbk 2007 lässt sich dafür immerhin die systematische Stellung von Abs. 2 lit. b als Ausnahme zu Abs. 1 ins Feld führen.
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Diese Auslegungsmaxime des EuGH ist indes nicht unproblematisch: ErwGr. 6 EuInsVO 2000 will „gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“ die EuInsVO 2000 auf Vorschriften beschränken, welche die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Das ist ein Programmsatz und greift das Gourdain/Nadler-Kriterium auf. Ein explizites Gebot für eine enge Auslegung der EuInsVO 2000 stellt es jedoch nicht auf, auch wenn „beschränken“ tendenziell in dieser Richtung geht; im Kontrast dazu sprechen ErwGr. (16) und (17) EuInsVO 2015 von „gelten“ bzw. „erstrecken“.533 Der EuGH dürfte ein systematisches Verständnis pflegen, welches die EuInsVO als eine Art Ausnahme vom im Prinzip alle allgemeinen Zivilsachen fassenden Generalsystem der Brüssel Ia-VO begreift.534 Denn immerhin statutiert Abs. 2 lit. b ja eine Ausnahme von 522 EuGH v. 22.2.1979 – 133/78, ECLI:EU:1979:49 Rz. 5 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler; EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07 – Christopher Seagon (als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Frick Teppichboden Supermärkte GmbH) vs. Deko Marty Belgium NV, EuGHE 2009 I-767 Rz. 17; EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08 – SCT Industri AB in likvidation vs. Alpenblume AB, EuGHE 2009 I 5655 Rz. 29; EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 Rz. 44 – F-Tex SIA vs. Lietuvos Anglijos UAB „Jadecloud Vilma“ = EuZW 2012, 427 m. Anm. Sujecki; EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 Rz. 24 – ÖFAB Östergötlands Fastigheter AB vs. Frank Koot u. Evergreen Investments BV; EuGH v. 9.4.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 23 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 Rz. 32 – NK vs. BNP Paribas Fortis NV = NZI 2019, 302 m. Anm. Mankowski. 523 Haas, ZIP 2013, 2381, 2383; Thomale, IPRax 2016, 558, 559 sowie EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU: C:2019:96 Rz. 28 – NK vs. BNP Paribas Fortis NV = NZI 2019, 302 m. Anm. Mankowski. 524 Markus, AJP 2017, 287, 290. 525 Markus, AJP 2017, 287, 290. 526 Haubold, IPRax 2002, 157, 162; Freitag, ZIP 2014, 302, 304 f. 527 V. Lorenz 59 f.; L. Fuchs, ÖJZ 2005, 624, 626. 528 EuGH v. 22.2.1979 – 133/78 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler, EuGHE 1979, 733, 744 Rz. 4. 529 Erläuternder Bericht Virgós/Schmit zum EuInsÜ, abgedruckt in Stoll (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht (1994) Nr. 195. 530 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 Rz. 23-25 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH vs. Alice van der Schee; EuGH v. 9.4.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 22 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 11.6.2015 – C-649/13, ECLI:EU:C:2015:384 Rz. 27 – Comité d’entreprise de Nortel Networks SA vs. Cosme Rogeau. 531 Haas, ZIP 2013, 2381, 2383. 532 Siehe nur Kropholler/von Hein, Art. 1 EuGVO Rz. 35; Markus, AJP 2017, 287, 290. 533 Mankowski, NZI 2018, 46, 47.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Abs. 1. Darauf stülpt der EuGH konkludent ein generelles Auslegungsprinzip, dass Ausnahmen eng zu verstehen seien. Methodologisch ist ein solches Prinzip überholt. Vielmehr ist jeder einzelne Tatbestand immer funktionell auszulegen: Wenn eine Ausnahme weit reichen will, so tut sie dies und schränkt die Regel korrespondierend ein; man kehrt zur Auslegung der Ausnahmeregel aus sich selber zurück, ohne dass es eine belastbare systematische Leitlinie gibt.535 Dass eine Klage bei Gelegenheit eines Insolvenzverfahrens erhoben wird, macht sie noch nicht automatisch zu einer insolvenzrechtlichen; ausschlaggebend ist vielmehr, ob sie ihren Ursprung in dem Insolvenzverfahren hat.536 Insolvenzrechtliche Vorfragen prägen nicht.537 Gerade die Anspruchsgrundlage isngesamt muss insolvenzrechtlich sein.538 Anzulegen ist eine Kernpunkttheorie, was als Kernpunkt den Gegenstand des Rechtsstreits als Hauptfrage prägt.539 Bei alternativen Anträgen ist jeder Antrag gesondert auf seine jeweilige Qualifikation zu untersuchen.540 Die einsteuernde Ausgangsfrage latet: Kann man das Insolvenzverfahren hinwegdenken, ohne dass sich der Charakter des Rechtsstreits dadurch ändern würde, fehlt es an einer insolvenzrechtlichen Qualifikation.541
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Die EuInsVO 2000/EuInsVO 2015 differenziert nicht nach dem Zuschnitt des Schuldners; sie erfasst auch Verbraucherinsolvenzverfahren.542 Insolvenzverfahren sind jedenfalls die in Anhang A EuInsVO 2000/EuInsVO 2015 aufgezählten sog. Stammverfahren.543 Dazu zählen auch die bloß vorläufigen Insolvenzverfahren und die territorial begrenzten Sekundär- und isolierten Partikularinsolvenzverfahren. Nicht insolvenzrechtlich ist das winding up solventer Unternehmen unter englischem Recht,544 ebenso jedes andere behördliche oder gerichtliche Auflösungsverfahren solcher Art.545 ErwGr. 7 S. 4 EuInsVO 2015 enthält allerdings ein caveat: Allein der Umstand, dass ein bestimmtes nationales Verfahren nicht in Anhang A der EuInsVO 2015 aufgeführt, bedeutet nicht automatisch, dass es unter die Brüssel Ia-VO fällt.546 Das ergibt sich schon aus Art. 6 EuInsVO 2015.
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Der in lit. b angezogene „Vergleich“ meint in deutscher insolvenzrechtlicher Terminologie den 116 Zwangsvergleich, nicht dagegen den Vergleich im Sinne etwa des § 779 BGB, der ein einfacher Vertrag ist und ohne Zweifel der Brüssel Ia-VO unterfällt.547 „Vergleiche“ i.S.v. Abs. 2 lit. b umfasst eine Befriedigung der Gläubiger in einem Gesamtverfahren mittels eines Insolvenzplans und Vergleichsverträge,548 terminologisch im Deutschen eben angelehnt an die 1968 noch existierende VglO. Nicht gemeint sind normale gerichtliche Vergleiche, wie Art. 59 Brüssel Ia-VO sie erfasst.549 Dies erhellt insbesondere aus der spanischen Fassung „convenios entre quebrado y acreedores“.550 Insolvenzrechtlicher Natur sind alle Verfahren, die mit gleichem Klagziel ohne die Verfahrenseröff- 117 nung nicht entstehen könnten und unmittelbar der Verwirklichung des Insolvenzverfahrenszwecks 534 EuGH v. 9.4.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 22 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:EU:C:2017:847 Rz. 18 – Tünkers France u. Tünkers Maschinenbau AG vs. Expert France = NZI 2018, 44 m. Anm. Mankowski. 535 Mankowski, NZI 2018, 46, 47. 536 EuGH v. 9.4.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 26 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; Markus/Huber-Lehmann SZIER 2018, 75, 86. 537 Mankowski, IPRax 2009, 571. 538 Thomale, IPRax 2016, 558, 559. 539 Haas, ZIP 2013, 2381, 2388. 540 Marc Richard Byers, Andrew Laurence Hosking and Stephen John Akers (as Liquidators of Madoff Securities International Ltd.) v. Yacht Bull. Corp and Financière Meeschaert SA [2010] EWHC 13 (Ch.) [25], [2010] ILPr 461, [2010] BCC 368 (ChD, Sir Andrew Morritt C). 541 Cranshaw, jurisPR-InsR 1/2018 Anm. 1 sub D II. 542 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 20; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 16 (2005); Hergenröder, ZVI 2005, 233, 235. 543 V. Lorenz, 60. 544 Layton/Mercer, Rz. 12.041. 545 Leandro in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 189, 190 f. 546 Ebenso Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 71. 547 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 20; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 24; Kropholler/von Hein, Rz. 34. 548 Kusche, 89. 549 Mankowski, WM 2011, 1201, 1203; Kusche, 89. 550 Mankowski, WM 2011, 1201, 1203; zustimmend Kusche, 89.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich dienen.551 Verfahren, die unmittelbar aus Insolvenzverfahren hervorgehen und sich eng innerhalb des Rahmens eines Insolvenzverfahrens halten, sind ihrerseits insolvenzrechtlich.552 Gesetzlichen Rückhalt findet dies in Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO 2000 bzw. Art. 6 Abs. 1; 32 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO 2015.553 Haupt-, Sekundär- und isolierte Partikularinsolvenzverfahren können gleichermaßen „Mutterverfahren“ sein; das kann besondere Zuordnungsfragen zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenz auch für insolvenznahe Sachen aufwerfen.554 118
Mehrung der Masse ist ein wichtiges (aber allein nicht hinreichendes555) Indiz für einen insolvenzrechtlichen Charakter.556 Sollte der erstrittene Ertrag dagegen nicht in die Masse, sondern in die Taschen der Kläger fließen, so wäre dieses Indiz nicht gegeben; nicht einmal der Gesamtheit der Gläubiger käme jener Betrag dann zugute.557 Z.B. würde dies eine individuelle Schadensersatzklage wegen Insolvenz-forum shopping treffen.558
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Unter Abs. 2 lit. b fallen vor allem Insolvenzanfechtungsklagen559 und actiones revocatoriae.560 Sie dienen der Mehrung der Masse als solcher und damit einem spezifischen Insolvenzzweck.561 Ihr 551 W. Lüke, ZZP 111 (1998) 275, 293; W. Lüke, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 467, 483; Markus, AJP 2017, 287, 291. 552 EuGH v. 22.2.1979 – 133/78 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler, EuGHE 1979, 733, 744 Rz. 4; EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08 – SCT Industri AB in likvidation vs. Alpenblume AB, EuGHE 2009 I 5655 Rz. 21; EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH vs. Alice van der Schee, EuGHE 2009 I 8421 Rz. 26; EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 Rz. 29 – F-Tex SIA vs. Lietuvos Anglijos UAB „Jadecloud Vilma“ = EuZW 2012, 427 m. Anm. Sujecki; EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI: EU:C:2013:490 Rz. 24 – ÖFAB Östergötlands Fastigheter AB vs. Frank Koot u. Evergreen Investments BV; EuGH v. 9.4.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 23 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; BGE 140 III 320, 324. 553 EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 Rz. 21 – F-Tex SIA vs. Lietuvos-Anglijos UAB „Jadecloud-Vilma“ = EuZW 2012, 427 m. Anm. Sujecki. 554 Siehe Cass. com., Bull. civ. 2013 IV n° 17 = Rev sociétés 2013, 183 note Henry = Rev sociétés 2013, 573 note Morelli = Rev. crit. dip. 103 (2014) 404 note Jaut-Seseke/Robine; Cass. com., Rev sociétés 2018, 396 note Reygrobellet; R. Dammann/Rapp, D 2013, 755. 555 Dahl/Taras, NJW-Spezial 2019, 279; s. EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 Rz. 32 – NK vs. BNP Paribas Fortis NV = NZI 2019, 302 m. Anm. Mankowski. 556 EuGH v. 22.2.1979 – 133/78 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler, EuGHE 1979, 733, 743 Rz. 5; EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07 – Christopher Seagon (als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Frick Teppichboden Supermärkte GmbH) vs. Deko Marty Belgium NV, EuGHE 2009, I-767 Rz. 17; EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08 – SCT Industri AB in likvidation vs. Alpenblume AB, EuGHE 2009, I 5655 Rz. 29; EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 Rz. 44 – F-Tex SIA vs. Lietuvos Anglijos UAB „Jadecloud Vilma“; EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 Rz. 24 – ÖFAB Östergötlands Fastigheter AB vs. Frank Koot u. Evergreen Investments BV; EuGH v. 9.4.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014: 2145 Rz. 23 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 Rz. 32 – NK vs. BNP Paribas Fortis NV = NZI 2019, 302 m. Anm. Mankowski; BGE 140 III 320, 324; Thole, ZEuP 2010, 904, 918; Thole, IPRax 2015, 396, 399; Undritz, EWiR 2018, 243, 244; Parzinger, GWR 2018, 278; Thole, IPRax 2019, 483, 486. 557 EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:EU:C:2017:847 Rz. 27 – Tünkers France u. Tünkers Maschinenbau AG vs. Expert France = NZI 2018, 44 m. Anm. Mankowski; Mankowski, NZI 2018, 234, 235. 558 Vgl. im Ergebnis Piekenbrock, IPRax 2018, 536, 538. Anders dagegen Cass. soc. v. 10.1.2017, ECLI:FR: CCASS:2017:SO00019; s. auch Dedessus-Le Mustier, L’ essentiel Dr entreprises en difficulté avril 2017, 6. 559 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07 – Christopher Seagon (als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Frick Teppichboden Supermärkte GmbH) vs. Deko Marty Belgium NV, EuGHE 2009 I-767 Rz. 19; EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17, ECLI:EU:C:2018:902 Rz. 26 – Wiemer & Trachte GmbH vs. Zhan Oved Tadzher; BGH, NJW 1990, 991; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1990, 396; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1991, 975; BGE 129 III 683, 685; BGE 131 III 227, 231–234; Hoge Raad, NIPR 1998 Nr. 113 S. 136; OLG Düsseldorf, ZIP 1993, 1018; OLG Köln, WM 1998, 624; OLG Hamm, BB 2000, 431 = RIW 2000, 305; OLG München, RIW 2002, 66, 67; OLG Düsseldorf, ZIP 2018, 2378, 2379; UBS AG v. Omni Holding AG (in liquidation) [2000] 1 WLR 916, 922 (Ch. D., Rimer J.); Hof ’s Hertogenbosch, NIPR 2001 Nr. 208 S. 359; Trib. Torino, Riv. dir. int. priv. proc. 1989, 659; Vestre Landsret, UfR 1990, 124, 125; Rb. Alkmaar, NIPR 1998 Nr. 114 S. 137; Rb. Amsterdam, NIPR 2005 Nr. 348 S. 456; H Schmidt, EuZW 1990, 219; Bommer, Die Zuständigkeit für Widerspruchs- und Anfechtungsklagen im internationalen Verhältnis (2001) 113–116; Mankowski/Willemer, RIW 2009, 669, 672 f.; Markus, FS Thomas Koller (2018) 615, 632 f.; Bramkamp, Die Attraktivgerichtsstände des europäischen Insolvenzrechts (2019) 265–301. Anders OLG Frankfurt, ZIP 2006, 769,
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
schweizerischer Terminus „Admassierungsklage“ bringt dies treffend zum Ausdruck. Kein echtes Kriterium sollte aber die Wahrscheinlichkeit sein, dass solche Verfahren ohne eine Insolvenz nicht eingeleitet würden.562 Eine insolvenzrechtliche Qualifikation konzentriert – unter der EuInsVO 2015 über deren Art. 6 EuInsVO – alle Insolvenzanfechtungsklagen am COMI-Gerichtsstand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 bzw. 2015.563 Dies gilt – in Entsprechung zum Owusu-Ansatz unter dem Brüssel Ia-System564 – auch, wenn der Anfechtungsgegner seinen Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat hat.565 Insolvenzrechtlich sind auch Feststellungsstreitigkeiten um einen Herausgabeanspruch nach Insolvenzanfechtung.566 Insolvenzrechtlich ist auch ein Streit einzuordnen, in welchem der Insolvenzverwalter die Anfechtungseinrede erhebt und darauf gestützt die Leistung verweigert (z.B. nach § 146 InsO), wenn dies der Kernpunkt des Streits ist.567
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Keine Insolvenzanfechtungsklage liegt vor,568 wenn der Insolvenzverwalter eine Masseforderung samt Insolvenzanfechtungsanspruch abtritt und der Zessionar (insbesondere ein Forderungskäufer, der entsprechend den Kaufpreis an die Masse gezahlt hat) diese Forderung dann auf eigenes Risiko und nicht im Interesse der Gläubigergesamtheit durchzusetzen versucht.569 Anders steht es wiederum, wenn der Insolvenzverwalter den Insolvenzschuldner zur Forderungsdurchsetzung im Wege der Prozessstandschaft ermächtigt.570
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Gläubigeranfechtungsklagen außerhalb einer Insolvenz indes sind nicht insolvenzrechtlicher Natur.571 Sie dienen nicht der Massemehrung, sondern den partikularen Einzelinteressen des Anfech-
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560 561 562 563 564 565
566 567 568 569 570 571
770 f.; G. C. Schwarz, NZI 2002, 290, 294 mit Blick auf Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EG-InsVO und eine verengende Auslegung von Abs. 2 lit. b sowie Carrara, Riv. dir. fall. soc. com. 2002, 508, 518; Dutta, [2008] LMCLQ 88, 94 f. Trib. Bari, Riv. dir. int. priv. proc. 2004, 1386, 1388. Vgl. auch BGE 133 III 386, 392 für die Kollokationsklage des Art. 250 SchKG. Siehe nur BGE 129 III 683, 685. Entgegen BGE 125 III 108, 111; BGE 129 III 683, 685. EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07 – Christopher Seagon (als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Frick Teppichboden Supermärkte GmbH) vs. Deko Marty Belgium NV, EuGHE 2009 I 767 Rz. 22; Mankowski/Willemer, RIW 2009, 669, 672 f. Bureau Rev. crit. dip. 103 (2014) 675, 676. EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 Rz. 30–39 m. Anm. Kindler – Ralph Schmid als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen von Aletta Zimmermann vs. Lilly Hertel = EuZW 2014, 262 m. Anm. Patrick Schulz; BGH, RIW 2014, 452, 453; BGH, NZI 2014, 881; GAin Sharpston, Schlussanträge v. 10.9.2013 in der Rs. C-328/12 Nr. 34–47; Jault-Seseke, D 2014, 915; Brinkmann, LMK 2014, 356291; Vallens, Rev procéd coll juillet-août 2014, 12; Arts, IPRax 2014, 390. Kritisch Riedemann, EWiR Art. 3 EuInsVO 1/13, 773; Baumert, NZI 2014, 106, 107; C Paulus, EWiR 2014, 85; Dammann/Bleicher, D 2014, 1708; s. auch Nabet, Bull. Joy Entreprises en difficulté 2014, 273. LG Innsbruck, NZI 2014, 286; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 85 (2016). Haas, ZIP 2013, 2381, 2389. Zur konkreten Abgrenzungsproblematik Montanari, Int’l Lis 2012, 127; Sujecki, EuZW 2012, 430; Brinkmann, EWiR 2012, 383; C Koller, ecolex 2012, 693; Ravidà, Riv. dir. proc. 2013, 765. EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 Rz. 41–49 F-Tex SIA vs. Lietuvos-Anglijos UAB „Jadecloud-Vilma“ = EuZW 2012, 427 m. Anm. Sujecki; Espiniella Menendez, REDI 2012-2, 225 f.; s. auch Haas, ZIP 2013, 2381, 2386 f. Haas, ZIP 2013, 2381, 2387. EuGH v. 26.3.1992 – C-261/90 – Mario Reichert u. Ingeborg Kockler vs. Dresdner Bank AG, EuGHE 1992 I 2149; EuGH v. 4.10.2018 – C-337/17, ECLI:EU:C:2018:805 Rz. 32 f. – Feniks sp z oo vs. Azteca Products & Services SL; GA Bobek, Schlussanträge v. 21.6.2018 in der Rs. C-337/17, ECLI:EU:C:2018:487 Rz. 43; östOGH, ZIK 1998, 175; OLG Stuttgart, ZIP 2007, 1966; FG Münster, EFG 2018, 915 m. Anm. Eva Kunze; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 19; Willemer,196–198; Mankowski, EWiR 2018, 701, 702; Felix Fuchs, NZI 2019, 136; Lutzi, RIW 2019, 252, 254; Dostal, IHR 2019, 89, 90 f.; C. A. Kern/Uhlmann, IPRax 2019, 488, 490; Swierczok/Saed, JR 2019, 530 sowie Smart, (1998) 17 CJQ 149, 154–156 (für sec 423 Insolvency Act 1986); Göranson, Essays in Honour of Voskuil (1992) 89, 95–97; s. auch Jafferali, J. dr. eur. 2019, 252. Stärker differenzierend Magnus/Mankowski/Rogerson, Art. 1 Brussels Ibis Regulation Rz. 33.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich tungsklägers.572 Insofern ist zwischen den einzelnen Arten der actio pauliana zu differenzieren.573 Zwischen den einzelnen Anfechtungsmöglichkeiten in der Insolvenz ist dagegen nicht weiter zu differenzieren.574 Wann eine allgemeinzivilrechtlich einzuordnende Gläubigeranfechtungsklage eine Klage aus Vertrag ist,575 ist keine Frage für Art. 1 Brüssel Ia-VO, sondern eine Frage für Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO. 123
Rechnet der Insolvenzverwalter im Rahmen eines Insolvenzverfahrens gegen eine angemeldete Forderung auf, sei es auch im Wege des aktiven Gegenverlangens, so ist die gesamte causa insolvenzrechtlich.576 Dafür streiten Art. 4 Abs. 2 lit. d EuInsVO 2000 bzw. Art. 7 Abs. 2 lit. d EuInsVO 2015. Zwar wäre bei isolierter Geltendmachung die Forderung der Masse eine Zivilsache, jedoch handelt es sich bei der Aufrechnung nur um Verteidigungsvorbringen, und die Hauptsache prägt das Geschehen.
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Ein Streit um ein Wahlrecht des Insolvenzverwalters, z.B. aus § 103 InsO, ist insolvenzrechtlich, denn in ihm geht es um eine spezifisch insolvenzrechtliche Befugnis eines Insolvenzorgans.577 Hilfestellung bietet Art. 4 Abs. 2 lit. e EuInsVO 2000 bzw. Art. 7 Abs. 2 lit. d EuInsVO 2015. Ein solcher Streit kann ein echter Feststellungsstreit sein, aber auch mit Hilfe einer Leistungsklage aus dem betroffenen Vertrag geführt werden.578
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Kündigt ein Insolvenzverwalter einem Arbeitnehmer des Insolvenzschuldners, so ist ein nachfolgender Kündigungsrechtsstreit selbst dann kein insolvenzrechtliches Annexverfahren i.S.v. Art. 6 EuInsVO 2015, wenn das Kündigungsrecht mit der besonderen Frist des § 113 InsO ausgeübt wird und ein Ausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO erfolgt, da es dann immer noch an einem spezifisch insolvenzbedingten Kündigungsrecht fehlt579 (obwohl solche Kündigungsrechte eine erhebliche Rolle bei übertragenden Sanierungen spielen können580). Eine Schadensersatzklage eines Arbeitnehmers, gestützt auf eine insolvenzbedingte Kündigung wegen angeblicher Erschleichung der Insolvenzeröffnungszuständigkeit, ordnet die Cour de Cassation insolvenzrechtlich ein.581
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Haftungsklagen gegen den Insolvenzverwalter, nach deutschem Recht insbesondere aus §§ 60–62 InsO, sind insolvenzrechtlicher Natur, denn sie dienen dem Zweck des Insolvenzverfahrens, indem sie die Zentralfigur des Insolvenzverfahrens anhalten, ihren Pflichten im Verfahren und zum Nutzen der Gläubigergesamtheit nachzukommen.582 Eine Differenzierung danach, ob kollektive oder individuelle Schäden geltend gemacht werden, ist nicht angezeigt.583
572 EuGH v. 4.10.2018 – C-337/17, ECLI:EU:C:2018:805 Rz. 33 – Feniks sp z oo vs. Azteca Products & Services SL; Mankowski, EWiR 2018, 701, 702; Lutzi, RIW 2019, 252, 254. 573 Dostal, IHR 2019, 89, 91. 574 Umfassend Willemer,194–211. 575 Dazu EuGH v. 4.10.2018 – C-337/17, ECLI:EU:C:2018:805 Rz. 40–49 – Feniks sp z oo vs. Azteca Products & Services SL; GA Bobek, Schlussanträge v. 21.6.2018 in der Rs. C-337/1, ECLI:EU:C:2018:487 Rz. 54–72; Mankowski, EWiR 2018, 701, 702; Jault-Seseke, D 2019, 516; Markus, SZIER 2019, 67, 74 f.; Lutzi, RIW 2019, 252, 254–257; Dostal, IHR 2019, 89, 94 f.; Poesen, ERCL 2019, 58, 60–65; C. A. Kern/Uhlmann, IPRax 2019, 488, 490–492; Swierczok/Saed, JR 2019, 530, 531. 576 Vestre Landsret, UfR 1991, 348. 577 Paulus, EuInsVO (4. Aufl. 2013) Art. 25 EuInsVO Rz. 77; Haas, ZIP 2013, 2381, 2389. 578 Haas, ZIP 2013, 2381, 2389. 579 BAGE 143, 129 Rz. 18–20 = NZI 2012, 1011 m. Anm. H Hess; LAG Berlin-Brandenburg, ZInsO 2018, 2114, 2115; Cranshaw, jurisPR-InsR 11/2011 Anm. 2 sub C II; Knof/Stütze, EWiR 2013, 49 f.; Zange, BB 2013, 511; Abele, FS Gerrick Frhr v. Hoyningen-Huene (2014) 1, 8–16; ebenso für allgemeinzivilrechtliche Qualifikation von Kündigungsschutzstreitigkeiten Cass. soc., Rev. crit. dip. 2016, 534; Jault-Seseke, Rev. crit. dip. 2016, 535, 536. 580 Siehe Mückl, GWR 2013, 28. 581 Cass. soc. v. 10.1.2017 – n° 156-12.284, ECLI:FR:CCASS:2017:SO00019. Ablehnend Piekenbrock, IPRax 2018, 536, 538. 582 Schlosser, FS Friedrich Weber (1975) 395, 408; W. Lüke, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 467, 483; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 130; Willemer, 384 f. 583 Schlosser, FS Friedrich Weber (1975) 395, 408; W. Lüke, ZZP 111 (1998) 275, 295; Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky/Duursma-Kepplinger, EuInsVO (2002) Art. 25 EG-InsVO Rz. 54; Willemer,388–391. A.A. Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 21; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 130.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Streitigkeiten zwischen Gemeinschuldner und Insolvenzverwalter z.B. über die Zugehörigkeit eines Gegenstands zur Masse sind insolvenzrechtlicher Natur, wenn und soweit sie zwischen beiden in deren jeweils spezifischer Funktion im Insolvenzverfahren erwachsen.584
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Unter Abs. 2 lit. b fällt eine Schadensersatzklage gegen Mitglieder eines Gläubigerausschusses wegen ihres Verhaltens bei einer Abstimmung über einen Sanierungsplan in einem Insolvenzverfahren.585 Dabei geht es um einen möglichen Verstoß gegen die Interessen der Gläubigergesamtheit.586 Der Gläubigerausschuss ist nach Maßgabe der lex fori concursus Organ des Insolvenzverfahrens,587 wobei es keinen Unterschied machen sollte, ob es sich um einen obligatorischen oder einen fakultativen Gläubigerausschuss (letzetres z.B. nach § 22a Abs. 2 InsO) handelt.588 Ohne die Insolvenz gäbe es überhaupt keinen Gläubigerausschuss.589 Nahe liegt auch eine Parallele zur Haftung des Insolvenzverwalters.590 Außerdem kann das Insolvenzgericht (als Aufsichtsorgan nach Maßgabe der lex fori concursus) am besten beurteilen, welche Pflichten Beteiligte haben und wie sie diesen nachkommen.591
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b) Zivilsachen Die formelle Beteiligung des Insolvenzverwalters allein ist kein Indiz für einen hinreichenden Insolvenzbezug.592 Ausschlaggebend für die Zuordnung eines Anspruchs ist die Rechtsgrundlage, nicht der prozessuale Kontext.593 Normale Zivilsachen sind insbesondere alle Aktivprozesse des Insolvenzverwalters, mit denen Ansprüche des Insolvenzschuldners namentlich aus Geschäften vor Insolvenz-
584 Erläuternder Bericht Virgós/Schmit zum EuInsÜ, abgedruckt in Stoll (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht (1994) Nr. 196; Jahr in Kegel/J. Thieme (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zum Entwurf eines EG-Konkursübereinkommens (1988) 305, 316; Haubold, IPRax 2002, 157, 163; Willemer, 393–396; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 78 (2016). 585 EuGH v. 20.12.2017 – C-649/16, ECLI:EU:C:2017:986 Rz. 28–40 – Peter Valach u.a. vs. Waldviertler Sparkasse Bank AG u.a.; Nourissat Procédures février 2018, 15; Mankowski, NZI 2018, 234, 235; Undritz, EWiR 2018, 243, 244; Swierczok, DZWiR 2018, 162, 164; Mastrullo, Rev. proc. coll. mai-juin 2018, 60, 61 f.; Prosteder, IWRZ 2018, 135, 136. Zweifelnd und differenzierend aber Epeoglou (2018) BULA 88, 91. 586 EuGH v. 20.12.2017 – C-649/16, ECLI:EU:C:2017:986 Rz. 34, 38 – Peter Valach u.a. vs. Waldviertler Sparkasse Bank AG u.a.; Mankowski, NZI 2018, 234, 235. 587 EuGH v. 20.12.2017 – C-649/16, ECLI:EU:C:2017:986 Rz. 35 – Peter Valach u.a. vs. Waldviertler Sparkasse Bank AG u.a. 588 Swierczok, DZWiR 2018, 162, 164. 589 Mankowski, NZI 2018, 234, 235. 590 Mankowski, NZI 2018, 234, 235. 591 Mankowski, NZI 2018, 234, 235; Sujecki, EWS 2018, 72, 74. 592 Siehe nur EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH vs. Alice van der Schee, EuGHE 2009 I 8421 Rz. 33; EuGH v. 9.4.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 29 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 Rz. 32 – NK vs. BNP Paribas Fortis NV = NZI 2019, 302 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 4.12.2019 – C-493/18, ECLI:EU:C:2019:1046 Rz. 27 – UB vs. VA, Tiger SCI, WZ (als Insolvenzverwalter von UB) und Banque patrimoine et immobilier SA = NZI 2020, 123 m. Anm. Mankowski; Marc Richard Byers, Andrew Laurence Hosking and Stephen John Akers (as Liquidators of Madoff Securities International Ltd.) v. Yacht Bull. Corp. and Financière Meeschaert SA [2010] EWHC 13 (Ch.) [26], [2010] ILPr 461, [2010] BCC 368 (ChD, Sir Andrew Morritt C); W. Lüke, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 467, 477; Fasching/Konecny/Kodek, Rz. 132; Mankowski, NZI 2010, 508, 511 f.; Thole, IPRax 2019, 483, 485. 593 EuGH v. 9.4.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 29 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:EU:C:2017:847 Rz. 22 – Tünkers France u. Tünkers Maschinenbau AG vs. Expert France = NZI 2018, 44 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 20.12.2017 – C-649/16, ECLI:EU:C:2017:986 Rz. 29 – Peter Valach u.a. vs. Waldviertler Sparkasse Bank AG u.a. = NZI 2018, 231 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 Rz. 28 – NK vs. BNP Paribas Fortis NV = NZI 2019, 302 m. Anm. Mankowski; Fritz/Scholtis, IWRZ 2019, 136; Thole, IPRax 2019, 483, 484; Nourissat, Procédures N° 11, Nov. 2019, 21, 22.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich eröffnung geltend gemacht werden594 oder Ansprüche aus Eigentum.595 Hier geht es nicht um die Allseitigkeit der insolvenzrechtlichen Haftungsordnung.596 Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO 2000 und Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO 2015 besagen nichts anderes, denn sie regeln nur die indirekte Anerkennungszuständigkeit, nicht die direkte internationale Zuständigkeit.597 Dies gilt selbst dann, wenn in einem solchen Verfahren insolvenzbedingte Rücktrittsrechte des Insolvenzverwalters geltend gemacht werden. Verfahren auf Kreditrückzahlung, denen die Ausübung eines insolvenzbedingten Kündigungsrechts seitens des Kreditgebers zugrunde liegt, sind ebenfalls Zivilsachen und nicht etwa ausgenommen, weil es sich bei ihnen um die Durchsetzung von Insolvenzverbindlichkeiten handeln würde.598 Ein Haftungsanspruch gegen jemanden, welcher dem Insolvenzschuldner bei Unterschleifen geholfen hat, ist ebenfalls eine Zivilsache.599 130
Zivilsache ist erst recht ein Verfahren, in welchem die vom Insolvenzverwalter aus Delikt Verklagten ihrerseits im Wege der Interventionsklage einen Dritten belangen wollen.600 Nicht insolvenzrechtlich ist eine Klage auf Schadensersatz wegen fehlerhafter oder vorschneller Vollstreckung und Inbeschlagnahme.601 Streitigkeiten aus dem Versuch eines Insolvenzverwalters, Anteile an einem Unternehmen zu verkaufen, sind nicht insolvenzrechtlicher Natur.602 Die Berechtigung der Verwalterbestellung ist nur Vorfrage, aber nicht Hauptgegenstand.603 Ansprüche, die auch unabhängig von der Insolvenz entstanden wären, gehören nicht zum Insolvenzrecht.604 Dies kann sich auch auf ein Anerkenntnis stützen.605
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Nicht insolvenzrechtlich einzuordnen sind alle Ansprüche aus Verträgen, welche erst der Insolvenzverwalter abgeschlossen hat.606 Masseforderungen betreffen keine Insolvenzsachen.607 Dies gilt auch 594 Norges Hoyesterett, [1998] ILPr 83, 95 (per Stang Lund J.); Cass. com., D 2005, 1553 m. Anm. Lienhard; OLG Koblenz, ZIP 1989, 1328; OLG Düsseldorf, ZIP 1993, 1019; CA Paris, Rev. crit. dip. 69 (1980) 121; CA Paris, Rev. soc. 1980, 555 m. Anm. Bottini; App. Milano, Riv. dir. int. priv. proc. 1987, 803; Ashurst v. Pollard [2001] 2 WLR 722, 728 (C.A., per J Parker LJ.), [2001] ILPr 74, 78 (Ch. D., Jacob J.); LG Mainz, WM 1989, 1053; Re Hayward (deceased) [1997] Ch. 45, 54 = [1997] 1 All ER 32, 41 f. (Ch. D., Rattee J.); QRS I Aps v. Flemming Frandsen [1999] ILPr 432, 440 (Q.B.D., Sullivan J.); UBS AG v. Omni Holding AG (in liquidation) [2000] 1 WLR 916, 922 (Ch. D., Rimer J.); Oakley v. Ultra Vehicle Design Ltd. (in liquidation) [2005] ILPr 747, 761 (Ch. D., Manchester Registry, Lloyd J.); R v. R and S [2008] 2 FLR 474, 485 (FD, Bodey J.); Haubold, IPRax 2002, 157, 162; Moss/Fletcher/Isaacs/Moss/Smith, The EC Regulation on Insolvency Proceedings (2. Aufl. 2009) Rz. 8.134; Klicka, FS Beys (2003) 721, 723; Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 766; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 17 (2005); M. Stürner, IPRax 2005, 416, 421; Willemer, 313–316; Haas, ZIP 2013, 2381, 2386; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 79 (2016); Mankowski, NZI 2020, 43; Leandro in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 189, 195 f. sowie Rb. Zutphen, NIPR 2005 Nr. 250 S. 333. Vgl. im Ergebnis auch EuGH v. 21.11.2019 – C-198/18, ECLI:EU:C:2019:1001 – CeDe Group vs. KAN sp. z o.o. A.A. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 130. 595 Marc Richard Byers, Andrew Laurence Hosking and Stephen John Akers (as Liquidators of Madoff Securities International Ltd.) v. Yacht Bull. Corp. and Financière Meeschaert SA [2010] EWHC 133 (Ch.) [26], [2010] ILPr 461, [2010] BCC 368 (ChD, Morritt C). 596 Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 766. 597 BGH, NJW 2003, 2916, 2917; W. Lüke, ZZP 111 (1998) 275, 291 f.; Leible/A. Staudinger, KTS 2000, 533, 566; Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31, 33; Mankowski, NZI 2003, 546; Mankowski, RIW 2004, 587, 600 sowie EuGH v. 4.12.2019 – C-493/18, ECLI:EU:C:2019:1046 Rz. 36–41 – UB vs. VA, Tiger SCI, WZ (als Insolvenzverwalter von UB) und Banque patrimoine et immobilier SA = NZI 2020, 123 m. Anm. Mankowski. 598 Entgegen Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2000, 759, 761 f. 599 EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 Rz. 31–38 – NK vs. BNP Paribas Fortis NV = NZI 2019, 302 m. Anm. Mankowski. 600 Højesteret, UfR 1998, 1360. 601 Rb. Middelburg, NIPR 2003 Nr. 293 S. 449 f. 602 Mankowski, NZI 2009, 571, 572. Entgegen EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08 – SCT Industri AB in likvidation vs. Alpenblume AB, EuGHE 2009, I 5995. 603 Mankowski, NZI 2009, 571, 572 f.; Oberhammer, IPRax 2010, 317, 322 f.; Freitag, ZIP 2014, 302, 306. A.A. Piekenbrock, KTS 2009, 539, 546 f. 604 UBS AG v. Omni Holding AG (in liquidation) [2000] 1 WLR 916, 922 (Ch. D., Rimer J.); auch CA Paris, [1992] ILPr 25; Firswood Ltd. v. Petra Bank [1996] CLC 608 (C.A.); CA Luxembourg, Pas lux 2000, 282, 286. 605 Vgl. BGH, WM 2006, 502. 606 Cass. com., Rev. crit. dip. 82 (1993) 67 m. Anm. Rémery; Cass. com., Rev. crit. dip. 94 (2005) 489 m. Anm. Bureau = Bull. civ. 2005 IV no 108 S. 114 = D 2005, 1553 = JClP (E) 2005.1097 m. Anm. Mélin = Clunet
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
für die Rückforderung von Leistungen auf zuvor fälschlich als Insolvenzforderungen betrachtete Forderungen.608 Keine Insolvenzsachen sind des weiteren Klagen des Insolvenzverwalters auf Feststellung der Unwirksamkeit oder Auflösung von Rechtsgeschäften, die Dritte mit dem Insolvenzschuldner geschlossen hatten.609 Wird eine abgetretene Forderung nach dem Abschluss der Insolvenz eingeklagt, so ist jedenfalls dies 132 keine Insolvenzsache.610 Eine Ausnahme wird nur bei einer Klage vor Ende der Insolvenz reklamiert.611 Tritt der Verwalter an einen Dritten ab, so scheidet die Forderung jedoch immer aus der Insolvenzmasse aus.612 Eine Mehrung der Insolvenzmasse mag infolge der Veräußerung und des vorangegangenen Forderungsverkaufs eintreten, weil der Käufer den Kaufpreis an die Masse entrichtet. Dies haftet aber nicht der Forderungsdurchsetzung seitens des Käufer-Zessionars nach erfolgter Abtretung an. Richtet sich eine Haftungsklage gegen einen Dritten, insbesondere weil dieser zum Vertragsabschluss 133 mit dem späteren Insolvenzschuldner verlockt habe oder weil er neben dem Insolvenzschuldner hafte, so ist dies keine Insolvenzsache, auch wenn sich eventuelle Schäden bei Schadensersatzansprüchen aus dem insolvenzbedingten Wertverlust ergeben.613 Präventive Restrukturierungsrahmen i.S.d. RL 2019/1023/EU614 bewegen sich terminologisch wie sachlich im Vorfeld einer Insolvenz. Sie sollen gerade dazu dienen, im Erfolgsfall eine Insolvenz zu vermeiden. Deshalb führen sie nicht zur Anwendbarkeit des Abs. 2 lit. b. Bloße Insolvenzähnlichkeit mancher Strukturen in der Ausgestaltung reicht nicht.615 Allenfalls eine explizite Einbeziehung in einen geänderten Anhang A der EuInsVO 2015 vermöchte etwas Gegenteiliges zu bewirken.616 Gerichtsentscheidungen aus einem Restrukturierungsrahmen sind, solange dies nicht erfolgt ist, nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennen.617 Die Restrukturierung von Schuldverschreibungen und Anleihen nach dem Modell des deutschen SchVG fällt ebenfalls nicht unter Abs. 2 lit. b.618 Auch Collective Action Clauses (C.A.C), die einen Mehrheitsentscheid der Gläubiger erlauben, bringen die entsprechenden Beschlüsse und deren gerichtliche Überprüfung nicht unter Abs. 2 lit. b.
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Sanierungsinstrumente mit Mehrheitsentscheid im Vorfeld einer möglichen zukünftigen Insolvenz, cram-downs und andere hybride Sanierungsinstrumente sind nicht von der EuInsVO 2015 erfasst.
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133 (2006) 191 m. Anm. Roussel-Galle = D 2005, 1553 m. Anm. Lienhard = D 2005, 2394 m. Anm. Kessler (dazu Mélin, Gaz Pal 4/5 novembre 2005, 10); Haubold, IPRax 2002, 157, 162; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 23; Lienhard, D 2005, 1553 f.; Kropholler/von Hein, Rz. 36; Willemer, 370–373; kritisch OLG Zweibrücken, EuZW 1993, 165. Siehe nur Cass. com., Rev. crit. dip. 94 (2005) 489 m. Anm. Bureau = Bull. civ. 2005 IV no 108 S. 114 = D 2005, 1553 = JClP (E) 2005.1097 m. Anm. Mélin = Clunet 133 (2006) 191 m. Anm. Roussel-Galle = D 2005, 1553 m. Anm. Lienhard = D 2005, 2394 m. Anm. Kessler (dazu Mélin, Gaz Pal 4/5 novembre 2005, 10); Trib. Torino, Riv. dir. int. priv. proc. 2009, 640, 643; Jucker, Der internationale Gerichtsstand der schweizerischen paulianischen Anfechtungsklage (2007) 129 f.; Mairot, JClP (E) 2008.1397; Mankowski, NZI 2009, 571, 572; Mankowski, NZ 2010, 508, 512; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 80 (2016). Cass. com., JClP (E) 2008.1397; Mairot JClP (E) 2008.1397. Crédit Suisse and Crédit Suisse Canada v. CH (Ireland) (in liquidation), in Kaye, Casebook 621, 622 (High Ct. Ireland, Keane J.); Willemer, 317–319, 376–379. Cass. com., Clunet 135 (2008) 531, 532 m. Anm. Martel. Martel, Clunet 135 (2008) 533, 534. Espiniella Menéndez, REDI 2012-2, 225 f.; EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 Rz. 41–49 – F-Tex SIA vs. Lietuvos-Anglijos UAB „Jadecloud-Vilma“ = EuZW 2012, 427 m. Anm. Sujecki. Vgl. Hof Leeuwarden, NIPR 2008 Nr. 298 S. 556. Richtlinie 2019/1023/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz), ABl. EU 2019 L 172/18. Skauradszun, ZIP 2019, 1501, 1503. K. von Bismarck/P. Schulz, NZI Beil 1/2019, 82, 83. Skauradszun, ZIP 2019, 1501, 1504 f. Nodoushani, WM 2012, 1798, 1805.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich Solvent Schemes of Arrangement619 fielen bereits nicht unter die EuInsVO 2000.620 Vielmehr werden sie seit je, soweit möglich, von der Brüssel Ia-VO erfasst.621 Insbesondere richtet sich ihre Anerkennung nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO.622 Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat in den Verhandlungen nach massiven Interventionen von englischen Interessenvereinigungen623 dafür Sorge getragen, dass Solvent Schemes of Arrangement nicht erfasst sind.624 Dieser Erfolg wird durchgehend konzediert.625 Laut ErwGr. 16 S. 2 EuInsVO 2015 sollten Verfahren, die sich auf allgemeines Gesellschaftsrecht stützen, das nicht ausschließlich auf Insolvenzfälle ausgerichtet ist, nicht unter die EuInsVO 2015 fallen. Das hat exakt englische Solvent Schemes of Arrangement im Blick. Obendrein hat die Regierung des Vereinigten Königreichs Solvent Schemes of Arrangement nicht für Anhang A der EuInsVO 2015 gemeldet.626 Die englische Restrukturierungsbranche freut sich.627 Das COMI des Internationalen Insolvenzrecht wirkt hier nicht zuständigkeitsbeschränkend.628 136
Lauterkeitsrechtliche Streitigkeiten um den „Status“ eines Unternehmens, das in einer engen Beziehung mit dem Insolvenzschuldner steht, sind keine typischen Streitigkeiten im Umfeld einer Insolvenz und als allgemeine Zivilsachen einzuordnen.629 Insolvenzverwalter werden sich mit ihnen kaum je konfrontiert sehen, da der Angriff von außen gegen eine mit dem Insolvenzschuldner nicht identische Person erfolgt. Jeder dieser Momente ist für sich Indiz gegen einen insolvenzrechtlichen Charakter der Streitigkeit.630 Die Masse und die Gesamtheit der Gläubiger sind durch solche lauter-
619 Auf der Grundlage von sec. 895 ff. Companies Act 2006. Näher dazu z.B. O’Dea/Long/Smyth, Schemes of Arrangement: Law and Practice (2012); Payne, Schemes of Arrangement: Theory, Structure and Operation (2014). 620 Mankowski, WM 2011, 1201, 1202 f.; Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1213 f.; Westpfahl/Knapp, ZIP 2011, 2033, 2044; Laier, GWR 2011, 252, 254; Steffek in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 6 (4. Aufl. 2013) § 39 Rz. 41 sowie Kusche, 95. 621 Linna, (2014) 23 Int Insol Rev 20, 24–30 spricht von einem „regulatory gap“ zwischen Brüssel I/Ia-System und EG-InsVO. 622 Eingehend Mankowski, WM 2011, 1201; Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210; Westpfahl/Knapp, ZIP 2011, 2033; Thole, ZGR 2013, 109. Siehe auch BGH, ZIP 2012, 740; Bork, ZEuP 2013, 136, 144; Schnepp, GS Ulrich Hübner (2012) 267; Mäsch, IPRax 2013, 234. 623 Z.B. die United Kingdom Insolvency Lawyers’ Association http://www.ilauk.org/docs/ila/ila_response-insolven cy-regulation_copy.pdf. 624 Doc. 12007/14 ADD 16. 625 Bayer/Jessica Schmidt, BB 2015, 1731, 1737; Bewick, (2015) 24 Int. Insol. Rev. 172, 177; Brinkmann, KTS 2014, 381, 386–387; Eidenmüller, ZIP 2016, 145, 146; Fritz, DB 2015, 1882, 1884; Garcimartín, ZEuP 2015, 694, 700–701; Lenzing, Rev. proc. coll. 2015 n° 1 dossier 3 para. 22; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 461; Madaus, KSzW 2015, 183, 190; Mansel/Thorn/Rolf Wagner, IPRax 2016, 1, 4; McCormack, (2016) 79 Mod. L. Rev. 102, 128–129; Michael Müller in Mankowski/Michael Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO 2015 (2016) Art. 1 EuInsVO 2015 note 21; Parzinger, NZI 2016, 63, 65; Prager, DB 2015 issue 27/28, p. M5; Prager/Christoph Keller, WM 2015, 805; Reith, RdW 2015, 758, 759; Vallender, ZIP 2015, 1513, 1514; Vallens, RLDA 2015 n° 106 p. 17, 18; Weiss, (2015) 24 Int. Insol. Rev. 192, 196; Freitag/Korch, ZIP 2016, 1849, 1852. 626 Stones, [2013] Corp. Rescue & Insol. 109, 110; Stones, [2014] Corp. Rescue & Insol. 161. 627 Omar, (2014) 25 ICCLR 19, 24; Cohen/Dammann/Sax, IILR 2015, 117, 120; Van de Graaff/Declercq/Howard Morris, [2016] CRI 174, 175. 628 See Albrecht, ZInsO 2015, 1077, 1078; Bayer/Jessica Schmidt, BB 2015, 1731, 1737; Brinkmann, KTS 2014, 381, 387; Kindler, KTS 2014, 25, 29; McCormack, (2014) 10 JPrIL 41, 48; McCormack, (2016) 79 Mod. L. Rev. 102, 128–129; Michael Müller in Mankowski/Michael Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO 2015 (2016) Art. 1 EuInsVO 2015 note 21; Parzinger, NZI 2016, 63, 65; Prager/Christoph Keller, WM 2015, 805, 806; Thole, ZEuP 2014, 39, 47; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 551. 629 EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:EU:C:2017:847 Rz. 26–32 – Tünkers France u. Tünkers Maschinenbau AG vs. Expert France; Cass. com. v. 9.5.2018 – n° 14-23.273; Vallens, D 2017, 2357, 2358 f.; Jessica Schmidt, EWiR 2017, 737, 738; Mankowski, NZI 2018, 46; Cranshaw, jurisPR-InsR 1/2018 Anm. 1 sub C I; Nourissat, Procédures janvier 2018, 23, 24; Jault-Seseke/Robine, Bull. Joly Sociétés 2018, 52, 53; Henry, Bull. Joly Entreprises 2018, 130; Swierczok, DZWiR 2018, 162, 164; Mastrullo, Rev. proc. coll. mai-juin 2018, 60, 61; Henry, Rev sociétés 2018, 415. 630 Mankowski, NZI 2018, 46; Swierczok, DZWiR 2018, 162, 164 sowie Cranshaw, jurisPR-InsR 1/2018 Anm. 1 sub A.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
keitsrechtlichen Fragen nicht berührt, sondern nur Individualinteressen.631 Die Masse wird weder vermehrt noch vermindert, egal wie der Rechtsstreit ausgeht.632 Im Beispielskatalog des Art. 4 Abs. 2 EuInsVO 2000 bzw. Art. 7 Abs. 2 EuInsVO 2015 tauchen lauterkeitsrechtliche Fragen mit Recht nicht auf. c) Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Insolvenzsachen Generell ist die Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Insolvenzrecht eine Problemzone.633 Das 137 Insolvenzrecht mit seiner Anknüpfung an die lex fori concursus durch Art. 7 EuInsVO 2015 bzw. Art. 4 EuInsVO 2000 und der Anknüpfung des Insolvenzforums an das COMI (centre of main interests) des Schuldners ist das vorgebliche Rückzugsgebiet, um Gläubigerschutz gegen das Gesellschaftsstatut durchzusetzen – und das Gesellschaftsstatut wird innerhalb der EU seit den EuGH-Entscheidungen Centros, Überseering, Inspire Art, später SEVIC, Cartesio, VALE, Polbud634 grundsätzlich nach der von nur wenigen Sonderanknüpfungen überlagerten Gründungstheorie bestimmt.635 Das Insolvenzstatut soll gleichsam instrumentalisiert werden, um zu realisieren, was im Gesellschaftsrecht nicht mehr realisiert werden kann.636 Darin liegt die rechtspolitische Brisanz der Abgrenzung. Die Abgrenzung muss funktional geschehen mit der Testfrage, ob Effektivität und Effizienz des Insolvenzverfahrens eine Zuständigkeitskonzentration gebieten.637 Aktivprozesse des Insolvenzverwalters sind auch dann Zivilsachen, wenn sie Haftungsansprüche gel- 138 tend machen, bei denen die Insolvenzeröffnung Tatbestandsmerkmal ist.638 Keine Insolvenzsachen betreffen insbesondere Haftungsansprüche aus Eigenkapitalersatzrecht (unter deutschem Recht vor dem MoMiG nach §§ 32a f. GmbHG oder analog §§ 30, 31 GmbHG),639 aus Konzernhaftung analog
631 EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:EU:C:2017:847 Rz. 27 – Tünkers France u. Tünkers Maschinenbau AG vs. Expert France = NZI 2018, 44 m. Anm. Mankowski; Jault-Seseke/Robine, Bull. Joly Sociétés 2018, 52, 53. 632 Mankowski, NZI 2018, 46 sowie EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:EU:C:2017:847 Rz. 27 – Tünkers France u. Tünkers Maschinenbau AG vs. Expert France. 633 Grundlegend Willemer, 212–312; außerdem z.B. Eidenmüller, RabelsZ 70 (2006) 474; Pannen, FS Gero Fischer (2008) 403; Kühnle/D. Otto, IPRax 2009, 117. 634 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97 – Centros Ltd. vs. Erhvervs- og Selskabsstyrelse, EuGHE 1999 I 1459; EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00 – Überseering BV vs. Nordic Construction Co Baumanagement GmbH, EuGHE 2002 I 9919; EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01 – Kamer voor Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam vs. Inspire Art Ltd., EuGHE 2003 I 10155; EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03 – SEVIC Systems AG, EuGHE 2005 I 10805; EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06 – Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, EuGHE 2008 I 9641; EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 – VALE Épitési kft; EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU: C:2017:804 – Polbud Wykonastwo sp. z.o.o. 635 BGH, IPRax 2003, 344; BayObLG, IPRax 2003, 244; OLG Celle, IPRax 2003, 245; OLG Naumburg, GmbHR 2003, 533; OLG Zweibrücken, GmbHR 2003, 530; OLG Frankfurt v. 28.5.2003 – 23 U 35/02; AG Hamburg, ZIP 2003, 1008. 636 Z.B. Fischer, ZIP 2004, 1477. 637 Osterloh-Konrad, JZ 2014, 44, 45. 638 A.A. OLG Hamm, EuZW 1993, 519; OLG Frankfurt, IPRspr. 1998 Nr. 192 S. 389 sowie UBS AG v. Omni Holding AG (in liquidation) (2000) 1 WLR 916, 922 (Ch. D., Rimer J.). 639 OLG Köln, ZIP 1998, 74; OLG Bremen, RIW 1998, 63; OLG Jena, ZIP 1998, 1496; OLG Koblenz, NZG 2001, 759 m. Anm. Schwarz; OLG Düsseldorf, GmbHR 2017, 239; AG Bad Segeberg, NZI 2005, 411, 412; Mankowski, NZI 1999, 56; Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht (1996) 292; Mankowski, EWiR § 22 ZPO 1/98, 571, 572; Trunk, Internationales Insolvenzrecht (1998) 192 f.; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2242; Geyrhalter/Gänßler, NZG 2003, 409, 411 f.; Ziemons, ZIP 2003, 1913, 1917; Kindler, FS Peter Ulmer (2003) 305, 308; Burg, GmbHR 2004, 1379, 1380; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 181; Schall, ZIP 2005, 965, 975; Pannen/Riedemann, NZI 2005, 413, 414; Kropholler/von Hein, Rz. 35; Willemer, 219–221 Insoweit a.A. Schücking, ZIP 1994, 1156, 1162; Haas, NZG 1999, 1148, 1152 f.; Haas, NZI 2002, 457, 466; Paulus, ZIP 2002, 729, 734; Schwarz, NZG 2002, 290, 294 f.; Weller, IPRax 2003, 520, 524; Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Ulmer, KTS 2004, 291, 299 f.; Wienberg/Sommer, NZI 2005, 353, 356 f. sowie Altmeppen, NJW 2004, 97, 103; skeptisch G. C. Schwarz, FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) 503, 514 f.; vgl. auch Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588 f.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich §§ 302 ff. AktG,640 wegen Durchgriffshaftung z.B. aus sec 217 Insolvency Act,641 aus Unterbilanzoder Vorbelastungshaftung z.B. nach § 11 Abs. 2 GmbHG,642 wegen materieller Unterkapitalisierung643 und aus Existenzvernichtungshaftung.644 Nationale Einordnung in einen insolvenzgesetzlichen Kontext verschlägt nicht; zu qualifizieren ist nicht nach dem formellen Gewand, sondern nach dem materiellen Gehalt.645 Die Insolvenzanfechtung spezifisch nach § 135 InsO ist ein eigenes Institut und kein verallgemeinerungsfähiger Ausdruck einer allseitigen insolvenzrechtlichen Haftungsordnung;646 selbst sie ist im Ergebnis sogar nicht-insolvenzrechtlich einzuordnen.647 Für die nicht-insolvenzrechtliche Qualifikation ist im Übrigen unerheblich, ob man z.B. die Existenzvernichtungshaftung als gesellschaftsrechtlich648 oder als deliktsrechtlich649 einordnen will, denn beide möglichen Alternativen sind jedenfalls kein Insolvenzrecht.650 Insolvenzrechtlich einzuordnen ist dagegen die Haftung aus Art. 2:138, 2:148 BW in den Niederlanden.651 Haftungsklagen gegen Gesellschafter einer Gesellschaft, die ein Sanierungsverfahren hat, sind Zivilsachen.652 Sie greifen nicht in Prärogativen eines Insolvenzverwalters ein, die im Interesse aller Gläubiger auszuüben wären.653 139
Die Insolvenzverschleppungshaftung, z.B. für Geschäftsführer einer GmbH, heute654 aus § 64 GmbHG,655 zuvor aus § 64 Abs. 2 GmbHG oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG, sanktioniert die Insolvenzantragspflicht. Die Insolvenzantragspflicht aber steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit den Insolvenzgründen einerseits und der Insolvenzantragsberechtigung andererseits. Sie ist insolvenzrechtlich zu qualifizieren,656 nicht gesellschaftsrechtlich.657 Gleicherma640 Maul, AG 1998, 404, 408; Zimmer, IPRax 1998, 187, 188; Kindler in MünchKomm/BGB4 (2006) IntGesR Rz. 635–641; Haubold, IPRax 2000, 375, 381–384; Haubold, IPRax 2002, 157, 163; Kulms, IPRax 2000, 488, 493; Martiny, FS Geimer zum 65. Geb. (2002) 641, 665; Kindler, FS Peter Ulmer (2003) 305, 317 f.; Schack, GS Sonnenschein (2003) 705, 713; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Art. 5 EuGVVO Rz. 32; Geimer/Schütze/Auer Art. 5 EuGVVO Rz. 27; Willemer, 219–221. 641 Schall, EWiR s 216 IA 1/05, 709, 710. 642 OLG Rostock v. 4.6.2014 – 1 U 51/11 Rz. 30; M.-P. Weller/C. Harms, IPRax 2016, 119, 121; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 73 (2016). 643 OLG Köln, ZIP 2005, 322, 323 = WM 2005, 612, 613; Mankowski, RIW 2005, 561, 569. 644 Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 11; P. Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Eidenmüller/Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht (2004) § 4 Rz. 21; Rosse EWiR Art. 5 EuGVVO 1/05, 389, 390; Mankowski, RIW 2005, 561, 569; Kuntz, NZI 2005, 424, 431; Willemer, 250–252; Thole, IPRax 2019, 483, 487; Bramkamp, Die Attraktivgerichtsstände des europäischen Insolvenzrechts (2019) 422–429. A.A. M.-P. Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung (2004) 266 f.; M.-P. Weller, ZIP 2009, 2029, 2032; vgl. auch Kindler, FS Jayme (2004) 409, 416 f. 645 Vgl. Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 34; Pannen/Riedemann, NZI 2005, 413, 414; Bos, WPNR 6638 (2005) 773, 781. 646 Entgegen Haas, NZG 1999, 1148, 1152; vgl. auch G. C. Schwarz, FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) 503, 514; zustimmend wie hier Kropholler/von Hein, Rz. 35. 647 vCampe, Insolvenzanfechtung in Deutschland und Frankreich (1996) 361; Trunk, Internationales Insolvenzrecht (1998) 192 f.; Schall, ZIP 2005, 965, 975; Willemer, 231–234 sowie K. Schmidt, FS Großfeld (1999) 1031, 1042. A.A. OLG Wien 17.10.2003 – 3 R 151/03b (kritisch dazu Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 765); U. Huber in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 154, 169; Wienberg/Sommer, NZI 2005, 353, 357. 648 Dafür z.B. Schumann, DB 2004, 743, 749; Burg, GmbHR 2004, 1379, 1380; Pannen/Riedemann, NZI 2005, 413, 414; Ungan, ZVglRWiss 104 (2005), 355, 372 f. 649 Dafür z.B. Bayer, BB 2003, 2357, 2365; M.-P. Weller, DStR 2003, 1800, 1804; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588 f. 650 Für insolvenzrechtliche Qualifikation nur M.-P. Weller, IPRax 2003, 207, 210. 651 Lennaerts, TVI 2001, 179; Vlas in Wetboek van Burgerlijk Rechtsvordering – Verdragen en Verordeningen (Loseblatt Stand: 2002) Rz. 7; Bos, WPNR 6638 (2005) 773, 781. 652 EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 Rz. 25 – ÖFAB Östergötlands Fastigheter AB vs. Frank Koot u. Evergreen Investments BV. 653 EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 Rz. 25 – ÖFAB Östergötlands Fastigheter AB vs. Frank Koot u. Evergreen Investments BV. 654 Nach dem MoMiG, BGBl. 2008 I 2026. 655 Dazu z.B. G. Wagner, FS Karsten Schmidt zum 70. Geb. (2009) 1665. 656 Dafür EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 Rz. 14–26 – H vs. H.K.; BGH, ZIP 2015, 68; OLG Karlsruhe, NZG 2010, 509 = NJW-RR 2010, 614; OLG Köln, NZI 2012, 52 m. Anm. Mankowski; Hau-
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
ßen ist auch ihre Sanktionierung durch die Insolvenzverschleppungshaftung658 insolvenzrechtlich zu qualifizieren.659 Eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation660 ist ebenso abzulehnen wie eine deliktsrechtliche661 oder eine vertragsrechtliche662 oder ein kombinierender Ansatz.663 Dass die Haftungsdurchsetzung nur dem einzelnen Gläubiger zugute kommt, verschlägt ebenso wenig wie etwaige Reflexwirkungen auf den Quotenverschlechterungsschaden der Altgläubiger oder die Zuweisung der Kompetenz an den Insolvenzverwalter aus § 92 InsO, ausnahmsweise und eigentlich systemwidrig Ansprüche der Gläubiger geltend machen zu dürfen.664 Eine Einordnung nur nach nationalen Kategorien würde dem Postulat einheitlicher europäischer Auslegung widersprechen.665 Die action en comblement de passif, heute action en comblement par insuffisance d’actif gegen die 140 Geschäftsleiter insolventer Gesellschaften ab 1.1.2006666 aus Art. L 651-1 C com667 bzw. bis 1.1.2006 aus Art. L 624-3 C com (ancien)668 wird indes in Frankreich für internationalrechtliche Zwecke als insolvenzrechtlich eingeordnet.669 Dies erscheint fragwürdig, da es sich im Kern um Ausfallklagen ge-
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bold, IPRax 2002, 157, 160; H.-F. Müller, NZG 2003, 414, 416; G. Roth, NZG 2003, 1081, 1085; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3589; M.-P. Weller, IPRax 2003, 520, 522; Altmeppen, NJW 2004, 97, 100; Wachter, GmbHR 2004, 88, 101; Kirchner, FS Immenga (2004) 607, 622; Borges, ZIP 2004, 733, 739 f.; Eidenmüller/Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht (2004) § 9 Rz. 25–28; Kropholler/von Hein, Rz. 35; Pannen/Riedemann, MDR 2005, 496, 498; Ungan, ZVglRWiss 104 (2005), 355, 366 f.; Kuntz, NZI 2005, 424, 426 f.; S. Schilling/J. Schmidt, DZWiR 2006, 219; J. Schmidt, ZInsO 2006, 737; Willemer, 265–273; Renner, Insolvenzverschleppungshaftung in internationalen Fällen (2007) 104–116; Barthel, Deutsche Insolvenzantragspflicht und Insolvenzverschleppungshaftung in Scheinauslandsgesellschaften nach dem MoMiG (2009) 219–235; Haas, NZG 2010, 495; H. Wais, IPRax 2011, 138; Joh Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2011) 131–150. Dafür aber OLG München, IPRax 2000, 416, 417; Mock/Schildt, ZInsO 2003, 396, 399; Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 670; J. Schmidt, ZHR 168 (2004) 493, 497 f.; Mock/Westhoff, DZWiR 2004, 23, 27; A. Schumann, DB 2004, 743, 746; P. Ulmer, NJW 2004, 1201, 1207; Vallender/Kh Fuchs, ZIP 2004, 829, 830; Hirte in Hirte/ Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 1 Rz. 74; Hirte/Mock, ZIP 2005, 474; Willemer, 259–273 sowie AG Köln, ZIP 2005, 1566 (Anwendung des § 64 Abs. 1 GmbHG trotz Insolvenzantrag im Ausland). Vorlage an den EuGH durch LG Darmstadt, NZI 2013, 712 m. Anm. Mankowski. Dafür BGH, WM 2014, 1766, 1767 (6); Trunk, Internationales Insolvenzrecht (1998) 103; Borges, RIW 2000, 167, 178; Borges, ZIP 2004, 733, 739 f.; C. Paulus, ZIP 2002, 729, 734; H.-F. Müller, NZG 2003, 414, 416 f.; G. Roth, NZG 2003, 1081, 1085; G. Roth, FS Doralt (2004) 479, 491; Wachter, GmbHR 2003, 1254, 1257; Wachter, GmbHR 2004, 88, 101; M.-P. Weller, DStR 2003, 1800, 1804; M.-P. Weller, IPRax 2003, 520, 524; Habersack/Verse, ZHR 168 (2004) 175, 207; Goette, FS Kreft (2004) 53, 55, 58 f., 63 f.; Klein, Die Rechtsstellung auswärtiger Gläubiger im deutschen und US-amerikanischen Recht (2004) 543 ff.; Eisner, ZInsO 2005, 20, 22; M. Lehmann, GmbHR 2005, 978, 982; Pannen/Riedemann, NZI 2005, 413, 414; Kuntz, NZI 2005, 424, 428; Guski, ZIP 2018, 2395, 2400; Bramkamp, Die Attraktivgerichtsstände des europäischen Insolvenzrechts (2019) 367–385. Dafür AG Bad Segeberg, NZI 2005, 411, 412 m. Anm. Pannen/Riedemann; Mock/Schildt, ZInsO 2003, 396, 400; Mock/Schildt, NZI 2003, 444 f.; Hirte, ZInsO 2003, 833, 837; Hirte in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 1 Rz. 74; Spindler/Berner, RIW 2004, 7, 12; Mock/Westhoff, DZWiR 2004, 23, 26 f.; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083, 1088; Paefgen, ZIP 2004, 2253, 2260 f.; Dichtl, GmbHR 2005, 886. Dafür Schanze/Jüttner, AG 2003, 661, 670; Bayer, BB 2003, 2357, 2365; Bayer, BB 2004, 1, 4; Riedemann, GmbHR 2004, 345, 348. Dahin OLG Düsseldorf, GmbHR 2010, 591, 592. Dafür Kindler, NZG 2003, 1086, 1090; vgl. auch Zimmer, NJW 2003, 3585, 3590; Kuntz, NZI 2005, 424, 428 f. Vgl. Freitag, ZIP 2014, 302, 304. Anders Osterloh-Konrad, JZ 2014, 44, 46. BGH, NZI 2011, 818; Mankowski, NZI 2012, 53. Änderung durch Loi no 2005-845 du 26 juillet 2005 relative à la sauvegarde des entreprises, JO 2005, 12225; dazu z.B. Bigot, JCP G 2005 I 180. Dazu Galle, JClP (E) 2005, 1761, 1762–1765. Eingehend dazu v.a. C. Cohen, Rev. crit. dip. 92 (2003) 585; Junker, RIW 1986, 337; Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19; Marquardt/Hau, RIW 1998, 441; Kuckertz, Der Haftungsdurchgriff auf ausländische Unternehmen und Geschäftsleiter nach französischem Recht (2002). Cass. com., Bull. civ. 2000 IV no 61 = D 2000, 241 = Dr. sociétés 2000 § 89 m. Anm. Chaput = Bull. Joly sociétés. 2000, 600 m. Anm. Menjucq = RTD com. 2000, 468 m. Anm. Vallens; Cass. com., Rev. crit. dip. 94
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich gen dritte Schuldner handelt,670 deckt sich aber (in bewusster Anlehnung671) mit der Einordnung, welche der EuGH der Vorgängerregelung672 des heutigen französischen Rechts zuteil werden ließ.673 Zwar sei die action en comblement im Prinzip eine Haftung wegen deliktischen Fehlverhaltens,674 der Erfolg jenes Fehlverhaltens sei aber die Insolvenzreife der Gesellschaft und damit spezifisch mit der Insolvenz verbunden.675 Die insolvenzrechtliche Qualifikation führe zudem zu einer prozessualen Gleichbehandlung französischer und ausländischer Geschäftsleiter.676 Sie habe den weiteren Vorteil, Art. 25 EuInsVO zur Anwendung zu bringen.677 141
Die Haftung wegen fraudulent trading aus sec 213 Insolvency Act 1986 ist eine Betrugshaftung und nicht spezifisch insolvenzrechtlich.678 Dagegen ist die Haftung wegen wrongful trading aus sec 214 Insolvency Act 1986 im Ergebnis Insolvenzrecht, da sie vom Insolvenzverwalter geltend gemacht die Haftungssumme vergrößert und eine Weiterführung der illiquiden Gesellschaft verhindern soll.679 Eine Innenhaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft z.B. aus § 826 BGB ist zivilrechtlicher Natur.680
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Unter Governance-Gesichtspunkten erscheint eine möglichst weitgehend parallele Behandlung von Innen- und Außenhaftung vernünftig, da sie einander funktionell substituieren und alternative Wege zum letztlich selben Ziel sind,681 Handelnden Anreize zum Vermeiden von Haftung zu setzen. Soweit die Haftungsklagen spezifisch die Insolvenzantragspflicht sanktionieren und die Haftsumme der Masse zufließt, sollte man eine Haftung insolvenzrechtlich qualifizieren, auch wenn sie von einzelnen Gläubigern geltend gemacht werden können.682 Im Übrigen sind keine Insolvenzsachen andere Haftungsklagen von Gläubigern,683 sei es gegen Gesellschafter der insolventen Gesellschaft684 oder gegen Organpersonen,685 denn weder richten sie sich gegen den Insolvenzschuldner,686 noch führen sie der Masse etwas zu, um den spezifischen Insolvenzzweck zu fördern. Streitigkeiten zwischen Or-
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(2005) 104, 105 m. Anm. Bureau = Petites affiches 8 juillet 2005, no 135 S. 14 m. krit. Anm. Henry = RTD com. 2004, 601 m. Anm. Mascala = JClP (E) 2004, 1349 m. Anm. Reifegerste = Dr. sociétés 2004 comm. 211 m. Anm. Legros = RTD com. 2004, 601 m. Anm. Monsala = JClP 2005 I 110 m. Anm. Fabries; dazu u.a. Vallens, D 2004, 1706; Henry, D 2004, 2145; Monsérié-Bon, Bull. Joly sociétés. 2004 § 268 S. 1350; ebenso Reinhart in MünchKomm/InsO (2. Aufl. 2008) Art. 25 EG-InsVO Rz. 5; Borges, ZIP 2004, 733, 739 f.; Habersack/ Verse, ZHR 168 (2004) 174, 207; Le Corre, Rev. soc. 2004, 717, 718; Lienhard, D 2005, 1553, 1554. Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 19, 41, 43; J. Gruber, EWS 1994, 190, 192; W. Lüke, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 467, 478 f.; Willemer, 278–292 sowie Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 131. Martin-Serf, Rev. proc. coll. 2005, 149, 150. Zu dieser eingehend in deutscher Sprache Angermüller, Die persönliche Haftung von Unternehmensleitern, insbesondere Leitern juristischer Personen bei Insolvenz des Unternehmens nach dem französischen Insolvenzgesetz vom 13.7.1967 (1986); Zahn, Geschäftsleiterhaftung und Gläubigerschutz bei Kapitalgesellschaften in Frankreich (1986). EuGH v. 22.2.1979 – 133/78 – Henri Gourdain vs. Franz Nadler, EuGHE 1979, 733, 744 f. Rz. 5 f.; ebenso OLG Hamm, RIW 1994, 62; Junker, RIW 1986, 345, 347. Mascala, RTD com. 2004, 601, 602; Reifegerste, JClP (E) 2004, 1351, 1352. Vallens, D 2004, 1796, 1797; Mascala, RTD com. 2004, 601, 602; Le Corre, Rev. soc. 2004, 717, 719. Monsérié-Bon, Bull. Joly sociétés. 2004, 1350, 1351–1354. Vallens, D 2004, 1796, 1797; Monsérié-Bon, Bull. Joly sociétés. 2004, 1350, 1354. Willemer, 298–301. Anders obiter Oakley v. Ultra Vehicle Design Ltd. (in liquidation) (2005) ILPr 747, 761 (Ch. D., Manchester Registry, Lloyd J.). S. Höfling, Das englische internationale Gesellschaftsrecht (2002) 234; Borges, ZIP 2004, 733, 739 f.; Eidenmüller/Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht (2004) § 9 Rz. 32; Habersack/Verse, ZHR 168 (2004) 174, 207; Schillig, IPRax 2005, 208, 213. A.A. Rinne, Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen im deutschen Kollisions- und Sachrecht (1998) 299; Mock/Schildt, ZInsO 2003, 396, 400; A. Schumann, DB 2004, 743, 748; Willemer, 302–308. Osterloh-Konrad, JZ 2014, 44, 46. Siehe Osterloh-Konrad, JZ 2014, 44, 46 f. Soeben Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 74. Osterloh-Konrad, JZ 2014, 44, 46. OLG Köln, WM 2005, 612, 613; Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 34; Bramkamp, Die Attraktivgerichtsstände des europäischen Insolvenzrechts (2019) 429–437. Grupo Torras SA and Torras Hostench London Ltd. v. Skeikh Fahad Mohammed Al-Sabah [1995] 1 Lloyd’s Rep. 374, 400 (Q.B.D., Mance J.); Moss/Fletcher/Isaacs/Moss/T. Smith (Fn. 254) Rz. 8.134. Mankowski, RIW 2005, 561, 569.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
ganpersonen in einer Gesellschaft in der Krise sind ebenfalls allgemeine Zivilsachen.687 Schadensersatzklagen wegen insolvenzwidriger Aktiengeschäfte zählen ebenfalls zu den Zivilsachen.688 d) Aussonderungs- und Absonderungsklagen Aussonderungs- und Absonderungsklagen beruhen auf Rechten, die außerhalb der Insolvenz ent- 143 standen sind, und gehören deshalb nicht unter Abs. 2 lit. b,689 zumal anderenfalls das Vertrauen auf die Geltung des weiteren Zuständigkeitskatalogs für normale Klagen gegenüber dem restriktiven Regime des Art. 3 EuInsVO 2000 bzw. 2015 enttäuscht würde.690 Nicht zur Haftungsmasse zu gehören ist nur ein nicht ausreichender, weil negativer Bezug zur Haftungsordnung.691 Gestützt wird dies dadurch, dass Art. 5 EuInsVO 2000; Art. 7 EuInsVO 2000 bzw. Art. 8 EuInsVO 2015; Art. 10 EuInsVO 2015 die dinglichen Rechte Dritter vom Insolvenzverfahren unberührt lassen.692 Zwar handelt es sich dabei um Kollisions-693 oder um Sachnormen,694 doch indiziert deren zumindest im Wege der Parallelwertung zu beachtende Qualifikationsentscheidung einen nicht-insolvenzrechtlichen Charakter jener Rechte, obwohl Art. 5, 7 EuInsVO 2000 bzw. Art. 8; 10 EuInsVO 2015 auf der anderen Seite keine Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der EuInsVO 2000 bzw. EuInsVO 2015 darstellen.695 Die durch Eigentumsvorbehalt besicherte Kaufpreisforderung des Verkäufers ist freilich als solche eine normale Insolvenzforderung.696 e) Klagen auf Feststellung zur Insolvenztabelle Insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind Klagen auf Feststellung einer Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle, z.B. nach §§ 179 ff. InsO.697 Die Feststellungsklage gegen den Schuldner aus § 184 InsO
687 Choudhary v. Bhattar [2009] ILPr 842, 852 (ChD, Judge D Donaldson QC). 688 Choudhary v. Bhatter [2010] ILPr 130 [32] (C.A., per Sir John Chadwick). 689 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH vs. Alice van der Schee, EuGHE 2009 I 8421 Rz. 32; Schlosser, FS Friedrich Weber (1975) 395, 409; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 21; Martin-Serf, Clunet 122 (1995) 31, 55 f.; Geimer/Schütze/Safferling/Wolf (1997) Rz. 19; Haubold, IPRax 2002, 157, 159; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 19; Kropholler/von Hein, Rz. 37; Willemer, 357–367; Mankowski, NZI 2010, 508, 512; vgl. auch BGE 125 III 108, 111; Markus, FS Thomas Koller (2018) 615, 634; Bramkamp, Die Attraktivgerichtsstände des europäischen Insolvenzrechts (2019) 319–339. A.A. CA Douai, Clunet 119 (1992) 187/190 obs Huet; Guski, ZIP 2018, 2395, 2400 f. 690 Haubold, IPRax 2002, 157, 163. 691 Entgegen Guski, ZIP 2018, 2395, 2401. 692 Willemer, 358 f. 693 Dafür H. Prütting, ZIP 1996, 1277, 1284; Flessner, IPRax 1997, 1, 7; Flessner, FS Drobnig (1998) 277, 283; J. Kemper, ZIP 2001, 1609, 1615; von Bismarck/Schümann-Kleber, NZI 2005, 89, 92; von Bismarck/SchümannKleber, NZI 2005, 147, 148 f. 694 Dafür Leible/A. Staudinger, KTS 2000, 533, 551; P. Huber, ZZP 114 (2001) 133, 154; Liersch, Sicherungsrechte im Internationalen Insolvenzrecht (2001) 50 f., 63; Herchen, ZInsO 2002, 345, 347 f.; Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky/Duursma-Kepplinger, EuInsVO (2002) Art. 5 EG-InsVO Rz. 18; C. Naumann, Die Behandlung dinglicher Kreditsicherheiten und Eigentumsvorbehalte nach den Art. 5 und 7 EG-InsVO sowie nach autonomem deutschen Insolvenzkollisionsrecht (2004) 364. 695 C. Naumann, Die Behandlung dinglicher Kreditsicherheiten und Eigentumsvorbehalte nach den Art. 5 und 7 EG-InsVO sowie nach autonomem deutschen Insolvenzkollisionsrecht (2004) 131. 696 Mankowski, NZI 2008, 604, 606; Mankowski, NZI 2010, 508, 512. 697 EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 Rz. 37–40 – Skarb Pánstwa Rzczpospolitej Polskiej – Generalny Dyrektor Dróg Krajowych i Autostra vs. Stephan Riel; GA Bot, Schlussanträge v. 4.4.2019 in der Rs. C-47/18, ECLI:EU:C:2019:292 Rz. 43–45; Schlosser, FS Friedrich Weber (1975) 395, 408; Mankowski, ZIP 1994, 1579, 1581; Trunk, Internationales Insolvenzrecht (1998) 212 f.; Kropholler/von Hein, Rz. 37; M. Stürner, IPRax 2005, 416, 421; Willemer, 328–347; Piekenbrock, ZIP 2014, 2067, 2072; Gottwald, FS Isaak Meier (2015) 249, 258; Mankowski, NZI 2019, 864; Bramkamp, Die Attraktivgerichtsstände des europäischen Insolvenzrechts (2019) 304–319 sowie OLG Frankfurt, RIW 2002, 148, 149. Anderer Ansicht OLG Frankfurt, IPRspr. 2016 Nr. 325 S. 847; CA Paris, Clunet 119 (1992) 187, 188 obs Huet; UBS AG v. Omni Holding AG (in liquidation) (2000) 1 WLR 916, 923 (Ch. D., Rimer J.); Martin-Serf, Clunet 122 (1995) 31, 55; Schlosser/ Hess/Schlosser, Rz. 21; W. Lüke, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 467, 483; Haubold, IPRax 2002, 157, 163.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich ist ebenso zu qualifizieren wie die Klage auf Feststellung zur Insolvenztabelle.698 Einerseits gibt es einen spezifisch insolvenzrechtlichen Konnex und ein spezifisch insolvenzrechtliches Ziel.699 Alles, was den Rang einer Forderung als eine sich nur in der Insolvenz aktuell stellende und deshalb insolvenzspezifische Frage betrifft, ist insolvenzrechtlicher Natur,700 wie Art. 7 Abs. 2 lit. i Var. 2 EuInsVO 2015 belegt.701 145
Andererseits indiziert z.B. § 180 Abs. 2 InsO, dass es sich im Kern um eigentlich „normale“ Feststellungsklagen handelt. Dem Gläubiger muss es gar nicht um den Rang zu schaffen sein, sondern nur um die Geltendmachung der Forderung. Indes bleiben Insolvenzforderungen spezifisch in den besonderen Kontext des Insolvenzverfahrens eingebunden, denn der jeweilige Gläubiger könnte sie gerade nicht in einem ganz „normalen“ Zivilprozess per Leistungsklage verfolgen.
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Letztlich spricht jedoch deutlich mehr für eine insolvenzrechtliche Qualifikation.702 Mit den Feststellungsklagen gleich zu behandeln ist jedenfalls der Streit, ob eine Forderung Masse- oder Insolvenzforderung ist.703 Insolvenzrechtlicher Natur sind desgleichen Entscheidungen, die ein insolvenzbedingtes Erlöschen von Rechtsansprüchen aussprechen, denn sie ersetzen eine Restschuldbefreiung ex lege.704 Eine internrechtliche Zuweisung von Verfahren an das Insolvenzgericht macht diese Verfahren freilich nicht automatisch zu insolvenzrechtlichen.705
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Einstweilen frei. f) Internationale Zuständigkeit für insolvenzrechtliche Annexverfahren
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Soweit Einzelverfahren insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind, ist die internationale Zuständigkeit für solche Annexverfahren zu klären. Die EuInsVO 2000 hielt dafür keine ausdrückliche Antwort bereit. Zum Füllen dieser Lücke gab es vier miteinander konkurrierende Lösungsvorschläge: Erstens wurde Art. 3 EuInsVO 2000 direkt angewendet.706 Zweitens wurde Art. 3 EuInsVO 2000 analog herangezogen.707 Drittens wurden die Qualifikationen verschoben, so dass man im Ergebnis doch zur 698 Vgl. OLG Frankfurt, IPRspr. 2016 Nr. 325 S. 843 juris Rz. 70. 699 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 84 (2016); J. Schmidt, ZInsO 2019, 2448, 2449. 700 GA Bot, Schlussanträge v. 4.4.2019 in der Rs. C-47/18, ECLI:EU:C:2019:292 Rz. 44; Fondazione Enasarco v. Lehman Brothers Finance SA [2014] EWHC 34 (Ch.), [2014] 2 BCLC 662 [42] (Ch. D., David Richards J.). 701 Mankowski, NZI 2019, 864. 702 Eingehend Willemer, 328–347. 703 Willemer, 351–353. A.A. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 132. 704 Mankowski, ZZP Int 4 (1999) 278, 287 f. 705 Ebenroth/Kieser, KTS 1988, 42; W. Lüke, FS Schütze zum 65. Geb. (1999), 467, 477. 706 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07 – Christopher Seagon als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Frick Teppichböden Supermärkte GmbH vs. Deko Marty Belgium NV, EuGHE 2009 I 767 Rz. 22; EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 Rz. 27 – F-Tex SIA vs. Lietuvos-Anglijos UAB „Jadecloud-Vilma“ = EuZW 2012, 247 m. Anm. Sujecki; EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 Rz. 30 – Ralph Schmid als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen von Aletta Zimmermann vs. Lilly Hertel; BAGE 143, 129 = RIW 2013, 317; BGH, RIW 2014, 452; BGH, RIW 2014, 530, 531; BAG, RIW 2014, 534, 535. 707 Dafür Leipold, FS Ishikawa (2001) 221, 235–239; Haubold, IPRax 2002, 157, 161 f.; Haubold, EuZW 2003, 703, 704; Duursma-Kepplinger in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO (2002) Art. 25 EuInsVO Rz. 36 f.; Kranemann, Insolvenzanfechtung im deutschen Internationalen Insolvenzrecht und nach der Europäischen Insolvenzrechtsverordnung (2002) 191; Nerlich/Römermann/Mincke, InsO (Losebl. 1999 ff.) Art. 25 EuInsVO Rz. 5 (2003); Smid in Smid, Deutsches und Europäisches Internationales Insolvenzrecht (2004) Art. 25 EuInsVO Rz. 10; Carstens, Die internationale Zuständigkeit im internationalen Insolvenzrecht (2005) 109 f.; V. Lorenz 114–129; M.-P. Weller, ZHR 169 (2005) 570, 577; M. Stürner, IPRax 2005, 416, 419; Geimer/Schütze/Haß/Herweg Art. 3 EuInsVO Rz. 27 (2005); Kübler/Prütting/Bork/Kemper, InsO (Losebl. 1998 ff.) Art. 3 EuInsVO Rz. 10 f. (2004); Strobel 115; Cranshaw, Einflüsse des Europäischen Rechts auf das Insolvenzverfahren (2006) 1710 f.; Willemer, 202–206; Paulus, ZInsO 2006, 295, 298; Paulus, EuInsVO (4. Aufl. 2013) Art. 25 EuInsVO Rz. 21; Ringe, ZInsO 2006, 700, 701; Hinkel/Flitsch, EWiR Art. 3 EuInsVO 5/06, 237, 238; S. Schilling/J. Schmidt, DZWiR 2006, 219; Mankowski/Willemer, NZI 2006, 650; Mankowski/ Willemer, RIW 2009, 669, 671 f.; Bork/Adolphsen, Handbuch der Insolvenzanfechtung (2006) Kap. 20 Rz. 75–78; Pannen/Pannen, Art. 3 EuInsVO Rz. 103; Pannen/Riedemann, EuInsVO (2007) Art. 25 EuInsVO Rz. 23 f.; Sangiovanni, Fallimento 2007, 933, 934–936; M Zeuner/Elsner, DZWiR 2008, 1, 6; Stephan in Hei-
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Anwendung der Brüssel Ia-VO gelangte und Abs. 2 lit. b eng konstruierte.708 Viertens wurde auf nationales Recht zurückgegriffen.709 Der Verweisung auf nationales Recht wird entgegengehalten, sie verzichte auf Vereinheitlichung, sie könne eine vis attractiva concursus ins Spiel bringen, die nicht alle Staaten kennen, und sie könne Gerichtsstände wiederbeleben, gegen die sich das europäische Recht eigentlich sträube.710 Dieser Einwand ist jedoch zirkulär:711 Das europäische Recht beansprucht jedenfalls nicht ausdrücklich Geltung und enthält sich einer unmittelbaren Regelung. Dasselbe ist der Absichtserklärung aus ErwGr. 4 EuInsVO entgegenzuhalten, dass man einheitliche Zuständigkeitstatbestände wolle, um forum shopping zu verhindern.712 Ein bloßer Regelungswille reicht nicht, wenn ihm keine Regelung nachfolgt. Das Unionsrecht mag eine systemwidrige Lücke enthalten,713 aber es enthält jedenfalls keine echte Regelung expressis verbis. Ob dies aus Versehen geschehen ist,714 lässt sich nicht sicher feststellen. Eine Verweisung nur auf Attraktivzuständigkeiten715 ließe die Mitgliedstaaten durch die Ausgestaltung ihres nationalen Rechts mittelbar über den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO entscheiden und provozierte eine uneinheitliche Ausgestaltung der Brüssel Ia-VO.716 Eine Analogie zu Art. 3 EuInsVO griffe nicht unzulässig in Regelungskompetenzen der Mitgliedstaaten ein.717 Eine Rechtfertigung für die Analogie zu Art. 3 EuInsVO wird in ErwGr. 6 EuInsVO gesehen, dem zu entnehmen sei, dass man auch die internationale Zuständigkeit für Annexverfahren regeln wollte.718 Jedoch ist eine solche Regelung gerade nicht, zumindest nicht ausdrücklich erfolgt. Der Regelungsabsicht folgte keine Ausführung. Eine Analogie spinnt den Willen zur Regelung erheblich weiter und füllt ihn zugleich in einer Weise aus, wie er so nicht verwirklicht wurde. Ein besseres Argument ist, dass Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO 2015; 25 Abs. 1 Unterabs. 3 EuInsVO 2000 für Sicherungsmaßnahmen auf Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO 2015; 25 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO 2000 verweisen und dabei das Gericht der Verfahrenseröffnung meinen.719 Nur eine gemeinschaftseinheitliche Regelung rechtfertige den Verzicht auf die Überprüfung der indirekten Anerkennungszuständigkeit.720 Dem steht wiederum entgegen, dass Art. 18 Abs. 2 S. 2 EuInsVO eher gegen eine umfassende Zuständigkeit im Insolvenzstaat spricht.721 Die Qualifikation zu ändern und Abs. 2 lit. b enger zu verstehen als zuvor Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ wäre ein Bruch. Er bedürfte besonderer Rechtfertigung, die nicht ersichtlich ist.722 Im Gegenteil ließe sich ein solcher Bruch kaum damit vereinbaren, dass Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO 2015; 25 Abs. 1 Unterabs. 2 und ErwGr. 6 EuInsVO 2000 bewusst die Formulierung des EuGH zur Umschrei-
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delberger Kommentar zur InsO (7. Aufl. 2014) Art. 3 EuInsVO Rz. 13; Undritz in Hamburger Kommentar zur InsO (5. Aufl. 2014) Art. 13 EuInsVO Rz. 10. Dafür OLG Frankfurt, ZIP 2006, 769, 771; G. C. Schwarz, NZG 2002, 290, 294; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 21a, 21e; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 130; Reinhart in MünchKomm/InsO (3. Aufl. 2013) Art. 25 EG-InsVO Rz. 7; Thole, ZIP 2006, 1383, 1385–1387; Dutta (2008) LMCLQ 88, 94 f. sowie Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 17 (2005). Dafür z.B. W. Lüke, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 467, 482; Leible/A. Staudinger, KTS 2000, 533, 560; Herchen, Das Übereinkommen über Insolvenzverfahren der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 23.11.1995 (2000) 228 f.; Herchen, ZInsO 2004, 761, 765; Oberhammer, ÖBA 2002, 698, 706 f.; Burgstaller/ Neumayr/Burgstaller, Rz. 15; Burgstaller/Neumayr/Kodek, Art. 25 EG-InsVO Rz. 15–17; Schack, Rz. 1083; Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31, 36; L. Fuchs, ÖJZ 2005, 624, 626. Leipold, FS Akira Ishikawa (2001) 221, 225–227; Thole, ZIP 2006, 1383, 1386. Vgl. auch Willemer, 63 f., die genau umgekehrt die Gefahr negativer Kompetenzkonflikte sieht. Gegen M. Stürner, IPRax 2005, 416, 417. Schack, Rz. 1083; Kropholler/von Hein, Rz. 36. So Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky/Duursma-Kepplinger, EuInsVO (2002) Art. 25 EG-InsVO Rz. 36. Dafür Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31, 36; Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 766. Vgl. auch Dutta, [2008] LMCLQ 88, 90 f. Haubold, EuZW 2003, 703, 704; Willemer, 76 f. Entgegen Thole, ZIP 2006, 1383, 1386 sowie Oberhammer, ÖBA 2002, 698, 707. Leipold, FS Ishikawa (2001) 221, 234 f. Leipold, FS Ishikawa (2001) 221, 235 f. Willemer, 74–76. Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31, 36. Dagegen aber V. Lorenz, 82; Willemer, 93 f. Ähnlich Kropholler/von Hein, Rz. 36.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich bung des Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ aufgreifen.723 Zudem veränderte sich die relative Bedeutung der Ausnahme trotz unverändertem Wortlaut.724 Die Brüssel Ia-VO wurde nach der EuInsVO 2000 geschaffen. Man hätte also reagieren und Abs. 2 lit. b enger formulieren können, wenn man dies in Reaktion auf durch die EuInsVO verschobene Gewichte gewollt hätte. Schließlich bliebe unklar, welchen Sinn Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 EuInsVO bei weiter Ausdehnung der Brüssel Ia-VO überhaupt noch haben sollte.725 Man würde zudem Zuständigkeits- und Anerkennungstatbeständen der Brüssel IaVO eine unterschiedliche Reichweite im Umfeld einer Insolvenz beimessen.726 Genetische Unterstützung durch den Wegfall der vis attractiva concursus, wie sie in Art. 15 Entwurf 1980 bzw. Revidierter Entwurf 1984 zum EuInsÜ noch vorgesehen war, erfährt die Umqualifikation auch nicht,727 da die Auslegungsweiche zu Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ nicht an Hand dieser Entwürfe gestellt wurde.728 4. Soziale Sicherheit (Abs. 2 lit. c) 149
Der Ausschluss von Streitigkeiten der sozialen Sicherheit geht darauf zurück, dass solche Streitigkeiten in vielen Mitgliedstaaten öffentlich-rechtlich behandelt werden.729 Außerdem handelt es sich um einen besonders sensiblen und politisch brisanten Bereich.730 Der Begriff der sozialen Sicherheit rekurriert nicht auf nationales Recht, sondern bedient sich europäisch-autonomer Maßstäbe.731 Er lehnt sich an Art. 48 AEUV wie zuvor an Art. 42, 137 Abs. 3 EGV an und stimmt mit jenem zuerst des Art. 4 VO (EWG) Nr. 1408/71, sodann des Art. 3 VO (EG) Nr. 883/2004732 mitsamt der Verweisung in Art. 1 Abs. 1 lit. c VO (EG) Nr. 987/2009733, überein.734 Er erfasst eine Leistung, wenn diese dem Begünstigten aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands ohne eine im Ermessen liegende individuelle Prüfung der persönichen Bedürftigkeit geewährt wird und sich auf eines der in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 ausdrücklich aufgezählten Risken bezieht.735 Ihm unterfallen ausschließlich Angelegenheiten, welche unmittelbar die Beziehung eines gesetzlichen736 Systems der 723 Erläuternder Bericht Virgós/Schmit zum EuInsÜ, abgedruckt in Stoll (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht (1994) Nr. 179 und oben Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 67. 724 Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31, 35. 725 Haubold, EuZW 2003, 703, 704; Stürner, IPRax 2005, 416, 418; Willemer, 85–90. Siehe auch die Divergenz zwischen OLG Frankfurt, ZIP 2006, 769, 770 und Thole, ZIP 2006, 1383, 1387. 726 Willemer, 85 f. 727 So aber Reinhart in MünchKomm/InsO (3. Aufl. 2013) Art. 25 EG-InsVO Rz. 7. 728 V. Lorenz 71 f. 729 Schlosser-Bericht Nr. 60; Trenk-Hinterberger, EuLF 2003, 87, 89. 730 Haas, ZZP 108 (1995) 219, 223. 731 Siehe nur EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00 – Gemeente Steenbergen vs. Luc Baten, EuGHE 2002 I 10489, 10523 Rz. 42; BGH, NJW-RR 2017, 229, 230 Rz. 25; VG Düsseldorf, IPRspr. 2011 Nr. 240 S. 616. 732 VO (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EG 2004 L 166/1; dazu u.a.E. Eichenhofer, JZ 2005, 558. 733 VO (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Maßnahmen für de Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. EU 2009 L 284/1. 734 EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00 – Gemeente Steenbergen vs. Luc Baten, EuGHE 2002 I 10489, 10523 Rz. 43–45; EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 67 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o.; BAGE 127, 111 Rz. 12; BAG, AP Nr. 340 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BGH, NJW-RR 2017, 229, 230 Rz. 25; Rauscher, ZZP Int 8 (2002) 324, 328; Polak, Ars Aequi 2003, 676, 683; P. Rodière, RTD eur. 2003, 529, 531 f.; Martiny, IPRax 2004, 195, 202; Layton/Mercer, Rz. 12.042; Kropholler/von Hein, Rz. 39; E. Eichenhofer, IPRax 2008, 109, 110; Hess, § 6 Rz. 22; Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 34; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 91 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 81. 735 EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:2019:162 Rz. 68 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o. unter Hinweis auf EuGH verb. Rs. C-216/12 u. C-217/12, ECLI:EU:C: 2013:568 Rz. 48 m.w.N. – Caisse nationale des prestations familiales vs. Fjoli Hlidall u. Jean-Louis Bornand. 736 BGH, NJW-RR 2017, 229, 230 Rz. 26; van Hoek in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020), 173, 179 f.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
sozialen Sicherheit (Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004) zu den angeschlossenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern betreffen.737 Er umfasst:738 ärztliche Behandlung; Krankengeld; Leistungen einer Mutterschafts-, Invaliden- oder Altersversicherung, an Hinterbliebene, bei Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten oder Arbeitslosigkeit; Beihilfen. Dagegen fallen Einkommensverluste bei witterungsbedingtem Arbeitsunfall oder Ansprüche auf Sondervergütungen zu Weihnachten und im Urlaub nicht darunter, also nicht die von der Sozialkasse des Baugewerbes in Deutschland gewährten Leistungen.739 Abs. 2 lit. c meint zuvörderst740 Streitigkeiten zwischen dem Träger der Sozialversicherung und dem Berechtigten.741 Streitigkeiten um die Rückgewähr solcher sozialen Leistungen betreffen ebenfalls die soziale Sicherheit.742 Hier färbt der Hinweg auf den Rückweg ab. Eine weitere Auslegungshilfe soll das Übereinkommen Nr. 102 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Mindestnormen der sozialen Sicherheit743 geben können.744
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Abs. 2 lit. c erfasst keine Regressklagen von Sozialversicherungsträgern gegen Dritte aus eigenem oder übergegangenem Recht, denn diese liegen außerhalb der Art. 1 VO (EG) Nr. 883/2004; 4 VO (EWG) Nr. 1408/71.745 Ein Zweifelsmoment besteht darin, dass insoweit Missbrauchsbekämpfungsanreize vermittelt werden und erfolgreiche Regresse zur Refinanzierung der Sozialkassen beitragen. Öffentlich-rechtliche Sonderrechte jedenfalls, bei denen der Sozialversicherungsträger größere Rechte hat als sie ein beliebiger Privater hätte, können zur Unanwendbarkeit der Brüssel Ia-VO führen; der richtige Ansatz erfolgt dann allerdings beim Begriff der Zivilsache, nicht bei jenem der sozialen Sicherheit.746
151
Prätendentenstreitigkeiten, welchem von mehreren Anspruchsprätendenten denn ein bestimmter Anspruch gegen einen Sozialversicherungsträger zustehe, fallen wiederum nicht in den Ausnahmebereich.747 Auch der Versorgungsausgleich ist daher keine Streitigkeit im hier gemeinten Bereich der sozialen Sicherheit.748
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Unter Abs. 2 lit. c fällt die Klage eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber auf Zahlung von Beiträgen an einen Sozialversicherungsträger.749 Dagegen werden sonstige Ansprüche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer von der Brüssel Ia-VO erfasst, wie die bloße Existenz der Art. 20–23 Brüs-
153
737 Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 34. 738 Kropholler/von Hein, Rz. 38; E. Eichenhofer, IPRax 2008, 109, 110; Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 34; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 81. 739 E. Eichenhofer, IPRax 2008, 109, 110; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 84 sowie im Ergebnis Hessisches LAG, IPRax 2008, 131 f. 740 Vgl. aber auch Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 155. 741 Martiny, IPRax 2004, 195, 202 sowie Hessisches LAG, IPRax 2008, 131 f. 742 BSGE 54, 250, 253; OLG Köln, EuZW 1991, 64; STJ Cataluña Span., Yb Int L XIII (2007), 278, 279; Rauscher, ZZP Int 8 (2002) 324, 328; Kropholler/von Hein, Rz. 40; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 93 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 82; offen lassend VG Düsseldorf, IPRspr. 2011 Nr. 240 S. 616 f. 743 BGBl. 1957 II 1321. 744 Jenard-Bericht 16 f.; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 138; E. Eichenhofer, IPRax 2008, 109, 110. 745 EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00 – Gemeente Steenbergen vs. Luc Baten, EuGHE 2002 I 10489, 10520 Rz. 34, 10523 f. Rz. 46–48; Jenard-Bericht Art. 1 EuGVÜ Anm. IV C; Schlosser-Bericht Nr. 60; TGI Marseille Rev dr fr comm. 1979, 31; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 143 m.w.N.; Trenk-Hinterberger, EuLF 2003, 87, 90; Alvarez González, La Ley 5750 (31.3.2003) 1, 2 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 94 (2016); s. auch VG Düsseldorf, IPRspr. 2011 Nr. 240 S. 616.2 f. 746 EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00 – Gemeente Steenbergen vs. Luc Baten, EuGHE 2002 I 10489, 10521 Rz. 36 f. 747 Hoge Raad Ned, Jur 1979 Nr. 399; Basedow in Max-Planck-Institut (Hrsg.), Hdb. IZVR I Kap. I Rz. 114; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 85. 748 Zustimmend Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 85. Offen östOGH SZ 72/80 S. 516. 749 Cassaz. NSW I-1.1 B-6; Rb’s Hertogenbosch Ned. Jur. 1982 Nr. 99 m. Anm. Schultsz; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 140; Kropholler/von Hein, Rz. 38 f. m.w.N.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 22; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 19 (2005). Tendenziell anders EuGH v. 28.2.2019 – C-579/17, ECLI:EU:C:
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich sel Ia-VO belegt.750 Insbesondere haben Ansprüche gegen den Arbeitgeber aus Arbeitsunfällen, auf Urlaubsgeld oder besondere Entschädigungen oder gegen andere Arbeitnehmer arbeitsrechtlichen Charakter,751 ebenso – trotz der Verzahnung mit der Krankenversicherung – Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall;752 sie alle werden von der Brüssel Ia-VO erfasst. Gleiches gilt für Regressklagen des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer wegen Beitragsnachforderungen seitens des Sozialversicherungsträgers753 und Klagen auf Zahlung einer Abfindung aus Anlass des Ausscheidens, auch wenn diese dazu verwendet werden soll, den Arbeitnehmer abzusichern.754 Die betriebliche Altersversorgung fällt vollen Umfangs nicht unter Abs. 2 lit. c, denn dessen Referenzverordnungen gelten ihrerseits nur für die gesetzliche Altersversorgung.755 154
Klagen des Sozialversicherungsträger gegen Dritte, namentlich aus Regress gegen eine Schädiger, beherrscht Abs. 2 lit. c insgesamt nicht, gleich, ob diese Klage sich aus eigenem Recht (Direktanspruch) des Sozialversicherungsträgers ergeben oder aus einem (namentlich kraft cessio legis) übergegangenen Recht des Versicherten.756
155
Klagen der Sozialversicherungsträger gegen die Beitragspflichtigen auf Beitragszahlung (auch gegen selbstständige oder scheinselbstständige Personen) gehören zur sozialen Sicherheit,757 sind aber vorab daraufhin abzuklären, ob sie überhaupt Zivilsache sind. Den Bereich der sozialen Sicherheit auf Streitigkeit der Sozialkassen mit den Berechtigten zu begrenzen758 wäre funktionell zu eng. Vielmehr sollten darunter auch solche Streitigkeiten erfasst sein, in denen die Sozialkassen privatrechtlich gegen Verpflichtete vorgehen. Soweit die Sozialkassen freilich ihnen gesetzlich als delegierten Hoheitsträgern eingeräumte Sonderrechte wahrnehmen, fehlt es bereits am Charakter als Zivilsache. Dagegen sind Beitragsklagen gemeinsamer Einrichtungen von Tarifparteien zur Sicherung von Urlaubsansprüchen keine Frage der sozialen Sicherheit, zumal weil sie von Art. 4 VO (EWG) Nr. 1408/71 nicht erfasst sind.759
156
Die private Krankenversicherung und die private Berufsunfähigkeitsversicherung zählen ebenfalls nicht zur sozialen Sicherheit.760 Vielmehr fallen sie in den Bereich des Versicherungsvertragsrechts und damit sachlich unter Art. 8–14 Brüssel Ia-VO. 5. Schiedsgerichtsbarkeit (Abs. 2 lit. d)
157
Abs. 2 lit. d nimmt die Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO wie zuvor von jenem der Brüssel Ia-VO aus. Dies geschieht wesentlich761 mit Rücksicht auf die hier bereits bestehenden und hoch bewährten schiedsrechtlichen Übereinkommen UNÜ und EÜ.762 Entsprechend ist die Reichweite von lit. d in Abstimmung mit jenen Abkommen zu treffen: Nur was nicht unter diese fällt, regiert die Brüssel Ia-VO.763 Allerdings kann dies nicht mehr als eine Faustformel sein, zu-
750 751 752 753 754 755 756 757 758 759 760 761 762
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2019:162 Rz. 69 – BUAK Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vs. Gradbenisˇtvo Korana d.o.o. in Richtung einer arbeitsvertraglichen Einordnung. Siehe nur Rel. Porto Col. Jur. 1995 III 229, 230. Trib. trav Liège, J. trib. 1980, 174; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 22; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 19 (2005); vgl. auch Rel. Porto Rev. Fac. Dir. Univ. Lisboa 1994, 469, 471; Moura Vicente, Rev. Fac. Dir. Univ. Lisboa 1994, 461/472, 478 f. Junker, ZZP Int 3 (1998) 179, 183. Birk, RdA 1983, 143, 147; Junker, ZZP Int 3 (1998) 179, 183. Birk, RdA 1983, 143, 147; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 140. BGH, NJW-RR 2017, 229, 230 Rz. 25 f. (dazu Ehrhardt, EWiR 2017, 273; Muhl, GWR 2017, 75) unter Bezugnahme auf C. Bittner, Europäisches und internationales Betriebsrentenrecht (2000) 53. Jenard-Bericht ABl. EWG 1979/12 f.; Saenger/Dörner Rz. 11; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 86. Layton/Mercer, Rz. 12.043. A.A. Hessisches LAG v. 24.4.2001 – 15/10 Sa 881/00; Hessisches LAG, IPRax 2008, 131 f. So Hessisches LAG, IPRax 2008, 131. BAG AP Nr. 340 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau. A.A. Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 89. Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 21. Zur Genese des Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 EuGVÜ und der Rücksicht auf seinerzeitige EWG-Projekte im Schiedsbereich van Houtte, (2005) 21 Arb. Int. 509, 510 f. Siehe nur Trib. Sup. Span. Yb Int L XIII (2007), 288, 293 f.; B. Audit, Clunet 136 (2009) 1285, 1295; Domej, FS Gottwald (2014) 97 (97); A. Baumann, FS Ahrens (2016) 467 (467).
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
mal angesichts der Günstigkeitsklausel in Art. VII UNÜ764 und des nicht umfassenden sachlichen Regelungsanspruchs, ja der Lückenhaftigkeit des UNÜ.765 Eine abschließende ratio unterlegt der Blick auf EÜ und UNÜ Abs. 2 lit. d jedenfalls nicht. Vielmehr passte ein Instrument über Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen seit je nicht recht, um sich schiedsrechtlicher Fragen en detail anzunehmen.766 Solche schiedsrechtlichen Fragen waren auch Gegenstand eines nie in Kraft getretenen Europäischen Übereinkommens,767 das EÜ und UNÜ gerade ergänzen sollte. Verschiedentlich hat es Anstöße gegeben, schiedsrechtliche Fragen auf europäischer Ebene zu re- 158 geln.768 Abs. 2 lit. d jedenfalls ist sehr schlank und nicht eindeutig formuliert.769 Die Chance, ihn bereits bei Schaffung der Brüssel I-VO zu präzisieren, wurde leider nicht genutzt.770 Auch im Revisionsprozess zur Brüssel Ia-VO blieb der Wortlaut des Normtexts in Abs. 2 lit. d letztlich unverändert.771 Die Regelung ist unvollkommen, weil sie nicht positiv regelt, was mit Blick auf den Einfluss von Schiedsverfahren auf solche Verfahren geschehen solle, die im sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO verbleiben.772 Im Prinzip sollte die Ausnahme jede Art privater Schiedsgerichtsbarkeit, also sowohl die nationale als auch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit,773 erfassen. Jedwede Platzhalterfunktion für eine europäische Regelung des Schiedsrechts hat Abs. 2 lit. d jedenfalls verloren, wenn er sie denn je wirklich gehabt haben sollte.774 Abs. 2 lit. d hat zur Folge, dass sich die Wirksamkeit der einzelnen Stufen bei Multi-Tier Dispute Resolution Clauses775 der Typen Arb-Lit oder Lit-Arb bei Prorogation auf europäische Gerichte nach verschiedenen Regimes richtet: der Arb-Teil nach dem jeweils einschlägigen schiedsrechtlichen Regime, der Lit-Teil dagegen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO.
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Abs. 2 lit. d ist allerdings bei Zwangsschiedsgerichten nicht einschlägig, wenn das sog. Schiedsverfahren auf einer zwingenden gesetzlichen Anordnung und nicht auf Freiwilligkeit der Parteien beruht. Denn insoweit nimmt der Staat das Schiedsverfahren als Mechanismus einer nur formellen alternativen Streitbeilegung für sich in Anspruch und integriert sie in das von ihm vorgeschriebene Rechtsschutzsystem. Abs. 2 lit. d orientiert sich am Bild der klassischen, auf Freilligkeit und Parteiautonomie beruhenden Schiedsgerichtsbarkeit. Sein Wortlaut mag zwar auch Zwangsschiedsgerichte erfassen. Jedoch ist eine teleologische Reduktion geboten. Dies liegt umso näher, weil Zwangsschiedsgerichte Gerichte zumindest i.S.v. Art. 267 AEUV und Art. 62 LugÜbk 2007 sind.776
160
763 EuGH v. 25.7.1991 – C-190/89 – Marc Rich and Co. AG vs. Società Italiana Impianti PA, EuGHE 1991 I 3855, 3900 f. Rz. 18; Jenard-Bericht 13; GA Léger, EuGHE 1998 I 7093, 7104 f. Nr. 51–53; Lexmar Corp v. Nordisk Skibsrederforeniging, [1997] 1 Lloyd’s Rep. 289, 292 (Q.B.D., Colman J.); Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 23; Mankowski, 2010 IACPIL 31, 65; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 94 sowie Salerno, Riv. dir. int. 2013, 1146, 1170 f. 764 Siehe M.-L. Niboyet, Rev. arb. 2012, 571, 585. 765 Ambrose, (2003) 19 Arb. Int. 3, 12 f.; Fasching/Konecny/Kodek, Rz. 163. 766 Radicati di Brozolo, (2011) 7 JPrIL 423, 425. 767 European Convention Providing a Uniform Law on Arbitration, done at Strasbourg, 20 January 1966, ETS No. 56. 768 Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 91 f. 769 P. Mayer, Rev. crit. dip. 82 (1993) 316; Hau, GPR 2005, 143, 145. 770 Muir Watt, Rev. crit. dip. 90 (2001) 174, 175; für eine gänzliche Abschaffung de regulatione ferenda van Houtte, (2005) 21 Arb. Int. 509, 518 mit weiteren Gesetzgebungsvorschlägen 518–521 (Formulierung von Schiedsverfahren als ausschließliche Zuständigkeit; Schriftlichkeitserfordernis für Schiedsklauseln in Art. 23; zusätzlicher Art. 34 Nr. 5). 771 Siehe nur Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 489 f.; Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 6; N. Peters, NIPR 2019, 299, 311. 772 P. Mayer, Rev. crit. dip. 82 (1993) 310; Menétrey/Racine in E. Guinchard 13, 14. 773 Fragend Salerno, Riv. dir. int. 2013, 1146, 1163. 774 Czernich, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 45, 46. 775 Dazu z.B. Kajkowska, Enforceability of Multi-Tiered Dispute Resolution Clauses (2017). 776 Siehe EuGH v. 17.10.1989 – 109/88 – Handels- og Kontorfunctionærernes Forbund i Danmark vs. Dansk Arbejdsgiveforening handelnd für Danfoss A/S, EuGHE 1989, 3199, 3224 f. Rz. 7–9; EuGH v. 13.2.2014 – C-555/13, ECLI:EU:C:2014:92 Rz. 18–25 – Merck Canada Inc. vs. Accord Healthcare Ltd. = EuZW 2014, 301 m. insoweit krit. Anm. Jukic´ für Art. 267 AEUV und EuGH v. 20.12.2017 – C-467/16, ECLI:EU:C:2017:993
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich 161
Alle anderen Buchstaben des Abs. 2 ranken sich im Kern um Ausgrenzung kraft abweichender Qualifikation. Abs. 2 lit. d tut dies nicht und ist insoweit Solitär unter den Ausnahmetatbeständen.777 a) Hintergrund in der Entstehungsgeschichte
162
Der Revisionsprozess vor der Brüssel Ia-VO brachte indes eine heftige rechtspolitische Debatte mit sich, selbst zwischen den Unionsorganen.778 Manche Mitgliedstaaten fürchteten eine exklusive Außenkompetenz der EU für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit.779 Die arbitration community erregte sich insbesondere über die West Tankers-Entscheidung780 des EuGH, die anti-suit injunctions gegen schiedsabredewidrige Gerichtsverfahren in anderen Mitgliedstaaten untersagte. Die arbitration community brachte sich massiv ein. Zuvörderst galt dies für die arbitration community am Schiedsplatz London, aber auch die französische und die deutsche Schiedsszene brachten ihre Interessen deutlich zu Gehör.781 Zu keiner anderen Frage des Anwendungsbereichs kulminierte der Kampf der Interessen und der Meinungen gleichermaßen.782 Die arbitration community war sehr daran interessiert, ihre Welt so weit zu separieren und ihren eigenen Regeln unterworfen zu halten wie möglich.783 Man konnte einen veritablen Kulturkampf konstatieren.784 Nur vereinzelt wurde zugestanden, dass West Tankers aus der eigenen Logik der Brüssel I-VO heraus stringent und sinnvoll war.785
163
Das Spektrum unterbreiteter Vorschläge war extrem weit: Es reichte von einer Ausdehnung der Schiedsausnahme auf alle auch nur schiedsbezogenen Verfahren786 im einen Extrem über eine Ablehnung jeglicher Änderungen787 bis zur Einbeziehung der Schiedsgerichtsbarkeit in das Brüssel IaSystem, vielleicht sogar mit EU-Regeln über die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen,788 im anderen Extrem.789 Letzteres stieß auf erbitterten Widerstand der internationalen Schiedsszene790 und scheiterte dementsprechend.791 Dazwischen lagen insbesondere Vorschläge, die schiedsbezogene Ausnahme vom sachlichen Anwendungsbereich des europäischen Regimes präziser zu formulieren und die ausgenommenen Gegenstände einzeln aufzuführen,792 außerdem
777 778 779 780 781 782
783 784 785 786 787 788 789 790 791
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Rz. 53–57 – Brigitte Schlömp vs. Landratsamt Schwäbisch Hall; GA Szpunar, Schlussanträge v. 18.10.2017 in der Rs. C-467/16, ECLI:EU:C:2017:768 Rz. 53–60 für Art. 62 LugÜbk 2007 (dort ging es konkret zwar um eine Zwangsschlichtung, die Aussage trifft aber auf Zwangsschiedsgerichte gleichermaßen zu). Hauberg Wilhelmsen, Rz. 1.39. Zum Ablauf Rasia, Riv. trim. dir. proc. civ. 2014, 193, 200–203. Benedettelli (2011) 27 Arb. Int. 583, 609; Radicati di Brozolo, (2011) 7 JPrIL 423, 435; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 541; A. Stadler/M. Klöpfer, ZEuP 2014, 732, 736. van Houtte, (2005) 21 Arb. Int. 509, 518. Kessedjian, Rev gén dr int public 2013, 545, 549. Ihren Höhepunkt (ebenso Cafari Panico, Scritti in onore di Ugo Draetta [2011] 63, 69) erreichte die Auseinandersetzung mit Hess, Guest Editorial http://conflictoflaws.net/2010/guest-editorial-hess-should-arbitra tion-and-european-procedural-law-be-separated-or-coordinated; Hess, A Short Reaction to Alexis Mourre, http://kluwerarbitrationblog.com/blog/2010/03/12/a-short-reaction-to-alexis-mourre einerseits und Mourre, „Circulez, il n’y a rien à voir“ – A Response to Professor Hess, http://kluwerarbitrationblog.com/blog/2010/ 03/03 andererseits. Siehe außerdem Kessedjian, Rev. arb. 2009, 669; Vagenheim, ASA Bull. 2009, 588; Draetta/ Santini, Dir. comm. int. 2009, 547; Radicati di Brozolo, IPRax 2010, 121; Cox, T.B.H. 2009, 1018; Christian Koller, JbZVR 2010, 177. Kessedjian, Rev gén dr int public 2013, 545, 549. Treffend Briggs, [2011] LMCLQ 157, 165. Bermann, (2012) 29 Arb. Int. 403; Gustaf Möller, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 373, 377. Skizziert von Radicati di Brozolo, (2011) 7 JPrIL 423, 430–432. Skizziert von Radicati di Brozolo, (2011) 7 JPrIL 423, 435. Vertreten z.B. von Lazic´, (2012) 29 J. Int. Arb. 19 (19 f.). So Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, ABl. EU 2011 C 218/78 Nr. 4. 5. 1. van Houtte, (1993) 9 Arb. Int. 85; van Houtte, (2005) 21 Arb. Int. 509; Besson, Études Poudret (1999) 329; van Haersolte-van Hof/van Houtte, J. Int. Arb. 18 (2001) 27; van Haersolte-van Hof, NTER 2009, 161, 163 f. Siehe z.B. Paulsson, Stockholm Arb. Rev 2 (2008), 18 f. sowie schon International Bar Association 10 BLI 302, 310 f. (2009). Mankowski in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 97, 121.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Gedanken, die Schiedsausnahme teilweise abzuschaffen und in diesem Umfang Schiedsfragen in der Verordnung selbst zu regeln oder alternativ ad hoc-Instrumente zur Harmonisierung zu erlassen.793 Erhebliches Aufsehen und erregte Diskussionen794 löste insbesondere ein Vorschlag des Heidelberg Report aus, den seinerzeitigen Art. 22 Brüssel Ia-VO um eine Nr. 6 für eine ausschließliche Kompetenz der Gerichte am vereinbarten Schiedsort zu erweitern.795 Vorteil wäre gewesen, den starken Schutz auszulösen, welche die ausschließliche Zuständigkeit im Brüssel Ia-System genießt, und eine effektive Sperre gegen Interventionen anderer Gerichte zu errichten. Es hätte widergespiegelt, was in der Schiedswelt als juge d’appui bekannt geworden ist.796 Gerichte, die Hilfsmaßnahmen erlassen, sind und bleiben staatliche Gerichte. Jede Ablehnung, die sich auf eine angebliche Denationalisierung von Schiedsverfahren stützt,797 geht in diesem Punkt fehl.798 Fehl ging erst recht der Einwurf, es sei nicht Sache der EU, sondern der stakeholders des Schiedsmarkts, eine konsistente Regel über gerichtliche Zuständigkeiten mit Bezug auf Schiedsverfahren zu entwickeln.799 Private können niemals Regeln über die Zuständigkeit staatlicher Gerichte erlassen.800
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Eine ausschließliche Zuständigkeit in einem Art. 22 (heute dementsprechend: 24) Nr. 6 Brüssel Ia- 165 VO, jedenfalls des Zuschnitts wie im Heidelberg Report vorgeschlagen, hätte viele Fragen und Probleme aufgeworfen. Zweitens hätte sie einer Definition von „Sitz des Schiedsgerichts“ bedurft. Drittens hätte sie einer Klarstellung bedurft, dass sie sich nicht bezieht auf Beweisverfahren, welche staatliche Gerichte im Auftrag von Schiedsgerichten durchführen. Für die Beweishilfe ist es absolut notwendig, dass Verfahren überall dort durchgeführt werden können, wo Beweismittel belegen sind. Viertens müsste eine konsequente Anwendung der Doktrin von der Kompetenz-Kompetenz dazu führen, dass kein staatliches Gericht eine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen besitzen darf. Wenn überhaupt, so dürfte allenfalls das Schiedsgericht selber ausschließlich sein. Einem staatlichen Gericht eine ausschließliche Zuständigkeit in diesem Punkt zu geben würde mit einem Fundament des Schiedsrechts kollidieren.801 Eine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsabrede würde sich an Art. II (3) UNÜ brechen.802 Fünftens sollte man rein unterstützende Maßnahmen, mesures d’appui,803 nicht unter eine ausschließliche Zuständigkeit ziehen. Wieder gilt: Unterstützung wird lokal benötigt und am bes-
792 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 23; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 10 (2011) 252, 256; Mankowski, IGKK/IACPIL 1 (2010), 31, 65 f. 793 Siehe Radicati di Brozolo, Riv. arb. 2011, 187, 195. 794 Gipfelnd in Hess, Guest Editorial http://conflictoflaws.net/2010/guest-editorial-hess-should-arbitration-and-eu ropean-procedural-law-be-separated-or-coordinated; Hess, http://kluwerarbitrationblog.com/blog/2010/03/ 12/a-short-reaction-to-alexis-mourre einerseits und Mourre, „Circulez, il n’y a rien à voir!“ – A Response to Professor Hess, http://kluwerarbitrationblog.com/blog/2010/03/03 andererseits. Siehe auch Radicati di Brozolo, (2011) 7 JPrIL 423, 433 f. 795 Heidelberg Report/Hess, Rz. 130 f.; Lazic´, NIPR 2009, 130, 137. 796 van Houtte, (2005) 21 Arb. Int. 509, 518; Schlosser, SchiedsVZ 2009, 129, 130. Vgl. Mourre, „Circulez, il n’y a rien à voir!“ – A Response to Professor Hess, http://kluwerarbitrationblog.com/blog/2010/03/03 einerseits und Hess, http://kluwerarbitrationblog.com/blog/2010/03/12/a-short-reaction-to-alexis-mourre sub 4 andererseits. 797 Siehe Groupe de travail et resolution d’ICC France sur l’application à l’arbitrage du rapport relative à l’application du Règlement de Bruxelles I dans les États Membres de l’Union Européenne Cah arb 3/2008, 20; Barreau de Paris Cah arb 3/2008, 28; Lazaroff, Cah arb 2008/2 Editorial; Draetta/Santini, Dir. comm. int. 2009, 547, 553. 798 Schlosser, SchiedsVZ 2009, 129, 131 f. 799 Meidanis/Giannakoulias, (2009) 46 C.M.L. Rev. 1709, 1723 f. 800 Ähnlich Cox, T.B.H. 2009, 1018, 1020. 801 Siehe Danov, Comment no. 2 in Hess on West Tankers http://conflictoflaws.net/2009/west-tankers-online-sym posium. Vgl. auch Cox, T.B.H. 2009, 1018, 1022 f. Optimistischer insoweit Radicati di Brozolo, IPRax 2010, 121, 126. 802 Siehe Quinoñes, Comment no. 7 in Hess on West Tankers http://conflictoflaws.net/2009/west-tankers-onlinesymposium; Danov, Comment no. 8 in Hess on West Tankers http://conflictoflaws.net/2009/west-tankers-on line-symposium; Cox, T.B.H. 2009, 1018, 1021. 803 Rechtsvergleichender Überblick (Deutschland, Österreich, Großbritannien, Schweiz, Frankreich, USA) bei Steinbrück, Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte (2009).
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich ten lokal gewährt; die beste Unterstützung ist die Unterstützung vor Ort, wo man sie braucht.804 Für rein unterstützende Maßnahmen sollten also auch Gerichte außerhalb des Sitzstaates des Schiedsgerichts zuständig bleiben. 166
Sechstens sollte die Schiedseinrede, also der Einwand des Beklagten, dass eine Schiedsvereinbarung bestehe, dem mit der Klage befassten Gericht nicht automatisch die Zuständigkeit rauben können. Verteidigungseinwände dürfen nicht über die Zuständigkeit entscheiden. Was bei Art. 22 Nr. 4 Brüssel I-VO falsch war,805 wäre bei einem neuen Art. 24 Nr. 6 gleichermaßen falsch.806 Hätte es einen Art. 24 Nr. 6 nach Heidelberger Vorschlag gegeben, so hätte derjenige, der die Schiedseinrede erhebt, die Schlacht um das Forum jedenfalls vorläufig gewonnen und hätte damit einen extrem wertvollen bargaining chip. Man versetze sich in die Lage desjenigen, der vom Nichtbestehen einer Schiedsvereinbarung ausgeht und deshalb ganz konsequent vor einem staatlichen Gericht klagen will. Gäbe es eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte am Sitz des Schiedsgerichts für die Entscheidung über Bestehen und Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung, so müsste der Klagwillige zuerst dort klagen und zwar, indem er eine negative Feststellungsklage erhebt. Erst nach Obsiegen dort könnte er in einem zweiten Schritt vor einem in der Sache zuständigen Gericht die Klage in der Hauptsache erheben. Denn der vorgeschlagene Art. 22 Nr. 6 hätte die Gerichte am Sitz des Schiedsgerichts keineswegs auch mit einer Zuständigkeit für eine Klaghauptsache ausgestattet. Daraus drohten sich ausgesprochen ernsthafte Schwierigkeiten, Verjährungs- oder Ausschlussfristen einzuhalten, zu ergeben. Siebtens wäre eine ausschließliche Zuständigkeit sehr schwierig zu handhaben, wenn die Parteien sich auf unterschiedliche Schiedsvereinbarungen berufen, also jede Partei eine Schiedsvereinbarung zu ihren Gunsten reklamiert. Insgesamt durfte man sich nicht zu ausschließlich auf die Probleme, Schiedsabreden durchzusetzen und gegen fraudulöse Klagen zu verteidigen, konzentrieren. Auch der umgekehrte Fall, dass eine Schiedsabrede fraudulös behauptet wird, ist nicht aus den Augen verlieren.
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Die Kommission griff – nach massivem Gegenwind aus der Schiedsszene807 – den Heidelberger Vorschlag nicht auf. Vielmehr setzte sie eine spezielle Expertengruppe für das Verhältnis von Brüssel IaSystem und Schiedsgerichtsbarkeit ein, deren Mitglieder ihren persönlichen Hintergrund in der Schiedsgerichtsbarkeit hatten.808 In der Folge versuchte die Kommission, getreu den Vorschlägen dieser Expertengruppe809 als Kompromiss810 Abhilfe über spezielle Litispendenzregeln zu schaffen. Die Expertengruppe brachte auch das endgültige Aus für den Heidelberger Vorschlag811 und führte zu einer Mittellösung.812
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Art. 29 Abs. 4 Kommissionsvorschlag fasste – als einzige spezifisch schiedsbezogene Regelung im ganzen, insoweit minimalinvasiven813 Vorschlag814 – eine lis pendens-Regelung für den Konflikt zwischen Schieds- und staatlichen Gerichtsverfahren ins Auge. Darin spiegelte sich moderater Reformwille815 mit Augenmaß. Sein Unterabs. 1 besagte, dass Gerichte eines anderen Mitgliedstaates vor ihnen anhängige Schiedsverfahren auszusetzen hatten, wenn der vereinbarte Schiedsort in einem Mitgliedstaat liegt und die Gerichte dieses Mitgliedstaats oder das Schiedsgericht angerufen wurden, um als Haupt- oder Vorfrage festzustellen, ob die Schiedsabrede wirksam ist. Unterabs. 2 stellte es dem nationalen Recht des Zweitstaates frei, an die Stelle der bloßen Aussetzung die Unzuständigerklärung als Rechtsfolge zu setzen. Ein unionsrechtliches Gebot, sich im Zweitstaat für unzuständig 804 805 806 807 808 809 810 811 812 813 814 815
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Cachard, Mélanges Bernard Gross (2009) 347, 364 f. 3. Aufl. Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 47–47i (Mankowski). Ähnlich A. Baumann, FS Ahrens (2016) 467, 481. Z.B. IBA Arbitration Committee Working Group, http://ec.europa.eu/justice/news/consulting_public/0002/ contributions/civil_society_ngo_academics_others/international_bar-association_arbitration_committee_en. pdf. Hess, IPRax 2011, 125, 130; Illmer, RabelsZ 75 (2011) 645, 657. Illmer, RabelsZ 75 (2011) 645, 657. Ebenso Leandro, Riv. dir. int. 2011, 177, 179. Hess, IPRax 2011, 125, 130. Radicati di Brozolo, (2011) 7 JPrIL 423, 438. Domej, FS Gottwald (2014) 97, 98; Dickinson/Lein/Illmer, Rz. 2.06; sowie Leandro, (2015) J Int Disp Sett 1, 3. de Santis, Dir. comm. int. 2013, 383, 396. Radicati di Brozolo Riv. arb. 2011, 187, 201.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
zu erklären, wollte Unterabs. 3, wenn Bestehen, Gültigkeit und Wirkungen der Schiedsabrede im Sitzstaat des Schiedsgerichts festgestellt wurden. Nach Unterabs. 4 sollten Unterabs. 1–3 nicht gelten, wenn das Verfahren im Zweitstaat eine Versicherungs-, Verbraucher- oder Arbeitssache ist. Art. 33 Abs. 3 Vorschlag komplettierte das Ensemble mit einer Definition, wann ein Schiedsgericht als angerufen zu gelten hat.816 Die Kommission versprach sich davon, dass konfligierende Gerichts- und Schiedsverfahren vermieden würden und dass Anreize für missbräuchliche Taktiken genommen würden.817 Insbesondere wurden Gefahren aus multiplen Gerichtsverfahren gebannt.818 Art. 29 Abs. 4 Vorschlag kam Staaten wie vor allem Frankreich819 entgegen, die einen effet négatif der KompetenzKompetenz kennen,820 also eine ausschließliche Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts unter Verdrängung auch der staatlichen Gerichte821 (und unter Ausschluss auch von Verfahren wie jenen des § 1040 Abs. 3 ZPO822). Denn der effet négatif ist in seinem Kern eine Litispendenzregel.823 Art. 29 Abs. 4 Vorschlag verwirklichte indes keinen strengen Ansatz solcher Provenienz824 und vermied eine zu radikale Handhabung und Prinzipienreiterei, die Justizgewährung hätte verhindern können.825 Insgesamt vereinte Art. 29 Abs. 4 Vorschlag eine Vielzahl von Vorzügen auf sich.826 Die Litispendenzregel war sachorientiert, nicht fixiert auf Priorität in der Zeit.827 Daher eröffnete sie wenig Chancen für taktisches Prozessieren.828 Das bloße Erheben einer Schiedseinrede sollte – systemgerechterweise829 – per se nicht ausschlaggebend sein.830 Dies wiederum führte zu einer Gleichbehandlung mit Gerichtsstandsvereinbarungen und damit Gleichwertigkeit der möglichen Modi von Dispute Resolution Clauses.831 Vorfragen und Hauptfragen wurden gleich behandelt.832 Die Litispendenzregel erlaubte, der Behauptung einer anderen, abweichenden Schiedsvereinbarung durch getrennte Beurteilung Rechnung zu tragen.833 Der ins Auge gefasste Anknüpfungspunkt bezog auch nicht von den Parteien vereinbarte, sondern von Dritten bestimmte Sitze des Schiedsgerichts ein und öffnete sich so
816 Dem wurde vorgeworfen, es verwende andere Maßstäbe als die in der Schiedsszene üblichen; Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 47 (2011) 117, 123. 817 KOM (2010) 748 endg. S. 11 sub. 3.1.4. 818 Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 480. 819 Der französische Ansatz ist in seiner Strenge und Konsequenz international freilich ein Solitär; Seraglini/Ortscheidt, Droit de l’arbitrage interne et international (2013) Rz. 682 S. 603. 820 Siehe Art. 1448 Abs. 2; 1465 Cpc sowie Cass. Rev. arb. 1999, 260 m. Anm. Fouchard; Cass. Rev. arb. 2001, 529 m. Anm. Gaillard; Cass. Rev. arb. 2002, 919 m. Anm. Cohen; Cass. Rev. arb. 2006, 945 m. Anm. Gaillard = Clunet 133 (2006) 1384 m. Anm. Mourre; CA Paris, Rev. arb. 2007, 86 m. Anm. Bollée = D 2006, 3035 m. Anm. Clay; CA Orléans, Gaz Pal 2014, 1870 m. Anm. Bensaude; Gaillard, Mélanges Poudret (1999) 387; Seraglini/Ortscheidt, Droit de l’arbitrage interne et international (2013) Rz. 679–685 S. 596–614. 821 Seraglini/Ortscheidt, Droit de l’arbitrage interne et international (2013) Rz. 682 S. 604. 822 Brinkmann/Barth, KSzW 2013, 140, 146 sowie de Santis, Dir. comm. int. 2013, 383, 396. 823 Hauberg Wilhelmsen, (2014) 10 JPrIL 113, 115. 824 Siehe Groupe de travail et resolution d’ICC France sur l’application à l’arbitrage du rapport relative à l’application du Règlement de Bruxelles I dans les États Membres de l’Union Européenne, Cah arb 3/2008, 20; Barreau de Paris Cah arb 3/2008, 28; Lazaroff, Cah arb 2008/2 Editorial. Diskutiert z.B. von Niggemann, SchiedsVZ 2010, 68; Schlosser, SchiedsVZ 2009, 129. 825 Siehe van Haersolte-van Hof, NIPR 2011, 280, 285; Leandro, Riv. dir. int. 2011, 177, 180. 826 Positives Gesamturteil auch bei IBA Arbitration Committee, Changes to Brussels Regulation – December 2010 Update http://www.ibanet.org/LPD/Dispute_Resolution_Section/Arbitration/Projects.aspx; Kersting/Kleine, FS Elsing (2015) 217, 226 f. Weniger positiv insgesamt z.B. Radicati di Brozolo, (2011) 7 JPrIL 423, 435–460. 827 Radicati di Brozolo, IPRax 2010, 121, 123; van Haersolte-van Hof, NIPR 2011, 280, 284; van Haersolte-van Hof, WPNR 6892 (2011), 527, 530; Illmer, RabelsZ 75 (2011) 645, 661 f. 828 Heidelberg Report/Hess, Rz. 122. 829 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 259. 830 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 25; s. auch van Haersolte-van Hof, WPNR 6892 (2011), 527, 531; van Haersolte-van Hof, NIPR 2011, 280, 284. 831 Illmer, RabelsZ 75 (2011) 645, 668; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 26. Übersehen von Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 47 (2011), 117, 124–125. 832 Siehe van Haersolte-van Hof, NIPR 2011, 280, 286. 833 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 259.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich zur wichtigen Sitzbestimmung durch Schiedsinstitutionen.834 Der Vorschlag war geeignet, die durch Art. II (3) UNÜ gelassene Lücke zu füllen.835 170
Der Kommissionsvorschlag fand keine Gnade vor den Augen von Parlament836 und Rat. Vielmehr wurde er vollständig desavouiert.837 Insbesondere das Vereinigte Königreich und Frankreich opponierten,838 im Interesse ihrer jeweiligen nationalen Schiedsszenen.839 Politische und volkswirtschaftliche Aspekte reichten sich die Hand.840 Die Furcht, durch eine stärkere Europäisierung Schiedsgeschäft an New York,841 Singapur oder Genf zu verlieren, war ein wesentlicher Faktor.842 Von kommerziellen Interessen geprägte Änderungsvorschläge zirkulierten, deren Annahme die Rechtskultur in Europa verändert hätte.843 Auch Antipathie gegen eine vollständige Übertragung der Außenkompetenz im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit auf die nicht als schiedsfreundlich geltenden EU-Organe spielte eine Rolle.844 Mögliche Interventionen des EuGH weckten Furcht,845 und die Konzeption des Vorschlags wurde als zu justizfixiert bewertet.846 Auch eine zu starke Fokussierung ausgerechnet auf die doch eher seltene West Tankers-Konstellation von anti-suit injunctions wurde moniert.847
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Letztlich hat es keine schiedsbezogene Änderung im operativen Teil der Brüssel Ia-VO gegeben. Abs. 2 lit. d wurde weder aufgehoben noch erweitert. Schiedsverfahren und schiedsbezogene Verfahren staatlicher Gerichte wurden weder komplett in die Brüssel Ia-VO einbezogen noch vollständig aus der Brüssel Ia-VO ausgegrenzt.848 Auch eine eigene Litispendenzregelung für die Konkurrenz mit oder unter Schiedsverfahren gibt es nicht,849 und Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ist nicht analog auf Schiedsverfahren anzuwenden. Art. 29 Abs. 4 Vorschlag setzt sich gerade insoweit nicht fort.850 Eine wirklich überzeugende Rechtfertigung dafür lässt sich kaum angeben.851 Allenfalls, dass das UNÜ sich bewähre und dass man dessen Funktionalität nicht gefährden solle, ließe sich anführen;852 entsprechende Gefahren, wenn es sie denn geben sollte, bannt aber bereits Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Die arbitration community hat einen Sieg in ihrer Abwehrschlacht errungen,853 der sich jedoch als Pyrrhossieg erweisen könnte.854 834 van Haersolte-van Hof, NIPR 2011, 280, 284. Kritisch indes Lazic´, NIPR 2011, 289, 297. 835 Leandro, (2015) J Int Disp Sett 1, 3. 836 Draft Report on the proposal for Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (recast), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Tadeusz Zwiefka, 28 June 2011, PR\869709.EN p 21 Amendment 24. 837 Geimer, FS Delle Karth (2013) 319, 321. 838 Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 12 f. unter Hinweis auf JUSTCIV 138 CODEC 911 (2.4.2012) für die Position Frankreichs und JUSTCIV 164 CODEC 1181 (4.3.2012) für die Position des Vereinigten Königreichs. Außerdem De Ly, TvA 2015, 101, 106. Eingehend zu den Diskussionen in der Arbeitsgruppe des Rates Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 29–34. 839 Siehe Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 162 f. (Mankowski). 840 Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 23. 841 Siehe z.B. Rainier, 95 Cornell L Rev 431, 436 (2010). 842 Menétrey/Racine in E. Guinchard 13, 23. 843 Schlosser, FS Isaak Meier (2015) 587, 593. 844 Radicati di Brozolo, (2011) 7 JPrIL 423, 435; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 541; Domej, FS Gottwald (2014) 97, 99. 845 Train, in P. Mayer (Hrsg.), Arbitrage et droit de l’Union européenne (2012) 45, 48. 846 Menétrey/Racine in E. Guinchard 13, 24 f. 847 Lazic´, (2012) 29 J. Int. Arb. 19, 22 f. 848 Siehe nur Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments v. 15.10.2012 – A7-0320/2012, 140; Beschluss des europäischen Parlaments November 2012, T7-0412/2012; Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 181. 849 Dickler 28 f.; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 93, 107. 850 Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 481; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 679 f. 851 Carducci,(2013) 29 Arb. Int. 467, 483–485. 852 Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 171; dahin auch Lazic´, (2012) 29 J. Int. Arb. 19, 32–46. 853 Siehe z.B. Nioche/Mourre, Cah arb 2013, 567, die sich darüber freuen, dass eine „Regionalisierung“ des europäischen Schiedswesens (sprich: ein Abschneiden vom Schiedsgeschäft mit außereuropäischen Parteien) vermieden worden sei.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
b) ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO als „legislative Ersatzgesetzgebung“ Frucht der intensiven Diskussion im Vorfeld der Brüssel Ia-VO ist ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO: 172 „(12) Diese Verordnung sollte nicht für die Schiedsgerichtsbarkeit gelten. Sie sollte die Gerichte eines Mitgliedstaats nicht daran hindern, die Parteien gemäß dem einzelstaatlichen Recht an die Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen, das Verfahren auszusetzen oder einzustellen oder zu prüfen, ob die Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, wenn sie wegen eines Streitgegenstands angerufen werden, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung getroffen haben. Entscheidet ein Gericht eines Mitgliedstaats, ob eine Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, so sollte diese Entscheidung ungeachtet dessen, ob das Gericht darüber in der Hauptsache oder als Vorfrage entschieden hat, nicht den Vorschriften dieser Verordnung über die Anerkennung und Vollstreckung unterliegen. Hat hingegen ein nach dieser Verordnung oder nach einzelstaatlichem Recht zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats festgestellt, dass eine Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, so sollte die Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache dennoch gemäß dieser Verordnung anerkannt oder vollstreckt werden können. Hiervon unberührt bleiben sollte die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten, über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen im Einklang mit dem am 10. Juni 1958 in New York unterzeichneten Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche („Übereinkommen von New York von 1958“) zu entscheiden, das Vorrang vor dieser Verordnung hat. Diese Verordnung sollte nicht für Klagen oder Nebenverfahren insbesondere im Zusammenhang mit der Bildung eines Schiedsgerichts, den Befugnissen von Schiedsrichtern, der Durchführung eines Schiedsverfahrens oder sonstigen Aspekten eines solchen Verfahrens oder für eine Klage oder eine Entscheidung in Bezug auf die Aufhebung, die Überprüfung, die Anfechtung, die Anerkennung oder die Vollstreckung eines Schiedsspruchs gelten.“ ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO ist gleichsam Ersatz dafür, dass sich im operativen Teil der Brüssel Ia-VO ge- 173 genüber der Brüssel I-VO nichts verändert hat, soweit das Verhältnis zur Schiedsgerichtsbarkeit in Rede steht. Über ihn als Hintertür soll eingebracht werden, was sich in Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel IaVO und in Art. 45 Brüssel Ia-VO nicht hat durchsetzen lassen. Er ist quasi „legislative Ersatzgesetzgebung“.855 Richter sollen sich ermutigt fühlen, auf seiner Basis zu verwirklichen, wozu sich der europäische Gesetzgeber selber nicht getraut hat.856 ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO ist die Rückzugslinie des Gesetzgebers, um seine eigentlichen Vorstellungen wenigstens zu skizzieren.857 In gleichsam letzter Minute entworfen sollte er die erhitzten Gemüter beruhigen.858 In ihm, nicht in dem eigentlichen Normen liegt die wahre Neuerung für die Schiedsgerichtsbarkeit.859 In der Sache geht er über das hinaus, was bei Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel I-VO anerkannter Zuschnitt der Ausnahme war.860 Der Sache nach will ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO die Ausnahme (bei unverändertem Wortlaut der eigentlichen Norm, Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO) erweitern und ihr Konstellationen unterwerfen, die zuvor nicht erfasst waren.861 Dabei ist schon problematisch, ob Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO dafür überhaupt die nötige Offenheit besitzt862 oder nur ein Paradox ist.863 Dass ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO eine Rückkehr zur schiedsrechtlichen Orthodoxie befördere864 und im Kern den status quo festschreibe,865 ist andererseits in dieser Strenge nicht zutreffend (obwohl sich radikalere Konzepte eben
854 855 856 857 858 859 860 861 862 863 864 865
Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 542. Zustimmend Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 503. d’Avout, D 2013, 1014, 1019; s. auch A. Baumann, FS Ahrens (2016) 467, 482. d’Avout, D 2013, 1014, 1019; Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 14. Schlosser, FS Isaak Meier (2015) 587, 593. GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 91; Storskrubb, (2016) 41 Eur. L. Rev. 578, 587. Anders Hartley, (2015) 64 ICLQ 965, 972. Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 14. Anders Hartley, (2015) 64 ICLQ 965, 972. Vgl. de Santis, Dir. comm. int. 2013, 383, 400. Menétrey/Racine in E. Guinchard 13, 25. So Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 983. von Hein, RIW 2013, 97, 99; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 541.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich nicht durchgesetzt haben866). Insbesondere findet sich nirgends in ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO eine explizite Abkehr von WestTankers.867 Ebenso wenig trifft zu, dass ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO nur gefestigte Rechtsprechung des EuGH kodifizieren würde.868 Das bricht sich schon an der Differenziertheit des ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO.869 Die „Klarstellungen“ des ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO bergen jedenfalls erhebliches Potential für aus ihnen erwachsende Auslegungsstreitigkeiten,870 nicht zuletzt wegen der überkomplizierten Formulierung des ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO.871 174
Die gewählte Technik wirft generell erhebliche Probleme auf. Diese resultieren aus der Natur und der begrenzten Wirkungskraft von Erwägungsgründen.872 Erwägungsgründe gehören eben per definitionem nicht zu den operativen Regelungen.873 Sie sind bloße Auslegungshilfen. Sie sind gleichsam in den erweiterten Normtext eingeflossene Gesetzesbegründung. Das macht sie aber nicht verbindlich. Sie haben klare Grenzen. Sie sind rechtlich nicht verbindlich und können nicht herangezogen werden, um von den eigentlichen Regeln des auszulegenden Rechtsakts abzuweichen, ebenso wenig, um diese Regeln in einem Sinn auszulegen, welcher deren Wortlaut offensichtlich widerspricht.874 Wortlaut der Regeln, Ziele und Systematik des Rechtsakts stehen über den Erwägungsgründen und ziehen diesen Grenzen.875 Erwägungsgründe deuten zwar in eine bestimmte Richtung, erlegen einem Gericht, das von ihnen abweichen will, aber nicht mehr auf als eine gewisse Begründungslast.876
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Rechtspolitisch schafft ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO große Unsicherheit, eben weil er nur ein ErwGr. ist. Er stellt gleichsam das typischer verhältnis zwischen zu erläuternder Norm und Erwägungsgrund auf den Kopf.877 Es erscheint sehr fraglich, ob sich die arbitration community einen Gefallen getan, als sie eine echte Neuregelung des Verhältnisses zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und Brüssel Ia-System verhinderte.878 Komplexe Abgrenzungsfragen harren weiter ihrer Lösung im Einzelfall, statt eine verbindliche und abstrakte Richtschnur als Ausgangspunkt nehmen zu können.879 Die Auslagerung aus einer Norm in einen bloßen ErwGr. tut der Problemlösung nicht gut.880 Die mehrfache Bezugnahme, dass eine Schiedsvereinbarung „hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar“ sein kann, greift im Übrigen Art. II (3) UNÜ auf.881
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Hinzu kommt, dass ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO sehr umständlich formuliert ist.882 Er ist zwar wortreich (der längste aller Erwägungsgründe der Brüssel Ia-VO883), aber vorsichtig und enträt der letzten Klarheit.884 Er ist der Versuch, ein Mosaik zusammenzufügen und die dogmatischen wie praktischen 866 867 868 869 870 871 872 873 874
875 876 877 878 879 880 881
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Ojiegbe, (2015) 11 JPrIL 267, 280. Farah/Hourani, (2018) 14 JPrIL 96, 121–123. So aber Zilinsky, NIPR 2014, 3, 4. Siehe Capiello, Riv. arb. 2015, 542, 557. Domej, FS Gottwald (2014) 97, 108; Capiello, Riv. arb. 2015, 542, 558. M. Stürner, GPR 2016, 259. Estrup Ippolito/Adler-Nissen, (2013) 79 Arb. 158, 169; Steindl, FS Torggler (2013) 1181, 1187; Hess, JZ 2014, 538, 540; vgl. auch De Ly, TvA 2015, 101, 110; Farah/Hourani, (2018) 14 JPrIL 96, 122. Missachtet von Camilleri, (2013) 62 ICLQ 899 und ansatzweise Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 679. Z.B. Klimas/Vaiciukaite,15 ILSA J. Int’l & Comp. L. 1 (2008). EuGH v. 20.12.2017 – 215/88 – CASA Fleischhandels-GmbH vs. Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung, EuGHE 1989, 2789 Rz. 31; EuGH v. 19.11.1998 – C-162/97 – Strafverfahren gegen Gunnar Nilsson, Per Olov Hagelgren und Solweig Arrborn, EuGHE 1998, I 7477 Rz. 54; EuGH v. 25.11.1998 – C-308/97 – Giuseppe Manfredi vs. Regione Puglia, EuGHE 1998 I 7865 Rz. 30; EuGH v. 24.11.2005 – C-136/04 – Deutsche Milch-Kontor vs. Hauptzollamt Hamburg-Jonas, EuGHE 2005 I 10095 Rz. 32;EuGH v. 10.1.2006 – C-344/04 – The Queen, auf Antrag International Air Transport Association and European Low Fares Airline Association vs. Department for Transport, EuGHE 2006 I 403 Rz. 76; EuGH v. 2.4.2009 – C-134/08 – Hauptzollamt Bremen vs. JE Tyson Parketthandel GmbH hanse, EuGHE 2009 I 2875 Rz. 16; EuGH v. 25.2.2010 – C-562/08 – Müller Fleisch GmbH vs. Land Baden-Württemberg, EuGHE 2010 I 1391 Rz. 40; EuGH v. 28.6.2012 – C-7/11, ECLI:EU:C:2012:396 Rz. 40 – Strafverfahren gegen Fabio Caronna. EuGH v. 16.1.2014 – C-45/13 – Andreas Kainz vs. Pantherwerke AG, RIW 2014, 139 Rz. 20. Hess, JZ 2014, 538, 540. Nuyts in Boularbah/Francq/Nuyts/van Boxstael/Wautelet, J. trib. 2015, 89, 91. Hess, JZ 2014, 538, 545. Steindl, FS Torggler (2013) 1181, 1198; s. auch Maruffi, Riv. dir. proc. 2014, 1416, 1429. Geimer, FS Delle Karth (2013) 319, 322. Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 472 sowie Gustaf Möller, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 373, 382; Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 16.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Querelen zum Schweigen zu bringen; dies kann ihm jedoch nicht vollständig gelingen.885 Ihm fehlt es aber vor allem an einer operativen Norm, die er erläutern könnte.886 Er ist ersichtlich Teil eines Kompromisspakets,887 geboren aus der Erkenntnis, dass alle ambitionierten Vorstöße nicht die nötige qualizierte Mehrheit im Rat gefunden hätten.888 Anderer Teil dieses Kompromisspakets ist Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO.889 Es entstammt, wobei der heutige ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO seinerzeit noch als vorgeschlagene Erwägungsgründe 11–11c firmierte, dem Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments.890 Der Preis war, dass die lis pendens-Regel aus Art. 29 Abs. 4 Vorschlag Brüssel Ia-VO nicht weiter verfolgt wurde. Dies ist angesichts ihrer sachlichen Vorzüge kein geringer Preis.891 ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO ist, wie Erwägungsgründe zu EU-Rechtsakten generell seit 2003, im Modus „sollte“ formuliert und enträt in aller Regel indikativischer Formulierungen, um so den Anschein eines Regelungsanspruchs zu vermeiden und sich auf eine interpretative Bedeutung zurückzuziehen.892 Konkret kann dies Probleme nach sich ziehen, weil es Manövrierspielräume für die Mitgliedstaaten eröffnet.893 Noch gewichtiger aber ist, dass ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO sich nicht aller Probleme und Ausschnitte im Verhältnis zur Schiedsgerichtsbarkeit annimmt und wesentliche Fragen nicht direkt anspricht, zuvörderst die vor allem in England entwickelten Instrumente zum Schutz von Schiedsabreden, namentlich Schadensersatzansprüche bei Verletzung von Schiedsabreden und Aufnahme eines Schiedsspruchs in eine Entscheidung eines staatlichen Gerichts kraft der doctrine of merger.894 Außerdem fehlt es an einer expliziten Aussage zum Konflikt zwischen einer Entscheidung, die das Bestehen einer Schiedsabrede verneint, und einem auf Grundlage eben der negierten Schiedsabrede ergangenen Schiedsspruch.895 Auch zu einer möglichen Verurteilung zu Schadensersatz wegen Verletzung einer Schiedsabrede896 verhält sich ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO nicht explizit.897 Die Aufzählung in ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO ist allerdings nicht abschließend und ausschließend, sondern nur beispielhaft, wie das „insbesondere“ zeigt. Der Oberbegriff „Klagen und Nebenverfahren“ ist weit genug, um theoretisch auch jene nicht direkt erwähnten Fragen erfassen zu können. ErwGr. 12 Abs. 2 und 3 Brüssel Ia-VO nimmt sich immerhin des Missachtens einer Schiedsabrede und des freien Entscheidungsverkehrs an.898 Trotzdem bleiben erhebliche Lücken.
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Leider sind Vorschläge, bereits den Wortlaut der Ausnahme in Abs. 2 lit. d selber, also im operativen Teil, zu erweitern auf „arbitration proceedings, measures by arbitration tribunals, proceedings ancillary to arbitration proceedings, measures by courts directly supporting the proper functioning of arbitration proceedings, and the recognition and enforcement of arbitral awards“899 letztlich nicht er-
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882 Hess, JZ 2014, 538, 541, 544; s. auch Geimer, FS Delle Karth (2013) 319, 321 („etwas länglich geraten“); Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 13 („non è di facile lettura“). 883 Rasia, Riv. trim. dir. proc. civ. 2014, 193, 204; Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 14. 884 Steindl, FS Torggler (2013) 1181, 1186; Harris, (2014) JIBFL 709, 711 („decidedly enigmatic“). 885 Rasia, Riv. trim. dir. proc. civ. 2014, 193, 211. 886 Rouchard-Joët, J. dr. eur. 2014, 2, 3 Fn. 11. 887 Dok. 10609/12 JUSTCIV 209 CODEC 1495; Dok.10609/12 JUSTCIV 209 CODEC 1495 ADD 1; Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20.11.2012, P7_TA(2012)0412 sowie GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14 ECLI:EU:C:2014:2414 Rnn 121–123. 888 Dickinson/Lein/Illmer, Rz. 2.10. 889 Steindl, FS Torggler (2013) 1181, 1195. 890 Bericht des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments vom 15.10.2012 – 2010/0383(COD) 140. 891 Vgl. d’Avout, D 2013, 1014, 1020. 892 Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 437; Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 471. 893 Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 438. 894 Hess, JZ 2014, 538, 541–543. 895 Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 438. 896 Dafür West Tankers Inc. v. Allianz SpA (2012) EWHC 854 (Comm) (Q.B.D., Flaux J.) = Rev. arb. 2012, 819 m. Anm. Bollée = Riv. arb. 2013, 149 m. Anm. Penasa; s. auch Moses, Loyola University Chicago School of Law Public Law & Legal Theory Research Paper No. 2014-5/6, 17–20. 897 Lutzi, The Protection of Arbitration Agreements within the EU after West Tankers, Gazprom, and the Brussels I Recast (17.7.2015), http://conflictoflaws.net/2015/the-protection-of-arbitration-agreements-within-theeu-after-west-tankers-gazprom-and-the-brussels-i-recast. 898 Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 982. 899 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 23; Mankowski, IGKK/IACPIL 1 (2010) 31, 65.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich folgreich gewesen, obwohl der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments durchaus in eine ähnliche Richtung dachte.900 So schwebt der Hauptkritikpunkt an der alten Rechtslage, dass sie sich nicht im Normtext selber klar zu anti-suit injunctions verhalte, weiterhin im Raum. Andererseits hat der europäische Gesetzgeber das prominente und viel diskutierte wie (von interessierter Seite) kritisierte Verbot von anti-suit injunctions aus der West Tankers-Entscheidung nicht explizit aufgehoben; dazu hätte er aber allen Anlass gehabt, wenn er es denn gewollt hätte. Das Fehlen einer expliziten Änderung spricht für Kontinuität.901 Dafür streitet auch das grundsätzliche Bestreben, missbräuchliche Praktiken zu unterbinden.902 Auf eine Kehrtwende in der Rechtsprechung des EuGH können interessierte Kreise jedenfalls kaum spekulieren.903 179
Im Gegenteil hat der EuGH in seiner Gazprom-Entscheidung das Verbot von anti-suit injunctions staatlicher Gerichte für die Rechtslage unter der Brüssel I-VO kurz, knapp und ohne viel Federlesens bestätigt.904 Dies ist umso aussagekräftiger, weil GA Wathelet dem EuGH einen entgegengesetzten Kurs massiv nahegelegt hatte, gestützt auf die behauptete Neuregelung in der Brüssel Ia-VO.905 Der EuGH hat sich implizit gegen eine Neuausrichtung entschieden, indem er diesen Anstoß nicht aufgegriffen hat.906 Der EuGH hat eine Tradition, Altrecht im Licht von bereits existierendem Neurecht auszulegen.907 Wenn er sich durch angebliches inhaltliches „Neurecht“ nicht zu einer Neuinterpretation des Altrechts veranlasst sieht, spricht dies dagegen, dass er im formellen Neurecht eine inhaltliche Neuausrichtung sieht.908 c) Schiedsverfahren
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Ausgenommen sind nach Abs. 2 lit. d zunächst die eigentlichen Verfahren vor Schiedsgerichten mitsamt den Streitigkeiten über Zuständigkeit und Kompetenz der Schiedsgerichte. Diese Verfahren sind schon von ihrer formellen Natur her schiedsrechtlich, aber auch von ihrem Gegenstand, denn ohne 900 Draft Report on the proposal for Regulation of the European Parliament and of the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (recast), Committee on Legal Affairs, Rapporteur: Tadeusz Zwiefka, 28 June 2011, PR\869709.EN p 6 Amendment 1. 901 Nori Holding Ltd. v. Public Joint-Stock Company (Bank Otkritie Financial Corp) [2018] EWHC 1343 (Comm) [90], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 80 (Q.B.D., Males J.); Lopes de Gonzalo, Riv. arb. 2018, 727, 735 f.; Varesis, (2019) 35 Arb. Int. 275, 281–283; Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 34 f. 902 Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 44 f. 903 Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 984; van der Haegen, b-Arbitra 2016, 151, 154. 904 EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 32–34 – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika; zustimmend Nori Holding Ltd. v. Public Joint-Stock Company (Bank Otkritie Financial Corp) [2018] EWHC 1343 (Comm) [81], [83], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 80 (Q.B.D., Males J.); Pfeiffer, LMK 2015, 370522 sub 3a; H. Wais, EuZW 2015, 511, 512; Kajkowska, [2015] Cambridge L.J. 412, 415; Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2015 Anm. 1 sub D; Hartley, (2015) 64 ICLQ 965, 973; Kruger, T.B.H. 2017, 308, 311. Vgl. aber auch Farah/Hourani (2018) 14 JPrIL 96, 113 f. 905 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 124–144. 906 Nori Holding Ltd. v. Public Joint-Stock Company (Bank Otkritie Financial Corp) [2018] EWHC 1343 (Comm) [91], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 80 (Q.B.D., Males J.); Hartley, (2015) 64 ICLQ 965, 973; Bollée, Rev. arb. 2015, 896, 898, 900; Carducci, (2016) 32 Arb. Int. 111, 115; A. Baumann, FS Ahrens (2016) 467, 480 f.; Usunier, RTDciv 2016, 837, 841; van der Haegen, b-Arbitra 2016, 151, 170; Storskrubb, (2016) 41 Eur. L. Rev. 578, 586, 588; Palermo, Rev. Bras. Arb. 511 (2016) 200, 206; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 128 (2016); Kindler, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 321, 326; Lopes de Gonzalo, Riv. arb. 2018, 727, 735. Vorsichtiger Magro, Anti-suit injunctions in transnational litigation: Is their usage still justifiable? (PhD thesis Univ Malta 2015) 81; Barba, RLDA 106 (2015) 46, 49. 907 Siehe insbesondere EuGH v. 1.2.2002 – C-167/00 – Verein für Konsumenteninformation vs. Karl Heinz Henkel, EuGHE 2002, I 8111 Rz. 49. 908 Siehe Hartley, (2015) 64 ICLQ 965, 973; van der Haegen, b-Arbitra 2016, 151, 153; Storskrubb, (2016) 41 Eur. L. Rev. 578, 588 sowie De Ly, TvA 2015, 101, 109; Briggs, [2015] LMCLQ 284, 287; Ojiegbe, (2015) 11 JPrIL 267, 290 f.; Leandro, Riv. dir. int. 2015, 815, 827; Auda, (2016) 82 Arb. 122, 125 f.; Markus, AJP 2016, 199, 207; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 505; Farah/Hourani, (2018) 14 JPrIL 96, 119–123. Vgl. auch Toyota Tsusho Sugar Trading Ltd. v. Prolat S.R.L. [2014] EWHC 3649 (Comm) [16] (Q.B.D., Cooke J.): Neurechtslage einschließlich ErwGr. 12 „declaratory“.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Schiedsabrede und private Institutionalisierung des Entscheidungsgremiums würde er nicht verhandelt. Sie fallen nicht in den Bereich der gerichtlichen Zuständigkeit und der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung gerichtlicher Entscheidungen, wie ihn die Brüssel Ia-VO abdeckt, denn der Gerichtsbegriff der Brüssel Ia-VO meint nur staatliche Gerichte. Die Gerichtsstandsregeln der Brüssel Ia-VO würden für nichtstaatliche Gerichte nicht passen.909 Ebenso wenig enthält die Brüssel IaVO wegen ihres auf Gerichtsverfahren beschränkten Ansatzes Anerkennungsregeln, die für Schiedssprüche passen würden.910 Insoweit ist lit. d anders gelagert als die anderen Ausnahmen, da es im Kern um ein nicht-staatliches Verfahren geht.911 Die Ausnahme nach lit. d geht so weit, dass sich selbst eine Zuständigkeit staatlicher Gerichte aus Art. 24 nicht durchzusetzen vermag und im Verhältnis zu Schiedsgerichten eben nicht ausschließlich und ausschließend ist.912 Selbst Materien aus dem Bereich des Art. 24 Brüssel Ia-VO sind schiedsfähig, sogar vor Schiedsgerichten mit Sitz außerhalb der EU.913 Gewichtige Argumente sprechen auch dafür, die Schutzregimes für schwächere Vertragsparteien weichen zu lassen.914 Andererseits stehen AGB-Schiedsklauseln in Verbraucherverträgen im scharfen Feuer von Anh. Nr. 1 lit. q KlauselRL.915 d) Verfahren vor staatlichen Gerichten aa) Hilfsverfahren Abs. 2 lit. d meint aber auch Hilfsverfahren vor staatlichen Gerichten zur Unterstützung von 181 Schiedsgerichten oder um deren Funktionsfähigkeit herzustellen, also alle gerichtlichen Neben- und Anschlussverfahren.916 ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO nimmt diesen Faden auf und bietet eine hilfreiche Zusammenstellung,917 die indes nur beispielhaften, nicht abschließenden Zuschnitt hat.918 Diese Liste gewinnt ihre Inspiration ihrerseits aus einer entsprechenden Liste in den Schlussanträgen919 von GA Darmon aus dem Verfahren Marc Rich.920 ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO schreibt nur fort, was schon zuvor unter Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel I-VO galt.921 Von einem Prinzip, möglichst viel der Schiedsausnahme zu unterwerfen, kann aber keine Rede sein.922
909 Audit, (1993) 9 Arb. Int. 1 f.; Hascher, (1997) 13 Arb. Int. 33, 39; Blanke, (2005) 16 Eur. Bus. L. Rev. 591, 613. 910 P. Mayer, Rev. crit. dip. 82 (1993) 316, 317; Loquin, RTD com. 2002, 47, 48; Nurmela, (2005) 1 JPrIL 115, 125. 911 Kessedjian, D 2009, 983, 984. 912 Hof ’s Hertogenbosch, TvA 2011, 63, 65. 913 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Art. 22 EuGVVO Rz. 147; Stein/Jonas/G. Wagner, Rz. 58; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 507. 914 Magnus/Mankowski/Mankowski/P. A. Nielsen Art. 19 Brussels Ibis Regulation Rz. 52–55 m.w.N. 915 Magnus/Mankowski/Mankowski/P. A. Nielsen Art. 19 Brussels Ibis Regulation Rz. 56 m.w.N. 916 Lexmar Corp v. Nordisk Skibsrederforeniging [1997] 1 Lloyd’s Rep. 289, 292 (Q.B.D., Colman J.); The „Avery Lake“ [1997] 1 Lloyd’s Rep. 540, 546–550 (Q.B.D., Clarke J.); Berti, FS Vogel (1991) 337, 347; Weigand, EuZW 1992, 529, 533; Haas, IPRax 1992, 292; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 101 (2016). Für eine weite Auslegung der Ausnahme („matière dans son ensemble“) Cass. civ. D 2004, 1055 m. Anm. Weiszberg (Clay 3186) = Rev. arb. 2004, 337 m. Anm. Bollée = JCP G 2004 I 119 m. Anm. Béguin =JCP G 2004 I 133 m. Anm. Cadiet = JCP G 2004 II 10029 m. Anm. Matinga = RTD com. 2004, 256 m. Anm. Loquin. 917 La Mattina/Cellerino, Dir. comm. int. 2014, 551, 564. Kritisch dagegen Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 981: „largement figure d’évidences“. 918 Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 15; La Mattina/Cellerino, Dir. comm. int. 2014, 551, 564. 919 GA Darmon, Schlussanträge in der Rs. C-160/89 EuGHE 1991, I 3865. 920 Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 47 (2011) 117, 122; Brinkmann/Barth, KSzW 2013, 140, 144; d’Avout, D 2013, 1014, 1020; Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 437 f.; Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 981; Hess, JZ 2014, 538, 540; Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 14; Nuyts in Boularbah/Francq/ Nuyts/van Boxstael/Wautelet, J. trib. 2015, 89, 91; A. Baumann, FS Ahrens (2016) 467, 478; Czernich, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 45, 49 f. sowie Rasia, Riv. trim. dir. proc. civ. 2014, 193, 209. 921 Siehe nur Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 182; Kindler, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 321, 328. 922 Entgegen Auda, (2016) 82 Arb. 122, 128, der sich typischerweise auf ein angebliches Prinzip dieser Art aus dem englischen Recht beruft.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich 182
Erfasst sind zuvörderst Verfahren zur Ernennung, Abberufung oder Ersetzung von Schiedsrichtern,923 zur Festlegung des Schiedsortes,924 zur Ausdehnung oder Verlängerung einer Entscheidungs-, Verjährungs- oder Ausschlussfrist925 oder über die Wirksamkeit eines Schiedsvertrages (einschließlich positiver und negativer926 Feststellungsklagen).927 Diese Verfahren sind unentbehrlich für die Durchführung des Schiedsverfahrens und funktionell mit diesem verwoben.928 Es machte insbesondere für die erste Gruppe wenig Sinn, ein Verfahren in einem anderen Staat, im Extremfall sogar unter einem anderen Schiedsverfahrensrecht, ablaufen zu lassen.929 In eine zweite Gruppe gehören Unterstützungsfunktionen für ein laufendes Schiedsverfahren, nämlich Zustellung und Beweiserhebung930 sowie Ersuchen an Behörden.931 Des Weiteren erfasst Abs. 2 lit. d Verfahren zur Aufhebung,932 Nichtigerklärung,933 Änderung, Bestätigung, Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen.934 Erfasst sind damit sowohl Gerichtsverfahren vor als auch nach Abschluss des Schiedsverfahrens,935 zudem gleich, ob die Hilfe einziger Gegenstand ist.936 Kollidierende Aufhebungs- oder Anerkennungsentscheidungen sind theoretisch denkbar,937 wenn außerhalb des Brüssel Ia-Systems keine hinreichende Vorsorge für Urteilskollisionen getroffen ist. Vollstreckbarerklärungsentscheidungen sind dagegen territorial beschränkt und ihrerseits nicht einer Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung in einem weiteren Staat fähig (exequatur sur exeuatur ne vaut).938 Vollstreckbare Entscheidungen aus Zwischenverfahren zur Klärung von Rechtsfragen, etwa als statement of special case nach früherem englischem Recht, sind ebenfalls schiedsrechtlich zu qualifizieren.939
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Schiedsrechtlich sind schließlich Hilfsverfahren staatlicher Gerichte auf Antrag des Schiedsgerichts oder der Schiedsparteien, um die fehlenden Zwangsbefugnisse von Schiedsgerichten auszugleichen, insbesondere Beweisaufnahmen, förmliche Zustellung, Ersuchen an Behörden oder Vorlage an den EuGH940. Für alle diese Verfahren fiele es bereits schwer, sachlich passende Gerichtsstände unter der Brüssel Ia-VO zu finden.941 Für sie ausdrücklich eine ausschließliche Zuständigkeit am vereinbarten 923 EuGH v. 25.7.1991 – C-190/89 – Marc Rich and Co. AG vs. Società Italiana Impianti PA, EuGHE 1991 I 3855, 3901 Rz. 19; BGHZ 104, 178; Killias, (2002) 4 Eur. J. L. Reform 119, 125; De Ly, TvA 2015, 101, 107; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 514; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 98. 924 Killias, Die Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem Lugano-Übereinkommen (1993) 25; Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 154; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 514. 925 EuGH v. 17.8.1998 – C-391/95 – Van Uden Maritime BV vs. KG in Fa Deco-Line, EuGHE 1998 I 7091, 7133 Rz. 32; B. Audit, Clunet 136 (2009) 1285, 1286; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 98. 926 De Ly, TvA 2015, 101, 109. 927 Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd. v. New India Assurance Association Co Ltd. [2005] 1 All ER (Comm) 715, 733 f. (C.A., per Clarke LJ.) = [2005] 2 Lloyd’s Rep. 67; Merrett, (2005) 64 C.L.J. 308, 310; Briggs, (2004) 75 BYIL 537, 554; Azzi, Rev. arb. 2006, 163, 187 sowie CA Paris, Rev. arb. 2007, 87; Bollée, Rev. arb. 2007, 90, 91 f. 928 Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 89; Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 35. 929 GA Darmon, Schlussanträge in der Rs. C-190/89, EuGHE 1991 I 3865, 3888 Nr. 81; Weigand, EuZW 1992, 529, 533 sowie Jenard, (1991) 7 Arb. Int. 243, 249. Anders wohl Schlosser, (1991) 7 Arb. Int. 227, 236. 930 Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 512. 931 Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 98. 932 OLG Stuttgart, RIW 1988, 480; B. Audit, Clunet 136 (2009) 1285, 1286; Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2015 Anm. 1 sub D; Musielak/Voit/A. Stadler Rz. 9; Czernich, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 45, 50–53. 933 Cass., Rev. arb. 2004, 337, 338 m. Anm. Bollée; CA Paris, Rev. arb. 2002, 723, 739; Matray, J. dr. eur. 2014, 370, 374. 934 BGH, WM 1988, 1179; Cass., Rev. arb. 2004, 337, 338 m. Anm. Bollée; LG Hamburg, RIW 1979, 493; Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 90 sowie Hof ’s-Gravenhage, TvA 2012, 82, 84; Rb. Rotterdam, TvA 2012, 41; Matray, J. dr. eur. 2014, 370, 373; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 509; Czernich, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 45, 50–53; De Ly, TvA 2018, 109 (109); Kall, IHR 2018, 137, 138 f. Teilweise abweichend OLG Hamburg, RIW 1992, 939. 935 Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 477. 936 Vgl. Rasia, Riv. trim. dir. proc. civ. 2014, 193, 209. 937 Hauser, ecolex 2013, 526, 528. 938 De Ly, TvA 2018, 109 (109). A.A. Kall, IHR 2018, 137, 139–141. 939 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 156. 940 Vgl. für letzteres Schütze, SchiedsVZ 2007, 121. 941 Arendt, Der Zuständigkeitsstreit im Schiedsverfahren (1995) 178–181.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Schiedsort vorzusehen, namentlich in einem neu einzuführenden Art. 22 Nr. 6 Brüssel Ia-VO,942 würde dagegen zu weit gehen und drohte sogar, nützliche Hilfe an anderem Ort abzuschneiden.943 Keine von Abs. 2 lit. d erfassten Hilfsverfahren sind schließlich Haftungsklagen gegen Schiedsrichter.944 bb) Klagen aus einem Schiedsspruch Klagen aus einem Schiedsspruch oder mit einem Schiedsspruch als Klagegrund fallen dagegen unter die Brüssel Ia-VO, wenn sie vor einem staatlichen Gericht angestrengt werden945 (es sein denn, es wird die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs angestrebt; diese fällt nicht unter die Brüssel Ia-VO,946 sondern in aller Regel unter das nach Art. 73 Abs. 2 vorrangige UNÜ): Ebenso wenig erfasst Abs. 2 lit. d Streitigkeiten um Sicherheiten, die Dritte für die Kosten des Schiedsverfahrens gegeben haben,947 oder Klagen gegen Streitgenossen, deren Bindung an die Schiedsabrede nicht behauptet wird.948 Honorarklagen der Schiedsrichter gegen die Parteien beruhen nicht auf der Schiedsabrede, sondern auf dem davon getrennten Schiedsrichtervertrag und sind deshalb gleichfalls nicht schiedsrechtlicher Natur.949 Das gleiche gilt für Schadensersatzklage mindestens einer Partei gegen einen oder mehrere Schiedsrichter,950 denn auch sie beruht auf dem Schiedsrichtervertrag, nicht auf der Schiedsabrede. Irgendein Zusammenhang mit einem Schiedsverfahren reicht eben nicht.951
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cc) Einstweiliger Rechtsschutz Einstweilige Maßnahmen staatlicher Gerichte zur Sicherung eines Anspruchs aus einem Rechtsverhältnis, das einer Schiedsabrede unterliegt, fallen unter die Brüssel Ia-VO; Abs. 2 lit. d greift insoweit nicht.952 Einstweiliger Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten bleibt Rechtsschutz vor staatlichen Gerichten. Er dient nicht der Durchführung des Schiedsverfahrens, sondern der Sicherung des geltend gemachten materiellen Anspruchs.953 Insoweit hat er nicht den gleichen Gegenstand wie das Schiedsverfahren.954 Er wird vielmehr parallel zum Schiedsverfahren angeordnet.955 Allerdings nimmt die Schiedsabrede einen Eilgerichtsstand der Zuständigkeit in der Hauptsache, denn bei Vorliegen einer wirksamen Schiedsabrede gibt es kein staatliches Gericht, das in der Hauptsache entscheiden dürfte.956 Gerichtsstände im Eilverfahren können sich aber trotzdem über Art. 35 Brüssel Ia-VO ergeben.957 942 943 944 945 946 947 948 949
950 951 952
953 954 955 956 957
So Heidelberg Report/Hess, Rz. 130 f. Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 25. Goméz Jene, Cuad. Der. Trans. 5 (2) (2013) 335, 344–347. Schlosser, IPRax 1985, 142; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 115. Siehe nur Aud. Prov. Cádiz, AEDIPr 2017, 1100, 1101. Lexmar Corp v. Nordisk Skibsrederforeniging (1997) 1 Lloyd’s Rep. 289, 292 f. (Q.B.D., Colman J.). Vale do Rio Doce Navegacao SA v. Shanghai Bao Steel Ocean Shipping Co Ltd. (2000) 2 Lloyd’s Rep. 1, 5 f. (Q.B.D., Thomas J.); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 115. Zustimmend Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 105 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 114. A.A. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 158; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2015) Rz. 3959; Zöller/Geimer Art. 1 EuGVVO Rz. 70. Tendenziell offener aber Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 518. Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 114. Siehe The „Xing Sui Hai“, (1995) 2 Lloyd’s Rep. 15, 21 (Q.B.D., Rix J.). EuGH v. 17.8.1998 – C-391/95 – Van Uden Maritime BV vs. KG in Fa Deco-Line, EuGHE 1998 I 7091, 7133 Rz. 34; östOGH, IPRax 2003, 64 (dazu Reiner, IPRax 2003, 74); BGH, IPRax 2009, 428; OLG München, RIW 2000, 464, 465; Briggs, (2004) 75 BYIL 537, 552–554; Garber, Zak 2009/627, 390, 391; Schlosser, IPRax 2009, 416, 417; Brinkmann/Barth, KSzW 2013, 140, 145; Hartley,(2014) 63 ICLQ 843, 850; Mankowski, IHR 2015, 189, 196; A. Baumann, FS Ahrens (2016) 467, 472 f.; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 505 f.; Hau, MDR 2016, 1251, 1252. A.A. N. Peters, NIPR 2019, 299, 313. Siehe nur Reiner, IPRax 2003, 74, 75 f.; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 26. Killias, (2002) 4 Eur. J. L. Reform 119, 125. Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 506. EuGH v. 17.8.1998 – C-391/95 – Van Uden Maritime BV vs. KG in Fa Deco-Line, EuGHE 1998 I 7091, 7131 Rz. 24. EuGH v. 17.8.1998 – C-391/95 – Van Uden Maritime BV vs. KG in Fa Deco-Line, EuGHE 1998 I 7091, 7133 Rz. 34; östOGH, IPRax 2003, 64; s. auch Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 15.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich dd) Anti-suit injunctions 186
Wenn das nationale Prozessrecht (wie z.B. das englische) Verfahren zur Absicherung von Schiedsabreden kennt, in denen es den Parteien untersagt, über denselben Anspruch Verfahren vor staatlichen Gerichten anzustrengen,958 fällt diese Kompetenz zu sog. anti-suit injunctions ebenfalls nicht unter Abs. 2 lit. d.959 Es handelt sich nicht um einen Annex zum Schiedsverfahren, sondern um einen eigenständigen Gegenstand.960 Dies gilt auch dann, wenn in diesen Verfahren die Wirksamkeit der Schiedsabrede zu prüfen ist.961 Diese Frage ist nur Vorfrage, welche den Verfahrensgegenstand nicht prägt.962 Der Verfahrensgegenstand ist dagegen genuin staatlich, eine Maßnahme außerhalb des Schiedsverfahrens.
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Jemanden durch ein staatliches Gericht zum Schiedsverfahren zu zwingen ist kein Teil des Schiedsverfahrens und auch keine dorthinein integrierte Unterstützungsmaßnahme.963 Da zum Zeitpunkt der anti-suit injunction noch keine Schiedsentscheidung vorliegt, ist die injunction auch keine Hilfe für einen bereits existierenden Schiedsspruch, sondern ist originäre Justizausübung des sie erlassenden Gerichts.964 Ein solcher Schutz der Schiedsvereinbarung durch ein staatliches Gericht greift in ein staatliches Verfahren vor einem anderen staatlichen Gericht ein.
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Insoweit kollidieren die Jurisdiktionsansprüche zweier staatlicher Gerichtsbarkeiten. Dies hat weder mit der Abtrennbarkeit der Schiedsabrede vom Hauptvertrag noch mit schiedsrichterlicher Kompetenz-Kompetenz etwas zu tun.965 Vielmehr kollidieren staatliche Jurisdiktionsansprüche, von denen jener, der sich letztlich nur auf den autonomen Vertrag Schiedsabrede zurückführen lässt, weichen muss.966 Effizienz und Effektivität von schiedsverfahren müssen hinter quasi-EU-verfassungsrecht-
958 Eingehend dazu z.B. Stacher, ASA Bull. 2005, 640. 959 EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07 – Allianz SpA u. Generali Assicurazioni Generali SpA vs. West Tankers Inc, EuGHE 2009, 663 Rz. 24–29; EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 32–34 – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika; Toepfer International GmbH v. Molino Boschi SRL (1996) 1 Lloyd’s Rep. 510, 513 (Q.B.D., Mance J.); The Charterers’ Mutual Assurance Association Ltd. v. British & Foreign (1997) ILPr 838, 854 f. (Q.B.D., Judge Anthony Diamond QC); Trib. Marseille, Rev. Scapel 2006, 9, 12–14; Carrier, DMF 2004, 403; Carrier, D 2005, 2712, 2714; Carrier, Rev. Scapel 2006, 5; Briggs, (2004) 120 LQR 529, 531; Rauscher, IPRax 2004, 405, 409; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 460; Kropholler/von Hein, Rz. 45; Delebecque, Dir. mar. 109 (2007), 979, 981; Leandro, (2015) J Int Disp Sett 1, 10 f. sowie Hau, IPRax 1996, 44. A.A. Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd. v. New India Assurance Association Co Ltd. (2005) 1 All ER (Comm) 715, 733 f. (C.A., per Clarke LJ.) = (2005) 1 Lloyd’s Rep. 67 = Dir. mar. 107 (2005) 1060 m. Anm. La China; The „Ivan Zagubanski“ (2002) 1 Lloyd’s Rep. 106, 122 (Q.B.D., Aikens J.); The „Front Comor“ (2005) 2 All ER (Comm) 240, 255–257 (Q.B.D., Colman J.); J. Hill 68; Ambrose, (2003) 19 Arb. Int. 3, 21; Ambrose, (2003) 52 ICLQ 401, 419 f.; Krause, RIW 2004, 533, 540 f.; Muir Watt, Rev. crit. dip. 93 (2004) 659, 662; Blanke (2005) 16 Eur. Bus. L. Rev. 591, 612–614; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 505; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 111; vgl. auch Toepfer International GmbH v. Société Cargill France (1998) 1 Lloyd’s Rep. 379, 387 (C.A., per Philipps LJ.); The „Epsilon Rosa“ (No. 2) (2002) 2 Lloyd’s Rep. 701, 704 f. (Q.B.D., David Steel J.); Starlight Shipping Co v. Tai Ping Insurance Co Ltd. (The „Alexandros T“) (2008) 1 All ER (Comm) 593 = (2008) 1 Lloyd’s Rep. 230 = Dir. Mar. 110 82008) 618 m. Anm. Lopez de Gonzalo (Q.B.D., Cooke J.). 960 Schroeder, EuZW 2009, 218, 219. 961 EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07 – Allianz SpA u. Generali Assicurazioni Generali SpA vs. West Tankers Inc, EuGHE 2009, 663 Rz. 25 f. Entgegen Poudret, FS Sandrock (2000) 761, 766. 962 Bericht Evrigenis/Kerameus Rz. 35; EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07 – Allianz SpA u. Generali Assicurazioni Generali SpA vs. West Tankers Inc, EuGHE 2009, 663 Rz. 26; I. Naumann 139; Dickler 42 f.; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 111. Kritisch Nourissat, Procédures Avril 2009, 23, 24; Kessedjian, D 2009, 983, 984. 963 Illmer, IPRax 2009, 312, 314; ähnlich Carrier, D 2005, 2712, 2714 f.; J. Hill, (2006) LMCLQ 166, 170 f.; Delebecque, Dir. mar. 109 (2007), 979, 981. Entgegen Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd. v. New India Assurance Association Co Ltd. (2005) 1 All ER (Comm) 715, 733 f. (C.A., per Clarke LJ.) = [2005] 1 Lloyd’s Rep. 67 = Riv. arb. 2005, 673 m. Anm. Fumagalli; The „Ivan Zagubanski“ [2002] 1 Lloyd’s Rep. 106, 122 (Q.B.D., Aikens J.); Clavel Rev. arb. 2001, 669, 684 f.; Mulcacy (2005) 71 Arb. 211, 215–217; Schlosser, RIW 2006, 486, 489. 964 Briggs [2015] LMCLQ 284, 287. 965 Entgegen Seriki [2010] JBL 24, 29. 966 Farah/Hourani in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 116, 131 f.; s. auch Auda, (2016) 82 Arb. 122, 123.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
lichen Prinzipien zurückstehen.967 Der Schutz des Schiedsmarktes London kann nichts anderes rechtfertigen.968 Es besteht nicht nur ein indirekter Einfluss auf Gerichtsbarkeit, wenn einem anderen Gericht verboten wird, tätig zu werden, sondern ein direkter Konflikt mit der Gerichtsbarkeit jenes anderen Gerichts.969 Wer eine anti-suit injunction anordnet, wird gleichsam übergriffig.970 Die anti-suit injunction mag sich zwar ihrer Intention nach gegen die Partei richten, die sich von der Schiedsabrede lösen will,971 sie unterbindet aber in ihrem gewählten Mittel das Verfahren vor dem angerufenen staatlichen Gericht.
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Dass ein Gerichtsverfahren entgegen einer Schiedsabrede jene Schiedsabrede untergräbt,972 ist zwar 190 in der Sache richtig, ändert aber nichts am formellen Charakter des Verfahrens vor dem Gericht als Gerichtsverfahren. Maßgeblich ist nicht das verfolgte Ziel, sondern der Bereich, in dem zur Umsetzung operiert wird. Ob die Parteien ursprünglich eine Privatisierung der Streitentscheidung wollten, ist unerheblich,973 denn jetzt ist ja ein Rechtsstreit vor einem staatlichen Gericht anhängig. Eine antisuit injunction leitet weder ein Schiedsverfahren ein, noch garantiert sie dessen Durchführung, denn solches vermöchte allenfalls eine positive Anordnung, die aber ein wieder eigenständiges Instrument wäre.974 Anders zu entscheiden würde zudem gegen die grundsätzliche Unzulässigkeit der anti-suit injunction im EU-Raum975 verstoßen und einen Graben zwischen Gerichtsstandsklauseln einerseits und Schiedsklauseln andererseits aufreißen.976 Art. 29 Brüssel Ia-VO ist auch bei einem Ziel, das Schiedsverfahren zu schützen, berührt.977 Rechtspolitisch darf man nicht übersehen, dass die antisuit injunction zuzulassen den Wettbewerb der Schiedsmärkte beeinflussen und verzerren würde, nämlich zugunsten jener Rechtsordnungen, welche die anti-suit injunction kennen, und zu Lasten jener kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, bei denen dies nicht der Fall ist.978 Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet der Schiedsplatz London so hart um die Zulassung der anti-suit injunction im europäischen Raum gekämpft und sich an der West Tankers-Entscheidung so gerieben hat. Dass die Entscheidung über die eigene Zuständigkeit durch jedes einzelne Gericht zu Verzögerungen 191 und zu bargaining chips führen kann,979 ist hinzunehmen. Störklagen als Störmanöver980 sind eine zugestandenermaßen unerfreuliche Konsequenz. Auch soll es Tendenzen geben, für anti-suit injunctions auf die Channel Islands auszuweichen, für die mangels territorialer Erstreckung die Brüssel IaVO nicht gilt;981 ein zahlenmäßig wirklich relevantes Phänomen ist dies aber nie geworden. Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ist zwar Teil eines Kampfes gegen Verzögerungstaktiken; er trägt aber keinen
967 Farah/Hourani in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 116, 134 f. 968 Wie hier Steinbrück, (2007) 26 Civil Just Q 358, 372; I. Naumann 193; Noussia (2009) 26 J. Int. Arb. 311, 334. A.A. Gross, [2005] LMCLQ 10, 28 f. 969 Wie hier EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07 – Allianz SpA u. Generali Assicurazioni Generali SpA vs. West Tankers Inc, EuGHE 2009, 663 Rz. 28; I. Naumann 153; Lopez de Gonzalo, Dir. Mar. 110 (2008) 618, 622; Briggs, Civil Jurisdiction Rz. 2.43. Entgegen Muir Watt, Rev. crit. dip. 93 (2004) 659, 662. 970 Erk, Parallel Proceedings in International Arbitration (2014) 119; Farah/Hourani in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 116, 136. 971 Briggs/Rees, 416; Kessedjian on West Tankers (12.2.2009) http://conflitoflaws.net/2009/kessedjian-on-westtankers; Steindl, FS Torggler (2013) 1181, 1192. 972 So z.B. deutlich Noussia, (2009) 26 J. Int. Arb. 311, 330 f., 333. 973 Entgegen Sharma, RIW 6/2009, I. 974 Steinbrück, ZEuP 2010, 168, 173. 975 Näher Vor. Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 50–54 (Mankowski). 976 Vgl. Harris, (2005) LMCLQ 159, 165; Usunier, Rev. crit. dip. 96 (2007) 439, 452; Lopez de Gonzalo Dir. Mar. 110 (2008) 618, 623. 977 I. Naumann 191. 978 Siehe van Haersolte-van Hof, NTER 2009, 161, 164 f. 979 Illmer/I. Naumann, ASA Bull. 2008, 820, 824 f.; Schroeder, EuZW 2009, 218. 980 Sharma, RIW 6/2009, I. 981 Balthasar, (2009) ICCLR 255, 256.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich verallgemeinerungsfähigen Schluss, der gerade Schiedsvereinbarungen besonders schützen würde,982 sondern ist richtig auf Gerichtsstandsvereinbarungen beschränkt. 192
ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO bietet insoweit keine explizite Hilfestellung an.983 Das Verbot von anti-suit injunctions, die unterbinden sollen, dass schiedsabredewidrig vor Gerichten von Mitgliedstaaten geklagt wird, wird jedenfalls nicht expressis verbis aufgehoben oder eingeschränkt.984 Man kann diskutieren, ob eine anti-suit injunction der Durchführung des Schiedsverfahrens dient oder deshalb unter Abs. 2 lit. d fallen könnte, weil sie mit „sonstigen Aspekten“ des Schiedsverfahrens in Zusammenhang steht.985 Darin liegt ein deutlicher Schwachpunkt.986 Politisch hat man sich vor einer endgültigen Entscheidung des Konflikts gescheut (obwohl das Europäische Parlament sich recht klar positioniert hatte987). Dies produziert Unsicherheit und schafft keine verlässliche Basis. Der Kampf um die anti-suit injunction ist nicht beendet, sondern tritt nur in eine neue Phase.988 Angesichts der massiven Opposition aus Kontinentaleuropa steht indes nicht zu erwarten, dass der EuGH gerichtliche anti suit-injunctions im europäischen Raum jemals revitalisieren wird.989 Eine Renaissance der anti-suit injunction hätte der expliziten und unmissverständlichen Anordnung durch den europäischen Gesetzgeber bedurft.990 Ihr Verbot kollidiert nicht mit dem Verständnis des Art. 35.991
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ErwGr. 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO scheint zwar bei isolierter Betrachtung tendenziell eher dafür zu sprechen, anti suit-injunctions von der Brüssel Ia-VO auszunehmen.992 Jedoch steht er eben nicht isoliert, sondern in einem Zusammenhang mit ErwGr. 12 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO, die eine klare Unterscheidung treffen und Entscheidungen zur Sache der Brüssel Ia-VO unterfallen lassen. Eigene Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache soll mitgliedstaatlichen Gerichten weiterhin nicht genommen sein.993
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Man kann spekulieren, dass der europäische Gesetzgeber angesichts der ebenso extensiven wie hitzigen Diskussion um die West Tankers-Entscheidung des EuGH und der prominenten Rolle der Schiedsszene und ihrer Interventionen im Novellierungsprozess eine ausdrückliche Ausnahme für anti-suit injunctions formuliert hätte, wenn er eine solche Ausnahme denn wollte.994 Der europäische Gesetzgeber hat West Tankers jedenfalls nicht ausdrücklich korrigiert oder gar revoziert, so nachdrücklich ihm dies auch angesonnen wurde.995 Das Fehlen einer ausdrücklichen Änderung könnte einen Schluss auf eine Nicht-Änderung der Rechtslage und damit eine inhaltliche Fortschreibung des 982 Dahin aber GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 145–148; van der Haegen, b-Arbitra 2016, 151, 177; tendenziell auch Hauberg Wilhelmsen, Rz. 3.67–3.79. 983 Nori Holding Ltd. v. Public Joint-Stock Company (Bank Otkritie Financial Corp) [2018] EWHC 1343 (Comm) [98], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 80 (Q.B.D., Males J.); Estrup Ippolito/Adler-Nissen (2013) 79 Arb. 158, 168 f.; Camilleri, (2013) 62 ICLQ 899, 903 f.; Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 488; La Mattina/Cellerino Dir. comm. int. 2014, 551, 565. Vgl. aber GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C: 2014:2414 Rz. 137; Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 438 sowie Leandro, (2015) J Int Disp Sett 1, 10 f. 984 d’Avout, D 2013, 1014, 1020. Entgegen GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14 ECLI: EU:C:2014:2414 Rz. 137–140. 985 Camilleri, (2013) 62 ICLQ 899, 904; Steindl, FS Torggler (2013) 1181, 1197. 986 Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 983. 987 Europäisches Parlament Legislative Entschließung vom 7.9.2010 – 2009/2140(INI) para M. 988 Steindl, FS Torggler (2013) 1181, 1197. 989 Moses, Loyola University Chicago School of Law Public Law & Legal Theory Research Paper No. 2014-5/6, 16 f.; van der Haegen, b-Arbitra 2016, 151, 154. 990 Siehe Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 17; Ippolito/Adler-Nissen, (2013) 79 Arb. 158, 168 f.; Nioche/Mourre, Cah arb 2013, 567; Domej, FS Gottwald (2014) 97, 101. 991 Hartley, (2015) 64 ICLQ 965, 968–971 gegen GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14 ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 99–112. 992 Moses, Loyola University Chicago School of Law Public Law & Legal Theory Research Paper No. 2014-5/6, 16. 993 Camilleri, (2013) 62 ICLQ 899, 904 f. 994 Estrup Ippolito/Adler-Nissen, (2013) 79 Arb. 158, 169; Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 488; ähnlich Gustaf Möller, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 373, 385. 995 Die Diskussionen in der Arbeitsgruppe des Rates schildert eingehend Breder, Die Verzahnung der Brüssel IaVO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 29–34.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
status quo und von West Tankers nahelegen.996 Eine Renaissance der anti-suit injunction hat der europäische Gesetzgeber jedenfalls nicht angeordnet.997 Aus ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO und dem dortigen Vorbehalt zugunsten des UNÜ (wie ihn Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO bekräftigt) wird sogar abgeleitet, dass eine Notwendigkeit für eine anti suit-injunction nicht mehr bestehen könne, weil über das UNÜ ja die Anerkennung eines auf der Schiedsabrede fußenden Schiedsspruchs sichergestellt sei.998 Allerdings wird im selben Atemzug eine anti-enforcement injunction als neuer Behelf des einstweiligen Rechtsschutzes eingefordert.999 Diese würde aber nicht minder mit der Vollstreckungsgarantie aus Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO und dem abschließenden Charakter des Art. 45 kollidieren1000 als eine anti-suit injunction mit den Gerichtsstandsgarantien der Art. 5 ff. Brüssel Ia-VO.
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Der Fall ist jedenfalls deutlich anders gelagert, wenn die anti-suit injunction verbietet, vor einem Schiedsgericht zu klagen, also eine anti-arbitration injunction ist.1001 Zwar fällt dies ebenfalls nicht unter Abs. 2 lit. d,1002 ist aber, da nicht gegen Gerichte in EU-Partnerstaaten, sondern nur gegen private Entscheidungsträger gerichtet, jedenfalls aus Sicht der Brüssel Ia-VO1003 statthaft.1004 Entscheidend ist der Charakter des (potentiellen) Verfahrens, in das eingegriffen wird.1005
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Dagegen fällt eine von einem Schiedsgericht erlassene anti-suit order1006 unter Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO,1007 obwohl sie im Grundsatz denselben Zweck verfolgt wie eine anti-suit injunction eines staatlichen Gerichts.1008 Entscheidend ist, wer formell entscheidet, ein Schiedsgericht oder ein staatli-
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996 Estrup Ippolito/Adler-Nissen, (2013) 79 Arb. 158, 169; Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 34 f. 997 Estrup Ippolito/Adler-Nissen, (2013) 79 Arb. 158, 168 f.; Camilleri, (2013) 62 ICLQ 899, 905; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 541. 998 Camilleri, (2013) 62 ICLQ 899, 905. 999 Camilleri, (2013) 62 ICLQ 899, 906 (gestützt auf Ellerman Lines Ltd. v. Read [1928] 2 KB 144 [CA]); s. auch die Überlegungen bei Ojiegbe, (2015) 11 JPrIL 267, 281 mit Blick auf C v. D [2007] EWCA Civ 1282, [2008] 1 All ER (Comm) 1001 (C.A.); D. Foster, [2008] Int. Arb. L. Rev. 104. 1000 Zustimmend Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 98 f. 1001 Zum Phänomen der anti-arbitration injunction Stacher, ASA Bull. 2005, 640, 651–654; M. Scherer/Giovannini, Stockholm Int Arb. Rev 2005, 201; Lévy in Gaillard (Hrsg.), Anti-suit Injunctions in International Arbitration (2005) 115; Layton in Ferrari (Hrsg.), Forum Shopping in the International Arbitration Context (München 2013) 131; Born, International Commercial Arbitration (2014) 1306-1310. 1002 Mit der Folge, dass eine Anerkennung in einem anderen Mitgliedstaat nach dessen autonomen IZPR erfolgen müsste; Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 103. 1003 Eine andere Frage ist, ob eine anti-arbitration injunction sub specie Art. II (3) UNÜ unstatthaft wäre oder ob dies davon abhängig ist, in welchem Umfang man einem Konzept negativer Kompetenz-Kompetenz folgt; Bermann in Ferrari (Hrsg.), Forum Shopping in the International Arbitration Community Context (München 2013) 69, 86–91; Mukarrum Ahmed, The Nature and Enforcement of Choice of Court Agreements (2017) 97; Subramanian, (2018) 34 Arb. Int. 185. 1004 Sheffield United Football Club Ltd. v. West Ham United Football Club plc [2009] 1 Lloyd’s Rep. 167 (Q.B.D., Teare J.); Carrier, DMF 2004, 403, 412; Dutta/C. Heinze, ZEuP 2005, 428, 460; Matray, J. dr. eur. 2014, 370, 376 f.; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 506; Palermo, Rev. Bras. Arb. 511 (2016) 200, 208; Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 102 f; Vor. Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 52 (Mankowski). 1005 Pfeiffer bei J. C. Scherpe, ZZP 127 (2014) 483, 488; Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 103. 1006 Dazu Kesseler/Hope, (2004) 28 Arb. Int. 331, 332 f.; Gaillard in van den Berg (Hrsg.), International Arbitration 2006: Back to Basics? (2007) 235; Balthasar/Richers, RIW 2009, 351, 356; Varesis, (2019) 35 Arb. Int. 275, 283–286. 1007 EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 35–42 – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika; Wiegandt, RIW 2015, 430, 431; Briggs, [2015] LMCLQ 284 (284); L. Jaeger, Petites affiches N° 222, 6 novembre 2015, 8, 11. 1008 Ojiegbe, (2015) 11 JPrIL 267, 268.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich ches Gericht, da Abs. 2 lit. d insoweit formell abgrenzt.1009 Insoweit weicht gerade Abs. 2 lit. d speziell doch davon ab, dass es im Grundsatz auf die Natur des geltend gemachten Anspruchs ankommt.1010 Abs. 2 lit. d arbeitet gerade mit einem Provenienz-, nicht mit einem materiellen Qualifikationskriterium.1011 198
Jede Aussage, der EuGH in Gazprom oder ErwrGr 12 Abs. 4 Brüssel Ia-VO selber erlaubten per se anti-suit orders, wäre allerdings unpräzise:1012 Ob ein Schiedsgericht eine anti-suit order erlassen darf, richtet sich nach dem Schiedsverfahrensstatut bzw. der anwendbaren Schiedsordnung.1013 Der EuGH respektiert die institutionelle Statthaftigkeit von anti-suit orders,1014 nicht mehr. Die Anwendung des Abs. 2 lit. d respektiert, wenn das Schiedsgericht eine anti-suit order erlässt, und verhindert, dass die Brüssel Ia-VO insoweit interferiert. Sie gibt dem Schiedsgericht aber keine Befugnisse, die das Schiedsgericht nicht schon anderweitig erhalten hat. Diese Kompetenzfrage liegt eben außerhalb der Brüssel Ia-VO.1015 Richtiger ist daher, von der Aktivierung und Respektierung eines anderweitig begründeten Potentials zu sprechen.1016
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Bei einer schiedsgerichtlichen Anordnung als solcher liegt weder ein direkter Konflikt zwischen den Gerichtsbarkeiten verschiedener Mitgliedstaaten noch ein Eingriff in den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die wechselseitige Rechtspflege unter den Mitgliedstaaten vor.1017 Es geht nur darum, die Kompetenz des Schiedsgerichts abzustecken.1018 Ob eine von einem Schiedsgericht erlassene antisuit order anzuerkennen ist, richtet sich nach den Regeln über die Anerkennung von Schiedssprüchen1019 (wobei der Zielstaat der anti-suit order seinen ordre public in Stellung bringen kann1020). In einem Verfahren auf Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung einer solchen schiedsgerichtlichen Anordnung oder mit der Möglichkeit eines Aufhebungsverfahrens wird auch die Rechtsschutzgarantie des Anordnungsgegners gewahrt.1021
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In jedem Fall ist eine von einem Schiedsgericht erlassene anti-suit order weniger effektiv, als es eine von einem staatlichen Gericht erlassene anti-suit injunction wäre,1022 weil das Schiedsgericht zumeist keine Befugnis zu eigenen Zwangsmittelverhängungen hat, um sie real durchzusetzen.1023 Dies ist allerdings abhängig von der Ausgestaltung des anwendbaren Schiedsrecht: Art. 1468 cpc in Frankreich, Art. 1713 § 7 Code judiciaire in Belgien oder Art. 1056 Rv in den Niederlanden geben Schiedsgerich-
1009 EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 36–38 – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika; Briggs, [2015] LMCLQ 284, 286; Barba, RLDA 106 (2015) 46, 50. 1010 Entgegen Markus, AJP 2016, 199, 204 f. 1011 Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 160 (Mankowski). 1012 Siehe Ojiegbe, (2015) 11 JPrIL 267, 282 f.; Carducci, (2016) 32 Arb. Int. 111, 112. 1013 Siehe Leandro, Riv. dir. int. 2015, 815, 821. 1014 Siehe Palermo, Rev. Bras. Arb. 511 (2016) 200, 203. 1015 Leandro, Riv. dir. int. 2015, 815, 818; Carducci, (2016) 32 Arb. Int. 111, 112. 1016 Farah/Hourani, (2018) 14 JPrIL 96, 114–116. 1017 EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 36 f. – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika; Pfeiffer, LMK 2015, 370522 sub 2 b; H. Wais, EuZW 2015, 511, 512; Hartley, (2015) 64 ICLQ 965, 974 f.; Magro, Anti-suit injunctions in transnational litigation: Is their usage still justifiable? (PhD thesis Univ Malta 2015) 81; Ojiegbe, (2015) 11 JPrIL 267, 289 f.; J. Hill/Ní Shúillebháin, Clarkson & Hill’s Conflict of Laws (2016) Rz. 389 fn 162 sowie GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C: 2014:2414 Rz. 153–155. 1018 Vgl. Pfeiffer, LMK 2015, 370522 sub 2d; Kajkowska, [2015] Cambridge L.J. 412, 415; Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2015 Anm. 1 sub C. 1019 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 157; eingehend Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 51–81. 1020 Leandro, Riv. dir. int. 2015, 815, 826; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 132 f. (2016); Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 68–72, 81–90; vgl. auch Bermann, MJ 22 (2015) 888, 903–906. 1021 EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 38 – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika; H. Wais, EuZW 2015, 511, 512; Pickenpack, EWiR 2016, 61, 62. 1022 Gegenteilige Wertung bei Barba, RLDA 106 (2015) 46, 51; Storskrubb, (2016) 41 Eur. L. Rev. 578, 585. 1023 Wiegandt, RIW 2015, 430, 432; Palermo, Rev. Bras. Arb. 511 (2016) 200, 201.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
ten durchaus die Befugnisse, astreinte oder dwangsom anzuordnen.1024 Contempt of court dürfte dagegen kaum zu Gebote stehen.1025 Der Anordnungsgegner ist – anders, als es sich bei einer anti-suit injunction eines staatlichen Ge- 201 richts verhielte – bei einer schiedsrichterlichen anti-suit order keinen unmittelbaren Sanktionen ausgesetzt,1026 jedenfalls wenn das anwendbare Schiedsrecht so ausgestaltet ist wie das deutsche. Sanktionen drohen ihm nur (aber immerhin) als Folge einer Vollstreckbarerklärung der schiedsgerichtlichen anti-suit order durch ein staatliches Gericht1027 (z.B. in Deutschland nach §§ 794 Abs. 1 Nr. 4 lit. a; 890 Abs. 1 ZPO1028). Dorthin verlagert sich die Konfliktlinie1029 (es sei denn, man wollte anti-suit orders, da sie keine Schiedsentscheidungen on the merits sind, überhaupt nicht an der prinzipiellen Anerkennungspflicht aus Art. V UNÜ teilhaben lassen wollen1030). Verfahren auf Vollstreckbarerklärung einer schiedsgerichtlichen Entscheidung fallen aber ihrerseits grundsätzlich unter Abs. 2 lit. d und damit aus der Brüssel Ia-VO heraus.1031 Sofern die Regeln über die Anerkennung von Schiedssprüchen allerdings im Lichte der Zwecke des Brüssel Ia-Systems zu interpretieren wären,1032 liefe dies auf eine Einschränkung von Art. V UNÜ hinaus.1033 Dem würde entgegenstehen, wenn Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO dem UNÜ einen von der Brüssel Ia-VO und ihren Wertungen unangetasteten Reservatbereich schüfe. Sofern man wiederum die (inhaltlich fragwürdige1034) TNT/AXA-Rechtsprechung1035 zur Parallelnorm des Art. 71 Brüssel Ia-VO heranziehen und Art. 351 AEUV scharf heranziehen würde, stünde ein solcher Reservatbereich im Lichte des Primärrechts aber wieder in Frage. Sicher lässt sich aber sagen, dass die Brüssel Ia-VO per se der Vollstreckbarerklärung einer schiedsgerichtlichen anti-suit order nicht entgegensteht.1036
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ee) Einredesituation Der klassischen Einredesituation, dass gegen die Klage vor einem staatlichen Gericht die Einrede der Schiedsvereinbarung als Verteidigung erhoben wird, widmet sich ErwGr. 12 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.1037 1024 1025 1026 1027 1028 1029 1030 1031
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van der Haegen, b-Arbitra 2016, 151, 179. Kruger, T.B.H. 2017, 308, 310. EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 40 – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika. EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 42 – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika sowie Nori Holding Ltd. v. Public Joint-Stock Company (Bank Otkritie Financial Corp) [2018] EWHC 1343 (Comm) [83], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 80 (Q.B.D., Males J.). H. Wais, EuZW 2015, 511, 512. H. Wais, EuZW 2015, 511, 512; Ojiegbe, (2015) 11 JPrIL 267, 286; Bollée, Rev. arb. 2015, 896, 902, 904; Usunier, RTDciv 2016, 837, 840; s. auch d’Alessandro, Riv. arb. 2015, 291, 305; L. Jaeger, Petites affiches N° 222, 6 novembre 2015, 8, 12; van der Haegen, b-Arbitra 2016, 151, 174 f. Dafür Leandro, 2015 J Int Disp Settlement 188, 193 f.; Leandro, Riv. dir. int. 2015, 815, 830; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 506. EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 44 – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika; Magro, Anti-suit injunctions in transnational litigation: Is their usage still justifiable? (PhD thesis Univ Malta 2015) 81; Ojiegbe, (2015) 11 JPrIL 267, 292 f.; Carducci, (2016) 32 Arb. Int. 111, 120 f.; Art. 1 Brüssel IaVO Rz. 146 (Mankowski); Kruger, T.B.H. 2017, 308, 311 f.; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 113. Vgl. aber auch H. Wais, EuZW 2015, 511, 512. Dagegen EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 35–44 – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika; Moses, Loyola University Chicago School of Law Public Law & Legal Theory Research Paper No. 2014-5/6, 20–23; Hartley, (2014) 63 ICLQ 843, 855–857; Pfeiffer, LMK 2015, 370522 sub 3b; Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2015 Anm. 1 sub D. Hess, JZ 2014, 538, 543; s. auch H. Wais, EuZW 2015, 511, 512; Markus, AJP 2016, 199, 206; Consolo, Giur. it. 2016, 147, 15. Vgl. – von einem anderen Grundansatz aus – auch GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 142 f. Art. 71 Brüssel Ia-VO Rz. 11–22 (Mankowski). EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08 – TNT Express Nederland BV vs. AXA Versicherung AG, EuGHE 2010, I-4107, I-4159 Rz. 49; EuGH v. 19.12.2013 – C-452/12 – Nipponkoa Insurance Co. (Europe) Ltd. vs. InterZuid Transport BV, TranspR 2014, 26 Rz. 36; EuGH v. 9.4.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 38 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB. Toader, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 515, 520. Siehe nur Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 515; Kindler, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 321, 327.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich Ihm zufolge soll die Brüssel Ia-VO die Gerichte eines Mitgliedstaats nicht daran hindern, die Parteien gemäß dem einzelstaatlichen Recht an die Schiedsgerichtsbarkeit zu verweisen,1038 das Verfahren auszusetzen oder einzustellen oder zu prüfen, ob die Schiedsvereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist, wenn sie wegen eines Streitgegenstands angerufen werden, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung getroffen haben. 204
Dies ist inspiriert durch Art. VI (3) EÜ,1039 insbesondere aber durch Art. II (3) UNÜ.1040 ErwGr. 12 Abs. 1 Brüssel Ia-VO stellt klar, dass für die dort angesprochenen Aspekte die lex fori regiert und dass die Brüssel Ia-VO nicht interveniert,1041 selbst wenn das Schiedsgericht seinen Sitz in einem Drittstaat hat.1042 Richtigerweise ist dies auf Entscheidungen über die Nichtanwendbarkeit einer an sich wirksamen Schiedsvereinbarung in einem konkreten Fall zu erstrecken.1043 Parallelverfahren zwischen Schiedsgerichtsbarkeit und staatlichen Gerichten sind nicht schlechterdings unterbunden.1044 Die Brüssel Ia-VO erlegt keine Aussetzungs- oder Verweisungspflicht qua Unionsrecht auf.1045
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Die Brüssel Ia-VO dekretiert keine Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts, sondern belässt es den staatlichen Gerichten, nach Maßgabe ihres nationalen Rechts über ihre eigene Zuständigkeit zu entscheiden.1046 Nationale Gesetzgeber sind frei, diese wichtigen Punkte anzugehen, z.B. eine Doktrin von der negativen ausschließlichen Kompetenz-Kompetenz einzuführen oder durchzusetzen, wie Art. 1448 Abs. 1 cpc in Frankreich.1047 Europäisch verankert und garantiert wird diese Doktrin aber nicht.1048 Auch auf der internationalen Ebene des UNÜ wurden diese Aspekte bewusst nicht geregelt.1049 ErwGr. 12 Abs. 1 Brüssel Ia-VO lässt alle Wege zu,1050 auch dass national eine sofortige Entscheidung des Gerichts über seine Zuständigkeit verfügt wird.1051 Eine positive Gestattung durch die Brüssel Ia-VO selber, dass das Gericht über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung entscheiden dürfte,1052 auch wenn diese Frage bereits anderweitig anhängig ist, liegt in ErwGr. 12 Abs. 1 Brüssel Ia-VO aber nicht.1053 ErwGr. 12 Abs. 1 Brüssel Ia-VO wirkt eher deklaratorisch als konstitutiv.1054
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Die bloße Schiedseinrede als solche bewirkt jedenfalls noch nicht, dass das Verfahren vor dem staatlichen Gericht unter Abs. 2 lit. d und damit aus der Brüssel Ia-VO insgesamt herausfiele.1055 Vielmehr ist die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung zunächst eine Vorfrage, über welche das staatliche Gericht entscheiden dürfte, wenn sein nationales Recht dies zulässt. Es geht eben nur um eine Vorfrage, die zu beantworten das staatliche Gericht die Kompetenz hat.1056 Die Zuständigkeitsregeln der 1038 Zum Sonderfall der Verweisung auf die Schiedsgerichtsbarkeit bei zwei Hauptsacheverfahren vor staatlichen Gerichten Domej, FS Gottwald (2014) 97, 101. 1039 Salerno, Riv. dir. int. 2013, 1146, 1177. 1040 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 150–152; Rasia, Riv. trim. dir. proc. civ. 2014, 193, 204; Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 28; Hartley, (2014) 63 ICLQ 843, 860; Hong-Lin Yu in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 68, 91; Ojiegbe, (2015) 11 JPrIL 267, 277; Kersting/Kleine, FS Elsing (2015) 217, 223. 1041 Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 471; Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 16; Hartley, (2014) 63 ICLQ 843, 860; De Ly, TvA 2015, 101, 108. 1042 Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 504. 1043 Hartley (2014) 63 ICLQ 843, 860. 1044 Moses, Loyola University Chicago School of Law Public Law & Legal Theory Research Paper No. 2014-5/6, 12. 1045 de Santis, Dir. comm. int. 2013, 383, 401. 1046 Leandro, [2015] J Int Disp Sett 1, 6. 1047 Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 471; Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 29; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 515. 1048 Rasia, Riv. trim. dir. proc. civ. 2014, 193, 205. 1049 Cafari Panico, Scritti in onore di Ugo Draetta (2011) 63, 73. 1050 Domej, FS Gottwald (2014) 97, 100. 1051 Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 541. 1052 So Estrup Ippolito/Adler-Nissen, (2013) 79 Arb. 158, 168 sowie Hauser, ecolex 2013, 526, 528. 1053 Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 472; vgl. de Santis, Dir. comm. int. 2013, 383, 393. 1054 A. Baumann, FS Ahrens (2016) 467, 479. 1055 Siehe Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 19. 1056 Evrigenis/Kerameus-Bericht Nr. 35; Hascher, Rev. arb. 1991, 697, 701. Kritisch dazu indes GA Darmon, Schlussanträge in der Rs. C-190/89, EuGHE 1991 I 3857, 3876; Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 40; Illmer, IPRax 2009, 312, 315; vgl. auch Youell v. La Réunion Aérienne [2009] 1 All ER (Comm) 301, 313 f. (Q.B.D.,
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO gelten für das Einredeverfahren vor dem staatlichen Gericht ohne Einschränkung.1057 Das staatliche Gericht entscheidet mit der Entscheidung über die Schiedseinrede zugleich über seine eigene Zuständigkeit.1058 Es kann zwei alternative Wege einschlagen, den Fall der Schiedsgerichtsbarkeit überlassen, wenn es die Schiedsabrede für wirksam hält, oder selber über die Unwirksamkeit der Schiedsabrede aussprechen.1059 Staatliche Gerichtsbarkeit und ADR haben insoweit Berührungspunkte, als bei Alternativität beider die Entscheidung eines staatlichen Gerichts über die Wirksamkeit der ADR-Vereinbarung die Weichen zwischen Gerichts- und ADR-Verfahren für den konkreten Fall stellt.1060 Daher trifft nicht zu, dass Existenz, Wirksamkeit und Wirkungen einer Schiedsabrede per se aus der Brüssel Ia-VO herausfielen.1061 Das Schiedsgericht hat jedenfalls keine ausschließliche Kompetenz-Kompetenz aus der Brüssel Ia-VO heraus.1062 Dagegen ist der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO nicht eröffnet, wenn der Streit vor dem staatlichen Gericht auch formell (also in der Regel im Rahmen einer dahingehenden Feststellungsklage) nur um die Wirksamkeit der Schiedsabrede geht, die Schiedsabrede also Haupt-, nicht nur Vorfrage ist.1063 Dann handelt es sich auch nicht um eine bloße Schiedseinrede. Dementsprechend fällt auch die Anerkennung einer Entscheidung in einem solchen Rechtsstreit nicht unter die Brüssel Ia-VO.1064
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Sofern seine eigene lex fori den staatlichen Richter zwingt, bereits auf Schiedseinrede hin an ein Schiedsgericht zu verweisen, steht die Brüssel Ia-VO dem nicht im Wege, wie ErwGr. 12 Abs. 1 Brüssel Ia-VO unterstreicht. Der Richter muss und darf dann dem Verweisungsbefehl seines eigenen nationalen Rechts Folge leisten.
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ff) Klagen auf Feststellung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung Nicht nur Vorfrage, sondern Streitgegenstand ist die Schiedsabrede dagegen bei Klagen, die auf Fest- 209 stellung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung gerichtet sind. Insoweit konkurriert die Zuständigkeit staatlicher Gerichte regelmäßig mit der Kompetenz-Kompetenz des Schiedsgerichts, über seine eigene Zuständigkeit und deren Grundlagen zu entscheiden. Dies spricht sachlich dafür, solche Klagen Abs. 2 lit. d zu unterstellen.1065 ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO bekräftigt, dass Feststellungsentscheidungen über die Wirksamkeit der Schiedsabrede nicht an der Urteilsfreizügigkeit teilnehmen.1066 Dies schafft indes keinen Anerkennungsversagungsgrund1067 mit korrespondierender Freiheit für den Zweitstaat, einen konkurrierenden Schiedsspruch anzuerkennen;1068 vielmehr überantwortet es die Anerkennung den nationalen Rechten einschließlich etwaiger Überein-
1057 1058 1059 1060 1061 1062 1063
1064 1065 1066 1067 1068
Tomlinson J.); Usunier, RTDciv 2016, 837, 842. Anders Markus/Giroud, ASA Bull. 2010, 231, 238 f.; Markus, AJP 2016, 199, 205. EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07 – Allianz SpA u. Generali Assicurazioni Generali SpA vs. West Tankers Inc, EuGHE 2009, 663 Rz. 26; Domej, FS Gottwald (2014) 97, 100; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 508. Fumagalli, Riv. arb. 2005, 583, 592 f. Rasia, Riv. trim. dir. proc. civ. 2014, 193, 204. Nurmela, (2005) 1 JPrIL 115, 124. So aber Heuzé, RGDA 2001, 128, 130. Entgegen B. Audit in Mélanges Loussouarn (1994) 15. Hascher, (1997) 13 Arb. Int. 33, 39; Besson in Études en l’honneur de Poudret (1999) 329, 343 sowie CA Paris, Rev. arb. 2006, 865; van Haersolte-van Hof 18 (1) J. Int. Arb. 27, 32 (2001); B. Audit, Clunet 136 (2009) 1285, 1286; Rasia, Riv. trim. dir. proc. civ. 2014, 193, 207; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 117; im Ergebnis ebenso The „Lake Avery“ [1997] 1 Lloyd’s Rep. 540, 549 f. (Q.B.D., Clarke J.). A.A. Toepfer International GmbH v. Molino Boschi SRL [1996] 1 Lloyd’s Rep. 510, 513 (Q.B.D., Mance J.); Zellner v. Phillip Alexander Securities and Futures Ltd. [1997] ILPr 730, 740, 743 f. (Q.B.D., Jackson QC). CA Paris, Rev. arb. 2007, 87; Bollée, Rev. arb. 2007, 90, 91 f. Nachweise wie Fn. 749. Illmer, RabelsZ 75 (2011) 645, 652 f.; Brinkmann/Barth, KSzW 2013, 140, 146; Domej, FS Gottwald (2014) 97, 102 f.; De Ly, TvA 2015, 101, 107; Kersting/Kleine, FS Elsing (2015) 217, 225; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 516; N. Peters, NIPR 2019, 299, 314. So aber van der Haegen, b-Arbitra 2016, 151, 167. So aber Hauberg Wilhelmsen, Rz. 2.40.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich kommen.1069 Bei solchen Entscheidungen ist die Wirksamkeit der Schiedsabrede einziger Streitgegenstand, und es gibt – im Gegensatz zur Situation des ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO – keine weitere Sache, zu der entschieden würde. Sachlich werden sie also der Schiedsausnahme unterstellt,1070 auch wenn sich die direkte Normaussage nur auf Kapitel III bezieht.1071 Wenn es ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nicht gäbe, würde sich dies schon aus Abs. 2 lit. d selbst ableiten lassen.1072 ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO kann man allerdings als willkommene Klarstellung lesen, dass der Ansatz der englischen Entscheidung The „Wadi Sudr“1073 nicht gelten soll.1074 Von einer Krönung des ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO durch Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO1075 sollte man allerdings nicht sprechen, weil das UNÜ sich nicht mit der Anerkennung und Zirkulationsfähigkeit von Entscheidungen staatlicher Gerichte befasst. 210
Aus ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO folgt eine wichtige Konsequenz: Entscheidet ein Gericht ohne Sachentscheidung, dass eine Schiedsvereinbarung unwirksam ist, so hindert dies andere Gerichte nicht, den Fall trotzdem an das vereinbarte Schiedsgericht zu verweisen und dabei mindestens implizit die Schiedsvereinbarung für wirksam zu erachten.1076 Ebenso wenig besteht eine Bindung im Vollstreckungsstaat, wenn der Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs Art. V (1) (a) UNÜ entgegengehalten wird, gestützt auf die eine Gerichtsentscheidung, welche die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung verneint.1077
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Nicht zirkulationsfähig sollen ausweislich ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO auch Entscheidungen sein, in denen die Entscheidung über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung bloße Vorfrage ist. Entscheidungen zur Sache kommen insoweit jedoch nicht in Betracht, denn für sie greift ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO und schreibt gerade umgekehrt deren Zirkulationsfähigkeit fest. In Betracht kommen vielmehr nur Prozess-, nicht Sachentscheidungen mit dieser Vorfragenstruktur. Betroffen sind primär wegen angenommener Wirksamkeit der Schiedsabrede die Klage abweisende Prozessentscheidungen.1078 Gerichte anderer Mitgliedstaaten sind nicht dahingehend gebunden, dass sie selber der Beurteilung durch das erste Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Schiedsabrede folgen müssten.1079
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ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO gilt jedoch nur für die Anerkennung und Vollstreckung (sofern man Prozessentscheidungen überhaupt einen vollstreckungsfähigen Inhalt zubilligen kann), nicht aber für die Gerichtsstandsregeln der Brüssel Ia-VO.1080 Er gilt auch nicht für die Litispendenzregeln,1081 obwohl Litispendenz funktionell ein partieller Vorgriff auf die Anerkennung ist. Ein als zweites angeru1069 De Ly, TvA 2015, 101, 107. 1070 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 127; Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 472 f.; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 678 sowie Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 31. 1071 Darauf legt Nori Holding Ltd. v. Public Joint-Stock Company (Bank Otkritie Financial Corp) [2018] EWHC 1343 (Comm) [94], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 80 (Q.B.D., Males J.) Wert. Siehe auch Lazic´/Stuij in Lazic´/Stuij (Hrsg.), Brussels Ibis Regulation – Changes and Challenges of the Renewed Procedural Scheme (2017) 119, 141. 1072 Gustaf Möller, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 373, 383. 1073 National Navigation v. Endesa Generación SA (The „Wadi Sudr“) [2009] EWCA Civ 1397, [2010] 1 Lloyd’s Rep. 193 (C.A.). 1074 Moses, Loyola University Chicago School of Law Public Law & Legal Theory Research Paper No. 2014-5/6, 13; Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 18; Hauberg Wilhelmsen, Rz. 2.39, 2.41; Farah/Hourani in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 116, 147 f.; sowie HongLin Yu in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 68, 92; Kersting/ Kleine, FS Elsing (2015) 217, 222; Kindler, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 321, 330; s. auch schon Lazic´, (2012) 29 J. Int. Arb. 19, 24. 1075 So GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14 ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 125. 1076 Gustaf Möller, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 373, 384. 1077 Gustaf Möller, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 373, 384. 1078 Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 119. 1079 Kindler, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 321, 329; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 120. 1080 Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 473, 481. A.A. Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 17, der indes zugesteht, dass ErwGr. 12 Abs. 2 insoweit unklar und unglücklich formuliert sei. 1081 Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 473 f. A.A. Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 17.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
fenes Gericht, dass ebenfalls über die Wirksamkeit einer Schiedsabrede eine Feststellungsentscheidung treffen soll, kann nicht frei und ungehindert selber entscheiden,1082 sondern ist vielmehr an Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO und die zeitliche Priorität zugunsten des Erstgerichts gebunden.1083 Eine Leistungsklage und eine Feststellungsklage auf Unwirksamkeit der Schiedsabrede haben dagegen nicht denselben Streitgegenstand, so dass Art. 29 Brüssel Ia-VO nicht eingreift. Auf der anderen Seite bewirkt das Scheitern von Art. 29 Abs. 4 Vorschlag Brüssel Ia-VO, dass es an einer expliziten Litispendenzregelung für das Verhältnis zwischen Schiedsverfahren und Gerichtsprozess fehlt.1084 Negative Kompetenz-Kompetenz, dass nur das Schiedsgericht über die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung entscheiden dürfte, das Staatsgericht aber nicht, ist in der Brüssel Ia-VO eben nicht verbindlich verankert.1085 Eine deklaratorische Feststellung, dass jemand verpflichtet sei, nur vor dem Schiedsgericht zu klagen,1086 zumal wenn sie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgt, will das Verbot der antisuit injunction zum Schutz von Schiedsvereinbarungen umgehen und ist deshalb gleichermaßen unstatthaft.1087
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gg) Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Schiedsabreden Eine wieder andere Entwicklung sind Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Schieds- 214 abreden. Sie sichern das in einer Schiedsabrede liegende doppelte Gebot ab, nur vor dem Schiedsgericht Schiedsklage zu erheben und eine anderweitige Anspruchsdurchsetzung zu unterlassen. Nominell wird dieses Unterlassungsgebot durch Klage vor einem staatlichen Gericht verletzt und könnte damit nach allgemeinen Grundsätzen Schadensersatz als Sekundäranspruch auslösen.1088 Das Problem liegt jedoch beim Primäranspruch. Denn der Primäranspruch ist eben jener Unterlassungsanspruch, den zu sichern anti-suit injunctions als direkte Durchsetzung nicht zur Verfügung stehen, wenn man ernst macht mit dem Schutz der eigenen Entscheidungskompetenz für die staatlichen Gerichte.1089 Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Schiedsabreden müssen als Sekundäransprüche das Schicksal des Primäranspruchs teilen; soweit der Primäranspruch nicht durchgesetzt werden kann, kann man dies nicht umgehen, indem man auf den Sekundäranspruch ausweicht.1090 Dagegen ändert sich nichts durch die andere Art des Instruments und dadurch, dass bei einer antisuit injunction direkt, hier dagegen nur indirekt Einfluss auf die Zuständigkeit von staatlichen Gerichten ausgeübt wird.1091 Beides sind Druckmittel gegen den potentiellen Kläger vor einem staatli-
1082 1083 1084 1085 1086 1087 1088
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So aber Estrup Ippolito/Adler-Nissen, (2013) 79 Arb. 158, 168. Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 474; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 509. Carducci (2013) 29 Arb. Int. 467, 481; N. Peters, NIPR 2019, 299, 316 f. Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 7 (Leible); Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 482; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 509 sowie Usunier, RTDciv 2016, 837, 842. Dahin Briggs Rz. 12.83. Seriki, [2010] JBL 24, 31. CMA CGM SA v. Hyundai Mipo Dockyard Co Ltd. [2008] EWHC 2791 (Comm), [2009] 1 Lloyd’s Rep. 213 (Q.B.D., Burton J.); West Tankers Inc. v. Allianz SpA [2012] EWHC 854 (Comm) (Q.B.D., Flaux J.) = Rev. arb. 2012, 819 m. Anm. Bollée; Nori Holding Ltd. v. Public Joint-Stock Company (Bank Otkritie Financial Corp) [2018] EWHC 1343 (Comm) [101], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 80 (Q.B.D., Males J.); Kersting/Kleine, FS Elsing (2015) 217, 230; näher Briggs Rz. 12.52-12.59 (unter Hinweis auf Doleman v. Ossett Corp [1912] 3 KB 257, 267 [CA, per Fletcher Moulton L.J.]); Gambino, Riv. dir. int. priv. proc. 2010, 951; Varesis, (2019) 35 Arb. Int. 275, 287 f. R. Treves, Dir. comm. int. 28 (2014) 65, 88 f.; s. auch Hartley, (2014) 63 ICLQ 843, 863. Siehe Illmer, IPRax 2009, 312, 316; Illmer, SchiedsVZ 2011, 249, 251; Gambino, Riv. dir. int. priv. proc. 2010, 951; R. Treves, Dir. comm. int. 28 (2014) 65, 88 f.; Leandro, [2015] J Int Disp Settlement 188, 200; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 506 sowie zum Parallelproblem bei der angeblichen Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen Mankowski, IPRax 2009, 23, 30–32; Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 243–257 (Mankowski). A.A. inbesondere Antomo, Schadensersatz wegen der Verletzung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung (2017). Hartley, (2014) 63 ICLQ 843, 863 („Such a ruling [for damages for bringing court proceedings in violation of an arbitration agreement] would be an antisuit injunction in all but name.“); Lutzi, The Protection of Arbitration Agreements within the EU after West Tankers, Gazprom, and the Brussels I Recast (17.7.2015),
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich chen Gericht, und beides verfolgt denselben Zweck.1092 Man kann nicht auf englische Sichtweisen ausweichen, dass die anti-suit injunction ein eigenes remedy sei,1093 und dadurch die Zusammenhänge auflösen. Jurisdiktionelle und vertragliche Dimension von Schiedsabreden lassen sich nicht trennen.1094 Letztlich rechtsbasierte Schadensersatzansprüche sind kein reiner vertraglicher Rechtsbehelf, und sie können sich auch nicht von dem Zusammenhang mit Litispendenzfragen emanzipieren.1095 Den schiedsabredewidrig angerufenen Gerichten würde man einerseits erlauben, die vor ihnen anhängig gemachten Verfahren fortzuführen, würde sie aber andererseits zwingen, genau dies mit Schadensersatzsanktionen zu bestrafen.1096 Das wäre paradox und schizophren. e) Inkorporation von Schiedssprüchen 216
Entscheidungen staatlicher Gerichte, die Schiedssprüche in sich inkorporieren (namentlich nach der sog. doctrine of merger im englischen Verfahrensrecht), fallen nicht unter die Brüssel Ia-VO.1097 Der schiedsrechtliche Ausgangspunkt schlägt insoweit durch und setzt sich gegen das formell staatliche Gewand durch. Allerdings würde sich dies bei einer formalen Betonung und Differenzierung, welcher Spruchkörper entschieden hat, verschieben. Damit würden indes solche Rechtsordnungen, welche der doctrine of merger folgen, mittelbar besser gestellt und für durchsetzungsinteressierte Parteien interessanter als jene, die dies nicht tun. Praktisch dürften die Auswirkungen sowieso weitgehend gleich sein,1098 jedenfalls wenn man den aufnehmenden Entscheidungen nur den Charakter von Vollstreckbarerklärungen zuschreibt und sie damit in der Vollstreckungswirkung territorial auf ihren Erlassstaat beschränkt.1099 Einen Schiedsspruch bestätigende Entscheidungen fallen in gleicher Weise nicht unter die Brüssel Ia-VO.1100 Das Risiko der Vollstreckbarkeit sub specie Art. II UNÜ muss der Schiedskläger tragen und darf es nicht unterlaufen durch eine Entscheidung mit gleichem Inhalt wie der Schiedsspruch.1101
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Ebenso wenig sind ausländische Urteile, die einen Schiedsspruch für vollstreckbar erklären, nach der Brüssel Ia-VO anzuerkennen,1102 sie fallen also unter Abs. 2 lit. d.1103 Im Übrigen sprechen sie die Vollstreckbarkeit nur für das Gebiet des Urteilsstaates aus und beanspruchen ihrer Natur nach
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1100 1101 1102 1103
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http://conflictoflaws.net/2015/the-protection-of-arbitration-agreements-within-the-eu-after-west-tankers-gaz prom-and-the-brussels-i-recast. A.A. Penasa, Riv. arb. 2013, 158, 166. Zugestanden von Penasa, Riv. arb. 2013, 158, 166. So aber Penasa, Riv. arb. 2013, 158, 167. Lutzi, The Protection of Arbitration Agreements within the EU after West Tankers, Gazprom, and the Brussels I Recast (17.7.2015), http://conflictoflaws.net/2015/the-protection-of-arbitration-agreements-withinthe-eu-after-west-tankers-gazprom-and-the-brussels-i-recast. Entgegen Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 489. Leandro, [2015] J Int Disp Sett 1, 12 f. Schlosser-Bericht Nr. 65; B. Audit, Mélanges en l’honneur d’Yvon Loussouarn (1994) 15, 23; Kilgus, Zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung englischer Schiedssprüche in Deutschland (1995) 120 f.; Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 90; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 7; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 517; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 135 (2016); vgl. auch Kall, IHR 2018, 137, 138 f. Siehe allerdings West Tankers Inc v. Allianz SpA [2012] EWCA Civ 27, [2012] Bus LR 1701 (C.A.); Moses, Loyola University Chicago School of Law Public Law & Legal Theory Research Paper No. 2014-5/6, 24–26. Vgl. zu diesem Komplex BGH, RIW 2009, 721; BGH, RIW 1984, 557 m. Anm. Dielmann; BGH, RIW 1984, 644 m. Anm. Mezger; OLG Hamburg, RIW 1992, 99; OLG Frankfurt, IHR 2006, 212; Schütze, RIW 1984, 734; Schütze, RIW 2009, 817; Kilgus, Zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche in Deutschland (1995) 122 ff. App. Milano, Riv. dir. int. priv. proc. 1991, 1040; Arabian Business Consortium v. Banque Franco-Tunesienne [1996] 1 Lloyd’s Rep. 485, 488 f. (Q.B.D., Waller J.); Trib. cant. Ticino, Bull. ASA 2000, 359; a.A. OLG Hamburg, RIW 1992, 939; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 24. Rb. Rotterdam, TvA 2011, 69, 70. Cass. [2004] ILPr 685; OLG Stuttgart, RIW 1988, 480; Hof ’s-Gravenhage, TvA 2012, 82, 84; LG Hamburg, RIW 1979, 493; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 41; Kropholler/von Hein, Rz. 46; a.A. Högsta Domstolen, NJA 2005, 642, 643; Geimer/Schütze/Safferling/Wolf, (1997) Rz. 23. Siehe EuGH v. 13.5.2015 – C-536/13, ECLI:EU:C:2015:316 Rz. 44 – „Gazprom“ OAO vs. Lietuvos Respublika.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
nur territoriale Wirkung. Ihnen fehlt es daher schon an anerkennungsfähigen Wirkungen. Die Vollstreckbarerklärung muss für den Schiedsspruch in jedem Zweitstaat originär bewirkt werden. f) Anerkennung entgegen einer Schiedsabrede ergangener Entscheidungen zur Sache Unter die Brüssel Ia-VO fällt auch die Anerkennung einer Gerichtsentscheidung, die in Missachtung einer Schiedsabrede ergangen ist.1104 Das erkennende Gericht hat dann definitiv nicht im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit, sondern vielmehr in einer grundsätzlich seiner Kompetenz unterfallenden Zivilsache entschieden.1105 Die Schiedseinrede ist bloße Inzidentfrage, während die Klage eindeutig eine gerichtliche Streitsache ist.1106 Es besteht daher eine Pflicht zur Anerkennung nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO. Der Zweitstaat ist nicht berufen, den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO oder die Zuständigkeit des erststaatlichen Gerichts zu überprüfen, sondern allein den Umfang seiner Anerkennungspflicht.1107
218
ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO stellt klar, dass schiedsabredewidrige Gerichtsentscheidungen zur 219 Sache an der Urteilsfreizügigkeit teilnehmen.1108 Er reduziert insoweit die zu weit geratene Formulierung des ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO.1109 Letzteren könnte man nämlich, wenn es Abs. 3 nicht gäbe, dahin verstehen, dass jede Entscheidung, welche inzident die Unwirksamkeit einer Schiedsabrede feststellt, außerhalb der Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO stünde, denn immerhin will ErwGr. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ja auch Fälle erfassen, in denen die Entscheidung über die Wirksamkeit der Schiedsabrede bloße Vorfrage ist.1110 ErwGr. 12 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO besagt klar, dass dem nicht so sein soll.1111 Eine Entscheidung zur Sache bleibt eine Entscheidung zur Sache und genießt – vorbehaltlich Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO1112 – das volle Recht auf Anerkennung und Vollstreckung nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO,1113 also volle Zirkulationsfähigkeit nach dem Grundsatz des wechselseitigen Vertrau-
1104 Cass. civ., JCP G 2001 II 10787 m. Anm. Kaplan/Cuniberti = Rev. crit. dip. 90 (2001) 172, 173 m. Anm. Muir Watt = Rev. arb. 2001, 507 m. Anm. Idot = RGDA 2001, 126 m. zust. Anm. Heuzé; Cass. civ. D 2007, 2025 Anm. Delpech = Rev. arb. 2007, 805, 807 zust. Anm. Bollée; BGE 127 III 186, 187 f.; DHL GBS (UK) Ltd. v. Fallimento Finmatica SpA [2009] 1 Lloyd’s Rep. 430, 434 (Q.B.D., Tomlinson J.); The „Wadi Sudr“ [2009] EWCA Civ 1397, [2010] 1 Lloyd’s Rep. 193 (C.A.), ~ [2009] 1 Lloyd’s Rep. 666, 690 f. (Q.B.D., Gloster J.); Hascher Rev. arb. 1991, 697, 703; M. J. Schmidt, FG Sandrock (1995) 205, 208–212, 218–222; van Houtte, (1997) 13 Arb. Int. 85, 88; Besson in Études en l’honneur de Poudret (1999) 329, 343–345; Poudret, FS Sandrock (2000) 761, 769 f.; Beraudo, J. Int. Arb. 18 (2001) 13, 22; Loquin, RTD com. 2002, 47 f.; Bälz/Marienfeld, RIW 2003, 51, 52; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 25; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Art. 35 Rz. 33–43; Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 90; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 21 (2005); Balthasar/Richers, RIW 2009, 351, 355; Grierson, (2009) 26 J. Int. Arb. 891, 897; a.A. Briggs, (1991) 11 YB EL 521, 529; Weigand, EuZW 1992, 529, 531 f.; vgl. auch Hartley, (1991) 16 ELRev 529, 532; van Houtte, (2005) 21 Arb. Int. 509, 520 f. 1105 Siehe nur Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Art. 35 Rz. 39; Geimer, FS Heldrich (2005) 627, 645 f. 1106 OLG Düsseldorf, EuLF 2007, II-142, II-144; National Navigation v. Endesa Generación SA [2009] EWCA Civ 1397, [2010] 1 Lloyd’s Rep. 193 [34], [119] (C.A., per Waller and Moore-Bick LJJ.). 1107 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Art. 35 Rz. 39; Geimer, FS Heldrich (2005) 627, 646 sowie Kaplan/Cuniberti, JCP G 2001, 1797, 1798. 1108 Salerno, Riv. dir. int. 2013, 1146, 1174; Matray, J. dr. eur. 2014, 370, 375; De Ly, TvA 2015, 101, 110; Kindler, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 321, 330 f. 1109 Wie hier Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 510. Vgl. aber Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 183, die Abs. 3 im Lichte von Abs. 2 als eine Art Verlängerung verstehen will. Maruffi, Riv. dir. proc. 2014, 1416, 1432 kritisiert wiederum Abs. 3 als unglücklich und nicht gelungen. 1110 Siehe Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 32; van der Haegen, b-Arbitra 2016, 151, 165 m.w.N. 1111 Camilleri, (2013) 62 ICLQ 899, 903; Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 182; Hess, JZ 2014, 538, 540 f.; Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 32 sowie Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 475; Schlosser, FS Isaak Meier (2015) 587, 594. Verkannt von GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 127 mit Fn. 69. 1112 Salerno, Riv. dir. int. 2013, 1146, 1186; Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 33; s. aber auch Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 183; Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 176. 1113 Camilleri, (2013) 62 ICLQ 899, 909; Domej, FS Gottwald (2014) 97, 104.
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167
Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich ens.1114 Der Effektivität von Gerichtsentscheidungen zur Sache wird Vorrang eingeräumt.1115 Ganz genau betrachtet liegt in ErwGr. 12 Abs. 3 Brüssel Ia-VO eine doppelte Bezugnahme auf die Brüssel Ia-VO wie auf nationales Recht, da die Rechtsgrundlage von der Entscheidung zur Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung abhängt.1116 Dass verschiedene Gerichte die Wirksamkeit ein und derselben Schiedsvereinbarung unterschiedlich beurteilen mögen, ist eine nicht auszuschließende Möglichkeit und daher hinzunehmen.1117 220
Ohne Abs. 3 drohte Abs. 2 zum „Super-Torpedo“ zu mutieren, indem bereits die bloße Behauptung einer Schiedsabrede den Fall der Brüssel Ia-VO entziehen könnte.1118 Abs. 2 mag als Korrektur für bestimmte – zumal der Schiedsszene missliebige – Folgerungen aus der West Tankers-Entscheidung des EuGH und nationaler Folgerechtsprechung1119 angelegt sein.1120 Er mag einen favor arbitri wollen.1121 Wie rätselhaft das Verhältnis zwischen ErwGr. 12 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO im allgemeinen aber auch sein mag:1122 Jede Korrektur endet vor der klaren Aussage des Abs. 3 S. 1. Abs. 3 S. 1 schreibt die unter der Brüssel I-VO herrschende Meinung fort.1123 Er ist der Schiedsgerichtsbarkeit gegenüber nicht neutralitätswahrend wie Abs. 2.1124 Auch für Abs. 2 finden sich Vorbilder, dass eine Entscheidung allein über die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung und nicht zur Sache unter die Schiedsausnahme fiel.1125 Abs. 2 wird des Weiteren als Ausnahme dazu, dass Prozessentscheidungen, die sich nur der Zulässigkeit widmen, Urteilsfreizügigkeit genießen,1126 verstanden.1127
221
Zudem ist nicht jedes Anrufen eines Gerichts trotz von der Gegenpartei behaupteter Schiedsabrede automatisch schiedsabredewidrig.1128 Vielmehr kann die Behauptung, man habe eine Schiedsvereinbarung, ihrerseits eine Taktik sein.1129 Es geht nicht an, ein und denselben Fall je nach Einrede- und damit Vorfragenlage aus der Brüssel Ia-VO hinein- und herausvagabundieren zu lassen.1130
222
Die Missachtung der Schiedsabrede erfüllt als solche keinen der in Art. 45 Abs. 1 abschließend aufgezählten Anerkennungsversagungsgründe.1131 Insbesondere begründet sie keinen Verstoß gegen 1114 1115 1116 1117 1118 1119 1120 1121 1122 1123 1124 1125 1126
1127 1128 1129 1130 1131
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Kastanidis, EuLF 2018, 89, 91. Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 19. Salerno, Riv. dir. int. 2013, 1146, 1168 f. Briggs, Civil Jurisdiction Rz. 2.44. Illmer, RabelsZ 75 (2011) 645, 666 f.; Peter Arnt Nielsen, Liber amicorum Ole Lando (2012) 257, 273; Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 183; Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 183. Insbesondere National Navigation v. Endesa Generación SA [2009] EWCA Civ 1397, [2010] 1 Lloyd’s Rep. 193 (C.A.). Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 183. Bollée, Rev. arb. 2013, 979, 983 schreibt solchen Effekt ErwGr. 12 Abs. 1 zu Menétrey/Racine in E. Guinchard 13, 29 f. sehen im Gegenteil in ErwGr. 12 Abs. 3 Brüssel Ia-VO eine implizite Bestätigung von West Tankers. Siehe Salerno, Riv. dir. int. 2013, 1146, 1170; La Mattina/Cellerino, Dir. comm. int. 2014, 551, 568 f. M.-L. Niboyet, Rev. arb. 2012, 571, 586 sowie Harris, [2014] JIBFL 709, 711. Hauberg Wilhelmsen, (2014) 10 JPrIL 113, 124; Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 32 sowie La Mattina/ Cellerino, Dir. comm. int. 2014, 551, 569 f. Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 475. CA Paris, Rev. arb. 2007, 87, 89; Bollée, Rev. arb. 2007, 90, 92. EuGH v. 15.11.2012 – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 Rz. 33–43 – Gothaer Allgemeine Versicherung AG vs. Samskip AG; dazu Bach, EuZW 2013, 56; Torralba Mendiola/Rodríguez Pineau, REDI 2013-1, 219; Hartenstein, RdTW 2013, 267; Kremmel, Eur. L. Rpter. 2013, 199; Nioche, Rev. crit. dip. 102 (2013) 686; A. Henke, Dir. comm. int. 2013, 1085; H. Roth, IPRax 2014, 136. Salerno, Riv. dir. int. 2013, 1146, 1176 sowie Carducci, (2013) 29 Arb. Int. 467, 473. Radicati di Brozolo, (2011) 7 JPrIL 423. R. Treves, Dir. comm. int. 28 (2014) 65, 71. Nori Holding Ltd. v. Public Joint-Stock Company (Bank Otkritie Financial Corp) [2018] EWHC 1343 (Comm) [97], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 80 (Q.B.D., Males J.) gegen GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 in der Rs. C-536/14, ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 133. Bericht Evrigenis/Kerameus Nr. 62; Cass. civ., Rev. crit. dip. 90 (2001), 172, 173; BGE 127 III 186, 188; OLG Celle, RIW 1979, 191; OLG Hamburg, IPRax 1995, 391 (dazu Mansel, IPRax 1995, 362); OLG Stuttgart, IPRax 1987, 369; App. Milano, Riv. dir. int. priv. proc. 1991, 1040; The „Heidberg“ [1994] 2 Lloyd’s Rep. 287, 310 (Q.B.D., Judge Diamond QC); M. J. Schmidt, EWS 1993, 388, 395 f.; M. J. Schmidt, FG Sandrock (1995) 205, 218–224; Beraudo, 18 (1) J. Int. Arb. 13, 25 (2001); Bälz/Marienfeld, RIW 2003, 51, 52; Jegher 217; P. Mayer, Liber amicorum Claude Reymond (2004) 195; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
den ordre public des Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO, wie aus der Wertung des Art. 45 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO zu entnehmen ist.1132 Dies gilt vor allem, wenn das erststaatliche Gericht die Vorfrage nach der Wirksamkeit der Schiedsabrede beantwortet hat.1133 Der Urteilsfreizügigkeit liegen also auch über die Anerkennungsversagungsgründe keine prinzipiellen Steine im Weg; nur konkrete Entscheidungskollisionen mit im Schiedspunkt abweichenden Entscheidungen des Zweitstaates oder mit im Zweitstaat ergangenen oder anzuerkennenden Schiedssprüchen können über Art. 45 Abs. 1 lit. c, d Brüssel Ia-VO anderes bewirken.1134 Konflikte zwischen einander widersprechenden Hauptsacheentscheidungen aus verschiedenen Mitgliedstaaten sind über Art. 45 Abs. 1 litc, d Brüssel Ia-VO zu lösen.1135 Im Übrigen kann die Schiedseinrede eben wegen ihres Vorfragencharakters die Natur des entschiedenen Rechtsstreits nicht prägen.1136 Dem zweitstaatlichen Gericht zu gestatten, über die Einschlägigkeit der Ausnahme aus Abs. 2 lit. d zu entscheiden,1137 hieße, ihm entgegen Art. 45 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO zu gestatten, die Entscheidungskompetenz des Ursprungsgerichts nachzuprüfen.1138 Nur der frühere Erlass eines anerkennungsfähigen Schiedsspruchs könnte analog Art. 45 Abs. 1 lit. d der Anerkennung entgegenstehen.1139 Dies ist eine Mittellösung.1140 Sofern der Schiedsspruch nach zweitstaatlichem Recht res iudicata-Effekt hat, soll sogar eine Verletzung des zweitstaatlichen ordre public aus Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO vorliegen können.1141 Sec 32 (1) (a) Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982, der Schiedsklauseln missachtenden Entscheidungen die Anerkennung versagt, ist keine gegenteilige Argumentationsbasis,1142 denn sec 32 (4) (a) Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 akzeptiert ausdrücklich den Vorrang von Anerkennungspflichten aus der Brüssel Ia-VO.1143 Nationale Regelungen, die weiter gingen, wären unionsrechtswidrig und würden qua Anwendungsvorrang der Brüssel Ia-VO verdrängt.
223
Allerdings können Bindungen der zweitstaatlichen Gerichte aus völkerrechtlichen Übereinkommen der Brüssel Ia-VO hier gem. Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO vorgehen und mittelbar die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung zur Voraussetzung für die Anerkennung einer abweichenden Gerichtsent-
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1132
1133 1134 1135 1136 1137 1138 1139
1140 1141 1142 1143
EuGVVO Art. 35 EuGVVO Rz. 39; Geimer, FS Heldrich (2005) 627, 646; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 119 (2016). A.A. Markus, FS Heinrich Koller (2006) 441, 447 f.; Kindler, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 321, 331 f. OLG Celle, RIW 1979, 131; Killias, (2002) 4 Eur. J. L. Reform 119, 131; Bälz/Marienfeld, RIW 2003, 51, 53; Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 176; Steindl, FS Torggler (2013) 1181, 1197; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209; Domej, FS Gottwald (2014) 97, 104; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 45 Brussels Ibis Regulation Rz. 127 f.; Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 164 f. A.A. National Navigation Co v. Endesa Generacion SA (The „Wadi Sudr“) [2009] EWCA Civ 1397, [2010] 1 Lloyd’s Rep. 193 (C.A.), [2009] 1 Lloyd’s Rep. 666, 695 f. (Q.B.D., Gloster J.); Schlosser, Rev. arb. 1981, 371, 390; Haas, IPRax 1992, 292, 293 f.; Grierson, (2009) 26 J. Int. Arb. 891, 897, 901; Dickler, Schiedsgerichtsbarkeit und Reform der EuGVVO (2015) 64 f.; Briggs, 791 f. sowie Hauser, ecolex 2013, 526, 529. Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 46. Tendenziell andere Wertung bei Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 20. Unverständlich Hauser, ecolex 2013, 526, 528. Loquin, RTD com. 2002, 47, 48 f.; Layton/Mercer, Rz. 12.046. Dafür Beraudo, (2011) 18 J. Int. Arb. 13, 23; Ambrose, (2003) 19 Arb. Int. 3, 20. Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 46; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 35 Brussels I Regulation Rz. 48; Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 177. van Houtte, (1997) 13 Arb. Int. 85, 90 f.; Markus, FS Heinrich Koller (2006) 441, 451; Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 212 f., 214; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 120 (2016); vgl. auch Hartley, (1991) 16 ELRev 529, 532; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Art. 35 Rz. 37; Briggs, [2009] LMCLQ 161, 165 f.; Pfeiffer, ZZP 127 (2014) 409, 413; Usunier in Darmois/Glucksmann (Hrsg.), Procédures parallèles et décisions contradictoires (2015) 87, 97 f.; Leandro, [2015] J Int Disp Sett 1, 6–8; Kastanidis, EuLF 2018, 89, 91. Näher Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 226–228 (Mankowski). A.A. indes Cass. civ. D 2007, 2025 Anm. Delpech = Rev. arb. 2007, 805, 807; Bollée, Rev. arb. 2007, 808, 810 f. und umgekehrt (auch späterer Schiedsspruch) Hartley, (2014) 63 ICLQ 843, 65; Auda, (2016) 82 Arb. 122, 127. M.-L. Niboyet, Rev. arb. 2012, 571, 586. Mourre, ASA Bull. 2005, 408, 420. Vgl. anders Briggs/Rees, 48; Blanke, (2005) 16 Eur. Bus. L. Rev. 591, 617 f. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Art. 35 Rz. 43.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich scheidung erheben.1144 Insbesondere steht in Rede, in welchem Umfang Art. II (3) UNÜ das zweitstaatliche Gericht verpflichtet, die Schiedsklausel zu beachten und den Streitgegenstand als der Schiedsgerichtsbarkeit exklusiv zugewiesen zu betrachten.1145 Art. II (3) UNÜ erlegt allerdings keine Amtsprüfungspflicht auf, sondern erfordert eine entsprechende Einrede der interessierten Partei.1146 Eine Verpflichtung, die Anerkennung zu versagen, findet man in Art. II (3) UNÜ nicht expressis verbis.1147 Der direkte Ansatz bei Art. II (3) UNÜ ist aber jedenfalls etwas anderes als der indirekte Weg, Art. II (3) UNÜ zum Teil des zweitstaatlichen ordre public zu erheben.1148 225
Wenn ein Schiedsspruch im Zweitstaat für vollstreckbar erklärt ist, soll die zweitstaatliche Vollstreckbarerklärung gegenüber der schiedsabredewidrigen erststaatlichen Entscheidung den Anerkennungsversagungsgrund aus Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO auslösen.1149
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ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO besagt, dass bei schiedsabredewidrigem Erlass einer Gerichtsentscheidung die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines aufgrund der missachteten Schiedsabrede ergehenden Schiedsspruchs nach Art. V UNÜ möglich bleiben soll. Indes deutet dies nur eine Möglichkeit an. Immerhin hält es die Tür für eine Anerkennung des Schiedsspruchs abstrakt offen, obwohl das schiedsabredewidrige Sachurteil zirkuliert.1150 Es verhindert, dass die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs bereits a priori und abstrakt am Anerkennungsregime der Brüssel Ia-VO scheitern würde.1151 Ein konkretes Ergebnis gebietet es aber nicht1152 und kann es auch als bloßer ErwGr. nicht verbindlich vorgeben.1153 Zu beachten wäre, ob die Anerkennung des Schiedsspruchs nicht konkret an Art. V (2) lit. b UNÜ scheitert1154 oder ob ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO und Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO in ihrer Wertung in die gegenteilige Richtung weisen.1155
227
Praktisch steht zu erwarten, dass ein Gericht, welches die Wirksamkeit der Schiedsabrede verneint, eine Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs nicht aussprechen wird.1156 ErwGr. 12 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO räumt zwar dem UNÜ Vorrang ein, nimmt aber nicht das Ergebnis vorweg, welches das UNÜ erzielt, und schreibt insbesondere dem UNÜ kein Ergebnis vor.1157 Jedenfalls kann das UNÜ nur zum Zuge kommen, wenn es eine aus seiner Sicht wirksame Schiedsabrede gibt.1158 Das UNÜ kann nur Vorrang haben, soweit es etwas Bestimmtes gebietet.1159 Ein Rangverhältnis mit unbedingtem Vorrang des Schiedsspruchs stellt es nicht auf. Auf einer übergelagerten Ebene müsste man Konsistenz mit der Rechtsprechung des EuGH1160 zu Art. 71 Brüssel Ia-VO herstellen, welche
1144 Salerno, Riv. dir. int. 2013, 1146, 1186. Hauberg Wilhelmsen, (2014) 30 Arb. Int. 169, 184 hält dagegen, dass Art. 45 Abs. 1 nicht um einen schiedsabredebezogenen Tatbestand ergänzt worden sei. 1145 Hascher, (1997) 13 Arb. Int. 43, 60 f.; Béraudo, J. Int. Arb. 18 (2001), 13, 26 sowie Muir Watt, Rev. crit. dip. 90 (2001) 174, 175; La Mattina/Cellerino, Dir. comm. int. 2014, 551, 567. 1146 Kaplan/Cuniberti, JCP G 2001, 1797, 1798. 1147 Domej, FS Gottwald (2014) 97, 104; Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020), 168–170. 1148 Dafür Schlosser,(1991) 7 Arb. Int. 227, 234; M. J. Schmidt, FG Sandrock (1995) 205, 218 f.; van Houtte, (1997) 13 Arb. Int. 85, 88 sowie Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 35. 1149 Mourre, ASA Bull. 2005, 408, 420 sowie Radicati di Brozolo, (2011) 7 JPrIL 423, 455. 1150 Hauberg Wilhelmsen, (2014) 10 JPrIL 113, 124 f. 1151 Leandro, [2015] J Int Disp Sett 1, 8 f. 1152 Hess, JZ 2014, 538, 541; Menétrey/Racine, in E. Guinchard 13, 34. Anders wohl Rasia, Riv. trim. dir. proc. civ. 2014, 193, 209. 1153 Moses, Loyola University Chicago School of Law Public Law & Legal Theory Research Paper No. 2014-5/6, 14. 1154 R. Wolff/R. Wolff, Commentary on the New York Convention (2012) Art. v (2) (b) NYC Rz. 555; Steindl, FS Torggler (2013) 1181, 1197; Hess, JZ 2014, 538, 541; vgl. auch Camilleri, (2013) 62 ICLQ 899, 911 f. 1155 Dahin Malatesta, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 5, 21; Hartley, (2014) 63 ICLQ 843, 865; Kersting/Kleine, FS Elsing (2015) 217, 225; Auda, (2016) 82 Arb. 122, 127 (unter Hinweis auf Art. XIV UNÜ). 1156 Moses, Loyola University Chicago School of Law Public Law & Legal Theory Research Paper No. 2014-5/6, 14. 1157 Hess bei J. C. Scherpe, ZZP 127 (2014) 483, 488. 1158 La Mattina/Cellerino, Dir. comm. int. 2014, 551, 572. 1159 Pfeiffer, ZZP 127 (2014) 409, 414.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
die Ziele des Brüssel Ia-Systems sogar über den Respekt vor völkerrechtlichen Bindungen der Mitgliedstaaten stellt.1161 Insgesamt erfüllt eine Gleichstellung von Schiedssprüchen mit Entscheidungen unter einer Analogie Art. 45 Abs. 1 lit. c, d Brüssel Ia-VO am besten die zustellenden Anforderungen. Im Konflikt zwischen einem früheren ausländischen Schiedsspruch und einer späteren ausländischen Gerichtsentscheidung setzt sich ersterer nach dem Prioritätsprinzip durch.1162 Im umgekehrten Fall ist Art. V (2) lit. b UNÜ heranzuziehen und stellt der spätere ausländische Schiedsspruch kein Hindernis für die Anerkennung der früheren ausländischen Gerichtsentscheidung dar.1163 Ein inländischer Schiedsspruch setzt sich analog Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO immer, unabhängig von der zeitlichen Priorität, als Anerkennungshindernis gegen eine ausländische Entscheidung durch.1164
228
g) Prioritätskonflikte bei mehreren angerufenen Gerichten Bei mehreren angerufenen Gerichten sollte jedes von ihnen darüber entscheiden dürfen, ob eine Ausnahme nach Abs. 2 lit. d vorliegt, nicht nur das zuerst angerufene.1165 Zum einen würde das Prioritätsprinzip nach Art. 29 Brüssel Ia-VO ansonsten eine Partei begünstigen, die unter Bruch einer Schiedsabrede schnell bei einem ihr günstig erscheinenden Gericht klagt.1166 Zum anderen setzt auch Art. 29 Brüssel Ia-VO voraus, dass die Brüssel Ia-VO überhaupt anwendbar ist. Der Fall verhält sich eben anders als jener, bei dem beide die Gegenstände beider Streitverfahren sachlich klar unter die Brüssel Ia-VO fallen.1167 Art. 29–32 Brüssel Ia-VO sind jedenfalls nicht auf einen Prioritätsstreit zwischen staatlichem Gericht und Schiedsgericht anwendbar.1168 Dies löst vielmehr die Schiedseinrede vor dem staatlichen Gericht samt der Entscheidung darüber. Auch Art. 31 Abs. 2–4 Brüssel Ia-VO sind nicht analog anzuwenden, obwohl sie verwandte Gedanken verfolgen;1169 sie bedienen sich aber einer anderen Konstruktion und haben strengere Voraussetzungen als die Schiedseinrede.
229
h) Anerkennung der Entscheidungen staatlicher Gerichte durch Schiedsgerichte Ein Bereich, in dem Schiedsgerichte die Brüssel Ia-VO anwenden könnten und der Ausnahme aus 230 Abs. 2 lit. d zum Trotz auch anwenden sollten, ist die Anerkennung von Entscheidungen staatlicher Gerichte.1170 Es ist kein materieller Grund ersichtlich, weshalb Schiedsgerichte sich insbesondere über die materielle Rechtskraft und eine res iudicata sollten hinwegsetzen und ab ovo neu, gegebenenfalls auch in der Sache anders entscheiden dürfen.
1160 EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08 – TNT vs. Axa, EuGHE 2010, I-4107; EuGH v. 19.12.2013 – C-452/12 – Nipponkoa Insurance Ltd. vs. Inter-Zuid Transport BV, EuZW 2014, 220. 1161 Domej, FS Gottwald (2014) 97, 104; vgl. Hess, JZ 2014, 538, 541. 1162 Eingehend Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 212 f. 1163 Eingehend Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 214. 1164 Eingehend Mankowski, SchiedsVZ 2014, 209, 210–212, 213. 1165 Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd. v. New India Assurance Association Co Ltd. [2005] 1 All ER (Comm) 715, 728 f. (C.A., per Clarke LJ.) = [2005] 1 Lloyd’s Rep. 67; Harris [2005] LMCLQ 159, 165; Merrett, (2005) 64 C.L.J. 308, 309. 1166 Merrett, (2005) 64 C.L.J. 308, 309. 1167 Through Transport Mutual Insurance Association (Eurasia) Ltd. v. New India Assurance Association Co Ltd. [2005] 1 All ER (Comm) 715, 730 (C.A., per Clarke LJ.) = [2005] 1 Lloyd’s Rep. 67 = Riv. arb. 2005, 573 m. Anm. Fumagalli. 1168 Liatowitsch, Schweizer Schiedsgerichte und Parallelverfahren vor Staatsgerichten im In- und Ausland (Basel 2002) 139; Markus, FS Heinrich Koller (2006) 441, 446; Dickler, 28 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 102 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 107. A.A. Berti, FS Oscar Vogel (1991) 339, 349. 1169 Im Ergebnis ebenso Kersting/Kleine, FS Elsing (2015) 217, 228; Kindler, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 321, 323; vgl. auch Farah/Hourani in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 116, 148–150. 1170 Wie hier Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 112 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 108. Vgl. aber CMA CGM SA v. Hyundai Mipo Dockyard Co Ltd. [2008] EWHC 2791 (Comm) [45]-[47], [2009] 1 Lloyd’s Rep. 213, 223 (Q.B.D., Burton J.) sowie Farah/Hourani, (2018) 14 JPrIL 96, 112.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich 231
Freilich scheint dies eine weitere formelle Hürde überwinden zu müssen: In Art. 2 lit. d Brüssel IaVO (wie zuvor in Art. 32 Brüssel Ia-VO) steht „Gericht eines Mitgliedstaats“.1171 Dies bezieht sich jedoch nur auf das Organ, von welchem die anzuerkennende Entscheidung stammen muss. Genau dies ist bei einer Entscheidung eines staatlichen Gerichts aber gewahrt. Der Kreis der zur Anerkennung Verpflichteten wird dagegen in Art. 2 lit. d Brüssel Ia-VO nicht eingegrenzt.1172
232
Einen argumentativen Schritt weiter geht, wer aus dem auf staatliche Gerichte beschränkten Gerichtsbegriff darauf schließen will, dass schon Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO auf staatliche Gerichte als Normadressaten beschränkt sei; insbesondere sei in der englischen Fassung das Verständnis des Begriffs „tribunal“ aus Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO auf das Verständnis von „tribunal“ in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO zu übertragen.1173 Indes wäre dafür eine praesumtio similitudinis vorausgesetzt. Diese ist jedoch methodisch korrekt hier nicht anzusetzen, da der Kontext des Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO zu spezifisch ist, um verallgemeinerungsfähige Schlüsse aus der Wortverwendung in gerade dieser Norm zu tragen. Wenn man mit semantischen Argumenten operieren will, ist jedenfalls einzubeziehen, dass in den Zuständigkeitstatbeständen und in Art. 27, 28 Brüssel Ia-VO niemals „court and tribunal“, sondern immer nur „court“ steht.1174 Die Zuständigkeitstatbestände aber passen für Schiedsgerichte definitiv nicht. Außerdem bliebe bei besonderer Betonung einer ausgrenzenden Bedeutung von „court and tribunal“ zu klären, weshalb es dann überhaupt noch Abs. 2 lit. d geben sollte, dessen sachlicher Gehalt sich nach der kritisierten Lesart ja bereits aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO ergeben würde.1175
233
Zudem verwendet etwa der deutsche Text in Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO und in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO keineswegs eine gleich klingende Begrifflichkeit:1176 Dort steht ein „Gericht eines Mitgliedstaats“ (Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) gegen „Art der Gerichtsbarkeit“ (Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO). „Gericht eines Mitgliedstaats“ begegnet auch durchgängig in der deutschen Fassung der Zuständigkeitstatbestände. Die Zuständigkeitstatbestände aber haben für die Schiedsgerichtsbarkeit keine Relevanz. Die deutsche Fassung würde also eher nahelegen, „Gerichtsbarkeit“ in Abs. 1 S. 1 weiter zu verstehen.1177 Auffallender noch ist der Kontrast in der spanischen Fassung zwischen „tribunal“ und „órgano jurisdiccional“, in der portugiesischen zwischen „tribunal“ und „jurisdição“ und in der italienischen zwischen „giudizio“ und „organo giurisdizionale“.1178
234
Die Vollstreckung aus Entscheidungen staatlicher Gerichte durch Schiedsgerichte steht dagegen ebenso wenig in Rede wie die Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen staatlicher Gerichte, denn Schiedsgerichte sind eben keine Hoheitsträger. Sie können keine Vollstreckungstitel schaffen und können deshalb keine Vollstreckbarerklärung aussprechen.1179 Umso weniger können sie eine Zwangsvollstreckung durchführen. i) Andere Formen der Alternative Dispute Resolution (insbesondere Schlichtung und Mediation)
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Abs. 2 lit. d spricht nur von der Schiedsgerichtsbarkeit. Andere Formen der Alternative Dispute Resolution (ADR) erwähnt er dagegen nicht. Zu jenen anderen Formen der ADR zählen insbesondere Schlichtung (conciliation) und Mediation. Sie haben in den letzten Jahren immer mehr an Boden 1171 Layton/Mercer, Rz. 25.006 sowie CMA CGM SA v. Hyundai Mipo Dockyard Co Ltd. [2008] EWHC 2791 (Comm) [45] f., [2009] 1 Lloyd’s Rep. 213, 223 (Q.B.D., Burton J.). 1172 Mankowski, FS von Hoffmann (2011) 1012, 1016. 1173 Vgl. CMA CGM SA v. Hyundai Mipo Dockyard Co Ltd. [2008] EWHC 2791 (Comm) [45] f., [2009] 1 Lloyd’s Rep. 213, 223 (Q.B.D., Burton J.). 1174 Die französische Fassung verwendet freilich auch dort wie in Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO und in Art. 3 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO „juridiction“. 1175 Mankowski, FS von Hoffmann (2011) 1012, 1017. Vgl. im Ergebnis ähnlich, allerdings in anderem Zusammenhang, Kondring, RIW 2010, 184, 190. 1176 Wohl aber der französische („juridiction“), der niederländische („gerecht“) und der schwedische („domstol“). 1177 Mankowski, FS von Hoffmann (2011) 1012, 1017. 1178 Mankowski, FS von Hoffmann (2011) 1012, 1017. 1179 Mankowski, FS von Hoffmann (2011) 1012, 1017.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
gewonnen, weil sie kooperative Spiele und win-win-Situationen statt Konfrontation fördern und weil Schiedsverfahren namentlich in London sehr teuer sind. Soweit man die ratio des Abs. 2 lit. d darin sieht, Verfahren vor nicht-staatlichen Spruchkörpern und die Hilfsverfahren dazu auszuschließen,1180 erstreckt sich der Ausschluss erst recht auf solche Formen der ADR, die gerichtsferner und weniger gerichtsartig sind als Schiedsverfahren.1181 Sieht man die ratio dagegen vorrangig in der Rücksichtnahme auf die bestehenden internationalen Übereinkommen auf dem Feld der Schiedsgerichtsbarkeit, nämlich UNÜ und EÜ,1182 ließe sich diese ratio nicht erstrecken, denn weder für Schlichtung noch für Mediation gibt es bisher in Kraft befindliche Übereinkommen.1183 Für Schedsgutachten würden die gleichen Überlegungen gelten.1184 Sollte das UN-Übereinkommen über Mediationsvergleiche1185 jemals in Kraft treten, könnte dies ei- 236 ne legislative Reaktion im Rahmen einer Novelle der Brüssel Ia-VO nach sich ziehen. Die Ausgrenzung der Mediation ergibt sich teilweise jedenfalls über Art. 67 Brüssel Ia-VO, denn nach extensiver Vorbereitung1186 gibt es in der EU die MediationsRL1187, die ADR-RL1188 und die ODR-VO1189 samt ihren jeweiligen mitgliedstaatlichen Umsetzungs- oder Durchführungsgesetzen, in Deutschland insbesondere dem VSBG1190 zur ADR-RL.1191 Allerdings zählt Erwägungsgrund 20 MediationsRL eine Anerkennung und Vollstreckung von Mediationsergebnissen (seinerzeit) unter der Brüssel I-VO zu den möglichen Optionen.1192 Sofern sich ein Mediationsergebnis, ein außergerichtlicher Vergleich, in einer vollstreckbaren Urkunde (z.B. in Deutschland einem vollstreckbaren Anwaltsvergleich nach § 796a ZPO) niederschlägt, wechselt es in der Tat unter das Brüssel Ia-Regime. Richtigerweise sollte man daher die Beschränkung der Brüssel Ia-VO auf die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen betonen.1193 Schon der Titel spricht von „gerichtlicher Zuständigkeit“, und durch die gesamte Verordnung hindurch ist die Rede von „Gericht“, „Klage“, „Gerichtsbarkeit“.1194 Die Brüssel Ia-VO passt nicht für außergericht-
1180 Vgl. Nurmela, (2005) 1 JPrIL 115, 124. 1181 Vgl. Heidelberg Report/Hess, Rz. 137; C. Schmehl, Paralleverfahren und Justizgewährung (2011) 131; Kastanidis, EuLF 2018, 89 (89). 1182 Siehe Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 102. 1183 Mankowski in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 97, 121 f.; N. Peters, NIPR 2019, 299, 300 f. 1184 N. Peters, NIPR 2019, 299, 305 f. 1185 UN Convention on International Settlement Agreements Resulting from Mediation, UN Doc A/73/17 Annex I (Final Draft UNCITRAL 51st Session, Singapore 26 June 2018), adopted by the UN General Assembly on December 20, 2018 (Singapore Convention). Siehe außerdem UNCITRAL Model Law on International Commercial Mediation and International Settlement Agreements Resulting from Mediation 2018, UN Doc A/73/17 Annex II. 1186 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, von der Kommission vorgelegt am 22.10.2004, KOM (2004) 718; dazu Pitkowitz, ZKM 2005, 68; Pitkowitz, SchiedsVZ 2005, 81; Eidenmüller, SchiedsVZ 2005, 124; Petsche/Schmutzer, ecolex 2005, 293; Roth, IDR 2005, 114. 1187 Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2008 L 136/3; dazu u.a. G. Wagner/Thole, FS Kropholler (2008) 915; Bajons, FS Leipold (2009) 511; Vigoriti, Riv. arb. 2009, 1; Sujecki, EuZW 2010, 1. 1188 Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der VO (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. EU 2013 L 165/83. 1189 VO (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der VO (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. EU 2013 L 165/1. 1190 Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, BGBl. 2016 I 254. 1191 Zum VSBG im grenzüberschreitenden Verbrauchergeschäft insbesondere Gössl, RIW 2016, 473. 1192 Palao Moreno in Bergé/Francq/Gardeñes Santiago (Hrsg.), Boundaries of European Private International Law (2015) 79, 86. 1193 Siehe bereits Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 121. Wie hier Koehler/M. Müller in Leible/Terhechte (Hrsg.), Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht (2. Aufl. 2020) § 26 Rz. 36; Hau, ZZP Int 21 (2016) 157, 162 f. 1194 Hau, ZZP Int 21 (2016) 157, 162 f.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich liche Verfahren, die deshalb sachlich auszugrenzen sind.1195 Entsprechendes gilt für staatliche Hilfsverfahren, welche die Durchführung eines ADR-Verfahrens ermöglichen sollen. Wiederum reicht für eine Ausgrenzung aber eine bloße Schlichtungs- oder Mediationseinrede nicht aus. Die Ausgrenzung anderer ADR-Formen vermeidet zudem Probleme mit hybriden Formen, die ein Schiedselement aufweisen, namentlich Med-Arb,1196 Arb-Med-Arb1197 oder Conc-Arb. Gesetzessystematisch kann man zudem wiederum mit Art. 67 Brüssel Ia-VO und der MediationsRL1198 samt ihren nationalen Umsetzungen argumentieren.1199 238
Allerdings bleibt die Brüssel Ia-VO anwendbar, soweit die Ergebnisse von ADR-Verfahren eine unter Art. 58, 59 Brüssel Ia-VO fallende Gestalt haben.1200 Insbesondere scheint in Betracht zu kommen, dass ein Mediationsverfahren durch einen Anwaltsvergleich nach Art der §§ 796a ff. ZPO abgeschlossen wird,1201 der seinerseits die Grundlage für einen Vollstreckungstitel bildet. Dem steht aber bei strikter, wortlautbezogener Anwendung des Art. 59 Brüssel Ia-VO entgegen, dass der Vergleich vor einem Gericht geschlossen sein muss.1202 Die Vollstreckbarerklärung eines Anwaltsvergleichs wirkt nur im Inland und kann deshalb nicht ihrerseits im Ausland für vollstreckbar erklärt werden.1203
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Kleiden die Parteien das Ergebnis ihres Mediationsverfahrens in eine notarielle Urkunde, so genießt diese Urkunde alle Privilegien des Art. 58 Brüssel Ia-VO.1204 Insoweit kommt es auf das formelle Gewand an, nicht darauf, dass die Urkunde materiell das Ergebnis eines ADR-Verfahrens besiegelt. Die Parteien gehen hier eben den einen, entscheidenden formellen Schritt weiter und geben dem Ergebnis ein anderes Gewand. Man kommt weg vom bloß materiell-rechtlichen Vertrag zu einem anerkennungsfähigen Verfahrensakt. Der Weg zum Ergebnis versperrt nichts. Ein Anwaltsvergleich aber ist noch keine vollstreckbare Urkunde.1205
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Ein Verfahren alternativer Streitbeilegung ist auch das Verfahren vor der betrieblichen Einigungsstelle, die nach deutschem Betriebsverfassungsrecht aus § 109 BetrVG primär für Regelungs-, aber auch für Rechtsstreitigkeiten zuständig ist. Es handelt sich um einen besonderen Konfliktlösungsmechanismus des kollektiven Arbeitsrechts.1206 Abs. 2 lit. d auf es auszudehnen, zumal einschließlich Hilfsverfahren vor staatlichen Gerichten z.B. nach § 76 Abs. 2 S. 2, S. 3, Abs. 5 S. 4 BetrVG,1207 würde die ratio des Abs. 2 lit. d aber überdehnen.
1195 Wie hier Mankowski in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 97, 122. Zustimmend Fasching/Konecny/Kodek, Rz. 165. Ebenso für die Zuständigkeit López-Rodriguez, UfR 2005 B 124, 128. 1196 Vgl. Nurmela, (2005) 1 JPrIL 115, 127 f. 1197 Siehe zum Phänomen Singapore International Mediation Centre/Singapore International Arbitration Centre, SIMC-SIAC [xxx]Arb-Med-Arb Protocol, http://simc.com.sg/simc-siac-arb-med-arb-protocol. 1198 Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2008 L 136/3. 1199 Fasching/Konecny/Kodek, Rz. 165. 1200 Zustimmend Fasching/Konecny/Kodek, Rz. 165; Heidelberg Report/Hess, Rz. 136 sowie R. Birk, FS MüllerGraff (2015) 372, 380. Weiter López-Rodriguez, UfR 2005 B 124, 128. 1201 Siehe nur H. Prütting, BB Beil 9/1999, 7, 10; Steinbrück, AnwBl. 1999, 574, 577; Duve/Ponschab, Konsens 1999, 263, 268; Kraft, VersR 2000, 935, 939; Eidenmüller, RIW 2002, 1, 5; Trittmann/Merz, IPRax 2001, 178; Gottwald, FS Ishikawa (2001) 137, 147; Hacke, Der ADR-Vertrag (2001) 281–285. 1202 Rauscher/Staudinger, Art. 58 Brüssel Ia-VO Rz. 9. Übersehen von H. Koch, FS Schlosser (2005) 399, 409. 1203 Geimer, DNotZ 1991, 266, 285; vgl. auch Hacke, Der ADR-Vertrag (2001) 287 f.; H. Koch, FS Schlosser (2005) 399, 408. Dies übersehen Schütze, DZWir 1993, 133, 136 und Trittmann/Merz, IPRax 2001, 178, 180–183. 1204 Haft/von Schlieffen/Heß/Sharma, Handbuch Mediation (2. Aufl. 2009) § 26 Rz. 68 (nicht mehr in 3. Aufl. 2015). 1205 Haft/von Schlieffen/Heß/Sharma, Handbuch Mediation (2. Aufl. 2009) § 26 Rz. 68 (nicht mehr in 3. Aufl. 2015). 1206 Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 36. 1207 Dafür Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 37.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Eine Analogie zu Abs. 2 lit. d scheidet immer aus, wenn das ADR-Verfahren auf einer zwingenden ge- 241 setzlichen Anordnung und nicht auf Freiwilligkeit beruht. Denn insoweit nimmt der Staat die ADRMechanismen für sich in Anspruch und integriert sie in das von ihm vorgeschriebene Rechtsschutzsystem. Soweit Abs. 2 lit. d auf andere außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren als Schiedsverfahren zu er- 242 strecken ist, wäre es eigentlich konsequent, dies auch bei Verfahrenskonkurrenzen zwischen einem solchen außergerichtlichen Verfahren und einem Gerichtsverfahren zu beachten, wenn das ADR-Verfahren freiwillig und nicht kraft gesetzlicher Anordnung obligatorisch erfolgt. Jede Diskussion darum, wie weit oder eng der Gerichtsbegriff für die Zwecke der Litispendenzregeln unter Art. 32 Brüssel Ia-VO zu verstehen ist,1208 würde sich dann erübrigen, weil Art. 32 Brüssel Ia-VO nur zu befragen wäre, wenn Art. 1 Brüssel Ia-VO überhaupt die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO insgesamt eröffnet würde. Umgekehrt würden gesetzlich zwingend vorgeschriebene Schlichter oder Mediatoren – parellel Zwangsschiedsgerichten1209 – unter den Gerichtsbegriff fallen1210 und nicht zu den ADR-Mechanismen zählen, so dass Art. 32 Brüssel Ia-VO direkt anwendbar wäre. 6. Familienrechtliche Unterhaltspflichten (Abs. 2 lit. e) Abs. 2 lit. e statuiert eine Ausnahme für Unterhaltspflichten, die auf einem Familien-, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen. Die Regelung ist formell neu und hatte formell kein Pendant unter der Brüssel I-VO. Materiell ergab sie sich jedoch bereits mit dem Wirksamwerden der EG-UntVO.1211 Die EG-UntVO schnitt den genannten Bereich aus der Brüssel I-VO heraus, obwohl dies aus dem Wortlaut der Brüssel I-VO nicht ersichtlich war.
243
Abs. 2 lit. e macht die Rücksichtnahme auf die EG-UntVO nun explizit und auch für den nicht spe- 244 zialisierten Rechtsanwender offensichtlich.1212 Er nimmt auf den Buchstaben die Formulierung der in den sachlichen Anwendungsbereich der EG-UntVO fallenden Unterhaltspflichten aus Art. 1 Abs. 1 EG-UntVO auf. Nach Genese und Zwecksetzung folgt seine Auslegung daher der Auslegung des Art. 1 Abs. 1 EG-UntVO.1213 Dies ergibt sich zusätzlich aus dem Kontrast zur Formulierung der Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom I-VO; Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom II-VO. Diesen zufolge sind von der Rom I-VO bzw. der Rom II-VO ausgenommen Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis oder aus Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht vergleichbare Wirkungen entfalten, einschließlich der Unterhaltspflichten. Bei familienrechtlichem Rechtsgrund sind auch etwaige konsesuale Konkretisierungen oder Modifikationen ausgenommen.1214 Streitigkeiten um Prozesskostenzuschüsse zur Durchsetzung familienrechtlicher Unterhaltsforde- 245 rungen sollten als Annex zur unterhaltsrechtlichen Hauptssache unter Abs. 2 lit. e fallen.1215 Vollstreckungsabwehranträge gegen mitgliedstaatliche Unterhaltstitel sollen sich nur gegen das Vollstreckungsziel richten, das allgemein zivilrechtlich sei, dagegen nicht gegen den unterhaltsrechtlich
1208 Zum Komplex Botschaft des Schweizer Bundesrats zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung des revidierten Lugano-Übereinkommens BBl 2009, 1777, 1803; BG v. 6.7.2007 – 4A_143/2007 E 3.5; Lehman Brothers Finance AG v. Klaus Tschira Stiftung GmbH [2014] EWHC 2782 (Ch.) (Ch. D., J.); ArbG Mannheim, BeckRS 2008, 50555; Nieroba, Die europäische Rechtshängigkeit nach der EuGVVO an der Schnittstelle zum nationalen Prozessrecht (2006) 53 f.; Stumpe, IPRax 2009, 22; Eberl, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 57 sowie Markus, GPR 2019, 60, 63 f. 1209 Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 8, 160 (Mankowski). 1210 EuGH v. 20.12.2017 – C-467/16, ECLI:EU:C:2017:993 Rz. 53–55 – Brigitte Schlömp vs. Landratsamt Schwäbisch Hall; GA Szpunar, Schlussanträge v. 18.10.2017 in der Rs. C-467/16, ECLI:EU:C:2017:768 Rz. 58–62; M. Streicher, FamRB 2018, 57, 58, allerdings für Art. 62 LugÜbk 2007. 1211 Siehe nur Zilinsky, NIPR 2014, 3 (3); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 121. 1212 Siehe nur R. Wagner, TranspR 2015, 45, 47. Näher Viarengo in Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussel I (2012) 29 sowie Cerqueira, Rev. crit. dip. 2016, 285, 290–292. 1213 Ebenso Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 26; EG-UntVO Art. 1 Rz. 30 (Andrae); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 122 m.w.N. 1214 Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 123. 1215 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 13; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 124. A.A. Jayme, FamRZ 1988, 793; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 26 (vgl. aber auch Rz. 17).
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich einzustufenden Unterhaltstitel.1216 Dies würde indes das vollstreckungsrechtliche Gewand materiellrechtlicher Einwendungen gegen den titulierten Anspruch zu sehr betonen.1217 246
Für andere als familienrechtliche Unterhaltspflichten bleibt die Brüssel Ia-VO dagegen anwendbar. Insoweit besteht kein Konflikt mit der EG-UntVO, der zugunsten der EG-UntVO gelöst werden müsste. Sachlich trifft dies zuvörderst rein und konstitutiv auf Vereinbarung beruhende Unterhaltspflichten.1218 Daneben trifft es auf Delikt beruhende Unterhaltspflichten z.B. auf Unfallrente oder Leibrente, gleich, ob diese als periodischer Betrag oder als Einmalleistung bzw. Pauschale zu erbringen sind.1219 7. Erbrecht (Abs. 2 lit. f) a) Rücksicht auf die EU-ErbVO
247
Als eigener Buchstabe formuliert ist die Ausnahme nach Abs. 2 lit. f für das Gebiet des Testamentsund Erbrechts, einschließlich Unterhaltspflichten, die mit dem Tod eintreten. Sachlich neu ist dabei nur die Erwähnung jener Unterhaltspflichten. Bereits Abs. 2 lit. a Var. 6 Brüssel I-VO nahm von der Brüssel I-VO das Gebiet des Erbrechts einschließlich des Testamentsrechts aus. Dies traf z.B. Entscheidungen über die Feststellung subjektiver Erbrechte.1220
248
Indes hat sich das systematische und legislative Umfeld geändert. Für Erbfälle ab dem 17.8.2015 gilt die EU-ErbVO. Diese ist ein réglement quadruple. Sie hat vier Regelungsgegenstände: internationale Zuständigkeit; anwendbares Recht; Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen; Europäisches Nachlasszeugnis. Bei internationaler Zuständigkeit zum einen und Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung von Entscheidungen1221 zum anderen drohte es zu Überschneidungen mit der Brüssel Ia-VO zu kommen. Dem weicht Abs. 2 lit. f aus, indem er die Brüssel Ia-VO zurücknimmt. Ebenso wie zuvor die EG-UntVO gegenüber der Brüssel Ia-VO kann die EU-ErbVO Vorrang vor der Brüssel Ia-VO reklamieren.1222 Es erfolgt eine Binnenabgrenzung durch Ausnahmeregelung in der Brüssel Ia-VO.1223
249
Die Rücksichtnahme auf die EU-ErbVO ergibt sich zudem aus der Ausnahme für Unterhaltspflichten, die mit dem Tode entstehen. Denn Art. 1 Abs. 2 lit. e EU-ErbVO nimmt seinerseits die Unterhaltspflichten vom sachlichen Anwendungsbereich der EU-ErbVO aus – nur eben nicht jene Unterhaltspflichten, die mit dem Tod entstehen. Um Überschneidungen zu vermeiden, war es daher notwendig, sie korrespondierend vom Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO auszunehmen. Generell unterfallen der Brüssel Ia-VO solche Streitigkeiten, welche die EU-ErbVO nicht erfassen will, weil einer ihrer Ausnahmetatbestände aus Art. 1 Abs. 2 lit. a-l EU-ErbVO greift.1224
250
Intertemporal gibt es eine Fallgruppe, in welcher die EU-ErbVO noch nicht gilt, aber wegen Abs. 2 lit. f auch die Brüssel Ia-VO nicht greift: Verfahren, die nach dem 20.1.2015 anhängig gemacht werden, dem Zeitpunkt, zu welchem die Brüssel Ia-VO wirksam wird, und Erbfälle betreffen, die sich vor dem 17.8.2015 zugetragen haben, dem Zeitpunkt, ab welchem die EU-ErbVO anwendbar ist.
251
Allerdings bedient sich Abs. 2 lit. f nicht der gleichen Begrifflichkeit wie die EU-ErbVO, sondern führt primär die Begrifflichkeit aus Art. 1 Abs. 2 lit. a Var. 6 Brüssel Ia-VO fort. Nach Art. 1 Abs. 1 EU-ErbVO ist die EU-ErbVO anzuwenden auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen. Diesen grundlegenden Qualifikationsbegriff verwendet Abs. 2 lit. f nicht. Abs. 2 lit. f lässt auch nicht erkennen, 1216 BGH, FamRZ 2015, 653; Rauscher/Andrae, Art. 8 EG-UntVO Rz. 5, Art. 21 EG-UntVO Rz. 38; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht (2. Aufl. 2018) Rz. M 822. AG Köln, BecKRS 2019, 626 hat die Qualifikationsfrage dem EuGH vorgelegt; dazu Althammer, NZFam 2019, 236. 1217 Althammer, NZFam 2019, 236. 1218 Francq, T.B.H. 2013, 307, 326; Kessedjian, RTDEur 2013, 345, 347; Cerqueira, Rev. crit. dip. 2016, 285, 290–292. 1219 Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 125. 1220 LG München I, IPRax 1998, 117, 118 m. Anm. Jayme. 1221 So, mit dieser Dreigliederung, der vollständige und präzise Titel von Kapitel IV der EU-ErbVO. 1222 Ebenso Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 127. 1223 Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013) 31, 42; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 126. 1224 Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 127.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
dass er von der Ausfüllung der „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ durch Art. 3 Abs. 1 lit. a EU-ErbVO unmittelbar beeinflusst wäre. Laut Art. 3 Abs. 1 lit. a EU-ErbVO bezeichnet „Rechtsnachfolge von Todes wegen“ jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge. b) Testaments- und Erbrecht Erbrechtliche Streitigkeiten weisen in der Regel eine besondere Struktur auf. Sie orientieren sich re- 252 gelmäßig nicht an der Zweier-Konfrontationsstruktur des normalen Zivilprozesses. An ihnen ist regelmäßig eine Vielzahl von Personen beteiligt. Zudem unterscheiden sich die Sach- und Kollisionsrechte der Mitgliedstaaten erheblich; vielfach werden erbrechtliche Fragen zum ordre public gezählt und haben grundrechtlichen Einschlag. Diese Gründe tragen historisch den Ausschluss erbrechtlicher Verfahren schon aus dem EuGVÜ.1225 Für die Brüssel Ia-VO tritt die Abgrenzung zur zeitgleich entstehenden EuErbVO als zweites Motiv hinzu. Für die Qualifikation lohnt auch ein Blick auf Art. 23 EuErbVO, insbesondere auf dessen Abs. 2, in dem sich ein nicht abschließender Positivkatalog jedenfalls erbrechtlich zu qualifizierender Materien findet.1226 Zwar ist Art. 23 EU-ErbVO nur eine Qualifikationsnorm für den Umfang des Erbstatuts und stammt aus dem Komplex anwendbares Recht. Jedoch indiziert er auch, was vorbehaltlich besserer Erkenntnis und spezifischer Besonderheiten für die Komplexe der internationalen Zuständigkeit und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen ebenfalls dem Erbrecht zuzuschlagen sein könnte. Da Abs. 2 lit. f heute sogar in erster Linie der Abgrenzung zwischen Brüssel Ia-VO und EuErbVO dient, lässt sich als Faustformel formulieren, dass im Ausgangspunkt jedenfalls alles positiv erbrechtlich zu qualifizieren sein sollte, was von Art. 23 Abs. 2 EuErbVO erfasst ist.1227
253
Zu den erbrechtlichen Streitigkeiten zählen insbesondere Erbscheinerteilungsverfahren und die gerichtliche Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften.1228 Zum Erbrecht im Sinne von Abs. 2 lit. a zählen alle Ansprüche von Erben und Vermächtnisnehmern auf und an den Nachlass1229 einschließlich vorbereitender Auskunftsklagen,1230 außerdem Klagen aus einem Kodizill oder auf Gültigkeit eines Kodizills (nach österreichischem Erbrecht),1231 Herabsetzungsklagen von Noterben und Klagen der Pflichtteilsberechtigten (auf Pflichtteil oder Pflichtteilsergänzung1232), schließlich Prätendentenstreitigkeiten um den Nachlass oder Nachlassbeteiligungen1233 und in Österreich sog. Erbrechtsklagen.1234 Nachlassteilungsvereinbarungen oder entsprechende Vergleiche gehören ebenso zum erbrechtlichen Bereich.1235 Streitigkeiten um Gültigkeit oder Auslegung eines Testaments sind erbrechtlich.1236 Das Gleiche gilt für Streitigkeiten um gemeinschaftliche Testamente und um Erbverträ-
254
1225 Jenard-Bericht Zu Art. 1 Abs. 2; Conrad,107. 1226 Zustimmend Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 21; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 128. 1227 Janzen, DNotZ 2012, 486; Dutta, FamRZ 2013, 5; Dutta in MünchKomm/BGB, Bd. 11, 7. Aufl. 2018, Art. 1 EuErbVO Rz. 2, Art. 23 EuErbVO Rz. 1; Döbereiner, MittBayNot 2013, 359; Deixler-Hübner/Schauer/Mankowski, EuErbVO, 2015, Art. 1 EuErbVO Rz. 5; Mankowski, ErbR 2016, 550, 551 sowie Sana Hassib Sabbagh v. Wael Said Khoury [2017] EWCA Civ 1120 [151]-[153] (C.A., Ct judgment). 1228 Übersehen von BGH, EuLF 2009, II-94. 1229 Schlosser-Bericht Nr. 52; CA Luxembourg [2003] ILPr 283, 286; Kropholler/von Hein, Art. 1 EuGVO Rz. 28. 1230 HG Zürich, BlZürchRspr. 107 (2008) Nr. 11 S. 29. 1231 ÖstOGH, JBl 2000, 47. 1232 ÖstOGH, NZ 2012, 338 = iFamZ 2012, 270 = EF-Z 2013, 43; Czernich/Tiefenthaler/Czernich, Rz. 15 unter Hinweis auf OLG Linz v. 3.10.2000 – 1 R 97/00s bzw. OLG Graz v. 28.7.1999 – 2 R 68/99h; außerdem Frick, Jus & News 2004, 275, 287 f. 1233 Grunsky, JZ 1973, 641, 643; Conrad,118 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 18; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 21; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Rz. 15 (2005). A.A. Geimer, RIW 1976, 145. 1234 ÖstOGH, ZfRV 2001, 67. 1235 Højesteret, UfR 1995, 647, 648; Østre Landsret, UfR 1995, 647, 648. 1236 Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 28.
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Art. 1 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich ge, selbst wenn diese noch zu Lebzeiten des prospektiven Erblassers stattfinden. Erbrechtlich ist das Innenverhältnis einer ungeteilten Erbengemeinschaft.1237 255
Erbrechtlich können auch Streitigkeiten im Zusammenhang mit von Todes wegen entstehende trusts (Treuhandverhältnisse) z.B. nach englischem Recht1238 sein.1239 Allerdings ist zu differenzieren, wann wirklich erbrechtliche Streitigkeiten vorliegen.1240 Erbrechtlich zu qualifizieren sind Streitigkeiten um die Wirksamkeit der trust-begründenden letztwilligen Verfügung und Streitigkeiten zwischen dem testamentary trust bzw. dem Trustee auf der einen Seite und konkurrierenden Erbprätendenten auf der anderen Seite. Dies trifft funktionelle Testamentsungültigkeits-, Herabsetzungs- und Erbteilungsklagen.1241 Dagegen sind Streitigkeiten im Innenverhältnis des testamentary trust nicht erbrechtlich.1242
256
Erbrechtlich sind alle Streitigkeiten, welche die Testamentsvollstreckung als Institut oder die Einsetzung eines Nachlassverwalters betreffen.1243 Schenkungen von Todes wegen sind ebenfalls erbrechtlich,1244 dagegen nicht Schenkungen unter Lebenden,1245 sei es auch auf den Todesfall. Prozesse des Nachlasses oder der Erben gegen Dritte um Nachlassvermögenswerte oder aus Rechtsgeschäften des Erblassers sind dagegen nicht erbrechtlich.1246
257
Klagen wegen Verbindlichkeiten des Nachlasses ohne erbrechtliche Anspruchsgrundlage, insbesondere Klagen aus Schulden des Erblassers (z.B. aus Vertrag oder Delikt) sind nicht erbrechtlich.1247 Schulden des Erblassers sind selbst dann nicht erbrechtlich, auch wenn sie aus Anlass des Todes entstehen.1248 Erbrechtlich ist dagegen ein Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in Nachlassgegenstände gegen einen Testamentsvollstrecker.1249 Nicht erbrechtlich sind auch Erbschaftsklagen gegen bloße Erbschaftsbesitzer, weil bei diesen die Erbenposition bloße Vorfrage ist.1250 Gleiches gilt für Klagen wegen Ansprüchen des Nachlasses gegen Dritte.1251 Dies gilt erst recht, wenn ein Erbe (teilweise) Vereitelung seines Erbanspruchs gegen Dritte reklamiert.1252 c) Mit dem Tod entstehende Unterhaltspflichten
258
Abs. 2 lit. f macht für die mit dem Tod entstehenden Unterhaltspflichten eine weitere Ausnahme und klammert sie daher aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO aus. Vielmehr erfasst die EU-ErbVO kraft der ausdrücklichen Rückausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. e Var. 2 EU-ErbVO 1237 1238 1239 1240
1241 1242 1243 1244 1245 1246 1247 1248 1249 1250 1251 1252
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CA Luxembourg v. 2.3.2000, EuGH-Website 2001/49. Schlosser-Bericht Nr. 52; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 119; Conrad,108–159. Ebenso Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 154 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 132. Stieger, Der Schweizer Treuhänder 1992, 202, 203; Weingart, Anerkennung von Trusts und trustrechtlichen Entscheidungen im internationalen Verhältnis, unter besonderer Berücksichtigung schweizerischen Erbund Familienrechts (2010) Rz. 542; Hayton/P. Matthews/C. Mitchell, Underhill and Hayton on Trusts (19. Aufl. 2016) Rz. 100.223; T. M. Mayer, AJP 2017, 299, 305. T. M. Mayer, AJP 2017, 299, 305. Weingart, Anerkennung von Trusts und trustrechtlichen Entscheidungen im internationalen Verhältnis, unter besonderer Berücksichtigung schweizerischen Erb- und Familienrechts (2010) Rz. 543 f.; T. M. Mayer AJP 2017, 299, 305 f. sowie Conrad, 144–147. Kropholler/von Hein, Rz. 28; Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 28. Jenard-Bericht zu Art. 1 EuGVÜ Anm. IV A; Kropholler/von Hein, Rz. 30; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 154 (2016); Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 17; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 133; weiter Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 18. Magnus/Mankowski/Rogerson, Rz. 28; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 135. CA Paris, Clunet 124 (1997) 169 m. Anm. Huet; Kropholler/von Hein, Rz. 28. OLG München, ZEV 2012, 215; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 21; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 18; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 17; Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 137. Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 16; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 15. OLG München, ZEV 2012, 215, 216. Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 77; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 18; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 155 (2016); Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Rz. 136. BG v. 21.1.2014 – 4A_344/2013 E 2.1; Girsberger/Trüten, SJZ 2015, 96 (96); Mankowski, ErbR 2016, 550, 551. Siehe Sana Hassib Sabbagh v. Wael Said Khoury [2017] EWCA Civ 1120 [160]-[162] (C.A., Ct judgment); Sana Hassib Sabbagh v. Wael Said Khoury [2014] EWHC 2433 (Comm) [276], [283] (Q.B.D., Sue Carr J.).
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 1 Brüssel Ia-VO
Unterhaltspflichten, die erst mit dem Erbfall von Todes wegen entstehen.1253 Insoweit ist die funktionelle Nähe zu finanziellen Beteiligungen am Nachlass entscheidend. Dem Erblasser können mehrere funktionell verwandte und gleichwertige Wege und Konstruktionen offenstehen, um eine finanzielle Beteiligung am Nachlass ins Werk zu setzen. Gesetzliche Unterhaltspflichten von Todes wegen haben oft ähnliche Schutzfunktionen zugunsten von Ehegatten und nahen Verwandten wie zwangsweise Nachlassbeteiligungen nach Art eines Pflichtteils, einer réserve oder eine family provision.1254 Maßgeblich für eine unterhaltsrechtliche, nicht-erbrechtliche Qualifikation ist, ob die Unterhaltspflicht bereits dem Erblasser zu dessen Lebzeiten effektive Lasten auferlegt hat.1255 Erbrechtlich zu qualifizieren und anzuknüpfen sind insbesondere von Todes wegen entstehende 259 Rechte überlebender Ehegatten (oder Partner1256) mit Unterhaltscharakter, z.B. das Vorausvermächtnis nach § 785 ABGB oder der bedarfsabhängige Anspruch auf Versorgungsleistungen, family provisions, nach englischem Recht.1257 Von der EU-ErbVO erfasst sind aber auch alle anderen von Todes neu entstehenden Unterhaltsansprüche gegen den Nachlass, sei es von überlebenden Ehegatten (z.B. nach § 796 ABGB) oder von Kindern des Erblassers (z.B. nach § 142 ABGB), wenn es sich nicht um Erblasser-, sondern um Erbgangsschulden handelt.1258 Ansprüche gegen den Nachlass, die wesentlich Versorgungscharakter haben, aber mit Blick auf den Wegfall des Versorgers entstehen, stehen zwar auf der Grenze zum Unterhaltsrecht,1259 dürften aber trotzdem noch erbrechtlich einzuordnen sein.
260
Generell ist eine Abstimmung mit der EG-UntVO, dem HUP1260 und deren Maßstäben für eine un- 261 terhaltsrechtliche Qualifikation anzustreben,1261 um Friktionen und Diskrepanzen zu vermeiden. Dabei sollten EG-UntVO und HUP als die insoweit spezielleren Rechtsakte den Vorrang haben bei der Qualifikation, was als unterhaltsrechtlich einzuordnen ist und was nicht. So vermeidet man auch am besten Lücken zwischen EG-UntVO/HUP einerseits und EU-ErbVO andererseits. Es wäre kein glückliches Ergebnis, wenn einzelne Phänomene in ein Niemandsland fielen, weil das Erbrecht sie unterhaltsrechtlich einordnete, während das Unterhaltsrecht sie nicht-unterhaltsrechtlich einordnete. Richtigerweise ist daher unterhaltsrechtlich zu qualifizieren, ob eine Unterhaltsverpflichtung eine höchstpersönliche ist, also mit dem Tode des Erblassers erlischt.1262
III. Abweichungen unter Art. 1 LugÜbk 2007 Art. 1 LugÜbk 2007 entspricht dem Stand von Art. 1 Brüssel I-VO. Bei Abs. 1 enthält er den Schlussteil des Satzes 2 nicht. Die Abgrenzung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis für die Haftung von Staaten findet sich in ihm nicht ausdrücklich. Materiell begründet dies indes keine nennenswerte Abweichung.
262
Aus dem Ausnahmekatalog des Abs. 2 fehlt in Art. 1 Abs. 2 LugÜbk 2007 lit. e, die auf die EG-UnthVO zurückgehende Herausnahme der Unterhaltssachen. Unterhaltssachen fallen also weiterhin in den sachlichen Anwendungsbereich des LugÜbk 2007.1263 Dies wird augenfällig durch den besonde-
263
1253 Frodl, ÖJZ 2012, 950, 952; Bonomi in Bonomi/Wautelet, Le droit européen des successions (2. Aufl. 2016) Art. 1 Règ Rz. 33. 1254 Bonomi in Bonomi/Wautelet, Le droit européen des successions (2. Aufl. 2016) Art. 1 Règ Rz. 33. 1255 Bonomi in Bonomi/Wautelet, Le droit européen des successions (2. Aufl. 2016) Art. 1 Règ Rz. 34. 1256 Biagioni in Franzina/Leandro (a cura di), Il diritto internazionale privato europeo delle successioni mortis causa (2013) S. 25, 50. 1257 Scheuba in Schauer/Scheuba (Hrsg.), Europäische Erbrechtsverordnung (2013) 1, 12 mit Fn. 62. 1258 Fischer-Czermak in Schauer/Scheuba (Hrsg.), Europäische Erbrechtsverordnung (2013) 23, 26. 1259 Vgl. Stolz, 109–118. 1260 Haager Unterhaltsprotokoll = Hague Protocol of 23 November 2007 on the law applicable to maintenance obligations, ABl. EU 2009 L 331/19. 1261 Biagioni in Franzina/Leandro (a cura di), Il diritto internazionale privato europeo delle successioni mortis causa (2013) 25, 49–51. 1262 Bonomi in Bonomi/Wautelet, Le droit européen des successions (2. Aufl. 2016) Art. 1 Règ Rz. 32. 1263 Prominenter Anwendungsfall: BG v. 30.9.2019 – 5A_262/2019.
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Art. 2 Brüssel Ia-VO Begriffsbestimmungen ren Gerichtsstand für Unterhaltssachen, den Art. 5 Nr. 2 LugÜbk 2007 beibehält, während er in der Brüssel Ia-VO entfallen ist. 264
Rein redaktionell ist die Verschiebung der Ausnahme für das Testaments- und Erbrecht. In der Brüssel Ia-VO steht sie im neuen Art. 1 Abs. 2 lit. f, im LugÜbk in Art. 1 Abs. 2 lit. a. Allerdings ist aus Lugano-Sicht die Anlehnung an den Qualifikationskatalog des Art. 23 EU-ErbVO nicht direkt nachzuvollziehen, weil es sich um einen spezifischen Unionsrechtsakt handelt. Indes kann dieser Katalog sachliche Ausstrahlungswirkung haben.1264 Kein Pendant gibt es im LugÜbk 2007 zu Abs. 2 lit. f Var. 2 bei den Unterhaltspflichten, die von Todes wegen entstehen, es sei denn, man wollte dies als genuin erbrechtlich qualifizieren.
265
Eine sachliche Abweichung im Detail ist Abs. 2 lit. a aE. Das Güterrecht von Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfalten, wird in Art. 1 Abs. 2 lit. a LugÜbk 2007 nicht erwähnt. Eine sehr dynamische Interpretation mag diese Grenze überwinden, indem sie den Ehebegriff ausweitet. Keine unüberwindlichen Probleme sollte es jedenfalls bereiten, gleichgeschlechtliche Ehen als Ehen i.S.v. Art. 1 Abs. 2 lit. a LugÜbk 2007 zu begreifen.
266
Die Ausnahme für die Schiedsgerichtsbarkeit ist im Wortlaut des Abs. 2 lit. d unverändert geblieben und stimmt deshalb dem Buchstaben nach mit jener in Art. 1 Abs. 2 lit. d LugÜbk 2007 überein. Allerdings fehlt es im LugÜbk 2007 an einer Parallele zu ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO und damit an wesentlichen Strukturierungsschritten. In der Sache ist freilich nicht ausgeschlossen, dass sich die Auslegung des Art. 1 Abs. 2 lit. d LugÜbk 2007 in Auseinandersetzung mit ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO fortentwickelt.
Artikel 2 [Begriffsbestimmungen] Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck a) „Entscheidung“ jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten. Für die Zwecke von Kapitel III umfasst der Ausdruck „Entscheidung“ auch einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen, die von einem nach dieser Verordnung in der Hauptsache zuständigen Gericht angeordnet wurden. Hierzu gehören keine einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen, die von einem solchen Gericht angeordnet wurden, ohne dass der Beklagte vorgeladen wurde, es sei denn, die Entscheidung, welche die Maßnahme enthält, wird ihm vor der Vollstreckung zugestellt; b) „gerichtlicher Vergleich“ einen Vergleich, der von einem Gericht eines Mitgliedstaats gebilligt oder vor einem Gericht eines Mitgliedstaats im Laufe eines Verfahrens geschlossen worden ist; c) „öffentliche Urkunde“ ein Schriftstück, das als öffentliche Urkunde im Ursprungsmitgliedstaat förmlich errichtet oder eingetragen worden ist und dessen Beweiskraft i) sich auf die Unterschrift und den Inhalt der öffentlichen Urkunde bezieht und ii) durch eine Behörde oder einer andere hierzu ermächtigte Stelle festgestellt worden ist; d) „Ursprungsmitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung ergangen, der gerichtliche Vergleich gebilligt oder geschlossen oder die öffentliche Urkunde förmlich errichtet oder eingetragen worden ist; e) „ersuchter Mitgliedstaat“ den Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung der Entscheidung geltend gemacht oder die Vollstreckung der Entscheidung, des gerichtlichen Vergleichs oder der öffentlichen Urkunde beantragt wird; 1264 Näher zur Bedeutung weiterer EU-Rechtsakte für die Auslegung des LugÜ 2007 über Art. 1 Abs. 1 Prot. Nr. 2 zum LugÜ 2007 Mankowski, FS Kren-Kostkiewicz (2018) 203.
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Mankowski und Leible
Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 2 Brüssel Ia-VO
f) „Ursprungsgericht“ das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, deren Anerkennung geltend gemacht oder deren Vollstreckung beantragt wird. I. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nicht rechtskräftige Entscheidungen . . d) Zwischenentscheidungen . . . . . . . . e) Nebenentscheidungen . . . . . . . . . . f) Prozessvergleiche . . . . . . . . . . . . . g) Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) „Doppelexequatur“ . . . . . . . . . . . . i) Vollstreckungsakte . . . . . . . . . . . . j) Insolvenzrechtliche Entscheidungen . .
. . . . . . . . .
1 1 5 5 6 7 9 11 12
. . . .
13 17 18 19
3. Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gericht eines Mitgliedstaats . . . . . . . .
19a 19a 22
II. Gerichtlicher Vergleich (lit. b) . . . . . . . .
23
III. Öffentliche Urkunde (lit. c) . . . . . . . . . IV. Ursprungsmitgliedstaat (lit. d) . . . . . . .
28 31
V. Ersuchter Mitgliedstaat (lit. e) . . . . . . . . 1. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 40 43
VI. Ursprungsgericht (lit. f) . . . . . . . . . . . 1. Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ursprungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . .
49 50 53
I. Entscheidung 1. Allgemeines Eine Legaldefinition der „Entscheidung“ leitete in der bisherigen Brüssel I-VO das Kapitel über Anerkennung und Vollstreckung ein (Art. 32 a.F.). In der Neufassung findet sich die Definition nun in lit. a des neu geschaffenen Definitionskatalogs des Art. 2 Brüssel Ia-VO. Gleichwohl besteht die Hauptbedeutung der Vorschrift nach wie vor darin, den Kreis der nach Kap. III der Brüssel I-VO anerkennungs- und vollstreckungsfähigen Entscheidungen zu umreißen. Zu beachten ist jedoch, dass eine Anerkennung und Vollstreckung nach Kap. III nur bei solchen Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte in Betracht kommt, die in den sachlichen (Art. 1) und zeitlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO fallen. S. 1 entspricht Art. 32 a.F., der seinerseits inhaltlich nahezu unverändert aus Art. 25 EuGVÜ hervorgegangen ist.
1
Die Brüssel Ia-VO wird nicht durch die EG-VollstrTitelVO verdrängt. Letztere lässt vielmehr die 2 Möglichkeit des Gläubigers, die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung über eine unbestrittene Forderung stattdessen nach der Brüssel Ia-VO betreiben zu können, unberührt (Art. 27 EGVollstrTitelVO). Das ist auch sinnvoll, da die Mitgliedstaaten nicht zur Einführung eines EuVollstrTitels verpflichtet sind, sondern lediglich zu dessen Vollstreckung. Eine „Sperrwirkung“ gibt es aber auch dann nicht, wenn der Titel aus einem Staat stammt, in dem ein EuVollstrTitel hätte erlangt werden können. Und selbst wenn sich der Gläubiger die Entscheidung tatsächlich als EuVollstrTitel hat bestätigen lassen, ist er nicht an einer Vollstreckung nach Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO gehindert, mag dies auch wirtschaftlich wenig sinnvoll sein.1 Die mögliche Parallelität beider Verfahren begründet natürlich die Gefahr der Existenz von zwei Vollstreckungstiteln. Ob die Anforderungen des Art. 20 Abs. 2 EG-VollstrTitelVO Versuchen des Gläubigers, aus beiden zu vollstrecken, einen wirksamen Riegel vorschiebt,2 erscheint durchaus fraglich. Zur Not muss Missbrauchstatbeständen mit Hilfe des nationalen Zwangsvollstreckungsrechts begegnet werden.3 Zu den Einzelheiten vgl. Pabst in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 27 EG-VollstrTitelVO Rz. 1 ff. Das autonome Recht wird im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO vollständig verdrängt. Mitglied- 3 staatliche Gerichte dürfen daher einer nach der Brüssel Ia-VO anerkennungs- und vollstreckungsfähi1 Hess, EuZPR § 10 Rz. 37; Gebauer/Wiedmann/Klippstein, Kap. 31 Rz. 11; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 19; Musielak/Voit/Stadler, Vorbem. Europäisches Zivilprozessrecht Rz. 16; a.A. und für eine Ablehnung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung nach der Brüssel I-VO wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses BGH RIW 2010, 231 = LMK 2010, 303291 (Pfeiffer); OLG Stuttgart, EuZW 2010, 37; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 27 EuVTVO Rz. 1; Kienle, EuZW 2010, 334. 2 Vgl. dazu Rauscher, Der Europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen (2004) Rz. 176. 3 Gebauer/Wiedmann/Klippstein, Kap. 31 Rz. 11; Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453.
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Art. 2 Brüssel Ia-VO Begriffsbestimmungen gen Entscheidung niemals aufgrund zusätzlicher Anforderungen des nationalen Rechts, die sich sachlich mit den Anforderungen der Verordnung überschneiden, die Anerkennung und Vollstreckung versagen (näher Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 2). Ob es ihnen umgekehrt möglich ist, ein nach der Brüssel Ia-VO nicht anerkennungsfähiges Urteil gleichwohl aufgrund günstigeren autonomen Rechts anzuerkennen, ist bislang ungeklärt. Unter Geltung des EuGVÜ wurde von einem derartigen Günstigkeitsprinzip ausgegangen. Angesichts des Rechtsinstruments der Verordnung erscheint dies zweifelhaft.4 Die Brüssel Ia-VO dürfte dafür insoweit keinen abschließenden Charakter haben, sondern lediglich eine „Mindestvereinheitlichung“ vorsehen. Anders als ErwGr. 2 Brüssel Ia-VO a.F., dem man eine Differenzierung zwischen „Vereinheitlichung“ der Zuständigkeit und „Vereinfachung“ der Anerkennung und Vollstreckung entnehmen konnte, spricht ErwGr. 4 Brüssel Ia-VO nun nur noch von der Gewährleistung der raschen Anerkennung und Vollstreckung. Der interpretatorische Spielraum für ein liberaleres mitgliedstaatliches Anerkennungsrecht ist damit eher enger geworden (s. allerdings ErwGr. 33 S. 3 Brüssel Ia-VO zu einstweiligen Maßnahmen und dazu Rz. 15). Zu bedenken ist nach wie vor des Weiteren, dass mit Versagungsgründen immer auch Schutzanliegen verfolgt werden. Sie würden durch liberaleres mitgliedstaatliches Anerkennungsrecht konterkariert. Das Günstigkeitsprinzip kann daher im Rahmen der Brüssel Ia-VO keinen Bestand haben.5 4
Das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren darf nicht durch eine erneute Leistungsklage im Inland umgangen werden, und zwar selbst dann nicht, wenn die Vollstreckbarerklärung nach der Brüssel Ia-VO teurer ist als ein erneutes Klageverfahren.6 Eine neue Inlandsklage ist lediglich zulässig, sofern die ausländische Entscheidung im Inland nicht anerkannt und vollstreckt werden kann, weil es an den nach der Brüssel Ia-VO hierfür notwendigen Voraussetzungen fehlt.7 2. Entscheidung a) Begriff
5
Der Begriff der „Entscheidung“ ist autonom auszulegen. Er ist – wie bereits die Aufzählung „Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten“ deutlich macht – weiter als der des Urteils nach § 328 ZPO und umfasst alle von einem Rechtsprechungsorgan erlassenen Entscheidungen mit Außenwirkung, vorausgesetzt, sie zählen nicht zu den nach Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ausgeschlossenen Sachgebieten. Auf den Entscheidungsanspruch – Leistung oder Feststellung – kommt es nicht an. Auch muss es sich nicht ausnahmslos um eine Sachentscheidung handeln. Der Wortlaut erfasst „jede“ Entscheidung ohne inhaltliche Differenzierungen; Prozessurteile, wie etwa eine Klageabweisung wegen Unzuständigkeit, sind daher ebenfalls der Anerkennung fähig8 (zu den Konsequenzen vgl. insb. Art. 36 Brüssel IaVO Rz. 8 ff.). b) Form
6
Form und Inhalt der Entscheidung sind für ihre Anerkennung und Vollstreckung grundsätzlich ohne Bedeutung. Daher können auch Entscheidungen in abgekürzter Form (vgl. z.B. §§ 313a, 313b ZPO) nach der Brüssel Ia-VO anerkannt und vollstreckt werden.9 Anzuerkennen sind deswegen z.B. auch englische default judgments,10 selbst wenn sie ohne Nachprüfung des titulierten Anspruchs erlassen 4 Für eine Fortgeltung des Günstigkeitsprinzips Nagel/Gottwald, § 12 Rz. 4; Siehr, Internationales Privatrecht (2001) 528; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 45 Rz. 1. 5 Ebenso Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 11. 6 EuGH v. 30.11.1976 – 42/76 – De Wolf vs. Cox, EuGHE 1976, 1759 Rz. 9/10. 7 Kropholler, Rz. 7; a.A. LG Münster, RIW 1978, 686 mit abl. Bspr. Geimer, NJW 1980, 1234. 8 EuGH v. 15.11.2012 – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 – Gothaer Allgemeine Versicherung AG u.a. vs. Samskip GmbH, Rz. 23, 32 = IPRax 2014, 163 m. Bspr. Roth, 136 = EuZW 2013, 60 m. Anm. Bach, EuZW 2013, 56; dazu auch Hau, LMK 2013, 341521; Hartenstein, RdTW 2013, 267; ferner Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3; Czernich/Kodek/Mayr/Kodek, Art. 36 Rz. 16; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 14; a.A. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 32 a.F. Rz. 16; Geimer, FS Kaissis (2012) 287. 9 Musielak/Voit/Stadler, Rz. 2; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 3; Magnus/Mankowski/Wautelet, Rz. 5; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 5. 10 Cass., JDI 2007, 140.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 2 Brüssel Ia-VO
wurden.11 Allerdings kann eine abgekürzte Urteilsform die Prüfung, ob Versagungsgründe des Art. 45 Brüssel Ia-VO vorliegen, verkomplizieren und damit die Anerkennung insgesamt erschweren oder gar verhindern. Daher schließen §§ 313a Abs. 4, 313b Abs. 3 ZPO eine verkürzte Urteilsform aus, wenn zu erwarten ist, dass das Urteil im Ausland geltend gemacht werden soll. Stellt sich erst später die Notwendigkeit eines Gangs in das Ausland heraus, räumt § 313a Abs. 5 ZPO der Partei, die ein nach § 313a ZPO in verkürzter Form abgefasstes Urteil in einem anderen Mitgliedstaat geltend machen möchte, das Recht auf Urteilsvervollständigung „entsprechend“ den Vorschriften über die Vervollständigung von Versäumnis- und Anerkenntnisurteilen ein. Dies richtete sich (und richtet sich jedenfalls für Altfälle) nach § 30 AVAG. Allerdings gilt das AVAG gemäß seines neugefassten § 1 nicht mehr für Fälle der Brüssel Ia-VO; der Gesetzgeber scheint davon ausgegangen zu sein, dass das AVAG insgesamt keinerlei Bedeutung mehr für die Brüssel Ia-VO hat.12 Für die Fälle des § 313a Abs. 5 ZPO ergibt sich daraus keine größere Schwierigkeit, da man dessen impliziten Verweis auf das AVAG als konstitutiv begreifen kann. Für § 313b ZPO jedoch entstünde eine kaum erklärliche Lücke, zumal jedenfalls aus deutscher Sicht Unsicherheiten infolge fehlender Urteilsbegründungen zu Lasten des Vollstreckungsgläubigers gehen.13 Um entsprechende Schwierigkeiten im Ausland für die in Deutschland obsiegende Partei zu vermeiden, erscheint ein Anspruch auf Vervollständigung auch in den Fällen des § 313b ZPO weiterhin geboten. Wer den Anwendungsbereich von § 1 AVAG für nicht überwindbar hält (auch wenn § 30 AVAG selbst weiterhin auch von „Mitgliedstaaten“ spricht, obwohl er eigentlich nur für „Vertragsstaaten“ gelten dürfte), muss § 30 AVAG analog anwenden.14 Eine weitgehende Analogie für vom Anwendungsbereich des AVAG nicht erfasste Fälle wird ohnehin in der Literatur erwogen.15 c) Nicht rechtskräftige Entscheidungen Die Entscheidung muss nicht rechtskräftig sein.16 Die Brüssel Ia-VO verlangt keine „Endgültigkeit“, sondern eröffnet zur Verbesserung der Effektivität grenzüberschreitenden Rechtsschutzes auch nur vorläufig vollstreckbaren Entscheidungen die Möglichkeit ihrer grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung.17 Das ergibt sich bereits aus Art. 51 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, der dem Zweitrichter eine Aussetzung des Verfahrens gestattet, wenn gegen die Entscheidung ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt worden ist. Entscheidend ist, dass dem Judikat bereits im Zeitpunkt seines Erlasses Wirkungen zukommen.
7
Um eine Entscheidung i.S.v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO handelt es sich daher z.B. auch beim Zah- 8 lungsbefehl („ordinanza ingiuntiva di pagamento“) des italienischen Instruktionsrichters nach Art. 186ter der italienischen ZPO18 oder beim italienischen „decreto ingiuntivo“ (Mahnbescheid),19 das nach Einlegung des Widerspruchs gem. Art. 648 der italienischen ZPO für vorläufig vollstreckbar erklärt wird.20 Die Interessen des Beklagten werden durch Art. 51 Brüssel Ia-VO hinreichend berücksichtigt. Wird das decreto ingiuntivo in einem ex parte-Verfahren, also ohne vorheriges rechtliches 11 EuGH v. 2.4.2009 – C-394/07, ECLI:EU:C:2009:219 – Gambazzi vs. DaimlerChrysler Canada, EuGHE 2009 I 2563 Rz. 25 = NJW 2009, 1938 = EuZW 2009, 422 m. Anm. Sujecki = IPRax 2010, 164 m. Bspr. Cuniberti, 148 = LMK 2009, 289819 m. Anm. Schinkels; Hess, EuZPR § 6 Rz. 179; vgl. auch Cuniberti, ICLQ 57 (2008), 37 ff. 12 BT-Drucks. 18/823, 24. 13 BGH v. 26.8.2009 – XII ZB 169/07, NJW 2009, 3306, 3009. 14 Zum Ganzen Wilke, IPRax 2016, 41; zust. Stein/Jonas/Althammer, § 313b Rz. 26; BeckOK/ZPO/Elzer, (33. Ed., Stand 1.7.2019), § 313b Rz. 27. 15 Stein/Jonas/Althammer, § 313b ZPO Rz. 26; zuvor schon Leipold in Stein/Jonas (2008), § 313b Rz. 27. 16 Jenard-Bericht, 44 (zu Art. 26 EuGVÜ). 17 OLG Zweibrücken, RIW 2006, 709. 18 OGH, ZfRV 2000, 231; OLG Stuttgart v. 15.5.1997 – 5 W 4/97, RIW 1997, 684; RIW 2006, 863; Kropholler/von Hein, Art. 32 a.F. Rz. 21; Schlosser/Hess/Hess, Rz. 4; vgl. auch OLG Düsseldorf, RIW 2001, 620; OLG München I, IPRspr. 1999, Nr. 159; OLG Frankfurt v. 8.5.1992 – 20 W 356/91, RIW 1992, 677. 19 Näher zum italienischen Mahnverfahren m.w.N. Fabian, Die Europäische Mahnverfahrensverordnung im Kontext der Europäisierung des Prozessrechts (2010) 70 ff. 20 OLG Frankfurt, OLGR Frankfurt 2005, 96; OLG Zweibrücken, RIW 2006, 709; OLG Celle v. 3.1.2007 – 8 W 86/06, NJW-RR 2007, 718; Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im europäischen Rechtsverkehr (2010) 252; Schack, IZVR Rz. 900; vgl. auch OLG Köln, OLGR Köln 2005, 83.
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Art. 2 Brüssel Ia-VO Begriffsbestimmungen Gehör der Gegenpartei, bereits anfänglich in sofort vollstreckbarer Form erlassen (Art. 642 ital ZPO), kam mangels Vorliegens eines kontradiktorischen Verfahrens eine Einordnung als Entscheidung nicht in Betracht.21 Auf Basis der Neufassung kann es hierauf allerdings nicht mehr ankommen (Rz. 15). d) Zwischenentscheidungen 9
Zwischenentscheidungen von lediglich verfahrensinterner Bedeutung, die nur den weiteren Verfahrensgang gestalten und nicht auf eine Regelung von Rechtsverhältnissen unter den Parteien abzielen, fallen nicht unter Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO.22 So hat z.B. eine Entscheidung, in der eine Beweisaufnahme angeordnet wird, rein prozessualen Charakter und zählt daher nicht zu den Entscheidungen i.S.v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO,23 ebenso Beschlüsse über die Ladung von Zeugen oder die Bestellung eines Sachverständigen (zu Beweismaßnahmen vor Einleitung des Hauptsacheverfahrens unten Rz. 16). Letztlich nur von verfahrensinterner Bedeutung, weil nur eine innerprozessuale Bindungswirkung hervorrufend, ist das Grundurteil gem. § 304 ZPO, so dass es keine in anderen Mitgliedstaaten anerkennungsfähige Entscheidung darstellt.24
10
Hiervon zu unterscheiden sind Urteile über selbstständig einklagbare Parteipflichten, insb. zur Auskunfts- oder Informationserteilung. Sie sind keine Entscheidungen über den Verfahrensfortgang, sondern entscheiden vorläufig oder rechtskräftig über zwischen den Parteien bestehende Auskunftsund Informationsansprüche und sind daher auch im Rahmen der Brüssel Ia-VO anerkennungs- und vollstreckungsfähig.25 Ob auch der Musterentscheid nach dem Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – KapMuG)26 eine anerkennungsfähige Entscheidung ist, ist hingegen zweifelhaft.27 Vom Gesetzgeber war dies zwar intendiert,28 doch spricht der Umstand, dass der Musterbescheid nur einzelne Anspruchselemente feststellt oder zu einer vorgreiflichen Rechtsfrage ergeht, eher gegen eine Subsumtion unter Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO.29 e) Nebenentscheidungen
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Entscheidungen i.S.v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO sind nicht nur Hauptsacheentscheidungen, sondern auch verselbstständigte Nebenentscheidungen, vor allem Kostenentscheidungen und insb. die ausdrücklich genannten Kostenfestsetzungsbeschlüsse,30 sofern die Hauptsacheentscheidung vom Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO erfasst wird.31 Dies gilt auch für Kostenfestsetzungsbeschlüsse für einstweilige Verfügungen.32 Der Beschluss muss jedoch von einem Gericht(-sbediensteten) erlassen worden sein. Nicht ausreichend ist daher z.B. die Festsetzung von Anwaltskosten durch eine fran21 OLG Zweibrücken v. 22.9.2005 – 3 W 175/05, OLGR Zweibrücken 2006, 218 = InVo 2006, 212; OLG Celle, NJR-RR 2007, 718; Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im europäischen Rechtsverkehr (2010) 252. 22 Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 163; Kropholler/von Hein, Art. 32 a.F. Rz. 24; a.A. Hess, EuZPR § 6 Rz. 183. 23 OLG Hamm v. 14.6.1988 – 20 W 24/88, RIW 1989, 566 m. Anm. Bloch; OLG Hamburg, IPRax 2000, 530; Schlosser/Hess/Hess, Rz. 15; Schack, IZVR Rz. 901. 24 Nur im Grundsatz ebenso Schlosser/Hess/Hess, Rz. 17. 25 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 21; differenzierend Schlosser/Hess/Hess, Rz. 16. 26 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz vom 16.8.2005, BGBl. 2005 I 2437, geändert durch Art. 12 des Gesetzes vom 5.1.2007, BGBl. 2007 I 10. 27 Dafür etwa Schlosser/Hess/Hess, Rz. 17; Schlosser/Hess/Hess, EuZPR § 6 Rz. 184. 28 BR-Drucks. 2/05, 68 f. 29 Gottwald in MünchKomm/ZPO, § 325a ZPO Rz. 18; Lüke, ZZP 119 (2006), 148 ff.; Meier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 114 f. 30 Vgl. dazu etwa OLG Saarbrücken v. 11.8.1989 – 5 W 71/89, IPRax 1990, 232 m. Bspr. Reinmüller, 207. 31 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 8; Kropholler/von Hein, Art. 32 a.F. Rz. 9. Fällt die Hauptsacheentscheidung nur zum Teil in den Anwendungsbereich der VO (z.B. Abstammungs- und Unterhaltsurkunden), erkennen die Gerichte im Interesse der Erleichterung des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs die gesamte Kostenentscheidung an, vgl. Kropholler/von Hein, Art. 32 a.F. Rz. 9; Czernich/Kodek/Mayr/Kodek, Art. 36 Rz. 23. 32 Selbst unter Geltung der Anforderung eines kontradiktorischen Verfahrens nach Art. 32 a.F., Sujecki, IPRax 2010, 562, 564 zu Hoge Raad LJN BD 7584.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 2 Brüssel Ia-VO
zösische Rechtsanwaltskammer,33 wohl aber die gerichtliche Vollstreckbarerklärung eines solchen französischen Anwaltskostenbeschlusses34 und ebenso die richterliche Vollstreckbarkeitsverfügung nach Art. 32 des niederländischen Tarifgesetzes.35 Um Entscheidungen i.S.d. Vorschrift handelt es sich auch bei Kostenfestsetzungen nach §§ 104 ff. ZPO oder § 11 RVG,36 nicht hingegen bei Gerichtskostenrechnungen; denn die Kostenrechnung betrifft eine öffentlich-rechtliche Forderung, die weder durch eine gerichtliche Entscheidung eines Zivilgerichts noch einen förmlichen Kostenfestsetzungsbeschluss tituliert ist.37 f) Prozessvergleiche Prozessvergleiche (vgl. unten Rz. 23 ff.) sind keine Entscheidungen i.S.v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO, 12 da sie nicht von einem Rechtsprechungsorgan erlassen werden, sondern ihr Inhalt vor allem durch den Willen der Parteien determiniert wird und damit im Wesentlichen vertraglicher Natur ist.38 Ihre Anerkennung und Vollstreckung richtet sich nach Art. 59 f. Brüssel Ia-VO. Indes ist die Grenze zwischen Prozessvergleich und gerichtlicher Entscheidung fließend. Beschränkt sich die Tätigkeit des Gerichts nicht nur auf die Beurkundung des Vergleichs, sondern wird der Vergleich in das richterliche Urteil aufgenommen und bildet dieses einen Vollstreckungstitel, so stellt es auch eine „Entscheidung“ i.S.v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO dar und kann anerkannt und vollstreckt werden.39 Ob es sich bei „undertakings“ des englischen Prozessrechts, d.h. prozessuale Verpflichtungserklärungen einer Partei ggü. dem Gericht, um Entscheidungen i.S.v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO handelt, ist ebenso umstritten40 wie die Einordnung der gerichtlichen Bestätigung eines englischen „scheme of arrangement“.41
33 OLG Koblenz v. 5.11.1985 – 14 W 638/85, IPRax 1987, 24 m. Bspr. Reinmüller, 10; näher Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im europäischen Rechtsverkehr (2010) 241 f. 34 BGH, NJW-RR 2006, 144 = JR 2006, 428 m. Anm. Gruber; OLG Bamberg IPRspr. 2006 Nr. 193; OLG München I, IPRspr. 1992 Nr. 223; LG Karlsruhe v. 7.12.1990 – 11 O 192/90, RIW 1991, 156 m. Bspr. Schmidt, 626 = IPRax 1992, 92 m. Bspr. Reinmüller, 73; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 8; Nagel/Gottwald, § 15 Rz. 33; Gruber, VersRAl 2004, 32; Gruber, ZVglRWiss 107 (2008), 22; Hök, JurBüro 1989, 1335; Kropholler/von Hein, Art. 32 a.F. Rz. 9; Reinmüller, IPRax 1987, 10 f.; Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im europäischen Rechtsverkehr (2010) 244; Schmidt, RIW 1991, 628; Schmidt, Die internationale Durchsetzung von Rechtsanwaltshonoraren (Diss. Münster 1990) 100; a.A. LG Hamburg v. 31.8.1987 – 5 O 420/87, IPRax 1989, 162 m. Bspr. Reinmüller, 142. 35 LG Hamburg IPRspr. 1978 Nr. 165; offen gelassen von OLG Düsseldorf v. 23.8.1995 – 3 W 176/95, IPRax 1996, 415 m. Bspr. Tepper, 398; näher dazu Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im europäischen Rechtsverkehr (2010) 245 ff.; Renna, Jura 2009, 121. 36 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 8; Kropholler/von Hein, Art. 32 a.F. Rz. 9; Schack, IZVR Rz. 900; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer Rz. 16; vgl. auch OLG Hamm v. 11.12.1994 – 23 W 221/94, IPRax 1996, 414 m. Bspr. Tepper, 398. Ausf. zu Kostenfestsetzungen nach § 104 ZPO oder § 11 RVG Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im europäischen Rechtsverkehr (2010) 238 ff. 37 BGH, AGS 2001, 20; OLG Schleswig v. 15.3.1996 – 9 B 7b 2/96, RIW 1997, 513; KG v. 7.7.2005 – 1 AR 32/02, KGReport Berlin 2005, 881; Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im europäischen Rechtsverkehr (2010) 238. 38 EuGH v. 2.6.1994 – C-414/92, ECLI:EU:C:1994:221, IPRax 1995, 241 – Solo Kleinmotoren vs. Boch, EuGHE 1994 I 2237 Rz. 18; Joseph, Jurisdiction and arbitration agreements and their enforcement (2005) Rz. 2.74, Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im europäischen Rechtsverkehr (2010) 254. 39 Frische, Verfahrenswirkungen und Rechtskraft gerichtlicher Vergleiche. Nationale Formen und ihre Anerkennung im internationalen Rechtsverkehr (2006) 146 f.; von Hoffmann/Hau, IPRax 1995, 218; Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR Rz. Art. 32 a.F. 41; Hess, EuZPR § 6 Rz. 177. Vgl. zu einer consent order Landhurst Leasing Plc. v. Marcq [1997] EWCA Civ 2906; ebenso zum jugement d’expédient des belgischen und französischen Rechts Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im europäischen Rechtsverkehr (2010) 254. 40 Bejahend Schlosser/Hess/Hess, Rz. 20; Schlosser/Hess/Hess, EuZPR § 6 Rz. 177; zweifelnd Kropholler/von Hein, Art. 32 a.F. Rz. 16; ausf. Schlosser, RIW 2001, 88 ff.; vgl. außerdem zu grenzüberschreitenden Undertakings und dem Haager Kindesentführungsabkommen Mäsch, FamRZ 2002, 1069. 41 Für eine Behandlung als Entscheidung i.S.v. Art. 32 Brüssel Ia-VO LG Potsdam v. 22.10.2008 – 2 O 501/07; Mankowski, EWiR 2009, 711; Petrovic, ZInsO 2010, 265; Tyrell/Heitlinger/Stern, VW 2007, 1695; a.A. OLG Celle v. 8.9.2009 – 8 U 46/09, ZIP 2009, 1968; Schnepp/Janssen, VW 2007, 1057. Zur Rechtslage nach dem Brexit Sax/Swierczok, ZIP 2017, 601.
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Art. 2 Brüssel Ia-VO Begriffsbestimmungen g) Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes 13
Schon unter der Brüssel I-VO war anerkannt, dass vorläufige Entscheidungen, die im Erststaat noch der Abänderung unterliegen können und also nicht endgültig sind, grundsätzlich vom Begriff der „Entscheidung“ erfasst waren und somit einstweilige Maßnahmen – wie etwa Arreste,42 einstweilige Verfügungen und vorläufige Anordnungen – unter die gem. Art. 32 ff. Brüssel Ia-VO a.F. anzuerkennenden Entscheidungen fielen.43 Dies bestätigt ausdrücklich der neue Art. 2 lit. a S. 2 Brüssel Ia-VO, allerdings unter der Voraussetzung, dass es sich um die Maßnahme eines nach der Brüssel Ia-VO auch in der Hauptsache zuständigen Gericht handelt. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass gem. Art. 35 Brüssel Ia-VO einstweilige Maßnahmen auch bei auf der Grundlage autonomen Rechts zuständigen Gerichten beantragt werden können (näher Art. 35 Brüssel Ia-VO Rz. 1 ff., Rz. 39 ff.). Es ist nicht erforderlich, dass das nationale Recht eine identische Anordnung vorsieht (Art. 54 Brüssel Ia-VO). Doch sind einige Besonderheiten zu beachten.
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Der sehr weite Anwendungsbereich wurde vom EuGH zum einen dadurch empfindlich eingeschränkt, dass es sich seiner Auffassung nach bei Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes dann um keine Entscheidung i.S.v. Art. 32 Brüssel Ia-VO a.F. handelt, wenn der Gegner nicht in einer mündlichen Verhandlung gehört und nicht geladen worden ist.44 Der EuGH begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Bestimmungen der Brüssel I-VO, und zwar sowohl die des Kapitels II (Zuständigkeit) als auch die des Kapitels III (Anerkennung und Vollstreckung) insgesamt das Bestreben zum Ausdruck brächten, sicherzustellen, dass im Rahmen der Ziele der VO die Verfahren, die zum Erlass gerichtlicher Entscheidungen führen, unter Wahrung des rechtlichen Gehörs durchgeführt werden. Im Hinblick auf die dem Beklagten im Urteilsverfahren eingeräumten Garantien handhabe die Brüssel I-VO in ihrem Kapitel III die Anerkennung und Vollstreckung sehr großzügig. Im Lichte dieser Erwägungen werde deutlich, dass die VO maßgeblich auf solche gerichtlichen Entscheidungen abstellt, denen, bevor in einem anderen Staat ihre Anerkennung und Vollstreckung beantragt wurde, im Urteilsstaat nach unterschiedlichen Modalitäten ein kontradiktorisches Verfahren vorangegangen ist oder hätte vorangehen können.45 Daher konnten gerichtliche Entscheidungen, durch die einstweilige oder auf eine Sicherung gerichtete Maßnahmen angeordnet werden und die ohne Ladung der Gegenpartei ergangen oder ohne vorherige Zustellung vollstreckt werden sollen, nicht nach der Brüssel I-VO anerkannt und vollstreckt werden.46 Immerhin ließ der EuGH es aber genügen, dass zumindest die Möglichkeit eines kontradiktorischen Verfahrens bestand. Auch wenn die in Frage stehende Entscheidung am Ende eines nicht kontradiktorischen ersten Abschnitts eines Verfahrens erging, reicht es aus, wenn sie durchaus Gegenstand einer kontradiktorischen Erörterung hätte sein können, bevor sich die Frage ihrer Anerkennung oder Vollstreckung nach der Brüssel I-VO stellte (zu Beispielen Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Art. 32 Rz. 12a).47 Damit verlor gleichwohl der 42 Zur Vollziehungsfrist gem. § 929 Abs. 2 ZPO für einen für vollstreckbar erklärten ausländischen Arresttitel vor dem Hintergrund der Brüssel I-VO s. EuGH v. 4.10.2018 – C-379/17 – Società Immobiliare Al Bosco = NJW 2019, 581 = EuZW 2019, 37 m. Anm. R. Wagner; hierzu Rademacher, GPR 2019, 109. 43 EuGH v. 14.10.2004 – C-39/02 – Mærsk Olie & Gas vs. de Haan en de Boer, EuGHE 2004 I 9657 Rz. 46; für ein Praxisbeispiel s. Cass. JDI 2011, 631 m. Anm. Cuniberti; Kropholler/von Hein, Art. 32 a.F. Rz. 22; a.A. Dalhuisen, FS Riesenfeld, 1983, 18, 21. 44 EuGH v. 21.5.1980 – 125/79, ECLI:EU:C:1980:130 – Denilauler vs. Couchet Frères, EuGHE 1980 1553 = IPRax 1981, 95 m. Bspr. Hausmann, 79. Vgl. dazu auch Matscher, ZZP 95 (1982), 225 ff., und ausführlich Albrecht, Das EuGVÜ und der einstweilige Rechtsschutz in England und in der Bundesrepublik Deutschland (1991) 156 f.; Eilers, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im europäischen Zivilrechtsverkehr (1991) 261 ff. Außerdem EMI Records Ltd. v. Modern Music Karl-Ulrich Walterbach GmbH [1992] 1 All ER 616 (Q. B.) und dazu Remien, WRP 1994, 25. 45 EuGH v. 21.5.1980 – 125/79, ECLI:EU:C:1980:130 – Denilauler vs. Couchet Frères, EuGHE 1980 1553 Rz. 13; EuGH v. 2.4.2009 – C-394/07, ECLI:EU:C:2009:219 – Gambazzi vs. DaimlerChrysler Canada, EuGHE 2009 I 2563 Rz. 23. 46 EuGH v. 21.5.1980 – 125/79, ECLI:EU:C:1980:130 – Denilauler vs. Couchet Frères, EuGHE 1980 1553 Rz. 18. 47 EuGH v. 14.10.2004 – C-39/02 – Mærsk Olie & Gas vs. de Haan en de Boer, EuGHE 2004 I 9657 Rz. 50 unter Hinweis auf EuGH v. 13.7.1995 – C-474/93, ECLI:EU:C:1995:243 – Hengst vs. Campese, EuGHE 1995 I 2113 Rz. 14; EuGH v. 2.4.2009 – C-394/07, ECLI:EU:C:2009:219 – Gambazzi vs. DaimlerChrysler Canada, EuGHE 2009 I 2563 Rz. 25.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 2 Brüssel Ia-VO
internationale Rechtsschutz den einstweiligen Maßnahmen eigenen und typischen Überraschungseffekt.48 Nach Art. 2 lit. a S. 3 des Kommissionsentwurfs wären dagegen gerade auch einstweilige Maßnahmen 15 erfasst gewesen, die ohne Ladung des Beklagten ergehen und die ohne vorherige Zustellung des Vollstreckungsbescheids vollstreckt werden sollen. Einzige Bedingung war, dass der Schuldner die Möglichkeit der nachträglichen Anfechtung im Ursprungsstaat hatte. Hinter diesem Entwurf bleibt die endgültige Fassung aus der Perspektive des Überraschungseffekts nun wiederum weit zurück. Art. 2 lit. a S. 3 Brüssel Ia-VO nimmt ohne Ladung des Beklagten ergangene einstweilige Maßnahmen aus dem Entscheidungsbegriff aus, es sei denn, dem Beklagten wurde die Entscheidung vor Vollstreckung zugestellt (vgl. Art. 42 Abs. 2 lit. c Brüssel Ia-VO). Das heißt im Umkehrschluss zwar, dass auch ohne Ladung des Beklagten ergangene Maßnahmen grundsätzlich von Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO erfasst sind. Das Erfordernis des kontradiktorischen Verfahrens hat sich damit erledigt.49 Das bestehende Erfordernis einer Zustellung an den Beklagten freilich verhindert weiterhin, dass der Gläubiger sich einen Überraschungseffekt zunutze machen kann.50 Eine Vollstreckung von nicht von Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO erfassten ex parte-Maßnahmen nach nationalen Vorschriften soll gem. ErwGr. 33 S. 3 Brüssel Ia-VO allerdings möglich sein (zur Reichweite dieser Öffnung s. auch Art. 35 Brüssel IaVO Rz. 42). Erforderlich ist in jedem Fall, dass die Maßnahme von einem Gericht angeordnet wurde, das aufgrund der Brüssel Ia-VO in der Hauptsache zuständig ist (Art. 2 lit. a S. 2 Brüssel Ia-VO). Einstweilige Maßnahmen eines aufgrund innerstaatlichen Rechts zuständigen Gerichts (die gem. Art. 35 Brüssel Ia-VO möglich sind, näher dort) sind damit keine anerkennungs- und vollstreckungsfähigen Entscheidungen. Für die Anerkennungs- und Vollstreckungszwecke des Kap. III fallen gem. Art. 2 lit. a S. 2 Brüssel Ia- 16 VO auch einstweilige Maßnahmen in Form von Sicherungsmaßnahmen unter den Begriff der Entscheidung. Hierzu gehören nach ErwGr. 25 Brüssel Ia-VO bestimmte Beweismaßnahmen. Damit betritt die Brüssel Ia-VO insbesondere nach der EuGH-Entscheidung „St. Paul Dairy“ umstrittenes Terrain. Hier hatte der EuGH entschieden, dass eine Zeugenvernehmung, die nur dem Interesse des Antragsstellers dient, die Zweckmäßigkeit einer eventuellen Klage einzuschätzen, keine Entscheidung i.S.v. Art. 24 EuGVÜ darstellt.51 Gemäß ErwGr. 25 S. 2 Brüssel Ia-VO soll an dieser Rechtsprechung offensichtlich festgehalten werden. Andere Beweiserhebungs- und -sicherungsmaßnahmen sollen dagegen sehr wohl erfasst werden, namentlich solche nach Art. 6 und 7 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG, ErwGr. 25 S. 1 Brüssel Ia-VO. Es erscheint plausibel, jedenfalls faustformelartig von einer Differenzierung zwischen Beweissicherungsmaßnahmen und (reinen) Beweisbeschaffungsmaßnahmen, d.h. solchen ohne Sicherungszweck, auszugehen.52
48 Kropholler/von Hein, Art. 32 a.F. Rz. 22 f.; Remien, WRP 1994, 27; Schack, IZVR Rz. 916; Spellenberg/Leible in Gilles (Hrsg.), Transnationales Prozessrecht (1995) 330; Sosnitza in Sánchez Lorenzo/Moya Escudero (Hrsg.), La cooperación internacional en materia civil y la unificación del Derecho privado en europa (2003) 82. 49 Wilke, JPrIL 11 (2015), 128, 137; Calvo Caravaca/Carrascosa González, RDIPP 2015, 55, 61; Czernich/Kodek/ Mayr/Kodek, Rz. 19 a.E.; so wohl auch Domej, RabelsZ 78 (2014), 508, 548; vgl. Bogdan in Lein (Hrsg.), The Brussels I Review Proposal Uncovered (2012), 125, 133; anders Drooghenbroeck/de Boe in Guinchard (Hrsg.), Le nouveau règlement Bruxelles I bis (2014), 167, 200 („le règlement codifie la jurisprudence Denilauler“); in diesem letzteren Sinne auch Garcimartín, YbPIL 16 (2014/2015), 57, 64; ferner Mäsch, EuZW 2016, 716, 717, der in der Meroni-Entscheidung des EuGH (Rs. C-559/14, ECLI:EU:C:2016:349 – Meroni vs. Recoletos u.a., EuZW 2016, 713) ein Festhalten an Denilauler erkennt; insoweit wiederum a.A. Bach, GPR 2017, 138, 141 (mit Fn. 40). 50 von Hein, RIW 2013, 97, 108; Domej, RabelsZ 78 (2014), 508, 548. 51 EuGH v. 28.4.2005 – C-104/03 – St. Paul Dairy Industries NV vs. Unibel Exser BVBA, EuGHE 2005 I-03481 Rz. 25 = JZ 2005, 1166 m. Bspr. Mankowski, 1144 = IPRax 2007, 208 m. Bspr. Hess/Zhou, 183 = Rev. crit. dip. 2005, 742 m. Anm. Pataut; kritisch Tsikrikas, ZZPInt 2013, 293, 301 f. 52 Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 548; Garcimartín, YbPIL 16 (2014/2015), 57, 81 f.; vgl. näher Heinze, RabelsZ 75 (2011) 581, 604 f.; Heinze, IPRax 2008, 480, 483–485; Kiesselbach in Lein (Hrsg.), The Brussels I Review Proposal Uncovered (2012) 1, 15 f. zur Anwendung auf Beweismaßnahmen des englischen Rechts („Norwich Pharmacal orders“ und „Anton Piller orders“).
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Art. 2 Brüssel Ia-VO Begriffsbestimmungen h) „Doppelexequatur“ 17
Keine Entscheidungen i.S.v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO sind die Anerkennung oder Vollstreckbarkeit einer drittstaatlichen Entscheidung feststellende Judikate.53 Denn ansonsten könnte jeder Mitgliedstaat durch die Anerkennung einer drittstaatlichen Entscheidung zugleich alle übrigen Mitgliedstaaten zu deren Anerkennung verpflichten.54 Außerdem fehlt es bereits an einer anerkennungsfähigen Urteilswirkung, da das ausländische Exequatururteil die Vollstreckbarkeit immer nur für das Gebiet des ausländischen Staates verleihen kann. Im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten untereinander ist ein echtes Doppelexequatur schon wegen der Abschaffung des Exequaturverfahrens ausgeschlossen. Aber auch im Übrigen ist jeweils die Ausgangsentscheidung der Gegenstand der Anerkennung und Vollstreckung, nicht etwaige Anerkennungs- oder Vollstreckungsentscheidungen eines anderen Mitgliedstaats.55 i) Vollstreckungsakte
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Maßnahmen der Zwangsvollstreckung sind, auch wenn sie durch richterlichen Beschluss angeordnet werden, keine Entscheidung i.S.v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO, da sie keinen Streit zwischen den Parteien entscheiden, sondern lediglich Vollstreckungsakte darstellen. Die Brüssel Ia-VO lässt jedoch nur gerichtliche Titel zur Vollstreckung zu, verleiht aber nicht Vollstreckungsakten grenzüberschreitende Wirkung. Dies würde dem im Vollstreckungsrecht aller Mitgliedstaaten geltenden Grundsatz der Territorialität zuwiderlaufen. Die Wirkung von Vollstreckungsmaßnahmen beschränkt sich daher stets von vornherein auf das Gebiet des Staates, in dem sie erlassen wurden. Eine grenzüberschreitende Wirkung scheidet aus. Die Anordnung eines Zwangs- oder Ordnungsgelds (etwa nach § 890 ZPO) hingegen ist sehr wohl zu vollstrecken, wie nach zutreffender Auffassung schon Art. 55 Brüssel Ia-VO zeigt (näher dort). Dies scheitert insbesondere auch nicht an Art. 1 Brüssel Ia-VO.56 Von der prozessualen Nichtanerkennung ausländischer Vollstreckungsakte zu unterscheiden sind ihre materiell-rechtlichen Wirkungen, die durchaus beachtlich sein können.57 j) Insolvenzrechtliche Entscheidungen
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Gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO ist die Brüssel Ia-VO nicht anzuwenden auf „Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren“.58 Zu beachten ist jedoch die EuInsVO.59 Gemäß Art. 19 Abs. 1 EuInsVO wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 EuInsVO zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Nach Art. 32 Abs. 1 EuInsVO sind außerdem alle zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen insolvenzgerichtlichen Entscheidungen in den übrigen Mitgliedstaaten ohne besondere Förmlichkeiten anzuerkennen. Letztgenannte Entscheidungen können in den übrigen Mitgliedstaaten im vereinfachten Verfahren der Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO vollstreckt werden. Um keine Schutzlücken zwischen der Brüssel Ia-VO und der EuInsVO entstehen zu lassen, sieht Art. 32 Abs. 2 EuInsVO außerdem vor, dass Entscheidungen, die nicht unter Art. 32 Abs. 1 EuInsVO fallen, nach den Regeln der Brüssel Ia-VO anerkannt und 53 OLG Brandenburg v. 11.7.2016 – 7 W 20/16, MDR 2016, 1171 (welches diesen Gedanken auf eine englische freezing injunction zur – ausschließlichen – Sicherung der Vollstreckung einer drittstaatlichen Entscheidung überträgt); Gottwald in MünchKomm/ZPO, Rz. 7; Czernich/Kodek/Mayr/Kodek, Art. 36 Rz. 24. Im Grundsatz für die Zulässigkeit eines Doppelexequatur hingegen Hay, EuLF 2009, I-61. 54 Geimer, RIW 1976, 145; Geimer, JZ 1977, 148; Schack, IZVR Rz. 1029. 55 Vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 7; Kropholler/von Hein, Art. 32 a.F. Rz. 15; Magnus/Mankowski/Wautelet, Rz. 34. 56 EuGH v. 18.10.2011 – C-406/09, ECLI:EU:C:2011:668 – Realchemie Nederland BV vs. Bayer CropScience AG, EuGHE 2011 I-9773 = EuZW 2012, 157 m. Anm. Sujecki, 159 = NJW 2011, 3568 m. Anm. Giebel, 350 = WRP 2011, 1582 m. Aufs Schröler, WRP 2012, 185; dazu auch Bittmann, GPR 2012, 85. 57 Vgl. dazu Schack, IZVR Rz. 1062. 58 Zur Reichweite des Ausschlusses vgl. EuGH v. 22.2.1979 – 133/78 – Gourdain vs. Nadler, EuGHE 1979, 733; außerdem Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 98 ff. 59 Zu den Einzelheiten der Rechtslage vor Ablösung der EG-InsVO durch die EuInsVO vgl. Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 560 ff.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 2 Brüssel Ia-VO
vollstreckt werden, soweit deren Anwendungsbereich eröffnet ist.60 Dabei ist die in Art. 32 Abs. 2 EuInsVO verwendete Formulierung „soweit jenes Übereinkommen anwendbar ist“ dahin auszulegen, dass die Anerkennungs- und Vollstreckungsvorschriften der Brüssel Ia-VO erst dann in Bezug auf andere als die in Art. 32 Abs. 1 EuInsVO genannten Entscheidungen für anwendbar erklärt werden können, wenn zuvor geprüft wurde, ob diese Entscheidungen nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen sind.61 Der Ausschluss in Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO muss daher im Einklang mit den Regeln der EuInsVO interpretiert werden.62 Aussonderungsklagen aus Eigentumsvorbehalt fallen z.B. unter die Brüssel Ia-VO und nicht die EuInsVO.63 3. Gericht a) Begriff Der Begriff des „Gerichts“ ist autonom auszulegen. Hierunter ist in funktionaler Betrachtung ein 19a Rechtsprechungsorgan zu verstehen, das kraft seines Auftrags selbst über zwischen den Parteien bestehende Streitpunkte entscheidet.64 Ob dies der Fall ist, lässt sich freilich nur unter Rückgriff auf die nationalen Rechtssysteme ermitteln. Welchem Gerichtszweig der Spruchkörper angehört, spielt keine Rolle. Entscheidungen i.S.v. Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO können auch Urteile von Verwaltungs- oder Strafgerichten oder der Freiwilligen Gerichtsbarkeit sein, sofern sie nur zivil- oder handelsrechtlichen Inhalts i.S.v. Art. 1 Brüssel Ia-VO sind.65 Schlichtungsbehörden, die rechtskräftige Entscheidungen erlassen können, sind ebenfalls als „Gericht“ einzuordnen66 (näher Art. 32 Rz. 5a). Nicht erfasst werden hingegen Entscheidungen von Schiedsgerichten und anderen Institutionen, die nicht als staatliche Rechtsprechungsorgane tätig werden (Vereins- und Kirchengerichte),67 sowie von supra- und internationalen Gerichten, die keinem Mitgliedstaat zuzurechnen sind.68 Der Charakter einer Entscheidung als gerichtliche Entscheidung i.S.v. Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO soll freilich nicht dadurch berührt werden, dass ihr zumindest auch ein Schiedsspruch zugrunde liegt, sofern eine selbstständige Verurteilung erfolgt, wie dies etwa im Bereich des common law aufgrund der „doctrine of merger“ geschieht.69 Der BGH ist dem freilich für § 722 f. ZPO unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung70 entgegen getreten.71 Für Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO stellt sich die Frage aber gar nicht, da die
60 Ausf. (zu Art. 25 EuInsVO) Mankowski, NZI 2010, 508; für eine Klarstellung de lege ferenda Hess, EuZPR § 6 Rz. 185. 61 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH vs. Alice van der Schee, EuGHE 2009 I 8421 Rz. 24 = IPRax 2010, 355 m. Bspr. Brinkmann, 324; vgl. dazu außerdem Cranshaw, DZWir 2010, 89; Dialti, Dir comm. int 2010, 202; Lüttringhaus/Weber, RIW 2010, 45; Mankowski, NZI 2010, 508; Vallens, D 2009, 2782. 62 Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 575. 63 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 – German Graphics Graphische Maschinen GmbH vs. Alice van der Schee, EuGHE 2009 I 8421. 64 EuGH v. 2.6.1994 – C-414/92, ECLI:EU:C:1994:221 – Solo Kleinmotoren vs. Boch, EuGHE 1994 I 2237 Rz. 17; EuGH v. 14.10.2004 – C-39/02 – Mærsk Olie & Gas vs. de Haan en de Boer, EuGHE 2004 I 9657 Rz. 45 = Rev. crit. dip. 2005, 118 m. Anm. Pataut = IPRax 2006, 262 m. Bspr. Smeele 229. 65 Gaudemet-Tallon (2015), Nr. 359. 66 Musielak/Voit/Stadler, Rz. 7. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der EuGH dies für die Zwecke der Rechtshängigkeit nach dem LugÜ für Schlichtungsbehörden nach Schweizer Recht bereits ausgesprochen hat: EuGH v. 20.12.2017 – C-467/16, ECLI:EU:C:2017:993 – Schlömp vs. Landratsamt Schwäbisch Hall, EuZW 2018, 138 (Ls). 67 Vgl. EuGH v. 23.3.1982 – 102/81, ECLI:EU:C:1982:107 – Nordsee vs. Nordstern, EuGHE 1982, 1095. 68 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 9; Hess, EuZPR § 6 Rz. 176; Magnus/Mankowski/Wautelet, Rz. 13. 69 So etwa OLG Frankfurt, IHR 2006, 212 m. Bspr. Borges, 206; Hess, EuZPR § 6 Rz. 176 in Fn. 821; Schlosser, IPRax 1985, 141 f.; vgl. auch OLG Hamburg v. 5.11.1991 – 6 W 43/91, NJW-RR 1992, 568; LG Hamburg, RabelsZ 53 (1989), 165. 70 BGH v. 10.5.1984 – III ZR 206/82, NJW 1984, 2763 = RIW 1984, 644 m. Anm. Mezger = IPRax 1985, 158 m. Bspr. Schlosser, 141; BGH v. 27.3.1984 – IX ZR 24/83, NJW 1984, 2765 0 RIW 1984, 557 m. Anm. Dielmann. 71 BGH v. 2.7.2009 – IX ZR 152/06, NJW 2009, 2826 = IPRax 2010, 364 m. Bspr. Geimer, 346 = EWiR 2009, 759 (Zarth/Gruschinske); vgl. außerdem die Bspr. von Plaßmeier, SchiedsVZ 2010, 82; Schütze, RIW 2009, 817.
Leible
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Art. 2 Brüssel Ia-VO Begriffsbestimmungen Brüssel Ia-VO in derartigen Konstellationen ohnehin nicht anwendbar ist (Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO).72 20
Welches Organ die Entscheidung erlassen hat, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass der Staat ihm richterliche Befugnisse verliehen hat. Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO nennt selbst den „Gerichtsbediensteten“. „Gerichte“ i.S.v. Art. 32 Brüssel Ia-VO können daher z.B. auch Rechtspfleger oder Urkundsbeamte sein, sofern ihnen die Ausübung richterliche Befugnisse in einem rechtlich festgelegten Verfahren übertragen worden ist. Daran fehlt es etwa beim französischen Gerichtsvollzieher (huissier), so dass es sich z.B. bei dem von ihm aufgrund der Nichtzahlung eines Schecks ausgestellten Vollstreckungstitel (titre executoire) um keine gerichtliche Entscheidung i.S.v. Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO handelt.73
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Entscheidungen von Verwaltungsbehörden fallen aus dem Anwendungsbereich des Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO heraus, mögen sie auch zivilrechtlichen Inhalts sein. Eine Ausnahme macht Art. 3 lit. b Brüssel Ia-VO für die summarischen Verfahren betalningsföreläggande (Mahnverfahren) und handräckning (Beistandsverfahren) in Schweden. Bei ihnen umfasst der Begriff „Gericht“ auch die schwedische Kronofogdemyndigheten (Amt für Beitreibung). Ebenso ist der ungarische Notar (közjegyzo˝) als „Gericht“ aufzufassen, soweit und sofern er im summarischen Mahnverfahren (izetési meghagyásos eljárás) tätig wird, Art. 3 lit. a Brüssel Ia-VO. Ansonsten stellen Notare (auch anderer Länder) kein „Gericht“ i.S.d. Brüssel Ia-VO dar.74 b) Gericht eines Mitgliedstaats
22
Die Entscheidung muss außerdem vom Gericht eines Mitgliedstaats erlassen worden sein.75 Worauf das mitgliedstaatliche Gericht seine Zuständigkeit stützt, ist unerheblich. Um Entscheidungen i.S.v. Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO handelt es sich folglich auch bei solchen, bei denen die Zuständigkeit des Gerichts nicht auf den Regelungen der Brüssel Ia-VO, sondern entsprechend Art. 6 Abs. 1 Brüssel IaVO auf nationalem Prozessrecht beruht. Dies gilt allerdings gem. Art. 2 lit. b S. 2 Brüssel Ia-VO nicht bei einstweiligen Maßnahmen.
II. Gerichtlicher Vergleich (lit. b) 23
Das Institut des Prozessvergleichs ist in den meisten Mitgliedstaaten bekannt.76 Vielfach herrscht allerdings Streit um seine Rechtsnatur. Dies gilt etwa im Hinblick auf das deutsche und österreichische Recht.77 Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO normiert den Begriff des gerichtlichen Vergleichs für die Brüssel Ia-VO. Diese fallen nur insoweit in den Anwendungsbereich der Verordnung, als sie nicht nach dem Katalog des Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ausgeschlossen sind.
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Gemäß der Formulierung in lit. b genügt es, dass der Vergleich vor einem mitgliedstaatlichen „Gericht“ geschlossen wird. Folglich erfasst diese Vorschrift die Protokollierung sowohl durch einen Richter, als auch eine andere hoheitlich zur Entscheidung einer Rechtssache befugte Stelle78. Titelfrei72 BGH v. 2.7.2009 – IX ZR 152/06, IPRax 2010, 364 = NJW 2009, 2826 Rz. 14; RIW 2009, 238 Rz. 9; näher Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 216 f.; dezidiert a.A. etwa OLG Frankfurt, IHR 2006, 212 m. zust. Bspr. Borges, 206. 73 OLG Saarbrücken, IPRax 2001, 238 m. Bspr. Reinmüller, 207; Hess, EuZPR § 6 Rz. 177. 74 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 – Pula Parking d.o.o. vs. Tederahn, EuZW 2017, 686 m. Aufs. Wolber, 680 = IPRax 2018, 79 m. Aufs. Roth, 41 = DAR 2017, 254 m. Anm. Rauscher. Ausführlich Mantovani, JPrIntL 15 (2019), 393. 75 Vgl. auch EuGH v. 20.1.1994 – C-129/92, ECLI:EU:C:1994:13 – Owens vs. Bracco, EuGHE 1994 I 117 Rz. 18; OGH, ZfRV 2002, 24. 76 Siehe die rechtsvergleichenden Analysen von Stürner in Breidenbach u.a. (Hrsg.), Konsensuale Streitbeilegung – Akademisches Symposion zu Ehren von Peter F. Schlosser (2001) 5, 26; beachte auch Atteslander-Dürrenmatt, Der Prozessvergleich im internationalen Verhältnis (2006); dies gilt ebenso für Beitrittsländer wie Österreich; vgl. insofern § 204 öZPO. 77 Beachte hierzu die rechtsvergleichende Gegenüberstellung bei Stueber, Grundfragen zum Prozessvergleich aus deutscher und österreichischer Sicht (2001) 16 ff. 78 Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Mäsch, Art. 58 Brüssel I-VO Rz. 4.
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Leible und Staudinger
Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 2 Brüssel Ia-VO
zügigkeit genießt überdies der Vergleichsabschluss im Güteverfahren nach § 54 Abs. 3 ArbGG, wie der schriftsätzliche Prozessvergleich nach § 278 Abs. 6 S. 1 ZPO.79 § 278 Abs. 5 S. 2 ZPO eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, den Parteien eine außergerichtliche Streitschlichtung, also etwa eine Mediation oder den Abschluss eines Anwaltsvergleichs vorzuschlagen. Einigen sich die Parteien vor einem Mediator, handeln sie zwar zeitlich „im Laufe eines (Gerichts-)Verfahrens“. Allerdings erfolgt kein Abschluss „vor dem Gericht“. Wird ein Mediationsvergleich nach Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens in einem mündlichen Termin vom Richter protokolliert, liegt indes ein gerichtlicher Vergleich vor.
25
Eine solche Differenzierung bleibt durch die neu eingeführte Legaldefinition in Art. 2 lit. b Brüssel Ia- 26 VO aus. So fallen ferner außergerichtliche Vergleiche, die von einem mitgliedstaatlichen Gericht „gebilligt“ wurden, in den Anwendungsbereich der Verordnung.80 Eine inhaltliche Überprüfung des Vergleichs ist jedoch nicht unter „billigen“ zu verstehen.81 In der Erweiterung des Regelungsbereichs gegenüber der Brüssel I-VO liegt ebenso eine Angleichung an die EG-VollstrTitelVO, welche bereits außergerichtliche Vergleiche umfasst.82 Der in § 794 Abs. 1 Nr. 4b ZPO aufgeführte gerichtliche bzw. notarielle Beschluss ist hingegen als öffentliche Urkunde zu qualifizieren und fällt unter Art. 2 lit. c Brüssel Ia-VO. Dies gilt ebenso für Vergleiche für Güterstellen (§§ 794 Abs. 1 Nr. 1, 797 Abs. 1 ZPO).
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Am 1.11.2018 trat das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage in 27a Kraft.83 Neben dem Urteil sieht § 611 ZPO den gerichtlichen Vergleich auch mit Wirkung für und gegen die im Klageregister angemeldeten Verbraucher (§ 611 Abs. 5 S. 4 ZPO) vor.84 Jener bedarf der Genehmigung durch das Gericht. Diese erfolgt nach Maßgabe des § 611 Abs. 3 S. 2 ZPO, soweit der Spruchkörper ihn unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes als angemessene gütliche Beilegung des Streits oder der Ungewissheit über die angemeldeten Ansprüche oder Rechtsverhältnisse erachtet. Musterfeststellungsvergleiche nach § 611 ZPO fallen insoweit unter Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO.
III. Öffentliche Urkunde (lit. c) Abweichend von der Brüssel I-VO enthält die Brüssel Ia-VO in Art. 2 lit. c Brüssel Ia-VO eine Legal- 28 definition der öffentlichen Urkunde. Der Gesetzgeber überführt in diese Vorschrift die vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien.85 Dies führt zu einer Angleichung an die EG-VollstrTitelVO. Gemäß Art. 2 lit. c sublit ii Brüssel Ia-VO ist erforderlich, dass die Urkunde von einer Behörde oder einer anderen vom Ursprungsstaat zur Errichtung von Urkunden ermächtigten Stelle beurkundet wird. Somit scheiden nichtmitgliedstaatliche Urkunden aus. Eine Ausnahme gilt für konsularische Urkunden, die durch einen Konsul eines Mitgliedstaates im Ausland aufgenommen worden sind. Diese werden dem Entsendestaat zugerechnet.86 Darüber hinaus muss sich die Beweiskraft neben der Unterschrift auch auf den Inhalt der Urkunde beziehen, Art. 2 lit. c sublit i Brüssel Ia-VO. Hinsichtlich des Anwendungsbereichs ist der Ausschlusskatalog in Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu beachten. Der Anwaltsvergleich als solcher hat allein die Qualität einer nicht vollstreckbaren Privaturkunde, so 29 dass Art. 2 lit. c Brüssel Ia-VO tatbestandlich ausscheidet. Sofern ein Notar den Vergleich gem. § 796a i.V.m. § 796c ZPO für vollstreckbar erklärt, ist dieser als öffentliche Urkunde i.S.d. Verordnung an79 80 81 82 83 84 85 86
Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 59 Rz. 2. Dazu Pabst in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 3 EG-VollstrTitelVO Rz. 11 m.w.N. Vgl. R. Wagner, IPRax 2005, 189, 192. Siehe R. Wagner, IPRax 2005, 189, 192; Pabst in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 3 EG-VollstrTitelVO Rz. 11. Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage, BGBl. 2018 I 1151. BeckOK/ZPO/Augenhofer, § 611 Rz. 15. Vgl. hierzu Art. 4 Nr. 3 EG-VollstrTitelVO; Pabst in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 4 EG-VollstrTitelVO Rz. 26. Hierzu das Wiener Übereinkommen vom 24.4.1963 über konsularische Beziehungen, BGBl. 1969 II 1585 ff.; beachte das KonsG.
Staudinger
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Art. 2 Brüssel Ia-VO Begriffsbestimmungen zusehen.87 Da die Vollstreckbarerklärung des Anwaltsvergleichs durch den Notar erfolgt, wird eine im Ursprungsstaat ermächtigte Stelle an der Errichtung des Titels beteiligt und somit die Voraussetzungen des Art. 2 lit. c Brüssel Ia-VO erfüllt. Gerichtlich gebilligte Vergleiche fallen tatbestandlich unter Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO und sind folglich nicht als öffentliche Urkunden anzusehen. Vergleiche vor Einigungsstellen zur Beilegung von Wettbewerbsstreitigkeiten (§ 15 Abs. 7 UWG) können als öffentliche Urkunde qualifiziert werden.88 30
Mediationsvergleiche89 dürften vielfach ausscheiden, denn sie sind in der Regel allein als privatrechtliche Verträge i.S.d. § 779 Abs. 1 BGB zu behandeln. Hiervon zu unterscheiden ist etwa der Abschluss eines Vergleichs vor einem Notar bzw. Rechtsanwalt, der nach Maßgabe des Art. 5 Abs. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 BaySchlG als anerkannte Gütestelle zumindest nach dem Willen des Landesgesetzgebers90 auch im Rahmen freiwilliger Schlichtung91 befugt ist, Vollstreckungstitel i.S.d. § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu schaffen. Der Qualifikation derartiger Schlichtungs- bzw. Mediationsvergleiche92 als öffentliche Urkunden i.S.d. Brüssel Ia-VO steht ebenso wenig ihre „Gesetzgebungsgeschichte“ entgegen. Das Parlament93 war dafür eingetreten, in die Brüssel I-VO einen Art. 55a Brüssel I-VO über die Vollstreckbarkeit von Vergleichen aufzunehmen, die in einem alternativen Streitschlichtungssystem erzielt wurden.94 Die Kommission95 sprach sich gegen diesen Vorschlag aus. Die Freizügigkeit öffentlicher Urkunden gründe sich darauf, dass diese von einer mit Hoheitsbefugnissen ausgestatteten Person erstellt würden. Hieran fehle es aber gerade, wenn ein Vergleich während einer außergerichtlichen Streitschlichtung zustande komme. Der Vorschlag des Parlaments hat keinen Eingang in die Brüssel I-VO gefunden.96 Hieraus darf allerdings nicht gefolgert werden, dass Vergleiche, die den Abschluss einer außergerichtlichen Streitschlichtung97 – etwa einer Mediation – bilden, im Einzelfall nicht dennoch zum Kreis der öffentlichen Urkunden gezählt werden können.98 Die Kommission geht davon aus, dass ein solcher Vergleich „wohl kaum von einer Person“ festgestellt wird, die ein Mitgliedstaat mit Hoheitsbefugnissen ausgestattet hat. Diese Prämisse trifft – wie gezeigt – auf das BaySchlG nicht zu. Demzufolge verbietet es sich auch in Anbetracht der Entstehungsgeschichte der Brüssel Ia-VO nicht, den vor einem Notar als anerkannte Gütestelle im Rahmen einer freiwilligen Schlichtung geschlossenen Vergleich als öffentliche Urkunde i.S.d. Abs. 1 S. 1 zu qualifizieren. Dem steht ebenso wenig die Empfehlung der Kommission99 aus dem Jahre 2001 entgegen. Gleichermaßen sollen Vergleiche, die
87 Vgl. Pabst in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 4 EG-VollstrTitelVO Rz. 39 m.w.N. 88 Geimer/Schütze/E. Pfeiffer/M. Peiffer, Art. 58 Rz. 9; Kropholler/von Hein, Art. 58 Brüssel I-VO Rz. 1a; Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 59 Rz. 2. 89 Siehe die BRAK-Stellungnahme vom 21.1.2015 zum New Yorker Übereinkommen II. 90 Bayerischer Landtag LT-Drucks. 14/2265, 12; krit. hierzu Staudinger, Der Prozessvergleich und andere Formen konsensualer Streitbeilegung (unveröffentlicht). 91 Zur Qualifikation der Mediationsvergleiche als Vollstreckungstitel s. Eidenmüller, RIW 2002, 1, 5. 92 Eine internationale Mediationskonvention, die über den Binnenmarkt hinauszielt, existiert derzeit nicht; s. aber auch Art. 14 des UNCITRAL-Modellgesetzes „UNCITRAL Model Law on International Commercial Conciliation“, adopted by the United Nations Commission on International Trade Law – UNCITRAL at its 35th session in New York on 28 June 2002; abrufbar unter www.uncitral.org. Dieser betrifft den Bereich „Enforceability of settlement agreement“; zum Entwurf Eidenmüller, RIW 2002, 1, 5. 93 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 21.9.2000 ABl. EG 2001 C 146/94 ff. 94 Hierzu auch Rechberger, FS Reinhold Geimer (2002) 903, 906. 95 Siehe den geänderten Vorschlag für eine VO des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM (2000) 689, 6 f. 96 Rat und Kommission betonten den Nutzen der ADR (Alternative Dispute Resolution) für die Streitbeilegung insbesondere im elektronischen Handel; vgl. hierzu die Angaben im Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht, vorgelegt von der Kommission am 19.4.2002, KOM (2002) 196, 12 Rz. 19; Vorschlag der Kommission vom 22.10.2004 für eine RL des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen KOM (2004) 718; s. hierzu Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 6d. 97 Vgl. hierzu auch das von der Kommission vorgelegte Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht vom 19.4.2002, KOM (2002) 196, 35 f. Rz. 87. 98 Anders wohl Fleischhauer, MittBayNot 2002, 15, 19 Fn. 32. 99 Empfehlung der Kommission vom 4.4.2001 über die Grundsätze für an der einvernehmlichen Beilegung von Verbraucherrechtsstreitigkeiten beteiligte außergerichtliche Einrichtungen, ABl. EG 2001 L 109/56 ff., s. in die-
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 2 Brüssel Ia-VO
vor einer Gütestelle nach § 15a Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 1 EGZPO100 geschlossen werden, unter den Begriff der öffentlichen Urkunde fallen.101 Jene sind nach Landesrecht dem Klageverfahren obligatorisch vorgelagerte Güteverfahren i.S.d. § 15a Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 1 EGZPO, welche vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder (kraft Landesrecht) anerkannten Gütestellen geschlossen werden.102 Dies wird man allerdings wohl ebenso auf Schlichtungsstellen erstrecken können, welche nach dezidierter Anerkennung im Einzelfall auf bundesgesetzlicher Grundlage den Parteien in einem freiwilligen Verfahren Vergleichsvorschläge unterbreiten und deren Konsens dokumentieren bzw. protokollieren. Als Beispiel mag die „Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp)“103 in Berlin dienen.
IV. Ursprungsmitgliedstaat (lit. d) Art. 2 lit. d–f gehören zusammen. Sie waren bereits Teil des Vorschlags.104 Sie gehören zur Anerkennung und zur Vollstreckung. Ihre Vorbilder findet man in Art. 4 Nr. 4–6 EG-VollstrTitelVO; Art. 5 Nr. 1, 2, 4 EG-MahnVO; Art. 2 Abs. 1 Nr. 4, 5, 9 EG-UntVO. Sachlich stehen sie darüber hinaus in einem bestimmten Zusammenhang: dem Übergang von einem System der Vollstreckbarerklärung zu einem System der direkten Vollstreckung. Sie müssen so weit sein, dass sie auch das neue, in der Brüssel Ia-VO erstmals allgemein verwirklichte System abdecken.
31
Sie enthalten „labelling definitions“.105 Sie benennen jeweils ein Phänomen und verleihen diesem ein griffiges Etikett, auf das man auf den Namen zurückgreifen kann, wenn man das Phänomen meint. Sie schaffen terminologische Eindeutigkeit. Zugleich führen sie eine offizielle Terminologie ein.
32
„Ursprungsmitgliedstaat“ ist der Mitgliedstaat, in dem die Entscheidung ergangen, der gerichtliche Vergleich gebilligt oder geschlossen oder die öffentliche Urkunde förmlich errichtet oder eingetragen worden ist.
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„Ursprungsmitgliedstaat“ ist ein rechtstechnischer Ausdruck. Er steht synonym im Kontext der Anerkennung oder der Vollstreckung für das in der Terminologie des deutschsprachigen IZVR geläufigere (und kürzere) „Erststaat“. In der deutschen Fassung wird übrigens ein anderer Ausdruck als „Herkunftsmitgliedstaat“ gebraucht, so dass gar nicht erst der für das IZVR unpassende Eindruck eines wie auch immer gearteten Herkunftslandprinzips entstehen kann. In den meisten106 anderen Sprachfassungen, insbesondere im Englischen, wird dagegen ein vergleichbarer Ausdruck gebraucht wie bei einem kollisionsrechtlichen Herkunftslandprinzip, nämlich „State of origin“, „État d’origine“, „Stato d’origine“, „Estado de origen“, „Estado de origem“, „staat van herkomst“.
34
Lit. d verwendet als Tatbestandsmerkmale seinerseits „Entscheidung“, „gerichtlicher Vergleich“ und „öffentliche Urkunde“. Damit bezieht er sich auf die jeweils einschlägigen Definitionen aus lit. a–c.
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Herkunft und Ursprung werden dreigeteilt differenziert bestimmt, je nachdem, welcher Art das Anerkennungs- oder Vollstreckungsobjekt ist. Die Differenzierung erfolgt nach Entscheidung, gerichtlichem Vergleich und öffentlicher Urkunde. Bei einer Entscheidung ist ausschlaggebend, in welchem
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100
101 102 103 104 105 106
sem Zusammenhang auch die Mitteilung der Kommission zur „Erweiterung des Zugangs der Verbraucher zur alternativen Streitbeilegung“ vom 4.4.2001, KOM (2001) 161. Beachte dazu den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten vom 10.11.2014, insbesondere S. 66 f. Dieser sieht die Anerkennung einer Einrichtung als Verbraucherschlichtungstelle vor. Kindl/Meller-Hannich/Wolf/Mäsch, Art. 57 Brüssel I-VO Rz. 10; MünchKomm/ZPO/4Adolphsen, Art. 4 EGVollstrTitelVO Rz. 23; Pabst in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 4 EG-VollstrTitelVO Rz. 40; beachte ebenfalls BGH v. 29.5.2013 – IV AR(VZ) 3/12, ZKM 2013, 131 f. Pabst in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 4 EG-VollstrTitelVO Rz. 40. Im weiteren Zusammenhang s. zu Güteanträgen BGH, Urt. v. 18.6.2015 – III ZR 189/14. Hierzu Staudinger, RRa 2014, 225 ff. Beachte zudem, dass die söp mit Wirkung zum 9.2.2015 als Schlichtungsstelle für den Luftverkehr gem. § 57b Abs. 1 Luftverkehrsgesetz anerkannt wurde. KOM (2010) 748. Magnus/Mankowski/Merrett, Rz. 2. Wie das Deutsche das Schwedische: „ursprungsstat“.
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Art. 2 Brüssel Ia-VO Begriffsbestimmungen Staat sie ergangen ist, bei einem gerichtlichen Vergleich, in welchem Staat er gebilligt oder geschlossen worden ist, und bei einer öffentlichen Urkunde, in welchem Staat sie förmlich errichtet oder eingetragen worden ist. 37
Bei der öffentlichen Urkunde kann sich in seltenen Ausnahmefällen die Konstellation ergeben, dass es zwei Ursprungsmitgliedstaaten gibt, nämlich dann, wenn eine öffentliche Urkunde in einem Mitgliedstaat förmlich errichtet und in einem anderen Mitgliedstaat eingetragen worden ist. Da lit. d Var. 3 keine Stufenfolge zwischen Errichten und Eintragen aufstellt und beide gleich gewichtet, sollten beide Optionen auch in der Folge nebeneinander stehen und gleichermaßen zur Identifikation des Ursprungsmitgliedstaats taugen.
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Die Brüssel Ia-VO regelt nur die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen aus Mitgliedstaaten in anderen Mitgliedstaaten. Dagegen regelt sie weder die Anerkennung noch die Vollstreckung von Entscheidungen aus Drittstaaten in Mitgliedstaaten. Daraus erklärt sich die Beschränkung auf „Ursprungsmitgliedstaat“.107 Zwar hatte es Anregungen gegeben, auch ein einheitliches europäisches Regime für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen aus Drittstaaten zu errichten.108 Diese Anregungen wurden jedoch nicht aufgegriffen. Der europäische Gesetzgeber hat sie bei der Novellierung des Brüssel I/Ia-Systems nicht umgesetzt.109
V. Ersuchter Mitgliedstaat (lit. e) 39
Lit. e beschreibt einen weiteren Terminus: den ersuchten Mitgliedstaat. Art. 4 Nr. 5 EG-VollstrTitelVO; Art. 5 Nr. 2 EG-MahnVO; Art. 2 Nr. 5 EuUntVO sprechen dagegen vom „Vollstreckungsmitgliedstaat“. Diesen Terminus verwendeten auch das Grünbuch110 und der Kommissionsvorschlag111. 1. Terminologie
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„Ersuchter Mitgliedstaat“ hat an anderer Stelle im europäischen IZVR bereits eine abweichende Definition erfahren und steht dort als anderer Begriff mit eigenem Gehalt neben „Vollstreckungsmitgliedstaat“: Art. 2 Nr. 7 EG-UntVO definiert „ersuchter Mitgliedstaat“ als den Mitgliedstaat, dessen Zentrale Behörde einen Antrag nach Kapitel VII der EG-UntVO erhält. „Vollstreckungsmitgliedstaat“ wiederum ist nach Art. 2 Nr. 5 EG-UntVO der Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckung der Entscheidung, des gerichtlichen Vergleichs oder der öffentlichen Urkunde betrieben wird. Zum „ersuchten Mitgliedstaat“ gehört eigentlich auch ein „ersuchender Mitgliedstaat“. Art. 2 Nr. 6 EG-UntVO ist in dieser Hinsicht konsequent. Zu lit. e dagegen gibt es im Katalog des Art. 2 Brüssel Ia-VO kein passendes Gegenstück. Lit. d zum einen und lit. e zum anderen verwenden jeweils einen Teil eines Gegensatzpaares, aber aus verschiedenen Gegensatzpaaren. Inhaltlich enthalten sie Gegenstücke, bei der Terminologie dagegen nicht.
41
Allerdings verbindet sich mit dem Terminus „ersuchter Mitgliedstaat“ ein bestimmter gesetzgeberischer Zweck: Der Wechsel hin zu diesem Terminus und weg von „Vollstreckungsmitgliedstaat“ geht auf den Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments112 zurück. Der Wechsel in der Terminologie sollte besser zur Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen passen, bei der es eben nicht um eine Vollstreckung geht.113 „Vollstreckungsmitgliedstaat“ dagegen passt begrifflich nicht zur Anerkennung. Obwohl die terminologische Diskrepanz bisher keine praktischen Verwerfungen bei den anderen Rechtsakten nach sich gezogen hatte, ist dies ein zu akzeptierender und bedenkenswerter sachlicher Gesichtspunkt.
107 Hervorhebung hinzugefügt. 108 GEDIP, Vingtième réunion, Copenhague 17–19 septembre 2010, Le règlement „Bruxelles I“ et les décisions judiciaires rendues dans les Etats non membres de l’Union Européenne, IPRax 2011, 103. 109 Johannes Weber, RabelsZ 75 (2011) 619, 643; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 242, 252. 110 KOM (2009) 175, S. 12. 111 Art. 2 lit. g KOM (2010) 748. 112 15.10.2012, A7-0320/2012. 113 Magnus/Mankowski/Merrett, Rz. 45.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 2 Brüssel Ia-VO
Berücksichtigt man die übliche völkerrechtliche Terminologie, so ist „ersucht“ nicht unproblema- 42 tisch. Denn Ersuchen betreffen gemeinhin das Verhältnis zweier Staaten zueinander, und ein Staat ersucht den anderen um etwas. Bei der Anerkennung und Vollstreckung geht es dagegen um Begehren Privater, und der Ursprungsmitgliedstaat hat mit dem Geschehen im Zweitstaat nichts zu schaffen, erst recht nicht als Antragsteller. In dem Gegensatzpaar „ersuchter Staat“/„ersuchender Staat“ spiegelt sich dies wider. Es ist kein Zufall, dass dieses Gegensatzpaar in Kapitel VII der EG-UntVO verwendet wird, denn dort geht es um den Verkehr zwischen Zentralen Behörden. 2. Gehalt „Ersuchter Mitgliedstaat“ ist der Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung der Entscheidung geltend gemacht oder die Vollstreckung der Entscheidung, des gerichtlichen Vergleichs oder der öffentlichen Urkunde beantragt wird.
43
Lit. e verwendet als Tatbestandsmerkmale seinerseits „Entscheidung“, „gerichtlicher Vergleich“ und „öffentliche Urkunde“. Damit bezieht er sich auf die jeweils einschlägigen Definitionen aus lit. a-c.
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Welcher Staat ersuchter Mitgliedstaat ist, beurteilt sich bei der Vollstreckung ganz formell danach, die Organe welchen Staates Adressaten des Antrags sind. Ersuchter Mitgliedstaat ist derjenige Staat, dessen Vollstreckungsorgane vom Gläubiger angegangen werden.
45
Bei der Anerkennung gibt es einen spezifisch anerkennungsbezogenen Antrag nur, wenn Gläubiger oder Schuldner ein Feststellungsverfahren nach Art. 36 Abs. 2 Brüssel Ia-VO beantragt. Ansonsten erfolgt die Anerkennung inzident und automatisch in Verfahren mit einem anderen, nicht spezifisch anerkennungsbezogenen Antrag. Für das Identifizieren, welcher Staat ersuchter Mitgliedstaat ist, ist dann jener Antrag in der Hauptsache maßgeblich. Einen isolierten Antrag des Schuldners auf Versagung der Anerkennung kann es nicht geben. Auch Art. 45 Abs. 4 Brüssel Ia-VO eröffnet ihn nicht. Der Anerkennungsversagungsantrag ist vielmehr verfahrenstechnisch akzessorisch zum (und abhängig vom) Hauptantrag des Gläubigers, der inzident zur Anerkennung führt.
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Es kann mehrere ersuchte Mitgliedstaaten nebeneinander geben, wenn der Gläubiger Anträge in mehreren Mitgliedstaaten stellt. Für den einzelnen Antrag gibt es aber jeweils nur einen einzigen ersuchten Mitgliedstaat.
47
Die Brüssel Ia-VO kann nur die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen aus Mitgliedstaaten in anderen Mitgliedstaaten regeln. Dagegen kann sie weder die Anerkennung, noch die Vollstreckung von Entscheidungen aus Mitgliedstaaten in Drittstaaten regeln. Daraus erklärt sich die Beschränkung auf „ersuchter Mitgliedstaat“.114
48
VI. Ursprungsgericht (lit. f) „Ursprungsgericht“ meint ausweislich lit. f das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, deren Anerkennung geltend gemacht oder deren Vollstreckung beantragt wird. Der Entscheidungsbegriff ist derjenige aus lit. a.
49
1. Gericht Der Begriff des Gerichts wird in Art. 2 Brüssel Ia-VO nirgends definiert, sondern ebenso voraus- 50 gesetzt wie in Art. 4 Nr. 1, 6 EG-VollstrTVO.115 Eine positive Definition aufzustellen, die einerseits trennscharf und andererseits offen genug ist, ist eine schwierige und nahezu unmögliche Aufgabe.116 Zwar schlägt Art. 3 Brüssel Ia-VO bestimmte Behörden zu den Gerichten, und Art. 71a Brüssel IaVO erhebt aufgelistete gemeinsame Gerichte mehrerer Mitgliedstaaten zu Gerichten im Sinne der Brüssel Ia-VO. Aber auch in Art. 3 Brüssel Ia-VO und in Art. 71a Brüssel Ia-VO findet sich keine 114 Hervorhebung hinzugefügt. 115 AG Bobek, Schlussanträge v. 27.10.2016 in der Rs. C-551/15, ECLI:EU:C:2016:825 Rz. 62; H. Roth, IPRax 2018, 41, 42. 116 GA Szpunar, Schlussanträge v. 18.10.2017 in der Rs. C-467/16, ECLI:EU:C:2017:768 Rz. 57.
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Art. 2 Brüssel Ia-VO Begriffsbestimmungen übergreifende Definition von „Gericht“. Vielmehr wird ein Grundverständnis von „Gericht“ dort gerade vorausgesetzt. An einer Definition fehlt es also in der gesamten Brüssel Ia-VO.117 Die Brüssel IaVO schreibt keine bestimmte Gerichtsorganisation vor.118 50a
Der Gerichtsbegriff der Brüssel Ia-VO ist zwar nirgends ausdrücklich definiert. Er umfasst indes grundsätzlich keine Behörden.119 Das ergibt sich im Umkehrschluss eben aus Art. 3 Brüssel Ia-VO: Dort werden drei ausgewählte Behörden ausnahmsweise unter den Gerichtsbegriff gezogen. Dies ausdrücklich zu tun wäre überflüssig, wenn der Gerichtsbegriff bereits von vornherein alle Behörden mitumfassen würde.120 Außerdem sind echte Verwaltungssachen durch Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vom sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO insgesamt ausgrenzte.121 Ein vergleichender Blick in das IPR geht in eine ähnliche Richtung:122 Dort ist Rechtsdurchsetzung durch Behörden im Allgemeinen und durch spezielle, eigens dafür eingerichtete Behörden im Besonderen ein Indiz für einen eingriffsrechtlichen Charakter der durchzusetzenden Rechtsnormen.123
50b
Dies alles trifft jedoch nur Behörden, die eine genuin administrative Tätigkeit ausüben. Nehmen Behörden ausnahmsweise judikative Aufgaben wahr, so sind andere Wertungen einschlägig.124 Art. 3 zieht die dort herausgehobenen Behörden unter den Gerichtsbegriff, weil ihre gesamte Tätigkeit eigentlich eine judikative ist. Art. 3 ist jedoch nur eine sehr partikuläre Sonderregel.125 Sonderfälle tragen keine Verallgemeinerung.126 Die Brüssel Ia-VO enthält keine Parallelnorm zu Art. 3 Abs. 2 EGErbVO127 (woraus aber andererseits auch kein Umkehrschluss zu ziehen ist, dass die in Art. 3 Abs. 2 EG-ErbVO herangezogenen Kriterien unter der Brüssel Ia-VO sachlich unpassend wären).
51
Dagegen versucht sich Art. 5 Nr. 3 EG-MahnVO an einer Umschreibung des Gerichtsbegriffs. Dort fallen unter diesen Begriff alle Behörden der Mitgliedstaaten, die für einen Europäischen Zahlungsbefehl oder jede andere damit zusammenhängende Angelegenheit zuständig sind. Diese Umschreibung ist jedoch spezifisch auf die Zwecke der EG-MahnVO zugeschnitten und lässt sich nicht für die Brüssel Ia-VO tel quel verallgemeinern.
52
Gehaltvoller, jedenfalls ausführlicher ist Art. 2 Abs. 2 EG-UntVO. Diesem zufolge schließt der Begriff „Gericht“ unter der EG-UntVO auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten mit Zuständigkeit in Unterhaltssachen ein, sofern diese Behörden ihre Unparteilichkeit und das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör garantieren und ihre Entscheidungen nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem sie ihren Sitz hat,128 vor Gericht angefochten oder von einem Gericht nachgeprüft werden können (i) und eine mit einer Entscheidung eines Gerichts zu der gleichen Angelegenheit vergleichbare Rechtskraft und Wirksamkeit haben (ii). Dies ist allerdings von Besonderheiten in Unterhaltssachen geprägt, wie Erwägungsgrund (12) EG-UntVO betont, und setzt seinerseits wieder einen anderweitig herzuleitenden Gerichtsbegriff voraus. Funktionell ist Art. 2 Abs. 2 EG-UntVO ebenso wie Art. 3 Brüssel Ia-VO eine Erweiterung des Gerichtsbegriffs, beschränkt sich aber nicht auf spezielle Erweite117 KOM (2013) 554, S. 5. Vgl. Future New Developments Ltd. v. B & S Patente und Marken GmbH [2014] EWHC 1874 (IPEC) [20] (Ch. D., Judge Hacon); Mankowski, EuZA 2016, 244, 247. 118 EuGH v. 7.5.2020 – C-267/19 u. C-323/19, ECLI:EU:C:2020:351 Rz. 48 – Parking d.o.o. vs. Sawal d.o.o u. Interplastics s.r.o. vs. Letifico d.o.o. 119 Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 3 Rz. 2 sowie Bariatti in Omaggio Aldo Attardi (2009) 831, 833. 120 Ähnlich Wieczorek/Schütze/G. Schulze, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 24. 121 Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 3 Rz. 1. 122 Mankowski, EuZA 2016, 244, 247. 123 Mankowski, FamRZ 1999, 1313, 1314; Mankowski in Spindler (Hrsg.), Vertragsrecht der Internet-Provider (2. Aufl. 2004) Teil III Rz. 59; Spindler, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 S. 13, 24 (März 2001); v. Bar/Mankowski/ Mankowski, Internationales Privatrecht I: Allgemeine Lehren (2. Aufl. 2003) § 4 Rz. 95. 124 Mankowski, EuZA 2016, 244, 247. 125 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 46 – Pula Parking d.o.o.vs. Sven Klaus Tederahn; AG Bobek, Schlussanträge v. 27.10.2016 in der Rs. C-551/15, ECLI:EU:C:2016:825 Rz. 62. Ebenso EuGH v. 9.3.2017 – C-484/15, ECLI:EU:C:2017:199 Rz. 35 f. – Ibrica Zulfikarpasˇic´ vs. Slaven Gajer zu Art. 4 Nr. 7 EuVTVO. 126 AG Bobek, Schlussanträge v. 27.10.2016 in der Rs. C-551/15, ECLI:EU:C:2016:825 Rz. 67. Vgl. aber auch GA Bot, Schlussanträge v. 8.9.2016 in der Rs. C-484/15, ECLI:EU:C:2016:654 Rz. 96. 127 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 48 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn. 128 Der Singular findet sich tatsächlich im offiziellen deutschen Text.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 2 Brüssel Ia-VO
rungen für einzelne Mitgliedstaaten, sondern setzt generisch an. Art. 2 Abs. 2 EG-UntVO indiziert zudem positiv, dass Unabhängigkeit und (potentielle) Wahrung des rechtlichen Gehörs Grundvoraussetzungen für Gerichte sind. Insoweit enthält er einen verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedanken, der sich für einen allgemeinen Gerichtsbegriff auch unter der Brüssel Ia-VO fruchtbar machen lässt. Art. 1 Abs. 3 lit. c S. 2 Vorschlag Brüssel Ia-VO sah noch eine sehr weite Definition des Begriffs „Ge- 52a richt“ als „jede Behörde, die ein Mitgliedstaat als für einen in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallenden Sachverhalt zuständig bezeichnet“ vor. Mit dieser Vorstellung ist die Kommission gescheitert.129 Die Genese spricht also für einen engeren Gerichtsbegriff, der grundsätzlich nicht bloße Behörden umfasst.130 Aussagekräftig dürfte auch sein, dass sich durch die Nichtübernahme ein merklicher Kontrast zu Art. 2 Nr. 1 Brüssel Ia-VO; 5 Nr. 3 EG-MahnVO und insbesondere zu Art. 62 LugÜbk 2007 ergibt, die alle auf eine Behördeneigenschaft als Grundmerkmal für ein Gericht rekurrieren.131 Andererseits sind rechtsaktübergreifende Überlegungen nur bedingt tragfähig, da es im Gesamtsystem mindestens drei, miteinander nicht kohärente Definitionen für „Gericht“ gibt.132 Der Begriff des „Gerichts“ ist für die Zwecke der Brüssel Ia-VO autonom auszulegen; dabei sind die allgemeine Systematik, die Ziele und die Entstehungsgeschichte der Brüssel Ia-VO zu berücksichtigen.133 Anlehnungen an Art. 6 EMRK erscheinen möglich,134 ebenso Anlehnungen an Art. 267 AEUV.135 Unter einem Gericht ist ein Rechtsprechungsorgan zu verstehen, das kraft seines Auftrags selbst über zwischen den Parteien bestehende Streitpunkte entscheidet.136 Ob dies der Fall ist, lässt sich freilich nur unter Rückgriff auf die nationalen Rechtssysteme ermitteln, indem ein Gericht institutionell eine anerkannte Einrichtung im Rahmen der staatlichen Gerichtsorganisation sein muss.137 Welchem Gerichtszweig der Spruchkörper angehört, spielt keine Rolle.
52b
Diese institutionell-funktionelle Umschreibung eines Gerichts hat den Vorteil der Einfachheit und der Kongruenz mit einem „natürlichen“, quasi auf Anschauung beruhenden Begriffsverständnis.138 Sie bewährt sich insbesondere im Bereich der Anerkennung, weil sie das zweistaatliche Gericht der Mühe enthebt, umfangreiche Erforschungsarbeit in die Qualität des erststaatlichen Entscheidungsorgans zu investieren.139 Das wechselseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten gebietet eine zü-
52c
129 Siehe nur Pailler, Rev. crit. dip. 2017, 476, 478. 130 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 55 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn; Rauscher, ZVR 2018, 261; Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 9 (Mankowski). 131 C. Rauscher, ZVR 2018, 261 sowie GA Szpunar, Schlussanträge v. 18.10.2017 in der Rs. C-467/16, ECLI:EU: C:2017:768 Rz. 58; vgl. GA Bot, Schlussanträge v. 8.9.2016 in der Rs. C-474/15, ECLI:EU:C:2016:654 Rz. 69 f., 103 (allerdings im Kontext der EuVTVO). Unter Art. 62 LugÜbk 2007 sind schweizerische Schlichtungsbehörden Gerichte, wenn sie das obligatorische Schlichtungsverfahren nach Art. 192–211 schwZPO (dazu z.B. Lötscher-Steiger, FS Sutter-Somm. [2015] 409 und zur daraus resultierenden Klagbewilligung als Prozessvoraussetzung Grolimund/Bachofner, FS Sutter-Somm. [2015] 137) durchführen; EuGH v. 20.12.2017 – C-467/16, ECLI:EU:C:2017:993 Rz. 53–55 – Brigitte Schlömp vs. Landratsamt Schwäbisch Hall; GA Szpunar, Schlussanträge v. 18.10.2017 in der Rs. C-467/16, ECLI:EU:C:2017:768 Rz. 58–62; Markus/Renz, AJP 2017, 1350, 1356–1358; M. Streicher, FamRB 2018, 57, 58; Markus/Huber-Lehmann, SZIER 2018, 75, 79 f.; Markus, GPR 2019, 60, 62–64. 132 GA Bot, Schlussanträge v. 8.9.2016 in der Rs. C-474/15, ECLI:EU:C:2016:654 Rz. 73. 133 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 42–55 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn. 134 Schlosser/Hess/Hess, Rz. 6. 135 AG Bobek, Schlussanträge v. 27.10.2016 in der Rs. C-551/15, ECLI:EU:C:2016:825 Rz. 80 f., 83; H. Roth, IPRax 2018, 41, 42 sowie GA Bot, Schlussanträge v. 8.9.2016 in der Rs. C-484/15, ECLI:EU:C:2016:654 Rz. 83 f. Skeptisch dagegen Pailler, Rev. crit. dip. 2017, 476, 480 f. 136 EuGH v. 2.6.1994 – C-414/92, ECLI:EU:C:1994:221 Rz. 17 – Solo Kleinmotoren vs. Boch; EuGH v. 14.10.2004 – C-39/02, ECLI:EU:C:2004:615 Rz. 45 – Mærsk Olie & Gas vs. de Haan en de Boer = Rev. crit. dip. 2005, 118 m. Anm. Pataut = IPRax 2006, 262 (dazu Smeele, IPRax 2006, 229). 137 AG Bobek, Schlussanträge v. 27.10.2016 in der Rs. C-551/15, ECLI:EU:C:2016:825 Rz. 85 f. 138 AG Bobek, Schlussanträge v. 27.10.2016 in der Rs. C-551/15, ECLI:EU:C:2016:825 Rz. 88 sowie Markus/Huber-Lehmann, SZIER 2018, 75, 79 f. 139 AG Bobek, Schlussanträge v. 27.10.2016 in der Rs. C-551/15, ECLI:EU:C:2016:825 Rz. 89.
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Art. 2 Brüssel Ia-VO Begriffsbestimmungen gige, schnelle und einfache Möglichkeit, Gerichtsentscheidungen als solche zu identifizieren.140 Mit Blick auf Anerkennung und Vollstreckung setzt die Wahrung des Grundsatzes vom wechselseitigen Vertrauen voraus, dass Entscheidungen in einem gerichtlichen Verfahren ergangen sind, welches die Gewähr für Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bietet.141 Das Verfahren soll auch (potentiell) kontradiktorisch sein.142 Indes würde einen nachlaufende Rechtsbehelfsmöglichkeit einen hinreichend kontradiktorischen Charakter bereits herstellen,143 wie sich aus lit. a Abs. 2 S. 2 ebenso ableiten lässt144 wie aus Art. 45 Abs. 1 lit. b Halbs. 2 Brüssel Ia-VO. 52d
Etliche Mitgliedstaaten (insbesondere Spanien, Ungarn und Kroatien) übertragen zunehmend Aufgaben, die traditionell von Gerichten wahrgenommen werden. Offenheit gegenüber solchen Strukturänderungen wäre daher eigentlich anzuraten.145 Auf der anderen Seite kann man aus Art. 3 Brüssel Ia-VO einen Umkehrschluss ziehen, dass Notare eben nur dann als „Gerichte“ zu akzeptieren sind, wenn dies in der Brüssel Ia-VO ausdrücklich normiert ist.146 Notare sind als Folge eines organisatorisch-formalen, nicht funktionalen Gerichtsbegriffs grundsätzlich (d.h. vorbehaltlich ausdrücklicher Erweiterung durch Art. 3 Brüssel Ia-VO) keine Gerichte.147 2. Ursprungsgericht
53
„Ursprungsgericht“ ist dasjenige Gericht, welches die Entscheidung erlassen hat, deren Anerkennung geltend gemacht oder deren Vollstreckung beantragt wird. Entscheidend ist der formelle Erlass. Typischerweise ergibt sich für praktische Zwecke bereits aus der Entscheidung, von welchem Gericht sie stammt. Bei einer Anerkennung und Vollstreckung ist zu vermuten, dass das in der Bescheinigung nach Art. 53 Brüssel Ia-VO unter der Rubrik 1 „Ursprungsgericht“ angegebene Gericht das Ursprungsgericht ist.
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Ob das entscheidende Gericht hätte entscheiden dürfen oder ob es sich zu Unrecht Entscheidungskompetenz angemaßt hat, spielt keine Rolle. Ausschlaggebend ist allein, dass es entschieden hat und eine Entscheidung in die Welt gesetzt hat. Rechtmäßigkeit der Entscheidung ist keine Voraussetzung, damit ein Gericht, das entschieden hat, die Qualität als Ursprungsgericht hat. Alles andere würde mit den fundamentalen Wertungen der Art. 52 Brüssel Ia-VO, 45 Abs. 1 lit. e, Abs. 3 Brüssel Ia-VO konfligieren.
55
In anderen Kontexten als der Anerkennung und Vollstreckung kommt es nicht auf ein Ursprungsgericht an. Daher verwendet die Brüssel Ia-VO diesen Begriff konsequent weder in den Zuständigkeitstatbeständen noch bei den Litispendenzregeln.
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Den Begriff „Ursprungsgericht“ verwendet vorzüglich Art. 45 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO: Bei der – von Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO eng begrenzten – Nachprüfung der indirekten internationalen Zuständigkeit ist das mit der Anerkennung befasste Gericht an die tatsächlichen Feststel140 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 54 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn; Wolber, EuZW 2017, 680, 683. Siehe auch EuGH v. 7.5.2020 – C-267/19 u. C-323/19, ECLI:EU:C:2020:351 Rz. 43 – Parking d.o.o. vs. Sawal d.o.o u. Interplastics s.r.o. vs. Letifico d.o.o. Ebenso EuGH v. 9.3.2017 – C-484/15, ECLI:EU:C:2017:199 Rz. 43 – Ibrica Zulfikarpasˇic´ vs. Slaven Gajer zur EuVTVO. 141 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 54 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 54. Ebenso EuGH v. 9.3.2017 – C-484/15, ECLI:EU:C:2017:199 Rz. 43 – Ibrica Zulfikarpasˇic´ vs. Slaven Gajer zur EuVTVO. 142 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 54 – Pula Parking d.o.o. vs. Sven Klaus Tederahn Ebenso EuGH v. 9.3.2017 – C-484/15, ECLI:EU:C:2017:199 Rz. 43 – Ibrica Zulfikarpasˇic´ vs. Slaven Gajer ECLI:EU:C:2017:199 Rz. 43 zur EuVTVO. 143 Vgl. EuGH v. 7.5.2020 – C-267/19 u. C-323/19, ECLI:EU:C:2020:351 Rz. 52 – Parking d.o.o. vs. Sawal d.o.o u. Interplastics s.r.o. vs. Letifico d.o.o. 144 H. Roth, IPRax 2018, 41, 43. 145 Nourissat, Procédures mai 2017, 36 f. 146 H. Roth, IPRax 2018, 41, 43. 147 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15, ECLI:EU:C:2017:193 Rz. 56, 59 – Pula Parking d.o.o. vs./Sven Klaus Tederahn; EuGH v. 7.5.2020 – C-267/19 u. C-323/19, ECLI:EU:C:2020:351 Rz. 47 – Parking d.o.o. vs. Sawal d.o.o u. Interplastics s.r.o. vs. Letifico d.o.o.; H. Roth, IPRax 2018, 41, 43; Markus/Huber-Lehmann, SZIER 2018, 75, 82.
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Kap. I: Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen
Art. 3 Brüssel Ia-VO
lungen gebunden, aufgrund derer das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit angenommen hat (Art. 45 Abs. 2 Brüssel Ia-VO); und die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts darf jenseits des Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO nicht nachgeprüft werden (Art. 45 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO). Welches Gericht Ursprungsgericht ist, hat zudem Bedeutung für die Bescheinigung nach Art. 53 Brüssel Ia-VO. Denn ausweislich Art. 53 Brüssel Ia-VO hat das Ursprungsgericht diese auf Antrag eines Berechtigten unter Verwendung des Formblatts in Anhang 1 auszustellen. Konsequent widmet das Bescheinigungsmuster seine Rubrik 1 dem Ursprungsgericht mit: Bezeichnung (1.1); Anschrift (1.2) nach Straße und Hausnummer/Postfach (1.2.1), Postleitzahl und Ort (1.2.2), Mitgliedstaat (1.2.3); Telefon (1.3); Fax (1.4); E-Mail, falls verfügbar (1.5).
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Wird eine Entscheidung im erststaatlichen Instanzenzug abgeändert, so kommt es auf das Recht des Erststaates an, ob die Abänderung durch das im Instanzenzug übergeordnete Gericht die relevante Entscheidung ist oder ob die abgeänderte Entscheidung als Entscheidung des unterinstanzlichen Gerichts gilt, ob also das höher- oder das unterinstanzliche Gericht als Ursprungsgericht gilt. Aus der Perspektive des Zweitstaates sind beide Varianten gleichwertig, da sowohl das unter- als auch das höherinstanzliche Gericht Gerichte des Erststaates sind. Art. 51 Abs. 1 Brüssel Ia-VO reagiert nur auf noch anhängige ordentliche Rechtsbehelfsverfahren im Erststaat, bevor eine Abänderung angeordnet ist.
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Erlässt ein in Art. 71a Abs. 2 Brüssel Ia-VO aufgelistetes gemeinsames Gericht mehrerer Vertragsstaaten eine Entscheidung, so ist es Ursprungsgericht jener Entscheidung. Für die Zwecke des Art. 45 Abs. 1 lit. e, Abs. 2, Abs. 3 Brüssel Ia-VO ist die Zuständigkeit dann mit Hilfe des Art. 71a Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu beurteilen.
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Artikel 3 [Begriff „Gericht“] Für die Zwecke dieser Verordnung umfasst der Begriff „Gericht“ die folgenden Behörden, soweit und sofern sie für eine in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallende Angelegenheit zuständig sind: a) in Ungarn, bei summarischen Mahnverfahren (fizetési meghagyásos eljárás), den Notar (közjegyzo˝), b) in Schweden, bei summarischen Mahnverfahren (betalningsföreläggande) und Beistandsverfahren (handräckning), das Amt für Beitreibung (Kronofogdemyndigheten). Hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung erfordert Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO die Entschei- 1 dung eines „Gerichts“. Gleichzeitig definiert die Verordnung diesen Begriff nicht näher, sondern setzt ihn vielmehr voraus.1 Nach Maßgabe des Art. 32 Brüssel Ia-VO gilt der Zuständigkeitskatalog ebenso für die in dieser Vorschrift genannten Verfahren vor Notaren und vor dem Amt für Beitreibung. Diese Erweiterung des Begriffs „Gericht“ ist den besonderen nationalen Organisationstrukturen der betreffenden Länder geschuldet.3 Ein extensiveres Begriffsverständnis unter Einbezug von Notaren anderer Staaten wurde vom EuGH4 unlängst mit dem Verweis auf die verordnungsautonome Auslegung und die fehlende kontradiktorische Tätigkeit des Notars abgelehnt.5 Damit nehmen nur die Entscheidungen aus den summarischen Mahn- und Beistandsverfahren nach schwedischem Recht, sowie aus den summarischen Mahnverfahren gem. ungarischem Recht an der Titelfreizügigkeit teil soweit diese dem Anwendungsbereich des Sekundärrechtsakts unterfallen.6 Folglich sind weiterhin 1 Vgl. Roth, IPrax 2018, 42. 2 Siehe zur Vorgängernorm Art. 62 Brüssel I-VO auch die Begründung des Kommissionsentwurfs, KOM(1999) 348, S. 23 = BR-Drucks. 534/99, 22 (zu Art. 32 des Entwurfs). 3 Musielak/Voit/Stadler, Art. 3 Rz. 1; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 1. 4 EuGH v. 9.3.2017 – C-551/15 – Pula Parking d.o.o. vs. Tederahn, EuZW 2017, 686 m. Anm. Wolber = DAR 2017, 254 m. Anm. Rauscher. 5 Rauscher, DAR 2017, 257; Roth, IPrax 2018, 43. 6 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 1.
Mankowski und Staudinger
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 die Zuständigkeitsregeln der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO sowie Entscheidungen nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO zu beachten.7 Gleiches galt nach der Vorgängernorm des Art. 62 Brüssel I-VO gem. Art. 2 Abs. 2 lit. c des zwischen der EG und Dänemark geschlossenen Übereinkommens vom 19.10.20058 für dänische Verwaltungsbehörden in Unterhaltssachen.9 Art. 62 Brüssel I-VO war in dem Falle dahingehend um einen Absatz zu ergänzen. Diese Ergänzung ist insofern im Rahmen des Parallelabkommens zur Brüssel Ia-VO nicht mehr von Nöten, als sich die Unterhaltssachen fortan ausschließlich nach der EG-UntVO10 richten, an der sich Dänemark mit Ausnahme des Kapitels III und VII der Verordnung beteiligt.11
Kapitel II Zuständigkeit Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen
Vorbemerkungen zu Art. 4 I. 1. 2. 3.
4. 5. II. 1. 2. III.
IV.
Zuständigkeitssystem der Brüssel Ia-VO . Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . Annexkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . Beweislast für zuständigkeitsbegründende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Doppelrelevante Tatsachen . . . . . . . . Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . Internationaler Anwendungsbereich des Zuständigkeitsregimes . . . . . . . . . . . . Internationalität kraft Drittstaatenbezugs . Reine Inlandssachverhalte . . . . . . . . . . Keine Abweisung nach Ermessen des Gerichts trotz gegebenem Gerichtsstand (forum non conveniens) . . . . . . . . . . . Zusammenspiel zwischen der Brüssel IaVO und dem nationalen Recht . . . . . . .
1 1 6 7 7 12 17 19 25 26 29
32
V. Unzulässigkeit gerichtlicher Klagverbote, insbesondere der anti-suit injunction . . . 1. Anti-suit injunctions . . . . . . . . . . . . . 2. Unzulässigkeit von anti-suit injunctions im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO . . . 3. Anti-anti-suit injunctions . . . . . . . . . . 4. Contempt of court . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schadensersatz wegen Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen? . . . . . . . 6. Anti-suit injunctions gegen Prozessführung in Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Anti-enforcement injunctions . . . . . . . . VI. Aufrechnung und Prozessaufrechnung . . VII. Unionsrechtliche Staatshaftung wegen Fehlanwendung europäischer Gerichtsstandsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . .
49 49 50 55 56 57 66 66a 67
71
43
7 Hk-ZPO/Dörner, Rz. 2. 8 Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2005 L 299/62 ff.; zum Inkrafttreten s. ABl. EU 2007 L 94/70; s. auch die Angaben in Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 15. 9 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 36 Rz. 8. 10 Verordnung (EG) 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EG-UntVO), ABl. EU Nr. L 7/1; vgl. MünchKomm/BGB/Staudinger, Art. 15 EuUnthVO Rz. 15; Ulrici, JZ 2016, 128; BT-Drucks. 18/823, 20. 11 Dänemark hat der Kommission nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 2 des Parallelübereinkommens am 14.1.2009 mitgeteilt, dass es die mit der EG-UntVO vorgenommenen Änderungen der Brüssel I-VO umsetzen wird; s. dazu Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 1 EG-UntVO Rz. 50.
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Staudinger und Mankowski
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 die Zuständigkeitsregeln der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO sowie Entscheidungen nach Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO zu beachten.7 Gleiches galt nach der Vorgängernorm des Art. 62 Brüssel I-VO gem. Art. 2 Abs. 2 lit. c des zwischen der EG und Dänemark geschlossenen Übereinkommens vom 19.10.20058 für dänische Verwaltungsbehörden in Unterhaltssachen.9 Art. 62 Brüssel I-VO war in dem Falle dahingehend um einen Absatz zu ergänzen. Diese Ergänzung ist insofern im Rahmen des Parallelabkommens zur Brüssel Ia-VO nicht mehr von Nöten, als sich die Unterhaltssachen fortan ausschließlich nach der EG-UntVO10 richten, an der sich Dänemark mit Ausnahme des Kapitels III und VII der Verordnung beteiligt.11
Kapitel II Zuständigkeit Abschnitt 1 Allgemeine Bestimmungen
Vorbemerkungen zu Art. 4 I. 1. 2. 3.
4. 5. II. 1. 2. III.
IV.
Zuständigkeitssystem der Brüssel Ia-VO . Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . Annexkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . Beweislast für zuständigkeitsbegründende Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Doppelrelevante Tatsachen . . . . . . . . Beweismaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . Internationaler Anwendungsbereich des Zuständigkeitsregimes . . . . . . . . . . . . Internationalität kraft Drittstaatenbezugs . Reine Inlandssachverhalte . . . . . . . . . . Keine Abweisung nach Ermessen des Gerichts trotz gegebenem Gerichtsstand (forum non conveniens) . . . . . . . . . . . Zusammenspiel zwischen der Brüssel IaVO und dem nationalen Recht . . . . . . .
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V. Unzulässigkeit gerichtlicher Klagverbote, insbesondere der anti-suit injunction . . . 1. Anti-suit injunctions . . . . . . . . . . . . . 2. Unzulässigkeit von anti-suit injunctions im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO . . . 3. Anti-anti-suit injunctions . . . . . . . . . . 4. Contempt of court . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schadensersatz wegen Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen? . . . . . . . 6. Anti-suit injunctions gegen Prozessführung in Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Anti-enforcement injunctions . . . . . . . . VI. Aufrechnung und Prozessaufrechnung . . VII. Unionsrechtliche Staatshaftung wegen Fehlanwendung europäischer Gerichtsstandsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7 Hk-ZPO/Dörner, Rz. 2. 8 Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2005 L 299/62 ff.; zum Inkrafttreten s. ABl. EU 2007 L 94/70; s. auch die Angaben in Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 15. 9 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 36 Rz. 8. 10 Verordnung (EG) 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EG-UntVO), ABl. EU Nr. L 7/1; vgl. MünchKomm/BGB/Staudinger, Art. 15 EuUnthVO Rz. 15; Ulrici, JZ 2016, 128; BT-Drucks. 18/823, 20. 11 Dänemark hat der Kommission nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 2 des Parallelübereinkommens am 14.1.2009 mitgeteilt, dass es die mit der EG-UntVO vorgenommenen Änderungen der Brüssel I-VO umsetzen wird; s. dazu Andrae in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), Art. 1 EG-UntVO Rz. 50.
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Staudinger und Mankowski
Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
Schrifttum: 1. 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Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19. 3. 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Mankowski
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 verhältnisse im Europäischen Zivilprozessrecht: Grenzüberschreitende v. nationale Sachverhalte, in von Hein/G. 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Mankowski
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
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Aufrechnung und Prozessaufrechnung: Bacher, Zuständigkeit nach EuGVÜ bei Prozessaufrechnung, NJW 1996, 2140; Badelt, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-spanischen Rechtsverkehrs (2005), zitiert: Badelt; Bork, Die Aufrechnung des Beklagten im internationalen Zivilverfahren, in FS Kostas E Beys (2003) 119; Peter-Andreas Brand, Internationale Zuständigkeit bei Prozessaufrechnungen – Prozessuales Aufrechnungsverbot und Zurückbehaltungsrechte des Beklagte im inländischen Passivprozess bei Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands für die Gegenforderung, IPRax 2019, 294; Busse, Aufrechnung bei internationalen Prozessen vor deutschen Gerichten, MDR 2001, 729; Coester-Waltjen, Die Aufrechnung im internationalen Zivilprozessrecht, in FS Gerhard Lüke (1997) 35; Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage (1985), zitiert: Eickhoff; Gebauer, Internationale Zuständigkeit und Prozessaufrechnung, IPRax 1998, 79; Urs Peter Gruber, Ungeklärte Zuständigkeitsprobleme bei der Prozessaufrechnung, IPRax 2002, 285; Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Prozessrecht (1998), zitiert: Kannengießer; Koutsoukou, Die Aufrechnung im europäischen Kollisionsund Verfahrensrecht (2018), zitiert: Koutsoukou; Lieder, Die Aufrechnung im Internationalen Privat- und Verfah-
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 rensrecht, RabelsZ 78 (2014) 809; Mankowski, Urteilsanmerkung, ZZP 109 (1996) 376; Merlin, Riconvenzione e compensazione al vaglio delle Corte di Giustizia – una nozione communitaria di „eccezione“?, Riv. dir. proc. 1999, 48; Jean Mohamed, Die Aufrechnung bei anderweitiger internationaler Gerichtszuständigkeit durch Gerichtsstandsvereinbarung, ZZP Int 22 (2017) 255; Herbert Roth, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit nach deutschem und europäischem Prozessrecht, RIW 1999, 819; Rüßmann, Die internationale Zuständigkeit für Widerklage und Prozessaufrechnung, in FS Akira Ishikawa (2001) 455; Slonina, Aufrechnung nur bei internationaler Zuständigkeit oder Liquidität?, IPRax 2009, 399; Gerhard Wagner, Die Aufrechnung im Europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 1999, 65; Wendelstein, Die internationale Prozessaufrechnung mit einer dem italienischen Recht unterliegenden Gegenforderung, IPRax 2016, 572.
I. Zuständigkeitssystem der Brüssel Ia-VO 1. Grundsätzliches 1
Die Brüssel Ia-VO enthält in Art. 4–26 Brüssel Ia-VO ein differenziertes und ausgefeiltes System von Gerichtsständen. Dieses System ist als möglichst lückenloses System konzipiert, um einerseits konkurrierende Verfahren möglichst zu vermeiden und andererseits keine Rechtsschutzlücken aufkommen zu lassen.1 Für die internationale Zuständigkeit verdrängt die Brüssel Ia-VO Regelungen des nationalen Rechts vollständig. Als Unionsrechtsakt und Verordnung genießt die Brüssel Ia-VO nach Art. 288 Unterabs. 2 AEUV Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht. Der Rechtsanwender muss für die internationale Zuständigkeit zunächst von ihr ausgehen und sie befragen, was sie gebietet. Die Brüssel Ia-VO muss der Startpunkt sein.2 Ihre Regeln sind Befolgungsregeln.3 Nationales Zuständigkeitsrecht hat nur noch den Platz, welchen die Brüssel Ia-VO ihm zuweist: vorbehaltlich Art. 24 Brüssel Ia-VO und Art. 25 Brüssel Ia-VO bei Wohnsitz des Beklagten außerhalb der EU (Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO), für Altfälle und für Sachverhalte, die kraft Art. 1 sachlich nicht unter die Brüssel Ia-VO fallen.4 Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, in den von der Brüssel Ia-VO genannten Fällen ein Gericht zur Verfügung zu stellen.5 Insofern besteht ein Justizgewährungsanspruch gegenüber dem Kläger. Andererseits kennt die Brüssel Ia-VO – anders als Art. 11 EuErbVO; Art. 11 EuGüVO; Art. 11 EuPartVO – keine Notzuständigkeit, kein forum necessitatis, bei der europäisch geregelten internationalen Zuständigkeit.6 Ein entsprechender Vorschlag der Kommission7 im Anschluss an die GEDIP8 ist aus guten Gründen9 gescheitert. Allenfalls über Art. 8 EMRK ließe sich an eine Weltrechtsnotzuständigkeit für Menschenrechtsverletzungen denken.10
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Bei den Gerichtsständen sind vier Kategorien zu unterscheiden: allgemeine, besondere, halbausschließliche und ausschließliche Gerichtsstände. Der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten nach Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO steht grundsätzlich für alle Ansprüche offen, für die keine anderweitige ausschließliche Zuständigkeit besteht. Die besonderen Gerichtsstände nach Art. 7 Brüssel Ia-VO, Art. 8 Brüssel Ia-VO ergänzen als optionale Gerichtsstände für bestimmte Ansprüche den allgemeinen Gerichtsstand. Sie stehen neben diesem und, soweit sie sich sachlich überschneiden, auch nebeneinander. Sie bezeichnen jeweils den Anknüpfungspunkt, welcher den Sachverhalt bzw. die Klage mit dem Forumstaat verbinden muss. Dagegen gewähren sie dem an seinem Wohnsitz Beklagten keine Einrede.11 Auch wenn ein Tatbestand außerhalb des Wohnsitzstaates einen besonderen 1 Siehe EuGH Gutachten 1/03 Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, EuGHE 2006 I 1145, 1203 Nr. 141. 2 Siehe nur Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2018, 1047, 1048; Hess, IPRax 2018, 258. 3 Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 9. 4 Siehe nur Estevez González, AEDIPr 2000, 816, 817. 5 Siehe nur Geimer, WM 1976, 830, 835; Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 2. 6 Zu Notzuständigkeiten im europäischen IZPR Lagarde, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 255; außerdem z.B. Cafari Panico in Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Bruxelles I (2012) 127. Zu besonderen Konstellationen unter der EMRK Ibili, NIPR 2018, 695. 7 KOM (2010) 748, 36 Art. 26. 8 European Group for Private International Law (Bergen Session, 21 September 2008), IPRax 2009, 283, 284 Art. 24bis. 9 Z.B. U. Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 268 f. 10 EGMR v. 15.3.2018 – 51357/07 – Naït-Liman/Schweiz; Camanna Comunità Int 2019, 503.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
Gerichtsstand begründen würde, bleibt der allgemeine Gerichtsstand bestehen.12 Halbausschließliche Gerichtsstände bestehen unter den Schutzregimes bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen.13 Ausschließliche Gerichtsstände nach Art. 24 Brüssel Ia-VO bzw. Art. 25 Brüssel IaVO verdrängen alle anderen Gerichtsstände. Neben ausschließlichen Gerichtsständen können nur andere ausschließliche Gerichtsstände existieren. Eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Brüssel Ia-VO begründet grundsätzlich einen ausschließlichen Gerichtsstand, muss aber den ausschließlichen Gerichtsständen nach Art. 24 Brüssel Ia-VO weichen. Sie hat aber Prüfungsvorrang vor Art. 6 Brüssel Ia-VO und vor Art. 7 Brüssel Ia-VO, Art. 8 Brüssel Ia-VO.14 Rügelose Einlassung seitens des Beklagten macht das angerufene Forum nach Art. 26 Brüssel Ia-VO grundsätzlich zuständig, es sei denn, es bestünde ein ausschließlicher Gerichtsstand nach Art. 24 Brüssel Ia-VO oder der Beklagte sei eine typischerweise schwächere Partei unter einem Schutzregime.15 Kategorien des nationalen IZVR wie etwa personal jurisdiction oder subject-matter jurisdiction haben im System der VO nichts zu suchen.16 Unter mehreren gleichermaßen gegebenen und miteinander kompatiblen Gerichtsständen darf der Kläger auswählen. Soweit die Brüssel Ia-VO ihm diese Auswahl eröffnet, ist also das sog. forum shopping zulässig und legitim. Im Gegenteil gehört es zur anwaltlichen Pflicht, die von der Brüssel Ia-VO eröffneten Möglichkeiten sorgfältig zu prüfen und die für den Mandanten günstigste Option auszuwählen.17 Gerichtsstände sind formell zu beurteilen. Eine allgemeine Missbrauchskontrolle ist im Text der Brüssel Ia-VO jenseits von Art. 8 Nr. 2 a.E. Brüssel Ia-VO nicht verankert.18 Dies eröffnet aber keine Lücke, in welche das nationale Recht (etwa im Rahmen des Rechtsschutzbedürfnisses) stoßen könnte, da dies mit der europäischen Zuständigkeitsordnung kollidieren würde.19 Jedoch könnte man daran denken, ein Missbrauchsverbot als allgemeinen Baustein des Unionsrechts insgesamt auch in die Brüssel Ia-VO hineinzutragen.20 Missbrauch kann jedoch grundsätzlich nicht darin liegen, wenn der Kläger sich auf einen Gerichtsstand beruft, welchen ihm die Brüssel Ia-VO zur Verfügung stellt und dessen Voraussetzungen konkret gegeben sind.21 Abstrakt-generellen Missbrauch kann es nicht geben, höchstens konkret-individuellen,22 und auch dies nur in extremen Ausnahmefällen.23 Umgekehrt ist eine allgemeine Missbrauchseinrede, dass es für den Beklagten keinen Sinn mache, sich auf die Unbefugtheit des Forums zu berufen, nicht statthaft.24
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Ein Charakteristikum der Brüssel Ia-VO sind Schutzregimes zum Vorteil typischerweise schwächerer Parteien. Es gibt drei solche Schutzregimes: Art. 10–16 Brüssel Ia-VO für Versicherungs-, Art. 17–19 Brüssel Ia-VO für Verbraucher- und Art. 20–23 Brüssel Ia-VO für Arbeitssachen. Diese Regimes sind jeweils grundsätzlich abschließend, nur ausdrücklich zugelassene andere Normen (Art. 6 Brüssel Ia-VO; Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO) kommen neben ihnen zur Anwendung. Außerdem ziehen sie in Art. 15 Brüssel Ia-VO; Art. 19 Brüssel Ia-VO; Art. 23 Brüssel Ia-VO abweichenden Ge-
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11 Cass. mixte D 2005, 1332 m. Anm. Mahinga; Mourre/Lahlou, Rev. dr. aff. int. 2005, 509, 520. 12 Siehe nur Espiniella Menéndez, AEDIPr 2016, 963 f. Falsch Aud. Prov. Islas Baleares AEDIPr 2016, 962 (kein Wohnsitzgerichtsstand, weil Unfall in anderem Staat). 13 Vor. Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 4 (Mankowski). 14 Rb’s Hertogenbosch, NIPR 2009 Nr. 43 S. 100. 15 Mankowski, IPRax 2001, 310; a.A. OLG Koblenz, IPRax 2001, 334. 16 Treffend Dickinson [2010] LMCLQ 181, 185 gegen Lucasfilm v. Ainsworth [2009] EWCA Civ 1328 (C.A.). 17 Siehe nur Kropholler in Max-Planck-Institut (Hrsg.), Hdb. IZVR I Kap. III Rz. 160; Kropholler, FS Firsching (1985) 165 f.; Siehr, ZfRV 1984, 124, 141 f.; Schack, MMR 2000, 135, 139; von Bar/Mankowski, IPR I (2. Aufl. 2003) § 5 Rz. 164. 18 Thole, ZZP 122 (2009) 423, 428 f.; Polak, Ars Aequi 2010, 615, 619. Anders aber Hoge Raad, RvdW 2010 Nr. 619. 19 Thole, ZZP 122 (2009) 423, 432 f. 20 Thole, ZZP 122 (2009) 423, 436 f. mit umfangreichen Nachweisen zu EuGH-Rechtsprechung aus anderen Teilen des Unionsrechts; M. Weller, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 583, 587. 21 Althammer, GS Konuralp I (2009) 103, 110–113. 22 Thole, ZZP 122 (2009) 423, 437; ähnlich Althammer, GS Konuralp I (2009) 103, 125 f. 23 GA Jääskinen Schlussanträge v. 11.12.2014 in der Rs. C-352/13, ECLI:EU:C:2014:2443 Rz. 86; Dominik Liswaniso Lungowe v. Vedanta Resources Ltd. [2017] EWCA 528 [38], [2018] 1 WLR 3575 (C.A., per Simon L.J.); Althammer, GS Konuralp I (2009) 103, 126 f. 24 Entgegen Rb’s Hertogenbosch (Eindhoven), NIPR 2003 Nr. 53 S. 103.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 richtsstandsvereinbarungen enge Grenzen. Sie verdrängen also das allgemeine Regime und weichen ihrerseits nur den ausschließlichen Gerichtsständen des Art. 24 Brüssel Ia-VO. 5
Daraus ergibt sich für den praktischen Fall folgende Prüfungsabfolge innerhalb des Zuständigkeitssystems,25 wobei man zur jeweils nächsten Stufe grundsätzlich nur kommt, wenn man die vorangegangenen Fragen verneint hat:26 1. Besteht eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Brüssel Ia-VO? 2. Greift ein Schutzregime nach Art. 17 Brüssel Ia-VO oder Art. 20 Brüssel Ia-VO oder Art. 9 Brüssel Ia-VO? 3. Hat sich der Beklagte rügelos eingelassen i.S.v. Art. 26 Brüssel Ia-VO? 4. Besteht eine exklusive Gerichtsstandsvereinbarung, die Art. 25 Brüssel Ia-VO genügt? 5. Hat der Beklagte seinen Wohnsitz nach Art. 4 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 62 Brüssel Ia-VO bzw. Art. 63 Brüssel Ia-VO im EU-Gebiet (mit Rechtsquellenbesonderheit bei Dänemark)? 6. Wenn ja zu Frage 5: Hat der Beklagte im Forumstaat seinen Wohnsitz nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 62 Brüssel Ia-VO bzw. Art. 63 Brüssel Ia-VO? 7. Ist einer der besonderen Gerichtsstände aus dem Katalog der Art. 7 Brüssel Ia-VO, Art. 8 Brüssel Ia-VO gegeben? Wird Frage 5 verneint, so kommt nach Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO das nationale Zuständigkeitsrecht des Forums zum Zuge, in dessen Rahmen allerdings das LugÜbk und Staatsverträge Vorrang beanspruchen, soweit sie reichen. 2. Annexkompetenzen
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Die Zuständigkeitstatbestände begründen die Zuständigkeit nicht nur für das eigentliche Hauptverfahren, sondern auch für Annexverfahren wie vorbereitende Stufen einer Stufenklage, unterstützende Auskunftsklagen oder das Kostenfestsetzungsverfahren.27 Richtigerweise begründen sie auch korrespondierende Zuständigkeiten für Eilverfahren, welche den Gegenstand des Hauptverfahrens sichern sollen, jedenfalls soweit das nach Art. 35 Brüssel Ia-VO berufene nationale Prozessrecht einen Eilgerichtsstand der Hauptsachezuständigkeit kennt.28 Das Zwangsvollstreckungsverfahren im engeren Sinne ist keine Annexkompetenz. Für es besteht eine eigene Zuständigkeitsregel in Art. 24 Nr. 5 Brüssel Ia-VO. Besonderheiten können sich über Verbundvorschriften im nationalen Verfahrensrecht für Unterhaltssachen ergeben.29 3. Beweislast für zuständigkeitsbegründende Tatsachen a) Grundsatz
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Die Beweislast für die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen trägt nach Maßgabe des nationalen Prozessrechts im Forumstaat der Kläger,30 oder ganz genau: derjenige, der sich jeweils darauf beruft, dass ein bestimmter Gerichtsstand gegeben sei.31 Die Last kann ausnahmsweise auch den Beklagten 25 Siehe Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 3 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 10 ff.; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 31; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 9 sowie A. Briggs/Rees, Rz. 2.08; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 21. 26 Eine Ausnahme gilt für das Verhältnis zwischen den Fragen 2 und 3: Wenn die als stärker vermutete Partei (Unternehmer, Arbeitgeber, Versicherer) Beklagter ist, greift gegen sie auch Art. 26 Brüssel Ia-VO. 27 OLG Koblenz v. 5.11.1985 – 14 W 638/85, IPRax 1987, 24; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2002) 214 f. 28 ÖstOGH, JBl 1998, 392; Pres. Rb. Leeuwaarden S & S 2002 Nr. 5 S. 21; Heß/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221 f. 29 Siehe dazu KG, IPRax 1999, 37 einerseits und G. Schulze, IPRax 1999, 21 andererseits. 30 Siehe nur EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93 – Fiona Shevill vs. Presse Alliance SA, EuGHE 1995 I 415, 463 f. Rz. 35–40; EuGH v. 29.6.1994 – C-288/92 – Custom Made Commercial Ltd. vs. Stawa Metallbau GmbH, EuGHE 1994 I 2913, 2956 f. Rz. 19 f.; BGH, RIW 2004, 387; BAG, AP H 3/2009 Nr. 22 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 3; Fasching/Konecny/Simotta, Vor Art. 2 EuGVVO Rz. 47. 31 Mankowski, IPRax 2009, 474, 475; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 23.
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Kap. II: Zuständigkeit
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treffen, wenn er geltend macht, das vom Kläger angerufene Gericht sei unzuständig, weil andernorts ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet sei.32 Dem Belasteten obliegt der Nachweis, dass das von ihm angerufene Gericht auf Grund der gegebenen Tatsachen zuständig ist. Nach deutschem Prozessrecht trifft den Kläger insoweit die Darlegungs- wie die Beweislast. Das Beweismaß richtet sich nach der lex fori processus.33 Actor incumbit probatio ist eine auch dem Unionsrecht für seine eigenen Verfahren vor dem EuGH geläufige Maxime.34 Die Bedingungen zur gerichtlichen Geltendmachung gemeinschaftsrechtlicher Positionen dürfen generell nicht ungünstiger sein als diejenigen zur Geltendmachung entsprechender Positionen aus dem nationale Recht (Äquivalenzgrundsatz), und sie dürfen nicht so gestaltet sein, dass sie die Ausübung der gemeinschaftsrechtlichen Positionen, die zu schützen die nationalen Gerichte verpflichtet sind, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz).35 Es gilt ein Grundsatz der institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten.36 Vom Verwaltungsprozess ist dieser Grundsatz bekannt. Er lässt sich ohne weiteres auf den Zivilprozess übertragen und begegnet auch und spezifisch im europäisch beeinflussten IZVR.37
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Das Unionsrecht behält sich also ein Veto vor, falls nationale Ausgestaltungen nicht mit seiner eige- 9 nen Zielsetzung vereinbar sind. Dies ist aber eine rein negative Vetoposition. Das Unionsrecht könnte spezielle Verfahren vorschreiben und diese bis ins Detail regeln. Dies tut es aber gemeinhin nicht, sondern bedient sich vielmehr der vorfindlichen Verfahren nach den nationalen Prozessrechtsordnungen. Im Europäischen Zivilverfahrensrecht findet sich das Prinzip deutlich in ErwGr. (19) S. 1 EG-VollstrTitelVO und in Art. 26 EG-MahnVO. Charakteristischerweise wird es also gerade dann festgeschrieben, wenn die Union erste Schritte einer eigenen Prozessrechtsvereinheitlichung unternimmt.38 Über die subjektive und objektive Beweislast besagen die einzelnen Zuständigkeitstatbestände der 10 Brüssel Ia-VO nichts ausdrücklich und spezifisch. Das Unionsrecht hätte insoweit Anordnungen treffen können. Davon hat es jedoch abgesehen. Darin liegt eine implizite Verweisung auf die lex fori.39 Im spezifischen Kontext der Brüssel Ia-VO gilt es auch, Art. 27 Brüssel Ia-VO zu beachten. Dessen
32 Mankowski, IPRax 2009, 474, 475. 33 GAin Trstenjak, Schlussanträge in der Rs. C-327/10 vom 8.9.2011 EuGHE 2011, I-11546 Nr. 119; Bach, EuZW 2012, 381, 383; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 24. 34 Siehe nur Brealy (1985) 10 E.L. Rev. 250, 255; weitere Nachweise bei Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (1995) 45. 35 Siehe nur EuGH v. 16.12.1976 – 33/76 – Rewe-Zentralfinanz eG u. Rewe-Zentral AG vs. Landwirtschaftskammer für das Saarland, EuGHE 1976, 1989, 1998 Rz. 5; EuGH v. 16.12.1976 – 45/76 – Comet BV vs. Produktschap voor Siergewassen, EuGHE 1976, 2043, 2053 Rz. 11/18; EuGH v. 5.3.1980 – 265/78, ECLI:EU:C:1980: 66 – H. Ferweda BV vs. Produktschap voor Vee en Vlees, EuGHE 1980, 617, 629 Rz. 10; EuGH v. 14.12.1995 – verb. Rs. C-430/93 u. C-431/93 – Jeroen van Schijndel u. Johannes Nicolaas Cornelis van Veen vs. Stichting Pensioenfonds voor Fysiotherapeuten, EuGHE 1995, I 4705, 4737 f. Rz. 17–22; EuGH v. 17.10.2000 – C-114/99, ECLI:EU:C:2000:568 – Roquette Frères SA vs. Office national interprofessionnel des céréales (ONIC), EuGHE 2000, I 8823, 8851 Rz. 18; EuGH v. 24.9.2002 – C-255/00, ECLI:EU:C:2002:525 – Grundig Italiana SpA vs. Ministero delle Finanze, EuGHE 2002, I 8003, 8026 Rz. 33; EuGH v. 9.12.2003 – C-129/00, ECLI:EU:C:2003:656 – Kommission vs. Italien, EuGHE 2003, I 14637, I 14684 Rz. 25; EuGH v. 7.6.2007 – verb. Rs. C-222/05 bis C-225/05 – J. van der Weerd vs. Minister van Landbouw, Natuur en Voedselkwaliteit, EuGHE 2007, I 4233, 4262 Rz. 28. 36 Siehe nur EuGH v. 5.3.1980 – 265/78, ECLI:EU:C:1980:66 – H. Ferweda BV vs. Produktschap voor Vee en Vlees, EuGHE 1980, 617, 629 Rz. 10; EuGH v. 14.12.1995 – C-312/93, ECLI:EU:C:1995:437 – Peterbroeck, Van Campenhout & Cie SCS vs. Belgischer Staat, EuGHE 1995, I 4599, 4620 f. Rz. 12; EuGH v. 30.9.2003 – C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513 – Gerhard Köbler vs. Republik Österreich, EuGHE 2003, I 10239, 10309 Rz. 46; EuGH v. 7.1.2004 – C-201/02 – The Queen, ex parte Delena Wells vs. Secretary of State for Transport, Local Government and the Regions, EuGHE 2004, I 723, 768 Rz. 67. 37 Insbesondere EuGH v. 8.11.2005 – C-443/03, ECLI:EU:C:2005:665 – Götz Leffler vs. Berlin Chemie AG, EuGHE 2005, I 9611, 9658 Rz. 51; Fasching/Konecny/Schoibl, Art. 25 EuGVVO Rz. 16; Mankowski, IPRax 2009, 474, 475. 38 Mankowski, WuW 2012, 797, 800. 39 Mankowski, IPRax 2009, 474, 475 f.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 Zuschnitt bestätigt das bisher gefundene Ergebnis.40 Die von Art. 27 Brüssel Ia-VO vorgeschriebene, zudem limitierte Prüfung von Amts wegen erstreckt sich nur auf die Rechtsfrage. Art. 27 Brüssel IaVO verpflichtet das Gericht nicht, von Amts wegen zu ermitteln, ob Tatsachen bestehen, welche für eine ausländische Zuständigkeit nach Art. 24 Brüssel Ia-VO sprechen. Ob das Gericht die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen selber ermitteln muss oder darf, bestimmt sich vielmehr nach dem nationalen Verfahrensrecht des Gerichts.41 Gilt im nationalen Recht der Beibringungsgrundsatz, so bleibt es dabei. Dann trifft die an einer Anwendung einer bestimmten Norm interessierte Partei die Beweislast.42 Art. 27 Brüssel Ia-VO überspielt dies nicht. 11
Das nationale Verfahrensrecht der lex fori entscheidet auch darüber, welche Anregungen das Gericht den Parteien im Hinblick auf deren Sachvortrag zu zuständigkeitsbegründenden Tatsachen geben darf und wo das Neutralitätsgebot dem Gericht insoweit Grenzen zieht.43 b) Doppelrelevante Tatsachen
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Manche Tatsachen sind doppelrelevant: Sie haben Bedeutung sowohl für die internationale Zuständigkeit als auch für Fragen der Begründetheit, namentlich die Anknüpfungspunkte im Internationalen Privatrecht. Sie bereits in der Zulässigkeit voll durchzuprüfen würde die Gewichte verschieben und die Zuständigkeitsprüfung in ihrem Umfang zu Lasten der Begründetheitsprüfung vergrößern.44 Aus diesem Gedanken heraus ist auch für das europäische Regime die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen entwickelt worden,45 die besagt, dass die Tatsachen, die zuständigkeitsbegründend wirken, vom Kläger nur schlüssig zu behaupten sind46 und erst in der Begründetheitsprüfung näher untersucht werden.47 Die causa aufzusplitten sei nicht effizient.48 Der Kläger ist dann für die Zuständigkeitsfrage nicht zum vollen Beweis verpflichtet, selbst wenn der Beklagte das Vorliegen dieser Tatsache bestreitet (z.B. einer im angeblichen Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO geltend gemachten Klage entgegenhält, zwischen den Parteien bestehe überhaupt kein Vertrag,49 oder einer im Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO anhängig gemachten Klage erwidert, es fehle an einem 40 Schoibl, ZZP Int 10 (2005), 123, 135; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 25 EuGVVO Rz. 8; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Art. 27 Rz. 10 (2016). 41 Schlosser-Bericht, ABl. EWG 1979 C 59/71 Nr. 22; OGH, EvBl 2006/106; Schoibl, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 777, 787; Schoibl, ZZP Int 10 (2005) 123, 132 f.; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 25 EuGVVO Rz. 6; Magnus/Mankowski/Queirolo, Art. 27 Rz. 10. 42 Schlosser-Bericht ABl. EWG 1979 C 59/71 Nr. 22; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 25 EuGVVO Rz. 7; Magnus/Mankowski/Queirolo Art. 27 Rz. 11; Mankowski, IPRax 2009, 474, 476. 43 Mankowski, IPRax 2009, 474, 476. 44 Siehe nur Hertz, A Tribute to Joseph M Lookofsky (Copenhagen 2015) 187, 190. 45 Siehe nur BGH v. 24.9.1986 – VIII ZR 320/85, IPRax 1988, 159 = NJW 1987, 592, 594; BGHZ 124, 237, 240; BGH, RIW 2004, 237; BGH v. 13.10.2004 – I ZR 163/02, GRUR 2005, 431 – Hotel Maritime; BGH v. 24.2.2005 – I ZR 101/02, WRP 2005, 735, 736 – Vitamin-Zell-Komplex; BGH v. 29.6.2010 – VI ZR 122/09, ZIP 2010, 1752, 1753; BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584, 2585 f.; BGHZ 212, 318 Rz. 22; östOGH, JBl 2019, 651, 653; östOGH, JBl 2019, 651, 653 m.w.N.; östOGH v. 25.3.2019 – 8 Ob 31/19; östOGH v. 28.3.2019 – 9 Ob 8/19w; östOGH v. 28.5.2019 – 10 Ob 36/19w; östOGH, ZFR 2019, 576 m. Anm. Klicka; BGE 122 III 249; BGE 133 III 295, 298 f.; BGE 134 III 27, 34; BGE 136 III 486, 487 f.; BG v. 15.7.2014 – 4A_113/2014 E 2.3; BG v. 10.12.2014 – 4A_28/2014 (dazu A. Bucher, Sem Jud 2015 II 67); BGE 141 III 294; OGH, ecolex 2007/393 S. 937; OLG München v. 23.7.1996 – 25 U 4715/95, TranspR 1997, 33; OLG Karlsruhe, IPRspr. 1997 Nr. 161 S. 330; OLG Koblenz v. 1.3.2010 – 2 U 816/09, NJW-RR 2010, 1004; OLG Köln, IPRspr. 2010 Nr. 219 S. 555; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 72; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.10.2019 – 6 Sa 97/19 Rz. 54; LG Tübingen v. 30.3.2005 – 5 O 45/03, NJW 2005, 1513, 1514; HG Zürich, SZIER 1996, 75 m. Anm. Volken; Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 27 Rz. 3. 46 BGH v. 13.10.2004 – I ZR 163/02, GRUR 2005, 431, 432 – Hotel Maritime; BGHZ 167, 91 Rz. 21 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGHZ 171, 151 Rz. 18 – Wagenfeld-Leuchte; BGHZ 176, 342 Rz. 11; BGH v. 6.11.2007 – VI ZR 34/07, WM 2008, 479 Rz. 14; BGH v. 13.7.2010 – XI ZR 57/08, ZIP 2010, 2004 Rz. 19; BGH v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08, WM 2010, 2214 Rz. 21; BGH v. 8.3.2012 – I ZR 75/10, IPRax 2013, 257 = GRUR 2012, 621 Rz. 18 – OSCAR; BGH v. 12.12.2013 – I ZR 131/12, WM 2014, 1400 Rz. 17; BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, WM 2014, 1614 Rz. 19; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.10.2019 – 6 Sa 97/19 Rz. 54. 47 Eingehend E. Schumann, FS Nagel (1987) 402; Pålsson, SvJT 1999, 315; Ost, passim; A. Bucher, Sem Jud 2015 II 67. 48 Kruger/Rhys, SEW 2017, 367, 372.
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Kap. II: Zuständigkeit
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Delikt). Gründe des materiellen Rechts sollen nicht in die Zuständigkeit durchschlagen, und der Beklagte soll nicht durch bloße (Gegen-)Behauptungen den vom Kläger bezeichneten Gerichtsstand nehmen können.50 Der Streit werde auf die Sachebene geführt, wo beide Parteien ihn gemeinhin führen wollten und wo mit Rechtskraft entschieden werden könne.51 Auf der Begründetheitsebene könnten Beweisfragen viel präziser gestellt werden.52 Ein Sachurteil soll dem Beklagten zu Hilfe kommen, weil es eine weitere Klage an einem anderen Ort sperrt, was ein Prozessurteil mangels materieller Rechtskraft nicht vermöchte.53 Wenn man mit dem EuGH54 zuständigkeitsverneinenden Prozessurteilen Rechtskraft nach einem weiten, eigenständigen unionsrechtlichen Rechtskraftbegriff zubilligen will, so trägt dieses Argument jedenfalls nicht mehr und ebenso wenig die auf es gestützte prozessökonomische Konzentrationswirkung.55 Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen hat nicht zu unterschätzende Nachteile für den Be- 13 klagten. Er kann dann nämlich ein „Auswärtsspiel“ zur Sache haben, d.h. er ist bei besonderen Gerichtsständen außerhalb seines Wohnsitzstaates gerichtspflichtig mit allen damit verbundenen Nachteilen.56 Diese besonderen, spezifisch auf die Zuständigkeit bezogenen Interessen bilden sich in der Begründetheitsprüfung nicht ab.57 Zudem werden die eventuell zuständigkeitsbegründenden Tatsachen dort teilweise gar nicht, jedenfalls aber aus einem anderen Blickwinkel und mit anderer Gewichtung diskutiert.58 Der Beklagte nimmt dagegen dem Kläger durch Gegenbehauptung nicht den Gerichtsstand als solchen, sondern nur die Bequemlichkeit, dessen Voraussetzungen nicht beweisen zu müssen. Man wäre in einem passenden Kompromiss vielmehr diesseits der bloßen Behauptung bei einer Prüfung des äußeren Tatbestandes der Anknüpfungstatsachen.59 Die bloße Hoffnung des Beklagten auf ein klagabweisendes Sachurteil und das korrespondierende Risiko des Klägers, dass der Klaganspruch nicht zuerkannt wird,60 haben nichts mit Zuständigkeitsinteressen zu tun und kompensieren nicht, dass dem Beklagten eine Verteidigungsebene in der Zulässigkeit genommen würde. In der Schweiz wird dies korrigiert, indem bei nicht Vorliegen einer doppelrelevanten Tatsache eine Klagabweisung mit materieller Rechtskraft, kein bloßer Nichteintrittsentscheid ergeht.61 Des Weiteren stellte man mit einer Lehre von doppelrelevanten Tatsachen die Zuständigkeitsprüfung teilweise der Ausgestaltung des nationalen IPR anheim und gelangte so zu einer uneinheitlichen Handhabung. Denn die Doppelrelevanz wäre jeweils zu prüfen62 und kann sich je nach anwend49 Vgl. EuGH v. 4.3.1982 – 38/81, ECLI:EU:C:1982:79 – Effer SpA vs. Hans-Joachim Kantner, EuGHE 1982, 825, 834 f. Rz. 7. 50 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 – Francesco Benincasa vs. Dentalkit srl, EuGHE 1997 I 3767, 3798 Rz. 29 = JZ 1998, 896 m. Anm. Mankowski; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.10.2019 – 6 Sa 97/19 Rz. 54. 51 Thole, IPRax 2013, 136, 140. 52 Thole, IPRax 2013, 136, 140. 53 Stein/Jonas/E. Schumann, ZPO Bd. I (21. Aufl. 1993) § 1 ZPO Rz. 21 g-h; Gottwald, IPRax 1995, 75 f. m.w.N.; Stein/Jonas/H. Roth, ZPO Bd. I (23. Aufl. 2014) § 1 ZPO Rz. 30. Dagegen Mankowski, IPRax 2006, 454, 458; Wendelstein, Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin (2012) 476–482; M. Klöpfer/Wendelstein, JZ 2014, 298, 301; M. Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 99, 101 f. 54 EuGH v. 15.11.2012 – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 Rz. 33–43 – Gothaer Allgemeine Versicherung AG vs. Samskip GmbH; s. aus der Diskussion nur Bach, EWS 2013, 56; Kremmel, Eur. L. Rpter. 2013, 199; Hau, LMK 2013, 341251; Strikwerda, Ned. Jur. 2013 Nr. 119; Hartenstein, RdTW 2013, 267; Albert Henke, Dir. comm. int. 27 [2013], 1085; H. Roth, IPRax 2014, 136; Althammer/Tolani, ZZP Int 19 (2014) 227; M. Klöpfer, GPR 2015, 210; Gebauer, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 103; Schack, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 611. 55 Götz Schulze, IPRax 2018, 26, 29. 56 Die Nachteile finden sich erläutert bei Mankowski in C. Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen (2002) 118, 121–123; Mankowski, IPRax 2006, 454, 456 f. 57 Mankowski, MMR 2002, 817, 818; Mankowski, IPRax 2006, 454, 458. 58 Mankowski, MMR 2002, 817, 818. 59 Geimer, WM 1986, 117, 119. 60 Darauf stellen BGHZ 123, 237, 240; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 73 tragend ab. 61 BGE 141 III 294 E 5.2; BG v. 7.6.2018 – 4A_264/2018 E 4.3; Schwander SZIER 2018, 403, 410. 62 Korrekt OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 81: Doppelrelevanz der Einbeziehung von AGB für einen vertraglichen Vergütungsanspruch (unter deutschem Recht) verneint, weil ein Vergütungsanspruch auch bei Nichteinbeziehung der AGB bestehen könnte.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 barem Sachrecht verschieden darstellen, weil das anwendbare Sachrecht das betreffende Merkmal vielleicht gar nicht verwendet.63 Nicht doppelrelevant ist zudem, jedenfalls jenseits des IPR, die eigentliche Verortung und Lokalisierung der Tatsache.64 Doppelrelevant kann nur sein, was in der Begründetheitsprüfung relevant ist. Nicht doppelrelevant ist alles, was nur in der Zulässigkeit, aber nicht in der Begründetheit zu prüfen ist.65 Doppelrelevanz kann schon daran scheitern, dass in der Sache nicht die lex fori, sondern ein forumfremdes Recht anwendbar ist, das andere Tatbestandsmerkmale zum Tragen bringt als sie sich in den Zuständigkeitstatbeständen finden.66 Die Doppelrelevanz mit der Relevanz auch im IPR zu begründen wäre eine Aus- und Überdehnung, denn bei Relevanz nur im IPR wäre bei Fehlen des angeblich doppelrelevanten Merkmals nicht als unbegründet abzuweisen.67 15
Zudem sind doppelrelevante Tatsachen doch zu prüfen, wenn es an einer anderen Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt und die Doppelrelevanz gar nicht zum Tragen kommen kann.68 Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen erweitert den Prozessstoff um die Doppelrelevanzprüfung und steht sogar in Konflikt mit der Prozessökonomie; zudem würde man ohne sie bereits als unzulässig abweisen und würde gar nicht in eine Begründetheitsprüfung eintreten müssen.69 Der angebliche Vorteil für den Beklagten, dass er ein Sachurteil bekomme, ist zu teuer erkauft, zumal der Beklagte häufig aus taktischen Gründen vorrangig daran interessiert sein wird, dem Kläger möglichst viele Hürden in den Weg zu stellen.70
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Eine nationale Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen würde einerseits zu Wettbewerbsverzerrungen führen, weil Beklagte in einzelnen Staaten leichter vor Gericht gezogen werden könnten als umgekehrt.71 Jede Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen steht andererseits in einem Spannungsverhältnis mit dem effet utile der unionsrechtlichen Zuständigkeitstatbestände.72 Denn diese gebieten durchaus eine Prüfung ihrer Tatbestandsmerkmale durch das Gericht.73 Ein vermittelnder Ansatz will übrigens zwischen Qualifikation und Tatbestandsmerkmalen von Zuständigkeitsmerkmalen differenziert auf eine beschränkte Kognitionsbefugnis des Gerichts abstellen.74
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Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen muss in jedem Fall Art. 28 Brüssel Ia-VO weichen.75 Damit kann sie gerade in den Fällen, in denen sie vorderhand Erleichterung verspricht, nämlich bei Nichterscheinen des Beklagten, nicht greifen.76 Das Begehr, die Zuständigkeitsprüfung zu entlasten, mag bei völliger Passivität des Beklagten manchen noch dringlicher erscheinen,77 es vermag jedoch das Schutzbedürfnis des passiven Beklagten nicht zu überwinden. Dass der effet utile der Zuständigkeitsnormen die Absenkung der Darlegungslast fordere,78 bricht sich ebenfalls an Art. 28 Brüssel IaVO. Keine Anwendung finden kann die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen auch bei negativen Feststellungsklagen, weil dort die Begründetheit der Klage nicht vom Vorliegen, sondern vom Fehlen der Tatsachen abhängt.79 Schließlich darf die potentiell beklagtenfeindliche Lehre von den doppelrele63 Mankowski, IPRax 2006, 454, 458 f. 64 BG v. 5.5.2006 – 4C.329/2005 E 2.2; BG v. 7.11.2013 – 4A_224/2013 E 2.2; Stein/Jonas/H. Roth (Fn. 42) § 1 ZPO Rz. 25; Mankowski, IPRax 2006, 454, 458; M. Klöpfer/Wendelstein, JZ 2014, 298, 301; Kernen, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet (2014) 197. Hoffmann-Nowotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren (2010) Rz. 411 ff. spricht von „unechten doppelrelevanten Tatsachen“. 65 Siehe BGE 133 III 295, 299; Rösler/Siepmann, EWS 2006, 497, 498; H. Roth, FS vHoffmann (2011) 715, 721. 66 Mankowski, IPRax 2006, 454, 458; Ulrici, jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 5 sub C I 1. 67 Lubrich, GPR 2014, 116, 118; M. Klöpfer/Wendelstein, JZ 2014, 298, 301. 68 Mankowski, IPRax 2006, 454, 459. 69 Mankowski, IPRax 2006, 454, 459 f. 70 Mankowski, IPRax 2006, 454, 457 f. 71 M. Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 99, 101. 72 M. Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 99, 101 f. 73 Insbesondere EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 Rz. 25–27, 36 – Granarolo SpA vs. Ambrosi Emmi France SA. 74 Ulrici, jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 5 sub C I 2 c. 75 Bettinger/Thum GRUR-Int. 1999, 659, 668; Mankowski, MMR 2002, 817, 818; Mankowski, IPRax 2006, 454, 455; Ulrici, jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 5 sub C I 2 c. 76 Mankowski, IPRax 2006, 454, 455. 77 Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 15; Thole, IPRax 2013, 136, 139 f. 78 So Thole, IPRax 2013, 136, 140.
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Kap. II: Zuständigkeit
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vanten Tatsachen umso weniger zum Zuge kommen, wenn Beklagter eine „schwache“, schutzwürdige Partei ist, namentlich ein Verbraucher, ein Arbeitnehmer oder die Gegenpartei eines Versicherers.80 4. Beweismaß Das anzulegende Beweismaß darf zwar einerseits die Anforderungen nicht überspannen, aber andererseits auch die Interessen des Beklagten nicht vernachlässigen. An Hand nationaler Maßstäbe auf einen good arguable case81 zu reduzieren, d.h. auf ein Beweismaß der bloßen Glaubhaftmachung unterhalb eines Beweises unter Abwägung der Wahrscheinlichkeiten,82 ist methodisch zweifelhaft.83 Immerhin ist es aber eine Konkretisierungsstufe weiter als eine bloße Forderung nach einer Kompromisslösung, die zwischen den Interessen von Kläger und Beklagtem abgewogen ist.84 Versuche, nationale Ansätze bei der Anwendung auf die Brüssel Ia-VO modifiziert zu denken,85 sind zwar ein Schritt in die richtige Richtung, gehen aber nicht weit genug.
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Inzwischen gibt es indes Ansätze zu einer europäisch-autonomen Beweismaßausfüllung. Laut dem 18 EuGH soll das entscheidende Gericht für die Prüfung der Zuständigkeit aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel IaVO den Vortrag des Klägers zu den Voraussetzungen einer Haftung aus unerlaubter Handlung oder aus einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichsteht, als erwiesen ansehen.86 Das Gericht 79 BGE 133 III 282, 286 f.; Domej, ecolex 2013, 123, 125. 80 Mankowski, IPRax 2009, 474, 478. 81 Zum Konzept und seinen nachfolgenden Präzisierungen eingehend Kaefer Aisliamentos SA de CV v. AMS Drilling Mexico SA de CV [2019] EWCA Civ 10 [57]–[80], [2019] 1 WLR 3514 (C.A., per Green L.J.); Rogerson, (2013) 9 JPrIL 387, 394–398. 82 Dafür Canada Trust Co v. Stolzenberg (No. 2) [2002] 1 AC 1, 13, [2000] 3 WLR 1376, 1387 (HL, per Lord Steyn); Bols Distilleries BV v. Superior Yacht Services [2007] 1 WLR 16, 21 f. (PC, opinion delivered by Lord Rodger of Earlsferry); New England Reinsurance Corp v. Messoghios Insurance Co [1992] 2 Lloyd’s Rep. 251, 252 (C.A., per Leggatt L.J.); Boss Group Ltd. v. Boss France SA [1997] 1 WLR 351, 356 f. (C.A., per Saville L.J.); Canada Trust Co v. Stolzenberg (No. 1) [1998] 1 WLR 502/547, 555–559 (C.A., per Waller L.J.); Tesam Distribution Ltd. v. Schuh Mode Team GmbH [1990] ILPr 149, 158 (C.A., per Nicholls L.J.); Mercury Publicity Ltd. v. Wolfgang Loerke GmbH [1993] ILPr 142, 171 f. (C.A., per Purchas L.J.); Malcolm Brian Shierson (as trustee in bankruptcy of Martin Vlieland-Boddy) v. Clive Vlieland-Boddy [2005] EWCA Civ 974 [72] (C.A., per Longmore L.J.); WPP Holdings Italy srl v. Benatti [2007] EWCA Civ 263 [41] (C.A., per Toulson L.J.); Konkola Copper Mines plc v. Coromin Ltd. [2006] 1 Lloyd’s Rep. 410, 428 (C.A., per Rix L.J.); Royal & Sun Alliance Insurance plc v. MK Digital FZE (Cyprus) Ltd. [2006] 2 All ER (Comm) 145, 166 f. = [2007] ILPr 29, 53 f. (C.A., per Rix L.J.); Kolden Holdings Ltd. v. Rodette Commerce Ltd. [2008] 1 Lloyd’s Rep. 434, 441 (C.A., per Lawrence Collins L.J.); Masri v. Consolidated Contractors Inc Co SAL [2008] 2 Lloyd’s Rep. 128, 141 (C.A., per Lawrence Collins L.J.); Aspen Underwriting Ltd. v. Credit Europe Bank NV (The „Atlantic Confidence“) [2018] EWCA Civ 2590, [2019] 1 Lloyd’s Rep. 221 [34] (C.A., per Gross L.J.); Kaefer Aislamientos SA de CV v. AMS Drilling Mexico SA de CV [2019] EWCA Civ 10, [2019] 1 WLR 3514 [70]-[80], [119] (C.A., per Green L.J. u. Davis L.J.); Airbus SA v. Generali Italia SpA [2019] EWCA Civ 805, [2019] 4 All ER 745 [49]-[50] (C.A., per Males L.J.); Rank Film Distributors Ltd. v. Lanterna Editrice Srl [1992] ILPr 58, 67 f. (Q.B.D., Saville J.); Knauf UK GmbH v. British Gypsum Ltd. [2002] 1 Lloyd’s Rep. 199, 205 (Q.B.D., David Steel J.); Carnoustie Universal SA v. International Transport Workers’ Federation [2002] 2 All ER (Comm) 657, 670–673 (Q.B.D., Judge Siberry QC); WPP Holdings Italy srl v. Benatti [2006] 2 Lloyd’s Rep. 610, 620 (Q.B.D., Field J.); Crucial Music Corp v. Klondyke Management AG [2008] 1 All ER (Comm) 642, 647 (Ch. D., Judge Livesey QC); Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles Ltd. v. Haldex Brake Products GmbH [2008] ILPr 326, 333 f. (Ch. D., Lewison J.); Gomez v. Gomez-Monche Vives [2008] ILPr 461, 475 = [2008] 3 WLR 309, 321 (Ch. D., Morgan J.); Nursaw v. Dansk Jersey Eksport [2009] ILPr 263, 267 (Q.B.D., Bristol Registry, Judge Havelock-Allan QC); Calyon v. Wytwornia Sprzetu Komunikacynego PZL Swidnik SA [2009] 2 All ER (Comm) 603, 608 [14] (Q.B.D., Field J.); Tweed v. J & E Davy (trading as Davy) [2019] NIQB 17 [36]-[40], [2019] ILPr 542 (High Ct. NI Q.B.D., McAlinden J.); zustimmend LG Trier, IPRax 2004, 249, 250. 83 Siehe OLG Hamm, RIW 1999, 540; Schlosser/Hess/Schlosser, Vor Art. 4 Rz. 8. 84 Wie Hertz in A Tribute to Joseph M Lookofsky (Copenhagen 2015) 187, 190 sie formuliert. 85 Kaefer Aisliamentos SA de CV v. AMS Drilling Mexico SA de CV [2019] EWCA Civ 10 [83], [2019] 1 WLR 3514 (C.A., per Green L.J.). 86 EuGH v. 3.4.2014 – C-387/12, ECLI:EU:C:2014:215 Rz. 40 – Hi Hotel HCF SARL vs. Uwe Spoering; ebenso östOGH, JBl 2019, 651, 653 m.w.N.; östOGH v. 25.3.2019 – 8 Ob 31/19; östOGH v. 28.3.2019 – 9 Ob 8/19w; östOGH v. 28.5.2019 – 10 Ob 36/19w; östOGH, ZFR 2019, 576 m. Anm. Klicka.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 soll seine sich bei der Zuständigkeitsprüfung im Allgemeinen jedoch nicht ausschließlich auf den Vortrag des Klägers stützen, sondern alle ihm zur Verfügung stehenden Angaben heranziehen, um den effet utile zu wahren.87 Um die Zuständigkeitsprüfung nicht durch eine Beweisaufnahme zu verzögern, soll das Gericht nach GA Szpunar seine Zuständigkeit prima facie beurteilen.88 Dazu hat sich der EuGH nicht explizit verhalten,89 aber der Sache nach eine Lösung umgesetzt,90 die tendenziell die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen bestätigt:91 Es sei im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung nicht erforderlich, ein umfassendes Beweisverfahren zu strittigen Tatsachen durchzuführen, die sowohl für die Zuständigkeit als auch für das Bestehen des Klaganspruchs relevant seien.92 Eine Verpflichtung, bereits im Zuständigkeitsstadium ein umfassendes Beweisverfahren durchzuführen, liefe Gefahr, der Begründetheitsprüfung vorzugreifen.93 Das Forum könne seine Zuständigkeit aber im Licht aller vorliegenden Informationen prüfen, einschließlich etwaiger Einwände des Beklagten.94 Der Klägervortrag ist also nicht die alleinige Beurteilungsgrundlage.95 Letzte autoritative Bestätigung hat die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen indes nicht erhalten.96 5. Begriff der Klage 19
Die Zuständigkeitstatbestände der Brüssel Ia-VO erfassen nach Art. 6 Abs. 1 alle Arten von Klagen in Zivil- und Handelssachen. Im Kern sind dies Leistungsklagen, Unterlassungsklagen; positive und negative Feststellungsklagen und Gestaltungsklagen.97 Eine „Klage“ im Sinne der Brüssel Ia-VO muss jedenfalls alles sein, was in eine „Entscheidung“ im Sinne der Brüssel Ia-VO münden kann.98 Denn was Gegenstand einer Entscheidung ist, muss zuvor rechtshängig gewesen sein. Rechtshängig sein heißt wiederum, Gegenstand einer Klage zu sein. „Klage“ ist also synonym mit gerichtlicher Geltendmachung.99 Andererseits ist keine Voraussetzung, dass das Verfahren in eine materiell rechtskräftige Entscheidung münden müsste.100 Eine Sachentscheidung ist nicht erforderlich,101 auch Prozessentscheidung oder Vergleich sind mögliche Klagverfahrensenden. Die Bezeichnung einer Rechtsschutzform im nationalen Recht, z.B. als „Antrag“, ist nicht entscheidend.102 Eine Klage im Sinne der Brüssel Ia-VO ist jede aktive Geltendmachung materieller subjektiver Rechte Privater vor staatlichen Gerichten, um diese Rechte mit staatlicher Hilfe durchzusetzen, jenseits des Einsatzes als bloßes Verteidigungsmittel gegen einen von anderer Seite erfolgten Klagangriff.103 Entscheidend ist die Geltendmachung vor einem Spruchkörper der staatlichen Judikative. Geltendmachung vor einem privaten
87 GA Szpunar, Schlussanträge in der Rs. C-375/13 vom 3.9.2014, ECLI:EU:2014:2135 Rz. 76. 88 GA Szpunar, Schlussanträge in der Rs. C-375/13 vom 3.9.2014, ECLI:EU:2014:2135 Rz. 78; ebenso Askan Deutsch GRUR-Prax. 2018, 176. 89 Kiener/Neumayr ZFR 2015, 505, 511; Mankowski, LMK 2015, 367447. 90 EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 Rz. 5 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc. 91 M. Müller, EuZW 2015, 218, 226; Mankowski, LMK 2015, 367447. 92 EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 Rz. 65 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc., IPRax 2016, 143. 93 EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 Rz. 63 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc., IPRax 2016, 143. 94 EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 Rz. 64 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc., IPRax 2016, 143. 95 EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13 ECLI:EU:C:2015:37 Rz. 5 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc; EuGH v. 16.6.2016 – C-12/15 ECLI:EU:C:2016:449 Rz. 42–46 – Universal Music International Holding BV vs. Michael Tetréault Schilling, Irwin Schwartz u. Josef Brozˇ; Hoge Raad, Ned. Jur. 2019 Nr. 260 S. 4343 f. m. Anm. Strikwerda. Mindestens missverständlich daher z.B. Rademacher, IPRax 2018, 600, 605. 96 Kiener/Neumayr ZFR 2015, 505, 511, 512. 97 Siehe nur Wieczorek/Schütze/Gebauer, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 2. 98 Mankowski, AnwBl. 2009, 124 (124); Mankowski, EuZA 2016, 244, 247. 99 Mankowski, EuZA 2016, 244, 247. 100 Domej, ZZP Int 13 (2008) 167, 172–175; Domej, Internationale Zwangsvollstreckung und Haftungsverwirklichung (2016) 280. 101 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 14 (2016). 102 Boemke, DB 2012, 802, 803; Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 38; Mankowski, EuZA 2016, 244, 247.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
Spruchkörper ist durch Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO schon aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgegrenzt. Eine Klage setzt für die Zwecke der Brüssel Ia-VO keine bestimmte Mindestausgestaltung voraus. Es 20 ist unerheblich, ob es sich (nach den Maßstäben der lex fori) um ein Regel- oder um ein besonderes Verfahren handelt. Eine klassische Kläger-Beklagten-Struktur muss nicht bestehen, wie auch der weite Begriff der Entscheidung aus Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO belegt.104 Auch vereinfachte Verfahren sind Klagen, wenn sie der Rechtsdurchsetzung dienen. Dies gilt auch dann, wenn sie den Umfang zu berücksichtigender Einwände des Beklagten beschränken oder gar ganz einseitig ausgestaltet sind. Ein Klagverfahren und damit dem Zuständigkeitsregime der Brüssel Ia-VO unterworfen ist daher z.B. auch das Verfahren zur Festsetzung anwaltlicher Honorarforderungen nach § 11 RVG.105 Auch selbständige Beweisverfahren und Beweissicherungsverfahren sind „Klagen“ im Sinne der Brüssel IaVO.106 Differenzierungen und Denominationen innerhalb des nationalen Rechts sind unerheblich. Daher ist z.B. auch die Unterscheidung des niederländischen Rechts zwischen dagvaardingsprocedure und verzoekschriftprocedure europäisch unerheblich: Beide Verfahrensarten betreffen Klagen im Sinne der Brüssel Ia-VO.107 Antragsverfahren ohne streitige Entscheidung können ebenfalls „Klagen“ sein.108 Dies gilt etwa für Verfahren auf Verbindlicherklärung außergerichtlicher Vergleiche, gestützt auf Art. 7:907 f. NBW, in den Niederlanden.109 Nur für Verfahren ohne jede Gegenpartei oder ohne Beteiligte im eigentlichen Sinne kann anderes gelten.110 Dagegen ist nicht vorausgesetzt, dass eine klassische kontradiktorische und adversatorische Prozess- 21 struktur mit Kläger und Beklagtem besteht. Sicherlich ist sie der Normalfall.111 An diesem Normalfall orientiert sich auch das Zuständigkeitsregime, indem es den Wohnsitz des Beklagten zum zentralen Anknüpfungspunkt erhebt. Trotzdem darf es nicht verabsolutieren. Fürsorgerische Verfahren, Rechtssorgeverfahren, der freiwilligen Gerichtsbarkeit fallen ebenfalls unter die Brüssel Ia-VO, soweit keiner der Ausnahmetatbestände aus Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO gegeben ist.112 Genetisch erschien schon die Anwendung des EuGVÜ auf die freiwillige Gerichtsbarkeit als selbstverständlich.113 Im kollektiven Arbeitsrecht sind – mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO: vorbehaltlich ausnahmsweise hoheitlicher Eingriffsausgestaltung114 – Mitbestimmungs- und organisationsrechtliche Angelegenheiten erfasst,115 dagegen nicht Verfahren auf Förderung von Konfliktlösungsverfahren seitens staatlicher Gerichte.116 103 Mankowski, AnwBl. 2009, 124, 125; Geimer/Schütze/Geimer, Art. 2 EuGVVO Rz. 90 f.; Boemke, DB 2012, 802, 803; Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 39; Mankowski, EuZA 2016, 244, 247. 104 Skauradszun, ZIP 2019, 1501, 1506. 105 Mankowski, AnwBl. 2009, 124, 125 f. 106 OLG Köln, IHR 2006, 147; OLG München v. 19.2.2014 – 15 W 912/13, IPRax 2015, 93; Niggemann, IPRax 2015, 75, 77; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 14 (2016). 107 Hof Arnhem NIPR 2006 Nr. 132 S. 199. 108 BGH 24.9.2019 – V ZB 39/18 Rz. 20; Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 12; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5; Stadler, JZ 2009, 121, 125. 109 Stadler, JZ 2009, 121, 125. 110 BGH v. 24.9.2019 – V ZB 39/18 Rz. 20; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 2 EuGVVO Rz. 33. Ein Beispiel soll das Verfahren auf Erlass einer richterlichen Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten nach § 101 Abs. 9 UrhG bzw. § 140b PatG sein; OLG München, WRP 2012, 122 = OLG München v. 12.9.2011 – 29 W 1634/11, GRUR-RR 2012, 228 = GRUR-Prax. 2011, 474 m. Anm. Eifinger. Anders für das Gestattungsverfahren nach § 14 Abs. 4 TMG i.V.m. §§ 1 ff. FamFG BGH v. 24.9.2019 – V ZB 39/18 Rz. 21. 111 Kuipers (2012) 8 JPrIL 225 (225). 112 EuGH v. 3.10.2013 – C-386/12, ECLI:EU:C:2013:633 Rz. 17 – Siegfried Janós Schneider, FamRZ 2013, 1873 m. Anm. Wendenburg; GA Bot, Schlussanträge v. 6.9.2012 in der Rs. C-456/11, ECLI:EU:C:2012:554 Rz. 39, 44; BGH v. 24.9.2019 – V ZB 39/18 Rz. 17, 21; Kümmerle, GPR 2014, 170 (170). 113 Jenard-Bericht ABl. EWG 1979 C 59/1, 9. 114 Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 34 (Mankowski). 115 Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 39 f. 116 Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 40 f.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 22
Daraus ergibt sich ein funktionaler Begriff des Beklagten, der von formellen Kriterien einzelner Prozessrechte abstrahiert: Beklagter ist jemand, der vor Gericht gezogen wird als Gegenpartei eines Antragstellers und der das Risiko läuft, dass ihm das Gericht eine Leistung auferlegt.117 Beklagter ist, gegen wen ein Gerichtsverfahren angestrengt wird mit dem Ziel, ihn zu einem bestimmten Handeln oder Unterlassen zu zwingen.118 Entscheidend ist, dass Beklagter nicht ist, wer das Verfahren initiiert. Wer eine aktive Rolle im Geschehen einnimmt, ist jedenfalls nicht Beklagter, sondern allenfalls Gegenpartei.119 Einwände zu erheben ist Reaktion und Verteidigung, nicht Initiative.120 Gegenpartei ist nicht im technischen Sinne zu verstehen. Auf die Bezeichnung nach dem Prozessrecht der lex fori kommt es nicht an. Untermauern lässt sich dies durch Art. 65 Abs. 1, 2 Brüssel Ia-VO und die dort getroffene Regelung für Streitverkündete. Echte Zeugen allerdings können auch unter einem funktionellen Beklagtenbegriff keine Beklagten sein.
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Englische Solvent Schemes of Arrangement und niederländische WCAM-Verfahren121 haben sich als Prüfsteine erwiesen.122 Beiden ist gemeinsam, dass das Gericht jeweils nur kontrolliert und gegebenenfalls bestätigt, was die Beteiligten außerhalb des Gerichts ausverhandelt haben. Zumindest das Scheme-Verfahren ist ein Kollektivverfahren.123 Sowohl englische124 als auch niederländische125 Gerichte126 haben materiell interessierte Beteiligte als „Beklagte“ im Sinne der Brüssel I-VO angesehen.127 Das Scheme-Verfahren ist ein mindestens potentiell kontradiktorisches Verfahren.128 Bei den Gerichtsständen ist eine parallele Behandlung zu der Lage anzustreben, wie sie sich ohne zu bestätigendes settlement darstellen würde, gegebenenfalls über Analogien.129 Bei Schemes of Arrangement hat sich praktisch allerdings eine Differenzierung entwickelt: Die internationale Zuständigkeit wird nach englischem autonomem IZPR beurteilt,130 gegebenenfalls abgesichert durch eine Zuständigkeit nach 117 A. A. Briggs, 196. 118 In the matter of Rodenstock GmbH [2011] EWHC 1104 (Ch.), [2012] BCC 459, [2011] Bus LR 1245 [58] (Ch. D., M. A. Briggs J.); A. A. Briggs, 196; Kuipers (2012) 8 JPrIL 225, 235; Swierczok, 101. 119 Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1212; Swierczok, 101. 120 Swierczok, 102. 121 WCAM = Wet Collective Afwikkeling Massaschaden. 122 Außerdem sog. Enquête-Verfahren vor der Ondernemingskamer des Hof Amsterdam; s. Hoge Raad JOR 2013 Nr. 166 m. Anm. Doorman = NedJur 2013 Nr. 304; Hof Amsterdam JOR 2012 Nr. 243 m. Anm. Doorman; Strik WPNR 7307 (2014), 1018, 1020–1024. 123 S. Reinhart, WuB Art. 1 EuGVVO 1.12, 570, 571; Kusche, 61, 130, 144. 124 In the matter of Rodenstock GmbH [2011] EWHC 1104 (Ch.), [2012] BCC 459, [2011] Bus LR 1245 [61] (Ch. D., M. A. Briggs J.); Re Global Garden Products (Italy) SpA [2016] EWHC 1884 (Ch.) (Ch. D., Snowden J.); In the matter of House of Fraser (Funding) Ltd. [2018] EWHC 1906 (Ch.) [19] (Ch. D., Birss J.); In the matter of House of Fraser (Funding) Plc [2018] EWHC 2663 (Ch.) [20] (Ch. D., Carr J.); Re Noble Group Ltd. [2018] EWHC 3092 (Ch.) [112] (Ch. D., Snowden J.); Re New Look Secured Issuers plc [2019] EWHC 960 (Ch.) [46] (Ch. D., Marcus Smith J.). Anders aber obiter dictum Primacom Holding GmbH [2012] EWHC 164 (Ch.) [13] (Ch. D., Hildyard J.). Bewusst offen lassend NEF Telecom Company BV and Bulgarian Telecommunications Company AD [2012] EWHC 2944 (Ch.) [38]-[45], JOR 2013/38 m. Anm. Declercq (Ch. D., Vos J.); Re Vietnam Shipbuilding Industry Group [2013] EWHC 2476 (Ch.) [12], [2014] 1 BCLC 400 (Ch. D., David Richards J.). 125 Hof Amsterdam, NJ 2009 Nr. 506 – Shell; Hof Amsterdam, NJ 2010 Nr. 683 – Converium; zustimmend Polak, NJB 2006, 2346; Poot in Holtzer/Leijten/Oranje (Hrsg.), Geschriften van wege de Vereniging Corporate Litigation 2005–2006 (2006) 169, 175; Kuipers, (2012) 8 JPrIL 225, 235 f. 126 Genauer gesagt: der nach Art. 1013 Abs. 3 Rv für WCAM-Verfahren ausschließlich zuständige Hof Amsterdam. 127 Ebenso Stadler, JZ 2009, 121, 125; Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1214, ten Wolde/N. Peters NIPR 2013, 3, 5 f.; Thole, ZGR 2013, 109, 119; Sax/Swierczok, ZIP 2016, 1945, 1947; Sax/Swierczok, ZIP 2017, 601, 602, 605; Sax/Swierczok (2017) 14 Int Corp Rescue 38, 40; McCormack/H. Anderson [2017] JBL 533, 551; s. auch Freitag/Korch, ZIP 2016, 1849, 1855 f. Anders Kusche, 144. 128 Kusche, 114 f.; ebenso ten Wolde/N. Peters NIPR 2013, 3, 5 für das WCAM-Verfahren. 129 Kuipers (2012) 8 JPrIL 225, 241; Kusche, 81. 130 In the matter of Rodenstock GmbH [2011] EWHC 1104 (Ch.), [2012] BCC 459, [2011] Bus LR 1245 (Ch. D., M. A. Briggs J.); Re Primacom Holding GmbH [2011] EWHC 3746 (Ch.) (Ch. D., Hildyard J.); Magyar Telecom BV [201] EWHC 3800 (Ch.) (Ch. D., Richards J.); APCOA (in the matter of APCOA Parking (UK) Ltd.) [2014] EWHC 997 (Ch.) (Ch. D., Hildyard J.); In the matter of APCOA Parking Holdings GmbH [2014] EWHC 1867 (Ch.) (Ch. D., Hildyard J.); Re Noble Group Ltd. [2018] EWHC 3092 (Ch.) [91]-[110] (Ch. D., Snowden J.); Pilkington/Heverin [2013] BJIBFL 708; s. auch Atsle/Horrocks [2014] Corp. Rescue & Insol. 154,
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (wenn Scheme Creditors im Vereinigten Königreich ihren Wohnsitz haben),131 oder Art. 25 Brüssel Ia-VO,132 gegebennfalls Art. 26 Brüssel Ia-VO,133 die Anerkennung dagegen dem Brüssel Ia-Regime unterstellt.134 Pragmatisch wird insbesondere Gerichtsstandsvereinbarungen des Schemes Wirkung nach dem Brüssel Ia-Regime beigelegt.135 Ein Alternativvorschlag will bei Fehlen einer Gerichtsstandsvereinbarung eine nicht ausschließliche internationale Zuständigkeit am Sitz der schuldnerischen Gesellschaft begründen.136 Dafür ließe sich immerhin der Kollektivierungsgedanke in sachlicher Nähe zu Art. 3 EuInsVO 2015 fruchtbar machen,137 auch wenn die rechtstechnische Einkleidung das Gewand einer Analogie zu Art. 4 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 63 Brüssel Ia-VO annehmen würde.138 Einem Scheme of Arrangement zustimmende Gläubiger sind dabei ungeachtet aller terminologischer Hürden ebenso als Quasi-Beklagte zu betrachten wie opponierende. Entscheidend sollte sein, dass jeder Gläubiger opponieren könnte und das Recht hat, Einwände zu erheben; nimmt er dies nicht wahr, insbesondere weil er zustimmt, so ist dies seine Sache, ändert aber nichts an seinem ursprünglichen Potential.139 Das aus einer Verurteilung qua gerichtlicher Bestätigung des Scheme of Arrangement fließende Risiko liegt im Verlust einer Forderung bzw. in einer Aufgabe des Gesellschaftsanteils.140
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II. Internationaler Anwendungsbereich des Zuständigkeitsregimes Art. 4 Brüssel Ia-VO und darauf aufbauend Art. 7–23 Brüssel Ia-VO haben zur Grundvoraussetzung, dass der Beklagte seinen Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedstaat hat. Herkunft und Wohnsitz des Klägers spielen dagegen prinzipiell für die Gerichtsstandsbestimmung keine Rolle.141 Insoweit ist
131
132 133 134 135
136 137 138 139 140 141
155 f.; Stones [2014] Corp. Rescue & Insol. 161. Kritisch dazu Westpfahl/Knapp, ZIP 2011, 2033, 2044; Ho [2011] J.I.B.L.R. 434, 435 f.; Steffek in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 6 (4. Aufl. 2013) § 39 Rz. 40. Re Nef Telecom BV [2014] BCC 417 [43] (Ch. D., Vos J.); Re Magyar Telecom BV [2014] BCC 448 [31] (Ch. D., David Richards J.); Re Zlomrex International Finance SA [2015] 1 BCLC 369 [15] (Ch. D., Mann J.); Re Van Gansewinkel Groep BV [2015] EWHC 2151 (Ch.) [51], [2015] Bus LR 1046 (Ch. D., Snowden J.); Re Metinvest BV [2016] ILPr 19 [32] (Ch. D., Proudman J.); Re Metinvest BV [2016] EWHC 372 [3] (Ch. D., Asplin J.); Re Hibu Group Ltd. [2016] EWHC 1921 (Ch.) [67] (Ch. D., Warren J.); Re Hibu Group Ltd. [2016] EWHC 2222 (Ch.) [8] (Ch. D., Arnold J.); Re DTEK Finance plc [2016] EWHC 3562 (Ch.) [17]-[20] (Ch. D., Newey J.); In the Matter of Bibby Offshore Services Plc [2017] EWHC 3402 (Ch.) [16] (Ch. D., Arnold J.); Re Lehman Brothers International (Europe) (in administration) [2018] EWHC 1980 (Ch.) [181] (Ch. D., Hildyard J.); Re Noble Group Ltd. [2018] EWHC 3092 (Ch.) [114]-[116] (Ch. D., Snowden J.); Re New Look Secured Issuers plc [2019] EWHC 960 (Ch.) [49] (Ch. D., Marcus Smith J.) sowie In the matter of House of Fraser (Funding) Ltd. [2018] EWHC 1906 (Ch.) [19] (Ch. D., Birss J.) sowie Re Hibu Group Ltd. [2016] EWHC 2222 (Ch.) [7] (Ch. D., Arnold J.). Algeco Scotsman Pik SA [2017] EWHC 2236 (Ch.) [47] (Ch. D., Hildyard J.); In the Matter of Bibby Offshore Services Plc [2017] EWHC 3402 (Ch.) [15] (Ch. D., Arnold J.). Re Lehman Brothers International (Europe) (in administration) [2018] EWHC 1980 (Ch.) [183]-[184] (Ch. D., Hildyard J.). Mankowski, WM 2011, 1201; Kusche, 13–17; Thole, ZGR 2013, 109, 126–142 m.w.N. auch zu den Gegenauffassungen. Primacom Holding GmbH [2012] EWHC 164 (Ch.) [14] (Ch. D., Hildyard J.); NEF Telecom Company BV and Bulgarian Telecommunications Company AD [2012] EWHC 2944 (Ch.) [41]-[42], JOR 2013/38 m. Anm. Declercq (Ch. D., Vos J.); Re Vietnam Shipbuilding Industry Group [2013] EWHC 2476 (Ch.) [14]-[16], [2014] 1 BCLC 400 (Ch. D., David Richards J.); Westpfahl/Knapp, ZIP 2011, 2033, 2044; Thole, ZGR 2013, 109, 119; Steffek in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 6 (4. Aufl. 2013) § 39 Rz. 42. Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1214 f.; Thole, ZGR 2013, 109, 123 f. sowie Steffek in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 6 (4. Aufl. 2013) § 39 Rz. 42. Thole, ZGR 2013, 109, 121–123. Thole, ZGR 2013, 109, 123 f. Swierczok, 103 sowie Kuipers, (2012) 8 JPrIL 225, 236 f. Swierczok, 103. EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi Reinsurance Co SA vs. Universal General Insurance Co (UGIC), EuGHE 2000 I 5925, 5952–5958 Rz. 33–61; Schlosser, FS Kralik (1986) 287, 289; Fentiman (2001) C.L.J. 10, 13.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO – in einer zweiten Funktion – zugleich eine Norm über den internationalen Anwendungsbereich des europäischen Zuständigkeitsregimes.142 Art. 24, 25 Brüssel Ia-VO (sowie Art. 26 Brüssel Ia-VO, wenn man ihn als stillschweigenden Prorogationstatbestand versteht) legen ihren internationalen Anwendungsbereich jeweils selbst fest und rekurrieren nicht auf die Grundregel des Art. 4 Brüssel Ia-VO. Art. 18 Abs. 1 Var. 2 Brüssel Ia-VO und Art. 21 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO erweitern Art. 4 Brüssel Ia-VO sachlich (den Art. 18 Abs. 1 Var. 1 Brüssel Ia-VO und Art. 21 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO speziell replizieren); ein Pendant in Versicherungssachen haben sie allerdings nicht.143 Sie führen zur Gleichbehandlung unions- und drittstaatsansässiger Gläubiger im Verhältnis zu den besonders schutzwürdigen Verbrauchern und Arbeitnehmern.144 Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO; Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO; Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO modifizieren und erweitern den Wohnsitzbegriff. Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des Zuständigkeitsregimes erschließt sich also nicht allein kraft Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, der eben keine allumfassende Regelung ist, sondern bedarf eines differenzierenden Blicks auf die einzelnen Zuständigkeitstatbestände.145 1. Internationalität kraft Drittstaatenbezugs 26
Umstritten ist, ob über den Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO hinaus weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Art. 7–25 Brüssel Ia-VO anwendbar sind. Diskutiert wird das Erfordernis eines Bezugs zu einem weiteren Vertragsstaat, um so Sachverhalte mit Drittstaatenbezug auszugrenzen. Die sog. Reduktionslehre befürwortet ein solches Erfordernis.146 Richtigerweise sollte man jedoch beim Wortlaut des Art. 4 stehen bleiben und nur den Wohnsitz des Beklagten in einem Mitgliedstaat plus einen grenzüberschreitenden Bezug des Sachverhalts verlangen.147 Internationalität setzt nach ihrem reinen Sinn allein Bezüge zu mehreren beliebigen Staaten voraus,148 und eine Einschränkung auf Bezüge gerade zu mehreren Mitgliedstaaten müsste ausdrücklich erfolgen.149 Man kann dafür einen Gegenschluss aus dem Beginn der Art. 7 Brüssel Ia-VO, Art. 8 Brüssel Ia-VO ziehen und ergänzend einen Gegenschluss aus Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO:150 Soweit die Brüssel Ia-VO für 142 Siehe nur Aud. Prov. Lérida, AEDIPr 2002, 664 m. Anm. Viñas i Farre; Rel. Porto Coll Jur 2014, II 181, II 183. 143 Siehe nur von Hein, RIW 2013, 97, 103; A. Stadler/M. Klöpfer, ZEuP 2014, 732, 753; Toro/Viggria, TVerz/Bull. Ass 2015, 395, 396, 400. 144 Siehe nur Kessedjian, Rev gén dr int public 2013, 545, 554. 145 BGE 135 III 185 E 3.1; BG v. 21.9.2017 – 4A_131/2017 E 3.3; östGH, Zak 2013/146, 83. 146 BGH v. 13.12.2000 – XII ZR 278/98, FamRZ 2001, 412; Samtleben, NJW 1974, 1590, 1593; Samtleben, RabelsZ 59 (1995) 670, 693; Piltz, NJW 1979, 1071, 1072; Kohler, IPRax 1983, 265, 266; Benecke, 112–114 et passim; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 6 EuGVÜ Rz. 10; Schack, Rz. 240 f.; Roth in Stein/Jonas (Fn. 45) Vor § 12 ZPO Rz. 32 und der Sache nach BGH v. 20.1.1986 – II ZR 56/85, IPRax 1987, 168 = NJW 1986, 1438, 1439; BGH v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, IPRax 1990, 41 = WM 1989, 355, 358; BGHZ 109, 29, 34; BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, WM 1992, 87, 88; BGHZ 134, 127, 133; östOGH, JBl 1998, 726, 727 f.; Re Harrods (Buenos Aires) Ltd. [1992] Ch. 72, 96–98 (C.A., per Dillon L.J.); Re Polly Peck International plc (in administration) [1998] 3 All ER 812, 829 f. (C.A., per Mummery L.J.). 147 Siehe nur EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383 Rz. 23–36; EuGH v. 14.11.2013 – C-478/12, ECLI:EU:C:2013:735 – Armin Maletic u. Marianne Maletic vs. lastminute.com GmbH u. TUI Österreich GmbH, NJW 2014, 530 f. Rz. 26, 28; BGH, FuR 2006, 25; OLG Hamm, IPRspr. 1988 Nr. 203; Coester-Waltjen, FS Nakamura (1996) 89, 110; Aull 143 f., 153; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Einl. EuGVVO Rz. 234–237, Art. 2 EuGVVO Rz. 111–113; Staudinger, IPRax 2000, 483, 485; Grolimund Rz. 165–407; Beraudo, Clunet 128 (2001) 1033, 1038; Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 8; Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224, 225; Chalas, Rev. crit. dip. 94 (2005) 708, 715 sowie EuGH Gutachten 1/03 Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGHE 2006 I 1145, 1203–1205 Nr. 143–149. A.A. Lucasfilm Ltd. v. Ainsworth [2009] EWCA Civ 1328 [127]–[131], [2010] 3 WLR 333 (C.A., [xxx]c.t. judgm per Jacob L.J.). 148 Hau, GS Unberath (2015) 139, 144. 149 Kruger, T.B.H. 2006, 941, 943. 150 EuGH Gutachten 1/03 Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGHE 2006 I 1145, 1205 Nr. 149.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
ihre Zuständigkeitstatbestände weitere Anwendungsvoraussetzungen in internationaler Hinsicht verlangt, benennt sie diese ausdrücklich. Jede Annahme eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals würde Abgrenzungsschwierigkeiten provozieren151 und die Garantiefunktion der Gerichtsstandsnormen beeinträchtigen. Auf den Kläger und dessen persönliche Merkmale kommt es gerade nicht an. Die kompetenziell aus Art. 81 AEUV gebotene152 Internationalität vermittelt bereits der Wohnsitz des Klägers außerhalb des Forumstaats, mag dieser Wohnsitzstaat auch ein Drittstaat sein.153 Der Wortlaut der Norm hat in beiderlei Hinsicht Garantiefunktion: Der in der EU ansässige Beklagte darf sicher sein und darauf vertrauen, nur nach der Brüssel Ia-VO gerichtspflichtig zu werden, und der Kläger kann sicher sein, dass er einen Gerichtsstand nach der Brüssel Ia-VO hat, wenn der Beklagte in der EU ansässig ist. Dies begründet beiderseitig schützenswertes Vertrauen, das nicht über eine teleologische Reduktion enttäuscht werden sollte. Rechtsschutz und Rechtssicherheit für die Binnenmarktbürger als potentielle Beklagte allein wäre Anlass genug. Schon ihre Ansässigkeit verankert den Sachverhalt hinreichend im Binnenmarkt und stellt eine tragfähige Verbindung her.154 Die weite Auslegung gewährleistet im größtmöglichen Umfang Rechtsschutz durch Gerichtsstände für Binnenmarktbürger.155 Hinzu tritt einer der beiden zentralen Zwecke des Brüssel Ia-Systems, nämlich die Gerichtsstände so weit wie möglich zu vereinheitlichen.156 Allein die weite Auslegung wird dem Anspruch auf umfassende Regelung gerecht.157
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Mit der Präambel des EuGVÜ und der dortigen Bezugnahme in Abs. 3 auf die Erleichterung des 28 Rechtsverkehrs gerade zwischen den Vertragsstaaten, die so in den Erwägungsgründen der Brüssel IaVO nicht wiederkehrt, ist zudem eine Stütze der restriktiven Ansicht entfallen.158 ErwGr. 2 S. 2 Brüssel I-VO (sic) aber betont nochmals und deutlich den Vereinheitlichungszweck, ohne die Beschränkung auf den innergemeinschaftlichen Rechtsverkehr zu wiederholen.159 ErwGr. 8 S. 1 Brüssel I-VO (sic) weist sogar deutlich in Richtung des wörtlichen Verständnisses.160 Integrations- und binnenmarktfreundlicher ist die weite Auslegung zudem.161 Gleichermaßen gebietet nämlich der effet utile der Brüssel Ia-VO im Interesse der leichten und sicheren Erkennbarkeit und der Handhabbarkeit, beim klaren Wortlaut stehen zu bleiben und sich nicht in Reduktionsversuche zu verstricken.162 Das Problem jeder teleologischen Reduktion besteht darin, dass sie kaum in der Lage ist, handhabbare und offensichtliche Eingrenzungskriterien anzuführen, und so enorme Rechtsunsicherheit produziert.163 Wer eine spezifische positive Indikation für Drittstaatensachverhalte in Art. 4 Brüssel Ia-VO 151 Siehe nur Wieczorek/Schütze/Gebauer, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 23. 152 Hau, GS Unberath (2015) 139, 146–150. 153 Siehe nur Thode, jurisPR-PrivBauR 2/2013 Anm. 1 sub C; Hau, GS Unberath (2015) 139, 151 sowie EuGH v. 14.11.2013 – C-478/12, ECLI:EU:C:2013:735 – Armin Maletic u. Marianne Maletic vs. lastminute.com GmbH u. TUI Österreich GmbH, NJW 2014, 530 f. Rz. 26, 28. 154 Leclerc, Clunet 129 (2002) 623, 625. 155 Senff, Wer ist Verbraucher im internationalen Zivilprozess? (2001) 231 f. sowie Rauscher/Fehre, ZEuP 2006, 463, 467. 156 Siehe nur EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383, 1456 Rz. 25 f.; Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224, 225. 157 EuGH Gutachten 1/03 Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGHE 2006 I 1145, 1203 Nr. 144. 158 Thiele, RIW 2002, 696, 698. Skeptisch Schack, Rz. 241. 159 Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224, 225; Mankowski, RIW 2005, 561, 564 sowie EuGH Gutachten 1/03 Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGHE 2006 I 1145, 1203 Nr. 143. 160 Hausmann, EuLF 2000/01, 40, 43 f.; Vogenauer, IPRax 2001, 253, 254 Fn. 6; Gebauer, ZEuP 2001, 943, 954; Thiele, RIW 2002, 696, 698 f.; Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224, 225; Mankowski, RIW 2005, 561, 564. 161 Staudinger, IPRax 2000, 483, 485 sowie Coester-Waltjen, FS Nakamura (1996) 89, 109 f. 162 EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 Group Josi Reinsurance Co SA vs. Universal General Insurance Co (UGIC), EuGHE 2000 I 5925, 5952 Rz. 35; Leclerc, Clunet 129 (2002) 623, 626; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 20. 163 Siehe nur Geimer, IPRax 1991, 31, 32; Heß, BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 349/89, IPRax 1992, 358, 359; Gebauer, ZEuP 2001, 943, 953.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 vermisst,164 missachtet den weiten Wortlaut. Des Weiteren passt die weite Auslegung sich besser in die Gesamtentwicklung des europäischen Internationalrechts ein.165 Daher sind auch Sachverhalte, die ihre Internationalität nur aus ihrem Drittstaatenbezug gewinnen, von Art. 4 Brüssel Ia-VO grundsätzlich erfasst. Mögliche adverse Nebeneffekte über Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO und Urteile aus kollidierenden Drittstaatsprozessen166 sind hinzunehmen und praktisch die Ausnahme. 2. Reine Inlandssachverhalte 29
Die andere Abgrenzungslinie ist diejenige zu reinen Binnen-, d.h. Inlandssachverhalten ohne realen Auslandsbezug. Die Zuständigkeitsordnung der Brüssel Ia-VO findet richtigerweise keine Anwendung auf reine Inlandssachverhalte.167 Die Brüssel Ia-VO verlangt einen Auslandsbezug,168 also einen Bezug zu einem anderen Staat als dem Forumstaat. Sie befasst sich nämlich nur mit der Erleichterung des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs. Außerdem beruht sie auf Art. 81 Abs. 1 AEUV als Kompetenztitel der EU, der seinerseits regelbespielhaft einen grenzüberschreitenden Bezug verlangt.169 Zusätzliche Argumente liefern ErwGr. 2 Brüssel I-VO (sic), der nur von der internationalen Zuständigkeit spricht, und sein Vorläufer in Präambel Abs. 4 EuGVÜ170 sowie Art. 6 Abs. 1, 2 Brüssel IaVO.171 Auch die Materialien zum EuGVÜ grenzen Inlandssachverhalte aus.172 Inlandssachverhalte sind namentlich durch den Wohnsitz/Sitz aller Parteien in demselben Staat und das Fehlen relevanter, konkret ins Forumsausland weisender Anknüpfungstatsachen gekennzeichnet. Soweit man, wesentlich um Abgrenzungsfragen aus dem Weg zu gehen, Inlandssachverhalte von der Brüssel Ia-VO erfasst sieht,173 gelangt man über Art. 4 Abs. 1, 2 Brüssel Ia-VO auch zur örtlichen Zuständigkeit nach nationalem Recht. Praktisch wirkt sich die Abgrenzung daher kaum aus.174 Sie kann aber in keinem Fall eine Rechtfertigung dafür bieten, die Brüssel Ia-VO bei Sachverhalten mit Auslandsbezug letztlich nur dann anzuwenden, wenn sie zur eigenen Unzuständigkeit führen würde.175
164 165 166 167
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169 170 171 172 173 174 175
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So Hare [2006] JBL 157, 161 f. Staudinger, IPRax 2000, 483, 485. Hare [2006] JBL 157, 172. Siehe nur EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 Rz. 25 – Andrew Owusu vs. N B Jackson; EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 Rz. 25 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner; EuGH v. 14.11.2013 – C-478/12, ECLI:EU:C:2013:735 Rz. 26 – Armin Maletic u. Marianne Maletic vs. lastminute.com GmbH u. TUI Österreich GmbH; BAG, AP Nr. 44 zu § 17 KSchG 1969 Rz. 21; BAGE 158, 266 Rz. 58; östOGH, JBl 2000, 603, 604; östOGH JBl 2002, 250; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Art. 1 Rz. 4; Rauscher/ Fehre, ZEuP 2006, 463, 464 f.; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 15; Hess in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 67, 73 und insbesondere Benecke, 54 ff.; Cuypers, GPR 2009, 34, 39. A.A. z.B. Geimer, IPRax 1991, 31; Coester-Waltjen, FS Nakamura (1996) 89, 110; Aull 43 et passim; Coester-Waltjen, IPRax 1999, 226; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 2 EuGVVO Rz. 103–105. Siehe nur EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 Rz. 29 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner = NedJur 2012 Nr. 225 m. Anm. Polak (dazu u.a. Vlek, NIPR 2012, 202, A. Grimm, GPR 2012, 87; Cuniberti, REDI 2012–1, 188; Requejo/Cuniberti, Rev. crit. dip. 101 [2012] 421); EuGH v. 14.11.2013 – C-478/12, ECLI:EU:C:2013:735 Rz. 26 – Armin Maletic u. Marianne Maletic vs. lastminute.com GmbH u. TUI Österreich GmbH; EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860 Rz. 18 – Corman-Collins SA vs. La Maison du Whisky SA; EuGH v. 7.5.2020 – C-267/19 u. C-323/19, ECLI:EU:C:2020:351 Rz. 30 – Parking d.o.o. vs. Sawal d.o.o u. Interplastics s.r.o. vs. Letifico d.o.o.; BAG, RIW 2014, 534, 535 Rz. 13; LAG Düsseldorf v. 10.1.2017 – 3 Sa 536/15 Rz. 51. R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 509 f. Schack, Rz. 239. Hess in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 67, 73. Jenard-Bericht Zu Art. 1 EuGVÜ Anm. I. Dafür vor allem Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 2 EuGVVO Rz. 65–70; Aull, Der Geltungsanspruch des EuGVÜ: „Binnensachverhalte“ und Internationales Zivilverfahrensrecht in der Europäischen Union (1996). Droz, Nr. 31; Bernasconi/Gerber, SZIER 1993, 39, 47; Benecke, 53. Abwegig Cuypers, GPR 2009, 34, 39.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
Ein Auslandsbezug kann sich insbesondere aus persönlichen Merkmalen des Klägers ergeben. Hat 30 dieser seinen Wohnsitz nicht im Forumstaat, so besteht ein hinreichender Bezug zu einem anderen Staat.176 Dass zumindest die Wohnsitze der Parteien in verschiedenen Staaten ausreichen können, belegt auch Art. 3 Abs. 1 EG-MahnVO, dessen Wertung hier in systematischer Auslegung zu übertragen ist.177 Ein Auslandsbezug besteht zudem, wenn in einem anderen Staat als dem Forumstaat ein Tatbestandsmerkmal eines besonderen Zuständigkeitstatbestands verwirklicht ist. Den Tatbestandsmerkmalen der besonderen Zuständigkeitstatbestände misst der Gesetzgeber gerichtsstandsbegründende Relevanz bei, dann müssen sie erst recht beim Auslandsbezug, der nur mindere Anforderungen stellt und weniger ausreichen lässt, genügen. Jedoch können auch Momente, die keinen Gerichtsstand tragen, einen relevanten Auslandsbezug herstellen, weil der Auslandsbezug eine andere Kategorie ist178 und weniger verlangt. Auslandsbezug kann auch die aus der Sicht des Forumstaates ausländische Staatsangehörigkeit eines Beteiligten vermitteln, sei es des Beklagten, sei es des Klägers,179 auch wenn die Staatsangehörigkeit als Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit unter der Brüssel Ia-VO keine Rolle spielt.180 Gehört der Beklagte einem anderen Staat als dem Forumstaat seines Wohnsitzes an, so ist fraglich, ob dies den nötigen Auslandsbezug herstellen darf,181 denn wenn man dies bejaht, wird der Beklagte je nach seiner Staatsangehörigkeit anders behandelt und potentiell diskriminiert. Kein reiner Inlandssachverhalt liegt im Übrigen vor, wenn bei mehreren Beklagten zwar einer ebenso 31 wie der Gläubiger im Forumstaat ansässig ist, mindestens ein anderer jedoch nicht.182 Auch der Abschluss oder die Erfüllung eines Vertrags über eine nicht in Formstaat belegene Niederlassung einer Partei begründet einen relevanten Auslandsbezug.183 Auslandsbezug kann sich auch aus der Person eines Verfahrensbeteiligten ergeben, der keine eigentli- 31a che Partei des Verfahrens ist, namentlich aus der Person eines Streitverkündeten oder eines Nebenintervenienten.184 Formell Mitbeklagte oder mit einer Interventionsklage Beklagte sind bereits kraft formeller Rolle Beklagte und damit Partei im strikten Sinn. Ohne formelle Einbindung in den Prozess zählen Auslandsbezüge aus der Person nur materiell mit dem Sachverhalt Verbundener aber nicht.185 Auch der Verfahrensgegenstand kann objektive Auslandsbezüge begründen. Z.B. mag der Gegen- 31b stand, dessen Herausgabe die Klage begehrt, im Forumausland belegen sein.186 Oder es mögen streitgegenstandsrelevante Handlungen im Forumsausland stattgefunden haben, z.B. ein Vertragsschluss, eine Vertragserfüllung oder potentiell haftungsbegründende Aktivitäten (bzw. Unterlassungen).187 Dass im der Klage zugrunde liegenden Sachverhalt Geldüberweisungen auf Konten im Ausland stattgefunden haben, sollte dagegen nicht ausreichen.188
176 EuGH v. 7.5.2020 – C-267/19 u. C-323/19, ECLI:EU:C:2020:351 Rz. 30 – Parking d.o.o. vs. Sawal d.o.o u. Interplastics s.r.o. vs. Letifico d.o.o.; LAG Düsseldorf 10.1.2017 – 3 Sa 536/15 Rz. 51; R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 518. 177 Siehe EuGH v. 7.5.2020 – C-267/19 u. C-323/19, ECLI:EU:C:2020:351 Rz. 34 f. – Parking d.o.o. vs. Sawal d.o.o u. Interplastics s.r.o. vs. Letifico d.o.o. 178 EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 Rz. 65 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner, EuGHE 2011, I-11543 Rz. 31; GAin Trestenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-327/10 Rz. 65. 179 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383; BAG, RIW 2014, 534, 535. 180 EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner, EuGHE 2011, I-11543 Rz. 31–35; GAin Trestenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-327/10, ECLI:EU:C:2011: 561 Rz. 61; R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 520. 181 Requejo/Cuniberti, Rev. crit. dip. 101 (2012) 421, 429. 182 Kruger, Rz. 2.76. 183 R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 523. 184 R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 524 f.; s. auch EuGH v. 14.11.2013 – C-478/12, ECLI:EU:C:2013:735 Rz. 29–31 – Armin Maletic u. Marianne Maletic vs. lastminute.com GmbH u. TUI Österreich GmbH. 185 R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 526 f. Vgl. aber Maultzsch, RabelsZ 75 (2011) 60, 72 f.; Maultzsch, FS von Hoffmann (2011) 304, 316 zu Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO. 186 R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 528. 187 R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 530–533. 188 Friesen, jurisPR-IWR 3/2017 Anm. 2 sub C; R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 528 f.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4
III. Keine Abweisung nach Ermessen des Gerichts trotz gegebenem Gerichtsstand (forum non conveniens) 32
Das Gerichtsstandsregime der Brüssel Ia-VO hat auch eine Garantiefunktion zugunsten des Klägers. Wenn einer der dort genannten Gerichtsstände eröffnet ist, hat der Kläger die Garantie, vor dem betreffenden Gericht gehört zu werden. Ein mitgliedstaatliches Gericht ist unionsrechtlich verpflichtet, namentlich Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anzuwenden und seine darauf zu gründende Zuständigkeit auszuüben.189 Die Abwägung, ob der Sachverhalt eine hinreichende Verbindung mit dem betreffenden Forum hat, ist bereits abstrakt gefallen, indem der betreffende Gerichtsstand geschaffen wurde.190 Die in den einzelnen Gerichtsständen genannten Verbindungen zum Forum begründen eine hinreichende Verbindung. Sie stehen nicht unter Abwägungsvorbehalt.191 Sie begründen keine widerleglichen Vermutungen, sondern feste Tatbestände. Für die Gerichte sind sie bindend.192 Hinter einem System fester Gerichtsstände steht bei entsprechender Ausgestaltung des nationalen Verfassungsrechts zudem die Garantie des gesetzlichen Richters. Insbesondere sind Überlegungen zum forum non conveniens (das seiner Natur nach Konzentration will) bei besonderen Gerichtsständen (die ihrer Natur nach konkurrierende Gerichtsstände sind) unangebracht.193 Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO beinhaltet zentral eben auch die Gerichtsstandsgarantie für den Kläger, nicht nur ein Recht des Beklagten, sich in einem „Heimspiel“ verteidigen zu dürfen, worauf der Beklagte auch verzichten könnte.194
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Sind die Anknüpfungstatsachen für einen einschlägigen Gerichtsstand begründet, so hat das angerufene Gericht den Fall zu entscheiden. Es kann die Klage nicht aus seinem Ermessen heraus abweisen oder aussetzen, weil es engere Verbindungen zu einem anderen Forum sieht und dieses für besser geeignet hält, den Rechtsstreit zu entscheiden. Entsprechendes Ermessen gewährt englischen Gerichten nach ihrem nationalen Prozessrecht die Doktrin vom forum non conveniens.195 Sie gilt nicht für Fälle, die von der Brüssel Ia-VO erfasst werden.196 Rechtssicherheit ist ein überragend wichtiges Gut für das europäische Gerichtsstandssystem.197 ErwGr. 11 Brüssel I-VO stellt dies unmissverständlich klar.198 Mit der Rechtssicherheit aber ist Unsicherheit durch richterliches Ermessen im Einzelfall um189 GA Szpunar, Schlussanträge v. 14.1.2020 in der Rs. C-641/18, ECLI:EU:C:2020:3 Rz. 137. 190 Kohler, FS Matscher (1993) 251, 261; Mankowski, RIW 2005, 561, 564; Rauscher/Fehre, ZEuP 2006, 463, 469. 191 Coester-Waltjen, FS Heldrich (2005) 549, 552. 192 Layton/Mercer, Rz. 14.007. 193 Unangemessen daher Anton Durbeck GmbH v. Den Norske Bank ASA [2003] 2 WLR 1296, 1310 (C.A., per Lord Phillips of Worth Matravers MR). Deutlich jedoch Vedanta Resources PLC v. Lungowa [2019] UKSC 20 [38]-[40], [2019] 2 WLR 1051 (S. C., per Lord Michael Briggs). 194 Mankowski, RIW 2005, 561, 564; Mankowski, GS Arndt Schmehl (2019) 557, 559. Dies übersieht A. Briggs (2005) 121 LQRev 535, 538. 195 Leading case ist Spiliada Maritime Corp v. Consulex Ltd. [1987] AC 460, 476–478 (HL, per Lord Goff of Chieveley). Eingehend insbesondere P. Huber, 87–155. 196 Siehe nur GA Bobek, Schlussanträge v. 21.6.2018 in der Rs. C-337/1, ECLI:EU:C:2018:487 Rz. 97; Goshawk Dedicated Ltd. v. Life Receivables Ltd. [2009] ILPr 435 (S. C. Ireland); AMT Futures Ltd. v. Marzillier, Dr Meier & Dr Guntner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH [2017] UKSC 13 [34], [2018] AC 439, [2017] 2 WLR 853 (S. C., per Lord Hodge JSC); Boss Group Ltd. v. Boss Group France SA [1996] 4 All ER 970, 976 (C.A., per Saville L.J.); UBS AG and UBS Securities AG v. HSH Nordbank AG [2009] EWCA Civ 585 [103], [2009] 2 Lloyd’s Rep. 272 (C.A., per Lord Collins of Mapesbury); Dominik Liswaniso Lungowe v. Vedanta Resources Ltd. [2017] EWCA 528 [35]-[37], [2018] 1 WLR 3575 (C.A., per Simon L.J.); S & W Berisford plc v. New Hampshire Insurance Co [1990] 2 All ER 321, 332 (Q.B.D., Hobhouse J.); Arkwright Mutual Insurance Co v. Brynston Insurance Co Ltd. [1990] 2 All ER 335, 345 (Q.B.D., Potter J.); Aiglon Ltd. and L’Aiglon SA v. Gau Shan Co Ltd. [1993] 1 Lloyd’s Rep. 164, 175 (Q.B.D., Hirst J.); Pearce v. Ove Arup Partnership [1998] ILPr 10, 21 (Ch. D., Lloyd J.); Nabb Brothers Ltd. v. Lloyds Bank International (Guernsey) Ltd. [2005] ILPr 506, 527 (Ch. D., Lawrence Collins J.); Viking Line ABP v. ITF and Finnish Seamen’s Union [2005] EWHC 1222 (Comm) [71] (Q.B.D., Gloster J.); Choudhary v. Bhattar [2009] ILPr 842, 855 (Ch. D., Judge D Donaldson QC); DC v. WOC [2001] 2 IR 1, 4 f. (High Ct. Ireland, Finnegan J.); Goshawk Dedicated Ltd. v. Life Receivables Ltd. [2008] 2 ILRM 460 (High Ct. Ireland, Clarke J.); Vzngr. Rb. ’s-Gravenhage NIPR 2007 Nr. 281 S. 374; Kaye (1992) JBL 49; Lupoi, Riv. trim. dir. proc. civ. 1995, 997, 1006; Turkki (1996) 21 ELRev 421; Brandt 37 Texas Int’l L.J. 467, 489 (2002); C Thiele, RIW 2002, 696; Qureshi/Nicol [2014] JIBFL 509, 511; Mankowski, GS Arndt Schmehl (2019) 557, 559 sowie Airbus Industrie v. Patel [1998] 2 All ER 257, 263 (HL, per Lord Goff of Chieveley).
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
so weniger zu vereinbaren.199 Zuständigkeitsklarheit geht offenen Zweckmäßigkeitserwägungen vor.200 Ermessen nähme den Parteien die sichere Kalkulationsgrundlage, die sie im europäischen System haben sollen.201 Insbesondere wäre die Garantiefunktion, welche die Gerichtsstände zugunsten des Klägers entfalten, schwer beeinträchtigt.202 Der Kläger soll das volle Wahlrecht unter den Gerichtsständen haben, welche die Brüssel Ia-VO ihm zur Verfügung stellt, und es soll keine Gefahr negativer Kompetenzkonflikte geben, dass im Extremfall überhaupt kein Gericht den Fall entscheiden wollte.203 Die Auswahlmöglichkeit ist Teil des Systems, wesentlich ihretwegen gibt es Art. 45 Abs. 1 lit. c, d Brüssel Ia-VO.204 Zudem könnte forum non conveniens Verzögerungstaktiken prämieren, indem es denjenigen begünstigt, der Zweifel sät, ob ein Gerichtsstand denn auch wirklich und innerlich gegeben sei, und im Extremfall zu überlanger Prozessdauer und einem Verstoß gegen Art. 8 EMRK führen.205 Diese Garantie für den Kläger lässt außer Acht, wer nur den Schutz des Beklagten sieht. In der Tat 34 könnte der Beklagte über den ihm zugedachten Schutz disponieren206 und hat angesichts Art. 7, 8 Brüssel Ia-VO keine Garantie, in seinem Wohnsitzstaat verklagt zu werden.207 Aber Art. 4 Brüssel IaVO hat eben keineswegs nur den Beklagten im Blick, sondern mindestens gleichermaßen den Kläger. Ebenso wenig kann man der Lehre vom forum non conveniens dadurch einen Platz im System der Brüssel Ia-VO zu sichern versuchen, dass man auf das Ermessen nach Art. 30 Brüssel Ia-VO verweist:208 Art. 30 Brüssel Ia-VO setzt eine aktuelle Verfahrenskollision voraus. Die Durchbrechungen der Gerichtsstandsgarantie durch Art. 29 Brüssel Ia-VO, Art. 30 Brüssel Ia-VO begründen keine verallgemeinerungsfähigen Prinzipien und resultieren nur aus der Sondersituation kollidierender Jurisdiktionsansprüche.209 Feste, abstrakte Sicherheit gewährende Regeln und konkretes Ermessen schließen sich wechselseitig 35 aus.210 Feste Regeln vermeiden langen Streit um die Angemessenheit eines Gerichtsstands.211 Die Brüssel Ia-VO bewertet nicht nur ein angebliches „natural forum“ als geeignet, den Sachverhalt zu entscheiden, und sieht in ihren besonderen Zuständigkeiten gerade keinen drohenden Verlust an Effizienz.212 Die von der Brüssel Ia-VO selbst vorgesehenen Zuständigkeiten sind per abstrakter Abwägung „convenient per se“.213 Der Richter braucht sich im konkreten Fall nicht damit herumzuschlagen, ob die konkret einschlägige Gerichtsstandsregel more or less convenient, mehr oder weniger genehm ist.214 Man kann keinen Unterschied zwischen einer Gerichtsstandsregel und deren Anwen197 Siehe nur EuGH v. 28.9.1999 – C-440/97, ECLI:EU:C:1999:456 – GIE Groupe Concorde vs. Kapitän des Schiffes „Suhadiwarno Panjan“, EuGHE 1999 I 6307, 6350 Rz. 23; EuGH v. 19.2.2002 – C-256/00, ECLI:EU: C:2002:99 – Besix SA vs. Wasserreinigungsbau Alfred Kretzschmar GmbH & Co. KG (WABAG) und Planungs- und Forschungsgesellschaft Dipl.-Ing. W. Kretzschmar GmbH & Co. KG (Plafog), EuGHE 2002 I 1699, 1726 Rz. 24; GA Bobek, Schlussanträge v. 21.6.2018 in der Rs. C-337/1, ECLI:EU:C:2018:487 Rz. 97. 198 Schroeder, EuZW 2004, 470, 471. 199 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383, 1460 f. Rz. 38–41. 200 Leipold, GS W. Blomeyer (2004) 143, 149. 201 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383, 1461 Rz. 42. 202 Mankowski, RIW 2005, 561, 564; Mankowski, GS Arndt Schmehl (2019) 557, 559; A. Bruns, JZ 2005, 890, 892. 203 Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 20. 204 Requejo Isidro, REDI 2004, 855, 858. 205 De Cristofaro, Riv. dir. proc. 2006, 1381, 1390. 206 Siehe nur Hartley (2005) 54 ICLQ 813, 827. 207 Siehe nur Cuniberti (2005) 54 ICLQ 973, 977. 208 So aber Cuniberti (2005) 54 ICLQ 973, 975 f. 209 Entgegen Cuniberti/Winkler, Clunet 132 (2005) 1183, 1188. 210 C. Kohler, FS Matscher (1993) 251, 261 sowie Hof Amsterdam, NIPR 2005 Nr. 106 S. 154. 211 Siehe nur Schack, Rz. 501; Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser (2005) 119, 121; Hare [2006] JBL 157, 166. 212 Entgegen Fentiman (2005) 64 C.L.J. 303. 213 Duintjer Tebbens in Jayme (Hrsg.), Ein internationales Zivilverfahrensrecht für Gesamteuropa (1992) 214; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 2 EuGVVO Rz. 70. 214 Bernasconi/Gerber, IPRax 1994, 3, 9; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 2 EuGVVO Rz. 71. Zu Rechtsmissbrauch im Zuständigkeitsrecht BGE 129 III 295; Luginbühl, FS Kolle u. D Stauder (2005) 389, 401 f.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 dung machen.215 Dies gilt auch für Gerichtsstandsvereinbarungen unter Art. 25 Brüssel Ia-VO.216 Auch ein prorogiertes Gericht kann nicht unter Hinweis auf forum non conveniens eine objektive Zuständigkeit eines Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat beiseite schieben.217 Heute regelt Art. 31 Brüssel Ia-VO die Konflikte um Pro- wie Derogationseffekte von Gerichtsstandsvereinbarungen. 36
Dies prägte auch das Vorstellungsbild, als das EuGVÜ 1968 geschaffen wurde, denn am Tisch saß nur Kontinentaleuropa. Daran änderte sich nichts bei Beitritt Großbritanniens und Irlands.218 Die Gerichtsstände des europäischen Systems stehen dementsprechend historisch-genetisch nicht zur Disposition des Richters und sind für den Richter verbindliche Vorgaben.219 Hinzu tritt die einheitliche Auslegung: Nur wenige Mitgliedstaaten kennen die forum non conveniens-Doktrin, die anderen nicht.220 Dann kann nicht die Minderheit die Mehrheit dominieren.
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Die Doktrin vom forum non conveniens gilt auch dann nicht, wenn der Kläger in einem Drittstaat ansässig ist, der Beklagte aber in einem Mitgliedstaat.221 Anderenfalls brächte man eine ungerechtfertigte Spaltung in das Regime der Brüssel Ia-VO, indem man zwischen Binnenmarktfällen und Fällen mit Drittstaatenbezug differenzierte, obwohl beide unter das VO-Regime fallen.222 Die Brüssel Ia-VO enthält keineswegs nur ein Regime für Fälle zwischen Parteien aus Mitgliedstaaten, wie Art. 6 Brüssel Ia-VO einerseits und Art. 45 Abs. 1 lit. d Brüssel Ia-VO andererseits als herausragende Beispiel belegen, in denen des Drittstaatenbezugs ausdrücklich gedacht wird.223 Ebenso kann forum non conveniens nicht zum Zuge kommen, wenn die internationalen Anwendungsvoraussetzungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO oder Art. 24 Brüssel Ia-VO, also nicht nach Art. 4 Brüssel Ia-VO bestimmt werden.224 Bei mehreren Beklagten, von denen einzelne in Drittstaaten ansässig sind, lässt sich dem Wunsch nach einheitlicher Verhandlung durch eine Analogie zu Art. 8 Nr. 1 angemessen Rechnung tragen.225 Alles dies davon abhängig machen zu wollen, dass Bezüge zur EU bestehen,226 verkennt, dass solche Bezüge sich gerade in den Gerichtsständen der Brüssel Ia-VO niederschlagen.
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Die Frage, was denn die anderen Mitgliedstaaten dagegen haben könnten, wenn der einzige konkret berührte Mitgliedstaat die Sache lieber in einem Drittstaat entschieden sähe,227 ist zwar in sich falsch gestellt, denn es geht nicht um konkrete Billigung oder Missbilligung durch die anderen Mitgliedstaaten. Sie findet aber trotzdem eine Antwort: Es geht um das System und um die europäische Gerichtsstandsgarantie für den Kläger. Der Kläger soll auch im Fall mit Drittstaatenbezug das volle Wahlrecht 215 A.A. Cuniberti/Winkler, Clunet 132 (2005) 1183, 1187. 216 Vgl. aber Antec International Ltd. v. Biosafety USA Inc [2006] EWHC 47 (Comm) [24] = EuLF 2006, II-30, II-32 (Q.B.D., Gloster J.): möglicherweise forum non conveniens bei Gerichtsstandsvereinbarung und Drittstaatsbezug. 217 AMT Futures Ltd. v. Marzillier, Dr Meier & Dr Guntner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH [2017] UKSC 13 [34], [2018] AC 439, [2017] 2 WLR 853 (S. C., per Lord Hodge JSC). 218 Siehe nur Schlosser-Bericht ABl. EWG 1979 C 59/71 Nr. 77 f. 219 Siehe nur EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 – Erich Gasser GmbH vs. MISAT Srl, EuGHE 2003 I 14693, 14746 Rz. 72; EuGH v. 27.4.2004 – C-159/02, ECLI:EU:C:2004:228 – Gregory Paul Turner vs. Felix Fareed Ismail Grovit, EuGHE 2004 I 3565, 3587 f. Rz. 24; Layton/Mercer, Rz. 13.002. 220 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383, 1461 Rz. 43. 221 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383, 1461 f. Rz. 42 ff.; A v. A (Children: Habitual Residence) [2013] UKSC 60 [31], [2014] AC 1 (S. C., per Lady Hale DPSC); Attorney-General of Zambia v. Meer Care & Desai [2006] EWCA Civ 390 [22], [2006] 1 CLC 436 (C.A., per Sir Anthony Clarke MR); Dominik Liswaniso Lungowe v. Vedanta Resources Ltd. [2017] EWCA 528 [35]-[37], [2018] 1 WLR 3575 (C.A., per Simon L.J.), ~ [2016] EWHC 975 (TCC) [71]-[82] (TCC, Coulson J.); Emere Godwin Bebe Okpabi v. Royal Dutch Shell plc [2017] EWHC 89 (TCC) [64]-[68], [2017] Bus LR 1335 (TCC, Fraser J.); A. Bruns, JZ 2005, 890, 892; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 34; Aristova, (2016) 75 Cambridge L.J. 468; Aristova, Utrecht LRev 14 (2) (2018) 4, 11 f.; M. Weller/Pato, Unif. L. Rev. 2018, 397, 401; M. Weller, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 583, 588. A.A. Hartley, (1992) 17 ELRev 553, 555. 222 Thiele, RIW 2002, 696, 699 f.; Mankowski, RIW 2005, 561, 565. Zweifelnd Chalas, Rev. crit. dip. 94 (2005) 708, 719 f. 223 Lupoi, Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 967, 978. 224 Blobel, GPR 2005, 140, 141. 225 Rauscher/Leible Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 7 m.w.N.; Blobel, GPR 2005, 140, 141. 226 So Wei Jian, Chan [2017] LMCLQ 190, 193. 227 Dohmann/A. Briggs, FS Schlosser (2005) 161, 163.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
unter den Gerichtsständen haben, welche die Brüssel Ia-VO ihm zur Verfügung stellt, und es soll keine Gefahr negativer Kompetenzkonflikte geben, dass im Extremfall überhaupt kein Gericht den Fall entscheiden wollte.228 Wenn das europäische Regime greift, dann greift es. Dann greift es so, wie es ist. Sonderregeln für Drittstaatensachverhalte (also Sachverhalte, in denen nur ein Drittstaatenbezug den grenzüberschreitenden Bezug herstellt) gibt es nicht. Freilich bestehen hinsichtlich der Anwendbarkeit der Doktrin vom forum non conveniens in Fällen 39 mit Drittstaatenbezug noch einige sehr spezielle Restfragen, die zu beantworten sich der EuGH (leider) bisher weigern konnte, da sie konkret nur hypothetischen Charakter hatten.229 Jedenfalls abzulehnen ist ein Rekurs auf die Doktrin vom forum non conveniens, soweit in einem Drittstaat ein Anknüpfungsmoment des Art. 24 verwirklicht wäre.230 Ein solcher Rekurs würde auf der abzulehnenden231 Theorie vom effet réflexe des Art. 24 Brüssel Ia-VO und damit auf einer fehlerhaften Prämisse beruhen. Eine Abwandlung in der Rechtsfolge, dass die Abweisung in das Ermessen gestellt würde,232 änderte nichts an der fehlenden Qualität der tatbestandlichen Basis. Auch Fälle mit anderweitiger Rechtshängigkeit im Drittstaat erfordern keine abweichende Bewertung.233 Aus englischer Sicht ist auch noch nicht abschließend geklärt, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung unter Art. 25 Brüssel Ia-VO eine Anwendung von forum non conveniens in Drittstaatenfällen ausschließt;234 indes dürfte eine Einschränkung von Art. 25 Brüssel Ia-VO kaum je möglich sein, da Gerichtsstandsvereinbarungen als vertragliche Abreden strikt einzuhalten sind. Soweit Art. 6 Brüssel Ia-VO auf das nationale Prozessrecht verweist, weil der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Drittstaat hat, kann die Doktrin vom forum non conveniens als Teil des nationalen Prozessrechts zur Anwendung kommen.235 Selbst anti-suit injunctions236 bleiben in diesem Bereich zulässig.237 Insoweit entfaltet die Brüssel Ia-VO keine Sperrwirkung und will auch keine Vereinheitlichung bewirken. Ob in einem anderen EU-Mitgliedstaat ein Gerichtsstand nach dessen nationalem Prozessrecht besteht, ist dabei unerheblich.238
228 Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 20. 229 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383, 1462 f. Rz. 47–51. 230 So aber Mourre/Lahlou, Rev. dr. aff. int. 2005, 509, 519; Peel [2005], LMCLQ 363, 375 f.; Rodger (2006), 2 JPrIL 71, 93. 231 Eingehend Rauscher/Mankowski, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 6–9. 232 Peel [2005], LMCLQ 363, 375 f. sowie A. Briggs [2005], LMCLQ 378. 233 A. Bruns, JZ 2005, 890, 892. 234 Antec International Ltd. v. Biosafety USA Inc [2006] EWHC 47 (Comm) [24] = EuLF 2007, II-30, II-32 (Q.B.D., Gloster J.). 235 Lubbe v. Cape plc [2000] 1 WLR 1545, 1553 f. (HL, per Lord Bingham of Cornhill); Cass. Bull. civ. 2009 II n° 107; In re Harrods (Buenos Aires) Ltd. (No. 2) [1992] Ch. 72, 93–98, 101–103 (C.A., per Dillon, Bingham L.J.J.); The „Nile Rhapsody“ [1994] 1 Lloyd’s Rep. 382, 388–390 (C.A., per Neill L.J.); Sarrio SA v. Kuwait Investment Authority [1997] 1 Lloyd’s Rep. 113, 124, 126, 129 (C.A., per Evans, P Gibson, Brooke L.J.J.); HajiIoannou v. Frangos [1999] 2 Lloyd’s Rep. 337, 347 (C.A., per Lord Bingham of Cornhill CJ); Eli Lilly & Co v. Novo Nordisk AS [2000] ILPr 73 (C.A.); Ace Insurance Co v. Zurich Insurance Co [2001] 1 Lloyd’s Rep. 618, 622–626 (C.A., per Rix L.J.); O T Africa Line Ltd. v. Magic Sportswear Corp [2005] 2 Lloyd’s Rep. 170, 180, 182 (C.A., per Longmore, Rix L.J.J.); Limit (No. 3) Ltd. v. PDV Insurance Co [2005] 2 All ER (Comm) 347, 358 f. (C.A., per Auld L.J.); CA Paris JClP (G) 2008 II 10115 Anm. Bruneau = D. 2008, 1452 Anm. Courbe; The „Xin Yang“ [1996] 2 Lloyd’s Rep. 217, 222 (Q.B.D., Clarke J.); Catalyst Investment Group Ltd. v. Levinsohn [2010] 2 WLR 839 (ChD, Barling J.); Gonzalez v. Mayer [2005] 3 IR 326, 334 f. (High Ct. Ireland, Kelly J.); Dohmann/A. Briggs, FS Schlosser (2005) 161, 163; Rodger (2006) 2 JPrIL 71, 95, 97. vgl. auch Intermetal Group Ltd. & Trans-World (Steel) Ltd. v. Worslade Trading Ltd. [1998] ILPr 746, 758 f. (High Ct. Ireland, O’Sullivan J.). Zweifelnd indes A. Briggs, (2005) 121 LQRev 535, 538 f. 236 Zu diesen näher Rz. 49–54. 237 OT Africa Line v. Magic Sportswear [2005] 2 Lloyd’s Rep. 170 (C.A.); Seismic Shipping v. Total E & P [2005] 2 Lloyd’s Rep. 359 (C.A.); Cadre SA v. Astra Asigurari SA [2006] 1 Lloyd’s Rep. 560 (Q.B.D., Morison J.); The „Hornbay“ [2006] 2 Lloyd’s Rep. 44 (Q.B.D., Morison J.); Starlight Shipping Co v. Tai Ping Insurance Co Ltd. Hubei Branch [2008] 1 Lloyd’s Rep. 230 (Q.B.D., Cooke J.); Dickinson [2004] LMCLQ 273; Rauscher, IPRax 2004, 405, 409; Hau, ZZP Int 9 (2004) 191, 197. 238 Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 20.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 41
Das angerufene Gericht hat allgemein kein Ermessen bei seiner Entscheidung, ob es unter der Brüssel Ia-VO zuständig ist. Dies gilt nicht nur mit Blick auf die Lehre vom forum non conveniens, sondern auch für andere ermessensbegründende Lehren. Z.B. kann ein Gericht sich nicht aus Gründen der comity, der völkerrechtlichen Freundlichkeit gegenüber einem anderen Staat als dem Forumstaat, für unzuständig erklären.239
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Die Lehre vom forum non conveniens kann für die örtliche Zuständigkeit innerhalb eines Staates zur Anwendung kommen,240 wenn und soweit die Brüssel Ia-VO für die örtliche Zuständigkeit auf das nationale Recht verweist und diese nicht selber regelt.
IV. Zusammenspiel zwischen der Brüssel Ia-VO und dem nationalen Recht 43
Die Brüssel Ia-VO regelt in ihrem Titel II unmittelbar die internationale Zuständigkeit für Streitigkeiten, die sachlich und international in ihren Anwendungsbereich fallen. Diese Regelung ist für die erfassten Sachverhalte abschließend. Titel II schließt insoweit die Anwendung aller nationalen Zuständigkeitsvorschriften aus.241 Dies gilt auch, soweit nationale Zuständigkeitsvorschriften (wie z.B. §§ 22; 23 ZPO) Wertungen umsetzen wollen, die sich in der Brüssel Ia-VO nicht in gleichem Umfang wiederfinden,242 unabhängig davon, ob sie auf der „Schwarzen Liste“ unter Art. 5 Abs. 2 Brüssel IaVO stehen (wie § 23 ZPO) oder nicht (wie § 22 ZPO). Es ist auch nicht statthaft, die Zuständigkeitsgründe des nationalen Rechts subsidiär zu prüfen, nachdem man festgestellt hat, dass im Inland für einen von der Brüssel Ia-VO erfassten Fall kein Gerichtsstand nach der Brüssel Ia-VO besteht;243 vielmehr ist in solchen Fällen die Klage mangels internationaler Zuständigkeit als unzulässug abzuweisen. Neben der Brüssel Ia-VO hat das nationale Recht der internationalen Zuständigkeit nur und ausschließlich Platz, soweit es um von der Brüssel Ia-VO sachlich nicht geregelte Sachverhalte mit spezifischem Drittstaatenbezug (namentlich mit Wohnsitz des Beklagten im Drittstaat nach Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) geht. Rein interne Sachverhalte werden von der Brüssel Ia-VO ebenfalls nicht erfasst, werfen aber letztlich und im Ergebnis keine relevanten Fragen der internationalen Zuständigkeit auf.
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Für die örtliche Zuständigkeit kommt das nationale Recht wiederum nur zum Zuge, soweit die Brüssel Ia-VO diese nicht bereits selbst regelt. So dienen §§ 12 ff. ZPO zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit, wenn sich die internationale Zuständigkeit aus Art. 6 Brüssel Ia-VO ergibt. Dagegen regeln die Tatbestände der Art. 7 Brüssel Ia-VO (außer Nr. 6), Art. 6 Brüssel Ia-VO sowie grundsätzlich Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit.244 Die Differenzierung ergibt sich daraus, ob der einschlägige Zuständigkeitstatbestand die Gerichte eines bestimmten Staates oder das Gericht eines bestimmten Ortes als zuständig benennt, statt nur „die Gerichte des Mitgliedstaats“.245 Soweit eine Klage zwar in einem richtigen Staat, jedoch bei einem nach Art. 7 Brüssel Ia-VO, Art. 8 Brüssel Ia-VO örtlich unzuständigen Gericht erhoben wird, ist eine innerstaatliche Verweisung an das örtlich zuständige Gericht nach Maßgabe des nationalen Prozessrechts, in Deutschland nach § 281 ZPO, möglich.246
45
Bei einer Gerichtsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind die Aussagen der Brüssel Ia-VO zur örtlichen Zuständigkeit ebenfalls zu beachten, und zwar mit dem Anwendungsvorrang aus Art. 288 239 Viking Line ABP v. ITF and Finnish Seamen’s Union [2005] EWHC 1222 (Comm) Rz. 71–75 (Q.B.D., Gloster J.). Unzutreffend White Sea and Omega Shipping Co Ltd. v. ITF [2001] 1 Lloyd’s Rep. 421, 429 (Q.B.D., Tomlinson J.). 240 Lennon v. Scottish Daily Record [2004] EWHC 359 (Q.B.) (Q.B.D., Tugendhat J.); The „Seaward Quest“ [2007] 2 Lloyd’s Rep. 309 (Q.B.D., Langley J.); A. Briggs/Rees, Rz. 2.234; Dicey/Morris/Collins Rz. 12.024. 241 Siehe nur Trib. Varese Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 455, 457; Thode, jurisPR-PrivBauR 2/2013 Anm. 1 sub C m.w.N.; Hess, IPRax 2018, 258. 242 OLG Naumburg, NZG 2000, 1218, 1219. 243 Mankowski, VuR 2001, 259, 260 f. 244 Siehe nur Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 459, 462. 245 Siehe nur Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 2. 246 LG Berlin v. 28.9.1995 – 30 O 206/95, IPRax 1996, 416; Rüßmann, IPRax 1996, 402; Czernich/Kodek/Mayr/ Czernich/Tiefenthaler, Einl. Rz. 45.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
Unterabs. 2 AEUV (ex Art. 249 Abs. 2 EGV).247 Verneint eines der beteiligten deutschen Gerichte die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte schlechthin, während das andere Gericht zwar die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte bejaht, aber seine eigene örtliche Zuständigkeit verneint,248 so würde die eleganteste Lösung im deutschen Recht darin bestehen, ausnahmsweise der Entscheidung des zuerst befassten Gerichts über die internationale Zuständigkeit materielle Rechtskraft beizumessen, auch wenn sie technisch nur ein Prozessurteil sein kann, und sie darüber Bindungswirkung entfalten zu lassen.249 Weist die Brüssel Ia-VO dem Forumstaat internationale Entscheidungskompetenz zu, fehlt es aber an 46 der ausdrücklichen Bezeichnung und Benennung eines örtlich zuständigen Gerichts durch das nationale Recht, so stellt sich ausnahmsweise die Frage nach einer Notzuständigkeit für die örtliche Zuständigkeit. Insoweit ist der Forumstaat in der Pflicht, denn die gegebene internationale Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO begründet, jedenfalls im Zusammenspiel mit den Menschenrechten und gegebenenfalls mit nationalem Verfassungsrecht, einen Justizgewährungsanspruch für den Kläger.250 Klagabweisung mangels örtlicher Zuständigkeit251 darf nicht die Antwort sein. Zwei Ansätze stehen sich für die nähere Ausfüllung gegenüber: Der eine will nothilfsweise immer die Gerichte in der Hauptstadt für örtlich zuständig.252 Der andere möchte, soweit möglich, den im jeweils einschlägigen Zuständigkeitstatbestand der Brüssel Ia-VO verwendeten Anknüpfungspunkt auch für die örtliche Zuständigkeit fortschreiben.253 Systemgerechter und stimmiger ist der zweite Ansatz.254 Das nationale Zuständigkeitsrecht kommt neben der Brüssel Ia-VO immer zur Anwendung für Fra- 47 gen der sachlichen und der funktionalen Zuständigkeit sowie des Rechtswegs.255 Die Brüssel Ia-VO ist eben kein umfassendes europäisches Zivilprozessrecht und regelt weder den Gerichtsaufbau noch die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gerichtsarten und -typen. Das nationale Prozessrecht gibt erst recht für die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen einschließlich der Statthaftigkeit bestimmter Klagarten Maß.256 Das nationale Recht gibt maß, ob eine Vorabentscheidung über die Zulässigkeit der Klage oder über 48 die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts oder über die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Forumstaates möglich ist. In Deutschland erlaubt § 17a GVG eine Vorabentscheidung nur für den Rechtsweg, nicht aber für die internationale Zuständigkeit.257 Es gibt im deutschen Recht keine Grundlage für eine Vorabentscheidung über die internationale Zuständigkeit.258 247 Hess, IPRax 2018, 258. Sehr zweifelhaft daher Cuypers, GPR 2009, 34, 39. 248 Praktischer Beispielsfall aus demselben Verfahren: OLG Schleswig v. 29.1.1997 – 5 W 47/96, RIW 1997, 955 (dazu Mankowski, RIW 1997, 990); KG IPRax 2001, 44 (dazu Mankowski, IPRax 2001 33); OLG Schleswig, JZ 2000, 793 m. Anm. Mankowski. 249 Mankowski, JZ 2000, 793, 795 f. 250 KG IPRax 2001, 44; Geimer, WM 1976, 830, 835; Geimer in EuGH (Hrsg.), Internationale Zuständigkeit und Urteilsanerkennung in Europa (1993) 35; Loewe, ETR 1976, 503, 581; Kropholler, NJW 1981, 1904; Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 22; P. Huber, RIW 1993, 977, 979; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1995) 348–351; Benicke, WM 1997, 945, 953; Mankowski, IPRax 2001, 33 f. 251 Dafür OLG München v. 21.1.1992 – 25 U 2987/91, NJW-RR 1993, 701, 702; de Lousanoff, GS Arens (1993) 251, 270 f. 252 Dafür Geimer/Schütze, IntUrtAnerk 251 f.; Geimer, EuZW 1993, 564, 566; Geimer, OLG München v. 21.1.1992 – 25 U 2987/91, RIW 1994, 59, 61; Geimer/Schütze/Auer, Rz. 24. 253 ÖstOGH, ZfRV 1997, 33; OLG Karlsruhe v. 22.9.1999 – 19 AR 14/99, NJW-RR 2000, 353, 354; KG IPRax 2001, 44, 45; LG Konstanz, NJW-RR 1993, 638 f. = LG Konstanz v. 24.8.1992 – 2 O 241/92, IPRax 1994, 448 f.; AG Flensburg, RRa 1998, 176, 177; Droz, Nr. 93 f.; Thorn, IPRax 1994, 426, 428 f.; R. Wagner, WM 1995, 1129, 1131; Mankowski, IPRax 2001, 33, 34–36. 254 KG IPRax 2001, 44, 45; Mankowski, IPRax 2001, 33, 34–36. 255 Siehe nur Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 12; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich/Tiefenthaler, Einl. Rz. 44; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 2 sowie LAG Baden-Württemberg v. 15.8.2018 – 4 Sa 6/18. 256 Siehe nur EuGH v. 15.5.1990 – C-365/88, ECLI:EU:C:1990:203 – Kongressagentur Hagen GmbH vs. Zeebrugge BV, EuGHE 1990 I 1845, 1865 f. Rz. 17–19 sowie Future New Developments Ltd. v. B & S Patente und Marken GmbH [2014] EWHC 1874 (IPEC) [21]-[22] (Ch. D., Judge Hacon). 257 LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13 Rz. 32, IPRax 2015, 551. 258 LAG Rheinland-Pfalz, NZA 1992, 1338; OVG Bremen v. 5.5.2000 – 1 S 164/00; LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13 Rz. 32, IPRax 2015, 551 sowie VGH Bay., DÖV 2012, 123.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4
V. Unzulässigkeit gerichtlicher Klagverbote, insbesondere der anti-suit injunction 1. Anti-suit injunctions 49
Nationale Verfahrensregeln dürfen allerdings nicht dazu führen, dass die Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO eingeschränkt würden, also an Effektivität verlören.259 Dieses Effektivitätsprinzip sperrt im EU-Raum z.B. anti-suit injunctions.260 Anti-suit injunctions sind Verbote der Klagerhebung oder Verfahrensfortführung261 vor ausländischen Gerichten. Eine anti-suit injunction ist eine „inter-systemic judicial missile“.262 Englische Gerichte setz(t)en sie gern ein, insbesondere um Gerichtsstands- oder Schiedsklauseln zugunsten Londoner Entscheider zur Geltung zu verhelfen.263 Insoweit verfolgten die englischen Gerichte einen durchaus aggressiven Ansatz.264 Vereinzelt wurden ähnliche Erscheinungen auch von französischen265 und niederländischen266 Gerichten gutgeheißen. Freilich kommt nur ein Schutz ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen, nicht aber ein Schutz fakultativer Gerichtsstandsvereinbarungen in Betracht.267 2. Unzulässigkeit von anti-suit injunctions im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO
50
Anti-suit injunctions sind im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO268 unzulässig, denn mit ihnen würde über anreizgesteuertes Parteiverhalten die Zuständigkeitsregelung teilweise leer laufen.269 Dadurch würde entgegen dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens270 als „europäischem Verfassungsprinzip“271 ein (mittelbarer) Eingriff in die Justizhoheit und die Souveränität der anderen Mitgliedstaaten erfolgen.272 Mit dem Souveränitätsanspruch der mitgliedstaatlichen Gerichte und deren 259 EuGH v. 15.11.1983 – 288/82, ECLI:EU:C:1983:326 – Ferdinand Duijnstee vs. Lodewijk Goderbauer, EuGHE 1983, 3671, 3674 f. Rz. 13 f.; EuGH v. 15.5.1990 – C-365/88, ECLI:EU:C:1990:203 – Kongressagentur Hagen GmbH vs. Zeebrugge BV, EuGHE 1990 I 1845, 1866 Rz. 20. 260 Siehe nur EuGH v. 27.4.2004 – C-159/02, ECLI:EU:C:2004:228 – Gregory Paul Turner vs. Felix Fareed Ismail Grovit, EuGHE 2004 I 3565, 3588 f. Rz. 27–29; van Houtte (1997) 13 Arb. Int. 85, 92; Jan Krause, RIW 2004, 533, 538 f. Vorherige Diskussion aus angloamerikanischer Sicht bei Bell, (1994) 110 LQRev 204; Hartley, (2000) 49 ICLQ 166; M. E. Wilson, 36 Cornell Int’l L.J. 207 (2003). 261 Eingehend insbesondere Raphael, The Anti-Suit Injunction (2. Aufl. 2019) und z.B. Bell, Forum Shopping and Venue in Transnational Litigation (2003) 172 ff.; Robertson, 147 U. Pa. LRev. 409 (1998); Jan Krause, Anti-suit injunctions als Mittel der Jurisdiktionsabgrenzung (2005) 103 ff.; zum Recht in den USA z.B. Tan, 45 Va J Int’l L 283 (2005); Jan Krause, Anti-suit injunctions als Mittel der Jurisdiktionsabgrenzung (2005) 166 ff. 262 Plastisch Dickinson/Harris in Raphael, The Anti-Suit Injunction (2. Aufl. 2019) i. 263 Siehe z.B. Continental Bank NA v. Aeakos Compania Naviera SA [1994] 1 WLR 588 (C.A.); The „Angelic Grace“ [1995] 2 Lloyd’s Rep. 87 (C.A.); Phillip Alexander Futures & Securities Ltd. v. Bamberger Toepfer [1996] CLC 1757 (C.A.); International GmbH v. Société Cargill France [1998] 1 Lloyd’s Rep. 379 (C.A.); OT Africa Line Ltd. v. Fayad Hijazy [2002] ILPr 189 (Q.B.D., Aikens J.). 264 Blanke (2005) 16 Eur. Bus. L. Rev. 591, 600 f. 265 Cass. civ., Rev. crit. dip. 92 (2003) 631 m. Anm. Muir Watt = JClP (G) 2002 II 10201 m. Anm. Chaillé de Néré = D 2003, 797 m. Anm. Khairallah; dazu Muir Watt, (2003) 62 C.L.J. 573. 266 Vzngr. Rb. ’s-Gravenhage, NIPR 2005 Nr. 58 = Ned. Jur. 2004 Nr. 597 sowie Pres. Rb. Breda, NIPR 1987 Nr. 277; dazu Verheul, NIPR 1989, 221. 267 Highland Crusader Offshore Partners v. Deutsche Bank AG [2009] EWCA Civ 725 (C.A.); Knight, (2010) 69 C.L.J. 25. 268 Zur Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO bei anti-suit injunctions zum Schutz von Schiedsvereinbarungen Art. 1 Rz. 29. 269 Zum Wirkungsprinzip konzise Raphael, [2016] LMLQ 256, 257. 270 Dessen tatsächliche Fundierung fragwürdig ist und der im Kern auf europäischer Ideologie beruht; A. Briggs (2004) 120 LQRev 529, 533; Dickinson [2004] LMCLQ 273, 278; s. auch Schack, ZEuP 1999, 805; Althammer/ Löhnig, ZZP Int 9 (2004) 23; Schack, FS Leipold (2009) 317; Schack, AEDIPr 2009, 67; Schack, FS Tadeusz Erecinski (2011) 1345; M. Weller (2015) 11 JPrIL 469; Kindler, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 321, 322; Michael Schwarz (2018) 24 Eur. L.J. 124. 271 Lenaerts, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 287, 293. 272 EuGH v. 27.4.2004 – C-159/02, ECLI:EU:C:2004:228 – Gregory Paul Turner vs. Felix Fareed Ismail Grovit, EuGHE 2004 I 3565 Rz. 28 mit Rz. 24 f.; EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 – Allianz SpA
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
Gleichwertigkeit ist es schlechterdings nicht zu vereinbaren, wenn ein Gericht in einem anderen Staat verbieten könnte, ein Verfahren aufzunehmen.273 Kein Gericht kann einem anderen verbieten, tätig zu werden.274 Kein Gericht darf Superioritätsgefühle entwickeln und sich indirekt höheren Rang beimessen.275 Anderenfalls drohte Chaos durch einander widersprechende Anordnungen, wenn mehrere Mitgliedstaaten sich solche Kompetenz anmaßten.276 Art. 35 bietet keine Entschuldigung, denn hier geht es nicht um die Zuständigkeit, sondern um andere Aspekte der Zulässigkeit.277 Hinzu tritt ein möglicher Verstoß gegen Art. 8 EMRK.278 Dass das zuerst angerufene Gericht mit der anti-suit injunction seine eigene Kompetenz schütze,279 ist so nicht richtig, denn es wird zunächst nur um die injunction angegangen, eine Entscheidung des einstweiligen Rechtsschutzes mit anderem Streitgegenstand als die Hauptsache. Aus dem gleichen Grund ist allerdings auch der gegenteilige Satz unrichtig, dass dem faktisch zweitangerufenen Gericht die eigene Prüfungskompetenz aus Art. 27 Brüssel Ia-VO, Art. 28 Brüssel Ia-VO genommen würde.280 Insgesamt setzt sich jedenfalls institutionelle Harmonie gegen kommerzielle Orientierung durch.281
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Positive Kompetenzkonflikte zwischen mehreren Staaten löst die Brüssel Ia-VO nur und ausschließ- 52 lich mit dem Instrumentarium der Art. 29–34 Brüssel Ia-VO.282 Andere Wege zur Vermeidung von Verfahrenskonflikten kennt sie nicht. Insbesondere koordiniert sie bereits anhängige Verfahren, kennt aber keine Mittel, um bereits das Anhängigmachen eines Verfahrens zu verhindern.283 Verfahrenskollisionen sind als Problem erkannt und werden in abschließender Weise anders gelöst als durch Klagverbote.284 Dies gilt selbst dann, wenn missbräuchliche und bösgläubige Klagen drohen.285 Jedes Gericht soll selber die Kompetenz-Kompetenz haben, über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden, ohne dass ein anderes Gericht intervenieren und jene Zuständigkeit als unangemessen bezeichnen dürfte.286 Eine Ausnahme bilden anti-suit injunctions, genauer: anti-arbitration injunctions, die Klagen vor Schiedsgerichten verbieten: Insoweit besteht keine Kollision mit anderen Mechanismen der Brüssel Ia-VO und erfolgt kein Eingriff in Souveränitätsrechte anderer Mitgliedstaaten.287 Der Schutz gegen den Bruch von Gerichtsstandsvereinbarungen ist ein legitimes Ziel, gestattet aber trotzdem nicht, in Durchbrechung von Art. 45 Abs. 1 lit. e, Abs. 3 Brüssel Ia-VO die Zuständigkeit der Gerichte in anderen Staaten zu überprüfen.288 Insofern gilt es, andere Instrumente zu entwickeln, um dem Missbrauch von Klagmöglichkeiten wirksam entgegenzutreten.289 Rechtstechnisch ist leider
273 274 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284 285 286 287
288 289
u. Generali Assicurazioni Generali SpA vs. West Tankers Inc, EuGHE 2009 I 663 Rz. 29; Kruger (2004) 53 ICLQ 1030, 1035 f.; Althammer/Löhnig, ZZP Int 9 (2004) 23, 29. Mankowski, RIW 2004, 481, 497. Siehe nur de Lind van Wijngaarden-Maack, IPRax 2003, 153, 156; Rauscher, IPRax 2004, 405, 406. Hartley (2000) 49 ICLQ 166, 168; Kruger (2004) 53 ICLQ 1030, 1036. GA Ruiz-Jarabo Colomer, v. 20.11.2003 in der Rs. C-159/02, ECLI:EU:C:2003:632 Rz. 35. Kramer, NIPR 2005, 130, 135; vgl. auch Dickinson [2004] LMCLQ 273, 276. Jayme/Kohler, IPRax 1994, 405, 412; Hau, IPRax 1997, 245, 247; Hau, ZZP Int 9 (2004) 191, 195. Vgl. aber auch The „Kribi“ [2001] 1 Lloyd’s Rep. 76, 86 f. (Q.B.D., Aikens J.); Ingenhoven, 314. So Muir Watt, Rev. crit. dip. 93 (2004) 659, 660. So de Lind van Wijngaarden-Maack, IPRax 2003, 153, 155; Rauscher, IPRax 2004, 405, 406 f. Blanke (2005) 16 Eur. Bus. L. Rev. 591, 608. Zustimmend Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 505; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 42. GA Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer, Schlussanträge v. 20.11.2003 in der Rs. C-159/02, ECLI:EU:C:2003:632 Rz. 33. Mankowski, EWiR Art. 21 EuGVÜ 1/04, 755, 756. A.A. Hartley, Essays in Honor of Arthur T vMehren (2002) 73, 81. Schroeder, EuZW 2004, 470, 471. Vgl. EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 – Allianz SpA u. Generali Assicurazioni Generali SpA vs. West Tankers Inc. Sheffield United Football Club Ltd. v. West Ham United Football Club plc [2009] 1 Lloyd’s Rep. 167 (Q.B.D., Teare J.); Carrier DMF 2004, 403, 412; Dutta/C. Heinze, ZEuP 2005, 428, 460; Matray, J. dr. eur. 2014, 370, 376 f.; Geimer, FS Ahrens (2016) 501, 506; Palermo, Rev. Bras. Arb. 511 (2016) 200, 208; Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020) 102; Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 196 (Mankowski). EuGH v. 27.4.2004 – C-159/02, ECLI:EU:C:2004:228 Rz. 26 – Gregory Paul Turner vs. Felix Fareed Ismail Grovit. Siehe nur X. E. Kramer, NIPR 2005, 130, 136 f.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 über die anti-suit injunction nicht zu erreichen, was rechtspolitisch und rechtspraktisch wünschenswert wäre:290 mutwillige negative Feststellungsklagen unwilliger Schuldner vor bekannt langsamen Gerichten zu verhindern, die entsprechende Sperrwirkung des Art. 29 Brüssel Ia-VO auszuschließen und den Weg für die Leistungsklage vor dem vereinbarten Gericht freizuhalten. Des Weiteren bleibt eine nach nationalem Prozessrecht bestehende Kompetenz zu anti-suit injunctions betreffend die örtliche Zuständigkeit bei reinen Inlandssachverhalten unberührt.291 54
Das Verdikt richtet sich gegen alle Arten von anti-suit injunctions. Eine Differenzierung nach den möglichen Anordnungsgründen, ob also missbräuchliches oder schikanöses Prozessieren zu befürchten ist oder ob es sich um eine obligation-based injunction handelt, ist nicht angezeigt.292 Ebenso wenig ist danach zu differenzieren, ob die injunction präventiv (d.h. vor der befürchteten Klagerhebung in einem anderen Staat) oder reaktiv (d.h. nach erfolgter Klagerhebung) begehrt wird.293 Ein im Eilverfahren ausgesprochenes Verbot, weitere Eilverfahren anzustrengen,294 ist im europäischen Raum ebenfalls nicht möglich,295 auch wenn für die Kollision von Eilverfahren die Litispendenzregeln eigentlich nicht greifen. 3. Anti-anti-suit injunctions
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Mit den anti-suit injunctions sind im EU-Raum zugleich mögliche Gegenmaßnahmen gegen antisuit injunctions unzulässig. Namentlich anti-anti-suit injunctions (oder counter anti-suit injunctions), also gerichtliche Verbote, eine anti-suit injunction in einem anderen Mitgliedstaat zu erwirken,296 sind nicht erlaubt.297 4. Contempt of court
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Skepsis ist auch gegenüber Versuchen298 angezeigt, statt der anti-suit injunction nun bei Klage unter Verletzung einer angeblichen ausschließlichen Zuständigkeit eines englischen Gerichts contempt of court mit den entsprechenden Konsequenzen nach englischem Prozessrecht in Stellung zu bringen. Denn dies ist ein offenkundiger Umgehungsversuch und zielt darauf, zu ähnlichen Sanktionen zu kommen wie bei der anti-suit injunction. Nur das formale Gewand änderte sich, während die Hauptrechtsfolge bliebe. Hauptrechtsfolge wären in beiden Konstellationen Strafzahlungen an die Staatsoder die Gerichtskasse. Rechtstechnisch wäre zudem einzuwenden, dass contempt of court zumindest die Kompetenz und Berechtigung des betreffenden Gerichts zur Entscheidung im konkreten Fall voraussetzen könnte, woran es aber im europäischen System wieder fehlen würde, sofern ein anderes Gericht früher angerufen und zuerst mit der Sache befasst war.299 5. Schadensersatz wegen Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen?
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Die nächste Stufe zum Schutz von Gerichtsstands- und Schiedsklauseln sind Schadensersatzklagen, gestützt auf die (angebliche) Verletzung solcher Klauseln durch Klagerhebung vor einem anderen als dem vereinbarten Gericht oder vor einem staatlichen Gericht überhaupt.300 Theoretisch denkbar sind
290 291 292 293 294 295 296 297
Mankowski, EWiR Art. 21 EuGVÜ 2/97, 977, 978. Schaafsma, NJB 2005, 478, 481 mit Hinweis auf Rb. Den Haag, Ned. Jur. 2004 Nr. 597. Jan Krause, RIW 2004, 533, 539 f.; Rauscher, IPRax 2004, 405, 408 f.; Hau, ZZP Int 9 (2004) 191, 196. Vgl. Hau, ZZP Int 9 (2004) 191, 196, a.A. Andrews, GPR 2005, 8, 14. Dafür Vzngr. Rb. ’s-Gravenhage, NIPR 2004 Nr. 597. Vlas, Ned. Jur. 2007 Nr. 152 S. 1559 f. Näher Trib. Marseille, DMF 2006, 856 m. Anm. Cachard; Gaillard, Rev. arb. 2004, 47, 55–62. Mankowski, EWiR Art. 21 EuGVÜ 1/04, 755, 756; Mankowski, RIW 2004, 481, 497; Dutta/C. Heinze, ZEuP 2005, 428, 460; Naumann, Englische anti-suit injunctions (2008) 155-157; Schroeder, EuZW 2009, 218, 219; Illmer, IPRax 2009, 312, 323 sowie X. E. Kramer, NIPR 2005, 130, 136. A.A. Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020) 105 f. 298 A. Briggs, (2004) 120 LQRev 529, 532. 299 Mankowski, IPRax 2009, 23, 26.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
sowohl vertragliche Schadensersatzansprüche als auch deliktische, z.B. in Deutschland aus § 826 BGB.301 Hier gilt es eine Abwägung zu treffen: Auf der einen Seite steht der Schutz vertraglicher Abreden, ihrer konzentrierenden Wirkung und ihrer gestalterischen Funktion. Gerichtsstandsvereinbarungen haben eine verfahrenskostensparende Funktion, indem sie das langwierige Prüfen möglicher Gerichtsstände abschneiden, und dies ist im Prinzip schutzwürdig.302 Außerdem sollten sie erpresserische Klagen, um Vergleichsdruck aufbauen zu können, versperren.303 Wer entgegen einer Gerichtsstandsabrede klagt, begeht prima facie einen Vertragsbruch.304 Auf der anderen Seite wäre mit dem Schadensersatzanspruch ein Verdikt über die Unzuständigkeit des abredewidrig angerufenen Gerichts verbunden.305 Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO steht allerdings nicht direkt entgegen, denn die Anerkennung würde nicht gehindert, und der Schadensersatzanspruch bewegt sich auf einer anderen Ebene. Anerkennung und Schadensersatzurteil würden einander auch nicht ausschließen, da die Abredewidrigkeit der Anrufung eines derogierten Forums nicht als solche Streitgegenstand ist und umgekehrt die Zuständigkeitsentscheidung kaum je als solche in Rechtskraft erwachsen wird. Trotzdem steht im Raum, ob nicht vorrangig auf die Rechtsbehelfe zu vertrauen ist, die vor dem abredewidrig angerufenen Gericht gegen Rechtsmissbrauch zur Verfügung stehen.306 Z.B. mag dieses Gericht nicht nur die rechtsmissbräuchlich allein zu Blockadezwecken erhobene Klage abweisen, sondern außerdem Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung anordnen.307
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Wertungsmäßig würden Gerichtsstandsvereinbarungen mit einem Schadensersatzanspruch zwar besser geschützt und sanktioniert als gesetzliche ausschließliche Zuständigkeiten.308 Jedoch besteht bei ihnen das besondere Moment im Bruch einer vertraglichen Abrede, die so bei gesetzlichen ausschließlichen Zuständigkeiten nicht vorkommt.
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Wenn man materiell-rechtliche Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen anerkennen will, muss man in einem zweiten Schritt das auf Schadensersatzverpflichtungen anwendbare Recht identifizieren.309 Dafür gibt es fünf Möglichkeiten: erstens eine deliktische Qualifikation;310 zweitens die lex causae des Hauptvertrages;311 drittens die lex causae, das materielle Statut, der Gerichtsstandsvereinbarung;312 viertens die lex fori prorogati;313 fünftens generell die lex fori.314
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300 A. Briggs, Rz. 2.84; Ambrose (2003) 52 ICLQ 401, 415 f.; A. Briggs (2004) 120 LQRev 529, 532; Blanke (2005) 16 Eur. Bus. L. Rev. 591, 613. 301 Ambrose, (2003) 52 ICLQ 401, 414 f.; Sandrock, Stockholm Arbitration Report 2003:1, 219; Sandrock, IDR 2004, 106; Sandrock, RIW 2004, 809; Sandrock, FS Schlosser (2005) 821, 831 f.; Tham, [2004] LMCLQ 46; Leitzen, GRUR-Int. 2004, 1010, 1015 sowie die allgemeinen Überlegungen bei Spickhoff, FS Deutsch (1999) 327 und Donohue v. Armco, Inc [2002] 1 All ER 749 = [2002] 1 All ER (Comm) 97 = [2002] 1 Lloyd’s Rep. 425 (HL); Union Discount Co Ltd. v. Zoller [2002] 1 WLR 1517 (C.A.); A/S D/S Svendborg v. Akar [2003] EWHC 797 (Comm) (Q.B.D., Flaux QC); Tan/Yeo, [2003] LMCLQ 435. 302 Ingenhoven, 307. 303 Althammer/Löhnig, ZZP Int 9 (2004) 23, 30. 304 Mankowski, IPRax 2009, 23, 27. 305 Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 461; vgl. auch Mance (2004) 120 LQRev 357, 363. 306 A. Briggs, The Conflict of Laws (2002) 89; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 458. 307 Rb. Brussels GRUR-Int. 2001, 170; McGuire, Verfahrenskoordination und Verjährungsunterbrechung im Europäischen Prozessrecht (2004) 139 f.; Althammer/Löhnig, ZZP Int 9 (2004) 23, 38. 308 Sprickhoff, FS Deutsch (1999) 329, 335; Althammer/Löhnig, ZZP Int 9 (2004) 23, 29. 309 Schlosser, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 111, 116 f. 310 Dafür Chee Ho Tham [2004] Lloyd’s MCLQ 46, 66 sowie allgemein für Schadensersatzansprüche bei abus de for Cornut Clunet 134 (2007), 27, 37; Paulus, RIW 2006, 258, 259 f. 311 Dahin Sandrock, FS Schlosser (2005) 821, 835 f.; Fentiman, [2006] JIBFL 304, 305 f. 312 Dafür A. Briggs ZSR 124 (2005) II 231, 257 f. (258 Fn. 84 für England identifiziert als lex contractus); Tan, 40 Texas Int’l L.J. 623, 626 Fn. 9 (2005) sowie Schack, RabelsZ 58 (1994) 40, 55. 313 Dafür Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten (1989) 70; Jasper, Forum Shopping in England und Deutschland (1990) 127; Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA (2001) 97 f. 314 Dafür J. Schröder, FS Gerhard Kegel zum 75. Geb. (1987) 523, 533; Jegher, 130 f.; dahin wohl auch Schlosser, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 111, 120 f.
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Materielles Statut der Gerichtsstandsvereinbarung ist dasjenige Recht, welches die Lücken füllt, welche das prozessual anwendbare Recht lässt.315 Es kommt zum Zuge, soweit eine aus der Gerichtsstandsvereinbarung resultierende Frage materiell- und nicht prozessrechtlich zu qualifizieren ist. Daher würde es hier vom gedanklichen Ansatz der qualifikatorischen Einordnung her gut passen; ergänzend mag man auch den Gedanken aus Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO anführen.316 Die lex fori prorogati dagegen wäre als solche richtig, wenn und soweit prozessrechtliche Aspekte in Rede stehen, die sich auf das forum prorogatum beziehen. Nun bezieht sich der gesetzliche Schadensersatzanspruch insoweit auf das forum prorogatum, als ihn typischerweise das forum prorogatum zuerkennen wird, schon um die zu seinen Gunsten geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung zu schützen und abzusichern. Das forum prorogatum ist aber nur insoweit Bezugspunkt. Gerade weil es sich nicht um eine prozessuale Frage handelt, ist es nicht der gleichsam naturgegebene Anknüpfungspunkt.
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Am überzeugendsten ist es daher, will man gedankliche und qualifikatorische Konsequenz walten lassen, den Schadensersatzanspruch dem materiellen Statut der Gerichtsstandsvereinbarung zu unterstellen.317 Sucht man gemäß der Grundformel des IPR nach der stärksten und engsten Verbindung, so ist dies das Recht des prorogierten Gerichts der heißeste Kandidat, denn typischerweise wird eben dieses Gericht sich um den Ausspruch von Sanktionen bemüht.318 So würde man zur lex fori in foro proprio gelangen und dergestalt eine – im Umfeld des Prozessrechts besonders missliche – Auslandsrechtsanwendung vermeiden.319
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Ersatzfähig ist nach Maßgebe des anwendbaren materiellen Rechts der Schaden, welcher spezifisch durch die Klage vor dem abredewidrig angerufenen Gericht dem dort Beklagten entsteht.320 Denkbare Schadenspositionen sind namentlich:321 die Kosten des Beklagten für die Rechtsverteidigung vor dem nicht vereinbarten Gericht,322 also namentlich die Kosten einer anwaltlichen Vertretung, eigene Reisekosten und eventuell die Kosten eines Korrespondenzanwalts;323 auferlegte Kosten des abredewidrigen Verfahrens;324 Verzögerungsschäden, weil die abredewidrig erhobene Klage zumal vor einem langsamen Gericht (also nach der Art des „klassischen“ Italian torpedo) die Durchsetzung eigener Rechte des Beklagten verzögert;325 Zinsschäden, weil der Beklagte seine Rechtsverfolgung vorfinanzieren muss;326 Differenzbeträge aus einem Vergleich, welchen der Beklagte infolge des Drucks abgeschlossen hat, welcher von der Klage vor dem abredewidrig angerufenen Gericht ausgeht.
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Auf der anderen Seite könnte in Rede stehen, inwieweit die gerichtlichen wie außergerichtlichen Kosten, wie sie bei einer Klage vor dem prorogierten Gericht angefallen wären, als Sowieso-Kosten einen Abzugsposten bilden oder ob es sich insoweit bloß um einen hypothetischen Alternativverlauf handelt. Teilweise wird zudem gefordert, eine vor dem forum derogatum zugesprochene Kostenerstattung abzuziehen.327 Dies würde jedoch einem Konzept, in dem prozessualer Kostenerstattungsanspruch und materieller Kostenerstattungs- oder Schadensersatzanspruch miteinander konkurrieren sollten, widersprechen und die gewollte Sanktions- und Abschreckungswirkung abschwächen. Daher sind 315 316 317 318 319 320 321 322
323 324 325 326 327
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Mankowski, IPRax 2009, 23, 28. Siehe Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA (2001) 97. Mankowski, IPRax 2009, 23, 28. Mankowski, IPRax 2009, 23, 28. Mankowski, IPRax 2009, 23, 28. Mankowski, IPRax 2009, 23, 28 f. Mankowski, IPRax 2009, 23, 29. Union Discount Co Ltd. v. Zoller [2002] 1 WLR 1517, 1527 (C.A., [xxx]c.t. judgment per Schiemann L.J.); National Westminster Bank plc v. Rabobank Nederland [2007] EWHC 1056 (Comm) at [439] (Q.B.D., Colman J.); Joseph, Jurisdiction and Arbitration Agreements and Their Enforcement (3. Aufl. 2015) Rz. 14.04; Fentiman [2006], JIBFL 304, 306. Obiter auch Donohue v. Armco, Inc [2002] 1 All ER 749, 757, 760 = [2002] 1 All ER (Comm) 97 = [2002] 1 Lloyd’s Rep. 425 (HL, per Lords Bingham of Cornhill und Hobhouse); Jegher, 201. Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA (2001) 96; Sandrock, FS Peter Schlosser (2005), 821, 835. Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA (2001) 96. Siehe Pfeiffer, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 77, 79. Vgl. RGZ 145, 296, 300; OLG Hamburg, JW 1931, 1822 f. Stacher, Die Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung (2007) Nr. 278.
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materiell-rechtlich Kosten auch zu erstatten, wenn sie prozessual vom „falschen“ Forum bereits zugesprochen wurden oder wenn man dort eine Kostenentscheidung erwirken könnte und auch, bevor dort überhaupt ein Kostenantrag gestellt ist.328 Der schwierigste Fall ergibt sich dann, wenn der abredewidrig vor einem eigentlich derogierten Ge- 65 richt Verklagte von jenem Gericht in der Sache verurteilt wird.329 Die Schadensposition ließe sich formulieren als Differenzbeträge zwischen der Summe, zu welcher der Beklagte vom abredewidrig angerufenen Forum verurteilt wurde, und der Summe, zu der er bei einem hypothetischen Prozess vor dem forum prorogatum verurteilt worden wäre.330 Hypothetisch durchzuspielen, wie es sich bei einer Klage vor dem vereinbarten Gericht verhalten hätte und welche Entscheidung das vereinbarte Gericht gefällt hätte, würde mittelbar würde man so den gesamten Prozessstoff nochmals aufrollen, jetzt aber indirekt und mit etwas veränderter Frontstellung. Dies wäre extrem aufwendig. Außerdem geriete man so in Konflikt mit der ergangenen Entscheidung, soweit diese anzuerkennen ist.331 Auf Maßstäbe der lex fori auszuweichen mag zwar pragmatisch sein,332 lässt sich aber dogmatisch und systematisch kaum begründen. Eine solche Schadensposition dürfte sich jedenfalls kaum je zuverlässig beziffern lassen.333 Man bewegt sich zwischen Unterkompensation eines Geschädigten und hypothetischem Aufrollen eines Verfahrens im forum prorogatum.334 Je nach anwendbarem Recht und je nachdem, inwieweit dieses den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens zulässt, kann man zudem gezwungen sein, von einem Schadensersatzanspruch abzuziehen, was sich ergeben hätte, wenn der Verlierer auch im forum prorogatum verloren hätte.335 6. Anti-suit injunctions gegen Prozessführung in Drittstaaten Gegen eine Prozessführung in Drittstaaten kann das nationale Prozessrecht weiterhin Klagverbote 66 und anti-suit injunctions einsetzen.336 Insoweit legt das europäische Regime ihm keine Fesseln an, da es insoweit keine Anwendung heischt und insbesondere die strengen europäischen Litispendenzregeln nicht anwendbar sind. Art. 33, 34 legen keine Fesseln an und enthalten kein striktes Prioritätsprinzip. Es kann sich sogar umgekehrt so verhalten, dass Bestehen und Wertungen eines europäischen Schutzregimes zugunsten schwächerer Parteien das nationale Recht dahin gehend binden, dass es, um diese zu wahren und diesen Effektivität zu verleihen, anti-suit injunctions gegen eine Prozess-
328 Joseph, Jurisdiction and Arbitration Agreements and Their Enforcement (3. Aufl. 2015) Rz. 14.05, 14.07; Mankowski, IPRax 2009, 23, 29. 329 Vgl. Peel [1998], LMCLQ 182, 208 f. sowie Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA (2001) 96. 330 Jegher 201; Tan, 40 Texas Int’l L.J. 623, 632, 657 (2005); Joseph, Jurisdiction and Arbitration Agreements and Their Enforcement (3. Aufl. 2015) Rz. 14.11; s. auch Fentiman [2006], JIBFL 304, 308 Fn. 15. 331 Mankowski, IPRax 2009, 23, 29. 332 Dafür Schlosser, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 111, 120 f. 333 Peel, [1998] LMCLQ 182, 208 f.; Merrett, (2006) 55 ICLQ 315, 320 jeweils unter Hinweis auf Tracomin v. Sudan Oil Seeds (No. 2) [1983] 1 WLR 1026, 1036 f. = [1983] 3 All ER 140 (C.A., per Sir John Donaldson MR) sowie The „Angelic Grace“ [1995] 1 Lloyd’s Rep. 87 (C.A.). 334 Gross, [2005] LMCLQ 10, 25; Mankowski, IPRax 2009, 23, 29. 335 Merrett, (2006) 55 ICLQ 315, 319; Mankowski, IPRax 2009, 23, 29. 336 Stichting Shell Pensioenfonds v. Krys [2014] UKPC 41, [2015] 2 WLR 289 (PC); OT Africa Line v. Magic Sportswear [2005] 2 Lloyd’s Rep. 170 (C.A.); Seismic Shipping v. Total E & P UK plc [2005] EWCA Civ 985, [2005] 2 Lloyd’s Rep. 359 (C.A.); C v. D [2007] EWCA Civ 1282, The Times January 16, 2008 (C.A., per Sir Anthony Clarke MR); Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [28–32], [2016] ILPr 51 (C.A., per MooreBick L.J.); Hof Brussel T.B.H. 2006, 970 Anm. Englebert; Cadre SA v. Astra Asigurari SA [2006] 1 Lloyd’s Rep. 560 (Q.B.D., Morison J.); The „Hornbay“ [2006] 2 Lloyd’s Rep. 44 (Q.B.D., Morison J.); Starlight Shipping Co v. Tai Ping Insurance Co Ltd. Hubei Branch [2008] 1 Lloyd’s Rep. 230 (Q.B.D., Cooke J.); Skype Technologies SA and Joltid Ltd. v. Priit Kaselasu et al [2009] EWHC 2783 (Ch.) (Ch. D., Lewison J.); Bank of New York Mellon v. GV Films [2010] 1 Lloyd’s Rep. 365 (Q.B.D., Field J.); Owners of the ship „Al Khattiya“ v. Oweners and/ or demise charterers of the ship „Jag Laadki“ [2018] EWHC 389 (Adm), [2018] 2 Lloyd’s Rep 243 [103]-[117] (Q.B.D., Bryan J.); Vzngr. Rb. Den Haag NIPR 2016 Nr. 96 S. 185; Dickinson [2004] LMCLQ 273; Rauscher, IPRax 2004, 405, 409; Hau, ZZP Int 9 (2004) 191, 197; Vlas, Ned. Jur. 2007 Nr. 152 S. 1559; Seriki [2010] JBL 24, 34; Illmer, IPRax 2011, 514, 519; Kersting/Kleine, FS Elsing (2015) 217, 231; Antomo, ZEuP 2018, 261, 267.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 führung in Drittstaaten erlassen muss, sofern es dieses Institut überhaupt kennt.337 Den allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO kann es aber jenseits der Schutzregimes nicht so verteidigen.338 Art. 5 Abs. 1 Brüssel Ia-VO hat Aussagekraft nur gegenüber Klagen in anderen Mitgliedstaaten, nicht gegenüber Klagen in Drittstaaten. 7. Anti-enforcement injunctions 66a
Keine Frage des Eingriffs in fremde Zuständigkeit betreffen anti-enforcement injunctions, also Verbote gegen eine Partei, die Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung im Inland zu betreiben.339 Indes dürften sie im System der Brüssel Ia-VO mit Art. 41 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Brüssel Ia-VO kollidieren.
VI. Aufrechnung und Prozessaufrechnung 67
Die Prozessaufrechnung ist keine Klage, sondern nur ein Verteidigungsmittel. Insbesondere ist sie keine Widerklage i.S.v. Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO340 und macht den Aktivanspruch nicht rechtshängig.341 Sie ist auch keine unterentwickelte Widerklage,342 sondern ein eigenständiges Institut mit eigenem Bezug zum materiellen Recht. Im Prozess ist sie ein Verteidigungsmittel. Schlägt sie durch, so ist die maximale Rechtsfolge die vollständige Abweisung der Klage. Jedes Verteidigungsmittel ist gleichsam quasi-akzessorisch zur Klage. Ein Verteidigungsmittel bedarf keiner eigenen Zuständigkeit, da es sich nicht um eine aktive Geltendmachung seitens des Aufrechnenden spezifisch im Klagewege handelt: Le juge de l’action est le juge de l’exception.343 Es geht nur um Ob oder Höhe des Klagerfolgs für den Aufrechnungsgegner, eine nachgerade numerische Frage.344 Daher ist nicht zu verlangen, dass das Forum für die Geltendmachung der Aktivforderung hypothetisch zuständig wäre, wenn die Geltendmachung denn nicht im Wege der Aufrechnung, sondern im Klagewege erfolgte.345 337 Mankowski, EuZA 2008, 417; s. Samengo-Turner v. Marsh & McLennan (Services) Ltd. [2007] EWCA Civ 723, [2007] 2 All ER (Comm) 913, [2007] ILPr 706 (C.A.) (dazu A. Briggs [2007] LMCLQ 433 zum einen und Dickinson [2008] 57 ICLQ 465 zum anderen); Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA Civ 828, [2015] IRLR 847 (C.A.). Vgl. auch The „Flag Evi“ [2016] EWHC 1317 (Comm) [53], [2017] 1 Lloyd’s Rep. 467 (Q.B.D., Judge Cockerill QC). 338 Mandy C. Gray v. Hamish George Hurley [2019] EWHC 1972 (Q.B.) [19]-[42], [2019] 1 WLR 5333 (Q.B.D., Lavender J.); Dickinson, (2008) 57 ICLQ 465, 470 f.; Mukarrum Ahmed, (2020) 136 LQR 379, 382 f. Vorlage an den EuGH durch Mandy C. Gray v. Hamish George Hurley [2019] EWCA Civ 2222 (C.A.). 339 Mukarrum Ahmed, The Nature and Enforcement of Choice of Court Agreements (2017) 141 f.; s. auch Camilleri (2013) 62 ICLQ 899, 906 f. 340 EuGH v. 13.7.1995 – C-341/93 – Danvaern Production AS vs. Schuhfabriken Otterbeck GmbH & Co, EuGHE 1995 I 2053, 2076 f. Rz. 14–18; BGHZ 186, 81, 84; Kannengießer, 162–167. 341 EuGH v. 8.5.2003 – C-111/01, ECLI:EU:C:2003:257 – Gantner Electronic GmbH vs. Basch Exploitatie Maatschappij BV, EuGHE 2003, I 4207, 4236 f. Rz. 25–31; Reischl, IPRax 2003, 426, 429; Michinel Álvarez, REDI 2003, 913; Hau, ZZPInt 8 (2003) 505, 507 f.; Mankowski, RIW 2004, 481, 496. A.A. noch OLG Hamburg, IPRax 1999, 168, 170 f. 342 So aber Jochen Schröder, Internationale Zuständigkeit (1971) 597; K. Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen (1998) 630 f. 343 LG Köln v. 9.10.1996 – 91 O 130/94, RIW 1997, 956 f.; Geimer, EuGH v. 13.7.1995 – C-341/93, ECLI:EU:C: 1995:239 = EuZW 1995, 639, 640; Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 384; Mankowski, EWiR 1997, 511, 512; Stadler, FG 50 Jahre BGH (2000) III 645, 662; Busse, MDR 2001, 729, 730 f.; Rauscher, WuB VII B Art. 8 EuGVÜ 2.02, 380 f.; Lieder, RabelsZ 78 (2014) 809, 841; Wendelstein, IPRax 2016, 572, 573; Wieczorek/Schütze/ Gebauer, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 2; vorsichtiger Kannengießer, 167–169; wie hier Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 32 (Leible). 344 Michinel Álvarez, REDI 1996, 1, 317, 318. 345 Dafür aber z.B. BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, IPRax 1994, 115 = NJW 1993, 2753, 2755; OLG Celle, IPRax 1999, 456, 457; OLG München v. 13.10.2016 – 23 U 1848/16, IPRax 2019, 314; LG Frankfurt/M., NJWRR 1994, 1264; LG Berlin, IPRax 1998, 97, 100; Eickhoff 185 f.; Geimer, IPRax 1986, 208, 212; Leipold, ZZP 107 (1994) 216, 223; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 8 EuGVÜ Rz. 38, 40; bewusst offen lassend inzwischen BGHZ 149, 120, 126 f.; BGH, RIW 2014, 526 Rz. 16. Wie hier OLG Hamburg, IPRspr. 2011 Nr. 192 S. 509; P.-A. Brand, IPRax 2019, 294.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO
Dem nationalen Prozessrecht ist zwar überlassen, welche Verteidigungsmittel es kennt und unter welchen Voraussetzungen.346 Damit steht aber nicht offen, sie als Klagen zu behandeln und eine hypothetische Zuständigkeit zu fordern,347 denn damit wechselte man aus dem Bereich der Verteidigungsmittel in jenen der Klagen hinüber.348 Die Brüssel Ia-VO verweist eben nur für Verteidigungsmittel auf das nationale Recht, nicht aber für Klagen und Klagentsprechungen, die sie selber regeln will.349 Sie verschließt damit auch den Weg, Verteidigungsmittel national als Klagen zu behandeln und trotzdem nicht der Brüssel Ia-VO unterliegen zu lassen. Insoweit erhebt sie einen exkludierenden Anspruch.350 Die Frage liegt nicht etwa außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der Brüssel Ia-VO,351 denn es handelt sich um eine Zuständigkeitsfrage in einer Zivilsache. Der Kläger hat kein schutzwürdiges Interesse daran, sich im von ihm ausgesuchten Forum nicht mit Verteidigungseinwänden auseinandersetzen zu müssen.352 Konzentration und Prozessökonomie streiten ebenfalls für eine Behandlung der Aufrechnung im aktuellen Klagforum.353
67a
Anderenfalls bereitete man auch jenen Rechtsordnungen empfindliche Probleme, nach deren mate- 68 riellem Recht eine Legalkompensation stattfindet, also von Rechts wegen mit Eintritt der Aufrechnungslage verrechnet wird.354 In ihnen ist die Aufrechnungseinrede keine Ausübung eines Gestaltungsrechts, sondern eine Einrede ganz ähnlich der Erfüllungseinrede355 (auch wenn zuzugestehen ist, dass dort die Entscheidung, mit welcher die Feststellung über das Durchgreifen der Einrechnung und das Entstehen der Aufrechnungslage ergeht, ähnlich in Rechtskraft erwachsen kann, wie es in Deutschland in § 322 Abs. 2 ZPO vorgesehen ist356 – der aber seinerseits auf einer sehr spezifischen und partikulären Streitgegenstandsdoktrin beruht357). Zudem müsste man für eine internationale Zuständigkeit, da ja die Brüssel Ia-VO nicht greift, entweder auf das nationale IZPR überwechseln und so eigentlich den monopolistischen Regelungsanspruch der Brüssel Ia-VO für Zuständigkeitsregeln unterlaufen oder die Brüssel Ia-VO entgegen ihrem eigenen Anspruch auf ein Verteidigungsmittel anwenden.358 Beides überzeugt systematisch nicht.359 Auf die internationale Zuständigkeit als Voraussetzung zu verzichten, führt dagegen zu Harmonie 69 zwischen Prozessrecht und materiellem Recht und vermeidet materielle Nachteile für den Beklagten.360 Die durchschlagende Aufrechnung muss als Erfüllungssurrogat auf derselben Stufe stehen wie ein Erfüllungseinwand.361 Soweit bereits eine außerprozessuale Aufrechnung zum Erlöschen der Passivforderung führt, kann es kein Zuständigkeitserfordernis geben, so dass ein Zuständigkeitserfordernis für die Prozessaufrechnung massive Friktionen und Wertungswidersprüche zwischen Prozessund außerprozessualer Aufrechnung mit sich bringen würde.362 Relevante Zuständigkeitsinteressen
346 EuGH v. 13.7.1995 – C-341/93 – Danvaern Production AS vs. Schuhfabriken Otterbeck GmbH & Co, EuGHE 1995 I 2053, 2076 Rz. 13. 347 So aber Jayme/Kohler, IPRax 1995, 343, 349; H. Roth, RIW 1999, 819, 822; Piekenbrock, RIW 2000, 751 f.; U. P. Gruber, IPRax 2002, 285, 287 sowie OLG Hamm, IPRspr. 1997 Nr. 110A; LG Duisburg v. 17.4.1996 – 45 (19) O 80/94, WiB 1996, 1182 m. krit. Anm. Mankowski. Offen gelassen von BGHZ 149, 120, 126 f.; BGH, RIW 2014, 526 Rz. 16. 348 Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 383; Slonina, IPRax 2009, 399, 401 sowie Gebauer, IPRax 1998, 79, 85 f. 349 Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 382; Kannengießer, 182. 350 Vgl. Koutsoukou, 365–367. Entgegen Wagner, IPRax 1999, 65, 67; Bork, FS Beys (2003) 119. 351 So aber H. Roth, RIW 1999, 819, 820 f.; Gruber, IPRax 2002, 285, 287. 352 Lieder, RabelsZ 78 (2014) 809, 838 f.; Koutsoukou, 372. Vgl. auch generell OLG Karlsruhe, BeckRS 2012, 16891. 353 Lieder, RabelsZ 78 (2014) 809, 839; Koutsoukou, 369 f. sowie selbst Kannengießer, 176. 354 Siehe Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 387 f.; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 31 sowie Lieder, RabelsZ 78 (2014) 809, 840. Kritisch dazu Badelt, 149–151. 355 Siehe nur Cass. civ., JClP 1966 II 14534. 356 Näher Badelt, 147 f. unter Hinweis auf Art. 408 Abs. 3, 1 i.V.m. Art. 222 Abs. 2 S. 1 LEC in Spanien. 357 Koutsoukou, 380–382. 358 Siehe Coester-Waltjen, FS Gerhard Lüke (1997) 35, 47 f. 359 Eingehend Slonina, IPRax 2009, 399, 401 f. 360 Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 389 f.; Kannengießer, 172–175; Stadler, FG 50 Jahre BGH (2000) III 645, 662 f.; Rüßmann, FS Ishikawa (2001) 455, 468. 361 Wendelstein, IPRax 2016, 572, 574. 362 Mankowski, ZZP 109 (1996) 376 (376); Mankowski, JZ 2015, 50 (50); Wendelstein, IPRax 2016, 572, 573 f.
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Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 4 des Klägers werden dagegen allenfalls begrenzt beeinträchtigt: Dieser muss sich seinerseits gegen die Aufrechnung in einem Forum wehren, das er selber ausgesucht hat;363 insoweit partizipiert die Aufrechnung wie jedes Verteidigungsmittel gleichsam mittelbar an der Zuständigkeit für die Klage.364 Differenzierungen zwischen konnexen und inkonnexen, liquiden und illiquiden, bestrittenen und unbestrittenen Aktivforderungen365 zu vermeiden, soweit sie nach nationalem Prozessrecht im Wege der Aufrechnung eingesetzt werden können und nicht auf den Weg der Widerklage verwiesen sind, ist ein weiterer Vorteil der strikten Lösung.366 Soweit nationale Prozessrechte die Prozessaufrechnung als Institut nicht kennen oder nur begrenzt einsetzen und den Beklagten in die Widerklage zwingen, ist dies eine andere Gestaltung und dementsprechend anders zu behandeln. Brüche in der Handhabung entstehen dadurch nicht.367 70
Dass man über die strikte Lösung auch Rechtsordnungen wie das deutsche Recht erfasst, in denen die Entscheidung über die Aktivforderung an der Rechtskraft teilnimmt, ist hinzunehmen.368 Rechtskraftgrenzen müssen schließlich auch bestehen, soweit eine außerprozessuale Aufrechnung in Rede steht: Die Aktivforderung muss als untergegangen gelten und kann nicht ein zweites Mal geltend gemacht werden. Außerdem macht die Aufrechnung die Aktivforderung nicht rechtshängig und ist selbst angesichts von Normen wie § 322 Abs. 2 ZPO kein echter Streitgegenstand.369 Daher kann § 322 Abs. 2 ZPO kein durchschlagendes Argument begründen.370
VII. Unionsrechtliche Staatshaftung wegen Fehlanwendung europäischer Gerichtsstandsnormen 71
Der EuGH hat in einer umstrittenen371 Entscheidung die unionsrechtliche Staatshaftung auf die Haftung für judizielles Unrecht durch Fehlanwendung von Unionsrecht seitens nationaler Gerichte erstreckt.372 Einschränkende Voraussetzung sind die Offenkundigkeit des Verstoßes373 und das Vorliegen eines individuellen Schadens374 sowie die konkrete Höchstrichterlichkeit der Entscheidung, also dass gegen die betreffende Entscheidung konkret kein Rechtsmittel nach nationalem Recht mehr möglich ist.375 Nimmt man dies ernst, so können sich daraus Konsequenzen auch im Gerichtsstandsbereich ergeben: Versagt ein Gericht einem Kläger flagrant einen Gerichtsstand, der ihm nach der Brüssel Ia-VO eröffnet wäre, so liegt der Schaden des Klägers erstens in den Kosten für die Abweisung seiner Klage und zweitens in den zusätzlichen Kosten, die eine weitere Klage in einem anderen Staat
363 Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 387 f.; Gebauer, IPRax 1998, 79, 82; Kannengießer, 174 f.; G. Wagner, IPRax 1999, 65, 74. Kritisch dazu Badelt 151–153. 364 Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 384; Wendelstein, IPRax 2016, 572, 573. 365 Wie Wagner, IPRax 1999, 65, 71–75; Rüßmann, FS Ishikawa (2001) 455, 466–468; Heß/A. Müller, JZ 2002, 607, 608, 610 und auch Bork, FS Beys (2003) 119, 125–129 sie anstellen; vgl. auch Badelt 164–166. 366 Teilweise in der Kritik übereinstimmend Badelt 154 f. 367 Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 383; Kannengießer, 183. 368 Anders werten Heß/A. Müller, JZ 2002, 607, 608, 610. 369 Wendelstein, IPRax 2016, 572, 573. 370 Slonina, IPRax 2009, 399, 400 f. sowie H. Roth, RIW 1999, 819. Im Ergebnis übereinstimmend, aber gestützt auf andere Argumente, Lieder, RabelsZ 78 (2014) 809, 836 f. 371 Zur Diskussion z.B. Obwexer, EuZW 2003, 726; Schwarzenegger, ZfRV 2003, 236; Breuer BayVBl. 2003, 586; Grune BayVBl. 2003, 673; Frenz, DVBl. 2003, 1522; Gundel, EWS 2004, 8; Kremer, NJW 2004, 480; vDanwitz, JZ 2004, 301; Streinz Jura 2004, 425; Wegner/Held Jura 2004, 479; Kluth, DVBl. 2004, 393; Rademacher, NVwZ 2004, 1415; Krieger, JuS 2004, 855; Götz Schulze, ZEuP 2004, 1049. 372 EuGH v. 30.9.2003 – C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513 – Gerhard Köbler vs. Republik Österreich, EuGHE 2003 I 10239, 10305–10310 Rz. 30–50. 373 EuGH v. 30.9.2003 – C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513 – Gerhard Köbler vs. Republik Österreich, EuGHE 2003 I 10239, 10312 Rz. 56, 10329 Rz. 120. 374 EuGH v. 30.9.2003 – C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513 – Gerhard Köbler vs. Republik Österreich, EuGHE 2003 I 10239, 10312 Rz. 50–58. 375 EuGH v. 30.9.2003 – C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513 – Gerhard Köbler vs. Republik Österreich, EuGHE 2003 I 10239, 10312 Rz. 50.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 4 Brüssel Ia-VO
verursacht, wenn er sein Recht weiterverfolgt.376 Besondere Höhe kann der Schaden erlangen, wenn im einstweiligen Rechtsschutz Eilmaßnahmen versagt werden, weil angeblich kein Gerichtsstand unter Art. 35 Brüssel Ia-VO bestehe.377 Allerdings muss eine unionsrechtliche Staatshaftung wegen Fehlanwendung europäischer Gerichtsstandsnormen, sei es, dass eine Zuständigkeit zu Unrecht verneint wird, oder sei es umgekehrt, dass eine Zuständigkeit zu Unrecht bejaht wird, eine hohe Hürde überwinden: Zuständigkeitsfragen sind im Instanzenzug zu klären.378 Staatshaftung darf nicht zur Superrevision oder Superrechtsbeschwerde werden.379 Sie wiese zudem die falsche Schlachtordnung auf, denn Beklagter eines Staatshaftungsprozesses wäre notwendig der Forumstaat, nicht eine Partei des Ausgangsverfahrens.
Artikel 4 [Allgemeiner internationaler Gerichtsstand] (1) Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen. (2) Auf Personen, die nicht dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, angehören, sind die für Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats maßgebenden Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden. I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Mehrheit von Wohnsitzen . . . . . . . . . . . . 12
3. Unbekannter aktueller Wohnsitz . . . . . . . . 14 4. Person des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . 17 5. Wohnsitzfiktionen in den Schutzregimes . . . 22 III. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 23
Schrifttum Carrascosa González, Foro del domicilio del demandado y Reglamento Bruselas ‚I-bis 1215/2012‘. Análisis crítico de la regla Actor sequitur forum rei, Cuad Der Trans 11 (1) (2019) 112; Domej, Unbekannter Aufenthalt, Justizgewährungsanspruch und rechtliches Gehör im Europäischen Zivilprozessrecht, inFS Hanns Prütting (2018) 261; Alexander Grimm, Brüssel I-VO. Grenzüberschreitender Bezug und unbekannter Wohnsitz des Beklagten, GPR 2012, 87; Hess, Die allgemeinen Gerichtsstände der Brüssel I-Verordnung, in Liber amicorum Walter F. Lindacher zum 70. Geb. (2007) 53; Ibili, The verweerder met unbekende woonplats in de EEX-Verordening, in IPR in de spiegel van Paul Vlas (2012) 89; Lindacher, Die internationale Gerichtspflichtigkeit von Personenhandelsgesellschaften und ihrer Gesellschafter, in FS Nikolaos K. Klamaris (2016) II 459; Lorente Martínez, La fundamentación económica del foro especial en materia contractual contenido en el Artículo 7.1. B) Guión Primro del Reglamento Bruselas Ibis, Cuad Der Trans 8 (2) (2016) 278; Sylvia Verena Lukas, Die Person mit unbekanntem Aufenthalt im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren (2018); Luzzatto, On the Proposed Application of Jurisdictional Criteria of Brussels I Regulation on Non-Domiciled Defendants, in Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (Padova 2012) 111; Pauknerová, Defendants with an Unknown Address, in Essays in Honour of Michael Bogdan (Lund 2013) 447; Rammeloo, Law Reform on Cross-Border Civil Procedure in Europe: ‚Companies and Firms‘ and EU Regulation 1215/2012 (Brussels I Recast), Eur. Co. L. 12 (2015) 234; Rodríguez Vázquez, El dificil equilibrio entre el derecho al tutela judicial del demandante y la protección de los derechos de defenda: el asunto Lindner, Cuad der trans 4 (1) (2012) 345; Rodríguez Vázquez, De nuevo una sentencia del TJEU sobre un demandado cuyo domicilio se desconosce y el ambito de aplicación del Reglamento Bruselas I, Cuad der trans 4 (2) (2012) 356; Vlek, De EEX-VO en onbekende woonplaats van de verweerder, NIPR 2012, 202.
376 377 378 379
Tsikrikas, ZZP Int 9 (2004) 123, 132. Tsikrikas, ZZP Int 9 (2004) 123, 132. Mankowski/Knöfel, EuZA 2011, 521, 533. Mankowski/Knöfel, EuZA 2011, 521, 533.
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Art. 4 Brüssel Ia-VO Allgemeiner internationaler Gerichtsstand
I. Grundsätzliches 1
Art. 4 Brüssel Ia-VO ist die Zentralvorschrift,1 der allgemeine Grundsatz,2 das Fundament3 im Gerichtsstandssystem der Brüssel Ia-VO. Er markiert den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten. Er legt dafür eine Wohnsitzanknüpfung fest und verbietet eine Staatsangehörigkeitsanknüpfung. Damit garantiert er für und gegen alle in einem Mitgliedstaat Ansässigen einen allgemeinen Passivgerichtsstand in deren jeweiligem Wohnsitzstaat.4 Dies erstreckt sich auch auf Angehörige von Drittstaaten, soweit sie nur ihren Wohnsitz im EU-Gebiet haben. Die Staatsangehörigkeit des Beklagten ist für die internationale Zuständigkeit als Regelanknüpfungskriterium unerheblich.5 Außerdem garantiert Art. 4 im Zusammenspiel mit Art. 5 Brüssel Ia-VO potentiellen Beklagten, dass sie außerhalb ihres Wohnsitzstaates nur nach Maßgabe ausdrücklich normierter anderer Zuständigkeitsgründe gerichtspflichtig werden können. Damit enthält er die Grundphilosophie der Brüssel Ia-VO6 und ist der zentrale Gerichtsstand.7 Im Prinzip ist er also Hauptregel,8 allgemeine Regel9 und Ausgangspunkt10 für die Zuständigkeitsprüfung. Er setzt keinen inneren Bezug zum Streitgegenstand voraus.11 Er weicht den ausschließlichen Gerichtsständen aus Art. 24 Brüssel Ia-VO oder Art. 25 Brüssel Ia-VO und den Spezialregeln in den Schutzregimes der Art. 10–23 Brüssel Ia-VO. Für Gerichte aber ist er ansonsten zwingend.12 Art. 4 Brüssel Ia-VO weicht auch nicht Verboten oder Einschränkungen, die nationale Rechte für Verbraucherverträge aufstellen.13
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Die Grundmaxime lautet: actor sequitur forum rei.14 Dies dient wesentlich dem Beklagtenschutz und der effektiven Verteidigung potentieller Beklagter.15 Es schützt die Partei, die sich in der taktischen Defensive befindet.16 Es gibt dem Beklagten ein prozessuales Heimspiel und dem Kläger ein prozessuales Auswärtsspiel.17 Es gleicht in Verfolg einer ungefähren Waffengleichheit den Vorteil aus, 1 Zustimmend z.B. Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 1 (2016). 2 Siehe nur EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 Rz. 27 m.w.N. – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Ltd.; EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C:2019:123 Rz. 81 – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagerberg-Wolfsberg eGen. 3 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383 Rz. 37, 45; Mandy C Gray v. Hamish George Hurley [2019] EWHC 1972 (Q.B.) [9], [2019] 1 WLR 5333 (Q.B.D., Lavender J.). 4 Rechtspolitisch kritisch wegen angeblicher Streitgegenstandsferne B. Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz im Recht der internationalen Zuständigkeit (1998) 50–94, 146–151. 5 Siehe nur Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 11. 6 Treffend Knauf UK GmbH v. British Gypsum Ltd. [2001] 2 All ER (Comm) 960, 973 = [2002] 1 Lloyd’s Rep. 199, 214 (C.A., per Henry L.J.); Pearce v. Ove Arup Partnership [1997] ILPr 10, 15 (Ch. D., Lloyd J.); Siboti K/S v. BP France SA [2003] 2 Lloyd’s Rep. 364, 372 (Q.B.D., Gross J.). 7 Siehe nur BG sic! 2007, 279, 281; Vedanta Resources PLC v. Lungowa [2019] UKSC 20 [29], [2019] 2 WLR 1051 (S. C., per Lord M. Briggs). 8 Z.B. GA Bobek, Schlussanträge v. 21.6.2018 in der Rs. C-337/1, ECLI:EU:C:2018:487 Rz. 93; Hof ArnhemLeeuwaden, locatie Arnhem, NIPR 2018 Nr. 311 S. 679. 9 Z.B. EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 Rz. 21 – Brian Andrew Kerr vs. Pavlo Postnov u. Natalia Postnova; EuGH v. 5.12.2019 – C-421/18, ECLI:EU:C:2019:105 Rz. 24 – Ordre des avocats du barreau de Dinant vs. JN; Rb. Oost-Brabant, zittingsplaats Eindhoven (Kantonrechter), NIPR 2018 Nr. 337 S. 689. 10 Z.B. Hof Amsterdam, NIPR 2018 Nr. 308 S. 675; Aud. Prov. La Coruña, AEDIPr 2017, 966 f. 11 Hartley, Rz. 7.18; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 4 sowie GA Bobek, Schlussanträge v. 21.6.2018 in der Rs. C-337/1, ECLI:EU:C:2018:487 Rz. 93, 97. 12 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383 Rz. 37, 45; Gray v. Hurley [2019] EWHC 192 (Q.B.) [9], [2019] 1 WLR 5333 (Q.B.D., Lavender J.). 13 EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C:2019:123 Rz. 80 f. – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. StefanJagersberg-Wolfsberg eGen. 14 Siehe nur EuGH v. 18.5.2017 – C-617/15, ECLI:EU:C:2017:390 Rz. 35 – Hummel Holding A/S vs. Nike Inc. u. Nike Retail BV; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 8 unter Hinweis auf den Ursprung der Maxime in C. 3, 13, 2; D. 5, 1, 65. 15 Siehe nur EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi Reinsurance Co SA vs. Universal General Insurance Co (UGIC), EuGHE 2000 I 5925, 5952 Rz. 35. Zur Historie der Maxime Carrascosa González, Cuad. Der. Trans. 11 (1) (2019) 112, 120–125. 16 Hartley, Civil Jurisdiction and Judgments in Europe (2017) Rz. 7.25; Skauradszun, ZIP 2019, 1501, 1506 sowie Lorente Martínez, Cuad. Der. Trans. 8 (2) (2016) 278, 284.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 4 Brüssel Ia-VO
welchen dem Kläger das Wahlrecht zwischen allgemeinem Gerichtsstand und besonderen Gerichtsständen gibt,18 während man dem Beklagten kein Wahlrecht zugestehen kann.19 Es gleicht die Einlassungslast des Beklagten im Gegensatz zur Dispositionsmacht des Klägers aus.20 Jedenfalls dient es – als pragmatisches Ergebnis einer Abwägung, weniger als überhöhte Gerechtigkeitsmaxime – der Notwendigkeit zur Zuständigkeitsklarheit.21 Dabei gereicht der Beklagte zum Vorteil, was der Kläger als Nachteil hat; es entspinnt sich also ein Nullsummenspiel22 (eigentlich sogar ein Negativsummenspiel wegen der tertiären Kosten). Die Maxime kommt sogar demjenigen Beklagten zu Hilfe, der einen Vertragsbruch oder ein Delikt begangen hat; besondere Gerichtsstände müssen dann austarieren, was die Grundmaxime nicht leistet.23 Der Kläger mag sich mit leichteren Vollstreckungsmöglichkeiten trösten, soweit der Beklagte Vermögen im Forumstaat hat, was in dessen Wohnsitzstaat sehr wahrscheinlich ist.24 Wo der Kläger ansässig ist und seinen Wohnsitz hat oder welchem Staat er angehört, spielt dagegen 3 keine Rolle.25 Der Kläger darf es – vorbehaltlich expliziter Ausnahmen wie namentlich Art. 18 Abs. 1 Var. 2 Brüssel Ia-VO – nicht in der Hand haben, sich durch die Wahl seines Wohnsitzes selber ein ihm passendes und vorteilhaftes Forum zu verschaffen.26 Aus Sicht des Klägers mag der Beklagtenwohnsitz sogar ein räumlich weit entfernter Gerichtsstand sein, welcher es erschwert, den klägerischen Justizgewährungsanspruch effektiv auszuüben.27 Art. 4 Brüssel Ia-VO dient nicht zur Anknüpfung des klägerischen Wohnsitzes.28 Für Art. 4 Brüssel Ia-VO ist es ebenfalls ohne Belang, wie groß oder klein die Erfolgsaussichten der angestrengten Klage in der Sache sind.29 Ebenfalls ohne Belang ist die Gefahr miteinander widerstreitender Entscheidungen, wenn verschiedene Beklagte in verschiedenen Gerichtsständen verklagt werden (oder werden könnten).30 Letzteres ist das Risiko in der Wahl des Klägers.31 Anders als alle anderen Verordnungen des europäischen IZVR und IPR (Brüssel IIa-VO, EG-UntVO, 4 EG-ErbVO, EG-GüVO, EG-PartVO, Rom I-, Rom II-, Rom III-VO)32 und des europäischen Zivilprozessrechts (EG-VollstrTitelVO, EG-MahnVO, EG-BagatellVO) verwendet Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nicht den gewöhnlichen Aufenthalt, sondern den Wohnsitz als Anknüpfungspunkt.33 Dies hat sich weder mit dem Übergang vom EuGVÜ zur Brüssel I-VO noch mit dem Übergang von der Brüssel I-
17 Mankowski, GS Arndt Schmehl (2019) 557, 559. 18 Kropholler in HdbIZVR I (1982) Kap. III Rz. 192; Lorente Martínez, Cuad. Der. Trans. 8 (2) (2016) 278, 285; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 11, 16. 19 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1995) 601 f. 20 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1995) 599 f. sowie Wieczorek/Schütze/ Gebauer, Rz. 9 sowie Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 2 (2016). 21 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1995) 602; Hess, Liber amicorum Walter F. Lindacher zum 70. Geb. (2007) 53, 55. 22 Carrascosa González, Cuad. Der. Trans. 11 (1) (2019) 112, 117–120. 23 Eingehend Carrascosa González, Cuad. Der. Trans. 11 (1) (2019) 112, 130–133. 24 Lorente Martínez, Cuad. Der. Trans. 8 (2) (2016) 278, 285. 25 Siehe nur BG sic! 2007, 279, 281; BGH v. 29.1.2013 – KZR 8/10, GRUR-RR 2013, 228 Rz. 10 – Trägermaterial für Kartenformulare; OLG Brandenburg, IHR 2017, 19; Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 3. Falsch dagegen Rb. Arnhem, S & S 2008 Nr. 103 S. 486: Jeweils bei in den Niederlanden ansässigem Beklagtem Art. 6 bejaht bei Kläger aus Großbritannien und verneint bei Kläger aus den USA. 26 EuGH v. 11.1.1990 – C-220/88, ECLI:EU:C:1990:8 – Dumez France SA u. Tracoba Sarl vs. Hessische Landesbank (Helaba), EuGHE 1990, I 49 Rz. 16–19; EuGH v. 10.6.2004 – C-168/02, ECLI:EU:C:2004:364 – Ruolf Kronhoer vs. Marianne Maier, EuGHE 2004, I 6009 Rz. 20; AMT Futures Ltd. v. Marzillier, Dr. Meier & Dr. Günther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH [2017] UKSC 13 [12], [2018] AC 439, [2017] 2 WLR 853 (S. C., per Lord Hodge). 27 Hess, Liber amicorum Walter F. Lindacher zum 70. Geb. (2007) 53, 55. 28 BGH, NJW 2009, 1610, 1611. 29 M. Weller/Pato, Unif. L. Rev. 2018, 397, 402 f. 30 Vedanta Resources PLC v. Lungowa [2019] UKSC 20 [80], [2019] 2 WLR 1051 (S. C., per Lord Briggs). 31 Vedanta Resources PLC v. Lungowa [2019] UKSC 20 [81]-[82], [2019] 2 WLR 1051 (S. C., per Lord Briggs). 32 Die EuInsVO 2000 bzw. EuInsVO 2015 hat mit dem COMI ein in Nuancen eigenes Konzept. 33 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 20; Geimer/Schütze/D. Paulus, Art. 6 Brüssel Ia-VO Rz. 7 (2016); R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 519.
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Art. 4 Brüssel Ia-VO Allgemeiner internationaler Gerichtsstand zur Brüssel Ia-VO geändert, obwohl der Wohnsitz seit 1968 (als das ursprüngliche EuGVÜ aufgelegt wurde) generell zugunsten des gewöhnlichen Aufenthalts massiv an Boden verloren hat. 5
Den Anknüpfungspunkt Wohnsitz füllen Art. 62 Brüssel Ia-VO, Art. 63 Brüssel Ia-VO aus, Art. 62 Brüssel Ia-VO für natürliche Personen und Art. 63 Brüssel Ia-VO für juristische Personen und Gesellschaften sowie ähnliche Gebilde. Der Begriff der natürlichen Person ist im biologischen Sinne zu verstehen Auf „lekttronische Identitäten“ kommt es ebenso wneig an wie auf „elektronische Wohnsitze“.34 Juristische Person wiederum ist jede Vereinigung oder Vermögensmasse, die selbständig verklagt werden kann.35 Der Begriff der juristischen Person ist weit als juristisch gebildetes Zurechnungssubjekt zu verstehen.36 Es erfolgt keine Einschränkung auf juristische Personen des Privatrechts; vielmehr sind auch juristische Personen und Körperschaften des öffentlichen Rechts einschließlich der Staaten selber erfasst, soweit sie nicht hoheitlich handeln.
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Bei der Wohnsitzbestimmung bedient sich der Unionsgesetzgeber unterschiedlicher Techniken, nämlich einer Verweisung auf das nationale Recht37 in Art. 62 Brüssel Ia-VO und einer autonomen, an Art. 54 AEUV (ex Art. 48 EGV) angelehnten Regelung in Art. 63 Brüssel Ia-VO,38 die einen Rückgriff auf nationales IPR überflüssig macht.39 Anders als in Art. 8 Abs. 1 EMRK40 ist der Wohnsitz einer natürlichen Person wegen der Verweisung in Art. 62 Brüssel Ia-VO unter der Brüssel Ia-VO kein autonom gebildeter und ausgefüllter Begriff. Nur die interne Verweisung auf Art. 62 Brüssel Ia-VO; Art. 63 Brüssel Ia-VO zählt; ein Wahldomizil dagegen ist kein Wohnsitz i.S.v. Art. 4 Brüssel Ia-VO.41
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Der Wohnsitz ist strikt zu trennen und genau zu unterscheiden vom gewöhnlichen Aufenthalt: Der Wohnsitz ist ein normatives, der gewöhnliche Aufenthalt ein faktisches Kriterium. Art. 4 Brüssel IaVO knüpft bewusst an den Wohnsitz an und verwirft weiterhin eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt.42 Dies gilt auch für eine alternative Anknüpfung.43
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Für die Anwendbarkeit des Gesamtregimes muss das Gericht bei einer natürlichen Person als Beklagtem gegebenenfalls das über Art. 62 Abs. 2 Brüssel Ia-VO berufene Recht eines anderen Mitgliedstaats befragen, ob der Beklagte in jenem anderen Mitgliedstaat einen Wohnsitz hat.44 Grundsätzlich ist das Gericht zu einer Prüfung auf der Grundlage des anwendbaren Rechts verpflichtet; wie intensiv es diese gestaltet und ob ihm gegebenenfalls die zur Akte gereichten Erkenntnismittel wie Registereintragungen oder Zustellungsurkunden reichen,45 ist eine Sache des Beweismaßes. Ob ein Hinweis auf ei34 Tendenziell anders Diago Diago, La Ley 8432 (2014) 2; Merchán Murillo, AEDIPr 2018, 425, 430 f. 35 Siehe nur Kropholler/von Hein, Art. 60 EuGVO Rz. 1; Nodoushani, WM 2012, 1798, 1805. 36 Ulrici in Uffmann/K. Dahm (Hrsg.), Vielfalt oder Chaos – aktuelle Probleme und Entwicklungen im deutschen und europäischen Arbeitsrecht (2013) 19, 31. 37 Vorbildlich exekutiert z.B. durch Rb. Arnhem, NIPR 2005 Nr. 162 S. 224 (Kette Art. 4 Abs. 1; Art. 62 Abs. 1; Art. 1:10; 1:11 NBW); Vzngr. Rb. Arnhem, NIPR 2008 Nr. 53 S. 94; Vzngr. Rb. Rotterdam, S & S 2010 Nr. 39 S. 210. Beispiele für eine in unteren Instanzen durchaus vorherrschende „pragmatische“ Methode bieten dagegen Rb. Groningen, NIPR 2009 Nr. 124 S. 207 und Rb. Rotterdam, S&S 2019 Nr. 6 S. 27, wo schlicht ohne normative Zwischenschritte und ohne jede Erwähnung von Art. 62 Brüssel Ia-VO der woonplats herangezogen wird. 38 Anwendungsbeispiele für Art. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 60 Brüssel I-VO (die unveränderten Vorgänger zu Art. 4 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 63 Brüssel Ia-VO): BAG, AP H 3/2009 Nr. 22 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 2Rf; Cassaz. Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 459, 461 f.; OLG München v. 11.9.2008 – 29 U 3629/08, WRP 2008, 1471, 1472; OLG Saarbrücken, OLG Saarbrücken v. 16.2.2011 – 1 U 574/09-153, IPRax 2013, 74, 76; OLG Brandenburg, IPRspr. 2012 Nr. 38 S. 61; OLG Brandenburg, NJW-RR 2013, 870; OLG Schleswig, ZUM 2014, 430, 431; Rb. Zwolle-Lelystad, NIPR 2005 Nr. 367 S. 477; Rb. Zwolle-Lelystad, NIPR 2005 Nr. 368 S. 478; Rb. Rotterdam, NIPR 2008 Nr. 136 S. 225 f.; Rb. Rotterdam, NIPR 2009 Nr. 146 S. 250; Rb. Rotterdam, S & S 2009 Nr. 127 S. 672; Rb. ’s-Gravenhage, NIPR 2010 Nr. 348 S. 570; Rb. Rotterdam, ETR 2010, 267, 271; RB Rotterdam, S & S 2010 Nr. 49 S. 257; Alberta Inc v. Katanga Mining Ltd. [2009] ILPr 175, 185–189 (Q.B.D., Tomlinson J.). 39 OLG Karlsruhe, Die Justiz 2008, 138, 139. 40 Dort EGMR v. 18.11.2004 – C-58255/00 – Prokopovich/Russland. 41 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, Art. 2 EuGVVO Rz. 135. 42 Siehe nur Fricke, VersR 1999, 1055, 1056; Kohler in Gottwald (Hrsg.), Revision des EuGVÜ/Neues Schiedsverfahrensrecht (2000) 1, 9; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1. 43 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, Art. 2 EuGVVO Rz. 21. 44 Mustergültig OLG Stuttgart, NJOZ 2007, 716 = IPRspr. 2006 Nr. 136 S. 303.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 4 Brüssel Ia-VO
ner Website einen Rechtsscheintatbestand erzeugen kann,46 ist nach dem anwendbaren Recht und dessen Maßstäben zu entscheiden.
II. Einzelheiten 1. Zeitpunkt Maßgeblicher Zeitpunkt für die Antwort auf die Frage, ob der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat und, wenn ja, in welchem, soll die Rechtshängigkeit der Klage sein.47 Überzeugender ist es, im Grundsatz bereits auf die Anhängigkeit der Klage abzustellen.48 Der Kläger muss im Zeitpunkt der Klagerhebung beurteilen können und dürfen, ob die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen vorliegen.49 Außerdem befindet man sich so auf einer Linie mit Art. 32 Brüssel Ia-VO.50 Es wäre widersprüchlich und wenig sinnvoll, für die Litispendenz einen Zeitpunkt, für die Zuständigkeitstatsachen aber einen anderen Zeitpunkt im Grundsatz maßgeblich sein zu lassen.
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Ist die Zuständigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt begründet, so entfällt der Gerichtsstand später 10 auch dann nicht, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einen anderen Staat verlegt. Insoweit gilt der Grundsatz der perpetuatio fori.51 Der Kläger muss sich auf das verlassen dürfen, was er bei Klagerhebung kannte und wusste. Dies gebietet der Schutz gerechtfertigten Vertrauens.52 Spätere Ereignisse können dieses Vertrauen des Klägers nicht mehr zerstören. Insbesondere kann der Beklagte durch eigenes (und eigeninteressiertes) Verhalten dem Kläger nicht mehr den Gerichtsstand rauben.53 Dies gilt nicht nur für Art. 4 Brüssel Ia-VO, sondern gleichermaßen für alle anderen Gerichtsstände. Ein späterer Umzug des Beklagten aus dem ursprünglichen Forumstaat heraus ist für Art. 4 Brüssel Ia-VO irrelevant.54 Umgekehrt kann das Gericht die internationale Zuständigkeit indes auf Art. 4 stützen, wenn der 11 Wohnsitz des Beklagten zwar bei Klagerhebung in einem Drittstaat lag, der Beklagte aber während des Prozesses einen Wohnsitz im Forumstaat begründet hat.55 Man könnte dem Kläger, der Glück ge45 So schildert Cuypers, GPR 2009, 34, 39 Fn. 62 die deutsche Praxis. 46 Ablehnend García Mirete, AEDIPr 2007, 935, 936. 47 Geimer, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 205, 208; Schlosser, Vor Art. 2 Rz. 7; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 2 EuGVVO Art. 2 EuGVVO Rz. 137; Zöller/Geimer, Rz. 27; vgl. auch Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501, 510; Vogenauer, IPRax 2001, 253. 48 Dafür EuGH v. 11.9.2014 – C-112/13, ECLI:EU:C:2014:2195 Rz. 48, IPRax 2015, 337 (Verfahrenseinleitung) – A vs. B; Canada Trust v. Stolzenberg (No. 2) [2000] 3 WLR 1376, 1385 f., 1395 f. (HL, Lords Steyn, Hoffmann); Kaye, Casebook 769; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 2 EuGVVO Rz. 90 f.; Bernasconi/Gerber, SZIER 1993, 39, 43; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts (2000) Rz. 70; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 4; Geimer/Schütze/S. Auer, Vor Art. 2 EuGVO Rz. 19 (2005). 49 Canada Trust v. Stolzenberg (No. 2) [2000] 3 WLR 1376, 1385 f. (HL, per Lord Steyn); LG Kleve IPRspr. 2016 Nr. 256 S. 612; Geimer/Schütze/S. Auer, Vor Art. 2 EuGVO Rz. 19 (2005). 50 Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 4. 51 EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – Danmarks Rederiforeniging, handelnd für DFDS Torline AS vs. LO Landsorganisationen i Sverige, handelnd für SEKO Sjöfolk Facket for Service och Kommunikation, EuGHE 2004 I 1417, 1455 Rz. 37; BGHZ 188, 373 = JR 2012, 192 m. Anm. Looschelders; LG Kleve, IPRspr. 2016 Nr. 256 S. 612; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Vor Art. 2 EuGVÜ Rz. 27 (1994); Bernasconi/Gerber, SZIER 1993, 39, 43; Kropholler/von Hein, Vor Art. 2 Rz. 14; Nagel/Gottwald, § 5 Rz. 231; Geimer/Schütze/S. Auer, Vor Art. 2 EuGVO Rz. 19 (2005); Gampp, Perpetuatio fori internationalis im Zivilprozessrecht und im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (2010) insb. 125–127; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 10, Vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 21 (2016); R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 536; S. V. Lukas, Die Person mit unbekanntem Aufenthalt im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren (2018) 467–470. Umfassend Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess (2009). 52 Siehe nur Mankowski, NZI 2005, 368, 369. 53 Siehe nur Mankowski, RIW 2004, 481, 496; Mankowski, FS Heldrich (2005) 867, 875. 54 LG Kleve, IPRspr. 2016 Nr. 256 S. 612. 55 BGHZ 188, 373 = JR 2012, 192 m. zust. Anm. Looschelders; OLG Saarbrücken v. 3.4.1979 – 2 U 185/76, RIW 1980, 796, 799; OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 1997, 66, 67; Geimer, NJW 1976, 441, 445 f.; Geimer, EWiR 2011, 311; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Vor Art. 2 EuGVÜ Rz. 26 (1994); Schack, Rz. 388; Czernich/Kodek/ Mayr/Czernich, Rz. 5; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 2 EuGVVO Art. 2 EuGVVO Rz. 143; Geimer/
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Art. 4 Brüssel Ia-VO Allgemeiner internationaler Gerichtsstand habt hat und zu dessen Gunsten die zuständigkeitsbegründende Tatsache nach Klagerhebung eingetreten ist, schlecht sagen, dass die Klage zwar eigentlich zum Entscheidungszeitpunkt zulässig gewesen wäre, man jedoch strikt auf den früheren Zeitpunkt der Anhängigkeit abstelle. Insoweit ist die ursprüngliche Unzuständigkeit geheilt. Anderenfalls drohte nur Ressourcenvernichtung, indem der Kläger gleich eine neue Klage anstrengte, für die dann die internationale Zuständigkeit gegeben wäre.56 Dies stünde mit den übergeordneten Zielen des europäischen IZPR nicht in Einklang. 2. Mehrheit von Wohnsitzen 12
Eine Person kann mehrere Wohnsitze haben, sei es, dass für eine natürliche Person zwei oder mehr über Art. 62 Abs. 2 Brüssel Ia-VO verwiesene nationale Rechte je unterschiedliche Maßstäbe anlegen, sei es, dass für eine Gesellschaft die disjunktiven Kriterien des Art. 63 Brüssel Ia-VO auf zwei oder drei verschiedene Staaten weisen.57 Insbesondere hat der Kläger ein Wahlrecht bei Gesellschaften als Beklagten, wenn verschiedene Anknüpfungspunkte des Art. 63 Brüssel Ia-VO auf verschiedene Staaten weisen.58 Für Art. 4 Brüssel Ia-VO reicht es aus, wenn einer der Wohnsitze im EU-Gebiet ist.59 Ein Wohnsitz reicht aus, es muss nicht der einzige, nicht der primäre und nicht einmal ein effektiver Wohnsitz sein.60
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Bestehen ein Wohnsitz im Forumstaat und ein Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat, so geht aus der Sicht des Forumstaates der Wohnsitz im Forumstaat vor, wie sich sowohl aus der Reihenfolge der beiden Absätze des Art. 62 Brüssel Ia-VO als auch aus den Eingangsworten des Art. 62 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ergibt.61 Bei einer „Inlands-Ltd.“ mit Satzungssitz im Ausland und effektivem Verwaltungssitz im Inland begründet Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 63 lit. b Brüssel Ia-VO einen allgemeinen Gerichtsstand (auch) im Inland.62 Eine materielle Gewichtung oder Reihung der Wohnsitze, die Suche nach einem „effektiven“ Wohnsitz, ist nicht geboten. Die Wohnsitze sind prinzipiell gleichwertig und begründen konkurrierende allgemeine Gerichtsstände.63 Allerdings kann der Vorrang des Inlandswohnsitzes bei existierendem weiterem Wohnsitz im Ausland den Fall nicht zum reinen Inlandsfall machen.64 3. Unbekannter aktueller Wohnsitz
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Hat der Beklagte bei Klagerhebung keinen bekannten Wohnsitz, ist also unbekannt, ob und, wenn ja, wo er einen Wohnsitz hat, so ist nach dem EuGH der letzte bekannte Wohnsitz im Forumstaat ersatzweise heranzuziehen.65 Dies füllt eine Lücke im Normtext,66 gleichsam als Notzuständigkeit, als
56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66
Schütze/S. Auer Vor Art. 2 EuGVO Rz. 18 (2005); Kropholler/von Hein, Vor Art. 2 EuGVO Rz. 13; Mankowski, FS Heldrich (2005) 867, 875. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2015) Rz. 1828; Geimer/Schütze/S. Auer Vor Art. 2 EuGVO Rz. 18 (2005); Mankowski, FS Heldrich (2005) 867, 875. Zu letzterem im Zeitalter erhöhter Mobilität von Gesellschaften insbesondere Rammeloo, Eur. Co. L. 12 (2015) 234, 236–238. Siehe nur BGH v. 14.11.2017 – VI ZR 73/17, WM 2018, 285 Rz. 11 m.w.N.; BAG v. 23.1.2008 – 5 AZR 60/07, NJW 2008, 2797 Rz. 15; Ringe, IPRax 2007, 388, 389; S. V. Lukas, Die Person mit unbekanntem Aufenthalt im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren (2018) 352. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 2 EuGVVO Rz. 1 (2005); Mankowski, AnwBl. 2008, 358, 360 sowie Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 2. Mankowski, AnwBl. 2008, 358, 360. Geimer, NJW 1986, 1438; Geimer, NJW 1986, 2991; Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 2; Geimer/Schütze/S. Auer Art. 2 EuGVO Rz. 4 (2005); Mayr, RabelsZ 69 (2005) 558, 561; Mankowski, AnwBl. 2008, 358, 360. OLG Frankfurt v. 30.11.2007 – 14 UH 34/07, NJW-RR 2008, 633 f. Geimer, WM 1976, 441, 444; Geimer, NJW 1986, 1438; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 2 EuGVVO Art. 2 EuGVVO Rz. 168; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 11 (2016). A.A. östOGH, SZ 73/43 = JBl 2000, 603. EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner, EuGHE 2011, I-11543 Rz. 44; östOGH, ZFR 2017, 446, 447 m. Anm. Wolfbauer; Baumert, EWiR 2012, 19; A. Grimm, GPR 2012, 87. Cuniberti, REDI 2012–1, 188.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 4 Brüssel Ia-VO
forum necessitatis,67 auch gestützt auf einen favor zugunsten der Anwendung unionseinheitlicher Regeln.68 Es sucht nach einem relativen Optimum und der relativ größten Nähe.69 Es erscheint namentlich dann als sachgerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Gläubigers und jenen des Schuldners,70 wenn der Schuldner sich unter einem langfristigen Vertrag verpflichtet hat, Adressänderungen mitzuteilen und dadurch Vertrauen des Gläubigers in den Fortbestand der letzten mitgeteilten Adresse zu erzeugen.71 Dies ist nur eine partielle Lösung und greift nicht im außervertraglichen Bereich, ja nicht einmal bei Verträgen ohne eine entsprechende Verpflichtung.72 Noch grundsätzlicher besteht aber ein latenter Konflikt, wenn man den Interessen des Klägers so weit entgegenkommt, mit dem Schutz des Beklagten als der Partei mit der taktisch schwächeren Position.73 Denn Kläger- und Beklagteninteressen sind kommunizierende Röhren: Was dem einen günstig ist, ist dem anderen ungünstig.74 Eine Alternative zum Rückgriff auf den letzten bekannten Wohnsitz wäre, schon die Anwendbarkeit des europäischen Gerichtsstandsregimes zu verneinen, soweit Abs. 1 dafür einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat verlangt. Der Normtext offeriert jedenfalls keine subsidiäre Lösung und keine Rückfallposition.75 Eine weitere Alternative bestünde darin, Beweislastregeln zu Lasten des Klägers walten zu lassen, dem ein positiver Nachweis, dass der Beklagte bei Klagerhebung seinen aktuellen Wohnsitz im Forumstaat oder zumindest in der EU hatte (letzteres insbesondere, wenn Zuständigkeit aus Art. 7 reklamiert wird), eben nicht gelungen ist.76 Eine weitere Alternative wäre, fiktive Wohnsitzbegriffe für natürliche Personen in ausländischen Rechtsordnungen für relevant zu halten.77
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Der EuGH sieht die Alternativen in der Gefahr, auf eine Rechtsschutzverweigerung für den Kläger und damit auf eine Verletzung der Art. 51 GRC; Art. 6 EMRK hinauszulaufen.78 Die Anwendung der einheitlichen europäischen Regeln soll den Kläger besser schützen und der Vorhersehbarkeit sowohl für den Kläger als auch für den Beklagten besser Genüge tun.79 Immerhin steht für den Beklagten auch sein Menschenrecht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren in Rede.80 Eine Zuständigkeitsbestimmung nach nationalen Rechten soll für den Beklagten Rechtsunsicherheit auslösen.81 Erst wenn beweiskräftige Indizien dafür vorliegen, dass der Beklagten keinen Wohnsitz mehr im EU-Gebiet hat, greift Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO mit seiner Verweisung auf die nationalen Zuständigkeitsrechte.82 Selbst wenn der eigentliche Wohnsitz unbekannt bleibt und über eine Hilfskonstruktion er-
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67 Rodríguez Vázquez, Cuad der trans 4 (1) (2012) 345, 350. 68 EuGH v. 15.3.2012 – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 Rz. 39 – G vs. Cornelius de Visser, EuZW 2012, 381 m. Anm. Bach; Rodríguez Vázquez, Cuad der trans 4 (2) (2012) 355, 359 f.; Hess in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 67, 75. 69 Entgegen Cordero Álvarez, REDI 2012–2, 221, 222 f. 70 Rodríguez Vázquez, Cuad der trans 4 (1) (2012) 345, 350. 71 EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner, EuGHE 2011, I-11543 Rz. 42 f.; Killias, SZIER 2012, 697, 708; Domej, FS Hanns Prütting (2018) 261, 263. 72 Domej, FS Hanns Prütting (2018) 261, 263. 73 Requejo/Cuniberti, Rev. crit. dip. 101 (2012) 421, 424 f. 74 Requejo/Cuniberti, Rev. crit. dip. 101 (2012) 421, 425; Cuniberti, REDI 2012–1, 188, 189. 75 Requejo/Cuniberti, Rev. crit. dip. 101 (2012) 421, 422. 76 Diskussion der Problematik bei Ibili in IPR in de spiegel van Paul Vlas (2012) 89; Vlek NIPR 2012, 202; Rodríguez Vázquez, Cuad der trans 4 (1) (2012) 345; Rodríguez Vázquez, Cuad der trans 4 (2) (2012) 356; Luzzatto in Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (2012) 111; Pauknerová, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 447. 77 Dafür S.V. Lukas, Die Person mit unbekanntem Aufenthalt im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren (2018) 500 f. (nicht völlig klar, inwieweit Abs. 2 Grundlage sein soll). 78 EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner, EuGHE 2011, I-11543 Rz. 42; EuGH v. 15.3.2012 – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 Rz. 39 f. – G vs. Cornelius de Visser. 79 EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner, EuGHE 2011, I-11543 Rz. 42; EuGH v. 15.3.2012 – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 Rz. 39 – G vs. Cornelius de Visser. 80 Requejo/Cuniberti, Rev. crit. dip. 101 (2012) 421, 426. 81 Bach, EuZW 2012, 381, 383. 82 EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner, EuGHE 2011, I-11543 Rz. 42; EuGH v. 15.3.2012 – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 Rz. 40 – G vs. Cornelius de Visser; östOGH, ZFR 2017, 446, 447 m. Anm. Wolfbauer.
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Art. 4 Brüssel Ia-VO Allgemeiner internationaler Gerichtsstand setzt werden muss, kommen die besonderen Gerichtsstände nach Art. 7 Brüssel Ia-VO, Art. 8 Brüssel Ia-VO zum Zuge,83 weil die Anwendungsvoraussetzung eines Wohnsitzes im EU-Gebiet unterstellt wird. Insgesamt durchkreuzt dies zumindest auf der Zuständigkeitsebene Strategien fraudulenter Beklagter, sich durch Verziehen an einen unbekannten Ort Verfahren zu entziehen.84 Die gesamte Problematik stellt sich übrigens nicht, wenn immerhin bekannt ist, dass der beklagte in einem bestimmten Mitgliedstaat lebt, auch wenn unbekannt ist, wo innerhalb dieses Mitgliedstaats genau.85 4. Person des Beklagten 17
Wer Beklagter ist, bestimmt sich nach der formellen Rolle im Prozess. Dies bestimmt sich wiederum nach dem Prozessrecht des Forumstaates. Sieht das Prozessrecht des Forumstaates einen Abwesenheitspfleger, einen Prozesspfleger oder einen guardian ad litem vor, so steht die Brüssel I-VO dem nicht im Wege. Allerdings soll eine Rüge der Unzuständigkeit durch einen Abwesenheitspfleger nicht für die Zwecke des Art. 26 Brüssel Ia-VO zählen.86
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Ist Beklagter eine Partei kraft Amtes (z.B. ein Insolvenzverwalter,87 ein Testamentsvollstrecker,88 ein Treuhänder oder ein trustee), so ist diese Partei kraft Amtes die maßgebliche Anknüpfungsperson, nicht der Repräsentierte.89 Ebenso wenig ist der Sitz des verwalteten Vermögens maßgeblich.90 Es zählt die formelle Stellung als beklagte Prozesspartei, nicht die materielle Rechtsinhaberschaft.91 § 19a ZPO ist eine singuläre Sonderregel, die kein Pendant im Regime der Brüssel Ia-VO findet.92
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Bei einer Klage in rem (action in rem formell gegen eine Sache), wie sie im englischen Prozessrecht nominell gegen ein Schiff möglich ist, wird materiell nicht das Schiff als solches verklagt, sondern die dahinter stehende Partei, die daran interessiert ist, Haftung und Verbindlichkeit zu bestreiten.93
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Die Klageart ist ohne Bedeutung. Bei einer negativen Feststellungsklage kehren sich die Verhältnisse nicht um. Materielle Gläubiger- und Schuldnerposition spielen keine Rolle.94 Es kommt allein auf die formalen Parteirollen an, wie sie durch den Prozess definiert werden.95 Der negative Feststellungskläger kann nicht etwa an seinem eigenen Wohnsitz klagen.96 Die Parteirollen sind rein formell nach ihrer Funktion im konkreten Verfahren zu betrachten.97 Beklagter ist der durch das verfahrenseinleitende Schriftstück formell Angegriffene. Die Bezeichnung allerdings ist unerheblich; „Beklagter“ im Sinne der Brüssel Ia-VO kann auch sein, wen das nationale Recht in der konkreten Verfahrensart etwa als „Antragsgegner“ oder „Respondenten“ bezeichnet. Eine materielle Betrachtung nach Anspruchsbeziehungen verbietet sich. Beklagter als formelle Rolle im Prozess kann auch sein, wer mate83 84 85 86 87 88 89
90 91 92 93 94 95 96 97
EuGH v. 15.3.2012 – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 Rz. 41 – G vs. Cornelius de Visser. Rodríguez Vázquez, Cuad der trans 4 (2) (2012) 355, 360 f. Vgl. östOGH, ZFR 2017, 446, 447 m. Anm. Wolfbauer. EuGH v. 11.9.2014 – C-112/13, ECLI:EU:C:2014:2195 Rz. 5 – A vs. B; Domej, FS Hanns Prütting (2018) 261, 263 f. unter Hinweis auf EuGH v. 21.10.2015 – C-215/15, ECLI:EU:C:2015:710 Rz. 43–47 – Vasilka Ivanova Gogova vs. Ilia Dimitrov Iliev beide zu Art. 12 Abs. 3 Brüssel IIa-VO ergangen. Soweit Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO und die EuInsVO 2015 nicht einschlägig sind. Soweit Art. 1 Abs. 2 lit. f Brüssel Ia-VO und die EU-ErbVO nicht einschlägig sind. BGH v. 27.10.1983 – I ARZ 334/83, NJW 1984, 739; Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 1; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, Art. 2 EuGVVO Rz. 134; Geimer/Schütze/S. Auer, Rz. 5 (2005); Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 12 (2016) sowie LG Köln v. 15.7.2014 – 2 O 534/13 juris Rz. 67 = IPRspr. 2014 Nr. 132 (allerdings handelte es sich um eine Vermächtnisklage gegen einen Nachlasspfleger für unbekannte Erben, die angesichts von Art. 1 Abs. 2 lit. f Brüssel I-VO zu Unrecht nach Brüssel I-VO beurteilt wurde). A.A. Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 13. Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2. Geimer/Schütze/S. Auer Art. 2 EuGVO Rz. 5 Fn. 9 (2005). The „Deichland“ [1990] 1 Q.B. 361 (C.A.); Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im Internationalen Privatrecht (1995) 476; Layton/Mercer, Rz. 1.035, 14.009. BGE 132 III 778, 780; BGH v. 29.1.2013 – KZR 8/10, GRUR-RR 2013, 228 Rz. 11 – Trägermaterial für Kartenformulare. A.A. zu Unrecht BGE 130 III 285, 291 f. für die Aberkennungsklage des SchKG. BGH, NJW 1997, 871; BGH v. 29.1.2013 – KZR 8/10, GRUR-RR 2013, 228 Rz. 11 – Trägermaterial für Kartenformulare; Isaak Meier/Sogo, FS Schlosser (2005) 579, 586. BGHZ 134, 201, 205 = IPRax 1997, 348; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 2. BG sic! 2007, 279, 281.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 4 Brüssel Ia-VO
riell Schuldner des streitgegenständlichen Klaganspruchs ist. Bei einer negativen Feststellungsklage ist Beklagter dagegen, wieder getreu seiner formellen Rolle im Prozess, der Gläubiger des Leistungsanspruchs, dessen Nichtbestehen festzustellen beantragt ist.98 Beklagter ist nicht, wem nur der Streit verkündet wurde. Dagegen ist der Beklagte einer Interventionsklage nach den romanischen Prozessrechten durchaus Beklagter. Probleme bereitet bei der Feststellung der Beklagteneigenschaft die Festsetzung von Kosten gegen einen Dritten, der keine formelle Partei des Rechtsstreits ist, nach sec 51 Supreme Court Act 1981. Hebt man darauf ab, dass eine Klage eine materielle Streitsache voraussetze, so könnte eine solche Annexkompetenz gegen einen Dritten aus Art. 6 herausfallen.99 Indes würde man damit einer Besonderheit eines nationalen Prozessrechts zu großes Gewicht beimessen, die sich im Grundsatz am Vorrang der VO brechen muss.100
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5. Wohnsitzfiktionen in den Schutzregimes Die Schutzregimes bringen mit Art. 10 Abs. 2 Brüssel Ia-VO; Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO; Art. 20 22 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eine funktionelle Erweiterung des Wohnsitzbegriffes: Sie stellen eine einfache Niederlassung eines drittstaatsansässigen Versicherers, Unternehmers oder Arbeitgebers in einem Mitgliedstaat explizit einem Wohnsitz gleich. Diese Wohnsitzfiktion eleviert die einfache Niederlassung. Sie erfolgt unionsrechtlich. Außerhalb der Schutzregimes begründet eine bloße einfache Niederlassung in einem Mitgliedstaat jedoch in aller Regel nach Maßgabe des nationales Rechts des Staates, in welchem die Niederlassung liegt, keinen Wohnsitz i.S.d. Art. 4 Brüssel Ia-VO und öffnet nur die Tür für Art. 6 Brüssel Ia-VO.101
III. Örtliche Zuständigkeit Abs. 1 regelt nur die internationale Zuständigkeit für die Gerichte eines Staates insgesamt. Die örtliche Zuständigkeit für den allgemeinen Gerichtsstand muss dagegen der nationale Gesetzgeber regeln (z.B. in Deutschland durch §§ 12 ff. ZPO),102 ebenso die sachliche und die funktionelle Zuständigkeit.103 Insoweit macht ihm die Brüssel Ia-VO keine über Abs. 2 hinausgehenden Vorgaben;104 Art. 4 Brüssel Ia-VO gilt für die innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung selbst dann nicht, auch nicht entsprechend, wenn die internationale Zuständigkeit für einen territorial gespaltenen Mehrrechtsstaat mit mehreren Einheiten wie namentlich das Vereinigte Königreich begründet ist.105
23
Außerdem garantiert Abs. 1 keineswegs, dass immer ein Gerichtsstand an dem Ort bestehen muss, an welchem der Beklagte seinen Wohnsitz hat.106 Der Anknüpfungspunkt Wohnsitz für den allgemeinen Gerichtsstand findet sich indes auch in den nationalen Prozessrechten für die örtliche Zuständigkeit wieder (z.B. in Deutschland in §§ 13, 17 ZPO), so dass – wenn auch aus unterschiedlichen Quellen geschöpft – derselbe Anknüpfungspunkt internationale und örtliche Zuständigkeit prinzipiell regiert. Allerdings sind die nationalen Gesetzgeber frei, es anders zu halten. Spezialvorschriften können Abs. 2 genauso gut ausfüllen wie allgemeine.107 Der deutsche Gesetzgeber kann entsprechend seine abweichende Regelung für das Mahnverfahren in §§ 689, 703d ZPO aufrechterhalten. Im Mahnver-
24
98 BGH, GRUR 2011, 554; Thole, NJW 2013, 1192 f.; Hau, ZVertriebsR 2014, 79. 99 So The „Ikarian Reefer“ (No. 2) [2000] 1 WLR 603, 616 (C.A., per Waller L.J.), The „Ikarian Reefer“ (No. 2) [1999] 2 Lloyd’s Rep. 621, 628 (Q.B.D., Rix J.). 100 Layton/Mercer, Rz. 14.009. 101 Rb. Noord-Holland, Kamer voor Kantonzaken Haarlem S&S 2018 Nr. 123 S. 642; Rb. Noord-Holland, Kamer voor Kantonzaken Haarlem S&S 2018 Nr. 124 S. 644. 102 Siehe nur Cass. [2017] ILPr 455, 456; OLG Nürnberg, RdTW 2014, 119 Rz. 31; de Vareilles-Sommières, Liber amicorum Gaudemet-Tallon (2008) 397, 402; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 3 (2016). 103 Siehe nur OLG Nürnberg, RdTW 2014, 119 Rz. 31; Zöller/Geimer, Rz. 29. 104 Siehe nur Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 5. 105 Robert William Cook v. Virgin Media Ltd.; James McNeil v. Tesco plc [2015] EWCA Civ 1287 [18]-[26], [2016] 1 WLR 1672 (C.A., per Lord Dyson MR). 106 Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 5. 107 Siehe OLG Nürnberg, RdTW 2014, 119, 121.
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Art. 5 Brüssel Ia-VO Keine exorbitanten Gerichtsstände fahren ergibt sich die örtliche Zuständigkeit in Deutschland dementsprechend aus § 689 Abs. 2 S. 1 ZPO.108 Oder es gilt die Zuständigkeitskonzentration für Binnenschifffahrtssachen.109 Bei mehreren örtlichen Gerichtsständen in Deutschland hat der Kläger das Wahlrecht aus § 35 ZPO, dem Art. 4 Brüssel Ia-VO ebenfalls nicht entgegensteht.110 25
Abs. 2 bezieht sich nur auf die örtliche Zuständigkeit, nicht auf die internationale.111 Er verbietet die Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit, also die Schlechterbehandlung von im Forumstaat ansässigen Ausländern gegenüber eigenen Staatsangehörigen des Forumstaates112 und gebietet entsprechende Inländergleichbehandlung. Er schließt besondere örtliche Zuständigkeiten aus, welche an die Staatsangehörigkeit anknüpften, Ausländer also in größerem Umfang örtlich gerichtspflichtig hielten als Forumstaatsangehörige. Indes existieren solche Vorschriften weder in Deutschland noch in den anderen Mitgliedstaaten.113
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Abs. 2 differenziert wiederum nicht danach, ob der Beklagte Angehöriger eines EU-Mitgliedstaats oder eines Drittstaats ist114 oder ob er staatenlos ist.115 Er geht damit über das primärrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV (ex Art. 12 EGV) hinaus und gewährt auch Drittstaatenangehörigen Diskriminierungsschutz. In Deutschland spielt Abs. 2 keine Rolle, weil die Zuständigkeitsnormen des deutschen Prozessrechts für allgemeine Zivil- und Handelssachen nicht auf die Staatsangehörigkeit irgendeiner Partei abstellen.116
Artikel 5 [Keine exorbitanten Gerichtsstände] (1) Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden. (2) Gegen die in Absatz 1 genannten Personen können insbesondere nicht die innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften, welche die Mitgliedstaaten der Kommission gemäß Artikel 76 Absatz 1 Buchstabe a notifizieren, geltend gemacht werden. Schrifttum: Egbert Jestaedt, Internationale Zuständigkeit eines deutschen Vollstreckungsgerichts bei alleinigem Wohnsitz des Drittschuldners im Inland?, IPRax 2001, 438.
1
Abs. 1 spricht eine Garantie aus:1 Wer seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat,2 kann sich darauf verlassen und darf darauf vertrauen, dass gegen ihn Gerichtsstände in den Mitgliedstaaten nur nach Maßgabe des Zuständigkeitsregimes der Brüssel Ia-VO bestehen und keine eventuell darüber hi108 OLG Frankfurt v. 30.11.2007 – 14 UH 34/07, NJW-RR 2008, 633, 634. 109 OLG Nürnberg, RdTW 2014, 119, 121. 110 OLG München v. 16.5.2013 – 6 W 411/13, GRUR-RR 2013, 388, 389; LG München I v. 1.3.2018 – 12 O 730/17 juris Rz. 152 = CR 2018, 669. 111 Kropholler/von Hein, Art. 2 EuGVO Rz. 3. 112 Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts (2000) Rz. 451. 113 Wieczorek/Schütze/Hausmann, Vor Art. 2 EuGVÜ Rz. 30 (1994); Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3. 114 Geimer, WM 1976, 830, 831; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Vor Art. 2 EuGVÜ Rz. 29 (1994); Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts (2000) Rz. 451; Franzina in Emmanuel Guinchard (Hrsg.), Le nouveau Règlement Bruxelles Ibis (2014) 39, 59; Pellegrini in Bergé/Francq/Gardeñes Santiago (Hrsg.), Boundaries of European Private International Law (2015) 335, 353. 115 Geimer, WM 1976, 830, 831; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 19; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 15 (2016). 116 Ebenso Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 15 (2016); Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 41. 1 Siehe nur Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 2. 2 Der Wohnsitz in einem Mitgliedstaat ist hier wie unter Art. 4 Brüssel Ia-VO nach Art. 62 Brüssel Ia-VO für natürliche und Art. 63 Brüssel Ia-VO für nicht natürliche Personen zu ermitteln; s. nur LG Aachen, IPRspr. 2012 Nr. 192 S. 435.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 5 Brüssel Ia-VO
nausgehende internationale Zuständigkeit nach nationalen Prozessrechten begründet ist.3 Das Zuständigkeitsregime der Brüssel Ia-VO begründet insoweit einen numerus clausus der Gerichtsstände.4 Es steht keiner Erweiterung offen.5 Abs. 1 beschränkt sich nicht auf die in Abs. 2 i.V.m. Art. 76 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO notifizierten exorbitanten Gerichtsstände, sondern schließt alle Gerichtsstände nach nationalem Recht aus.6 Dies trifft in Deutschland z.B. auch § 31 ZPO oder § 34 ZPO,7 in Belgien Art. 4 Loi du 27 juillet 19618.9 Dabei ist es unerheblich, ob der betreffende Gerichtsstand im nationalen Recht zwingend und derogationsfest ist.10 Selbst wenn es sich um Eingriffsrecht handeln sollte, muss es weichen.11 Die Brüssel Ia-VO kennt keinen ordre public-Vorbehalt zugunsten der nationalen Rechte bei Gerichtsständen. Hat der Beklagte seinen Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat, so gilt grundsätzlich nicht Abs. 1, sondern Art. 6 Brüssel Ia-VO, über dessen Verweisung auf das nationale Prozessrecht auch die exorbitanten Gerichtsstände greifen.12 Indes gehört zu den in Art. 5 Brüssel Ia-VO einbezogenen Gerichtsständen des Brüssel Ia-Regimes auch der vereinbarte Gerichtsstand nach Art. 25 Brüssel Ia-VO.13 Vom Grundsatz des Abs. 1 gibt es allerdings zwei Ausnahmen: Erstens können Gerichtsstände nach 2 Staatsverträgen bestehen, die gem. Art. 71 Brüssel Ia-VO der Brüssel Ia-VO vorgehen.14 Zweitens gilt Abs. 1 nur für Hauptsacheverfahren, nicht aber für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Für Letztere enthält Art. 35 Brüssel Ia-VO vielmehr eine Verweisung auch auf die nationalen Zuständigkeitsgründe; im Eilverfahren können darüber auch die von Abs. 2 i.V.m. Art. 76 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO ausdrücklich geächteten exorbitanten Gerichtsstände der nationalen Rechte zum Zuge kommen,15 indes unter dem Vorbehalt einer realen Verknüpfung mit der beantragten Eilmaßnahme.16 Die Zuständigkeiten im Eil- und im Hauptsacheverfahren können also divergieren. Unter §§ 919, 937 ZPO ist dies dann der Fall, wenn man das Gericht der Hauptsache abstrakt und nicht konkret bestimmt.17
3 Siehe nur BGH v. 3.4.2014 – IX ZB 88/12, IPRax 2015, 571 = NJW 2014, 2798 Rz. 26; OLG Karlsruhe, EuZW 2019, 214 Rz. 20 (beide zum parallelen Art. 3 LugÜbk 2007); Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 2. 4 Kropholler/von Hein, Art. 3 EuGVVO Rz. 1; s. EuGH v. 31.5.2018 – C-306/17, ECLI:EU:C.2018:360 Rz. 19 – Éva Northartová vs. Sámson Jószef Boldiszár. 5 EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi Reinsurance Co SA vs. Universal General Insurance Co (UGIC), EuGHE 2000 I 5925, 5956 Rz. 54 sowie EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C: 2019:123 Rz. 81 – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagerberg-Wolfsberg eGen. 6 EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12 ECLI:EU:C:2013:860 Rz. 21 f. – Corman-Collins SA vs. La Maison du Whisky SA; Schlosser-Bericht Nr. 87; Layton/Mercer, Rz. 14.014; Lenzing, EuZW 2014, 183, 184; J. Heymann, Clunet 141 (2014) 888, 891; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 7. 7 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, Art. 3 EuGVVO Rz. 10. 8 Loi du 27 juillet 1961 relative á la résiliation unilatérale des concessions de vente exclusive á durée indéterminée, Mon belge 1961, 7518, i.d.F. Loi du 13 avril 1971 relative á la résiliation unilatérale des concessions de vente, Mon belge 1971, 4996. 9 EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860 Rz. 22 – Corman-Collins SA vs. La Maison du Whisky SA; GA Jääskinen, Schlussanträge in der Rs. C-9/12 vom 25.4.2013, ECLI:EU:C:2013:273 Nr. 27–31. 10 Vgl. EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860 Rz. 18–22 – Corman-Collins SA vs. La Maison du Whisky SA; EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C:2019:123 Rz. 79–84 – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagerberg-Wolfsberg eGen. 11 J. Heymann, Clunet 141 (2014) 888, 893 f. 12 Rechtspolitisch kritisch dazu Kropholler/von Hein, Art. 3 EuGVVO Rz. 7. 13 Mankowski, NZA 2009, 584, 585. Vgl. auch ECLI:EU:C:2013:860 Rz. 82 f. Ungenau BAG, AP Nr. 1 zu Verordnung Nr. 44/2001 (EG) Bl. 3. 14 Zustimmend Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 6. 15 Siehe nur EuGH v. 17.11.1998 – C-391/95 – van Uden Maritime BV vs. KG in Fa Deco-Line, EuGHE 1998 I 7091, 7134 Rz. 42; The „Siskina“ [1979] AC 210, 259 f. (HL, per Lord Diplock); BGE 125 III 451, 454; Cass. civ., Rev. crit. dip. 88 (1999) 352 f.; Hof van Cass., RW 1999–2000, 876, 877; OLG Düsseldorf, NJW 1977, 2034; RIW 1999, 873, 874; OLG Köln, RIW 1997, 59, 60; OLG Karlsruhe v. 2.10.2001 – 9 W 88/01, MDR 2002, 231; Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 2; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 6. 16 EuGH v. 17.11.1998 – C-391/95 – Van Uden Maritime BV vs. KG in Fa Deco-Line, EuGHE 1998 I 7091, 7134 Rz. 40; Cass. civ., Bull. 2001 I Nr. 313 S. 199; Rb. Amsterdam, NIPR 2001 Nr. 210 S. 362; Pres. Rb. Assen, NIPR 2001 Nr. 137 S. 271. 17 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 31 EuGVVO Rz. 67; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 1.
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Art. 5 Brüssel Ia-VO Keine exorbitanten Gerichtsstände 3
Abs. 2 i.V.m. Art. 76 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO ächtet bestimmte Zuständigkeitsgründe der nationalen Prozessrechte ausdrücklich.18 Diese werden als exorbitant und im internationalen Rechtsverkehr unpassend empfunden.19 Besonders gravierende Ausformungen von Zuständigkeitsimperialismus werden in plakativer Weise gebrandmarkt.20 Insbesondere richtet sich dies gegen Klägergerichtsstände zugunsten forumstaatsangehöriger oder forumstaatsansässiger Kläger, insbesondere nach dem Vorbild der Art. 14, 15 Code civil.21 Sie fügen der mangelnden Verbindung des gewählten Anknüpfungskriteriums zum Sachverhalt Chauvinismus als weiteren Makel hinzu.22 Anhang I Brüssel I-VO enthielt gleichsam den Sündenkatalog der Mitgliedstaaten.23 Von den alten Mitgliedstaaten behaupteten Spanien seit 1985 und die Niederlande seit dem 1.1.2002 keine exorbitanten Gerichtsstände mehr zu haben, weshalb sie in der Liste fehlten.24 Deutscher Eintrag ist der Gerichtsstand des Vermögens nach § 23 ZPO. Diese Norm steht nicht zur Verfügung, soweit die Brüssel Ia-VO reicht.25
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Ursprünglich war die Liste der inkriminierten Gerichtsstände in Art. 3 Abs. 2 EuGVÜ Teil des EuGVÜ selber. Mit der Brüssel I-VO wanderte sie in einen Anhang. Die Technik, die inkriminierten Gerichtsstände im Anhang und nicht mehr wie unter Art. 3 Abs. 2 EuGVÜ im Normtext selber aufzulisten, hatte den aus Art. 74 Brüssel I-VO fließenden Vorteil, dass Änderungen der Listen durch einfache Notifikation der betreffenden Mitgliedstaaten an die Kommission möglich sind und keine Änderungsverordnung nötig machen.26 Änderungen werden insbesondere im Zusammenhang mit weiteren Beitritten notwendig werden.27 Mit der Brüssel Ia-VO hat sich die Technik nochmals verändert. Die Liste der inkriminierten Gerichtsstände beruht weiterhin auf Notifikationen der Mitgliedstaaten. Sie wird jetzt jedoch als einfache Liste von der Kommission geführt und ist kein formeller Teil der Verordnung mehr, auch nicht in Gestalt eines Anhangs. Sie ist nochmals eine Stufe weniger förmlich und damit informeller geworden.
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Die EU-amtliche, von der Kommission veröffentlichte Liste der exorbitanten Gerichtsstände lautet:28 „Liste 1 Innerstaatliche Zuständigkeitsvorschriften im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 und Artikel 6 Absatz 2: – in Belgien: entfällt; – in Bulgarien: Artikel 4 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzbuches über Internationales Privatrecht; – in der Tschechischen Republik: Gesetz Nr. 91/2012 über Internationales Privatrecht, insbesondere Artikel 6; – in Dänemark: Artikel 246 Absätze 2 und 3 des Rechtspflegegesetzes; – in Deutschland: § 23 der Zivilprozessordnung; – in Estland: Artikel 86 (Zuständigkeit an dem Ort, an dem sich das Eigentum befindet) der Zivilprozessordnung, soweit die Klage nicht an das Eigentum der Person geknüpft ist; Artikel 100 (Antrag auf Beendigung der Anwendung von Standardbedingungen) der Zivilprozessordnung, soweit die Klage bei dem Gericht einzureichen ist, in dessen örtlicher Zuständigkeit die Standardklausel angewandt wurde;
18 Zustimmend Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 4. 19 Siehe nur Bericht Jenard, ABl. EWG 1979 C 59/1, 13; GA Darmon, Schlussanträge in der Rs. C-318/92 vom 16.6.1993, EuGHE 1994 I4276 Rz. 10, 20. 20 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2. 21 EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi Reinsurance Co SA vs. Universal General Insurance Co (UGIC), EuGHE 2000 I 5925, 5956 Rz. 50. 22 Fernández Arroyo, FS Jayme (2004) 169, 173; Schütze, FS Gottwald (2014) 585 (585). 23 Schlosser, Riv. dir. int. 1991, 1, 5. 24 Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 3. Indes könnte Art. 767 Rv, das forum arresti, dem Vorrang der Brüssel Ia-VO fallen; Schim, WPNR 7230 (201) 211, 212 (allerdings ohne Art. 35 Brüssel Ia-VO einzubeziehen). 25 Siehe nur LG Aachen, IPRspr. 2012 Nr. 192 S. 435. 26 ErwGr. 29 Brüssel I-VO; Kropholler/von Hein, Art. 3 EuGVVO Rz. 3; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 2. 27 Siehe nur Kengyel, Magyar Jog 1999, 329, 334 f.; Vékás, (2002) 4 Eur. J. L. Reform 135, 137. 28 Ausweislich Informationen gem. Art. 76 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2015 C 4/2.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 5 Brüssel Ia-VO
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in Griechenland: Artikel 40 der Zivilprozessordnung; in Spanien: entfällt; in Frankreich: Artikel 14 und 15 des Zivilgesetzbuches; in Kroatien: Artikel 54 des Gesetzes über die Lösung von Kollisionen mit Vorschriften anderer Länder in bestimmten Beziehungen; – in Irland: Vorschriften, nach denen die Zuständigkeit durch Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Beklagten während dessen vorübergehender Anwesenheit in Irland begründet wird; – in Italien: Artikel 3 und 4 des Gesetzes Nr. 218 vom 31. Mai 1995; – in Zypern: Artikel 21 des Gerichtsgesetzes (Gesetz Nr. 14/60); – in Lettland: Artikel 27 Absatz 2, Artikel 28 Absätze 3, 5, 6 und 9 des Zivilprozessgesetzes; – in Litauen: Artikel 783 Absatz 3, Artikel 787, Artikel 789 Absatz 3 der Zivilprozessordnung; – in Luxemburg: Artikel 14 und 15 des Zivilgesetzbuches; – in Ungarn: Artikel 57 Buchstabe a der Gesetzesverordnung Nr. 13 von 1979 über Internationales Privatrecht; – in Malta: Artikel 742, 743 und 744 der Gerichtsverfassungs- und Zivilprozessordnung (Kapitel 12 der maltesischen Gesetze) und Artikel 549 des Handelsgesetzbuchs (Kapitel 13 der maltesischen Gesetze); – in den Niederlanden: entfällt; – in Österreich: § 99 der Jurisdiktionsnorm; – in Polen: Artikel 1103 Absatz 4 der Zivilprozessordnung und Artikel 1110 der Zivilprozessordnung, sofern diese die Zuständigkeit ausschließlich aufgrund eines der folgenden Kriterien bestimmen: Der Kläger besitzt die polnische Staatsbürgerschaft, hat seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in Polen; – in Portugal: Artikel 63 Absatz 1 der Zivilprozessordnung, soweit er die extraterritoriale gerichtliche Zuständigkeit vorsieht, z.B. die Zuständigkeit des Gerichts am Sitz der Zweigniederlassung, der Agentur, des Amtes, der Delegation oder der Vertretung (sofern diese sich in Portugal befindet), wenn der Antrag der Hauptverwaltung zugestellt werden soll (sofern diese sich im Ausland befindet), und Artikel 10 der Arbeitsprozessordnung, soweit er die extraterritoriale gerichtliche Zuständigkeit vorsieht, beispielsweise die Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Antragstellers in einem Verfahren, das ein Arbeitnehmer wegen eines Arbeitsvertrags gegen einen Arbeitgeber angestrengt hat; – in Rumänien: Artikel 1065–1081 unter Titel I „Internationale Zuständigkeit der rumänischen Gerichte“ in Buch VII „Internationales Zivilverfahren“ des Gesetzes Nr. 134/2010 über die Zivilprozessordnung; – in Slowenien: Art. 58 des Gesetzes über Internationales Privat- und Zivilprozessrecht; – in der Slowakei: § 37 bis § 37e des Gesetzes Nr. 97/1963 über Internationales Privatrecht und die entsprechenden Verfahrensvorschriften; – in Finnland: Kapitel 10 § 18 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 der Prozessordnung; – in Schweden: Kapitel 10 § 3 Satz 1 der Prozessordnung; – im Vereinigten Königreich: a) die Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Beklagten während dessen vorübergehender Anwesenheit im Vereinigten Königreich; b) das Vorhandensein von Vermögenswerten des Beklagten im Vereinigten Königreich; c) die Beschlagnahme von Vermögenswerten im Vereinigten Königreich durch den Kläger. Dieselben Grundsätze gelten für Gibraltar.“ Abs. 2 hat nur deklaratorischen und verstärkenden Charakter, da sich die Unanwendbarkeit nationalen Zuständigkeitsrechts eigentlich bereits aus Abs. 1 einerseits und aus Verfassungsrecht sowie Men-
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Art. 6 Brüssel Ia-VO Beklagte ohne Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schenrechten andererseits ergibt.29 Eigenständige Bedeutung hat Abs. 2 für die internationale Zuständigkeit ausnahmsweise im Rahmen des Art. 72 Brüssel Ia-VO.30 7
Die exorbitanten Gerichtsstände werden zuvörderst für die internationale Zuständigkeit geächtet und ausgeschlossen. Im Bereich der örtlichen Zuständigkeit bleiben sie dagegen grundsätzlich weiterhin anwendbar, namentlich wenn es unter Art. 6 Brüssel Ia-VO um dessen Ausfüllung geht.31 Die Ächtung gewinnt indes Gewicht, soweit die Gerichtsstände der Art. 5–21 Brüssel Ia-VO auch die örtliche Zuständigkeit bestimmen und den Mitgliedstaaten so die Kompetenz zu deren eigenständiger Ausfüllung nehmen.32 Auf der anderen Seite behalten Gerichtsstände, deren Anknüpfungstatsachen Abs. 2 als missliebig erachtet, für Adhäsionsverfahren über die Verweisung des Art. 7 Nr. 4 Brüssel IaVO auf das nationale Strafverfahrensrecht Bedeutung.33
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Art. 5 Brüssel Ia-VO ist eine Regelung nur für die direkte internationale Zuständigkeit.34 Er gilt nicht im Bereich der Anerkennung und Vollstreckung.35 Erlässt ein mitgliedstaatliches Gericht unerlaubterweise und unter Verstoß gegen Art. 5 Brüssel Ia-VO in einem exorbitanten Gerichtsstand des nationalen Rechts, so haben die Gerichte anderer Mitgliedstaaten die Entscheidung trotzdem anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO untersagt eine generelle Überprüfung der indirekten Anerkennungszuständigkeit. Dieser Grundsatz wird nur von Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO und nur für die dort exklusiv und erschöpfend genannten Regelungen durchbrochen.
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Art. 5 Brüssel Ia-VO betrifft nur titelschaffende Erkenntnisverfahren und nur eigentliche Klagverfahren. Daher gilt er nicht im Bereich der Zwangsvollstreckung, also der bloßen Durchsetzung anderweitig begründeter Titel.36 § 828 Abs. 2 i.V.m. § 23 ZPO werden durch ihn nicht beschränkt.37
10
Art. 5 Brüssel Ia-VO besagt nur etwas über die Gerichtspflichtigkeit in Mitgliedstaaten. Über die Gerichtspflichtigkeit in Drittstaaten besagt er dagegen nichts. Drittstaaten bindet er nicht, und er hat keinen Einfluss auf das IZPR von Drittstaaten. Aus Art. 5 Brüssel Ia-VO ist auch nicht ein zwingender Charakter des Brüssel Ia-Regimes dergestalt abzuleiten, dass die Prorogation eines drittstaatlichen Gerichts verboten wäre.38
Artikel 6 [Beklagte ohne Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats] (1) Hat der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, so bestimmt sich vorbehaltlich des Artikels 18 Absatz 1, des Artikels 21 Absatz 2 und der Artikel 24 und 25 die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats nach dessen eigenem Recht.
29 Schlosser in Studi in onore di Vittorio Denti I (1994) 581; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 8. 30 Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 3 EuGVVO Rz. 3; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2; Geimer/Schütze/ Auer Art. 3 EuGVVO Rz. 5 (2005). 31 Kropholler in Max-Planck Institut (Hrsg.), Hdb. IZVR I Kap. III Rz. 330; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 3 EuGVVO Rz. 3 Fn. 6; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 1 sowie Schurig, FS Musielak (2004) 493, 496 Fn. 7. 32 Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 3 EuGVVO Rz. 4. 33 Geimer, IPRax 2002, 69, 74. 34 Ancel, Rev. crit. dip. 93 (2004) 442, 443 f. 35 Zumindest missverständlich Cass. civ., Rev. crit. dip. 93 (2004) 440, 441. 36 OLG Saarbrücken, IPRax 2001, 456, 457; A.-K. Bitter, Vollstreckbarerklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union (2009) 122 f. 37 A.-K. Bitter, Vollstreckbarerklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union (2009) 122 f. A.A. E. Jestaedt, IPRax 2001, 438, 440. 38 Siehe Winnetka Trading Corp v. Julius Bär International Ltd. [2009] 2 All ER (Comm) 735, 741–743 (Q.B.D., Norris J.).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 6 Brüssel Ia-VO
(2) Gegenüber einem Beklagten, der keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann sich unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit jede Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in diesem Mitgliedstaat auf die dort geltenden Zuständigkeitsvorschriften, insbesondere auf diejenigen, welche die Mitgliedstaaten der Kommission gemäß Artikel 76 Absatz 1 Buchstabe a notifizieren, wie ein Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats berufen. I. Nationales Zuständigkeitsrecht gegen Beklagte ohne Wohnsitz im EU-Gebiet 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reformdiskussion vor der Brüssel Ia-VO
. . . .
. . . .
. 1 . 1 . 11 . 14
4. Diskriminierung von Drittstaatern über Anerkennungs- und Vollstreckungsgarantie zwischen den Mitgliedstaaten? . . . . . . . . . 24 II. Inländergleichbehandlung von Klägern mit Wohnsitz im Forumstaat . . . . . . . . . . . . 27
Schrifttum: Álvarez Armas, (Lack of) International Jurisdiction over Third-Country Polluters: A Trojan Horse to the EU’s Environmental Policy?, in: Bergé/Francq/Gardeñes Santiago (Hrsg.), Boundaries of European Private International Law (2015) 283; Bernard Audit, Le critère d’application des conventions judiciaires multilatérales, in: Mélanges Paul Lagarde (2005) 19; Bidell, Die Erstreckung der Zuständigkeiten der EuGVVO auf Drittstaatensachverhalte, 2014; Boetzkes, Die Konzernmutter als Mitarbeitgeberin im französischen Recht (2015); Bonomi, Sull’opportunità e le possibili modalità di una regolamentazione comunitaria della competenza giurisdizionale applicabile erga omnes, Riv. dir. int. priv. proc. 2007, 313; Borrás, La aplicación del Regolamento de Bruselas I a domiciliados en terceros Estados: los trabajos del Groupo Europeo de Derecho Internacional Privado, AEDIPr 2010, 797; Borrás, The Application of the Brussels I Regulation to Defendants Domiciled in Third States: From the EGPIL Proposal to the Commission Proposal, in: Lein (Hrsg.), The Brussels I Review Proposal Uncovered (2012) 57; Borrás, Application of the Brussels I Regulation to External Situations: From Studies Carried out by the European Group of Private International Law (ECPIL/GEDIP) to the Proposal for the Revision of the Regulation, YB PIL 12 (2010) 333; Boschiero, Las reglas de competencia judicial e Unión Europea en el espacio jurídico internacional, AEDIPr 2009, 35; Boschiero, Il funzionamento del regolamento Bruxelles I nell’ordinamento internazionale: note sulle modifiche contenute nella porposta di rifusione del 2011, Dir. comm. int. 2012, 271; Buhr, Europäischer Justizraum und revidiertes Lugano-Übereinkommen (2010); Buhr, Zur Funktionsweise der Brüssel I-Verordnung im internationalen Rechtssystem, in: Bonomi/Christina Schmid (Hrsg.), Die Revision der Verordnung 44/2001 (Brüssel I) – Welche Folgen für das Lugano-Übereinkommen? (2010) 11; Domej, Das Verhältnis nach „außen“: Europäische v. Drittstaatensachverhalte, in: von Hein/Giesela Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 90; Fallon, L’applicabilité du règlement Bruxelles I aux situations externes après l’avis 1/03, Liber amicorum Hélène Gaudemet-Tallon (2008) 241; Fallon, Le domaine spatial d’un code européen de droit international privé – Émergence et modalité de règles de caractère universel, in: Fallon/Lagarde/Poillot-Perruzzetto (dir), Quelle architecture pour un code européen de droit international privé (2011) 137; Fallon/Kruger, The Spatial Scope of the EU’s Rules on Jurisdiction and Enforcement of Judgments: From Bilateral Modus to Unilateral Universality, YB PIL 14 (2012/13) 1; Franzina, L’universalisation partielle du régime européen de la compétence en matière civile et commerciale dans le règlement Bruxelles I bis: une mise en perspective, in: E Guinchard (dir), Le nouveau règlement Bruxelles I bis (2014) 39; Furrer, The Brussels I Review Proposal: Challenges for the Lugano Convention?, in: Lein (Hrsg.), The Brussels I Review Proposal Uncovered (2012) 165; Gaudemet-Tallon, De quelques aspects de la concentration des contentieux en droit communautaire: les litiges impliquant des juridictions d’États tiers, in: Mélanges en l’honneur de Serge Guinchard (2010) 465; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts (2000); Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts – Eine Never-Ending-Story?, ZVR-Jb 2010, 79; Hau, Gegenwartsprobleme internationaler Zuständigkeit, FS Bernd von Hoffmann (2011) 617; Hau, Neues zum Verhältnis zwischen dem Europäischen Zivilprozessrecht und dem einzelstaatlichen Recht – die Bestimmungen der EuGVVO 2012 zur Zuständigkeit für Klagen gegen Parteien mit Wohnsitz in Drittstaaten und zur Beachtung der Rechtshängigkeit in Drittstaaten, FS Eberhard Schilken (2015) 353; Ibili, Toepassing van de EEX-bevoegheitsregels op verweerders uit derde landen: naar een universeel formeel toepassingsgebied, WPNR 6892 (2011) 533; Jayme, Das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen und die Drittländer – Das Beispiel Österreich, in: Schwind (Hrsg.), Europarecht, IPR, Rechtsvergleichung (1988) 97; Kropholler, Problematische Schranken der europäischen Zuständigkeitsordnung gegenüber Drittstaaten, in: FS Murad Ferid zum 80. Geb. (1988) 239; Kruger, Wanneer is een zaak „internationaal“ vor het Europese IPR?, T.B.H. 2006, 941, Kruger, Civil Jurisdiction Rules of the European Union and Their Impact on Third States (2008); Leipold, Neues zum Verhältnis zwischen dem Europäischen Zivilprozessrecht und dem einzelstaatlichen Recht – die Bestimmungen der EuGVVO 2012 zur Zuständigkeit für Klagen gegen Parteien mit Wohnsitz in Drittstaaten und zur Beachtung der Rechtshängigkeit in Drittstaaten, FS Eberhard Schilken (2015) 353; Lobach, Internationale Zuständigkeit der Gerichte am Erfüllungsort des Beförderungsvertrags für Ausgleichsansprüche des Fluggasts aus der Fluggastrechte-VO gegen einen vertragsfremden Teilstreckenbeförderer, IPRax 2019, 391; Luzzatto, On the Proposed Application of Jurisdictional
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Art. 6 Brüssel Ia-VO Beklagte ohne Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats Criteria of Brussels I Regulation on Non-Domiciled Defendants, in: Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (Padova 2012) 111; Markus, Harmonisation of the EU Rules of Jurisdiction Regarding Defendants Outside the EU – What About the Lugano Countries? in: Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (Padova 2012) 123; Nuyts, Study on residual jurisdiction, 3 September 2007, http:ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/ civil/studies/doc/study_residual_jurisdiction.en; Nuyts/Watté (Hrsg.), International Civil Litigation in Europe an Relations with Third States (Bruxelles 2005), Pataut, Qu’est-ce qu’un litige „intracommunautaire“? – Réflexions autour de l’article 4 du Règlement Bruxelles I, in: Études offertes à Jacques Normand (2003) 365; Pataut, L’espace judiciaire européen: un espace cohérent?, in: Leroyer/Jeuland (Hrsg.), Quelle cohérence pour l’espace judiciaire européen? (2004) 31; Pellegrini, The Boundaries of Private International Law: State of European and American Exorbitant Jurisdiction Rules, in: Bergé/Francq/Gardeñes Santiago (Hrsg.), Boundaries of European Private International Law (2015) 335; Pocar, Faut-il replacer le renvoi au droit national par des règles uniformes dans l’article 4 du Règlement n° 44/2001?, Liber amicorum Hélène Gaudemet-Tallon (2008) 573; Pocar, Révision de Bruxelles I et ordre juridique international: quelle approche uniforme?, Riv. dir. int. priv. proc. 2011, 591; Schlosser, Das internationale Zivilprozessrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Österreich, in: FS Winfried Kralik (1986) 287; Schlosser, Unzulässige Diskriminierung nach Bestehen oder Fehlen eines EG-Wohnsitzes im europäischen Zivilprozessrecht, FS Andreas Heldrich (2005) 1007; Ansgar Staudinger, Europäisierung des § 29 ZPO, JR 2012, 47; Takahashi, Review of the Brussels I Regulation: A Comment from the Perspective of Non-Member States (Third States), (2012) 8 JPrIL 1; de Vareilles-Sommières, La compétence internationale de l’espace judiciaire européen, Liber amicorum Hélène Gaudemet-Tallon (2008) 397; Johannes Weber, Universal Jurisdiction and Third States in the Reform of the Brussels I Regulation, RabelsZ 75 (2011) 619; Weitz, Die geplante Erstreckung der Zuständigkeitsordnung der Brüssel I-Verordnung auf drittstaatsansässige Beklagte, FS Daphne-Ariane Simotta (2012) 679.
I. Nationales Zuständigkeitsrecht gegen Beklagte ohne Wohnsitz im EU-Gebiet 1. Grundsätzliches 1
Abs. 1 überlässt den in einem Drittstaat ansässigen Beklagten grundsätzlich den nationalen Zuständigkeitsregeln des Forumstaates. Dies gilt selbst dann, wenn ein Anknüpfungspunkt für einen besonderen Gerichtsstand des Art. 7 Brüssel Ia-VO bei isolierter Betrachtung gegeben wäre.1 Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO muss erfüllt sein, damit man überhaupt zur Prüfung besonderer Gerichtsstände aus der Brüssel Ia-VO schreiten kann.2 Gegen einen Beklagten mit Wohnsitz in einem Drittstaat steht weder der Erfüllungsortgerichtsstand aus Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO noch der Tatortgerichtsstand aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zur Verfügung.3
2
Zu den nationalen Zuständigkeitsregeln zählen bei Wohnsitz bzw. Sitz des Beklagten in einem LugÜbk 2007-Mitgliedstaat gemäß ihrem eigenen Vorranganspruch auch das LugÜbk 2007 (s. insbesondere Art. 64 Abs. 2 lit. a LugÜbk 2007),4 bei Wohnsitz bzw. Sitz des Beklagten Dänemark auch das Brüssel I EU-DK Abk und vormals das EuGVÜ. Besondere Bedeutung hat Abs. 1, weil er als Ausnahme zu Art. 5 Abs. 2 Brüssel Ia-VO die Anwendung auch der exorbitanten Zuständigkeiten aus den nationalen Prozessrechten zulässt.5 Abs. 1 enthält keine eigene positive Gerichtsstandsregel, sondern erklärt die Unanwendbarkeit des unionsrechtlichen Gerichtsstandsregimes aus der Brüssel Ia-VO vorbehaltlich der explizit aufgelisteten Ausnahmen.6
3
Die nationalen Prozessrechte sind grundsätzlich frei, welche Zuständigkeiten sie gegen Drittstaatsansässige eröffnen. Das einschränkende Regime der Art. 4, 7, 8 Brüssel Ia-VO kommt diesen nicht zugute. Insbesondere können gegen drittstaatliche Beklagte eben die in Art. 5 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ausgeschlossenen exorbitanten Gerichtsstände bestehen. Ein deutsches Gericht kann z.B. für die Klage gegen einen in den USA ansässigen Beklagten die internationale Zuständigkeit auch auf § 23 ZPO stützen.7 Das nationale Recht entscheidet auch, inwieweit seine Gerichtsstände derogationsfest sind
1 2 3 4 5
Siehe nur Lobach, IPRax 2019, 391, 393 f. Siehe nur Lobach, IPRax 2019, 391, 394. Siehe nur östOGH v. 25.1.2019 – 8 Nc 24/18y sub 3. Beispielsfall: BGH, IPRax 2008, 344, 345. Siehe nur Schlosser, FS Kralik (1986) 287, 291 f.; Geimer/Schütze/S. Auer, Rz. 7 (2005); vgl. auch EuGH v. 21.6.2012 – C-514/10, ECLI:EU:C:2012:367 Rz. 28 – Wolf Naturprodukte GmbH vs. SEWAR spol s r.o. 6 Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 1. 7 BGH, NJW-RR 1988, 173.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 6 Brüssel Ia-VO
und sich gegen eine etwaige Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines drittstaatlichen Gerichts durchsetzen.8 Abs. 1 enthält weder eine Erweiterung noch eine Einschränkung für die Gerichtsstände des nationalen Rechts.9 Die Tatbestände des nationalen Rechts kommen in der Ausprägung durch das nationale Recht zur Anwendung.10 Spezialabkommen, denen der Forumstaat angehört, gehen nach Art. 71 Brüssel Ia-VO oder Art. 73 Abs. 3 Brüssel Ia-VO auch Abs. 1 vor. Im Rahmen des nationalen Rechts sind auch Art. 8 EMRK und eventuelle Fairnessgebote aus dem nationalen Verfassungsrecht zu beachten;11 auch insoweit ist aus der Brüssel Ia-VO heraus auf das nationale Recht verwiesen. Art. 18 AEUV steht allerdings nicht entgegen, denn dieser kommt außerhalb der EU ansässigen Drittstaatern nicht zugute.12 Abs. 1 führt also zu einer Quasi-Vergemeinschaftung der nationalen exorbitanten Gerichtsstände als Teil des Gesamtsystems.13 Über ihn halten namentlich Heimatgerichtsstände für eigene Staatsangehörige wie Art. 14; 15 Code civil in Frankreich Einzug bei Klagen gegen Drittstaatsansässige.14
4
Eine Einschränkung besteht aus dem Grundzusammenhang des Unionsrechts: Zwar verweist Abs. 1 grundsätzlich auf die nationalen Regeln des Forumstaates über die internationale Zuständigkeit.15 Das nationale Recht muss aber nach dem Äquivalenz- und dem Effektivitätsgrundsatz trotzdem den effet utile etwaiger einschlägiger Vorschriften aus anderen Teilen des Unionsrechts beachten, z.B. des Art. 3 Abs. 1 lit. a FluggastrechteVO16.17
5
Außerdem steht es dem nationalen Recht frei, sich seinerseits inhaltlich bei der Ausgestaltung seiner Gerichtsstände an die Brüssel Ia-VO anzulehnen. Das nationale Recht kann die Brüssel Ia-Ausstrahlungswirkung entfalten lassen.18 Tut es dies, so nivellieren sich Unterschiede, je nachdem ob unionales oder europäisches Zuständigkeitsrecht anwendbar ist. In Deutschland wird richterrechtlich § 29 ZPO an früher Art. 5 Nr. 1 lit. a Brüssel I-VO, heute Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO angelehnt19 und § 32 ZPO an früher Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bzw. Brüssel Ia-VO, heute Art. 7 Nr. 2.20 Außerdem übernimmt § 21 ZPO den Niederlassungsbegriff des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO und § 38 Abs. 2 ZPO den Schriftlichkeitsbegriff bei Gerichtsstandsvereinbarungen, wie er inzwischen in Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1 Brüssel Ia-VO zu finden ist.
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Abs. 1 erfasst auch die seltenen Fälle, in denen der Beklagte zwar in einem Mitgliedstaat lebt, aber nach dessen wegen Art. 62 Brüssel Ia-VO entscheidendem nationalem Recht dort keinen Wohnsitz
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8 Vgl. Cass. soc., JCP S 2019.1016 = JCP S N° 3, 22 janvier 2019, 39 m. Anm. Brissy. 9 Siehe nur Hof ’s-Gravenhage, NIPR 2008 Nr. 115 S. 198; Rb. Arnhem, NIPR 2003 Nr. 285 S. 441. 10 Siehe z.B. CA Rouen, DMF 2008, 1011, 1015 m. Anm. Bonassies oder die Kombination von Inländerklägergerichtsstand aus Art. 14 Code civil und nationaler forum non conveniens-Doktrin in CA Paris JCP G 2008 II 10115 m. Anm. Bruneau = D. 2008, 1452 m. Anm. Courbe. 11 Schlosser, FS Heldrich (2005) 1007, 1009 f. 12 Schlosser, Studi in onore di Vittorio Denti I (1994) 581, 598 f. 13 Borrás, YbPIL 8 (2006) 37, 45. 14 Siehe nur Mansel, FS Klaus-Peter Schroeder (2017) 455, 474; Laval, Clunet 146 (2019) 792, 793. 15 Siehe nur EuGH v. 7.3.2018 – verb. Rs. C-274/16, C-447/16 u. C-448/16, ECLI:EU:C:2018:160 Rz. 53 – flightright GmbH/Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterraneo SA; Roland Becker vs. Hainan Airlines Co. Ltd.; Mohamed Barkan, Souad Asbai, Assia Barkan, Zakaria Barkan, Nousaiba Barkan vs. Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterraneo; GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 28.11.2012 in C-645/11, ECLI:EU:C:2012:757 Rz. 111; GA Bobek, Schlussanträge v. 19.10.2017 in den verb. Rs. C-274/16, C-447/16 u. C-448/16, ECLI:EU: C:2017:787 Rz. 89–91. 16 VO (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der VO (EWG) Nr. 295/91, ABl. EG 2004 L 46/1. 17 GA Bobek, Schlussanträge v. 19.10.2017 in den verb. Rs. C-274/16, C-447/16 u. C-448/16, ECLI:EU:C:2017: 787 Nr. 95–97; Mankowski, TranspR 2018, 221, 222; s. auch AG Frankfurt/M., BeckRS 2017, 119020; Maruhn in BeckOK FluggastrechteVO, 6. Ed 1.4.2018, Art. 7 FluggastrechteVO Rz. 68. 18 A. Staudinger, JR 2012, 47; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 16. 19 BGH, JR 2012, 67. 20 BGH, NJW 1996, 1411, 1413; BGH v. 10.12.2002 – X ARZ 208/02, NJW 2003, 828, 830.
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Art. 6 Brüssel Ia-VO Beklagte ohne Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat; er setzt also nicht positiv voraus, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Drittstaat hat.21 Vielmehr ist er umgekehrt dann nicht anwendbar, wenn der Beklagte positiv feststellbar einen Sitz oder Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat.22 Außerdem greift Abs. 1 grundsätzlich nicht, wenn der Wohnsitz des Beklagten unbekannt ist.23 Hat der Beklagte nach Maßgabe der über Art. 62 Brüssel IaVO verwiesenen nationalen Rechte oder als nicht-natürliche Person nach Art. 63 Brüssel Ia-VO mehrere Wohnsitze, so ist Abs. 1 schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur einer dieser Wohnsitze im EU-Gebiet liegt.24 Dies hat Bedeutung insbesondere für Scheinauslandsgesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Inland und Satzungssitz in einem Drittstaat.25 Wird ein Drittstaat als solcher verklagt (und wird die vorrangige Schleuse der Immunität passiert), so kommt Art. 6 Brüssel Ia-VO ebenfalls zur Anwendung.26 8
Der eigentliche Zweck des Abs. 1 liegt nicht darin, den nationalen Rechten Drittstaaterfälle zuzuweisen und diesen die Gestaltung freizugeben. Dies wäre eine bare Selbstverständlichkeit und würde sich mangels Regelung solcher Fälle in der Brüssel Ia-VO selber auch ergeben, wenn Abs. 1 nicht existierte. Vielmehr besteht der Zweck des Abs. 1 darin, sowohl die Litispendenzregeln der Art. 29–34 Brüssel Ia-VO als auch die Anerkennungsregeln der Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO für Drittstaaterfälle anwendbar zu machen, indem diese Fälle nicht vollständig aus dem Brüssel Ia-Regime ausgegrenzt, sondern über Abs. 1 als Teil des von der Brüssel Ia-VO insgesamt begründeten Regimes erfasst werden.27 Art. 6 Brüssel Ia-VO ist also wichtiger Bestandteil des Gesamtsystems.28 Er steht im größeren Kontext der externen Grenzen des Raums der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts.29
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Dafür zahlt man den Preis, die grundsätzliche Anwendbarkeit des Zuständigkeitsregimes von der Parteirollenverteilung abhängig zu machen.30 Im Extremfall hätte dies die Konsequenz, dass eine Leistungsklage eines Mitgliedstaatsansässigen gegen einen Drittstaatsansässigen nicht dem Brüssel Ia-Regime unterfällt, während die umgekehrte negative Feststellungsklage des Drittstaatsansässigen gegen den Mitgliedstaatsansässigen sehr wohl von der Brüssel Ia-VO erfasst wäre.
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Die Verweisung auf das nationale Recht kann allerdings eine weitere Komponente haben: Soweit das nationale Zuständigkeitsrecht bestimmte im EU-Raum herrschende Wertungen und Politiken nicht abbildet, kann sich das Paradox ergeben, dass zuständigkeitsrechtlich in Mitgliedstaaten Ansässige härter behandelt werden als Drittstaatsansässige. Kongruenzprobleme mögen sich etwa im Verhältnis zu Art. 191 AEUV bei der Zuständigkeit für Umweltverschmutzungen durch Drittstaatsansässige zeigen.31 Die unter der Brüssel I-VO noch bestehenden Inkongruenzen mit dem unionsrechtlichen Verbraucherschutz hat Art. 18 Abs. 1 Var. 2 Brüssel Ia-VO dagegen behoben. 21 Kropholler/von Hein, Rz. 1. 22 Wie hier Hess, § 6 Rz. 38. Anders Mansel/Thorn/R Wagner, IPRax 2013, 1, 18. Offen Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 7. 23 EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner, EuGHE 2011, I-11543 Rz. 42 f.; EuGH v. 15.3.2012 – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 Rz. 39 – G vs. Cornelius de Visser = EuZW 2012, 381 m. Anm. Bach. Näher Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 9–11 (Mankowski); Wieczorek/Schütze/ Gebauer, Rz. 8–10. A.A. Rb. Amsterdam, NIPR 2007 Nr. 307 S. 417. 24 OLG Stuttgart, NJOZ 2007, 716 = IPRspr. 2006 Nr. 136 S. 303; OLG Frankfurt v. 30.11.2007 – 14 UH 34/07, NJW-RR 2008, 633 f.; Kropholler/von Hein, Art. 4 EuGVVO Rz. 1; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 4 EuGVVO Rz. 3 (2005); Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 7; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 5. 25 OLG Frankfurt v. 30.11.2007 – 14 UH 34/07, NJW-RR 2008, 633 f. 26 Hof ’s-Gravenhage, NIPR 2007 Nr. 301 S. 408; Hof ’s-Gravenhage, NIPR 2007 Nr. 302 S. 410. 27 Jenard-Bericht Zu Art. 6 EuGVÜ; Pellis, Forum arresti (1993) 87 f.; Layton/Mercer, Rz. 14.020; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 4; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 4. 28 EuGH Gutachten 1/03 Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, EuGHE 2006 I 1145, 1205 Nr. 148; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 3. Zum Verhältnis der Rechtsakte des europäischen IZVR zu Drittstaaten eingehend Mankowski in Leible/Terhechte (Hrsg.), Europäisches Rechtsschutz- und Verfahrensrecht (Enzyklopädie Europarecht, Bd. 3; 2. Aufl. 2020) 1321-1381§ 33. 29 Zu diesem Kontext z.B. Labayle/Mehdi/Bergé, RTDEur 2014, 655; Bonifay/Collard/da Fonseca/da Lozzo/di Noto/Garbay/Marie Garcia/Labayle/Marchessaux/Morin, RTDEur 2014, 655; Berthelet/El Boustani/Fériel/Pradel/ Robert/Sánchez Rodríuez/Simon/Unen/Pitén, RTDEur 2014, 667. 30 Domej in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 90, 91.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 6 Brüssel Ia-VO
2. Ausnahmen Zwei Zuständigkeitsnormen der Brüssel Ia-VO bleiben nach ihrem eigenen Anspruch und Selbstver- 11 ständnis ausdrücklich vorbehalten und auch bei drittstaatsansässigem Beklagtem anwendbar: einerseits Art. 24 Brüssel Ia-VO, der nach seinen Eingangsworten ausdrücklich ohne Rücksicht auf den Wohnsitz reguliert und seine internationale Reichweite je tatbestandsspezifisch selber definiert,32 und andererseits die Prorogationsregelung des Art. 25 Brüssel Ia-VO, die eben nicht auf den Beklagtenwohnsitz abhebt, sondern nicht einmal mehr wie sein Vorgänger Art. 23 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO den Wohnsitz einer Partei in beliebiger Parteirolle im EU-Gebiet verlangt, vielmehr nur noch die Prorogation eines Forums in einem Mitgliedstaat. Art. 6 Brüssel Ia-VO ist also nicht anwendbar, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit z.B. eines französischen Gerichts prorogiert. Die Erwähnung des Art. 25 Brüssel Ia-VO ist eine formale, aber keine inhaltliche Änderung gegenüber Art. 4 Abs. 1 EuGVÜ.33 Insoweit macht Abs. 1 indes das Gesamtsystem der Zuständigkeitsregeln in der Brüssel Ia-VO transparenter und weist daraufhin, dass man nicht von einem monolithischen Block ausgehen darf, sondern zumindest für Art. 24 Brüssel Ia-VO und Art. 25 Brüssel Ia-VO deren internationale Anwendungsvoraussetzungen gesondert und nicht nach Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO prüfen muss.34 Allerdings ist jeweils das Klagziel zu beachten; so ist Art. 24 Nr. 4 Brüssel Ia-VO nicht einschlägig, wenn nur ein Verletzungsprozess anhängig gemacht wird, ohne dass die Unwirksamkeit des Schutzrechts Klaggegenstand wäre.35 Allerdings kann sich dies ändern, wenn man für die Vorfrage nach der Gültigkeit des Schutzrechts auf Einwand des Beklagten Art. 24 Nr. 4 Brüssel Ia-VO (wie der EuGH36) für einschlägig hält.37 Über Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO sind richtigerweise auch etwaige Pro- und Derogations beschränkungen aus Art. 15; 16; 19; 23 Brüssel Ia-VO in den Vorbehlt hineinzulesen.38 Art. 6 jedenfalls setzt als Vorprüfung mit negativem Ausgang voraus, dass Art. 24 Brüssel Ia-VO und Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht anwendbar sind.39 Art. 26 Brüssel Ia-VO wird dagegen in Art. 6 Brüssel Ia-VO nicht erwähnt. Wenn man Art. 26 Brüs- 12 sel Ia-VO nicht als Präklusionstatbestand begreifen will,40 sondern als stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung mit den internationalen Anwendungsvoraussetzungen des Art. 25 Brüssel IaVO,41 würde aber auch er eine Ausnahme begründen.42 Nur bei einem alternativen Verständnis als Präklusionstatbestand käme man in Deutschland über Art. 6 Brüssel Ia-VO zu § 39 ZPO.43 Die Lage bei den Schutzregimes ist differenziert (und differenzierter, als es der Wortlaut des Abs. 1 suggeriert). Jedenfalls eine Ausnahme zu Art. 6 Brüssel Ia-VO und eine Anwendung des Zuständigkeitsregimes der Brüssel Ia-VO begründen Art. 9 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, Art. 15 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, soweit ein Versicherer, Unternehmer oder Arbeitgeber mit Sitz in einem
31 Näher Álvarez Armas in Bergé/Francq/Gardeñes Santiago (Hrsg.), Boundaries of European Private International Law (2015) 283. 32 Siehe nur Kropholler, FS Ferid zum 80. Geb. (1988) 239, 241; Mankowski, EuZW 1996, 177 f. m.w.N. 33 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 2. 34 B. Audit, Mélanges Lagarde (2005) 19, 23. Praktisches Beispiel: Rb. ’s-Gravenhage, NIPR 2009 Nr. 40 S. 98. 35 BGH, IPRax 2008, 344, 345; Reichardt, IPRax 2008, 330, 331 f. 36 EuGH v. 13.7.2006 – C-4/03, ECLI:EU:C:2006:457 – GAT vs. LuK, EuGHE 2006, I 6509, 6531–6534 Rz. 21–31. 37 Reichardt, IPRax 2008, 330, 333. 38 Gsell, FS Dagmar Coester-Waltjen (2015) 403, 407 f. Anderer Ansicht Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1039 f. 39 Rb. Amsterdam, NIPR 2007 Nr. 307 S. 417. 40 Für ein Verständnis als Präklusionstatbestand S. Schulte-Beckhausen, Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im Europäischen Zivilprozessrecht (1994) 100–106; Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 379. 41 Eingehend zum Streitstand Rauscher/Staudinger, Art. 26 Rz. 4 ff., 12. 42 EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290 – Cˇeska podnikatelská pojisˇtóvna as u. Vienna Insurance Group vs. Michal Bílas, Slg. 2010, I-4545 Rz. 33; BGH v. 11.1.2018 – I ZR 187/16 = GRUR 2018, 832 Rz. 14 – Ballerinaschuh; Hess, § 6 Rz. 148; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 9; Musielak/Voit/A. Stadler, Art. 26 EuGVVO Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 14. 43 BGH v. 11.1.2018 – I ZR 187/16 = GRUR 2018, 832 Rz. 14 – Ballerinaschuh.
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Art. 6 Brüssel Ia-VO Beklagte ohne Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats Drittstaat eine mit dem konkreten Vertrag betraute Niederlassung im EU-Gebiet hat.44 Noch gewichtiger ist die – bereits im Wortlaut des Art. 6 Brüssel Ia-VO reflektierte – Erweiterung der interessanten Aktivgerichtsstände für Verbraucher und Arbeitnehmer.45 Art. 18 Abs. 1 Var. 2 Brüssel Ia-VO erstreckt das forum actoris des Verbrauchers an seinem eigenen Wohnsitz auf Klagen gegen Drittstaatsansässige. Art. 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO erlaubt dem Arbeitnehmer eine Klage gegen einen drittstaatsansässigen Arbeitgeber im Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes bzw. subsidiär der einstellenden Niederlassung. Er öffnet Art. 21 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO ausdrücklich für Klagen gegen Arbeitgeber mit Wohnsitz außerhalb der EU. In Versicherungssachen gibt es dagegen keine besondere Norm, welche das Regime auf Klagen gegen drittstaatsansässige Versicherer ohne Zweigniederlassung in der EU ausdehnen würde.46 Darin liegt ein Mangel an Konsequenz.47 Durch diese Lücke schlüpft z.B. § 215 Abs. 1 VVG.48 3. Reformdiskussion vor der Brüssel Ia-VO 14
Weitergehende Reformanstöße sind gescheitert. Sie zielten insbesondere darauf ab, die besonderen Gerichtsstände der Art. 5 Brüssel Ia-VO; Art. 6 Brüssel I-VO allesamt auf Klagen gegen Beklagte mit Wohnsitz in Drittstaaten auszudehnen, indem die Ankoppelung an das Wohnsitzerfordernis des allgemeinen Gerichtsstands entfallen sollte.49 Art. 4 Abs. 1 Brüssel I-VO lieferte einerseits den Beklagten exorbitanten Gerichtsständen des nationalen Rechts aus. Andererseits konnte ein in einem EU-Staat ansässiger Beklagter in stärkerem Umfang im EU-Ausland gerichtspflichtig sein als ein in einem Drittstaat ansässiger Beklagter, wenn das nationale Recht des Forumstaates z.B. keinen Erfüllungsortsgerichtsstand kennt. Insoweit drohte eine Privilegierung von Drittstaatsansässigen.50 Dies störte besonders, wenn es um Schutzregimes ging.51 Meist diskutierter Kandidat für eine Erstreckung, um Wertungsinkonsistenzen und insbesondere eine Privilegierung drittstaatsansässiger gegenüber mitgliedstaatsansässigen Beklagten zu vermeiden, war der vielen nationalen Rechten (z.B. dem deutschen) unbekannte Streitgenossenschaftsgerichtsstand des Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO.
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Um dem Herr zu werden, stand vordringlich52 die Anregung im Raum, zum einen die Differenzierung nach dem Beklagtenwohnsitz innerhalb oder außerhalb der EU aufzugeben und das gemeinschaftsrechtliche Regime auch gegen drittstaatsansässige Beklagte anzuwenden53 und zum anderen Art. 4 Abs. 1 Brüssel I-VO vollständig aufzuheben.
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Letzteres hätte den Vorteil gehabt, exorbitante Gerichtsstände schlechterdings auszuschließen und so jede Diskriminierung zu Lasten Drittstaatsansässiger zu beheben.54 Zugleich hätte es Unterschiede innerhalb des Binnenmarkts beseitigt.55 Man hätte nicht zwei (oder bei anderer Zählweise: ein europäi44 EuGH v. 15.9.1994 – C-318/93, ECLI:EU:C:1994:331 – Brenner & Noller vs. Dean Witter Reynolds, Inc – EuGHE 1994 I 4275, 4292 Rz. 18; Kropholler, FS Ferid zum 80. Geb. (1988) 239; Grolimund, Rz. 59; Layton/Mercer, Rz. 14.021; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 1; Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 2. 45 Siehe nur OLG Hamm v. 5.12.2018 – 8 U 50/17, NZG 2019, 232 Rz. 25. 46 Siehe nur von Hein, RIW 2013, 97, 103; A. Stadler/M Klöpfer, ZEuP 2014, 732, 753; Toro/Viggria, TVerz/Bull. Ass 2015, 395, 396, 400. 47 Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 440. 48 BGH v. 8.11.2017 – IV ZR 551/15, VersR 2018, 182; Mankowski, VersR 2018, 184; Makowsky, JR 2019, 196 (196). 49 ErwGr. 16, 17 Brüssel Ia-VO, Art. 5 Brüssel Ia-VO; 6 KOM (2010) 748 endg. S. 17 f., 26 f. 50 Siehe nur Pataut, Etudes offertes à Jacques Normand (2003) 365. 51 Pataut in Malatesta/Bariatti/Pocar (Hrsg.), The External Dimension of EC Private International Law in Family and Succession Matters (2008) 123, 127; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 7. 52 Zur Bandbreite denkbarer Lösungen konzise Heidelberg Report/Pfeiffer, Rz. 159–162. 53 European Group for Private International Law (Bergen Session, 21 September 2008), IPRax 2009, 283 sowie Nuyts, Study on residual jurisdiction, 3.9.2007, http:ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/civil/studies/doc/ study_residual_jurisdiction.en Rz. 147 f.; Kruger, Rz. 8.11; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 7 f.; Mankowski, 2010 IACPIL 1, 10. Skeptisch indes de Vareilles-Sommières, Liber amicorum Gaudemet-Tallon (2008) 397, 403 f. 54 Siehe nur Pocar, Liber amicorum Gaudemet-Tallon (2008) 573, 577 f.; Dickinson, YbPIL 12 (2010), 247, 272; d’Avout, D 2013, 1014, 1018; Pellegrini in Bergé/Francq/Gardeñes Santiago (Hrsg.), Boundaries of European Private International Law (2015) 335, 341.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 6 Brüssel Ia-VO
sches und 28 nationale) Regimes nebeneinander beibehalten.56 Abgrenzungsprobleme wären verschwunden,57 jedenfalls aber weniger geworden. Die Harmonisierung wäre vorangeschritten, und es hätte weniger Anreize zu forum shopping gegeben.58 Der Binnenmarkt wäre gefördert worden, indem Transaktionskosten gesunken wären und jede Notwendigkeit, Niederlassungen zu gründen, entfallen wäre.59 Man hätte eine Parallele zum universalistischen Ansatz der Art. 3 ff. EG-UnthVO und Art. 4 ff. EG-ErbVO gestaltet.60 Der heutige Art. 6 Brüssel Ia-VO bleibt in der Ausgrenzung von Drittstaatsbeklagten aus dem europäischen System hinter der Brüssel IIa-VO, der EG-UntVO, der EG-ErbVO, der EG-GüVO und der EG-PartVO zurück, obwohl die Brüssel Ia-VO eigentlich das „Flaggschiff“ ist.61 Auf der anderen Seite wäre man tief in das Territorium der nationalen Gesetzgebung eingedrungen und hätte dieser im Bereich der internationalen Zuständigkeit für Zivilsachen jede Bedeutung genommen.62 Jedwede Pflege nationaler Besonderheiten wäre entfallen.63 Zudem fürchteten wichtige Mitgliedstaaten um Prozessführungsvolumen für ihre Rechtsdienstleistungsindustrie.64
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Art. 5; 6 Vorschlag Brüssel Ia-VO ließen zwar das Wohnsitzerfordernis generell fallen, aber eine Ausnahme davon und das Wohnsitzerfordernis beibehalten wollte Art. 6 Nr. 1 Vorschlag Brüssel Ia-VO ausgerechnet beim Streitgenossenschaftsgerichtsstand. Den beiden vorgeschlagenen Schritten sollten nach Art. 25; 26 Vorschlag Brüssel Ia-VO ein Vermögensgerichtsstand und eine Notzuständigkeit zur Seite treten.
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Die weitgehenden Reformvorschläge sind letztlich am Widerstand der Mitgliedstaaten gescheitert, 19 die mit großer Mehrheit auf die Reste ihres nationalen IZPR nicht verzichten wollte und deshalb ein weiteres Vordringen des Unionsrechts auf Kosten ihrer nationalen Zuständigkeitsrechte ablehnten.65 Die Mitgliedstaaten wollten keine vollständige Übertragung der Kompetenz für Außenbeziehungen auf die EU.66 Sie bestritten, dass die EU einseitig ihr Zuständigkeitsrecht für Drittstaatensachverhalte modernisieren könne.67 Im Verhältnis zu Drittstaaten fehle es an dem wechselseitigen Vertrauen, dass hinter den Gerichtsständen und Gerichtsstandsgarantien (im Ausgrenzenden für den Beklagten und im Positiven für den Kläger) stehe.68 Art. 4 Abs. 1 Brüssel I-VO wurde ohne Änderungen zu Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Darin liegt eine deutliche politische Aussage.69 Auch der Vorschlag eines europäischen Vermögensgerichtsstands und eines europäischen Notgerichtsstands sind gescheitert, da sie anders denn als Teil des Reformpakets nicht legitimiert waren; ohne Erstreckung der Unionsregeln auf Drittstaatenfälle braucht es auch keine europäischen Subsidiärzuständigkeiten potentiell exorbitanten Zuschnitts.70 Genetisch verstärkt die Ablehnung der umfangreichen Reformvorschläge die äußere Legitimität der Verweisung auf das nationale IZPR der Mitgliedstaaten. Die große Neupositionierung des Brüsseler Regimes gegenüber Drittstaaten und die Vereinnahmung der Drittstaatensachverhalte durch das Unionsrecht haben nicht stattgefunden. Stattdessen wurde 55 Pocar, Liber amicorum Gaudemet-Tallon (2008) 573, 576; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 8 f.; Mankowski, 2010 IACPIL 1, 11; Nielsen, (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 513. 56 Pataut, Rev crit 102 (2013) 223, 229. 57 Geimer, FS Delle Karth (2013) 319, 327. 58 Hess, (2012) 49 C.M.L. Rev. 1075, 1105–1107. 59 Johannes Weber, RabelsZ 75 (2011) 619, 623–626, 643. 60 Geimer, FS Delle Karth (2013) 319, 328. 61 Domej in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 90, 93. 62 Nuyts, Study on residual jurisdiction, 3.9.2007, http:ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/civil/studies/doc/ study_residual_jurisdiction.en Rz. 148; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 8 f.; Mankowski, 2010 IACPIL 1, 11. 63 Siehe Takahashi, (2012) 8 JPrIL 1, 7. 64 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 266; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 522. 65 Nielsen, (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 513; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 4; Zilinsky, NIPR 2014, 3. 66 Nielsen, Nordic J Int L 83 (2014) 61, 64. 67 Ibili, WPNR 6892 (2011) 533. 68 Zilinsky, NIPR 2014, 3, 4. 69 Siehe d’Avout, D 2013, 1014, 1018. 70 Vgl. Silvestri, Riv. trim. dir. proc. civ. 2013, 677, 683.
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Art. 6 Brüssel Ia-VO Beklagte ohne Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats das hergebrachte Modell beibehalten und damit bekräftigt. Man muss jedenfalls bis zur nächsten Reform weiter mit der hergebrachten Spaltung zwischen zwei potentiell grundverschieden ausgestalteten Regimes leben.71 Transaktionskosten werden dadurch erhöht,72 und Drittstaatenbeklagte tragen ein höheres Risiko.73 21
Rechtspolitisch hat man dem dringendsten Bedarf außerhalb des Abs. 1 abgeholfen, indem der Klägergerichtsstand des Verbrauchers an seinem eigenen Wohnsitz aus Art. 18 Abs. 1 Var. 2 Brüssel IaVO und der Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung für den Arbeitnehmer kraft Art. 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO auch für Klagen gegen Unternehmer bzw. Verbraucher ohne Sitz und (Zweig-)Niederlassung in der EU gelten74 (allerdings ohne Parallele bei Klagen gegen drittstaatsansässige Versicherer75). Außerdem erstreckt sich das unionsrechtliche Prorogationsregime des Art. 25 Brüssel Ia-VO jetzt auch auf Gerichtsstandsvereinbarungen, bei denen alle Parteien nicht in Mitgliedstaaten ansässig sind.
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Man kann darin eine Restanz des grundsätzlicheren Ansatzes aus dem Vorschlag sehen.76 Denn die realisierte Lösung trägt deutliche Züge eines politisch induzierten Kompromisses.77 Sie birgt eine versteckte Gefahr für die Schutzpersonen, dass diese Zeit, Geld, Mühe und Nerven investieren, um Titel zu erstreiten, aus denen sie in der EU mangels EU-Vermögens des Beklagten nicht vollstrecken können, während ihnen im Heimatstaat des Beklagten die dortige Vollstreckbarerklärung versagt wird.78
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Nach seinem Wortlaut und seiner systematischer Stellung macht Abs. 1 eindeutig eine Ausnahme nur vom Zuständigkeitsregime der Brüssel Ia-VO. Dagegen hat er keinen Einfluss auf die Anwendung der übrigen Vorschriften jenseits des Zuständigkeitsregimes. Litispendenzkonflikten zwischen Verfahren in einem Mitgliedstaat und in einem Drittstaat wenden sich spezifisch Art. 33, 34 Brüssel Ia-VO zu, mit der Brüssel Ia-VO eingeführte Neuregeln. Art. 33 Brüssel Ia-VO widmet sich echten Verfahrenskollisionen, Art. 34 Brüssel Ia-VO befasst sich mit in Zusammenhang stehenden Verfahren. 4. Diskriminierung von Drittstaatern über Anerkennungs- und Vollstreckungsgarantie zwischen den Mitgliedstaaten?
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Von besonderer Bedeutung ist aber die uneingeschränkte Anwendung der Regeln über die Anerkennung und Vollstreckung. Sie differenzieren nicht nach der Herkunft des Zuständigkeitsgrundes, auf dessen Basis das erststaatliche Gericht seine Entscheidung gefällt hat. Ihnen kommt es grundsätzlich nur darauf an, dass das erststaatliche Gericht ein mitgliedstaatliches ist. Daher trifft alle EU-Mitgliedstaaten als Zweitstaaten die Pflicht, auch solche Entscheidungen gegen nicht EU-ansässige Beklagte anzuerkennen, bei denen sich das erststaatliche Gericht auf eine exorbitante Zuständigkeit seines nationalen Rechts gestützt hat.79
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Die Interessen Drittstaatsansässiger werden insoweit hintan gestellt. Abhilfe wäre durch eine Reduktion von Art. 45 Brüssel Ia-VO theoretisch möglich.80 Drittstaatsansässige gegenüber kombiniert die VO das für diese Schlechteste aus zwei Welten: die exorbitanten Gerichtsstände der nationalen Zuständigkeitsregimes und die nahezu unbeschränkte Urteilsfreizügigkeit innerhalb Europas. Die dage-
71 72 73 74 75 76 77 78 79 80
J. Weber, RabelsZ 75 (2011) 619, 624; d’Avout, D 2013, 1014, 1018; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 525. Hausmann in Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (2012) 3, 27. Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 524. d’Avout, D 2013, 1014, 1021; Silvestri, Riv. trim. dir. proc. civ. 2013, 677, 683; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 522. Rechtspolitisch kritisch dazu Geimer, FS Delle Karth (2013) 319, 328. Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 522 f. Markus, AJP 2014, 800, 809 sowie Zilinsky, NIPR 2014, 3, 4. Nielsen, (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 513; Deumier/Laazouzi/Treppoz, RDC 2013, 1037, 1044. Markus in Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (2012) 123, 125; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 523 f. Kropholler, FS Ferid zum 80. Geb. (1988) 239, 240 f.; Kropholler, BDGesVR 28 (1988) 105, 116; Schlosser, Rz. 1; Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 3. Schlosser, RabelsZ 47 (1983) 525, 529; Schlosser, FS Kralik (1986) 287, 293; Kropholler, BDGesVR 28 (1998) 105, 116 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
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gen erhobene Kritik, man verfahre inkohärent81 nach einer negativen Rosinentheorie, einer Krötentheorie82 unzivilisierten Charakters,83 basierend auf einer europäischen Wagenburgmentalität,84 ist rein rechtspolitischer Natur und kann sich nicht in einer restringierenden Auslegung der eindeutigen lex lata niederschlagen. Indes hat sich die Diskriminierung in der Praxis – entgegen Befürchtungen namentlich aus den USA85 – bisher noch nicht nennenswert ausgewirkt,86 wesentlich weil das diskriminierende Element nicht die Staatsangehörigkeit, sondern die Ansässigkeit ist.87
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Die Diskriminierung ist bereits rechtlich ausgeschlossen, soweit Art. 72 Brüssel Ia-VO greift und einzelne Mitgliedstaaten in der Vergangenheit mit Drittstaaten Verträge geschlossen haben, die sie zur Nichtanerkennung von Urteilen verpflichten, die in exorbitanten Gerichtsständen anderer Mitgliedstaaten ergangen sind.88 In der Praxis sind solche Verträge freilich extrem selten, und die einzigen relevanten Anwendungsfälle sind Verträge Großbritanniens mit Kanada und Australien.89
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II. Inländergleichbehandlung von Klägern mit Wohnsitz im Forumstaat Einige Prozessrechte privilegieren inländische Kläger, indem sie im Inland Klagenden besondere Zu- 27 ständigkeiten eröffnen, die ausländischen Klägern nicht offen stehen. Dies gilt namentlich für die Staatsangehörigkeitszuständigkeit des Art. 14 Code Civil in Frankreich. Abs. 2 bewirkt insoweit eine partielle Inländergleichbehandlung der Angehörigen anderer Staaten und der Staatenlosen,90 als er diesen die betreffenden Inländergerichtsstände eröffnet, wenn sie ihren Wohnsitz im Forumstaat haben. Er stellt also – jeweils betrachtet aus der Perspektive des Forumstaates – die Inlandsansässigkeit der inländischen Staatsangehörigkeit gleich. Dagegen lässt er weder die bloße Angehörigkeit zu einem anderen EU-Staat noch einen Wohnsitz im EU-Gebiet außerhalb des Forumstaates ausreichen.91 Im Gegenteil kommt es auf die Staatsangehörigkeit nicht an, so dass Abs. 2 auch im Forumstaat ansässigen Klägern zugutekommt, die Angehörige von Drittstaaten sind. Für die Ansässigkeit reicht jedoch eine bloße Niederlassung nicht aus, verlangt ist ein Wohnsitz. Im Ergebnis erlaubt und erzwingt Abs. 2 z.B., dass ein in Paris wohnhafter US-Amerikaner einen in den USA Ansässigen im Klägergerichtsstand für Franzosen nach Art. 14 Code civil in Frankreich verklagen kann.92 Insgesamt verstärkt Abs. 2 die betreffenden exorbitanten Gerichtsstände sogar noch zu Lasten drittstaatsansässiger Beklagter, indem er mittelbar auch in ihnen ergangenen Urteilen die Anerkennungsund Vollstreckungsgarantien für mitgliedstaatliche Urteile verleiht.93 Diese Drittstaaterdiskriminie81 Grolimund, JbZVR 2010, 79, 94 f.; J. Weber, RabelsZ 75 (2011) 619, 643; Domej in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 90, 99. 82 Gsell, ZZP 127 (2014), 431, 442. 83 Briggs/Rees, Rz. 7.04 f. 84 Hau, FS von Hoffmann (2011) 617, 621. 85 Insbesondere Nadelmann, 67 Columb. L. Rev. 995 (1967); Nadelmann, 82 Harv. L. Rev. 1282 (1969); Carl, 8 Int’l Lawyer 446 (1974); vMehren, Rec. des Cours 167 (1980 II) 9, 99; vMehren, 81 Columb. L. Rev. 1044, 1059 (1981); Juenger, Rev. crit. dip. 72 (1983) 37; Juenger, 82 Mich. L. Rev. 1211 (1984). 86 Schlosser, Rz. 1. Ansatzweise immerhin CA Paris, Rev. crit. dip. 83 (1994) 115; Cass. civ., Rev. crit. dip. 86 (1997) 97. 87 Herzog, Essays in Honor of Arthur T vMehren (2002) 83, 89. 88 Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 4. 89 Näher Art. 72 Rz. 1 mit Fn. 1. 90 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Rz. 6. 91 OLG Stuttgart v. 6.8.1990 – 5 U 77/89, IPRax 1991, 179 = RIW 1990, 829, 831; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994), Art. 4 EuGVÜ Rz. 10; Layton/Mercer, Rz. 14.022; Kropholler/von Hein, Art. 4 EuGVVO Rz. 4. 92 Magnus/Mankowski/Vlas, Rz. 5; Pellegrini, in Bergé/Francq/Gardeñes Santiago (Hrsg.), Boundaries of European Private International Law (2015) 335, 353; Geimer, FS Kropholler (2008) 777, 782 sowie Gaudemet-Tallon, no 95; Chaumette, DMF 2004, 1016, 1019. 93 Kropholler, FS Ferid zum 80. Geb. (1988) 239, 240; Stoll, BDGesVR 28 (1988) 152, 153 f.; Czernich, östAnwBl. 1996, 286; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 7; Schlosser, FS Heldrich (2005) 1007, 1008, 1011; Pellegrini in Bergé/Francq/Gardeñes Santiago (Hrsg.), Boundaries of European Private International Law (2015) 335, 353.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände rung ist aber nicht Ziel des Abs. 2, sondern nur (unschöner) Ausfluss einer auf Mitgliedstaaten beschränkten Regelungsintention.94 Auf der anderen Seite differenziert Abs. 2 für den Kläger nicht nach der Staatsangehörigkeit und eröffnet auch im Forumstaat ansässigen Drittstaatsangehörigen die exorbitanten Gerichtsstände.95 Insoweit geht Abs. 2 über Art. 18 AEUV (ex Art. 12 Abs. 1 EGV) hinaus und hat einen eigenen Sinngehalt.96 Allerdings liegt angesichts der prinzipiellen Ächtung der exorbitanten Gerichtsstände durch Art. 5 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eine gewisse Perversion darin, diese über Art. 6 Abs. 2 Brüssel Ia-VO in Teilbereichen sogar noch auszudehnen.97 Grenzen können sich hier wie allgemein gegen exorbitante Gerichtsstände aus Art. 8 EMRK oder nationalem Verfassungsrecht ergeben.98 29
Für Prozessrechte, die – wie das deutsche oder das englische – nicht nach in- und ausländischen Klägern differenzieren, kommt es von vornherein nicht darauf an, ob der Kläger seinerseits seinen Wohnsitz in der EU hat;99 auch ein außerhalb der EU ansässiger Kläger kann sich dort die extensiven und selbst die exorbitanten Zuständigkeiten der nationalen Rechte zunutze machen.100 Abs. 2 versperrt dies nicht.
Abschnitt 2 Besondere Zuständigkeiten
Artikel 7 [Besondere Gerichtsstände] Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden: 1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre; b) im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung – für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen; – für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen; c) ist Buchstabe b nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a; 2. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht; 3. wenn es sich um eine Klage auf Schadenersatz oder auf Wiederherstellung des früheren Zustands handelt, die auf eine mit Strafe bedrohte Handlung gestützt wird, vor dem Strafgericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben ist, soweit dieses Gericht nach seinem Recht über zivilrechtliche Ansprüche erkennen kann; 4. wenn es sich um einen auf Eigentum gestützten zivilrechtlichen Anspruch zur Wiedererlangung eines Kulturguts im Sinne des Artikels 1 Nummer 1 der Richtlinie 93/7/EWG handelt, 94 Siehr, FS Heldrich (2005) 1045, 1050. 95 Jayme in Schwind (Hrsg.), Europarecht, IPR, Rechtsvergleichung (1988) 97, 102 f.; Grolimund, Rz. 451; Geimer, FS Kropholler (2008) 777, 782; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 10. 96 Siehr, FS Heldrich (2005) 1045, 1050 f. Fn. 36. 97 Fallon, Mélanges Lagarde (2005) 241, 244 sowie Fernández Arroyo, FS Jayme (2004) 169, 173. 98 Schlosser, FS Heldrich (2005) 1007, 1011. 99 Zustimmend Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 11. 100 The „Po“ [1991] 2 Lloyd’s Rep. 206, 210 (C.A., per Lloyd L.J.).
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände rung ist aber nicht Ziel des Abs. 2, sondern nur (unschöner) Ausfluss einer auf Mitgliedstaaten beschränkten Regelungsintention.94 Auf der anderen Seite differenziert Abs. 2 für den Kläger nicht nach der Staatsangehörigkeit und eröffnet auch im Forumstaat ansässigen Drittstaatsangehörigen die exorbitanten Gerichtsstände.95 Insoweit geht Abs. 2 über Art. 18 AEUV (ex Art. 12 Abs. 1 EGV) hinaus und hat einen eigenen Sinngehalt.96 Allerdings liegt angesichts der prinzipiellen Ächtung der exorbitanten Gerichtsstände durch Art. 5 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eine gewisse Perversion darin, diese über Art. 6 Abs. 2 Brüssel Ia-VO in Teilbereichen sogar noch auszudehnen.97 Grenzen können sich hier wie allgemein gegen exorbitante Gerichtsstände aus Art. 8 EMRK oder nationalem Verfassungsrecht ergeben.98 29
Für Prozessrechte, die – wie das deutsche oder das englische – nicht nach in- und ausländischen Klägern differenzieren, kommt es von vornherein nicht darauf an, ob der Kläger seinerseits seinen Wohnsitz in der EU hat;99 auch ein außerhalb der EU ansässiger Kläger kann sich dort die extensiven und selbst die exorbitanten Zuständigkeiten der nationalen Rechte zunutze machen.100 Abs. 2 versperrt dies nicht.
Abschnitt 2 Besondere Zuständigkeiten
Artikel 7 [Besondere Gerichtsstände] Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden: 1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre; b) im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung – für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen; – für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen; c) ist Buchstabe b nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a; 2. wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht; 3. wenn es sich um eine Klage auf Schadenersatz oder auf Wiederherstellung des früheren Zustands handelt, die auf eine mit Strafe bedrohte Handlung gestützt wird, vor dem Strafgericht, bei dem die öffentliche Klage erhoben ist, soweit dieses Gericht nach seinem Recht über zivilrechtliche Ansprüche erkennen kann; 4. wenn es sich um einen auf Eigentum gestützten zivilrechtlichen Anspruch zur Wiedererlangung eines Kulturguts im Sinne des Artikels 1 Nummer 1 der Richtlinie 93/7/EWG handelt, 94 Siehr, FS Heldrich (2005) 1045, 1050. 95 Jayme in Schwind (Hrsg.), Europarecht, IPR, Rechtsvergleichung (1988) 97, 102 f.; Grolimund, Rz. 451; Geimer, FS Kropholler (2008) 777, 782; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 10. 96 Siehr, FS Heldrich (2005) 1045, 1050 f. Fn. 36. 97 Fallon, Mélanges Lagarde (2005) 241, 244 sowie Fernández Arroyo, FS Jayme (2004) 169, 173. 98 Schlosser, FS Heldrich (2005) 1007, 1011. 99 Zustimmend Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 11. 100 The „Po“ [1991] 2 Lloyd’s Rep. 206, 210 (C.A., per Lloyd L.J.).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
der von der Person geltend gemacht wurde, die das Recht auf Wiedererlangung eines solchen Gutes für sich in Anspruch nimmt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich das Kulturgut zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts befindet; 5. wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet; 6. wenn es sich um eine Klage gegen einen Begründer, Trustee oder Begünstigten eines Trust handelt, der aufgrund eines Gesetzes oder durch schriftlich vorgenommenes oder schriftlich bestätigtes Rechtsgeschäft errichtet worden ist, vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Trust seinen Sitz hat; 7. wenn es sich um eine Streitigkeit wegen der Zahlung von Berge- und Hilfslohn handelt, der für Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten gefordert wird, die zugunsten einer Ladung oder einer Frachtforderung erbracht worden sind, vor dem Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich diese Ladung oder die entsprechende Frachtforderung a) mit Arrest belegt worden ist, um die Zahlung zu gewährleisten, oder b) mit Arrest hätte belegt werden können, jedoch dafür eine Bürgschaft oder eine andere Sicherheit geleistet worden ist; diese Vorschrift ist nur anzuwenden, wenn behauptet wird, dass der Beklagte Rechte an der Ladung oder an der Frachtforderung hat oder zur Zeit der Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten hatte. I. 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . Fakultative Gerichtsstände . . . . Zweck der Vorschrift . . . . . . . Auslegung . . . . . . . . . . . . . . Örtliche Zuständigkeit . . . . . . Räumlicher Anwendungsbereich Reform und Perspektiven . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
. . . . . . .
1 1 2 3 4 5 6
II. Gerichtsstand des Erfüllungsorts (Nr. 1) . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkung auf Handelssachen? . . . c) Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . d) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . e) Prozessuale Besonderheiten . . . . . . . 2. Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . (1) Qualifikation nach der lex causae . (2) Übereinkommensautonome Qualifikation . . . . . . . . . . . . . (3) Europäisch-autonome Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Begriff des Vertrags . . . . . . . . . c) Der Begriff der Ansprüche aus einem Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einzelne vertragliche Ansprüche . . . . e) Ausgenommene Ansprüche . . . . . . . 3. Klagearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erfüllungsort und maßgebliche Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundregel: Erfüllungsort (lit. a) . . . . (1) Maßgebliche vertragliche Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vertragscharakteristische Pflicht oder konkret verletzte Pflicht? . . .
7 7 7 10 11 12 13 14 14 15 16 17 20 25 26 35 37 38 41 42 42
(b) Primär- oder Sekundärpflicht? . . . (c) Mehrere Verpflichtungen . . . . . . (2) Bestimmung des Erfüllungsorts nach der lex causae . . . . . . . . . (3) Rechtlicher und tatsächlicher Erfüllungsort . . . . . . . . . . . . . (4) Erfüllungsortvereinbarungen . . . . b) Kauf- und Dienstleistungsverträge (lit. b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kaufvertrag über bewegliche Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Dienstleistungsvertrag . . . . . . . . (3) Bestimmung des maßgeblichen Erfüllungsorts . . . . . . . . . . . . (a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . (b) Hol- und Bringschuld . . . . . . . . (c) Versendungskauf . . . . . . . . . . . (d) Bestimmung des Erfüllungsortes bei fehlender Vereinbarung und Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Mehrere Liefer- oder Leistungsorte (1) Erfüllungsort in einem Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erfüllungsortvereinbarungen . . . . c) Verweisung auf lit. a (lit. c) . . . . . . . 5. Anspruchskonkurrenz . . . . . . . . . . . III. Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltungsgrund . . . . . . . . . . . . b) Personenkreis . . . . . . . . . . . . . c) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . d) Prozessuale Besonderheiten . . . . . 2. Unerlaubte Handlung . . . . . . . . . . a) Qualifikation . . . . . . . . . . . . . b) Einzelne unerlaubte Handlungen . .
. . . . . . . . .
45 46 49 51 52 55 58 66 73 73 76 77 82 84 93 94 99 100
. . . . . . . . .
102 102 102 104 105 106 109 109 110
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände
3. 4.
IV. 1. 2. 3. 4. V. 1. 2. 3.
c) Ausgenommene Ansprüche . . . . . . . d) (Keine) Akzessorische Anknüpfung bei Anspruchskonkurrenz . . . . . . . . . . Klagearten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ort des schädigenden Ereignisses . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfolgsort . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Handlungsort . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit für Adhäsionsverfahren (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klagen vor einem Strafgericht . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrenz zu anderen Zuständigkeitsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtsstand für Kulturgüter (Nr. 4) . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI. Gerichtsstand der Niederlassung (Nr. 5) . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . .
112 113 114 117 117 121 134 143 143 144 146 148 149 149 150 151 152 152
2. Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Niederlassung kraft Rechtsscheins . . . c) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Betriebsbezogene Streitigkeit . . . . . . . 4. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gerichtsstand für trust-Klagen (Nr. 6) . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . a) trust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inanspruchnahme des Beklagten als settlor, trustee oder beneficiary . . . . 3. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Gerichtsstand für Berge- und Hilfslohn (Nr. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . .
155 156 157 158 161 162 163
. . . .
164 164 166 166
. .
168 169
. . . .
170 170 171 172
Schrifttum: 1. Zu Nr. 1: Afferni, The Qualification of Pre-Contractual Liability, ERCL 2005, 97; Bach, Was ist wo Vertrag und was wo nicht?, IHR 2010, 17; Bachmann, Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ: Wechselrechtliche Haftungsansprüche im Gerichtsstand des Erfüllungsorts?, IPRax 1997, 237; Bajons, Gerichtsstand des Erfüllungsortes, in: FS Reinhold Geimer (2002) 15; Beaumart, Haftung in Absatzketten im französischen Recht und im europäischen Zuständigkeitsrecht (1999); Berg, Autonome Bestimmung des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, NJW 2006, 3035; Bertoli, Criteri di giurisdizione e legge applicabile in tema di responsabilità precontractuale alla luce della sentenza Fonderie Meccaniche Tacconi, Riv. dir. int. priv proc 2003, 109; Brinkmann, Der Vertragsgerichtsstand bei Klagen aus Lizenzverträgen unter der EuGVVO, IPRax 2009, 487; Bruhns, Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung. Durchsetzung von Konzernhaftungsansprüchen bei grenzüberschreitenden Unternehmensverbindungen im Rahmen der EuGVVO unter besonderer Berücksichtigung des deutschen und französischen Konzernhaftungsrechts (2006); Brulez, De classificatie van overeenkomsten overeenkomstig art. 5 (1) van de Brussel I-Verordering, RW 2009–10, 1731; Buchwitz, Handelsklauseln und Erfüllungsort im materiellen Recht und IZVR, IHR 2013, 108; Castellanos Ruiz, Competencia judicial internacional sobre venta internacional: art. 5.1. del reglamento 44/2001, in: Calvo Caravaca/Carrascosa González (Hrsg.), Estudios sobre contratación internacional (2006) 105; Cavalier, La notion de contrat de fourniture de services en sens de Bruxelles I – A propos de I’arrêt Falco du 23 avril 2009 rendu par la CJCE, Revue Lamy droit des affaires 2009 n° 39, 57; Coester-Waltjen, Der Erfüllungsort im internationalen Zivilprozessrecht, in: FS Athanassios Kaissis (2012) 91; de Cristofaro, Il foro delle obbligazioni (1999); Czernich, Der Erfüllungsgerichtsstand im neuen Europäischen Zuständigkeitsrecht, WBl 2002, 337; Daniels, Mixed contracts under the Brussels Ia Regulation: searching for a „jurisdictional identity“, JPrIL 14 (2018), 532; Dostal, Zur internationalen Zuständigkeit aus grenzüberschreitenden Vertriebsverträgen, EuZW 2018, 944 und 983; Droz, Delendum est forum contractus?, D 1997 (Chron) 351; Dubiel, Der Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands im deutschen, europäischen und internationalen Zivilprozessrecht (2010); Duden, Der Erfüllungsgerichtsstand bei mehreren Leistungsorten: spezifischer Ortsbezug und planende Vorarbeit, IPRax 2019, 262; Dutta, Ein besonderer Gerichtsstand für die Geschäftsführung ohne Auftrag in Europa, IPRax 2011, 134; Eltzschig, Art. 5 Nr. 1b EuGVO: Ende oder Fortführung von forum actoris und Erfüllungsortbestimmung lege causae?, IPRax 2002, 491; Emde, Heimatgerichtsstand für Handelsvertreter und andere Vertriebsmittler?, RIW 2003, 505; Erdelbrock, The concept of place of delivery according to Article 5(1)(b) of the Brussels I Regulation in the case of distance selling, EuLF 2006, I-228; Fach Gómez, El reglamento 44/2001 y los contratos de agencia comercial internacional: aspectos jurisdiccionales, Rev. der. com. eur. 7 (2003), 181; Ferrari, Zur autonomen Auslegung der EuGVVO, insbesondere des Begriffs „Erfüllungsortes der Verpflichtung“ nach Art. 5 Nr. 1 lit. b, IPRax 2007, 61; Fogt, Gerichtsstand des Erfüllungsortes bei streitiger Existenz des Vertrages, Anwendbarkeit des CISG und alternative Vertragsschlussformen, IPRax 2001, 358; de Franceschi, Il locus solutionis nella disciplina comunitaria della competenza giurisdizionale, Contratto e impresa 2008, 637; de Franceschi, Compravendita internazionale di beni mobili con pluralità di luoghi di consegna, Int’l Lis 2007, 120; Franzina, Obligazioni di non fare e obligazioni eseguibili in piú luoghi nella convenzione di Bruxelles del 1968 nel regolamento (CE) 44/2001, Riv dir priv proc 2002, 391; Franzina, La Giurisdizione in Materia Contrattuale. L’art 5 n 1 del regolamento n 44/2001/CE nella
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
prospettiva della armonia delle decisioni (2006); Franzina, Struttura e funzionamento del foro europeo della materia contrattuale alla luce delle sentenze Car Trim e Wood Floor della Corte di Giustizia, Riv. dir. int. priv proc 2010, 655; Franzina/De Franceschi, Jurisdiction over sales contracts under the Brussels I regulation: the relevance of standard trade terms, IHR 2012, 137; Freitag, Internationale Zuständigkeit für Schadensersatzklagen aus Insolvenzverschleppungshaftung, ZIP 2014, 302; de Götzen, La licenza d’uso di diritti proprietà intellettuale nel regolamento Bruxelles I: Il caso Falco, Riv. dir. int. priv proc 2010, 383; Gottwald, Streitiger Vertragsschluß und Gerichtsstand des Erfüllungsortes, IPRax 1983, 13; Gregor, Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts beim Luftbeförderungsvertrag, IPRax 2008, 403; Gröning, Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung im internationalen Zivilverfahrensrecht. Zur internationalen Zuständigkeit nach Brüssel Ia-VO und EuInsVO (2019); Grundmann, Gerichtsstand und Erfüllungsort bei Scheckeinlösung unter Verstoß gegen die Sicherungsabrede, IPRax 2002, 136; Gsell, Autonom bestimmter Gerichtsstand am Erfüllungsort nach der Brüssel I-Verordnung, IPRax 2002, 484; Haas/Vogel, Zum Erfüllungsortsgerichtsstand nach Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO im europäischen Warenhandelsverkehr, NZG 2011, 766; Hackenberg, Der Erfüllungsort von Leistungspflichten unter Berücksichtigung des Wirkungsortes von Erklärungen im UN-Kaufrecht und der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht (2000); Hackl, Örtliche Zuständigkeit gemäß Art. 5 (1) und (3) des Brüsseler EG-Übereinkommens vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ZfRV 1985, 1; Hager/Bentele, Der Lieferort als Gerichtsstand – zur Auslegung des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO, IPRax 2004, 73; Harris, „Sale of Goods and the Relentless March of the Brussels I Regulation“, LQRev 123 (2007) 522; Hau, Der Vertragsgerichtsstand zwischen judizieller Konsolidierung und legislativer Neukonzeption, IPRax 2000, 354; Hau, Zum Vertragsgerichtsstand für Rückforderungsklagen nach Legalzession, IPRax 2006, 507; Hau, Die Kaufpreisklage des Verkäufers im reformierten europäischen Vertragsgerichtsstand – ein Heimspiel?, JZ 2008, 974; Hau, Gerichtsstandsvertrag und Vertragsgerichtsstand beim innereuropäischen Versendungsverkauf, IPRax 2009, 44; Hau, Zur internationalen Zuständigkeit für Streitigkeiten über (angebliche) Vertragshändlerverträge, ZVertriebsR 2014, 79; von Hein, Der europäische Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO) bei einem unentgeltlichen Beratungsvertrag, IPRax 2013, 54; Henk, Die Haftung für culpa in contrahendo im IPR und IZVR (2007); Henrich, Der Vertrags- und Deliktsgerichtsstand der EuGVVO nach der Rechtsprechung des EuGH und deren Auswirkungen auf die Kognitionsbefugnis und das anwendbare Recht, GPR 2018, 232; Hertz, Jurisdiction in Contract and Tort under the Brussels Convention (1998); Heuzé, De quelques infirmités congénitales du droit uniforme: l’exemple de l’article 5.1 de la Convention de Bruxelles du 27 septembre 1968, Rev. crit. dip. 2000, 595; Hill, Jurisdiction in Matters Relating to a Contract under the Brussels Convention, ICLQ 1995, 591; Hoffmann, Die Gerichtsstände der EuGVVO zwischen Vertrag und Delikt, ZZP 128 (2013), 465; Huber, Auf ein Neues: Vertrag und Delikt im europäischen I(Z)PR, IPRax 2017, 356; Huber-Mumelter/Mumelter, Mehrere Erfüllungsorte beim forum solutionis: Plädoyer für eine subsidiäre Zuständigkeit am Sitz des vertragscharakteristisch Leistenden, JBl 2008, 561; Ignatova, Art. 5 Nr. 1 EuGVO – Chancen und Perspektiven der Reform des Gerichtsstands am Erfüllungsort (2005); Jiménez Blanco, La aplicación del foro contractual del Reglamento Bruselas I a los contratos de transporte aéreo de pasajeros, La Ley n 7294 v. 30.11.2009, 1; Junker, Der Gerichtsstand für internationale Verträge nach der Brüssel I-Verordnung im Licht der neueren EuGH-Rechtsprechung, in: FS Dieter Martiny (2014) 761; Kadner, Gerichtsstand des Erfüllungsortes im EuGVÜ, Jura 1997, 240; Kadner-Graziano, Jurisdiction and article 7 no. 1 of the recast Brussels I Regulation: disconnecting the procedural place of performance from its counterpart in substantive law, YB PIL 16 (2014/2015), 167; Kadner-Graziano, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes in Art. 7 Nr. 1 EuGVVO n.F. – Zur Entkoppelung des international-zivilprozessualen vom materiellrechtlichen Erfüllungsort, RIW 2018, 14; Kannowski/Gerling/Burret, Zum internationalen Gerichtsstand der Kaufpreisklage im Wechselspiel von EuGVVO und UN-Kaufrecht, IHR 2008, 2; Kienle, Eine ökonomische Momentaufnahme zu Art. 5 Nr. 1 lit. b) EuGVVO, IPRax 2005, 113; Kienle, Der Maklervertrag im europäischen Zuständigkeitsrecht, IPRax 2006, 614; Kindler, Gesellschafterinnenhaftung in der GmbH und internationale Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001, in: FS Peter Ulmer (2003) 305; Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005); Kropholler/vHinden, Die Reform des europäischen Gerichtsstands am Erfüllungsort, in: GS Alexander Lüderitz (2000) 401; Lehmann, Gerichtsstand bei Klagen wegen Annullierung einer Flugreise, NJW 2010, 655; Lehmann/Duczek, Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO – besondere Herausforderungen bei Dienstleistungsverträgen, IPRax 2011, 41; Leible, Warenversteigerungen im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, IPRax 2005, 424; Leible, Der Erfüllungsort i.S.v. Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO – ein Mysterium?, in: FS Ulrich Spellenberg (2010), 451; Lein, La compétence en matière contractuelle: un regard critique sur l’article 5 § 1er de la nouvelle Convention de Lugano, in: Bonomi/Cashin Ritaine/Romano (Hrsg.), La Convention de Lugano: passé, présent et devenir: actes de la 19e journée de droit international privé du 16 mars 2007 à Lausanne 2007 (2008), 41; Leipold, Internationale Zuständigkeit am Erfüllungsort – das Neueste aus Luxemburg und Brüssel, in: GS Alexander Lüderitz (2000) 431; Lindacher, Delikt und Vertrag. Zur Zuständigkeit deutscher Wettbewerbsgerichte für Unterlassungs- und Vertragsstrafeklagen bei Zuwiderhandlung nach internationaler Unterwerfung, in: FS Konstatinos D Kerameus (2009), 709; Lindacher, Die internationale Gerichtspflichtigkeit von Personenhandelsgesellschaften und ihrer Gesellschafter, FS Klamaris (2016), 459; Linton, The Place of Performance in the Brussels I Regulation Reconsidered, in: FS Helge Johan Thue (2007), 342; Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt. Eine rechtsvergleichende Studie zur vertragsautonomen Auslegung von Art. 5
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 GVÜ (1991); Looschelders, Internationale Zuständigkeit für Ansprüche aus Darlehen nach dem EuGVÜ, IPRax 2006, 14; Lüderitz, Fremdbestimmte internationale Zuständigkeit? Versuch einer Neubestimmung von § 29 ZPO, Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, in: FS Konrad Zweigert (1981) 233; Lupoi, La competenza in materia contrattuale nella convenzione di Bruxelles del 17 settembre 1968, Riv trim dir proc civ. 1994, 1263; Lupoi, The „New“ Forum Contractuales Disputes in Regulation (EU) 44/2001, in: FS Konstatinos D. Kerameus (2009), 733; Lutzi, ‚Feniks‘ aus der Asche: Internationale Zuständigkeit für die actio pauliana nach der EuGVVO, RIW 2019, 252; Lynker, Der besondere Gerichtsstand am Erfüllungsort in der Brüssel I-Verordnung (Art. 5 Nr. 1 EuGVVO) (2006); U. Magnus, Das UN-Kaufrecht und die Erfüllungsortzuständigkeit in der neuen EuGVO, IHR 2002, 45; Mankowski, EuGVÜ-Gerichtsstand für Gesellschafterhaftungsklage des Insolvenzverwalters, NZI 1999, 56; Mankowski, Der europäische Erfüllungsortsgerichtsstand bei grenzüberschreitenden Anwaltsverträgen, AnwBl. 2006, 806; Mankowski, Handelsvertreterverträge im Internationalen Privat- und Prozessrecht, in: Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts (2006) 131; Mankowski, Mehrere Lieferorte beim Erfüllungsortgerichtsstand unter Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO, IPRax 2007, 404; Mankowski, Commercial Agents and the Brussels I Regulation, in: Calvo Caravaca/Rodríguez Rodrigo (Hrsg.), Parmalat y otros casos de Derecho internacional privado (2007) 413; Mankowski, Der europäische Erfüllungsortsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO und Transportverträge, TranspR 2008, 67; Mankowski, Der Erfüllungsortsbegriff unter Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO – ein immer größer werdendes Rätsel?, IHR 2009, 46; Mankowski, Ausgangs- und Bestimmungsort sind Erfüllungsorte im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, TranspR 2009, 303; Mankowski, Internationale Zuständigkeit am Erfüllungsort bei Softwareentwicklungsverträgen, CR 2010, 137; Mankowski, EuGVVO/revLugÜ und CISG im Zusammenspiel – insbesondere beim Erfüllungsortsgerichtsstand, in: FS Ingeborg Schwenzer (2011) 1175; Mankowski, The Role of Party Autonomy under the Brussels Ibis Regulation, Hamburg L. Rev. 2016, 52; Mankowski, Teilstrecken, Haftung des ausführenden Beförderers und Passagierrechte im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, TranspR 2018, 221; Markus, Tendenzen beim materiellrechtlichen Vertragserfüllungsort im internationalen Zivilverfahrensrecht (2009); Markus, Vertragsgerichtsstände nach Art. 5 Ziff. 1 revLugÜ/ EuGVVO – ein EuGH zwischen Klarheit und grosser Komplexität, AJP 2010, 971; Markus, Erfüllungsortsvereinbarungen und Konzentrationsprinzip beim Vertragsgerichtsstand unter dem System von Brüssel und Lugano, IPRax 2015, 277; Martiny, Internationale Zuständigkeit für „vertragliche Streitigkeiten“, in: FS Reinhold Geimer (2002) 641; McGuire, Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach Art. 5 Nr. 1 EuGVO bei Lizenzverträgen, GPR 2010, 97; Meilicke/Lochner, Zuständigkeit der Spruchgerichte nach EuGVVO, AG 2010, 23; Mezger, Zur Bestimmung des Erfüllungsortes im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ bei einem gegenseitigen Vertrag, IPRax 1987, 346; Metzger, Zum Erfüllungsgerichtsstand bei Kauf- und Dienstleistungsverträgen gemäß der EuGVVO, IPRax 2010, 420; Mittmann, Difficultés d’une interprétation autonome de l’article 5, 1 b) du règlement CE n° 44/2001 du 22 décembre 2000, Gaz.Pal. 29–4-2010, 6; Mittmann, Die Bestimmung des Lieferortes beim Versendungsverkauf im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO nach der Entscheidung „Car Trim“ des EuGH, IHR 2010, 146; Mumelter, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im Europäischen Zivilprozessrecht (2007); Neumann/Spangenberg, Gilt die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Erfüllungsort bei Honorarforderungen von Rechtsanwälten auch bei Auslandsberührung?, BB 2004, 901; Nordmeier, Internationale Zuständigkeit portugiesischer Gerichte für die Kaufpreisklage gegen deutsche Käufer: Die Bedeutung der INCOTERMS für die Bestimmung des Lieferorts nach Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO, IPRax 2008, 275; Nugel, Der Ersatz des Fahrzeugschadens bei einem Verkehrsunfall in Österreich, MDR 2013, 12; Otte, Vertragspflichten nach Seefrachtrecht (Haager-Visby-Regeln) – gerichtsstandsweisende Kraft für Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ?, IPRax 2002, 132; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im internationalen Zivilverfahrensrecht. Zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit bei den Gerichtsständen des Erfüllungsortes und der unerlaubten Handlung (2002); Overbeck, Interpétation traditionelle de l’article 5.-1. des Conventions de Bruxelles et de Lugano: Le coup de grâce?, in: Liber amicorum Georges Droz (1996) 287; Palao Moreno, Product liability: jurisdiction and applicable law in cross-border cases in the European Union, ERA Forum 11 (2010), 45; Pålsson, The Unruly Horse of the Brussels and Lugano Conventions: The Forum Solutionis, in: FS Ole Lando (1997) 259; Pfeiffer, Deliktsrechtliche Ansprüche als Vertragsansprüche im Brüsseler Zuständigkeitsrecht – vertragsakzessorische Anknüpfung der Hauptfrage?, IPRax 2016, 111; Piltz, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach dem EuGVÜ, NJW 1981, 1876; Piltz, Gerichtsstand des Erfüllungsortes in UN-Kaufverträgen, IHR 2006, 53; Polak, Something old, something new, something borrowed, something blue?: de bevoegdheidsregels voor contractuele geschillen van het EEX, Ars aequi 2009, 400; Ragno, The ECJ and the Concept of ‚Place of Delivery‘ for Contracts of Sale Involving Carriage of Goods: the Price of Clarity, EuLF 2010, I-121; Rauscher, Verpflichtung und Erfüllungsort in Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ unter besonderer Berücksichtigung des Vertragshändlervertrages (1984); Rauscher, Zuständigkeitsfragen zwischen CISG und Brüssel I, in: FS Andreas Heldrich (2005) 933; Rauscher, Internationaler Gerichtsstand des Erfüllungsorts – Abschied von Tessili und de Bloos, NJW 2010, 2251; Reymond, Jurisdiction under Article 7 no. 1 of the Recast Brussels I Regulation: The case of contracts for the supply of software, YB PIL 16 (2014/2015), 219; Rodriguez, Beklagtenwohnsitz und Erfüllungsort im europäischen IZPR (2005); Schack, Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozeßrecht (1985); Schaper, Durchsetzung der Gemeinschaftsmarke (2006); Scheuermann, Internationales Zivilverfahrensrecht bei Verträgen im Internet (2004); Schilf, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im deutsch-schweizerischen Rechtsverkehr bei Geltung des UN-Kaufrechts als anwendbarem Recht – Rückschau auf Bloos/Tessili, IHR
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
2011, 181; Schlosser, Europäisch-autonome Interpretation des Begriffs „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne von Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, IPRax 1984, 65; Schwarz, Insolvenzverwalterklagen bei eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (EuGVVO), NZI 2002, 290; Schwenzer, Internationaler Gerichtsstand für die Kaufpreisklage, IPRax 1989, 274; von der Seipen, Italienische Aktionäre vor deutschen Gerichten – Treuepflicht des Gesellschafters und Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, in: FS Erik Jayme (2004), 859; Serrano, Cancellazione del volo e giurisdizione in materia di trasporto aereo: Il caso Air Baltic, Riv dir priv proc 2010, 77; Slonina, Erfüllungsortsgerichtsstand am Bankensitz für Regressklagen unter privaten Kreditnehmern?, ecolex 2018, 136; Spellenberg, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen, ZZP 91 (1978) 38; Spellenberg, Die Vereinbarung des Erfüllungsortes und Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, IPRax 1981, 75; Spickhoff, Anspruchskonkurrenz, Internationale Zuständigkeit und Internationales Privatrecht, IPRax 2009, 128; Spickhoff, Zur Gesetzeskonkurrenz im Internationalen Privat- und Zuständigkeitsrecht, in: GS Halûk Konuralp (2009), 977; Stade, Frankreich: Neues zur gerichtlichen Zuständigkeit bei Klagen wegen sogenannter „rupture brutale“, ZVertriebsR 2018, 19; Stadler, Vertraglicher und deliktischer Gerichtsstand im europäischen Zivilprozessrecht, in: FS Hans-Joachim Musielak (2004) 569; Staudinger, Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts bei der Luftbeförderung nach der Brüssel I-VO, RRa 2007, 155; Staudinger, Gemeinschaftsrechtlicher Erfüllungsortgerichtsstand bei grenzüberschreitender Luftbeförderung, IPRax 2008, 493; Stoll, Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ bei strittigem Vertragsschluß, IPRax 1983, 252; Storp, Internationale Zuständigkeit des Erfüllungsorts bei Verträgen mit französischen Vertretern, RIW 1999, 823; Sujecki, Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO bei mehreren Erfüllungsorten in einem Mitgliedstaat, EWS 2007, 398; Takahashi, Jurisdiction in matters relating to contract: Article 5(1) of the Brussels Convention and Regulation, ELRev 27 (2002) 530; Theiss/Bronnen, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im europäischen Zivilprozessrecht unter besonderer Berücksichtigung des Werklieferungsvertrages, EWS 2004, 350; Thorn, Gerichtsstand des Erfüllungsorts als intertemporales Zivilverfahrensrecht, IPRax 2004, 354; Ubertazzi, Licenze di diritti di proprietà intellettuale (IP) e regolamento comunitario sulla giurisdizione, Studi sull’integrazione europea 2009, 735; Ubertazzi, IP-Lizenzverträge und die EG-Zuständigkeitsverordnung, GRURInt 2010, 103; Valloni, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Luganer und Brüsseler Übereinkommen (1998); Wagner, Die Entscheidung des EuGH zum Gerichtsstand des Erfüllungsorts nach der EuGVVO – unter besonderer Berücksichtigung der Rechtssache Rehder, IPRax 2010, 143; Wais, Die Bestimmung des Erfüllungsortes nach Art. 5 Nr. 1 lit. b 2. Spiegelstrich EuGVO bei Dienstleistungserbringung in verschiedenen Mitgliedstaaten, GPR 2012, 256; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013); Weller/Harms, Die Vorbelastungshaftung der GmbH zwischen EuGVVO und EuInsVO, IPRax 2016, 119; Wendelstein, Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin (2012); Wendelstein, Wechselseitige Begrenzung von Vertrags- und Deliktsgerichtsstand im Rahmen des europäischen Zuständigkeitsrechts, ZEuP 2015, 622; Wendenburg/Schneider, Vertraglicher Gerichtsstand bei Ansprüchen aus Delikt?, NJW 2014, 1633; Wenning, Mögliche Gerichtsstände in Unfallsachen, MRW 2012, 4; Wipping, Der europäische Vertragsgerichtsstand des Erfüllungsortes – Art. 5 Nr. 1 EuGVVO (2008); Witz, The Place of Performance of the Obligation to Pay the Price Art. 57 CISG, Journal of Law and Commerce 25 (2005–06) 325; Graf Wrangel, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im deutschen, italienischen und europäischen Recht (1988); Wurmnest, UN-Kaufrecht und Gerichtsstand des Erfüllungsorts bei Nichterfüllung einer Alleinvertriebsvereinbarung durch den Lieferanten, IHR 2005, 107. 2. Zu Nr. 2: M.-E. Ancel, Contrefaçon de marque sur un site web: quelle compétence intracommunautaire pour les tribuneaux français? in: Études à la mémoire du professeur Xavier Linant de Bellefonds (2007), 1; Bachmann, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung im Internet, IPRax 1998, 179; Bachmann, Internationale Zuständigkeit bei Konzernsachverhalten, IPRax 2009, 140; Banholzer, Die internationale Gerichtszuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet (2011); Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing – Eine Untersuchung zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht und zum Datenschutzrecht (2014); Basedow, Der Handlungsort im internationalen Kartellrecht – Ein juristisches Chamäleon auf dem Weg vom Völkerrecht zum internationalen Zivilprozessrecht, in: Wettbewerbspolitik und Kartellrecht in der Marktwirtschaft – 50 Jahre FIW: 1960 bis 2010 – Festschrift (2010) 129; Becker, Kartelldeliktsrecht: § 826 BGB als „Zuständigkeitshebel“ im Anwendungsbereich der EuGVO?, EWS 2008, 228; Behr, Internationale Tatortszuständigkeit für vorbeugende Unterlassungsklagen bei Wettbewerbsverstößen, GRURInt 1992, 604; Berger, Die internationale Zuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen in Internet-Websites aufgrund des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO, GRURInt 2005, 465; Blobel, Keine internationale Zuständigkeit für vertragliche Ansprüche im Deliktsgerichtsstand, EuLF 2005, II-61; Borchers, Tort and Contract Jurisdiction via Internet: The ‚Minimum Contacts‘ Test and the Brussels Regulation Compared, NILR 2003, 401; Bruhns, Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung (2006); Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten: Die internationale Zuständigkeit nach dem EuGVÜ bzw. der EuGVO (2003); Bulst, Internationale Zuständigkeit, anwendbares Recht und Schadensberechnung im Kartelldeliktsrecht, EWS 2004, 403; Bumiller, Durchsetzung der Gemeinschaftsmarke in der Europäischen Union (1997); Bumiller, Europäische Gerichtsbarkeit und europäische Verfahrensordnung für alle gemeinschaftlichen gewerblichen Schutzrechte?, ZIP 2002, 115; Coester-Waltjen, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, in: FS Rolf A Schütze (1999) 175; Davi, Der italienische Kassationshof und der Gerichtsstand des Ortes des schädigenden Ereignisses nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bei
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände reinen Vermögensschäden, IPRax 1999, 484; Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen – Eine Untersuchung des europäischen und deutschen internationalen Zivilverfahrensrechtes und des internationalen Privatrechtes (2011); Diederichsen, Die internationale Zuständigkeit der französischen Gerichte bei wettbewerbs- und markenrechtlichen Verstößen im Internet, RIW 2008, 53; Domej, Negative Feststellungsklage im Deliktsgerichtsstand, IPRax 2008, 550; Dossena, Fragestellungen im Zusammenhang mit Zuständigkeit und Kollisionsrecht bei Verstößen gegen den gewerblichen Rechtsschutz über das Internet, EuLF 2003, 292; Ebner, Markenschutz im internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (2004); Engert/Groh, Internationaler Kapitalanlegerschutz vor dem Bundesgerichtshof, IPRax 2011, 458; Fach Gómez, Acciones preventivas en supuestos de contaminación transfronteriza y aplicabilidad del articulo 5.3 Convenio de Bruselas, ZEuS 1999, 583; Fawcett, Special Rules of Private International Law for Special Cases: What Should We Do About Intellectual Property, in: Essays in Honour of Sir Peter North (2002) 137; Franzen, Internationale Zuständigkeit beim Aufruf zum Boykott von Seeschiffen, IPRax 2006, 127; Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts im IPR (2003); Geimer, Die Gerichtspflichtigkeit des Beklagten nach Art. 5 Nr. 1 und Nr. 3 EuGVÜ bei Anspruchskonkurrenz, IPRax 1986, 80; Geimer, Forum actoris für Kapitalanlegerklagen, in: FS Dieter Martiny (2014) 711; Grabinski, Zur Bedeutung des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (Brüsseler Übereinkommens) und des Lugano-Übereinkommens in Rechtsstreitigkeiten über Patentverletzungen, GRURInt 2001, 199; Grünberger, Zuständigkeitsbegründender Erfolgsort bei Urheberrechtsverletzungen, IPRax 2015, 56; Hackbarth, EuGH „Coty“: Teilnehmerhandeln im Ausland und internationale Zuständigkeit deutscher Gemeinschaftsmarkengerichte, GRUR-Prax 2014, 320; Häcker, Europäisch-zivilverfahrensrechtliche und international-privatrechtliche Probleme grenzüberschreitender Gewinnzusagen – zugleich zu einem europarechtlichen Begriff der unerlaubten Handlung, ZVglRWiss 103 (2004), 464; Hager/Hartmann, Internationale Zuständigkeit für vorbeugende Unterlassungsklagen, IPRax 2005, 266; Hausmann, Die gewerblichen Schutzrechte im europäischen internationalen Privat- und Verfahrensrecht, EuLF 2003, 278; von Hein, Deliktischer Kapitalanlegerschutz im europäischen Zuständigkeitsrecht, IPRax 2005, 17; von Hein, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei grenzüberschreitendem Kapitalanlagebetrug, IPRax 2006, 460; von Hein, Die Produkthaftung des Zulieferers im Europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, IPRax 2010, 330; Heinze, Der europäische Deliktsgerichtsstand bei Lauterkeitsverstößen, IPRax 2009, 231; Hess, The proposed recast of the Brussels I Regulation: Rules on jurisdiction, in: Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (2012) 97; Hess, Der Schutz der Privatsphäre im Europäischen Zivilverfahrensrecht, JZ 2012, 189; Hönle, Die deliktische Grundanknüpfung im IPR und IZVR (2011); Hoffmann, Internationale Deliktszuständigkeit bei Markenrechtsverletzungen im Internet, MarkenR 2013, 417; Hootz, Durchsetzung von Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechten bei grenzüberschreitenden Verletzungen in Europa (2004); Huber, Ausländische Broker vor deutschen Gerichten, IPRax 2009, 134; Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht (2005); Jiménez Blanco, El tratamiento de las acciones colectivas en materia de consumidores en el Convenio de Bruselas, La Ley 2003, Nr. 5709, 1; Kieninger, Internationale Zuständigkeit bei der Verletzung ausländischer Immaterialgüterrechte – Common Law auf dem Prüfstand der EuGVÜ, GRURInt 1998, 280; Kiethe, Internationale Tatortzuständigkeit bei unerlaubter Handlung – die Problematik des Vermögensschadens, NJW 1994, 222; Kreuzer-Klötgen, Die Shevill-Entscheidung des EuGH, IPRax 1997, 90; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen (1999); Kühnen, Kann der Entschädigungsanspruch gemäß §§ 33 PatG 1981, 24 Abs. 5 PatG 1968 im besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung geltend gemacht werden?, GRUR 1997, 19; Lange, Der internationale Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach dem EuGVÜ bei Verletzungen von nationalen Kennzeichen, WRP 2000, 940; Laubinger, Die internationale Zuständigkeit der Gerichte für Patentstreitsachen in Europa (2005); Leipold, Neues zum Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach europäischem Zivilprozessrecht, FS János Németh (2003) 631; Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt (Art. 5 Nr. 1 und Art. 5 Nr. 3 GVÜ) (1991); Lundstedt, Gerichtliche Zuständigkeit und Territorialitätsprinzip im Immaterialgüterrecht – Geht der Pendelschlag zu weit?, GRURInt 2001, 103; Mäsch, Vitamine für Kartellopfer – Forum shopping im europäischen Kartelldeliktsrecht, IPRax 2005, 509; Mansel, Gerichtliche Prüfungsbefugnisse im forum delicti, IPRax 1989, 84; Metzger, Jurisdiction in Cases Concerning Intellectual Property Infringements on the Internet: Brussels-I-Regulation, ALI-Principles and Max Planck Proposals, in: Leible/Ohly (Hrsg.), Intellectual Property and Private International Law (2009), 251; Michailidou, Internationale Zuständigkeit bei vorbeugenden Verbandsklagen, IPRax 2003, 223; Müller, Der zuständigkeitsrechtliche Handlungsort des Delikts bei mehreren Beteiligten in der EuGVVO, EuZW 2013, 130; Müller-Feldhammer, Der Deliktsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ im internationalen Wettbewerbsrecht, EWS 1998, 162; Ohly, Kennzeichenkonflikte im Internet, in: Leible (Hrsg.), Die Bedeutung des Internationalen Privatrechts im Zeitalter der Neuen Medien (2003) 135; Pansch, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bei der grenzüberschreitenden Verletzung gewerblicher Schutzrechte, EuLF 2000/01, 353; Pichler, Internationale Zuständigkeit im Zeitalter globaler Vernetzung (2008); Puhr, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei unlauterem Wettbewerb im Internet (2005); Reber, Die internationale gerichtliche Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Urheberrechtsverletzungen, ZUM 2005, 194; Reichardt, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei immaterialgüterrechtlichen Klagen, IPRax 2008, 330; Reichardt, Internationale Zuständigkeit im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bei Verletzung europäischer Patente, 2006; Roth, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet (2007); Roth, Persönlichkeitsschutz im Internet: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, IPRax 2013, 215; Roth, Der europäische Deliktsgerichtsstand in Kartellstreitigkeiten, in: FS Schilken (2015) 427; Rott/von der Ropp, Stand der grenzüberschreitenden Unterlassungsklage in Europa, ZZPInt 9 (2004) 3; Schack, Abwehr grenzüberschreitender Immissionen im dinglichen Gerichtsstand, IPRax 2005, 262; Schaub, Streuschäden im deutschen und europäischen Recht, JZ 2011, 13; Schauwecker, Extraterritoriale Patentverletzungsjurisdiktion: Die internationale Zuständigkeit der Gerichte außerhalb des Patenterteilungsstaates für Verletzungsklagen (2009); Schwarz, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht (1991); Slonina, Örtliche und internationale Zuständigkeit für Patentverletzungsklagen, SZZP 2005, 313; Slonina, Erfolgsortsgerichtsstand nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet (auch) am Mittelpunkt der Interessen des Opfers, ÖJZ 2012, 61; Slonina, Rechtsmissbräuchliche Wahl des Erfolgsortsgerichtsstands für Filesharing-Klagen?, ecolex 2014, 608; Slonina, Deliktsgerichtsstand für Markenrechtsverletzungen, ecolex 2012, 484; Spickhoff, Persönlichkeitsverletzungen im Internet: Internationale Zuständigkeit und Kollisionsrecht, IPRax 2011, 131; Sprenger, Internationale Expertenhaftung (2008); Stadler, Die internationale Durchsetzung von Gegendarstellungsansprüchen, JZ 1994, 642; Stadler, Von den Tücken der grenzüberschreitenden Verbands-Unterlassungsklage, VuR 2010, 83; Stauder, Die internationale Zuständigkeit in Patentverletzungsklagen – „Nach drei Jahrzehnten“, in: FS Gerhard Schricker (2005) 917; Staudinger/Czaplinski, Verkehrsopferschutz im Lichte der Rom I-, Rom II- sowie Brüssel I-Verordnung, NJW 2009, 2249; Steinbrück, Der Vertriebsort als Deliktsgerichtsstand für internationale Produkthaftungsklagen, in: FS Athanassios Kaissis (2012) 965; Steinrötter, Der notorische Problemfall der grenzüberschreitenden Prospekthaftung, RIW 2015, 407; Stillner, Die internationale Zuständigkeit bei Verbraucherverbandsklagen, VuR 2008, 41; Sujecki, Persönlichkeitsrechtsverletzungen über das Internet und gerichtliche Zuständigkeit, K & R 2011, 315; Sujecki, Zur Bestimmung des Erfolgsortes nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bei Internetdelikten, K & R 2015, 305; Tenenbaum, Retombeés de l’affaire Madoff sur la Convention de Lugano – La localisation du dommage fincancier, Rev. crit. dip. 101 (2012), 45; Tiefenthaler/Hanusch, Internationale Zuständigkeit für vorbeugende Immissionsabwehrklagen, ecolex 2004, 330; Thole, Deliktsklagen gegen ausländische Broker und Finanzdienstleister vor deutschen Gerichten, ZBB 2011, 399; Thole, Die Durchgriffshaftung im Deliktsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, GPR 2014, 113; Uhl, Internationale Zuständigkeit gemäß Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler und Lugano-Übereinkommens, ausgeführt am Beispiel der Produktehaftung unter Berücksichtigung des deutschen, englischen, schweizerischen und US-amerikanischen Rechts (2000); Wadlow, Bugs, Spies and Paparazzi: Jurisdiction over Actions for Breach of Confidence in Private International Law, EIPR 2008, 269; Wagner, Ehrenschutz und Pressefreiheit im europäischen Zivilverfahrens- und Internationalen Privatrecht, RabelsZ 62 (1998) 243; Wagner/Gess, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach der EuGVVO bei Kapitalanlagedelikten, NJW 2009, 3481; Wais, Internationale Zuständigkeit bei gesellschaftsrechtlichen Ansprüchen aus Geschäftsführerhaftung gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F./§ 64 Satz 1 GmbHG n.F., IPRax 2011, 138; Wehdeking, Internationale Zuständigkeit der Zivilgerichte bei grenzüberschreitenden Immissionen, DZWir 2004, 323; Weller, Zur Handlungsortbestimmung im internationalen Kapitalanlegerprozeß bei arbeitsteiliger Deliktsverwirklichung, IPRax 2000, 202; Weller, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet – Internationale Zuständigkeit am „Ort der Interessenkollision“?, in: FS Kaissis (2012) 1039; Weller, Neue Grenzen der internationalen Zuständigkeit im Kapitalanlageprozess: Keine wechselseitige Zurechnung der Handlungsbeiträge nach Art. 5 Nr. 3 EuGVO, WM 2013, 1681; Wiesener, Der Gegendarstellungsanspruch im deutschen internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1998); Withers, Jurisdiction and applicable law in Antitrust Tort claim, JoBL 2002, 250; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet (2006); Würthwein, Zur Problematik der örtlichen und internationalen Zuständigkeit aufgrund unerlaubter Handlung, ZZP 106 (1993) 51. 3. Zu Nr. 3: Kohler, Adhäsionsverfahren und Brüsseler Übereinkommen 1968 in: Will (Hrsg.), Schadensersatz im Strafverfahren (1990) 74. 4. Zu Nr. 4: Franzina, The Proposed New Rule of Special Jurisdiction Regarding Rights In Rem in Moveable Property: A Good Option for a Reformed Brussels I Regulation?, Diritto del commercio internazionale 2011, 789; von Hein, Die Neufassung der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVVO), RIW 2013, 97; Crespi Reghizzi, A new special forum for disputes concerning rights in rem over movable assets: Some remarks on Article 5(3) of the Commision’s proposal, in: Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (2012), 173; Reinmüller, Neufassung der EuGVVO („Brüssel Ia-VO“) seit 10.1.2015, IHR 2015, 1; Siehr, Prozesse über geschütztes Kulturgut in Deutschland, KUR 2012, 3; Siehr, Das Forum rei sitae in der neuen EuGVO (Art. 7 Nr. 4 EuGVO n.F.) und der internationale Kulturgüterschutz, in: FS Dieter Martiny (2014) 837; Strobel, Internationales Privatrecht in der Strafprozessordnung am Beispiel der §§ 52, 395 und 406 StPO (2019); Weller, Der Ratsentwurf und der Parlamentsentwurf zur Reform der Brüssel I-VO, GPR 2012, 328. 5. Zu Nr. 5: Albers, Die Begriffe der Niederlassung und der Hauptniederlassung im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht (2010); Fawcett, Methods of Carrying on Business and Article 5 (5) of the Brussels Convention, ELRev 1984, 326; Geimer, Die inländische Niederlassung als Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit, WM 1976, 146; Hunnings, Agency and Jurisdiction in the EEC, JBL 1982, 244; Jaspert, Grenzüberschreitende Unternehmensverbindungen im Zuständigkeitsbereich des EuGVÜ (1995); Jayme, Subunternehmer-
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände vertrag und EuGVÜ, in: FS Klemens Pleyer (1986) 371; Kronke, Der Gerichtsstand nach Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ, IPRax 1989, 81; Leible/Müller, Der Begriff der Niederlassung im Sinne von Art. 82 Abs. 1 Alt. 2 GGV und Art. 97 Abs. 1 Alt. 2 GMV, WRP 2013, 1; Linke, Der „klein-europäische“ Niederlassungsgerichtsstand (Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ), IPRax 1982, 46; Mettler, Gerichtspflichtigkeit von Luftfrachtführern mit Sitz im EU-Ausland, TranspR 2013, 55; Pulkowski, Außervertragliche Forderungen „aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung“ im Sinne von Art. 5 Nr. 5 Luganer Übereinkommen, IPRax 2004, 543. 6. Zu Nr. 6: Bettien, Zur Behandlung des „Trust“ im deutschen IPR, StudZR 2012, 3; Bonomi (Hrsg.), Le trust en droit international privé. Perspectives suisses et étrangères (2006); Conrad, Qualifikationsfragen des Trust im Europäischen Zivilprozeßrecht (2001); Frigessi di Rattalma, La competenza giurisdizionale in materia di trust nel regolamento comunitario n. 44/2001, Riv dir priv proc 2003, 783; Graue, Der Trust im internationalen Privat- und Steuerrecht, in: FS Murad Ferid (1978) 151; Graupner, Der englische Trust im deutschen Zivilprozeß, ZVglRWiss 88 (1989) 149; Harris, The Trust in Private International Law, in: Essays in Honour of Sir Peter North (2002) 187; Hayton, Jurisdiction over trust disputes under Article 5 (6), Trusts & Trustees 14 (2008) 384; Hayton, Trust disputes within article 5 (6) of Brussels I, Tru. L I 23 (2009), 3. 7. Zu Nr. 7: Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011).
I. Allgemeines 1. Fakultative Gerichtsstände 1
Art. 7 Brüssel Ia-VO schafft verschiedene besondere Gerichtsstände, die indes nicht ausschließlicher, sondern fakultativer Natur sind und daher mit dem allgemeinen Gerichtsstand nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO konkurrieren. Der Kläger kann seine Ansprüche folglich sowohl vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, als auch vor den nach Art. 7 Brüssel Ia-VO bestimmten Gerichten verklagen. Die Gerichtsstände des Art. 7 Brüssel Ia-VO werden i.d.R. durch das von den Parteien mittels einer Gerichtsstandsklausel vereinbarte Forum verdrängt (vgl. Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO). Eine Berufung des Klägers auf Art. 7 Brüssel Ia-VO ist weiterhin ausgeschlossen, wenn der Anwendungsbereich der Abschnitte 3, 4 oder 5 eröffnet ist (Versicherungs-, Verbraucherund Arbeitssachen) oder eine der ausschließlichen Zuständigkeiten des Art. 24 Brüssel Ia-VO greift. 2. Zweck der Vorschrift
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Art. 7 Brüssel Ia-VO durchbricht den allgemeinen Grundsatz „actor sequitur forum rei“ und setzt einen Kontrapunkt zur Zuständigkeitsprivilegierung des Beklagten durch die Eröffnung weiterer Gerichtsstände, die sich insbesondere durch eine besondere Sachnähe auszeichnen, die prozessualer (z.B. Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO) oder territorialer Art (z.B. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) sein kann.1 Die mit der Vervielfachung der Gerichtsstände stets einhergehende Gefahr des forum shopping ist zwar evident, erscheint im Europäischen Justizraum angesichts der bereits erfolgten und noch zu erwartenden Vereinheitlichung des Kollisionsrechts aber hinnehmbar. Im Bereich des Vertragsrechts war bereits aufgrund des „Römischen EWG-Übereinkommens vom 19.6.1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ (EVÜ)2 Einheitlichkeit erreicht worden. Das EVÜ wurde in die Rom I-VO überführt,3 die seit dem 17.12.2009 gilt. Für das IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse (Delikt, GoA, ungerechtfertigte Bereicherung, c.i.c.) gibt seit dem 11.1.2009 die Rom II-VO Maß.4 1 Kritisch gegenüber den besonderen Zuständigkeiten z.B. Heuzé, Rev. crit. dip. 89 (2000) 636 ff. 2 BGBl. 1986 II 810. 3 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), ABl. EU 2008 L 177/6. Vgl. dazu Leible, Rom I und Rom II: Neue Perspektiven im Europäischen Kollisionsrecht (2009); Ubertazzi, Il regolamento Roma I sulla legge applicabile alle obbligazione contrattuali (2008); außerdem die Beiträge in Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européen „Rome I“ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles (2008); Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation. The Law Applicable to Contractual Obligations in Europe (2009). 4 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (‚Rom II‘), ABl. EU 2007 L 199/40. Vgl. dazu Ahern/Binchy (Hrsg.), The Rome II Regulation on the Law Applicable to Non-Contractual Obligations. A New International Litigation Regime (2009); Calvo Caravaca/ Carrascosa González, Las obligaciones extracontractuales en Derecho internacional privado. El Reglamento
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
3. Auslegung Nach verbreiteter Auffassung5 und insbesondere nach Ansicht des EuGH6 soll Art. 7 Brüssel Ia-VO 3 als Ausnahme zum Grundsatz „actor sequitur forum rei“ eng auszulegen sein. Sachliche Gründe für eine a priori restriktive Interpretation von Art. 7 Brüssel Ia-VO sind indes nicht ersichtlich.7 Das postulierte Regel-Ausnahme-Prinzip lässt sich, möchte man sachgerechte Ergebnisse erzielen, bei einer autonomen Auslegung der Brüssel Ia-VO auch nicht durchhalten. So legt z.B. auch der EuGH einzelne besondere Zuständigkeiten unter bestimmten Umständen doch weit aus8 und stellt damit das Regel-Ausnahme-Verhältnis wieder in Frage. Man sollte von einer derartigen Auslegungsregel daher grundsätzlich Abschied nehmen und sich bei Auslegungszweifeln vor allem von den berührten Zuständigkeitsinteressen leiten lassen. Allenfalls zur Verhinderung eines ansonsten drohenden non liquet mag nach Heranziehung aller anderen Auslegungsparameter ausnahmsweise ein Rückgriff auf das Argument des Regel-Ausnahme-Verhältnisses gerechtfertigt sein.9 4. Örtliche Zuständigkeit Art. 7 Brüssel Ia-VO determiniert – unter Ausnahme von Nr. 6 – nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit („… vor dem Gericht des Ortes …“). Verdrängt werden daher nicht allein die einzelstaatlichen Vorschriften über die internationale, sondern ebenso über die örtliche Zuständigkeit,10 in Deutschland also z.B. §§ 12–35a ZPO. Dass dem nationalen Prozessrecht ein entsprechender örtlicher Gerichtsstand unbekannt ist, ist unerheblich.11
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5. Räumlicher Anwendungsbereich Eine Verdrängung der nationalen Zuständigkeitsvorschriften setzt allerdings die Eröffnung des räumlichen Anwendungsbereichs von Art. 7 Brüssel Ia-VO voraus. Der Beklagte muss seinen Wohnsitz (Art. 62, 63 Brüssel Ia-VO) in einem Mitgliedstaat haben. Fehlt es hieran, richtet sich die internationale Zuständigkeit für vertragsrechtliche Streitigkeiten nach nationalem Recht.12 Darüber hinaus muss die Klage aber auch „in einem anderen Mitgliedstaat“ und darf nicht in dem Mitgliedstaat erhoben werden, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat. Art. 7 Brüssel Ia-VO ist daher in reinen Binnenfällen nicht anwendbar.13 Darauf, ob es für die Anwendung der Zuständigkeitsregelungen der
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„Roma II“ (2008); Fröhlich, The Private International Law of Non-Contractual Obligations According to the Rome II Regulation (2008). Vgl. z.B. Gaudemet-Tallon (2015), Nr. 172. Zuletzt etwa EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 18; EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFÄB vs. Frank Koot, Rz. 31; EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18 – Brian Andrew Kerr vs. Pavlo Postnov und Natalia Postnova, RIW 2019, 364 Rz. 22; ferner C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 16; EuGH v. 27.9.1988 – C-189/87, ECLI:EU:C: 1988:459, IPRax 1989, 2888 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988, 5565 Rz. 19; EuGH v. 15.2.1989 – 32/88 – Six Constructions vs. Humbert, EuGHE 1989, 341 Rz. 18; EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009: 257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 37; EuGH v. 16.7.2009 – C-189/08, ECLI:EU:C:2009:475 – Zuid-Chemie BV vs. Philippo’s Mineralenfabriek NV/ SA, EuGHE 2009 I 6919 Rz. 22; EuGH v. 16.5.2013 – C-228/11, ECLI:EU:C:2013:305 – Melzer vs. MF Global UK Ltd., NJW 2013, 2099 Rz. 24; EuGH v. 3.4.2014 – C-387/12, ECLI:EU:C:2014:215 – Hi Hotel HCF SARL vs. Spoering, EuZW 2014, 431 Rz. 26. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 1; Kropholler/von Hein, vor Art. 5 a.F. Rz. 3; Magnus/Mankowski/Mankowski, Brussels I Regulation (2012) Art. 5 Rz. 13 f. Kropholler/von Hein, vor Art. 5 a.F. Rz. 2 mit Hinweis auf EuGH v. 20.1.2005 – 27/02 – Engler vs. Janus Versand GmbH, EuGHE 2005, 481 Rz. 48; EuGH v. 6.3.1980 – 120/79, ECLI:EU:C:1980:70 – De Cavel, EuGHE 1980, 731 Rz. 6; EuGH v. 8.1.1980 – 21/79, ECLI:EU:C:1980:1 – Bier vs. Mines de Potasse d’Alsace, EuGHE 1976, 1735 Rz. 15 ff. So auch Virgós Soriano/Garcimartín Alférez, 96. Jenard-Bericht, 22; Gaudemet-Tallon, (2015) Nr. 171. BGHZ 82, 110, 114. Noch einmal klargestellt von EuGH v. 7.3.2018 – verb. Rs. C-274/16, C-447/16 und C-448/16 – Flightright vs. Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterráneo SA, NJW 2018, 2105 Rz. 58 ff. OGH, JBl 2002, 250; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 2.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände Brüssel Ia-VO generell einer „Auslandsberührung“ oder „Berührungspunkte zu mehreren Mitgliedstaaten“ bedarf,14 kommt es im Rahmen von Art. 7 Brüssel Ia-VO aufgrund der eindeutigen Formulierung der Vorschrift nicht an. Eine Heranziehung von Art. 7 Brüssel Ia-VO scheidet folglich bei einer Identität von Wohnsitz- und Gerichtsstaat aus. In diesem Fall ist für die Feststellung der internationalen Zuständigkeit allein Art. 4 Brüssel Ia-VO maßgeblich. Die örtliche Zuständigkeit ist dann nach nationalem Recht zu bestimmen, nicht aber nach Art. 7 Brüssel Ia-VO.15 6. Reform und Perspektiven 6
Im Rahmen der Bemühungen um eine Reform der EuGVVO spielte der jetzige Art. 7 Brüssel Ia-VO (= Art. 5 a.F.) keine große Rolle. Der Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 21.4.200916 und das Grünbuch „Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ gleichen Datums17 erwähnten Art. 5 Brüssel Ia-VO a.F. nicht. Das ist insofern nicht erstaunlich, als auch das diesen Bericht und das Grünbuch vorbereitende Gutachten von Hess/Pfeiffer/Schlosser einen (dringenden) Änderungsbedarf nicht zu erkennen vermochte.18 Dem kann freilich nur im Grundsatz, nicht aber mit Blick auf Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zugestimmt werden. Denn auf lange Sicht ist der dortige Kompromiss zwischen einer eher materiell- und einer mehr prozessrechtlichen Bestimmung des Erfüllungsortes nicht befriedigend.19 Dogmatisch kann er schon gar nicht überzeugen.20 Die Regelung sollte ob ihrer Inkohärenz daher dringend überarbeitet werden.21 Dass dies in der reformierten EuGVVO unterblieben ist, kann nur als vertane Chance gewertet werden. Angesichts dessen ist aber auch in absehbarer Zeit nicht mit einer wünschenswerten Änderung zu rechnen.
II. Gerichtsstand des Erfüllungsorts (Nr. 1) 1. Allgemeines a) Geltungsgrund 7
Dem mit Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO geschaffenen Gerichtsstand des Erfüllungsorts von vertraglichen Ansprüchen kommt in der Rechtspraxis die größte Bedeutung zu. Ein besonderer Gerichtsstand für Vertragsklagen war vor Inkrafttreten des EuGVÜ nicht in allen, aber doch in den meisten Vertragsstaaten bekannt,22 allerdings nicht eine derart umfassende Anknüpfung an den Erfüllungsort, wie sie der nach dem Vorbild von § 29 ZPO ausgestaltete Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO festschreibt.23 Die 14 Vgl. hierzu Kropholler/von Hein, vor Art. 2 a.F. Rz. 6–8. 15 Kropholler/von Hein, vor Art. 5 a.F. Rz. 5; instruktiv der Fall bei Slonina, ecolex 608; a.A. Geimer/Schütze/Auer, vor Art. 5 a.F. Rz. 9. 16 KOM (2009) 174. 17 KOM (2009) 175. 18 Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussel I Regulation 44/2001. Application and Enforcement in the EU (2008), Rz. 192: „… an urgent need for specific measures can not be recognised“ (zu Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO); Rz. 204: „… no sufficient basis for recommending any amendments …“ (zu Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO). 19 Zu recht kritisch daher z.B. Hess, Europäisches Zivilprozessrecht (2009) § 6 Rz. 57; Schack, Rz. 304. 20 So ist u.a. nur schwer erklärlich, dass der Kläger aus einem Kaufvertrag, dessen nach Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO autonom bestimmter Erfüllungsort in einem Drittstaat liegt, über lit. c eine „zweite Chance“ zur Begründung eines – womöglich noch auf Art. 57 CISG gestützten – Vertragsgerichtsgerichtsstands innerhalb des Unionsgebiets erhält, vgl. dazu auch BGH v. 22.4.2009 – VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606 (Lieferung erfolgte gemäß einer zwischen den Parteien vereinbarten FOB-Klausel in der Türkei). Kritisch daher u.a. Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005) 84; Ignatova, Art. 5 Nr. 1 EuGVO – Chancen und Perspektiven der Reform des Gerichtsstands am Erfüllungsort (2005), 277; Wipping, Der europäische Gerichtsstand des Erfüllungsortes – Art. 5 Nr. 1 EuGVVO (2008) 233. 21 Ausf. Leible, FS Spellenberg (2010) 453 f. 22 Jenard-Bericht, 22 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Existenz eines Vertragsgerichtsstands führt zu der für den internationalen Rechtsverkehr notwendigen Rechtssicherheit und ist unverzichtbar.24 Denn während der Beklagtengerichtsstand des Art. 4 Brüssel Ia-VO durch Wohnsitzverlegung manipuliert werden kann, ist das forum contractus grundsätzlich25 unwandelbar.26 Alternativ wäre bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Vertragsgerichtsstands auch daran zu denken 8 gewesen, an den Entstehungsort der Verpflichtung anzuknüpfen oder beide Anknüpfungspunkte wahlweise zur Zuständigkeitsbegründung zuzulassen.27 Gegen eine Alternativität von Entstehungsund Erfüllungsort ist jedoch einzuwenden, dass hierdurch die Zahl der Gerichtstände zusätzlich erhöht und damit Anlass zu weiteren Kompetenzkonflikten gegeben würde.28 Darüber hinaus bestehen aber überhaupt gegen die Wahl des Entstehungsorts als Anknüpfungspunkt Bedenken. Er ist nicht nur oft zufällig, sondern bei Verträgen unter Abwesenden häufig schwer zu ermitteln. Zudem droht bei der Zulassung eines Gerichtsstands am Ort der Entstehung des vertraglichen Schuldverhältnisses stets die Gefahr eines reinen Klägergerichtsstands. Zu befürchten war außerdem, dass die Einführung des Gerichtsstands am Entstehungsort zu „allzu großen Änderungen“ der Rechtslage in den Ländern geführt hätte, die einen solchen Gerichtsstand nicht kennen.29 Für den Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung sprechen nach Auffassung des EuGH„Gründe 9 der geordneten Rechtspflege und der sachgerechten Verfahrensgestaltung“,30 die u.a. darin gesehen werden, dass an diesem Ort häufig das sach- und beweisnächste Gericht sitze.31 Betont wird der Aspekt der „räumlichen Nähe“ und der engen Verknüpfung von Vertrag und zur Entscheidung berufenem Gericht.32 Dieses Argument ist freilich nur von begrenzter Tragweite. Von Sach- und Beweisnähe kann sicherlich bei Fragen der Vertragsdurchführung (Leistungsstörungen etc.) ausgegangen werden, nicht jedoch bei den ebenfalls von Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO erfassten Rechtsstreitigkeiten über den Inhalt oder Bestand eines Vertrages oder gar über Geldschulden.33 Nun ist es sicherlich zutreffend, dass sich der Gerichtsstand bei Vertragsstreitigkeiten nicht danach richten kann, „ob im konkreten Fall auch eine enge Verbindung des Rechtsstreits zum zuständigen Gericht besteht“.34 Aber auch wenn man – zu Recht – auf „das typisierend verfolgte Regelungsziel“ verweist,35 muss man sich die Frage gefallen lassen, ob das Regelungsziel der Sach- und Beweisnähe des entscheidenden Gerichts 23 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1a. 24 Gleichwohl wird die Notwendigkeit, für vertragsrechtliche Streitigkeiten ein besonderes Forum zur Verfügung zu stellen, immer wieder negiert, vgl. etwa zur möglichen Beseitigung des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO Droz, D 1997 Chron 351 ff. 25 Eine Ausnahme gilt freilich in den (seltenen) Fällen, in denen der Erfüllungsort nach Vertragsschluss einseitig verändert werden kann, vgl. z.B. Art. 57 Abs. 2 CISG. 26 Vgl. zum Ganzen Schack, Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (1985) Rz. 145 ff.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1995) 677 ff.; Schröder, Internationale Zuständigkeit (1971) 284 ff.; vgl. aus der jüngeren Literatur auch Buchwitz, IHR 2013, 110 f.; Coester-Waltjen, FS Kaissis (2012) 92 ff.; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 16 ff. 27 In Betracht käme weiterhin z.B. eine Berufung der Gerichte am Ort der Belegenheit des Vertragsgegenstands, am Ort der Vertragsverletzung oder des Staates, dessen Recht auf den Vertrag anzuwenden ist. 28 Jenard-Bericht, 23. 29 Jenard-Bericht, 23. 30 EuGH v. 6.10.1976 – 12/76 – Tessili vs. Dunlop, EuGHE 1976, 1473 Rz. 13; EuGH v. 15.1.1987 – 266/85, ECLI:EU:C:1987:11 – Shenavai vs. Kreischer, EuGHE 1987, 239 Rz. 6; EuGH v. 13.7.1993 – C-125/92, ECLI: EU:C:1993:306 – Mulox vs. Geels, EuGHE 1993 I 4075 Rz. 17; EuGH v. 19.2.2002 – C-256/00, ECLI:EU:C: 2002:99 – Besix vs. Kretzschmar, EuGHE 2002 I 1699 Rz. 31. 31 EuGH v. 17.1.1980 – 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 – Zelger vs. Salinitri, EuGHE 1980, 89 Rz. 3; EuGH v. 19.2.2002 – C-256/00, ECLI:EU:C:2002:99 – Besix vs. Kretzschmar, EuGHE 2002 I 1699 Rz. 31. 32 EuGH v. 3.5.2007 – C-386/05 – Color Drack vs. Lexx International, EuGHE 2007 I 3699 Rz. 22; EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Peter Rehder vs. Air Baltic Corporation, EuGHE 2009 I 6073 Rz. 32; EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 48; EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 22. 33 Zutreffend Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 6–8; Schack, ZEuP 1998, 935. 34 Schack, ZEuP 1998, 936. 35 So Hau, JZ 2008, 978.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände bei einem Abstellen auf den Bestimmungsort wirklich typischerweise erreicht wird. Das erscheint zweifelhaft. Kein durchschlagendes Argument ist auch der vorgeblich innere Zusammenhang zwischen Gerichtsstand und materiell-rechtlichem Leistungsort.36 Der entscheidende Vorteil eines Gerichtsstands am Erfüllungsort gegenüber dem am Entstehungsort liegt vielmehr in seiner leichteren Lokalisierbarkeit. Jede Leistung hat immer nur einen Erfüllungsort.37 Abschlussorte kann es dagegen mehrere geben. Den Vertragsparteien wird damit ein bereits bei Vertragsschluss vorhersehbarer Gerichtsstand verschafft. Zudem vermeidet dieser mehr als jener die Gefahr des Entstehens eines reinen Klägergerichtsstands.38 Dass sich auch der Gerichtsstand des Erfüllungsorts rechtspolitischer Kritik ausgesetzt sieht, soll nicht geleugnet werden. Sie ist gerade bei Geldleistungsansprüchen, die in Art. 57 CISG und zahlreichen nationalen Rechten als Bringschulden ausgestaltet sind und damit zu einem Klägergerichtsstand führen, durchaus berechtigt.39 Indes handelt es sich dabei um kein strukturelles Problem des Gerichtsstands des Erfüllungsortes, sondern lediglich um Auswirkungen einer Erfüllungsortbestimmung nach der lex causae, die durch entsprechende Änderungen zu beseitigen sind.40 Das Konzept insgesamt vermögen diese Unzulänglichkeiten hingegen nicht in Frage zu stellen. Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts führt, wenn auch nur als „relativ beste Lösung“,41 zu einem gerechten Interessenausgleich zwischen Kläger und Beklagten42 und entspricht am ehesten prozessualen Zweckmäßigkeitsanforderungen.43 b) Beschränkung auf Handelssachen? 10
Bei der Ausarbeitung des EuGVÜ stand in Diskussion, ob die Anwendbarkeit des jetzigen Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO auf reine Handelssachen zu begrenzen sei. Da jedoch absehbar war, dass den vertraglichen Schuldverhältnissen im Zuge der europäischen Integration eine immer größere Bedeutung zukommen und eine solche Einengung zu Qualifikationsproblemen führen würde, sah man von einer entsprechenden Beschränkung des Tatbestands ab.44 Allerdings wurden für verschiedene Vertragsarten (Versicherungs-, Arbeits- und Verbraucherverträge) besondere Zuständigkeitsregelungen geschaffen, die als leges speciales Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO vorgehen (Rz. 12). Vom Anwendungsbereich der Nr. 1 werden daher zwar nicht ausschließlich, aber doch überwiegend nur Vertragsstreitigkeiten zwischen Gewerbetreibenden erfasst. c) Personenkreis
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Der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO steht nicht nur den Vertragsparteien, sondern auch deren Gesamt- oder Einzelrechtsnachfolgern zur Verfügung, so etwa für Klagen des Insolvenzverwalters oder gegen ihn45 oder bei einer Zession einschließlich der Legalzession. Zwar geht der EuGH davon aus, dass bei Gerichtsständen, die bestimmte Klägerkategorien persönlich begünstigen sollen, dem Zessionar des höchstpersönlich Begünstigten der Klägergerichtsstand nicht zugute kommen kann,46 doch fehlt es beim Erfüllungsortsgerichtsstand an einer derartigen persönlichen Begünsti36 So aber Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 5; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1; Schlosser/ Hess/Schlosser, Rz. 1a; Schlosser, FS Bruns (1980) 56; Spellenberg, IPRax 1981, 77; dagegen mit guten Gründen Schack, Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (1985) Rz. 149; Schack, ZEuP 1998, 936; Schröder, Internationale Zuständigkeit (1971) 324 f.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1995) 678. 37 Zu Ausnahmen vgl. Rz. 84 ff. 38 Schack, Rz. 289. 39 Vgl. dazu Schlechtriem, IPRax 1981, 114; Schlosser, Riv. dir. int. 91 (1991), 28. 40 Gewohnt plastisch Schack, ZEuP 1998, 933: Wer allein wegen dieser Schwierigkeiten für eine Abschaffung plädiere, handele „so kurzsichtig wie jemand, der die Guillotine als Mittel gegen Kopfschmerzen empfiehlt“. 41 Kropholler, Handbuch des internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. I (1982), Kap. III Rz. 347. 42 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 4; Virgós Soriano/Garcimartín Alférez, 103. 43 Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1995) 679. 44 Jenard-Bericht, 23. 45 OLG Bremen, RIW 1998, 63; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 54. 46 So zu Art. 14 Abs. 1 EuGVÜ EuGH v. 19.1.1993 – C-89/91, ECLI:EU:C:1993:15 – Shearson Lehman Hutton vs.TVB, EuGHE 1993 I 139 Rz. 14 ff., und zu Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ: EuGH v. 15.1.2004 – C-433/01, ECLI:EU: C:2004:21 – Freistaat Bayern vs. Blijdenstein, EuGHE 2004 I 981 Rz. 31.
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Kap. II: Zuständigkeit
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gung einer einzelnen Klägerkategorie. Mit dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes wird nicht der ursprüngliche Gläubiger besonders geschützt, sondern werden andere Zwecke verfolgt (vgl. Rz. 9), so dass er einer Zession grundsätzlich offen steht und sich auch der Zessionar einer vertraglichen Forderung auf ihn berufen kann.47 In den Anwendungsbereich der Vorschrift sollen weiterhin Klagen gegen den falsus procurator bzw. überhaupt jede Person fallen, die aufgrund des von ihr zurechenbar gesetzten Rechtsscheins einen essentiell vertragsrechtlichen Anspruch hat entstehen lassen.48 Zu weit geht es jedoch, auch sämtliche Klagen gegen alle Personen, die für die Erfüllung einer vertraglich begründeten Verpflichtung haften, wie z.B. die Gesellschafter einer OHG (§ 128 HGB) oder die Kommanditisten einer KG (§§ 161, 171 HGB), als erfasst anzusehen;49 jedenfalls bei Ansprüchen auf Leistung der Hafteinlage, wie etwa nach § 171 Abs. 2 HGB, handelt es sich um keinen Anspruch der Gesellschaft, sondern einen unmittelbaren Anspruch der Gläubiger, die mit den Gesellschaftern aber niemals in einer Vertragsbeziehung gestanden haben.50 Keinesfalls ausreichend ist, dass der Beitritt des Kommanditisten auf vertraglicher Basis beruht, da dies allenfalls vertragliche Ansprüche i.S.v. Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zwischen ihm und der Gesellschaft, nicht aber zu deren Gläubigern begründet. Soweit der EuGH bei Durchgriffshaftung einer Differenzierung nach der Natur der Ansprüche gegen die Gesellschaft eine Absage erteilt hat,51 dürfte dies im hiesigen Kontext weder einen Schluss in die eine wie die andere Richtung zulassen.52 d) Subsidiarität Die Zuständigkeit des Gerichts am Erfüllungsort nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO tritt hinter verschie- 12 denen anderen Zuständigkeiten, die auf spezielle Vertragstypen zugeschnitten sind, zurück. So sind etwa die Regelungen über den Gerichtsstand für Klagen in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen (Art. 10 ff., 17 ff., 20 ff. Brüssel Ia-VO) leges speciales zu Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (vgl. auch Art. 10 Rz. 1, Vor. Art. 17–19 Rz. 1, Art. 20 Rz. 2). Für Klagen aus Miet- und Pachtverträgen über unbewegliche Sachen sind die Gerichte der Belegenheit der Sache und u.U. auch am Wohnsitz des Beklagten ausschließlich zuständig (Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO). Zu beachten sind außerdem besondere Zuständigkeiten für Vertragsklagen, die sich aus internationalen Übereinkommen ergeben und ebenfalls Vorrang genießen (Art. 71 Brüssel Ia-VO).53 Sie sind insb. im Bereich der Beförderungsverträge von Bedeutung, vgl. z.B. Art. 31 des Genfer „Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR)“,54 Art. 33 des Montrealer „Übereinkommens vom 28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr“,55 Art. 28 des Warschauer Abkommens zur Vereinheitlichung von Regeln über die Be-
47 BGH, RIW 2009, 569; OGH, ÖJZ 2005, 837; Hau, IPRax 2006, 507; Lorenz/Unberath, FS Schlosser (2005) 518; Mankowski, EWiR 2004, 379; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 68; Martiny, FS Geimer (2002) 661; Schlosser, JZ 2004, 409. 48 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 73; Martiny, FS Geimer (2002) 650; Rauscher, IPRax 1992, 146; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3; Roth in Stein/Jonas § 29 ZPO Rz. 5; a.A. OLG Saarbrücken, IPRax 1992, 166. 49 So – allerdings ohne jegliche Problematisierung – BGH v. 2.6.2003 – II ZR 134/02, NZG 2003, 812; zust. Schneider, BGHR 2003, 1008; wie hier Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 17 ff.; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 73; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 6. 50 So auch OLG Naumburg, NZG 2000, 1218; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 13; Lehmann, IPRax 2005, 110. 51 EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFÄB vs. Frank Koot, u.a., EuZW 2013, 703 Rz. 39 ff. 52 Thole, GPR 2014, 113, 115. 53 Vgl. dazu u.a. Mankowski, EWS 1996, 301 sowie die Kommentierung zu Art. 71 Brüssel Ia-VO. 54 BGBl. 1961 II 1119. Zum Verhältnis zwischen CMR und EuGVÜ bzw. Brüssel Ia-VO vgl. EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAbsB, ZIP 2015, 96 Rz. 42 = Rev crit DIP 2015, 207 m. Anm. Legros, 212; EuGH v. 28.10.2004 – 148/03 – Nürnberger Allgemeine Versicherung vs. Portbridge Transport International, EuGHE 2004 I 10327 Rz. 17; OGH, Europäisches Transportrecht 2003, 656; OGH, Europäisches Transportrecht 2003, 658; OGH, Europäisches Transportrecht 2003, 661; Corte di Cassazione, Riv div int priv proc 2006, 428; ausführlich Art. 71 Rz. 13 ff. 55 BGBl. 2004 II 458.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände förderung im internationalen Luftverkehr (WarschAbk.)56 oder Art. 52 CIV bzw. 56 CIM (Anhänge A bzw. B des „Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr [COTIF]“).57 e) Prozessuale Besonderheiten 13
Da es sich beim Erfordernis eines Vertrages um eine doppelrelevante Tatsache handelt, müssen vom Kläger stets die für das Vorliegen eines Vertrags schlüssigen Momente behauptet werden.58 Der schlichte Vortrag, ein Vertrag sei geschlossen worden, kann allenfalls dann ausreichen,59 wenn der Verfahrensgegner nicht widerspricht. Wird jedoch die Existenz eines Vertrags bestritten, ist der Kläger gehalten, detailliert die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich Hinweise auf einen Vertragsschluss entnehmen lassen.60 Ob tatsächlich ein Vertrag geschlossen wurde, ist dann allerdings erst eine Frage der Begründetheitsprüfung. 2. Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag a) Qualifikation
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Ein Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ist nur eröffnet, wenn „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ den Verfahrensgegenstand bilden (lit. a). Dabei handelt es sich um einen materiell-rechtlich geprägten Systembegriff, der als solcher Anknüpfungsgegenstand und einer Qualifikation zugänglich ist. Diese Qualifikation ist nicht nur für die Eingrenzung des Anwendungsbereichs von Nr. 1, sondern auch für ihre Abgrenzung zu Nr. 2 von essentieller Bedeutung. Denn im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung können nur Klagen erhoben werden, „mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Brüssel Ia-VO [jetzt Art. 7 Nr. 1] anknüpfen“.61 Problematisch ist jedoch, dass es einen mitgliedstaatenübergreifenden Vertragsbegriff nicht gibt. Fällt schon im nationalen Recht die Abgrenzung zwischen vertraglichen und nichtvertraglichen Ansprüchen schwer, so potenzieren sich diese Schwierigkeiten auf europäischer Ebene. Denn die nationalen Rechte geben auf die gleiche Frage oft differierende Antworten. Während z.B. in Deutschland und Österreich Ansprüche aus culpa in contrahendo vornehmlich vertragsrechtlich qualifiziert werden, dominiert vor allem in den romanischen Staaten eine deliktsrechtliche Einordnung.62 Angesichts dieser bei vielen Ansprüchen anzutreffenden Unterschiede kommt es entscheidend darauf an, ob eine Qualifikation des Vertragsbegriffs nach der lex fori, der lex causae oder autonom erfolgen soll. Eine Qualifikation nach der lex fori, wie sie etwa im deutschen Recht begegnet,63 wird für die Brüssel Ia-VO nicht vertreten.64 (1) Qualifikation nach der lex causae
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Jedoch finden sich bis heute in der Literatur verschiedentlich noch Protagonisten einer Qualifikation des Vertragsbegriffs nach der lex causae, d.h. nach dem auf den Vertrag anzuwendenden Recht,65 die vor allem – und nicht zu Unrecht – vor der mit einer autonomen Qualifikation stets verbundenen 56 BGBl. 1958 II 312. 57 V. 9.5.1980 (BGBl. 1985 II 144) i.d.F. des Protokolls vom 9.12.1990 (BGBl. 1992 II 1182). Vgl. außerdem Art. 57 CIV bzw. 46 CIM des COTIF i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 3.6.1999 (BGBl. 2002 II 2149). Zum Inkrafttreten des COTIF 1999 am 1.7.2006 vgl. TranspR 2006, 175. 58 OLG Saarbrücken v. 2.8.2007 – 8 U 295/06-74, OLGR Saarbrücken 2007, 796. 59 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 57. 60 OLG Koblenz, RIW 2006, 512. 61 EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988, 5565 Rz. 18; EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 22; EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 Rz. 21; EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. Henkel, EuGHE 2002 I 8111 Rz. 36. 62 Vgl. dazu m.w.N. Mankowski, IPRax 2003, 132 f. 63 Vgl. z.B. BGHZ 132, 108; ebenso Kropholler, Handbuch des internationalen Zivilverfahrensrechts, Bd. I (1982) Kap. III Rz. 352; Linke/Hau, Rz. 5.33; Schack, Rz. 291; a.A. Geimer, Rz. 1493. 64 Vgl. aber zum EuGVÜ Cour d’Appel de Paris, Rev. crit. dip. 68 (1979) 447.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Gefahr einer Aufspaltung in einen prozessualen und einen materiell-rechtlichen Vertragsbegriff warnen. Denn qualifiziert man autonom, könnte das angerufene Gericht bei der Anwendung von Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zum Ergebnis kommen, ein Vertrag liege vor, in der Sache dann aber entscheiden, aufgrund der lex causae sei doch kein Vertragsverhältnis gegeben.66 (2) Übereinkommensautonome Qualifikation Der EuGH hat sich hingegen bereits recht frühzeitig für eine autonome Qualifikation des Vertrags- 16 begriffs entschieden.67 Ziel des Übereinkommens sei die Vereinheitlichung der Zuständigkeitsregeln für die Gerichte der Vertragsstaaten (jetzt Mitgliedstaaten i.S.d. Brüssel Ia-VO). Der Kläger solle ohne Schwierigkeiten feststellen können, welches Gericht er anrufen, und dem Beklagten soll erkennbar sein, vor welchem Gericht er verklagt werden kann. Daher müsse sichergestellt werden, dass sich aus der Brüssel Ia-VO für deren Mitgliedstaaten und die betroffenen Personen soweit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben. Dieses Ziel lasse sich nur durch eine einheitliche, d.h. autonome Auslegung des Begriffs „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ erreichen.68 (3) Europäisch-autonome Qualifikation An einer autonomen Qualifikation des Vertragsbegriffs ist – in Übereinstimmung mit dem EuGH69 – 17 auch und gerade nach der Überführung des EuGVÜ in eine Verordnung festzuhalten. Ziel der Brüssel Ia-VO – wie überhaupt jeder EU-Verordnung – ist die Rechtsvereinheitlichung. Rechtsvereinheitlichung lässt sich aber nur erreichen, wenn ihre Normen auch einheitlich angewendet werden. Das bedingt eine weitest mögliche einheitliche Auslegung von Systembegriffen und schließt einen Rückgriff auf entsprechende Systembegriffe des nationalen Rechts grundsätzlich aus.70 Was bereits für internationale Regelwerke gilt, gilt in noch stärkerem Maße für supranationales Recht, insb. EU-Verordnungen, zumal weiterhin mit dem nunmehr nach dem Lissabonner Vertrag auch im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit – entgegen dem früheren nach Art. 68 Abs. 1 EGV – uneingeschränkt zur Auslegung berufenen EuGH eine Rechtsprechungsinstanz zur Verfügung steht, die für eine einheitliche Auslegung in den Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO Sorge trägt. Neben diesem eher formalen, weil rechtsaktsbezogenen Argument sprechen aber auch sonst die besseren Gründe für eine autonome Qualifikation. Zum einen kann nur sie verhindern, dass Gerichte 65 Bachmann, IPRax 1997, 238; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 16; Holl, IPRax 1998, 121; Lohse, Das Verhältnis von Vertrag und Delikt (1991) 194 ff.; Piltz, NJW 1981, 1876; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3a; Schlosser, IPRax 1984, 68; Schlosser, RIW 1988, 989; Spellenberg, ZZP 91 (1978) 41; Roth in Stein/Jonas § 29 ZPO Rz. 25. 66 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 17; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3a sowie Einl. 30; Piltz, NJW 1981, 1877. 67 Grundlegend: EuGH v. 22.3.1983 – 34/82, ECLI:EU:C:1983:87 – Peters vs. Zui Nederlande Aanemers Vereniging, EuGHE 1983, 987 Rz. 10. Seitdem st. Rspr., vgl. z.B. EuGH v. 8.3.1988 – 9/87, ECLI:EU:C:1988:127 – Arcado vs. Haviland, EuGHE 1988, 1539 Rz. 11; EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91 – Handte vs. Traitements mécanochimiques des surfaces, EuGHE 1992 I 3967 Rz. 10; EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 15; EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C: 2002:499 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 Rz. 19; EuGH v. 5.2.2004 – C-265/02, ECLI:EU:C:2004: 77 – Frahuil vs. Assitalia, EuGHE 2004 I 1543 Rz. 22. 68 EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 Rz. 20. 69 Vgl. aus jüngerer Zeit etwa EuGH v. 14.3.2013 – C-419/11 – Cˇeská sporˇitelna vs. Gerald Feichter, Rz. 45; EuGH v. 13.3.2014 – C-375/12, ECLI:EU:C:2014:138 – Kolassa vs. Barclay Bank Rz. 37; EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 – Profit Investment SIM SpA, in Liquidation vs. Stefano Ossi u.a. Rz. 53; C-9/12 – Corman-Collins SA vs. La Maison du Whisky SA Rz. 32; C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 32. 70 Soergel/Kegel, vor Art. 3 EGBGB Rz. 126 (allerdings für IPR-Staatsverträge); EuGH v. 22.3.1983 – 34/82, ECLI:EU:C:1983:87, IPRax 1984, 85 – Peters vs. Zui Nederlande Aanemers Vereniging, EuGHE 1983, 987 Rz. 10; EuGH v. 8.3.1988 – 9/87 – Arcado vs. Haviland, EuGHE 1988, 1539 Rz. 11; EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91 – Handte vs. Traitements mécano-chimiques des surfaces, EuGHE 1992 I 3967 Rz. 10; EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 15; EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 Rz. 19.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände bereits im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung kollisions- und materiell-rechtliche Erwägungen anstellen und womöglich noch den Inhalt einer fremden lex causae ermitteln müssen.71 Zum anderen vermeidet sie die mit einer Qualifikation nach der lex causae verbundenen Gefahren positiver72 und negativer73 Kompetenzkonflikte. Zwar mag man negative Kompetenzkonflikte für hinnehmbar halten, da dem Kläger immer noch der allgemeine Gerichtsstand nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zur Verfügung steht,74 doch ist dieser kein gleichwertiger Ersatz; denn anders als der Gerichtsstand des Erfüllungsorts ist der allgemeine Beklagtengerichtsstand nach Vertragsschluss noch durch eine Verlegung des Schuldnerwohnsitzes manipulierbar. Eine europäisch-autonome Qualifikation vermag Derartiges zu vermeiden und gewährleistet in wesentlich größerem Maße als eine Qualifikation nach der lex causae den europäischen Entscheidungseinklang. 19
Problematisch bleibt allerdings die fehlende Sicherung der prozessrechtlichen europäisch-autonomen Qualifikation auf der nationalen Ebene des materiellen Rechts. Hier ließe sich daran denken, die prozessrechtliche europäisch-autonome Qualifikation auf das nationale materielle Recht durchschlagen zu lassen.75 Dies hätte jedoch unweigerlich Systembrüche innerhalb des nationalen Rechts zur Folge (Aufsplitterung des Vertragsbegriffs je nachdem, ob sich die Zuständigkeit nach nationalem Recht oder nach der Brüssel Ia-VO bestimmt76). Abhelfen könnte eine umfassende Angleichung/Vereinheitlichung des materiellen Rechts. Davon ist man in Europa aber noch weit entfernt.77 Dem „Draft Common Frame of Reference“ fehlt es an Verbindlichkeit, der ohnehin gescheiterten Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht an einem hinreichend umfassenden Ansatz. Erforderlich wäre im Minimum ein „Common Frame of Reference“;78 ohne einen solchen bleibt nichts anderes, als zugunsten größeren Entscheidungseinklangs entweder diese Disharmonien in den Mitgliedstaaten hinzunehmen oder aber eine „falsche“, weil nicht mit dem der Sachentscheidung zugrunde liegenden materiellen Recht korrespondierende Zuständigkeitsbegründung zu akzeptieren. Mag dies auch wie eine Entscheidung zwischen Scylla und Charybdis erscheinen, so ist doch beides immer noch besser als eine zu weit stärkeren Verwerfungen führende Qualifikation nach der lex causae. b) Der Begriff des Vertrags
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Maßgeblich für das Vorliegen eines vertraglichen Rechtsverhältnisses ist nach Auffassung des EuGH, dass eine Partei gegenüber einer anderen freiwillig Verpflichtungen eingegangen ist.79 Freiwilligkeit setzt willensgesteuertes Handeln voraus. Die Abgabe der Willenserklärung muss auf einer autonomen Entscheidung beruhen. Eine Absicht, sich rechtsgeschäftlich binden zu wollen, ist hingegen nicht erforderlich. Zwar betont der EuGH zu Art. 17 Brüssel Ia-VO, die Erklärung müsse klar den Willen des Erklärenden zum Ausdruck bringen, im Fall einer Annahme durch die andere Partei an die Verbindlichkeit gebunden zu sein, indem er sich bedingungslos bereit erklärt, die fragliche Leistung zu erbringen,80 doch misst der Gerichtshof Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO einen „weiteren Anwendungs71 72 73 74 75 76 77
Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 19. Vgl. dazu Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Band I/1 (1983) 565. Beispiel bei Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 21. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 21. Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 19; dagegen Gaudemet-Tallon (2015), Nr. 180. Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 19. Vgl. aber die „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zum Europäischen Vertragsrecht“ (KOM [2000] 716) sowie die „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Ein kohärentes europäisches Vertragsrecht“ (KOM [2003] 68). 78 Vgl. die „Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament und den Rat: Europäisches Vertragsrecht und Überarbeitung des gemeinschaftlichen Besitzstands – weiteres Vorgehen“, KOM (2004) 651. 79 EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91 – Handte vs. Traitements mécano-chimiques des surfaces, EuGHE 1992 I 3967 Rz. 15; EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 17; EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 Rz. 23; EuGH v. 5.2.2004 – C-265/02, ECLI:EU:C:2004:77 – Frahuil vs. Assitalia, EuGHE 2004 I 1543 Rz. 24; EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand, EuGHE 2005 I 481 Rz. 50; EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 – Renate Ilsinger vs. Martin Dreschers, EuGHE 2009 I 3961 Rz. 55; EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc. Rz. 39; EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18 – Brian Andrew Kerr vs. Pavlo Postnov, und Natalia Postnova, RIW 2019, 364 Rz. 24.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
bereich“ zu.81 Es genügt daher, dass der Erklärung von ihrem Empfänger „vernünftigerweise“ der Bedeutungsgehalt eines rechtsgeschäftlichen Bindungswillens beigemessen wurde82 und – so ist zu ergänzen – ihr Urheber dies erkennen konnte.83 Der EuGH geht damit von der europaweit konsentierten Vorstellung vom Vertrag als einer durch Rechtsgeschäft entstandenen Sonderverbindung der Parteien84 aus und verlangt die Existenz eines auf autonomer Selbstbindung beruhenden verpflichtenden Rechtsgeschäfts.85 Ob und welchen Weiterungen dieser Vertragsbegriff zugänglich ist, bleibt offen und harrt noch weiterer Konkretisierung, doch soll stets zu beachten sein, dass die Gerichtsstände des Art. 7 Brüssel Ia-VO zur Wahrung des Grundsatzes actor sequitur forum rei einer weiten Auslegung nicht zugänglich sind (zur Kritik vgl. Rz. 3).86 Der vom EuGH umschriebene Vertragsbegriff ist, sofern tatsächlich Freiwilligkeit sowie eine auf einem Rechtsgeschäft gründende Beziehung von mindestens zwei Parteien stets unabdingbare Voraussetzung für die Annahme eine vertraglichen Rechtsverhältnisses i.S.v. Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO sein sollte,87 indes zu eng. Denn zum einen wird man z.B. Lieferverpflichtungen, die aufgrund eines Kontrahierungszwangs entstanden sind, kaum ihren gleichwohl vertraglichen Ursprung absprechen können (vgl. Rz. 32). Und zum anderen erscheint auch eine Ausgrenzung einseitiger Rechtsgeschäfte mit verpflichtender Wirkung wenig überzeugend. Zwar fehlt es hier an einer gegenseitig konsentierten Verpflichtung, d.h. einem Vertrag im klassischen Sinne, doch liegt immerhin eine willensgetragene und damit nicht qua Gesetz, sondern rechtsgeschäftlich begründete Verpflichtung vor (vgl. Rz. 31).
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Der Begriff des Vertrags in Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ist daher möglichst weit auszulegen. Um ver- 22 tragliche Ansprüche handelt es sich z.B. auch bei Ansprüchen, die aus der Eingehung eines Verlöbnisses entstanden sind, wird doch ein Verlöbnis regelmäßig freiwillig eingegangen. Einer vertraglichen Qualifikation steht nicht entgegen, dass nach Ansicht des BGH § 29 ZPO schon vom Ansatz her nicht auf Ansprüche aus dem Verlöbnis passt, „weil dessen Hauptpflicht, die Einlösung des Eheversprechens, nicht einklagbar ist“,88 wird doch auch vom BGH die Einordnung des Verlöbnisses als Vertrag nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern lediglich betont, dass es anderen schuldrechtlichen Vereinbarungen nicht gleichgesetzt werden kann.89 Daher sollten wenigstens aus dem Verlöbnis entspringende Sekundäransprüche im Vertragsgerichtsstand geltend gemacht werden können.90 Dass am Zustandekommen des Rechtsgeschäfts mindestens zwei Personen in der Art beteiligt waren, 23 dass die von ihnen beabsichtigten Rechtsfolgen durch ihre übereinstimmenden Erklärungen herbeigeführt worden sind, wird zwar die Regel sein, ist aber keine unabdingbare Voraussetzung. Für die Annahme eines Vertrags i.S.v. Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO genügt vielmehr schon jede rechtsgeschäftliche Verbindung, die auf einer willensgetragenen Verpflichtung mindestens einer Partei beruht (z.B. Auslobung).91 Darauf, ob die Verpflichtung tatsächlich gewollt war (Irrtum, Mentalreservation etc.), kommt es nicht an. Bereits die normative Verknüpfung eines willentlich erfüllten Tatbestands einer als Rechtsgeschäft anzusehenden Handlung mit dem Entstehen einer Verpflichtung genügt. Das Kriterium der Freiwilligkeit ist folglich zwar brauchbarer Ausgangspunkt für die Feststellung einer 80 EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 – Renate Ilsinger vs. Martin Dreschers, EuGHE 2009 I 3961 Rz. 55 = IHR 2010, 36 m. Bspr. Bach, 17; vgl. dazu auch Klauser, ecolex 2009, 641; Brenn, ÖJZ 2009, 845. 81 EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 – Renate Ilsinger vs. Martin Dreschers, EuGHE 2009 I 3961 Rz. 57. Zu Recht kritisch ggü. diesen unterschiedlichen Vertragsbegriffen Bach, IHR 2010, 23. 82 EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand, EuGHE 2005 I 481 Rz. 54. 83 So auch GA Jacobs, C-27/02 – Engler vs. Janus Versand, EuGHE 2005 I 481 Rz. 47. 84 Vgl. zum „europäischen Vertragsbegriff“ auch Kegel, GS Lüderitz (2000) 347 ff. 85 Näher und kritisch zu dieser Konzeption Stadler, FS Musielak (2004) 580 ff. 86 EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 16. 87 So wird der EuGH etwa verstanden von Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 53. 88 BGHZ 132, 109 f.; vgl. zu dieser Entscheidung auch Gottwald, JZ 1997, 92; Hohloch, JuS 1996, 850; Mankowski, IPRax 1997, 173. 89 BGHZ 132, 109. 90 So auch Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 518; a.A. aber anscheinend BGH, NJW-RR 2005, 1090, der auf § 13 ZPO und nicht Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ abstellt. 91 Bach, IHR 2010, 23.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände privatautonomen Selbstbindung, sein Fehlen aber kein letztgültiges Ausschlusskriterium.92 Entscheidend ist nicht die Freiwilligkeit der Bindung, sondern die der zu einer rechtsgeschäftlichen Bindung führenden Handlung. Und selbst hierauf kommt es nicht an, wenn das Gesetz eine Partei zur Vornahme einer solchen Handlung verpflichtet (Kontrahierungszwang). 23a
Um vertragliche Ansprüche handelt es sich nach Auffassung des EuGH auch, wenn ein Flugreisender Ausgleichsansprüche nach der VO (EG) 261/2004 bei mehrteiligen Flugleistungen gegen einen Untercarrier geltend macht, mit dem er keinen eigenständigen Vertrag geschlossen hat. Der Gerichtshof geht unter Verweis auf Art. 3 Abs. 5 S. 2 VO (EG) 261/2004 davon aus, dass der Untercarrier Verpflichtungen erfüllt, die er gegenüber dem Vertragspartner des Fluggastes – dem Hauptcarrier – freiwillig eingegangen ist und diese Verpflichtungen wiederum ihren Ursprung im Vertrag zwischen Hauptcarrier und Fluggast finden.93 Was damit dogmatisch gemeint ist, bleibt freilich im Dunkeln. Überzeugender wäre es gewesen, hier gleich von einem Vertrag zugunsten Dritter auszugehen.94
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Nimmt der Kläger eine Person aufgrund tarifvertraglicher Vorschriften in Anspruch, deren Geltung für nicht Tarifgebundene allein auf dem Rechtsetzungsakt der Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 TVG und hinsichtlich der Urlaubskassenbeiträge als Teil des Sozialkassenbeitrages zusätzlich auf Gesetz (§ 1 Abs. 3 AEntG a.F.) beruht, handelt es sich dabei um keine vertraglichen Ansprüche, da sie nicht freiwillig begründet, sondern durch hoheitliche Anordnung bzw. Gesetz begründet wurden.95 c) Der Begriff der Ansprüche aus einem Vertrag
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Zum anderen unterfallen Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO aber auch die in der Praxis wesentlich zahlreicheren Verfahren über „Ansprüche aus einem Vertrag“. Gemeint sind damit zuvörderst die aus dem Vertrag resultierenden Primäransprüche auf Erfüllung einer Haupt- oder Nebenpflicht;96 im Einzelfall mag es freilich nicht immer ganz einfach sein, diese von einem gesetzlichen Anspruch abzugrenzen.97 Ansprüche aus einem Vertrag sind aber ebenso – wie auch Art. 12 Rom I-VO für das Kollisionsrecht deutlich macht98 – sämtliche vertraglichen Sekundäransprüche, etwa Schadensersatz wegen Vertragsverletzung, Rückerstattung zu viel entrichteten Entgelts nach Minderung usw. (vgl. Rz. 33 f.). Darüber hinaus können auch Ansprüche auf Zahlung einer Vertragsstrafe99 oder auf Vertragsanpassung100 im Vertragsgerichtsstand geltend gemacht werden. Um „Ansprüche aus einem Vertrag“ handelt es sich auch bei Ausgleichsansprüchen zwischen zwei Gesamtschuldnern, die einer dritten Person gegenüber gemeinsam vertraglich verpflichtet waren.101 d) Einzelne vertragliche Ansprüche
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Vereins- und gesellschaftsrechtliche Ansprüche, die nicht den Bestand der Korporation betreffen und ihren Grund im Mitgliedschaftsverhältnis haben, werden vom EuGH dem Vertragsgerichtsstand zugewiesen. So können etwa Zahlungsansprüche eines Vereins gegen ein Vereinsmitglied am Erfül92 Martiny, FS Geimer (2002) 650; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 40. 93 EuGH v. 7.3.2018 – verb. Rs. C-274/16, C-447/16 und C-448/16 – Flightright vs. Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterráneo SA, NJW 2018, 2105 Rz. 62 f. 94 Angedeutet in SchlA GA Bobek, verb. Rs. C-274/16, C-447/16 und C-448/16 – Flightright vs. Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterráneo SA, NJW 2018, 2105 Rz. 52. 95 LAG Frankfurt/M., IPRax 2008, 131 m. Bspr. Eichenhofer, 109; Leible/Freitag, § 2 Rz. 60. 96 Vgl. z.B. zur Erfüllungsklage BGH v. 31.1.1991 – III ZR 150/88, RIW 1991, 513. 97 Vgl. zur vertraglichen Qualifikation des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters nach § 89b HGB OLG Oldenburg v. 25.2.2014 – 13 U 86/13, NJW-RR 2014, 814 = IHR 2014, 112. 98 Auch EuGH v. 8.3.1988 – 9/87, ECLI:EU:C:1988:127 – Arcado vs. Haviland, EuGHE 1988, 1539 Rz. 15, zieht Art. 10 EVÜ (entspricht Art. 12 Rom I-VO) als Auslegungshilfe heran; vgl. außerdem Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 14; Mankowski, IPRax 2003, 132; EuGH v. 8.3.1988 – 9/87, ECLI:EU:C:1988:127 – Arcado vs. Haviland, RIW 1989, 139. 99 KG v. 25.4.2014 – Az 5 U 113/11, IPRax 2015, 90; OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, NJW 1990, 652. 100 OLG Köln v. 25.3.2014 – Az 3 U 171/13. 101 EuGH v. 15.6.2017 – C-249/16 – Saale Kareda vs. Stefan Benkö, RIW 2017, 504 Rz. 44 = EWiR 2017, 577 (Mankowski); vgl. dazu auch Slonina, ecolex 2018, 136.
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lungsort der Zahlungsschuld geltend gemacht werden.102 Zwar ist das Mitgliedschaftsverhältnis kein typisches Vertragsverhältnis, doch verpflichtet sich das Mitglied immerhin zur Zahlung von Beiträgen, während der Verein im Gegenzug seinen Verpflichtungen aus der Vereinssatzung nachkommen muss. Darauf, ob ein Anspruch direkt der Satzung entspringt oder erst aufgrund eines Beschlusses des Vorstands entsteht, kommt es nicht an.103 Die Anwendung von Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO auf derartige Ansprüche führt zu einer Zuständigkeitskonzentration am Vereinssitz, da dieser i.d.R. mit dem Erfüllungsort identisch sein wird. Zuständig ist damit das Gericht, das die Vereinssatzung, -bestimmungen und -beschlüsse sowie die Umstände, die mit der Entstehung des Streits zusammenhängen, am besten verstehen wird.104 Aus den gleichen Gründen unterfallen auch Ansprüche, die aus den Binnenbeziehungen einer Gesellschaft entstehen, etwa einer Aktiengesellschaft105 oder GmbH, Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO.106 Als vertraglich zu qualifizieren sind z.B. Ansprüche auf Rückzahlung gem. den mit Wirkung vom 1.11.2008 aufgehobenen107 §§ 32a, 32b GmbHG,108 Ansprüche aus Differenz- und Ausfallhaftung (§§ 9, 24 GmbHG) sowie Ansprüche auf Rückübertragung unter Verletzung von § 30 GmbHG entnommener Beträge.109 Gleiches gilt für Ansprüche aus der organschaftlichen Sonderrechtsbeziehung zwischen einer Gesell- 26a schaft und ihrem Geschäftsführer bzw. Vorstand,110 da deren Bestellung nicht durch einseitigen Akt erfolgt, sondern der Annahme bedarf.111 Dabei ist freilich zu beachten, dass derartige Ansprüche überhaupt nur dann unter Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO fallen können, wenn der Geschäftsführer nicht als Arbeitnehmer einzuordnen ist. Der EuGH macht dies davon abhängig, ob andere Organe des Unternehmens ihm gegenüber weisungsbefugt sind, weil dann ein für die Arbeitnehmereigenschaft konstitutives Unterordnungsverhältnis vorläge (ausf. Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 62 ff.).112 Das kann auch bei Geschäftsführern, die zugleich Gesellschafter sind, der Fall sein. Ein Rekurs auf Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO kommt erst bei einer nicht unerheblichen Möglichkeit der Einflussnahme des Geschäftsführers auf die anderen Organe der Gesellschaft in Betracht.113 Liegt eine solche vor, fällt die Klage einer Gesellschaft gegen ihren Geschäftsführer wegen Verletzung seiner Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner gesellschaftsrechtlichen
102 EuGH v. 22.3.1983 – 34/82, ECLI:EU:C:1983:87 – Peters vs. Zui Nederlande Aanemers Vereniging, EuGHE 1983, 987 Rz. 13 ff. 103 EuGH v. 22.3.1983 – 34/82, ECLI:EU:C:1983:87 – Peters vs. Zui Nederlande Aanemers Vereniging, EuGHE 1983, 987 Rz. 18. 104 EuGH v. 22.3.1983 – 34/82, ECLI:EU:C:1983:87 – Peters vs. Zui Nederlande Aanemers Vereniging, EuGHE 1983, 987 Rz. 14; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 12. 105 EuGH v. 10.3.1992 – 214/89 – Duffryn, EuGHE 1992 I 1769 Rz. 16. 106 OLG Naumburg, NZG 2000, 1219; OLG Jena, NZI 1999, 82 m. zust. Anm. Mankowski, 56, 57. Zur vertraglichen Qualifikation der Innenrechtsverhältnisse einer Gesellschaft s. auch Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 106 ff. 107 Gesetz vom 23.10.2008 (BGBl. I 2026). 108 OLG Bremen, RIW 1998, 63 zu Art. 5 Nr. 1 LugÜbk 1988; OLG Köln, NZG 2004, 1010; Altmeppen, NJW 2004, 103; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 31; Martiny, FS Geimer (2002) 659; Schwarz, NZI 2002, 294; Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 274; a.A. z.B. Lehmann, GmbHR 2005, 980; Ulmer, NJW 2004, 1207; Ulmer, KTS 2004, 299; Haas, NZI 2002, 465 f.; Weller, IPRax 2004, 414. 109 OLG Koblenz v. 11.1.2001 – 6 U 1199/98, NZG 2001, 759 m. abl. Anm. Haas, DStR 2002, 144; Brödermann, EWiR 1998, 126; Schwarz, NZI 2002, 297. 110 OGH, ZfRV 2004, 240; OLG Düsseldorf v. 18.12.2009 – 17 U 152/08, IPRax 2011, 176 = GmbHR 2010, 591; OLG München, RIW 1998, 871 (= RIW 1999, 143) m. Bspr. Haubold, IPRax 2000, 375; OLG Celle, RIW 2000, 710; LG Bonn v. 30.11.2010 – 10 O 502/09, IPRax 2013, 80; Weber, IPRax 2013, 69, 71 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 13; Zöller/Geimer, Rz. 31. 111 OLG München, RIW 1998, 871; OLG Düsseldorf, GmbHR 2010, 593; Weber, IPRax 2013, 69, 71. 112 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 Rz. 45 ff. RIW 2015, 821 m. Anm. Mankowski = IPRax 2016, 151 m. Bspr. Kindler; vgl. dazu auch Gräf, GPR 2016, 148; Hübner, ZGR 2016, 897; Knöfel, EuZA 2016, 348; Lüttringhaus, EuZW 2015, 904. 113 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 Rz. 47.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände Aufgabe unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ i.S.v. Art. 7 Nr. 1 Brüssel IaVO.114 26b
Für Ansprüche aus Geschäftsführerhaftung i.S.v. § 64 GmbHG ist deren vertragsrechtliche Qualifikation freilich umstritten; denn mag es sich formal auch um einen Anspruch der Gesellschaft handeln, so zielt der Anspruch materiell auf den Schutz der Gläubigerinteressen, die außerhalb der vertraglichen Sonderbeziehung liegen; nach z.T. vertretener Ansicht sollen diese Ansprüche daher nicht als vertraglich, sondern als deliktisch einzuordnen sein,115 während andere von einer insolvenzrechtlichen Qualifikation ausgehen und die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO bestimmen.116 Der EuGH hat sich für – aber auch nur für – im Rahmen eines Insolvenzverfahrens geltend gemachte Ansprüche aus § 64 GmbHG der letzteren Ansicht angeschlossen.117 Zur Wahrung systematischer Kohärenz dürfte im Übrigen eine deliktische Qualifikation geboten sein, seitdem der EuGH auch die Insolvenzverschleppungshaftung deliktisch qualifiziert (vgl. Rz. 110). Das bedeutet freilich noch lange nicht, dass sie auch im Deliktsgerichtsstand geltend gemacht werden können. Denn der EuGH lässt dies nur dann zu, wenn ein derartiger Anspruch „nicht an das vertragliche Rechtsverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer anknüpft“.118 Kann es hingegen (auch) als Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung ggü. der Gesellschaft gesehen, bleibt Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO einschlägig.119
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Auf Ausgleich und Schadensersatz gerichtete Ansprüche im faktischen Konzern sind nicht „vertraglich“ i.S.v. Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO,120 wohl aber Ansprüche aus Durchgriffshaftung bei Existenz eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags.121 Vertraglich sind weiterhin z.B. Abfindungsansprüche nach §§ 291, 305 AktG,122 der Barabfindungsanspruch nach § 29 Abs. 1 UmwG sowie der Zuzahlungsanspruch nach § 15 Abs. 1 UmwG.123 Ebenfalls als vertragliche Ansprüche zu qualifizieren sind schuldrechtliche Ansprüche aus dem Wohnungseigentümergemeinschaftsverhältnis, so etwa Zahlungsansprüche gegen einen Wohnungseigentümer, deren Rechtsgrundlage in der Beschlussfassung der Wohnungseigentümer in Verbindung mit der Teilungserklärung (TE) und dem WEG besteht.124 Auch wenn die Mitgliedschaft in der Eigentümergemeinschaft gesetzlich vorgeschrieben sein mag, werden jedenfalls die Einzelheiten der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums gegebenenfalls durch Vertrag geregelt und erfolgt der Eintritt in die Eigentümergemeinschaft durch freiwilligen Erwerb einer Eigentumswohnung samt Miteigentumsanteilen an den gemeinschaftlichen Bereichen, „so dass es sich bei der Verpflichtung der Miteigentümer gegenüber der Eigentümergemeinschaft um 114 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 Rz. 50. 115 Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO und nicht Nr. 1 für einschlägig hält OLG Karlsruhe, EuZW 2010, 359 = OLG Karlsruhe v. 22.12.2009 – 13 U 102/09, IPRax 2011, 179 = NZG 2010, 509. 116 So Haas, NZG 2010, 495; Mankowski, NZI 2012, 53; Wais, IPRax 2011, 138 f.; offen gelassen von OLG Köln v. 9.6.2011 – 18 W 34/11, NZG 2012, 233. 117 EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13 – G.T. GmbH vs. H. K., NZG 2015, 154 Rz. 25 f. 118 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 Rz. 50. 119 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 Rz. 51. 120 OLG Düsseldorf, IPRax 1998, 210 m zust. Bspr. Zimmer, 187; OLG Frankfurt, IPRax 2000, 525 m. abl. Bspr. Kulms, 488; OLG Stuttgart, IPRax 2008, 433 Rz. 34 m. Bspr. Schinkels, 412; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 19; Bachmann, IPRax 2009, 143; a.A. Martiny, FS Geimer (2002) 664 f.; Möllers, Internationale Zuständigkeit bei der Durchgriffshaftung (1987) 86; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 8; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 6. Differenzierend zwischen Konzerninnen- und -außenhaftung Haubold, IPRax 2000, 379 ff.; Kindler, FS Ulmer (2003) 310 ff. Für eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation der Existenzvernichtungshaftung aus internationalprivatrechtlicher Perspektive s. Jahn, Die Anwendbarkeit deutscher Gläubigerschutzvorschriften bei einer EU-Kapitalgesellschaft mit Sitz in Deutschland, 2014, 319 ff. 121 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 39; ausf. Bruhns, Das Verfahrensrecht der internationalen Konzernhaftung (2006). 122 So auch LG Flensburg v. 12.5.2005 – 6 O 139/03. 123 Weppner, Der gesellschaftsrechtliche Minderheitenschutz bei grenzüberschreitender Verschmelzung von Kapitalgesellschaften (2010) 116 f. 124 OLG Stuttgart, NJW-RR 2005, 814; LG Frankfurt, NZM 2014, 438; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 48.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
eine freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung“ i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO handelt.125 Um einen „vertraglichen Anspruch“ i.S.d. Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO handelt es sich schließlich auch bei der Inanspruchnahme des Gesellschafters einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts aus einem Vertrag, den der Gläubiger mit der BGB-Gesellschaft geschlossen hat.126 Als vertraglich einzuordnen sind weiterhin Ansprüche aus einem Vertrag zur Auseinandersetzung einer GbR.127 Bei wechselrechtlichen Ansprüchen ist zu differenzieren. Ausgeschlossen sind Ansprüche gegen den 27 Wechselaussteller, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Ansprüche des Wechselnehmers (Art. 9 Abs. 1 WG)128 oder des Indossatars (Art. 9 Abs. 1, 14 Abs. 1 WG) handelt.129 Im Vertragsgerichtsstand geltend gemacht werden können dagegen Ansprüche des Wechselnehmers gegen den Akzeptanten (Art. 28 Abs. 1 WG) oder den Aussteller eines Eigenwechsels (Art. 78 Abs. 1 WG) sowie Ansprüche des Indossatars gegen den Akzeptanten.130 Ebenfalls als vertragliche Ansprüche zu qualifizieren sind Ansprüche gegen den Wechselbürgen (Art. 30 ff. WG).131 Bei scheckrechtlichen Ansprüchen ist insbesondere umstritten, ob der Rückgriffsanspruch des Schecknehmers gegen den Aussteller als vertraglicher Anspruch132 oder als gesetzlicher Anspruch133 anzusehen ist.134 Auch hier gilt nichts anderes als im Wechselrecht, so dass Ansprüche gegen den Scheckaussteller ebenfalls vom Vertragsgerichtsstand ausgenommen sind. Die Klage aus einem Scheck, der zur Begleichung einer Kaufpreisschuld begeben wurde, begründet im Übrigen auch keinen Gerichtsstand am Erfüllungsort der Kaufpreisschuld, da sich die Verpflichtung des Ausstellers keinesfalls, und zwar auch nicht als Nebenpflicht, aus dem Kaufvertrag ergibt, selbst wenn der Scheck erfüllungshalber hingegeben wurde.135 Bei Klagen aus einem Konnossement scheidet eine vertragliche Qualifikation ebenfalls aus, falls nicht der Aussteller des Dokuments, sondern ein in diesem nicht genannter Verfrachter in Anspruch genommen wird;136 wird dagegen der Aussteller des Konnossements aus dem Konnossement verklagt, ist der Anspruch dagegen vertraglicher Natur.137 Nicht vertraglich zu qualifizieren sind im Fall einer Fremdemission einer Inhaberschuldverschreibung Ansprüche des Anlegers gegen den Emittenten aus den Anleihebedingungen, Ansprüche aus der Verletzung von Informations- und Kontrollpflichten und Ansprüche aus Prospekthaftung.138 Für erstere kann das allerdings nur gelten, wenn der Anleger nicht selbst Inhaber der Schuldverschreibungen geworden ist, sondern lediglich einen Anspruch auf deren Lieferung gegen den Intermediär hat, der diese im eigenen Namen auf Rechnung seiner Kunden hält.139 Denn das verbriefte Recht ist vertraglicher Natur und wenn der Kunde es mit dem Erwerb der Schuldverschreibung erwirbt, liegt es nicht anders als bei der Abtretung jeder anderen vertraglichen Forderung (vgl. Rz. 11).
125 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18 – Brian Andrew Kerr vs. Pavlo Postnov und Natalia Postnova, RIW 2019, 364 Rz. 27. 126 BGH, EuLF 2009, II-20. 127 OLG Hamm v. 13.11.2006 – 8 U 139/06, NJW-RR 2007, 478. 128 Vgl. dazu LG Göttingen, RIW 1977, 235; LG Bayreuth v. 29.6.1988 – KH O 31/88, IPRax 1989, 230; LG Frankfurt/M. v. 5.10.1995 – 3/5 O 53/95, IPRax 1997. 258; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 19. 129 Bachmann, IPRax 1997, 241; differenzierend Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 6. 130 Bachmann, IPRax 1997, 240 ff.; Martiny, FS Geimer (2002) 659; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 6. 131 EuGH v. 14.3.2013 – C-419/11 – Cˇeská sporˇitelna vs. Feichter, RIW 2013, 292. 132 So etwa Baumbach/Hefermehl, WechselG und ScheckG22 (2000) Einl. ScheckG Rz. 16; Häuser in MünchKomm/HGB ZahlungsV Rz. D 204. 133 So LG Göttingen, RIW 1977, 235; LG Bayreuth v. 29.6.1988 – KH O 31/88, IPRax 1989, 230; LG Frankfurt/M. v. 5.10.1995 – 3/5 O 53/95, IPRax 1997, 258; Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere12 (1986) § 3 I 2b. 134 Offen gelassen von BGHZ 157, 229 f. Zu alldem Schimansky/Bunte/Lwowski/Nobbe, Bankrechts-Handbuch5 (2017), § 62 Rz. 24 m.w.N. 135 BGHZ 157, 231; ebenfalls zustimmend Walker/Reichenbach, EWiR 2004, 405. 136 EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 17 ff.; vgl. dazu auch Koch, IPRax 2000, 186; Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 70. 137 Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 64 ff. 138 EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc. Rz. 41. Vgl. dazu auch M. Müller, EuZW 2015, 218, 221 f.; Mankowski, LMK 2015, 367447. 139 So der Sachverhalt von EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc. Rz. 15.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände 28
Zu differenzieren ist weiterhin bei Klagen, die im Zusammenhang mit einer Bürgschaft stehen. Zweifelsohne vertraglich ist das Verhältnis zwischen Bürge und Gläubiger, da dieser sich jenem gegenüber freiwillig verpflichtet hat, „für die Erfüllung der Hauptpflicht, die dem Schuldner obliegt, einzustehen“.140 Ebenfalls vertraglicher Natur sind Ansprüche des Bürgen gegen den Hauptschuldner, sofern dieser im Wege der Legalzession (vgl. z.B. § 774 Abs. 1 S. 1 BGB) auf ihn übergegangene vertragliche Ansprüche des Gläubigers geltend macht (vgl. bereits Rz. 11). Gleiches gilt, wenn der Bürge seinen Regressanspruch nicht auf die Legalzession, sondern ein der Bürgschaft zugrunde liegendes Rechtsverhältnis vertraglicher Natur, etwa einen Auftrag oder Geschäftsbesorgungsvertrag, nicht aber GoA (vgl. Rz. 35), stützt, sofern dessen Entstehung vom Hauptschuldner konsentiert wurde. Wurde es durch Dritte begründet, müssen sie vom Hauptschuldner hierzu ermächtigt worden sein.141 Nach Auffassung des EuGH soll in einem solchen Fall der Bürge im Gerichtsstand des der Bürgschaft zugrunde liegenden Vertrags mit dem Hauptschuldner aber nicht nur seinen aus diesem Vertragsverhältnis folgenden Aufwendungsersatzanspruch, sondern auch im Wege der Legalzession auf ihn übergegangene Ansprüche des ursprünglichen Gläubigers gegen den Hauptschuldner geltend machen können, und zwar selbst dann, wenn es sich dabei um nicht-vertragliche oder sogar (ursprünglich) öffentlich-rechtliche Ansprüche handelt, für die der Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ansonsten gar nicht eröffnet wäre.142 Das geht sehr weit,143 lässt aber eine Tendenz in der Rspr. des EuGH deutlich werden, wenigstens dem Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO auch eine Annexkompetenz für die Geltendmachung außervertraglicher Ansprüche (vgl. auch Rz. 101) zuzusprechen.144
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Ebenfalls als vertraglich anzusehen ist das aus einer (harten) Patronatserklärung resultierende Rechtsverhältnis zwischen Patron und Kreditgeber.145
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Ob und inwieweit Ansprüche aus culpa in contrahendo vertraglich qualifiziert werden können, ist umstritten. Nach z.T. vertretener Auffassung fallen Ansprüche aus jeglicher vorvertraglicher Pflichtverletzung in den Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO.146 Die Gegenansicht sieht in der c.i.c. keinen Anwendungsfall der Nr. 1, sondern der Nr. 2.147 Eine vermittelnde Meinung will Nr. 1 bei Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten, hingegen Nr. 2 bei der Verletzung von Verkehrs- und Schutzpflichten anwenden.148 Nach wieder anderer Auffassung soll eine vertragliche Qualifikation nur in Betracht kommen, wenn zwischen den Parteien bereits ein Vertrag geschlossen worden ist.149 Der EuGH hat sich letzterer Auffassung angeschlossen und geht bei einem Anspruch auf Schadensersatz wegen des ungerechtfertigten Abbruchs von Vertragsverhandlungen von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO und nicht von Nr. 1 aus, sofern der Anspruch qua Gesetzes angeordnet wird und nicht auf einer vorgängigen freiwilligen Verpflichtung beruht.150 Da der Gerichtshof maßgeblich da140 EuGH v. 22.5.2003 – C-266/01, ECLI:EU:C:2003:282 – TIARD vs. Niederlande, EuGHE 2003 I 4867 Rz. 28. Vgl. zu dieser Entscheidung auch Geimer, IPRax 2003, 512; Wittwer, ZEuP 2005, 868. Vgl. auch OLG Braunschweig, ZInsO 2019, 1389. 141 EuGH v. 5.2.2004 – C-265/02, ECLI:EU:C:2004:77 – Frahuil vs. Assitalia, EuGHE 2004 I 1543 Rz. 26. Vgl. zu dieser Entscheidung auch Freitag, IPRax 2004, 305; Lehmann, ZZPInt 2004, 172; Lorenz/Unberath, IPRax 2004, 298; Mankowski, EWiR 2004, 379; Wittwer, ZEuP 2005, 868. 142 EuGH v. 5.2.2004 – C-265/02, ECLI:EU:C:2004:77 – Frahuil vs. Assitalia, EuGHE 2004 I 1543 Rz. 26. 143 Ablehnend daher Freitag, IPRax 2004, 308; Mankowski, EWiR 2004, 379. 144 Dem EuGH insoweit zustimmend daher Lorenz/Unberath, IPRax 2004, 304; Lorenz/Unberath, FS Schlosser (2005) 525. 145 LG Düsseldorf, RIW 2005, 629 m. Anm. Mecklenbrauck. 146 OLG München I, IPRspr. 1954/55 Nr. 18 = BB 1955, 205; LG Hamburg/OLG Hamburg, IPRspr. 1976 Nr. 125a, b; Stadler, FS Musielak (2004) 591; für die Gewinnzusage Lorenz, NJW 2000, 3310. 147 Für eine rein deliktische Qualifikation RGZ 159, 33; Cassaz, Riv. dir. int. priv proc 2008, 795; OLG München v. 24.2.1983 – 24 U 141/79, WM 1983, 1093; Engert/Groh, IPRax 2011, 465; Fenge, FS Kaissis (2012) 213; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 221; wohl auch Dasser/Oberhammer/Oberhammer, Art. 5 LugÜbk Rz. 20 f. 148 LG Dortmund, IPRspr. 1998 Nr. 139; LG Braunschweig, IPRax 2002, 214; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 75; Lorenz, NJW 2000, 3309; Lorenz, IPRax 2002, 194; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 12; Martiny, FS Geimer (2002) 654; Valloni, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Luganer und Brüsseler Übereinkommen (1998)198 ff.; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 23; wohl auch noch Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 55. 149 LG Braunschweig, IPRax 2002, 214 f.; Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 132; Schack, Rz. 293. 150 EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 Rz. 27; ablehnend Mankowski, IPRax 2003, 135; Stadler, FS Musielak (2004) 591.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
rauf abhebt, dass „irgendeine … freiwillig eingegangene Verpflichtung bestanden“ hat,151 kommt es bei Ansprüchen aus c.i.c. folglich immer auf das Bestehen eines Vertrages, mindestens aber einer einseitigen, willentlich eingegangenen Verpflichtung an. Bestätigt hat der EuGH diese Rechtsauffassung in der Rs. Granarolo, in der er hervorhebt, dass eine Schadensersatzklage wegen plötzlichen Abbruchs langjähriger Geschäftsbeziehungen als vertraglich einzuordnen ist, wenn zwischen den Parteien eine stillschweigende vertragliche Beziehung bestand.152 Für die Annahme des Vorliegens einer solchen stillschweigenden vertraglichen Beziehung bedarf es eines ganzen Bündels übereinstimmender Indizien, zu denen u.a. das Bestehen langjähriger Geschäftsbeziehungen, Treu und Glauben zwischen den Parteien, die Regelmäßigkeit der Transaktionen und deren in Menge und Wert ausgedrückte langfristige Entwicklung, etwaige Absprachen zu den in Rechnung gestellten Preisen und/oder zu den gewährten Rabatten sowie die ausgetauschte Korrespondenz gehören können.153 Vorvertragliche Pflichtverletzungen werden aber auch in derartigen Fällen nur erfasst, wenn sie vertragsgegenstandsbezogen sind. Davon ist bei der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungs- und Beratungspflichten, nicht aber von Schutz- oder Obhutspflichten auszugehen. So kann etwa eine Klage auf Vertragsaufhebung wegen mangelnder Aufklärung durch den Vertragspartner im Vertragsgerichtsstand erhoben werden.154 Auf dieser Linie liegt auch die Rechtsprechung des BGH zum Verbrauchergerichtsstand, wenn er die culpa in contrahendo insoweit vertraglich qualifiziert, als es zu einem Vertragsschluss gekommen ist und der Kläger Schadensersatz wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht verlangt.155
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Einseitige Rechtsgeschäfte zeichnen sich dadurch aus, dass durch sie nur der Wille einer Partei verwirklicht wird. Sie sind zwar keine Verträge, sollten aber, sofern sie verpflichtende Kraft haben, wie Verträge behandelt und dem Vertragsgerichtsstand unterstellt werden.156 Zum gleichen Ergebnis gelangt letztlich auch der EuGH, da er zwar stets eine „Annahmeerklärung“ verlangt, hierfür aber die Einforderung der Leistung genügen lässt.157 Von einseitigen Rechtsgeschäften zu unterscheiden sind Ansprüche aus Gewinnmitteilungen (z.B. § 661a BGB, § 5j öKSchG). Eine vertragliche Qualifikation müsste, nähme man die Voraussetzung der Freiwilligkeit wirklich ernst, ausscheiden, da es zu einer Haftung selbst bei Kenntnis des Mitteilungsempfängers vom fehlenden Bindungswillen des Mitteilenden kommt. Einschlägig wäre dann grundsätzlich Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO158 und nicht Nr. 1.159
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151 EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 Rz. 24. 152 EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 28 = EuZW 2016, 590 m. Anm. Landbrecht = EWiR 2016, 747 (Mankowski) = JZ 2017, 96 m. Anm. Klöpfer/Wendelstein = IPRax 2017, 396 m. Bspr. Huber, 356 = ZVertriebsR 2017, 56 m. Anm. Kutscher-Puis = GPR 2016, 304 m. Anm. Meyer/Hartge = JDI 2016, 1225 m. Anm. Heymann. Vgl. dazu auch Grusˇic´, ERCL12 (2016), 395; Hübner/Pika, ZEuP 2017, 32; Labella, Europa e diritto privato 2017, 1539; Licari, Rev. crit. dip. 2016, 703; Stade, ZVertriebsR 2018, 9. Zum Ausgang des Verfahrens vgl. Lammerville/Marion, JCIP t 2018, n15-16, 41. 153 EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 28. 154 Agnew v. Lansförsäkringsbølagens AB [2000] 1 All ER 737 (HL) = [2001] 1 AC 223 = 2000 WL 490. 155 BGH v. 31.5.2011 – VI ZR 154/10, IPRax 2013, 168 (zu Art. 13 I LugÜbk 1988) und dazu Arnold, IPRax 20134, 141. 156 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 54; Schlosser, IPRax 1984, 66; Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl., Art. 5 EuGVÜ Rz. 5; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 34. 157 Vgl. EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand, EuGHE 2005 I 481 Rz. 55 f. 158 OLG Frankfurt, OLGR Frankfurt 2002, 169 f.; OLG Köln v. 24.2.2003 – 16 U 93/02, OLGR Köln 2003, 185; OLG Dresden, IPRax 2002, 423; OLG Naumburg v. 30.9.2003 – 7 U 79/03, OLGR Naumburg 2004, 229; OLG Stuttgart, VuR 2004, 151; LG Bielefeld, NJOZ 2003, 582; Felke/Jordans, IPRax 2004, 411 f.; Fetsch, RIW 2003, 942; Kerwe, JR 2004, 31; Leible, IPRax 2003, 31; Leible, NJW 2003, 409; Rauscher/Schülke, EuLF 2002, 337; Staudinger, JZ 2003, 856 f. 159 Für Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO etwa OLG Celle v. 6.12.2002 – Az 8 W 273/02; LG Potsdam v. 29.5.2002 – 4 O 467/00, VersR 2003, 378; Dörner, FS Kollhosser (2004) 84; Feuchtmeyer, NJW 2002, 3599; Häcker, ZVglRWiss 103 (2004), 489; Lorenz, NJW 2000, 3309; Lorenz, IPRax 2002, 193; Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 332; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5. Ebenfalls für eine vertragliche Qualifikation, jedoch im Rahmen von Art. 15 Brüssel I-VO OLG Dresden, IPRax 2002, 421; NJ 2003, 487; OLG Hamm, NJW-RR 2003, 717; OLG Nürnberg v. 28.8.2002 – 4 U 641/02, NJW 2002, 3637; Leipold, FS Musielak (2004) 331 f.; MörsdorfSchulte, ZZPInt 2003, 471.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände Nach Ansicht des EuGH reicht es jedoch bereits aus, dass die Gewinnmitteilung an vom Absender ausgewählte Empfänger und mit von ihm gewählten Mitteln gesendet wird und die Sendung allein seinem Willen entspringt.160 Ein vertraglicher Anspruch i.S.v. Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO besteht dann spätestens in dem Moment, in dem der Empfänger der Gewinnmitteilung die zu seinen Gunsten gemachte Gewinnzusage annimmt, indem er die Auszahlung des scheinbar von ihm gewonnenen Preises verlangt.161 Der Vertragsgerichtsstand ist freilich nur für Klagen aus einer Gewinnzusage eröffnet, die nicht zu einer Bestellung des Empfängers geführt hat.162 Andernfalls ist der vorrangige Verbrauchergerichtsstand des Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO einschlägig.163 32
Bei Ansprüchen auf Vertragsabschluss muss unterschieden werden. Haben die Parteien einen Vorvertrag abgeschlossen oder sich durch einen letter of intent gebunden oder resultiert aus einer anderen vertraglichen Bindung der Parteien ein Anspruch auf Vertragsschluss,164 kann dieser auch im Vertragsgerichtsstand geltend gemacht werden. Liegen solche Absichtserklärungen und Vorverträge hingegen nicht vor, ist auch der Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO nicht eröffnet.165 Fraglich ist, ob Ansprüche auf Vertragsschluss, die aus einer staatlichen Pflicht (Kontrahierungszwang) resultieren, am Gerichtsstand des Erfüllungsorts eingeklagt werden können. Geht man davon aus, dass von den Parteien selbst keine Verpflichtungserklärungen abgegeben wurden, ist der Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO nicht eröffnet.166 Ist es hingegen zum Vertragsschluss gekommen, steht auch der Vertragsgerichtsstand zur Verfügung, da auch in diesem Fall die Verpflichtung auf Abgabe von beiderseitigen Willenserklärungen beruht. Das Erfordernis der Freiwilligkeit ist insofern irreführend.167
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Sekundäransprüche auf Schadensersatz und Rückerstattung der Leistung wegen Nicht- oder Schlechterfüllung folgen i.d.R. aus dem Gesetz und nicht aus dem Vertrag selbst, haben aber ihren Ursprung in der Verletzung einer sich aus dem Vertrag ergebenden Pflicht und unterfallen daher Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO.168
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Vertraglich zu qualifizieren sind weiterhin Ansprüche, die ihren Grund in der Nichtigkeit des Vertragsverhältnisses haben, insb. Rückabwicklungsansprüche. Hier lässt sich eine Parallele zu Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO ziehen und Nr. 1 auch auf die Folgen der Nichtigkeit eines Vertrages anwenden.169 Darauf, ob der Rückabwicklungsanspruch selbst – etwa aufgrund einer entsprechenden Umgestaltung des Schuldverhältnisses – vertraglicher Natur ist oder bereicherungs- oder vindikationsrechtlich eingeordnet wird, kommt es nicht an.170
160 EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand, EuGHE 2005 I 481 Rz. 53 = EWiR 2005, 387 (Mankowski) = JZ 2005, 782 m. Anm. Mörsdorf-Schulte; vgl. auch die Bspr. von Blobel, VuR 2005, 164; Leible, NJW 2005, 796. 161 EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand, EuGHE 2005 I 481 Rz. 55. 162 BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, NJW 2006, 230 m. Bspr. Lorenz, 472 = BGHR 2006, 251 m. Anm. Felke. 163 EuGH v. 11.7.2002 – C-96/00, ECLI:EU:C:2002:436 – Gabriel, EuGHE 2002 I 6367 Rz. 53; EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand, EuGHE 2005 I 481 Rz. 36. Vgl. näher Art. 15 Rz. 9. 164 Vgl. z.B. OLG Köln v. 29.4.1983 – 9 U 221/82, IPRax 1985, 161 m. Bspr. Schröder, 145. 165 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 37. 166 Vgl. etwa zur Zwangslizenz LG Leipzig, InstGE 9, 167 (Art. 7 Nr. 2). 167 Martiny, FS Schütze (2002) 650; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 40. 168 EuGH v. 8.3.1988 – 9/87 – Arcado vs. Haviland, EuGHE 1988, 1539 Rz. 13; OGH ÖJZ 2005, 837; LG München II IHR 2013, 72; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 21; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 37; Martiny, FS Geimer (2002) 653. 169 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 64; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 42 ff.; a.A. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 37; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 13. 170 OGH JBl 1998, 516; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 64; Holl, IPRax 1998, 122; Lorenz, IPRax 1993, 46; Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 518; Martiny, FS Geimer (2002) 658; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 37; Rauscher, IPR 1804; Schack, Rz. 293; Schlosser, Rz. 5; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 21; a.A. Kleinwort Benson Ltd. v. Glasgow City Council [1999] 1 AC 153 (HL); Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 29 f.; Lipp, RIW 1994, 20 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
e) Ausgenommene Ansprüche Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO erfasst nur Klagen, deren Gegenstand „ein Vertrag“ ist. Ausgeschlossen sind damit Klagen aus gesetzlichen Schuldverhältnissen, die in keinerlei Verbindung zu einem Vertragsverhältnis stehen, so etwa Ansprüche aus Quasi-Kontrakten171 oder GoA172 und selbstständige Bereicherungsansprüche173 (anders aber bei Leistungskondiktion aufgrund – auch anfänglicher – Vertragsnichtigkeit, vgl. Rz. 34). Ist ein Anspruch nicht auf die Rückabwicklung eines Kausalverhältnisses zwischen den unmittelbaren Vertragsparteien gerichtet, sondern hat er den bereicherungsrechtlichen Durchgriff auf einen Dritten zum Gegenstand, zu dem der Anspruchsteller keine unmittelbaren vertraglichen Beziehungen unterhält, handelt es sich daher nicht um einen Anspruch aus Vertrag i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO.174 Kein vertraglicher Anspruch ist auch der Finderlohnanspruch.175
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An einem Vertrag fehlt es auch, wenn der spätere Erwerber einer Sache gegen deren Hersteller, der 35a nicht zugleich ihr Verkäufer ist, Ansprüche aus Produkthaftung geltend macht.176 Allerdings genügt es, wenn Klagen wegen zivilrechtlicher Haftung, die nach nationalem Recht deliktsrechtlicher Natur sind, an einen Vertrag „anknüpfen“; das ist der Fall, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen.177 Ebenso sind Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung der EU vertraglicher Natur; mögen sie sich auch nicht zwingend gegen den Vertragspartner des Fluggastes richten, so ist der Abschluss eines Beförderungsvertrages doch condicio sine qua non und begründet insoweit einen ausreichenden Zusammenhang zu einem Vertrag.178 Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO erfasst zudem nur verpflichtende, nicht aber verfügende Verträge. Für Verträge, mittels derer Rechte übertragen, geändert, belastet oder aufgehoben werden, steht der Vertragsgerichtsstand nicht zur Verfügung.
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3. Klagearten Auf die Klageart bzw. die Art des Rechtsschutzbegehrens, mit dem das Gericht um eine Entscheidung über vertragliche Ansprüche ersucht wird, kommt es nicht an. Entsprechend der Vielfalt der Klagebegehren ist eine Einschränkung auf bestimmte Klagearten nicht vorgesehen und auch nicht angebracht.179 Umfasst sind somit alle Leistungs-, Gestaltungs- und Feststellungsklagen, mit denen eines der genannten Begehren verfolgt wird.180 Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO geht insofern nicht zwingend von der Existenz eines Vertrags aus, sondern eröffnet eine Zuständigkeit für Klagen bereits dann, wenn in Frage steht, ob überhaupt ein Vertrag zustande gekommen ist;181 denn wäre die Anwend171 Gaudemet-Tallon, (2015) Nr. 183. 172 Zur GoA etwa OLG Köln, MD 2010, 210; LG Baden-Baden v. 10.9.2012 – Az 1 O 17/11; Dutta, IPRax 2011, 135 ff. 173 BGH v. 28.2.1996 – XII ZR 181/93, IPRax 1997, 187 = JZ 1997, 88; OLG Naumburg v. 12.12.2006 – 9 U 106/06, OLGR Naumburg 2007, 374. 174 BGH v. 26.3.2019 – XI ZR 228/17, ZIP 2019, 1160 Rz. 36. 175 OHG (Österreich) ecolex 2013, 883 m. krit. Anm. Slonina. 176 EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91 – Handte vs. Traitements mécano-chimiques des surfaces, EuGHE 1992 I 3967 Rz. 16 zur Warenherstellerhaftung des französischen Rechts. Zu letzterer vgl. Nordemann-Schiffel, Deutschfranzösische Produkthaftung im Spannungsfeld zwischen Vertrag und Delikt (2000); Schley, Das französische Produkthaftungsrecht und die bei Vertragsketten im deutsch-französischen Rechtsverkehr auftretenden Probleme (2001). 177 EuGH v. 13.3.2014 – C-548/12, ECLI:EU:C:2014:148 – Marc Brogsitter vs. Fabrication de Montres Normandes EURL u.a., EuZW 2014, 383 m. Anm. Sujecki, 384 = Baumert, EWiR 2014, 435; Vgl. auch die Bspr. von Wendenburg/Schneider, NJW 2014, 1633. 178 BGH v. 18.1.2011 – X ZR 71/10, NJW 2011, 2056 Rz. 26. 179 Martiny, FS Geimer (2002) 665. 180 Dauses/Kreuzer/Wagner/Reder, Kap. Q II Rz. 153; Zöller/Geimer, Rz. 33; Dasser/Oberhammer/Oberhammer, Art. 5 LugÜbk Rz. 17. 181 EuGH v. 4.3.1982 – 38/81, ECLI:EU:C:1982:79 – Effer vs. Kantner, EuGHE 1982, 825 Rz. 7; EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand, EuGHE 2005 I 481 Rz. 46; vgl. auch BGH v. 13.5.1982 – III ZR 1/80, IPRax 1983, 67; BAG v. 12.6.1986 – 2 AZR 398/85, RIW 1987, 464; OLG
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände barkeit in diesem Falle ausgeschlossen, könnte sich der Beklagte regelmäßig dem Vertragsgerichtsstand mit der Behauptung entziehen, ein Vertrag bestünde überhaupt nicht.182 Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ist daher z.B. auch für Klagen auf Nichtigerklärung eines Vertrages einschlägig.183 Aus dem gleichen Grund steht der Vertragsgerichtsstand auch dann zur Verfügung, wenn zwischen den Parteien die Fortexistenz eines Vertrages – etwa wegen Kündigung, Vertragsaufhebung etc. – umstritten ist.184 Unerheblich ist auch, ob der Klageantrag auf ein Tun oder Unterlassen des Beklagten gerichtet ist. 4. Erfüllungsort und maßgebliche Verpflichtung 38
Der heutige Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO wurde im Zuge der Überführung des EuGVÜ in die Brüssel I-VO wesentlich umgestaltet. Lediglich lit. a, der dem ersten HS des Übereinkommens entspricht, spiegelt noch die alte Rechtslage wieder. Danach kann vor dem Gericht des Ortes geklagt werden, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre (Gerichtsstand des Erfüllungsorts). Nach Auffassung des EuGH war der Erfüllungsort nicht autonom, sondern nach der lex causae zu bestimmen.185 Eine Ausnahme wurde lediglich bei Arbeitsverträgen gemacht.186 Nach Art. 5 Nr. 1 HS 2 EuGVÜ konnte an dem Ort geklagt werden, an dem der Arbeitnehmer regelmäßig seine Arbeit verrichtet. Der Gerichtsstand für Streitigkeiten über individuelle Arbeitsverträge wurde schließlich durch die Brüssel Ia-VO in Art. 20 ff. eigenständig geregelt.
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Die Bestimmung des Erfüllungsorts nach der lex causae stieß nicht nur, aber besonders bei Einheitskaufrecht (EKG oder CISG) unterliegenden Verträgen auf Kritik, führte sie doch bei auf Einheitskaufrecht gestützten Klagen auf Kaufpreiszahlung zu einem dem Grundsatz „actor sequitur forum rei“ widersprechenden Kläger- und Verkäufergerichtsstand.187 Der EuGH hielt aus Gründen der Rechtssicherheit gleichwohl an einer Bestimmung des Erfüllungsorts nach der lex causae fest.188 Dies wurde offenbar auch vom europäischen Gesetzgeber als unbefriedigend empfunden.189 Die Brüssel Ia-VO entzieht daher wenigstens die Bestimmung des Erfüllungsorts von Kauf- und Dienstleistungsverträgen den nationalen Rechten und stellt hierfür autonome Regeln auf (Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO). Diese Lösung ist zwar nur halbherzig, lässt die bisherige Rspr. des EuGH aber wenigstens für einen Großteil der Verfahren hinfällig werden.
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Indes bleibt es bei allen anderen Vertragsarten sowie dann, wenn der nach lit. b bestimmte Erfüllungsort nicht in einem Mitgliedstaat liegt, bei der Anwendbarkeit von lit. a (lit. c). Da dieser wörtlich mit Art. 5 Nr. 1 HS 1 EuGVÜ übereinstimmt, wurde schon bislang davon ausgegangen, dass insoweit die bisherige Rspr. des EuGH weiterhin berücksichtigt und der Erfüllungsort nach der lex
182
183 184 185 186 187 188 189
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Hamm v. 3.10.1979 – 20 U 98/79, RIW 1980, 662; OLG Koblenz v. 24.5.1985 – 2 U 1259/83, IPRax 1986, 105; LG Trier v. 17.10.2002 – 7 HKO 140701, NJW-RR 2003, 287; Mölnlycke AB v. Procter & Gamble Ltd. [1992] 1 WLR 1112 (CA) = [1992] 4 All ER 47; Boss Group Ltd. v. Boss France SA [1996] 4 All ER 970 (CA); Ostre Landsret UfR 1998, 1092 ØLD m. Bspr. Fogt, IPRax 2001, 358; Dasser/Oberhammer/Oberhammer, (2008) Art. 5 LugÜbk Rz. 16; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 57. EuGH v. 4.3.1982 – 38/81, ECLI:EU:C:1982:79 – Effer vs. Kantner, EuGHE 1982, 825 Rz. 7; EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand, EuGHE 2005 I 481 Rz. 46; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 8; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 37; Dauses/Kreuzer/Wagner/Reder, Kap. Q II Rz. 151 f.; Gaudemet-Tallon, (2015) Nr. 180. EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 – Profit Investment SIM SpA, in Liquidation vs. Stefano Ossi u.a. Rz. 58 = EuZW 2016, 419 m. Anm. Müller. OLG Frankfurt v. 28.11.1979 – 21 U 59/79, RIW 1980, 585; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 8; unausgesprochen auch EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255. EuGH v. 6.10.1976 – 12/76 – Tessili vs. Dunlop, EuGHE 1976, 1473 Rz. 13 ff.; EuGH v. 15.1.1987 – 266/85, ECLI:EU:C:1987:11, IPRax 1987, 366 – Shenavai vs. Kreischer, EuGHE 1987, 239 Rz. 20. Zur Entwicklung vgl. m.w.N. Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 20 Rz. 1. Zur Kritik vgl. die zahlreichen Nachw. in BGH, IPRrax 1992, 374 f. EuGH v. 29.6.1994 – 288/92 – Custom Made Commercia vs. Stawa Metallbaul, EuGHE 1994 I 2913 Rz. 26 ff. Vgl. Begründung der Kommission zum Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM (1999) 348, 15.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
causae bestimmt werden muss.190 Der EuGH hat dies nunmehr bestätigt. Es sei anzunehmen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber im Rahmen der Brüssel I-VO die Grundsätze, die der Gerichtshof im Kontext des EuGVÜ in Bezug auf insbesondere die maßgebende Verpflichtung und die Bestimmung von deren Erfüllungsort aufgestellt hat, für alle anderen Verträge als die über den Verkauf beweglicher Sachen und die Erbringung von Dienstleistungen beibehalten wollte.191 Zwingende Gründe, die für eine andere Auslegung streiten, gebe es nicht.192 Daher gälten die bisherigen Grundsätze im Rahmen von lit. a fort.193 Rechtspolitisch ist ein überzeugender sachlicher Grund für diese Differenzierung freilich nicht ersichtlich.194 Die Neufassung verbindet die Fehler des (in lit. a und c) fortgeltenden alten Rechts mit den Abgrenzungsproblemen eines autonomen Erfüllungsortes für Kauf- und Dienstverträge (lit. b) und erschwert die Rechtsanwendung. Erklären lässt sich die „gespaltene Lösung“ allenfalls mit dem Kompromisscharakter der Regelung, die zwar Art. 46 NCPC übernehmen, aber zugleich nicht zu einem gänzlichen Bruch mit der Rspr. des EuGH führen sollte.195 Begrüßenswert wäre es, wenn der Verordnungsgeber zu einem einheitlichen Gesamtkonzept des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO gelangen und die autonome Bestimmung des Erfüllungsorts für alle Vertragsarten vorsehen würde.196 Bis dahin muss man mit dieser unbefriedigenden Aufspaltung leben.
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a) Grundregel: Erfüllungsort (lit. a) Lit. b regelt die beiden wichtigsten Vertragstypen, nämlich den Dienst- und den Kaufvertrag. Dadurch wird die eigentliche Grundregel der lit. a zur Auffangregel für alle anderen Verträge und außerdem über lit. c für solche Dienst- und Kaufverträge, auf die lit. b nicht anzuwenden ist.197
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(1) Maßgebliche vertragliche Verpflichtung (a) Vertragscharakteristische Pflicht oder konkret verletzte Pflicht? Nach st Rspr. des EuGH zur entsprechenden Vorgängernorm des EuGVÜ kann nicht jede beliebige Verpflichtung die nach Nr. 1 maßgebliche sein. Abgestellt werden soll vielmehr auf die konkret streitige Verpflichtung.198 Der EuGH begründete dies im Wesentlichen mit den Zielen des EuGVÜ: Da durch das Übereinkommen die internationale Zuständigkeit festgelegt, die Anerkennung erleichtert und die Vollstreckung in den Mitgliedstaaten sichergestellt werden solle,199 müsse so weit wie mög190 Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011) Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 33; Cass., Rev. crit. dip. 97 (2008), 863; OLG Frankfurt, RIW 2004, 865; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 43; Leipold, GS Lüderitz (2000) 450; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 329; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 15; a.A. und für eine Interpretation im Lichte von lit. b hingegen Junker, RIW 2002, 572; Bajons, FS Geimer (2002) 64. 191 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 51. 192 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 55. 193 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 57. 194 Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 31. 195 Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 31. 196 Leible, FS Spellenberg (2010), 453 f.; ähnlich Kadner-Graziano, RIW 2016, 14, 32 f. 197 Vgl. zu letztgenannter Konstellation z.B. OLG Frankfurt, RIW 2004, 864. 198 EuGH v. 6.10.1976 – 14/76 – de Bloos, EuGHE 1976, 1497 Rz. 9/12; EuGH v. 15.1.1987 – 266/85, ECLI:EU: C:1987:11 – Shenavai vs. Kreischer, EuGHE 1987, 251 Rz. 20; EuGH v. 29.6.1994 – C-288/92 – Custom Made Commercia vs. Stawa Metallbau, EuGHE 1994 I 2913 Rz. 23 ff.; EuGH v. 28.9.1999 – C-440/97, ECLI:EU:C: 1999:456 – GIE Groupe Concorde vs. Kapitän des Schiffes „Suhadiwarno Panjan“, EuGHE 1999 I 6307 Rz. 32; EuGH v. 19.2.2002 – C-256/00, ECLI:EU:C:2002:99 – Besix vs. Kretzschmar, EuGHE 2002 I 1699 Rz. 17. Vgl. außerdem z.B. aus der deutschen Rechtsprechung BGHZ 74, 139; BGH v. 16.1.1981 – I ZR 84/78, IPRax 1981, 218 = NJW 1981, 1905; 1988, 1467; 1992, 2429; 1993, 2754; 1994, 2699; 2001, 1936; NJW-RR 2003, 193; LG Koblenz, IHR 2011, 145; einschränkend BGH, NJW 2002, 2183. Nachw. zu Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten z.B. bei Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl., Art. 5 EuGVÜ Rz. 13 in Fn. 57. 199 Vgl. auch die Präambel des EuGVÜ.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände lich verhindert werden, dass sich aus ein und demselben Vertrag mehrere Zuständigkeiten herleiten lassen.200 43
Demgegenüber wurde vor allem in der Literatur die Auffassung vertreten, entscheidend müsse die vertragscharakteristische Leistung sein.201 Eine solche Lösung wäre in der Tat wesentlich besser geeignet, eine Vervielfältigung von Zuständigkeiten zu vermeiden, da dann für jede Streitigkeit aus dem Vertrag das Gericht am Erfüllungsort zuständig wäre. Zudem ließe sich die bei der Anwendung nationalen IPR stets bestehende Gefahr der Anwendung unterschiedlichen Sachrechts auf aus einem Vertrag resultierende Verpflichtungen vermeiden,202 doch kommt diesem Argument seit dem Inkrafttreten des EVÜ und der dieses mittlerweile ersetzenden Rom I-VO keine entscheidende Bedeutung mehr zu.203 Eine mit der Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung verbundene Konzentration auf einen einzigen Gerichtsstand sieht sich außerdem dem berechtigten Vorwurf ausgesetzt, das Zuständigkeitsgleichgewicht zwischen Sach- und Geldschuldner preiszugeben.204 Gerade unter Kaufleuten sollte beim Vertragsgerichtsstand Waffengleichheit herrschen und nicht eine der beiden Vertragsparteien bevorzugt werden. Verbraucher, Versicherungs- und Arbeitnehmer werden ohnedies besonders geschützt. Für ein Abstellen auf die konkret streitige Verpflichtung streitet weiterhin der Wortlaut von lit. a („die Verpflichtung“). Zudem bestünden bei Verträgen sui generis oder gemischten Verträgen oder gar Verträgen ohne charakteristische Leistung – wie etwa Tauschverträgen – die bereits aus dem IPR bekannten Schwierigkeiten (vgl. Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO)205 der Ermittlung der vertragscharakteristischen Leistung.206
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Auch wenn daher die besseren Gründe dafür sprechen, auch zukünftig im Anwendungsbereich der lit. a und c auf die konkret streitige Verpflichtung abzustellen, so überzeugt es indes nicht, dass im Rahmen von lit. b die maßgebliche Verpflichtung dann doch die vertragscharakteristische Leistung ist. Das führt zu nicht erklärbaren Wertungswidersprüchen, lässt der Unterscheidung von Kaufund Dienstverträgen auf der einen und sonstigen Verträgen auf der anderen Seite eine unangemessene Bedeutung zukommen und verhindert zudem „eine ausgewogene Zuständigkeitsverteilung im Verhältnis zu Drittstaaten“.207 Anzustreben ist folglich eine einheitlich für alle Vertragstypen geltende Zuständigkeitsbestimmung, wobei die Zukunft trotz der hier geäußerten Skepsis wohl der alleinigen Maßgeblichkeit des Erfüllungsorts der vertragscharakteristischen Leistung gehören wird. Anders mag man allenfalls entscheiden, wenn es an einer charakteristischen Leistung fehlt. Dann sollten die Gerichte am Erfüllungsort der jeweiligen Hauptverpflichtung der Parteien zuständig sein, aber stets nicht nur für eine der beiden Hauptleistungen, sondern für alle Vertragsstreitigkeiten.208 Erreichen lässt sich dies jedoch nur auf legislativem, nicht aber auf judikativem Wege;209 denn die Kommissionsbegründung geht bewusst von einer Differenzierung aus, der zufolge eine einseitige Anknüpfung ausdrücklich nur für Dienst- und Kaufverträge eingeführt werden, es bei allen anderen Verträgen hingegen bei der schon bisher bestehenden Regelung bleiben soll.210 Der EuGH hat dies aufgenommen und für lit. a ausdrücklich das Kontinuitätsinteresse betont.211 200 EuGH v. 6.10.76 – 14/76 – de Bloos, EuGHE 1976, 1497 Rz. 9/12. 201 Vgl. z.B. Piltz, NJW 1981, 1877; Pocar, RabelsZ 42 (1978) 416; Rauscher, Verpflichtung und Erfüllungsort in Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ unter besonderer Berücksichtigung des Vertragshändlervertrages (1984) 224; Spellenberg, ZZP 91 (1978) 51; Graf Wrangel, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im deutschen, italienischen und europäischen Recht (1988) 13. 202 Linke, RIW 1977, 46. 203 Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl. Art. 5 EuGVÜ Rz. 14. 204 Schack, Rz. 295 und 306; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 31. 205 Vgl. dazu z.B. Martiny in MünchKomm/BGB Art. 4 Rom I-VO Rz. 306 ff.; Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 4 Rom I-VO Rz. 82 ff. 206 Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl. Art. 5 EuGVÜ Rz. 14; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 35; Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 40. 207 Hau, IPRax 2000, 360; Junker, RIW 2002, 572; Schack, Rz. 305. 208 Vgl. bereits Spellenberg, ZZP 91 (1978), 58 f. 209 A.A. Jayme/Kohler, IPRax 1999, 405; Junker, RIW 2002, 572; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 31; Kropholler/von Hinden, GS Lüderitz (2000) 409; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 329. 210 Vgl. Begründung des Kommissionsentwurfs KOM 1999 (348), 15. 211 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 57.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
(b) Primär- oder Sekundärpflicht? Die maßgeblich streitige Verpflichtung i.S.v. lit. a ist nicht die streitgegenständliche, sondern diejenige, „die dem vertraglichen Anspruch entspricht, auf den der Kläger seine Klage stützt“.212 Entscheidend ist folglich auch bei der Geltendmachung von Sekundärpflichten die verletzte Primärpflicht.213 Eine gesonderte Anknüpfung von z.B. durch Leistungsstörungen entstandenen Sekundärpflichten auf Leistung von Schadensersatz findet nicht statt. Wer Schadensersatz wegen Lieferung mangelhafter Ware verlangt,214 muss die Klage daher beim Gericht des Erfüllungsorts der Liefer-, nicht aber der Schadensersatzpflicht erheben.215 Nur so lassen sich Rechtssicherheit, eine erleichterte Anerkennung und beschleunigte Vollstreckung gewährleisten.216 Bedenklich ist allerdings, dass der EuGH die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärpflicht nicht autonom vornimmt, sondern der lex causae überlässt.217
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(c) Mehrere Verpflichtungen Bei mehreren Verpflichtungen gibt grundsätzlich die Hauptverpflichtung das Maß.218 Eine Berücksichtigung von Nebenpflichten kommt nicht in Betracht, da diese u.U. einen anderen Erfüllungsort als die Hauptpflicht haben können. Ließe man aber jede beliebige Verpflichtung für die Begründung des Gerichtsstands nach Nr. 1 lit. a genügen, käme es zu einer mit dem von der Brüssel Ia-VO verfolgten Ziel der Rechtssicherheit219 nicht zu vereinbarenden Vervielfältigung der Gerichtsstände.220
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Bei mehreren gleichrangigen Verpflichtungen ist jedes Gericht nur für die Verpflichtung zuständig, die am Gerichtsort erfüllt werden muss.221 Der Erfüllungsort ist bei Gleichrangigkeit also für jeden Anspruch selbstständig festzustellen. Der Grundsatz, dass Nebensächliches der Hauptsache folgt, greift nicht.222 Auch eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs zwischen beiden Ansprüchen kommt nicht in Betracht.223 Dem Kläger verbleibt zur Vermeidung von Nachteilen, die sich aus der Zuständigkeit unterschiedlicher Gerichte für zwei aus demselben Vertrag resultierende gleichrangige Verpflichtungen ergeben, nur die Möglichkeit, seine Ansprüche insgesamt im allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Brüssel Ia-VO geltend zu machen.224 Das bedeutet für eine auf Feststellung der Wirk-
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212 EuGH v. 6.10.76 – 14/76 – de Bloos, EuGHE 1976, 1497 Rz. 13/14. 213 BGH, RIW 1979, 711; WM 1992, 1344; BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, IPRax 1997, 416 = NJW 1996, 1819; BGHZ 134, 205; BGH v. 29.3.2001 – IX ZR 34/00, NJW 2001, 1937; RIW 2016, 229 Rz. 7; OLG Stuttgart, RIW 2000, 631; LG Koblenz, IHR 2011, 145. 214 Lit. a kann in derartigen Fällen, d.h. bei Ansprüchen aus einem Vertrag über die Lieferung beweglicher Sachen, einschlägig sein, wenn der nach lit. b autonom bestimmte Erfüllungsort nicht in einem Mitgliedstaat liegt. Lit. c verweist dann auf lit. a, vgl. etwa BGH v. 22.4.2009 – VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606. Lit. a kann weiterhin einschlägig sein, wenn über Sachmängel an unbeweglichen Gegenständen gestritten wird, vgl. z.B. BGH, RIW 2016, 229 Rz. 7. 215 Vgl. z.B. OLG Hamm v. 28.6.1994 – 19 U 179/93, NJW-RR 1995, 188; BayObLG, RIW 2001, 863. 216 EuGH v. 6.10.76 – 14/76 – de Bloos, EuGHE 1976, 1497 Rz. 8. 217 Vgl. EuGH v. 6.10.76 – 14/76 – de Bloos, EuGHE 1976, 1497 Rz. 15/17; zustimmend hingegen Zöller/Geimer, Rz. 26 f. 218 EuGH v. 6.10.76 – 14/76 – de Bloos, EuGHE 1976, 1497 Rz. 9/12; EuGH v. 15.1.1987 – 266/85, ECLI:EU:C: 1987:11 – Shenavai vs. Kreischer, EuGHE 1987, 251 Rz. 19. 219 EuGH v. 4.3.1982 – 38/81, ECLI:EU:C:1982:79, IPRax 1983, 31 – Effer vs. Kantner, EuGHE 1982, 825 Rz. 6; EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91 – Handte vs. Traitements mécano-chimiques des surfaces, EuGHE 1992 I 3967 Rz. 11, 12, 18 und 19; EuGH v. 20.1.1994 – C-129/92, ECLI:EU:C:1994:13 – Owens vs. Bracco, EuGHE 1994 I 117 Rz. 32; EuGH v. 29.6.1994 – C-288/92 – Custom Made Commercia vs. Stawa Metallbau, EuGHE 1994 I 2913 Rz. 18; EuGH v. 28.9.1999 – C-440/97, ECLI:EU:C:1999:456 – GIE Groupe Concorde vs. Kapitän des Schiffes „Suhadiwarno Panjan“, EuGHE 1999 I 6307 Rz. 23; EuGH v. 19.2.2002 – C-256/00, ECLI:EU:C: 2002:99 – Besix vs. Kretzschmar, EuGHE 2002 I 1699 Rz. 24. 220 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 65; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 36; Zöller/Geimer, Rz. 26 f.; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 32. 221 EuGH v. 5.10.1999 – C-420/97, ECLI:EU:C:1999:483 – Leathertex vs. Bodetex, EuGHE 1999 I 6747 Rz. 42. 222 EuGH v. 5.10.1999 – C-420/97, ECLI:EU:C:1999:483 – Leathertex vs. Bodetex, EuGHE 1999 I 6747 Rz. 39. 223 EuGH v. 5.10.1999 – C-420/97, ECLI:EU:C:1999:483 – Leathertex vs. Bodetex, EuGHE 1999 I 6747 Rz. 38. 224 EuGH v. 5.10.1999 – C-420/97, ECLI:EU:C:1999:483 – Leathertex vs. Bodetex, EuGHE 1999 I 6747 Rz. 41.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände samkeit eines Vertrags mit mehreren gleichrangigen, in verschiedenen Staaten zu erfüllenden Hauptpflichten, dass hierfür der Erfüllungsortsgerichtsstand nicht eröffnet ist.225 48
Besteht die Pflicht in einem Unterlassen, so kann ein Erfüllungsort für diese Unterlassenspflicht nicht bestimmt werden, wenn sie geographisch unbegrenzt besteht.226 Fraglich ist, ob sich dieses Problem dadurch umgehen ließe, dass man auf die vertragscharakteristische Leistung abstellt. In der Regel wird das Unterlassen aber die vertragscharakteristische Leistung sein. Deshalb ist der Erfüllungsort für eine Unterlassenspflicht i.d.R. nicht bestimmbar und der Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO auf derartige Verträge nicht anwendbar. (2) Bestimmung des Erfüllungsorts nach der lex causae
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Der EuGH ermittelt den Erfüllungsort seit der Entscheidung „Tessili/Dunlop“ in st Rspr. nach der lex causae, d.h. dem auf den Vertrag anzuwendenden Recht,227 und ließ sich hiervon weder durch kritische Vorlagefragen nationaler Gerichte228 noch durch abweichende Schlussanträge seiner Generalanwälte229 abbringen. Unterliegt der Vertrag einheitsrechtlichen Regeln, bestimmen diese den Erfüllungsort.230 Zur Begründung für eine Qualifikation lege causae wird regelmäßig angeführt, die Unterschiede zwischen den nationalen Regelungen des Vertragsrechts seien nach wie vor zu groß und eine einheitliche (autonome) Bestimmung des Erfüllungsorts deshalb nicht möglich.231 Indes steht der EuGH mit seiner Auffassung nicht allein, sondern findet durchaus Unterstützung in der Literatur.232 Für die Rechtsprechung des EuGH spreche die ausgeprägt dem materiellen Recht dienende Funktion der besonderen Zuständigkeit des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO.233 Nur so lasse sich sicherstellen, dass der Erfüllungsort materiell und prozessual nach demselben Recht ermittelt wird.234 Außerdem wahre allein eine Qualifikation lege causae den inneren Entscheidungseinklang.235 Die deutsche Rechtsprechung ist dem EuGH stets gefolgt.236
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Kritiklos ist die Tessili-Formel des EuGH gleichwohl nicht geblieben. Denn gegen sie bestehen erhebliche Bedenken, lässt sich doch das mit der Brüssel I-VO verfolgte Ziel einer Zuständigkeitsvereinheitlichung nicht durch eine Qualifikation nach der lex causae (und noch weniger der lex fori237), 225 BGH, IHR 2010, 212 = EuLF 2010, II-66. 226 EuGH v. 19.2.2002 – C-256/00, ECLI:EU:C:2002:99 – Besix vs. Kretzschmar, EuGHE 2002 I 1699 Rz. 55; s. auch OLG Düsseldorf v. 5.10.2011 – I-20 U 29/11, 20 U 29/11 Rz. 43. 227 EuGH v. 6.10.1976 – 12/76 – Tessili vs. Dunlop, EuGHE 1976, 1473 Rz. 13, 15; EuGH v. 15.1.1987 – 266/85, ECLI:EU:C:1987:11 – Shenavai vs. Kreischer, EuGHE 1987, 239 Rz. 7; EuGH v. 29.6.1994 – C-288/92 – Custom Made Commercial vs. Stawa Metallbau, EuGHE 1994 I 2913 Rz. 26; EuGH v. 28.9.1999 – C-440/97, ECLI:EU:C:1999:456 – GIE Groupe Concorde vs. Kapitän des Schiffes „Suhadiwarno Panjan“, EuGHE 1999 I 6307 Rz. 32; EuGH v. 5.10.1999 – C-420/97, ECLI:EU:C:1999:483 – Leathertex vs. Bodetex, EuGHE 1999 I 6747 Rz. 33; EuGH v. 19.2.2002 – C-256/00, ECLI:EU:C:2002:99 – Besix vs. Kretzschmar, EuGHE 2002 I 1699 Rz. 33. 228 Vgl. BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, IPRax 1992, 373; Cass. Rev. crit. dip. 87 (1998) 117. 229 Vgl. GA Lenz zu C-288/92 – Custom Made Commercial vs. Stawa Metallbau, EuGHE 1994 I 2913; GA Léger, zu C-420/97 – Leathertex vs. Bodetex, EuGHE 1999 I 6747. 230 EuGH v. 29.6.1994 – C-288/92 – Custom Made Commercial vs. Stawa Metallbau, EuGHE 1994 I 2913 Rz. 26 f., 29; s. insofern für Art. 31 lit. a CISG LG Koblenz, IHR 2011, 145. 231 EuGH v. 29.6.1994 – C-288/92 – Custom Made Commercial vs. Stawa Metallbau, EuGHE 1994 I 2913 Rz. 14. 232 Vgl. etwa Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 73; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 114; Kropholler, EuZPR6 Art. 5 EuGVÜ Rz. 17 ff.; Schlosser, GS Bruns (1980) 56; Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl. Art. 5 EuGVÜ Rz. 23. 233 Kropholler, EuZPR6 Art. 5 EuGVÜ Rz. 19; Schlosser, GS Bruns (1980) 56. 234 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 114. 235 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 114. 236 Vgl. z.B. BGH, RIW 1979, 710; BGH v. 16.1.1981 – I ZR 84/78, IPRax 1981, 218 = NJW 1981, 1905; BGH v. 31.1.1991 – III ZR 150/88, NJW 1991, 3095; BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, IPRax 1994, 115 = NJW 1993, 2753; NJW 1997, 870; BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, NJW 2001, 1936; RIW 2003, 330. Zuletzt z.B. auch OLG Brandenburg, IPRspr. 2016, Nr. 245, 583 Rz. 32; OLG Hamm, IPRspr. 2012, Nr. 190, 430 Rz. 24 ff.; Nachweise zu ausländischer Rspr. bei Kropholler, EuZPR6, Art. 5 EuGVÜ Rz. 21 in Fn. 56. 237 Dafür etwa OLG Celle, RIW 1979, 131; Lüderitz, FS Zweigert (1981) 250.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
sondern allein mit einer autonomen Bestimmung des Erfüllungsorts erreichen.238 Zudem ist die Rechtsprechung des EuGH in sich wenig stimmig, wenn der Vertrag zwar autonom qualifiziert, der Erfüllungsort hingegen nach der lex causae bestimmt wird.239 Außerdem belastet eine Bestimmung nach der lex causae die Zuständigkeitsprüfung über Gebühr, da zunächst das anzuwendende materielle Recht ermittelt werden muss.240 Und schließlich besteht gerade bei Geldschulden die Gefahr einer unangemessenen Schuldnerbenachteiligung, wenn die Geld- als Bringschuld ausgestaltet ist. Besonders i.V.m. Art. 59 Abs. 1 EKG bzw. Art. 57 Abs. 1 CISG führt die Anwendung der Tessili-Formel zu einem reinen Klägergerichtsstand,241 der sich mit dem allgemeinen Grundsatz „actor sequitur forum rei“ nur schwer in Einklang bringen lässt. Die besseren Gründe sprechen daher für eine vertragsautonome Bestimmung des Erfüllungsorts.242 Angesichts der Begründung des Kommissionsentwurfs, in dem zur Erläuterung von lit. a ausdrücklich auf die Tessili-Formel verwiesen wird, und ihrer Bestätigung durch die Entscheidung „Falco Privatstiftung“243 ist allerdings ohne entsprechende legislative Flankierung mit keiner Änderung der EuGH-Rechtsprechung mehr zu rechnen. Immerhin löst die autonome Erfüllungsortbestimmung nach lit. b aber bei Kaufverträgen die durch Art. 57 Abs. 1 CISG aufgeworfenen Probleme, sofern in einen Mitgliedstaat geliefert wird (vgl. Rz. 93). (3) Rechtlicher und tatsächlicher Erfüllungsort Gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO kann die Klage am dem Ort erhoben werden, „an dem die 51 Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre“. Die Vorschrift rekurriert damit sowohl auf den rechtlichen als auch auf den tatsächlichen Erfüllungsort. In welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ist unklar. Zum Teil wird von einem Wahlrecht des Klägers ausgegangen; ihm stehe es frei, seine Klage entweder am Ort der realen Erfüllung oder aber am Ort, an dem er hätte erfüllen müssen, zu erheben.244 Teils wird auch ein Vorrang des rechtlichen Erfüllungsorts angenommen.245 Überzeugender ist es, von einer zeitgebundenen Rangfolge auszugehen. Solange noch nicht erfüllt worden ist, ist nur der rechtliche Erfüllungsort, d.h. der Ort maßgeblich, an dem laut Vertrag bzw. Gesetz zu erfüllen wäre. Nach der Erfüllung gibt bei einer Abweichung des tatsächlichen vom rechtlichen Erfüllungsort hingegen allein Ersterer das Maß, sofern der Gläubiger die Leistung dort als vertragsgemäß angenommen hat.246 Eine solche Lösung erlaubt den Parteien nicht nur eine einfache Anpassung an 238 Schack, Rz. 301 ff.; Dauses/Kreuzer/Wagner/Reder, Kap. Q II Rz. 169: Verstoß gegen die ratio conventionis. 239 Kadner, Jura 1997, 245. 240 Kadner, Jura 1997, 245; in diese Richtung auch GA Colomer, C-440/97 – GIE Groupe Concorde vs. Kapitän des Schiffes „Suhadiwarno Panjan“, EuGHE 1999 I 6307 Rz. 3, der für die Festlegung einheitlicher und einfacher Zuständigkeitskriterien plädiert. 241 Vgl. etwa zu Art. 57 Abs. 1 CISG BGHZ 74, 136; 78, 259; NJW 1997, 870; OLG Bamberg, NJW 1977, 505; OLG Düsseldorf v. 9.7.1986 – 17 U 162/85, IPRax 1987, 234; OLG Hamm v. 3.10.1979 – 20 U 98/79, RIW 1980, 662; OLG Hamm v. 27.2.1986 – 20 U 222/84, IPRax 1986, 104; OLG Koblenz v. 24.5.1985 – 2 U 1259/83, IPRax 1986, 105; OLG Düsseldorf v. 14.12.1989 – 10 U 93/89, RIW 1990, 220; OLG München v. 17.10.1986 – 23 U 2762/86, IPRax 1987, 307; OLG Stuttgart, RIW 1978, 545. Zu Art. 59 Abs. 1 EKG vgl. OLG Hamm v. 28.6.1994 – 19 U 179/93, RIW 1994, 877, 878. 242 Dafür auch Huber, ZZPInt 1 (1996) 177 ff.; Jayme, IPRax 1995, 13; Kadner, Jura 1997, 245 ff.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1996) 679; Rauscher, Verpflichtung und Erfüllungsort in Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ – unter besonderer Berücksichtigung des Vertragshändlervertrages (1984) 180 ff.; Rüßmann, IPRax 1996, 403 f.; Schack, Rz. 303 ff.; Schwenzer, IPRax 1989, 275 f. 243 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 57. 244 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 143: Der „Gerichtsstand [der realen Erfüllung] steht selbständig neben dem des Erfüllungsortes.“ 245 BG (Schweiz), IHR 2015, 37. 246 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806; BayObLG, RIW 2001, 863; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 75 f.; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 34; Mezger, RIW 1976, 847; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 106; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 41; Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005) 51 f.; Piltz, NJW 1981, 1827; Valloni, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Luganer und Brüsseler Übereinkommen (1998) 269 f.; Wieczorek/Schütze/Gebauer, Rz. 36; so wohl auch Dasser/Oberhammer/Oberhammer, Art. 5 LugÜbk Rz. 32, der aber im Vorliegen eines abweichenden tatsächlichen Erfüllungsortes eine nachträgliche Vereinbarung oder zumindest konkludente Abänderung des vertraglichen Erfüllungsortes sieht und daher die vorgenommene Unterscheidung für müßig erachtet.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände geänderte Verhältnisse (z.B. Wohnsitzwechsel des Gläubigers),247 sondern vermeidet zugleich die mit einem Wahlrecht des Klägers notwendig verbundene Mehrzahl von Zuständigkeitsgründen.248 (4) Erfüllungsortvereinbarungen 52
Wie sich aus der Formulierung „und sofern nichts anderes vereinbart worden ist“ ergibt, lässt Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO Erfüllungsortvereinbarungen für Kauf- und Dienstleistungsverträge ausdrücklich zu. In lit. a fehlt es hingegen an einer entsprechenden Wendung. Daraus kann indes nicht geschlossen werden, dass Erfüllungsortvereinbarungen bei sonstigen Verträgen keine zuständigkeitsbegründende Kraft haben.249 Denn bereits nach der zum mit lit. a wortidentischen Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ ergangenen Rechtsprechung des EuGH genügte die Vereinbarung über den Erfüllungsort der Verpflichtung, um an diesem Ort die gerichtliche Zuständigkeit i.S.d. Vorschrift zu begründen, wenn die Vertragsparteien nach dem anwendbaren Recht unter den dort festgelegten Voraussetzungen den Ort, an dem eine Verpflichtung zu erfüllen ist, bestimmen können.250 Dass hiervon abgewichen bzw. die Anwendbarkeit dieser Regel nur auf Kauf- und Dienstverträge beschränkt werden sollte, ist nicht ersichtlich. Zweifelhaft ist allerdings, ob allein aus der Vereinbarung einer Lieferadresse auf eine Erfüllungsortvereinbarung geschlossen werden kann.251
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Haben die Parteien tatsächlich eine Erfüllungsortvereinbarung getroffen, bemisst sich ihre Wirksamkeit allein nach der lex causae.252 Die Formanforderungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO sind nicht zu beachten.253 Der EuGH begründet dies mit der konzeptionellen Unterschiedlichkeit von Art. 25 einer- und Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO andererseits. Während der Gerichtsstand des Erfüllungsorts ein Wahlgerichtsstand sei, an dem neben dem allgemeinen Gerichtsstand geklagt werden könne,254 begründe eine Vereinbarung über die Zuständigkeit nach Art. 25 Brüssel Ia-VO eine ausschließliche Zuständigkeit. Die Parteien könnten daher den Erfüllungsort nach dem auf den Vertrag anzuwendenden Recht vereinbaren, sofern dieses eine entsprechende Abrede zulässt.255 Die Vereinbarung über den Erfüllungsort kann auch einem anderen Statut als dem des Hauptvertrags unterstellt werden.256
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Angesichts der mittelbaren Gerichtsstandswirkung von Erfüllungsortvereinbarungen und der von ihr ausgehenden Gefahr kann die sehr formale Argumentation des EuGH nicht recht überzeugen. Denn das Erfordernis einer Beachtung der Form des Art. 25 Brüssel Ia-VO führt nicht automatisch dazu, dass der Erfüllungsortvereinbarung auch die Wirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung beizumessen ist. Anders als im deutschen Recht (§ 29 Abs. 2 ZPO) werden im europäischen Recht Nicht-Kaufleute, ausgenommen Verbraucher, Versicherungs- und Arbeitnehmer, vor Erfüllungsortsvereinbarungen nicht geschützt, obgleich auch sie deren prozessualen Wirkung meist nicht absehen können. Groben Missbräuchen hat der EuGH immerhin dadurch einen Riegel vorgeschoben, dass er eine gerichtsstandsbegründende Wirkung nur „realen Erfüllungsortvereinbarungen“ zuspricht. Handelt es sich hingegen um eine „abstrakte Erfüllungsortvereinbarung“, weil der Erfüllungsort keinen Zusam247 Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 34; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 76. 248 Ebenso Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005) 51 f.; Valloni, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Luganer und Brüsseler Übereinkommen (1998) 270 f. 249 Wie hier Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005) 65 f.; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 35; Mankowski, LMK 2005, 155248; Mankowski, FS Schwenzer (2011), 1190 f.; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 328; Stürner, GPR 2013, 305, 311; Theiss/Bronnen, EWS 2004, 353; zweifelnd jedoch Hau, IPRax 2000, 360; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 7; Gaudemet-Tallon (2015), Nr. 196. 250 EuGH v. 17.1.1980 – 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 – Zelger vs. Salinitri, EuGHE 1980, 89 Rz. 5; EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 – MSG vs. Les Gravières Rhénanes, EuGHE 1997 I 911 Rz. 30; EuGH v. 28.9.1999 – C-440/97, ECLI:EU:C:1999:456 – GIE Groupe Concorde vs. Kapitän des Schiffes „Suhadiwarno Panjan“, EuGHE 1999 I 6307 Rz. 28. 251 Vgl. dazu Schilf, IHR 2011, 181 ff. 252 Vgl. z.B. OLG Karlsruhe v. 11.2.1993 – 4 U 61/92, RIW 1994, 1046; BGE 122 III 251. 253 EuGH v. 17.1.1980 – 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 – Zelger vs. Salinitri, EuGHE 1980, 89 Rz. 4. 254 EuGH v. 17.1.1980 – 56/79, ECLI:EU:C:1980:15, IPRax 1981, 89 – Zelger vs. Salinitri, EuGHE 1980, 89 Rz. 3. 255 EuGH v. 17.1.1980 – 56/79, ECLI:EU:C:1980:15, IPRax 1981, 89 – Zelger vs. Salinitri, EuGHE 1980, 89 Rz. 6. 256 EuGH, IPRax 1981, 91 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
menhang mit der Vertragswirklichkeit aufweist, sondern lediglich der Gerichtsstandsbestimmung dient, sind die Formanforderungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO zu beachten.257 Von einem solchen Zusammenhang und damit ener „realen Erfüllungsortvereinbarung“ ist z.B. auszugehen, wenn vereinbarte Erfüllungsort der Niederlassungsort einer Vertragspartei ist.258 b) Kauf- und Dienstleistungsverträge (lit. b) Mit der durch die Brüssel Ia-VO neu geschaffenen lit. b wird nunmehr wenigstens für die beiden 55 wichtigsten Vertragsarten der Erfüllungsort autonom bestimmt. Dadurch lassen sich zwar die mit einer Bestimmung nach der lex causae verbundenen Probleme vermeiden, doch kommt nunmehr der Abgrenzung der Kauf- und Dienstleistungsverträge von den übrigen Vertragstypen eine unangemessen große Bedeutung zu. Die Qualifikation erfolgt wie beim allgemeinen Vertragsbegriff 259 autonom.260 Liegt ein Kauf- oder Dienstleistungsvertrag i.S.v. lit. b vor, wird der Erfüllungsort stets verordnungs- 56 autonom, d.h. ohne Rückgriff auf ein nationales Recht, und vertragseinheitlich bestimmt. Von diesem Grundsatz ist lediglich abzuweichen, wenn der Erfüllungsort in keinem Mitgliedstaat der Brüssel IaVO situiert ist. Nur in solchen Fällen kann über lit. c auf lit. a und damit letztlich auf nationales Recht zurückgegriffen werden (Rz. 93 und Rz. 49 f.). Keinesfalls ist eine auch im Rahmen von lit. b zulässige Erfüllungsortvereinbarung (vgl. Rz. 94 ff.) geeignet, die Anwendbarkeit von lit. b auszuschließen und die Möglichkeit eines Rückgriffs auf lit. a zu ermöglichen.261 Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO legt für vertragliche Streitigkeiten den Lieferort als autonomes Anknüpfungskriterium fest, das auf sämtliche Klagen aus ein und demselben Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen und nicht nur auf diejenige aus der Lieferverpflichtung an sich anwendbar ist.262 Gleiches gilt für die Erbringung von Dienstleistungen. Am Ort der Leistungserbringung sind alle Klagen aus dem Vertrag zu erheben und nicht nur diejenigen aus der Leistungsverpflichtung an sich.263
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(1) Kaufvertrag über bewegliche Sachen Für eine Konkretisierung des Begriffs des Kaufvertrags kann auf die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie sowie das CISG zurückgegriffen werden.264 Der EuGH zieht weiterhin noch das UN-Verjährungs257 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 – MSG vs. Les Gravières Rhénanes, EuGHE 1997 I 911 Rz. 33; EuGH v. 28.9.1999 – C-440/97, ECLI:EU:C:1999:456 – GIE Groupe Concorde vs. Kapitän des Schiffes „Suhadiwarno Panjan“, EuGHE 1999 I 6307 Rz. 28. Vgl. auch BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37/94, NJW-RR 1998, 755; OGH, IHR 2006, 122; BG v. 12.5.2014 – 4A_522/2013, IHR 2014, 251; Stürner, GPR 2013, 305, 312. 258 OLG Hamm, IHR 2016, 30 Rz. 38. 259 EuGH v. 22.3.1983 – 34/82, ECLI:EU:C:1983:87 – Peters vs. Zui Nederlande Aanemers Vereniging, EuGHE 1983, 987 Rz. 10; EuGH v. 8.3.1988 – 9/87, ECLI:EU:C:1988:127 – Arcado vs. Haviland, EuGHE 1988, 1539 Rz. 11; EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91 – Handte vs. Traitements mécano-chimiques des surfaces, EuGHE 1992 I 3967 Rz. 10; EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 15; EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 Rz. 19. 260 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806; OGH, RdW 2004, 222; ÖJZ 2005, 711; OLG Köln, RIW 2005, 779. 261 So aber BGH RIW 2005, 777 unter Verkennung der grundlegenden Systematik von Art. 7 Nr. 1 Brüssel I-VO; kritisch auch Leible/Sommer, IPRax 2006, 568; Mankowski, LMK 2005, 155248; Magnus, WuB VII Art. 5 EuGVVO 1.06. 262 EuGH v. 3.5.2007 – C-386/05 – Color Drack vs. Lexx International, EuGHE 2007 I 3699 Rz. 26; EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 50; OGH, IHR 2008, 188. 263 EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Peter Rehder vs. Air Baltic Corporation, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 36; EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 27. 264 EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 34 ff. = IPRax 2010, 438 = NJW 2010, 1059 m. Anm. Piltz = EuZW 2010, 301 m. Anm. Leible = EWiR Art. 5 EuGVVO 1/10, 287 (Mankowski) = ELR 2010, 151 m. Bspr. Wittwer, 193 = ZEuP 2011 m. Anm. Gsell, 675; LMK 2010, 301816 m. Anm. Geimer; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 10a; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 28.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände übereinkommen (mit dem Protokoll zur Änderung des Übereinkommens über die Verjährungsfrist beim internationalen Warenkauf vom 11.4.1980) ins Kalkül.265 Außerdem ist eine einheitliche Auslegung mit Art. 17 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO anzustreben. Diesem Ansatz mag man entgegen halten, dass außer der Verbrauchsgüterkauf-RL die übrigen zitierten Texte des internationalen Einheitsrechts nicht für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind. So gilt etwa das UN-Kaufrecht immerhin nicht in Großbritannien, der Republik Irland, Malta und Portugal. Und für noch weniger Mitgliedstaaten kann das UN-Verjährungsübereinkommen Geltung beanspruchen.266 Das steht diesem Ansatz indes nicht entgegen. Denn die zitierten einheitsrechtlichen Texte dienen nicht als Rechtsgeltungs-, sondern als Rechtsgewinnungsquelle zur Begründung einer gesetzesbasierten Entscheidung.267 Das ist nicht zu beanstanden, sondern nachgerade geboten.268 59
Um einen Kaufvertrag handelt es sich folglich bei einem Vertrag, vermöge dessen sich der eine Teil zur Lieferung und Übereignung einer Sache und der andere zur Zahlung eines Kaufpreises verpflichten.269 Fehlt es an einer Gegenleistung, was etwa bei einem Schenkungsvertrag regelmäßig der Fall ist, ist nicht lit. b, sondern lit. a einschlägig.270 Der Umstand, dass die zu liefernde Ware noch nicht existiert, sondern erst noch hergestellt oder erzeugt werden muss, steht einer Einstufung des fraglichen Vertrags als Kaufvertrag grundsätzlich nicht entgegen.271 Erfasst werden sämtliche Arten des Kaufvertrags, so z.B. Sukzessivlieferverträge, Spezifikationskäufe, Käufe nach Muster oder Probe, Käufe auf Probe, Streckenkaufverträge etc.272 Haben die Parteien eine Wartungs- oder Montagepflicht des Verkäufers vereinbart, gehört diese ebenfalls zu den kaufvertraglichen Verpflichtungen, sofern „der Lieferanteil bei getrennter Betrachtung vom Dienstleistungsanteil überwiegt.“273 Gleiches gilt für Nebenabreden wie etwa ein Vorkaufsrecht, Wiederkaufsrecht oder (Kauf-)Vorverträge, da sie in untrennbarem Zusammenhang zum Kaufvertrag stehen.274
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Ausgeschlossen sind hingegen Vertriebsrahmenverträge, da sie keine unmittelbaren kaufrechtlichen Verpflichtungen begründen.275 Prägend sind vielmehr die spezifischen Vertragsklauseln über den Vertrieb der vom Lizenzgeber verkauften Waren durch den Vertragshändler. Verträge über den völligen oder nahezu völligen Alleinvertrieb fallen grundsätzlich unter den Begriff des Vertrags über die Erbringung von Dienstleistungen.276
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Bei Werklieferungsverträgen ist ebenso wie bei Art. 6 Rom I-VO277 und in Anlehnung an Art. 3 Abs. 1 CISG278 anhand der Größe des Dienstleistungsanteils zu differenzieren: Wird ein wesentlicher Teil des 265 EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 37. 266 In Kraft ist das Übereinkommen lediglich in Belgien, Polen, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. 267 Vgl. zu dieser Unterscheidung Canaris in Basedow (Hrsg.), Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht (2000), 5 ff. 268 Leible, EuZW 2010, 304. 269 Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 39; Magnus, IHR 2002, 47. 270 Dazu EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt, NJW 2017, 315 = EuZW 2017, 36 m. Anm. Klöpfer. 271 EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 38; EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 34. 272 Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 29; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 39. 273 Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 31. 274 Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 29. 275 EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12 – Corman-Collins SA vs. La Maison du Whisky SA, RIW 2014, 145 = EuZW 2014, 181 Rz. 36 m. Anm. Lenzing; = JDI 2014, 883 m. Anm. Heymann, 888; Cass. civ., Rev. crit. dip. 97 (2008), 863 m. Anm. Sindres; Clunet 2008, 521 m. Anm. Jacquet = RTD com. 2008, 455 m. Anm. Delebecque; RTD com. 2007, 588 m. Anm. Bouloc; Schlosser, Rz. 10a; Wurmnest, IHR 2005, 112; Cour de cassation v. 23.3.2011 Az 10–30.210, EuLF 2011, 78; EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 35; vgl. aber auch Corte di Cassazione, IHR 2005, 116; OLG Köln, IHR 2007, 200. 276 EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden NV/SA vs. Lusavouga-Máquinas e Acessórios Industriais SA, RIW 2018, 206 Rn. 41 = EWiR 2018, 381 (Mankowski); vgl. dazu auch Dostal, EuZW 2018, 944; Salger, ZVertriebsR 2019, 131; Sánchez-Moraleda, Revista de Derecho Patrimonial 46 (2018), 227. 277 Vgl. dazu auch BGHZ 123, 385; 135, 131; außerdem Czernich/Heiss/Heiss, Art. 5 EVÜ Rz. 15; Staudinger/ Magnus, Art. 6 Rom I-VO Rz. 69; Reithmann/Martiny/Martiny, Rz. 806.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
zu verarbeitenden Materials vom Käufer gestellt, überwiegt der Dienstleistungsanteil und der Vertrag ist als Dienstleistungsvertrag zu qualifizieren; liefert der Hersteller auch den zu verarbeitenden Stoff, handelt es sich aufgrund der herausgehobenen Lieferpflicht um einen Kaufvertrag.279 Der EuGH meint außerdem, dass eine Haftung des Verkäufers für die Qualität und Vertragsgemäßheit der Ware, die das Ergebnis seiner Tätigkeit ist, für eine Einstufung als „Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen“ spreche, während eine Haftung allein für eine korrekte Ausführung nach den Anweisungen des Käufers eher für eine Einstufung als Vertrag über eine „Erbringung von Dienstleistungen“ streite.280 Für die Abgrenzung zwischen Kauf- und „echten“ Werkverträgen, die bislang eigentlich immer den Dienstleistungsverträgen zugerechnet wurden (vgl. Rz. 67), taugt dieses Abgrenzungskriterium indes nichts, hat doch der Lieferant in beiden Fällen für die Qualität und Vertragsgemäßheit seines Produkts einzustehen. Man sollte daher ganz darauf verzichten. Möchte man es beibehalten, muss man sich stets bewusst sein, dass mit seiner Hilfe allenfalls bestimmte Verträge aus dem 1. Spiegelstrich ausgegrenzt, aber nicht alle Verträge über Dienstleistungen eindeutig dem 2. Spiegelstrich zugeordnet werden können. Ebenso wie bei Werklieferungsverträgen kommt es bei gemischten Verträgen für die Einordnung als Dienstleistungs- oder Kaufvertrag darauf an, welche Leistung im Vordergrund steht, dem Vertrag ihr Gepräge gibt und daher als vertragscharakteristische Leistung anzusehen ist.281 So besteht etwa bei einem Vertrag zwischen zwei Zulieferern, der zunächst nur die Lieferung von Probemodellen neu entwickelter Serienteile an einen vom Abnehmer benannten Automobilhersteller zum Gegenstand hat, die vertragscharakteristische Leistung in der Entwicklung und Herstellung der Teile. Insoweit dominiert das Dienstleistungselement.282 Kommt es dann nach einer Probephase zur massenhaften Lieferung von Serienmodellen, überwiegt das kaufvertragliche Element.283
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Leasing- und Mietkaufverträge können nicht als Kaufverträge qualifiziert werden, da bei ihnen nicht 63 die Eigentumsverschaffung, sondern die Nutzungsmöglichkeit dominiert;284 daran vermag auch die Einräumung einer Kaufoption nichts zu ändern, da das Nutzungs- weiterhin das Erwerbsinteresse überwiegt.285 Von einem Kaufvertrag ist hingegen auszugehen, wenn ein Kaufvertrag an die Stelle eines ursprünglich vereinbarten Kommissionsgeschäfts tritt; der Verkäufer erfüllt seine Verpflichtung zur Übergabe der Ware dann allein damit, dass diese an dem Ort verbleibt, an den sie ohnehin schon geliefert worden war, mit der Folge, dass sich der Erfüllungsort in diesem Fall nach dem Sitz des Kommissionärs richtet, sofern sich die Ware bereits in der Gewahrsamssphäre des Käufers befindet.286 Um Sachen handelt es sich bei körperlichen Gegenständen.287 Kaufverträge über Rechte, wie etwa Forderungen, Patente, Lizenzen, Wertpapiere, Gesellschaftsanteile etc. fallen genauso wenig in den 278 Für das CISG als Auslegungshilfe auch Mankowski, FS Schwenzer (2011), 1177. 279 EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 40; OLG Hamm, IHR 2012, 216; OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, OLGR Karlsruhe 2009, 485; IHR 2008, 194; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 31a; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 40; Hess, EuZPR (2010) § 6 Rz. 50; Mankowski, FS Schwenzer (2011), 1179; Markus, AJP 2010, 974; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 61 f. Vgl. zum CISG Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art. 1 CISG Rz. 24 und 25. 280 EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 42. 281 OGH EuLF 2006, II-10; OLG Köln, RIW 2005, 779. 282 OLG Köln, RIW 2005, 779. 283 LG Baden-Baden – 2 O 135/09. 284 Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 30; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 75; ebenso zur Qualifikation des Leasingvertrags im deutschen Recht Leible, Finanzierungsleasing und „arrendamiento financiero“ (1996) 94. 285 Im UN-Kaufrecht ist die Einordnung von Mietkauf- und Leasingverträgen umstritten, vgl. Schlechtriem/ Schwenzer/Ferrari, Art. 1 CISG 27 f.; für eine grds. kaufrechtliche Einordnung von Werklieferungsverträgen hingegen Theiss/Bronnen, EWS 2004, 354 f. 286 OGH, IPRax 2004, 349 m. Bspr. Thorn. 287 Ferrari, IPRax 2007, 65; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 78; Mankowski, FS Schwenzer (2011), 1180; Dasser/Oberhammer/Oberhammer, Art. 5 LugÜbk Rz. 37; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 32; Mumelter, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im Europäischen Zivilprozessrecht (2007) 137; a.A. Reis, MR-Int. 2009, 121.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 lit. b Str. 1 Brüssel Ia-VO wie „Kaufverträge“ über virtuelle Güter, über Sendezeit etc.288 Eine Ausnahme mag man bei Software und anderen Daten machen, die sowohl in verkörperter Form auf einem Datenträger (CD, DVD, Buch etc.) als auch durch einfachen Download erworben werden können. Beide Fälle sollten gleich behandelt und Art. 7 Nr. 1 lit. b Str. 1 Brüssel Ia-VO unterstellt werden.289 Auszunehmen ist freilich die Lieferung von Individualsoftware, da hier der Dienstleistungscharakter überwiegt.290 Sachen i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. b Str. 1 Brüssel Ia-VO sind auch See- und Binnenschiffe sowie Luftfahrzeuge, da es an einer Art. 2 lit. f CISG vergleichbaren Ausnahmeregelung fehlt.291 Körperlich sind weiterhin Öl und Gas. Umstritten ist dies hingegen bei Elektrizität.292 Keine bewegliches Sache ist grundsätzlich auch Geld;293 anders ist das nur für die (echte) Geldsortenschuld. 65
Unter Art. 7 Nr. 1 lit. b Str. 1 Brüssel Ia-VO fallen nur bewegliche Sachen; Immobilien liegen außerhalb des Anwendungsbereiches.294 Umstritten ist, nach welchem Recht sich die Feststellung richtet, ob eine Sache beweglich ist. Verschiedentlich wird für eine Maßgeblichkeit der lex fori plädiert,295 nach anderer Ansicht soll auf die lex rei sitae abzustellen,296 der Begriff unionsrechtlich autonom auszufüllen297 oder in Anlehnung an das CISG weit auszulegen sein.298 Problematisch ist die Abgrenzung zu unbeweglichen Sachen insb. bei Zubehör, das nach nationalem Recht nicht nur „bloßes Zubehör“, sondern möglicherweise „wesentlicher Bestandteil“ eines Grundstücks sein kann. Eine rechtsvergleichend-unionsrechtlich autonome Bestimmung mag hier schwer fallen, ist aber zu leisten und geboten,299 zumal sich das Abgrenzungsproblem auch bei anderen unionsrechtlichen Rechtsakten stellt (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie300). (2) Dienstleistungsvertrag
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Ob ein Dienstleistungsvertrag vorliegt, ist ebenfalls durch autonome Auslegung zu ermitteln.301 Nahe liegt es, zur Sicherung einer einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf den Dienstleistungsbegriff des AEUV zurückzugreifen.302 Indes dient Art. 57 AEUV vor allem der Herstellung 288 Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 32; Magnus, IHR 2002, 47; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 7; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 41. 289 Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 86 f.; Mankowski, FS Schwenzer (2011), 1182 f.; ebenso zu Art. 5 EVÜ Leible in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2004) 140 m.w.N. 290 OLG München v. 23.12.2009 – 20 U 3515/09, CR 2010, 156 m. Bspr. Mankowski, 137. 291 Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 79; Mankowski, FS Schwenzer (2011), 1181. 292 Vgl. einerseits Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 85; Mankowski, FS Schwenzer (2011), 1182 und andererseits Magnus, IHR 2002, 47 in Fn. 26. 293 Mankowski, FS Schwenzer (2011), 1181. 294 Mankowski, FS Schwenzer (2011), 1181 f.; vgl. auch EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt, NJW 2017, 315 = EuZW 2017, 36 m. Anm. Klöpfer (Grundstücksschenkung). 295 Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 32. 296 Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 8. 297 Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 41; anders hingegen von Hein, bei „unbeweglichen Sachen“ i.S.v. Art. 22 Brüssel Ia-VO, vgl. Kropholler/von Hein, Art. 22 a.F. Rz. 11: „Abgrenzung nach der lex rei sitae verdient Beachtung“. 298 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 10a, ohne sich freilich inhaltlich näher zu äußern. 299 Dasser/Oberhammer/Oberhammer, Art. 5 LugÜbk Rz. 37; Lynker, Der besondere Gerichtsstand am Erfüllungsort in der Brüssel I-VO (2006) 54; Ignatova, Chancen und Risiken der Reform des Gerichtsstands des Erfüllungsortes (2006) 186. Ebenso für das CISG Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, Art. 1 CISG Rz. 34 f.; a.A. und für eine Bestimmung nach der lex rei sitae Staudinger/Magnus, (2013) Art. 1 CISG Rz. 54. 300 Für eine autonome Begriffsbestimmung hier wohl auch Luna Serrano in Grundmann/Bianca (Hrsg.), EUKaufrechts-Richtlinie (2002) Art. 1 Rz. 31; vgl. außerdem Leible in Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2010) Kap. 9 Rz. 110. 301 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 20. 302 Vgl. etwa BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806; OGH ÖJZ 2005, 710; OLG Düsseldorf IPRspr. 2003, Nr. 129; IHR 2004, 110; OLG Köln, RIW 2005, 778; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 43; Hess, EuZVR § 6 Rz. 51; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 71 ff.; a.A. Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 39; Hau, IPRax 2000, 359 in Fn. 76.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
des Binnenmarktes. Der dort verwendete Dienstleistungsbegriff kann daher zwar ein erster Anhaltspunkt sein, darf jedoch nicht unbesehen auf Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO übertragen, sondern muss unter Berücksichtigung internationalzivilverfahrensrechtlicher Interessen entwickelt werden. Der EuGH lehnt eine Berücksichtigung von Art. 57 AEUV gänzlich ab, da kein Element des Regelungszusammenhangs oder der Systematik der Brüssel Ia-VO eine Auslegung des Begriffs „Erbringung von Dienstleistungen“ nach Maßgabe der Entscheidungen des Gerichtshofs im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs verlange.303 Zur Begründung verweist der Gerichtshof u.a. darauf, dass Systematik und Regelungszusammenhang der Brüssel Ia-VO eine enge Auslegung von Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO geböten (vgl. auch Rz. 3), die nicht durch die Heranziehung von (weiten) Begriffsverständnissen, die sich in anderen Regelungszusammenhängen entwickelt haben, unterlaufen werden dürften. Das überzeugt indes nicht, da es bei Ausfüllung des Begriffs der Dienstleistung iRv Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO nicht um dessen Abgrenzung von Art. 4 Brüssel Ia-VO, sondern um eine Binnendifferenzierung, insb. zu lit. a, geht. Nimmt man den EuGH beim Wort, ist jedenfalls die vielfach anzutreffende Ansicht, der Dienstleistungsbegriff sei anerkanntermaßen weit auszulegen,304 unzutreffend. Auf jeden Fall berücksichtigt werden sollte die zur Auslegung des Dienstleistungsbegriffs des Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ/LugÜbk 1988 ergangene Rechtsprechung. Zu beachten ist außerdem der Auslegungszusammenhang mit Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO.305 Von einem Dienstleistungsvertrag ist auszugehen, wenn eine Partei sich zur Erbringung einer be- 67 stimmten Tätigkeit gegen Entgelt verpflichtet306. Gefordert sind nach der Rspr. des EuGH positive Handlungen. Reine Unterlassungen genügen nicht.307 Die Tätigkeit muss zugleich die charakteristische Leistung des Vertrags sein.308 Mögen auch die besseren Argumente dafür sprechen, dass „Entgelt“ i.S.v. „Geldleistung“ zu verstehen ist,309 so hat der EuGH jüngst festgestellt, dass als Entgelt jeder Vorteil mit einem „wirtschaftlichen Wert“ genüge.310 Um Dienstleistungsverträge handelt es sich daher bei Werk- und Werklieferungsverträgen, soweit sie nicht als Kaufverträge zu qualifizieren sind,311 so etwa bei Softwareentwicklungsverträgen312 oder Bauwerkverträge.313 Dienstleistungsverträge sind weiterhin Beraterverträge, Beförderungs- und Frachtverträge,314 Unterrichtsverträge, Übersetzungs-
303 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 34. 304 So etwa BGHZ 123, 384; BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806; OGH, ÖJZ 2005, 710; OLG Köln, RIW 2005, 779; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 42; Leipold, GS Lüderitz (2000) 446; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 328. 305 Ausführlich hierzu Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 74 ff. 306 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 29; EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574, IPRax 2016, 151 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 Rz. 57; C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 37. 307 Vgl. z.B. EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 38. 308 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 58 f. 309 Umfassend zur Art der Gegenleistung Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 81 ff. 310 EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12 – Corman-Collins SA vs. La Maison du Whisky SA, EuZW 2014, 181 Rz. 39 f. 311 BGH NJW 2019, 23 Rz. 39; OLG Hamm, IHR 2012, 216; OLG Düsseldorf, IPRspr. 2003 Nr. 129; IHR 2004, 110. In der Praxis wird die Abgrenzung meist offen bleiben können, vgl. etwa EuGH v. 27.4.1999 – C-99/96, ECLI:EU:C:1999:202999 – Mietz vs. Intership Yachting, EuGHE 1999 I 2277 Rz. 33. 312 OLG München v. 23.12.2009 – 20 U 3515/09, CR 2010, 156 m. Bspr. Mankowski, 137. 313 OLG München v. 7.6.2011 – 9 U 5019/10, NJW-RR 2011, 1169. 314 Vgl. für die Flugbeförderung etwa EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Peter Rehder vs. Air Baltic Corporation, EuGHE 2009 I 6073 = EuZW 2009, 569 m. Anm. Leible = EWiR 2009, 607 (Mankowski) = IPRax 2010, 160 m. Bspr. Staudinger, 140 und Wagner, 148; Coester-Waltjen, FS Kaissis (2012) 98; Junker, FS Martiny, 2014, 777 ff.; und die Nachfolgeentscheidung BGH v. 12.11.2009 – Xa ZR 76/07, NJW 2010, 1070; vgl. dazu außerdem Mankowski, TranspR 2009, 303; Lehmann, NJW 2010, 655; Jiménez Blanco, La Ley 7294 v. 30.11.2009, 1; zu Seetransportvertrag Hof van Cassatie Brüssel, Entscheidung v. 7.1.2011 – C.09.0611.N/1; Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 32 ff.; a.A. für Frachtverträge LG Würzburg v. 2.8.2012 – Az 62 O 1317/10.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände verlagsverträge,315 Treuhandverträge,316 Reiseverträge,317 Behandlungsverträge (etwa über eine Krankenhausbehandlung318, aber auch Telemedizinverträge319), Kommissionsverträge, Maklerverträge,320 je nach den Umständen des Einzelfalls außerdem Franchise-321 und andere Vertriebsverträge322. Bei Vertriebsverträgen kommt es letztlich darauf an, dass die Dienstleistung nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist, sondern dem Vertrag ihr Gepräge gibt. Davon ist etwa bei Handelsvertreter- und Handelsmaklerverträgen auszugehen,323 i.d.R. aber auch bei Vertragshändlervereinbarungen.324 Das „Entgelt“ ist hier in der Summe der dem Vertragshändler eingeräumten Vorteile (Recht auf ggf. exklusive Vermarktung, Zugang zu Werbematerial, Vermittlung von Know-how durch Fortbildungsmaßnahmen, Zahlungserleichterungen) zu sehen.325 Kein Dienstleistungsvertrag soll ein „gastronomischer Kooperationsvertrag“ sein.326 Um Dienstleistungen handelt es sich überhaupt bei allen Vermittlungstätigkeiten, etwa von Waren, Finanzprodukten327 oder auch von Charterverträgen zwischen Luftverkehrsunternehmen und Reiseveranstaltern.328 Auch die Tätigkeit, die ein Rechtsanwalt für einen Mandanten erbringt, ist eine Dienstleistung i.S.v. lit. b.329 Nicht erfasst werden mangels Entgeltlichkeit der Auftrag oder sonstige unentgeltliche Geschäftsbesorgungen.330 Ebenfalls nicht erfasst sind Verbraucher- und Versicherungsverträge, sofern diese eine gesonderte Regelung in Art. 10 ff., 17 ff. Brüssel Ia-VO gefunden haben.331 Für Versicherungsverträge gilt dies auch außerhalb von deren spezifischen Zuständigkeitssystems, steht insoweit doch eine Risikoübernahme im Vordergrund, der es an einem hinreichenden Tätigkeitselement fehlt.332
315 316 317 318 319 320 321 322
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Falsch insoweit LG München I v. 13.12.2006 – 21 O 20997/05, GRUR-RR 2007, 195, dass auf lit. a abstellt. OLG München v. 28.12.2007 – 25 U 3043/07, OLGR München 2008, 276. Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 120. OLG Oldenburg v. 21.5.2008 – 5 U 27/08, NJW-RR 2008, 1597; vgl. auch BGH v. 8.12.2011 – III ZR 114/11, IPRax 2013, 347 m. Bspr. Wais, 320 u. m. Anm. Unberath/Cziupka, LMK 2012, 334937. Wendelstein, Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin (2012) 445. Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 122 f. Emde, RIW 2003, 512; a.A. anscheinend BG Neusiedl EuLF 2009, II-55 (Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel I-VO). Bajons, FS Geimer (2002) 52; a.A. Cass. civ., Rev. crit. dip. 97 (2008), 863 m. Anm. Sindres; Clunet 2008, 521 m. Anm. Jacquet = RTD com. 2008, 455 m. Anm. Delebecque; RTD com. 2007, 588 m. Anm. Bouloc: „Le contrat-cadre de distribution n’est ni un contrat de vente ni un contrat de fournitures de services“; ebenso Cour de cassation v. 23.3.2011 – 10–30.210, EuLF 2011, 78. EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137, IPRax 2011, 73 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 = NJW 2010, 1189 = EuZW 2010, 378 m. Anm. Leible = LMK 2010, 300579 m. Anm. Pfeiffer = EWiR Art. 5 EuGVVO 2/10, 355 (Mankowski); vgl. zu dieser Entscheidung auch Coester-Waltjen, FS Kaissis (2012) 98 f.; OGH, IHR 2008, 258; OLG Düsseldorf v. 21.9.2007 – 16 U 230/06, NJW-RR 2008, 223; OLG Koblenz, IHR 2008, 198; OLG Saarbrücken v. 27.10.2006 – 1 U 138/06-42, OLGR Saarbrücken 2007, 77; Emde, RIW 2003, 508; ausf. zu Handelsvertreterverträgen Mankowski, YB PIL 10 (2008), 19; Mankowski in Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts – Gemeinsame oder unterschiedliche Probleme für das deutsche und griechische Recht? (2006), 135 ff.; zu Maklerverträgen OGH, IPRax 2006, 608 m. Bspr. Kienle, 614. Vgl. EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12 – Corman-Collins SA vs. La Maison du Whisky SA, EuZW 2014, 181 Rz. 38; EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 38; OLG Köln, IHR 2007, 200 Rz. 32; Emde, RIW 2003, 511; Wurmnest, IHR 2005, 113; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 91; Hau, ZVertriebsR 2014, 79. EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12 – Corman-Collins SA vs. La Maison du Whisky SA, EuZW2014, 181 Rz. 40; EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 40; v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI: EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden NV/SA vs. Lusavouga-Máquinas e Acessórios Industriais SA, RIW 2018, 206 Rz. 40; vgl. dazu Hau, ZVertriebsR 2014, 79; Stade, ZVertriebsR 2018, 9. OLG Hamm, IPRspr. 2012, Nr. 190, 430 Rz. 23. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 90; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 44. OGH, ÖJZ 2005, 710. BGH, NJW 2006, 1806 f.; OLG Karlsruhe v. 24.8.2007 – 14 U 72706, NJW 2008, 85. OLG Saarbrücken v. 16.2.2011 – 1 U 574/09-153, IPRax 2013, 74 (unentgeltlicher Beratungsvertrag); von Hein, IPRax 2013, 54, 56 ff.; a.A. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 100; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 95 ff. OGH, IHR 2008, 258; Hau, IPRax 2000, 359; a.A. Micklitz/Rott, EuZW 2001, 328. So zu Recht Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 125 ff. für Rückversicherungsverträge im Speziellen und Risikoübernahmen im Allgemeinen.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Unklar war lange Zeit, ob es sich bei Kreditverträgen um Verträge über Dienstleistungen handelt. Im 68 Rahmen von Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ wurden sie weder im Schlosser-Bericht333 noch von der h.M. als Dienstleistungsverträge angesehen. Allerdings wurde die Vorschrift nicht in die Brüssel IaVO übernommen. Das Hauptargument der systematischen Auslegung greift daher nicht mehr.334 Zu berücksichtigen ist außerdem, dass Kreditverträge im übrigen Unionsrecht als Finanzdienstleistungen angesehen werden.335 Ihr Ausschluss aus dem Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel IaVO scheint daher nicht angezeigt.336 Dass Finanzdienstleistungen überhaupt unter lit. b fallen können, zeigte außerdem Art. 63 Abs. 3 Brüssel Ia-VO a.F. Der EuGH ordnet daher den Kreditvertrag ohne weiteres als einen Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen ein und definiert ihn als einen Vertrag, den ein Darlehensnehmer mit einem Kreditinstitut schließ und durch den das Kreditinstitut dem Darlehensnehmer gegen eine Vergütung, die dieser grundsätzlich in Form von Zinsen entrichtet, einen Geldbetrag überlässt.337 Allerdings kann man an der Sinnhaftigkeit eines einheitlich bestimmten Erfüllungsorts für Kreditverträge zweifeln.338 Betont man außerdem die vom EuGH ansonsten so gerne hervorgehobene Notwendigkeit eines Tätigkeitselements,339 spricht vieles dafür, sie nicht Art. 7 Nr. 1 lit. b Str. 2 Brüssel Ia-VO zu unterstellen; denn ebenso wie bei Miet- und Pachtverträgen (vgl. Rz. 70) steht auch bei Kreditverträgen die Nutzungsüberlassung im Vordergrund.340 Sobald jedoch bei einer Finanzdienstleistung das Tätigkeitselement dominiert, steht einer Qualifikation als Dienstleistungsvertrag nichts im Wege.341 Nach Auffassung des EuGH sind Lizenzverträge keine Verträge über Dienstleistungen, da der Rechteinhaber keine Tätigkeit erbringt, sondern lediglich eine Befugnis zur Nutzung eines Rechts des Geistigen Eigentums erteilt.342 Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Vertragspartner des Lizenzgebers verpflichtet ist, das zur Nutzung überlassene Recht des geistigen Eigentums zu nutzen.343 Die Entscheidung des EuGH überbetont zwar das Tätigkeitselement und verkennt, dass immerhin das Recht des Geistigen Eigentums meist Frucht einer Dienstleistung ist,344 wahrt aber den Auslegungszusammenhang mit der Rom I-VO und ist daher letztlich überzeugend. Denn der Vorschlag für eine Rom I-VO enthielt in Art. 4 Brüssel Ia-VO neben lit. b – der das für Dienstleistungsverträge maßgebende Recht festlegt – eine lit. f, in der das für Verträge über Rechte an geistigem Ei333 Vgl. m.w.N. Kropholler, EuZPR (1998), Art. 13 EuGVÜ Rz. 20. 334 Zutr. Micklitz/Rott, EuZW 2001, 328. 335 Vgl. etwa den weiten Dienstleistungsbegriff von Art. 2 lit. b der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. EG 2002 L 271/16). 336 So etwa OLG Naumburg v. 20.12.2002 – 2 W 5/02; ebenso Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 44; Looschelders, IPRax 2006, 14; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 328; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 9; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 11; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 94. 337 EuGH v. 15.6.2017 – C-249/16 – Saale Kareda vs. Stefan Benkö, RIW 2017, 504 Rz. 36 f. = EWiR 2017, 577 (Mankowski); vgl. dazu auch Slonina, ecolex 2018, 136. Vgl. zuvor bereits BGH v. 28.2.2012 – XI ZR 9/11, NJW 2012, 1817 und dazu die Anm. v. Wais, LMK 2012, 334934; ebenso OLG Hamm, IPRax 2018, 57 Rz. 32 m. Bspr. Magnus, 23. 338 So etwa Hau, IPRax 2000, 359. 339 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 29. 340 Ebenso Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 123 f.; a.A. R. Magnus, IPRax 2018, 23, 25. 341 Vgl. insoweit für Geldanlagen und Überweisungen Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 124 f. 342 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 = NJW 2009, 1865 = EuZW 2009, 510 = EWS 2009, 462 m. Anm. Sujecki = JZ 2009, 956 m. Anm. Mankowski = MR-Int. 2009, 115 m. Anm. Reis = IPRax 2009, 509 m. Bspr. Brinkmann, 487 = GRUR-Int. 2009, 848 m. Bspr. Ubertazzi, GRUR-Int. 2010, 103 und IIC 40 (2009), 912. Vgl. dazu außerdem McGuire, GPR 2010, 97; Gaudemet-Tallon (2015), Nr. 188-2. 343 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 32; a.A. OGH, ZfRV 2008, 27 (wie der EuGH nunmehr OGH ZfRV 2010, 27). 344 Hess, EuZVR § 6 Rz. 51.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände gentum oder gewerbliche Schutzrechte maßgebende Recht festgelegt war. Auf die Aufnahme des letztgenannten Buchstabens in die endgültige Fassung der Rom I-VO wurde dann aber doch verzichtet, weil im Rat kein Einvernehmen darüber erzielt werden konnte, welche Vertragspartei die vertragscharakteristische Verpflichtung erbringt, und nicht deshalb, weil dieser Vertrag den Verträgen über die Erbringung von Dienstleistungen zuzuordnen wäre. Würde der Begriff „Dienstleistung“ im Rahmen der Brüssel Ia-VO so ausgelegt, dass die Lizenzerteilung unter diesen Begriff fiele, widerspräche dies folglich Sinn und Zweck der Definition des Begriffs „Dienstleistung“ im Rahmen der Rom I-VO.345 Zu beachten bleibt freilich, dass die Lizenzvereinbarung Bestandteil eines „Vertragspakets“, etwa eines Forschungs- und Entwicklungsvertrags, sein kann, der weitere Leistungsbestandteile – wie z.B. technische Unterstützung, Mitarbeiterschulung etc. – enthält. In derartigen Fällen, in denen der Vertrag durch die die Lizenzierung begleitenden Tätigkeiten sein Gepräge erhält, steht einer Qualifikation als Dienstleistungsvertrag nichts im Wege.346 70
Miet- und Pachtverträge über bewegliche Sachen sind keine Dienstleistungsverträge, da hier die Nutzungsüberlassung im Vordergrund steht.347 Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, der Vermieter müsse dem Mieter die Sache tatsächlich zur Verfügung stellen.348 Ob demgegenüber Timesharing-Verträge zum Dienstleistungsvertrag eignen, hängt davon ab, ob die Nutzungsüberlassung gegenüber den hinzutretenden Leistungen (z.B. Instandhaltung der Immobilie, Reinigung, Überwachung, Verwaltung, Betreuung) wertmäßig zurücktritt.349 Denn dieses Tätigkeitselement ist von ganz untergeordneter Bedeutung. Anders zu beurteilen sind hingegen Beherbergungsverträge, da hier über die bloße Gebrauchsüberlassung des Hotelzimmers hinaus ein ganzes Leistungsbündel zu erbringen ist.350 Aus dem gleichen Grund sind Lagerverträge als Dienstleistungsverträge zu qualifizieren, mag mit ihnen auch ein Element der Raumnutzung einhergehen.351 Grundsätzlich um keine Dienstleistungsverträge handelt es sich bei Finanzierungsleasingverträgen, da diese Verträge sich regelmäßig in einer Gebrauchsüberlassung und einer Finanzierung erschöpfen; weder die Gebrauchsüberlassung noch nach hier vertretener Auffassung (s. Rz. 68) die „Geldüberlassung“ weisen indes das notwendige Tätigkeitselement auf.352
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Abzugrenzen ist der Dienstleistungs- vom Arbeitsvertrag, für den die besonderen Regelungen der Art. 20 ff. Brüssel Ia-VO greifen. Im Gegensatz zum Dienstleistungs- ist der Arbeitsvertrag durch eine abhängige, weisungsgebundene Tätigkeit des Arbeitnehmers gekennzeichnet.353 Schwierig kann die Abgrenzung bei Verträgen zwischen Gesellschaften und ihren Geschäftsführern sein. Fremdgeschäftsaführer werden vom EuGH immer als Arbeitnehmer eingeordnet, während es bei Gesellschafter-Geschäftsführern auf das Maß ihrer Einflussmöglichkeit auf das weisungsbefugte Gesellschaftsorgan 345 GA Trstenjak, C-533/07 – Falco Privatstiftung und Thomas Rabitsch vs. Gisela Weller-Lindhorst, EuGHE 2009 I 3327 Rz. 69; a.A. Wittwer, ELR 2009, 233. Vgl. auch Mankowski in Leible/Ohly (Hrsg.), Intellectual property and Private International Law (2009), 41 f. 346 De Miguel Asensio, YB PIL 10 (2008) 208; Nishitani in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009), 65. Zu Lizenzvereinbarungen als Bestandteil von Franchise- oder Vertriebsverträgen vgl. Mankowski in Leible/ Ohly (Hrsg.), Intellectual property and Private International Law (2009), 35 ff. 347 Dasser/Oberhammer/Oberhammer, Art. 5 LugÜbk Rz. 43; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 95; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 117 ff.; a.A. Wipping, Der europäische Gerichtsstand des Erfüllungsortes – Art. 5 Nr. 1 EuGVVO (2008) 168; Ignatova, Chancen und Risiken der Reform des Gerichtsstands des Erfüllungsortes (2006) 193. 348 So aber Brinkmann, IPRax 2009, 490. 349 Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 120 f. Zur Abhängigkeit der internationalen Zuständigkeit von der konkreten Ausgestaltung des Timesharing s. auch Müller, NZM 2010, 309; Leible/Müller, NZM 2009, 18. 350 So etwa für Hotelunterbringungsverträge, die über die bloße Raummiete hinausgehen, OGH ZfRV 2004, 76; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 90; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 119 f. 351 EuGH v. 14.11.2013 – C-469/12 – Krejci Lager & Umschlagbetriebs GmbH vs. Olbrich Transport und Logistik GmbH, BeckRS 2013, 82269. 352 Dass der EuGH das Verleasen von Kraftfahrzeugen an Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten als „Dienstleistung“ im Sinne der Dienstleistungsfreiheit betrachtet (vgl. EuGH v. 21.3.2002 – C-451/99, ECLI:EU:C: 2002:195 – Cura Anlagen, EuGHE 2002 I-3193), steht dem nicht entgegen. 353 Kropholler/von Hein, Art. 18 a.F. Rz. 2; vgl. auch OGH, IHR 2008, 258.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
ankommt.354 Liegt danach ein vertraglicher Anspruch vor, ist der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung primär anhand des Geschäftsführervertrages und ansonsten unter Zuhilfenahme der Gesellschaftssatzung oder sonstiger Dokumente zu ermitteln.355 Gemischte Verträge fallen in den Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 lit. b Str. 2 Brüssel Ia-VO, wenn die Dienstleistung im Vordergrund steht.356 Das ist etwa bei Pferdeeinstellungsverträgen der Fall, da hier Füttern, Tränken und Ausmisten den Vertragsschwerpunkt bilden.357 Ebenso sind Cloud Computing-Verträge als Dienstleistungsverträge zu qualifizieren, dominiert hier doch mit der vollständigen und ausschließlichen Pflege und Wartung von Hardware und Software das Dienstleistungselement gegenüber dem Gebrauchsüberlassungselement.358
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(3) Bestimmung des maßgeblichen Erfüllungsorts (a) Grundsatz Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO verknüpft den Gerichtsstand nicht mit dem Erfüllungsort der streiti- 73 gen Verpflichtung, sondern dem der vertragscharakteristischen Leistung, sofern dieser in einem Mitgliedstaat liegt (zur Beurteilung dieser Regelung vgl. Rz. 38 ff.). Wurde die Leistung als vertragsgemäß angenommen, ist ebenso wie bei lit. a (vgl. Rz. 51) der Ort der tatsächlichen Leistungserbringung stets der maßgebliche Erfüllungsort, mag auch zuvor eine andere vertragliche Regelung getroffen worden sein.359 Liefert etwa ein spanischer Verkäufer seinem deutschen Abnehmer Orangen nicht wie zunächst vereinbart nach Freiburg, sondern unmittelbar in dessen Filiale nach Colmar und nimmt der Käufer sie dort ab, kann der Verkäufer nach Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO in Frankreich auf Zahlung klagen. Entscheidend ist bei Kaufverträgen grundsätzlich der Ort, an dem der Käufer die Verfügungsgewalt über die Ware erlangt.360 Bei Dienstleistungen kommt es auf den Ort an, an dem die den Gegenstand des Vertrages bildende Leistung erbracht wurde. Der Ort, an dem die Dienstleistung Erfolge zeitigen soll, ist zuständigkeitsrechtlich hingegen unerheblich.361 Der Versuch einer allein faktischen Bestimmung des Leistungsorts stößt allerdings rasch an seine Grenzen.362 So bedarf es bei einer tatsächlichen Leistungserbringung freilich einer normativen Wertung, sofern es sich um einen Versendungskauf handelt, lässt doch Art. 7 Nr. 1 lit. b Str. 1 Brüssel IaVO offen, ob Erfüllungsort derjenige Ort ist, an dem die Leistungshandlung erbracht wird, oder der, an dem der Leistungserfolg eintritt. Eine normative Wertung ist weiterhin dann erforderlich, wenn die Leistung noch nicht erbracht wurde oder der Abnehmer die Entgegennahme der Leistung berechtigterweise verweigert hat. In derartigen Fällen ist zwar grundsätzlich auf den Ort abzustellen, an dem nach dem Vertrag hätte geliefert bzw. die Dienstleistung hätte erbracht werden müssen, doch hilft dies bei der Bestimmung des Erfüllungsorts der vertragscharakteristischen Leistung nicht weiter, wenn es an einer entsprechenden vertraglichen Einigung fehlt. Nach einer Auffassung soll dann doch
354 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 Rz. 47. 355 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 Rz. 60 ff. 356 OLG Köln, RIW 2005, 778; OLG Saarbrücken v. 2.8.2007 – 8 U 295/06-74, OLGR Saarbrücken 2007, 796; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 91; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 44; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 92. 357 OLG Saarbrücken v. 2.8.2007 – 8 U 295/06-74, OLGR Saarbrücken 2007, 796. 358 Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing – Eine Untersuchung zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht und zum Datenschutzrecht (2014) 76 f. 359 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806; OGH, ÖJZ 2005, 711; IHR 2008, 258; OLG Karlsruhe, IHR 2008, 194; Kropholler, Rz. 47; Magnus, IHR 2002, 47; für einen steten Vorrang der vertraglichen Regelung Franzina/De Franceschi, IHR 2012, 140; für einen steten Vorrang des tatsächlichen Erfüllungsortes Dubiel, Der Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands im deutschen, europäischen und internationalen Zivilprozessrecht (2010) 170 ff. 360 OLG Köln, IHR 2006, 86; LG Freiburg, IPRspr. 2005, Nr. 108. 361 Zutr. OGH, ÖJZ 2005, 711; s. zuletzt auch Wendelstein, Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin (2012) 446 m.w.N. in Fn. 58. 362 Siehe hierzu auch Markus, AJP 2010, 976 ff.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände wieder – entweder direkt oder über lit. c und a – auf die lex causae zurückgegriffen werden;363 denn es sei bei fehlender Parteiabrede unmöglich, autonom bestimmen zu wollen, wo in welcher Situation der Ort der Lieferung liege.364 Indes sprechen die besseren Gründe auch hier für eine unionsautonome Bestimmung des Erfüllungsorts,365 zumal die Verordnungsbegründung ebenfalls auf eine autonome Bestimmung rekurriert.366 Der EuGH hat diese Sichtweise mittlerweile bestätigt.367 75
Auszugehen ist von der Annahme, dass Erfüllungsort stets der Ort ist, an dem geliefert oder geleistet werden soll und damit alle Verpflichtungen aus dem Vertrag erfüllt sind. Vorrang bei der Bestimmung des Erfüllungsorts genießen vertragliche Abreden.368 Bleiben bei der Auslegung des Vertrags Zweifel, verdient diejenige Auslegung den Vorzug, die Sinn und Zweck des Gerichtsstands am Erfüllungsort sowie den Zielen der Brüssel Ia-VO am ehesten Rechnung trägt.369 (b) Hol- und Bringschuld
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Die Bestimmung des Erfüllungsorts anhand der vertraglichen Abrede bereitet keine Probleme, wenn die Parteien eine Hol- oder eine Bringschuld vereinbart haben. Dann liegt es auf der Hand, dass zuständig stets die Gerichte an dem Ort sind, an dem die Ware vereinbarungsgemäß dem Käufer oder von diesem autorisierten Dritten übergeben wurde oder zu übergeben gewesen wäre, und zwar unabhängig davon, ob (bei einer Holschuld) die Ware im Sitzstaat des Verkäufers zur Verfügung gestellt370 oder (bei einer Bringschuld) auf Anweisung des Verkäufers an einen Dritten geliefert wurde.371 Maßgeblich ist stets der tatsächliche bzw. der vereinbarte Übergabeort. Derartige vertragliche Abreden können auch durch die Vereinbarung von Incoterms getroffen werden. Wurde die Klausel EXW (ex works) vereinbart, liegt eine Holschuld vor.372 Erfüllungsort ist dann der Sitz des Verkäufers. Umgekehrt führen die Klauseln DAF, DES, DEQ, DDU und DDP zu einer Bringschuld und einer Gerichtszuständigkeit am dergestalt bezeichneten Bestimmungsort.373 Bei den F-Klauseln (FCA, FAS und FOB) sollte wie bei einer Holschuld der Übernahmeort als Übergabeort gewertet werden.374 Bei Verwendung der Klausel FOB (free on board) führt dies daher zur Zuständigkeit der Gerichte des Staates bzw. Ortes, wo „the goods pass the shop’s rail at the named port of shipping“.375 Keine Incoterm ist die Klausel F.O.C. (= free of charge), sie steht jedoch der Vereinbarung einer Holschuld entgegen.376 363 Tribunale di Reggio Emilia, EuLF 2005, I-232; Eltzschig, IPRax 2002, 495 f.; Kienle, IPRax 2005, 114; Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005) 82; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 48 f.; Kropholler/vHinden, GS Lüderitz (2000) 410; Junker, RIW 2002, 572; Magnus, IHR 2002, 48; Markus, SZW 1999, 213; Piltz, NJW 2002, 793; Rauscher, FS Heldrich (2005) 944; differenzierend nunmehr Piltz, IHR 2006, 55 ff.; a.A. Kubis, ZEuP 2001, 750. 364 Beraudo, JDI 2001, 1045 ff. 365 OGH, ÖJZ 2005, 710; OGH, EuLF 2004, II-82; Junker, RIW 2002, 572. 366 BR-Drucks. 534/99, 6 und 14. 367 Vgl. insb. EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 53. 368 EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 54; s. auch Franzina/De Franceschi, IHR 2012, 140; Junker, FS Martiny (2014) 764. 369 Gsell, IPRax 2002, 487. 370 Eine nachträgliche Vereinbarung des Versands soll keinen vom Lieferort des Verkäufers abweichenden Erfüllungsort begründen, so OLG Koblenz v. 24.5.2007 – 10 U 1422/06, OLGR Koblenz 2007, 830. 371 Hau, JZ 2008, 975 f. m.w.N. 372 EuGH v. 9.6.2011 – C-87/10 – Electrosteel Europe SA vs. Edil Centro SpA, Slg. 2011, I-4987 = EuZW 2011, 603 m. Anm. Leible, 604, Gebauer, LMK 2011, 322284, Mankowski, EWiR 2011, 497, Wittwer, ELR 2011, 286 u. Zarth, GWR 2011, 307; EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 36; OLG Karlsruhe v. 28.3.2006 – 8 U 218/05, OLGR Karlsruhe 2006, 714; LG Düsseldorf v. 30.8.2012 – 4b O 54/11; Buchwitz, IHR 2013, 112. 373 BGH, IHR 2013, 15 (zu einer DDP-Klausel); OLG Hamm, IHR 2012, 216 (zu einer DDP-Klausel); LG Siegen v. 7.3.2007 – 8 O 250/06 (zu einer DDU-Klausel); Hau, JZ 2008, 978; Buchwitz, IHR 2013, 112. 374 Hau, JZ 2008, 978; Buchwitz, IHR 2013, 112. 375 BGH, RIW 2009, 570 m. zust. Anm. Pfeiffer, LMK 2009, 286480; Ferrari, IPRax 2007, 66; 66; Hess/Pfeiffer/ Schlosser, The Brussels I Regulation 44/2001 (2008) Rz. 187; Leible/Freitag, § 2 Rz. 74; Magnus, IHR 2002, 48; Piltz, IHR 2006, 55; Rauscher, FS Heldrich (2005) 942; vgl. auch House of Lords [2008] UKHL 11 Scottish & Newcastle International Limited v. Othon Ghalanos Limited, IHR 2009, 76 = EuLF 2008, I-95.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
(c) Versendungskauf Nicht so eindeutig ist die Rechtslage hingegen beim Versendungskauf, da hier die meisten nationalen 77 Rechte auf der Ebene des materiellen Rechts zwischen Leistungshandlung und -erfolg differenzieren und sich daher die Frage stellt, ob diese Unterscheidung auch zuständigkeitsrechtlich reflektiert werden sollte. Nach zum Teil vertretener Auffassung soll sich in derartigen Fällen die Bestimmung des Erfüllungs- 78 ortes und damit des Gerichtsstandes aufgrund des von Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO verfolgten „pragmatischen Ansatzes“ allein nach prozessualen Kriterien richten. Entscheidend seien die Sachund Beweisnähe sowie eine angemessene Zuweisung der Verteidigungslast. Für den Versendungskauf folge daraus, dass der Bestimmungsort der Ware maßgeblich sein müsse.377 Maßgeblich ist danach der Ort, an dem der Käufer die Ware körperlich entgegennimmt oder hätte entgegennehmen müssen, sie also in Gewahrsam nimmt.378 Bei der Verwendung von C-Klauseln der Incoterms (CFR, CIF, CPT, CIP) soll dies u.a. dazu führen, dass der Lieferort und damit der Gerichtsstand an dem in der Klausel bezeichneten Bestimmungsort liegt.379 Der EuGH hat sich diesem prozessualen Ansatz mittlerweile auf Vorlage des BGH380 – zumindest im 79 Ergebnis – angeschlossen und begründet dies mit der Entstehungsgeschichte, den Zielen und der Systematik der Brüssel Ia-VO.381 Der Bestimmungsort sei in hohem Maße vorhersehbar und entspreche auch dem Ziel der räumlichen Nähe, da seine Maßgeblichkeit eine enge Verknüpfung zwischen dem Vertrag und dem zur Entscheidung berufenen Gericht gewährleiste. Zum einen müssten sich die Waren, die den materiellen Gegenstand des Vertrags bilden, nach der Erfüllung dieses Vertrags grundsätzlich an diesem Ort befinden. Zum anderen sei das grundlegende Ziel eines Vertrags über den Verkauf beweglicher Sachen ihre Übertragung vom Verkäufer an den Käufer und dieser Vorgang erst bei der Ankunft dieser beweglichen Sachen an ihrem endgültigen Bestimmungsort vollständig abgeschlossen. Auch wenn damit die Würfel gefallen sind, vermag die Begründung des EuGH nicht durchweg zu überzeugen. Denn die Sach- und Beweisnähe des Gerichts ist auch bei einem Abstellen auf den Bestimmungsort nicht durchgängig gewährleistet. Das macht insb. der vom EuGH entschiedene Fall „Car Trim/KeySafety Systems“ deutlich, wurde hier doch gerade nicht über bereits gelieferte Sachen, sondern darüber gestritten, ob die Verkäuferin von der Käuferin Schadensersatz wegen (vorgeblich) unberechtigter Vertragskündigungen verlangen kann. Warum mit Blick auf diesen Streitgegenstand das Gericht am Sitz der Käuferin besser geeignet sein soll als das am Sitz der Verkäuferin, ist nicht ohne weiteres erkennbar. Nun ist es sicherlich zutreffend, dass sich der Gerichtsstand bei Vertragsstreitigkeiten nicht danach richten kann, „ob im konkreten Fall auch eine enge Verbindung des Rechtsstreits zum zuständigen Gericht besteht“.382 Aber auch wenn man – zu Recht – auf „das typisierend verfolgte Regelungsziel“ verweist,383 muss man sich die Frage gefallen lassen, ob das Regelungsziel der Sach- und Beweisnähe des entscheidenden Gerichts bei einem Abstellen auf den Bestimmungsort wirklich typischerweise erreicht wird. Zweifel bleiben. 376 OLG Stuttgart, IHR 2012, 38. 377 So dezidiert Hau, JZ 2008, 977 f. sowie mit gleichem Ergebnis, wenn auch z.T. unterschiedlichen Begründungen die dort in Fn. 30 Zitierten; vgl. auch Hager/Bentele, IPRax 2004, 76 f.; Hau, IPRax 2000, 358; Thorn, IPRax 2004, 357. 378 So etwa Cassaz, Riv. dir. int. priv proc 2010, 150; OGH, EuLF 2005, II-82; OLG Dresden, IHR 2008, 162; OLG Frankfurt v. 31.1.2006 – 16 U 103/05; OLG Hamm, IHR 2006, 86; OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, OLGR Karlsruhe 2009, 485; OLG Köln, IHR 2007, 164; IHR 2006, 86; OLG Oldenburg, IHR 2008, 112; Tribunale di Rovereto, EuLF 2005, II-46. 379 Hau, JZ 2008, 978; OLG Köln, IHR 2013, 155 (zu CIP); a.A. OLG Hamm v. 26.3.2012 – I-2 U 222/11, 2 U 222/11 (zu CPT); differenzierend Buchwitz, IHR 2013, 112; a.A. Franzina/De Franceschi, IHR 2012, 146. 380 BGH, EuZW 2008, 704 = LMK 2008, 266925 m. Anm. Geimer; vgl. dazu auch die Bspr. von Mankowski, IHR 2009, 46; Micha, EuLF 2009, II-1. 381 EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems Rz. 61 und hierzu Coester-Waltjen, FS Kaissis (2012) 96; Haas/Vogel, NZG 2011, 766; Junker, FS Martiny (2014) 767 ff.; Ragno, EuLF 2010, I-121; s. zur Anschlussentscheidung BGH, EuLF 2010, II-63 = IHR 2010, 217. 382 Schack, ZEuP 1998, 936. 383 Hau, JZ 2008, 978.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände 81
Dann aber ist zu fragen, ob nicht materiell-rechtliche Wertungen besser zur Bestimmung des Erfüllungsortes geeignet sind. Dabei ist allerdings einem weit verbreiteten Missverständnis entgegen zu treten und darauf hinzuweisen, dass damit natürlich kein Rekurs auf die lex causae gemeint ist,384 sondern lediglich die Berücksichtigung materiell-rechtlicher Wertungen bei der Bestimmung des Erfüllungsortes. Eine solche Lösung hätte zahlreiche Vorteile. Sie würde zum einen zu einer deutlich stärkeren Normativierung des Erfüllungsortsbegriffs führen und ihn damit wesentlich vorhersehbarer machen als seine Ermittlung anhand faktischer Kriterien.385 Und sie würde zum anderen das Band zwischen prozessualem und materiellem Erfüllungsort nicht (vollständig) zerreißen. Nun mag man daran zweifeln, dass es einen inneren Zusammenhang zwischen Gerichtsstand und materiell-rechtlichem Leistungsort gibt (vgl. Rz. 9), doch würde eine solche Lösung immerhin für mehr Kohärenz sorgen, da sie die Lücke zwischen lit. a und b verkleinerte;386 denn ein auf rechtsvergleichender Grundlage oder unter Heranziehung internationaler Prinzipienkataloge ermittelter Erfüllungsort i.S.v. Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO387 wäre deutlich dichter an dem im Rahmen von lit. a nach der lex causae maßgeblichen Ort „dran“ als ein rein nach faktischen bzw. prozessualen Kriterien bestimmter. Dem wird indes entgegen gehalten, dass mit der „pragmatischen Bestimmung des Erfüllungsortes aufgrund rein faktischer Kriterien“388 nicht nur eine Abkehr von der lex causae, sondern von materiell-rechtlichen Wertungen überhaupt gewollt war.389 Das ist allerdings bloße Behauptung. Denn tragender Grund der Reform war allein die Abkehr von der Tessili-Rechtsprechung390 und der Übergang zu einem autonomen Erfüllungsortbegriff. Dieses Ziel lässt sich aber auch und deutlich besser mit einer Bestimmung des Erfüllungsortes anhand materiell-rechtlicher Wertungen erreichen.391 Bestimmt man den Erfüllungsort beim Versendungskauf anhand materiell-rechtlicher Wertungen, so gilt: Muss der Verkäufer die Ware ordnungsgemäß auch am Zielort abliefern oder dort zusätzliche Leistungen erbringen (Aufbau, Wartung), so ist dieser als Erfüllungsort anzusehen;392 wurde hingegen lediglich eine ordnungsgemäße Absendung vereinbart, bleibt der Erfüllungsort der Ort der Absendung, d.h. der Ort der Übergabe der Kaufsache an den ersten Beförderer.393 (d) Bestimmung des Erfüllungsortes bei fehlender Vereinbarung und Leistung
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Ohne einen Rückgriff auf materiell-rechtliche Wertungen kommt man ohnehin nicht aus, wenn es an einer realen Leistung fehlt und sich dem Vertrag auch durch Auslegung keine Vereinbarung über den Erfüllungsort entnehmen lässt.394 Denn wie soll anhand rein faktischer Kriterien oder prozessualer Wertungen ermittelt werden, an welchem Ort die Waren dem Käufer körperlich hätten übergeben werden müssen?395 Nun ließe sich argumentieren, ob eine Hol-, Bring- oder Schickschuld vorliege, könne im Zweifelsfall mit Hilfe materiell-rechtlicher Wertungen festgestellt werden, doch müsse für die Gerichtsstandsbestimmung dann wieder auf prozessuale Wertungen zurückgegriffen werden.396 Konstruktiv ist das natürlich möglich, doch sieht sich eine solche Lösung neben dem Einwand ihrer Komplexität wiederum den in Rz. 80 f. geäußerten Bedenken ausgesetzt. 384 385 386 387 388 389 390 391 392 393 394 395
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So jedoch z.B. Cassaz, IHR 2009, 74; EuLF 2008, I-55; NGCC 2007, 534 m. Anm. Franzina. Franzina, NGCC 2007 I 540; Mankowski, IHR 2008, 50. So auch Mankowski, IHR 2008, 51. Zu den verschiedenen Möglichkeiten vgl. m.w.N. Mankowski, IHR 2008, 55 ff. Vgl. KOM (1999) 348 endg, 15. So Hau, JZ 2008, 977. Vgl. EuGH v. 6.10.1976 – 12/76 – Tessili vs. Dunlop, EuGHE 1976, 1473 Rz. 13 ff.; EuGH v. 15.1.1987 – 266/85, ECLI:EU:C:1987:11 – Shenavai vs. Kreischer, EuGHE 1987, 239 Rz. 20. Leible, FS Spellenberg (2010), 463 f. Vgl. z.B. OGH, IPRax 2004, 350 m. Bspr. Thorn, 354; OLG Köln, IHR 2006, 87; LG München II, IPRax 2005, 143 m. Bspr. Kienle, 113; Ferrari, IPRax 2007, 66. So etwa OLG München, IPRax 2009, 69 m. abl. Bspr. Hau, 44; OLG Stuttgart, IPRax 2009, 64 m. abl. Bspr. Hau, 44; Bajons, FS Geimer, 52; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, Art. 5 a.F. Rz. 86. Das konzediert auch Hau, JZ 2008, 977. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, Art. 5 a.F. Rz. 87 möchte dann sogar doch wieder auf die lex causae abstellen. Das ist freilich wenig wünschenswert und nach der recht strikten Aussage des EuGH zur autonomen Auslegung von Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO (EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 53) wohl ausgeschlossen. So wohl Hau, JZ 2008, 977.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Unter Zugrundelegung dieser Prämisse ergibt sich, dass immer dann, wenn noch nicht geleistet worden ist und der Erfüllungsort für die Lieferung weder im Vertrag bestimmt noch aufgrund des Vertrages bestimmbar ist, grundsätzlich an dem Ort geleistet werden muss, an dem der Schuldner zur Zeit des Vertragsschlusses seine Niederlassung bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.397 Eine dortige Situierung des Erfüllungsorts entspricht im Übrigen nicht nur materiell-rechtsvergleichenden Erkenntnissen,398 sondern eine entsprechende Gerichtsstandsbegründung zugleich prozessualen Gerechtigkeitserwägungen.399 Die Niederlassung ist auch bei einem Distanzkauf maßgeblich, sofern die Parteien keine Absprache über die Beförderung getroffen haben,400 es sei denn, sie erfolgt von einer anderen Niederlassung oder einem Warenlager des Verkäufers.401
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(e) Mehrere Liefer- oder Leistungsorte Die Bestimmung des Erfüllungsortes bereitet weiterhin Schwierigkeiten, wenn der Vertrag in mehreren Mitgliedstaaten zu erfüllen ist. Das gleiche Problem stellt sich, wenn der Vertrag zwar innerhalb eines Staates zu erfüllen, aber dort vereinbarungsgemäß an verschiedene Orte zu liefern bzw. an verschiedenen Orten zu leisten ist, da Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit determiniert (Rz. 4).
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Dem Wortlaut des Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO („der Ort in einem Mitgliedstaat“) lässt sich nichts 85 darüber entnehmen, ob die Norm auch herangezogen werden kann, wenn nicht an einen, sondern an mehrere Orte in einem Mitgliedstaat geliefert werden soll.402 Denn der Anwendungsbereich der Vorschrift wird grundsätzlich durch die Formulierung „Verkauf beweglicher Sachen“ bzw. „Erbringung von Dienstleistungen“ und nicht durch „Ort …, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen“ bestimmt.403 Der letzte Satzteil dient nur als gesetzestechnischer Verweis auf die örtliche Zuständigkeit und konkretisiert dabei ganz allgemein, wie der Erfüllungsort zu bestimmen ist. Aus ihm kann hingegen nicht geschlossen werden, dass es nur einen solchen Ort geben kann. Gleiches gilt für Dienstleistungsverträge. Bei mehreren Lieferorten in einem Mitgliedstaat ist nach Ansicht des EuGH für die Entscheidung über sämtliche Vertragsklagen das Gericht zuständig, in dessen Sprengel sich der Ort der nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmenden Hauptlieferung befindet. Lässt sich der Ort der Hauptlieferung nicht feststellen, kann der Kläger den Beklagten vor dem Gericht des Lieferorts seiner Wahl verklagen.404 Überzeugend daran ist die Annahme, die auch mit Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO angestrebte Vorhersehbarkeit möglicher Gerichtsstände stehe ihrer Anwendbarkeit bei einer Mehrzahl von Lieferorten nicht entgegen. Der dagegen mitunter erhobene Einwand, dass eine Vervielfachung 397 Ähnlich Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 37; a.A. Franzina/De Franceschi, IHR 2012, 147, die vorrangig auf Handelsbräuche abstellen möchten. Umfassend zu den verschiedenen Ansätzen zur Bestimmung des Erfüllungsorts bei fehlender Vereinbarung Dubiel, Der Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands im deutschen, europäischen und internationalen Zivilprozessrecht (2010) 178 ff. 398 Vgl. vor allem Art. 7:101 der European Principles of Contract Law der Lando-Kommission, Art. 6.1.6 Abs. 1 lit. b der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts 2004 und Art III. – 2:101 des Draft Common Frame of Reference. Kritisch gegenüber einem Rekurs auf die Principles jedoch Hau, IPRax 2000, 358; Magnus, IHR 2002, 48; wie hier hingegen Gsell, IPRax 2002, 491. 399 Vgl. etwa Schack, Der Erfüllungsort im deutschen, ausländischen und internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (1985) Rz. 345 ff.; außerdem etwa Huber, ZZPInt 1 (1996) 182. 400 Bajons, FS Geimer (2002) 52; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 34; Gsell, IPRax 2002, 491. 401 Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 34. Vgl. auch Art. 7:101 Abs. 2 der European Principles of Contract Law der Lando-Kommission und Art III.–2:101 Abs. 2 lit. a des Draft Common Frame of Reference. 402 EuGH v. 3.5.2007 – C-386/05 – Color Drack vs. Lexx International, EuGHE 2007 I 3699 Rz. 17 = NJW 2007, 1799 m. Anm. Piltz = EuZW 2007, 370 m. Anm. Leible/Reinert = ZZPInt 2007, 201 m. Anm. Lehmann = IPRax 2007, 444 m. Bspr. Mankowski, 404 = EWS 2007, 286 m. Bspr. Sujecki, 398; vgl. dazu auch CoesterWaltjen, FS Kaissis (2012) 97; de Franceschi, Int’l lis 2007, 120, Gardella, YB PIL 9 (2007), 439; Harris, LQRev 123 (2007), 522; Junker, FS Martiny (2014) 771 ff.; Markus, ZSchwR 2007, 319; Markus in Bonomi/Cashin Ritaine/Romano (Hrsg.), La Convention de Lugano: passé, présent et devenir: actes de la 19e journée de droit international privé du 16 mars 2007 à Lausanne 2007 (2008), 23; Rauscher, NJW 2010, 2252. 403 GA Bot, C-386/05 – Color Drack vs. Lexx International, EuGHE 2007 I 3699 Rz. 35 ff. 404 EuGH v. 3.5.2007 – C-386/05 – Color Drack vs. Lexx International, EuGHE 2007 I 3699.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände von Gerichtsständen verhindert werden müsse und die Norm daher bei einer Mehrzahl möglicher Erfüllungsorte nicht einschlägig sei, führt letztlich zur Anwendung von Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel IaVO.405 Das ist aber keine vernünftige Alternative, zumal dadurch der mit lit. b verfolgte Konzentrationsgedanke vereitelt wird. Zwar bestimmt lit. a zwingend nur einen Erfüllungsort, jedoch nur zum Preis einer Segmentierung des Vertrages. 87
Dass der EuGH dem Kläger bei gleichrangigen Leistungspflichten ein Wahlrecht einräumt, steht dem Normzweck von Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO nicht entgegen. Denn das in Art. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 Brüssel Ia-VO verankerte Prinzip des Beklagtenwohnsitzes als allgemeinem Gerichtsstand mit limitiert zulässigen Sondergerichtsständen ist letztlich nur eine bestimmte Ausgestaltung des übergeordneten Prinzips der „Waffengleichheit“ im Prozess, an der sich auch die Gerichtsstandsregeln messen lassen müssen.406 Sondergerichtsstände sind demnach zwar grundsätzlich eng auszulegen, doch folgt daraus nicht, dass sie bei sachlicher Rechtfertigung nicht klägerfreundlich interpretiert werden können. Gerade im Falle des einheitlichen Vertragsgerichtsstands des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO lit. b lässt sich diese klägerfreundliche Auslegung sachlich ohne weiteres rechtfertigen. Denn der Beklagte ist hinreichend geschützt, da er die vertragsgemäßen Liefer- und damit die Erfüllungsorte kennt und sich darauf einstellen kann.407 Möchte er eine Vielzahl von Gerichtsständen verhindern, mag er dies mittels einer Gerichtsstandsvereinbarung tun.
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Unklar ist, ob in gleicher Weise bei Lieferorten in verschiedenen Mitgliedstaaten zu entscheiden ist. Allerdings hat der EuGH betont, dass Kauf- und Dienstleistungsverträge beim Vorhandensein mehrerer Erfüllungsorte grundsätzlich gleich zu behandeln sind; denn die für beide Vertragstypen vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregeln haben „dieselbe Entstehungsgeschichte, verfolgen dasselbe Ziel und nehmen denselben Platz in dem mit dieser Verordnung errichteten System ein“.408 Nicht zuletzt deshalb wird daher in der Literatur teilweise nicht nur die Übertragbarkeit der Schwerpunktsuche, sondern auch des subsidiären Wahlrechts befürwortet.409 Die Rechtsprechung des EuGH zum Gerichtsstand bei Leistungserbringung in verschiedenen Mitgliedstaaten ist jedoch zwiespältig (vgl. Rz. 90). Einerseits betont der Gerichtshof, dass „im Fall mehrerer, in verschiedenen Mitgliedstaaten gelegener Orte, an denen die Dienstleistungen erbracht werden, der Ort zu suchen (sei), an dem die engste Verknüpfung zwischen dem fraglichen Vertrag und dem zuständigen Gericht besteht, insbesondere der Ort, an dem nach dem Vertrag die Hauptdienstleistung zu erbringen ist“.410 Andererseits gesteht er bei Dienstleistungen, sofern sich keine Hauptleistung ermitteln lässt, dem Kläger – anders als bei mehreren Lieferorten in einem Mitgliedstaat – kein Wahlrecht zu, sondern stellt auf den Sitz des Leistungserbringers ab.411 Indes darf man aus dem vom EuGH postulierten Gleichlauf von Kauf- und Dienstleistungsverträgen kein unumstößliches Dogma machen, sondern muss zu Abweichungen bereit sein, sofern die Unterschiede zwischen „Lieferung“ und „Leistung“ dies erfordern.412 Derartige Unterschiede sind durchaus vorhanden. Denn der EuGH betont, dass ein Gerichtsstand 405 So etwa Gaudemet-Tallon, (2015) Nr. 199. Wieder anders Generalanwalt Bot, nach dessen Auffassung immer dann, wenn die Waren in mehrere Mitgliedstaaten geliefert oder die Dienstleistungen in mehreren Mitgliedstaaten erbracht werden, sich eine Zuständigkeit auch nicht aus Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO, sondern nur aus Art. 4 Brüssel Ia-VO ergeben kann, vgl. GA Bot, C-386/05 – Color Drack vs. Lexx International, EuGHE 2007 I 3699 Rz. 115 in Fn. 30. 406 Vgl. Roth in Stein/Jonas, vor § 12 ZPO Rz. 3. 407 Kritisch jedoch M. Lehmann, ZZPInt 12 (2007), 209. 408 EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Peter Rehder vs. Air Baltic Corporation, EuGHE 2009 I 6073 Rz. 36. 409 So etwa Junker, FS Martiny (2014) 781 ff.; Wagner, IPRax 2010, 148; einschränkend Dubiel, Der Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands im deutschen, europäischen und internationalen Zivilprozessrecht (2010) 155 ff., der subsidiär zur Schwerpunktbetrachtung ein Wahlrecht nur bei unteilbaren Leistungen zulassen möchte und im Übrigen eine Mosaikbetrachtung befürwortet. 410 EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Peter Rehder vs. Air Baltic Corporation, EuGHE 2009 I 6073 Rz. 38; EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden NV/SA vs. Lusavouga-Máquinas e Acessórios Industriais SA, RIW 2018, 206 Rz. 45. 411 EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 42; EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden NV/SA vs. Lusavouga-Máquinas e Acessórios Industriais SA, RIW 2018, 206 Rz. 45. 412 Leible, EuZW 2009, 572; Mankowski, IHR 2009, 51.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
am Sitz des Leistungserbringers, im konkreten Fall eines Handelsvertreters, deshalb gerechtfertigt ist, weil er eine räumliche Nähe zum Rechtsstreit aufweist, „da der Vertreter dort aller Wahrscheinlichkeit nach einen nicht unerheblichen Teil seiner Dienstleistungen erbringen wird“.413 Das ist bei Lieferverträgen hingegen nicht der Fall, sofern eine Bringschuld oder ein Versendungskauf vereinbart war. Hält man hier mit dem EuGH den Ort der körperlichen Übergabe an den Käufer für beachtlich (vgl. Rz. 79), lässt sich eine räumliche Nähe des Sitzes des Verkäufers zum Rechtsstreit nicht erkennen. Das spricht dann für ein Wahlrecht des Klägers.414 Zweifelt man hingegen das Argument der räumlichen Nähe überhaupt an (vgl. Rz. 80) und möchte man in derartigen Fällen nicht ganz auf die – gegenüber Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO grundsätzlich vorzugswürdige – Anwendung von Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO verzichten, sprechen die besseren Argumente für eine subsidiäre normative Vermutung analog Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO.415 Zuständig wären danach beim Fehlen einer klar erkennbaren Hauptlieferung die Gerichte am Ort der vertragsbetreuenden Niederlassung der die vertragscharakteristische Leistung erbringenden Partei.416 Ähnliche Unsicherheiten bestehen bei mehreren Leistungsorten in einem Mitgliedstaat. Entschie- 89 den hat der EuGH, dass bei mehreren Orten der Leistungserbringung in verschiedenen Mitgliedstaaten unter „Erfüllungsort“ grundsätzlich der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung zu verstehen ist.417 Nichts anderes kann aber bei mehreren Leistungsorten in nur einem Mitgliedstaat gelten. Fraglich ist jedoch, wie zu verfahren ist, wenn sich eine Hauptleistung nicht feststellen lässt. Überträgt man die zum Kaufvertrag ergangene Entscheidung „Color Drack“,418 stünde dem Kläger in diesem Fall ein Wahlrecht zu. Betont man hingegen das vom EuGH in „Wood Floor Solutions“ für maßgeblich erachtete Argument der räumlichen Nähe,419 wäre bei mehreren Leistungsorten in einem Mitgliedstaat und nicht klar erkennbarer Hauptleistung auf den Sitz des Leistungserbringers abzustellen. Das Ganze gleicht einer Wahl zwischen Skylla und Charybdis. Denn die zweite Lösung führte zu einer grundsätzlichen Ungleichbehandlung von Kauf- und Dienstleistungsverträgen, die der EuGH ausdrücklich ablehnt.420 Und die erste hätte eine in Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO nicht angelegte Unterscheidung zwischen örtlicher und internationaler Zuständigkeit zur Folge.421 Liegen die Leistungsorte in verschiedenen Mitgliedstaaten, ist maßgeblicher Erfüllungsort grund- 90 sätzlich der Ort, an dem die nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmende Hauptleistung erbracht wird.422 Maßgeblich soll z.B. bei Softwareentwicklungsverträgen der Ort sein, an dem die Software entwickelt, nicht jedoch der Ort, von dem sie zum Kunden übertragen oder in Betrieb genommen wurde;423 vergleichbar soll z.B. bei Cloud Computing-Verträgen der Ort ausschlaggebend sein, an dem der Cloud Provider die geschäftliche und technische Kontrolle über die Erbringung seiner geschuldeten Dienstleistungen ausübt, nicht aber der Abrufort des Nutzers oder der Standort des Servers.424 Nur wenn der Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung weder anhand der Vertrags413 EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 42. 414 So im Ergebnis etwa Coester-Waltjen, FS Kaissis (2012) 100 f. 415 So etwa Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 121. 416 Vgl. bereits Leible/Reinert, EuZW 2007, 373. 417 EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 36. Vgl. dazu Junker, FS Martiny (2014) 779 ff.; Lehmann/Duczek, IPRax 2011, 41; Wais, GPR 2012, 256. 418 EuGH v. 3.5.2007 – C-386/05 – Color Drack vs. Lexx International, EuGHE 2007 I 3699. 419 EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 42. 420 EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Peter Rehder vs. Air Baltic Corporation, EuGHE 2009 I 6073 Rz. 36. 421 Vgl. bereits Lehmann, ZZPInt 12 (2007) 210. 422 EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Peter Rehder vs. Air Baltic Corporation, EuGHE 2009 I 6073 Rz. 38; EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 36; BG (Schweiz), IHR 2015, 37; BGH, NJW 2019, 23 Rz. 40. Ausf. Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013) 143 ff. 423 OLG München v. 23.12.2009 – 20 U 3515/09, CR 2010, 156 m. Bspr. Mankowski, 137. 424 Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing – Eine Untersuchung zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht und zum Datenschutzrecht (2014) 78 f.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände bestimmungen noch aufgrund einer tatsächlichen Leistungserbringung ermittelt werden kann, kommt es auf eine subsidiäre Regel an. Hier wird teilweise eine Mosaikbetrachtung vorgeschlagen.425 Richtigerweise ist aber auch hier als Ort der hauptsächlichen Leistungserbringung der Ort anzusehen, an dem der Leistende seinen Sitz hat.426 Unzutreffend ist angesichts der Subsidiarität der Regel aber z.B. die Aussage, bei einem Handelsvertretervertrag sei Leistungsort regelmäßig der Ort, an dem der Handelsvertreter seinen Geschäftssitz hat.427 91
Maßgeblich bei Lieferung in oder Leistungserbringung an verschiedene(n) Orte(n) ist der Ort, an dem die engste Verknüpfung zwischen dem fraglichen Vertrag und dem zuständigen Gericht besteht, d.h. der Ort, an dem nach dem Vertrag die „nach wirtschaftlichen Kriterien“ zu bestimmende Hauptlieferung bzw. -leistung zu erbringen ist oder erbracht wurde.428 Ausgangspunkt muss dabei stets die vertragliche Vereinbarung sein.429 Unterscheiden lassen sich im Weiteren dann zwei Fallgruppen. Zur Ersteren zählen Kauf- und Dienstleistungsverträge, bei denen eine quantitative Aufteilung der geschuldeten Leistung möglich ist; aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung werden Kaufsachen in mehrere Staaten geliefert oder Dienstleistungen in mehreren Staaten erbracht. Zu denken ist etwa an Lieferungen an verschiedene Wiederverkäufer des Käufers oder an Serviceverträge über die Wartung von Maschinen, die sich an unterschiedlichen Standorten befinden. Weiterhin zu dieser Kategorie zählen z.B. Handelsvertreterverträge oder Beratungsverträge, etwa Anwaltsverträge. In derartigen Konstellationen muss versucht werden, anhand eines Vergleichs des Wertes der jeweiligen Lieferung oder Leistung eine Hauptlieferung oder -leistung ermitteln.430 Bei Dienstleistungen sind außerdem die an den verschiedenen Leistungsorten aufgewendete Zeit und die Bedeutung der jeweiligen Tätigkeit zu berücksichtigen.431
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Davon zu unterscheiden ist eine zweite Fallgruppe, in die vorwiegend Dienstleistungsverträge fallen und in der eine an „wirtschaftlichen Kriterien“ ausgerichtete Betrachtung nicht weiter führt; denn während bei Kaufverträgen einschließlich Sukzessivlieferungsverträgen jede Einzellieferung in der Regel nur in einem Staat erfolgen kann, kommt bei Dienstleistungen auch eine „gestreckte Erfüllung“ in Betracht. Gemeint sind damit alle Fälle, in denen verschiedene Bestandteile einer an sich einheitlichen Leistung in unterschiedlichen Staaten erbracht werden.432 Klassisches Beispiel für derartige Verträge sind Transportverträge.433 So musste der EuGH sich in „Peter Rehder/Air Baltic“ mit der Frage auseinandersetzen, ob für eine Klage wegen Flugannullierung die Gerichte am Abflug-434 oder am Ankunftsort zuständig sind.435 Der Gerichtshof traf keine Entweder-Oder-Entscheidung, sondern sprach sich aufgrund einer Analyse der Leistungsbeziehungen für einen Gerichtsstand an beiden Or425 So für Seefrachtverträge Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 55. 426 EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 42. 427 So aber OLG Koblenz, IHR 2008, 198; LG Aachen v. 17.7.2012 – Az 41 O 64/11; a.A. und zutr. hingegen LG Bayreuth v. 19.12.2008 – 33 O 9/08. Wie hier zuletzt auch OLG Düsseldorf v. 28.3.2003 – 16 U 139/02, I-16 U 139/02; OLG Köln v. 17.1.2013 – 19 U 134/12. 428 EuGH v. 3.5.2007 – C-386/05 – Color Drack vs. Lexx International, EuGHE 2007 I 3699 Rz. 40; EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Peter Rehder vs. Air Baltic, EuGHE 2009 I 673 Rz. 35; EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 36; BGH, NJW 2019, 23 Rz. 40. Kritisch zu diesem Kriterium Lehmann/Duczek, IPRax 2011, 43 f. 429 EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 42. 430 Vgl. auch M. Lehmann, ZZPInt 12 (2007), 208; Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 54. 431 EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137, IPRax 2011, 73 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade Rz. 40; ausf. GA Trstenjak, C-19/09 – Wood Floor Solutions Andreas Domberger vs. Silvia Trade, EuGHE 2010 I 2121 Rz. 78 und 79. 432 Vgl. dazu auch Dörner, LMK 2009, 278979. 433 Näher zur Anwendung von Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO bei Transportverträgen Mankowski, TranspR 2008, 67; Mankowski, TranspR 2009, 303; M. Lehmann, NJW 2010, 655; bei Seefrachtverträgen Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 40 ff. 434 So z.B. Dörner, LMK 2009, 278979; Staudinger, RRa 2007, 158; Staudinger, IPRax 2008, 495. 435 So etwa OLG Koblenz, NJW-RR 2006, 1357; OLG Koblenz v. 11.1.2008 – 10 U 385/07, NJW-RR 2008, 1232; Gregor, IPRax 2008, 404.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
ten, verbunden mit einem Wahlrecht des Klägers aus;436 denn Hauptleistung sei die Flugbeförderung, die sich aus verschiedenen, gleichgewichtigen Bestandteilen zusammensetze, die im Wesentlichen am Abflug- und Ankunftsort erbracht werden. Da jeder dieser Orte eine hinreichende Nähe zum Sachverhalt aufweise, widerspreche ein Wahlrecht nicht der geforderten engen Beziehung zwischen Vertrag und Gerichtsstand. Außerdem seien beide Gerichtsstände auch vorhersehbar.437 Dies gilt auch bei einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Flugreise, und zwar selbst dann, wenn die Beförderungen auf diesen Teilstrecken von verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden, sofern dem eine einheitliche Buchung zugrunde liegt.438 Erfüllungsorte sind in diesem Fall der Abflugort439 des ersten Teilfluges und der Ankunftsort des zweiten Teilfluges.440 Wird daher z.B. eine Klage auf Ausgleichszahlung wegen einer großen Verspätung auf eine Störung gestützt, die auf dem ersten Flug eingetreten ist, der von dem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde, das nicht Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist, kann diese auch am Ankunftsort des zweiten Teilfluges erhoben werden.441 Dort kann erst Recht Klage erhoben werden, wenn die erste Teilstrecke der Flugreise, auf dem die zu der großen Verspätung führende Störung eingetreten ist, von dem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde, das Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist, auch wenn die zweite Teilstrecke von einem Luftfahrtunternehmen ausgeführt wurde, das nicht Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist.442 Der EuGH hat seiner Rehder-Rechtsprechung auch auf Verträge über den Transport von Gütern übertragen. Danach ist der Ort der Erbringung der Dienstleistung nicht nur der Ort der Lieferung der Güter, sondern auch der Ort ihrer Versendung.443
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Bei Kreditverträgen soll es auf den Ort ankommen, an dem das Darlehen durch den Darlehensgeber bereitgestellt und sein Konto belastet wurde.444 Eine derartige Aussage wird ebenso wie eine alleinige Maßgeblichkeit des Orts des Leistungserfolges (Auszahlung bzw. Gutschrift des Darlehensbetrages) weder dem Wesen dieses Vertragstyps noch der häufigen Komplexität von internationalen Kreditverträgen gerecht. Es bedarf vielmehr in jedem Einzelfall einer wertenden Gesamtbetrachtung, die insbesondere die Tätigkeiten der für die Darlehensgewährung maßgeblichen Person, nämlich der des Darlehensgebers, vor und nach Auszahlung der Darlehensvaluta in den Blick nimmt.445 Der EuGH sieht dies freilich anders und stellt – mangels anderweitiger Vereinbarung – schlicht und einfach auf den „Ort, an dem sich der Seitz des Kreditgebers befindet“, ab.446 Die Gerichte an diesem Ort sind auch für Regressklagen zwischen zwei Gesamtschuldnern dieses Kredits zuständig.447
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436 So zuvor bereits M. Lehmann, NJW 2007, 1502; ebenso zu § 29 ZPO BGH v. 18.1.2011 – X ZR 71/10, NJW 2011, 2056 m. Anm. Wais, LMK 2011, 318710 u. Ruzyk, NJW 2011, 2019; AG Berlin-Lichtenhagen, IPRax 2008, 427 m. Bspr. Gregor, 403; vgl. auch AG Geldern, RRa 2008, 190 m. Anm. Schmid. 437 EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Peter Rehder vs. Air Baltic Corporation, EuGHE 2009 I 6073 41 ff. 438 EuGH v. 7.3.2018 – verb. Rs. C-274/16, C-447/16 und C-448/16 – Flightright vs. Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterráneo SA, NJW 2018, 2105 Rz. 73 = IPRax 2019, 421 m. Bspr. 391; vgl. dazu auch Augros, Gaz Pal 2018, n°15, 22; Poesen, MJ 25 (2018), 516; Zahn, GPR 2018, 250. 439 Vgl. dazu BGH, TranspR 2013, 306; BGH v. 11.9.2018 – X ZR 80/15, NJW-RR 2019, 432 Rz. 14; LG Frankfurt/M., IPRspr. 2016, Nr. 251, 593 Rz. 22. 440 Für eine weitere Zuständigkeit auch am Umsteigeort hingegen LG Frankfurt/M., IPRspr. 2016, Nr. 251, 593 Rz. 45. 441 EuGH v. 7.3.2018 – verb. Rs. C-274/16, C-447/16 und C-448/16 – Flightright vs. Air Nostrum, Líneas Aéreas del Mediterráneo SA Rz. 74. Gegen eine einheitliche Betrachtung mit bloßer Zwischenlandung, sondern für eine Einordnung beider Beförderungsmaßnahmen als separate Beförderungselemente hingegen Staudinger/ Keiler, Fluggastrechte-VO, B (IZVR) Rz. 32 f. 442 BGH v. 25.9.2018 – X ZR 76/16, NJW-RR 2018, 1448 Rz. 11. 443 EuGH v. 10.4.2018 – C-88/17 – Zurich Insurance plc. und Metso Minerals Oy vs. Abnormal Load Services (International) Ltd., RIW 2018, 600 Rz. 23 = TranspR 2018, 472 m. Anm. Mankowski, und Bspr. Hartenstein, 472; angedeutet bereits in EuGH v. 4.9.2014 – 157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAbsB, ZIP 2015, 96 Rz. 41. 444 OLG Hamm, IPRax 2018, 57 Rz. 38; vgl. auch OLG Naumburg, NJOZ 2003, 2672, 2679. 445 R. Magnus, IPRax 2018, 23, 25. 446 EuGH v. 15.6.2017 – C-249/16 – Saale Kareda vs. Stefan Benkö, RIW 2017, 504 Rz. 42 = EWiR 2017, 577 (Mankowski); vgl. dazu auch Slonina, ecolex 2018, 136. 447 EuGH v. 15.6.2017 – C-249/16 – Saale Kareda vs. Stefan Benkö, RIW 2017, 504 Rz. 44.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände (4) Erfüllungsort in einem Mitgliedstaat 93
Gemäß lit. b muss der Erfüllungsort in einem Mitgliedstaat liegen. Ist das nicht der Fall, ist nach lit. c wieder lit. a anzuwenden.448 Diese an den Erfüllungsort anknüpfende Aufspaltung bei Klagen aus Kauf- und Dienstleistungsverträgen ist zwar methodisch verfehlt, aber offensichtlich so gewollt449 (vgl. auch Rz. 40). (5) Erfüllungsortvereinbarungen
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Die Parteien können von der Regelung der lit. b durch Vereinbarung abweichen.450 Der Formulierung „sofern nichts anderes vereinbart worden ist“ kann jedoch nicht entnommen werden, dass die Bestimmung von lit. b nur eingreift, wenn nicht ein anderer Ort wirksam als Erfüllungsort vereinbart worden ist, und bei einer Erfüllungsortvereinbarung zur Bestimmung des Erfüllungsorts auf lit. a zurückgegriffen werden kann.451 Sie macht lediglich deutlich, dass die Parteien prozessual nicht strikt an den durch lit. b vorgegebenen Erfüllungsort gebunden sein sollen, sondern mit materiell wirksamen Erfüllungsortvereinbarungen bei Kauf- und Dienstleistungsverträgen auch den Gerichtsstand steuern können. Keinesfalls wird jedoch der Weg zu lit. a und damit auf nationales Recht freigesperrt.452
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Eine andere Frage ist es, ob es den Parteien im Rahmen von lit. b möglich ist, die durch Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO hergestellte Zuständigkeitskonzentration aufzuheben und einen lit. a entsprechenden Zustand zu erreichen, indem sie für die nicht vertragscharakteristische Pflicht eine vom Erfüllungsort der anderen Leistung abweichenden Erfüllungsort vereinbaren.453 Angesichts der grundsätzlichen Zweifelhaftigkeit prozessualer Wirkungen von Erfüllungsortvereinbarungen und des von lit. b verfolgten Zwecks der Zuständigkeitskonzentration sprechen die besseren Argumente für eine teleologische Reduktion: Erfüllungsortvereinbarungen sind nur dann beachtlich, wenn durch sie der Erfüllungsort für alle vertraglichen Pflichten einheitlich bestimmt wird.454
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Fraglich und umstritten war bislang, welche Bedeutung der Wendung „sofern nichts anderes vereinbart worden ist“ in lit. b zukommt; denn eine vertragliche Erfüllungsortvereinbarung ist ohnehin zulässig, wird doch in beiden Spiegelstrichen darauf abgestellt, wohin die Ware hätte geliefert bzw. wo die Leistung hätte erbracht werden müssen. Viele schlossen daraus, dass den Parteien zusätzlich die Möglichkeit eröffnet werden solle, die Gerichte an einem vom materiell-rechtlichen Erfüllungsort abweichenden Ort für zuständig zu erklären, sofern dieser – wie etwa der materiell-rechtliche Leis-
448 449 450 451
BGH, RIW 2009, 570. KOM (1999) 348, 15. Ausführlich dazu Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005). So aber BGH, RIW 2005, 777 = IPRax 2006, 594 m. abl. Bspr. Leible/Sommer, 569 = WuB VII B Art. 5 EuGVVO 1.06 (Magnus) = LMK 2005, 77 (Mankowski); vgl. auch die Bspr. von Berg, NJW 2006, 3035; wie hier jetzt wohl BGH, IHR 2011, 179 Rz. 12. 452 So auch Mankowski, LMK 2005, 155248; ebenfalls skeptisch Dubiel, Der Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands im deutschen, europäischen und internationalen Zivilprozessrecht (2010) 173. 453 Für zulässig halten dies etwa Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 25; Eltzschig, IPRax 2002, 493; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 92; Zöller/Geimer, Rz. 11 f.; Hausmann, EuLF 2000/01, 45; Hess, EuZVR § 6 Rz. 59; Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005) 79 f.; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 51; Jayme/Kohler, IPRax 1999, 405; Layton/Mercer, Rz. 15.045; Leipold, FS Lüderitz (2000) 448; Lynker, Der besondere Gerichtsstand am Erfüllungsort in der Brüssel I-Verordnung (2006) 134 ff.; Piltz, IHR 2006, 55; Takashi, ELRev 27 (2002) 537 f.; Wipping, Der europäische Gerichtsstand des Erfüllungsortes – Art. 5 Nr. 1 EuGVVO (2008), 214 f.; Lehmann/Duczek, IPRax 2011, 48; Dubiel, Der Erfüllungsortbegriff des Vertragsgerichtsstands im deutschen, europäischen und internationalen Zivilprozessrecht (2010) 175 ff. 454 Leible, IPRax 2005, 428; Leible/Sommer, IPRax 2006, 571 f.; Markus, SZW 1999, 212; Markus, Tendenzen beim materiell-rechtlichen Vertragserfüllungsort im internationalen Zivilverfahrensrecht (2009) 173; Markus, IPRax 2015, 277; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 328; Dasser/Oberhammer/Oberhammer, Art. 5 LugÜbk Rz. 64; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 15; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 7; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht9 (2007) § 3 Rz. 225a; vgl. auch Rauscher, FS Heldrich (2005) 946; Gaudemet-Tallon, (2015) Nr. 202.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
tungsort – einen Vertragsbezug aufweist.455 Dieser Auffassung hat der EuGH jedoch in „Car Trim“ eine Absage erteilt, heißt es doch dort: „Der Ausdruck ‚sofern nichts anderes vereinbart worden ist‘ in [Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO] zeigt nämlich, dass die Parteien im Hinblick auf die Anwendung dieser Bestimmung eine Vereinbarung über den Erfüllungsort der Verpflichtung schließen können“.456 Der EuGH bezieht die Formulierung also nur auf Vereinbarungen über den materiell-rechtlichen Erfüllungsort und misst damit nur diesen eine gerichtsstandsbegründende Kraft zu, nicht aber solchen, die allein der Steuerung der Klagezuständigkeit dienen.457 Letztere sind weiterhin als „abstrakte Erfüllungsortvereinbarungen“ zu behandeln und am Maßstab des Art. 25 Brüssel Ia-VO zu messen.458 Damit aber gibt die Wendung „sofern nichts anderes vereinbart worden ist“ nur eine Selbstverständlichkeit – nämlich die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen – wieder und wäre aufgrund der ihr innewohnenden „Irreführungsgefahr“ bei der Revision der Brüssel Ia-VO besser ersatzlos gestrichen worden.459 Der lex causae zu entnehmen sind zunächst die Regelungen über das Zustandekommen und die Ermittlung des Inhalts des Konsenses über den Erfüllungsort.460 Vereinbarungen über den materiellrechtlichen Erfüllungsort müssen den nach der lex causae bestehenden materiellen Wirksamkeitsanforderungen entsprechen (z.B. Geschäftsfähigkeit, Vertretungsmacht, Einbeziehung von AGBKlauseln etc.).461 Zwar soll Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO „Nachteile durch den Rückgriff auf Regeln des Internationalen Privatrechts des Staates des angerufenen Gerichts vermeiden“,462 doch beschränkt sich diese Wendung in der Kommissionsbegründung auf Regelungen der lex causae zur Bestimmung des Erfüllungsorts. Nichts anderes ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH in „Car Trim“.463 Autonom festgelegt wird außerdem die grundsätzliche Zulässigkeit von Erfüllungsortvereinbarungen, während Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO – anders als Art. 25 Brüssel Ia-VO bei Gerichtsstandsvereinbarungen – keinerlei Anhaltspunkte für eine materielle Wirksamkeitsprüfung bietet und an einer Heranziehung der lex causae daher kein Weg vorbeiführt.464
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Handelt es sich um „abstrakte Erfüllungsortvereinbarungen“, mit denen einzig die Formerforder- 98 nisse des Art. 25 Brüssel Ia-VO umgangen werden sollen, sind sie unwirksam (vgl. Rz. 54).465 Das ist etwa der Fall, wenn die Parteien eines Kaufvertrags Lieferung an den Sitz des Käufers vereinbaren, die AGB des Verkäufers jedoch eine Erfüllungsortvereinbarung zugunsten seines Sitzes enthalten; denn dann ist offensichtlich, dass die in die AGB aufgenommene Erfüllungsortvereinbarung nicht der Festlegung des Leistungsortes dient und ihr deshalb auch keine gerichtsstandsbegründende Wirkung zukommen kann.466
455 So insbesondere Wipping, Der europäische Gerichtsstand des Erfüllungsortes – Art. 5 Nr. 1 EuGVVO (2008) 217; ähnlich Ignatova, Art. 5 Nr. 1 EuGVO – Chancen und Perspektiven der Reform des Gerichtsstands am Erfüllungsort (2005) 295; Lynker, Der besondere Gerichtsstand am Erfüllungsort in der Brüssel I-Verordnung (2006) 110; wohl auch BGH, RIW 2009, 570. 456 EuGH v. 5.2.2010 – C-381/08 – Car Trim vs. KeySafety Systems, EuGHE 2010 I 1255 Rz. 46 (Hervorhebung des Verfassers). 457 Leible, EuZW 2010, 305. 458 Leible/Sommer, IPRax 2006, 571; Gaudemet-Tallon, (2015) Nr. 202. 459 Leible, FS Spellenberg (2010) 456. 460 Franzina/De Franceschi, IHR 2012, 144 f. 461 Vgl. z.B. OLG Zweibrücken v. 7.2.2013 – 4 U 78/12, MDR 2013, 510; OLG Hamm, IHR 2006, 84; a.A. Lehmann/Duczek, IPRax 2011, 43. 462 KOM (1999) 348, 15. 463 A.A. Markus, AJP 2010, 981 f. 464 BGH, RIW 2005, 776; OGH, EuLF 2005, II-81; OLG Düsseldorf, IHR 2004, 113; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 23; Eltzschig, IPRax 2002, 494; Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005) 74; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 51; Mankowski, LMK 2005, 155248; Piltz, IHR 2006, 55; Rauscher, FS Heldrich (2005) 946; a.A. Jayme/Kohler, IPRax 1999, 405 („autonomes Konzept“). 465 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 – MSG vs. Les Gravières Rhénanes, 1997 I 911 Rz. 35; OGH, IHR 2006, 122; LG Trier, IHR 2004, 117; BG v. 12.5.2014 – 4A_522/2013, IHR 2014, 251. 466 OGH, IHR 2006, 122; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 22.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände c) Verweisung auf lit. a (lit. c) 99
Ist der sachliche Anwendungsbereich von lit. b nicht eröffnet, da kein Kauf- oder Dienstleistungsvertrag, sondern ein anderer Vertragstyp – wie z.B. ein Schenkungsvertrag467 – vorliegt, verweist lit. c auf lit. a. Lit. c stellt damit klar, dass lit. a nur alternativ und nur dann greift, wenn die Zuständigkeitsregeln der lit. b nicht einschlägig sind.468 Der Erfüllungsort wird dann nicht autonom, sondern entsprechend der Tessili-Formel nach der lex causae bestimmt (vgl. Rz. 49).469 Darüber hinaus gilt: „Wenn die Anwendung [der lit. b] die Zuständigkeit des Gerichts eines Staates begründen würde, der nicht Mitglied der Gemeinschaft ist, ist nicht Buchstabe b), sondern Buchstabe a) maßgebend. Zuständig ist in diesem Fall das Gericht, auf das im Internationalen Privatrecht des angerufenen Staates als Gericht des Erfüllungsorts der betreffenden Verpflichtung verwiesen wird (c).“470 Der Anwendungsbereich des lit. a wird also räumlich-persönlich ausgedehnt auf Fälle, in denen der nach lit. b bestimmte Liefer- oder Dienstleistungsort außerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs der Brüssel Ia-VO liegt. Dem liegt anscheinend die Überlegung zugrunde, dass dem Kläger so oft wie möglich ein Gerichtsstand in der Gemeinschaft eröffnet sein soll.471 Das ist weder rechtspolitisch überzeugend noch sachlich zu rechtfertigen472 und hat mit zivilprozessualer Gerechtigkeit wenig zu tun.473 5. Anspruchskonkurrenz
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Neben vertraglichen (Schadensersatz-)Ansprüchen kommen häufig auch außervertragliche Ansprüche, etwa aus Delikt oder ungerechtfertigter Bereicherung, in Betracht.474 Eine gemeinsame Geltendmachung (und Entscheidung) ist zwar oft zweckdienlich, jedoch nur im allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Brüssel Ia-VO, u.U. nach Art. 30 Brüssel Ia-VO sowie dann möglich, wenn die für die verschiedenen Ansprüche begründeten Zuständigkeiten zu einem identischen Gerichtsstand führen. Ob es darüber hinaus eine Annexkompetenz gibt, der zufolge das nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO für vertragliche Ansprüche zuständige Gericht grundsätzlich auch für die außervertraglichen Ansprüche zuständig ist, ist eine offene Frage. Für den umgekehrten Fall, d.h. eine Annexkompetenz im Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO für vertragliche Klagen, hat der EuGH betont, dass die Brüssel Ia-VO eine solche nicht kennt.475 Denn die in Art. 7 und 8 Brüssel Ia-VO geregelten besonderen Zuständigkeiten stellten Ausnahmen vom Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaates des Beklagten dar und seien einschränkend auszulegen.476 Ein Gericht, das allein nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zuständig ist, könne die Rechtssache daher auch nur unter deliktsrechtlichen Gesichtspunkten entscheiden.477
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Ob umgekehrt das nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO für Vertragsfragen zuständige Gericht auch für sonstige im Zusammenhang stehende Fragen unzuständig ist, ist damit zwar nicht gesagt, liegt aber
467 Dazu EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt, NJW 2017, 315 = EuZW 2017, 36 m. Anm. Klöpfer. 468 EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12 – Corman-Collins SA vs. La Maison du Whisky SA Rz. 42; EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574, IPRax 2016, 151 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 Rn. 56; C-196/15 – Granarolo vs. Ambrosi Emmi France Rz. 31; EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden NV/SA vs. Lusavouga-Máquinas e Acessórios Industriais SA, RIW 2018, 206 Rz. 34. 469 Vgl. etwa OLG Stuttgart, RIW 2004, 711 zu einem Aktien-Poolvertrag; LG Düsseldorf, RIW 2005, 629 zu einer Patronatserklärung. 470 KOM (1999) 348, 15; vgl. auch BGH v. 22.4.2009 – VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606. 471 Hau, IPRax 2000, 360; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 53. 472 Vgl. zur Kritik etwa Hau, IPRax 2000, 360; Jayme/Kohler, IPRax 1999, 405; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 53; Kropholler/v. Hinden, GS Lüderitz (2000) 411; Leipold, GS Lüderitz (2000) 450 f. 473 Vgl. u.a. das Beispiel bei Hau, IPRax 2000, 360. 474 Vgl. z.B. Burke v. UVEX Sports GmbH EuLF 2005, II-175. 475 Gaudemet-Tallon, (2015) Nr. 181. 476 EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988, 5565 Rz. 19. 477 EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988, 5565 Rz. 20; vgl. auch Burke vs. UVEX Sports GmbH, EuLF 2005, II-175.
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nahe.478 Überzeugend wäre eine derartige Begrenzung aber nicht. Zwar sind Annexzuständigkeiten stets mit Skepsis zu betrachten, weil sie den allgemeinen Gerichtsstand entwerten und nicht regelmäßig zur Entscheidung eines sach- und beweisnäheren Gerichts führen.479 Da eine Annexkompetenz des Vertragsgerichtsstands einen Gleichlauf von IPR und IZPR schafft,480 das Vertragsverhältnis in der Regel prägend für das Delikt ist481 und außerdem Gründe der Prozessökonomie, der Rechtssicherheit und des effektiven Rechtsschutzes für eine umfassende Streitentscheidung sprechen,482 sollte indes wenigstens eine Annexkompetenz des Vertragsgerichtsstands für eine Mitentscheidung über deliktische Ansprüche anerkannt werden.483 Dass der EuGH sich dem anschließt, erscheint angesichts der in seiner Rspr. erkennbaren Präferenz für den Vertragsgerichtsstand nicht ausgeschlossen. Allerdings lässt sich diese Präferenz auch auf anderem Wege – und insofern noch weitergehender – berücksichtigen, wie jüngst die Rechtssache Brogsitter484 gezeigt hat. Dort qualifizierte der EuGH eine auf nationales Wettbewerbs- und Deliktsrecht gestützte Klage unionsautonom mit Verweis auf deren Abhängigkeit von einer Vertragsauslegung kurzerhand in eine vertragsrechtliche Klage um, mit der Folge, dass sie im Verhältnis zum Deliktsgerichtsstand im Vertragsgerichtsstand nicht nur geltend gemacht werden kann, sondern sogar muss.485 Der EuGH geht also davon aus, dass ein Anspruch aus Vertrag schon dann vorliegt, wenn zur Entscheidungsfindung dessen Auslegung unerlässlich ist, um feststellen zu können, ob das anspruchsbegründende Verhalten rechtmäßig oder widerrechtlich ist.486 Ähnlich formuliert der Gerichtshof in seiner Holterman-Entscheidung, Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO sei bereits dann einschlägig, wenn das ansprichsbegründende Verhalten (auch) als Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung angesehen werden könne.487 Die im Übrigen augenfällige Ausdehnung des Verbrauchervertragsgerichtsstands seitens des BGH durch eine großzügige Bejahung einer vertraglichen Verpflichtung488 oder vertragliche Qualifikation eines nach nationalem Recht deliktischen Anspruchs489 lässt sich demgegenüber nicht auf Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO übertragen. Denn dort steht die Befürchtung Pate, eine zu restriktive Handhabung könne dem Verbraucher seinen spezifischen Schutzgerichtsstand entziehen, während hier lediglich eine Abgrenzung zu Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO im Raum steht.
478 So etwa Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 14; Looschelders, IPRax 2006, 16; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 22. 479 Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 137 f.; Schack, Rz. 396. 480 Vgl. etwa Art. 3 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO. 481 Mansel, IPRax 1989, 85; Schlosser/Hess/Schlosser, vor Art. 7 Rz. 2. 482 Wolf, IPRax 1999, 87. 483 Vgl. z.B. und hierzu Thole, ZBB 2011, 403; Engert/Groh, IPRax 2011, 466; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 50; Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 138; Geimer, IPRax 1986, 81 f.; Lorenz/Unberath, FS Schlosser (2005) 525; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 79; Mansel, IPRax 1989, 85; Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), 22; Schack, Rz. 395; Schlosser/Hess/Schlosser, vor Art. 7 Rz. 2; Schlosser, LMK 2005, 80; Spickhoff, IPRax 2009, 132; Stadler, FS Musielak (2004) 589; vgl. auch OLG Koblenz, IPRax 1991, 243. 484 EuGH v. 13.3.2014 – C-548/12, ECLI:EU:C:2014:148 – Marc Brogsitter vs. Fabrication de Montres Normandes EURL u.a., EuZW 2014, 383 m. Anm. Sujecki, 384 = Baumert, EWiR 2014, 435 = Dornis, GPR 2014, 352 = Rev crit DIP 2014, 863 m. Anm. Haftel, 867. Vgl. auch die Bspr. von Wendenburg/Schneider, NJW 2014, 1633. 485 Zu Recht kritisch daher Weller, LMK 2014, 359127. 486 Vgl. dazu auch LG Aachen v. 9.12.2015 – 9 O 141/15, IPRax 2017, 96 Rz. 21 m. Bspr. Spickhoff, 72. 487 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 Rz. 71 = RIW 2015, 821 m. Anm. Mankowski = IPRax 2016, 151 m. Bspr. Kindler; vgl. dazu auch Gräf, GPR 2016, 148; Hübner, ZGR 2016, 897; Knöfel, EuZA 2016, 348; Lüttringhaus, EuZW 2015, 904. 488 Vgl. z.B. BGH v. 29.11.2011 – XI ZR 172/11, NJW 2012, 455 = IPRax 2013, 164 und dazu Thole, IPRax 2013, 136. 489 Vgl. z.B. BGH v. 5.10.2010 – VI ZR 159/09, IPRax 2011, 488 = NJW 2011, 532 und hierzu Thole, ZBB 2011, 403; Engert/Groh, IPRax 2011, 465 f.; Geimer, FS Martiny (2014) 724 f.; BGH v. 31.5.2011 – VI ZR 154/10, IPRax 2013, 168 und dazu Arnold, IPRax 2013, 141.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände
III. Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Nr. 2) 1. Allgemeines a) Geltungsgrund 102
Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO begründet einen besonderen Gerichtsstand für Klagen wegen unerlaubter Handlungen. Ein derartiger Gerichtsstand war bei der Schaffung des EuGVÜ bereits in einzelnen Mitgliedstaaten bekannt und in verschiedenen binationalen Übereinkommen vorgesehen,490 so dass es den Schöpfern des Übereinkommens angebracht schien, ihn auch in das EuGVÜ aufzunehmen. Für einen besonderen Deliktsgerichtsstand sprach außerdem die Häufigkeit von Verkehrsunfällen.491
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Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ist kein Schutzgerichtsstand zugunsten des Geschädigten.492 Er gewährleistet vielmehr einen gerechten Ausgleich zwischen den Zuständigkeitsinteressen sowohl des Klägers als auch des Beklagten unter dem für beide Seite relevanten Kriterium der Vorhersehbarkeit, das mit der Neufassung der Brüssel I-VO in ErwGr. 16 S. 3 Brüssel Ia-VO für den Deliktsgerichtsstand eine besondere Betonung erfahren hat: Der Geschädigte kann am Ort des schädigenden Ereignisses klagen und ist nicht auf eine Klageerhebung beim Gericht des Wohnsitzes des Schädigers angewiesen, der für ihn i.d.R. nicht vorhersehbar ist. Andererseits wird durch die Anknüpfung an den Ort des schädigenden Ereignisses kein reiner Klägergerichtsstand geschaffen, so dass auch der Beklagte vor keinem für ihn unerwarteten Gericht erscheinen muss. Der Gerichtsstand kann nach Eintritt des schädigenden Ereignisses durch die Parteien nicht mehr manipuliert werden. Das garantiert beiden Seiten Rechts- bzw. Zuständigkeitssicherheit. Hinzu treten die Beweis- und u.U. auch Rechtsnähe des durch Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO für zuständig erklärten Gerichts; denn das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, ist wegen seiner Nähe zum Streitgegenstand und der leichteren Beweisaufnahme in der Regel am besten in der Lage, den Rechtsstreit zu entscheiden.493 b) Personenkreis
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Die Klage kann im Deliktsgerichtsstand nicht nur vom Verletzten, sondern auch von dessen Rechtsnachfolger (auch dem Zessionar)494 oder einem Rückgriffsberechtigten (z.B. Versicherer)495 erhoben werden. Ebenso können im Deliktsgerichtsstand nicht nur der deliktisch Handelnde, sondern gleichermaßen dessen Rechtsnachfolger oder andere Personen, die für die Folgen seines Handelns gesetzlich einzustehen haben, in Anspruch genommen werden. Für Direktklagen gegen Versicherer ergibt sich eine Zuständigkeit am Ort des „schädigenden Ereignisses“ aus Art. 12 Brüssel Ia-VO. c) Subsidiarität
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Das nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO bestimmte Gericht ist nicht nur international, sondern auch örtlich zuständig. Die §§ 12 ff. ZPO finden keine Anwendung. Zu beachten bleiben internationale Übereinkommen für Spezialmaterien, die nach Art. 71 Brüssel Ia-VO der Zuständigkeitsbestimmung des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO vorgehen. Hinzuweisen ist u.a.496 auf Art. 31 CMR,497 Art. 33 Mon490 Jenard-Bericht, 25. 491 Jenard-Bericht, 26. Zur internationalen Zuständigkeit für Klagen bei Unfällen in der EU vgl. auch Riedmeyer, RuS 2011, Sonderheft zu Heft 4, 91; Wenning, MRW 2012, 4; Nugel, MDR 2013, 12. 492 EuGH v. 25.10.2012 – C-133/11, ECLI:EU:C:2012:664 – Folien Fischer AG, Fofitec AG vs. Ritrama SpA, NJW 2013, 287 Rz. 46; EuGH v. 16.1.2014 – C-45/13, ECLI:EU:C:2014:7 – Andreas Kainz vs. Pantherwerke AG, NJW 2014, 1166 Rz. 31. 493 EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. Henkel, EuGHE 2002 I 8111 Rz. 46; EuGH v. 16.7.2009 – C-189/08, ECLI:EU:C:2009:475 – Zuid-Chemie vs. Philippo’s Mineralenfabriek, EuGHE 2009 I 6917 Rz. 24. 494 EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFÄB vs. Frank Koot, u.a., EuZW 2013, 703 Rz. 57 f. 495 OGH Fürstentum Liechtenstein v. 19.1.2012 – 2 Ob 210/11p, IPRax 2013, 364. 496 Umfangreiche Hinweise bei Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 126. 497 Vgl. Fn. 53.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO
trealer Übereinkommen,498 Art. 28 WA499 oder Art. 52 CIV bzw. 56 CIM500 sowie das Brüsseler Übereinkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die zivilgerichtliche Zuständigkeit bei Schiffszusammenstößen vom 10.5.1952.501 Verordnungsimmanent verdrängt wird Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO durch das spezifische Zuständigkeitssystem für Versicherungssachen.502 Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO begründet keine ausschließliche, sondern lediglich eine konkurrierende Zuständigkeit.503 Den Parteien steht daher eine von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO abweichende Zuständigkeitsbestimmung mittels einer Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 25 Brüssel Ia-VO) frei. d) Prozessuale Besonderheiten Das Gericht muss nach der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen504 bei der Zuständigkeits- 106 feststellung nicht prüfen, ob tatsächlich eine unerlaubte Handlung vorliegt. Es genügt ein Klägervortrag, aus dem sich schlüssig ergibt, dass die behauptete Handlung als Delikt oder deliktsähnliche Handlung zu qualifizieren ist und der Deliktsort (Handlungs- oder Erfolgsort, vgl. Rz. 116 ff.) im Gerichtsbezirk liegt.505 Der EuGH hat dieses Vorgehen in der Rechtssache Kolassa im Grundsatz ausdrücklich gebilligt: Im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung sei nicht erforderlich, zu strittigen, doppelrelevanten Tatsachen ein umfassendes Beweisverfahren durchzuführen.506 Lässt sich der Ort des ursächlichen Geschehens – wie häufig bei internationalen Transporten507 – nur schwer feststellen oder ist diese Feststellung sogar unmöglich, muss der Kläger den Anspruchsgegner vor dem Gericht des Ortes verklagen, an dem der Schaden eingetreten ist.508 Unerheblich ist hingegen, ob der auf einer behaupteten unerlaubten Handlung beruhende Anspruch auf der lex fori oder einem ausländischen Recht beruht. Die Anwendbarkeit des Sachrechts am Gerichtsort ist keine Voraussetzung für die Eröffnung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.509 Fraglich ist freilich, wie weit die Schlüssigkeitsprüfung reicht. Von Interesse ist dies angesichts der 107 Ubiquität des Internets vor allem bei Immaterialgüterrechts- oder Wettbewerbsverstößen im Internet. Auf materiell-rechtlicher Ebene versucht man zu sachgerechten Ergebnissen mit Hilfe des Auswirkungsprinzips zu gelangen. Danach kann von einer inländischen Benutzung nur ausgegangen werden, wenn sich die Internetnutzung auf den Markt des Schutzlandes auswirkt bzw. auf diesen Markt abzielt.510 Nach verbreiteter Auffassung soll das Auswirkungsprinzip aber auch schon auf der internationalzivilverfahrensrechtlichen Ebene zu beachten sein, da vom Beklagten nicht erwartet werden könne, dass er sich weltweit auf kennzeichenrechtliche Streitigkeiten einlässt.511 Das mag zwar 498 499 500 501 502 503 504 505
506 507 508 509 510 511
Vgl. Fn. 54. Vgl. Fn. 55. Vgl. Fn. 56. BGBl. 1972 II 663. Cour de cassation v. 27.2.2013 Az 11–23228, EuLF 2013, 48. OLG Brandenburg v. 22.7.2009 – Az 4 U 2/09 Rz. 32. Näher Schumann, FS Nagel (1987) 402; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2002); kritisch MünchKommLauterkeitsR/Mankowski, (2014) IntWettbR Rz. 381. BGHZ 98, 273; BGH v. 13.10.2004 – I ZR 163/02, NJW 2005, 1435 – Hotel Maritime; BGHZ 171, 151 Rz. 17 – Wagenfeld-Leuchte; BGHZ 176, 344 f.; BGH IPRspr. 2011, Nr. 245, 625; OLG Köln, ZIP 1998, 75; OGH v. 10.7.2012 – Az 4 Ob 33/12z; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 63; weitergehend Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 263 ff. EuGH 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37, IPRax 2016, 143 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc. Rz. 65; vgl. dazu M. Müller, EuZW 2015, 218, 225 f.; Mankowski, LMK 2015, 367447; Steinrötter, RIW 2015, 407. Umfassend hierzu Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 71 ff. EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 33. BGH v. 9.7.2009 – Xa ZR 19/08, BGHZ 182, 24 = NJW 2009 3371 m. Anm. Staudinger/Czaplinski = LMK 2009, 293079 (Hau); Zöller/Geimer, Rz. 62. Vgl. dazu m.w.N. Ohly in Leible (Hrsg.), Die Bedeutung des Internationalen Privatrechts im Zeitalter der neuen Medien (2003) 141 ff. So z.B. Fezer, MarkenR3 (2009) Einl. G Rz. 127; Fezer/Jung-Weiser, UWG (2010) § 4-S. 11 Rz. 151; Mankowski, MMR 2002, 818; Renck, NJW 1999, 3592; Ubber/Jung-Weiser/Bousonville, Markenrecht im Internet (2002) 210.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände Zuständigkeitsinteressen des Beklagten Rechnung tragen, überfrachtet aber, wenn man vollen Beweis verlangt, die Zuständigkeitsprüfung und brächte den Beklagten außerdem um ein für ihn evtl. hilfreicheres Sachurteil. Der BGH macht daher bei Kennzeichenverletzungen im Internet die Zuständigkeit zu Recht nicht davon abhängig, dass durch die Benutzung des Kennzeichens tatsächlich eine Verletzung des nationalen Rechts erfolgt, sondern lässt es genügen, dass eine Verletzung behauptet wird und diese nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.512 Dem Auswirkungsprinzip kann auch in diesem Rahmen Rechnung getragen werden, da eine Verletzung von vornherein ausgeschlossen werden kann, wenn die Kennzeichennutzung oder der Wettbewerbsverstoß nach dem Vortrag des Klägers offensichtlich keine wirtschaftliche Auswirkung auf den Inlandsmarkt haben kann.513 Ob freilich dem Auswirkungsprinzip im Rahmen der internationalen Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auch Rechnung getragen werden darf, ist offen. Nach der Entscheidung des EuGH in den Rechtssachen eDate Advertising, Wintersteiger und Pinckney erscheint das zwar zweifelhaft (vgl. Rz. 130), unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtssache Kolassa aber auch nicht ausgeschlossen, soll es doch dem angerufenen Gericht freistehen, die internationale Zuständigkeit „im Licht aller ihm vorliegender Informationen zu prüfen, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören“.514 Extremfälle fehlender Auswirkungen können jedenfalls mittelbar zuständigkeitsrechtlich dadurch ausgesondert werden, dass das vom EuGH bemühte Schutzlandprinzip voraussetzt, dass im Staat des angerufenen Gerichts das geltend gemachte Recht überhaupt geschützt wird. Ansonsten, d.h. vor allem in komplexeren Fällen, in denen es einer weiteren Tatsachenermittlung oder gar einer Beweiserhebung bedarf, sollte man es freilich bei den allgemeinen Grundsätzen der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen belassen und der Frage nach den wirtschaftlichen Auswirkungen der Zeichennutzung oder des Wettbewerbsverhaltens erst auf der Ebene des materiellen Rechts bei der Prüfung des Verletzungstatbestands bzw. der einschlägigen Normen des Lauterkeitsrechts nachgehen.515 108
Im Einzelfall mag eine Zuständigkeitsversagung aufgrund manipulativer Zuständigkeitserschleichung zu erwägen sein. Praktische Relevanz hat die Fragestellung in den Fällen, in denen über einen Testkauf im Inland ein inländischer Gerichtsstand begründet werden soll. Indes wird der Vorwurf prozessualer Arglist nur dann gerechtfertigt sein, wenn der Kläger den Beklagten treuwidrig dazu veranlasst hat, eine Lieferung außerhalb des gewöhnlichen Absatzgebiets vorzunehmen, und insoweit auch erkennbar ist, dass es sich um den Ausdruck einer grundsätzlichen Lieferbereitschaft ins Inland handelt.516 2. Unerlaubte Handlung a) Qualifikation
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Der Begriff der „unerlaubten Handlung“, einer ihr gleichgestellten Handlung und der Ansprüche daraus ist ebenso wie der des Vertrags nicht nach der lex fori517 oder der lex causae,518 sondern autonom zu qualifizieren.519 Eine Auslegung nach der lex fori oder der lex causae würde zwar zu einer ein512 BGH v. 8.3.2012 – I ZR 75/10, IPRax 2013, 257; BGHZ 171, 151 – Wagenfeld-Leuchte; BGH v. 13.10.2004 – I ZR 163/02, NJW 2005, 1435 – Hotel Maritime = JZ 2005, 736 m. Anm. Ohly = CR 2005, 360 m. Anm. Junker = LMK 2005, 78 (Berlit) = IPRax 2007 464 m. Anm. Koos, 414; vgl. auch BGHZ 173, 57 Rz. 24 – Cambridge Institute, ebenso für Wettbewerbsverstöße im Internet BGH v. 30.3.2006 – I ZR 24/03, GRUR 2006, 513 = LMK 2006, 183948 (Rehm) = MMR 2006, 461 m. Anm. Hoeren. 513 BGH v. 13.10.2004 – I ZR 163/02, NJW 2005, 1435 Rz. 17 – Hotel Maritime; NJW 2006, 2630 Rz. 22 – Arzneimittelwerbung im Internet; KG v. 4.7.2007 – 5 U 87/06, MMR 2007, 653; vgl. zuvor bereits Ohly in Leible (Hrsg.), Die Bedeutung des Internationalen Privatrechts im Zeitalter der Neuen Medien (2003) 148 f. 514 EuGH 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37, IPRax 2016, 143 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc. Rz. 65. 515 Ohly, JZ 2005, 740. 516 Vgl. Cour de cassation v. 25.3.2009 – 08.14.119, Bulletin 2009, I, n° 64, und dazu Reinmüller/Bücken, IPRax 2013, 185. 517 So z.B. KG v. 23.10.1981 – 1 W 2780/81, VersR 1982, 500; OLG München v. 17.9.1987 – 21 U 6128/85, RIW 1988, 647. 518 So z.B. BGHZ 98, 274. 519 EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988, 5565 Rz. 16, 18; EuGH v. 21.4.2016 – C-572/14, ECLI:EU:C:2016:286 – Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung me-
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
heitlichen Auslegung des Begriffs der unerlaubten Handlung in den einzelnen Mitgliedstaaten führen, doch ist Ziel der Brüssel Ia-VO gerade die Schaffung europaweit einheitlicher Gerichtsstände.520 Unter dem Begriff der unerlaubten Handlung oder einer ihr gleichgestellten Handlung ist jegliche Schadenshaftung zu verstehen, die nicht aus einem Vertrag i.S.v. Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO herrührt.521 Abzugrenzen ist die unerlaubte Handlung also vom Vertrag, d.h. einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung.522 Es bedarf außerdem eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Schaden und dem diesem zugrunde liegenden Ereignis.523 b) Einzelne unerlaubte Handlungen Ausgehend von obiger Definition werden vom Begriff der „unerlaubten Handlung“ neben den bereits im Jenard-Bericht erwähnten Ansprüchen aus Straßenverkehrsunfällen524 zahlreiche weitere, auf einer außervertraglichen Rechtsgutsverletzung beruhende Ansprüche erfasst, so z.B. Ansprüche auf Ersatz von Umweltschäden525 oder Transportschäden,526 Ansprüche aus Kapitalanlagedelikten527 oder Insiderhandlungen,528 Produkthaftung529 (einschl. der action directe),530 Kartellverstößen,531 Arzthaftung,532 unlauterem Wettbewerb,533 der Verletzung von Rechten des geistigen Eigen-
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chanisch-musikalischer Urheberrechte GmbH vs. Amazon EU Sàrl u.a., RIW 2016, 513 29; BGHZ 176, 344 (zum LugÜbk 1988); OGH, MR 2007, 35. EuGH v. 22.3.1983 – 34/82, ECLI:EU:C:1983:87 – Peters vs. Zui Nederlande Aanemers Vereniging, EuGHE 1983, 987 Rz. 10; EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 Rz. 20. EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459, IPRax 1989, 288 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988, 5565 Rz. 18; EuGH v. 26.3.1992 – C-261/90, ECLI:EU:C:1992:149 – Reichert und Kockler vs. Dresdner Bank, EuGHE 1992 I 2149 Rz. 16; EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 22; EuGH v. 17.12.2002 – C-334/00 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 Rz. 21; EuGH v. 11.7.2002 – C-96/00, ECLI:EU:C:2002:436 – Gabriel, EuGHE 2002 I 6367 Rz. 33; EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. Henkel, EuGHE 2002 I 8111 Rz. 36. Vgl. Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 20 ff. EuGH v. 30.11.1976 – 21/76 – Bier vs. Mines de Potasse d’Alsace, EuGHE 1976, 1735 Rz. 15/19; EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – Danmarks Rederiforening vs. LO Landsorganisationen i Sverige, EuGHE 2004 I 1417 Rz. 32; EuGH v. 16.7.2009 – C-189/08, ECLI:EU:C:2009:475 – Zuid-Chemie vs. Philippo’s Mineralenfabriek, EuGHE 2009 I 6917 Rz. 28; EuGH v. 21.4.2016 – C-572/14, ECLI:EU:C:2016:286 – Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte GmbH vs. Amazon EU Sàrl u.a., RIW 2016, 513 Rz. 41. Jenard-Bericht, 26. Fach Gómez, ZEuS 1999, 583; Kohler in von Moltke/Schmölling/Kloepfer/Kohler (Hrsg.), Grenzüberschreitender Umweltschutz in Europa (1984) 74. Sofern zwischen den Parteien keine Vertragsbeziehung besteht, vgl. EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 26. BGH, RIW 2010, 723; OLG Frankfurt, EuLF 2006, II-93; vgl. auch von Hein, IPRax 2005, 17; Weller, IPRax 2000, 202. Vgl. OLG Frankfurt v. 5.8.2010 – 21 AR 50/10. EuGH v. 16.1.2014 – C-45/13, ECLI:EU:C:2014:7 – Andreas Kainz vs. Pantherwerke AG, NJW 2014, 1166; EuGH v. 5.7.2018 – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 – AB„flyLAL-Lithuanian Airlines“ in Liquidation vs. Starptautiska¯ lidosta ‚Rı¯ga‘ VAS und Air Baltic Corporation AS, NZKart 2018, 357; OLG Saarbrücken v. 16.2.2011 – 1 U 574/09-153, IPRax 2013, 74; AG Neustadt, IPRspr. 1984 Nr. 133; vgl. auch Uhl, Internationale Zuständigkeit gem. Art. 5 Nr. 3 des Brüsseler und Lugano-Übereinkommens, ausgeführt am Beispiel der Produktehaftung unter Berücksichtigung des deutschen, englischen, schweizerischen und US-amerikanischen Rechts (2000). OGH, JBl 2001, 185. BGH v. 29.1.2013 – KZR 8/10, GRUR-RR 2013, 228; BGH v. 11.2.1988 – I ZR 201/86, IPRax 1989, 98 = RIW 1988, 397; OLG Hamburg, EuLF 2007, II-113; LG Dortmund, EWS 2004, 434; Becker, EWS 2008, 229; Bulst, EWS 2004, 404; Mäsch, IPRax 2005, 544 ff.; Zimmer/Leupold, EWS 2005, 150. BGHZ 176, 342; zur Telearzthaftung vgl. Wendelstein, Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin (2012) 442 ff. BGH v. 12.11.1987 – 3 W 96/87, GRUR 1988, 485 – AGIAV; BGHZ 153, 91; BGH v. 30.3.2006 – I ZR 24/03, GRUR 2006, 513 – Arzneimittelwerbung im Internet; BGH v. 12.12.2013 – I ZR 131/12, GRUR 2014, 601 – Englischsprachige Pressemitteilung; OGH, ÖBl 2002, 145 – BOSS Zigaretten; ZfRV 2008, 81; OGH v.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände tums,534 wie etwa eines Patents,535 einer Marke,536 eines Geschmacksmusters537 oder eines Urheberrechts.538 Auch als unerlaubte Handlung einzuordnen sein soll eine Klage auf Leerkassettenvergütung.539 Besonderheiten sind freilich bei Klagen wegen der Verletzung einer Gemeinschaftsmarke,540 eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters541 oder eines gemeinschaftlichen Sortenschutzrechts542 zu beachten. Unter Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO fallen weiterhin Ansprüche aus Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts,543 und zwar auch, wenn sie auf Gegendarstellung gerichtet
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10.7.2012 – 4 Ob 33/12z; KG v. 27.7.2018 – 5 W 149/18, GRUR-RR 2019, 34 – Influencerin; OLG München v. 17.6.1993 – 29 U 6063/92, NJW-RR 1994, 190; IPRax 2009, 256; KG ZLR 2002, 759; OLG Düsseldorf v. 5.10.2011 – I-20 U 29/11, 20 U 29/11. Vgl. außerdem z.B. Heinze, IPRax 2009, 231; Lindacher, FS Nakamura (1996) 23; Müller-Feldhammer, EWS 1998, 162; Puhr, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei unlauterem Wettbewerb im Internet (2005) 166 ff. Vgl. z.B. Molnlycke AB and Another v. Procter & Gamble Ltd. and others [1992] 1 WLR 1112, 1117; Pearce v. Ove Arup Partnership Ltd. and others [1996] FSR 863, 866; Cass. Rev. crit. dip. 98 (2009), 580 m. Anm. Treppoz; allg. zu Immaterialgüterrechten etwa Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten. Die internationale Zuständigkeit nach dem EuGVÜ bzw. der EuGVVO (2003); Dossena, EuLF 2003, 292; Fawcett, FS North (2002) 138 ff.; Hausmann, EuLF 2003, 278; Hootz, Durchsetzung von Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechten bei grenzüberschreitenden Verletzungen in Europa (2004); Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen (1999); Lange, WRP 2000, 940; Pansch, EuLF 2000/01, 353; Stauder, GRUR-Int. 1976, 465 und 510; Stauder, IPRax 1998, 317. OLG Düsseldorf, IPRspr. 2011, Nr. 234, 606; OLG Düsseldorf, IPRax 2001, 336 m. Bspr. Otte, 315; LG Düsseldorf, GRUR-Int. 1999, 455; GRUR 1999, 777; implizit auch schw. BG, GRUR-Int. 2005, 1047; OLG Düsseldorf, IPRspr. 2011, Nr. 162, 390; Brinkhof, GRUR-Int. 1997, 490; Grabinski, GRUR-Int. 2001, 199; Hye-Knudsen, Marken- Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht (2005) 62 ff.; Laubinger, Die internationale Zuständigkeit der Gerichte für Patentstreitsachen in Europa (2005); Slonina, SZZP 2005, 313; Stauder, FS Schricker (2005) 921 f. BGHZ 167, 91 – Hotel Maritime = IPRax 2007, 446 m. Bspr. Koos, 414; BGH v. 8.3.2012 – I ZR 75/10, IPRax 2013, 257; KG, RIW 2001, 613; Cour Cass. JDI 2004, 872 m. Anm. Huet; OLG Hamburg v. 2.5.2002 – 3 U 312/01, CR 2002, 837; Ebner, Markenschutz im internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (2004) 175 ff.; Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht (2005) 62 ff.; Kieninger, GRUR-Int. 1998, 282; Stauder, GRUR-Int. 1976, 473. Cass. Rev. crit. dip. 98 (2009) 580 m. Anm. Treppoz. BGHZ, 171, 151 Rz. 17 – Wagenfeld-Leuchte; OGH, GRUR-Int. 2000, 795; GRUR-Int. 2017, 535; OLG Köln v. 30.10.2007 – 6 W 161/07, K&R 2008, 115; OLG München v. 1.10.2009 – 29 U 2462/09, AfP 2010, 174; Berger, GRUR-Int. 2005, 465; Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht (2005) 62 ff.; Reber, ZUM 2005, 194; offen ist, ob das auch für Zahlungsansprüche nach Art. 5 (2)(b) RL EG/2001/29 gilt, vgl. OGH (Österreich), EuLF 2015, 16. EuGH v. 21.4.2016 – C-572/14, ECLI:EU:C:2016:286 – Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte GmbH vs. Amazon EU Sàrl u.a., RIW 2016, 513 = EuZW 2016, 547 m. Anm. Anderl/Heinzl = IPRax 2016, 586 m. Bspr. Lutzi, 550. Vgl. dazu auch Rasmussen-Bonne/Servatius, EWS 2016, 275. Zweifelnd Lutzi, IPRax 2016, 550, 551 f. Vgl. Art. 90 ff. der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 20.12.1993, ABl. EG 1994 L 11/1 (GMVO), und dazu Bumiller, ZIP 2002, 116 ff.; 921 f.; Ebner, Markenschutz im internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (2004) 249 ff.; Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht (2005) 134 ff.; Schaper, Durchsetzung der Gemeinschaftsmarke (2006) 124 ff. Vgl. Art. 79 ff. der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster vom 12.12.2001, ABl. EG 2002 L 3/1 (GGVO) und dazu z.B. Veit, Die Durchsetzung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Verletzungsverfahren und im Nichtigkeitsverfahren (2007) 104 f. Vgl. Art. 101 ff. der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27.7.1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz, ABl. EG 1994 L 227/1. BGH, RIW 2010, 67; BGH v. 2.3.2010 – VI ZR 23/09, IPRax 2011, 167 = K&R 2010, 338 – The New York Times m. Anm. Degmair = ZUM 2010, 524 m. Anm. Frey (zu § 32 ZPO); OLG München v. 17.9.1987 – 21 U 6128/85, RIW 1988, 647; AG Hamburg v. 6.12.1988 – 36 C 222/88, RIW 1990, 320; AfP 2009, 595; OGH v. 10.7.2012 Az 4 Ob 33/12z. Vgl. außerdem z.B. Coester-Waltjen, FS Schütze (1999) 175; Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts im IPR (2003); Hootz, Durchsetzung von Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechten bei grenzüberschreitenden Verletzungen in Europa (2004); Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen (1999); Wagner, RabelsZ 62 (1998) 243; Wüllrich, Das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen im Internet (2006) 202 ff.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
sind.544 Ebenso sind Ansprüche wegen Löschung oder Manipulation von Datenbeständen deliktischer Natur.545 Weiterhin erfasst sind Ansprüche der Gläubiger einer Aktiengesellschaft gegen die Gründungsgesellschafter wegen eindeutiger materieller Unterkapitalisierung der Aktiengesellschaft.546 Nichts anderes gilt nach Auffassung des EuGH für die Insolvenzverschleppungshaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern (vgl. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO).547 Den lange geführten Streit um die Qualifikation der Geschäftsführerhaftung wegen Masseschmälerung548 gegenüber der Gesellschaft gem. § 64 Abs. 1 und 2 GmbHG hat der EuGH jüngst differenzierend entschieden: Immer wenn – aber auch nur dann – die Klage im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erhoben wird, ist sie insolvenzrechtlich zu qualifizieren.549 Außerhalb eines Insolvenzverfahrens dürfte aufgrund der systematischen Nähe zur Insolvenzverschleppungshaftung von einer deliktischen Qualifikation auszugehen sein. Dabei ist freilich zu beachten, dass nach Auffassung des EuGH immer dann, wenn eine Gesellschaft ihren (ehemaligen) Geschäftsführer wegen einer ihm zur Last gelegten unerlaubten Handlung verklagt, Nr. 3 nur greift, sofern das dem Geschäftsführer zur Last gelegte Verhalten nicht als Verletzung seiner gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen angesehen werden kann (dann Nr. 1).550 Deliktisch zu qualifizieren ist weiterhin die Haftung im faktischen Konzern gem. § 317 AktG551 sowie die an die Stelle der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern getretene Existenzvernichtungshaftung gem. § 826 BGB.552 Deliktischer Natur ist auch die auf die deliktische Generalklausel des Art. 1372 Code Civil gestützte Klage gegen eine Muttergesellschaft wegen Einmischung in die Leitung ihrer Tochtergesellschaft.553 Um eine Klage wegen einer unerlaubten Handlung handelt es sich auch bei einer Klage, die die Rechtmäßigkeit kollektiver Kampfmaßnahmen betrifft554 oder mit der der Ersatz von Schäden wegen Eigentumsverletzung aufgrund unberechtigter Übereignung
544 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, Art. 5 a.F. Rz. 231; Hohloch, ZUM 1986, 176; Gottwald in MünchKomm/ ZPO Rz. 48; Bamberger/Roth/Spickhoff, Art. 40 EGBGB Rz. 14; Stadler, JZ 1994, 648; Thümmel/Schütze, JZ 1977, 788; Wiesner, Der Gegendarstellungsanspruch im deutschen internationalen privat- und Verfahrensrecht (1998) 123 ff.; a.A. OLG Linz medien und recht 2004, 242 m. Anm. Windhager; Staudinger/von Hoffmann, Art. 40 EGBGB Rz. 75; Hootz, Durchsetzung von Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechten bei grenzüberschreitenden Verletzungen in Europa (2004) 186; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 74; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen (1999) 114 ff.; Sonnenberger, FS Henrich (2000) 587 f.; NK/BGB/Wagner, Art. 40 EGBGB Rz. 44. 545 Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing – Eine Untersuchung zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht und zum Datenschutzrecht (2014), 83 f. 546 OLG Köln v. 14.5.2004 – 16 W 11/04, NZG 2004, 1009 = EWiR 2005, 389 (Rosse); krit. dazu Rauscher, WuB VII B Art. 5 EuGVVO 2.05. 547 EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFÄB vs. Frank Koot, u.a., EuZW 2013, 703 Rz. 22 ff. und dazu Landbrecht, EuZW 2013, 707; Thole, GPR 2014, 113; Osterloh-Konrad, JZ 2014, 44–47; Haas, NZG 2013, 1161; Freitag, ZIP 2014, 302. 548 Für deliktische Qualifikation OLG Karlsruhe v. 22.12.2009 – 13 U 102/09, GmbHR 2010, 315; für eine insolvenzrechtliche Qualifikation z.B. Wais, IPRax 2011, 139 f.; für eine vertragliche Qualifikation z.B. OLG Düsseldorf v. 18.12.2009 – 17 U 152/08, IPRax 2011, 176. Vgl. zum Ganzen m.w.N. Leible in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG (2017) Syst Darst 2 Rz. 160. 549 EuGH v. 27.10.1998 – 157/13 – G.T. GmbH vs. H. K., NZG 2015, 154 Rz. 25 f. 550 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 79 – Holterman Ferho Exploitatie BV u.a. vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim, NZG 2015, 1199 = RIW 2015, 821 m. Anm. Mankowski = IPRax 2016, 151 m. Bspr. Kindler; vgl. dazu auch Gräf, GPR 2016, 148; Hübner, ZGR 2016, 897; Knöfel, EuZA 2016, 348; Lüttringhaus, EuZW 2015, 904. 551 OLG Stuttgart, IPRax 2008, 433 Rz. 34 m. Bspr. Schinkels; OLG Schleswig v. 27.8.2008 – 2 W 160/05, NZG 2008, 868 Rz. 159; LG Kiel v. 30.1.2008 – 14 O 90/05, NZG 2008, 346; IPRax 2009, 164 m. Bspr. Bachmann, 140. 552 Vgl. dazu m.w.N. auch zur Gegenansicht Leible in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG (2017) Syst Darst 2 Rz. 166; a.A. für die internationalprivatrechtliche Perspektive auch Jahn, Die Anwendbarkeit deutscher Gläubigerschutzvorschriften bei einer EU-Kapitalgesellschaft mit Sitz in Deutschland, 2014, 319 ff. 553 Cass. JDI 2012, 684 m. Anm. Clavel, 686. 554 EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – Danmarks Rederiforening vs. LO Landsorganisationen i Sverige, EuGHE 2004 I 1417 Rz. 28 = IPRax 2006, 161 m. Bspr. Franzen = GPR 2005, 33 m. Anm. Hergenröder = Rev. crit. dip. 93 (2004), 791 m. Anm. Pataut = ZESAR 2005, 134v m. Anm. Kreil.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände oder Pfandverwertung verlangt wird.555 Der Gerichtsstand der Nr. 2 ist außerdem eröffnet, wenn lediglich reine Vermögensschäden geltend gemacht werden.556 Da nach der Definition des EuGH jegliche außervertragliche Schadenshaftung erfasst ist, muss Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auch auf solche Rechtsverletzungen Anwendung finden, die nicht auf einer schuldhaften Handlung beruhen, also Fälle der Gefährdungshaftung.557 Der Begehungsort ist für die Qualifikation unerheblich. Auch Ansprüche aus deliktischen Handlungen im Internet können selbstverständlich im Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO geltend gemacht werden. Bei ihnen bereitet mitunter jedoch die Bestimmung des zuständigen Gerichts Probleme (vgl. Rz. 129 ff.).558 111
Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO erfasst nicht nur unerlaubte Handlungen, sondern auch Handlungen, die ihnen gleichstehen. In den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen daher auch Ansprüche aus §§ 906 und 1004 BGB, da sie eine Schadensentstehung durch Zuführung unwägbarer Stoffe bzw. durch Eigentumsbeeinträchtigung verhindern sollen bzw. deren Beseitigung dienen.559 Auch das deutsche IPR bewertet derartige Ansprüche deliktisch (Art. 44, 40 EGBGB). Art. 7 Nr. 2 Brüssel IaVO erfasst daher z.B. sowohl eine auf § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB gestützte negatorische Unterlassungsklage wegen einer unberechtigten Eigentumsberühmung560 als auch alle Immissionsabwehrklagen.561 Der ausschließliche Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ist in derartigen Fällen nicht einschlägig. Zwar beruhen Immissionsabwehrklagen i.d.R. auf der Verletzung eines dinglichen Rechts an einer unbeweglichen Sache, doch ist die dingliche Natur dieses Rechts und die Tatsache, dass es sich um eine unbewegliche Sache handelt, in diesem Zusammenhang nur inzident von Bedeutung (vgl. auch Art. 24 Rz. 24).562 Deliktisch zu qualifizieren sind schließlich auch Ansprüche wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung, sofern diese nicht vertragsgegenstandsbezogen sind, da der Beklagte nicht aufgrund von Verpflichtungserklärungen haftet (vgl. Rz. 30).563 c) Ausgenommene Ansprüche
112
Bereicherungsrechtliche Ansprüche werden von Nr. 2 grundsätzlich nicht erfasst, weil mit ihnen keine Schadenshaftung geltend gemacht wird, sondern die Umkehr unberechtigter Vermögensverschiebungen erreicht werden soll;564 eine Ausnahme dürfte für die Eingriffskondiktion aufgrund ihrer funktionalen Verwandtschaft zum Deliktsrecht angezeigt sein. Eine Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhangs in Betracht.565 555 OLG Köln, TranspR 2009, 37. 556 Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 76; Kiethe, NJW 1994, 223; Kropholler, Rz. 74; a.A. OGH RdW 2001, 35; mangels Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offen gelassen von EuGH v. 16.7.2009 – C-189/08, ECLI:EU:C:2009:475 – Zuid-Chemie vs. Philippo’s Mineralenfabriek, EuGHE 2009 I 6917 Rz. 36. 557 OGH Fürstentum Liechtenstein v. 19.1.2012 – 2 Ob 210/11p, IPRax 2013, 364; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/ Heiss/Czernich, Rz. 75; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 74; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 49; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 13; Hess, EuZPR § 6 Rz. 66. 558 Vgl. dazu z.B. Bachmann, IPRax 1998, 179; Koch, CR 1999, 121; Roth in Gruber/Mader (Hrsg.), Internet und e-commerce (2000) 169 ff.; Schack, MMR 2000, 135; Thiele, ÖJZ 1999, 754; Wagner, WM 1995, 1129. 559 Vgl. z.B. OLG Köln MD 2010, 210 (Befüllen fremder Gastanks); Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 74; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 49; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 13. 560 BGH v. 24.10.2005 – II ZR 329/03, NJW 2006, 689; vgl. dazu auch H. Roth, LMK 2006, 176147. 561 Ebenso Kohler in Moltke/Schmölling/Kloepfer/Kohler (Hrsg.), Grenzüberschreitender Umweltschutz in Europa (1984) 74 f.; Musger, Grenzüberschreitende Umweltbelastungen im internationalen Zivilprozessrecht (1991) 48; Tiefenthaler/Hanusch, ecolex 2004, 331; Schack, IPRax 2005, 265; Hager/Hartmann, IPRax 2005, 268; Wehdekind, DZWir 2004, 325. 562 EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04 – Land Oberösterreich vs. CˇEZ Rz. 34; ebenso Kropholler/von Hein, Art. 22 a.F. Rz. 22; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 24 Rz. 5; a.A. OGH IPRax 2005, 258; GA Poiares Maduro, C-343/04 – Land Oberösterreich vs. CˇEZ Rz. 69; Hadeyer, ecolex 2004, 829. 563 Dazu auch Cassaz Riv dir int priv proc 2008, 785; Fenge, FS Kaissis (2012) 199, 207 ff. 564 EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988, 5565 Rz. 21; BGH, NJW 1996, 1411; OGH, JBl 1998, 515 (zum LugÜbk 1988); ZfRV 2001, 70; MR 2007, 35; Geimer/Schütze/ Paulus, Rz. 180; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 77; Dauses/Kreuzer/Wagner/Reder, Kap. Q II Rz. 180 (auch Eingriffskondiktion); Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 75; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 53.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Für Ansprüche aus GoA ist zu differenzieren: Schadensersatzansprüche aus §§ 280, 677 BGB oder §§ 687 Abs. 2, 678 BGB sowie der Herausgabeanspruch aus §§ 687 Abs. 2, 677, 681 S. 2, 667 BGB liegen innerhalb, Aufwendungsersatzansprüche nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB außerhalb von Nr. 2.566 Gleichfalls ausgenommen sind Gläubigeranfechtungsklagen, da sie ebenfalls nicht auf Schadensausgleich gerichtet sind, sondern lediglich auf Beseitigung der Wirkungen von Verfügungshandlungen,567 sowie Ansprüche auf Bewilligung der Berichtigung der Inhaberschaft eines Patents.568 d) (Keine) Akzessorische Anknüpfung bei Anspruchskonkurrenz Eine Annexkompetenz, der zufolge das nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO für deliktische Ansprüche 113 zuständige Gericht auch für die vertraglichen Ansprüche zuständig ist, kennt die Brüssel Ia-VO nicht.569 Die in Art. 7 und 8 Brüssel Ia-VO geregelten besonderen Zuständigkeiten stellen Ausnahmen vom Grundsatz der Zuständigkeit der Gerichte des Wohnsitzstaates des Beklagten dar und sind nach Auffassung des EuGH einschränkend auszulegen.570 Auch der Umstand, dass die Brüssel Ia-VO den Beklagtenschutz durch die gem. Art. 8 Nr. 1 und Nr. 2 Brüssel Ia-VO eröffnete Möglichkeit, Klagen gegen mehrere (in verschiedenen Staaten lebende) Beklagte in einem Vertragsstaat zu erheben, selbst durchbricht, rechtfertigt keine Annexzuständigkeit für nichtdeliktische Ansprüche im Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, weil diese Konzentrationsmöglichkeit nach der Rechtsprechung des EuGH gerade nicht in Fällen gilt, in denen das Klagebegehren gegen den einen Beklagten auf deliktische, das gegen den anderen Beklagten auf vertragliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird.571 Für eine Annexzuständigkeit lassen sich auch nicht Art. 30, 34 Brüssel Ia-VO ins Feld führen, da diese Vorschriften eine bereits bestehende Zuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzen, also gerade keine Zuständigkeit des Gerichts eines Vertragsstaates für die Entscheidung über eine Klage, die mit einer anderen gemäß der Brüssel Ia-VO bei diesem Gericht anhängig gemachten Klage im Zusammenhang steht, begründet.572 Da die Ausnahmeregelungen der Brüssel Ia-VO zudem keiner erweiternden Auslegung zugänglich sind, kann auch der Umstand, dass die Parteien dieselbe Staatsangehörigkeit haben, demselben Vertragsstaat angehören und das sachliche Recht dieses Staates zur Anwendung kommt, kein anderes Ergebnis begründen.573 Ein Gericht, das allein nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zuständig ist, kann die Rechtssache folglich stets nur unter deliktsrechtlichen Gesichtspunkten entscheiden.574 Sehr wohl im Deliktsgerichtsstand erhoben werden können jedoch Klagen aus deliktischen Ansprüchen, die zwar mit vertraglichen oder anderen gesetzlichen Ansprüchen kon-
565 566 567 568 569
570
571 572 573 574
OLG Köln, TranspR 2009, 39. Vgl. dazu m.w.N. Dutta, IPRax 2011, 137. EuGH v. 26.3.1992 – 261/90 – Reichert und Kockler vs. Dresdner Bank, EuGHE 1992 I 2175 Rz. 19. OLG München v. 2.9.2004 – 6 U 3461/03, OLGR München 2004, 454. BGH RIW 2005, 307 = IPRax 2006, 40 m. Bspr. Looschelders, 14 = EuLF 2005, II-61 m. Anm. Blobel = EWiR 2005, 635 (Kröll) = WuB VII B Art. 5 EuGVVO 1.05 (Thode); BGHZ 176, 342 Rz. = NJW 2008, 2344 = MedR 2008, 666 m. Anm. Seibl = LMK 264761 (Geimer); OLG Düsseldorf v. 23.1.2008 – Az I-15 U 18/07; OLG München v. 9.9.2009 – Az 20 U 2721/09; v. 28.5.2010 – Az 5 U 4254/09 Rz. 42; OLG Bamberg, IHR 2013, 253. EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988, 5565 Rz. 19. Krit. dazu etwa Geimer, NJW 1988, 3090; Zöller/Geimer, Rz. 107; Geimer, IZPR Rz. 1523; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 222; Gottwald, IPRax 1989, 273; Otte, Umfassende Streitentscheidung durch Beachtung von Sachzusammenhängen (1998) 504 ff.; nun auch Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 17; zustimmend hingegen Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 19; Schack, Rz. 395. EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 50; BGH, WM 2001, 2404; NJW-RR 2005, 583. EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 – Elefanten Schuh vs. Jacqmain, EuGHE 1981, 1671 Rz. 19; EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 39; EuGH v. 5.10.1999 – 420/97 – Leathertex vs. Bodetex, EuGHE 1999 I 6747 Rz. 38. BGH v. 13.1.2005 – V ZR 218/04, NJW-RR 2005, 584 = IPRax 2006, 40 m. Bspr. Looschelders, 14 = EuLF 2005, II-61 m. Anm. Blobel = BGHR 2005, 593 m. Anm. Schneider = EWiR 2005, 635 (Kröll) = WuB VII B Art. 5 EuGVVO 1.05 (Thode) = LMK 2005, 79 (Schlosser). EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988, 5565 Rz. 20; Cass. Rev. crit. dip. 93 (2004) 652.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände kurrieren, aber nicht direkt an einen Vertrag anknüpfen;575 zu beachten ist freilich, dass der EuGH ein recht weitreichendes Verständnis einer Anknüpfung an einen Vertrag vertritt (vgl. Rz. 101). Nicht ausgeschlossen sind außerdem Klagen, bei denen das Bestehen vertragsrechtlicher Ansprüche zwischen den Beteiligten lediglich die Vorfrage eines originär deliktischen Anspruchs ist.576 Offen ist schließlich die Beantwortung der umgekehrten Frage, ob der Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO auf konkurrierende deliktische Ansprüche erstreckt werden kann (vgl. Rz. 101). 3. Klagearten 114
Auf die Klageart bzw. die Art des Rechtsschutzbegehrens, mit dem das Gericht um eine Entscheidung über Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung ersucht wird, kommt es nicht an. Umfasst sind somit alle Leistungs- und Feststellungsklagen. Ob im Gerichtsstand der Nr. 2 auch negative Feststellungsklagen erhoben werden können, die auf die Feststellung gerichtet sind, eine deliktische Haftung bestehe nicht, war lange umstritten.577 Der verneinenden Ansicht578 hat der EuGH auf Vorlage des BGH579 entgegen dem Generalanwalt580 zu Recht eine Absage erteilt.581 Denn sie wird dem Schutzanliegen der negativen Feststellungsklage nicht gerecht,582 verträgt sich wenig mit der EuGH-Rechtsprechung zur Rechtshängigkeitssperre durch negative Feststellungsklagen583 und verkennt zudem, dass Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO nicht dem Geschädigtenschutz dient, sondern in erster Linie beiden Seiten Rechts- und Zuständigkeitssicherheit garantieren soll (vgl. Rz. 103). Betont man außerdem wie der EuGH die Sach- und Beweisnähe dieses Gerichtsstands, so ist diese nicht nur bei einer Leistungs- oder Feststellungs-, sondern ebenso bei einer negativen Feststellungsklage gegeben. Unbestritten bedeutet die Öffnung von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO für negative Feststellungsklagen eine Herausforderung für Fälle begrenzter Kognitionsbefugnis – bei Zuständigkeitsspaltung zwischen deliktischen und vertraglichen Ansprüchen einerseits, Streudelikten andererseits droht eine vorübergehende Rechtsschutzverweigerung – und der Streitgenossenschaft, droht doch der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft dem Geschädigten entzogen zu werden;584 unlösbar sind die Schwierigkeiten nicht. Im Ergebnis können daher auch negative Feststellungsklagen im Einklang mit der bislang schon überwiegenden Meinung585 im Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO erhoben werden.
575 BGH, WM 1984, 1563; vgl. aber auch OLG Stuttgart, IPRax 1999, 103 m. Bspr. Wolf, 82. 576 BGH v. 11.2.1988 – I ZR 201/86, IPRax 1989, 98 m. Bspr. Mansel, 84. 577 Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 78; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 78; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 51 f.; Wurmnest, GRUR-Int. 2005, 267 f. 578 OLG München v. 25.10.2001 – 6 U 5508/00, OLGR München 2002, 147; OLG Dresden InstGE 11, 163; LG München InstGE 10, 178; LG Leipzig InstGE 9, 167; Hüßtege in Thomas/Putzo, 33. Aufl. Rz. 17; im Ergebnis ebenso, wenn auch mit z.T. unterschiedlicher Begründung, Cassaz, GRUR-Int. 2005, 264 m. Anm. Wurmnest; Högsta Domstolen, GRUR-Int. 2001, 178; Hof ’s-Gravenhage, NIPR 1998 Nr. 221; Rb. ’s-Gravenhage NIPR 2002 Nr. 279; RB Brüssel, GRUR-Int. 2001, 170; Trib. Bologna, GRUR-Int. 2000, 1021 m. Anm. Stauder. 579 BGH, IPRspr. 2011, Nr. 225, 589. 580 Vgl. GA Jääskinen, C-133/11, BeckRS 2012, 81374. 581 Vgl. EuGH v. 25.10.2012 – C-133/11, ECLI:EU:C:2012:664 – Folien Fischer AG, Fofitec AG vs. Ritrama SpA, NJW 2013, 287; vgl. dazu Muir Watt, Rev. crit. dip. 102 (2013) 506; Thole, AG 2013, 73, 76 f.; Thole, NJW 2013, 1192; Wittwer, ELR 2012, 324; Sujecki, EuZW 2012, 952; Magnus, LMK 2013, 341419; Gärtner/Beneke, MittdtschPatAnw 2013, 250; Di Meglio/Dehghani, PHI 2014, 17; Gebauer, ZEuP 2013, 874; im Anschluss an den EuGH auch BGH v. 29.1.2013 – KZR 8/10, GRUR-RR 2013, 228; Corte di Cassazione EuLF 2013, I-106. 582 Zutr. Hess, EuZPR § 6 Rz. 66 in Fn. 317. 583 Vgl. Art. 29 Rz. 17 sowie Domej, IPRax 2008, 552 f.; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 192. 584 Vgl. Gebauer, ZEuP 2013, 874 ff. 585 BGE 125 III 348; BG, IPRax 2008, 545 (mit allerdings zweifelhaften Ausführungen zum Verhältnis zwischen Handlungs- und Erfolgsort); Messier-Dowty Ltd. v. Sabena SA [2000] 1 WLR 2046 (CA); Hof Arnhem NIPR 2003 Nr. 297; Equitas Ltd. v. Wave City Shipping Co Ltd. [2005] 2 AllER (Comm) 306 f. (Q.B.D.); LG Wien v. 9.1.2009 – 92 Hv 110/08g m. Bspr. Wukoschitz, AfP 2009, 127; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 78; Domej, IPRax 2008, 550; Gottwald, FS Geimer (2002) 248; Grabinski, GRUR-Int. 2001, 203; Hess, EuZPR § 6 Rz. 66; Lange, WRP 2000, 946; Lundstedt, GRUR-Int. 2001, 110; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 191; Schack, Rz. 336; Thole, ZBB 2011, 404; Ullmann, GRUR-Int. 2001, 1031; Wurmnest, GRUR-Int. 2005, 267 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Ob auch vorbeugende Unterlassungsklagen im Deliktsgerichtsstand erhoben werden können, war 115 unter Geltung des EuGVÜ umstritten.586 Dieser Streit ist vom Unionsgesetzgeber mittlerweile eindeutig entschieden worden, da Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO um die Worte „… oder einzutreten droht“ ergänzt worden ist. Gemeint sind damit gerade Fälle, in denen ein Schaden noch nicht eingetreten ist, aber eintreten könnte.587 Der EuGH hat u.a. unter Berufung auf diese Änderung auch vorbeugende Unterlassungsklagen im Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 zugelassen.588 Die Eröffnung des Gerichtsstands des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO für vorbeugende Unterlassungsklagen setzt freilich voraus, dass hinreichende Anhaltspunkte für einen drohenden Schadenseintritt vorliegen und dieser nicht völlig ungewiss ist.589 Davon kann auf jeden Fall ausgegangen werden, wenn der Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr gestützt wird.590 Die danach einmal begründete Zuständigkeit geht dann auch nicht wieder dadurch verloren, dass die schädigende Handlung ausgesetzt oder eingestellt wird.591 Unterlassungsklagen aus unerlaubter Handlung können auch von einem Verbraucherschutzverband, etwa nach dem UKlaG oder öKSchG, im Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO erhoben werden;592 denn der Begriff des schädigenden Ereignisses ist weit zu verstehen und enthält im Bereich des Verbraucherschutzes nicht nur Sachverhalte, in denen ein Einzelner einen individuellen Schaden erleidet, sondern u.a. auch Angriffe auf die Rechtsordnung durch die Missachtung verbraucherschützender Normen, deren Verhinderung gerade die Aufgabe von Verbraucherschutzorganisationen ist.593 Im Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO können daher z.B. auch Klagen von Verbraucherschutzvereinen gegen die Verwendung missbräuchlicher AGB594 oder aufgrund anderer Verstöße gegen Verbraucherschutzgesetze595 anhängig gemacht werden.
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4. Ort des schädigenden Ereignisses a) Grundsatz Zuständig ist „das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“. Der EuGH favorisiert eine autonome Auslegung und versteht darunter sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, als auch den Ort der schädigenden Handlung.596 Der Kläger hat 586 Dagegen etwa LG Bremen v. 28.3.1991 – 12 O 729/89, RIW 1991, 416; dafür hingegen Behr, GRUR-Int. 1992, 607; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 228; Müller-Feldhammer, EWS 1998, 167; Hess, EuZVR § 6 Rz. 66. 587 KOM (1999) 348, 15; BGH v. 24.10.2005 – II ZR 329/03, NJW 2006, 689; RIW 2010, 67; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 52. 588 EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. Henkel, EuGHE 2002 I 8111 Rz. 48 = IPRax 2003, 341 m. Bspr. Michailidou = REDI 2002, 881 m. Anm. Jiménez Blanco = Rev. crit. dip. 92 (2003), 690 m. Anm. Rémy-Corlay = EWiR 2002, 1047 (Mankowski) = ZZPInt 2002, 277 m. Anm. Stadler; vgl. außerdem die Bspr. von Jiménez Blanco, La Ley 2003, Nr. 5709, 1 (vgl. auch die Nachfolgeentscheidung OGH, ZfRV 2003, 98); bestätigt in EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – Danmarks Rederiforening vs. LO Landsorganisationen i Sverige, EuGHE 2004 I 1417 Rz. 27. 589 Orléans Rev. crit. dip. 93 (2004), 139 m. Anm. Gaudemet-Tallon; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 76; vgl. auch BGH v. 24.10.2005 – II ZR 329/03, NJW 2006, 689 Rz. 7. 590 BGHZ 171, 151 Rz. 17 – Wagenfeld-Leuchte; BGH, RIW 2010, 67; OLG München v. 1.10.2009 – 29 U 2462/09, GRUR-RR 2010, 157. 591 EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – Danmarks Rederiforening vs. LO Landsorganisationen i Sverige, EuGHE 2004 I 1417 Rz. 37. 592 EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. Henkel, EuGHE 2002 I 8111 Rz. 30; vgl. zum Ganzen außerdem Ahrens, WRP 1994, 649; Lindacher, FS Lüke (1997) 377; Stillner, VuR 2008, 41. 593 EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. Henkel, EuGHE 2002 I 8111 Rz. 48. 594 BGH v. 9.7.2009 – Xa ZR 19/08, BGHZ 182, 24 = NJW 2009 3371 m. Anm. Staudinger/Czaplinski = LMK 2009, 293079 (Hau); vgl. dazu auch Stadler, VuR 2010, 83; OLG Frankfurt, VuR 2009, 72. 595 OLG München v. 10.1.2019 – 29 U 1091/18, WRP 2019, 1067 Rz. 57 – Dash Button. 596 EuGH v. 30.11.1976 – 21/76 – Bier vs. Mines de Potasse d’Alsace, EuGHE 1976, 1735 Rz. 15/19; EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93 – Shevill vs. Press Alliance SA, EuGHE 1995 I 415 Rz. 20; EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. Henkel, EuGHE 2002 I 8111 Rz. 44; EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – Danmarks Rederiforening vs. LO Landsorganisationen i Sverige, EuGHE 2004 I 1417
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände ein Wahlrecht. Eine Anknüpfung des Gerichtsstands an den Handlungs- und den Erfolgsort ist sachgerecht, da auch der Tatbestand des Delikts aus Handlung und Erfolg besteht. Eine generelle Bevorzugung des einen oder anderen kommt – anders als im IPR597 – nicht in Betracht, weil jeder für die Beweiserhebung und die Gestaltung des Prozesses besonders geeignet sein kann.598 Eine Anknüpfung allein an den Ort, an dem der Verletzungserfolg eintritt, würde ein womöglich der Schadensursache besonders nahes Gericht von der Zuständigkeit ausschließen.599 Gleiches gilt umgekehrt für eine alleinige Entscheidungszuständigkeit der Gerichte am Handlungsort, da dies die Beweisnähe des Gerichts am Ort des Eintritts der Rechtsverletzung vernachlässigte. Gegenansichten, die nur auf entweder den Handlungs- oder den Erfolgsort abstellen, werden – soweit ersichtlich – heute übergreifend nicht mehr vertreten; allenfalls deliktsspezifisch wird bisweilen das Fehlen des einen oder des anderen angenommen.600 Noch weitergehend hat sich jüngst Generalanwalt Jääskinen in einem komplexen kartellrechtlichen Verfahren mit einer Vielzahl von Handlungs- und Erfolgsorten für eine generelle Sperre des Deliktsgerichtsstands ausgesprochen.601 118
Von vorneherein keine Bedeutung hat das Wahlrecht bei Platzdelikten. Wird die Handlung an dem Ort vorgenommen, an dem zugleich die Rechtsgutsverletzung eintritt, ist an diesem Ort der Gerichtsstand der Nr. 2 eröffnet. Bsp: Straßenverkehrsunfälle. Nach verbreiteter Auffassung soll in diese Kategorie auch die Verletzung von (nationalen) Immaterialgüterrechten fallen, sollen sich hier doch Handlungs- und Erfolgsort nicht unterscheiden lassen und regelmäßig zusammenfallen, da nach dem Territorialitätsprinzip die Wirkung der gewerblichen Schutzrechte sowie des Urheberrechts auf den Schutzrechtsstaat beschränkt ist.602 In jüngerer Zeit mehren sich jedoch die Stimmen, die auch bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten einen Handlungsort außerhalb des jeweiligen Schutzlandes (als allein in Betracht kommenden Erfolgsort) für möglich halten.603 Dem ist freilich entgegen zu halten, dass die durch ein Immaterialgüterrecht geschützten bzw. untersagten Handlungen aufgrund des Territorialitätsprinzips eben nur für das jeweilige Schutzland verboten sind und eine im Ausland vorgenommene Handlung das inländische Schutzrecht daher schon per definitionem nicht verletzen kann.604 Dann mag dort zwar tatsächlich gehandelt worden sein (etwa durch den Upload
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Rz. 27; EuGH v. 10.6.2004 – C-168/02, ECLI:EU:C:2004:364 – Kronhofer vs. Maier, u.a. EuGHE 2004 I 6009 Rz. 16; EuGH v. 16.7.2009 – C-189/08, ECLI:EU:C:2009:475 – Zuid-Chemie vs. Philippo’s Mineralenfabriek, EuGHE 2009 I 6917 Rz. 23; EuGH v. 21.12.2016 – C-618/15, ECLI:EU:C:2016:976 Rz. 25 – Concurrence vs. Samsung Electronics France und Amazon Services Europe, RIW 2017, 125; EuGH v. 16.6.2016 – C-12/15, ECLI:EU:C:2016:449 Rz. 28 – Universal Music International Holding BV vs. Michael Tétreault Schilling u.a., NJW 2016, 2167 m. Anm. M. Müller; EuGH v. 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766 – Bolagsupplysningen OÜ und Ingrid Ilsjan vs. Svensk Handel AB, NJW 2017, 3433 Rz. 29. Zu den Wertungsunterschieden zwischen IPR und IZVR im Hinblick auf den Tatortbegriff vgl. Hönle, Die deliktische Grundanknüpfung im IPR und IZVR (2011) 99 ff. EuGH v. 30.11.1976 – 21/76 – Bier vs. Mines de Potasse d’Alsace, EuGHE 1976, 1735 Rz. 15/19. EuGH v. 30.11.1976 – 21/76 – Bier vs. Mines de Potasse d’Alsace, EuGHE 1976, 1735 Rz. 20/23. So z.B. Basedow, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht in der Marktwirtschaft – 50 Jahre FIW: 1960 bis 2010 – Festschrift (2010), 142, der sich bei komplexen Kartellvereinbarungen mit multiplen Vereinbarungsorten für einen Verzicht auf den Handlungsort ausspricht; weiterhin Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen – Eine Untersuchung des europäischen und deutschen internationalen Zivilverfahrensrechtes und des internationalen Privatrechtes (2011) 160 f., der im Hinblick auf Internetdelikte einen Verzicht auf den Erfolgsort befürwortet. Schlussanträge des Generalanwalts v. 11.12.2014 – C-352/13 Rz. 39 ff. OLG Düsseldorf, IPRax 2001, 336 m. Bspr. Otte, 315; LG Düsseldorf, GRUR-Int. 1999, 455; vgl. – mit unterschiedlicher Begründung – außerdem z.B. Bettinger/Thum, GRUR-Int. 1999, 663; Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten (2003) 93 f.; Ebner, Markenschutz im internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (2004) 186; Hootz, Durchsetzung von Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechten bei grenzüberschreitenden Verletzungen in Europa (2004) 180; Kieninger, GRUR-Int. 1998, 282; Kubis, Internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeits- und Immaterialgüterrechtsverletzungen (1999) 248; Sandrock, GRUR-Int. 1985, 513 f.; Schack, IZVR Rz. 343; Schack, MMR 2000, 137; Stauder, GRUR-Int. 1976, 474; Ulmer/Beier/ Schricker, GRUR-Int. 1985, 106; zuletzt auch Lehmann/Stieper, JZ 2012, 1016, 1017. Vgl. z.B. Adolphsen, Europäisches und internationales Zivilprozessrecht in Patentsachen (2005) Rz. 559; Hausmann, EuLF 2003, 280 f.; Hye-Knudsen, Marken-, Patent- und Urheberrechtsverletzungen im europäischen internationalen Zivilprozessrecht (2005) 71 ff.; Lüthi, System der internationalen Zuständigkeit im Immaterialgüterrecht (2011), 587 ff.; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 85; Lange, WRP 2000, 945; Pansch, EuLF 2000/01, 354 ff.; Grünberger, IPRax 2015, 56, 59.
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markenrechtsverletzender Inhalte), doch sollte dort nicht geklagt werden können.605 Der EuGH sieht das freilich anders und geht bei der Verletzung nationaler Immaterialgüterrechte von einem möglichen Auseinanderfallen von internationaler Handlungs- und Erfolgsortzuständigkeit aus.606 Überschätzt werden sollte die Kontroverse nicht, wird doch oftmals der Handlungsort mit dem (Wohn-)Sitz des Schädigers übereinstimmen, so dass insoweit Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO gar nicht zur Anwendung gelangen kann (vgl. „in einem anderen Mitgliedstaat“).607 Bei Distanzdelikten fallen Handlungs- und Erfolgsort auseinander. Schulbeispiel ist der „Schuss über 119 die Grenze“; praxisrelevant wird es bei Delikten, die über ein Telemedium vermittelt werden.608 Der deliktische Gerichtsstand ist an beiden Orten eröffnet.609 Der Geschädigte kann sich für seine Haftungsklage das Gericht aussuchen, bei dem das für ihn günstigste Recht zur Anwendung gelangt, und dort jeweils Ersatz seines gesamten Schadens verlangen (forum shopping), und zwar auch dann, wenn er die Rechtsgutsverletzung am Erfolgsort „provoziert“ hat.610 Forum shopping ist zwar grundsätzlich bedenklich, stellt jedoch nur solange ein Problem dar, wie die internationaldeliktsrechtlichen Regeln in den einzelnen Mitgliedstaaten differieren. Im Bereich der EU hat die Rom II-VO weitgehend Abhilfe geschaffen. Unstreitig möglich ist ein Auseinanderfallen internationaler Handlungsund Erfolgsorte für gemeinschaftseinheitliche Schutzrechte wie die Gemeinschaftsmarke, das Gemeinschaftsgeschmacksmuster oder den gemeinschaftlichen Sortenschutz, da Schutz hier regelmäßig für das gesamte Gebiet der Gemeinschaft erteilt wird. Handlungs- und Erfolgsort sind zwar auch in diesem Fall nur in einem Schutzland, nämlich der EU, lokalisiert, können aber durchaus in verschiedenen Staaten situiert sein. Allerdings enthalten die einschlägigen Verordnungen regelmäßig spezielle Vorschriften, die Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO verdrängen. So können etwa nach Art. 93 Abs. 5 GMVO alle Klagen i.S.v. Art. 92 GMVO unter Ausnahme von Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung einer Gemeinschaftsmarke auch bei den Gerichten des Mitgliedstaats anhängig gemacht werden, „in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht“. Während die wohl überwiegende Meinung zu Recht bislang davon ausging, dass der nach Art. 93 Abs. 5 GMVO relevante Ort der Verletzungshandlung sowohl am Handlungs- als auch am Erfolgsort lokalisiert werden kann,611 hat sich der EuGH der Gegenauffassung612 angeschlossen, dass durch das Abstellen auf die „Verletzungshandlung“ der Erfolgsort als Kompetenzanknüpfung eliminiert wird.613 Nichts anderes kann dann im Ergebnis für das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (vgl. Art. 82, 83 GGVO) und den gemeinschaftlichen Sortenschutz (vgl. Art. 101 und 102 SortenschutzVO) gelten. In diesen Fällen ist daher schon kraft positivrechtlicher Entscheidung des Unionsgesetzgebers ein Wahlrecht ausgeschlossen. Ungeachtet dessen wird die Kognitionsbefugnis des Gerichtes des Mitgliedstaats, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht, dennoch regelmäßig auf solche Verletzungshandlungen beschränkt, „die in dem Mitgliedstaat begangen worden sind oder drohen, in dem das Gericht seinen Sitz hat“ (vgl. Art. 98 Abs. 2 GMVO, 83 Abs. 2 GGVO, 101 Abs. 3 S. 2 Sorten604 OLG Düsseldorf, IPRax 2001, 336 f.; IPRspr. 2000 Nr. 128; Bettinger/Thum, GRUR-Int. 1999, 663; Metzger in Leible/Ohly (Hrsg.), Intellectual Property and Private International Law (2009) 258; Schaper, Durchsetzung der Gemeinschaftsmarke (2006) 111; Slonina, SZZP 2005, 315 f. 605 Unklar insoweit die ALI-Principles, vgl. dazu Metzger in Leible/Ohly (Hrsg.), Intellectual Property and Private International Law (2009) 258 ff. 606 Vgl. EuGH v. 19.4.2012 – C-523/10, ECLI:EU:C:2012:220 – Wintersteiger-AG vs. Products 4U Sondermaschinenbau-GmbH, EuZW 2012, 513. 607 Ähnlich auch Lüthi, System der internationalen Zuständigkeit im Immaterialgüterrecht (2011) 648. 608 Vgl. z.B. für die Telearzthaftung Wendelstein, Kollisionsrechtliche Probleme der Telemedizin (2012) 464 f. und für Cloud Computing-Delikte Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing – Eine Untersuchung zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht und zum Datenschutzrecht (2014) 85. 609 OGH v. 10.7.2012 – 4 Ob 33/12z. 610 Cass. Rev., crit. dip. 98 (2009) 580 m. Anm. Treppoz. 611 Basedow, NJW 1996, 1927; Bumiller, Durchsetzung der Gemeinschaftsmarke in der europäischen Union (1997) 17 f.; Schaper, Durchsetzung der Gemeinschaftsmarke (2006) 115 ff.; Schulte-Beckhausen, WRP 1999, 301 f. 612 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 261; Ebner, Markenschutz im internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (2004) 251; Kohler, FS Everling (1995) 660. 613 EuGH v. 5.6.2014 – C-360/12, ECLI:EU:C:2014:1318 – Coty Germany GmbH vs. First Note Perfumes NV, GRUR 2014, 806. Vgl. dazu Hackbarth, GRURPrax 2014, 320.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände schutzVO).614 Unionsweit umfassend ist die Kognitionsbefugnis allerdings für gem. Art. 98 Abs. 1 GMVO ergehende Unterlassungsgebote.615 120
Bei Streudelikten fallen zum einen Handlungs- und Erfolgsort auseinander und tritt zum anderen der Deliktserfolg gleichzeitig an mehreren Orten ein. Im hiesigen Kontext im Vordergrund stehen Streuschäden einer geschädigten Person.616 Eine Fallgruppe von überragender Bedeutung sind die Pressedelikte. Gerade hier ist die Praxisrelevanz besonders groß, sind doch derzeit Persönlichkeitsrechtsverletzungen noch aus der Rom II-VO ausgenommen (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g Brüssel Ia-VO). Ähnliche Probleme stellen sich bei deliktischen Handlungen im Internet, der Verbreitung wettbewerbswidriger Werbung via Satellit usw. Bei konsequenter Umsetzung des Wahlrechts droht hier eine Vervielfältigung von Gerichtsständen, die zu Spannungen mit dem Geltungsgrund des Deliktsgerichtsstands – Sachnähe bei gleichzeitiger Vorhersehbarkeit (vgl. Rz. 103) – führt und die Frage nach einer teleologischen Einschränkung aufwirft (vgl. Rz. 129 ff.).617 b) Erfolgsort
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Erfolgsort ist der Ort, „an dem die schädigenden Auswirkungen des haftungsauslösenden Ereignisses zu Lasten des Betroffenen eintreten“.618 Die vergleichsweise geringsten Schwierigkeiten bereitet dessen Bestimmung bei sinnlich unmittelbar wahrnehmbaren Schädigungen (z.B. Eigentum an einer Sache, körperliche Unversehrtheit einer Person). Gänzlich ohne normative Erwägungen kommt man aber auch hier nicht aus. Steht etwa das schädigende Ereignis in Zusammenhang mit der Nutzung von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen, so ist deren Registrierungsort für die Bestimmung des Erfolgsorts jedenfalls dann ausschlaggebend, wenn der Schaden auch tatsächlich an Bord entstanden ist; ansonsten ist der Flaggenstaat nur ein Gesichtspunkt unter anderen.619 Zudem kann nicht jeder Ort, an dem die schädlichen Folgen eines schadenbegründenden Ereignisses eintreten, maßgeblich sein. Abzustellen ist allein auf den Ort des „Erstschadens“,620 d.h. den Ort, an dem das geschützte Rechtsgut verletzt wurde,621 nicht aber den Ort oder die Orte, in denen es zu Folgeschäden gekommen ist622 614 Näher zur Bedeutung und Reichweite dieser Einschränkung Schaper, Durchsetzung der Gemeinschaftsmarke (2006) 125 ff. 615 Vgl. hierzu EuGH v. 12.4.2011 – C-235/09, ECLI:EU:C:2011:238 – DHL Express SAS vs. Chronopost SA, EuZW 2011, 686 und dazu Sosnitza, GRUR 2011, 465. 616 Zur möglichen Begriffsbedeutung von Streuschäden vgl. Schaub, JZ 2011, 13. Streuschäden können auch mehrere geschädigte Personen betreffen; je nach Größe der Schäden wird dann von Massenschäden oder Bagatellschäden gesprochen, die über den hiesigen Kontext hinausgehende spezifische Herausforderungen an die internationale Zuständigkeit stellen (z.B. Verfahrenskonzentration an einem Gerichtsstand), vgl. Schaub, JZ 2011, 14 ff. 617 Zur Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung insbesondere bei Internetdelikten vgl. Banholzer, Die internationale Gerichtszuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet (2011) 52 ff. 618 EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93 – Shevill vs. Press Alliance SA, EuGHE 1995 I 415 Rz. 43 f. 619 EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – Danmarks Rederiforening vs. LO Landsorganisationen i Sverige, EuGHE 2004 I 1417 Rz. 27. 620 EuGH v. 19.9.1995 – C-364/93, ECLI:EU:C:1995:289 – Marinari vs. Lloyds Bank plc., EuGHE 1995 I 2719 Rz. 14; EuGH v. 8.2.1990 – C-320/88, ECLI:EU:C:1990:61 – Dumez vs. Hessische Landesbank, EuGHE 1990 I 49 Rz. 22; EuGH v. 10.6.2004 – C-168/02, ECLI:EU:C:2004:364 – Kronhofer vs. Maier, u.a., EuGHE 2004 I 6009 Rz. 20; EuGH v. 16.6.2016 – C-12/15, ECLI:EU:C:2016:449 Rz. 34 – Universal Music International Holding BV vs. Michael Tétreault Schilling u.a., NJW 2016, 2167 m. Anm. M. Müller; EuGH v. 5.7.2018 – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 Rz. 32 – AB„flyLAL-Lithuanian Airlines“ in Liquidation vs. Starptautiska¯ lidosta ‚Rı¯ga‘VAS und Air Baltic Corporation AS, NZKart 2018, 357; EuGH v. 29.7.2019 – C-451/18, ECLI: EU:C:2019:635 Rz. 27 – Tibor-Trans Fuvarozó és Kereskedelmi Kft. vs. DAF Trucks NV, RIW 2019, 594. 621 Der Begriff des Rechtsguts ist weit zu verstehen. Wird A bei einem Verkehrsunfall in Frankreich verletzt und verstirbt kurze Zeit später in einem deutschen Krankenhaus, liegt der Erfolgsort nicht nur der Körperverletzung, sondern auch der Tötung in Frankreich. Wie hier Gaudemet-Tallon (2015), Nr. 216; Schack, Rz. 344; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 16. Zum Verhältnis von Rechtsgutsverletzung und Schadenseintritt vgl. Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen – Eine Untersuchung des europäischen und deutschen internationalen Zivilverfahrensrechtes und des internationalen Privatrechtes (2011) 98 ff. 622 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 187; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 84; Dauses/Kreuzer/Wagner/Reder, Kap. Q II Rz. 181; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 87; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 61; Schack,
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oder an denen der Schaden festgestellt worden ist.623 Denn eine Beachtlichkeit weiterer Orte führte zu einer überbordenden Deliktszuständigkeit, die einem Klägergerichtsstand nahe käme, weil Vermögensschäden häufig am Wohnsitz des Klägers auftreten.624 Zum Erstschaden zählt der EuGH bspw. Absatzrückgänge aufgrund der Verletzung von Selektivitätsvereinbarungen und einen dadurch entgangenen Gewinn,625 Absatzeinbußen, die infolge von gegen Art. 101 und 102 AEUV verstoßenden wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen erlitten wurden,626 und Mehrkosten, die wegen infolge eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV künstlich überhöhter Preise gezahlt wurden.627 Sind aufgrund einer Rechtsgutsverletzung weitere Vermögensschäden (z.B. Behandlungskosten auf- 121a grund einer Körperverletzung) entstanden, sind sie folglich am Ort der Körperverletzung einzuklagen; denn der Begriff des Schadensortes kann nicht so ausgelegt werden, „dass er den Ort einschließt, an dem der Geschädigte einen Vermögensschaden in der Folge eines in einem anderen Vertragsstaat entstandenen und dort von ihm erlittenen Erstschadens erlitten zu haben behauptet“.628 Bei einem internationalen Transport kann der Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, weder der Ort der abschließenden Auslieferung sein, da dieser während des Transports noch einseitig geändert werden kann, noch der Ort der Feststellung des Schadens. Bei einem kombinierten See-Landtransport ist vielmehr der Ort maßgeblich, an dem der tatsächliche Verfrachter die Waren auszuliefern hatte, da nur dieser Ort den von der Brüssel Ia-VO aufgestellten Erfordernissen der Voraussehbarkeit und Gewissheit genügt und eine besonders enge Beziehung zum Rechtsstreit aufweist.629 Ist durch ein Delikt oder eine deliktsähnliche Handlung eine Person lediglich mittelbar geschädigt worden, weil sich die unerlaubte Handlung gegen einen Dritten richtete, ist Erfolgsort lediglich der Ort der Erstschädigung.630 Wären auch die Gerichte, in deren Bezirk ein Dritter mittelbar geschädigt wurde, zuständig, könnte der Schädiger die Gerichtsstände überhaupt nicht mehr vorhersehen; zudem weisen derartige Gerichtsstände häufig gar keinen Bezug zu den Haftungsvoraussetzungen auf.631 Daher kann z.B. der Unterhaltsberechtigte (§ 844 BGB) nur am Ort des Unfalls, nicht aber an seinem Wohnsitz klagen. Um keinen mittelbaren, sondern einen unmittelbaren Schaden soll es sich jedoch aufgrund der erstmaligen und unmittelbaren Betroffenheit des Geschädigten bei einem Schockschaden handeln, den eine Person z.B. aufgrund der Verletzung oder Tötung eines nahen Angehörigen erleidet.632 Von Unmittelbarkeit wird auch ausgegangen, wenn die Auflösung eines Leasingvertrages erforderlich wird, weil der Leasinggegenstand zerstört worden ist, und der Eigentümer und
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Rz. 344; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 16; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 22a; Zöller/Geimer, Rz. 68; Magnus/ Mankowski/Mankowski, Rz. 235. Monographisch zum Abgrenzungskriterium zwischen Erst- und Folgeschäden Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen – Eine Untersuchung des europäischen und deutschen internationalen Zivilverfahrensrechtes und des internationalen Privatrechtes (2011) 113 ff. EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 33. EuGH v. 10.6.2004 – C-168/02, ECLI:EU:C:2004:364 – Kronhofer vs. Maier, u.a., EuGHE 2004 I 6009 Rz. 20 = IPRax 2005, 32 m. Bspr. von Hein, 17 = ZZPInt 2005, 197 m. Anm. Junker = Rev. crit. dip. 94 (2005), 326 m. Anm. Muir Watt = EuGH, EuLF 2004, 187 m. Anm. Blobel; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 87. EuGH v. 21.12.2016 – C-618/15, ECLI:EU:C:2016:976 Rz. 33 und 35 – Concurrence vs. Samsung Electronics France und Amazon Services Europe, RIW 2017, 125. EuGH v. 5.7.2018 – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 Rz. 36 – AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“ in Liquidation vs. Starptautiska¯ lidosta ‚Rı¯ga‘ VAS und Air Baltic Corporation AS, NZKart 2018, 357. EuGH v. 29.7.2019 – C-451/18, ECLI:EU:C:2019:635 Rz. 31 – Tibor-Trans Fuvarozó és Kereskedelmi Kft. vs. DAF Trucks NV, RIW 2019, 594. EuGH v. 5.7.2018 – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 Rz. 32 – AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“ in Liquidation vs. Starptautiska¯ lidosta ‚Rı¯ga‘ VAS und Air Baltic Corporation AS, NZKart 2018, 357; EuGH v. 29.7.2019 – C-451/18, ECLI:EU:C:2019:635 Rz. 28 – Tibor-Trans Fuvarozó és Kereskedelmi Kft. vs. DAF Trucks NV, RIW 2019, 594. EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 34 f. = IPRax 2000, 210 m. Bspr. Koch, 186 = Rev. crit. dip. 88 (1999) 322 m. Anm. Gaudement-Tallon = JDI 1999, 625 m. Anm. Leclerc; vgl. dazu außerdem Briggs, L.M.C.L.Q. 1999, 333; Font i Segura Rev. der. com. eur. 1999, 187; Hartley, ELRev 2000, 89. EuGH v. 11.1.1990 – 220/88 – Dumez vs. Hessische Landesbank, EuGHE 1990 I 49 Rz. 20. EuGH v. 11.1.1990 – 220/88 – Dumez vs. Hessische Landesbank, EuGHE 1990 I 49 Rz. 21. Staudinger/Czaplinski, NJW 2009, 2252; a.A. Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 91.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände Leasinggeber nunmehr einen Anspruch auf Schadensersatz wegen der Notwendigkeit der vorzeitigen Auflösung des Leasingvertrages geltend macht.633 Tritt ein Schaden an mehreren Orten ein, ist grundsätzlich jeder dieser Orte Erfolgsort (vgl. aber auch Rz. 129 ff.).634 123
Erfolgsort bei der Produkthaftung ist nach Ansicht des EuGH der Ort, an dem durch den gewöhnlichen Gebrauch des fehlerhaften Produkts für seinen bestimmungsgemäßen Zweck ein materieller Schaden entstanden ist, der über den dem fehlerhaften Produkt selbst anhaftenden „Schaden“ hinausgeht.635 Das hilft freilich nur in einfach gelagerten, nicht aber komplexen Fällen und auch nicht in bystander-Konstellationen weiter. Hier liegt es nahe, auf die Wertungen des Art. 5 Rom II-VO zurückzugreifen;636 denn die – zugegebenermaßen komplizierte – Norm versucht einen Ausgleich zwischen Hersteller- und Geschädigteninteressen zu finden und das anwendbare Recht vorhersehbar zu machen. Vorhersehbarkeit ist aber auch eines der Ziele des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (vgl. Rz. 103).
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Ein Rückgriff auf nationales Recht zur Bestimmung des Ortes, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, kommt nicht in Betracht. Zwar gewähren einige nationale Rechtsordnungen Schadensersatz unabhängig von der konkreten Rechtsgutsverletzung (so namentlich Art. 1382 Code civil und Art. 2043 Codice civile), so dass der Geschädigte zwischen dem Ort des ursächlichen Geschehens und dem Ort, an dem der ihm entstandene Vermögensschaden eingetreten ist, wählen kann, doch verträgt sich eine solche Rückkoppelung an das nationale Recht nicht mit dem Ziel des Übereinkommens, sichere und voraussehbare Zuständigkeitszuweisungen festzulegen, würde doch dann die Bestimmung des zuständigen Gerichts von ungewissen Umständen wie dem Ort, an dem der Geschädigte eventuelle Folgeschäden an seinem Vermögen erlitten hat, und von dem anwendbaren System der zivilrechtlichen Haftung abhängen.637
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Bei sinnlich nicht unmittelbar wahrnehmbaren Schädigungen fällt die Bestimmung des Erfolgsortes schwerer. Bei der Schädigung von Daten soll es nach teilweise vertretener Ansicht auf den Speicherort ankommen;638 nach anderer Ansicht gibt der Abrufort Maß.639 Die Rechtsprechung des EuGH zu Immaterialgüterrechtsverletzungen im Internet dürfte für den Abrufort streiten. Wenn es dort auf den Standort des Servers nicht ankommen kann, weil dieser nicht vorhersehbar sei,640 und stattdessen auf den Gerichtsbezirk der Zugänglichkeit abgestellt wird,641 kann hier nichts anderes gelten. Besondere Schwierigkeiten stellen sich, wenn das geschützte Rechtsgut das Vermögen als solches ist. Bei der Insolvenzverschleppungshaftung soll der Erfolgsort am COMI liegen.642 Für die Prospekthaftung und die Haftung wegen fehlerhafter Kapitalmarkinformationen wird der Erfolgsort teilweise mit dem Marktort gleichgesetzt.643 Bei Kapitalanlagedelikten ist nach verbreiteter Auffassung das Gericht, in dessen Bezirk das geschädigte Vermögen liegt, zuständig,644 während andere auf die „Ver633 OGH, EuLF 2008, II-98. 634 EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93 – Shevill vs. Press Alliance SA, EuGHE 1995 I 415 Rz. 30. 635 EuGH v. 16.7.2009 – C-189/08, ECLI:EU:C:2009:475 – Zuid-Chemie vs. Philippo’s Mineralenfabriek, EuGHE 2009 I 6917 Rz. 29 und 32 = IPRax 2010, 358 m. Bspr. von Hein, 330 = EWiR 2009, 569 (Mankowski). Vgl. dazu auch Wittwer, ELR 2009, 354; s. auch OLG Saarbrücken v. 16.2.2011 – 1 U 574/09-153, IPRax 2013, 74. 636 Ebenso Mankowski, EWiR 2009, 570. 637 EuGH v. 19.9.1995 – C-364/93, ECLI:EU:C:1995:289 – Marinari vs. Lloyds Bank plc., EuGHE 1995 I 2719 Rz. 19 = EuZW 1995, 765 m. Anm. Holl = IPRax 1997, 331 m. Bspr. Hohloch, 312 = JZ 1995, 1107 m. Anm. Geimer = WiB 1995, 971 (Nerlich); vgl. außerdem OLG München v. 28.5.2010 – 5 U 4254/09 Rz. 33; Hartley, ELRev 1996, 164. 638 Vgl. zu den damit zusammenhängenden Problemen aufgrund der Verteilung der Daten im Grid beim Cloud Computing Nordmeier, MMR 2010, 151. 639 Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing – Eine Untersuchung zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht und zum Datenschutzrecht (2014) 88 f. 640 EuGH v. 19.4.2012 – C-523/10, ECLI:EU:C:2012:220 – Wintersteiger-AG vs. Products 4U Sondermaschinenbau-GmbH, EuZW 2012, 513 Rz. 36. 641 EuGH 22.1.2015 – C-441/13, ECLI:EU:C:2015:28 – Pez Hejduk vs. EnergieAgentur.NRWGmbH, Rz. 34 = EuLF 2015, 14. 642 Vgl. Freitag, ZIP 2014, 302, 308. 643 Zu ersterem Bachmann, IPRax 2007, 77, 81 f.; zu letzterem OLG Frankfurt v. 5.8.2010 – 21 AR 50/10, NZG 2011, 32 (zu § 37b, c WpHG); kritisch dazu von Hein, EuZW 2011, 369, 371 f.; von Hein in Paradigmen im internationalen Recht – Implikationen der Weltfinanzkrise für das internationale Recht (2012) 369, 400 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
mögenszentrale“, d.h. den Sitz des Geschädigten abstellen,645 und wieder andere den Erfolgsort vollständig ausblenden möchten und für eine alleinige Maßgeblichkeit des Handlungsorts plädieren.646 Der EuGH hat sich in seiner Entscheidung Kronhofer jedenfalls letzterer Auffassung nicht angeschlossen647 und scheint im Übrigen zur Maßgeblichkeit der Vermögensbelegenheit zu tendieren, doch lassen seine Ausführungen durchaus Raum für Differenzierungen. Nach Meinung des Gerichtshofs begründet ein Vermögensschaden bei Kapitalanlage im Ausland keinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Anlegers,648 würde doch ansonsten die gerichtliche Zuständigkeit von ungewissen Umständen wie dem Ort des Mittelpunkts des Vermögens des Geschädigten abhängig gemacht; das aber liefe einem der Ziele der Brüssel Ia-VO zuwider, nämlich den Rechtsschutz der in der Gemeinschaft ansässigen Personen dadurch zu stärken, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und dass einem verständigen Beklagten erkennbar wird, vor welchem Gericht er verklagt werden kann.649 Allerdings sind diese Ausführungen nur grundsätzlich, keinesfalls kategorisch zu verstehen, betont der EuGH doch, dass „die Wendung ‚Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist‘ sich nicht schon deshalb [Herv d Verf] auf den Ort des Klägerwohnsitzes – als Ort des Mittelpunkts seines Vermögens – bezieht, weil dem Kläger nach seinem Vorbringen durch Verlust von Vermögensbestandteilen in einem anderen Vertragsstaat ein finanzieller Schaden entstanden ist“.650 Das lässt eine Berücksichtigung des Ortes des Klägerwohnsitzes – ob als Ort des Mittelpunkts seines Vermögens oder als davon unabhängiger Ort eines konkreten Vermögensbestandteils – bei Vorliegen weiterer und auf diesen Anknüpfungspunkt hindeutender Sachverhaltselemente durchaus zu.651 Zugleich zeigt die Formulierung „Verlust […] in einem anderen Vertragsstaat [Herv d Verf]“, dass die Entscheidung unmittelbar nur die Fälle betrifft, in denen nicht schon das Abziehen des Geldes, sondern erst dessen weitere Verwendung den Tatbestand eines Delikts erfüllt. Davon ist z.B. bei Unterschlagungen oder der Veruntreuung von Anlagegeldern auszugehen. In diesen Fällen ist es in der Tat grundsätzlich überzeugend, auf die Vermögensbelegenheit im Zeitpunkt der weiteren Verwendung abzustellen,652 keinesfalls allerdings auf den Überweisungsort, da dieser oft zufällig ist und zudem bei Überweisungen von mehreren Konten zu einer Vielzahl von Gerichtsständen führen kann.653 Bestätigt wird diese Interpretation der Entscheidung Kronhofer durch die Rs. Universal Music International, in der der Gerichtshof ausführt, dass sich zwar ein reiner Vermögensschaden, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht, für sich genommen nicht als „relevan644 Vgl. etwa OLG München, NJW-RR 1993, 703 f.; Ahrens, IPRax 1990, 132; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 258; Hohloch, IPRax 1997, 314; Kiethe, NJW 1994, 226; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 86b; grundsätzlich auch zu § 32 ZPO Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen – Eine Untersuchung des europäischen und deutschen internationalen Zivilverfahrensrechtes und des internationalen Privatrechtes (2011) 136 ff., der sich jedoch im Hinblick auf den Schadensposten „entgangenen Gewinn“ für eine Anknüpfung an die Lage des Gesamtvermögens ausspricht. 645 So etwa Weller, IPRax 2000, 203 in Fn. 4; dezidiert a.A. OLG München v. 28.5.2010 – 5 U 4254/09 Rz. 34. 646 Vgl. Schack, Rz. 345; Schwarz, Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach deutschem und europäischem Zivilprozessrecht (1991) 160 f.; Dasser/Oberhammer/Oberhammer, Art. 5 LugÜbk Rz. 136. De lege ferenda wird auch ein spezifischer Schutzgerichtsstand für Anleger diskutiert, vgl. Tenenbaum, Rev. crit. dip. 101 (2012) 55 ff. 647 Vgl. von Hein, IPRax 2005, 21. 648 EuGH v. 10.6.2004 – C-168/02, ECLI:EU:C:2004:364 – Kronhofer vs. Maier u.a., EuGHE 2004 I 6009 Rz. 20; EuGH v. 16.6.2016 – C-12/15, ECLI:EU:C:2016:449 Rz. 35 – Universal Music International Holding BV vs. Michael Tétreault Schilling u.a., NJW 2016, 2167 m. Anm. M. Müller; EuGH v. 12.9.2018 – C-304/17, ECLI: EU:C:2018:701 Rz. 23 – Helga Löber vs. Barclays Bank plc., RIW 2018, 763; vgl. zuvor z.B. OLG Stuttgart, RIW 1998, 809 f.; rechtsvergleichend von Hein, IPRax 2005, 19 f. 649 EuGH v. 10.6.2004 – C-168/02, ECLI:EU:C:2004:364 – Kronhofer vs. Maier, u.a., EuGHE 2004 I 6009 Rz. 20. 650 EuGH v. 10.6.2004 – C-168/02, ECLI:EU:C:2004:364 – Kronhofer vs. Maier, u.a., EuGHE 2004 I 6009 Rz. 21. 651 Vgl. auch EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – DFDS Torline vs. LO Landsorganisationen i Sverige, RIW 2004, 543. 652 So auch BGH, RIW 2008, 399 Rz. 39; OLG Düsseldorf, EuLF 2006, II-93; von Hein, IPRax 2006, 461; von Hein in Paradigmen im internationalen Recht – Implikationen der Weltfinanzkrise für das internationale Recht (2012) 369, 398; Mankowski, EWiR 2008, 216; Wagner/Gess, NJW 2009, 3483. 653 OGH, IPRax 2018, 96, 102.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände ter Anknüpfungspunkt“ nach Nr. 2 qualifizieren lässt, anderes jedoch dann gelten kann, „wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falles zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Ortes, an dem sich ein reiner Vermögensschaden verwirklicht hat, beitragen“.654 In diese Linie passt sich dann auch die Entscheidung Löber ein, in der der Gerichtshof deshalb auf den Ort des Bankkontos des Klägers abstellt, da im selben Mitgliedstaat der für die Anlageentscheidung maßgebliche Prospekt zertifiziert wurde und hier außerdem alle Banken, die in die klägerische Investition involviert waren, ihren Sitz hatten.655 126
Auf die Vermögensbelegenheit im Zeitpunkt der weiteren Verwendung kann es dagegen nicht mehr ankommen, wenn bereits das Abziehen des Geldes den Tatbestand eines Delikts erfüllt. Angesprochen sind damit die Sachverhalte, in denen – wie in den meisten Fällen des Kapitalanlagebetrugs – bereits die Handlung des Schädigers, die zum Geldabfluss geführt hat, deliktischer Natur und folglich schon die Überweisung des Geldes der Deliktserfolg im Sinne des für den Erfolgsort relevanten „Erstschadens“ ist. Denn formal ist der „endgültige Schadenseintritt“656 durch die spätere Verwendung nur eine „Verfestigung“ des bereits durch die Überweisung eingetretenen Schadens und insoweit nur noch ein für die Erfolgsortsbestimmung irrelevanter Folgeschaden.657 Und materiell mag die Heranziehung der (Teil-)Vermögensbelegenheit im Zeitpunkt der weiteren Verwendung zwar der Rechtssicherheit dienen, eröffnet aber die Möglichkeit weitreichender Manipulationen durch den Schädiger.658 Zu Recht wird daher mittlerweile überwiegend für eine deliktsspezifische Differenzierung plädiert.659 Der BGH erachtet inzwischen den „Ort der Minderung des Kontoguthabens“ als maßgeblich und begründet das mit der besonderen Beweisnähe bei gleichzeitig hinreichend gewährleisteter Vorhersehbarkeit.660 Das entspricht dem Ort der (Teil-)Vermögensbelegenheit im Zeitpunkt des Abziehens des Geldes. Wird insofern das konkrete Vermögensinteresse als entscheidend angesehen, so muss bei einem Auseinanderfallen von Verfügungsort und Geldabflussort letzterer entscheidend sein,661 besagt doch der Verfügungsort als solcher nichts über die Lokalisierung dieses konkreten Vermögensinteresses. Fallen Verfügungs- und Geldabflussort zusammen, so ist es unproblematisch, auf den Verfügungsort abzustellen, so etwa bei einer Barübergabe von Geld.662 Eine wünschenswerte,663 654 EuGH v. 16.6.2016 – C-12/15, ECLI:EU:C:2016:449 – Universal Music International Holding BV vs. Michael Tétreault Schilling u.a., NJW 2016, 2167 m. Anm. M. Müller = EuZW 2016, 583 m. Anm. Mankowski = NZG 2016, 792 m. Anm. Bach = IPRax 2018, 193 m. Bspr. Huber/Geier-Thieme, 155. Vgl. dazu auch Combet, Rev dr de l’Union européenne 2016, 661; Kruger/Rys, SEW 2017, 367; Schotel, NIPR 2016, 478; Zaprianos, GPR 2016, 251. 655 EuGH v. 12.9.2018 – C-304/17, ECLI:EU:C:2018:701 Rz. 31 ff. – Helga Löber vs. Barclays Bank plc., RIW 2018, 763 = EuZW 2018, 998 m. Anm. Sujecki = IPRax 2019, 312 m. Bspr. Lutzi, 290. Vgl. dazu auch Kleiner, JDI 2019, 507; Muir Watt, Rev. crit. dip. 2019, 135; Planitzer, ecolex 2019, 44; Thiede/Lorscheider, EuZW 2019, 274. 656 So die Terminologie von von Hein, IPRax 2005, 21. Umgekehrt verneint der OGH konsequent einen Bezug zu Österreich, wenn „die Emittentin um ein deutsches börsennotiertes Unternehmen (ist), dessen Aktien an deutschen Börsen – und nicht an österreichischen – gehandelt werden, und … die die Aktien verkörpernde Globalurkunde in Deutschland hinterlegt“ wurde, vgl. OGH, IPRax 2018, 96, 102 m. Bspr. Heindler, 103. 657 Ähnlich zu § 32 ZPO Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen – Eine Untersuchung des europäischen und deutschen internationalen Zivilverfahrensrechtes und des internationalen Privatrechtes (2011) 142. 658 Mankowski, EWiR 1998, 1086; Mankowski, RIW 2005, 562; von Hein, IPRax 2005, 21. 659 Junker, ZZPInt 9 (2004) 206; Engert/Groh, IPRax 2011, 463; von Hein, IPRax 2006, 461; von Hein in Paradigmen im internationalen Recht – Implikationen der Weltfinanzkrise für das internationale Recht (2012) 398; Mankowski, EWiR 2008, 216; Wagner/Gess, NJW 2009, 3483. 660 BGH, BKR 2010, 421 Rz. 30; BGH v. 13.7.2010 – XI ZR 28/09, IPRax 2011, 492 = NJW-RR 2011, 197 = RIW 2010, 723 Rz. 32; BGH v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08, NJW-RR 2011, 551 = RIW 2011, 77 = BKR 2010, 509 Rz. 32; BKR 2012, 78 = IPRspr. 2011, Nr. 245, 625 Rz. 32; BeckRS 2014, 15813 Rz. 34. 661 Im Ergebnis wie hier Thole, ZBB 2011, 403; a.A. Engert/Groh, IPRax 2011, 463 Fn. 70; von Hein, IPRax 2005, 21 ff.; von Hein, EuZW 2011, 371; von Hein in Paradigmen im internationalen Recht – Implikationen der Weltfinanzkrise für das internationale Recht (2012) 399; offen gelassen von Geimer, FS Martiny (2014) 729. 662 So etwa OLG Köln, IPRax 2006, 479 m. Bspr. von Hein, 460; vgl. auch LG Dortmund v. 2.3.2007 – 3 O 161/06. 663 So zu Recht von Hein in Paradigmen im internationalen Recht – Implikationen der Weltfinanzkrise für das internationale Recht (2012) 399; Thole, ZBB 2011, 403.
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Kap. II: Zuständigkeit
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wenngleich wohl nicht vollständige Klärung hat nunmehr vor einigen Jahren der EuGH gebracht und einer in Anbetracht der größeren Stabilität und damit Vorhersehbarkeit des Vermögens im Verhältnis zum eher zufälligen Ort der Kontoführung vorzugswürdigen Berücksichtigung der Vermögenszentrale664 eine Absage erteilt: Maßgeblich ist für Schäden, die sich unmittelbar auf einem Bankkonto des Geschädigten verwirklichen, die Lokalisierung der Bank, bei der das Konto besteht.665 Offen bleibt, ob es auf die kontoführende Niederlassung oder unabhängig davon auf die Hauptniederlassung ankommt.666 Legt man dies zugrunde, lässt sich im Übrigen auch bei kartellrechtswidrigen Preisabsprachen der Erfolgsort an demjenigen Ort lokalisieren, von dem aus der Abnehmer den überhöhten Preis bezahlt hat,667 ist doch nicht nur die Preisabsprache als solche, sondern auch und erst recht deren Realisierung durch die Forderung überhöhter Preise deliktischer Natur. Wird durch wettbewerbswidriges Verhalten die Aufnahme einer Tätigkeit in einem bestimmten Staat verhindert, so ist der insofern erlittene Verlust ein Schaden, der in diesem Staat zu lokalisieren ist.668 Führt wettbewerbswidriges Verhalten zu entgangenen Einnahmen aus Absatzverlusten, kommt es auf den Ort des durch diese Verhaltensweisen beeinträchtigten Marktes, auf dem der Geschädigte diese Verluste erlitten zu haben behauptet, an.669
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Bei der Verleitung zum Bruch einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung durch Dritte, d.h. nicht am Vertrag beteiligte Personen, soll der Erfolgsort in dem Staat liegen, in dem unter Bruch der Gerichtsstandsvereinbarung Klage erhoben wurde.670
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Bei durch Kurswertminderungen herbeigeführten Schädigungen von Aktionärsvermögen ist Er- 128 folgsort der Ort, an dem die betreffende Aktiengesellschaft ansässig ist,671 sofern die zur Schädigung führende Handlung erst nach Aktienerwerb vorgenommen wurde und nicht im Aktienerwerb selbst liegt. Ergänzend mag man bei börsennotierten Aktiengesellschaften an eine (weitere) Zuständigkeit am Ort der Börsenzulassung denken.672 Untauglich ist hingegen der Ort der Verwahrung der Aktien oder sonstigen Wertpapiere.673 Noch komplexer wird die Bestimmung des Erfolgsorts bei sinnlich nicht unmittelbar wahrnehmbaren Schäden mit Streucharakter, dessen Umfang vom Schädiger kontrolliert werden kann. Die Referenzfallgruppe liefern durch die Presse „offline“ begangene Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Hier besteht nach der „Shevill-Doktrin“ des EuGH die Möglichkeit, an jedem der zahllosen Erfolgsorte Klage zu erheben; das Gericht am jeweiligen Erfolgsort ist grundsätzlich jedoch nur insoweit 664 Dies erwägend auch Thole, ZBB 2011, 403. 665 EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc., NJW 2015, 1581 Rz. 57 = JZ 2015, 942 m. Anm. vHein = IPRax 2016, 143 m. Bspr. Staudinger/Bauer, 107; vgl. dazu auch Boskovic, Rev. crit. dip. 2015, 934; Cotiga, Revue Internationale des Services Financiers 2015 n 02, 40; Freitag, WM 2015, 1165; Lehmann, JPrIL 12 (2016), 318; Miguel Asensio, REDI 62 (2015), 189; M. Müller, EuZW 2015, 218; Steinrötter, RIW 2015, 407; Wautelet, Revue de droit commercial belge 2017, 53; Wendelstein, GPR 2016, 140. 666 Ersteres befürwortend M. Müller, EuZW 2015, 218, 224. 667 Mäsch, IPRax 2005, 516; ähnlich nunmehr Becker, EWS 232 ff.; a.A. Bulst, EWS 2004, 406 f.; von Hein, IPRax 2005, 22 (Marktort); vgl. auch EuGH v. 29.7.2019 – C-451/18, ECLI:EU:C:2019:635 Rz. 33 – Tibor-Trans Fuvarozó és Kereskedelmi Kft. vs. DAF Trucks NV, RIW 2019, 594; wieder anders LG Dortmund, EWS 2004, 435. 668 Cass. Rev., crit. dip. 102 (2013) 464 m. Anm. Pironon, 466. 669 EuGH v. 5.7.2018 – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 – AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“ in Liquidation vs. Starptautiska¯ lidosta ‚Rı¯ga‘VAS und Air Baltic Corporation AS, NZKart 2018, 357 = EWiR 2018, 637 (Krüger). Vgl. dazu auch Scraback, GPR 2019, 69. 670 AMT Futures Limited v. Marzillier, Dr Meier & Dr Guntner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH [2017] UKSC13; ebenso die Vorinstanz Marzillier, Dr Meier & Dr Guntner Rechtsanwaltsgesellschaft MbH v. AMT Futures Ltd. [2015] EWCA Civ 143; zu Recht krit. Antomo, ZEuP 2018, 261, 275 ff. Der High Court hatte hingegen den Erfolgsort in England lokalisiert, „where such conduct deprived AMT of the contractual benefit of the exclusive jurisdiction clause which ought to have been enjoyed in England“, vgl. AMT Futures Ltd. v. Marzillier, Dr Meier & Dr Guntner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH [2014] EWHC 1085 (Comm) Rz. 46. 671 Bachmann, IPRax 2009, 144. 672 Bachmann, IPRax 2009, 144; Bachmann, IPRax 2007, 82. 673 Bachmann, IPRax 2009, 144; von Hein, IPRax 2005, 21 f.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände kognitionsbefugt, als das geschützte Rechtsgut an diesem Ort tatsächlich auch verletzt wurde (Mosaiktheorie).674 Während am Handlungsort der gesamte Schaden eingeklagt werden kann, ist bei Streudelikten die Klage am Erfolgsort grundsätzlich auf den in diesem Staat erlittenen Schaden beschränkt. Die „Shevill-Doktrin“ nimmt dem Kläger nicht nur den Anreiz zum forum shopping,675 sondern sichert vor allem die Sachnähe des entscheidenden Gerichts. Der EuGH hat die Shevill-Doktrin in den Rechtssachen eDate Advertising und Martinez explizit im Grundsatz auf über das Internet begangene Persönlichkeitsverletzungen ausgedehnt und implizit allgemein bestätigt, indem er in jedem Staat, in dem die Website zugänglich ist, grundsätzlich nur eine beschränkte Kognitionsbefugnis anerkennt.676 Die Shevill-Doktrin beansprucht aber nicht nur Geltung bei Ehrverletzungen durch grenzüberschreitend vertriebene Medien,677 sondern ist auch bei anderen Streudelikten – etwa Urheber-678, (nationale) Marken-679, Patent-680, Wettbewerbsverletzungen681 oder Kartelldelikten682 sowie der Schädigung von Daten beim Cloud Computing683 – zu beachten.684 Außerdem ist sie nicht nur auf Schadensersatzansprüche beschränkt, sondern erfasst ebenso Unterlassungs- oder Beseitigungsansprüche einschließlich Ansprüche des einstweiligen Rechtsschutzes.685 Letzteres sollte freilich nur gelten, wenn sich Unterlassungsansprüche teilen lassen. Denn wem etwa von einem deutschen Gericht untersagt wird, eine in Deutschland abrufbare markenrechtsverletzende Domain zu benutzen, könnte sie mangels Möglichkeit zur Eingrenzung der Abrufbarkeit einer Homepage überhaupt nicht mehr nutzen. Der EuGH scheint diese Begrenzung nicht zu teilen.686 De facto droht sich das strengste Rechtssystem durchzusetzen.687 130
Die größten Schwierigkeiten bereitet indes die Bestimmung des Erfolgsortes bei Streuschäden, wenn der Umfang des Streucharakters sich der Kontrolle des Schädigers entzieht. Paradigma ist die Schädigung über das Internet.688 Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet hatte sich der BGH daher in einer Vorlage an den EuGH für einen objektiven Inlandsbezug als einschränkendes Kriteri674 EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93 – Shevill vs. Press Alliance SA, EuGHE 1995 I 415 Rz. 30; vgl. auch Cass., Rev. crit. dip. 98 (2009) 580 m. Anm. Treppoz; OLG Hamburg v. 24.3.2009 – 7 U 94/08, AfP 2009, 595. Zustimmend Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 84; Huber, ZEuP 1996, 295; Lagarde, Rev. crit. dip. 1996, 487; Wagner, RabelsZ 62 (1998), 279; abl. Coester-Waltjen, FS Schütze (1999) 175; Kreuzer/Klötgen, IPRax 1997, 90; Rauscher, ZZPInt 1 (1996) 145; Schack, Rz. 346; Schack, MMR 2000, 139; für die Aufgabe der „Shevill-Doktrin“ zuletzt Hönle, Die deliktische Grundanknüpfung im IPR und IZVR (2011) 111 ff. 675 Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 85. 676 Vgl. EuGH v. 25.10.2011 – verb. Rs. C-509/09 u. 161/10, ECLI:EU:C:2011:685, IPRax 2013, 247 – eDate AdvertisingGmbH vs. X und Martinez vs. MGN Limited, NJW 2012, 137. 677 Ausführlich dazu (und grds. ablehnend) Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts im IPR (2003) 312 ff. 678 EuGH v. 3.10.2013 – C-170/12, ECLI:EU:C:2013:635 – Peter Pinckney vs. KDGMediatech AG, EuZW 2013, 863; OLG Hamburg v. 24.3.2009 – 7 U 94/08, AfP 2009, 595; Berger, GRUR-Int. 2005, 468 f. 679 EuGH v. 19.4.2012 – C-523/10, ECLI:EU:C:2012:220 – Wintersteiger-AG vs. Products 4U Sondermaschinenbau-GmbH, EuZW 2012, 513. Vgl. dazu Dietze, EuZW 2012, 515; Picht, GRUR-Int. 2013, 19; Abrar, GRURPrax 2012, 257; Lehmann/Stieper, JZ 2012, 1016; von Hein, LMK 2012, 333913; Hoffmann, MarkenR 2013, 417; McGuire, ZEuP 2014, 160; Slonina, ecolex 2012, 484. 680 OLG Düsseldorf, IPRspr. 2011, Nr. 234, 606. 681 Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 85; Puhr, Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei unlauterem Wettbewerb im Internet (2005) 177 ff. 682 Basedow in Wettbewerbspolitik und Kartellrecht in der Marktwirtschaft – 50 Jahre FIW: 1960 bis 2010 – Festschrift (2010) 135; vgl. aber auch die Vorlage an den EuGH durch das LG Dortmund, GRUR-Int. 2013, 842 Rz. 36 ff. 683 Vgl. zu den dabei bestehenden Problemen, allerdings nur mit Blick auf das IPR, Nordmeier, MMR 2010, 151; a.A. offenbar Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing – Eine Untersuchung zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht und zum Datenschutzrecht (2014) 90 ff., der über das Kriterium des bestimmungsgemäßen Ausrichtens der Gefahr des forum shopping gegensteuern möchte. 684 Skeptisch dagegen Dehnert, Der deliktische Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden und Persönlichkeitsrechtsverletzungen – Eine Untersuchung des europäischen und deutschen internationalen Zivilverfahrensrechtes und des internationalen Privatrechtes (2011) 191. 685 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 17. 686 In diesem Sinne Roth, IPRax 2013, 215, 222. 687 Vgl. auch Schaub, JZ 2011, 17, 19.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
um ausgesprochen.689 Während der Generalanwalt dieses Kriterium jedenfalls in der Sache noch mitberücksichtigte,690 lässt der EuGH für die Zuständigkeitsbegründung die bloße Zugänglichkeit der Website genügen.691 Erst für die Frage des Umfangs der Kognitionsbefugnis und insofern mit einem vom BGH abweichenden Verständnis wird eine Art Inlandsbezug relevant. So kann nach dem EuGH die geschädigte Person den Ersatz des gesamten entstandenen Schadens außer am Handlungsort bei den Gerichten des Mitgliedstaats geltend machen, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet;692 Entsprechendes gilt für Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche.693 Bei der Art des geltend gemachten Schadens kommt es nicht darauf an, ob dieser materieller oder immaterieller Natur ist. Diese Unterscheidung mag sich „zwar je nach dem anwendbaren Recht auf die Ersatzfähigkeit des Schadens auswirken, doch hat sie keinen Einfluss auf die Bestimmung des Mittelpunkts der Interessen als dem Ort, an dem die tatsächlichen Auswirkungen einer Veröffentlichung im Internet und ihres eventuell schädigenden Charakters am besten von einem Gericht beurteilt werden können“.694 Der Interessenmittelpunkt wird bei einer natürlichen Person grundsätzlich durch den gewöhnlichen Aufenthalt bestimmt; der Interessenmittelpunkt kann sich aber auch aus anderen Indizien wie der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit ableiten lassen.695 Bei einer juristischen Person, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, muss der Mittelpunkt der Interessen nach Ansicht des EuGH den Ort widerspiegeln, an dem ihr geschäftliches Ansehen am gefestigtsten ist. Zu bestimmen sei daher der Ort, an dem sie den wesentlichen Teil ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ausübt.696 Ob der EuGH damit immer auf den Verwaltungssitz einer juristischen Person abstellen möchte, erscheint angesichts seiner Ausführungen in Rz. 42 der Rs. Bolagsupplysningen allerdings fraglich; denn er stellt nicht auf den Ort der für die juristische Person maßgeblichen Entscheidungsfindung, sondern sehr unspezifisch auf den Ort ab, an dem sie „den größten Teil ihrer Tätigkeit“ ausübt.697
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Der EuGH begründet die Maßgeblichkeit des Mittelpunkts ihrer Interessen mit der Ubiquität des Internets, die einerseits eine anhand des Verbreitungskriteriums bestimmte Quantifizierung eines in einem bestimmten Staat eingetretenen Schadens erschwere, andererseits eine besondere Schwere der
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688 Zu den (begrenzten) Möglichkeiten einer Steuerung des Streucharakters vgl. Banholzer, Die internationale Gerichtszuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet (2011) 88 ff. 689 BGH RIW 2010, 67. 690 Vgl. GA Cruz Villalón, C-509/09 und C-161/10 und dazu Sujecki, K&R 2011, 317; Thiede, GPR 2011, 259. 691 EuGH v. 25.10.2011 – verb. Rs. C-509/09 u. 161/10, ECLI:EU:C:2011:685 – eDate AdvertisingGmbH vs. X und Martinez vs. MGN Limited, NJW 2012, 137 = K&R 2011, 787. Vgl. dazu Spindler, AfP 2012, 114; Roth, CR 2011, 811; Wittwer/Müller, ELR 2012, 95; Guiziou, JDI 2012, 201; Heinze, EuZW 2011, 947; Schnichels/ Stege, EuZW 2012, 812; Mankowski, EWiR 2011, 743; Marino, Riv. dir. int. priv proc 2012, 363; Muir Watt, Rev. crit. dip. 101 (2012) 402; Sack, EWS 2011, 513; Slonina, ÖJZ 2012, 61; Thiede, GPR 2012, 219; Picht, GRUR-Int. 2013, 19; von Welser, GRURPrax 2011, 513; Einsele, IPRax 2012, 481; Roth, IPRax 2013, 215; Klöpfer, JA 2013, 165; Hess, JZ 2012, 189; Lederer, K&R 2011, 791; Pichler, Medien und Recht 2011, 365; Brand, NJW 2012, 127; von Hinden, ZEuP 2012, 948; McGuire, ZEuP 2014, 160; Hess in Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (2012) 97; Slonina, ÖJZ 2012, 61. 692 EuGH v. 25.10.2011 – verb. Rs. C-509/09 u. 161/10, ECLI:EU:C:2011:685 – eDate AdvertisingGmbH vs. X und Martinez vs. MGN Limited, NJW 2012, 137. 693 EuGH v. 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766 – Bolagsupplysningen OÜ und Ingrid Ilsjan vs. Svensk Handel AB, NJW 2017, 3433 Rz. 47 f.; BGH v. 8.5.2012 – VI ZR 217/08, IPRax 2013, 252 = NJW 2012, 2197 Rz. 17; Hess, JZ 2012 189, 191. 694 EuGH v. 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766 – Bolagsupplysningen OÜ und Ingrid Ilsjan vs. Svensk Handel AB, NJW 2017, 3433 Rz. 38 = BB 2017, 2569 m. Anm. Keilmann = EWiR 2018, 287 (Hollwitz). Vgl. dazu auch Bizer, C.M.L.Rev. 2018, 1941; Bogdan, Nordic Journal of International Law 2018, 212; Hau, GRUR 2018, 163; Jault-Seseke, Rev. crit. dip. 2018, 290; Kontogeorgou, GPR 2018, 23; Kramberger Sˇkerl LeXonomica 2017, 87; Krome/Lüdecke, GPR 2018, 192; Kubis, WRP 2018, 139; Kuipers, NIPR 2018, 541; Larsen, Nordiskt Immateriellt Rättsskydd 2018, 235; Lundstedt, IIC 2018, 1022; Stadler, JZ 2018, 94; Vrbljanac, ZEuS 2018, 165. 695 Zur Konkretisierung des Mittelpunktes der Interessen vgl. Hess, JZ 2012 189, 191 f.; Slonina, ÖJZ 2012, 61, 66. 696 EuGH v. 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766 – Bolagsupplysningen OÜ und Ingrid Ilsjan vs. Svensk Handel AB, NJW 2017, 3433 Rz. 41 ff. 697 EuGH v. 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766 – Bolagsupplysningen OÜ und Ingrid Ilsjan vs. Svensk Handel AB, NJW 2017, 3433 Rz. 42.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände Persönlichkeitsverletzung nach sich ziehe. Überzeugender wäre es gewesen, sich auf die besondere Sachnähe zu beziehen, denn die subjektiven Lebensumstände des Opfers als die für die Feststellung einer Persönlichkeitsverletzung zentralen Umstände sind am Mittelpunkt der Interessen des Opfers am besten zu ermitteln;698 zutreffend ist jedenfalls die Einschätzung des EuGH, dass die Vorhersehbarkeit als notwendige Bedingung des Deliktsgerichtsstands gewahrt bleibt.699 Der Sache nach ist der Gerichtsstand am Mittelpunkt der Interessen des Opfers kein zusätzlicher Gerichtsstand, sondern nur eine im Hinblick auf die Kognitionsbefugnis erfolgende Aufwertung eines der auf die bloße Zugänglichkeit gestützten Gerichtsstände. Denn es ist nicht davon auszugehen, dass der EuGH am Mittelpunkt der Interessen des Opfers auf das Minimalkriterium der Zugänglichkeit der Website verzichten würde. Angesichts der als maßgeblich erachteten Sachnähe und zunehmender Konvergenz der Medien wäre freilich eine technologieneutrale Lösung vorzugswürdig, die nicht zwischen einer Verbreitung online oder offline differenziert.700 Nicht zu beanstanden ist dagegen die Kombination aus der Shevill-Doktrin mit ihrer Vielzahl von Mosaikgerichtsständen und einem einzigen, letztlich auf einer Schwerpunktbetrachtung beruhenden Gerichtsstand am Mittelpunkt der Geschädigteninteressen.701 Beide Ansätze steuern, wenn auch auf unterschiedlichem Weg, gleichermaßen einem forum shopping entgegen. Die mit ihrer Kombination einhergehende Einräumung eines Wahlrechts erscheint daher aus Beklagtensicht unbedenklich, während sich im Einzelfall sogar die Beibehaltung der Mosaikgerichtsstände als vorteilhaft erweisen kann.702 Ebenso wenig wie der vom BGH vorgeschlagene objektive Inlandsbezug ist für die Zuständigkeitseröffnung ein Mindestmaß an Spürbarkeit der Persönlichkeitsverletzung erforderlich;703 sie kann allenfalls für den Umfang der Kognitionsbefugnis mittelbar relevant werden, denn nur dort, wo der Mittelpunkt der Interessen ist, kann die Spürbarkeit so stark sein, dass eine umfassende Entscheidung gerechtfertigt ist. Unionsrechtlich unzulässig ist es zukünftig auch, im hiesigen Kontext für die Zuständigkeitseröffnung noch ein bestimmungsgemäßes Auswirken bzw. Ausrichten zu prüfen.704 Wenngleich auch der BGH dem Kriterium des Ausrichtens bei Persönlichkeitsverletzungen im nationalen Zuständigkeitsrecht nicht mehr zu folgen scheint,705 so scheint es dennoch in Zukunft zu einem unerfreulichen Auseinanderfallen der Auslegung von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO und § 32 ZPO für Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu kommen.706 Denn der BGH stellt in seiner jüngeren Rechtsprechung zu § 32 ZPO707 zur Bestimmung des Erfolgsortes auf einen „Ort des Interessenkonfliktes“708 ab, den er offenbar abweichend vom „Mittelpunkt des Interesses“ des Opfers versteht, mag das auch alles andere als zwingend geboten sein709. Maßgeblich ist danach, ob die im Internet abrufbaren Informationen objektiv einen 698 Im Ergebnis auch Lederer, K&R 2011, 791, 792; krit. dagegen Thieme in Berka/Grabenwarter/Holoubek (Hrsg.), Persönlichkeitsschutz in elektronischen Massenmedien, 91, 96 f. 699 EuGH v. 17.10.2017 – C-194/16, ECLI:EU:C:2017:766 – Bolagsupplysningen OÜ und Ingrid Ilsjan vs. Svensk Handel AB, NJW 2017, 3433, Rz. 50; wie hier auch die Einschätzung von Hess, JZ 2012 189, 191; Lederer, K&R 2011, 791, 792. 700 Dafür von Hinden, ZEuP 2012, 948, 950; von Hein, RIW 2013, 102; Lederer, K&R 2011, 791, 792; Slonina, ÖJZ 2012, 61, 66. 701 A.A. von Hinden, ZEuP 2012, 948, 950; Lederer, K&R 2011, 791, 792 f. 702 Zu den Vorteilen der parallelen Anwendbarkeit im Einzelnen vgl. Slonina, ÖJZ 2012, 61, 63. 703 Zutreffend Slonina, ÖJZ 2012, 61, 65; dafür aber Weller, FS Kaissis (2012) 1039, 1055. 704 So aber wohl noch LG Köln v. 16.10.2012 – 28 O 444/12; MMR 2012, 706; LG Berlin v. 24.5.2012 – 27 O 864/11; wie hier dagegen Slonina, ÖJZ 2012, 65. 705 Vgl. Banholzer, Die internationale Gerichtszuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet (2011) 107 ff.; Weller, FS Kaissis (2012) 1039, 1045 f. 706 Vgl. zu für medienrechtliche Konflikte relevanten Unterschieden in der Auslegung von § 32 ZPO und Art. 7 Nr. 2 Lehr, NJW 2012, 705. 707 BGH v. 2.3.2010 – VI ZR 23/09, NJW 2010, 1752 – The New York Times m. Anm. Staudinger, 1754, und kritisch hierzu Spickhoff, IPRax 2011, 132; BGH v. 29.3.2011 – VI ZR 111/10, NJW 2011, 2059 m. Anm. Brand, 2061; BGH v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10, NJW 2012, 148; BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, IPRax 2014, 538 = NJW 2013, 2348; im Ergebnis ähnlich, aber ohne jede Begründung OLG Hamburg v. 24.3.2009 – 7 U 94/08, AfP 2009, 595. 708 Vgl. zu dieser Terminologie und ihren Implikationen näher Weller, FS Kaissis (2012) 1039, 1045 ff. 709 Für ein die begrifflichen Unterschiede nivellierendes Verständnis Weller, FS Kaissis (2012) 1039, 1055; für ein Ausreichen des inländischen Wohnsitzes Brand, OLG Celle v. 2.5.2011 – 10 WF 133/11, NJW 2011, 2062.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Bezug zum Inland in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Interesse des Klägers an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts bzw. Interesse der Beklagten an der Gestaltung ihres Internetauftritts und an einer Berichterstattung – nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Meldung, im Inland tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann. Dies sei dann anzunehmen, wenn eine Kenntnisnahme der beanstandeten Meldung nach den Umständen des konkreten Falls im Inland erheblich näher liegt als es auf Grund der bloßen Abrufbarkeit des Angebots der Fall wäre und die behauptete Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch eine Kenntnisnahme von der Meldung (auch) im Inland eintreten würde. Dass der Kläger den Mittelpunkt seiner Interessen im Inland hat, wird vom BGH explizit für nicht ausreichend gehalten.710 Vergleichbare Probleme stellen sich bei Immaterialgüterrechtsverletzungen oder Wettbewerbsver- 131 stößen im Internet. Im Ausgangspunkt ist zunächst einmal Erfolgsort jeder Ort, an dem eine Homepage unter einer kennzeichenverletzenden Domain oder mit wettbewerbswidrigen Inhalten abgerufen werden kann. Allein das sollte freilich für eine Gerichtsstandsbegründung nicht genügen;711 denn aufgrund der Ubiquität des Internets gäbe es dann stets eine unüberschaubare Vielzahl von Erfolgsorten. Um eine unionsweite Gerichtspflichtigkeit selbst bei nur minimum contacts zu vermeiden, waren Rspr. und Lehre seit Längerem um die Herausarbeitung von Begrenzungskriterien für derartige Internetdelikte bemüht.712 Verlangt wurde für die Eröffnung einer Gerichtszuständigkeit am Erfolgsort eine gewisse Spürbarkeit des Wettbewerbsverstoßes.713 Man forderte wirtschaftliche Auswirkungen714 oder eine Verletzung der berührten Interessen, zu der es nur dort kommen kann, wo überhaupt eine Wettbewerbssituation besteht.715 So habe z.B. die Internetwerbung eines nur lokal bekannten Anbieters von Dienstleistungen, die sinnvollerweise nur in einem engen räumlichen Umkreis in Anspruch genommen werden können, keinesfalls weltweite Auswirkungen auf die betreffenden Märkte.716 Der BGH ging bislang davon aus, dass bei Immaterialgüterrechtsverletzungen oder Wettbewerbsverstößen im Internet der Erfolgsort nur dort belegen ist, wo sich der Internet-Auftritt bestimmungsgemäß auswirken soll.717 In einer jüngeren Entscheidung zum Markenrecht hat er die Frage dagegen offen gelassen,718 zum Wettbewerbsrecht seine Haltung bestätigt.719 Diese Rechtsprechung dürfte indes mit 710 BGH v. 14.5.2013 – VI ZR 269/12, IPRax 2014, 538 = NJW 2013, 2348 Rz. 7. 711 So aber z.B. Cass., Rev. crit. dip. 93 (2004) 632 = JDI 2004, 872 m. Anm. Huet (vgl. dazu auch M.-E. Ancel, Ètudes Linant de Bellefonds (2007) 1); OGH, GRUR-Int. 2002, 265 (vgl. aber auch OGH, GRUR-Int. 2002, 344); OLG Frankfurt, K&R 1999, 138; OLG Karlsruhe, MMR 2002, 815; OLG Hamburg, MMR 2002, 823; IPRax 2004, 126; OLG München v. 26.10.2001 – 6 U 76/01, MMR 2002, 167; KG v. 25.3.1997 – 5 U 659/97, NJW 1997, 3321; AfP 2006, 259; LG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 980; Bachmann, IPRax 1998, 184; Schack, MMR 2000, 138; enger Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Rz. 24. 712 Monographisch hierzu Banholzer, Die internationale Gerichtszuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet (2011), 61 ff. 713 Vgl. z.B. OLG Bremen, CR 2000, 771; ähnlich CA Orléans, Rev. crit. dip. 93 (2004), 139 m. Anm. GaudemetTallon = JDI 2004, 193; LG Köln v. 13.9.2005 – 33 O 209/03, GRUR-RR 2006, 195 = NJOZ 2006, 1506; Mankowski in Spindler/Wiebe (Hrsg.), Internet-Auktionen und elektronische Marktplätze (2005) Kap. 12 Rz. 66. Zu Nachw. aus der französischen Rspr. vgl. Diederichsen, RIW 2008, 53 f. und Well-Szönyi, GRUR-Int. 2008, 606. 714 Vgl. etwa Trib. paris EuLF 2008, II-61 und II-63. 715 Vgl. z.B. Bachmann, IPRax 1998, 186; Hoeren, WRP 1997, 998; Rüßmann, K&R 1998, 424 f. 716 So (zum Kollisionsrecht) Kieninger in Leible (Hrsg.), Die Bedeutung des Internationalen Privatrechts im Zeitalter der neuen Medien (2003) 129; ähnlich zu einem Urheberrechtsverstoß KG v. 4.7.2007 – 5 U 87/06, MMR 2007, 653. 717 BGH v. 13.10.2004 – I ZR 163/02, NJW 2005, 1435 – Hotel Maritime; BGH v. 30.3.2006 – I ZR 24/03, GRUR 2006, 513 – Arzneimittelwerbung im Internet; vgl. auch KG MD 2006, 1351; MMR 2007, 852; OLG Köln v. 30.10.2007 – 6 W 161/07, K&R 2008, 115; OLG Köln v. 19.2.2014 – I-6 U 163/13, 6 U 163/13; LG Köln v. 13.9.2005 – 33 O 209/03, GRUR-RR 2006, 195 = NJOZ 2006, 1506. Zu ähnlichen Ansätzen in der französischen Rspr. vgl. Diederichsen, RIW 2008, 53 ff. und Well-Szönyi, GRUR-Int. 2008, 606 sowie BGH, RIW 2010, 67 Rz. 16. Vgl. außerdem Cassaz, Riv. dir. int. priv proc 2010, 112; Pironon, JDI 2012, 996. 718 BGH v. 8.3.2012 – I ZR 75/10, IPRax 2013, 257 – Oscar m. Bspr. Pfeifer, IPRax 2013, 228. 719 BGH v. 12.12.2013 – I ZR 131/12, GRUR 2014, 601 – Englischsprachige Pressemitteilung m. Anm. Brexl, GRURPrax 2014, 237. Vgl. jüngst auch KG v. 27.7.2018 – 5 W 149/18, GRUR-RR 2019, 34 Rz. 5 – Influencerin.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände der jüngsten EuGH-Rechtsprechung nur schwer in Einklang zu bringen sein. So hat sich der EuGH in den das Urheberrecht betreffenden Rechtssachen Pinckney und Hejduk dezidiert gegen ein die Zuständigkeit begrenzendes Kriterium des „Ausrichtens“ ausgesprochen;720 auch die Entscheidung eDate Advertising zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und Wintersteiger zum Markenrecht werden in diese Richtung gedeutet.721 Zum Schwur kommt es, sollte ein nationales Gericht das bestimmungsgemäße Auswirken einmal verneinen.722 So lange werden die für das bestimmungsgemäße Auswirken entwickelten Kriterien723 von Bedeutung bleiben. Positive Indizien hierfür sind es, wenn die Homepage in der am Erfolgsort gesprochenen Sprache verfasst ist,724 Preise für die Inanspruchnahme der angebotenen Waren oder Dienstleistungen (auch) in der am Erfolgsort gültigen Währung angegeben sind, usw. (zur Prüfungsdichte im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung vgl. Rz. 107).725 Umgekehrt können Disclaimer, mit dem der Werbende ankündigt, Adressaten in einem bestimmten Land nicht zu beliefern, ein Indiz für eine Einschränkung des Verbreitungsgebiets sein.726 Das bestimmungsgemäße Verbreitungsgebiet einer Homepage lässt sich durch Disclaimer aber nur dann wirksam steuern, wenn sie klar und eindeutig gestaltet und aufgrund ihrer Aufmachung als ernst gemeint aufzufassen sind. Der Verwender muss sie außerdem tatsächlich beachten,727 darf also z.B. nicht – Ausreißerfälle ausgenommen – entgegen seiner Ankündigung gleichwohl in das vom Vertrieb ausgenommene Absatzgebiet liefern.728 Ergänzt werden können Disclaimer durch technische Schutzvorkehrungen (z.B. Zugangssperren, Geolocation-Software, Meta-Tag Coverage).729 Entscheidend ist letztlich, ob sich aus dem Gesamtzusammenhang der Seite eine Ausrichtung auch auf den Erfolgsort ergibt.730 132
Von der Frage eines einschränkenden Kriteriums für die Zuständigkeitseröffnung am Erfolgsort zu trennen ist die Frage nach der unbeschränkten Kognitionsbefugnis am Mittelpunkt der Interessen des Geschädigten. So beförderte die Rechtsprechung des EuGH zu Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts über das Internet in der Folge Spekulationen hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf Schutzrechtsverletzungen.731 Der EuGH hat sich indes mit Verweis auf die Gedanken des territorial begrenzten Schutzes nationaler Immaterialgüterrechte und des am besten geeigneten Gerichts ausdrücklich dafür entschieden, diese Rechtsprechung nicht auf nationale Immaterialgüterrechte zu übertragen.732 Wenn der vom Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts gewährte Schutz nur für das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gilt, soll dieses Gericht auch nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig sein, der im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verursacht worden ist.733 Gleiches soll im Übrigen auch für den Fall eines Verstoßes gegen das Verbot eines Wiederverkaufs eines Ver720 EuGH v. 3.10.2013 – C-170/12, ECLI:EU:C:2013:635 – Peter Pinckney vs. KDGMediatech AG, EuZW 2013, 863 Rz. 42 und hierzu Grünberger, IPRax 2015, 56, 62 f.; EuGH v. 22.1.2015 – C-441/13, ECLI:EU:C:2015:28 – Pez Hejduk vs. EnergieAgentur.NRWGmbH Rz. 32; Sujecki, K&R 2015, 305, 308 f. 721 Für ein „beredtes Schweigen“ im Hinblick auf diese Frage etwa Roth, IPRax 2013, 215, 222; McGuire, ZEuP 2014, 160, 167. 722 So etwa OLG München v. 2.2.2012 – 29 U 3538/11, WRP 2012, 850; bejaht dagegen in BGH v. 12.12.2013 – I ZR 131/12, GRUR 2014, 601 – Englischsprachige Pressemitteilung; implizit auch OLG Düsseldorf, IPRspr. 2011, Nr. 162, 390. 723 Umfassend zu diesen Kriterien Banholzer, Die internationale Gerichtszuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet (2011), 72 ff. 724 Trib. Paris, JDI 2004, 491 m. Anm. Légier; OLG Köln v. 19.11.2007 – 13 W 112/07, K&R 2008, 116. 725 Zu weiteren möglichen Kriterien zur Feststellung des Ortes, an dem sich eine Urheberrechtsverletzung „bestimmungsgemäß auswirkt“, Berger, GRUR-Int. 2005, 468. 726 OLG Frankfurt v. 4.3.1999 – 17HK O 18453/98, CR 1999, 451; KG, GRUR-Int. 2002, 449 f.; Fezer/Hausmann/ Obergfell, UWG (2016) Einl. I Rz. 412a; Hoeren, WRP 1997, 998; Mankowski, GRUR-Int. 1999, 919. 727 KG, MD 2006, 1351; vgl. auch Leible in Leible/Sosnitza (Hrsg.), Versteigerungen im Internet (2004) Rz. 1040. 728 BGH v. 30.3.2006 – I ZR 24/03, GRUR 2006, 513 – Arzneimittelwerbung im Internet. 729 Banholzer, Die internationale Gerichtszuständigkeit bei Urheberrechtsverletzungen im Internet (2011) 88 ff. 730 KG v. 4.7.2007 – 5 U 87/06, MMR 2007, 653; OLG Köln v. 19.11.2007 – 13 W 112/07, K&R 2008, 116. 731 Vgl. Heinze, EuZW 2011, 947, 950; Spindler, AfP 2012, 114, 118. 732 EuGH v. 3.10.2013 – C-170/12, ECLI:EU:C:2013:635 – Peter Pinckney vs. KDGMediatech AG, EuZW 2013, 863 Rz. 35, 37, 39, 46; EuGH v. 19.4.2012 – C-523/10, ECLI:EU:C:2012:220 – Wintersteiger-AG vs. Products 4U Sondermaschinenbau-GmbH, EuZW 2012, 513 Rz. 25, 28.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
triebsnetzes (selektives Vertriebssystem) gelten.734 Über jeden Zweifel erhaben ist seine Argumentation nicht. Warum der Schutz des nach einer Rechtsordnung gewährten allgemeinen Persönlichkeitsrechts territorial umfassender sein sollte als bei einem Immaterialgüterrecht, ist nicht unmittelbar einsichtig. Zudem wird das zur Entscheidung am besten geeignete Gericht in den immaterialgüterrechtlichen Fällen durch ein Kriterium der Rechtsnähe konkretisiert, obgleich üblicherweise der tragende Grund des Deliktsgerichtsstands in einer an tatsächlichen Gegebenheiten orientierten Sachnähe gesehen wird.735 Rechtfertigen lässt sich die abweichende Entscheidung auch nicht mit der unterschiedlichen „Schwere der Beeinträchtigung“, ist doch der Geltungsgrund für Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO gerade nicht ein besonderer Klägerschutz.736 Richtigerweise wäre aber auch bei Zugrundelegung eines Kriteriums der Sachnähe die Entscheidung nicht anders ausgefallen, weil die subjektiven Lebensumstände des Rechtsinhabers bei Schutzrechten anders als bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts irrelevant sind, mithin der Mittelpunkt der Interessen keine besondere Sachnähe begründen kann.737 Eine offene Frage ist die zuständigkeitsrechtliche Behandlung von über das Internet begangenen Ver- 133 letzungen von unionalen Immaterialgüterrechten und nach dem Madrider System international registrierte Marken. Die Annahme eines Erfolgsorts am Mittelpunkt des Interesses des Geschädigten wäre mit der Rechtssache Wintersteiger vereinbar, führen die dort als tragend angesehenen Gedanken des Territorialitätsprinzips und der Rechtsnähe bei unionsweit geltenden Rechten schlicht nicht weiter.738 Ihr steht jedoch für die erste Fallgruppe entgegen, dass der EuGH für die gegenüber Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO spezielle Regelung in Art. 97 Abs. 5 GMVO entschieden hat, dass dort allein der Handlungsort Maß gibt.739 Für die zweite Fallgruppe besteht dieser Einwand nicht. Gleichwohl dürfte auch hier eine Gleichbehandlung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht geboten sein,740 denn auch hier kann der Mittelpunkt der Interessen des Schutzrechtsinhabers keine besondere Sachnähe vermitteln. c) Handlungsort Handlungsort ist der Ort des schadensbegründenden Geschehens,741 d.h. der Ort, an dem das scha- 134 densbegründende Geschehen seinen Ausgang nahm.742 Dies ist bei der unerlaubten Verbreitung von Fotos etwa der Ort der Verbreitungshandlung, nicht hingegen der Ort der Aufnahme der Fotos,743 bei kollektiven Kampfmaßnahmen der Ort, an dem der Aufruf zu ihnen abgegeben und verbreitet wurde,744 bei der Verletzung von Aufklärungs- oder Informationspflichten der Ort, an dem im Rah733 EuGH v. 3.10.2013 – C-170/12, ECLI:EU:C:2013:635 – Peter Pinckney vs. KDGMediatech AG, EuZW 2013, 863 Rz. 45; EuGH v. 22.1.2015 – C-441/13, ECLI:EU:C:2015:28 Rz. 36 – Pez Hejduk vs. EnergieAgentur.NRWGmbH; EuGH v. 21.12.2016 – C-618/15, ECLI:EU:C:2016:976 Rz. 21 – Concurrence vs. Samsung Electronics France und Amazon Services Europe, RIW 2017, 125 = EuZW 2017, 99 m. Anm. Landbrecht = IPRax 2017, 605 m. Bspr. Lutzi, 552. Vgl. dazu auch Müller/Thiede, ÖZK 2017, 98. 734 EuGH v. 21.12.2016 – C-618/15, ECLI:EU:C:2016:976 Rz. 32 f., IPRax 2017, 605 – Concurrence vs. Samsung Electronics France und Amazon Services Europe, RIW 2017, 125. 735 Vgl. nur EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. Henkel, EuGHE 2002 I 8111 Rz. 46; EuGH v. 16.7.2009 – C-189/08, ECLI:EU:C:2009:475 – Zuid-Chemie vs. Philippo’s Mineralenfabriek, EuGHE 2009 I 6917 Rz. 24; EuGH v. 16.1.2014 – C-45/13, ECLI:EU:C:2014: 7 – Andreas Kainz vs. Pantherwerke AG, NJW 2014, 1166 Rz. 27; EuGH v. 22.1.2015 – C-441/13, ECLI:EU: C:2015:28 – Pez Hejduk vs. EnergieAgentur.NRWGmbH Rz. 36. 736 Wohl auch McGuire, ZEuP 2014, 160, 170. 737 Dafür McGuire, ZEuP 2014, 160, 171. 738 Dafür Hoffmann, MarkenR 2013, 417, 420 ff. 739 EuGH v. 5.6.2014 – C-360/12, ECLI:EU:C:2014:1318 – Coty Germany GmbH vs. First Note Perfumes NV, GRUR 2014, 806. 740 Dafür aber Hoffmann, MarkenR 2013, 417, 420 ff. 741 Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 81; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 188. 742 EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93 – Shevill vs. Press Alliance SA, EuGHE 1995 I 415 Rz. 24; EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – Danmarks Rederiforening vs. LO Landsorganisationen i Sverige, EuGHE 2004 I 1417 Rz. 41. 743 OLG Bremen, IPRax 2000, 226. 744 EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – Danmarks Rederiforening vs. LO Landsorganisationen i Sverige, EuGHE 2004 I 1417 Rz. 41.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände men eines Beratungs- oder Verkaufsgesprächs falsche oder unvollständige Informationen gegeben wurden,745 beim Kapitalanlagebetrug der Ort, an dem Anleger getäuscht wurden,746 bei der Veruntreuung von Anlagegeldern, etwa im Rahmen einer weisungswidrigen Vermögensverwaltung oder durch Churning, der Ort, an dem der Vermögensverwalter die entsprechenden Dispositionen vorgenommen hat.747 135
Schwierig fällt die Entscheidung bei mehreren kausalen Handlungen einer Person an verschiedenen Orten. Bloße Vorbereitungshandlungen bleiben außer Betracht.748 Abgesehen davon soll nach teilweise vertretener Ansicht jede das Delikt auch nur teilweise erfüllende Handlung einen Gerichtsstand begründen.749 Dadurch droht freilich eine Ausuferung von Gerichtsständen, die – wie auch bezogen auf den Erfolgsort bei Streudelikten (vgl. Rz. 120) – nur schwer mit dem Geltungsgrund von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO in Einklang zu bringen ist. Daher sollte stets nur der Ort entscheidend sein, an dem der maßgebliche Tatbeitrag geleistet wurde. Ein Beispiel ist die Produkthaftung. Hier kommen als Handlungsort der Ort der Herstellung, des Inverkehrbringens oder des Erwerbs des Produkts in Betracht;750 nach Ansicht des EuGH gibt der Herstellungsort Maß.751 Indem der EuGH allein auf den Herstellungsort abstellt, macht er konkludent deutlich, dass es auch für ihn nur auf den maßgeblichen Tatbeitrag ankommt. In der konkreten Umsetzung dieses Gedankens ist die Entscheidung jedoch nicht interessengerecht, wie schon die Regelung der internationalen Produkthaftung in Art. 5 Rom II-VO zeigt, in welchem dem Herstellungsort zu Recht keine Bedeutung beigemessen wird. Die Entscheidung provoziert zudem weitere Vorlagefragen, ist doch der Produktionsprozess aufgrund immer stärkerer Arbeitsteilung zunehmend nicht mehr an einem einzigen Ort konzentriert. Überzeugender ist für die Produkthaftung daher die Annahme einer Gerichtspflichtigkeit nur am Ort des Inverkehrbringens durch den Hersteller. Denn hier wurde die entscheidende Ursache für eine spätere Schädigung gesetzt. Wäre das Produkt nicht in Umlauf gebracht worden, wäre es auch zu keiner Schädigung gekommen. Nur wenn sich ein maßgeblicher Tatbeitrag nicht feststellen lässt, sondern mehrere gleichgewichtige Tathandlungen zur Rechtsgutsverletzung geführt haben, bestehen auch mehrere Handlungsorte. So verlangt etwa der Tatbestand des § 317 AktG die Veranlassung einer die abhängige Gesellschaft benachteiligenden Maßnahme und das Unterlassen, diesen Nachteil wieder auszugleichen. Beide Handlungen sind gleichgewichtig, so dass nichts dagegen spricht, hier eine Zuständigkeit sowohl an dem Ort anzunehmen, an dem der Nachteilsausgleich hätte stattfinden müssen, als auch an dem Ort, an dem die nachteilige Maßnahme veranlasst wurde.752
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Ähnliche Probleme stellen sich bei einer räumlich gestreckten kausalen Handlung, Paradigma ist die Nutzung von Fernkommunikationsmitteln, insbesondere die Verletzung von Aufklärungspflichten oder betrügerische Handlungen, etwa Kapitalanlagebetrug, wenn das dazu führende Beratungsoder Verkaufsgespräch (grenzüberschreitend) per Telefon erfolgte. Hier stehen sich der Ort der Abgabe der Erklärung und der Ort ihrer akustischen – bzw. bei anderen Fernkommunikationsmitteln optischen – Wahrnehmung gegenüber. Will man nicht beide Orte für maßgeblich erklären,753 was dem Streben des EuGH nach einer Reduktion der Zahl möglicher Handlungsorte zuwider liefe (vgl. auch noch Rz. 140), muss man sich für einen Ort entscheiden. Z. T. wird bei Übermittlung der Willens745 Vgl. z.B. den Sachverhalt BGHZ 176, 342; OLG Düsseldorf v. 23.1.2008 – I-15 U 18/07 Rz. 25; EuLF 2006, II-93. 746 BGH, RIW 2008, 399 Rz. 23 = EWiR Art. 5 LugÜ 1/08 (Mankowski) = WuB VII C. Art. 5 LugÜ 1.08 (Geimer); Wagner/Gess, NJW 2009, 3484. 747 BGH, RIW 2008, 399 Rz. 21 = EWiR Art. 5 LugÜ 1/08 (Mankowski) = WuB VII C. Art. 5 LugÜ 1.08 (Geimer); OLG Düsseldorf v. 23.1.2008 – I-15 U 18/07 Rz. 25; Wagner/Gess, NJW 2009, 3483. 748 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 250; Schack, Rz. 340; so auch Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 215, der aber für die Qualifikation als Vorbereitungshandlung auf das Recht am Ort dieser Handlung abstellt. A.A. Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 144. 749 Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 214. 750 Vgl. zum Ganzen Steinbrück, FS Kaissis (2012) 965. 751 EuGH v. 16.1.2014 – C-45/13, ECLI:EU:C:2014:7 – Andreas Kainz vs. Pantherwerke AG, NJW 2014, 1166 m. Anm. Freitag, LMK 2014, 355576, Wagner, BB 2014, 661, Wittwer, ELR 2014, 16, Dietze, EuZW 2014, 234 u. Sujecki, EWS 2014, 94; so auch schon Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 a.F. Rz. 145. 752 Zutr. Bachmann, IPRax 2009, 145. 753 So etwa OLG Düsseldorf, IPRspr. 2011, Nr. 234, 606; OLG Hamm, IPRspr. 2011, Nr. 242, 621; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 223.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
erklärung im Rahmen einer Telekommunikation auf den Ort abgestellt, an dem eine Kundgabehandlung optisch oder akustisch wahrgenommen werden kann,754 da z.B. eine Täuschung nur denkbar sei, wenn die irreführende Erklärung von einem anderen wahrgenommen werde. Maßgeblicher Tatbeitrag ist freilich auch in diesem Fall die Äußerung als solche, so dass auf den Ort von deren Abgabe abzustellen ist. Beruht die Rechtsgutsverletzung auf kausalen Handlungen mehrerer Personen, so war lange offen, 137 ob eine wechselseitige zuständigkeitsrechtliche Zurechnung erfolgen kann755 oder richtigerweise jede Person nur am Ort des eigenen Tatbeitrags gerichtspflichtig ist.756 Der EuGH hat diese Frage in der Rechtssache Melzer grundlegend im letzteren Sinne beantwortet757 und im Folgenden bestätigt.758 Der BGH folgt dem.759 Die damit einhergehende Restriktion des auf den Handlungsort gestützten Gerichtsstands wird sich jedoch praktisch nur begrenzt auswirken, legt doch der EuGH im hiesigen Kontext zugleich ein sehr extensives Verständnis des Erfolgsortes an den Tag. Der Verzicht auf jeglichen objektiven Zurechnungszusammenhang – im Ergebnis lässt der EuGH bloße Kausalität zwischen einem Tatbeitrag des Beklagten und dem durch einen Dritten herbeigeführten Erfolg genügen760 – lässt eine Zurechnung der Handlung eines Dritten als Zwischenschritt entbehrlich werden. Überzeugend ist das nicht; immerhin sollte verlangt werden, dass der Beklagte Kenntnis von dem beabsichtigten Vorgehen des Dritten hat.761 Ohne Zurechnung der Handlung eines Dritten als Zwischenschritt gelangt der EuGH zu einer Bejahung eines Handlungsorts für jeden mehrerer Kartellanten am Ort der Absprache.762 Bei Unterlassungen entscheidet der Ort, an dem zu handeln gewesen wäre. So soll es nach dem EuGH bei Klagen gegen einen Gesellschafter oder ein Organ der Gesellschaft wegen Fortsetzung des Geschäftsbetriebes trotz der anhängigen Liquidation auf den Ort ankommen, an den der Geschäfts754 OLG Koblenz v. 25.6.2007 – 12 U 1717/05, NJW-RR 2008, 148 = IPRax 2009, 151 m. Bspr. Spickhoff, 148. 755 So OLG Bremen, IPRax 2000, 226; OLG Düsseldorf, EuLF 2010, II-117; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 250; Hüßtege in Thomas/Putzo, 33. Aufl. Rz. 20; von Hein in Paradigmen im internationalen Recht – Implikationen der Weltfinanzkrise für das internationale Recht (2012) 369, 396; Lüthi, System der internationalen Zuständigkeit im Immaterialgüterrecht (2011) 649 ff.; Thole, ZBB 2011, 401 f.; a.A. Schlosser/ Hess/Schlosser, Rz. 17a; Weller, IPRax 2000, 205; offen gelassen von BGH, BKR 2010, 421; RIW 2010, 723; BGH v. 12.10.2010 – XI ZR 394/08, NJW-RR 2011, 551; IPRspr. 2011, Nr. 245, 625. Zu § 32 ZPO vertritt der BGH dezidiert eine wechselseitige Handlungszurechnung, vgl. BGHZ 184, 365 = IPRax 2011, 497; BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 349/08, NJW-RR 2011, 548 = IPRax 2011, 499 Rz. 17; BGH v. 8.6.2010 – XI ZR 41/09, NZG 2010, 1351 = RIW 2010, 885 Rz. 17 und hierzu Engert/Groh, IPRax 2011, 461; Thole, ZBB 2011, 399. 756 M, Müller, EuZW 2013, 130 ff.; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 195. 757 EuGH v. 16.5.2013 – C-228/11, ECLI:EU:C:2013:305 – Melzer vs. MFGlobalUKLtd., NJW 2013, 2099 mit Anm. M. Müller, NJW 2013, 2101 = Rev. crit. dip. 102 (2013) 933 m. Anm. Chacornac, 938 = ecolex 2013, 703 m. Anm. Slonina, 703. Vgl. dazu Wagner, EuZW 2013, 546; Dörrscheidt, EWiR 2014, 31; von Hein, IPRax 2013, 505; Weller, LMK 2013, 348154; Weller, WM 2013, 1681. 758 EuGH v. 3.4.2014 – C-387/12, ECLI:EU:C:2014:215 – Hi Hotel HCF Sarl vs. Uwe Spoering, EuZW 2014, 431 Anm. M. Müller, EuZW 2014, 434; EuGH v. 5.6.2014 – C-360/12, ECLI:EU:C:2014:1318 – Coty Germany GmbH vs. First Note Perfumes NV, GRUR 2014, 806; EuGH v. 5.7.2018 – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 Rz. 42 – AB„flyLAL-Lithuanian Airlines“ in Liquidation vs. Starptautiska¯ lidosta ‚Rı¯ga‘VAS und Air Baltic Corporation AS, NZKart 2018, 357. 759 Vgl. BGH, RIW 2017, 608 Rz. 19 ff. = BGH v. 18.10.2016 – VI ZR 618/15, IPRax 2017, 480 m. Bspr. Maultzsch, 442. 760 Vgl. EuGH v. 3.10.2013 – C-170/12, ECLI:EU:C:2013:635 – Peter Pinckney vs. KDGMediatech AG, EuZW 2013, 863 mit Anm Sujecki, EuZW 2013, 866; EuGH v. 3.4.2014 – C-387/12, ECLI:EU:C:2014:215 – Hi Hotel HCF Sarl vs. Uwe Spoering, EuZW 2014, 431 Anm. M. Müller, EuZW 2014, 434; EuGH v. 5.6.2014 – C-360/12, ECLI:EU:C:2014:1318 – Coty Germany GmbH vs. First Note Perfumes NV, GRUR 2014, 806; EuGH v. 29.7.2019 – C-451/18, ECLI:EU:C:2019:635 Rz. 34 ff. – Tibor-Trans Fuvarozó és Kereskedelmi Kft. vs. DAF Trucks NV, RIW 2019, 594. 761 So etwa OLG Düsseldorf, IPRspr. 2011, Nr. 234, 606; kritisch auch Grünberger, IPRax 2015, 56, 64 f. 762 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV u.a., RIW 2015, 598 Rz. 48 f. = EWS 2015, 157 m. Anm. Wiegandt = EWiR 2015, 687 (Mankowski) = IPRax 2016, 362 m. Bspr. W.-H. Roth, 316; vgl. dazu auch Brand, IPRax 2016, 314; Harler/ Weinzierl, EWS 2015, 121; Harms/Sanner/Schmidt, EuZW 2015, 584; Kroes, NIPR 2016, 470; Kruger, Revue de droit commercial belge 2017, 308; Mäsch, WuW 2016, 285; Pato, YB PIL 2017, 491; Stadler, JZ 2015, 1138; Steinle/Wilske/Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165; Wurmnest, C.M.L.Rev. 2016, 225.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände betrieb der Gesellschaft und die damit verbundene finanzielle Lage anknüpfen.763 Bei Unterlassungsansprüchen ist auf den Ort abzustellen, an dem eine Handlung droht oder bereits – etwa durch einen Aufruf zu einer kollektiven Kampfmaßnahme – gehandelt wird.764 139
Bei der Gefährdungshaftung bedarf es für eine Haftung keines bestimmten rechtswidrigen Verhaltens, sondern der Realisierung einer abstrakten Gefahr. Daher gibt es keinen Handlungsort im strengen Sinne. Maßgeblich ist hier der Ort des schadensstiftenden Ereignisses, d.h. der Ort, an dem die gefährliche Sache, für die gehaftet wird, außer Kontrolle geraten ist.765
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Bei deliktischen Handlungen im Zusammenhang mit der Verbreitung von Presseerzeugnissen (Persönlichkeitsrechtsverletzungen etc.) kann nach der Rspr. des EuGH Handlungsort nur der Ort der Niederlassung des Herausgebers der rechtsverletzenden Veröffentlichung sein, da hier das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm, wurde doch an diesem Ort die ehrverletzende Äußerung gemacht und in Umlauf gebracht.766 Nachgeschaltete Vertriebshandlungen, wie Auslieferungen an Grossisten, Zeitungskioske etc. haben außer Betracht zu bleiben.767 Deutlich wird das Bestreben des EuGH, auch die Zahl möglicher Handlungsorte zu reduzieren, um so einer Inflationierung von Gerichtsständen entgegenzuwirken. Nichts Anderes kann für die Verbreitung ehrverletzender Äußerungen durch andere Medien wie etwa Rundfunk und Fernsehen gelten. Maßgeblicher Handlungsort ist nicht der Ort der (technischen) Ausstrahlung, d.h. ihrer Weiterverbreitung durch Satellit, Kabel oder Funkanlagen, sondern das Sendezentrum, da von dort aus „die programmtragenden Signale unter der Kontrolle des Sendeunternehmens und auf dessen Verantwortung in eine ununterbrochene Kommunikationskette eingegeben werden“.768
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Nach dem gleichen Prinzip sollte man im Kartelldeliktsrecht verfahren. Dann wäre bei Klagen auf Schadensersatz wegen unerlaubter Preisabsprachen Handlungsort weder der Ort, an dem die Preisabsprache getroffen wurde,769 noch der Ort, an dem sie durchgeführt,770 also vom Abnehmer ein überhöhter Preis verlangt wurde, sondern der jeweilige Sitz bzw. die jeweilige Niederlassung des kartellrechtswidrig handelnden Unternehmens.771 Der EuGH möchte hingegen primär den „Gründungsort“ des Kartells, daneben (möglicherweise aber auch nur subsidiär) den Ort der einzelnen, konkret schadensursächlichen „spezifischen Absprache“ heranziehen.772 In einer jüngeren Entscheidung stellt er für Klagen auf Ersatz eines durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verursachten Schadens entweder auf den Ort des Abschlusses einer gegen Art. 101 AEUV verstoßenden wett-
763 EuGH v. 18.7.2013 – C-147/12, ECLI:EU:C:2013:490 – ÖFÄB vs. Frank Koot, u.a., EuZW 2013, 703 Rz. 48 ff. und dazu Landbrecht, EuZW 2013, 707; Thole, GPR 2014, 113; Osterloh-Konrad, JZ 7; Haas, NZG 2013, 1161; Freitag, ZIP 2014, 302. 764 EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02 – Danmarks Rederiforening vs. LO Landsorganisationen i Sverige, EuGHE 2004 I 1417 Rz. 41. 765 Wagner/Gess, NJW 2009, 3485. 766 EuGH v. 7.3.1995 – C-68/93 – Shevill vs. Press Alliance SA, EuGHE 1995 I 415 Rz. 24. 767 Vgl. auch m.w.N. Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts im IPR (2003) 297 ff. 768 Vgl. auch Art. 1 Abs. 2 lit. b Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27.9.1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ABl. EG 1993 L 248/15. 769 Dafür aber im Hinblick auf einmalige Kartellabsprachen wohl Basedow in Wettbewerbspolitik und Kartellrecht in der Marktwirtschaft – 50 Jahre FIW: 1960 bis 2010 – Festschrift (2010) 136. 770 Dafür Withers, JoBL 2002, 261; bei „verfestigtem“ Durchführort auch Basedow in Wettbewerbspolitik und Kartellrecht in der Marktwirtschaft – 50 Jahre FIW: 1960 bis 2010 – Festschrift (2010) 141. 771 Bulst, EWS 2004, 305; Mäsch, IPRax 2005, 515; für organisatorisch verfestigte Kartelle auch Basedow in Wettbewerbspolitik und Kartellrecht in der Marktwirtschaft – 50 Jahre FIW: 1960 bis 2010 – Festschrift (2010) 138; vgl. aber auch OLG Hamburg EuLF 2007, II-113. 772 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV u.a., RIW 2015, 598 Rz. 43 ff. = EWS 2015, 157 m. Anm. Wiegandt = EWiR 2015, 687 (Mankowski) = IPRax 2016, 362 m. Bspr. W.-H. Roth, 316; vgl. dazu auch Brand, IPRax 2016, 314; Harler/Weinzierl, EWS 2015, 121; Harms/Sanner/Schmidt, EuZW 2015, 584; Kroes, NIPR 2016, 470; Kruger, Revue de droit commercial belge 2017, 308; Mäsch, WuW 2016, 285; Pato, YB PIL 2017, 491; Stadler, JZ 2015, 1138; Steinle/Wilske/Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165; Wurmnest, C.M.L.Rev. 2016, 225.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
bewerbswidrigen Vereinbarung oder den Ort, an dem die Kampfpreise angeboten und angewendet wurden, wenn diese Praxis einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV darstellte, ab.773 Bei deliktischen Handlungen im Internet, etwa bei ehrverletzenden Äußerungen im Rahmen der 142 Bewertung des Vertragspartners nach Abschluss einer Internetauktion, der Veröffentlichung einer Website mit wettbewerbswidrigen Inhalten oder der Verbreitung eines urheberrechtlich geschützten Werks über das Internet, ist Handlungsort derjenige Ort, an dem die zur Rechtsgutsverletzung führenden Daten in das Internet eingespeist wurden (Einspeisungsort).774 Der Standort des Servers, auf dem die Daten gespeichert werden (Speicherort), ist für deliktische Klagen hingegen unbeachtlich, weil ihn der Einspeisende meist gar nicht kennt.775 Ebenfalls kein Handlungsort ist der Ort, an dem die Daten erscheinen (Abrufort);776 dieser Ort begründet jedoch eine Erfolgsortzuständigkeit, weil nach der Rechtsprechung des EuGH hierfür die bloße Zugänglichkeit genügt.777 Auch darauf, wo die ehrverletzende Äußerung oder die wettbewerbswidrige Website konzipiert wurde – das ist i.d.R. der (Verwaltungs-/Wohn-)Sitz –, sollte es nicht ankommen.778 Denn entscheidend sollte stets der Ort sein, an dem der maßgebliche Tatbeitrag geleistet wurde. Das ist aber regelmäßig der Ort der Einspeisung. Schließlich wurde hier die entscheidende Ursache für die Ehrverletzung oder den Wettbewerbsverstoß gesetzt. Wäre die ehrverletzende bzw. wettbewerbswidrige Information nicht auf den Server des Content-Providers geladen worden, wäre es auch zu keiner Rechtsgutsverletzung gekommen.779 Der EuGH sieht dies inzwischen, nur aber auch im Ausgangspunkt, genauso, soll es ihm zufolge doch auf das „Auslösen des technischen Vorgangs“ ankommen.780 Auf eine bloße Fiktion läuft es dann hinaus, wenn er diesen im Folgenden mit dem Ort der Niederlassung gleichsetzt, weil hier über das Auslösen des technischen Vorgangs „entschieden“ werde.781 Denn eine Entscheidung und ihre Umsetzung sind zwei voneinander zu trennende Handlungen.782 Auch wird mit dieser Gleichsetzung die Handlungsortzuständigkeit praktisch obsolet, ist doch am Ort der Niederlassung vorbehaltlich einer Veränderung zwischen schädigender Handlung und Klageerhebung stets schon die allgemeine internationale Zuständigkeit nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 63 eröffnet. Bei auf Prospekthaftung begründeten Ansprüchen liegt der Handlungsort in dem Land, in dem die 142a fehlerhafte bzw. ganz unterlassene Aufklärung im Prospekt erfolgte.783 Bei der Verletzung von Ad-
773 EuGH v. 5.7.2018 – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 Rz. 57 – AB„flyLAL-Lithuanian Airlines“ in Liquidation vs. Starptautiska¯ lidosta ‚Rı¯ga‘VAS und Air Baltic Corporation AS, NZKart 2018, 357 = EWiR 2018, 637 (Krüger). Vgl. dazu auch Scraback, GPR 2019, 69. 774 Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing – Eine Untersuchung zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht und zum Datenschutzrecht (2014), 87; Berger, GRUR-Int. 2005, 465 und 467; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 257 f.; Spickhoff in Leible (Hrsg.), Die Bedeutung des IPR im Zeitalter der neuen Medien (2003) 98; Spickhoff, IPRax 2011, 132. 775 EuGH v. 19.4.2012 – C-523/10, ECLI:EU:C:2012:220 – Wintersteiger-AG vs. Products 4U Sondermaschinenbau-GmbH, EuZW 2012, 513 Rz. 36; Spickhoff in Leible (Hrsg.), Die Bedeutung des IPR im Zeitalter der neuen Medien (2003) 98; Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing – Eine Untersuchung zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht und zum Datenschutzrecht (2014) 85 ff.; a.A. LG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 980, allerdings für wettbewerbswidriges Verhalten. 776 EuGH v. 19.4.2012 – C-523/10, ECLI:EU:C:2012:220 – Wintersteiger-AG vs. Products 4U Sondermaschinenbau-GmbH, EuZW 2012, 513 Rz. 34; a.A. Lehmann/Stieper, JZ 2012 1016, 1019. 777 Im Ausgangspunkt ebenso Barnitzke, Rechtliche Rahmenbedingungen des Cloud Computing – Eine Untersuchung zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht und zum Datenschutzrecht (2014) 88 ff. 778 Wie hier (für das Kollisionsrecht) Spickhoff in Leible (Hrsg.), Die Bedeutung des Internationalen Privatrechts im Zeitalter der neuen Medien (2003) 98; a.A. Mankowski in Spindler/Wiebe (Hrsg.), Internet-Auktionen und Elektronische Marktplätze (2005) Kap. 12 Rz. 63; Mankowski, RabelsZ 63 (1999) 265 f. 779 Leible in Leible/Sosnitza (Hrsg.), Versteigerungen im Internet (2004) Rz. 1039. 780 EuGH v. 19.4.2012 – C-523/10, ECLI:EU:C:2012:220 – Wintersteiger-AG vs. Products 4U Sondermaschinenbau-GmbH, EuZW 2012, 513 Rz. 34. 781 EuGH v. 19.4.2012 – C-523/10, ECLI:EU:C:2012:220 – Wintersteiger-AG vs. Products 4U Sondermaschinenbau-GmbH, EuZW 2012, 513 Rz. 37. 782 Zu Recht kritisch Hoffmann, MarkenR 2013, 417, 419; a.A. McGuire, ZEuP 2014, 160, 165. 783 OGH, IPRax 2018, 96, 101 m. Bspr. Heindler = EWiR 2018, 31 (Mankowski).
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände hoc-Publizitätspflichten ist auf das Land abzustellen, in dem der Emittent der Ad-hoc-Publizitätspflicht unterliegt.784
IV. Zuständigkeit für Adhäsionsverfahren (Nr. 3) 1. Allgemeines 143
Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO eröffnet einen zusätzlichen Gerichtsstand für im Zusammenhang mit einer Strafsache stehende zivilrechtliche Klagen. In der Sache handelt es sich um einen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs, der zwar den meisten mitgliedstaatlichen Prozessordnungen bekannt ist,785 dort indes ganz unterschiedliche Bedeutung hat. Während in Deutschland Adhäsionsverfahren (vgl. §§ 403 ff. StPO) ebenso wie in Österreich (vgl. §§ 4, 47, 365 ff. östStPO) in kaum nennenswertem Umfang vorkommen,786 werden vor allem im romanischen Rechtskreis relativ häufig zivilrechtliche Ersatzansprüche bereits im Strafverfahren geltend gemacht.787 Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO eröffnet in diesen Fällen aus Gründen des Geschädigtenschutzes auch eine internationale Zuständigkeit des Strafgerichts. Insb. Beweisprobleme des Geschädigten werden vermindert, weil Strafgerichte der Offizialmaxime verpflichtet sind.788 2. Klagen vor einem Strafgericht
144
Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO ist nur anwendbar, wenn vor einem Strafgericht öffentlich Klage wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erhoben worden ist. Ob dies der Fall ist, ist autonom zu bestimmen. Da in einigen Mitgliedstaaten eine Unterscheidung zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat nicht getroffen wird, kommt es insb. auf die Art des Sanktionsverfahrens nicht an. Entscheidend ist, dass wegen einer Handlung eine repressive staatliche Sanktion verhängt werden kann.789
145
Bei der angestrebten Zivilklage muss es sich um eine Klage auf Schadensersatz oder Wiederherstellung eines früheren Zustandes handeln, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der öffentlichen Klage steht. Die zivilrechtliche Klage muss sich also auf die mit Strafe bedrohte Handlung stützen. Nach z.T. vertretener Auffassung soll es allerdings nicht darauf ankommen, ob die Ansprüche deliktischer Natur sind, sondern auch vertragliche Schadensersatz- oder Wiederherstellungsansprüche im Gerichtsstand der Nr. 3 geltend gemacht werden können, so etwa Schadensersatzansprüche wegen einer Vertragsverletzung, die gleichzeitig durch die Strafjustiz verfolgt wird.790 Das führte freilich zu einer über das nationale Recht begründeten791 und nicht hinnehmbaren Annexkompetenz. Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO erfasst daher nur deliktische Ansprüche. Weiterer Voraussetzungen bedarf es jedoch nicht. Für die Eröffnung des Adhäsionsgerichtsstands kann es daher bereits genügen, dass der Täter am Gerichtsort festgenommen wurde und der Anspruch sonst keine Beziehung zu diesem Ort aufweist.792
784 OGH, IPRax 2018, 96, 101. 785 Vgl. Jenard, 9 Fn. 2; außerdem Will (Hrsg.), Schadenersatz im Strafverfahren (1990). 786 Zu den Gründen vgl. Strobel, Internationales Privatrecht in der Strafprozessordnung am Beispiel der §§ 52, 395 und 406 StPO (2019), 269 ff.; v. Sachsen Gessaphe, ZZP 112 (1999) 3 ff.; außerdem z.B. Plümpe, ZInsO 2002, 409. 787 Vgl. z.B. EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:144 – Sonntag vs. Waidmann, EuGHE 1993 I 1963; EuGH v. 28.3.2000 – C-7/98, ECLI:EU:C:2000:164 – Krombach vs. Bamberski, EuGHE 2000 I 1935; EuGH v. 11.5.2000 – C-38/98, ECLI:EU:C:2000:225 – Renault vs. Maxicar, EuGHE 2000 I 2973; BGH, NJW 1993, 3269. 788 Kohler in Will (Hrsg.), Schadensersatz im Strafverfahren (1990) 75; Schoibl, FS Sprung (2001) 325. 789 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 64; Rauscher, IPR Rz. 1845; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 18; Schoibl, FS Sprung (2001) 327. 790 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 18. 791 Wie hier Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 28; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 98. 792 Kohler in Will (Hrsg.), Schadensersatz im Strafverfahren (1990) 75.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
3. Rechtsfolgen Das Strafgericht ist auch zur Entscheidung über eine deliktische Klage auf Schadensersatz oder Wie- 146 derherstellung international und örtlich zuständig. Allerdings begründet Nr. 3 keine originäre Zuständigkeit, sondern macht diese davon abhängig, dass das Strafgericht nach seinem nationalen Verfahrensrecht überhaupt „über zivilrechtliche Ansprüche erkennen kann“. Die lex fori entscheidet folglich über die Zulässigkeit einer Zivilklage als Annex zur Strafsache,793 die Brüssel Ia-VO sodann über die Zuständigkeit. Weder lässt sich Nr. 3 eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einführung eines Adhäsionsverfahrens noch eine Institutsgarantie entnehmen.794 Kennt das nationale Recht keine Adhäsionszuständigkeit, ist das Strafgericht für die zivilrechtliche Klage auch nicht zuständig. Die nationalen Rechtsordnungen entscheiden nicht nur über das Ob des Adhäsionsverfahrens, sondern auch über seine inhaltliche Ausgestaltung und insb. darüber, wer Beklagter sein kann. Eine teleologische Reduktion, dass nur Verfahren erfasst werden, in denen der Beklagte zugleich Angeklagter ist, ist nicht angezeigt.795 Lässt das nationale Recht eine Adhäsionsklage auch gegen Dritte zu, ist das Strafgericht für diese Klage bei Vorliegen der Voraussetzungen der Nr. 3 ebenfalls örtlich und international zuständig. Zu beachten bleibt Art. 61 Brüssel Ia-VO (vgl. dort).
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4. Konkurrenz zu anderen Zuständigkeitsvorschriften Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO eröffnet dem Kläger neben dem allgemeinen (Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) und dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) einen weiteren, zusätzlichen Gerichtsstand. Ihm kommt nur Bedeutung zu, wenn das Strafgericht nicht ohnehin schon nach den vorgenannten Normen zuständig ist. Das ist insb. der Fall, wenn das Strafverfahren nicht am Wohnsitz des Beklagten oder dem Ort der unerlaubten Handlung, sondern dem Ort seiner Festnahme durchgeführt wird.796
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V. Gerichtsstand für Kulturgüter (Nr. 4) 1. Allgemeines Art. 7 Nr. 4 Brüssel Ia-VO, der sich insoweit auf Art. 98a schwIPRG berufen kann, eröffnet einen besonderen Gerichtsstand für auf das Eigentum gestützte zivilrechtliche Ansprüche zur Wiedererlangung eines Kulturguts am Belegenheitsort. Er erweist sich als Überbleibsel einer deutlich weitergehenden Regelung im Kommissionsvorschlag zur Neufassung der Brüssel I-VO, die für sämtliche Streitigkeiten über dingliche Rechte und den Besitz an einer beweglichen Sache ein forum rei sitae vorsah,797 die jedoch zu erheblichen Schwierigkeiten geführt hätte798 und daher zu Recht in der vorgeschlagenen Form keine Aufnahme gefunden hat.799 Eine besondere Praxisrelevanz dürfte die Vorschrift kaum entwickeln.800 Zu einem Anerkennungshindernis führt ein Verstoß gegen Art. 7 Nr. 4 Brüssel Ia-VO nicht.801
793 Zur Kritik vgl. Geimer, ZIP 2000, 863. 794 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 293; Schoibl, FS Sprung (2001) 328. 795 Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 98; a.A. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 290; Magnus/ Mankowski/Mankowski, Rz. 264; Schoibl, FS Sprung (2001) 329. 796 Jenard-Bericht, 26; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 285; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 96; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 65; Schoibl, FS Sprung (2001) 328; Strobel, Internationales Privatrecht in der Strafprozessordnung am Beispiel der §§ 52, 395 und 406 StPO (2019), 287. 797 KOM(2010) 748 endg, 24 (Art. 5 Nr. 3 des Entwurfs). 798 Franzina, Diritto del commercio internazionale 2011, 789; Crespi Reghizzi in Pocar/Viarengo/Villata, Recasting Brussels I (2012) 173 ff. 799 A.A. Weller, GPR 2012, 330 f. 800 Zu möglichen Fällen vgl. Siehr, FS Martiny (2014) 848 f. 801 Siehr, FS Martiny (2014) 849.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände 2. Voraussetzungen 150
Gegenstand der Klage muss ein Kulturgut sein. Dieser Begriff wird durch Bezugnahme auf Art. 1 Nr. 1 Richtlinie 93/7/EWG802 im Ausgangspunkt unionsautonom definiert. „Kulturgut“ ist danach ein Gegenstand, der nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Verwaltungsverfahren i.S.d. Art. 36 AEUV als „nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert“ eingestuft wurde und entweder unter eine der im Anhang der Richtlinie genannten Kategorien fällt803 oder, wenn dies nicht der Fall ist, zu öffentlichen Sammlungen804 gehört, die im Bestandsverzeichnis von Museen, von Archiven oder von erhaltenswürdigen Beständen von Bibliotheken aufgeführt sind oder im Bestandsverzeichnis kirchlicher Einrichtungen aufgeführt ist. Die Verweisung auf Richtlinie 93/7/EWG ist Definitions-, nicht Rechtsgrundverweisung; unerheblich ist es daher, ob es sich um ein Kulturgut eines Mitglied- oder eines Drittstaates handelt.805 Über Kulturgüter hinaus für andere bewegliche Sachen ist die Vorschrift nicht analogiefähig.806 Ziel der Klage muss die Wiedererlangung sein. Das ist die Herausgabe des Besitzes am Kulturgut. Da diese Herausgabe eine Leistung ist, sind nach dem Wortlaut unmittelbar nur Leistungsklagen erfasst. Die systematische Kohärenz zu Nr. 1 und Nr. 2 gebietet es indes, auch (negative) Feststellungsklagen in den Anwendungsbereich dieses besonderen Gerichtsstands einzubeziehen.807 Grund der Klage muss ein zivilrechtlicher Anspruch sein. Dieses angesichts des ohnehin auf Zivil- und Handelssachen beschränkten Anwendungsbereichs der EuGVVO deklaratorische Merkmal stellt klar, dass aus dem Straf- oder Verwaltungsrecht rührende Ansprüche nicht der Nr. 4 unterfallen.808 Ebenso nur deklaratorisch ist daher auch ErwGr. 17 Satz 2 Brüssel Ia-VO, demzufolge auf Nr. 4 gestützte Klagen nach der Richtlinie 93/7/EWG eingeleitete Verfahren unberührt lassen. Der zivilrechtliche Anspruch muss sich zudem auf das Eigentum stützen. Possessorische und petitorische Besitzschutzansprüche auf Herausgabe sowie auf ein persönliches Recht gestützte Herausgabeansprüche können daher nicht im Kulturgütergerichtsstand geltend gemacht werden. 3. Rechtsfolgen
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Art. 7 Nr. 4 Brüssel Ia-VO regelt sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit. Sie wird der Natur als besonderem Gerichtsstand entsprechend zusätzlich am Ort der Belegenheit begründet (forum rei sitae). Forderungen nach einem Gerichtsstand am Ort der Herkunft (forum originis) oder am Ort des Diebstahls (forum loci furti) haben sich wegen der damit verbundenen praktischen Schwierigkeiten zu Recht nicht durchsetzen können.809 Da bei beweglichen Sachen anders als bei unbeweglichen Sachen die Belegenheit veränderlich ist, bedurfte es einer Festlegung des maßgeblichen Zeitpunkts: Das ist die Anrufung des Gerichts. Angesichts des insoweit eingeschränkten Wortlauts (vgl. „für die Zwecke dieses Abschnitts“) ist offen, ob hierfür die unionsautonome Festlegung in Art. 33 Brüssel Ia-VO oder die jeweilige lex fori Maß gibt; vor dem Hintergrund des Vereinheitlichungszwecks der EuGVVO verdient Ersteres den Vorzug.
802 Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern eines anderen Mitgliedstaates, ABl. EG 1993 L 74/74. 803 Beispiele sind archäologische Gegenstände, Denkmalbestandteile, Gemälde, Bücher, Archive, Sammlungen, wobei im Einzelnen bestimmte Mindestgrenzen für Alter und Wert gelten. 804 Als „öffentliche Sammlungen“ gelten diejenigen Sammlungen, die im Eigentum eines Mitgliedstaats, einer lokalen oder einer regionalen Behörde innerhalb eines Mitgliedstaats oder einer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gelegenen Einrichtung stehen, die nach der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats als öffentlich gilt, wobei dieser Mitgliedstaat oder eine lokale oder regionale Behörde entweder Eigentümer dieser Einrichtung ist oder sie zu einem beträchtlichen Teil finanziert. 805 Siehr, FS Martiny (2014) 840 f. 806 Zu Recht von Hein, RIW 2013, 103. 807 Im Ergebnis wie hier Siehr, FS Martiny (2014) 843 f. 808 Zu straf- und verwaltungsrechtlichen Rechtsbehelfen im Kulturgüterschutz s. Siehr, KUR 2012, 3 ff. 809 Vgl. dazu Siehr, FS Martiny (2014) 845 ff.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
VI. Gerichtsstand der Niederlassung (Nr. 5) 1. Allgemeines Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO eröffnet einen besonderen Gerichtsstand der Niederlassung, der mit dem 152 allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und den möglicherweise zur Verfügung stehenden Gerichtsständen der Art. 7 Nr. 1 und 2 Brüssel Ia-VO konkurriert. Dadurch sollen Geschäftspartner eines Unternehmens, die nur mit der Niederlassung außerhalb des Hauptsitzes zu tun gehabt haben, geschützt werden, indem ihnen der Gang zu ausländischen Gerichten erspart wird.810 Dem Niederlassungsinhaber kommen zwar die wirtschaftlichen Vorteile der Niederlassung zu, doch muss er hierfür zugleich den Nachteil der Gerichtspflichtigkeit für von diesem Ort aus vorgenommene Geschäfte tragen.811 Der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO unterscheidet sich vom Typus der übrigen Gerichtsstände des Art. 7 Brüssel Ia-VO, da in ihm nicht nur bestimmte, sondern alle auf den Betrieb der Niederlassung bezogene Streitigkeiten anhängig gemacht werden können. Er wird daher auch als „verkleinerter Wohnsitzgerichtsstand“ bezeichnet.812 Das ist freilich irreführend, da dem Grundsatz des „actor sequitur forum rei“ und dem Niederlassungsgerichtsstand unterschiedliche Schutzerwägungen zugrunde liegen.813 Er kann außerdem nicht mit der Gerichtspflichtigkeit aufgrund „doing business“ nach US-amerikanischem Recht814 gleichgesetzt werden, da für seine Begründung nicht schon anhaltende, beachtliche Aktivitäten im Forumstaat genügen, sondern es einer darüber hinaus reichenden Beziehung zum Niederlassungsstaat bedarf. Der Gerichtsstand gilt für Klagen gegen den Inhaber der Niederlassung, nicht gegen die Niederlas- 153 sung selbst. Für die Niederlassung begründet, sofern sie überhaupt parteifähig ist, ihr Sitz ihren allgemeinen Gerichtsstand nach Art. 4 Brüssel Ia-VO. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO ist daher nur anwendbar, wenn der Wohnsitz (Art. 62 f. Brüssel Ia-VO) des Niederlassungsinhabers in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem Klage erhoben werden soll, liegt. Handelt es sich um eine Niederlassung eines Unternehmens mit Hauptsitz in einem Drittstaat, bestimmt sich die Zuständigkeit hingegen nach autonomem Recht (Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO), in Deutschland nach § 21 ZPO. Ausnahmeregelungen finden sich in Art. 11 Abs. 2, 17 Abs. 2, 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Die verbleibenden Zuständigkeitslücken sind bedenklich.815 Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO dient dem Schutz der Geschäftspartner von Inhabern einer Niederlassung. Obwohl der Wortlaut eine solche Auslegung zuließe, erfasst Nr. 5 daher lediglich Klagen gegen den Inhaber der Niederlassung, nicht jedoch Klagen des Niedergelassenen oder Klagen der Niederlassung gegen das Stammhaus.816 Würde man auch Klagen des Inhabers der Niederlassung in den Anwendungsbereich der Nr. 5 fallen lassen, entstünde ein reiner Klägergerichtsstand, da Anknüpfungskriterium lediglich eine vom Kläger geschaffene Tatsache wäre. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO determiniert nicht nur die internationale, sondern zugleich die örtliche Zuständigkeit.
810 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 20; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 99. 811 OLG Rostock v. 18.3.2009 – 1 U 232/08, OLGR Rostock 2009, 588; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 229; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 296. 812 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 74; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 299; krit. Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess (2009) 155 f. 813 Zutr. Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess (2009) 155. 814 Vgl. dazu H. Müller, Die Gerichtspflichtigkeit wegen „doing business“ (1992); Schack, Einführung in das USamerikanische Zivilprozessrecht3 (2003) 27. 815 Rauscher, IPR 1854. 816 Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 101; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 298; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 100; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 21; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 230; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 42; Zöller/Geimer, Rz. 118; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 74; Dauses/Kreuzer/ Wagner/Reder, Kap. Q II Rz. 191; Hess, EuZVR § 6 Rz. 76.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände 2. Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung 155
Die Begriffe „Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung“ sind zur Sicherung einer einheitlichen Anwendung der Brüssel Ia-VO autonom auszulegen.817 Zweigniederlassung, Agentur und sonstige Niederlassung sind Unterbegriffe des Oberbegriffs „Niederlassung“, zwischen denen nicht differenziert wird.818 Dies wäre auch überflüssig.819 a) Begriff
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Um eine Niederlassung i.S.v. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO handelt es sich bei einem „Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit […], der auf Dauer als Außenstelle des Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, daß er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, daß diese, obgleich sie wissen, daß möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen, sondern Geschäfte an dem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit abschließen können, der dessen Außenstelle ist.“820 Die Niederlassung muss außerdem unter der Aufsicht und Leitung des Stammhauses stehen.821 Erforderlich ist einerseits eine Abgrenzung zur selbstständigen Gesellschaft und zum unselbstständigen Handeln.822 b) Niederlassung kraft Rechtsscheins
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Allein auf diese objektiv zu ermittelnden Merkmale kann es aber nicht ankommen. Häufig bleibt dem Geschäftspartner die innere Struktur des Unternehmens verborgen. Denn er kann als Außenstehender oft nicht erkennen, wer die Leitung und die Aufsicht über die Niederlassung tatsächlich innehat und ob sich diese dem Stammhaus unterordnet. Der EuGH geht daher bereits dann vom Vorliegen einer Niederlassung aus, wenn zwar nicht sämtliche objektiven Merkmale einer Niederlassung vorliegen, gegenüber Dritten jedoch hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Stammhaus und Außenstelle der Rechtsschein einer Niederlassung erweckt wurde.823 Ergibt sich aus der „Art und Weise, wie sich diese beiden Unternehmen im Geschäftsleben verhalten und wie sie sich Dritten gegenüber in ihren Handelsbeziehungen verhalten“, dass eine wie auch immer strukturierte Außenstelle wie eine Niederlassung für den Stammsitz gehandelt hat, so gilt sie auch als Niederlassung i.S.v. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO. Gerade bei Konzerngesellschaften kann dieser Eindruck entstehen; allzu leicht sollte die rechtliche Selbstständigkeit aber nicht überspielt werden.824 Das setzt freilich voraus, dass der Rechtsschein mindestens auch von dem vorgeblichen Stammhaus gesetzt wurde; notwendig ist die 817 EuGH v. 22.11.1978 – 33/78 – Somafer vs. Saar-Ferngas, EuGHE 1978, 2183 Rz. 8; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 102; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 75; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 20; Geimer/Schütze/ Paulus, Rz. 239. 818 Zum Begriff der Niederlassung im allgemeinen europäischen Zivilprozessrecht Leible/M. Müller, WRP 2013, 2. 819 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 241. 820 EuGH v. 22.11.1978 – 33/78 – Somafer vs. Saar-Ferngas, EuGHE 1978, 2183 Rz. 12; zuletzt EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 48 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien, RIW 2012, 630; EuGH v. 5.7.2018 – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 Rz. 59 – AB„flyLAL-Lithuanian Airlines“ in Liquidation vs. Starptautiska¯ lidosta ‚Rı¯ga‘VAS und Air Baltic Corporation AS, NZKart 2018, 357; EuGH v. 11.4.2019 – C-464/18, ECLI:EU:C:2019:311 Rz. 33 – ZX vs. Ryanair DAC, RIW 2019, 367; vgl. auch zu Art. 20 Abs. 2 BAG RIW 2013, 803 m. Anm. Mankowski, EWiR 2014, 63; zu Art. 91 Abs. 1 GMVO EuGH v. 18.5.2017 – C-617/15, ECLI:EU:C:2017:390 Rz. 37 – Hummel Holding A/S vs. Nike Inc und Nike Retail BV, RIW 2017, 439. 821 EuGH v. 6.10.1976 – 14/76 – de Bloos vs. Bouyer, EuGHE 1976, 1497 Rz. 20/22; EuGH v. 18.3.1981 – 139/80, ECLI:EU:C:1981:70 – Blanckaert und Willems vs. Trost, EuGHE 1981, 819 Rz. 9. 822 Leible/M. Müller, WRP 2013, 3. 823 EuGH v. 1.7.1987 – 216/86, ECLI:EU:C:1987:322 – SAR Schotte vs. Parfums Rothschild 1987, 4905 Rz. 17; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 244 f.; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 108; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 314; Gaudemet-Tallon (2015), Nr. 230; zu Art. 97 Abs. 1 GMVO EuGH v. 18.5.2017 – C-617/15, ECLI:EU:C:2017:390 Rz. 38 – Hummel Holding A/S vs. Nike Inc und Nike Retail BV, RIW 2017, 439. 824 Bedenklich weit OLG Düsseldorf v. 31.1.2012 – 20 U 175/11, GRUR-RR 2012, 200 Rz. 55 ff.; IPRspr. 2012, Nr. 234, 540 Rz. 31 ff.; vgl. demgegenüber LG Düsseldorf, IPRspr. 2012, Nr. 214a, 494 Rz. 39.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Zurechenbarkeit des Rechtsscheins.825 Wird z.B. die ausländische Tochter einer deutschen AG nach Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO in Deutschland in Anspruch genommen, bedarf es eines von ihr in zurechenbarer Weise verursachten Rechtsscheins, die deutsche AG sei ihre Niederlassung. Dass nur die deutsche AG diesen Anschein erweckt hat, reicht nicht aus.826 Zudem bedarf es einer schutzwürdigen Vertrauensdisposition im Sinne eines Vertrauendürfens und Vertrauthabens.827 c) Beispiele Wesentlich ist eine auf Dauer angelegte Tätigkeit an einem bestimmten Ort. Kurzfristige Arbeiten, 158 etwa bei Messen oder sonstigen Veranstaltungen, genügen nicht,828 genauso wenig die nur vorübergehende Errichtung von Betriebsstätten, etwa durch ausländische Bauunternehmen,829 oder von Verkaufsstellen ohne Geschäftsführung. Auch bloße Kontaktadressen (c/o) begründen noch keine Niederlassung, weil von ihnen keine selbstständige, auf Dauer angelegte geschäftliche Tätigkeit ausgeht;830 anders jedoch u.U. bei Angabe der einschlägigen Adresse auf Briefbögen oder Unterhaltung eines dem Besucherverkehr geöffneten Büros.831 Von einer Niederlassung ist jedenfalls auszugehen, wenn eine ausländische Gesellschaft die Gründung einer Niederlassung in Deutschland beschlossen, diese der Leitung ihres Vorstandsvorsitzenden unterstellt und die Niederlassung Werkverträge mit deutschen Firmen abgeschlossen hat. Dass der Antrag auf Eintragung der Niederlassung in das Handelsregister zurückgenommen und das Gewerbe am Sitz der Niederlassung abgemeldet wurde, schadet nicht, wenn die Niederlassung in Deutschland nicht aufgegeben, sondern tatsächlich nur in eine Nachbarstadt verlegt worden ist.832 Auch die Botschaft eines Staates kann eine Niederlassung sein,833 ebenso inländische Buchungsstellen eines ausländischen Luftfrachtführers.834 Keine Niederlassung sind regelmäßig bloße Lagereinrichtungen.835 Eine Niederlassung setzt eine Beaufsichtigung und Leitung durch das Stammhaus und damit einen gewissen Grad an Unselbstständigkeit voraus. Daran fehlt es bei Alleinvertriebshändlern, die selbstständig handeln und keiner Aufsicht und Leitung durch den Lieferanten unterstehen.836 Gleiches gilt für Handelsvertreter, die ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und ihre Arbeitszeit selbst bestimmen können (§ 84 Abs. 1 S. 2 HGB) und folglich nicht der Aufsicht und der Leitung des Stammhauses unterliegen. Der Sitz des Handelsvertreters ist daher i.d.R. keine Niederlassung i.S.v. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO.837 Ebenso ist für Handelsmakler (§§ 94 ff. HGB) zu entscheiden.838 Da Handelsvertreter und -makler Verträge mit Dritten für das Stammhaus abschließen oder vermitteln, kann der Gerichtsstand der Niederlassung nach Rechtsscheingrundsätzen jedoch immer dann eröffnet sein, wenn gegenüber dem Dritten der Anschein erweckt wird, das Stammhaus sei dem Handelsvertreter oder -makler gegenüber weisungsbefugt und dieser in die Geschäftsabwicklung einbezogen.839 825 826 827 828 829 830 831 832 833
834 835 836 837 838 839
LG Koblenz, IHR 2011, 145; Leible/M. Müller, WRP 2013, 4; a.A. wohl Schilf, IHR 2011, 184. OLG Koblenz, RIW 2006, 312. Leible/M. Müller, WRP 2013, 4. OLG Düsseldorf, IPRax 1998, 210; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 305. Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 96. LG Wuppertal v. 8.9.1993 – 2 O 25/93, NJW-RR 1994, 191; LG Koblenz, IHR 2011, 15. EuGH v. 22.11.1978 – 33/78 – Somafer vs. Saar-Ferngas, EuGHE 1978, 2183 Rz. 12 f.; OLG Rostock v. 18.3.2009 – 1 U 232/08, OLGR Rostock 2009, 588; ArbG Karlsruhe v. 2.2.2007 – Az 11 Ca 250/06; vgl. auch (sehr weitgehend) OLG Rostock v. 14.10.2005 – 8 U 84/04, NJW-RR 2006, 209. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2004, 1720. So zu Art. 20 Abs. 2 EuGVVO EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 48 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien, RIW 2012, 630 = IPRax 2013, 572 m. Bspr. Martiny, 536; vgl. dazu auch Dopagne, JDI 2013, 494; Junker, EuZA 2013, 83; Maseda Rodríguez, REDI 2013, 203; Migliorini, Riv. dir. int. 2012, 1089; Pataut, Rev. crit. dip. 2013, 223. Vgl. dazu Mettler, TranspR 2013, 55. Günes/Freidinger, IPRax 2012, 53. EuGH v. 6.10.1976 – 14/76 – de Bloos vs. Bouyer, EuGHE 1976, 1497 Rz. 20/22. EuGH v. 18.3.1981 – 139/80, ECLI:EU:C:1981:70 – Blanckaert und Willems vs. Trost, EuGHE 1981, 819 Rz. 12, 13. LG Hamburg, IPRspr. 1974 Nr. 154; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 80. Ähnlich Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 80; Mankowski, RIW 1996, 1005.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände 160
Tochterunternehmen sind selbstständige juristische Personen und handeln regelmäßig für sich selbst. Von einer gerichtsstandsbegründenden „Niederlassung“ des Mutterunternehmens kann daher grundsätzlich nicht ausgegangen werden.840 Wird aber der Anschein einer Außenstelle erweckt, etwa weil sich das Tochterunternehmen um die Abwicklung eines zwischen dem Mutterunternehmen und dem Dritten geschlossenen Vertrages kümmert, ist der Anwendungsbereich der Nr. 5 eröffnet.841 Das gilt im Übrigen auch umgekehrt, d.h. bei einem Auftreten des Mutter- als Außenstelle des Tochterunternehmens,842 eines Schwesterunternehmens als Außenstelle der anderen usw.843 Die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse innerhalb der Unternehmensgruppe ist dann ohne Bedeutung. Das Tochterunternehmen kann in derartigen Fällen am Sitz der Mutter bzw. eine Gesellschaft am Sitz ihrer Schwestergesellschaft verklagt werden. Die gleichen Grundsätze gelten im Übrigen nicht nur für das Verhältnis der Mutter- zur Tochtergesellschaft, sondern ebenso zu „Enkelgesellschaften“.844 3. Betriebsbezogene Streitigkeit
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Der Gerichtsstand der Niederlassung ist nur für betriebsbezogene Streitigkeiten eröffnet.845 Auch der Begriff „Streitigkeiten aus dem Betrieb“ der Niederlassung ist autonom auszulegen. Eine Definition gibt der EuGH im Urteil „Somafer/Saar-Ferngas“.846 Danach weisen folgende Streitigkeiten einen Bezug zum Betrieb der Niederlassung auf: Rechtsstreitigkeiten über vertragliche und außervertragliche Verpflichtungen in Bezug auf die eigentliche Führung der Niederlassung, wie etwa Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Vermietung des Grundstücks, auf dem sich die Niederlassung befindet, oder mit der am Ort vorgenommenen Einstellung des dort beschäftigten Personals;847 Rechtsstreitigkeiten über Verbindlichkeiten, welche die Niederlassung im Namen des Stammhauses abgeschlossen hat; darauf, dass sich der Erfüllungsort der Verbindlichkeit im Niederlassungsstaat befindet, kommt es nicht an;848 denn andernfalls wäre die Regelung der Nr. 5 überflüssig, da bereits Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO einen Gerichtsstand am Erfüllungsort eröffnet;849 Rechtsstreitigkeiten über außervertragliche Verpflichtungen, die aus der Tätigkeit der Niederlassung für Rechnung des Stammhauses am Niederlassungsort entstehen.850 Damit sind hauptsächlich deliktische Ansprüche gemeint. Bei Klagen wegen unerlaubter Handlung muss die Zweigniederlassung auf jeden Fall selbst an bestimmten Handlungen beteiligt sein, die Bestandteil der unerlaubten Handlung sind.851 Allerdings dürfte bei deliktischem Handeln der Niederlassung der Ort der Niederlassung häufig mit dem Handlungsort der unerlaubten Handlung zusammenfallen, so dass hier bereits der Gerichtsstand des 840 Leible/M. Müller, WRP 2013, 3; Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 107; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 81; zu Art. 82 Abs. 1 GGV auch LG Düsseldorf, IPRspr. 2012, Nr. 214a, 494 Rz. 36 ff.; a.A. zu Art. 82 Abs. 1 GGV OLG Düsseldorf, IPRspr. 2012, Nr. 234, 540 Rz. 22 ff. 841 EuGH v. 9.12.1987 – 218/86, ECLI:EU:C:1987:536 – SAR Schotte vs. Parfums Rothschild 1987, 4905 Rz. 14, 15, IPRax 1989, 96. Vgl. dazu auch LG Düsseldorf, IPRspr. 2015, Nr. 161, 385. 842 EuGH v. 9.12.1987 – 218/86, ECLI:EU:C:1987:536 – SAR Schotte vs. Parfums Rothschild 1987, 4905, IPRax 1989, 96. 843 Vgl. auch LG Darmstadt, BKR 2005, 287 = EWiR 2004, 1221 (Mankowski). 844 So (zu Art. 97 Abs. 1 GMVO) EuGH v. 18.5.2017 – C-617/15, ECLI:EU:C:2017:390 Rz. 39 – Hummel Holding A/S vs. Nike Inc und Nike Retail BV, RIW 2017, 439; vgl. dazu auch Stone, GRUR-Int. 2017, 915; Stone, JIPLP 2017, 642; Treppoz, D 2017, 471, sowie Eckert, Die Durchsetzung von Benutzungsverboten im Unionsdesign- und Unionsmarkenrecht (2019), 129 ff. 845 Vgl. z.B. OGH, ZfRV 2000, 79; OLG München, RIW 1999, 873. 846 EuGH v. 22.11.1978 – 33/78 – Somafer vs. Saar-Ferngas, EuGHE 1978, 2183 Rz. 13. 847 Kritisch Gaudemet-Tallon, (2015) Nr. 234. 848 Missverständlich noch EuGH v. 22.11.1978 – 33/78 – Somafer vs. Saar-Ferngas, EuGHE 1978, 2183 Rz. 13; unzutreffend daher LG Baden-Baden, IPRspr. 2013, Nr. 174, 376. 849 EuGH v. 6.4.1995 – C-439/93, ECLI:EU:C:1995:104 – Lloyd’s Register of Shipping vs. Société Campenon Bernard, EuGHE 1995 I 961 Rz. 16, 17. 850 Vgl. dazu auch Court of Appeal Dürbeck GmbH v. Den Norske Bank ASA [2003] 2 WLR 1296 m. krit. Bspr. Pulkowski, IPRax 2004, 543. 851 EuGH v. 5.7.2018 – C-27/17, ECLI:EU:C:2018:533 Rz. 63 – AB „flyLAL-Lithuanian Airlines“ in Liquidation vs. Starptautiska¯ lidosta ‚Rı¯ga‘ VAS und Air Baltic Corporation AS, NZKart 2018, 357 = EWiR 2018, 637 (Krüger). Vgl. dazu auch Scraback, GPR 2019, 69.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO eröffnet ist. Nicht kategorisch ausgeschlossen sind aber auch bereicherungsrechtliche Ansprüche sowie Ansprüche aus GoA.852 Offen ist allerdings, ob außervertragliche Verpflichtungen auch dann in Betracht kommen, wenn die Zuständigkeit nur auf den Rechtsschein einer Niederlassung (vgl. Rz. 157) gestützt ist.853 4. Maßgeblicher Zeitpunkt Die Niederlassung muss bereits zum Zeitpunkt des Entstehens der Verpflichtung bestanden haben; 162 denn nur dann handelt es sich um eine Streitigkeit aus dem Betrieb der Niederlassung. Irreführend ist es daher, wenn mitunter ganz allgemein auf den Moment der Klageerhebung bzw. der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt wird.854 Zutreffend daran ist allein, dass die Niederlassung zu diesem Zeitpunkt noch bestehen muss, also nicht aufgelöst worden sein darf („befindet“).855 Dass der Antrag auf Eintragung der Niederlassung in das Handelsregister zurückgenommen und das Gewerbe am Sitz der Niederlassung abgemeldet wurde, ist allerdings unschädlich, sofern die Niederlassung im jeweiligen Mitgliedstaat nicht aufgegeben, sondern tatsächlich nur in eine Nachbarstadt verlegt worden ist.856 Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die Niederlassung zwar vor Klageerhebung bzw. letzter mündlicher Verhandlung eröffnet, die Verpflichtung aber bereits zuvor begründet wurde; denn dann fehlt es an der notwendigen Verbindung zwischen Verpflichtung und Niederlassung. Ein schützenswertes Vertrauen des Klägers konnte nicht entstehen. Erst recht kann daher eine Niederlassungsbegründung nach Klageerhebung nicht genügen.857 5. Rechtsfolge Der Kläger muss schlüssig vortragen, dass der von ihm geltend gemachte Anspruch aus dem Betrieb der Niederlassung entstanden ist,858 und kann dann Klage gegen das Stammhaus bzw. den Inhaber der Niederlassung beim Gericht am Ort der Niederlassung erheben.
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VII. Gerichtsstand für trust-Klagen (Nr. 6) 1. Allgemeines Art. 7 Nr. 6 Brüssel Ia-VO fand mit dem 1. Beitrittsübereinkommen von 1978 Eingang in das EuGVÜ und wurde unverändert in die folgenden Verordnungen übernommen. Die Vorschrift trägt den Rechtsordnungen des Vereinigten Königreichs und Irlands Rechnung, in denen die Rechtsfigur des trust der Regelung treuhänderischer Rechtsverhältnisse dient.859 In den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen ist der trust hingegen unbekannt.860
852 A.A. LG Baden-Baden v. 10.9.2012 – 1 O 17/11, Rz. 31. 853 Leible/M. Müller, WRP 2013, 4. 854 So etwa BGH, RIW 2007, 874 = IPRax 2008, 128 m. krit. Bspr. Staudinger, 107 = WuB VII B Art. 15 EuGVVO 2.07 (Rauscher); OLG Saarbrücken v. 23.9.1980 – 5 U 110/80, RIW 1980, 799; OLG Düsseldorf, IPRax 1998, 211; Albers, 89; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Rz. 84. 855 BGH, RIW 2007, 874, OLG Köln v. 1.9.2006 – 19 U 65/06, OLGR Köln 2007, 224; Gottwald in MünchKomm/ ZPO Rz. 84; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 21; a.A. Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess (2009) 156 f. 856 OLG Düsseldorf, NJW-RR 2004, 1720; ebenfalls a.A., jedoch zu Art. 15 Brüssel Ia-VO, Staudinger, IPRax 2008, 108; WuB VII B Art. 15, EuGVVO 2.07 (Rauscher). 857 Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess (2009) 158; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 21; a.A. Zöller/Geimer, Rz. 125; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 84. 858 Vgl. OGH, ZfRV 2000, 79. 859 Näher Kötz, Trust und Treuhand (1963); vgl. auch Chlepas, Der englische Trust als Gestaltungsmittel im Zivil- und Steuerrecht (2008). 860 Daran ändert auch die Entwicklung von Grundregeln eines europäischen Trust-Rechts (vgl. dazu Hayton/ Kortmann/Verhagen (Hrsg.), Principles of European Trust Law (1999), deutsche Übersetzung in, ZEuP 1999, 745, sowie Hayton/Kortmann/Verhagen in Schulze/Ajani (Hrsg.), Gemeinsame Prinzipien des Europäischen Privatrechts [2003] 96 ff.) nichts. Zur französischen fiducie vgl. Gaudemet-Tallon (2015), Nr. 236-1.
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Art. 7 Brüssel Ia-VO Besondere Gerichtsstände 165
Ein trust entspricht funktional einer verdeckten Treuhand. Der Treuhänder (trustee) ist zwar Inhaber von Rechten, darf diese aber nur in der vom Begründer (settlor) bestimmten Weise zugunsten des Begünstigten (beneficiary) oder eines gesetzlich festgelegten Zweckes ausüben. Da der trust keine juristische Person, sondern ein Zweckvermögen ohne eigene Rechtspersönlichkeit ist, kann er auch nicht nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO an seinem „Sitz“ verklagt werden. Das bereitet im Außenverhältnis i.d.R. keine Probleme, weil stets der trustee als Rechtsinhaber auftritt. Er wird dann auch gerichtspflichtig, sei es nach Art. 4 Abs. 1 oder Art. 7 ff. Brüssel Ia-VO. Mietet etwa ein belgischer Mieter ein belgisches Grundstück, das Bestandteil eines englischen trust ist, richtet sich die Zuständigkeit für die Klage auf Besitzeinräumung nach Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO.861 Als unbefriedigend wurde dies hingegen mit Blick auf die Innenverhältnisse zwischen den trust-Beteiligten empfunden, etwa zwischen mehreren trustees oder einem trustee und dem/den Begünstigten.862 Zwar kommt auch hier z.B. eine Klage gegen den trustee an seinem allgemeinen Gerichtsstand in Betracht, doch lässt dieser die gewünschte Sachnähe vermissen, wenn etwa das Vermögen des trust im Vereinigten Königreich liegt und von dort auch verwaltet wurde, der trustee aber seinen Wohnsitz ins Ausland verlegt hat.863 Der Vertragsgerichtsstand (Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) setzt einen Vertrag voraus, während die Beziehungen der trust-Beteiligten (insb. zwischen trustee und Begünstigtem) meist gerade nicht durch Akte „freiwilliger Selbstbindung“ entstehen. Und schließlich sind die trustees i.d.R. nicht zum Abschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen befugt. Eine Bündelung der Zuständigkeiten kann daher auch nicht durch Vereinbarung nach Art. 25 Brüssel Ia-VO erreicht werden.864 Um dem Bedürfnis nach einem allgemeinen Gerichtsstand des trust Rechnung zu tragen, konzentriert Nr. 6 daher die aus den Innenverhältnissen resultierenden Streitigkeiten bei den als sachnah zu bewertenden Gerichten des Staates, in dem der trust seinen Sitz bzw. sein domicile hat. Der Gerichtsstand für trust-Klagen ist damit dem allgemeinen Gerichtsstand stark angenähert. Dass er gleichwohl in Art. 7 und nicht in Art. 4 Brüssel Ia-VO geregelt wurde, erklärt sich aus dem engen Anwendungsbereich der Vorschrift.865 2. Voraussetzungen a) Trust
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Eine autonome Qualifikation des Begriffs „trust“ kommt nicht in Betracht.866 Die Rechtsfigur des trust ist den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen fremd. Die Regelung ist eindeutig am angelsächsischen Recht ausgerichtet; der Begriff wurde nicht einmal in die anderen Gemeinschaftssprachen übersetzt. Maßgeblich kann daher nur sein, was nach angelsächsischem Rechtsverständnis unter einem trust zu verstehen ist,867 also eine Rechtsfigur, durch die der trustee gebunden wird, ihm übertragene Rechte zweckbestimmt zu nutzen.868 Der trust muss außerdem aufgrund eines Gesetzes, eines schriftlich vorgenommenen oder schriftlich bestätigten Rechtsgeschäfts begründet worden sein. Das deckt sich mit Art. 3 des Haager Trustübereinkommens,869 dessen Art. 2 ebenfalls wichtige Hinweise für die Qualifikation geben kann.870
861 862 863 864 865 866
867 868 869 870
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Schlosser-Bericht, Rz. 110. Schlosser-Bericht, Rz. 113. Beispiel im Schlosser-Bericht, Rz. 113. Schlosser-Bericht, Rz. 113. Schlosser-Bericht, Rz. 114. Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 303; Rauscher, IPR 1862; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 22; Conrad, Qualifikationsfragen des Trust im Europäischen Zivilprozessrecht (2001) 278 f.; wohl auch Hess, EuZPR § 6 Rz. 81; a.A. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 326; Geimer/Schütze/Auer, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 203, der aber die Begriffsbestimmung des UK und Irlands rezipieren möchte. Gomez v. Gomez-Monche Vives [2009] 2 WLR 950, 971 (CA). Henrich/Huber, Englisches Privatrecht (2003) 110. Ausf. zum Trust Bettien, StudZR 2012, 3. Convention of 1 July 1985 on the Law Applicable to Trusts and on their Recognition, in Kraft getreten am 1.1.1992. Das Übereinkommen gilt für Australien, Kanada, Italien, Luxemburg, Malta, Monaco, Niederlande, Schweiz, Vereinigtes Königreich, Liechtenstein und San Marino. Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 303.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 7 Brüssel Ia-VO
Aufgrund des Erfordernisses der Freiwilligkeit nicht erfasst werden implied oder resulting trusts, die durch vermuteten oder hypothetischen Parteiwillen entstehen,871 und ebenso wenig constructive trusts,872 die nicht aufgrund eines geschriebenen Gesetzes, sondern nach equity-Grundsätzen unmittelbar von Rechts wegen entstehen.873 Eine Ausnahme ist freilich zu machen bei resulting trusts, die in einem engen Zusammenhang mit rechtsgeschäftlich entstandenen trusts stehen.874 Vom Anwendungsbereich der Nr. 6 ausgenommen sind weiterhin trusts, deren Gegenstand nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO fällt, etwa erbrechtliche trusts und trusts des Insolvenzrechts.
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b) Inanspruchnahme des Beklagten als settlor, trustee oder beneficiary Der Beklagte muss als Begründer, trustee oder Begünstigter eines trust in Anspruch genommen wer- 168 den. Art. 7 Nr. 6 Brüssel Ia-VO erfasst folglich das Innenverhältnis der trust-Beteiligten, während sich die Zuständigkeit für das Außenverhältnis nach den allgemeinen Regeln richtet (vgl. Rz. 165). Eine Inanspruchnahme als beneficiary liegt auch dann vor, wenn von diesem durch den trustee zu viel gezahlte Beträge zurückgefordert werden.875 Der Begriff des trustee i.S.v. Art. 7 Nr. 6 Brüssel Ia-VO wird von den englischen Gerichten eng ausgelegt und erfasst nicht appointers, protectors oder andere Personen mit treuhänderischen Befugnissen.876 3. Rechtsfolge Zuständig sind die Gerichte des Staates, auf dessen Hoheitsgebiet der trust seinen Sitz hat. Anders als bei bestimmten gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten (Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) handelt es sich dabei jedoch um keine ausschließliche Zuständigkeit. Zur Bestimmung, ob der trust seinen Sitz bzw. sein domicile in dem Vertragsstaat hat, in dem Klage erhoben wurde, wendet das Gericht sein eigenes IPR an (Art. 63 Abs. 3 Brüssel Ia-VO).877 Zur Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit ist auf das nationale Prozessrecht zurückzugreifen.
169
VIII. Gerichtsstand für Berge- und Hilfslohn (Nr. 7) 1. Allgemeines Art. 7 Nr. 7 Brüssel Ia-VO wurde mit dem Beitritt des Vereinigten Königreichs, Dänemarks und Irlands in das EuGVÜ eingefügt und unverändert in die folgenden Verordnungen übernommen. Die Vorschrift trägt der besonderen Bedeutung seerechtlicher Fälle für das UK Rechnung.878 Indes war eine umfassende Regelung der internationalen Zuständigkeit angesichts des Brüsseler Übereinkommens über den Arrest von Seeschiffen879 nicht erforderlich, da dieses Übereinkommen auch auf Beklagte anzuwenden ist, die ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben, der dem Brüsseler Arrestübereinkommen nicht beigetreten ist. Die Regelung der Nr. 7 beschränkt sich daher allein auf die im 871 Henrich/Huber, Englisches Privatrecht (2003) 111; Gaudemet-Tallon, (2015) Nr. 238. 872 Schlosser-Bericht, Rz. 117; vgl. auch Collins J in Chellaram v. Chellaram (No 2) [2002] 3 AllER 17 (Ch. D.); Gomez, v. Gomez-Monche Vives [2009] 2 WLR 950, 968 (CA); Underhill/Hayton, Law of Trusts and Trustees17 (2007) 102.229. 873 Henrich/Huber, Englisches Privatrecht (2003) 111. 874 Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 307; vgl. etwa zu einem aufgrund Überzahlung entstandenen resulting trust Gomez v. Gomez -Monche Vives [2009] 2 WLR 950, 969 (CA) m. insoweit zust. Bspr. Hayton, Tru. L. I. 23 (2009), 3; a.A. Gomez v. Gomez-Monche Vives [2008] WLR (D) 50 (Ch. D.). 875 Gomez v. Gomez-Monche Vives [2009] 2 WLR 950, 969 (CA) m. insoweit zust. Bspr. Hayton, Tru. L. I. 23 [2009], 3; a.A. Gomez v. Gomez -Monche Vives [2008] WLR (D) 50 (Ch. D.). 876 Gomez v. Gomez -Monche Vives [2009] 2 WLR 950, 971 (CA) m. insoweit abl. Bspr. Hayton, Tru. L. I. 23 (2009) 3. 877 Vgl. sec 45 Civil Jurisdiction and Enforcement Act 1982 sowie Gomez v. Gomez-Monche Vives [2009] 2 WLR 950, 959 ff. (CA) und dazu Hayton, Tru. L. J. 23 (2009) 3. 878 Schlosser-Bericht, Nr. 121; zu den für das Seehandelsrecht relevanten Besonderheiten des englischen Prozessrechts vgl. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 261 f. 879 BGBl. 1972 II 653, 655.
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349
170
Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs Übereinkommen nicht gelöste Frage der gerichtlichen Zuständigkeit aufgrund einer Beschlagnahme von Ladung oder Fracht nach Bergung oder Hilfeleistung.880 Die Regelung der Nr. 7 soll sicherstellen, dass die Hauptsacheforderung nicht im allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten geltend gemacht werden muss, rechtfertigt sich daraus, dass ohne den Einsatz des Hilfeleistenden Ladung und Fracht oftmals verloren gewesen wären,881 und lässt daher ausnahmsweise die Hauptsache- der Arrestzuständigkeit folgen. Die Vorschrift regelt sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit und gilt für und gegen die Rechtsnachfolger von Gläubiger und Schuldner. 2. Voraussetzungen 171
Art. 7 Nr. 7 Brüssel Ia-VO setzt die Erbringung von Bergungs- oder Hilfeleistungsarbeiten zugunsten einer Ladung oder Frachtforderung voraus, für welche die Zahlung eines Hilfs- oder Bergungslohns begehrt wird. Der Kläger muss außerdem behaupten, dass dem Beklagten Rechte an der Ladung oder der Frachtforderung zustehen. Sämtliche Begriffe der Vorschrift sind autonom auszulegen.882 Entgeltansprüche, die aufgrund eines Vertrages zwischen dem Hilfeleistenden und dem Reeder entstanden sind, werden nicht von Nr. 7,883 sondern von Nr. 1 erfasst.884 Auf Ansprüche gegen den Hilfeleistenden ist Nr. 7 ebenfalls nicht anwendbar.885 In Betracht kommen kann jedoch Nr. 2, wenn dem Hilfsbedürftigen ein Schaden entstanden ist. Auf Nr. 7 können Klagen des Hilfeleistenden, nicht aber Klagen des Hilfsbedürftigen – etwa auf Feststellung, dass Berge- oder Hilfslohn nicht zu zahlen sind – gestützt werden. Ein solches Verständnis mag zwar dem „Gebot der Waffengleichheit“ entsprechen,886 lässt sich aber mit dem Zweck der Regelung – vereinfachte Durchsetzung von Ansprüchen des Hilfeleistenden – nicht in Einklang bringen.887 3. Rechtsfolge
172
Zuständig ist das Gericht, das einen Arrest über die Fracht oder Frachtforderung verhängt hat (lit. a) oder das zumindest hätte tun können, wenn nicht Sicherheiten geleistet worden wären (lit. b). Nr. 7 lit. a entspricht der Regelung des Brüsseler Arrestübereinkommens (Art. 7 Abs. 1 lit. b Brüssel IaVO). Hingegen findet lit. b im Übereinkommen kein Vorbild, sondern entspringt der praktischen Erfahrung, dass eine Arrestierung häufig nicht vorgenommen wird, weil Sicherheiten geleistet wurden.888
Artikel 8 [Gerichtsstand des Sachzusammenhangs] Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann auch verklagt werden: 1. wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten;
880 881 882 883 884 885 886 887 888
350
Schlosser-Bericht, Nr. 121; Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 265 f. Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 266. Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 125. Schlosser-Bericht, Rz. 123 aE. Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 125; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 95; Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 267. Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 24; Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 268. Kropholler/von Hein, Art. 5 a.F. Rz. 126. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 5 a.F. Rz. 351; Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 269. Schlosser-Bericht, Rz. 123.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
2. wenn es sich um eine Klage auf Gewährleistung oder um eine Interventionsklage handelt, vor dem Gericht des Hauptprozesses, es sei denn, dass die Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen; 3. wenn es sich um eine Widerklage handelt, die auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird, vor dem Gericht, bei dem die Klage selbst anhängig ist; 4. wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden und die Klage mit einer Klage wegen dinglicher Rechte an unbeweglichen Sachen gegen denselben Beklagten verbunden werden kann, vor dem Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die unbewegliche Sache belegen ist. I. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. III. 1. 2. 3. 4.
5. 6. 7.
Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klage gegen mehrere Beteiligte (Nr. 1) . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drittstaatenfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konnexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Missbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz eines Beklagten für alle Klagen . . . . . . . . . Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . Unzulässige und unbegründete Klagen . . . . Gerichtsstand der Gewährleistungs- oder Interventionsklage (Nr. 2) . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewährleistungs- oder Interventionsklage . . Zulässigkeitsvoraussetzungen des nationalen Verfahrensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit des Gerichts der Hauptklage für die Interventions- oder Gewährleistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anerkennung und Vollstreckbarkeit . . . . . . Missbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeitsvereinbarungen . . . . . . . . .
1 5 5 8 10 16 18 19 22 25 25 27 30
31 34 35 36
IV. Gerichtsstand der Widerklage (Nr. 3) . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit des Gerichts für die Hauptklage nach nationalem Recht . . . . . . . . b) Wohnsitz des Widerbeklagten in einem Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anhängigkeit der Hauptsache . . . . . . . . . . 4. Konnexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beachtlichkeit nationalen Rechts . . . . . . . . 6. Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache . . 7. Prozessaufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . V. Vertragsklagen im Zusammenhang mit dinglichen Klagen (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klage wegen eines dinglichen Rechts an einer unbeweglichen Sache . . . . . . . . . . . . . . . 4. Enger Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Identität von Kläger und Beklagtem . . . . . . 6. Zuständigkeit des Gerichts am Belegenheitsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37 37 38 38 39 40 41 43 44 45 48 48 49 50 51 52 53
Schrifttum: Adolphsen, Renationalisierung von Patentstreitigkeiten in Europa, IPRax 2007, 15; Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (1996); Althammer, Die Anforderungen an die „Ankerklage“ am forum connexitatis (Art. 6 Nr. 1 EuGVVO), IPRax 2006, 556; Althammer, Die Auslegung der Europäischen Streitgenossenzuständigkeit durch den EuGH – Quelle nationaler Fehlinterpretation?, IPRax 2008, 228; Álvarez González/Requejo Isidro, Litigación internacional sobre patentes en europa. el sistema de competencia judicial internacional interpretado por el TJCE (reflexiones tras las sentencias del TJCE de 13 de julio de 2006 en los casos GAT y ROCHE), ADI 27 (2006–2007), 661; Auer, Die internationale Zuständigkeit des Sachzusammenhangs im erweiterten EuGVÜ-System nach Art. 6 EuGVÜ (1996); Badelt, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-spanischen Rechtsverkehrs (2005); Banniza von Bazan, Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs im EuGVÜ, dem Lugano-Übereinkommen und im deutschen Recht (1995); Bodson, Le brevet européen est-il différent? L’arrêt Roche Nederland de la Cour de justice: vers une révision du règlement de Bruxelles en ce qui concerne la concentration de litiges transfrontaliers en matière de contrefaçon de brevets européens?, Revue de droit international et de droit comparé 2007, 447; Brand/Scherber, Art. 6 Ziff. 1 EuGVÜ und die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO, IPRax 2002, 500; Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998); Busse, Aufrechnung bei internationalen Prozessen vor deutschen Gerichten, MDR 2001, 729; Coester-Waltjen, Die Bedeutung des Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ, IPRax 1992, 290; Coester-Waltjen, Die Aufrechnung im internationalen Zivilprozessrecht, in FS Gerhard Lüke (1997) 35; Coester-Waltjen, Konnexität und Rechtsmissbrauch – zu Art. 6 Nr. 1 EuGVVO, in FS Kropholler (2008) 747; de Lamberty-Autrand, La connexité dans le règlement Bruxelles I du 22 décembre 2000 á la lumière de la jurisprudence de la Cour de Justice de Communautés Européennes, RHDI 61 (2008), 413; Demuth, Die Widerklage in der CMR, in FS Karl-Heinz Thume (2008), 133; Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage unter besonderer Berücksichtigung des Euro-
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Art. 6 Nr. 1 EuGVO und das Schicksal der Wohnsitzklage, in FS Konstantinos Kerameus (2009), 459; Gruber, Ungeklärte Zuständigkeitsprobleme bei der Prozessaufrechnung, IPRax 2002, 285; Hackbarth, Der internationale Gerichtsstand der EU-Streitgenossenschaft im Gemeinschaftsmarken- und Gemeinschaftsgeschmacksmusterrecht, MarkenR 2015, 413; Harms, Der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs (Art. 6 Nr. 1 EuGVVO) bei kartellrechtlichen Schadensersatzklagen, EuZW 2014, 129; Harris, The Brussels I Regulation, the ECJ and the Rulebook, LQRev 124 (2008), 523; Hölder, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im europäischen Patentverletzungsprozess, MittPat 2005, 208; von Hoffmann/Hau, Probleme der abredewidrigen Streitverkündung im Europäischen Zivilrechtsverkehr, RIW 1997, 89; Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1998); Knaak, Internationale Zuständigkeiten und Möglichkeiten des forum shopping in Gemeinschaftsmarkensachen – Auswirkungen der EuGH-Urteile Roche Niederlande und GAT/LUK auf das Gemeinschaftsmarkenrecht, GRUR-Int. 2007, 386; Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung (2010); Knöfel, Gerichtsstand der prozessübergreifenden Streitgenossenschaft gem. 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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
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I. Allgemeines Art. 8 Brüssel Ia-VO schafft weitere besondere Zuständigkeiten, die es dem Kläger erlauben, den Beklagten aus Gründen des Sachzusammenhangs an einem anderen Ort als dem seines Wohnsitzes zu verklagen. Ihm wird die Möglichkeit gegeben, im Zusammenhang stehende Klagen vor ein und dasselbe Gericht zu bringen, um einander widersprechende Entscheidungen mehrerer Gerichte zu vermeiden. Art. 8 Brüssel Ia-VO ist als Ausnahme zum Wohnsitzgerichtsstand eng auszulegen.1 Insbesondere hat die Aufzählung in Art. 8 Brüssel Ia-VO abschließenden Charakter.2 Ein allgemeiner Gerichtsstand des Sachzusammenhangs ist der Brüssel Ia-VO fremd und lässt sich auch nicht aus Art. 30 Abs. 3 Brüssel Ia-VO herleiten.3
1
Auf Versicherungs-,4 Verbraucher- und Arbeitssachen war Art. 6 Brüssel I-VO a.F. nicht anwendbar, da die Regelungen in den Abschnitten 3, 4 und 5 nicht nur besonderen, sondern abschließenden Charakter haben.5 ZT fanden sich dort immerhin Art. 8 Brüssel Ia-VO entsprechende Regelungen.
2
1 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 – Profit Investment SIM SpA in Liquidation vs. Stefano Ossi u.a., EuZW 2016, 419 Rz. 63 m.w.N. 2 Allgemein zu den Zuständigkeiten des Kapitels II EuGH v. 27.10.1998 – C 51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 16; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 1. 3 EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 – Elefanten Schuh vs. Jacqmain, EuGHE 1981 1671 Rz. 19; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 2; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 1. 4 Um keine Versicherungssache i.S.v. Art. 8 Brüssel Ia-VO handelt es sich z.B. bei einer Klage auf Gewährleistung zwischen Versicherern, die auf eine Mehrfachversicherung gestützt wird, vgl. EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 – GIE Réunion européenne u.a. vs. Zurich España und Soptrans, 2005 I 4509 Rz. 24. 5 So zu den Regelungen für Arbeitsverträge EuGH v. 22.5.2008 – C-462/06, ECLI:EU:C:2008:299 – Glaxosmithkline und Laboratoires Glaxosmithkline vs. Jean-Pierre Rouard, EuGHE 2008 I 3965 Rz. 18 = IPRax 2009, 418 m. abl. Bsp. Krebber, 409 = Rev. crit. dip. 97 (2008) 849 m. Anm. Jault-Seseke = Petites affiches n°64/2009, 3 m. Anm. Archer = EuZW 2008, 369 m. Anm. Sujecki = EWiR Art. 18 EuGVVO 1/08 (Mankowski). Vgl. außerdem die Bspr. von Franzina, NGCC 2008, 1093; Frodl, ÖJZ 2009, 935; Harris, LQRev 124 (2008) 523; Marino,
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs Diese decken sich freilich bei weitem nicht mit Art. 8 Brüssel Ia-VO. Zudem kann eine Verweigerung der Zuständigkeiten des Art. 8 Brüssel Ia-VO dazu führen, dass den als prozessual schutzbedürftig angesehenen Personengruppen der Versicherten, Verbraucher, Arbeitnehmer etc. für sie günstige Gerichtsstände vorenthalten werden. Umgekehrt könnte die Möglichkeit eines Rekurses auf Art. 8 Brüssel Ia-VO allerdings auch die Gefahr begründen, dass der Vertragsgegenseite ein den Schutzzwecken der Art. 10 ff., 17 ff. und 20 ff. Brüssel Ia-VO zuwiderlaufender Gerichtsstand zur Verfügung steht. Eine Auslegung dahingehend, dass die Gerichtsstände des Art. 8 Brüssel Ia-VO lediglich den in den Abschnitten 3, 4 und 5 geschützten Personengruppen, nicht aber der Vertragsgegenseite offen stehen, ließe sich aber nur schwer mit dem Wortlaut von Art. 8 Brüssel Ia-VO in Einklang bringen und geht nach Ansicht des EuGH „über den Interessenausgleich hinaus, den der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem gegenwärtigen Rechtszustand geschaffen hat“.6 Eine Änderung konnte daher allein der Gesetzgeber herbeiführen. 2a
Der Heidelberg Report hielt zwar (mit Blick allein auf Arbeitsverträge) Änderungen nicht für notwendig,7 konnte aber Glaxosmithkline noch nicht berücksichtigen. Der Bericht der Kommission8 und auch das Grünbuch9 sprachen das Problem immerhin an. In der Neufassung der Brüssel Ia-VO ist jedoch mit Blick auf Versicherungs- und Verbraucherverträge insoweit alles geblieben wie gehabt. Zu einer Änderung kam es indes für Arbeitsverträge, durch die die Glaxosmithkline-Rechtsprechung des EuGH korrigiert werden sollte. Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO lässt für Klagen gegen den Arbeitgeber nunmehr ausdrücklich einen Rückgriff auf Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu (ausf. Art. 20 Rz. 3 f.) und ermöglicht es damit, mehrere Arbeitgeber mit Sitz in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten als Streitgenossen zu verklagen.10
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Wurde durch Parteivereinbarung die ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts begründet (Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO) oder besteht eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Brüssel IaVO, scheidet eine Anwendung von Art. 8 Brüssel Ia-VO ebenfalls aus.
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Art. 8 Brüssel Ia-VO setzt voraus, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat. Ob sich Wohnsitz- und Gerichtsstaat voneinander unterscheiden müssen, geht aus Art. 8 nicht hervor (vgl. im Unterschied dazu die einleitenden Worte des Art. 7 Brüssel Ia-VO). Nach zutreffender Auffassung ist die Wortgruppe „in einem anderen Mitgliedstaat“ in Art. 8 Brüssel Ia-VO hineinzulesen. Art. 8 Brüssel Ia-VO ist daher nicht anwendbar, wenn Wohnsitz- und Gerichtsstaat zusammenfallen (vgl. aber auch Rz. 6).11 Für ein solches Verständnis spricht auch der Jenard-Bericht. Danach zählen die Art. 7 und 8 Brüssel Ia-VO „eine Reihe von Fällen auf, in denen eine Person im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaates als dem ihres Wohnsitzstaates verklagt werden kann“.12
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Contratto e impresa/Europa 2009, 285; Polak, Ars aequi 2008, 641; Rödl, EuZA 2009, 385; Wittwer, ELR 2008, 310 sowie die Vorlageentscheidung Cass. Bull. civ. 2006 V n° 323 m. Bspr. Mankowski, EuZA 2008, 104. Zu Versicherungssachen vgl. OGH EuLF 2009, II-98. Allg. Winter, 39 f. Zu Verbrauchersachen vgl. OLG Frankfurt, IPRspr. 2012, Nr. 204, 471 Rz. 13. EuGH v. 22.5.2008 – C-462/06, ECLI:EU:C:2008:299 – Glaxosmithkline und Laboratoires Glaxosmithkline vs. Jean-Pierre Rouard, EuGHE 2008 I 3965 Rz. 32; a.A. Hess, EuZVR § 6 Rz. 83 in Fn. 399; Krebber, IPRax 2009, 412; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 11 f.; vgl. auch Cass. Bull. civ. 2008 V n° 168. Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I Regulation 44/2001 (2008) Rz. 314 und 315. Europäische Kommission, Bericht an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM (2009) 174, 11. Grünbuch Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM (2009) 175, 11. LAG Berlin-Brandenburg, NZI 2018, 662 Rz. 17; LAG Hamm v. 6.4.2018 – 1 Sha 8/18 Rz. 21. GA Ruiz-Jarabo Colomer, C-103/05 – Reisch Montage vs. Kiesel Baumaschinen, EuGHE 2006 I 6827 Rz. 27; Kropholler/von Hein, vor Art. 5 a.F. Rz. 4; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1; Gaudemet-Tallon5, Nr. 247; a.A. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 9. Jenard-Bericht, 22.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
II. Klage gegen mehrere Beteiligte (Nr. 1) 1. Allgemeines Nr. 1 eröffnet einen besonderen Gerichtsstand für den Fall, dass mehrere Personen zusammen verklagt werden13 und die Klagen in einer besonders engen Verbindung stehen („Mehrparteiengerichtsstand“14 oder „Gerichtsstand der (passiven) Streitgenossenschaft“15). Die Vorschrift greift hingegen nicht, wenn mehrere Kläger gemeinschaftlich klagen wollen.16 Ihr Anwendungsbereich ist nicht auf eine bestimmte Klageart beschränkt. Erfasst werden sowohl Leistungs- als auch Feststellungs- und Gestaltungsklagen.17
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Determiniert wird neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit („Gericht des Or- 6 tes“).18 Eine Klageerhebung an einem vom allgemeinen Gerichtsstand abweichenden besonderen Gerichtsstand ist nicht möglich,19 erst recht nicht an einem nur mit einem der Beklagten vereinbarten.20 Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO setzt außerdem die Unterschiedlichkeit von Gerichts- und Wohnsitzstaat voraus (vgl. Rz. 4). Fraglich ist freilich, ob das bei mehr als zwei Beklagten für jeden von ihnen zu fordern ist. Das ist zu verneinen, sind doch überzeugende Gründe, warum bei einer Klage gegen zwei in Deutschland (Hamburg und Berlin) wohnhafte und eine in Spanien (Madrid) ansässige Person die beiden Deutschen zwar in Madrid verklagt werden können, bei einer Klage in Hamburg aber nur der Spanier, nicht jedoch der Berliner über Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO in das Verfahren einbezogen können werden soll, nicht ersichtlich. Auch in diesem Fall muss Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO die örtliche Zuständigkeit bestimmen, lässt sich doch andernfalls das von Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO verfolgte Ziel der Konzentration des Verfahrens am Sitz eines der Beklagten nicht erreichen, sofern nicht das nationale Recht eine solche Konzentration zulässt. Einen Rückgriff auf das nationale Recht will Art. 8 Brüssel Ia-VO aber möglichst vermeiden.21 Ersterer ist allein zulässig, wenn alle „Streitgenossen“ im Gerichtsstaat ansässig sind, da es dann am ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Klage in einem anderen Mitgliedstaat fehlt (vgl. Rz. 4). Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO lässt sich in derartigen Konstellationen nicht fruchtbar machen.22 Einschlägig ist dann allein Art. 4 Brüssel Ia-VO. In diesem – und nur in diesem23 – Fall kann das örtlich zuständige Gericht nach § 36 ZPO bestimmt werden.24
13 Zur Frage, ob dazu auch zwei separate Klagen zählen, vgl. Munib Masri v. Consolidated Contractors International (High Ct.) EuLF 2005, II-170 m. Anm. Osona. 14 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 4. 15 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 2; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 112; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 9. 16 Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis (2005) 51; Geimer, WM 1979, 356 f.; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR, Art. 6 a.F. Rz. 14; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 5. 17 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 5; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 11; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 2. 18 Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (1996) 116; Geimer, WM 1979, 357; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 7; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2; Winter, 41. 19 EuGH v. 11.10.2007 – C-98/06, ECLI:EU:C:2007:595 – Freeport plc. vs. Olle Arnoldsson, EuGHE 2007 I 8319 Rz. 48. 20 Rauscher, IPR Rz. 1868. 21 Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis (2005) 68 ff.; Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 14; Rauscher, IPR Rz. 1872; a.A. Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (1996) 124; Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 100 f.; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 2. 22 Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 100 f.; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 2; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 15; a.A. KG, IPRax 2002, 515 m. zust. Bspr. Brand/Scherbes, 500; HG Zürich Bl., ZürchRspr. 102 (2003) Nr. 35; wohl auch Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 14. 23 Vgl. dazu Schurig, FS Musielak (2004) 499 f.; a.A. BayObLG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, RIW 1997, 597, das eine Gerichtsstandsbestimmung auch bei im In- und Ausland ansässigen Beklagten mit Blick auf den ausländischen Beklagten für zulässig hält; vgl. auch BayObLG ZUM 2004, 673; OLGR 2005, 345. 24 Wenigstens im Ergebnis ebenso KG, IPRax 2002, 515.
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs 7
Eine Nr. 1 entsprechende Zuständigkeit war in einigen Unterzeichnerstaaten des EuGVÜ bekannt und fand sich auch in mehreren bilateralen Abkommen.25 Dem deutschen Recht ist die Streitgenossenschaft zwar nicht fremd (§§ 59 ff. ZPO), doch kann der Kläger Streitgenossen i.d.R. nur zusammen verklagen, wenn ihm hierfür ein besonderer Gerichtsstand (unerlaubte Handlung etc.) zur Verfügung steht. Ein dem Art. 6 Nr. 1 Brüssel Ia-VO vergleichbarer Gerichtsstand existiert lediglich für Sonderfälle (§ 35a ZPO; §§ 603 Abs. 2, 605a ZPO; § 56 Abs. 2 S. 2 LuftVG). Ist auch ein solcher Sonderfall nicht gegeben, muss das zuständige Gericht erst durch ein höheres Gericht bestimmt werden (§ 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Das setzt indes voraus, dass die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für jeden einzelnen Streitgenossen gegeben ist.26 Gerichtsstandsvereinbarungen können hier zu unliebsamen Überraschungen führen.27 2. Drittstaatenfälle
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Werden mehrere Personen zusammen verklagt, kann bei Konnexität die Klage vor dem Gericht am Wohnsitz eines der Beklagten erhoben werden. Der Wohnsitz des Erstbeklagten muss jedoch in einem Mitgliedstaat liegen. Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO erlaubt es nicht, eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht, bei dem eine Klage gegen einen Mitbeklagten mit Wohnsitz außerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats anhängig ist, mit der Begründung zu verklagen, dass der Rechtsstreit unteilbaren und nicht nur zusammenhängenden Charakter habe.28 Würde Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO auch auf Fälle erstreckt, in denen die Klage zwar in einem Mitgliedstaat, nicht aber in einem Wohnsitzmitgliedstaat erhoben wurde, könnte das durch die Brüssel Ia-VO angestrebte Ziel der Rechtssicherheit nicht erreicht werden. Dem Beklagten mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat wäre der durch die Brüssel Ia-VO gewährte Schutz genommen.29 Es bedarf daher stets einer anderen gerichtsstandsbegründenden Zuständigkeitsnorm. Ansonsten bleibt nur eine separate Klage im allgemeinen Gerichtsstand (Art. 4 Brüssel IaVO).
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Umstritten war lange, ob umgekehrt nach Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO gegen einen Beklagten mit Wohnsitz in einem Drittstaat Klage am Gericht des Wohnsitzes eines in einem Mitgliedstaat ansässigen Beklagten erhoben werden kann.30 Der EuGH hat diese Frage inzwischen verneint.31 Er beruft sich dafür auf den Wortlaut der Vorschrift, das systematische Gebot einer engen Auslegung der besonderen Gerichtsstände und einen Umkehrschluss zu Art. 22 und 23 Brüssel Ia-VO a.F. Diese Argumentation ist zwar formal richtig, aber materiell nur von begrenzter Überzeugungskraft, führt sie doch zu einer Privilegierung von Personen mit Wohnsitz in einem Drittstaat. Sie werden nicht nach Nr. 1 gerichtspflichtig, während sich in einem Mitgliedstaat Ansässige der Klage am allgemeinen Wohnsitz eines anderen Beklagten nicht entziehen können. Indes: Mochte man bisher noch überzeugend vertreten
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Jenard-Bericht, 26. BGH, NJW 1971, 196; BGH v. 17.9.1980 – IVb ARZ 557/80, NJW 1980, 2646. Schack, Rz. 408. EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 52; Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis (2005) 73; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 6; Koch, IPRax 2000, 188. 29 EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 46. 30 Bejahend OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 Rz. 38; Geimer, WM 1979, 357; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 4 ff.; Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 16; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 6; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 7; Schack, Rz. 411; Thiele, RIW 2002, 700; a.A. OLG Hamburg, IPRspr. 1992 Nr. 193, 478; LG Düsseldorf v. 9.9.2011 – 14c O 194/11; Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 95; Gaudemet-Tallon5, Nr. 247; Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis (2005) 75 f.; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts (2002) Rz. 460; Wieczorek/Schütze/ Garber/Neumayr, Rz. 61; Vogenauer, IPRax 2001, 256 f.; Winter, 30 ff. 31 EuGH v. 11.4.2013 – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 – Land Berlin vs. Ellen Mirjam Sapir u.a., NJW 2013, 1661 m. Anm. Dietze, EuZW 2013, 506 = Rev. crit. dip. 103 (2014) 111 m. Anm. Laazouzi, 118; Wais, LMK 2013, 347220. Vgl. auch die zustimmende Bspr. von Lund, IPRax 2014, 144 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
können, Ziel der Brüssel Ia-VO könne kaum eine Besserstellung von Personen mit Wohnsitz in einem Drittstaat sein,32 so kann dies nunmehr nur noch zur Kritik de lege ferenda eignen. Denn dem Reformverordnungsgeber lag ein Vorschlag zur umfassenden Einbeziehung von Drittstaatenfällen in den Anwendungsbereich der EuGVVO vor, von dem letztlich insoweit nur punktuelle Erweiterungen (vgl. z.B. Art. 18 Abs. 1, 25 Abs. 1, 33 f. Brüssel Ia-VO) umgesetzt wurden. 3. Konnexität Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO verlangt als weitere Voraussetzung, „zwischen den Klagen eine so enge Be- 10 ziehung […], dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten“. Diese Formulierung fand erst im Zuge der Überführung des EuGVÜ Eingang in die Brüssel Ia-VO, stellt aber keine inhaltliche Neuerung dar, sondern „entspricht der Auslegung des EuGH33 zu diesem Artikel“.34 Verhindert werden soll eine ungebührliche Zuständigkeitsausdehnung, die es ermöglicht, eine Klage nur zu dem Zweck zu erheben, einem der Beklagten die Zuständigkeit seines Wohnsitzstaates zu entziehen.35 Eine Konkretisierung der engen Verbindung ist von der Rechtsprechung bislang noch nicht erbracht worden.36 Rechtsprechung des EuGH ist zwar vorhanden, doch steckt sie den Rahmen des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO bei weitem nicht präzise ab.37 Klar ist mittlerweile allenfalls, dass die Konkretisierung auf jeden Fall autonom und ohne Rückgriff auf das nationale Recht38 zu erfolgen hat. Das schließt es freilich nicht aus, etwa der Umschreibung der notwendigen Streitgenossenschaft in § 60 ZPO Anhaltspunkte zu entnehmen,39 sofern man sich stets vergegenwärtigt, dass ihnen kein Absolutheitscharakter zukommt. Zurückgegriffen werden kann außerdem auf die zu Art. 30 Abs. 3 Brüssel Ia-VO ergangene Rechtsprechung (vgl. Art. 30 Rz. 4), wobei freilich zu bedenken ist, dass die Parallelen zwischen Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO und Art. 30 Brüssel Ia-VO begrenzt sind und aufgrund der Unterschiedlichkeit der berührten Interessen viel dafür spricht, die Voraussetzungen des notwendigen Zusammenhangs in Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO enger als in Art. 30 Brüssel Ia-VO zu umschreiben40 und dahin zu verstehen, dass für Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO „mindestens ein ebensolcher Zusammenhang bestehen muss“.41 Von einem hinreichenden Zusammenhang kann nach hier vertretener Auffassung ausgegangen werden, wenn die Klagen auf demselben rechtlichen Grund beruhen oder sich auf denselben tatsächlichen Gegenstand beziehen oder jeweils von der Entscheidung derselben Frage abhängen.42 Der EuGH formuliert dies hingegen lediglich negativ und wohl auch enger, wenn er meint, dass Entscheidungen nicht schon deswegen als einander widersprechend betrachtet werden können, weil es zu einer abweichenden Entscheidung des Rechtsstreits kommt; vielmehr müsse diese Abweichung bei der-
32 So etwa Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 6. 33 Vgl. EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988, 5565 Rz. 13; EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 48 ff.; Jenard-Bericht, 26; Geimer, WM 1979, 358. 34 KOM (1999) 348, 15. 35 Jenard-Bericht, 26; Gaudemet-Tallon5, Nr. 248. 36 Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 128; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 9. 37 Zutr. Althammer, IPRax 2008, 230; Gaudemet-Tallon5, Nr. 248. 38 So noch OGH, ZfRV 2002, 23; Cour d’Appel Paris, RIW 1989, 569 m. Anm. Sterzing; Tribunale die Genova Riv. dir. int. priv proc 1983, 385. 39 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 35; Gottwald, IPRax 1989, 272; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 9; Wieczorek/ Schütze/Hausmann, 3. Aufl. Art. 6 EuGVÜ Rz. 60; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 10; krit. Schurig, FS Musielak (2004) 511; dazu auch Linke/Hau, Rz. 5.64. 40 So tendenziell auch GA Léger, C-539/03 – Roche Nederland u.a. vs. Frederick Primus und Milton Goldberg, EuGHE 2006 I 6535 Rz. 80 ff.; offen gelassen von EuGH v. 13.7.2006 – C-539/03, ECLI:EU:C:2006:458 – Roche Nederland u.a. vs. Frederick Primus und Milton Goldberg, EuGHE 2006, I 6535 Rz. 25. 41 Schurig, FS Musielak (2004) 505; ebenso Althammer, IPRax 2008, 230; vgl. auch Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht (2010) 99. 42 Überzeugend Schurig, FS Musielak (2004) 522.
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs selben Sach- und Rechtslage auftreten.43 Dabei handelt es sich um kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen.44 Bejaht hat der EuGH diese Voraussetzungen z.B. zu Recht in dem Fall, dass aufgrund einer irrtümlichen Zuvielüberweisung Rückforderungsansprüche aus Bereicherungs- und Deliktsrecht geltend gemacht wurden.45 An der einheitlichen Sach- und Rechtslage fehlt es dagegen, wenn die Ansprüche auf voneinander unabhängige Vertragsverhältnisse gestützt werden.46 Allein die Möglichkeit der Auswirkung des Ergebnisses des einen Verfahrens auf das Ergebnis des anderen Verfahrens begründet hingegen nicht die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen. Dieselbe Sach- und Rechtslage muss gerade mit Blick auf die „Tatbestandsseite“ der jeweiligen Verfahren vorliegen.47 11
Der Bericht zum EuGVÜ erwähnt beispielhaft Gesamtschuldner.48 Konnexität kann außerdem z.B. bei Fällen der Rechtsgemeinschaft (Miteigentümer, Gesamthandsberechtigte),49 der gemeinsamen Verpflichtung (Gesamtschuldnerschaft,50 Teilschuldnerschaft51), der akzessorischen Haftung (persönlich haftender Schuldner und Eigentümer der dinglich haftenden Sache; Hauptschuldner und Bürge)52 sowie dem Vorliegen gleichartiger rechtlicher oder tatsächlicher Gründe53 gegeben sein. Letzteres kann etwa der Fall sein, wenn gegen einen inländischen Anlageberater und eine im EU-Ausland ansässige darlehensgebende Bank Ersatzansprüche wegen eines teilfinanzierten Anteilserwerbs geltend gemacht werden und die Vorwürfe gegen beide Beklagte die Fehlerhaftigkeit der Produktinformation sowie des Emissionsprospekts voraussetzen.54 In Kündigungsschutzverfahren ist von Konnexität etwa bei der Einbeziehung von Betriebserwerbern auszugehen.55 Keine Konnexität soll hingegen bei Klagen gegen Betreiber von elektronischen Plattformen und denjenigen, die dort rechtsverletzende Inhalte veröffentlichen, bestehen.56 Zweifelhaft erscheint, ob gleichartige rechtliche oder tatsächliche Einwendungen seitens der Beklagten die Konnexität (mit-)begründen können.57 43 EuGH v. 13.7.2006 – C-539/03, ECLI:EU:C:2006:458 – Roche Nederland u.a./Frederick Primus und Milton Goldberg, EuGHE 2006 I 6535 Rz. 26; EuGH v. 11.10.2007 – C-98/06, ECLI:EU:C:2007:595 – Freeport plc. vs. Olle Arnoldsson, EuGHE 2007 I 8319 Rz. 40 = NJW 2007, 3702 m. Anm. Sujecki = RIW 2008, 67 m. Anm. Würdinger = IPRax 2008, 253 m. Bspr. Althammer, 228 = EWiR Art. 6 EuGVVO 1/07 (Knöfel) = ZZPInt 12 (2007), 212 m. Anm. Würdinger; vgl. auch die Bspr. von Polak, Ars aequi 2007, 990; Saf, Europarättslig tidskrift 2008, 477; Scott, L.M.C.L.Q. 2008, 113; Wittwer, ELR 2007, 464. Nachfolgend weiterhin EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13 – Profit Investment SIM SpA in Liquidation vs. Stefano Ossi u.a., ECLI:EU:C:2016:282 EuZW 2016, 419 m. Anm. Müller, Rz. 65. 44 Hess, EuZVR § 6 Rz. 85. 45 EuGH v. 11.4.2013 – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 – Land Berlin vs. Ellen Mirjam Sapir u.a., NJW 2013, 1661. 46 OLG Frankfurt v. 1.8.2013 – 11 AR 234/12 Rz. 61 ff. 47 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 Rz. 66 – Profit Investment SIM SpA in Liquidation vs. Stefano Ossi u.a., EuZW 2016, 419 m. Anm. Müller = EWiR 2016, 547 (Mankowski); vgl. dazu auch Kleiner, JDI 2017, 585; Melcher, GPR 2017, 246. 48 Jenard-Bericht, 26. 49 Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 128. 50 BayObLG, NJW-RR 2006, 211; ZUM 2004, 673; OLG Brandenburg v. 18.2.2016 – 12 U 118/15, IPRax 2018, 409 Rz. 23 m. Bspr. Staudinger/Friesen, 366; GA Ruiz-Jarabo Colomer, C-103/05 – Reisch Montage vs. Kiesel Baumaschinen, EuGHE 2006 I 6827 Rz. 30; Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 128; Geimer, WM 1979, 359. 51 Gegen die Teilschuldnerschaft als ein Fall des engen Zusammenhangs Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit (1995) 611; differenzierend Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 129. 52 OLG Karlsruhe v. 31.5.2017 – 13 U 130/16 Rz. 36 (zum Bürgen); Geimer, WM 1979, 359; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 35; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 9; Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 146 f., will unterscheiden: der Nebenschuldner könne am Wohnsitz des Hauptschuldners verklagt werden, nicht aber der Hauptschuldner am Wohnsitz des Nebenschuldners. 53 Geimer, WM 1979, 359; Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 22; mit Verweis auf § 60 ZPO Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 10; vgl. auch Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 4; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 9 sieht bei einfacher Streitgenossenschaft den engen Zusammenhang nur gegeben, wenn gleichartige Pflichtverletzungen vorliegen. 54 OLG München v. 8.1.2013 – 34 AR 336/12, ZIP 2013, 435 Rz. 10. 55 LAG Berlin-Brandenburg, NZI 2018, 662 Rz. 16; LAG Hamm v. 6.4.2018 – 1 Sha 8/18 Rz. 23.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
Der EuGH hatte 1998 entschieden, dass zwei im Rahmen einer einzigen Schadensersatzklage gegen 12 verschiedene Beklagte gerichtete Klagebegehren, von denen das eine auf vertragliche, das andere auf deliktische Haftung gestützt wird, nicht als im Zusammenhang stehend angesehen werden können.58 Daraus ist geschlossen worden, es fehle an der erforderlichen Konnexität, wenn das Klagebegehren gegen den einen Beklagten mit einem deliktischen und das gegen den anderen Beklagten mit einem vertraglichen oder bereicherungsrechtlichen Anspruch begründet wird.59 Bereits in der 3. Aufl. wurde jedoch darauf hingewiesen, dass eine solche Aussage in dieser Allgemeinheit fraglich erscheint, zumal den Ausführungen des EuGH ohnehin mit Skepsis begegnet werden müsse, da in dem seinen Ausführungen zugrunde liegenden Sachverhalt die Voraussetzungen des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO bereits nach dem Wortlaut der Norm nicht erfüllt waren.60 Der EuGH hat diese Sichtweise mittlerweile bestätigt und betont, die Annahme der Konnexität setze nicht voraus, „dass die erhobenen Klagen auf den gleichen Rechtsgrundlagen beruhen müssten“.61 Die Unterschiedlichkeit der Rechtsgrundlagen – sei es nach ihrer materiell-rechtlichen Qualität, sei es nach ihrer nationalen Herkunft – der in einem Gerichtsstand gegen mehrere Beklagte erhobenen Klagen ist daher kein Ausschlussgrund, sondern allenfalls eines von mehreren Kriterien, das bei der Feststellung von Konnexität berücksichtigt werden kann, nach Ansicht des EuGH aber nicht unbedingt berücksichtigt werden muss.62 Daher kann z.B. der von Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO geforderte Zusammenhang der Klagen gegen einen in Deutschland wohnhaften Täter einer Untreue und dessen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gehilfen auch dann gegeben sein, wenn sie auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt beruhen und der eine Beklagte aus Deliktsrecht und der andere aus vertraglicher Pflichtverletzung in Anspruch genommen wird. Werden beide Beklagte jeweils sowohl aus deliktischen als auch aus vertraglichen Anspruchsgrundlagen verklagt, liegt erst recht Konnexität vor.63 Ob von Konnexität bei Patentrechtsverletzungen von nach dem Münchener Übereinkommen64 er- 13 teilten Patenten („Europäisches Patent“) auszugehen ist, war lebhaft umstritten.65 Der englische Court of Appeal verneint einen hinreichenden Zusammenhang bereits deshalb, weil es letztlich um die Verletzung unterschiedlicher, immer nur für das jeweilige Territorium gewährter Schutzrechte geht.66 GA Léger argumentiert ähnlich und hält daher Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO im Rahmen eines Rechtsstreits über die Verletzung eines europäischen Patents für nicht anwendbar, in dem mehrere Gesellschaften mit Sitz in verschiedenen Vertragsstaaten wegen Handlungen verklagt werden, die im Hoheitsgebiet jedes dieser Staaten begangen worden sein sollen, selbst wenn diese Gesellschaften derselben Gruppe angehören und entsprechend einer gemeinsamen, von einer einzigen von ihnen aus-
56 LG München I v. 26.9.2017 – Az. 33 O 691/16 Rz. 105; vgl. auch OLG München v. 29.9.2016 – 29 U 745/16, WRP 2017, 350 Rz. 76. 57 So EuGH v. 11.4.2013 – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 – Land Berlin vs. Ellen Mirjam Sapir u.a., NJW 2013, 1661 Rz. 45; a.A. Lund, IPRax 2014, 143. 58 EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97 – Réunion européenne vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor, EuGHE 1998 I 6511 Rz. 50. 59 BGH NJW-RR 2002, 1150; vgl. auch Cass. Rev. crit. dip. 2003, 123 m. Anm. Gaudemet-Tallon. 60 Zutr. Schurig, FS Musielak (2004) 513; krit. Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 9. 61 EuGH v. 11.10.2007 – C-98/06, ECLI:EU:C:2007:595 – Freeport plc. vs. Olle Arnoldsson, EuGHE 2007 I 8319 Rz. 46 a.E.; ebenso EuGH v. 11.4.2013 – C-645/11, ECLI:EU:C:2013:228 – Land Berlin vs. Ellen Mirjam Sapir u.a., NJW 2013, 1661 Rz. 44; EuGH v. 1.12.2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2013:138 – Eva-Maria Painer vs. Standard VerlagsGmbH u.a., EuZW 2012, 182 Rz. 76, 80. 62 EuGH v. 11.10.2007 – C-98/06, ECLI:EU:C:2007:595 – Freeport plc. vs. Olle Arnoldsson, EuGHE 2007 I 8319 Rz. 41 aE. 63 BGH v. 30.11.2009 – II ZR 55/09, WM 2010, 378 (zu Art. 6 Nr. 1 LugÜbk 1988) = IPRax 2010, 533 m. Bspr. Mock, 510. 64 BGBl. 1976 II 826. 65 Vgl. zum Streitstand Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten (2003) 135 ff.; Hölder, Grenzüberschreitende Durchsetzung Europäischer Patente (2004) 149 ff.; Hölder, MittPat 2005, 210 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 11; Treichel, Die Sanktionen der Patentverletzung und ihre gerichtliche Durchsetzung im deutschen und französischen Recht (2001) 29 ff.; vgl. aus der Rechtsprechung etwa LG Düsseldorf v. 16.1.1996 – Az. 4 O 5/95, zit. bei Stauder/von Rospatt, GRUR-Int. 1997, 862. 66 Fort Dodge v. Akzo Nobel [1998] FSR 222, 243; vgl. auch LG Düsseldorf InstGE 1, 146; InstGE 2, 82; a.A. Gerechtshof Den Haag, NIPR 1998, Nr. 317.
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs gearbeiteten Geschäftspolitik in gleicher oder ähnlicher Art und Weise gehandelt haben sollen.67 Der EuGH hat sich den Schlussanträgen seines GA angeschlossen und argumentiert vor allem mit der Gefahr des forum shopping.68 Man kann die Entscheidung des EuGH als formalistisch sowie deshalb kritisieren, weil sie den Charakter des Europäischen Patents verkennt, das zwischen nationalem Patent und gemeinschaftseinheitlichem Schutzrecht steht.69 Man kann sicherlich auch einwenden, dass dadurch die Rechtsverfolgung – gerade am Ort der Konzernmutter als „spider in the web“ – erheblich erschwert und dies dem internationalen Trend einer vereinfachten Durchsetzung von Rechten des Geistigen Eigentums zuwider läuft.70 Letztlich ist die Entscheidung des EuGH aber konsequent, wenn man – kumulativ – dieselbe Sach- und Rechtslage fordert (vgl. Rz. 10). Denn die im Bündelpatent enthaltenen einzelnen Patente sind trotz des durch Art. 69 EPÜ statuierten Gebots der einheitlichen Auslegung nach wie vor überwiegend national und unterliegen damit – wie auch die entsprechenden Verletzungsansprüche – grundsätzlich unterschiedlichem Recht. Liegen den Klagen gegen die verschiedenen Streitgenossen aber verschiedene Rechtsordnungen zugrunde, fehlt es von vornherein an derselben Rechtslage und damit an der Konnexität.71 Ändern wird sich all dies durch die Schaffung einer zentralisierten europäischen Patentgerichtsbarkeit (s. noch Rz. 14a zum Einheitspatent).72 14
Anders verhält es sich von vorneherein nach dem EuGH dann, wenn mehrere Beklagte wegen der Verletzung desselben nationalen Teils eines „Europäischen Patents“ in Anspruch genommen werden. Hier ist jedenfalls die Rechtslage dieselbe und kann daher die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen entstehen.73 Entsprechend hat der EuGH für Urheberrechtsverletzungen judiziert.74 Hier lässt er für die Bejahung derselben Rechtslage genügen, dass das materielle Urheberrecht aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben hinreichend harmonisiert ist.
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Die grundsätzliche Argumentation des EuGH zu Patentrechtsverletzungen greift ebenfalls nicht durch, wenn die Verletzung gemeinschaftseinheitlicher Schutzrechte, wie etwa der Gemeinschaftsbzw. Unionsmarke75 oder des Gemeinschaftsgeschmacksmusters, in Rede steht.76 Allein die Verletzung einer Gemeinschaftsmarke oder eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters durch mehrere Verletzer begründet indes noch keinen hinreichenden Zusammenhang,77 besteht doch die Gefahr widersprechender Entscheidungen nur, wenn es um dieselbe Streitsache geht. Dafür müssen die Verletzer wenigstens dergestalt zusammenwirken, dass „der eine für die Verletzung des anderen mitverantwortlich gemacht werden kann“.78 Ähnlich sieht es inzwischen auch der EuGH, wenn er betont, es könne 67 GA Léger, C-539/03 – Roche Nedeland BV u.a. vs. Frederick Primus und Milton Goldberg Rz. 144. 68 EuGH v. 13.7.2006 – C-539/03, ECLI:EU:C:2006:458 – Roche Nederland u.a. vs. Frederick Primus und Milton Goldberg, EuGHE 2006 I 6535 Rz. 37 f. = JZ 2007, 303 m. Anm. Schlosser = ZZPInt 11 (2006), 165 m. Anm. Adolphsen = IPRax 2007, 38 m. Bspr. Adolphsen, 15. Vgl. auch die Bspr. von Álvarez González/Requejo Isidro, ADI 27 (2006–2007), 661; Bodson, Revue de droit international et de droit comparé 2007, 447; Knaak, GRURInt. 2007, 386; Lange, GRUR 2007, 107; Lundstedt, Nordiskt immateriellt rättsskydd 2008, 122; Maunsbach, Nordiskt immateriellt rättsskydd 2007, 240; Wilderspin, Rev. crit. dip. 95 (2006), 777; Wittwer, ELR 2006, 394. 69 So Norrgård in Leible/Ohly (Hrsg.), Intellectual Property and Private International Law (2009) 219. 70 So etwa Schack, 410; Schack, FS Leipold (2009) 330; Norrgård in Leible/Ohly (Hrsg.), Intellectual Property and Private International Law (2009) 220. 71 Zutr. Lange, GRUR 2007, 111 f. 72 Vgl. dazu Luginbuehl in Leible/Ohly (Hrsg.), Intellectual Property and Private International Law (2009) 231. 73 EuGH v. 12.7.2012 – C-616/10, ECLI:EU:C:2012:445 – Solvay SA vs. Honeywell Fluorine Products Europe BV u.a., GRUR 2012, 1169. Vgl. dazu Schacht, GRUR 2012, 1110; Sujecki, GRUR-Int. 2013, 201; Schachl, GRURPrax 2012, 395; Treppoz, Rev. crit. dip. 102 (2013) 479; Wais, LMK 2013, 342567. 74 EuGH v. 1.12.2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2013:138 – Eva-Maria Painer vs. Standard VerlagsGmbH u.a., EuZW 2012, 182 Rz. 72 ff. = K&R 2012, 44 und dazu Büttler, ELR 2012, 82; Roth, EuZW 2012, 189; Harms, EuZW 2014, 129; Trstenjak, GRUR-Int. 2012, 393; Handig, GRUR-Int. 2012, 973; Seiler, K&R 2012, 104; Lachenmaier, KSzW 2014, 3; Slonina, ecolex 2011, 527; Walter, Medien und Recht 2012, 81; Walter, Medien und Recht 2012, 142; Lund, RIW 2012, 377. 75 Umbenennung durch Art. 1 Verordnung (EU) 2015/2424; s. nunmehr Verordnung (EU) 2017/1001. 76 Wie hier BGH GRUR 2007, 706 – Aufarbeitung von Fahrzeugkomponenten; Schack, 410; a.A. Lange, GRUR 2007, 112. 77 So aber Ebner, Markenschutz im internationalen Privat- und Zivilprozessrecht (2004) 674. 78 Schaper, Durchsetzung der Gemeinschaftsmarke (2006) 140; ebenso OGH, GRUR-Int. 2013, 569.
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erheblich sein, ob die Beklagten „unabhängig voneinander gehandelt haben oder nicht“;79 allein die positive Kenntnis bzw. die Vorhersehbarkeit bezogen auf ein unabhängiges Handeln eines Dritten sollte nicht genügen.80 Und für Liefer- bzw. Verletzerketten81 verlangt der EuGH, dass dieselbe Sachlage bei sämtlichen Tätigkeiten der Beteiligten vorliegen muss und sich nicht „auf bestimmte Gesichtspunkte oder bestimmte Teile dieser Tätigkeiten beschränken“ darf.82 Nichts anderes kann für die Verletzung desselben nationalen Teils eines „Europäischen Patents“ wie auch Urheberrechtsverletzungen gelten. Entsprechend der Rechtslage bei der Gemeinschaftsmarke dürfte die Konnexität für Verletzungen des „Europäischen Einheitspatents“ zu beurteilen sein, das derzeit freilich immer noch in den Startlöchern steht.83 Zu beachten bleibt, dass die Begründung der Zuständigkeit für Klagen gegen den Erstbeklagten über Gemeinschaftsinstrumente und gegen weitere Beklagte über Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO Auswirkungen auf die Kognitionsbefugnis des angerufenen Gerichts haben kann.84 Offen erschien, ob der EuGH die Voraussetzungen derselben Sach- und Rechtslage für auf Kartellrechtsverletzungen85 gestützte Auskunfts- und Schadensersatzklagen wegen eines in mehreren Mitgliedsstaaten unter unterschiedlicher örtlicher und zeitlicher Beteiligung der Beklagten begangenen einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes gegen Art. 101 AEUV bejahen würde.86 Dies hat er nunmehr getan und herausgestellt, dass Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO anwendbar ist, „wenn Unternehmen, die sich örtlich und zeitlich unterschiedlich an einem in einer Entscheidung der Europäischen Kommission festgestellten einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen das unionsrechtliche Kartellverbot beteiligt haben, als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und in diesem Rahmen auf Auskunftserteilung verklagt werden, und dass dies auch dann gilt, wenn der Kläger seine Klage gegen den einzigen im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts ansässigen Mitbeklagten zurückgenommen hat, es sei denn, dass das Bestehen eines kollusiven Zusammenwirkens des Klägers und des genannten Mitbeklagten zu dem Zweck, die Voraussetzungen für die Anwendung der genannten Bestimmung im Zeitpunkt der Klageerhebung künstlich herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten, nachgewiesen wird“.87 Gleiches wie für die Klage eines Schädigers auf Schadensersatz gegen mehrere gemeinschaft79 EuGH v. 1.12.2011 – C-145/10, ECLI:EU:C:2013:138 – Eva-Maria Painer vs. Standard VerlagsGmbH u.a., EuZW 2012, 182 Rz. 83. 80 A.A. wohl GA Trstenjak, C-145/10 – Eva-Maria Painer vs. Standard VerlagsGmbH u.a. Rz. 92. 81 Vgl. dazu auch LG Nürnberg-Fürth, GRUR-Int. 2019, 57 Rz. 36. 82 EuGH v. 27.9.2017 – C-24/16, ECLI:EU:C:2017:724 Rz. 52 – Nintendo Co. Ltd. vs. BigBen Interactive GmbH und BigBen Interactive SA, RIW 2017, 740–749 = GRUR-Int. 2018, 62 m. Anm. Kur = IPRax 2019, 233 m. Bspr. Schulte, 202. Vgl. dazu auch Andreoletti, Riv dir ind 2018 195; Grüger, GRURPrax 2018, 65: Hackbarth, GRURPrax 2018, 90; Krome/Lüdecke, GPR 2018, 192; Kubis, ZGE 2017, 471. 83 Vgl. Verordnung 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ABl. EU 2012 L 361/1; Verordnung 1260/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen, ABl. EU 2012 L 361/1 sowie die materiell-rechtlichen Regeln des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht, ABl. EU 2013, C 175/1. Vgl. zum Europäischen Einheitspatent Haedicke, GRUR-Int. 2013, 609; Luginbühl, GRUR-Int. 2013, 305; Teschemacher, MittdtschPatAnw 2013, 153. Maßgeblich für die Anwendbarkeit der Verordnungen ist nach Art. 18 Abs. 2 VO (EU) 1257/2012/Art. 6 Abs. 2 VO (EU) 1260/2012 das Inkrafttreten des genannten Übereinkommens, wofür es noch an der Ratifikation durch Deutschland fehlt (vgl. Art. 89 des EPG-Übereinkommens). Das BVerfG hat das entsprechende Zustimmungsgesetz Anfang 2020 für nichtig erklärt, BVerfG, EuZW 2020, 324 m. Anm. Möller = GRUR-Prax 2020, 184 (Brambrink). Zum aktuellen Ratifikationsstand s. https://www.consilium.europa.eu/de/ documents-publications/treaties-agreements/agreement/?id=2013001. 84 Vgl. EuGH v. 27.9.2017 – C-24/16, ECLI:EU:C:2017:724 – Nintendo Co. Ltd. vs. BigBen Interactive GmbH und BigBen Interactive SA, RIW 2017, 740 Rz. 67. 85 Ausf. zur Reichweite des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO bei internationalen Kartelldelikten Stammwitz, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Kartelldelikten (2018) 263 ff.: Wolf, Die internationale Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts (2017) S. 89 ff. 86 Vgl. die Vorlage des LG Dortmund, GRUR-Int. 2013, 842 Rz. 17 ff.; verneinend Harms, EuZW 2014, 129; bejahend Schlussanträge des Generalanwalts 11.12.2014 C-352/13 Rz. 55 ff.; OGH v. 14.2.2012 Az. 5 Ob 39/11p und zu letzterem Koutsoukou/Pavlova, WuW 2012, 153; Kofler-Senoner/Siebert, EuZW 2012, 650; vgl. zur Bedeutung von Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO für Kartellrechtsverletzungen auch Mankowski, WuW 2012, 947; Weller, ZVglRWiss 2013, 89. 87 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 – Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV u.a., RIW 2015, 598 m. Anm. Weller/Wäschle = EWS 2015, 152 m. Anm. Wiegandt =
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs lich handelnde Kartellanten gilt für die Klagen von Mitkartellanten auf Gesamtschuldnerinnenausgleich bzw. Freistellung gegen die anderen Kartellanten („Kartellinnenregress“); „denn auch insoweit ist für die Bestimmung des Gerichtsstands maßgeblich, dass der klagende Mitkartellant bei Klagen gegen die anderen Kartellanten vor verschiedenen europäischen Gerichten Entscheidungen mit verschiedenen, einander widersprechenden Entscheidungen auf der Basis der gleichen Sach- und Rechtslage sowohl zur Frage der Haftung der Kartellanten dem Grunde nach wie auch zu den Haftungsquoten erwirken könnte“.88 4. Missbrauchsverbot 16
Verschiedentlich wird Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO um ein Missbrauchsverbot ergänzt.89 Ein die Anwendung ausschließender Missbrauch liege in Anlehnung an Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO vor, wenn die Klage nur erhoben wird, um die Person dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen.90 Einer gesonderten Prüfung der Zuständigkeitserschleichung bedarf es jedoch nicht, da bereits das Erfordernis der Konnexität Missbrauchsfälle verhindern soll (vgl. Rz. 10) und kann.91
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Die Rechtsprechung des EuGH ist inkonsistent. Einerseits wird betont, Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO könne nicht so ausgelegt werden, dass es danach einem Kläger erlaubt wäre, eine Klage gegen mehrere Beklagte allein zu dem Zweck zu erheben, einen der Beklagten der Zuständigkeit der Gerichte seines Wohnsitzstaats zu entziehen.92 Andererseits soll nicht gesondert festgestellt werden müssen, dass die Klagen nicht nur erhoben worden sind, um einen der Beklagten den Gerichten seines Wohnsitzstaats zu entziehen.93 Der bisherige Widerspruch94 in der Rechtsprechung lässt sich letztlich nur auflösen, wenn man durch entsprechende Handhabung des Konnexitätserfordernisses von vornherein Missbrauchsmöglichkeiten entgegen wirkt. Wird eine Klage allein zu dem Zweck erhoben, einen von diesen der Zuständigkeit der Gerichte seines Wohnsitzstaats zu entziehen, fehlen ihr bereits sämtliche Konnexitätsmerkmale. Einer gesonderten Feststellung einer Missbräuchlichkeit bedarf es dann in der Tat nicht mehr. 5. Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz eines Beklagten für alle Klagen
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Anknüpfungspunkt ist der Wohnsitz eines Beklagten. Bei dem hierfür zuständigen Gericht können alle anderen Beklagten nach Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO verklagt werden. Die Bestimmung des Wohnsitzes erfolgt gem. Art. 62, 63 Brüssel Ia-VO. Hat keiner der Beklagten seinen Wohnsitz am Ort des Gerichts, kann sich eine Zuständigkeit dieses Gericht für mehrere Klagen jedenfalls nicht aus Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ergeben.95
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EuZW 2015, 582 m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt = EWiR 2015, 687 (Mankowski) = JZ 2015, 1163 m. Bspr. Stadler, 1138 = IPRax 2016, 362 m. Bspr. W.-H. Roth, 318. Vgl. dazu auch Kroes, NIPR 2016, 470; Kruger, Revue de droit commercial belge 2017, 308; Mäsch, WuW 2016, 285; Pato, YB PIL 2017, 491; Thole, ZWer 2017, 133; Wurmnest, CMLRev. 2016, 225. Vgl. auch BayObLG v. 30.4.2019 – 1 AR 30/19, WuW 2019, 479 Rz. 21. OLG Hamm v. 1.12.2016 – 32 SA 43/16, IPRax 2018, 501 Rz. 55 m. Bspr. Wolf, 475 = EWiR 2017, 415 (Mankowski); vgl. dazu auch Lahme/Bartz, NZKart 2017, 175. Umfassend dazu und zur Missbrauchskontrolle im europäischen Zivilverfahrensrecht im Allgemeinen Thole, ZZP 122 (2009), 423. OGH EuLF 2005, II-108; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 15; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 17; a.A. Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 135 ff.; Mäsch, IPRax 2005, 509 f. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 23; Rauscher, IPR Rz. 1874. EuGH v. 13.7.2006 – C-103/05, ECLI:EU:C:2006:471 – Reisch Montage vs. Kiesel Baumaschinen, EuGHE 2006 1 6827 Rz. 32 = IPRax 2006, 589 m. Bspr. Althammer, 558 = ZZPInt 11 (2006), 176 m. Anm. Würdinger = Rev. crit. dip. 96 (2007) 175 m. Anm. Pataut; vgl. auch die Bspr. von Wittwer, ELR 2006, 424. EuGH v. 11.10.2007 – C-98/06, ECLI:EU:C:2007:595 – Freeport plc. vs. Olle Arnoldsson, EuGHE 2007 I 8319 Rz. 54. Zutr. Althammer, IPRax 2008, 231: „diametraler Gegensatz“. Zu den verschiedenen Möglichkeiten, warum verschiedene Beklagte dennoch vor ein und demselben Gericht gerichtspflichtig sein können vgl. Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 12.
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6. Maßgeblicher Zeitpunkt Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung des Vorliegens einer Mehrheit von Beklagten ist der Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. Art. 32 Brüssel Ia-VO).96 Das schließt selbstverständlich eine auf Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO gestützte Zuständigkeitsbegründung nicht aus, wenn die Klage erst nachträglich gegen mehrere Beklagte gerichtet wird,97 sofern das nationale Recht eine nachträgliche subjektive Klagehäufung zulässt.98 Die zeitlichen Grenzen einer derartigen Klageerweiterung bestimmt das nationale Recht.99
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Die Zuständigkeit nach Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO bleibt nach dem Grundsatz der perpetuatio fori bestehen, wenn die Klagen vom Gericht im Nachhinein wieder getrennt werden,100 sich das Verfahren gegen den am Wohnsitz Beklagten auf andere Weise erledigt,101 etwa durch Rücknahme der Klage gegen diesen Beklagten,102 oder einer der Beklagten zwischenzeitlich insolvent und unter Insolvenzverwaltung gestellt wird.103
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Der Zeitpunkt der Klageerhebung ist auch entscheidend für die Feststellung hinreichender Konnexität104 und des Wohnsitzes des Hauptbeklagten. Es genügt freilich, wenn dieser ihn erst während des Verfahrens, mindestens aber bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung, im Bezirk des angerufenen Gerichts begründet.105 Umgekehrt gilt: Verlegt er, nachdem an seinem Wohnsitz Klage erhoben wurde, seinen Wohnsitz, bleibt die einmal begründete Zuständigkeit hiervon unberührt.106
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7. Unzulässige und unbegründete Klagen Eine Zuständigkeitsbegründung nach Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO setzt nicht voraus, dass die Klage gegen den Hauptbeklagten begründet ist.107 Sie muss aber immerhin schlüssig sein. Eine Berufung auf 96 GA Ruiz-Jarabo Colomer, C-103/05 – Reisch Montage vs. Kiesel Baumaschinen, EuGHE 2006 I 6827 Rz. 34. 97 Vgl. etwa zur nachträglichen Klageerweiterung BGH v. 30.11.2009 – II ZR 55/09, IPRax 2010, 533 = WM 2010, 378; OLG Karlsruhe v. 31.5.2017 – 13 U 130/16 Rz. 41; OLG Köln, EuLF 2009, II-71 (jeweils zu Art. 6 Nr. 1 LugÜbk 1988). 98 Albicker, Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft (1996) 129 f.; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 24; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 14; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 2; Winter, 21. 99 Geimer, WM 1979, 358; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 24; Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Rz. 32; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 14; Winter, 22. 100 Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 Brüssel I VO Rz. 28; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 29; Geimer, WM 1979, 358; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 14. 101 Kropholler Rz. 14; Geimer, WM 1979, 358; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 27; Schlosser/Hess/ Schlosser, Rz. 3 (anders aber für den Fall der Klagerücknahme, s. sogleich). 102 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 Rz. 26 ff. – Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV u.a.; RIW 2015, 598 m. Anm. Weller/Wäschle = EWS 2015, 152 m. Anm. Wiegandt = EuZW 2015, 582 m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt = EWiR 2015, 687 (Mankowski) = JZ 2015, 1163 m. Bspr. Stadler, 1138 = IPRax 2016, 362 m. Bspr. W.-H. Roth, 318. Vgl. dazu auch Kroes, NIPR 2016, 470; Kruger, Revue de droit commercial belge 2017, 308; Mäsch, WuW 2016, 285; Pato, YB PIL 2017, 491; Thole, ZWer 2017, 133; Wurmnest, CMLRev. 2016, 225. Vgl. außerdem GA Ruiz-Jarabo Colomer EuGH v. 13.7.2006 – C-103/05, ECLI:EU:C:2006:471 – Reisch Montage vs. Kiesel Baumaschinen, EuGHE 2006 I 6827 Rz. 35; BGH v. 27.4.1987 – II ZR 71/86, WM 1987, 883; LG Nürnberg-Fürth, GRUR-Int. 2019, 57 Rz. 39; Althammer, IPRax 2006, 561; Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis (2005) 91; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 14; Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im internationalen Zivilprozess (2009) 88; differenzierend Musielak/Voit/Stadler, Rz. 3; Winter, 22; insoweit a.A. Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3. 103 OLG Karlsruhe v. 31.5.2017 – Az. 13 U 130/16 Rz. 42. 104 EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459 – Kalfelis vs. Schröder, EuGHE 1988 5565 Rz. 12; GA RuizJarabo Colomer EuGH v. 13.7.2006 – C-103/05, ECLI:EU:C:2006:471 – Reisch Montage vs. Kiesel Baumaschinen, EuGHE 2006 I 6827 Rz. 34. 105 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 13; a.A. Petrotrade Inc. v. Smith [1998] 2 All ER 355 (Q.B.); Winter, 28 (Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung). 106 GA Ruiz-Jarabo Colomer, C-103/05 – Reisch Montage vs. Kiesel Baumaschinen, EuGHE 2006 I 6827 Rz. 35; Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis (2005) 91; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 13. 107 Althammer, IPRax 2006, 562; Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis (2005) 90; Geimer/Schütze/Geimer, EUZVR, Art. 6 a.F. Rz. 25; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 16.
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO scheidet daher aus, wenn gegen den Hauptbeklagten offensichtlich kein Anspruch besteht.108 23
Zu weit geht es, auch die Zulässigkeit der Klage für völlig unbeachtlich zu erklären;109 denn dann hätte es der Kläger in der Hand, den übrigen Beklagten durch eine willkürliche Klageerhebung ihren Wohnsitzgerichtsstand zu entziehen und sie vor ein fremdes Forum zu zwingen, obwohl dort gegen den Hauptbeklagten von vornherein nicht entschieden werden kann und daher die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen offenkundig nicht besteht. Ein Kläger sollte sich daher mindestens dann nicht auf Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO stützen können, wenn er eine Klage gegen eine im Forumstaat wohnhafte Person und eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Person erhebt, die erstere Klage aber kraft Gesetzes offensichtlich unzulässig ist.110
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Der EuGH sieht dies freilich anders und lässt eine Berufung auf Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO auch dann zu, wenn die Klage gegen den Erstbeklagten schon zum Zeitpunkt ihrer Erhebung nach nationalem Recht unzulässig ist,111 weil über dessen Vermögen z.B. ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Zur Begründung verweist der Gerichtshof u.a. darauf, dass die Vorschrift autonom auszulegen sei, also keinen Rückgriff auf nationales Recht zulasse,112 und zudem für den Beklagten Rechtssicherheit i.S.v. Voraussehbarkeit gewährleistet sein müsse.113 Zumindest letzteres Argument verfängt jedoch nicht; denn der Grundsatz, „dass die besonderen Zuständigkeitsregeln so ausgelegt werden (müssen), dass ein informierter, verständiger Beklagter vorhersehen kann, vor welchem Gericht er außerhalb seines Wohnsitzstaats verklagt werden könnte“,114 dient dem Schutz des Beklagten und sollte nicht zu seinem Nachteil ausschlagen, indem mit ihm eine dem Beklagten nachteilige besondere Zuständigkeit begründet wird. Diese weite Auslegung durch den EuGH macht zudem eine Missbrauchskontrolle erforderlich, die ansonsten entbehrlich wäre (vgl. auch Rz. 16 f.).
III. Gerichtsstand der Gewährleistungs- oder Interventionsklage (Nr. 2) 1. Allgemeines 25
Nr. 2 stellt einen besonderen Gerichtsstand für Gewährleistungs- und Interventionsklagen zur Verfügung. Ziel der Einführung dieses Gerichtsstandes ist es, eine einheitliche Entscheidungsfindung sowie ökonomische Prozessführung zu ermöglichen.115 Die Prozessökonomie im Mehrparteienpro-
108 The REWIAILPr 91, 507 (CA); Cannon v. BQI Steam Packet Comp. a. o.ILPr 94, 405 (CA); Mölnlycke A. B. v. Procter & Gamble Ltd. [1991] 1 WLR 1112 (CA); ebenso Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis (2005) 90; wohl auch Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 122 f. 109 So aber Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 25 und Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 16, die lediglich eine Ausnahme für den Fall machen, dass die Klage gegen den Hauptbeklagten unzulässig ist, weil dieser nicht im Gerichtsbezirk wohnhaft ist; dem zustimmend Geier, Die Streitgenossenschaft im internationalen Verhältnis (2005) 90 f. 110 So auch GA Ruiz-Jarabo Colomer, C-103/05 – Reisch Montage vs. Kiesel Baumaschinen, EuGHE 2006 I 6827 Rz. 52 für den Fall, dass eine Klage gegen den Hauptbeklagten unzulässig ist, da über dessen Vermögen vor Klageerhebung ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde; ähnlich OGH EuLF 2005, II-109; Althammer, IPRax 2006, 561; Brandes, Der gemeinsame Gerichtsstand: Die Zuständigkeit im europäischen Mehrparteienprozess nach Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ/LÜ (1998) 122 f.; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 5; Würdinger, ZZPInt 11 (2006), 188; Gaudemet-Tallon5, Nr. 248. 111 Vgl. auch BGH v. 13.11.2018 – VI ZR 71/18, ZIP 2019, 391 Rz. 7. 112 Vgl. EuGH v. 13.7.2006 – C-103/05, ECLI:EU:C:2006:471 – Reisch Montage vs. Kiesel Baumaschinen, EuGHE 2006 I 6827 Rz. 30 sowie die Nachfolgeentscheidung OGH EuLF 2006, II-117. 113 EuGH v. 13.7.2006 – C-103/05, ECLI:EU:C:2006:471 – Reisch Montage vs. Kiesel Baumaschinen, EuGHE 2006 I 6827 Rz. 25. 114 EuGH v. 28.9.1999 – C-440/97, ECLI:EU:C:1999:456 – GIE Groupe Concorde vs. Kapitän des Schiffes „Suhadiwarno Panjan“, 1999 I 6307 Rz. 24; EuGH v. 19.2.2002 – C-256/00, ECLI:EU:C:2002:99 – Besix vs. Kretzschmar, EuGHE 2002 I 1699 Rz. 26. 115 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 18; Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 30; Wieczorek/Schütze/Garber/ Neumayr, Rz. 34; von Paris, Die Streitverkündung im europäischen Interventionsrecht (2011) 22.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
zess soll gesichert werden.116 Das Interesse des Dritten, an seinem Wohnsitz verklagt zu werden, tritt dahinter zurück.117 Ein solcher Gerichtsstand ist vor allem in den Mitgliedstaaten des romanischen Rechtskreises bekannt118 und findet sich in mehreren bilateralen Abkommen.119 In Deutschland entspricht der Gewährleistungs- und Interventionsklage funktional die Figur der Streitverkündung (§§ 72 ff., 68 ZPO).120 Allerdings führt die Gewährleistungs- und Interventionsklage – anders als die Streitverkündung (§§ 74 Abs. 3, 68 ZPO) – zu einem Titel im Verhältnis zum Intervenienten. Um den nationalen Rechtsordnungen keine ihnen unbekannten Rechtsinstitute aufzudrängen,121 26 enthält Art. 65 Brüssel Ia-VO einen Vorbehalt zugunsten Deutschlands, Österreichs und Ungarns.122 Danach kann in diesen Staaten die Zuständigkeit nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO nicht geltend gemacht werden, dafür allerdings jeder Person aus einem anderem Mitgliedstaat nach den Regeln und mit der Wirkung der deutschen, österreichischen oder ungarischen ZPO der Streit verkündet werden.123 Bedeutung erlangt Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO für Österreich, Ungarn und Deutschland jedoch über Art. 65 Abs. 2 Brüssel Ia-VO: Ein auf Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO beruhendes Urteil eines mitgliedstaatlichen Gerichts ist in Deutschland, Österreich und Ungarn anzuerkennen und zu vollstrecken (Art. 65 Abs. 2 S. 1 Brüssel Ia-VO). Umgekehrt werden auch die Wirkungen einer vor einem deutschen, österreichischen oder ungarischen Gericht erstrittenen Entscheidung gegenüber Dritten in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt (Art. 65 Abs. 2 S. 2 Brüssel Ia-VO). Das alles vermag indes das durch den Vorbehalt verursachte Ungleichgewicht nicht zu beseitigen – außerhalb der Vorbehaltsstaaten ansässige Personen können in Deutschland, Österreich oder Ungarn wohnhafte Gegner durch eine Gewährleistungs- oder Interventionsklage vor ihr Forum bringen, während der umgekehrte Weg versperrt und die Möglichkeit einer Streitverkündung kein hinreichendes Äquivalent ist, da sie keinen Titel schafft.124 Daraus wird z.T. gefolgert, dass Art. 65 Brüssel Ia-VO gegen das allgemeine Diskriminierungsverbot des AEUV verstößt.125 2. Gewährleistungs- oder Interventionsklage Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO setzt die Erhebung einer Gewährleistungs- oder Interventionsklage voraus. Die Begriffe sind zwar autonom zu qualifizieren, doch kann dabei auf die weitgehend übereinstimmenden Interpretationen der romanischen Rechtsordnungen zurückgegriffen werden.126 Bei der Gewährleistungsklage handelt es sich um eine Klage, „die der Beklagte in dem Rechtsstreit gegen einen Dritten zum Zwecke der eigenen Schadloshaltung wegen der Folgen dieses Rechtsstreites erhebt“,127 also regelmäßig um eine Regressklage.128 Die Intervention, die auch die Fälle der Gewährleistungskla-
116 Hess, EuZVR § 6 Rz. 87. 117 Hess, EuZVR § 6 Rz. 87. 118 Rechtsvergleichend Spellenberg, ZZP 106 (1993), 283; Stürner, FS Geimer (2002) 1307; Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I Regulation 44/2001 (2008) Rz. 218 ff.; speziell zum französischen Recht vgl. Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung (2010) 86 ff. 119 Jenard-Bericht, 27. 120 Coester-Waltjen, IPRax 1992, 290. 121 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 8. 122 Ausf. dazu Winter, 87 ff. 123 Vgl. dazu auch OGH European Transport Law 2005, 122; ausf. Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht (2010) 88 ff. 124 Zur Frage, ob das deutsche Gericht in seiner Entscheidung ausdrücklich die Zulässigkeit der Streitverkündung feststellen sollte, um die Wirkungen des Art. 65 Brüssel Ia-VO zu sichern, vgl. einerseits Hess, EuZVR § 6 Rz. 89 und andererseits H. Roth, IPRax 2003, 517 sowie die Vorschläge von Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I Regulation 44/2001 (2008) Rz. 234 ff. 125 So etwa Geimer, IPRax 2002, 74; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR, Art. 6 a.F. Rz. 39; a.A. Schlosser/Hess/ Schlosser, Rz. 8. 126 Geimer, WM 1979, 361; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 34; Hess, EuZVR § 6 Rz. 88; Schack, Rz. 418; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 26; Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6 LugÜbk Rz. 75; Geimer/ Schütze/Paulus, Rz. 46; Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl. Art. 6 EuGVÜ Rz. 20. 127 Jenard-Bericht, 27; näher Winter, 62 ff. 128 Rüfner, IPRax 2005, 500; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 6; Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung (2010) 347.
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs ge mit umfasst,129 beschreibt der Jenard-Bericht unter Hinweis auf Art. 15 und 16 Brüssel Ia-VO der belgischen Gerichtsordnung130 als „ein Verfahren, durch das ein Dritter zur Prozesspartei wird. Sie dient entweder dem Schutze der Interessen des Intervenienten oder einer der Parteien des Rechtsstreits oder sie zielt auf den Erlass einer Verurteilung oder auf die Zuerkennung eines Gewährleistungsanspruchs ab (Art. 15 Brüssel Ia-VO). Die Intervention ist freiwillig, wenn der Dritte von sich aus in das Verfahren eintritt, um seine Interessen zu wahren. Sie ist erzwungen, wenn der Dritte während des Verfahrens durch eine oder mehrere Prozessparteien geladen wird (Art. 16 Brüssel IaVO).“131 Wichtigste Fallgruppen sind der Deckungsprozess des in Anspruch Genommenen gegen seinen Versicherer132 (sofern nicht Art. 11 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vorrangig ist), oder sonstige Regressklagen wie die des Herstellers gegen seinen Zulieferer133 oder Klagen, mit denen ein Ausgleich zwischen Gesamtschuldnern geltend gemacht wird.134 Auf Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO soll auch die Zuständigkeit für eine Regressklage eines Beklagten gegen einen Mitbeklagten gestützt werden können, obgleich es sich beim Beklagten dann um keinen prozessexternen Dritten handelt.135 Demgegenüber liegt eine Drittbeteiligung mit bloß präjudizieller Bindungswirkung, die nicht auf eine vollstreckbare Verurteilung des Interventionsbeklagten zielt, außerhalb von Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.136 28
Will der Beklagte des Rechtsstreites keinen Regressanspruch, sondern einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Dritten geltend machen, lässt sich die Zuständigkeit des Gerichts nicht auf Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO gründen.137 Denn dass Regressanspruch und Schadensersatzanspruch auf dem gleichen Lebenssachverhalt beruhen, genügt allein noch nicht für eine Anwendbarkeit von Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.138 Die eigenen Schadensersatzansprüche müssen dann selbständig geltend gemacht werden. In Betracht kommen die Gerichtsstände nach Art. 7 Nr. 1 oder 2 Brüssel Ia-VO. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass der so bestimmte Gerichtsstand und der Gerichtsstand des Hauptprozesses zusammenfallen.
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Unklar ist, ob der Dritte auch als Kläger über Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO am Verfahren beteiligt sein kann.139 Dem Wortlaut der Regelung lässt sich eine Beschränkung auf Fälle, in denen der Dritte Beklagter ist, nicht entnehmen.140 Der Jenard-Bericht verweist bei der Definition der Interventionsklage ausdrücklich auch auf Art. 16 der belgischen Zivilprozessordnung, der die aktive Intervention regelt. Auch Sinn und Zweck der Interventionsklage – Prozessökonomie und Einheitlichkeit der Entscheidungen (vgl. Rz. 25) – sprechen für eine Anwendung von Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auf Interventionen durch den Dritten.141 Der EuGH hat diese bereits in allen Vorauflagen vertretene Sichtweise bestätigt. Er betont in SOVAG nachdrücklich, dass Art. 6 Nr. 2 Brüssel Ia-VO a.F. auch eine Klage umfasst, „die ein Dritter in nach dem nationalen Recht zulässiger Weise gegen den Beklagten des Hauptprozesses erhoben hat und mit der ein mit dem Hauptprozess eng zusammenhängender Anspruch geltend gemacht wird, der auf die Erstattung von Entschädigungsleistungen gerichtet ist, die der Dritte an den Kläger dieses Hauptprozesses gezahlt hat, vorausgesetzt, die Klage ist nicht nur erhoben worden, um den Beklagten dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen“.142 In welcher Form 129 Jenard-Bericht, 28; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 26 (Oberbegriff); Rüfner, IPRax 2005, 502; Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung (2010) 348. 130 Vgl. dazu auch Mansel in Hommelhoff/Jayme/Mangold (Hrsg.), Europäischer Binnenmarkt, IPR und Rechtsangleichung (1995) 182. 131 Jenard-Bericht, 28. 132 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 26; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 47. 133 Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 47 Fn. 177; vgl. auch Cassaz EuLF 2004, 196; vgl. aber auch Cassaz EuLF 2004, 197. 134 Zu weiteren Beispielen vgl. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 47 Fn. 177. 135 Cass. EuLF 2009, II-57. 136 Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung (2010) 350 f. 137 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 31; Schack, Rz. 418; Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 47; Wieczorek/ Schütze/Garber/Neumayr, Rz. 38. 138 Schack, Rz. 417. 139 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 27. 140 Mansel, RabelsZ 1995, 335; Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung (2010) 348. 141 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 49; Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6 LugÜbk Rz. 77; Mansel, RabelsZ 1995, 335; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 6; Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung (2010) 350; zweifelnd Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 27.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
die Interventionsklage erhoben wird, ist unerheblich. Regelmäßig wird aber Leistungsklage erhoben werden.143 3. Zulässigkeitsvoraussetzungen des nationalen Verfahrensrechts Die Zulässigkeit der Gewährleistungs- oder Interventionsklage kann von weiteren Bestimmungen der Verfahrensordnung des Forums abhängen, da die Brüssel Ia-VO die einzelnen Voraussetzungen für die Erhebung einer solchen Klage – insb. Parteirolle der Beteiligten und mögliche Ziele des Verfahrens – nicht regelt.144 Eine Anwendung nationaler Verfahrensregeln ist allerdings ausgeschlossen, wenn hierdurch die praktische Wirksamkeit, insb. der Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO beeinträchtigt würde.145 Die Zulassung einer Gewährleistungsklage darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil der wegen Gewährleistung in Anspruch genommene Dritte seinen Aufenthalt oder Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Gericht des Hauptprozesses hat.146
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4. Zuständigkeit des Gerichts der Hauptklage für die Interventions- oder Gewährleistungsklage Gewährleistungs- oder Interventionsklage können gem. Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO vor dem Gericht des Hauptsacheverfahrens erhoben werden. Die Zuständigkeit des Hauptsachegerichts für die Hauptsache kann sich sowohl aus Art. 4 Brüssel Ia-VO als auch anderen Vorschriften der Brüssel Ia-VO ergeben. Die Zuständigkeitsregeln sind im Hinblick auf Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO gleichwertig.147 Dies ergibt sich sowohl aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, einheitliche Entscheidungen herbeizuführen und das Verfahren ökonomisch zu gestalten, als auch aus einem Vergleich von Nr. 1 und Nr. 2.148 Dass das Gericht des Hauptprozesses u.U. allein aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien (vgl. aber auch Rz. 36) des Hauptprozesses zuständig ist, ist grds. unbeachtlich.149 Zu beachten ist gerade in letzteren Fällen jedoch das Missbrauchsverbot (vgl. Rz. 35).
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Ob Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auch dann anzuwenden ist, wenn die Zuständigkeit des Gerichts für 32 das Hauptsacheverfahren auf autonomem Prozessrecht beruht, ist umstritten. Hielte man auch autonome Zuständigkeiten für beachtlich, würde Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO „zum trojanischen Pferd für die von [Art. 5] Abs. 2 […] ausgeschlossenen exorbitanten Zuständigkeiten“.150 Im Interesse eines 142 EuGH v. 21.1.2016 – C-521/14, ECLI:EU:C:2016:41 – SOVAG – Schwarzmeer und Ostsee Versicherungs-Aktiengesellschaft vs. If Vahinkovakuutusyhtiö Oy, DAR 2016, 79 m. Anm. Staudinger; vgl. dazu auch Dominelli, EuLF 2016, 29. 143 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 28. 144 Schlosser-Bericht, Nr. 135; EuGH v. 15.5.1990 – C-365/88, ECLI:EU:C:1990:203 – Kongressagentur Hagen vs. Zeehaghe, EuGHE 1990 I 1845 Rz. 18 f. = IPRax 1992, 310 m. Bspr. Coester-Waltjen, 290 = Rev. crit. dip. 1990, 564 m. Anm. Gaudemet-Tallon; EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 – GIE Réunion européenne u.a. vs. Zurich España und Soptrans, EuGHE 2005 I 4509 Rz. 34 = VersR 2005, 1001 m. Anm. Heiss = IPRax 2005, 535 m. Bspr. Rüfner, 500 = Rev. crit. dip. 95 (2006) 168 m. Anm. Sinay-Cytermann; ausf. Winter, 82 ff.; von Paris, Die Streitverkündung im europäischen Interventionsrecht (2011) 50 ff. 145 EuGH v. 15.5.1990 – C-365/88, ECLI:EU:C:1990:203 – Kongressagentur Hagen vs. Zeehaghe, EuGHE 1990 I 1845 Rz. 20; EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 – GIE Réunion européenne u.a. vs. Zurich España und Soptrans, EuGHE 2005 I 4509 Rz. 35; Hess, EuZVR § 6 Rz. 88; von Paris, Die Streitverkündung im europäischen Interventionsrecht (2011) 52. 146 EuGH v. 15.5.1990 – C-365/88, ECLI:EU:C:1990:203 – Kongressagentur Hagen vs. Zeehaghe, EuGHE 1990 I 1845 Rz. 21; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 33; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 6; Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 38. 147 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 30; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 6; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 30; für das Verhältnis von Art. 2 Brüssel Ia-VO zu Art. 5 Brüssel Ia-VO EuGH v. 15.5.1990 – C-365/88, ECLI:EU:C:1990:203, IPRax 1992, 310 – Kongressagentur Hagen vs. Zeehaghe, EuGHE 1990 I 1845 Rz. 11. 148 Coester-Waltjen, IPRax 1992, 291; Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht (2010) 77. 149 Schack, Rz. 417; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 30; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 55; Wieczorek/Schütze/ Garber/Neumayr, Rz. 43. 150 Schack, Rz. 417 in Fn. 4; Gaudemet-Tallon5, Nr. 250; mit dieser Begründung die Anwendung des Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ablehnend Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 55; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 22; Krop-
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs effektiven Drittschutzes sollte Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO bei derartigen Fallgestaltung daher keine Anwendung finden.151 33
Einer besonderen Konnexität, etwa einer engen Beziehung i.S.v. Art. 30 Brüssel Ia-VO, bedarf es im Rahmen von Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO nicht.152 Bereits die sachliche Verknüpfung des Hauptprozesses mit dem Regress des Dritten, d.h. das Vorliegen einer Gewährleistungs- oder Interventionsklage, ist nach dem Willen des Verordnungsgebers Rechtfertigung genug, um eine einheitliche Entscheidung zu ermöglichen und den beklagten Dritten außerhalb seines Wohnsitzstaats gerichtspflichtig zu machen.153 Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO verlangt daher darüber hinaus keinen anderen Zusammenhang als den, der für die Feststellung ausreicht, dass kein Gerichtsstandsmissbrauch vorliegt (vgl. Rz. 35).154 5. Anerkennung und Vollstreckbarkeit
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Die von einem nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zuständigen Gericht erlassenen Gewährleistungsurteile sind in den übrigen Mitgliedstaaten gem. Art. 36 ff. Brüssel Ia-VO anzuerkennen und zu vollstrecken. Das gilt nach Art. 65 Abs. 2 S. 1 Brüssel Ia-VO auch für Österreich, Ungarn und Deutschland, die einen Gerichtsstand der Gewährleistungs- oder Interventionsklage nicht kennen.155 Umgekehrt werden die Wirkungen der Streitverkündung in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt (Art. 65 Abs. 2 S. 2 Brüssel Ia-VO). 6. Missbrauchsverbot
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Art. 8 Nr. 2 HS 2 Brüssel Ia-VO statuiert ein Missbrauchsverbot. Eine Zuständigkeit des Hauptsachegerichts für Gewährleistungs- oder Interventionsklage besteht nicht, wenn die Hauptklage nur erhoben wurde, um den Dritten dem für ihn zuständigen Gericht zu entziehen.156 Dadurch soll der Gewährleistungsbeklagte vor einer Zuständigkeitserschleichung geschützt werden.157 Nach Auffassung des EuGH muss zwischen dem Hauptprozess und der Gewährleistungsklage ein Zusammenhang bestehen, der den Schluss zulässt, dass kein Gerichtsstandsmissbrauch vorliegt.158 Aber auch bei Bestehen eines solchen Zusammenhangs sollten insb. Fälle als erfasst angesehen werden, in denen eine Ge-
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holler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 30; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 6; a.A. Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl. Art. 6 EuGVÜ Rz. 21 mit Hinweis auf EuGH v. 27.6.1991 – C-351/89, ECLI:EU:C:1991:279 – Overseas Union Insurance vs. New Hampshire Insurance, EuGHE 1991 I 3317 Rz. 14. Diese Argumentation überzeugt aber deshalb nicht, weil für den Regressbeklagten, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat i.S.d. VO hat, die exorbitanten Gerichtsstände nicht eingreifen sollen; anders gelagert ist aber der vom EuGH entschiedene Fall: hier war die nach autonomem Recht bestimmte Zuständigkeit nach Art. 4 EuGVÜ/Brüssel I-VO gerade zulässig, weil die Beklagte ihren Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat hatte. Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht (2010) 79; a.A. von Paris, Die Streitverkündung im europäischen Interventionsrecht (2011) 29. GA Jacobs, C-77/04 – GIE Réunion européenne u.a. vs. Zurich España und Soptrans, EuGHE 2005 I 4509 Rz. 34; Hess, EuZVR § 6 Rz. 88; Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6 LugÜbk Rz. 83; a.A. Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung (2010) 352 ff.; von Paris, Die Streitverkündung im europäischen Interventionsrecht (2011) 29 ff. Rauscher, IPR Rz. 1879; Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung (2010) 347; Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht (2010) 80 f.; näher Winter, 72 f. EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 – GIE Réunion européenne u.a. vs. Zurich España und Soptrans, EuGHE 2005 I 4509 Rz. 33. OGH, JBl 1997, 368 m. krit. Anm. Klicka, 611; OGH v. 18.7.2002 Az. 3 Ob 31/02h (nicht veröffentlicht); OGH TranspR 2004, 251; OLG Hamburg v. 5.8.1993 – 6 W 92/89, IPRax 1995, 391; Mansel, IPRax 1995, 362; Mansel in Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg.), Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano (2005) 205; von Paris, Die Streitverkündung im europäischen Interventionsrecht (2011) 53 ff.; speziell zur Anerkennung französischer Urteile über Interventionsklage vgl. Knöchel, Anerkennung französischer Urteile mit Drittbeteiligung (2010) 343 ff. Jenard-Bericht, 27. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 58. EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 – GIE Réunion européenne u.a. vs. Zurich España und Soptrans, EuGHE 2005 I 4509 Rz. 33; vgl. auch Cassaz Riv. dir. int. priv proc 2006, 785; Cass. Rev. crit. dip. 96 (2007), 847 m. Anm. Pataut.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
richtsstandsabrede zwischen den Parteien des Hauptprozesses allein deshalb getroffen wurde, um den Dritten vor dem nach dieser Vereinbarung zuständigen Gericht im Wege der Gewährleistungsklage oder Intervention verklagen zu können, oder die Parteien des Hauptprozesses in sonstiger Weise zusammenwirken, um dem Beklagten seinen gewöhnlichen Gerichtsstand zu entziehen, oder der Kläger des Hauptprozesses die Klage allein deshalb erhebt, weil er hofft, der Beklagte werde gegen den Dritten eine Interventions- oder Gewährleistungsklage anstrengen.159 7. Zuständigkeitsvereinbarungen Gerichtsstandsvereinbarungen können grds. die Zuständigkeit des Gerichts für die Hauptklage be- 36 gründen und damit nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auch für die Gewährleistungs- und Interventionsklage begründen (Rz. 31). Jede Partei kann sich aber auch durch Gerichtsstandsvereinbarungen gegen unerwartete Interventionsklagen wappnen. Hat sie mit ihrem Vertragspartner eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines oder der Gerichte des Staates A geschlossen, kann vor keinem der nach Art. 25 Brüssel Ia-VO derogierten Gerichte eine auf Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO gestützte Interventionsklage erhoben werden.160 Nach verbreiteter Auffassung soll allerdings eine Abrede zwischen Parteien mit gleichem Wohnsitzstaat, mit der die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates vereinbart wird, nicht für einen Ausschluss der Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO genügen, da sich eine solche Vereinbarung regelmäßig nur auf die örtliche und nicht auf die internationale Zuständigkeit beziehe.161 Das überzeugt nicht. Denn bereits dem Umstand, dass die Parteien nur die örtliche Zuständigkeit regeln wollten, lässt sich ohne weiteres entnehmen, dass damit auch nur die Gerichte dieses Staates international zuständig und alle übrigen internationalen Zuständigkeiten derogiert sein sollten.162
IV. Gerichtsstand der Widerklage (Nr. 3) 1. Allgemeines Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO begründet einen besonderen Gerichtsstand der Widerklage.163 Ein solcher 37 Gerichtsstand fand sich bereits in den meisten bilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen164 und ist in allen Mitgliedstaaten bekannt.165 Der Gerichtsstand der Widerklage dient der geordneten Rechtspflege, indem er den Parteien die Möglichkeit eröffnet, sämtliche auf einer gemeinsamen Grundlage beruhenden wechselseitigen Ansprüche im Laufe desselben Verfahrens und vor demselben Richter klären zu lassen, und dadurch überflüssige und mehrfache Verfahren vermeidet.166 Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK zwingt nicht zur Einräumung der Widerklagemöglichkeit.167 Bei der Auslegung der Vorschrift, insbesondere der Konnexität,
159 High Court (Q.B.) [1998] ILPr 713; Kropholler, Rz. 32; ausf. Köckert, Die Beteiligung Dritter im internationalen Zivilverfahrensrecht (2010) 81 ff.; von Paris, Die Streitverkündung im europäischen Interventionsrecht (2011) 36 f.; Winter, 73 ff. 160 Kropholler/von Hein, Art. 23 a.F. Rz. 101; Schack, Rz. 417; Hess, EuZVR § 6 Rz. 88; vgl. auch von Hoffmann/ Hau, RIW 1997, 90 f.; von Paris, Die Streitverkündung im europäischen Interventionsrecht (2011) 41 ff. 161 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 34; Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl. Art. 6 EuGVÜ Rz. 28. 162 A.A. Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 34; Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl. Art. 6 EuGVÜ Rz. 28. 163 Zur Widerklage in der CMR und der Bedeutung von Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO vgl. Demuth, FS Thume (2008) 133; außerdem Okon´ska, Die Widerklage im Zivilprozessrecht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten (2015), 337 ff. 164 Jenard-Bericht, 28. 165 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 35. Ausführlicher Rechtsvergleich bei Okon´ska, Die Widerklage im Zivilprozessrecht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten (2015). 166 EuGH v. 12.10.2016 – C-185/15, ECLI:EU:C:2016:763 – Marjan Kostanjevec vs. F&S Leasing GmbH, EuZW 2016, 914 37; EuGH v. 31.5.2018 – C-306/17, ECLI:EU:C:2018:360 – Éva Nothartová vs. Sámson József Boldizsár, RIW 2018, 438 Rz. 22; C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida, IPRax 2019, 535 = NJW 2018, 2383 Rz. 29. 167 Wilke in Baruffi/Ortino (Hrsg.), Trending topics in international and EU law: legal and economic perspectives (2019), 307, 317 ff.
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs ist aber auf den ebenfalls von Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Zugang zu Gericht zu achten.168 Denn zwar ist der Gerichtsstand der Widerklage im Gefüge der Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel Ia-VO grds. fakultativ.169 Besonderheiten können sich jedoch im Zusammenspiel mit den Rechtshängigkeitsregeln ergeben: Geht es bei zuerst erhobener Klage und der vom Beklagten gegen den Kläger zu erhebenden Klage um „denselben Anspruch“ i.S.d. Art. 29 Brüssel Ia-VO, bleibt dem Beklagten für seinen Gegenangriff de facto nur der Weg der Widerklage. 37a
Der Begriff der Widerklage ist autonom auszulegen.170 Der EuGH verlangt „eine Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung“.171 Erforderlich ist, dass der Beklagte im Laufe des Verfahrens einen neuen Antrag stellt und dadurch seinerseits zum (Wider-)Kläger wird, dieser Antrag sich auf einen Anspruch beliebiger Art bezieht und auf eine gesonderte Verurteilung des Klägers gerichtet ist, sich also nicht auf die Abweisung von dessen Ansprüchen beschränkt.172 Erfasst sind Widerklagen des Beklagten sowie Wider-Widerklagen des Klägers,173 nicht hingegen Drittwiderklagen,174 Widerklagen Dritter oder parteierweiternde Widerklagen.175 Ihre Erhebung im Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO setzt die Anhängigkeit einer Hauptklage voraus. 2. Anwendungsbereich a) Zuständigkeit des Gerichts für die Hauptklage nach nationalem Recht
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Die Widerklage muss in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO fallen. Ob Gleiches auch für die Hauptklage gelten muss176 oder bei ihr bereits eine Zuständigkeit nach nationalem Recht genügt,177 ist umstritten.178 Die besseren Argumente sprechen für letztere Lösung. Nur sie trägt dem Zweck der Vorschrift – Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen – hinreichend Rechnung. Drittinteressen, die einer Anwendung der Regelung entgegenstehen könnten, sind nicht gefährdet. b) Wohnsitz des Widerbeklagten in einem Mitgliedstaat
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Aus dem Eingangssatz von Art. 8 Brüssel Ia-VO ergibt sich, dass der Widerbeklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben muss. Nach verbreiteter Auffassung soll Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO aber auch (entsprechende) Anwendung finden, sofern der Widerkläger in einem Mitgliedstaat ansässig ist, nicht aber der Widerbeklagte, und zwar mindestens dann, wenn sich die Zuständigkeit für die Hauptklage aus der Brüssel Ia-VO ergibt; denn ansonsten würden die Zuständigkeitsvorschriften für Klage und Widerklage auseinander gerissen.179 Der BGH hat sich in einem derartigen Fall für die Anwen168 Wilke in Baruffi/Ortino (Hrsg.), Trending topics in international and EU law: legal and economic perspectives (2019), 307, 320 ff.; Okon´ska, Die Widerklage im Zivilprozessrecht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten (2015), 292 ff., jeweils m.w.N. 169 EuGH v. 31.5.2018 – C-306/17, ECLI:EU:C:2018:360 – Éva Nothartová vs. Sámson József Boldizsár, RIW 2018, 438 Rz. 26 ff.; vgl. dazu auch Wilke, GPR 2018, 283. 170 Ausf. Winter, 101 ff. 171 EuGH v. 13.7.1995 – C-341/93, ECLI:EU:C:1995:239 – Danvern Production vs. Schuhfabriken Otterbeck, EuGHE 1995 I 2053 Rz. 18; EuGH v. 12.10.2016 – C-185/15, ECLI:EU:C:2016:763 – Marjan Kostanjevec vs. F&S Leasing GmbH, EuZW 2016, 914 Rz. 32. 172 GA Léger, C-341/93 – Danvern Production vs. Schuhfabriken Otterbeck, EuGHE 1995 I 2053. 173 Vgl. zur Wider-Widerklage auch BGH v. 16.10.2008 – III ZR 253/07, NJW 2009, 148 = LMK 2009, 273638 m. Anm. H. Roth; OLG Koblenz v. 12.10.2007 – 8 U 430/06, OLGR Koblenz 2008, 243. 174 Für eine Subsumtion unter Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO als Interventionsklage allerdings P. Schlosser, FS Dagmar Coester-Waltjen (2015) 737 ff. 175 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 9; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rz. 42; Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6 LugÜbk Rz. 101. 176 So Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 36; Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Rz. 59; Geimer, NJW 1986, 2993; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 25; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 64. 177 Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl. Art. 6 EuGVÜ Rz. 31; Roth in Stein/Jonas, § 33 ZPO Rz. 44; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 9; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 7; Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6 LugÜbk Rz. 105; Winter, 105. 178 Zusammenfassend (und im Ergebnis für die hiesige Auffassung) Okon´ska, Die Widerklage im Zivilprozessrecht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten (2015), 324 ff.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
dung autonomen Rechts entschieden und die Widerklagezuständigkeit auf § 33 ZPO gestützt.180 Der Streit ist indes von geringer praktischer Bedeutung, da sämtliche Mitgliedstaaten einen dem Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO entsprechenden Gerichtsstand kennen.181 3. Anhängigkeit der Hauptsache Die Erhebung einer Widerklage im Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO setzt die Anhängigkeit einer Hauptklage voraus. Wird die Hauptklage als unzulässig zurückgewiesen, berührt dies die Zulässigkeit der Widerklage nicht, sofern sich die internationale Zuständigkeit des mit der Widerklage angerufenen Gerichts auf andere Art und Weise (z.B. Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) begründen lässt. Ausgeschlossen ist daher die Erhebung einer Wider-Widerklage in einem Rechtsstreit, in dem über eine Widerklage bereits rechtskräftig entschieden worden ist; denn so wie die Widerklage eine Reaktion auf die Klage und von deren Anhängigkeit abhängig ist,182 ist die Wider-Widerklage eine solche auf eine Widerklage und setzt deren Anhängigkeit voraus.183 Unzulässig ist – entweder wegen entgegenstehender Rechtshängigkeit oder wegen entgegenstehender Rechtskraft – die Erhebung einer WiderWiderklage mit dem gleichen Streitgegenstand wie die Hauptklage.184
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4. Konnexität Haupt- und Widerklage müssen auf „denselben Vertrag oder Sachverhalt“ gestützt werden.185 Damit 41 verwendet Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO unter Zugrundelegung der Formulierung des EuGH zum Streitgenossengerichtsstand („dieselbe Rechtslage und dieselbe Sachlage“) einen anderen, nicht zwingend engeren186 Zusammenhangsbegriff als Nr. 1. Denn wenn auch „derselbe Vertrag“ enger als „dieselbe Rechtslage“ ist, so ist er doch mit „demselben Sachverhalt“ durch ein „oder“ verknüpft, so dass auch derselbe Sachverhalt alleine genügen sollte. Entsprechend sollte Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO auch nicht enger als § 33 ZPO zu verstehen sein.187 Wann das Konnexitätserfordernis der Nr. 3 erfüllt ist, ist autonom zu bestimmen.188 Der EuGH hat sich hierfür zuletzt häufiger der Formel der „gemeinsamen Grundlage“ von Klage und Widerklage bedient,189 deren Nutzen unklar bleibt.190 179 Geimer, NJW 1986, 2993; für eine analoge Anwendung ebenfalls Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 26; Dauses/Kreuzer/Wagner/Reder, Kap. Q II Rz. 208; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 125; a.A. m.w.N. Winter, 106; ebenso – nach ausführlicher Darstellung – Okon´ska, Die Widerklage im Zivilprozessrecht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten (2015), 315 ff. 180 BGH v. 8.7.1981 – VIII ZR 256/80, NJW 1981, 2644; zustimmend Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl., Art. 6 EuGVÜ Rz. 30. 181 Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 60. 182 BGHZ 43, 28, 30; 132, 390, 397 f. 183 BGH v. 16.10.2008 – III ZR 253/07, NJW 2009, 148 = LMK 2009, 273638 m. Anm. H. Roth; a.A. OLG Koblenz v. 12.10.2007 – 8 U 430/06, OLGR Koblenz 2008, 243. 184 BGH v. 16.10.2008 – III ZR 253/07, NJW 2009, 148 = LMK 2009, 273638 (auch zur Eventual-Wider-Widerklage). 185 Ausführlich Okon´ska, Die Widerklage im Zivilprozessrecht der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten (2015), 416 ff. 186 So aber noch 3. Aufl; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 21; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 38; Wieczorek/Schütze/Hausmann, 3. Aufl. Art. 6 EuGVÜ Rz. 33; Roth in Stein/Jonas § 33 ZPO Rz. 25 ff.; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 57; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 27; Dasser/Oberhammer/ Müller, Art. 6 LugÜbk Rz. 111. 187 In diese Richtung auch Schack, Rz. 400; AG Trier, NJW-RR 2005, 1014; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 8; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 38; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 7. 188 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 38; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 27; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 11; Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Rz. 68; Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6 LugÜbk Rz. 112; a.A. Roth in Stein/Jonas, § 33 ZPO Rz. 26. 189 EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida, NJW 2018, 2383 Rz. 29 = ZESAR 2019, 36 m. Anm. Temming/Glatz = EWiR 2018, 573 (Mankowski) = IPRax 2019, 535 m. Bspr. Brinkmann 501; vgl. dazu auch Junker, EuZA 2018, 401; außerdem EuGH v. 31.5.2018 – C-306/17, ECLI:EU:C:2018:360 – Éva Nothartová vs. Sámson József Boldizsár, RIW 2018 Rz. 23. 190 Krit. Wilke, GPR 2018, 283, 287; Wilke in Baruffi/Ortino (Hrsg.), Trending topics in international and EU law: legal and economic perspectives (2019), 307, 316: „useless legal standard“.
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs 42
An der erforderlichen Konnexität fehlt es, wenn die Widerklage nicht auf dem gleichen Vertrag oder Sachverhalt gründet wie die Hauptklage. Ein bloßer Zusammenhang zwischen zwei Verträgen genügt nicht.191 Ausgeschlossen ist daher z.B. die widerklageweise Geltendmachung von Ansprüchen, die lediglich mit Einwendungen gegen den eingeklagten Anspruch zu tun haben, aber nicht auf demselben Vertrag oder Lebenssachverhalt beruhen.192 Allerdings kann Klagen aus verschiedenen Verträgen ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde liegen und daher das Konnexitätserfordernis erfüllt sein.193 Davon wird z.B. meist auszugehen sein, wenn Klage und Widerklage auf einem einheitlichen Rahmen- oder Sukzessivlieferungsvertrag beruhen.194 Allein der Umstand, dass Klage und Widerklage auf jeweils verschiedene Kaufverträge im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien gestützt werden, genügt hingegen nicht,195 doch können die Umstände des Einzelfalls u.U. auch ein gegenteiliges Ergebnis rechtfertigen.196 Davon soll z.B. auszugehen sein bei einer auf eine bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlage gestützten Widerklage auf Rückerstattung eines Betrags, der dem im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs vereinbarten Betrag entspricht, wenn die Klage anlässlich eines neuerlichen Gerichtsverfahrens zwischen denselben Parteien infolge der Aufhebung der Entscheidung, zu der die ursprüngliche Klage zwischen diesen Parteien geführt hatte und deren Durchführung Anlass zu diesem außergerichtlichen Vergleich gegeben hatte, erhoben wurde.197
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Fehlen Vertragsbeziehungen, so ist ein Zusammenhang i.S.v. Nr. 3 anzunehmen, wenn für die Ansprüche ein einheitliches Ereignis ursächlich war.198 Der EuGH scheint dies etwas enger zu sehen, wenn er Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO in einem Fall für einschlägig hält, „in dem der Beklagte bei dem Gericht, das für die Entscheidung über eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Klägers, die darin bestehen soll, dass Fotos und Videoaufnahmen ohne dessen Wissen gemacht wurden, zuständig ist, eine Widerklage auf Schadensersatz aus deliktischer oder quasi deliktischer Haftung des Klägers insbesondere für die Beschränkung seiner geistigen Schöpfung, die Gegenstand der Klage ist, erhebt, […] wenn das Gericht im Zuge der Prüfung der Widerklage die Frage beurteilen muss, ob die Handlungen, auf die der Kläger seine eigenen Ansprüche stützt, rechtmäßig sind“.199 Warum es gerade auf die Rechtmäßigkeit der Handlungen ankommen soll und nicht allgemein auf die Relevanz bestimmter Handlungen für Klage und Widerklage, bleibt unklar.200
42b
Bei Inkonnexität von Klage und Widerklage kann sich die Entscheidungsbefugnis des Gerichts für die Widerklage aber aus anderen Vorschriften der Brüssel Ia-VO ergeben, insb. aus Art. 25, 26, 4 und 7 Brüssel Ia-VO.201 Die Zuständigkeit für die Widerklage wird in diesem Fall selbstständig geprüft. Ob beide Verfahren bei einem Gerichtsstand am gleichen Ort gemeinsam verhandelt und entschieden werden können, entscheidet dann die lex fori.
191 OGH, IPRax 2008, 548; LG Mainz, IPRspr. 1983 Nr. 134b für Scheckanspruch und Anspruch aus damit zusammenhängenden Werkvertrag; LG Köln v. 9.10.1996 – 91 O 130/94, RIW 1997, 956; Kropholler, Rz. 38. 192 Rauscher, IPR Rz. 1884 f. (Bsp. Zurückbehaltungsrecht, § 273 BGB); Hess, EuZVR § 6 Rz. 91. 193 Vgl. dazu z.B. die Fallkonstellation in EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida, IPRax 2019, 535 = NJW 2018, 2383 Rz. 31. 194 Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6 LugÜbk Rz. 113; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 38; Winter, 114; Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 63 geht in diesem Fall sogar vom Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „derselbe Vertrag“ aus; (wohl) enger OGH IPRax 2008, 548 m. Bspr. Oberhammer/Slonina, 555. 195 AG Trier, IPRax 2007, 41 m. abl. Bspr. M. Stürner 21; vgl. auch LG Köln v. 9.10.1996 – 91 O 130/94, RIW 1997, 956 = EWiR 1997, 511 (Mankowski); Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 27; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 8; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 7; Winter, 114. 196 Dazu Stürner, IPRax 2008, 23 f. 197 EuGH v. 12.10.2016 – C-185/15, ECLI:EU:C:2016:763 – Marjan Kostanjevec vs. F&S Leasing GmbH, EuZW 2016, 914 Rz. 38; dazu Wilke, GPR 2018, 283, 284. 198 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 68. 199 EuGH v. 31.5.2018 – C-306/17, ECLI:EU:C:2018:360 – Éva Nothartová vs. Sámson József Boldizsár, RIW 2018, 438 Rz. 29; vgl. dazu auch Wilke, GPR 2018, 283. 200 Wilke, GPR 2018, 283, 287. 201 Vom EuGH bestätigt in EuGH v. 31.5.2018 – C-306/17, ECLI:EU:C:2018:360 – Éva Nothartová vs. Sámson József Boldizsár, RIW 2018, 438.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
5. Beachtlichkeit nationalen Rechts Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO regelt allein die Zuständigkeit (international und örtlich). Sonstige Vo- 43 raussetzungen der Zulässigkeit einer Widerklage sind dem Recht des Forums zu entnehmen.202 Der Rekurs auf nationales Recht darf jedoch die praktische Wirksamkeit der Brüssel Ia-VO nicht beeinträchtigen.203 Bis zu dieser Grenze sind z.B. auch nationale Widerklageverbote und -beschränkungen (vgl. etwa § 595 ZPO) zu beachten.204 Nicht berücksichtigt werden Widerklageverbote oder -beschränkungen, die sich direkt oder indirekt auf den ausländischen Wohnsitz des Beklagten stützen.205 Nationales Recht findet außerdem Anwendung, wenn Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO nicht einschlägig ist, wie etwa bei der parteierweiternden Widerklage.206 6. Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache Sind die Anwendungsvoraussetzungen erfüllt und haben die Parteien keine abweichende ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung getroffen,207 ist auch für die Widerklage das Gericht zuständig, „bei dem die Klage selbst anhängig ist“. Daraus darf indes nicht geschlossen werden, dass allein Anhängigkeit genügt. Erforderlich ist vielmehr, dass das Gericht in der Hauptsache auch tatsächlich zuständig ist.208
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7. Prozessaufrechnung Zulässigkeit und Voraussetzungen der Aufrechnung bestimmen sich grundsätzlich nach Art. 17 Abs. 1 45 Rom I-VO; hierüber finden auch solche Vorschriften Anwendung, die in der berufenen Rechtsordnung prozessual qualifiziert werden.209 Ob im Fall der Prozessaufrechnung dazu kumulativ erforderlich ist, dass die Voraussetzungen des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO gegeben sind, war lange Zeit umstritten.210 Nach Auffassung des BGH konnten deutsche Gerichte über Gegenforderungen nur dann entscheiden, wenn sie auch für diese international zuständig waren.211 Zur Begründung verweist der BGH auf die materielle Rechtskraft des Urteils für die zur Aufrechnung gestellten Forderung (§ 322 II ZPO): der materiellen Rechtskraft fähig sei eine Entscheidung deutscher Gerichte aber nur dann, wenn diese für sie auch international zuständig sind.212 Das bereitet keine Probleme, sofern sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus anderen Regelungen der Brüssel Ia-VO ergibt (z.B. Art. 4 und 7 Brüssel Ia-VO). Ebenfalls unproblematisch ist die Sachlage, wenn Forderung und Gegenforderung in einem den Anforderungen des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO genügenden Kon-
202 Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Rz. 74; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 60; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 31; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 40. 203 EuGH v. 15.5.1990 – C-365/88, ECLI:EU:C:1990:203 – Kongressagentur Hagen vs. Zeehage, EuGHE 1990 I 1845 Rz. 20; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 60; Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Rz. 74. 204 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 31; Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Rz. 74; Dauses/Kreuzer/Wagner/Reder, Kap. Q II Rz. 210; a.A. Schack, Rz. 400; Jayme, IPRax 1984, 101. 205 Entsprechend zu Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO EuGH v. 15.5.1990 – C-365/88, ECLI:EU:C:1990:203 – Kongressagentur Hagen vs. Zeehage, EuGHE 1990 I 1845 Rz. 21. 206 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 31; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 40. 207 Vgl. dazu Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 30; Schack, Rz. 400; zu § 33 ZPO z.B. BGHZ 52, 36; 59, 116; BGH v. 8.7.1981 – VIII ZR 256/80, RIW 1981, 703; WM 1985, 1509; OLG Hamm, RIW 1999, 788. 208 Rauscher, IPR Rz. 1885; Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6 LugÜbk Rz. 123; a.A. H. Roth, LMK 2009, 273638. 209 BGH, IHR 2014, 136. 210 So die Vorlagefrage zu EuGH v. 13.7.1995 – C-341/93, ECLI:EU:C:1995:239 – Danvern Production vs. Schuhfabriken Otterbeck, EuGHE 1995 I 2053. 211 BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, NJW 1993, 2753 = IPRax 1994, 116 m. Bspr. Geimer, 82 = ZZP 107 (1994) 211 m. Anm. Leipold = WuB VII B 1 Art. 6 EuGVÜ 1.94 (Thode); vgl. auch BGHZ 60, 87 f.; Geimer, NJW 1973, 951; Geimer, IPRax 1986, 211 f.; Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage (1985) 179 ff. 212 BGH, IPRax 1994, 116.
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Art. 8 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand des Sachzusammenhangs nexitätsverhältnis stehen: dann ergibt sich die internationale (und örtliche) Zuständigkeit des Gerichts für eine Entscheidung über die Forderung, die zur Aufrechnung gestellt wird, aus dieser Vorschrift. Liegt aber auch eine solche Konstellation nicht vor, kann nach Ansicht des BGH das Gericht über die Gegenforderung nicht entscheiden. Eine Aufrechnung ist ausgeschlossen. 46
Anders hingegen der EuGH,213 der eine Entscheidung über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nicht unter die Voraussetzung der engen Konnexitätsvoraussetzungen des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO stellt, da zwischen Widerklage und Aufrechnung differenziert werden müsse; während die Aufrechnung reines Verteidigungsmittel sei, werde mit der Widerklage eine gesonderte Klage auf Begleichung einer Schuld erhoben.214 Als Verteidigungsmittel falle die Aufrechnung nicht in den Anwendungsbereich des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO, sondern sei Bestandteil des vom Kläger in Gang gesetzten Verfahrens, das durch die Vorschriften des nationalen Rechts gestaltet werde.215 Einer Konnexität i.S.v. Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO zwischen Forderung und Gegenforderung bedarf es folglich nicht. Allein die nationalen Rechtsordnungen bestimmen, welche Voraussetzungen für die Aufrechnung gelten.
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Umstritten ist indes, wie dieser Verweis auf nationales Recht zu verstehen ist. Nach z.T. vertretener Auffassung hat der EuGH für die Zulässigkeit der Aufrechnung auf die lex fori verwiesen.216 Da die internationale Zuständigkeit nationale deutsche Voraussetzung für die Prozessaufrechnung sei,217 bedürfe es auch zukünftig der internationalen Zuständigkeit, damit das Gericht über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung entscheiden könne.218 Indes dürfte der EuGH nur die Zulässigkeit nach materiellem Recht gemeint haben, da die Brüssel Ia-VO die prozessualen Zuständigkeitsvoraussetzungen abschließend regelt.219 Im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO lässt sich das Zuständigkeitserfordernis folglich nicht aufrechterhalten.220 Darüber hinaus sprechen gute Gründe dafür, auch bei alleiniger Geltung der ZPO darauf zu verzichten.221 Der BGH hat diese Frage in der einzigen seitdem ergangenen Entscheidung zur Aufrechnungszuständigkeit mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen.222 Die obergerichtliche Rechtsprechung bejaht die Notwendigkeit der Aufrechnungszuständigkeit jedenfalls weiterhin für bestrittene, inkonnexe, nicht rechtskräftig festgestellte Ansprüche.223
213 EuGH v. 13.7.1995 – C-341/93, ECLI:EU:C:1995:239 – Danvern Production vs. Schuhfabriken Otterbeck, EuGHE 1995 I 2053 = Rev. crit. dip. 1996, 143 m. Anm. Gaudemet-Tallon = EuZW 1995, 639 m. Anm. Geimer = NJW 1996, 42 m. Bspr. Bacher, 2140 = WuB VII B Art. 6 EuGVÜ 1.96 (Nassall) = ZZP 109, 373 m. Anm. Mankowski = IPRax 1997, 114 m. Bspr. Philip, 97. 214 EuGH v. 13.7.1995 – C-341/93, ECLI:EU:C:1995:239 – Danvern Production vs. Schuhfabriken Otterbeck, EuGHE 1995 I 2053 Rz. 12. 215 EuGH v. 13.7.1995 – C-341/93, ECLI:EU:C:1995:239 – Danvern Production vs. Schuhfabriken Otterbeck, EuGHE 1995 I 2053 Rz. 13; vgl. auch BGH v. 23.6.2010 – VIII ZR 135/08, WM 2010, 1712 Rz. 17. 216 Hess, EuZVR § 6 Rz. 92. 217 OLG Hamm IPRspr. 1997 Nr. 160A; Schack, Rz. 402. 218 OLG Hamm IPRspr. 1997 Nr. 160A; LG Duisburg v. 17.4.1996 – 45 (19) O 80/94, RIW 1996, 774; LG Berlin v. 19.3.1996 – 102 O 261/95, RIW 1996, 960; Badelt, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-spanischen Rechtsverkehrs (2005) 101 ff.; Coester-Waltjen, FS Lüke (1997) 46 f.; Geimer/Schütze/Auer, Art. 6 a.F. Rz. 74; Gruber, IPRax 2002, 287; Jayme/Kohler, LG Detmold v. 29.9.1994 – 9 O 57/94, IPRax 1995, 249; Mansel, ZZP 109 (1996) 75; Piekenbrock, RIW 2000, 751 f.; Wagner, IPRax 1999, 71 f.; wohl auch Hess/Müller, JZ 2002, 608. 219 Rauscher, IPR Rz. 1888. 220 LG Köln v. 9.10.1996 – 91 O 130/94, RIW 1997, 956; Bacher, NJW 1996, 2141; Busse, MDR 2001, 729; Gebauer, IPRax 1998, 85; Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1998) 181 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 45 in Fn. 158; Leipold, ZZP 107 (1994) 216; Mankowski, ZZP 109 (1996) 394; Rauscher, IPR Rz. 1888; Roth, RIW 1999, 819; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 10. 221 Coester-Waltjen, FS Lüke (1997) 48; Gebauer, IPRax 1998, 85; Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1998) 184 ff.; Roth, RIW 1999, 819. 222 BGHZ 149, 120 = IPRax 2002, 299 m. Bspr. Gruber, 285 = MDR 2002, 410 m. Anm. Vollkommer = WuB VII B Art. 6 EuGVÜ 2.02 (Rauscher) =JZ 2002, 605 m. Anm. Hess = JR 2002, 501 m. Anm. Dörner. 223 OLG Karlsruhe, IPRspr. 2012, Nr. 194, 445 Rz. 34 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 8 Brüssel Ia-VO
V. Vertragsklagen im Zusammenhang mit dinglichen Klagen (Nr. 4) 1. Allgemeines Art. 8 Nr. 4 Brüssel Ia-VO eröffnet einen besonderen Gerichtsstand für Vertragsklagen, die im Zu- 48 sammenhang mit einer Klage wegen eines dinglichen Rechts an einer unbeweglichen Sache stehen. Die Vorschrift fand erst mit dem 3. Beitrittsübereinkommen Eingang in das EuGVÜ, wurde unverändert in die Brüssel I-VO übernommen und blieb auch im Rahmen von deren Reform unverändert. Auch sie dient der Prozessökonomie und der Vermeidung widersprechender Entscheidungen und kommt dem Interesse des Gläubigers, dingliche und persönliche Ansprüche zusammen geltend machen zu können, entgegen,224 indem sie dem Kläger für vertragliche Streitigkeiten den besonderen Gerichtsstand am Belegenheitsort der unbeweglichen Sache zur Verfügung stellt. Bedeutung hat die Bestimmung etwa für die Verbindung von Klagen auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück aus dinglichen Sicherungsrechten mit der schuldrechtlichen Klage aus der gesicherten Forderung.225 2. Vertragsklage Vorausgesetzt wird eine Klage wegen eines Vertrags oder Ansprüchen aus einem Vertrag. Wann ein Vertrag gegeben ist oder Ansprüche aus einem Vertrag geltend gemacht werden, ist autonom zu bestimmen.226 Auf die Ausführungen zu Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (Art. 7 Rz. 20 ff.) kann verwiesen werden.
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3. Klage wegen eines dinglichen Rechts an einer unbeweglichen Sache Die Klage muss im Zusammenhang mit einer Klage wegen dinglicher Rechte an einer unbeweglichen Sache erhoben werden. Zur Auslegung des Begriffs „unbeweglicher Sache“ ist auf die Ausführungen zu Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO (vgl. Art. 7 Rz. 65) und zu Art. 24 Brüssel Ia-VO (dort Art. 24 Rz. 12 mit a.A.) zu verweisen. Es genügt nicht, dass der Kläger – wie der Wortlaut vermuten lässt – die dingliche Klage erheben kann. Die dingliche Klage muss vielmehr tatsächlich erhoben worden sein.227
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4. Enger Bezug Dingliche Klage und die Vertragsklage müssen einen engen Bezug zueinander aufweisen, der eine Verbindung der Klagen miteinander rechtfertigt.228 Erforderlich sind sowohl ein tatsächlicher als auch ein prozessualer Zusammenhang.229 Vorausgesetzt wird weiterhin, dass aufgrund des engen Bezugs nach dem Recht am Belegenheitsort beide Klagen miteinander verbunden werden können. Daher bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, weitere Voraussetzungen für eine Klageverbindung aufzustellen, soweit nur dadurch eine Klageverbindung nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird.230 Lässt das nationale Recht im konkreten Fall eine Verbindung nicht zu, ist trotz eines engen Bezugs auch der Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 4 Brüssel Ia-VO nicht eröffnet.
224 225 226 227
Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 75. Leible/Freitag, Forderungsbeitreibung in der EU (2008) § 2 Rz. 128; Hess, EuZVR § 6 Rz. 93 in Fn. 459. Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 48; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 76. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 78; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 52; Wieczorek/Schütze/Garber/Neumayr, Rz. 90. 228 Trunk, Die Erweiterung des EuGVÜ-Systems am Vorabend des Europäischen Binnenmarktes: das LuganoÜbereinkommen und das EuGVÜ-Beitrittsübereinkommen von San Sebastian (1991) 40 f.; Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 90; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 51; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 79. 229 Ausf. Winter, 144 ff. 230 Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 51; Winter, 149.
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Art. 9 Brüssel Ia-VO Besonderer Gerichtsstand in Seehaftungssachen 5. Identität von Kläger und Beklagtem 52
Der Beklagte der beiden Klagen muss nach dem Wortlaut der Vorschrift identisch sein („denselben Beklagten“). Daneben bedarf es aber auch einer Identität des Klägers, wie sich bereits aus dem Bericht zum LugÜbk 1988, der eine inhaltsgleiche Vorschrift enthält, ergibt.231 Ausgeschlossen sind daher z.B. schuldrechtliche Klagen, wenn Grundstückseigentümer und persönlicher Schuldner personenverschieden sind.232 6. Zuständigkeit des Gerichts am Belegenheitsort
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Das Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die unbewegliche Sache belegen ist, ist auch für die Entscheidung über den Vertrag oder die Ansprüche aus Vertrag zuständig. Damit ermöglicht Art. 8 Nr. 4 Brüssel Ia-VO einen Gleichlauf mit Art. 24 Nr. 1 Unterabs. 1.233 Der Kläger kann jedoch auch von einer Verbindung absehen und stattdessen am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten oder im Vertragsgerichtsstand Klage erheben.
Artikel 9 [Besonderer Gerichtsstand in Seehaftungssachen] Ist ein Gericht eines Mitgliedstaats nach dieser Verordnung zur Entscheidung in Verfahren wegen einer Haftpflicht aufgrund der Verwendung oder des Betriebs eines Schiffes zuständig, so entscheidet dieses oder ein anderes an seiner Stelle durch das Recht dieses Mitgliedstaats bestimmtes Gericht auch über Klagen auf Beschränkung dieser Haftung. Schrifttum: Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011); Giannatasio, Le statut des bateaux, en particulier dans l’exécution forcée, et la procédure de limitation de la responsabilité moyennant constitution d’un fonds de limitation (2009).
I. Allgemeines 1
Die Vorschrift ist durch das 1. Beitrittsübereinkommen vom 9.10.1978 als Art. 6a EuGVÜ in das EuGVÜ eingefügt und sodann unverändert als Art. 7 in die Brüssel I-VO übernommen worden; seit der Reform der EuGVVO findet sie sich in Art. 9 Brüssel Ia-VO wieder. Ihr Ziel ist es, dem Haftpflichtigen eine Möglichkeit zu verschaffen, eine auf die Feststellung der Beschränkung seiner Haftung gerichtete Klage auch an seinem Wohnsitz erheben und damit alle mit einer seerechtlichen Haftungsbegrenzung (vgl. z.B. §§ 485 ff. HGB, 305a, 786a ZPO) zusammenhängenden Verfahren hier konzentrieren zu können.1 Der Schiffseigentümer hat zum einen die Möglichkeit, eine Beschränkung oder Beschränkbarkeit seiner Haftung in einem gegen ihn gerichteten Verfahren verteidigungsweise geltend zu machen. Er kann andererseits aber auch, wenn die Erhebung einer gegen ihn gerichteten Klage absehbar ist, ein Interesse daran haben, von sich aus auf Feststellung zu klagen, er hafte für die Forderung nur beschränkt oder beschränkbar. Für diese aktive Feststellungsklage stehen ihm
231 Jenard/Möller-Bericht, Nr. 47; Kropholler/von Hein, Art. 6 a.F. Rz. 50; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 6 a.F. Rz. 89; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 80; Gaudemet-Tallon5, Nr. 255; ausf. Winter, 148 f. 232 Rauscher, IPR Rz. 1892. 233 Unterschiede ergeben sich allerdings insoweit, als Art. 22 Nr. 1 Brüssel Ia-VO die Belegenheit des Grundstücks in einem Mitgliedstaat genügen lässt, während Art. 8 Nr. 4 Brüssel Ia-VO verlangt, dass sich der Beklagtenwohnsitz in einem Mitgliedstaat befindet, vgl. dazu Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6 LugÜbk Rz. 135 f. 1 Schlosser-Bericht, Nr. 128; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 7 a.F. Rz. 1; Hess, EuZVR § 6 Rz. 82; Kropholler/von Hein, Art. 7 a.F. Rz. 1; Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6a LugÜbk Rz. 1; Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 310 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 9 Brüssel Ia-VO
die durch Art. 4–8 Brüssel Ia-VO begründeten Gerichtsstände zur Verfügung, die jedoch keinen Klägergerichtsstand kennen. Eine Klage an seinem Wohnsitz kommt folglich nicht in Betracht, obgleich auch vor diesem Gericht gegen ihn geklagt werden könnte. Art. 9 Brüssel Ia-VO erlaubt ihm aus Gründen der Verfahrenskonzentration eine Klageerhebung in diesem Staat, eröffnet also ausnahmsweise ein forum actoris,2 belässt ihm darüber hinaus aber natürlich auch alle anderen Gerichtsstände, in denen gegen ihn eine Haftungsklage erhoben werden könnte.
II. Einzelheiten In den Anwendungsbereich der Norm fallen nur selbstständige Klagen, die der Schiffseigentümer zum Zweck der Haftungsbegrenzung gegen einen Anspruchsprätendenten erhebt. Nicht erfasst werden hingegen Klagen des Geschädigten gegen den Schiffseigentümer, Fondsverwalter oder konkurrierende Forderungsprätendenten, außerdem Sammelverfahren zur Errichtung und Verteilung des Haftungsfonds.3 Für Klagen gegen den Schiffseigentümer gelten die Art. 4–8 Brüssel Ia-VO. Art. 24 Brüssel Ia-VO bleibt zu beachten.
2
Art. 9 Brüssel Ia-VO determiniert nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts. Den Mitgliedstaaten bleibt es jedoch unbenommen, eine hiervon abweichende Regelung über die örtliche Zuständigkeit zu treffen.
3
Art. 9 Brüssel Ia-VO begründet keine ausschließliche, sondern lediglich eine konkurrierende Zu- 4 ständigkeit. Der Schiffseigentümer kann, muss aber nicht an seinem Wohnsitz klagen; denn die übrigen Gerichtsstände der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO werden nicht verdrängt. Er hat die Wahl. Den Parteien steht es ferner frei, mittels einer Gerichtsstandsklausel eine von Art. 9 Brüssel Ia-VO abweichende Zuständigkeit zu vereinbaren. Nach überwiegender Auffassung genießt Art. 9 Brüssel Ia-VO Vorrang gegenüber Art. 29 f. Brüssel IaVO mit der Folge, dass sich die Feststellungsklage gegenüber der Haftungsklage durchsetzt, mag letztere auch zuerst erhoben worden sein.4 Davon zu unterscheiden ist der Antrag auf Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds, wie er etwa im Internationalen Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung der Eigentümer von Seeschiffen vom 10.10.19575 vorgesehen ist. Dieser Antrag und eine vom Geschädigten beim Gericht eines anderen Mitgliedstaats erhobene Schadensersatzklage gegen den Schiffseigentümer haben weder denselben Gegenstand noch dieselbe Grundlage und begründen daher keine Rechtshängigkeitssituation i.S.v. Art. 29 Brüssel Ia-VO.6
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Art. 9 Brüssel Ia-VO trifft keine Aussage über das anwendbare Recht, führt also nicht automatisch zu einem Gleichlauf zwischen Verfahrens- und materiellem Recht. Es gilt nicht per se die materielle lex fori, sondern entweder das vom Kollisionsrecht des Forums berufene nationale Sachrecht oder aber internationales Einheitsrecht. In Betracht kommt hier u.a. das Londoner Übereinkommen über die Beschränkung der Haftung für die Seeforderungen vom 19.11.1976.7 Dieses Übereinkommen enthält keine Kompetenznormen, die nach Art. 71 Brüssel Ia-VO Vorrang vor Art. 9 Brüssel Ia-VO genießen.
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2 Kritisch Magnus/Mankowski/Muir Watt, Rz. 2; positiver Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 310 f. 3 Schlosser-Bericht, Nr. 127; Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 314. 4 Hess, EuZVR § 6 Rz. 82; Schlosser, zu Art. 9; wohl auch Kropholler/von Hein, Art. 7 a.F. Rz. 3; Dasser/Oberhammer/Müller, Art. 6a LugÜbk Rz. 5 f.; a.A. Magnus/Mankowski/Muir Watt, Rz. 2; wohl auch Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 311. 5 BGBl. 1972 II 653. 6 EuGH v. 14.10.2004 – C-39/02 – Mærsk Olie & Gas vs. de Haan en de Boer, EuGHE 2004 I 9657 Rz. 34; s. auch Egler, Seeprivatrechtliche Streitigkeiten unter der EuGVVO (2011) 317 f. 7 BGBl. 1986 II 786; vgl. dazu auch Puttfarken, Seehandelsrecht (1997) Rz. 724, 817 ff.
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Art. 10 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit
Abschnitt 3 Zuständigkeit für Versicherungssachen Schrifttum: Anic, Rechte der Geschädigten bei tödlichen Verkehrsunfällen in Kroatien, DAR 2016, 566; Bischoff, Das „neue“ Hinterbliebenengeld, MDR 2017, 739; Brand, Schockschäden, Angehörigenschmerzensgeld und der dritte Weg, in: FS Jaeger (2014) 191; Burmann/Jahnke, Hinterbliebenengeld – viele Fragen und etliche Antworten, NZV 2017, 401; Buse, Zum Schadensersatz für den Verlust des menschlichen Lebens in Italien, ZVR 2016, 423; Buse, Regulierung von Straßenverkehrsunfällen nach italienischem Recht – Eine Zusammenschau, DAR 2016, 557; Buse, Neues zum Ersatz des sog. biologischen Schadens nach italienischem Recht, DAR 2017, 561; Buse, Die grenzüberschreitende Unfallregulierung in der EU, DAR 2020, 2; Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO – Zur Kündigung des Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (2015); Czaplinski, Auslegung des Begriffs „indirekte Schadensfolgen“ im Rahmen von Art. 4 I ROM II-VO bei Beteiligtenmehrheiten auf Geschädigtenseite („Lazar“), Anmerkung zu EuGH, 10.12.2015 – C-350/14, jurisPR-IWR 1/2016 Anm. 4; Czerwenka, Haftung für Personen- und Gepäckschäden bei Schiffsreisen, DAR 2014, 242; Diederichsen, Angehörigenschmerzensgeld „Für und Wider“, DAR 2011, 122; Dörner, „One-shotter“ gegen „repeat player“ – Zum Verständnis der Art. 13 Abs. 2 und 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO, Anmerkung zu EuGH, 20.07.2017 – C-340/16, IPRax 2018, 158; Eichel, Die Anwendbarkeit von § 287 ZPO im Geltungsbereich der Rom I- und der Rom II-Verordnung, IPRax 2014, 156; Fechner, Klare Anspruchsgrundlage für Hinterbliebene, DRiZ 2017, 84; Fetsch, Die „Belegenheit“ von Forderungen im Internationalen Erbscheinsverfahren: Zur Auslegung und ratio von § 2369 Abs. 2 BGB, ZEV 2005, 425; Fischer, Die Haftung für Schockschäden vor dem Hintergrund der gesetzlichen Neuregelung eines Angehörigenschmerzensgeldes, VersR 2016, 1155; Frank, Der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer (2014); Frank, Das neue Hinterbliebenengeld, FamRZ 2017, 1640; Freitag, Internationale Prospekthaftung revisited – zur Auslegung des europäischen Kollisionsrechts vor dem Hintergrund der „Kolassa“-Entscheidung des EuGH, Anmerkung zu EuGH, 28.01.2015 – C-375/15, WM 2015, 1165; Fricke, Internationale Zuständigkeit und Anerkennungszuständigkeit in Versicherungssachen nach europäischem und deutschem Recht, VersR 1997, 399; Fricke, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen revidiert – Was bringt die Neufassung der Versicherungswirtschaft? –, VersR 1999, 1055; Fricke, Anmerkung zu EuGH 12.5.2005 – C-112/03 – Société financière et industrielle du Peloux gegen Axa Belgium u.a., VersR 2006, 1283; Fricke, Der Abschnitt über Versicherungssachen (Art. 8–14) in der Revision der EuGVVO, VersR 2009, 429; Friesen, Anwendbares Recht bei Ersatzansprüchen mittelbar geschädigter Angehöriger, Anmerkung zu EuGH, 10.12.2015 – C-350/14, RuS 2016, 196; Fuchs, Gerichtsstand für die Direktklage am Wohnsitz des Verkehrsunfallopfers?, Anmerkung zu BGH, 26.9.2006 – VI ZR 200/05 und OLG Köln, 12.9.2005 – 16 U 36/05, IPRax 2007, 302; Fuchs, Internationale Zuständigkeit für Direktklagen, Anmerkung zu EuGH 13.12.2007 – C-463/06, IPRax 2008, 104; Fuchs, Die Zustellungsbevollmächtigung von inländischen Schadensregulierungsbeauftragten ausländischer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer, Anmerkung zu OLG Saarbrücken, 9.2.2010 – 4 U 449/09, IPRax 2012, 140; Fuchs, Direktklage des Zessionars nach internationalem Verkehrsunfall, IPRax 2014, 509; Gebauer, Legalzession zwischen Vertrags- und Deliktsstatut – zum Quotenvorrecht des Geschädigten gegenüber dem inländischen Vollkaskoversicherer bei Klage gegen den ausländischen Haftpflichtversicherer im Inland – AG Köln, 29.4.2013 – 268 C 89/11, IPRax 2015, 331; Gebauer, Grenzüberschreitende Direktklagen gegen den Versicherer bei deutsch-italienischen Verkehrsunfällen, in: Jahrbuch für italienisches Recht 27 (2014) 57; Geimer, Die Sonderrolle der Versicherungssachen im Brüssel I-System, in: FS Andreas Heldrich (2005) 627; Häcker, Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen bei Unfällen mit europäischem Auslandsbezug, DAR-Extra 2013, 758; Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht6 (2018); Haus/Krumm/Quarch (Hrsg.), Gesamtes Verkehrsrecht (2014); Hein, Deliktischer Kapitalanlegerschutz im europäischen Zuständigkeitsrecht, Anmerkung zu EuGH, 10.06.2004 – C-168/02, IPRax 2005, 17; Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht (2010); Heinze/Dutta, Ungeschriebene Grenzen für europäische Zuständigkeiten bei Streitigkeiten mit Drittstaatenbezug, IPRax 2005, 244; Heiss, Gerichtsstandsfragen in Versicherungssachen nach europäischem Recht, in: Reichert-Facilides/Schnyder (Hrsg.), Versicherungsrecht in Europa – Kernperspektiven am Ende des 20. Jahrhunderts (2000) 105; Heiss, Gerichtsstandvereinbarungen zulasten Dritter, insbesondere in Versicherungsverträgen zu ihren Gunsten, Anmerkung zu EuGH, 12.05.2005 – C-112/03, IPRax 2005, 497; Heiss, Zur Frage, ob eine Regressklage zwischen Versicherern eine Versicherungssache im Sinne des europäischen Verfahrensrecht ist, Anmerkung zu EuGH, 26.05.2005 – C-77/04, VersR 2005, 1003; Heiss, Die Direktklage vor dem EuGH – Sechs Antithesen zu BGH vom 29.9.2006, VersR 2006, 1677, VersR 2007, 327; Heß/Burmann, Keine internationale Zuständigkeit am Sitz des Sozialversicherungsträgers, NJW-Spezial 2009, 697; Hoppenstedt/Stern, Einführung eines Anspruchs auf Angehörigenschmerzensgeld, ZRP 2015, 18; Hub, Internationale Zuständigkeit in Versicherungssachen nach der VO 44/01/EG (2005); Huber, Der Kommissionsvorschlag zur Reform der EUMahn- und der EU-Bagatellverordnung: Fortentwicklung oder Paradigmenwechsel?, GPR 2014, 242; Huber/Kadner Graziano/Luckey (Hrsg.), Hinterbliebenengeld (2018); Jaeger, Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld, VersR 2017, 1041; Kadner Graziano, Angehörigen- oder Trauerschmerzensgeld – die Würfel
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 10 Brüssel Ia-VO
fallen, RIW 2015, 549; Kadner Graziano, Zum Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall, Anmerkung zu EuGH, 10.12.15 – C-350/14, RIW 2016, 227; Katzenmaier, Hinterbliebenengeld – Anspruch auf Entschädigung für seelisches Leid, JZ 2017, 869; Koch, Kollisions- und versicherungsvertragsrechtliche Probleme bei internationalen D & O-Haftungsfällen, VersR 2009, 141; Kotzur, Die Regelung der Kosten in der EuBagatellVO – Anreiz oder Unsicherheitsfaktor?, GPR 2014, 98; Krüger/Stüllein, EuGH beschränkt Klagemöglichkeiten von Verbrauchern, VuR 2018, 216; Kuhn, Das Angehörigenschmerzensgeld – Situation in Deutschland und in anderen europäischen Ländern, in: FS Jaeger (2014) 345; Kunz, Zum Grüne-Karte-Büro im Straßenverkehrsrecht, VersR 2018, 54; Laborde, Wahlgerichtsstand bei Verkehrsunfall im Ausland, DAR 2010, 610; Landolt, Haftung für Schockschäden von Angehörigen aus rechtsvergleichender Sicht, in: FS Jaeger (2014) 355; Looschelders, Der Klägergerichtsstand am Wohnsitz des Versicherungsnehmers nach Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 EuGVÜ, IPRax 1998, 86; Looschelders, Zulässigkeit der Direktklage am Wohnsitz des Geschädigten, Anmerkung zu EuGH, 13.12.2007 – C-436/06, ZZPInt 2007, 247; Looschelders, Zuständigkeit des Gerichts am Unfallort für Direktklage des Sozialversicherungsträgers gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers aus übergegangenem Recht, Anmerkung zu OGH, 19.1.2012 – 2 Ob 210/11p, IPRax 2013, 370; Looschelders/Heinig, Der Gerichtsstand am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Versicherungsnehmers nach § 215 VVG, JR 2008, 265; Luckey, Der Verkehrsunfall im Ausland, SVR 2014, 361; Lüttringhaus, Der Direktanspruch im vergemeinschafteten IZVR und IPR nach der Entscheidung des VersR 2009, 1512 (Vorarlberger Gebietskrankenkasse), VersR 2010, 183; Malatesta, Die Auswirkungen der Revision der Brüssel I-Verordnung auf den deutsch-italienischen Rechtsverkehr, in: Jayme/Mansel/Pfeiffer/Stürner (Hrsg.), Jahrbuch für Italienisches Recht (Band 25), Europäische Einflüsse auf den deutsch-italienischen Rechtsverkehr, S. 43; Mankowski, Internationales Rückversicherungsvertragsrecht, VersR 2002, 1177; Mankowski, Internationales Versicherungsprozessrecht: Professioneller Leasinggeber als Geschädigter und Typisierung statt konkreter Prüfung der Schutzbedürftigkeit, IPRax 2015, 115; Mankowski, Zur Auslegung des Art. 4 Abs. 1 ROM II-Verordnung, Anmerkung zu EuGH, 10.12.2015 – C 350/14, JZ 2016, 310; Mankowski, Zum Deliktsgerichtsstand am Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden, Anmerkung zu EuGH, 16.06.2016 – C-12/15, EuZW 2016, 585; Mankowski, Zur Qualifikation eines im Inland niedergelassenen Versicherungsmaklers als Mittelsperson, Anmerkung zu BGH, 01.06.2016 – IV ZR 80/15, WuB 2016, 725; Mankowski, Prozessrecht: Arbeitgeber einer im Ausland verunfallten Person kann als „Geschädigter“ im Inland gegen ausländischen Kfz-Haftpflichtversicherer klagen, Anmerkung zu EuGH, 20.07.2017 – C-340/16, VersR 2017, 1484; Mankowski, Zur internationalen Zuständigkeit für Klagen gegen ausländische Entschädigungsstellen am inländischen Wohnsitz des Geschädigten, Anmerkung zu LG Darmstadt, 13.10.2016 – 3 O 349/14, VersR 2017, 1150; Mankowski, § 215 Abs. 1 S. 1 VVG gilt auch für Klagen einer juristischen Person, Anmerkung zu BGH, 08.11.2017 – IV ZR 551/15, VersR 2018, 184; Mankowski, Eine Gerichtsstandsvereinbarung im Haftpflichtversicherungsvertrag entfaltet keine Derogationswirkung gegen den geschädigten Direktkläger, Anmerkung zu EuGH, 13.07.2017 – C-368/16, IPRax 2018, 233; Mankowski, Zu den Gerichtsständen der Niederlassung und der rügelosen Einlassung nach der EuGVVO, Anmerkung zu EuGH 11.4.2019 – C-464/18, EWiR 2019, 447; Mansel/Thorn/Wagner, Europäisches Kollisionsrecht 2016: Brexit ante portas, IPrax 2017, 1; Micha, Der Direktanspruch im europäischen Internationalen Privatrecht (2010); Mumelter, Und es gibt sie doch – die Direktklage des Geschädigten in Versicherungssachen des LGVÜ, ZVR 2009, 285; Müller, Zum Deliktsgerichtsstand am Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden, Anmerkung zu EuGH, 16.06.2016 – C-12/15, NJW 2016, 2169; Müller, Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld, VersR 2017, 321; Nordmeier, Zum Gerichtsstand des Klägers nach Brüssel IaVO gegen den Versicherer für den gewerblichen Rechtsnachfolger des Verkehrsunfallgeschädigten, Anmerkung zu EuGH, 31.01.2018 – C-106/17, NZV 2018, 566; Nugel, Das Hinterbliebenengeld bei Unfällen im Straßenverkehr – eine Herausforderung für die Praxis, ZfS 2018, 72; Papadopoulos, Teilbarkeit von Unterlassungsansprüchen mithilfe von Geoblocking – zugleich Anmerkung zu EuGH, 17.10.2017 – C-194/16, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2; Papadopoulos/Aslan, Die Richtlinienwidrigkeit des § 476 Abs. 2 Hs 2 BGB, DAR 2018, 544; Paulus, Keine unechten Sammelklagen in Verbrauchersachen, Anmerkung zu EuGH, 25.01.2018 – C-498/16, NJW 2018, 987; Peschke, Gerichtsstand für aktive Interventionsklage eines Dritten, Anmerkung zu EuGH 21.01.2016 – C-521/14, jurisPR-IWR 3/2016 Anm. 2; Piontek, Der Schutzbereich des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG: Roma locuta! Causa finita est?, RuS 2018, 113; Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz30 (2018), zitiert: Prölss/Martin/Bearbeiter; Quaisser, Hinterbliebenengeld – Ein Zeichen der Anerkennung seelischen Leids, DAR 2017, 688; Riedmeyer, Internationale Zuständigkeit bei Schadensersatzklagen nach Verkehrsunfällen im Ausland, in: FS Gerda Müller (2009) 472; Riedmeyer/ Bouwmann, Unfallregulierung nach den Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinien der Europäischen Union, NJW 2015, 2614; Röß, Rügelose Einlassung bei grenzüberschreitenden Verbrauchersachen, NJW 2018, 3745; Röthel, Deliktische Ansprüche beim Tod eines Menschen, Jura 2018, 235; Rüfner, Das Verhältnis der Gewährleistungs- oder Interventionsklage (Art. 6 Nr. 2 EuGVVO/EuGVÜ) zum Hauptprozess, IPRax 2005, 500; Sack, Negative Feststellungsklagen und Torpedos, GRUR 2018, 893; Schnichels/Lenzing/Stein, Die Entwicklung des europäischen Zivilprozessrechts im Bereich der EuGVVO im Jahr 2017, EuZW 2018, 877; Schwab, Das versichungsrechtliche Problem beim Hinterbliebenengeld unter besonderer Berücksichtigung der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, DAR 2018, 284; Schwintowski, Angehörigenschmerzensgeld – Zeit zum Umdenken!, VuR 2016, 18; Staudinger, Anmerkung zu BGH, 26.9.2006 – VI ZR 200/05, NJW 2007, 73; Staudinger, Ausgewählte Probleme der D & O-Versicherung im Internationalen Zivilverfahrens-, Kollisions- und Sachenrecht, in E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2009: Managerhaftung, 41; Staudinger, Aktuelle Streitfragen zur D & O-Versicherung, in: Looschelders/Mi-
Staudinger
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Art. 10 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit chael (Hrsg.), Düsseldorfer Vorträge zum Versicherungsrecht 2009, 19; Staudinger, Straßenverkehrsunfall, Rom IIVerordnung und Anscheinsbeweis, NJW 2011, 650; Staudinger, Rezension zu AG Geldern, Urteil v. 27.10.2010 – 4 C 356/10, DAR 2011, 231; Staudinger, Anmerkung zu Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 2.5.2012 – 4A_531/2011, DAR 2012, 474; Staudinger, Direktklage des Sozialversicherers im Verbund mit dem Geschädigten – droht der deutschen Haftpflichtversicherungsindustrie die Gerichtspflichtigkeit im Ausland?, VersR 2013, 412; Staudinger, Negative Feststellungsklage des gegnerischen Haftpflichtversicherers in grenzüberschreitenden Verkehrsunfällen, DAR 2014, 557; Staudinger, Direktklage beim Auslandsunfall am Wohnsitzgericht – auch nach Inanspruchnahme der Kaskoversicherung – zugleich Anmerkung zu AG Köln 268 C 89/11, DAR 2014, 485; Staudinger, Run to the court bei Angehörigenentschädigung – Die negative Feststellungsklage als zulässige Abwehrstrategie von Haftpflichtversicherern bei deutsch-italienischen Verkehrsunfällen, in: FS Jaeger (2014) 437; Staudinger, Qualifikation der Kundengeldabsicherung nach § 651k BGB im Lichte des VAG und von Solvency II, VersR 2014, 1153; Staudinger, Der Schutzgerichtsstand in § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG analog zugunsten der Wohnungseigentümergemeinschaft sowie Sondereigentümer, ZfIR 2015, 361; Staudinger, Zur umfassenden Zuständigkeit für Klagen eines Dritten nach Art. 6 Nr. 2 VO (EG) Nr. 44/200, Anmerkung zu EuGH, 21.01.2016 – C-521/14, DAR 2016, 81; Staudinger, Zu der indirekten Schadensfolge aus einem Verkehrsunfall nach der ROM II-VO, Anmerkung zu EuGH, 10.12.2015 – C-350/14 NJW 2016, 468; Staudinger, Editorial: Mehr Europäisierung der ZPO wagen!, jurisPR-IWR 4/2017 Anm.1; Staudinger, 10 Jahre Rom II-VO und Haager Straßenverkehrsübereinkommen – Zeit für eine Bestandsanalyse im Lichte des Brexit und der angedachten EU-Erweiterung, DAR 2019, 669; Staudinger/ Bauer, Der Vertragsbegriff des Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO 2001 (Art. 17 Abs. 1 lit. c EuGVVO) in typischen „Vermittlerkonstellationen“ – eine Abgrenzung von Pauschalreise- zu Kapitalverträgen, Anmerkung zu EuGH, 28.01.2015 – C 375/13, IPRax 2016, 107; Staudinger/Czaplinski, Verkehrsopferschutz im Lichte der Rom I-, Rom II- sowie Brüssel I-Verordnung, NJW 2009, 2249; Staudinger/Friesen, Forum und ius bei einem Verkehrsunfall im Ausland sowie Schuldnern aus unterschiedlichen Staaten, Anmerkung zu OLG Brandenburg, 18.02.2016 – 12 U 118/15, IPRax 2018, 366; Staudinger/Papadopoulos, Direktklage des Arbeitgebers als Legalzessionar gegen den gegnerischen Haftpflichtversicherer, Anmerkung zu EuGH, 20.07.2017 – C-340/16, LMK 2017, 395642; Staudinger/Papadopoulos, Zum Wohnsitzgerichtsstand des Geschädigten gem. Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 b EuGVVO, Anmerkung zu EuGH, 31.01.2018 – C-106/17, VersR 2018, 978; Steenbuck, Das Hinterbliebenengeld, r+s 2017, 449; Steinrötter, Deliktische Qualifikation der internationalen Prospekthaftung; Erfolgsort bei reinen Vermögensschäden, Anmerkung zu EuGH, 28.01.2015 – C-375/13, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 2; Steinrötter, Der notorische Problemfall der grenzüberschreitenden Prospekthaftung, Anmerkung zu EuGH, 28.01.2015 – C-375/13, RIW 2015, 407; Sujecki, Anmerkung zu EuGH, 13.12.2007 – C-463/06, EuZW 2008, 126; Sujecki, Zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach EuGVVO bei reinen Vermögensdelikten, Anmerkung zu EuGH, 12.09.2018 – C-304/17, EuZW 2018, 1000; Tereszkiewicz, Begriff eines Geschädigten in Versicherungssachen nach Brüssel Ia-Verordnung, Anmerkung zu EuGH, 21.01.2018 – C-106/17, GPR 2018, 280; Thiede/Ludwichowska, Anmerkung zu EuGH, 13.12.2007 – C-463/06, VersR 2008, 631; Tomson, Zur Frage der Klagemöglichkeit einer juristischen Person gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer aus einem Mitgliedstaat der EU an ihrem Sitz, Anmerkung zu OLG Celle, 27.2.2008 – 14 U 211/06, VersR 2009, 61; Tomson, Der Verkehrsunfall im Ausland vor deutschen Gerichten, EuZW 2009, 204; Wagner, Schadensersatz in Todesfällen – Das neue Hinterbliebenengeld, NJW 2017, 2641; Wandt/Gal, Gerichtsstandsvereinbarungen in Versicherungssachen im Anwendungsbereich des § 215 VVG, in: GS Wolf (2011) 579; Wasserer, Paradigmenwechsel in der internationalen Zuständigkeit für Direktklagen: Wohnsitzgerichtsstand des Geschädigten bei Klagen gegen ausländische Kfz-Haftpflichtversicherungen (FBTO Schadeverzekeringern/Jack Odenbreit, EuGH vom 13.12.2007, C-463/06), ELR 2008, 143; Wasserer, Kein Klägergerichtsstand für die Regressklage eines Sozialversicherungsträgers (Vorarlberger Gebietskrankenkasse/WGVSchwäbische Allgemeine VersicherungsAG, EuGH (Dritte Kammer), Urteil vom 27. September 2009, C-347/08), ELR 2010, 14; Wittwer/Meusburger, Die Direktklage gegen die ausländische Haftpflichtversicherung. Ein Beitrag zu möglichen Folgen des EuGH-Urteils Odenbreit auf die internationale Schadensregulierung im Verhältnis Schweiz-EG, in: Epiney/Civitella (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht, 2008, 361; Wittwer, Die EuGH-Rechtsprechung zum Europäischen Zivilprozessrecht aus den Jahren 2007 und 2008, ZEuP 2009, 564; Wittwer, Direktanspruch gegen Kfz-Haftpflichtversicherer aus Österreich bei Unfall im Kosovo – Frage des anwendbaren Rechts, Anmerkung zu BGH, 01.03.2016 – VI ZR 437/14, DAR 2016, 575; Wittwer, Interventions- und Regressklage der (Sozial-)Versicherung (am gewöhnlichen Aufenthalt des Geschädigten) im internationalen Schadensfall, in: FS Danzl (2017), 669; Wittwer, Kfz-Haftpflichtversicherung, Zuständigkeit für Direktklage des SozVersTr, Anmerkung zu EuGH, 17.9.2009 C-347/08, ZVR 2010, 32; Wurmnest, Bestimmung des anwendbaren Rechts für mittelbare Schäden aus Verkehrsunfällen, Anmerkung zu EuGH, 10.12.2015 – C-350/14, LMK 2016, 376926.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 10 Brüssel Ia-VO
Artikel 10 [Zuständigkeit] Für Klagen in Versicherungssachen bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 6 und des Artikels 7 Nummer 5 nach diesem Abschnitt.
I. Allgemeines Die Abschnitte 3, 4 und 5 stellen jeweils eine in sich geschlossene, selbstständige und erschöpfende Regelung für Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen dar.1 Sofern der Sekundärrechtsgeber in den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO nicht ausdrücklich auf den allgemeinen Zuständigkeitskatalog der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO verweist, finden diese Vorschriften keine Anwendung.2 Die Sonderregeln setzen einen internationalen Sachverhalt voraus, der allerdings keinen Mitgliedstaatenbezug aufweisen muss.3
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Die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO sind im Erkenntnisverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen.4 Ein Zuständigkeitsmangel kann im Wege der stillschweigenden Prorogation nach Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO geheilt werden5.6 Art. 28 Brüssel Ia-VO findet Anwendung.7 Zu beachten ist jedoch die Belehrungspflicht des Gerichts nach Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, wenn sich die schwächere Partei in der Beklagtenrolle befindet.8
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Sofern die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO allein die internationale Zuständigkeit bestimmen, ergibt sich die örtliche aus dem jeweiligen nationalen Recht. In Deutschland greifen daher im Wesentlichen die
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1 Jenard-Bericht zu Art. 7 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 30; Magnus/Mankowski/Heiss, Brüssel Ia Regulation Introduction to Articles 10–16 Rz. 1; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 10 Rz. 1; krit. zur Einführung der in sich geschlossenen Zuständigkeitsordnung für Versicherungssachen: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 6. 2 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 6 f.; Linke/Hau, Rz. 6.8; Kropholler, Internationales Privatrecht6 (2006) § 58 III 5, 622; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 7 EuGVÜ Rz. 4. 3 Vgl. Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 19 f. 4 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 8; Rauscher, IPR Rz. 2004; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 4. 5 EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290, IPRax 2011, 580 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 470 Rz. 26 = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/ Wolf 1101 f.; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 6; Musielak/Voit/Stadler, Vorb. zu Art. 10–16; Rauscher, IPR Rz. 2004; vgl. Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 1 und Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 11; Schlosser/ Hess/Schlosser, Rz. 4; Hüßtege in Thomas/Putzo, Vorb. zu Art. 10–16 Rz. 3 und Art. 10 Rz. 5; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Vor Art. 7 EuGVÜ Rz. 14; zur rügelosen Einlassung s. BGH, RIW 2005, 776 ff.; OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 935 f.; zu Art. 18 LugÜbk 1988 BGH v. 27.6.2007 – X ZR 15/05, NJW 2007, 3501 ff. 6 Demzufolge erfährt der Versicherungsnehmer auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit weniger Schutz als im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit nach Maßgabe des deutschen Zivilprozessrechts (Sperlich/Wolf, VersR 2010, 1101, 1102). Nach § 40 Abs. 2 S. 2 ZPO kann nämlich selbst eine rügelose Einlassung des Versicherungsnehmers nicht den Schutzgerichtsstand in § 215 VVG (s. hierzu die Angaben in Fn. 9) außer Kraft setzen. Allerdings bietet die Brüssel Ia-VO mit Blick auf die Belehrung in Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO einen weitergehenden Schutz als § 504 ZPO, da jene nicht auf die Eingangsinstanz beschränkt und streitwertabhängig ausgestaltet ist; hierzu ausführlich Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 31. 7 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1. Der EuGH stellte insofern fest, dass Art. 26 Abs. 1 Brüssel I-VO (entspricht Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) nur dann Anwendung findet, wenn sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht aus der Verordnung selbst ergibt. Folglich scheidet eine Prüfung dieser Vorschrift im Falle einer rügelosen Einlassung des Beklagten aus: EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290, IPRax 2011, 580 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 470 Rz. 35 = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf, 1101 f. 8 Vgl. MünchKommZPO/Gottwald, Rz. 12; zum Verhältnis von Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO und § 504 ZPO Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 31; für die Anwendbarkeit des § 504 ZPO neben Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO Röß, NJW 2018, 3745.
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Art. 10 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit §§ 12 ff. ZPO sowie § 215 VVG9 ein.10 Daneben bleiben alle sonstigen zivilprozessualen Vorschriften (auch außerhalb der ZPO) zu berücksichtigen. Die Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit muss schließlich unter Ausschöpfung sämtlicher prozessrechtlicher Regelungen des jeweiligen Mitgliedstaates erfolgen. 4
Der Unionsgesetzgeber erlaubt dem Versicherungsnehmer eine Auswahl zwischen verschiedenen Gerichtsständen, so dass die Gefahr eines „forum shoppings“ droht. Da – losgelöst von der Frage eines Kompetenztitels – eine Harmonisierung des Sachrechts auf supranationaler11 Ebene ausscheiden dürfte,12 bestand ein unabweisbares Bedürfnis für eine Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts. Das Zusammenspiel von richtliniengeprägtem,13 völkervertragsrechtlichem und autonomem Kollisionsrecht14 stieß zu Recht auf Kritik. Nicht zuletzt auch aufgrund zeitraubender Ratifikationsverfahren für die neuen Beitrittsstaaten ist das insgesamt kaum noch als zeitgemäß empfundene EVÜ15 9 § 215 VVG trägt der Schutzwürdigkeit von Versicherungsnehmern dadurch Rechnung, dass diese ausschließlich an ihrem Wohnsitz verklagt werden können. Bei Klagen des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag gegen den Versicherer, Versicherungsvertreter, -makler und -berater besitzt der Versicherungsnehmer demgegenüber ein Wahlrecht und kann sogar am eigenen Wohnsitzgerichtsstand prozessieren. Ob sich juristische Personen als Versicherungsnehmer auf § 215 Abs. 1 und 2 VVG stützen können, oder bei einem Aktiv- bzw. Passivprozess hingegen die allgemeinen Regeln (§§ 12 ff. ZPO) die örtliche (und internationale) Zuständigkeit vorgeben (Doppelfunktionalität) sowie § 33 Abs. 2 ZPO eingreift, war lange Zeit umstritten (zum alten Meinungsstand s. die Angaben in der 4. Aufl. 2016). Der BGH hat zuletzt diesen Streit beigelegt (BGH v. 8.11.2017 – IV ZR 551/15, VersR 2018, 182 ff. m. Anm. Mankwoski, 184 ff.). Demnach unterstehen § 215 Abs. 1 S. 1 VVG kraft extensiver Auslegung auch Klagen von juristischen Personen, wobei auf deren Sitz nach § 17 ZPO abzustellen ist. Der Anlassstreit betraf die Klage gegen einen Drittstaatenversicherer, so dass die Vorschrift doppelfunktional zur Anwendung gelangte. Die ratio decidendi gilt dessen ungeachtet ebenso für den reinen Inlandsfall. Ferner lässt sich der Richterspruch im Ergebnis auch auf Personengesellschaften übertragen (so schon zuvor MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 6; MünchKommVVG/Looschelders, § 215 VVG Rz. 14; a.A. Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG Rz. 12 sowie Hk-VVG/Muschner, § 215 VVG Rz. 3, 9, welche indes die neue Rechtsprechung des BGH noch nicht berücksichtigen). Eine Personengesellschaft verfügt über keinen Wohn-, sondern nur über einen Verwaltungssitz (in diesem Sinne Hüßtege in Thomas/Putzo, § 17 ZPO Rz. 1). Folglich ist dann für § 215 Abs. 1 VVG in entsprechender Anwendung der Sitz entscheidend. Eine Klarstellung von Seiten des Gesetzgebers, wonach in Anlehnung an andere Vorschriften die Gerichte am Wohnsitz oder Sitz des Versicherungsnehmers, Versicherten sowie Begünstigten zuständig sind, bleibt wünschenswert. Jedenfalls mag die Entscheidung des BGH (BGH, VersR 2018, 182 ff.) eine derartige Rechtsfortbildung beflügeln (eine Erstreckung des § 215 VVG auf versicherte Personen befürwortend OLG Oldenburg v. 18.4.2012 – 5 U 196/11, NJW 2012, 2894 ff.). Eine Erweiterung des persönlichen Regelungsbereiches fordert auch der Arbeitskreis IV des 56. Verkehrsgerichtstages 2018 in Goslar in seinen Empfehlungen an den Gesetzgeber (beachte in dem Zusammenhang den Beitrag von Piontek, Tagungsband zum 56. Verkehrsgerichtstag, 155 ff.). Dem Arbeitskreis zufolge solle zudem im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit der neu zu fassende § 215 VVG insgesamt in die ZPO überführt werden. Hierfür spricht letztlich auch das Verständnis des BGH mit Blick auf Art. 1 EGVVG (BGH v. 8.3.2017 – IV ZR 435/15, VersR 2017, 779 ff.; hierzu Piontek, r+s 2018, 113 ff.), wonach § 215 VVG als prozessrechtlich geartete Vorschrift nicht von der Übergangsvorschrift erfasst ist. Zur Frage, ob sich ebenso Erben des Versicherten auf § 215 Abs. 1 S. 1 VVG berufen können, lässt sich zum einen die Entscheidung des OLG Naumburg (v. 2.5.2014 – 1 AR 4/14, NJW-RR 2014, 1378) anführen. Zum anderen streitet der Umgang mit Erben im Rahmen der Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO (hierzu ausführlich Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982 f.) für deren Einbeziehung in den persönlichen Schutzbereich des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 23. 10 § 109 VAG wurde durch Gesetz vom 21.7.1994 (BGBl. 1994 I 1630 ff.) aufgehoben; vgl. Schack, Rz. 282. 11 Vgl. den Abschlussbericht der Kommission zur Reform des VVG, abrufbar unter: http://www.bmj.bund.de/me dia/archive/646.pdf. 12 Siehe allerdings auch die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu KOM (2002) 244; ABl. EG C 95/45, 47 („Europäischer Kfz-Haftpflichtversicherungskodex“ als Vorstufe zu einem „Europäischen Versicherungskodex“). 13 Siehe etwa Art. 32 der RL 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.11.2002 über Lebensversicherungen, ABl. EG 2002 L 345/1, 27. 14 Vgl. hierzu Dörner, Internationales Versicherungsvertragsrecht (1997). 15 Römisches EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 (BGBl. 1980 II 812 ff.) i.d.F. des 4. Beitrittsübereinkommens vom 14.4.2005, BGBl. 2006 II 348 ff.; abgedruckt bei: Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht17 (2014) Nr. 70; s. die integrierte Fassung des Abkommens auf der Grundlage des 4. Beitrittsübereinkommens von Luxemburg vom 14.4.2005,
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 10 Brüssel Ia-VO
mit teils abweichendem Inhalt in eine unmittelbar anwendbare Verordnung überführt worden. Mit der Rom I-VO16 vollzieht der Sekundärrechtsgeber im Anschluss etwa an die Brüssel I-VO sowie die Rom II-VO17 einen weiteren Schritt hin zur Vereinheitlichung des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts in Form eines gemeinschaftsrechtlichen Instruments.18 Jedoch führt Art. 7 Rom I-VO
mit welchem die zehn neuen Mitgliedstaaten dem EVÜ beigetreten sind, ABl. EU 2005 C 334/3 ff.; vgl. hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 504. Dem Gerichtshof steht nunmehr eine Kompetenz für die Auslegung des EVÜ zu, da Belgien als letzter Signatarstaat seine Ratifikationsurkunde für das 1. und 2. Protokoll (Protokolle vom 19.12.1988 i.d.F. des 4. Beitrittsübereinkommens vom 14.4.2005, BGBl. 2006 II 348 ff.; abgedruckt bei: Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht17 (2014) Nr. 70a, b am 5.5.2004 hinterlegt hat. Demzufolge sind beide Protokolle am 1.8.2004 in Kraft getreten; das Bundesministerium der Justiz hat durch Anordnung vom 21.4.2005 den Generalbundesanwalt beim BGH als zuständige Stelle i.S.d. Art. 3 des Ersten Protokolls bestimmt, BGBl. 2005 II 402; s. die Angaben bei Hk-BGB/Staudinger6, Vor Art. 27–37 EGBGB Rz. 1 f.; Art. 36 EGBGB Rz. 1; vgl. hierzu Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 505. Aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des niederländischen Hoge Raad hat der EuGH am 6.10.2009 in der Rs. C-133/08, ECLI:EU: C:2009:617 – Intercontainer Interfrigo S. C. (ICF) erstmals Art. 4 EVÜ ausgelegt; IPRax 2010, 236 ff. m. Anm. Rammeloo, 215 ff. 16 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 L 177/6; hierzu etwa: Clausnitzer/ Woopen, BB 2008, 1798 ff.; Ferrari, Rome I Regulation Pocket Commentary (2015); Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 ff.; Lando/Nielsen, CML Rev 2008, 1687 ff.; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 ff.; Mankowski, IHR 2008, 133 ff.; Martiny, RIW 2009, 737 ff.; Martiny, ZEuP 2013, 838 ff.; Pfeiffer, EuZW 2008, 622 ff.; Solomon, Tulane Law Review 82 (2008) 1709 ff.; Staudinger/Steinrötter, JA 2011, 241 ff.; Wagner, IPRax 2008, 377 ff. sowie die Beiträge in Baetge/von Hein/von Hinden (Hrsg.), Festschrift Kropholler (2008) und dem Bonomi/ Volken (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 10 (2008); beachte auch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 25.6.2009, BGBl. 2009 I 1574 ff.; zu den Vorarbeiten beachte die Beiträge in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationales Vertragsrecht (2003) und Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007) sowie Bonomi (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 5 (2003); Fricke, VersR 2006, 745 ff.; Fricke, VersR 2005, 726 ff.; Heiss, VersR 2006, 185 ff.; Junker, RIW 2006, 401 ff.; Kieninger, EuZ 2007, 22 ff.; Leible, EuZ 2006, 78 ff.; Leible, IPRax 2006, 365 ff.; López-Rodríguez, European Review of Private Law 12 (2004) 167 ff.; Mankowski, IPRax 2006, 101 ff.; Mankowski, RIW 2005, 481, 483; Mankowski, ZEuP 2003, 483 ff.; Martiny, ZEuP 2008, 78; Martiny, ZEuP 2007, 212 ff.; Martiny, ZEuP 2003, 590 ff.; Max Planck Institute for Comparative and International Law, RabelsZ 71 (2007), 225 ff.; Meeusen/Pertegás/Straetmans (Hrsg.), Enforcement of International Contracts in the European Union (2004); Mauer/Sadtler, DB 2007, 1586 ff.; Staudinger, AnwBl. 2008, 8 ff.; speziell zum kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz: Basedow, FS Jayme, 2004, S. 3 ff.; Bitterich, RIW 2006, 262 ff.; Bitterich, GPR 2006, 161 ff.; Ehle, GPR 2003–04, 49 ff.; Ferrari/Staudinger (1. Aufl. 2007), Art. 29 EGBGB Rz. 30 ff., Art. 29a EGBGB Rz. 21 f., Art. 34 EGBGB Rz. 30; Hoffmann/Primaczenko, IPRax 2007, 173 ff.; Looschelders, FS Lorenz, 2004, S. 441 ff.; Mankowski, ZVglRWiss 105 (2006), 120 ff.; Roth, FS Sonnenberger (2004) S. 591 ff.; Rühl, GPR 2006, 196 ff.; Siems, GPR 2005, 158 ff. 17 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU 2007 L 199/40; zu diesem Sekundärrechtsakt s.: Garcimartín Alférez, EuLF 2007, I-77 ff.; Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 ff.; Junker, NJW 2007, 3675 ff.; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 ff.; Kühne, FS Deutsch, 2009, S. 817 ff.; Leible, RIW 2008, 257 ff.; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 ff.; Martiny, ZEuP 2013, 838 ff.; Ofner, ZfRV 2008, 13 ff.; Staudinger, AnwBl. 2008, 8 ff.; Staudinger/Steinrötter, JA 2011, 241 ff.; Sujecki, EWS 2009, 310 ff.; Symeonides, AJCL 56 (2008) 173 ff.; Wagner, IPRax 2008, 1 ff. sowie die Beiträge in Baetge/von Hein/von Hinden (Hrsg.), Festschrift Kropholler (2008) und Bonomi/Volken (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 9 (2007); beachte auch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom 10.12.2008, BGBl. 2008 I 2401 f.; zum Entwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 16/9995): Wagner, IPRax 2008, 314 ff.; zu den vorausgegangenen Verordnungsvorschlägen: Benecke, RIW 2003, 830 ff.; Fuchs, GPR 2003–04, 100 ff.; von Hein, VersR 2007, 440 ff.; Huber/Bach, IPRax 2005, 73 ff.; Leible/Engel, EuZW 2004, 7 ff.; Mankowski, RIW 2005, 481 ff.; Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256 ff.; Staudinger, Mitteilungsblatt DAV Internationaler Rechtsverkehr 2007, 28 ff.; Symeonides, FS Jayme, 2004, S. 935 ff.; Wagner, IPRax 2006, 372 ff.; hierzu mit Blick auf Verkehrsunfälle: Huber, SVR 2009, 9 ff.; Junker, JZ 2008, 169 ff.; Staudinger, ZGS 2005, 121; Staudinger, SVR 2005, 441 ff.; Staudinger, FS Kropholler, 2008, 691 ff.; Thiede/Kellner, VersR 2007, 1624 ff. 18 Zur dieser Entwicklung s. Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493 ff.; Wagner, EuZW 2007, 626 ff.
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Art. 10 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit – ungeachtet anderslautender Verbesserungsvorschläge19 – das komplizierte Anknüpfungssystem fort.20 5
Die RL über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (RL)21 enthält zwar in Art. 12 Abs. 2 Finanzdienstleistungs-RL ein kollisionsrechtliches Regelungsgebot, welches durch die Rom I-VO unberührt bleibt,22 schafft aber keine von der Brüssel Ia-VO abweichenden Gerichtsstände. Der Anbieter muss den Verbraucher lediglich nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. f Finanzdienstleistungs-RL über eine Gerichtsstandsvereinbarung informieren.23 Angesichts der Schranke in Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO kommt dieser Vorgabe nur eine geringe Bedeutung zu.24
II. Sinn und Zweck der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO 6
Die besonderen Zuständigkeitsregeln für Versicherungssachen basieren auf „sozialpolitischen Erwägungen“.25 Aus dem Blickwinkel des Unionsgesetzgebers bedarf der Versicherungsnehmer – zu dessen Kreis auch (juristische) Personen, die Großrisiken versichern,26 zählen können27 – als die im Verhältnis zum Versicherer wirtschaftlich schwächere und rechtlich weniger erfahrene Partei eines besonderen Schutzes.28 Der Versicherungsnehmer wird zum einen dadurch privilegiert, dass ihm mehrere Gerichtsstände eröffnet werden, wohingegen der Versicherer gem. Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-
19 Siehe etwa Staudinger in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum internationalen Vertragsrecht (2004), 37 ff.; Staudinger in Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007), 225 ff.; Basedow/ Scherpe, FS Heldrich, 2005, S. 511 ff.; Fricke, VersR 2005, 726 ff.; Fricke, VersR 2006, 745 ff.; Heiss, VersR 2006, 185 ff.; Max Planck Institute for Comparative and International Law, RabelsZ 71 (2007), 225, 277 ff. 20 Umfassend Fricke, VersR 2008, 443 ff.; Heiss, FS Kropholler (2008), S. 461 ff.; Perner, IPRax 2009, 218 ff.; kritisch auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 538 f.; Mankowski, IHR 2008, 133, 144 f. 21 RL 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der RL 90/619/EWG des Rates und der RL 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. EG 2002 L 271/16, 20. Diese RL ist anders als die Fernabsatz-RL (97/7/EG) nicht durch die Verbraucherrechte-RL (2011/83/EU) aufgehoben worden. Als Transformationsakt dient das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 2.12.2004, BGBl. 2004 I 3104 ff. Der Gesetzgeber hat dabei Art. 29a Abs. 4 EGBGB um diese Harmonisierungsmaßnahme ergänzt. Mit Geltung der Rom I-VO am 17.12.2009 gilt es insoweit Art. 46b Abs. 4 Nr. 5 EGBGB in der Fassung vom 17.12.2009–22.2.2012 (eingeführt durch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 25.6.2009, BGBl. 2009 I 1574 ff.; entspricht Art. 46b Abs. 3 Nr. 3 EGBGB in der Fassung ab 13.6.2014, geändert durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013, BGBl. 2013 I 3642, 3653) zu beachten. 22 Vgl. Art. 23 Rom I-VO. 23 Diese Harmonisierungsmaßnahme sieht in Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. f Finanzdienstleistungs-RL Vorgaben im Hinblick auf Informationen über Gerichtsstands- und Rechtswahlklauseln vor. Der Gesetzgeber hat von einer Umsetzung auf kollisions- bzw. internationalverfahrensrechtlicher Ebene abgesehen und in Anlehnung an das aufsichtsrechtliche Modell im Versicherungsvertragsrecht eine entsprechende Pflicht in § 1 Abs. 2 Nr. 5 BGB-InfoV vorgesehen; s. die Kritik an der Transformation bei Heiss, IPRax 2003, 100, 102. Zur Umsetzung allgemein: Felke/Jordans, NJW 2005, 710 ff.; Rott, BB 2005, 53 ff. 24 Hierzu Heiss, IPRax 2003, 100, 102. 25 Jenard-Bericht, Allgemeine Bemerkungen zum 3.–5. Abschnitt, ABl. EG 1979 C 59/1, 29; Schlosser/Hess/ Schlosser, Rz. 1. 26 Vgl. Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 15 sowie Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 11. 27 Vgl. Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 15 und Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 8 f. 28 ErwGr. 18 Brüssel Ia-VO; EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi vs. Universal General Insurance, EuGHE 2000 I 5925, 5959 Rz. 64 ff.; Hess, § 6 Rz. 95; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1; Hüßtege in Thomas/Putzo, Vorbemerkung zu Art. 10–16 Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 7 EuGVÜ Rz. 1. Mit der Einschränkung, dass der Versicherungsnehmer gem. Art. 24 Brüssel I-VO (entspricht Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) auf den Schutz verzichten kann: EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C: 2010:290, IPRax 2011, 580 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 470 Rz. 30 = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf, 1101 f.; zur rügelosen Einlassung in Versicherungssachen s. auch Art. 26 Rz. 11.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 10 Brüssel Ia-VO
VO grundsätzlich29 nur an dessen Wohnsitz klagen kann.30 Zum anderen beschränkt Art. 15 i.V.m. Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO die Prorogationsfreiheit. Der besondere Stellenwert der Zuständigkeitsregeln kommt darin zum Ausdruck, dass die internationale31 Zuständigkeit in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen32 abweichend von der Grundregel in Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO nach dessen Abs. 1 lit. e als Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsversagensgrund auf Antrag eines Berechtigten33 von dem Gericht des ersuchten Mitgliedstaates überprüft werden darf.
III. Vorbehalt zugunsten der Art. 6 Brüssel Ia-VO und Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO Die Zuständigkeit ist unbeschadet der Art. 6 Brüssel Ia-VO und Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO nach dem 7 3. Abschnitt zu ermitteln. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Gerichtsstände, etwa denjenigen des Sachzusammenhangs nach Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO34 oder den der Interventionsklage nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO35, verbietet sich.36 Dieser abschließende Charakter der Versicherungssachen wird auch aus einem Umkehrschluss zu dem reformierten Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO in Arbeitssachen deutlich, der ausdrücklich die Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO bei Klagen gegen den Arbeitgeber erlaubt. Der Verweis auf Art. 6 Brüssel Ia-VO stellt klar, dass die Regeln grundsätzlich eingreifen, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat37 hat.38 Eine Ausnahme hiervon beinhaltet Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Sofern die Brüssel Ia-VO oder andere Abkommen nicht einschlägig sind, folgt die internationale Zuständigkeit aus der jeweiligen lex fori des angerufenen Gerichts unter Einschluss etwaiger exorbitanter Zuständigkeiten.39 In Deutschland ergibt sich die internationale
29 Zur Ausnahme nach Art. 10 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO s. Art. 14 Brüssel Ia-VO Rz. 4. 30 Jenard-Bericht, Zuständigkeit für Versicherungssachen, ABl. EG 1979 C 59/1, 30; Kropholler, Internationales Privatrecht (6. Aufl. 2006) § 58 III 5, 622; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3; Looschelders, IPRax 1998, 86, 87; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 7 EuGVÜ Rz. 2. 31 Nicht indes die örtliche, auch wenn sie unmittelbar in der Brüssel Ia-VO festgeschrieben wird; vgl. Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 73. 32 Die Überprüfung der Zuständigkeit in Arbeitssachen hat erst im Zuge der Reform Einzug gehalten, damit wurde der vielfach kritisierte Wertungswiderspruch der Vorgängerregelung des Art. 35 Abs. 1 Brüssel I-VO behoben. 33 Art. 45 Abs. 1, 4, Art. 46, 47 Brüssel Ia-VO. 34 Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 16; zu dieser Konstellation OLG Brandenburg v. 18.2.2016 – 12 U 118/15, IPRax 2018, 409 ff. m. Anm. Staudinger/Friesen, IPRax 2018, 366 ff.; s. auch BGH, RIW 2015, 377 ff. sowie Vorinstanz LG Dortmund v. 18.6.2014 – 4 S 110/13, BeckRS 2014, 12972. 35 Zu der Klage eines Sozialversicherers im „Zusammenhang“ mit dem unmittelbar Geschädigten EuGH v. 21.1.2016 – C-521/14 – SOVAG – Schwarzmeer und Ostsee Versicherungs-Aktiengesellschaft vs. If Vahinkovakuutusyhtiö Oy, DAR 2016, 79 m. krit. Anm. Staudinger, 81 f.; hierzu auch Dörner, IPRax 2018, 158, 163 f.; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 980 f.; Wittwer, FS Danzl, 2017, 669 ff.; beachte ferner Staudinger, VersR 2013, 412 ff. 36 Vgl. Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 979 f. 37 Nach ErwGr. 41 Brüssel Ia-VO (ebenso Art. 1 Abs. 3 in Verbindung mit ErwG 21 Brüssel I-VO) beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Verordnung. Am 1.7.2007 ist aber das Abkommen vom 19.10.2005 über die Anwendung der Brüssel I-VO in den Beziehungen der übrigen Mitgliedstaaten zu Dänemark in Kraft getreten (Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2005 L 299/62 ff.; zum Inkrafttreten am 1.7.2007 s. ABl. EU 2007 L 94/70). Im Verhältnis zu in Dänemark beheimateten Beklagten greift demnach die Brüssel I-VO bzw. Brüssel Ia-VO im Gewande eines Staatsvertrages; s. auch Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 24 f. Im Anschluss an die Novellierung der Brüssel I-VO wurde das Abkommen von Dänemark an den neuen Sekundärrechtsakt angepasst (ABl. EU 2013 L 79/4). 38 ÖstOGH, EuLF 2009, II-98, II-99; Kropholler/von Hein, vor Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 1; Schlosser, Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 2; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 10 Rz. 2. 39 Jenard-Bericht zu Art. 7 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 30; Kropholler/von Hein, Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 2; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 7 EuGVÜ Rz. 1.
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Art. 10 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit Zuständigkeit nach ganz herrschender Meinung mittelbar aus den Bestimmungen zur örtlichen Zuständigkeit.40 7a
Fraglich erscheint, ob unter Rückgriff auf Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und dem dort genannten Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO einem Versicherungsnehmer, der zugleich Verbraucher ist, auch die Klageerhebung gegen einen drittstaatlichen Versicherer, welcher sich auf den Wohnsitzstaat des Kunden ausrichtet, möglich ist. Dagegen sprechen jedoch die unterschiedlichen Interessen und divergierenden Anwendungsbereiche in Verbraucher- und Versicherungssachen. Die besonderen Gerichtsstände der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO sind in persönlicher Hinsicht weiter, da sie nicht nur einen Verbraucher, sondern auch Unternehmer in der Rolle des Versicherungsnehmers, Versicherten, Begünstigten oder Geschädigten schützen. Sachlich hingegen unterfallen ihnen nur Versicherungsverträge als besondere Rechtsprodukte. Die Spezialität der Versicherungs- lässt sich auch dadurch belegen, dass diese anders als die Verbrauchersachen Regelungen für eine Drittbeteiligung (Versicherte, Begünstigte) vorsehen und daher sachgerechter ausgestaltet sind. Augenfällig wird dies auch durch Art. 12 Brüssel Ia-VO. Das Privileg, am eigenen Wohnsitz prozessieren zu können, wird in beiden Abschnitten sowohl nach Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO als auch Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO der schwächeren Partei gewährt. Demzufolge besteht keine Schutzlücke. In der Gesamtschau erweisen sich die Zuständigkeitsregeln in Versicherungssachen als leges speciales. Ein gravierender Unterschied besteht darin, dass die Legislative in Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO im Zuge der Reform die Klage des Verbrauchers auch auf Unternehmer im Drittstaat (unter Einschluss von Liechtenstein, welches nicht dem LugÜbk 2007 unterliegt) erweitert hat. Der Rückgriff innerhalb der abschließenden Schutzsysteme war auch schon in der Brüssel I-VO auf die Vorgängernorm des Art. 4 Brüssel I-VO eröffnet. Diese Vorschrift ist zunächst eine Sammelvorschrift mit dem Grundprinzip, dass sich die Zuständigkeit bei Drittstaatenbeklagten nach dem nationalen Recht richtet. Sie nennt jedoch auch Ausnahmen, welche im Rahmen der Novellierung erweitert wurden. Der supranationale Gesetzgeber hat bewusst die Ausdehnung auf Drittstaatenbeklagte in Versicherungssachen nicht vorgesehen. Dieser Systembruch stößt auf Kritik41 und sollte de lege ferenda angeglichen werden. De lege lata ist jedoch aufgrund des klaren Wortlautes sowohl in ErwGr. 14 Brüssel Ia-VO42 als auch im Haupttext durch die unterbliebene Erweiterung des Art. 11 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO der Verweis in Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nicht dahingehend zu verstehen, dass auch ein Versicherer aus einem Dritt- in einem Mitgliedstaat verklagt werden kann. Ein mögliches Motiv für diese Ungleichbehandlung von Verbraucher- gegenüber Versicherungssachen mag darin gesehen werden, dass der Regelungsbedarf bei Verbraucherverträgen aufgrund der höheren Praxisrelevanz deutlich größer ist. Gerade im Onlinehandel werden viele Verbraucher einmalig Waren bei Unternehmern aus Drittstaaten bestellen.43 Bei einem Versicherungsvertrag handelt es sich hingegen um ein eigenständiges Rechtsprodukt und zugleich ein Dauerschuldverhältnis. Ein solches dürfte der Verbraucher wohl eher nicht mit drittstaatlichen Versicherern ohne Niederlassung im Binnenmarkt schließen. Bei Verbrauchersachen werden sich die bestellten Gegenstände oftmals in Warenlagern innerhalb der EU befinden, so dass sich die Zwangsvollstreckung in das mitgliedstaatlich belegene Vermögen betreiben lässt. Demgegenüber erscheint es nicht naheliegend, dass ein Versicherer aus einem Drittstaat ohne Niederlassung in der EU den Kunden ohne weiteres den vollstreckungsrechtlichen Zugriff auf Ver40 Vgl. statt aller: Dörner in Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsrecht (1999) Vorb. Art. 7 Rz. 57; Geimer, Rz. 943 ff.; Hüßtege in Thomas/Putzo, § 1 ZPO Vorb. Rz. 6; Schack, Rz. 236; s. auch BT-Drucks. 10/504, 89. 41 Siehe dazu Art. 11 Brüssel Ia-VO Rz. 1. 42 ErwGr. 14 S. 2 Brüssel Ia-VO besagt: „Allerdings sollten einige Zuständigkeitsvorschriften in dieser Verordnung unabhängig vom Wohnsitz des Beklagten gelten, um den Schutz der Verbraucher und Arbeitnehmer zu gewährleisten, …“ 43 Beachte in dem Zusammenhang den Richtlinienentwurf des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenhandels zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, KOM (2017), 637. Zum Rechtsakt unter dem Aspekt der Verjährung Papadopoulos/Aslan, DAR 2018, 544, 548.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 10 Brüssel Ia-VO
mögen in den Mitgliedstaaten eröffnet. Die Durchsetzung des Titels im Drittstaat wiederum dürfte als Alternative gleichermaßen problembehaftet sein. Letztlich würde sich damit ein erweiterter Gerichtsstand aus dem Blickwinkel der Schutzadressaten als wenig zielführend erweisen. Auch innerhalb des internationalen Schuldvertragsrechts regelt der supranationale Gesetzgeber für Versicherungssachen in Art. 7 Rom I-VO laut ErwGr. 32 Rom I-VO eine spezielle Vorschrift gegenüber Art. 6 Rom I-VO. Dabei ist ein Günstigkeitsvergleich nur in Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO, nicht hingegen in Art. 7 Rom I-VO vorgesehen. Ein solcher Rechtsmix würde sich bei Versicherungsverträgen als Rechtsprodukt schwierig gestalten. Art. 6 Rom I-VO kann nur eingreifen, wenn bei einem Versicherungsvertrag über Massenrisiken das Risiko außerhalb der EU belegen ist. Demnach verbietet sich ebenso im Regelungsbereich des Art. 7 Rom I-VO ein Rückgriff auf die Verbrauchervorschrift. Im Ausgangspunkt lässt sich damit auch anhand dieses Sekundärrechtsakts ablesen, dass die europäische Legislative den kollisionsrechtlichen Schutz von Verbrauchern bei bestimmten Vertragstypen unterschiedlich ausgestaltet hat. Im Lichte des Haupttextes sowie des ErwGr. 14 der Brüssel Ia-VO handelt es sich nicht um ein Redaktionsversehen, sondern eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, den Abschnitt für Versicherungssachen nicht auf Drittstaatenbeklagte zu erweitern. Jene darf nicht durch eine Auslegung contra legem konterkariert werden. Es bleibt somit festzuhalten, dass selbst wenn sich ein ausländischer Versicherer ohne Niederlassung im Binnenmarkt auf den in einem Mitgliedstaat ansässigen Verbraucher ausrichtet, der Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO über eine mögliche Verweisung aus Art. 10 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO keine Anwendung findet. Sofern der Versicherer in Liechtenstein ansässig ist und infolgedessen das LugÜbk 2007 keine Anwendung findet, verbleibt es daher bei der Maßgeblichkeit der ZPO sowie von § 215 VVG.44 Der Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union wird im Lichte des Art. 6 7b Abs. 1 Brüssel Ia-VO wohl weitreichende Folgen für Klagen in Versicherungssachen haben. Schließlich betrifft die Rückausnahme in der Vorschrift lediglich Drittstaatensachverhalte in Verbraucherund Arbeitssachen sowie solche im Zusammenhang mit ausschließlichen Zuständigkeiten und Gerichtsstandsvereinbarungen. Wird folglich ein Prozess gegen einen außerhalb des Binnenmarktes ansässigen Versicherer angestrebt, scheidet die Maßgeblichkeit der Brüssel Ia-VO a priori aus. Eine Ausnahme gilt lediglich für den Fall, dass die Assekuranz nach Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eine Zweigniederlassung auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates betreibt und die konkrete Streitigkeit hieraus resultiert. Die allgemeinen und besonderen Zuständigkeiten der Art. 4 bis 9 Brüssel IaVO bleiben darüber hinaus auch versperrt, da hierfür im Ausgangspunkt ein mitgliedstaatlicher Beklagtenwohnsitz erforderlich ist. Sofern das Vereinigte Königreich nach dem Ausscheiden aus der EU als Drittstaat zu qualifizieren wäre, führte dies insbesondere in grenzüberschreitenden Verkehrsunfallkonstellationen zu unbefriedigenden Ergebnissen. Zur Veranschaulichung dient folgender Sachverhalt, angelehnt an eine Entscheidung des OLG Brandenburg45: Ein deutscher Tourist (wohnhaft in Berlin) verunfallt in Cardiff (Wales) mit mehreren Verkehrsbeteiligten und beabsichtigt im Anschluss, Schädiger 1 (ebenfalls in Berlin ansässig mit dort zugelassenem und in München versichertem Kfz) und Schädiger 2 (in London beheimatet mit ebenda zugelassenem und versichertem Kfz) möglichst ortsnah zu verklagen. Die Berührungspunkte zu den Ländern Wales und England, welche dem Vereinigten Königreich angehören, sind nach jetzigem Stand noch als mitgliedstaatliche Bezüge zu werten. Vor dem Hintergrund stünden dem deutschen Geschädigten zunächst im Lichte des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO jeweils Prozesse vor den deutschen oder englischen Gerichten gegen die Schädiger offen. Die örtliche Zuständigkeit bliebe darüber hinaus anhand der lex fori zu ermitteln. Darüber hinaus führte ein Verfahren gegen die Parteien nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zum Tatortforum nach Cardiff. Mithilfe des besonderen Gerichtsstandes aus Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO stünde dem Betroffenen sogar ein gemeinsamer Prozess gegen beide Akteure am Domizil eines der Schädiger frei, vorzugsweise desjenigen wohnhaft in Berlin. Strebte der Geschädigte zudem Verfahren gegen die gegnerischen Haftpflichtversicherer an, so ermöglichte ihm Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1lit b Brüssel Ia-VO
44 Dazu BGH v. 1.6.2016 – IV ZR 80/15, VersR 2016, 1099 ff. m. Anm. Mankowski, WuB 2016, 725 f. 45 OLG Brandenburg v. 18.2.2016 – 12 U 118/15, IPRax 2018, 409 ff. m. Anm. Staudinger/Friesen, 366 ff.
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Art. 10 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit jedenfalls unstreitig die Klage an seinem Heimatgericht gegen die englische Assekuranz.46 Im Ergebnis könnte die prozessführende Partei somit sämtliche britischen Akteure in ihrem Wohnsitzstaat gerichtspflichtig machen. Geht man nun davon aus, dass das Vereinigte Königreich nach dem Austritt aus der Europäischen Union den Status eines Drittstaates haben wird, verbliebe dem Geschädigten keine Möglichkeit mehr, den englischen Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach Maßgabe der Brüssel Ia-VO zu verklagen. Die Anwendung des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sowie Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO scheiterte bereits am mangelnden mitgliedstaatlichen Wohnsitz des Fahrers (vgl. Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO). Dies gilt gleichermaßen für dessen Versicherer, da Art. 11 Abs. 1, 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ebenfalls im Ausgangspunkt auf den Sitz der Assekuranz abstellt. Sofern der Haftpflichtversicherer darüber hinaus keine Zweigniederlassung innerhalb des Binnenmarktes besitzt, lässt sich über Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO auch kein mitgliedstaatlicher Sitz fingieren. Als einziger Weg bliebe dem Betroffenen letztlich die Hoffnung auf eine rügelose Einlassung der gegnerischen Parteien nach Art. 26 Brüssel Ia-VO bei einer Klage in Deutschland.47 7d
Mit Blick auf die derzeitige Entwicklung der Austrittsverhandlungen erscheint noch unklar, ob im Europäischen Zivilverfahrensrecht tatsächlich eine wie oben dargestellte Schieflage künftig droht. Zwar kündigte das Vereinigte Königreich mit dem European Union (Withdrawal) Act 2018 zuletzt an, sämtliche bis zum Zeitpunkt seines Austritts aus der Union geltenden Verordnungen und Richtlinien in die nationalen Gesetzbücher zu überführen. Allerdings würde eine wie auch immer geartete Inkorporierung der Brüssel Ia-VO in das autonome Zivilprozessrecht des Königreiches dazu führen, dass die Regelungen lediglich aus britischem Blickwinkel im Verhältnis zu EU-Staaten Anwendung finden. Aus mitgliedstaatlicher Sicht wird jedoch das Vereinigte Königreich mangels Sonderregelung als Drittstaat anzusehen sein. Im jüngst veröffentlichten Entwurf seines Austrittsabkommens48 nimmt das Königreich erstmals ausdrücklich Stellung zur Geltungsdauer der Brüssel Ia-VO und belegt damit, nicht über sein Ausscheiden aus der Union hinaus an dem Sekundärrechtsakt festhalten zu wollen. Nach Art. 67 des Entwurfes wird nämlich die Geltungsdauer der Verordnung auf das Ende der Übergangszeit begrenzt. Auch wenn vor diesem Hintergrund die Hoffnung einer Übereinkunft zwischen den Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich für die Zeit nach dem Brexit schwindet, stellt sich nichtsdestotrotz die Frage, welche Möglichkeiten bestünden, um auch über den Stichtag hinaus ein einheitliches Regelwerk für die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen zu schaffen.
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Anzudenken wäre etwa ein Lückenschluss durch die Ratifikation des LugÜbk 2007, welchem neben der EU die Staaten Norwegen, Island und die Schweiz angehören. Durch die Teilnahme des Vereinigten Königreiches wäre zwar ein gemeinsames Internationales Zivilverfahrensrecht zwischen den Signatarstaaten gewährleistet. Allerdings erwiese sich eine solche Lösung im Verhältnis zu Großbritannien und Nordirland als Rückschritt, da das Übereinkommen mit der Brüssel I-, nicht jedoch Brüssel Ia-VO gleichläuft. Indes lässt sich anführen, dass der Abschnitt Versicherungssachen ohnehin keine Änderungen im Rahmen der Revision der EuGVVO erfahren hat. Insofern stellte sich die Anwendung des LugÜbk 2007 gegenüber dem Königreich aus versicherungsrechtlichem Blickwinkel als kein Rückschritt dar.49 46 Im Verhältnis zur deutschen Versicherung gestaltet sich ein hierauf gestützter Prozess deutlich schwieriger. Da Kläger und Beklagter in dem Falle in ein und demselben Mitgliedstaat ansässig sind, scheitert die direkte Anwendung des Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO. Dieser verlangt nämlich expressis verbis den Wohnsitz der prozessführenden Partei in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in welchem der Beklagte domiziliert ist. Vertiefend zur Frage der Anwendbarkeit des Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO im unechten Inlandsfall Art. 11 Brüssel Ia-VO Rz. 5. 47 Der Drittstaatenwohnsitz des Beklagten hindert die Anwendung des Art. 26 Brüssel Ia-VO nicht, obschon die Norm nicht ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO Erwähnung findet; vgl. Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 3. 48 Draft Agreement on the withdrawal of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland from the European Union and the European Atomic Energy Community, as agreed at negotiators’ level on 14 November 2018. 49 Vgl. ausführlich zur Möglichkeit der Teilnahme am LugÜbk 2007 nach dem Brexit Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 6h.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 10 Brüssel Ia-VO
Neben einer solchen Lösung bestünde auch die Möglichkeit, ein bilaterales Abkommen zwischen 7f dem ausscheidenden Mitgliedstaat und der EU auf dem Gebiet des Zivilverfahrensrechtes zu schließen. Nicht zu verkennen bliebe dann allerdings, dass ein solches Parallelübereinkommen anders als im Verhältnis zu Dänemark eines mit Drittstaatenbezug wäre. Folglich kann eine Übereinkunft nach dem dänischen Modell nicht ohne weiteres auf das Vereinigte Königreich übertragen werden. Kommt im Ergebnis kein einheitliches Regime zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich 7g zustande, ist diesem gegenüber letztlich aus deutschem Blickwinkel die hiesige Prozessordnung in doppelfunktionaler Hinsicht anzuwenden. Bei einem Verfahren gegen einen britischen Unfallverursacher ließe sich dieses etwa auf § 32 ZPO sowie § 20 StVG stützen, sofern der Ort des schädigenden Ereignisses in Deutschland liegt. Die Vorschriften würden im dem Falle neben der internationalen zugleich die örtliche Zuständigkeit regeln. Eine Klage nach den §§ 12, 13 ZPO sowie § 17 ZPO kommt in Drittstaatensachverhalten in der Regel nicht Betracht, da der Beklagte meist keinen (Wohn-)Sitz im Inland besitzt. Ist folglich der Prozessgegner nicht in Deutschland ansässig und befindet sich der Unfallort ebenfalls außerhalb der Landesgrenze, unterstehen die Klagen des Geschädigten den Zuständigkeitsvorschriften des jeweiligen Staates. Anders als Versicherungsnehmer (und wohl auch Versicherte und Begünstigte) könnte sich der Geschädigte auch nicht auf die Vorschrift des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG (weder direkt noch analog) berufen. Dem zuvor genannten Adressatenkreis der Vorschrift steht nämlich grundsätzlich bei Prozessen gegen drittstaatliche Assekuranzen die Klage an ihrem Wohnsitzforum offen.50 Nach Ansicht des IV. Arbeitskreises des Verkehrsgerichtstages 2018 soll der Schutzgerichtsstand in persönlicher Hinsicht jedoch auch weiterhin nicht für Geschädigte gelten bzw. auf diese ausgeweitet werden.51 Mit Blick auf die Beispielskonstellation (Verkehrsunfall in Wales) ergäbe sich folgende Ausgangslage für den Betroffenen: Die §§ 12, 13, 17 und 32 ZPO sowie § 20 StVG führten gegenüber dem englischen Schädiger und seiner Haftpflichtversicherung zu keinem inländischen Gerichtsstand am Wohnsitz des Geschädigten. Ebenso wenig ließe sich anhand des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG ein Verfahren in Deutschland begründen. Gegen die englischen Akteure verbliebe dem Betroffenen letztlich allein der Prozess nach dem am Tatort (Wales) oder an den Beklagtenwohnsitzen (London) geltenden Zivilverfahrensrecht. Nach Art. 10 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO ist der Versicherer,52 der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates seinen Wohnsitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat gerichtspflichtig, wenn es sich um Streitigkeiten „aus dem Betrieb“ einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung handelt, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet.53 Die Betriebsbezogenheit ist zu bejahen, wenn etwa die Zweigniederlassung den Versicherungsvertrag abgeschlossen54 oder sich intensiv mit der Schadensregulierung befasst hat.55 Inwieweit ein (vertraglich gebundener) Versicherungsvermittler56 dem Begriff der Agentur unterfällt, ist anhand der Einzelfall-
50 Beachte insbesondere BGH v. 8.11.2017 – IV ZR 551/15, VersR 2018, 182 ff. m. Anm. Mankowski, 184 ff. Dort klagte eine deutsche Versicherungsnehmerin gegen eine liechtensteinische Assekuranz auf Grundlage des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG. Mit der Entscheidung legte die Revisionsinstanz fest, dass die Vorschrift kraft extensiver Auslegung in persönlicher Hinsicht neben natürlichen auch juristische Personen miteinbezieht. 51 Empfehlungen des IV. Arbeitskreises des 56. Verkehrsgerichtstages 2018 in Goslar. Demnach soll der Wortlaut der Norm lediglich auch auf Versicherte und Begünstigte erweitert werden (vgl. hierzu Piontek, Tagungsband zum 56. Verkehrsgerichtstag, 155 ff.). 52 Zur Bedeutung dieses Vorbehalts für Klagen des Versicherers s. Art. 14 Brüssel Ia-VO Rz. 4. 53 Hierzu östOGH, EuLF 2009, II-98, II-99 f. 54 Cass. (Italien) 13.2.1993, n 1820, Riv. dir. int. priv proc 1995, 116; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 7 EuGVÜ Rz. 2. 55 Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 7 EuGVÜ Rz. 2; zu den Voraussetzungen des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO vgl. Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 152 ff.; die Betriebsbezogenheit ist hingegen dem EuGH zufolge zu verneinen, wenn etwa ein Fluggast Ansprüche gegen eine Fluggesellschaft im Gerichtsbezirk gelten macht, in welchem der Beförderer eine Zweigniederlassung unterhält, jedoch kein Rechtsverhältnis zwischen Letzterer und dem Fluggast besteht: EuGH v. 11.4.2019 – C-464/18 – ZX vs. Ryanair DAC, NJW-RR 2019, 684 ff. m. Anm. Mankowski, EWiR 2019, 447 f. 56 Siehe hierzu RL 2002/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.12.2002 über Versicherungsvermittlung, ABl. EG 2003 L 9/3 ff.; zuletzt geändert durch Art. 91 ÄndRL 2014/65/EU vom 15.5.2014 (ABl. 2014 L 173/349).
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Art. 10 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit umstände zu entscheiden.57 Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO bestimmt von seinem Wortlaut her nicht allein die internationale, sondern zugleich die örtliche Zuständigkeit. 9
Im Gegensatz zu Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ist Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO lediglich anwendbar, wenn der Beklagte im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates beheimatet ist. Art. 10 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO schließt die weiteren Gerichtsstände in Art. 11 ff. Brüssel Ia-VO nicht aus.58 Dies ergibt sich aus dem Bericht von Jenard59 sowie daraus, dass es sich bei Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO um eine „Kann-Bestimmung“ handelt.60
IV. Begriff der Versicherungssachen 10
Der Begriff der Versicherungssache wird in der Brüssel Ia-VO nicht legal definiert. Er ist dennoch nicht nach der jeweiligen lex fori, sondern autonom mit Hilfe eines binnenmarktweit einheitlichen Methodenkanons auszulegen.61 Entscheidende Bedeutung kommt dabei sowohl dem Streitgegenstand als auch den beteiligten Parteien zu.62 Demzufolge werden alle Rechtsstreitigkeiten einbezogen, die ihren Grund in einem Versicherungsverhältnis haben, sich also auf dessen Abschluss, Durchführung und Beendigung beziehen. Im Lichte systematischer Interpretation folgt aus Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, dass lediglich private, nicht jedoch öffentlich-rechtliche Versicherungsverhältnisse den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO unterfallen.63 Ferner werden nach Maßgabe des Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO keine Versicherungsverträge erfasst, die sich ausschließlich auf ein in diesem Ausnahmekatalog genanntes Rechtsgebiet beziehen.64 Im Rahmen teleologischer Auslegung ist jedoch dem Sinn und Zweck des 3. Abschnitts Rechnung zu tragen. Hieraus folgt:
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Ob eine staatliche Exportrisikoversicherung zu den Versicherungssachen i.S.d. Art. 10 Brüssel Ia-VO zählt, erscheint fraglich. Sie beruht zwar auf der wirtschaftspolitischen Zielsetzung, den Außenhandel zu fördern, und bedarf einer ministeriellen Genehmigung. Dennoch ist die staatliche Exportversicherung als privatrechtlich i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu qualifizieren, wenn die Leistungsabwicklung auf der Grundlage eines Gleichordnungsverhältnisses beruht.65
57 Jenard-Bericht, Zuständigkeit für Versicherungssachen, ABl. EG 1979 C 59/1, 31; Schlosser-Bericht Nr. 151, ABl. EG 1979 C 59/71, 116; Heiss 105, 121 f. 58 LG Stuttgart, IPRax 1998, 100; Looschelders, IPRax 1998, 86, 89. 59 Jenard-Bericht, Zuständigkeit für Versicherungssachen, ABl. EG 1979 C 59/1, 30. 60 LG Stuttgart, IPRax 1998, 100, 101. 61 Hierzu Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 14; Musielak/Voit/Stadler, Art. 10 Rz. 1; Rauscher, IPR Rz. 2006; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 7 EuGVÜ Rz. 5; ob mithin etwa eine Lösegeldversicherung den Art. 8 ff. Brüssel I-VO unterliegt, ist damit binnenmarktweit einheitlich zu bestimmen; ebenfalls können die Principles of European Insurance Contract Law (PEICL) zur Auslegung herangezogen werden. 62 LG Bremen v. 25.1.2001 – 6 O 1420/00, VersR 2001, 782; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 27 ff.; Kropholler/von Hein, vor Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 5; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 10 Rz. 1. 63 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5; Magnus/Mankowski/Heiss Rz. 5; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 1; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 131; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 7 EuGVÜ Rz. 6. 64 Dies betrifft etwa die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen nach Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO. Einschlägig ist insofern allerdings auch nicht die Insolvenzverordnung (Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 4; s. Art. 1 Abs. 2 lit. b EU-InsVO und ErwGr. 9 S. 3 f. EU-InsVO; hierzu Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 541 f.), sondern ein richtliniengeprägtes Sonderregime; vgl. die RL 2001/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.3.2001 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen, ABl. EG 2001 L 110/28 ff.; zuletzt geändert durch Art. 310 Abs. 1 ÄndRL 2009/138/EG vom 25.11.2009 (ABl. 2009 L 335/1, geänd. 12, L/249/1, geänd. 13, L/341/1); zur Transformation s. das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, BGBl. 2003 I 345 ff. sowie das Gesetz zur Umsetzung aufsichtsrechtlicher Bestimmungen zur Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten, BGBl. 2003 I 2469 ff.; vgl. hierzu die Angaben bei Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Staudinger, Handbuch der Europäischen Rechtspraxis, § 22 Rz. 134. 65 BGE 124 III 436, 440 f.; Kropholler/von Hein, vor Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 6.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 10 Brüssel Ia-VO
Die Sozialversicherung fällt unter den Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. c Brüssel Ia-VO.66 Darüber hinaus ist sie üblicherweise öffentlich-rechtlicher Natur und somit nicht als Zivilsache i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu qualifizieren.67
12
Die Transportversicherung wird vom Anwendungsbereich der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO erfasst.68 Das ergibt sich aus dem Umkehrschluss zu Art. 17 Abs. 3 Brüssel Ia-VO sowie daraus, dass Art. 15 Nr. 5 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 16 Brüssel Ia-VO für die Versicherung von Transportgütern in den dort aufgeführten Fällen Gerichtsstandsvereinbarungen zulässt.69
13
Ein Rückversicherungsvertrag gilt aufgrund der ratio legis der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO nicht als Versicherungssache i.S.d. Brüssel Ia-VO.70 Der EuGH begründete dies in der Rs. Group Josi71 damit, dass bei einer Rückversicherung das Schutzbedürfnis des Versicherungsnehmers fehlt.72 Es gelten vielmehr die allgemeinen Regeln der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO. Die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO sind demgegenüber einschlägig, wenn ein Versicherungsnehmer, etwa wegen der Insolvenz73 des Versicherers, gegen den Rückversicherer klagt.74
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Zweifelhaft erscheint, ob Großversicherungen den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO unterfallen,75 da keine 15 objektive Schutzbedürftigkeit vorliegt. Im Unterschied zur Rückversicherung stehen sich aber als Parteien nicht zwei im Bereich der Versicherung gewerblich Tätige gegenüber.76 Die Begründung des EuGH zum Ausschluss der Rückversicherungsverträge lässt sich daher nicht ohne weiteres auf Großversicherungen übertragen. Ungeachtet des mangelnden Schutzbedürfnisses können sich somit auch Großunternehmen auf die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO stützen.77 Hierin liegt allerdings ein Webfehler der Brüssel Ia-VO. Direktklagen des Geschädigten zählen gem. Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu den Versicherungssachen.78
16
Im Nachgang zur Rs. Vorarlberger79 fällt auch ein Rückgriff des Versicherers aus übergegangenem 17 Recht gegen den Schädiger oder dessen Versicherer in den Regelungsbereich der Art. 10 ff. Brüssel Ia66 Ausführlich: Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 29; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 20; Schack, Rz. 283; vgl. zur Abgrenzung auch Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 44, 149 ff. 67 Rauscher, IPR Rz. 2006; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5. 68 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 23; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 10 Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 7 EuGVÜ Rz. 8. 69 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 23. 70 KOM (1999) 348, 16; Schlosser-Bericht Nr. 151, ABl. EG 1979 C 59/71, 117; EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi vs. Universal General Insurance, EuR 2000, 634 Rz. 64 ff.; zur Literatur s. die Angaben bei Mankowski, VersR 2002, 1177, 1178. 71 EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi Reinsurance Company SA vs. Universal General Insurance Company (UGIC) Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel Versailles, EuR 2000, 634. 72 EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi vs. Universal General Insurance, EuR 2000, 634 Rz. 66; so auch Schlosser-Bericht Nr. 151, ABl. EG 1979 C 59/71; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 7; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 1. 73 Vgl. die RL 2001/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.3.2001 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen, ABl. EG 2001 L 110/28 ff.; zuletzt geändert durch Art. 310 Abs. 1 ÄndRL 2009/138/EG vom 25.11.2009 (ABl. 2009 L 335/1, geänd 12, L/249/1, geänd 13, L/341/1); s. hierzu bereits Fn. 54; s. zur Insolvenzabsicherung nach § 651k BGB im Lichte des VAG und von Solvency II Staudinger, VersR 2014, 1153 ff. 74 KOM (1999) 348, 16; Magnus/Mankowski/Heiss Rz. 6; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 329; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 1. 75 Schlosser-Bericht Nr. 140, ABl. EG 1979 C 59/71, 114. 76 Vgl. EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi vs. Universal General Insurance, EuR 2000, 634 Rz. 66. 77 Schlosser-Bericht Nr. 140, ABl. EG 1979 C 59/71, 114; Kropholler/von Hein, vor Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 6; krit. dazu, dass die Art. 8 ff. Brüssel I-VO nicht auf „private“ Versicherungsnehmer beschränkt sind: Fricke, VersR 1997, 399, 401; Fricke, VersR 2009, 429, 430 f.; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 4; Schack, Rz. 283. 78 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 40; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 10 Rz. 1. 79 EuGH v. 17.9.2009 – C-347/08, ECLI:EU:C:2009:561, IPRax 2011, 255 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse vs. WVG-Schwäbische Allgemeine AG, EuZW 2009, 855 ff.
Staudinger
391
Art. 10 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit VO.80 Es ist festzuhalten, dass ein originär den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO unterliegender Anspruch ebenfalls in der Hand des Zessionars eine Versicherungssache bleibt. Auch wenn der 3. Abschnitt als solcher eröffnet ist, stellt sich die Frage, welche der darin geregelten Gerichtsstände dem Abtretungsempfänger offen stehen. Dies muss anhand der konkret-individuellen Schutzbedürftigkeit geprüft werden.81 Anders verhält es sich in der Rs. Group Josi82, welche keine Zession sondern Forderungen zwischen zwei Versicherern zum Gegenstand hatte. In solchen Konstellationen entsteht bereits kein Anspruch, der unter die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO fällt. 18
Eine Klage auf Gewährleistung zwischen Versicherern, welche auf einer Mehrfachversicherung beruht, unterfällt ebenso wenig dem Regelungsbereich des 3. Abschnitts.83 Entsprechendes folgt aus der Zielsetzung des Verordnungsgebers, einen besonderen Schutz für wirtschaftlich schwächere und rechtlich unerfahrene Personen vorzusehen. Diesem Adressatenkreis gehören jedoch gewerblich Tätige, mithin Versicherer, gerade nicht an.84
V. Verfahrensbeteiligte 19
Die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO benennen als Verfahrensbeteiligte den Versicherer85, Versicherungsnehmer, Versicherten, Begünstigten, Mitversicherer sowie den Geschädigten.86 Zu den Versicherern zählen die Versicherungsunternehmen aller zugelassenen Rechtsformen, unabhängig davon, ob es sich um (rechtsfähige) in- oder ausländische, private oder öffentlich-rechtlich organisierte Unternehmen handelt.87 Darunter fallen auch Entschädigungsstellen, welche in ihrer Funktion als Garantiefonds i.S.d. Art. 10 Brüssel Ia-VO der 6. Kraftfahrzeughaftpflicht-RL88 tätig werden. Dies trifft hierzulande etwa auf den Verein Verkehrsopferhilfe e.V. zu.89 Darüber hinaus kann Verfahrensbeteiligter jede Person sein, für die der Versicherungsvertrag Rechte und Pflichten begründet.90 Insofern ist die Aufzählung der Prozessgegner des Versicherers in Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nicht abschließend.91 80 A.A. Czernich/Kodek/Mayr/Heiss, Rz. 6. 81 Siehe dazu ausführlich Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 17 ff. 82 EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98 – Group Josi Reinsurance Company SA vs. Universal General Insurance Company (UGIC) Vorabentscheidungsersuchen der Cour d’appel Versailles, EuR 2000, 634 ff. 83 EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 – Groupement d’intérêt économique (GIE) Réunion européenne u.a. vs. Zurich España, Société pyrénéenne de transit d’automobiles (Soptrans), EuGHE 2005 I 4509 ff. = IPRax 2005, 535 ff. m. Anm. Rüfner, 500 ff. = VersR 2005, 1001 ff. m. Anm. Heiss, 1003; Magnus/ Mankowski/Heiss, Rz. 7. 84 Siehe EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 – Groupement d’intérêt économique (GIE) Réunion européenne u.a. vs. Zurich España, Société pyrénéenne de transit d’automobiles (Soptrans), EuGHE 2005 I 4509 ff. = IPRax 2005, 535 ff. m. Anm. Rüfner, 500 ff. = VersR 2005, 1001 ff. m. Anm. Heiss 1003, beachte insbesondere Entscheidungsgründe Nr. 18, 20, 22 und 23; beachte jedoch im Hinblick auf Arbeitgeber als Legalzessionare EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft – KABEG vs. Mutuelles du Mans assurances – MMA IARD SA, VersR 2017, 1481 m. Anm. Mankowski, 1484 ff.; hierzu auch Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982; Staudinger/Papadopoulos, LMK 2017, 395642. 85 Nicht unter den Begriff des „Versicherers“ fällt ein Anbieter im öffentlichen Personennahverkehr, der von der Versicherungspflicht befreit ist und seine (Verkehrsunfall-)Schäden selbst reguliert, s. dazu LG Mönchengladbach, r+s 2013, 197. 86 Zu den Begriffen Versicherungsnehmer, Versicherter und Begünstigter vgl. Art. 11 Brüssel Ia-VO Rz. 5, zum Geschädigten Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 8 ff. 87 Kropholler/von Hein, vor Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 7; Musielak/Voit/Stadler, Vorb. zu Art. 10–16; Wieczorek/ Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 7 EuGVÜ Rz. 10. 88 RL 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (kodifizierte Fassung), ABl. EU 2009 L 263/11 ff.; beachte den aktuellen Richtlinienvorschlag zur Änderung der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, KOM (2018) 366. 89 Unter den Abschnitt fallen indes keine Einrichtungen, welche die Forderungen der Geschädigtenseite als auszahlende Stellen des gegnerischen Haftpflichtversicherers regulieren (LG Darmstadt, NJW 2017, 228); beachte in dem Zusammenhang ferner EuGH v. 11.7.2013 – C-409/11 – Gábor Csonka u.a. vs. Magyar Állam, EuZW 2013, 720; hierzu ausführlich MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 36.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 11 Brüssel Ia-VO
Einbezogen werden in den Regelungsbereich der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO etwa Hypothekengläubiger 20 nach §§ 94, 142 ff. VVG92 sowie Einzel- bzw. Gesamtrechtsnachfolger.93 Die Einschlägigkeit der einzelnen Gerichtsstände, insbesondere die Privilegierung, am eigenen Wohnsitzforum zu klagen, hängt von dem jeweiligen Schutzbedürfnis ab. Dies ist regelmäßig beim Erwerber gem. § 95 Abs. 1 VVG zu bejahen.94 Prozessgegner eines Versicherers muss stets ein Nichtversicherer sein, es sei denn ein sachlich unter die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO fallender Anspruch wird an einen Rechtsnachfolger abgetreten. Mittels einer konkret-individuellen Schutzbedürftigkeitsprüfung wird im Anschluss an die Zession geprüft, welche Gerichtsstände dem Forderungsempfänger offen stehen.95
Artikel 11 [Gerichtsstände für Klagen gegen den Versicherer] (1) Ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden: a) vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, b) in einem anderen Mitgliedstaat bei Klagen des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, oder c) falls es sich um einen Mitversicherer handelt, vor dem Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem der federführende Versicherer verklagt wird. (2) Hat der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird er für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb so behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hätte. I. Wahlgerichtsstände bei Klagen gegen den Versicherer (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . 1. Wohnsitz des Versicherers . . . . . . . . . . . 2. Klägergerichtsstand des Versicherungsnehmers, Versicherten und Begünstigten . . . . 3. Gerichtsstand des federführenden Versicherers . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Versicherer ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . 1. Fiktiver Wohnsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . .
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90 Musielak/Voit/Stadler, Vorb. zu Art. 10–16; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 9. 91 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 16; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 7 EuGVÜ Rz. 11. 92 Auch im nationalen Recht ist die Klage eines Realgläubigers gegen den Versicherer als Versicherungssache zu qualifizieren. Nach § 215 Abs. 1 S. 1 VVG kann jener am Wohnsitz des Versicherungsnehmers prozessieren (OLG Hamm, r+s 2015, 104; Hk-VVG/Muschner, § 215 VVG Rz. 12; MünchKommVVG/Staudinger, § 142 VVG Rz. 32; Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG Rz. 6. A.A. Bruck/Möller/Brand, § 215 Rz. 19; Bruck/Möller/K Johannsen, AFB 2008/2010 B § 21 Rz. 5; Prölss/Martin/Klimke, § 215 Rz. 22; Langheid/Rixecker/Rixecker, § 215 VVG Rz. 4). 93 Dazu ausführlich Art. 13 Rz. 10 ff.; zur Gesamtrechtsnachfolge s. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 36 f.; SchlosserBericht Nr. 152, ABl. EG 1979 C 59/71, 117; s. aber auch zur Rechtsstellung von begünstigten Erben des Versicherungsnehmers unter dem Regime des EuGVÜ: Cour de cassation Clunet 2001, 143 ff. 94 Hiervon sind rein erbrechtliche Fragestellungen i.S.d. Erbrechtsverordnung (VO [EU] Nr. 650/2012) zu trennen, die bereits nach Maßgabe von Art. 1 Abs. 2 lit. f Brüssel Ia-VO nicht der Brüssel Ia-VO unterfallen (vgl. Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 28; s. auch Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 68; Lüttringhaus, VersR 2010, 183, 186 f.). 95 Ausführlich Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 17 ff.; s. dazu Staudinger, VersR 2013, 412 ff.; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978 ff.
Staudinger
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Art. 11 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen den Versicherer
I. Wahlgerichtsstände bei Klagen gegen den Versicherer (Abs. 1) 1
Art. 11 Abs. 1 Brüssel Ia-VO stellt für Klagen gegen den Versicherer drei Gerichtsstände zur Wahl. Im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ist eine Durchbrechung des Zuständigkeitskatalogs gestützt auf die forum non conveniens-Doktrin unzulässig.1 Allerdings setzten die Wahlgerichtsstände voraus, dass der Versicherer in einem Mitgliedstaat beheimatet ist. Im Zuge der Reform sind die Schutzgerichtsstände in Verbraucher2- und Arbeitssachen3 auch auf drittstaatliche Unternehmer bzw. Arbeitgeber ausgeweitet worden. Ebenfalls verbietet sich methodisch ein Rückgriff auf Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO infolge der Verweisung des Art. 10 Brüssel Ia-VO auf Art. 6 Brüssel Ia-VO.4 Es ist schwer nachvollziehbar, weshalb diese Erweiterung nicht auch in die Versicherungssachen Einzug gehalten hat. Denn in ErwGr. 18 Brüssel Ia-VO werden die Schutzregime auf gleiche Stufe gestellt und im Übrigen herrscht mit Blick auf die Belehrungspflicht gem. Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, die Privilegierung gegenüber der Rechtshängigkeitsregel nach Art. 31 Abs. 4 Brüssel Ia-VO sowie die Anerkennungsversagensgründe in Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO nunmehr ein Gleichlauf bei den Schutzgerichtsständen. Hintergrund der Ungleichbehandlung von Verbraucher- und Arbeits- auf der einen und Versicherungssachen auf der anderen Seite mag die deutlich höhere Praxisrelevanz der erstgenannten Schutzgerichtsstände der Art. 17–23 Brüssel Ia-VO sein. Schließlich stellen Vertragsschlüsse mit drittstaatlichen Unternehmern etwa über das Internet keine Seltenheit mehr dar. Demgegenüber wird ein Versicherungsnehmer in der Regel wohl kein Dauerschuldverhältnis mit einer Assekuranz eingehen, welche außerhalb des Binnenmarktes ansässig ist.5 Der Grundsatz der Mitgliedstaatenansässigkeit des Versicherers wird ebenso wenig im Rahmen von Gerichtsstandvereinbarungen gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO durchbrochen. Die Vorschrift ist zwar ausweislich des Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auch anwendbar, sofern die Assekuranz ihren Sitz in einem Drittstaat hat. Allerdings gelten die in Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO genannten besonderen Schranken für Gerichtsstandsabreden lediglich für die Fälle, in denen die jeweiligen Abschnitte 3, 4 oder 5 einschlägig sind. Prorogieren folglich Drittstaatenversicherer und Versicherungsnehmer ein mitgliedstaatliches Gericht, so ist dies im Lichte des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sowie Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO möglich. Da die Assekuranz indes keinen Wohnsitz im Binnenmarkt besitzt, sind im Übrigen die Vorschriften der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO nicht anwendbar. Folglich erfasst der Verweis in Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO auf Art. 15 Brüssel Ia-VO nicht den Beispielsfall. Diese Norm kann folglich nicht über Art. 6 Abs. 1, Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO aktiviert werden, wenn der Abschnitt Versicherungssachen bereits im Ausgangspunkt versperrt ist. Im Ergebnis bleibt jedoch zu beachten, dass eine allein im Drittstaat ansässige Assekuranz nicht per se vom Regelungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen ist. Vielmehr gelten die Vorschriften über ausdrückliche sowie stillschweigende Gerichtsstandsabreden (Art. 25, 26 Brüssel Ia-VO) auch ohne Rücksicht auf den Wohnsitz für diese fort. Im Übrigen kann sich eine Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO aus Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ergeben. 1. Wohnsitz des Versicherers
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Nach Abs. 1 lit. a kann ein Versicherer vor den Gerichten desjenigen Mitgliedstaates verklagt werden, in dem er seinen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung6 (Art. 62, 63 Brüssel Ia-VO) hat. In Übereinstimmung mit ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO wird damit die allgemeine Vorschrift des Art. 4 Brüs-
1 So zum EuGVÜ: EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Owusu vs. Jackson u.a., EuGHE 2005 I 1383 ff. = IPRax 2005, 244 m. Anm. Heinze/Dutta, 224 ff. = JZ 2005, 887 m. Anm. Bruns, 890 ff.; vgl. auch McEleavy, ICLQ 2005, 973 ff.; weitere Nachweise bei Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 487; die Entscheidung ist von ihrer ratio auf die Brüssel I-VO und nunmehr Brüssel Ia-VO übertragbar; zu der Frage, ob eine europarechtliche Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsabreden eine forum-non-conveniens-Prüfung darstellt Horn, IPRax 2006, 2, 3; Leible/Röder, RIW 2007, 481, 483; s. auch Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 11. 2 Art. 18 Abs. 1 2 Fall Brüssel Ia-VO. 3 Art. 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. 4 Siehe dazu Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 7a. 5 Vgl. Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 7a. 6 Siehe Art. 62 Brüssel Ia-VO Rz. 3; Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 5.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 11 Brüssel Ia-VO
sel Ia-VO auf Versicherungssachen erstreckt.7 Für die örtliche Zuständigkeit gilt autonomes Recht (§§ 12 ff. ZPO, § 215 VVG8).9 2. Klägergerichtsstand des Versicherungsnehmers, Versicherten und Begünstigten Abs. 1 lit. b eröffnet dem Versicherungsnehmer und – abweichend vom EuGVÜ – nunmehr auch dem Versicherten und Begünstigten10,11 einen Klägergerichtsstand. Die Vorschrift, welche ebenfalls die örtliche Zuständigkeit regelt,12 durchbricht damit die allgemeine prozessuale Grundregel „actor sequitur forum rei“, die ihren Niederschlag in Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO (bzw. Art. 11 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) gefunden hat.13 Der im Zuge der Vergemeinschaftung erfolgte tatbestandliche Ausbau14 kann bei Gruppenversicherungsverträgen zu einer unpraktikablen Vermehrung von Gerichtsständen führen, sofern eine Vielzahl von Versicherten ihre Ansprüche klageweise geltend macht.15 Daher vertreten Stimmen in der Literatur die, allerdings im Lichte der Historie abzulehnende, Auffassung,16 Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO sei bei echten Gruppenversicherungsverträgen dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass den Versicherten eines solchen Vertrags kein Klägergerichtsstand eröffnet werde.17 In derartigen Konstellationen bietet es sich vielmehr an, das Rechtsverhältnis mit Hilfe einer koordinierten Gerichtsstandsklausel gem. Art. 15 Brüssel Ia-VO zu gestalten. Hierbei ist zu beachten, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung keine Wirkung zu Lasten Dritter entfaltet.18 Eine Prorogation zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer kann daher nicht dem durch einen Versicherungsvertrag begünstigten Versicherten entgegengehalten werden, soweit dieser der Gerichtsstandsvereinbarung nicht ausdrücklich zugestimmt hat und die Abrede die im Unionsrechtsakt vorgesehenen Gerichtsstände beeinträchtigt.19 Ein abweichendes Ergebnis stünde im Widerspruch zur ratio des versicherungsrechtlichen Zuständigkeitsregimes, welches den Schutz der wirtschaftlich 7 8 9 10 11
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Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 11 Rz. 2 f. Siehe zu § 215 VVG Angaben in Art. 10 Fn. 8. Jenard-Bericht zu Art. 8 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 31; Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 11 Rz. 1. Hierzu KOM (1999) 348, 16; Fricke, VersR 1999, 1055, 1058; zu den Bedenken, die gegen die Aufnahme dieser Personen in das EuGVÜ bestanden: Geimer/Schütze, EuZVR Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 7; Kropholler/von Hein, Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994), Art. 8 EuGVÜ Rz. 3. Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 10 Rz. 4 erstreckt die Regelung auch auf sonstige Drittbeteiligte und geht somit nicht von einer abschließenden Aufzählung aus. Hier ist allerdings eine Einzelfallprüfung angezeigt. Ebenso wenig kann der Begriff des Begünstigten angesichts des Wortlauts sowie der Entstehungsgeschichte der Vorschrift pauschal mit demjenigen etwa des Geschädigten gleichgesetzt werden; s. auch Art. 13 Rz. 5 ff. Infolge des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts muss die durch die Brüssel I-VO bestimmte örtliche Zuständigkeit im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zwingend Beachtung finden: KG v. 11.9.2006 – 28 AR 34/06, VersR 2007, 1007, 1008 m. Anm. Gebauer, NJ 2007, 79 ff. Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 11 Rz. 4; Looschelders, IPRax 1998, 86, 87 f. Unter der Geltung des EuGVÜ bestand der Klägergerichtsstand nur am Wohnsitz des Versicherungsnehmers: EuGH v. 12.5.2005 – C-112/03, ECLI:EU:C:2005:280 – Société financière et industrielle du Peloux vs. Axa Belgium u.a., EuGHE 2005 I 3707 ff. = EuZW 2005, 444, 446; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 7; Hub, 89 ff.; kritisch gegenüber der neuen Rechtslage: Czernich/Kodek/Mayr/Heiss, Art. 11 Rz. 5; Dasser/Oberhammer/Schnyder, Art. 8 LugÜbk Rz. 7; Fricke, VersR 1999, 1055, 1058 f. Der vom Europäischen Parlament unterbreitete Vorschlag, die Gerichtsstände des Versicherungsnehmers, Versicherten und Begünstigten auf Einzelverträge zu beschränken, wurde von der Kommission zunächst bezüglich des Versicherten und Begünstigten angenommen, jedoch nicht in die endgültige Fassung der Brüssel I-VO übernommen; vgl. KOM (2000) 689, S. 4 und 16; Fricke, VersR 1999, 1055, 1058 f.; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 330; krit. Geimer/Schütze, EuZVR Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 7. Ebenso noch zu Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO Hub, 91 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 11 Rz. 3. Noch zur Vorgängerregelung des Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO Beckmann/Matusche-Beckmann/Fricke, Versicherungsrechts-Handbuch (3. Aufl. 2015), § 3 Rz. 33, 49; hierzu auch Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 7. Vgl. EuGH v. 13.7.2017 – C-368/16 – Assens Havn vs. Navigators Management (UK) Limited, IPRax 2018, 259 ff. m. Anm. Mankowski, 233 ff.; noch zur Novellierung der Brüssel I-VO Fricke, VersR 1997, 399, 404; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 7; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 12 EuGVÜ Rz. 8. EuGH v. 12.5.2005 – C-112/03, ECLI:EU:C:2005:280 – Société financière et industrielle du Peloux vs. Axa belgium u.a., EuGHE 2005 I 3707 ff. = IPRax 2005, 531 ff. m. zust. Anm. im Hinblick auf die Brüssel I-VO Heiss, 497 ff. = VersR 2005, 1261 ff. m. krit. Anm. Fricke, VersR 2006, 1283 ff.; speziell zur D & O-Versicherung Stau-
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Art. 11 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen den Versicherer schwächeren Partei – hier des Versicherten – bezweckt. Demnach verstößt Nr. 13.2 der Musterbedingungen des GDV für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB-AVG), wonach der ausschließliche Gerichtsstand auch für im Ausland beheimatete versicherte Personen Geltung beansprucht, jedenfalls dann gegen das Unionsrecht, wenn es an der Zustimmung des Versicherten mangelt. Den von Seiten der Versicherungspraxis geäußerten Bedenken könnte der Sekundärrechtsgeber de lege ferenda in Form der Zulassung umfassender Gerichtsstandvereinbarungen auch im Falle von Gruppenversicherungen Rechnung tragen.20 4
Gemeinsam ist allen in Abs. 1 lit. b genannten Verfahrensbeteiligten, dass sie nach dem Wortlaut in einem anderen Mitgliedstaat als der Versicherer21 beheimatet sind. Es entscheidet der Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung, so dass sich ein reiner Inlandsfall22 nach Vertragsschluss zu einem internationalen Sachverhalt entwickeln kann.23 Die hiermit für den Versicherer einhergehende Belastung erscheint zumindest im Hinblick auf private Versicherungsnehmer vertretbar.24 In unechten Inlandsfällen, in welchen die beklagte Assekuranz und der Kläger im selben Mitgliedstaat ansässig sind, mag es indes Fälle geben, die eine teleologische Reduktion des qualifizierten Auslandsbezuges rechtfertigen. Dies kann etwa grenzüberschreitende Verkehrsunfallkonstellationen betreffen, bei denen der Geschädigte sowie der Haftpflichtversicherer der Gegenseite in demselben Unionsstaat domiziliert sind.25
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Die Begriffe Versicherungsnehmer, Versicherter und Begünstigter werden in der Verordnung nicht legaldefiniert.26 Hieraus darf allerdings nicht gefolgert werden, die Tatbestandsmerkmale seien im Lichte der jeweiligen lex fori auszulegen. Geboten ist vielmehr eine autonome Interpretation unter Einschluss einer rechtsvergleichenden Umschau. Als Versicherungsnehmer gilt der Vertragspartner der Versicherungsgesellschaft.27 Versicherter ist derjenige, zu dessen Gunsten der Versicherungsnehmer im eigenen Namen eine Versicherung abgeschlossen hat (Versicherung für fremde Rechnung; vgl. §§ 43, 179 Abs. 1 S. 2 VVG).28 Zum Kreis der Begünstigten zählt beispielsweise der Bezugsberechtigte einer Lebens- oder Unfallversicherung (§§ 150, 159 VVG; §§ 179, 185 VVG).29 Die Stellung als Versicherter oder Begünstigter kann mit derjenigen als Versicherungsnehmer zusammenfallen.30 Der Unionsrechtsakt differenziert innerhalb der Art. 10–16 Brüssel Ia-VO einerseits bei natürlichen Personen nicht zwischen Verbrauchern und Unternehmern und andererseits hinsichtlich der Rechtsform nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen sowie Personenvereinigungen, etwa Handels- oder BGB-Gesellschaften31, als Versicherungsnehmer, Versicherte oder Begünstigte,32 da die Rechtsform kein taugliches Kriterium für die Schutzwürdigkeit darstellt.33 Demzufolge unter-
20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33
dinger, Ausgewählte Probleme der D & O-Versicherung im Internationalen Zivilverfahrens-, Kollisions- und Sachrecht, 47; Staudinger, Aktuelle Streitfragen zur D & O-Versicherung, 24. Vgl. Fricke, VersR 2009, 429, 434 f.; s. auch Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 5 f., Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 11. Looschelders, IPRax 1998, 86, 88; zum Problem der wortlautgetreuen Anwendung im Rahmen des Art. 9 Abs. 2 Brüssel I-VO: Looschelders, IPRax 1998, 86, 90. Von einem reinen Inlandsfall ist nur auszugehen, wenn beide Vertragsparteien im Inland beheimatet sind und das versicherte Risiko, etwa eine Immobilie, sich in demselben Staat befindet. Siehe dazu Art. 15 Rz. 7a. Jenard-Bericht zu Art. 8 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 31; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 10; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 2; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 11 Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 8 EuGVÜ Rz. 3. Rauscher, IPR Rz. 2011; krit. hierzu: Geimer/Schütze, EuZVR Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 10. Vgl. hierzu ausführlich MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 40. Zur Frage des „Übergangs“ eines Schutzgerichtsstands auf den Einzel- bzw. Miterben s. unter Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 20. Jenard-Bericht zu Art. 8 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 31. Hofmann, Privatversicherungsrecht (4. Aufl. 1998) § 5 Rz. 39; Hübsch in Honsell (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz (1999) § 74 VVG Rz. 1. Hofmann, Privatversicherungsrecht (4. Aufl. 1998) § 5 Rz. 46. Jenard-Bericht zu Art. 8 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 31. Siehe zur rechtsfähigen WEG Staudinger, ZfIR 2015, 361 ff. OLG Celle v. 27.2.2008 – 14 U 211/06, NJW 2009, 86 f. Mit Blick auf Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO: Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 979.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 11 Brüssel Ia-VO
fallen auch Versicherungen über Großrisiken den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO:34 Zweifelhaft erschien, ob auch der durch einen Verkehrsunfall Geschädigte als Begünstigter i.S.d. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO anzusehen ist, mit der Folge, dass er den Versicherer an seinem Wohnsitz verklagen kann.35 Der Anspruch des Hypotheken- als Realgläubiger gegen den Versicherer unterfällt zwar grundsätzlich 5a dem Regelungsbereich der Art. 10 ff.36, in Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO wird er hingegen als Schutzadressat nicht ausdrücklich genannt. Daher eröffnet ihm der supranationale Gesetzgeber keine Klagemöglichkeit am Gericht seines (Wohn)Sitzes. Eine Analogie dieser Vorschrift ist abzulehnen und bedürfte jedenfalls der Vorlage an den EuGH. Auch die Grundsätze zur Zession37 lassen sich nicht übertragen, da weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht eine Vergleichbarkeit besteht. Vertretbar erscheint indes eine Klage des Realgläubigers am Wohnsitz des Versicherungsnehmers, da sein Anspruch eng mit dem Versicherungsvertrag verknüpft und eine solche Prozessführung für den Versicherer i.S.d. ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO erwartbar ist. 3. Gerichtsstand des federführenden Versicherers Nach Abs. 1 lit. c ist ein Mitversicherer dort (international und örtlich) gerichtspflichtig, wo der federführende Versicherer verklagt wird. Die Regelung dient dem Ziel der Verfahrenskonzentration.38 Im Vergleich zu Art. 8 Nr. 1 ist Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO einerseits weiter gefasst, da er nicht auf den Wohnsitz des Versicherers abstellt.39 Andererseits erweist sich die Vorschrift im Vergleich zu Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO als enger, weil lediglich dem Gerichtsstand des federführenden Versicherers Konzentrationswirkung zukommt.40 Abs. 1 lit. c hat allein die Funktion, dem Kläger einen weiteren Gerichtsstand zu eröffnen. Es bleibt ihm daher unbenommen, jeden einzelnen Versicherer vor den nach Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO zuständigen Spruchkörpern zu verklagen.41
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In Deutschland kann eine Prozessstandsschaft des federführenden Versicherers unter den Voraussetzungen des § 216 VVG begründet werden. Ein Titel wirkt gem. § 216 S. 1 HS 2 VVG für und gegen alle an dem Versicherungsvertrag beteiligten Versicherer.42
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II. Versicherer ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat (Abs. 2) 1. Fiktiver Wohnsitz Ist der Versicherer nicht im Binnenmarkt ansässig, besitzt er aber in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb ein Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaates fingiert43.44 Abs. 2 eröffnet dem Kläger einen Gerichtsstand im Hoheitsgebiet der Zweigniederlassung45 etc. und stellt eine Ausnahme zu Art. 6 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45
Vgl. Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 15. Vgl. hierzu Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 5 f. Siehe auch Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 20. Beachte zur Geltendmachung eines zedierten Anspruchs Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 10 ff. Schlosser-Bericht Nr. 149, ABl. EG 1979 C 59/71, 116; Musielak/Voit/Stadler, Art. 11 Rz. 3; Wieczorek/Schütze/ Hausmann, (1994) Art. 8 EuGVÜ Rz. 4. Schlosser-Bericht Nr. 149, ABl. EG 1979 C 59/71, 116; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 8 EuGVÜ Rz. 4. Rauscher, IPR Rz. 2012. Schlosser-Bericht Nr. 149, ABl. EG 1979 C 59/71, 116; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 13; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 3; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 11 Rz. 3. Zu § 216 VVG s. BeckOK/VVG/Staudinger, § 216 Rz. 1 ff. Sofern der Versicherungsvertrag über eine in Deutschland unterhaltene Niederlassung geschlossen wurde, richtet sich die Klage gegen den Hauptbevollmächtigten nach § 110b Abs. 2 S. 1 VAG bzw. § 64 Abs. 2 S. 1 VAG in der Fassung ab dem 1.1.2016. Zur rechtstechnischen Einordnung des Art. 9 Abs. 2 Brüssel I-VO als gesetzliche Fiktion vgl. Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 (1983) § 74 IV 2 Fn. 193. Jenard-Bericht zu Art. 7 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 31. Vgl. Jenard-Bericht zu Art. 7 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 31: Erforderlich ist, dass die ausländische Gesellschaft durch eine Person vertreten wird, welche die Fähigkeit hat, jene Dritten gegenüber zu verpflichten.
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Art. 11 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen den Versicherer Abs. 1 Brüssel Ia-VO dar.46 Gegnerische Partei bleibt wie bei Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO47 das Versicherungsunternehmen selbst. Die Niederlassung dient hingegen als Zustellungsbevollmächtigte.48 Unter den Voraussetzungen des Abs. 2 unterliegt der Versicherer nicht den (exorbitanten) Zuständigkeiten des autonomen Rechts.49 Vielmehr ist ihm gegenüber der gesamte dritte Abschnitt anwendbar.50 Dabei gilt es indes zu beachten, dass Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO gerade keinen Prozess an der betroffenen Zweigniederlassung über den Verweis in Art. 10 Brüssel Ia-VO nach Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO eröffnet.51 Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO fingiert nicht zuletzt den Hauptwohnsitz eines Drittstaatenversicherers am Ort seiner mitgliedstaatlichen Niederlassung. Auf Grundlage des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO könnte insofern lediglich in einem anderen Mitgliedsstaat eine weitere Niederlassung verklagt werden. Dort ließe sich indes die Betriebsbezogenheit des Anlassstreites schwer begründen, da der Kläger im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO bereits einen Bezug zur erstgenannten Niederlassung darlegen muss. Zur Veranschaulichung folgendes Beispiel: Der in Köln ansässige Geschädigte eines Verkehrsunfalles möchte gegen den serbischen Haftpflichtversicherer des Schädigers prozessieren. Die Assekuranz betreibt sowohl in Zagreb (Kroatien) als auch in Amsterdam (Niederlande) Zweigniederlassungen. Um ein Verfahren über Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu führen, macht der Betroffene seine Ansprüche gegenüber dem niederländischen Standort geltend, welcher die Regulierung ablehnt. Die so begründete Streitigkeit aus dessen Betrieb hat die Anwendbarkeit der Art. 10–16 Brüssel Ia-VO zur Folge. Ein Prozess in den Niederlanden ließe sich allein auf Art. 11 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO in Kombination mit der dortigen lex fori begründen. Darüber hinaus wäre eine auf Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO gestützte Klage lediglich in einem anderen Mitgliedstaat (hier: in Kroatien) möglich. Als nahezu unüberwindbares Problem stellte sich dann jedenfalls die dem Wortlaut nach erneut (wie schon im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO) erforderliche Betriebsbezogenheit zu den jeweiligen Niederlassung in Zagreb dar. Ob darüber hinaus das Fortbestehen der Zweigniederlassung bei Einreichung der Klage eine zwingende Voraussetzung des versicherungsnehmerschützenden Zuständigkeitsrechts darstellt und die vorherige Auflösung somit den Anwendungsbereich der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO entfallen lässt,52 erscheint überaus zweifelhaft.53 8a
Besitzt der Versicherer auch keine mitgliedstaatliche Zweigniederlassung, verbleibt im Ergebnis allein der Rückgriff auf das nationale Prozessrecht. Strebt folglich ein deutscher Versicherungsnehmer einen Prozess etwa gegen eine in Liechtenstein54 ansässige Assekuranz an, so kann er sich im Lichte des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG auf seinen Wohnsitzgerichtsstand berufen.55 Die Vorschrift legt in dem Falle 46 Siehe zur Anwendbarkeit des gleichlautenden Art. 9 Abs. 2 Brüssel I-VO gegenüber der Zweigniederlassung einer liechtensteinischen Muttergesellschaft OLG Hamm, BeckRS 2014, 121630; beachte ferner nachgehend BGH v. 8.3.2017 – IV ZR 435/15, VersR 2017, 779 ff.; hierzu Piontek, r+s 2018, 113 ff. 47 Hierzu Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 153 f.; zur Vorschrift unlängst EuGH v. 11.4.2019 – C-464/18 – ZX vs. Ryanair DAC, NJW-RR 2019, 684 ff. m. Anm. Mankowski, EWiR 2019, 447 f. 48 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 18; Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 100. 49 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 11; Kropholler/von Hein, Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 5; Schlosser/ Hess/Schlosser, Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 8 EuGVÜ Rz. 5. 50 LG Stuttgart, IPRax 1998, 100, 102; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 18; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 18; Kropholler/von Hein, Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 5; Looschelders, IPRax 1998, 86, 90; Musielak/ Voit/Stadler, Rz. 4; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 8 EuGVÜ Rz. 5; vgl. zum Problem der wortlautgetreuen Anwendung des Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO: Looschelders, IPRax 1998, 86, 90. 51 Insofern zutreffend Geimer/Schütze/Paulus, Art. 7 Rz. 234; der Autor deutet indes die in Bezug genommene Auffassung von Leible fehl, welcher Paulus zufolge die Anwendbarkeit des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO gegenüber Drittstaatenunternehmen befürworte. 52 So im Rahmen von Art. 15 Abs. 2 Brüssel I-VO: BGH, IPRax 2008, 128 ff. m. krit. Anm. Staudinger, 107 ff.; BayObLG v. 20.7.2005 – 1Z AR 118/05, NJW-RR 2006, 210, 211; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 17 Rz. 16; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 17 Rz. 17. 53 Zum Verbrauchergerichtsstand: Staudinger, IPRax 2008, 107 ff.; ebenso Musielak/Voit/Stadler, Art. 17 Rz. 9; im Allgemeinen kritisch zu Art. 15 Abs. 2 Brüssel Ia-VO Rauscher, WuB VII B. Art. 15 Brüssel I-VO 2.07; ebenso im Rahmen von Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO: OLG Frankfurt, EuZW 2009, 309, 311 f. 54 Liechtenstein nimmt auch nicht am LugÜbk 2007 teil. 55 Siehe in dem Zusammenhang nur BGH v. 8.11.2017 – IV ZR 551/15, VersR 2018, 182 ff. sowie BGH v. 8.3.2017 – IV ZR 435/15, VersR 2017, 779 ff.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 12 Brüssel Ia-VO
die internationale sowie örtliche Zuständigkeit fest. Damit mag § 215 VVG prima facie den Eindruck erwecken, der Rückfall auf mitgliedstaatliches Prozessrecht hinterließe im Vergleich zu den Gerichtsständen der Brüssel Ia-VO jedenfalls keine Schutzlücken. Allerdings gilt mit Blick auf den Adressatenkreis der Norm, dass insbesondere Geschädigte nicht darunter fallen. Dies hatte auch der IV. Arbeitskreis des Verkehrsgerichtstages 2018 in Goslar vor Augen, sprach sich jedoch im Rahmen seiner Empfehlung an den Gesetzgeber lediglich für eine Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereiches hinsichtlich versicherter Personen und Begünstigter aus.56 Der Schutzgerichtsstand solle indes auch künftig nicht für Geschädigte gelten, da hierfür kein Bedarf bestehe. Der Ansatz mag jedenfalls für reine Inlandsfälle überzeugen, da für den Geschädigten über die §§ 12, 17 ZPO und insbesondere § 32 ZPO sowie über § 20 StVG genügend Wege eröffnet sind, ein Verfahren sowohl gegen den Fahrer und Halter als auch den gegnerischen Haftpflichtversicherer anzustrengen. Bei grenzüberschreitenden Konstellationen mit Bezügen zu Drittstaaten vermag der Betroffenen im Zweifel jedoch auch anhand der genannten Vorschriften keinen Gerichtsstand in seinem Heimatstaat zu begründen. Vor dem Hintergrund erschiene es zumindest in solchen Ausnahmefällen interessengerecht, § 215 Abs. 1 S. 1 VVG analog für Geschädigte gelten zu lassen, welche gegen einen drittstaatlichen Versicherer vorgehen, um den über Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO gewohnten Schutz auch bei Drittstaatensachverhalten sicherzustellen.57 2. Örtliche Zuständigkeit Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO normiert gleichermaßen die örtliche Zuständigkeit;58 Art. 11 Abs. 2 Brüs- 9 sel Ia-VO stellt jedoch lediglich eine Fiktion auf, ohne den Regelungsgehalt der Art. 10 ff. Brüssel IaVO zu verändern. Gelangt demnach etwa Art. 11 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO über die Fiktion des Abs. 2 zur Anwendung, ist die örtliche Zuständigkeit unter Rückgriff auf das nationale Recht des angerufenen Gerichts zu ermitteln.59 Besteht in der betreffenden lex fori eine Regelungslücke, verbleibt dem Kläger ausnahmsweise der Ausweg, die internationale und örtliche Zuständigkeit auf Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 10, 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO zu stützen.
Artikel 12 [Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses] Bei der Haftpflichtversicherung oder bei der Versicherung von unbeweglichen Sachen kann der Versicherer außerdem vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, verklagt werden. Das Gleiche gilt, wenn sowohl bewegliche als auch unbewegliche Sachen in ein und demselben Versicherungsvertrag versichert und von demselben Schadensfall betroffen sind. Ziel des Art. 12 Brüssel Ia-VO ist die Verfahrenskonzentration und einheitliche Tatsachenfeststellung,1 indem etwa der Geschädigte im Deliktsforum den Schädiger verklagt und dieser als Versicherungsnehmer vor demselben Spruchkörper den Deckungsprozess führt. Nach S. 1 kann der Versicherer bei einer Haftpflichtversicherung oder Versicherung von Immobilien2 vor dem Gericht desjenigen Ortes verklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Die Zuständigkeit ist ebenfalls gegeben, wenn sowohl bewegliche als auch unbewegliche Sachen in demselben Vertrag versichert und von demselben Schadensfall betroffen sind. Dies gilt nach S. 2 etwa bei einer Feuerversicherung,
56 Empfehlungen des IV. Arbeitskreises des 56. Verkehrsgerichtstages 2018 in Goslar; hierzu Piontek, Tagungsband zum 56. Verkehrsgerichtstag, 155 ff. 57 Vgl. MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 39. 58 Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 7 Rz. 1. 59 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 20 ff. 1 Fricke, VersR 1997, 399, 402. 2 Die Begriffe sind autonom zu interpretieren.
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Art. 12 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses die sich über Haus- und Grundbesitz hinaus auf bewegliche Sachen erstreckt,3 mag auch über die Fahrnis ein Zusatzvertrag geschlossen worden sein.4 2
Art. 12 Brüssel Ia-VO setzt nicht voraus, dass der Versicherungsnehmer im Mitgliedstaat beheimatet ist.5 Der Schadensort muss demgegenüber zwingend in einem Mitgliedstaat liegen.6 Fraglich ist, ob Art. 12 Brüssel Ia-VO tatbestandlich ausscheidet, wenn das schädigende Ereignis im Sitzstaat des Versicherers eingetreten ist. Teilweise wird dies aufgrund des wohl eindeutigen Wortlauts der Vorschrift abgelehnt.7 Einen qualifizierten Auslandsbezug der Formulierung „außerdem“ zu entnehmen, würde den Wortlaut des Art. 12 Brüssel Ia-VO demnach überspannen.8 Der Sekundärrechtsgeber nimmt jedoch mit der Formulierung auf Art. 11 Brüssel Ia-VO Bezug. Die Norm soll mithin einen zusätzlichen Gerichtsstand schaffen.9 Daran fehlt es aber, wenn das schädigende Ereignis im Wohnsitzstaat des Beklagten oder Klägers eintritt, da in beiden Fällen bereits durch Art. 11 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ein Gerichtsstand eröffnet ist. Der einzige Gewinn bestünde aus Sicht des Klägers darin, dass Art. 12 Brüssel Ia-VO zugleich die örtliche Zuständigkeit festlegt. Art. 12 Brüssel Ia-VO erschöpft sich aber von seinem Regelungsgehalt genauso wenig wie Art. 7 und 8 Brüssel Ia-VO allein darin, die örtliche Zuständigkeit abweichend vom nationalen Recht zu bestimmen.10 Art. 12 Brüssel Ia-VO gelangt daher nur zur Anwendung, wenn das schädigende Ereignis weder im Sitzstaat des Versicherers noch des Klägers liegt.11
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Das Anknüpfungskriterium „Ort des schädigenden Ereignisses“ ist in Übereinstimmung mit den zu Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO bestehenden Grundsätzen auszulegen.12 Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass Art. 12 Brüssel Ia-VO vertragliche Ansprüche gegen den Versicherer betrifft. Der Kläger kann somit wahlweise am Handlungs- oder Erfolgsort Klage erheben.13 Maßgeblich ist der Ort, an dem der Erstschaden eingetreten ist. Hinsichtlich des Erfolgsortes bleibt insbesondere die im Zusammenhang mit Art. 4 Rom II-VO ergangene Judikatur zu berücksichtigen. In der Rs. Lazar14 legte der EuGH zu3 Jenard-Bericht zu Art. 9 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 32; Kropholler/von Hein, Art. 10 Brüssel I-VO Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994), Art. 9 EuGVÜ Rz. 2. 4 Jenard-Bericht zu Art. 9 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 32; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1. 5 So jedenfalls Musielak/Voit/Stadler, Rz. 1; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 1; s. für die hier vertretene Position: Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 9; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1; Schlosser-Bericht Nr. 139, ABl. EG 1979 C 59/71, 114. 6 Dies folgt aus der Formulierung „außerdem“ und der Bezugnahme auf Art. 11 Brüssel Ia-VO, der Parallele zu Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO sowie primärrechtlich aus der fehlenden Kompetenz; vgl. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 8. 7 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 10. 8 So Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 10. 9 Fricke, VersR 1997, 399, 402; Kropholler/von Hein, Art. 10 Brüssel I-VO Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994), Art. 9 EuGVÜ Rz. 1. 10 Vgl. Kropholler/von Hein, vor Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 4; a.A. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 10, der davon ausgeht, dass Art. 10 Brüssel Ia-VO dem Kläger lediglich eine weitere örtliche Zuständigkeit gewähren soll. 11 So auch Fricke, VersR 1997, 399, 402 Fn. 33; Kropholler/von Hein, vor Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 4 und Art. 10 Brüssel I-VO Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994), Art. 9 EuGVÜ Rz. 1. Das Erfordernis, dass der Ort des schädigenden Ereignisses in einem anderen als dem Wohnsitzstaat des Geschädigten liegen muss, führt zu einer Inkongruenz mit Blick auf Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, welcher lediglich den Domizilstaat des Beklagten qua Eingangsformulierung ausnimmt. Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck sprechen indes gegen einen Gleichlauf von Art. 12 und Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO. Der Geschädigte hat schließlich auf Grundlage des Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO bereits die Möglichkeit am forum actoris in seinem Wohnsitzstaat zu prozessieren. 12 Eingehend Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 117 ff. Auch wenn der frühere ErwGr. 12 Brüssel I-VO im Gewand des ErwGr. 16 Brüssel Ia-VO erweitert wurde, ist weiterhin von einem Gleichlauf des Begriffes „Ort des schädigenden Ereignisses“ auszugehen. 13 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 10 Brüssel I-VO Rz. 2; Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 81 f.; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1; MünchKommStVR/Staudinger, Band 3, IZVR/IPR Rz. 18. Demgegenüber stellt die Regelanknüpfung in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO auf den Erfolgsort ab; zu diesem Rechtsakt beachte die Angaben in Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 4 Fn. 16. 14 EuGH v. 10.12.2015 – C-350/14, ECLI:EU:C:2015:802 – Lazar vs. Allianz SpA, NJW 2016, 466 ff. m. Anm. Staudinger, 468; hierzu auch Czaplinski, jurisPR-IWR 1/2016 Anm. 4; Friesen, r+s 2016, 196 ff.; Kadner Graziano, RIW 2016, 227 ff.; Mankowski, JZ 2016, 310 ff.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
letzt mit Blick auf Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO fest, dass zur Ermittlung des auf die Ansprüche Angehöriger eines Geschädigten anzuwenden Rechts, allein auf den Ort der Erstschädigung des unmittelbar Betroffenen abzustellen ist. Materielle sowie immaterielle Einbußen auf Seiten der Angehörigen seien somit als mittelbare Schäden zu qualifizieren, welche bei der Bestimmung des Deliktsstatuts nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO keine Relevanz beanspruchen. Der Aussagegehalt des Richterspruches lässt sich im Lichte des ErwGr. 7 Rom II-VO auf die Gerichtsstandsregelung der Art. 7 Nr. 2 sowie 12 Brüssel Ia-VO übertragen.15 Folglich können Angehörige (als mittelbar oder unmittelbar Geschädigte) am Ort der Erstschädigung gegen den Täter bzw. seinen Haftpflichtversicherer prozessieren. Der Rs. Tacconi16 lässt sich ein Indiz dafür entnehmen, dass der Gerichtshof wohl selbst bei einem reinen Vermögensschaden als Erstschaden an der Alternativität von Handlungs- und Erfolgsort festhalten will.17 Bei der Haftpflichtversicherung kann deshalb der Erfolgsort im Lichte von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ebenso der Ort der Vermögenszentrale sein, an dem ausschließlich die Konten geführt werden.18 Die durch Art. 12 Brüssel Ia-VO eröffnete Zuständigkeit können die Parteien unter den Voraussetzungen des Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO abbedingen.
Artikel 13 [Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen] (1) Bei der Haftpflichtversicherung kann der Versicherer auch vor das Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist, geladen werden, sofern dies nach dem Recht des angerufenen Gerichts zulässig ist. (2) Auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, sind die Artikel 10, 11 und 12 anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist. (3) Sieht das für die unmittelbare Klage maßgebliche Recht die Streitverkündung gegen den Versicherungsnehmer oder den Versicherten vor, so ist dasselbe Gericht auch für diese Personen zuständig.
15 Vgl. ausführlich MünchKommStVR/Staudinger, Band 3, IZVR/IPR Rz. 18. 16 EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 – Tacconi vs. Wagner, EuGHE 2002 I 7357 ff.; s. hierzu Gebauer, JbItalR 15–16 (2002/2003) 155 ff.; Mankowski, IPRax 2003, 127 ff.; auch in der Rs. Hi Hotel (C387/12 EuZW 2014, 431 ff. m. Anm. Müller, 434 f.) hält der EuGH bei Urhebervermögensrechten an dieser Alternativität fest. 17 Beachte die jüngere Rechtsprechung des EuGH v. 12.9.2018 – C-304/17, IPRax 2019, 312 – Löber vs. Barclays Bank, EuZW 2018, 998 ff. m. Anm. Sujecki, 1000 f., in welchen der Gerichtshof mit Blick auf die Verfahren Kolassa und Universal Music Stellung bezieht. Beachte somit EuGH v. 16.6.2016 – C-12/15 – Universal Music, NJW 2016, 2167 ff. m. Anm. Müller, 2169 f.; Mankowski, EuZW 2016, 585 f. sowie kritisch Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2017, 1, 15 f. Demnach liege der Erfolgsort eines reinen Vermögensschadens i.S.d. Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO nicht am Ort des Schadenseintritts, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat. Damit wendet sich der Gerichtshof von seiner Kolassa-Doktrin ab, wonach der Erfolgsort bei Vermögensschäden an der Vermögenszentrale des Geschädigten (z.B. am Wohnsitz) zu verorten sei, wenn auf seinem dortigen Bankkonto ein unmittelbarer Schaden entstanden ist. EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolassa, IPRax 2016, 143 ff. m. Anm. Staudinger/Bauer, IPRax 2016, 107 ff.; dazu Steinrötter, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 2; Steinrötter, RIW 2015, 407 ff.; ferner Freitag, WM 2015, 1165 ff.; s. in dem Zusammenhang auch EuGH v. 10.6.2004 – C-168/02, ECLI:EU:C:2004:364 – Kronhofer vs. Maier u.a., IPRax 2005, 32 f. m. Anm. von Hein, IPRax 2005, 17 ff. 18 Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus EuGH v. 10.6.2004 – C-168/02, ECLI:EU:C:2004:364 – Kronhofer vs. Maier u.a., EuGHE 2004 I 6009 ff. = IPRax 2005, 32 f. m. Anm. von Hein 17 ff.; zu diesem Problemkreis auch Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Art. 5 Rz. 52; Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 125. Beachte im weiteren Zusammenhang auch EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolassa, IPRax 2016, 143 ff. m. Anm. Staudinger/Bauer, IPRax 2016, 107 ff.; dazu Steinrötter, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 2; Steinrötter, RIW 2015, 407 ff.
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen I. Interventionsklage im Fall der Haftpflichtversicherung (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . .
1
II. Direktklage (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Aussagegehalt des Art. 13 Abs. 2 Brüssel IaVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2. Personenkreis der Geschädigten . . . . . . . 8 a) Unmittelbar Geschädigte . . . . . . . . . . 8 b) Angehörige als unmittelbare und mittelbare Geschädigte . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Geltendmachung von zedierten Ansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 a) Maßgeblichkeit des Abschnitts 3 für sämtliche Zessionare . . . . . . . . . . . . . 11 b) Mögliche Gerichtsstände für Zessionare . . 16
4. 5. 6. 7. III.
c) Schutzbedürftigkeitsprüfung bei Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . aa) Sozialversicherungsträger . . . . . . . bb) Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gewerblich tätige Zessionare . . . . . dd) Offene Fallgruppen . . . . . . . . . . . Übertragbarkeit auf andere Rechtsquellen . Berühmen eines Anspruchs . . . . . . . . . . Zustellung an den inländischen Schadensregulierungsbeauftragten . . . . . . . . . . . . Vollstreckungsmöglichkeiten . . . . . . . . . Streitverkündung (Abs. 3) . . . . . . . . . . .
17 18 19 20 21 24 28 33 35 38
I. Interventionsklage im Fall der Haftpflichtversicherung (Abs. 1) 1
Abs. 1 sieht für den Bereich der Haftpflichtversicherung1 einen Gerichtsstand der Interventionsklage2 vor und legt neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit fest. Die Vorschrift dient der Prozessökonomie und soll der Gefahr widersprechender Entscheidungen begegnen.3
2
Nach Abs. 1 besteht die Möglichkeit, den Versicherer vor denjenigen Spruchkörper zu laden, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist.4 Die Option in Abs. 1 steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Interventionsklage nach dem Recht des angerufenen Gerichts zulässig ist. Gemäß Art. 65 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO kann die in Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO und Art. 13 Brüssel Ia-VO für eine Gewährleistungs-5 oder Interventionsklage vorgesehene Zuständigkeit in den Mitgliedstaaten, die in der von der Kommission nach Art. 76 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO und Abs. 2 festgelegten Liste aufgeführt sind, nur geltend gemacht werden, soweit das einzelstaatliche Recht dies zulässt.
3
Wird die Klage vor den Gerichten eines Mitgliedstaates erhoben, dessen Recht die Interventionsklage kennt, ist auch ein deutscher Versicherer dem Abs. 1 unterworfen. Dies gilt selbst dann, wenn Versicherter und Versicherer ihren Wohnsitz im gleichen Mitgliedstaat haben, der Hauptprozess aber in einem anderen Mitgliedstaat anhängig ist.6 Der Versicherer kann dieser Gefahr im Vorfeld durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO begegnen.7 Entscheidungen, die in anderen Mitgliedstaaten auf Abs. 1 und Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO basieren, nehmen auch in allen anderen Mitgliedstaaten nach Art. 65 Abs. 2 Brüssel Ia-VO an der Titelfreizügigkeit teil.8
1 Dieser Begriff ist autonom zu interpretieren. 2 Siehe hierzu Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 25 ff. 3 Die Frage, ob die Zuständigkeit für die Hauptklage auf der Brüssel I-VO, bzw. nunmehr der Brüssel Ia-VO, beruhen muss, ist umstritten: ablehnend Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 1 f.; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 10 EuGVÜ Rz. 1; a.A. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 1; Kropholler/von Hein, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 30; s. auch Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 18. 4 Es genügt nach Wortlaut und ratio nicht, wenn die Klage nachträglich „anhängig“ gemacht wird; so aber Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1. 5 Der EuGH hat entschieden, dass Art. 6 Nr. 2 Brüssel I-VO (entspricht Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO)eine Gewährleistungsklage umfasst, welche auf einer Mehrfachversicherung beruht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zwischen jener und dem Hauptprozess ein Zusammenhang besteht, aus dem sich ergibt, dass ein Gerichtsstandsmissbrauch nicht vorliegt; vgl. EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 – Groupement d’intérêt économique (GIE) Réunion européenne u.a. vs. Zurich España, Société pyrénéenne de transit d’automobiles (Soptrans), EuGHE 2005 I 4509 ff. = IPRax 2005, 535 ff. m. Anm. Rüfner, 500 ff. = VersR 2005, 1001 ff. m. Anm. Heiss, 1003. 6 Jenard-Bericht zu Art. 10 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 32; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 5; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 10 EuGVÜ Rz. 2; Geimer, FS Heldrich (2005) 627, 636. 7 Siehe zu dieser Kompromisslösung: Jenard-Bericht zu Art. 10 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 32 sowie Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 6 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
Die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten muss vor einem zuständigen Gericht anhängig sein.9 Dieses einschränkende Kriterium ist zwar nicht im Wortlaut der Vorschrift angelegt. Andernfalls wäre der Versicherer jedoch innerhalb des Binnenmarkts unbegrenzt gerichtspflichtig. Dies stünde im Widerspruch zu seinen legitimen Zuständigkeitsinteressen.10 Der Versicherer kann und muss die fehlende Zuständigkeit des Gerichts rügen.11 Seine Gerichtspflichtigkeit besteht aber auch dann, wenn die Zuständigkeit des Spruchkörpers durch ausdrückliche (Art. 25 Brüssel Ia-VO) oder stillschweigende (Art. 26 Brüssel Ia-VO) Prorogation begründet wurde.12 In begrenztem Umfang bietet Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO ein Korrektiv. Das Gericht trifft jedoch keine Belehrungspflicht des Versicherers nach Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung hat der Versicherer nicht mehr die Möglichkeit, die internationale Unzuständigkeit geltend zu machen. Nach dem klaren Wortlaut des Art. 45 Abs. 1 lit. e Zif i Brüssel Ia-VO liegt ein Anerkennungsversagensgrund nur vor, wenn sich die schwächere Partei in der Beklagtenrolle befindet.13 Darüber hinaus ist aufgrund des Anwendungsvorranges nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV14 ein Rückgriff auf das nationale Prozessrecht nicht mehr möglich. Ebenso wenig bietet die in der RL über missbräuchliche Klauseln15 verankerte Hinweispflicht kraft richtlinienkonformer Auslegung des nationalen Prozessrechts dem Versicherer mangels Verbrauchereigenschaft etwaigen Schutz.16
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II. Direktklage (Abs. 2) Sofern der Geschädigte eine Direktklage („action directe“) gegen den Versicherer erheben kann, gelangen die Art. 10, 11 und 12 Brüssel Ia-VO zur Anwendung.17 Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die im Einklang mit Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer getroffen wird, entfaltet – sofern der Geschädigte ihr nicht zugestimmt hat – keine Wirkung zu seinen Lasten,18 vielmehr stehen ihm folgende Gerichtsstände zur Auswahl: Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 10 Brüssel Ia-VO, Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO; Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1
8 Vgl. Art. 65 Rz. 1; Kropholler/von Hein, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 2; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1; zum EuGVÜ: Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 6; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994), Art. 10 EuGVÜ Rz. 2. 9 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 9; Kropholler/von Hein, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 3; Geimer, FS Heldrich (2005) 627, 637; a.A. Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 10 EuGVÜ Rz. 1. 10 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 9; Kropholler/von Hein, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 3. 11 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 11. 12 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 11; Kropholler/von Hein, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 3; a.A. Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 11 ff.; Geimer, FS Heldrich (2005) 627, 637 f.; zur rügelosen Einlassung s. EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290, IPRax 2011, 580 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468 ff. = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf, 1101 f.; BGH, RIW 2005, 776 ff.; OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 935 f.; zu Art. 18 LugÜbk 1988 BGH v. 27.6.2007 – X ZR 15/05, NJW 2007, 3501 ff. 13 Hinsichtlich des anders lautenden Art. 35 Abs. 1 Brüssel I-VO war noch umstritten, ob dieser einer teleologischen Reduktion bedurfte, wenn sich der Versicherer auf diesen Anerkennungsversagungsgrund stützte; eine Korrektur der Norm befürwortend: OLG Düsseldorf v. 14.2.2006 – 3 W 188/05, NJW-RR 2006, 1079 ff.; vgl. auch Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2009), Art. 35 Brüssel I-VO Rz. 6; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 6 ff. 14 Mit Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages am 1.12.2009 ist Art. 249 EGV durch Art. 288 AEUV ersetzt worden. 15 RL 93/13/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4.1993, ABl. EG 1993 L 95/29 ff.; zuletzt geändert durch Art. 32 ÄndRL 2011/83/EU vom 25.10.2011, ABl. EU 2011 L 304/64 ff. 16 Siehe ausführlich zur Hinweispflicht der RL über missbräuchliche Klauseln Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 32 f. 17 Beachte zur grenzüberschreitenden Verkehrsunfallregulierung in der EU im Überblick: Buse, DAR 2020, Heft 1. 18 Hk-ZPO/Dörner, Art. 15 Rz. 4; EuGH v. 13.7.2017 – C-368/16 – Assens Havn vs. Navigators Management, IPRax 2018, 259 ff. m. Anm. Mankowski, 233 ff.; s. noch zur Brüssel I-VO Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 26; Hub 201 ff.; Koch, VersR 2009, 141, 149; Kropholler/von Hein, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 6; Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 6; Schlosser-Bericht Nr. 148, ABl. EG 1979 C 59/71, 116; Schlosser-Bericht Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 10 EuGVÜ Rz. 6.
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen lit. a Brüssel Ia-VO; Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO (jedenfalls am Wohnsitz des Versicherungsnehmers, Versicherten oder Begünstigten); Art. 13 Abs. 2 Brüssel IaVO i.V.m. Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO sowie Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 12 Brüssel IaVO.19 Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO betrifft indes nicht den Aktivprozess des Versicherers gegen den Geschädigten. Aufgrund dessen sollte eine analoge Anwendung des Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bejaht werden.20 Lehnt man eine derartige Rechtsfortbildung ab, verbleibt es bei Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sowie Art. 7 Brüssel Ia-VO. 1. Aussagegehalt des Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO 6
Im Ausgangspunkt erscheint zunächst fraglich, ob Geschädigte auf Grundlage der Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO an ihrem Wohnsitzgericht gegen den gegnerischen Versicherer prozessieren können. Maßgeblich ist insoweit nicht der Zeitpunkt der Schädigung, sondern derjenige der Klageerhebung.21 Hierfür spricht neben der Sach- und Beweisnähe dieser Spruchkörper22 auch die andernfalls drohende Schutzzweckverfehlung zu Lasten des Geschädigten. Im Falle eines Wohnsitzwechsels des Geschädigten während des Prozesses greift hingegen der Grundsatz der perpetuatio fori Platz.23 Im Rahmen des EuGVÜ lehnte die herrschende Meinung eine Privilegierung des Geschädigten nach Art. 10 Abs. 2 EuGVÜ, Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 EuGVÜ nahezu unisono ab.24 Die Vergemeinschaftung des EuGVÜ ging indes mit einem tatbestandlichen Ausbau der betreffenden Vorschriften einher, so dass sich der Streitstand nicht unbesehen übertragen lässt. Zum einen schließt Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO nunmehr auch den Versicherten und Begünstigten ein. Ob allerdings der Geschädigte eines Verkehrsunfalls stets als Begünstigter einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung anzusehen ist, erscheint methodisch kaum überzeugend.25 Der Sekundärrechtsgeber erklärt jedenfalls in Abs. 2 die Art. 10 Brüssel Ia-VO, Art. 11 Brüssel Ia-VO und Art. 12 Brüssel Ia-VO für entsprechend anwendbar. Demzufolge wird der Geschädigte hinsichtlich der Gerichtsstände den in diesen Vorschriften genannten Verfahrensbeteiligten gleichgestellt. Der Wortlaut verbietet es damit nicht, dem Geschädigten einen Klägergerichtsstand zu eröffnen.26 Vielmehr lässt sich für eine solche Privilegierung der vom europäischen Gesetzgeber mit den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO verfolgte Schutzzweck ins Feld führen.27 In 19 Letzteres gilt allerdings nur dann, wenn der Unfall weder im Sitzstaat des Versicherers noch des Klägers stattgefunden hat. Die Vorschrift soll nämlich einen zusätzlichen Gerichtsstand schaffen und findet daher keine Anwendung, wenn die internationale Zuständigkeit ohnehin im Sitzstaat begründet ist, vgl. Art. 12 Brüssel IaVO Rz. 2. 20 Siehe dazu Art. 14 Brüssel Ia-VO Rz. 1. 21 Ebenso Lüttringhaus, VersR 2010, 183, 190 und Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 4; offen lassend Riedmeyer, FS Müller (2009) 473, 484 f. Siehe ebenso die Angaben bei Art. 11 Brüssel Ia-VO Rz. 4 sowie Art. 18 Brüssel IaVO Rz. 5. 22 Beachte insoweit ErwGr. 33 Rom II-VO, wonach im Rahmen der Schadensberechnung alle Umstände des Opfers zu berücksichtigen sind. 23 Hierzu allgemein Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 10. 24 LG Saarbrücken, VersR 1977, 1164; Looschelders, NZV 1999, 57, 58; MünchKomm/ZPO2/Gottwald, Art. 10 EuGVÜ Rz. 2; Schewior, VersR 1998, 671, 673; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 10 EuGVÜ Rz. 4. Diese Ansicht stützte sich vor allem auf den Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 EuGVÜ, der lediglich den Wohnsitz des „Versicherungsnehmers“ nannte und nicht denjenigen des Verletzten. Ferner wurde der Bericht von Jenard (Jenard-Bericht zu Art. 10 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 32) herangezogen, in dem es heißt, dass es keine Bestimmung gebe, die den Gerichtsstand am Wohnsitz des Verletzten/Geschädigten vorsehe. 25 So aber Pire, Einige Überlegungen im Zusammenhang mit der Inkraftsetzung der Bestimmungen der vierten RL, Vortrag anlässlich des 3. Europäischen Verkehrsrechtstages in Trier am 7./8.11.2002; Nugel, ZfS 2008, 309, 311; Thiede/Ludwichowska, VersR 2008, 631, 632; dagegen: Backu, DAR 2003, 145, 153; Kropholler/von Hein, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 4; Lemor, NJW 2002, 3666, 3668; Lemor, DAR 2001, 540, 541; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 13 Rz. 2; unklar dazu Rauscher, IPR Rz. 2018; zum Überblick über das nationale Verkehrsrecht s. MünchKomm zum Internationalen Straßenverkehrsrecht/Backu/Buse/Kröger/Staudinger; Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht2 (2017). 26 So schon zum EuGVÜ: Fricke, VersR 1997, 399, 402 f.; Looschelders, NZV 1999, 57, 58. 27 Fricke, VersR 1997, 399, 403; beachte zur ratio legis der Art. 8 ff. Brüssel I-VO auch Schlosser-Bericht Nr. 151, ABl. EG 1979 C 59/71, 117 und EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi vs. Univer-
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Kap. II: Zuständigkeit
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der Gesamtschau ist daher davon auszugehen, dass Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO dem Geschädigten eine Prozessführung an seinem Heimatforum ermöglicht.28 Dies gilt unabhängig davon, ob der Unfallort in einem Mitglied- oder Drittstaat liegt. Eine Klarstellung im Sinne eines deklaratorischen Hinweises erfolgte erstmals aus der fünften Kraftfahrzeughaftpflicht-RL.29 Nach Art. 5 fünfte Kraftfahrzeughaftpflicht-RL wurde in die RL 2000/26/EG30 ein ErwGr. 16 lit. a fünfte Kraftfahrzeughaftpflicht-RL eingefügt, welcher besagt, dass nach Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO der Geschädigte den Versicherer in seinem Wohnsitzmitgliedstaat verklagen kann. Im Wege einer übergreifenden systematischen Interpretation kann somit das bereits aus dem Wortlaut, der Genese sowie dem Schutzzweck der Brüssel I-VO bzw. Ia-VO abgeleitete Ergebnis zusätzlich untermauert werden.31 Die RLen 2000/26/EG und 2005/14/EG wurden mit dem Inkrafttreten der kodifizierten Fassung der sechsten Kraftfahrzeughaftpflicht-RL32 aufgehoben. Auch in der kodifizierten RL findet sich in ErwGr. 32 sechste KraftfahrzeughaftpflichtRL die Regelung bezüglich Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO. Jener ErwGr. ist ebenso auf Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO zu beziehen.33
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sal General Insurance, EuGHE 2000 I 5925, 5959 Rz. 66; EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 – Groupement d’intérêt économique (GIE) Réunion européenne u.a. vs. Zurich España, Société pyrénéenne de transit d’automobiles (Soptrans), EuGHE 2005 I 4509 ff. = IPRax 2005, 535 ff. m. Anm. Rüfner, 500 ff. = VersR 2005, 1001 ff. m. Anm. Heiss 1003. So auch OLG Köln, VersR 2005, 1721 m. zust. Anm. von Looschelders, 1722 f.; OLG Brandenburg v. 13.9.2006 – 12 W 35/06, NJW-RR 2007, 216; OLG Wien, DAR 2007, 215 f.; AG Bremen, IPRax 2008, 126; Backu/Naumann, VersR 2006, 760, 761; Lemor/Becker, DAR 2004, 677, 684; Meier-van Laak, DAR 2006, 235 ff.; Riedmeyer, DAR 2004, 203, 205; Wittwer, ZVR 2006, 404, 406; beachte zum EuGVÜ: Fricke, VersR 1997, 399, 403; a.A. LG Hamburg v. 28.4.2006 – 331 O 109/05, NJW-RR 2006, 1655 f.; Fuchs, IPRax 2001, 425, 426; Heiss, VersR 2007, 327 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 4; Magnus/Mankowski/Heiss Art. 11 Rz. 11 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2. RL 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 zur Änderung der RLen 72/166/EWG, 88/357/EWG und 90/232/EWG des Rates sowie der RL 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (Fünfte Kraftfahrzeughaftpflicht-RL), ABl. EU 2005 L 149/14 ff.; hierzu Haupfleisch/Hirtler, DAR 2006, 560 ff.; Riedmeyer, AnwBl. 2008, 17 ff. RL 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.5.2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und zur Änderung der RLen 73/239/EWG und 88/357/EWG des Rates (Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-RL), ABl. EG 2000 L 181/65 ff.; hierzu Backu, DAR 2003, 145 ff.; die Schweiz hat die Regeln dieses Gemeinschaftsrechtsaktes ins nationale Recht durch Änderung des Straßenverkehrsgesetzes am 4.10.2002 übernommen: http://www.admin.ch/ch/d/as/ 2003/222.pdf. Siehe auch Looschelders, Vers 2005, 1722, 1723; Looschelders, ZZPInt 12 (2007) 247, 250. Wer indes – entgegen der hier vertretenen Ansicht – in der Aufnahme dieses Erwägungsgrundes eine Abänderung der in der Brüssel I-VO/Ia-VO festgeschriebenen Rechtslage erblickt, bejaht damit im Ergebnis eine Korrektur von Artikeln einer Verordnung durch die Aufnahme eines Erwägungsgrundes in einer Richtlinie. Zweifelsohne besteht kein generelles Stufenverhältnis zwischen den verschiedenen Handlungsformen des Sekundärrechtsgebers und mag man auch den Erwägungsgründen nicht per se eine geringere Bedeutung als den Regelungen im Haupttext zuschreiben. Abgesehen von intrikaten intertemporalen Fragestellungen müsste sich der Gemeinschaftsgesetzgeber aber dennoch den Vorwurf einer nur wenig transparenten Rechtslage gefallen lassen und es erschiene eine Überführung des in dem ErwGr. enthaltenen Regelungsgehalts in die Brüssel I-VO/Ia-VO schon aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit vorzugswürdig. Zu beachten bleibt, dass nach Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO (Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO) in entsprechender Anwendung von Art. 8 Brüssel I-VO und Art. 4 Abs. 1 Brüssel I-VO (Art. 10 Brüssel Ia-VO und Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) die vorangegangenen Ausführungen gegenüber einem Versicherer mit Sitz in einem Drittstaat nicht gelten; für das Verhältnis zu Dänemark und zu Vertragsstaaten des LugÜbk s. Rz. 24 f. RL 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (kodifizierte Fassung), ABl. EU 2009 L 263/11 ff.; beachte den aktuellen Richtlinienvorschlag zur Änderung der derzeit sechsten Kraftfahrzeughaftpflicht-RL: KOM (2018) 336 endg. Nach Art. 80 Brüssel Ia-VO sind Bezugnahmen auf die Brüssel I-VO als Bezugnahmen auf die Brüssel Ia-VO zu werten und nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang III zu lesen.
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Dieser Auffassung hat sich ebenso der EuGH angeschlossen.34 Der Gerichtshof bestätigte aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des BGH,35 dass die Funktion der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO – dies bestätige der Wortlaut der RL 2000/26/EG – darin bestehe, der in Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO enthaltenen Liste von Klägern Personen hinzuzufügen, die einen Schaden erlitten haben.36 Demnach liefe es dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO unmittelbar zuwider, den Geschädigten keinen eigenen Klägergerichtsstand zuzusprechen.37 Zudem stünde es im Widerspruch zum Geist der Brüssel I-VO, anderen Klägern das Heimatforum zu eröffnen, ohne den ebenfalls als schwächere Partei einzustufenden Geschädigten gleich zu behandeln.38 Aufgrund der Textidentität und im Lichte von ErwGr. 34 S. 2 Brüssel Ia-VO ist diese Entscheidung auf Art. 13 Abs. 2 Brüssel IaVO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO zu übertragen. Somit lässt sich im Ergebnis festhalten, dass dem Geschädigten über Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eigene vom Versicherungsnehmer unabhängige Gerichtsstände zur Verfügung stehen, unter Einschluss des forum actoris.39 2. Personenkreis der Geschädigten a) Unmittelbar Geschädigte
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In den Adressatenkreis des Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO fallen jedenfalls unzweifelhaft die unmittelbar erstgeschädigten Opfer einer unerlaubten Handlung. Ersatzfähig sind dabei sämtliche Sachund Personenschäden (sowohl materielle als auch immaterielle), welche der Erstbetroffene erlitten hat. Indes ist fraglich, ob auch juristische Personen vom Regelungsbereich der Norm erfasst sind.40 In Übereinstimmung mit den hiesigen Gerichten41 differenziert jedoch der Unionsrechtsakt innerhalb der Art. 10–16 Brüssel Ia-VO (bzw. Art. 8–14 Brüssel I-VO) nicht zwischen natürlichen und juristischen Personen als Versicherungsnehmer, Versicherte oder Begünstigte,42 da die Rechtsform kein 34 EuGH v. 13.12.2007 – C-463/06, ECLI:EU:C:2007:792 – FBTO vs. Jack Odenbreit, EuGHE 2007 I 11321 ff. = EuZW 2008, 124 ff. m. zust. Anm. Sujecki, 126 f. = NJW 2008, 819 ff. m. zust. Anm. Leible, 821 = IPRax 2008, 123 ff. m. krit. Anm. Fuchs 104 ff. = ZZPInt 12 (2007) 242 ff. m. zust. Anm. Looschelders, 247 ff. = VersR 2008, 111 ff. m. abl. Anm. Thiede/Ludwichowska, 631 ff.; kritisch ebenfalls Czernich/Kodek/Mayr/Heiss, Art. 13 Rz. 6 f. und Wasserer, ELR 2008, 143 ff.; zustimmend dagegen Dietze/Schnichels, EuZW 2009, 33, 36. 35 BGH v. 26.9.2006 – VI ZR 200/05, NJW 2007, 71 ff. m. Anm. Staudinger, 73 = IPRax 2007, 324 f. m. Anm. Fuchs 302 ff. = DAR 2007, 19 f. m. Anm. Rothley 20 f.; hierzu Diehl, ZfS 2007, 143 f.; Heiss, VersR 2007, 327 ff.; Herrmann, VersR 2007, 1470 ff.; Rothley, DAR 2007, 20 f. 36 EuGH v. 13.12.2007 – C-463/06, ECLI:EU:C:2007:792 – FBTO vs. Jack Odenbreit, EuGHE 2007 I 11321 ff. = EuZW 2008, 124, 125. 37 EuGH v. 13.12.2007 – C-463/06, ECLI:EU:C:2007:792 – FBTO vs. Jack Odenbreit, EuGHE 2007 I 11321 ff. = EuZW 2008, 124, 125; kritisch insoweit Looschelders, ZZPInt 12 (2007) 247, 248. 38 EuGH v. 13.12.2007 – C-463/06, ECLI:EU:C:2007:792 – FBTO vs. Jack Odenbreit, EuGHE 2007 I 11321 ff. = EuZW 2008, 124, 125. 39 Vgl. auch Mankowski, IPRax 2018, 233, 236. 40 Beachte in dem Zusammenhang die Entscheidung des EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, VersR 2017, 1481 ff. m. Anm. Mankowski, 1484 ff.; ferner Staudinger/Papadopoulos, LMK 2017, 395362; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982. Demnach könne ein in einem ersten Mitgliedstaat ansässiger Dienstgeber, welcher das Entgelt seines infolge eines Verkehrsunfalls arbeitsunfähigen Dienstnehmers fortgezahlt hat und in die Rechte eingetreten ist, welche dem Dienstnehmer gegenüber der in einem zweiten EUStaat ansässigen gegnerischen Haftpflichtversicherung zustehen, in seiner Eigenschaft als Geschädigter die gegnerische Assekuranz gem. Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO verklagen; s. auch Staudinger, jurisPR-IWR 4/2017 Anm. 1; noch zur OGH-Vorlage Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2017, 1, 22. Nach dem EuGH finden die Vorschriften über Versicherungssachen auch nach einer Abtretung stets noch Anwendbarkeit (EuGH v. 17.9.2009 – C-347/08, ECLI:EU:C:2009:561, IPRax 2011, 255 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse vs. WVG-Schwäbische Allgemeine AG, EuZW 2009, 855 ff.), s. dazu Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 11. Wenn bereits Zessionare von der Norm erfasst werden, dann spricht dies dafür, dass erst recht juristische Personen in den Adressatenkreis fallen. 41 Czernich/Kodek/Mayr/Heiss Rz. 4; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 2; zur Brüssel I-VO: OLG Celle v. 27.2.2008 – 14 U 211/06, NJW 2009, 86, 87; dem folgend: OLG Zweibrücken, NZV 2010, 198, 199; OLG Köln, DAR 2010, 582 f.; Fricke, VersR 2009, 429, 434; Lüttringhaus, VersR 2010, 183, 187 f.; Tomson, VersR 2009, 62 ff.; Riedmeyer, FS Müller, 2009, 473, 483; Staudinger/Czaplinski, NJW 2009, 2249, 2251 f.; kritisch Laborde, DAR 2010, 610 ff. 42 OLG Celle v. 27.2.2008 – 14 U 211/06, NJW 2009, 86 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
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taugliches Kriterium für die Schutzwürdigkeit darstellt. Die Tatsache, dass lediglich die Zuständigkeitsvorschriften für Verbrauchersachen (Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO) juristische Personen nicht privilegieren, bekräftigt zum anderen die Annahme eines weiten Verständnisses des Geschädigtenbegriffs i.S.v. Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Dies belegen ebenso Vorschriften wie Art. 15 Nr. 5 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 16 Nr. 5 Brüssel Ia-VO, wonach auch Versicherungsverträge über Großrisiken den Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO unterfallen, welche in aller Regel zwischen juristischen Personen geschlossen werden.43 Ferner sprechen für eine Einbeziehung von juristischen Personen überdies die vom OLG Celle herangezogenen Art. 2 lit. d RL 2000/26/EG i.V.m. Art. 1 Nr. 2 RL 72/166/EWG, wonach jede – laut Art. 4 RL 72/166/EWG natürliche oder juristische – Person einen Geschädigten darstellt, die ein Recht auf Ersatz eines von einem Fahrzeug verursachten Schadens hat.44 Dies stellt jedoch nur ein flankierendes Argument dar, weil sich die Auslegung der Brüssel Ia-VO zunächst nach ihrem Wortlaut sowie der eigenen Systematik und Teleologie bestimmt. Abzulehnen ist im Übrigen eine konkrete Betrachtung der tatsächlichen Unterlegenheit des Klägers im Verhältnis zum beklagten Versicherer.45 Dieser Ansatz läuft dem Anliegen des Verordnungsgebers zuwider, ein vorhersehbares Zuständigkeitsregime zu schaffen,46 ist der Rechtssicherheit abträglich und zudem mit anderen Schutzgerichtsständen der Brüssel Ia-VO nicht vereinbar.47 Demzufolge können selbst am Geschäftsverkehr teilnehmende Leasinggeber48, Vermieter oder Sicherungseigentümer eines Unfallwagens, auch wenn sie juristische Personen sind, als unmittelbar Geschädigte am Heimatforum klagen.49 b) Angehörige als unmittelbare und mittelbare Geschädigte Neben dem unmittelbar Geschädigten Unfallopfer stellt sich ferner die Frage, ob ebenso Angehörige 9 als un- sowie mittelbar Geschädigte nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 10, 11, 12 Brüssel Ia-VO prozessieren können. Dies ist vor allem für die Fälle von Bedeutung, in denen die verunfallte Person schwerstverletzt50 wird oder gar verstirbt und die dahinter stehenden Hinterbliebenen eigene Ansprüche geltend machen. Dabei mögen Angehörige einerseits als unmittelbar Geschädigte auftreten, sofern sie etwa einen Schockschaden (ein solcher kann sich in materiellen [Heilbehandlung] sowie immateriellen [Schmerzensgeld] Schäden niederschlagen) erlitten haben oder ein Hinterbliebenengeld fordern.51 Andererseits können diese auch als mittelbar Betroffene materielle Er43 Vgl. Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 979. 44 Der Begriff des Geschädigten findet sich auch wieder in Art. 1 Nr. 2 RL 2009/103/EG; beachte, dass die vom OLG Celle herangezogene RL 2000/26/EG mit dem Inkrafttreten der kodifizierten Fassung der Kraftfahrzeughaftpflicht-RL (RL 2009/103/EG) aufgehoben wurde. 45 So aber Musielak/Voit/Stadler, Rz. 2; Tomson, VersR 2009, 62, 63; Tomson, EuZW 2009, 204, 205 f.; kritisch ebenfalls Lüttringhaus, VersR 2010, 183, 188 sowie Wasserer, ELR 2010, 14, 18; offen lassend OLG Zweibrücken, NZV 2010, 198, 199; in der Tendenz auch OLG Köln, DAR 2010, 582 f. 46 Vgl. ErwGr. 11 S. 1 Brüssel Ia-VO. 47 Auch die Zuständigkeitsvorschriften in Verbrauchersachen und für individuelle Arbeitsverträge privilegieren bestimmte Personengruppen als typischerweise schwächere Partei, ohne dass die tatsächliche Unterlegenheit beispielsweise des Arbeitnehmers (Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 2) im Einzelfall festzustellen wäre. Entscheidend ist lediglich etwa die in concreto bestehende Verbrauchereigenschaft (hierzu auch Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 2 ff.). 48 In Bezug auf eine Leasinggeberin als Geschädigte beachte OLG Frankfurt v. 23.6.2014 – 16 U 224/13, IPRax 2015, 148 ff. m. Anm. Mankowski, 115 ff. 49 Beachte in dem Zusammenhang die Empfehlungen des Arbeitskreises III des 57. Verkehrsgerichtstages 2019 in Goslar zum Thema „Ansprüche nach einem Verkehrsunfall mit einem geleasten/finanzierten Fahrzeug“; ferner BGH, DAR 2017, 460 ff. m. Anm. Geiger, 462 f.; hierzu auch Heß/Burmann, NJW 2017, 3127 ff. 50 Ein Trauerschmerzensgeld für schwerstverletzte Angehörige ist in Deutschland auch de lege ferenda nicht vorgesehen. Allerdings regeln zahlreiche Unionsstaaten solche Ansprüche, ohne den Tod der nahe stehenden Person tatbestandlich vorauszusetzen. Dazu ausführlich mit Nachweisen aus den europäischen Rechtsordnungen Kadner Graziano, RIW 2015, 549 ff.; dazu ferner Kadner Graziano, RIW 2016, 227, 227. 51 Beachte aus deutschem Blickwinkel den seit dem 17.7.2017 eingeführten Anspruch auf Hinterbliebenengeld, BGBl. 2017 I, 2421; hierzu LG Tübingen v. 17.5.2019 – 3 O 108/18, DAR 2019, 468 ff. m. Anm. Jaeger, jM 2020, 12 ff.; Bischoff, MDR 2017, 739 ff.; Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401 ff.; Fechner, DRiZ 2017, 84 ff.; Frank, FamRZ 2017, 1640 ff.; Jaeger, VersR 2017, 1041 ff.; Katzenmaier, JZ 2017, 869 ff.; Nugel, ZfS 2018, 72 ff.; Quaisser, DAR 2017, 688 ff.; Röthel, Jura 2018, 235 ff.; Schwab, DAR 2018, 284 ff.; Hk-BGB/Staudinger, § 844 Rz. 14 ff.; Steenbuck, r+s 2017, 449 ff.; Wagner, NJW 2017, 2641 ff.; beachte in dem Zusammenhang zur Höhe
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen satzansprüche (wie etwa solche auf Unterhalt52) geltend machen. Unzweifelhaft steht es Angehörigen frei, sämtliche der dargestellten Forderungen am allgemeinen Gerichtsstand des beklagten Haftpflichtversicherers nach Art. 11 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO einzuklagen. Hinsichtlich eines Prozesses nach Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO am Wohnsitzforum bleibt jedoch fraglich, ob Angehörigen hierfür der Rückgriff auf ihr eigenes Domizil freisteht. Stellte man dabei allein auf dasjenige des Erstbetroffenen ab, führte dies jedenfalls zu einem Gleichlauf mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO sowie der hierzu ergangenen EuGH-Rechtsprechung (insb Rs. Lazar53). Der Vorschrift zufolge unterliegen nämlich sämtliche Ansprüche Hinterbliebener eines Getöteten als indirekte Schadensfolge dem Recht, das auf die unmittelbare Erstschädigung Anwendung findet.54 Allerdings darf die ratio legis nicht ohne weiteres auf den Fall der Direktklage übertragen werden. Art. 4 Rom II-VO dient schließlich der Ermittlung des für die unerlaubte Handlung maßgeblichen Deliktsrechtes. Das kollisionsrechtliche Gegenstück zur Direktklage verkörpert indes Art. 18 Rom II-VO, der jedenfalls alternativ an das Versicherungsvertragsstatut anknüpft. Zudem bleibt zu berücksichtigen, dass Art. 4 Rom II-VO nicht von sämtlichen Mitgliedstaaten iRv außervertraglichen Schuldverhältnissen angewandt wird. Das Königreich Dänemark greift etwa auf sein eigenes IPR zurück und die Mitglied-, welche zugleich Signatarstaaten des Haager Straßenverkehrsübereinkommens (fortan: HStrÜ) sind, wenden dieses vorrangig in Verkehrsunfallkonstellationen an.55 Vor dem Hintergrund sollte die Übertragung des Gedanken aus Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO auf Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO mit Bedacht erfolgen, da die Regelungsbereiche der Vorschriften
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von Schmerzensgeldern bei Schockschäden (hier 100.000 t): OLG Frankfurt v. 6.9.2017 – 6 U 216/16, VersR 2018, 560 ff. m. Anm. Jaeger, VersR 2018, 563 f.; ferner mit Blick auf Österreich, Italien, England und die Schweiz: Huber/Kadner Graziano/Luckey, Hinterbliebenengeld; noch zum Regierungsentwurf Müller, VersR 2017, 321 ff.; zum Angehörigenschmerzensgeld sowie zu seiner gesetzlichen Neuregelung in Deutschland Fischer, VersR 2016, 1155 ff.; Häcker, DAR-Extra 2013, 758 ff.; Kadner Graziano, RIW 2015, 549 ff.; Kadner Graziano, RIW 2016, 227 ff.; Schwintowski, VuR 2016, 18 ff.; ferner zu den Rechten der Geschädigten bei tödlichen Verkehrsunfällen in Kroatien Anic, DAR 2016, 566 ff.; zum Schadensersatz für den Verlust des menschlichen Lebens in Italien Buse, ZVR 2016, 423 ff.; weiterhin zu Art und Umfang des italienischen Schadensersatzanspruchs bei Verkehrsunfällen: MünchKommStVR/Buse, Italien Rz. 134 ff.; zur Unvereinbarkeit einer ausländischen Vorschrift, die ein Hinterbliebenengeld ausschließt, mit dem ordre public-Vorbehalt des italienischen Rechts siehe die Entscheidung Nr. 19405 v. 22.8.2013 des italienischen Kassationshofs. Nach deutschem Recht kommt § 844 Abs. 2 BGB in Betracht. EuGH v. 10.12.2015 – C-350/14, ECLI:EU:C:2015:802 – Lazar vs. Allianz SpA, NJW 2016, 466 ff. m. Anm. Staudinger, 468; hierzu auch Czaplinski, jurisPR-IWR 1/2016 Anm. 4; Friesen, r+s 2016, 196 f.; Kadner Graziano, RIW 2016, 227 ff.; Mankowski, JZ 2016, 310 ff.; MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 18; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 979 f.; Wurmnest, LMK 2016, 376926. Nach ErwGr. 16 Rom II-VO muss das auf die unerlaubte Handlung anwendbare Recht vorhersehbar sein. Ein Unfallverursacher kann aber bei einem Verkehrsunfall in einem Mitgliedstaat (welcher nicht zugleich Signatarstaat des HStrÜ ist) allein damit rechnen, dass nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO (sofern Abs. 2 und 3 der Vorschrift nicht einschlägig sind) grundsätzlich das Deliktsstatut des Tatortstaates für sämtliche gegen ihn erhobenen Ansprüche maßgeblich sein wird; zur Rom II-VO und die diese auf grenzüberschreitende Verkehrsunfälle anwendende Mitgliedsstaaten Staudinger, DAR 2019, 669; Beachte im weiteren Zusammenhang die Entscheidung des EuGH v. 31.1.2019 – C-149/18 – Agostinho da Silva Martins vs. Dekra Claims Services Portugal SA, EuZW 2019, 134. Hiernach schließt das gem. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, Art. 24 Rom II-VO auf das außervertragliche Schuldverhältnis anwendbare Recht nach Art. 15 lit. h Rom II-VO auch Vorschriften über die Verjährung ein. Im Zweifel ist eine Durchbrechung des Statutes im Lichte von Art. 16 Rom II-VO durch Anwendung von Verjährungsregeln des Staates, in dem die Direktklage anhängig gemacht wurde, nicht zulässig. Eine Korrektur lässt sich ebenso wenig auf Art. 27 Rom II-VO i.V.m. Art. 28 der Richtlinie 2009/103/EG in seiner Umsetzung rechtfertigen; dazu auch Staudinger, DAR 2020, 1; weiterhin zum ordre public-Vorbehalt im Kontext des Art. 15 lit. h Rom II-VO Ransiek, jurisPR-IWR 4/2019, Anm. 2. Beachte hierzu insb EuGH v. 10.12.2015 – C-350/14, ECLI:EU:C:2015:802 – Lazar vs. Allianz SpA, NJW 2016, 466 ff. m. Anm. Staudinger, 468; hierzu auch Czaplinski, jurisPR-IWR 1/2016 Anm. 4; Friesen, r+s 2016, 196 f.; Kadner Graziano, RIW 2016, 227 ff.; Mankowski, JZ 2016, 310 ff.; MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 18; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 979 f.; Wurmnest, LMK 2016, 376926. Nach Art. 9 des Übereinkommens wird allerdings ebenso wie in Art. 18 Rom II-VO für den Direktanspruch alternativ an das Versicherungsvertrags- oder Deliktsstatut angeknüpft; hierzu ausführlich MünchKommStVR/ Staudinger, IZVR/IPR Rz. 62; s. ferner in dem Zusammenhang östOGH v. 26.1.2017 – 2 Ob 50/165, IPRax 2017, Heft 3, XIII; beachte zum Übereinkommen Rz. 30.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
von Grund auf divergieren. Somit überzeugt es nicht, im Lichte des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ausschließlich auf den Wohnsitz des Erstgeschädigten bei Klagen von Angehörigen nach Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO abzustellen.56 Eine solche Lösung erwiese sich insbesondere in solchen Konstellationen als kaum praktikabel, in denen Angehörige zudem als Erben auftreten und ebenso übergegangene Ansprüche gerichtlich geltend machen. In ihrer Funktion als Zessionare können diese nämlich an ihrem eigenen Domizil prozessieren.57 Es erscheint vielmehr interessengerecht, diesen Grundsatz für sämtliche Forderungen von Angehörigen gelten zu lassen, so dass regelmäßig deren Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung als maßgeblich gilt.58 Letztlich bleibt jedoch abzuwarten, ob und mit welchem Ausgang der EuGH zu dieser Frage der Vorabentscheidung Stellung beziehen wird. Mit Blick auf einen Prozess am Ort des schädigenden Ereignisses (Art. 12 Brüssel Ia-VO) gilt es nach Ansicht des EuGH sowohl eine Vermehrung der zuständigen Gerichte zu verhindern, als auch der Notwendigkeit einer besonders engen Beziehung zwischen Streitigkeit und Gerichtsstaat Rechnung zu tragen. Infolge dessen ist für die Bestimmung des Erfolgsortes im Rahmen von Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ – als Vorgängernorm zu Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO und somit auch zu Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO – der Ort der Erstschädigung des unmittelbar Betroffenen und nicht derjenige des Folgeschadens beim mittelbar Betroffenen maßgeblich.59 Um die Vorhersehbarkeit von Gerichtsständen zu gewährleisten und den Grundsatz des actor sequitur forum rei nicht über Gebühr einzuschränken, soll Entsprechendes für Schockschäden naher Angehöriger gelten.60 In diesem Zusammenhang lässt sich erneut das Urteil des EuGH in der Rs. Lazar61 ins Feld führen. Da im Lichte der Entscheidung sämtliche Forderungen Angehöriger als indirekte Schadensfolge zu qualifizieren sind, bleibt allein auf den Erfolgsort der Erstschädigung abzustellen, welcher dort zu lokalisieren ist, wo die Rechtsgüter (Körper/Gesundheit) des Erstgeschädigten betroffen wurden. Die mangelnde Differenzierung des EuGH stößt zwar mit Blick auf Schockschäden auf Kritik. Allerdings streitet jedoch für diesen Ansatz neben Art. 15 lit. f Rom II-VO vor allem die Vorhersehbarkeit62 des anwendbaren Rechts. Die Entscheidung des Gerichtshofs erging im Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO. Gleichwohl lassen sich seine Aussagen mit Bedacht auf den Erfolgsort in Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO sowie Art. 12 Brüssel Ia-VO (bzw. Art. 5 Nr. 3 LugÜbk 2007 und Art. 10 LugÜbk 2007) übertragen. Folglich können Angehörige sämtliche erlittenen Schäden zudem am Gerichtsstand des Ortes der Erstschädigung nach Art. 12 S. 1 Brüssel Ia-VO gegen den Haftpflichtversicherer geltend machen. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob sie dabei als unmittelbar oder mittelbar Geschädigte auftreten bzw. Ersatz materieller oder immaterieller Einbußen fordern. 3. Geltendmachung von zedierten Ansprüchen Inwieweit die von einem eigenen – wenn auch abgeleiteten – Schaden zu unterscheidenden Klagen 10 aus übergegangenem bzw. abgetretenem Recht63 grundsätzlich den sich über 13 Abs. 2 Brüssel IaVO eröffnenden Gerichtsständen der Art. 10–12 Brüssel Ia-VO unterstehen, bleibt anhand der hierzu ergangenen Judikatur zu ermitteln. Die Fragestellung beansprucht jedenfalls dann vor dem Hintergrund des abschließenden Charakters des Abschnitts über Versicherungssachen Relevanz,
56 Es bleibt indes zu beachten, dass die Rs. Lazar jedenfalls mittelbare Auswirkungen auf die Direktklage hat, da über Art. 18 Rom II-VO alternativ das Deliktstatut entscheidet, ob eine action directe für den Geschädigten möglich ist. 57 Rz. 23; vgl. auch Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 979 f. 58 So Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 980. 59 EuGH v. 11.1.1990 – 220/88 – Dumez vs. Hessische Landesbank, EuGHE 1990 I 49, 78 = NJW 1991, 631, 632; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 7 Rz. 22a. 60 So wohl Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 91. 61 EuGH v. 10.12.2015 – C-350/14, ECLI:EU:C:2015:802 – Lazar vs. Allianz SpA, NJW 2016, 466 ff. m. Anm. Staudinger, 468; hierzu auch Czaplinski, jurisPR-IWR 1/2016 Anm. 4; Friesen, r+s 2016, 196 f.; Kadner Graziano, RIW 2016, 227 ff.; Mankowski, JZ 2016, 310 ff.; MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 18; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 979 f.; Wurmnest, LMK 2016, 376926. 62 Vgl. ErwGr. 16 Rom II-VO. 63 Siehe zur Belehrungspflicht des Gerichts gegenüber einem Zessionar Art. 26 Rz. 23a.
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen wenn etwa Zessionare erwägen, nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO eine Ankerklage zu erheben, welche sich i.R.d. Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO bereits von vornherein verbietet. a) Maßgeblichkeit des Abschnitts 3 für sämtliche Zessionare 11
Im Hinblick auf die Frage, ob sämtliche Zessionare dem Abschnitt der Art. 10–16 Brüssel Ia-VO ohne Rücksicht auf deren Schutzbedürftigkeit unterstehen, ist zunächst die Rechtsprechung des EuGH chronologisch darzustellen. Den Ausgangspunkt bildet insoweit das Urteil des Gerichtshofs in der Rs. Vorarlberger64. Dort hielt der Spruchkörper fest, dass nicht jede cessio legis per se zu einem Ausschluss der Klage des Zessionars am Schutzgerichtsstand des Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO führt. Vielmehr löst der Übergang eines Anspruchs, der sachlich den Art. 8 ff. Brüssel I-VO unterfällt, eine konkret-individuelle Schutzbedürftigkeitsprüfung bezüglich der Anwendbarkeit der einzelnen Gerichtsstände aus.65 Die Privilegierung, am Wohnsitzforum nach Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO zu klagen, spricht der Gerichtshof dem Sozialversicherer gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung ab. Eine anderweitige Beurteilung müsste sich allerdings ergeben, wenn sich eine schwächere Partei, beispielsweise ein Erbe, in der Zessionarsrolle befindet.66 Diese Entscheidung überzeugt, zumal Sinn und Zweck der besonderen Gerichtsstände eine restriktive Interpretation nahe legen. Der Argumentation des EuGH lässt sich ferner entnehmen, dass dieser auch nach einer Abtretung weiterhin von der Anwendbarkeit der Vorschriften über Versicherungssachen ausgeht. Aufgrund von Textidentität und im Lichte von ErwGr. 34 S. 2 Brüssel Ia-VO lassen sich diese Ausführungen auf Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO übertragen. Festzuhalten bleibt demnach, dass für einen Anspruch, der unter die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO fällt, auch nach einer Zession der Abschnitt 3 des Sekundärrechtsakts einschlägig bleibt.67
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Demgegenüber steht die äußerst kritikwürdige Entscheidung des EuGH in der Rs. SOVAG.68 Der Gerichtshof bejahte in dem Vorlageverfahren die Anwendbarkeit von Art. 6 Nr. 2 Brüssel I-VO zugunsten einer finnischen Sozialversicherung. Diese hatte sich im Wege einer aktiven Intervention der Klage eines finnischen Geschädigten an dessen Wohnsitz (Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO) gegen die gegnerische deutsche Haftpflichtversicherung angeschlossen. Der Gerichtshof zitiert im Wege seines Richterspruchs zwar die oben angesprochene Rs. Voralberger, wonach eine isolierte Direktklage einer Sozialversicherung als Zessionarin an ihrem Sitz mangels Schutzbedürftigkeit ausgeschlossen ist, und hält somit an ihr fest. Jedoch unterscheide sich der Anlassstreit insofern, als der Geschädigte bereits aus dem Abschnitt in Versicherungssachen den Wohnsitzgerichtsstand aktiviert habe, so dass sich nunmehr zwei Versicherer gegenüber stünden. Deren Verfahren könne sich allerdings nicht mehr auf das Opfer als Ankerkläger auswirken. Ausländische Sozialversicherer werden im Nachgang zum EuGH-Urteil den Geschädigten vorschieben, um sich an dessen Direktklage gegen die Haftpflichtversicherung anzuhängen. Die Begründung des Gerichtshofs für die Zulässigkeit einer solchen Prozessstrategie erscheint zweifelhaft. So werden die Abweichungen des von ihm zitierten Verfahrens GIE Réunion européenne69 ausgeblendet. Ferner findet die Rs. Glaxomithkline,70 die ein abweichendes Ergebnis nahegelegt hätte, keine Erwähnung. Da nach Ansicht des 64 EuGH v. 17.9.2009 – C-347/08, ECLI:EU:C:2009:561, IPRax 2011, 255 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse vs. WVG-Schwäbische Allgemeine AG, EuZW 2009, 855 ff. 65 Vgl. hierzu Art. 10 Rz. 17; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 980 f.; Staudinger, VersR 2013, 412 ff. Das Schutzwürdigkeitskriterium kritisierend und das Vorliegen einer Versicherungssache hinsichtlich einer Sozialversicherung als Zedenten bezweifelnd: Lüttringhaus, VersR 2010, 183, 185 f. und Wasserer, ELR 2010, 14, 17. 66 Obiter dictum des EuGH v. 17.9.2009 – C-347/08, ECLI:EU:C:2009:561, IPRax 2011, 255 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse vs. WVG-Schwäbische Allgemeine AG, EuZW 2009, 855, 858 Rz. 44. Dieses wurde in den Entscheidungen KABEG (EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16, VersR 2017, 1481 ff.) und Hofsoe (EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17, VersR 2018, 1020 ff.) aufgegriffen und bestätigt. Hierzu Nordmeier, NZV 2018, 566, 567 ff.; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982 f. 67 A.A. mit Blick auf den Sozialversicherer: Halm/Engelbrecht/Krahe/Heiss/Perner, Kap. 7 Rz. 19, 26. 68 EuGH v. 21.1.2016 – C-521/14 – SOVAG vs. If Vahinkovakuutusyhtiö Oy, DAR 2016, 79 ff. m. Anm. Staudinger, 81 f.; vgl. hierzu auch Peschke, jurisPR-IWR 3/2016 Anm. 2; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 980 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
EuGH der Abschnitt über Versicherungssachen ausscheidet, könnte der gegnerische Haftpflichtversicherer allenfalls nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sowie Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO negative Feststellungsklage gegen den Geschädigten bzw. dessen Sozialversicherer erheben. Folgt man dem sehr weitgehenden Verständnis von Art. 6 Nr. 2 Brüssel I-VO (Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) wäre der Schluss vorschnell, jenes begünstige zumindest deutsche Sozialversicherer. Denn Voraussetzung für eine aktive Intervention wie im Anlassstreit ist, dass das nationale Verfahrensrecht eine solche Prozesshandlung erlaubt. Die deutsche ZPO kennt allein das Institut der Streitverkündung, daher auch der Vorbehalt in Art. 65 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO, Art. 76 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Allerdings ist Deutschland gem. Art. 65 Abs. 2 Brüssel Ia-VO daran gehalten, Entscheidungen wie aus Finnland, die auf abweichendem nationalen Prozessrecht basieren, anzuerkennen und zu vollstrecken. Um in Deutschland ansässigen Unfallopfern dennoch eine gebündelte Verfahrensführung am Wohnsitz nach Maßgabe von Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO zu ermöglichen, verbleibt deren Versicherern nur der Weg, bereits übergegangene Ansprüche dem Geschädigten zurück zu übertragen bzw. diesem eine Geltendmachung seiner Ansprüche vor dem Zeitpunkt des gesetzlichen Forderungsübergangs nahezulegen.71 Stellt man nun die ratio decidendi der Rs. Vorarlberger derjenigen des Verfahrens SOVAG gegenüber, 13 so stimmen wenigstens beide im Ergebnis überein, dass ein Sozialversicherer als Zessionar keine Möglichkeit hat, an seinem Wohnsitzforum zu prozessieren. Die dogmatische Herleitung für diese Schlussfolgerung unterscheidet sich hingegen grundlegend. Im letztgenannten Urteil schließt der Gerichtshof die Anwendbarkeit des Abschnitts für Versicherungssachen von vornherein mit dem Argument aus, dieser sei bereits von der schwächeren Partei (dem Geschädigten) aktiviert worden. Somit werde das Ziel des Abschnitts, nämlich den unterlegenen Prozessbeteiligten zu schützen, schon erreicht.72 Bei der im Nachgang erhobenen Klage des Sozial- gegen den Haftpflichtversicherer stünden sich zwei gewerblich Tätige des Versicherungssektors gegenüber. Folglich seien die Schutzgerichtsstände der Art. 8 ff. Brüssel I-VO (Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO) nicht einschlägig, sondern vielmehr die Art. 2 ff. Brüssel I-VO (Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO) anzuwenden. Nach dieser Lesart wäre eine Klage nach Art. 6 Nr. 2 Brüssel I-VO (Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) ohne weiteres zulässig, sofern das nationale Prozessrecht eine aktive Intervention vorsieht und keine Missbrauchsgefahr besteht. Die Beurteilung, ob ein Missbrauch vorliegt, erfolgt autonom aus dem Blickwinkel des angerufenen Gerichts.73 In der Rs. Vorarlberger wird dem Sozialversicherer aufgrund seiner fehlenden Schutzbedürftigkeit lediglich die Klagemöglichkeit am Heimatforum nach Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO abgesprochen. Indes bleiben die weiteren Gerichtsstände der Art. 8 ff. Brüssel I-VO nicht versperrt. Somit sind Klagen nach Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. a Brüssel I-VO (Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) am Sitz des Beklagten, sowie gem. Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. Art. 10 S. 1 Brüssel I-VO (Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 12 S. 1 Brüssel Ia-VO) am Ort des schädigenden Ereignisses weiterhin möglich. Dieselben Gerichtsstände eröffnen sich allerdings auch, wenn der Ansicht aus der Rs. SOVAG gefolgt wird. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie lediglich auf den Normen Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO und Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO (Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) fußen. Eine Intervention gem. Art. 6 Nr. 2 Brüssel I-VO (Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) erscheint hingegen nur denkbar, sofern der Abschnitt 3 gar nicht erst aktiviert ist.
69 EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 – Groupement d’intérêt économique (GIE) Réunion européenne u.a. vs. Zurich España, Société pyrénéenne de transit d’automobiles (Soptrans), EuGHE 2005 I 4509 ff. = IPRax 2005, 535 ff. m. Anm. Rüfner, 500 ff. = VersR 2005, 1001 ff. m. Anm. Heiss 1003. 70 EuGH v. 22.5.2008 – C-462/06, ECLI:EU:C:2008:299 – Glaxosmithkline, Laboratoires Glaxosmithkline vs. Jean-Pierre Rouard, EuZW 2008, 369 ff. m. Anm. Sujecki, 371 f. 71 Vgl. Staudinger, DAR 2016, 81, 82; beachte indes die Kritik an der Rückzession bei Dörner, IPRax 2018, 158, 162 f.; s. hierzu aus österreichischem Blickwinkel Wittwer, FS Danzl (2017) 669, 673 ff. 72 EuGH v. 21.1.2016 – C-521/14 – SOVAG vs. If Vahinkovakuutusyhtiö Oy, DAR 2016, 79 Rz. 29 f. 73 So etwa die im Nachgang zum Urteilspruch des EuGH ergangene Entscheidung des finnischen OGH v. 12.9.2016. Die dort eingereichte Beschwerde gegen die Klagemöglichkeit des Sozialversicherers nach Maßgabe des Art. 6 Nr. 2 Brüssel I-VO wurde mit der Argumentation abgewiesen, die Voraussetzungen des besonderen Gerichtsstandes seien erfüllt und eine Missbrauchsgefahr nicht zu befürchten.
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Insgesamt sprechen die besseren Argumente dafür, im Lichte der Vorarlberger-Entscheidung den Abschnitt über Versicherungssachen für Zessionare, wie beispielsweise eine Sozialversicherung, für anwendbar zu erklären und anhand einer fallgruppenorientierten Schutzbedürftigkeitsprüfung74 zu beurteilen, ob der Wohnsitzgerichtsstand eröffnet ist.75 Die Begründung des EuGH iRv SOVAG, die Art. 8 ff. Brüssel I-VO (Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO) seien nicht einschlägig, da der Zedent bzw. Geschädigte bereits unter Berufung auf die Schutzgerichtsstände Klage erhoben hat, überzeugt nicht. So kann allein die Reihenfolge der Klageerhebung durch die Akteure keinen Einfluss auf den Anwendungsbereich des Abschnittes in toto haben.
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Der hier vertretene Ansatz bestätigt sich nunmehr mit Blick auf die jüngste Entscheidung des Gerichtshofes (Rs. Hofsoe76) im Zusammenhang mit Zessionarsklagen nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Die streitgegenständliche Frage war, ob sich eine natürliche Person, welche gewerbsmäßig abgetretene Forderungen von Verkehrsunfallgeschädigten gegen die Haftpflichtversicherung des Schädigers durchsetzt, auf den Gerichtsstand an seinem Domizil nach Maßgabe des Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO berufen kann. Zunächst weist der EuGH mit Bezug auf sein zuvor ergangenes Urteil zur Rs. KABEG77 darauf hin, dass der Klägergerichtsstand über Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO im Ausgangspunkt nicht allein dem unmittelbar Betroffenen offen steht.78 Das forum actoris sei u.a. etwa auf „die Erben des Versicherten“ auszudehnen.79 Allerdings müsse der Ausnahmecharakter und die damit einhergehende enge Auslegung der Zuständigkeitsvorschrift Beachtung finden. Demnach griffen die Bestimmungen der Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO nicht für diejenigen Personen Platz, welche keines besonderen Schutzes bedürften. Im konkreten Zusammenhang verneint der Gerichtshof die Schutzbedürftigkeit des gewerblich tätigen Zessionars.80 Mit keinem Wort erklärt er hingegen die weiteren über Art. 13 Abs. 2 Brüssel IaVO zugänglichen Gerichtsstände für unanwendbar. Auch der amtliche Leitsatz des Urteils verdeutlicht, dass der Spruchkörper gewerblich tätigen Zessionaren gerade nicht die Geschädigteneigenschaft in toto abspricht, sondern vielmehr deren Berufung auf Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO im Zusammenspiel mit Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO verneint.81 Diverse andere Sprachfassungen82 des Richterspruchs bestätigen letztlich diese Lesart. Somit deckt sich die ratio decidendi schließlich mit derjenigen aus der Rs. Vorarlberger. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sämtliche Zessionare von Geschädigten grundsätzlich dem Abschnitt über Versicherungssachen unterstehen, ohne Rücksicht auf ihre Schutzbedürftigkeit. b) Mögliche Gerichtsstände für Zessionare
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Unter der Prämisse, dass der Anspruch auch nach der Abtretung eine Versicherungssache bleibt, ist eine Direktklage eines Zessionars unabhängig von seiner Schutzwürdigkeit, am Wohnsitz des Versicherers nach Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO möglich. Diese Option entspricht dem Grundsatz actor sequitur forum rei des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.83 Gleiches gilt für eine Klage am Handlungs- oder Erfolgsort nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 12 S. 1 Brüssel Ia-VO. Der Gerichtsstand des Schadensortes dient nicht dem Schutz der schwä-
74 Vgl. hierzu Rz. 24. 75 So auch Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 980 f. 76 EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17 – Paweł Hofsoe vs. LVM Münster AG, VersR 2018, 1020 ff. m. Anm. Staudinger/Papadopoulos 978 ff.; ferner hierzu Nordmeier, NZV 2018, 567 ff.; Tereszkiewicz, GPR 2018, 280 ff. 77 EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, VersR 2017, 1481 ff. m. Anm. Mankowski, 1484 ff.; ferner Staudinger/Papadopoulos, LMK 2017, 395362; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982; zur Entscheidung im Überblick Schnichels/Lenzing/Stein, EuZW 2018, 877, 881 f. 78 EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17 – Paweł Hofsoe vs. LVM Münster AG, VersR 2018, 1020, 1022 Rz. 37. 79 Zu Erben als Geschädigte Rz. 23. 80 Hierzu i.R.d. Schutzbedürftigkeitsprüfung Rz. 20. 81 „Art. 13 Abs. 2 […] ist i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b […] dahin auszulegen, dass sich eine natürliche Person […] nicht auf diese Bestimmung berufen kann.“ 82 Siehe hierzu die in Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 981 Fn. 23 angeführten Beispiele. 83 Siehe hierzu sowie zu der Klage eines Sozialversicheres im „Zusammenhang“ mit dem unmittelbar Geschädigten Staudinger, VersR 2013, 412 ff.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
cheren Partei, sondern der Beweisnähe.84 Im Ergebnis wird dadurch die gleiche Wertung erreicht wie nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, wenn man davon ausginge, dass keine Versicherungssache mehr vorläge und der Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften demnach nicht nach Art. 10 Brüssel Ia-VO versperrt sei.85 Der östOGH86 ließ diese Frage hingegen offen, da ihr in dem damaligen Ausgangssachverhalt keine Entscheidungsrelevanz zukam. Selbst wenn man das Vorliegen einer Versicherungssache verneinte, könnte sich mangels Sperrwirkung der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO neben dem unmittelbar Geschädigten auch dessen Sozialversicherungsträger auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gem. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO (entspricht Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO) berufen.87 Entscheidungserheblich88 ist diese Fragestellung jedoch bei einer eventuellen gemeinsamen Prozessführung von Sozialversicherer und Geschädigten gem. Art. 8 Nr. 2, wie etwa in der Rs. SOVAG.89 Nach der hier vertretenen Auffassung verbieten die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO einen Rückgriff auf die besonderen Gerichtsstände in Art. 8 Nr. 190 und 2 Brüssel Ia-VO. Den abschließenden Charakter der Versicherungssachen verdeutlicht ferner ein Umkehrschluss zu dem reformierten Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO in Arbeitssachen, welcher ausdrücklich die Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO bei Klagen gegen den Arbeitgeber erlaubt. Da das Bestreben sämtlicher Akteure, welche dem Schutz der Abschnitte 3 bis 5 unterstehen, darin liegt, das Verfahren möglichst am eigenen Wohnsitzforum zu eröffnen, liegt auch bei Zessionaren der Fokus auf der Klagemöglichkeit am eigenen Wohnsitz nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO. Ob sie sich indes auf diesen Gerichtsstand berufen können, bleibt einer Einzelfallbetrachtung vorbehalten.91 Im Folgenden gilt es mit Blick auf die in dem Zusammenhang ergangene Judikatur aufzuzeigen, welchen Fallgruppen der EuGH eine etwaige Schutzbedürftigkeit zu- bzw. abspricht.
84 ÖstOGH, IPRax 2013, 364 ff. Rz. 19; so auch mit Blick auf Art. 7 Nr. 2 Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2. 85 Dieser Ansicht ist Looschelders, IPRax 2013, 370, 372 f., der als Ansatzpunkt für die Schutzbedürftigkeit nicht auf jede einzelne Zuständigkeitsnorm, sondern auf den Begriff der Versicherungssache in Art. 8 ff. Brüssel I-VO (entspricht Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO) abstellt. Demnach liege keine Versicherungssache vor, wenn der Anspruchssteller nicht vom Schutz der Art. 8 ff. Brüssel I-VO umfasst ist. 86 ÖstOGH, IPRax 2013, 364 ff. m. Anm. Looschelders, IPRax 2013, 370 ff. hat entschieden, dass sich neben dem unmittelbar Geschädigten auch dessen Sozialversicherungsträger auf den Gerichtsstand gem. Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO berufen kann. 87 ÖstOGH, IPRax 2013, 364 ff. Rz. 22, 26. 88 In dieser Konstellation besteht nach Art. 267 AEUV eine Vorlagebefugnis bzw. für die letzte Instanz eine Pflicht. 89 Vgl. Rz. 12 ff. 90 Siehe zur Sperrwirkung der Art. 8 ff. Brüssel I-VO hinsichtlich Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO: BGH, RIW 2015, 377 ff.: Nach Ansicht des BGH kann die internationale Zuständigkeit gem. Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO nur auf den Wohnsitzgerichtsstand des „Ankerbeklagten“ i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO und nicht auf eine Zuständigkeit in Versicherungssachen gestützt werden. Dies überzeugt in Anbetracht des Wortlauts, systematischen Zusammenhangs sowie im Lichte von Sinn und Zweck des Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO. In Anbetracht dessen sowie vor dem Hintergrund der bisherigen Judiaktur des EuGH bestand für die Revisionsinstanz auch keine Vorlagepflicht laut Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die ratio der Entscheidung des VI Zivilsenats lässt sich auf Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO übertragen. Zudem kann nach Auffassung des BGH die Klage gegen den Fahrer durch Teilurteil nach § 301 ZPO als unzulässig abgewiesen werden, wenn es an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte ihm gegenüber fehlt. Beachte mit Blick auf Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO ferner OLG Brandenburg v. 18.2.2016 – 12 U 118/15, IPRax 2018, 409 ff. m. Anm. Staudinger/Friesen, IPRax 2018, 366 ff. Zur Anwendbarkeit des Art. 8 neben dem Abschnitt Versicherungssachen s. im Übrigen Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 7, 7c. 91 Vgl. EuGH v. 17.9.2009 – C-347/08, ECLI:EU:C:2009:561, IPRax 2011, 255 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse vs. WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG, EuZW 2009, 855, 856; beachte ferner die sich anschließenden Urteile: EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, VersR 2017, 1481 ff. m. Anm. Mankowski, 1484 ff.; hierzu auch Staudinger/Papadopoulos, LMK 2017, 395642; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982; EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17 – Paweł Hofsoe vs. LVM Münster AG, VersR 2018, 1020 ff. m. Anm. Staudinger/Papadopoulos, 978 ff.; ferner hierzu Nordmeier, NZV 2018, 567 ff.; Tereszkiewicz, GPR 2018, 280 ff.
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen c) Schutzbedürftigkeitsprüfung bei Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO 17
Losgelöst davon, ob der Forderungsübergang auf den Zessionar kraft Gesetzes oder rechtsgeschäftlich erfolgt, ist stets eine Einzelfallbetrachtung anzustellen. Eine rechtsgeschäftliche Abtretung mag im Zweifel den Verdacht der mangelnden Schutzbedürftigkeit nähren. aa) Sozialversicherungsträger
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Bezüglich der Anwendbarkeit des Schutzgerichtsstandes in Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO bedarf es einer individuell-konkreten Schutzbedürftigkeitsprüfung. Jener enthält das Privileg, die Direktklage isoliert daheim im Inland zu erheben. Ein Prozess am Wohnsitzforum steht jedenfalls einem Sozialversicherungsträger92, 93 des Geschädigten, auf den Ansprüche kraft cessio legis übergegangen sind, nicht zu.94 Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO versperrt die Anwendbarkeit des Rechtsaktes zwar nicht a priori, denn Ersterer handelt nicht spezifisch hoheitlich, so dass eine Zivilsache vorliegt. Dennoch fehlt es beim Sozialversicherer an der notwendigen wirtschaftlichen oder rechtlichen Unterlegenheit, um eine besondere Privilegierung zu beanspruchen. Eine Rückabtretung von Ansprüchen durch den Sozialversicherer auf den unmittelbar Geschädigten wäre nicht per se als rechtsmissbräuchlich zu werten.95 Insofern hätte jedenfalls der Betroffene die Möglichkeit, an seinem eigenen Domizil nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO zu prozessieren. bb) Arbeitgeber
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Anders entschied der EuGH zuletzt hingegen im Hinblick auf Entgelt fortzahlende Dienstgeber.96 Im Anlassstreit zahlte eine Anstalt öffentlichen Rechts das Entgelt ihres infolge eines Verkehrsunfalls 92 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang Art. 85 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Diese spezielle Kollisionsnorm für Ansprüche des verpflichteten Trägers gegen haftende Dritte bleibt mit Blick auf Art. 27 Rom II-VO vorrangig anwendbar. Zur Vorgängervorschrift in Art. 93 Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern s.: EuGH v. 21.9.1999 – C-397/96 – Caisse de pension des employés privés vs. Dieter Kordel, Rainer Kordel u. Frankfurter Allianz Versicherungs AG, EuGHE 1999 I 5959 ff. = EuZW 2000, 96; EuGH v. 2.6.1994 – C-428/92, ECLI:EU:C:1994:222 – Deutsche Angestellten-Krankenkasse vs. Lærerstandens Brandforsikring G/S, EuGHE 1994 I 2259 ff. = EuZW 1994, 758 ff. sowie BGH v. 15.7.2008 – VI ZR 105/07, IPRax 2010, 249 = VersR 2008, 1358 ff. und BGH v. 7.11.2006 – VI ZR 211/05, NJW 2007, 1754 ff. 93 Angesichts der Tatsache, dass aus dem Blickwinkel etwa des deutschen Rechts die Schmerzensgeldforderungen des Unfallopfers nicht auf den Sozialversicherungsträger übergehen (hierzu Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Kater (100. Aufl. 2018), § 116 SGB X Rz. 80) droht die Zersplitterung eines einheitlichen Lebenssachverhalts auf der Ebene der Internationalen Zuständigkeit. Dem Gemeinschaftsgesetzgeber bleibt de lege ferenda allerdings die Möglichkeit, im Zuge einer Revision der Brüssel Ia-VO (s. hierzu Art. 79 Brüssel Ia-VO Rz. 1) den Schutzgerichtsstand auch für Sozialversicherungsträger zu eröffnen. Diese gegenüber einer Verankerung in den Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinien vorzugswürdige Lösung hätte aber zugleich mit Blick auf die EuGH-Judikatur zu Art. 5 Nr. 2 Brüssel I-VO (vgl. Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2009), Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 67, beachte, dass im Zuge der Reform der Gerichtsstand für Unterhaltssachen nach Art. 5 Nr. 2 Brüssel I-VO nicht mehr in die Brüssel Ia-VO aufgenommen worden ist) Systembrüche zur Folge. 94 Vgl. EuGH v. 17.9.2009 – C-347/08, ECLI:EU:C:2009:561, IPRax 2011, 255 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse vs. WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG, VersR 2009, 1512 ff.; zustimmend: Heß/Burmann, NJW-Spezial 2009, 697; Lüttringhaus, VersR 2010, 183 ff.; OLG Koblenz, DAR 2013, 30 m. Anm. Schneider; Fuchs, IPRax 2014, 509 ff.; ebenso bereits zuvor: OLG Celle v. 27.11.2008 – 5 U 106/08, VersR 2009, 1426; Riedmeyer, ZfS 2008, 602, 604; Riedmeyer, FS Müller (2009) 473, 488; Tomson, VersR 2009, 62, 63; Tomson, EuZW 2009, 204, 205; Staudinger/Czaplinski, NJW 2009, 2249, 2252 f.; a.A. Wittwer/Meusburger, Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2008, 361, 371 f.; Wittwer, ZEuP 2009, 564, 573; Wittwer, ZVR 2010, 32 f. m.w.N.; kritisch ebenfalls Wasserer, ELR 2010, 14, 16 f.; der östOGH, IPRax 2013, 364 f. m. Anm. Looschelders, IPRax 2013, 370 ff. hat entschieden, dass sich neben dem unmittelbar Geschädigten auch dessen Sozialversicherungsträger auf den Gerichtsstand gem. Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO berufen kann. 95 A.A. Dörner, IPRax 2018, 158, 162 f.; s. ferner Rz. 12 ff.
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Kap. II: Zuständigkeit
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arbeitsunfähigen Dienstnehmers fort und trat damit kraft Legalzession in die Rechte ein, welche diesem gegen die Haftpflichtversicherung des Schädigers zustanden. Das Vorabentscheidungsersuchen zielte auf die Beantwortung der Frage ab, ob der Dienstherr als Zessionar nach Maßgabe der Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO gegen den Versicherer des Schädigers vorgehen kann. Mit Bezug auf die Rs. Vorarlberger weist der Gerichtshof in seinem Urteil darauf hin, dass die Möglichkeit hierzu im Falle einer Qualifikation der prozessführenden Partei als „Geschädigte“ eröffnet wäre. Schließlich bejaht er diese Eigenschaft für alle Entgelt fortzahlenden Dienstgeber ohne Rücksicht auf deren Größe oder Rechtsform, da eine dahingehende einzelfallbezogene Schutzwürdigkeitsprüfung das gem. ErwGr. 11 Brüssel I-VO angestrebte Ziel der Vorhersehbarkeit konterkariere.97 Der Spruchkörper hat folglich eine neue Fallgruppe (hier: Dienstgeber) von Legalzessionaren geschaffen, welche sich die Gerichtsstände der Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 8 ff. Brüssel I-VO uneingeschränkt zu Nutze machen kann. Allerdings stößt dieser Ansatz mit Blick auf die Entscheidung in der Rs. Vorarlberger auf Bedenken. Der Gerichtshof nimmt zwar in seinen Urteilsgründen Stellung zum Verfahren und verweist dabei auf die mangelnde Schutzwürdigkeit von Sozialversicherungsträgern als Zessionare.98 Jedoch ist auf Grundlage seiner Argumentation nicht ersichtlich, weshalb Dienstgeber a priori – unabhängig von ihrer Größe und Rechtsform – anders als Sozial- dem gegnerischen Haftpflichtversicherer gegenüber stets als schwächere Partei einzustufen sind. Folgendes Beispiel zeigt die Schwächen der Argumentation des EuGH: Zahlt ein Sozialversicherungsträger als Dienstherr das Entgelt seines verunfallten Dienstnehmers fort, kann er dessen übergegangenen Ansprüche99 – im Lichte des jüngsten Richterspruchs sowie unter Zugrundelegung des ErwGr. 34 S. 2 Brüssel Ia-VO – nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO gegen den gegnerischen Haftpflichtversicherer einklagen. Führt er gegen Letztgenannten allerdings den Prozess in seiner Eigenschaft als Krankenversicherer, welchem die Ansprüche – hierzulande nach § 116 SGB X – qua cessio legis übertragen wurden, spricht man ihm die Schutzwürdigkeit und somit die Anwendbarkeit des Wohnsitzgerichtsstandes vor dem Hintergrund der Vorarlberger-Doktrin ab. Die ratio decidendi überzeugt letztlich nur bedingt. Eine uneingeschränkte Qualifikation des Dienstgebers als schwächere Partei droht auf den ersten Blick, den Ausnahmecharakter der Schutzgerichtsstände zu unterlaufen. Für den Richterspruch streitet indes folgende Überlegung: Abweichend von der Rs. Voralberger stehen sich im Anlassstreit grundsätzlich nicht zwei Versicherer gegenüber, was schon die Anwendbarkeit des Klägergerichtsstandes sperrt. Ferner lässt sich ein Dienstgeber nicht eine Forderung abtreten, um sie dann wie ein Inkasso- oder Factoringunternehmen mit unternehmerischem Eigeninteresse beizutreiben. Vielmehr werden Arbeitgeber schicksalshaft durch die Schädigung ihres Arbeitnehmers betroffen und zahlen schließlich aufgrund einer die cessio legis auslösenden gesetzlichen Verpflichtung den Lohn fort. Zudem dürfte es schwer fallen, zwischen Arbeitgebern zu differenzieren, je nachdem, ob sie als natürliche Person oder in einer Gesellschaftsform des Privat- oder öffentlichen Rechts organisiert sind. Denn allein die Organisationsform bzw. die Rechtsnatur des Anstellungsverhältnisses erscheint als Unterscheidungsmerkmal kaum tragfähig. Darüber hinaus vermeidet der Gerichtshof die Schieflage, dass Freiberufler bestimmte „Lohnausfälle“ als eigenen Vermögenschaden am Wohnsitzgerichtsstand gegen die ausländische Haftpflichtversicherung einklagen können. Nun ist aber nicht einzusehen, weshalb diese durch den Mechanismus der Entgeltfortzahlung samt Legalzession privilegiert werden sollen. Positiv hervorzuheben ist schließlich, dass der Gerichtshof in seiner Entscheidung von einer Eingrenzung i.S.d. Generalanwalts Bobek abgesehen hat. Dieser schlug in seinen Schlussanträgen100 vor, die Übertragung des Klägergerichtsstandes grundsätzlich bei jeder Art von Zessionaren zu gestatten. Davon ausgenommen bleiben sollten lediglich im Versicherungssektor gewerblich tätige Zessionare, so96 EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, VersR 2017, 1481 ff. m. Anm. Mankowski, 1484 ff.; ferner hierzu Staudinger/Papadopoulos, LMK 2017, 395362; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982; im Überblick Schnichels/Lenzing/Stein, EuZW 2018, 877, 881 f. 97 EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, VersR 2017, 1481 ff. m. Anm. Mankowski, 1484 ff. 98 EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, VersR 2017, 1481 ff. m. Anm. Mankowski, 1484 ff. 99 Die Legalzession zugunsten des Arbeitgebers erfolgt in Deutschland nach Maßgabe des § 6 EFZG sowie in Beamtenverhältnissen gem. § 76 BBG. 100 Schlussanträge C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, BecksRS 2017, 113248.
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen fern zwischen ihnen und dem unmittelbar Geschädigten ein Versicherungsverhältnis bestand.101 Dies hätte eine uferlose Ausweitung des Schutzgerichtsstandes zur Folge gehabt, dem der EuGH ein Stück weit einen Riegel vorgeschoben hat. cc) Gewerblich tätige Zessionare 20
In der Rs. Hofsoe102 befasste sich der Gerichtshof jüngst mit gewerblich tätigen Zessionaren, welche sich die Ansprüche von Geschädigten abtreten lassen, um diese im Nachgang selbst geltend zu machen. Mit seinem Urteil hält er nunmehr fest, dass bei einem solchen rechtsgeschäftlichen Forderungsübergang keinerlei Gründe für eine etwaige Privilegierung des Zessionars zugunsten eines Wohnsitzgerichtsstandes nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO sprechen. Dies wird u.a. mit dem Ausnahmecharakter des Gerichtsstandes begründet. Jedenfalls stiege die Gefahr der Rechtsunsicherheit, sofern Gewerbetreibende stets einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterzogen würden, um ihre konkrete Schutzbedürftigkeit zu prüfen. Insofern erscheint es nach Ansicht des EuGH gerechtfertigt, den Wohnsitzgerichtsstand nach Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO allen gewerblich tätigen Zessionaren zu versagen. Der Urteilsspruch überzeugt im Ergebnis und schafft neben Sozialversicherungsträgern die zweite Fallgruppe an Zessionaren, denen a priori der Rekurs auf Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO verwehrt bleibt. dd) Offene Fallgruppen
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Die vom EuGH bisher gebildeten Fallgruppen decken nicht sämtliche in Betracht kommenden Zessionare eines Erstgeschädigten. Die zu Sozialversicherungsträgern, Lohn fortzahlende Arbeitgebern sowie gewerblich Tätigen aufgestellten Grundsätze des Gerichtshofes lassen indes Rückschlüsse auf die Schutzwürdigkeit anderer Gruppen von Zessionaren zu. So kann man jedenfalls im Lichte der Rs. Hofsoe103 davon ausgehen, dass Factoring- und Inkassounternehmen sowie Werkstätten eine etwaige Schutzbedürftigkeit abzusprechen ist, da das Geschäftsmodell solcher Akteure in erster Linie im Beitreiben zedierter Ansprüche liegt.104 Dasselbe muss für Kfz-Sachverständige gelten, welche ihre Sachverständigenkosten aus zediertem Recht bei dem Verkehrsunfallgeschädigten fordern.105 Entsprechendes gilt in der Gesamtschau für einen einzelnen abgetretenen Anspruch gegen die Lebensversicherung, den aus prozesstaktischen Gründen der als Unternehmensberater tätige Sohn der Versicherungsnehmer geltend macht.106
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Private Kranken- sowie Teil- und Vollkaskoversicherer sind als Assekuranzen sicherlich ein Stück weit vergleichbar mit Sozialversicherungsträgern, da sie zwar nicht nach § 116 Abs. 1 SGB X wohl aber gem. § 86 Abs. 1 VVG übergegangene Ansprüche ihrer Versicherungsnehmer gegen Dritte im Regresswege durchsetzen. Der wesentliche Unterschied liegt indes darin, dass solche Versicherer gerade keine staatlichen Institutionen verkörpern. Sämtliche zuvor genannten Assekuranzen machen ihre zedierten Ansprüche jedoch unstreitig zum Zwecke ihrer gewerblichen Tätigkeit geltend. Insofern ergibt sich erst recht mit Blick auf die Rs. Hofsoe, dass private Kranken-, Teil- und Vollkaskoversicherer keinen besonderen Schutz genießen, welcher eine Prozessführung nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO am Sitz des privaten Versicherers zuließe. 101 Schlussanträge C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, BecksRS 2017, 113248 Rz. 67. 102 EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17 – Paweł Hofsoe vs. LVM Münster AG, VersR 2018, 1020 ff. m. Anm. Staudinger/Papadopoulos, 978 ff.; ferner hierzu Nordmeier, NZV 2018, 567 ff.; Tereszkiewicz, GPR 2018, 280 ff. 103 EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17 – Paweł Hofsoe vs. LVM Münster AG, VersR 2018, 1020 ff. m. Anm. Staudinger/Papadopoulos, 978 ff.; ferner hierzu Nordmeier, NZV 2018, 567 ff.; Tereszkiewicz, GPR 2018, 280 ff. 104 Vgl. Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982. 105 So bereits AG Bergisch Gladbach v. 2.2.2012 – 60 C 241/11, VersR 2012, 1027: sieht die Kfz-Sachverständige nicht als schwächere Partei und somit schutzwürdig an, da sie Kauffrau kraft Gesetzes ist und in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit gehandelt hat. 106 KG, VersR 2014, 1020 ff. hat in seine Abwägung einfließen lassen, dass zum einen nur ein einzelner Anspruch vertraglich abgetreten wurde und zum anderen die familiäre Verbindung zwar eine Schutzwürdigkeit rechtfertigen könnte, die Zession jedoch nur aus prozesstaktischen Erwägungen stattgefunden habe, damit die Versicherungsnehmer „Zeugen in eigener Sache“ sein können (Rz. 38). So im Ergebnis auch Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982.
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Kap. II: Zuständigkeit
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Schließlich besteht auch keine Vergleichbarkeit zu (schutzbedürftigen) lohnfortzahlenden Arbeitgebern. Diese werden schicksalshaft von der Arbeitsunfähigkeit ihres Arbeitnehmers getroffen. Als schwächere und somit schutzwürdige Legalzessionare könnten laut einem obiter dictum des 23 EuGH dagegen Erben anzusehen sein.107 Die Schutzbedürftigkeit des Staates, einer Kirche oder Stiftung in der Erbenrolle erscheint hingegen zweifelhaft.108 Sollte sich der EuGH mit dieser Frage in Zukunft befassen, lassen jedenfalls die Rs. KABEG109 und Hofsoe110 erahnen, dass der Gerichtshof wohl auch in diesem Zusammenhang eine Entscheidung nach dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ treffen könnte, mit der Folge, dass sämtliche Erben als schutzbedürftig zu erachten sind. Hierfür lässt sich der Gedanke der Praktikabilität anführen. Nach dem hier vertretenen Ansatz erscheint es wie in Verbraucher- und Versicherungssachen111 sicherlich interessengerecht, einem Einzelerben des unmittelbar Geschädigten den Schutzgerichtsstand112 zu eröffnen. Weil dieser zu Lebzeiten des unmittelbar Geschädigten bspw des Versicherungsnehmers nicht an dessen Qualifikation als natürliche oder juristische Person113 sowie die Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit bzw. situative Voraussetzungen des Vertragsschlusses anknüpft, kommt es hierauf ebenso wenig hinsichtlich des Gesamtrechtsnachfolgers an.114 Sofern dessen aktueller Wohnsitz von demjenigen des Erblassers abweicht, folgt hieraus keine unzulässige Beeinträchtigung der anerkennenswerten Interessen des beklagten Versicherers.115 Denn bereits zu Lebzeiten des Erblassers als Versicherungsnehmer (unmittelbar Geschädigtem) ist im Lichte von Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO auf seinen aktuellen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen.116 Demzufolge überzeugt es ebenso wenig, den Erben des unmittelbar Geschädigten lediglich einen Direktklagegerichtsstand am Wohnsitz des Erblassers zu gewähren.117 In der Gesamtschau droht damit zwar womöglich die zuständigkeitsrechtliche Spaltung eines Sachverhaltes bei einer Mehrheit von Erben mit unterschiedlichem (Wohn-)Sitz an verschiedenen Orten oder gar Mitgliedstaaten. Dies ist jedoch Folge der zutreffenden Einzelfallbetrachtung, ob und inwieweit bestimmte Personen ihren jeweiligen Anspruch gegen einen Versicherer einklagen können. Der Gefahr paralleler Prozesse womöglich mit divergierendem Ausgang beugen Art. 29 und 30 vor. Abweichend zu beurteilen bleibt indes die Situation, in der ein unmittelbar Geschädigter als Erblasser während eines bereits begonnenen Prozesses verstirbt. Hier besteht ungeachtet der Schutzrichtung des Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO kein Grund, vom Prinzip der perpetuatio fori abzuweichen.118 Vielmehr bleibt der Einzelerbe bzw. Miterbe auch als Kläger an die vormals begründete internationale sowie örtliche Zuständigkeit aus Gründen der Prozessökonomie sowie dem Interesse des beklagten Versicherers an der Fortdauer der Zuständigkeit und deren Vorhersehbarkeit gebunden.
107 EuGH v. 17.9.2009 – C-347/08, ECLI:EU:C:2009:561, IPRax 2011, 255 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse vs. WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG, EuZW 2009, 855, 858; ferner im Anschluss hieran EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, VersR 2017, 1481, 1482 Rz. 29; EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17 – Paweł Hofsoe vs. LVM Münster AG, VersR 2018, 1020, 1022 Rz. 38; zu den Urteilen in der Gesamtschau Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982 f.; ferner hierzu Nordmeier, NZV 2018, 567 ff. 108 Eine Einschränkung erscheint allerdings in Konstellationen des gesetzlichen Erbrechts des Staates (vgl. § 1936 BGB) geboten; ebenso Lüttringhaus, VersR 2010, 183, 186. 109 EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, VersR 2017, 1481 ff. 110 EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17 – Paweł Hofsoe vs. LVM Münster AG, VersR 2018, 1020 ff. 111 Siehe dort unter Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 20 und Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 2 ff. 112 Hiervon sind rein erbrechtliche Fragestellungen i.S.d. Erbrechtsverordnung (VO [EU] Nr. 650/2012; dazu s. Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 68) zu trennen, die bereits nach Maßgabe von Art. 1 Abs. 2 lit. f nicht der Brüssel IaVO unterfallen (vgl. Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 28; s. auch Lüttringhaus, VersR 2010, 183, 186 f.). 113 Siehe die Angaben bei Rz. 8. 114 Abweichend Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 18. 115 So auch Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982 f.; s. einschränkend in einer parallelen Fallgestaltung und für den letzten Wohnsitz des Verbraucher-Erblassers indes Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 16 Brüssel I-VO Rz. 4 m.w.N. 116 Siehe die Angaben unter Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 6; Art. 11 Brüssel Ia-VO Rz. 4. 117 So aber Lüttringhaus, VersR 2010, 183, 187. 118 Dazu allgemein Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 10; Löser, Zuständigkeitsbestimmender Zeitpunkt und perpetuatio fori im Internationalen Zivilprozess (2009).
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen 4. Übertragbarkeit auf andere Rechtsquellen 24
Die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO erlangt auch bei Binnenmarktsachverhalten mit Bezug zu Dänemark Bedeutung. Am 1.7.2007 ist nämlich das Abkommen vom 19.10.2005 über die Anwendung der Brüssel I-VO in den Beziehungen der übrigen Mitgliedstaaten zu Dänemark in Kraft getreten.119 Nach Art. 6 Abs. 2 Abkommen vom 19.10.2005 über die Anwendung der Brüssel I-VO in den Beziehungen der übrigen Mitgliedstaaten zu Dänemark müssen dänische Gerichte Vorlageentscheidungen des EuGH wie andere mitgliedstaatliche Spruchkörper beachten und ihnen angemessen Rechnung tragen. In Bezug auf die Brüssel Ia-VO hat Dänemark am 20.12.2012 mitgeteilt, dass es auch diesen Sekundärrechtsakt umsetzen wird.120 Die Brüssel Ia-VO gilt daher als Änderung des ursprünglichen Parallelabkommens und als Anhang dazu, so dass ihre Anwendbarkeit zwischen den Mitgliedstaaten und Dänemark über das Abkommen bewirkt wird.
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Offenkundig ist, dass den Urteilen des Gerichtshofs in der Rs. FBTO/Jack Odenbreit121, Vorarlberger122, KABEG123 sowie Hofsoe124 jedenfalls für das LugÜbk 2007125 Relevanz zukommt.126 Art. 11 Abs. 2 LugÜbk 2007sowie Art. 9 LugÜbk 2007 entsprechen nämlich im vollen Umfang den Regelungen der Brüssel I-VO. Aus den teils angepassten Protokollen zum LugÜbk 2007 folgt, dass die Gerichte in den Signatarstaaten des LugÜbk 2007 bei der Anwendung und Auslegung des Übereinkommens u.a. den Grundsätzen gebührend Rechnung tragen müssen, die in Entscheidungen zur Brüssel I-VO durch den EuGH entwickelt worden sind.127 Zwar stützt sich der Gerichtshof in seinen Entscheidungsgründen nicht allein auf die Brüssel I-VO, sondern ebenfalls auf die fünfte Richtlinie über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Jedoch erscheinen die Ausführungen des EuGH zu dieser Harmonisierungsmaßnahme lediglich als flankierendes Argument, sind indes keine tragende Begründung dafür, dem Opfer einen Klägergerichtsstand zu eröffnen. Auch im Rahmen seiner Entscheidung zur Rs. SOVAG128 nimmt der Spruchkörper Bezug auf die Richtlinie 2009/103/EG. Seine Erläuterungen dazu haben jedoch keinen Einfluss auf jene zur Brüssel I-VO. Gleiches gilt im Hinblick auf die Erläu-
119 Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2005 L 299/62 ff.; zum Inkrafttreten am 1.7.2007 s. ABl. EU 2007 L 94/70; vgl. auch die Angaben in Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 15. 120 Abkommen vom 21.3.2013 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2013 L79/4; mit Blick auf die Verordnung (EU) Nr. 542/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 hinsichtlich des Einheitlichen Patentgerichts und des Benelux-Gerichtshofs anzuwendenden Vorschriften: ABl. EU 2014 L 240/1. Siehe hierzu auch Mansel/Thorn/R. Wagner, IPRax 2015, 1, 5. 121 EuGH v. 13.12.2007 – C-463/06, ECLI:EU:C:2007:792 – FBTO vs. Jack Odenbreit, NJW 2008, 819 ff. 122 EuGH v. 17.9.2009 – C-347/08, ECLI:EU:C:2009:561, IPRax 2011, 255 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse vs. WVG-Schwäbische Allgemeine AG, EuZW 2009, 855 ff. 123 EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – KABEG vs. MMA IARD, VersR 2017, 1481 ff. m. Anm. Mankowski, 1484 ff.; beachte auch Staudinger/Papadopoulos, LMK 2017, 395362; Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982. 124 EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17 – Paweł Hofsoe vs. LVM Münster AG, VersR 2018, 1020 ff. m. Anm. Staudinger/Papadopoulos, 978 ff.; ferner hierzu Nordmeier, NZV 2018, 567 ff.; Tereszkiewicz, GPR 2018, 280 ff. 125 Lugano Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007, ABl. EG 2007 L 399/3 ff.; vgl. auch die Angaben in MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 4, 72. 126 So bezüglich der Rs. FBTO vs. Jack Odenbreit auch schweizerisches Bundesgericht, DAR 2012, 472; BGH v. 23.10.2012 – VI ZR 260/11, VersR 2013, 73; dagegen AG Trier, DAR 2012, 471; hierzu Staudinger, DAR 2012, 474; Dasser/Oberhammer/Schnyder Art. 10 Brüssel I-VO Rz. 13, 16; Fuchs, IPRax 2008, 104, 105; Mumelter, ZVR 2009, 285, 291; Riedmeyer, FS Müller (2009), 473, 487; Wittwer/Meusburger Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2008, 361, 366 f. 127 Hierzu s. Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 29 f.; als Beispiel zur Beachtung der EuGH Rechtsprechung mag das Urteil des Schweizer BG zu Art. 5 Nr. 1 lit. b LugÜbk dienen: BG, IHR 2015, 37. 128 EuGH v. 21.1.2016 – C-521/14 – SOVAG vs. If Vahinkovakuutusyhtiö Oy, DAR 2016, 79 ff. m. Anm. Staudinger, 81 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
terungen zur negativen Feststellungsklage des Haftpflichtversicherers und den dabei herangezogenen Richterspruch zur Rs. Folien Fischer.129 Somit gelangt man auch bei unterstellter Maßgeblichkeit des LugÜbk 2007 in keiner der hier behandelten Prozesshandlungen zu divergierenden Ergebnissen im Vergleich zur Brüssel Ia-VO. Vorsicht ist hingegen geboten, sofern der EuGH im Wege eines Richterspruches kollisionsrechtliche Wertungen im Lichte des Erwägungsgrundes 7 Rom II-VO rechtsaktübergreifend für seine Entscheidungsgründe heranzieht, da Signatarstaaten wie etwa die Schweiz zumindest im Hinblick auf Verkehrsunfälle dem Regime des Haager Straßenverkehrsübereinkommens unterstellt sind. Ein anderes Ergebnis könnte demgegenüber für das alte Lugano Übereinkommen gelten.130 Der 26 Wortlaut jenes Staatsvertrages deckt sich nämlich mit den maßgeblichen Vorschriften des EuGVÜ, hinsichtlich derer bislang eine abweichende Auffassung von der herrschenden Meinung vertreten wurde.131 Dieser Sichtweise lässt sich nunmehr jedoch die Pflicht der Spruchkörper der Signatarstaaten des LugÜbk 1988 entgegenhalten, jüngeren Entscheidungen des EuGH i.S.e. persuasive precedent gebührend Rechnung zu tragen.132 Eine Einschränkung dieses Grundsatzes ergibt sich nur für solche Vorschriften des LugÜbk 1988, die keine Textidentität mit denjenigen der Brüssel I-VO aufweisen, sowie für Entscheidungen des Gerichtshofs, die unmittelbar durch Wertungen anderer Gemeinschaftsrechtsakte beeinflusst sind.133 Beide Ausschlussgründe vermögen in der Rs. FBTO vs. Jack Odenbreit indes nicht durchzuschlagen. Zum einen ist es zwar zutreffend, dass der insoweit maßgebliche Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO im Zuge der Vergemeinschaftung des EuGVÜ eine erhebliche tatbestandliche Erweiterung erfuhr, so dass eine Textidentität mit Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 LugÜbk 1988 fehlt. Eine entsprechende Übereinstimmung ist jedoch hinsichtlich der beiden Verweisungsnormen in Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO und Art. 10 Abs. 2 LugÜbk 1988 zu konstatieren, deren Normweck – Ausdehnung des Klägergerichtsstands auf weitere Personen – auch übereinstimmen dürfte.134 Zum anderen bekräftigt der EuGH seine Auffassung lediglich unter ergänzendem Rückgriff auf weitere Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, so dass diesen keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt.135 In der Gesamtschau erscheint die Annahme des Klägergerichtsstandes am Heimatforum des Geschädigten auch nach Art. 10 Abs. 2 LugÜbk 1988 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 LugÜbk 1988 vertretbar.136 Dessen ungeachtet könnte sich eine Klagemöglichkeit des Geschädigten an seinem Wohnsitz auch gegenüber nicht in der Europäischen Gemeinschaft beheimateten Versicherern aus Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ergeben. Dies gilt für den Fall, dass der Versicherer jedenfalls eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats besitzt und die Streitigkeit aus dem Betrieb dieser Niederlassung stammt. Die insoweit maßgebliche Gerichtspflichtigkeit des Versicherers besteht etwa dann, wenn die Zweigniederlassung den Versicherungsvertrag abgeschlossen oder sich intensiv mit der Schadensregulierung befasst hat.137 Die Rechtsprechung des EuGH gilt gleichermaßen für die Direktklage eines Opfers gegen den Haftpflichtversicherer einer Airline, welche ihren „Wohnsitz“ in einem anderen Mitgliedstaat hat, wie
129 EuGH v. 25.10.2012 – C-133/11, ECLI:EU:C:2012:664 – Folien Fischer AG, Fofitec AG vs. Ritrama SpA, ZEuP 2013, 870 ff. m. Anm. Gebauer, 874 ff.; allgemein zu negativen Feststellungsklagen und Torpedos Sack, GRUR 2018, 893. 130 So LG Feldkirch, ZVR 2009/156, 298 ff. und OLG Karlsruhe, IPRax 2008, 125 f. m. Anm. Fuchs, 104, 105; ebenso R. Wagner/Janzen, IPRax 2010, 298, 303. 131 Vgl. die Angaben in Rz. 6. 132 Hierzu Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 19. 133 Siehe Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 19. 134 Gleichermaßen Mumelter, ZVR 2009, 285, 288 f., 291. 135 So aber verkürzt und daher unzutreffend: OLG Karlsruhe, IPRax 2008, 125, 126. 136 Für die Anwendung der Direktklage i.S.d. Odenbreitentscheidung aussprechend: Schweizerisches Bundesgericht, DAR 2012, 472; hierzu Staudinger, DAR 2012, 474 ff.; ebenso Dasser/Oberhammer/Schnyder Art. 10 Brüssel I-VO Rz. 13; Mumelter, ZVR 2009, 285 ff.; Riedmeyer, AnwBl. 2008, 17, 22; Riedmeyer, FS Müller (2009) 473, 485 ff.; Wittwer/Meusburger, Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2008, 361, 365 f.; beachte auch die Empfehlung des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstages (Goslar, 28.1.–31.1.2009), wonach die Direktklage gegen Versicherungen in der Schweiz, Norwegen und Island zulässig ist, abrufbar unter: http://www. deutsche-verkehrsakademie.de/images/stories/pdf/empfehlungen_47vgt.pdf. 137 Vgl. Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 8.
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen auch für die Direktklage gegen die Haftpflichtversicherung eines französischen Brustimplantatherstellers. Im deutschen Recht sind insoweit die §§ 113, 115 Abs. 1 VVG sowie § 50 LuftVG zu beachten. Aufmerksamkeit verdient insoweit auch das Internationale Seeschifffahrtsrecht.138 Vor Inkrafttreten des das Athener Übereinkommen über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See139 ergänzenden Protokolls140 fand jedenfalls aus deutschem141 Blickwinkel vorrangig die Brüssel I-VO sowie der vom EuGH befürwortete Direktklagegerichtsstand auch im Rahmen der Unfallhaftung von Beförderern auf See Anwendung.142 Dies galt gem. Art. 67 Brüssel I-VO143 auch nach Erlass der Verordnung (EG) Nr. 392/2009 über die Unfallhaftung von Beförderern von Reisenden auf See,144 mit welcher der Sekundärrechtsgeber das Athener Übereinkommen i.d.F. des Protokolls von 2002 mit Ausnahme dessen internationalzivilverfahrensrechtlicher Bestimmungen in das Gemeinschaftsrecht überführt.145 Demgemäß wird insbesondere Art. 17 Brüssel Ia-VO, wonach für den Geschädigten eine Vielzahl von Direktklagegerichtsständen in Betracht kommt,146 erst mit dem Beitritt der Europäischen Union zu der Konvention Teil des acquis communautaire.147 Die Europäische Uni-
138 Siehe zur Haftung für Personen- und Gepäckschäden bei Schiffsreisen Czerwenka, DAR 2014, 242 ff. 139 Athener Übereinkommen vom 13.12.1974 über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See; vgl. BBl 1986 II 741/717 und http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/topics/intla/intrea/dbstv/data39/e_ 19740339.html. 140 Ergänzendes Protokoll vom 1.11.2002; abgedruckt in KOM (2005) 592, S. 17 ff. Dieses Regelwerk normiert in Art. 4a Abs. 1 Ergänzendes Protokoll die Versicherungspflicht des Beförderers, in Art. 4a Abs. 10 Ergänzendes Protokoll einen Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer des Beförderers sowie in Art. 17 Abs. 2 Ergänzendes Protokoll die entsprechende Zuständigkeitsregel für die Direktklage des Geschädigten. 141 Die BRD hat die Konvention nicht ratifiziert, aber in Art. 14 der Bestimmungen über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See (Anlage zu § 664 HGB) teilweise eine „Parallelvorschrift“ geschaffen. Nach herrschender Auffassung in der Literatur verdrängen gem. Art. 71 Abs. 1 Brüssel I-VO nur von den Mitgliedstaaten ratifizierte Staatsverträge den Gemeinschaftsrechtsakt; sog. „freiwillige Parallelregelungen“ treten demgegenüber zurück (Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2009), Art. 71 Brüssel I-VO Rz. 2), da der Vorrang des Gemeinschaftsrechts insoweit nicht zu einem Vertragsbruch führt (vgl. Schlosser/Hess/ Hess, Art. 71 Rz. 1). Für die BRD folgt die Beachtlichkeit des Athener Übereinkommens auch nicht aus der Tatsache, dass die ehemalige DDR zu dessen Vertragsstaaten zählte (so für die Binnenschifffahrt: BGH v. 12.7.2005 – VI ZR 83/04, NJW 2006, 1271, 1273 m. Anm. Czerwenka, 1250 ff.; für die Internationale Seeschifffahrt beachte nunmehr die Aufhebung der den Vorrang der von der DDR abgeschlossenen Staatsverträge einräumenden Vorschriften des Einigungsvertrages (BGBl. 1990 II, 885, 959) durch das Erste Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz vom 19.4.2006, BGBl. 2006 I, 866, 892). 142 Siehe auch Staudinger, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Seeschifffahrtsfällen, inKuhlen (Hrsg.), Rechtliche Fragen der Passagierschifffahrt auf Binnenwasserstraßen, 2010, 53 ff. 143 Hiernach nimmt sich die Brüssel I-VO nur innerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs anderer Gemeinschaftsrechtsakte zurück, vgl. Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2009), Art. 67 Brüssel I-VO Rz. 2. 144 ABl. EU 2009 L 131/24; hierzu Czerwenka, TranspR 2010, 165 ff. und Karsten, VuR 2009, 213 ff.; zu den Vorarbeiten: Czerwenka, RRa 2003, 158 ff.; Lagoni, ZEuP 2007, 1079 ff. 145 Hierbei handelt es sich nicht um ein Redaktionsversehen, vgl. Gemeinsamer Standpunkt des Rates Nr. 19/2008, ABl. EU 2008 C 190 E/17, 39. 146 Zuständig sind nach Wahl des Geschädigten die Spruchkörper eines Vertragsstaates am gewöhnlichen Aufenthalt oder der Hauptniederlassung des Beklagten (Art. 17 Abs. 1 lit. a AÜ), an dem im Beförderungsvertrag bestimmten Abgangs- oder Bestimmungsort (Art. 17 Abs. 1 lit. b AÜ), am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers, sofern der Beklagte eine Niederlassung in diesem Staat hat und der Gerichtsbarkeit dieses Staates unterworfen ist (Art. 17 Abs. 1 lit. c AÜ) sowie an dem Abschlussort des Beförderungsvertrages, sofern der Beklagte eine Niederlassung in diesem Staat hat und der Gerichtsbarkeit dieses Staates unterworfen ist (Art. 17 Abs. 1 lit. d AÜ). Im Übrigen steht es den Parteien gem. Art. 17 Abs. 2 AÜ frei, nach Eintritt des schädigenden Ereignisses eine Vereinbarung über die Zuständigkeit eines Gerichts oder Schiedsgerichts zu treffen. Für den in Art. 4a Abs. 10 AÜ verankerten Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer des Beförderers (zur obligatorischen Versicherung für den Fall einer Haftung für den Tod oder die Körperverletzung s. Art. 4a Abs. 1), sind gem. Art. 17 Abs. 2 AÜ diejenigen Spruchkörper zuständig, vor denen der Geschädigte auch gegen den (ausführenden) Beförderer nach Maßgabe von Art. 17 Abs. 1 AÜ prozessieren kann. 147 Vgl. ErwGr. 11 der Athener Verordnung.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
on hat das AÜ 2002 ratifiziert, welches seit dem 23.4.2014 gilt.148 Seit diesem Zeitpunkt bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach Art. 17 AÜ, welche als völkerrechtliche Bestimmung Vorrang vor der Brüssel Ia-VO genießt. Ein Rückgriff auf die Brüssel Ia-VO oder subsidiär das nationale Recht ist nur noch bei Fallkonstellationen möglich, die nicht vom Anwendungsbereich des Übereinkommens umfasst sind. Bedeutung erlangt die Judikatur des EuGH insbesondere bei Verkehrsunfällen im Ausland und der Durchsetzung des Direktanspruchs aus der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung.149 Das Opfer ist insofern regelmäßig gezwungen, im Ausland150 zu prozessieren. Die vierte KraftfahrzeughaftpflichtRL und nunmehr die kodifizierte sechste Fassung der Kraftfahrzeug-RL151 und deren Umsetzung im PflVersG sowie VAG führen wohl zu keiner abweichenden Rechtslage. Nach Art. 21 Kraftfahrzeughaftpflicht-RL muss jedes Versicherungsunternehmen in allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme seines Zulassungsstaates einen Schadensregulierungsbeauftragten benennen. Der Sekundärrechtsakt zwingt hingegen nicht zur Regelung einer Direktklagemöglichkeit des Geschädigten gegen den Schadensregulierungsbeauftragten. Der EuGH legte jüngst Art. 4 Kraftfahrzeughaftpflicht-RL dahingehend aus, dass dieser die Mitgliedstaaten in der Hinsicht eben nicht verpflichte.152 Die Rechtsprechung des Gerichtshofes mag auch im Zusammenhang mit Direktklagen gegen Produkthaftpflichtversicherer von Brustimplantatherstellern von Bedeutung sein.153 5. Berühmen eines Anspruchs Abs. 2 begründet keine Direktklage. Sie muss vielmehr aus dem Blickwinkel des angerufenen Gerichts zulässig sein und wird lediglich durch einen Gerichtsstand flankiert. Für deren Zulässigkeit muss sich der Kläger lediglich eines Anspruchs berühmen.154 Er hat ihn nicht darzulegen und zu beweisen.155 Für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit genügt, dass ein Direktanspruch vom Grundsatz her besteht bzw. in dem betreffenden nationalen Recht abstrakt-generell vorgesehen ist.156 Eine weitergehende Prüfung ist im Rahmen der internationalen Zuständigkeit und mithin innerhalb der Zulässigkeit der Klage aus Gründen der Prozessökonomie nicht veranlasst. Der Sekundärrechtsgeber verweist insoweit auf die Anknüpfungsregeln des angerufenen Spruchkörpers.157 In Deutsch-
148 Vgl. zum Übereinkommen Führich/Staudinger/Führich, § 46 Rz. 3 ff. 149 Beachte hierzu ausführlich die Kommentierung MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR. 150 So treten regelmäßig Sprachprobleme auf; ferner wird die Erstattung von Rechtsverfolgungskosten in Europa sehr unterschiedlich behandelt, vgl. hierzu: Backu, DAR 2003, 145, 153 f. 151 Beachte den aktuellen Richtlinienvorschlag zur Änderung der derzeit sechsten Kraftfahrzeughaftpflicht-RL: KOM (2018) 336 endg. 152 EuGH C-588/15 Vieira de Azevedo, EuZW 2017, 935 ff.; zur Frage, ob das Grüne-Karte-Büro auch bei Zahlung durch Schadensregulierer Leistender sein kann OLG Hamm v. 6.4.2017 – 24 U 110/16, VersR 2018, 53 f. m. Anm. Kunz, 54 f. 153 Siehe zum Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer eines französischen Brustimplantatherstellers OLG Hamm, BeckRS 2017, 128423; beachte in dem Zusammenhang den Vorlagebeschluss des OLG Frankfurt v. 11.9.2018 – 8 U 27/17, VersR 2018, 1437 ff. 154 Beachte im weiteren Zusammenhang auch EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37 – Kolassa vs. Barclays Bank plc., IPRax 2016, 143 ff. m. Anm. Staudinger/Bauer, 107 ff.; dazu auch Steinrötter, jurisPK-IWR 1/2015 Anm. 2; Steinrötter, RIW 2015, 407 ff. 155 Dasselbe gilt für den Direktanspruch unter dem aktuellen Parallelabkommen mit Dänemark sowie dem LugÜbk 2007. 156 BGH VersR 2008, 955, 956; s. auch OLG Zweibrücken, NZV 2010, 198, 199; vgl. aber auch zur wohl notwendigen Streitgenossenschaft im italienischen Recht: LG Dresden 10 O 472/10; für eine isolierte Klage gegen den Haftpflichtversicherer nach Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO (entspricht Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO) im Lichte von Art. 18 RL 2009/103/EG OLG Nürnberg v. 10.4.2012 – 3 U 2318/11, NJW-RR 2012, 1178; AG Köln, DAR 2014, 470; s. dazu auch Staudinger, DAR 2014, 486; Gebauer, IPRax 2015, 331 ff.; zu deutsch-italienischen Verkehrsunfällen Gebauer, Jahrbuch für italienisches Recht 27 (2014) 57; beachte, dass manche Länder weitergehende Direktansprüche vorhalten. 157 Jenard-Bericht zu Art. 10 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 32; Geimer, FS Heldrich (2005) 627, 639.
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen land bestimmt sich das auf den Direktanspruch anzuwendende Recht nach Art. 18 Rom II-VO158.159 Danach ist ein solcher Anspruch zulässig, wenn ihn entweder das Delikts- oder Versicherungsvertragsstatut vorsieht.160 Bei Sachverhalten vor dem 11.1.2009 kommt Art. 40 Abs. 4 EGBGB161 zur Anwendung.162 Ein Haftpflichtversicherungsvertrag für ein Kfz mit regelmäßigem Standort im Inland unterlag nach Art. 12 Abs. 2 EGVVG a.F. i.V.m. § 1 PflVersG deutschem Recht.163 Der Direktanspruch folgt aus § 6 Abs. 1 AuslPflVG und § 115 VVG i.V.m. § 1 PflVersG.164 29
Mit dem 11.1.2009 genießt die Rom II-VO laut ihrem Art. 32 Rom II-VO vom Grundsatz her Anwendungsvorrang im gesamten Binnenmarkt. Territorial ausgenommen bleibt wegen eines fehlenden opt-in165 Dänemark (Art. 1 Abs. 4 Rom II-VO). Für ab dem 17.12.2009 geschlossene Versicherungsverträge beansprucht zudem die Rom I-VO166 Geltung. Danach unterliegt ein Haftpflichtversicherungsvertrag für ein Kfz mit regelmäßigem Standort im Inland deutschem Recht (Art. 7 Abs. 4 lit. b, 158 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU 2007 L 199/40; zu diesem Sekundärrechtsakt s.: Garcimartín Alférez, EuLF 2007, I-77 ff.; Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 ff.; Junker, NJW 2007, 3675 ff.; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009) 1 ff.; Kühne, FS Deutsch (2009) 817 ff.; Leible, RIW 2008, 257 ff.; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 ff.; Ofner, ZfRV 2008, 13 ff.; Staudinger, AnwBl. 2008, 8 ff.; Sujecki, EWS 2009, 310 ff.; Symeonides, AJCL 56 (2008), 173 ff.; Wagner, IPRax 2008, 1 ff. sowie die Beiträge in Baetge/von Hein/von Hinden (Hrsg.), FS Kropholler (2008) und Bonomi/Volken (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 9 (2007); beachte auch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom 10.12.2008, BGBl. 2008 I 2401 f.; zum Entwurf der Bundesregierung (BT-Drucks. 16/9995): Wagner, IPRax 2008, 314 ff.; zu den vorausgegangenen Verordnungsvorschlägen: Benecke, RIW 2003, 830 ff.; Fuchs, GPR 2003–04, 100 ff.; von Hein, VersR 2007, 440 ff.; Huber/ Bach, IPRax 2005, 73 ff.; Leible/Engel, EuZW 2004, 7 ff.; Mankowski, RIW 2005, 481 ff.; Sonnentag ZVglRWiss 105 (2006), 256 ff.; Staudinger, Mitteilungsblatt DAV Internationaler Rechtsverkehr 2007, 28 ff.; Symeonides, FS Jayme (2004) 935 ff.; Wagner, IPRax 2006, 372 ff.; hierzu mit Blick auf Verkehrsunfälle: Huber, SVR 2009, 9 ff.; Junker, JZ 2008, 169 ff.; Staudinger, ZGS 2005, 121; Staudinger, SVR 2005, 441 ff.; Staudinger, FS Kropholler (2008) 691 ff.; Thiede/Kellner, VersR 2007, 1624 ff. 159 Beachte ferner die Komplementärnorm in Art. 9 Haager Straßenverkehrsübereinkommen; hierzu ausführlich MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 62; s. in dem Zusammenhang auch östOGH v. 26.1.2017 – 2 Ob 50/165, IPRax 2017, Heft 3, XIII. 160 Siehe ausführlich Micha, Der Direktanspruch im europäischen Internationalen Privatrecht (2010); Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO – Zur Kündigung des Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (2015); zur rechtsvergleichenden Untersuchung zum deutschen und skandinavischen Recht beachte Frank, Der Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer (2014). Zum Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer eines französischen Brustimplantatherstellers siehe ferner OLG Hamm, IPRax 2019, 165 ff.; ebenso in dem Zusammenhang der Vorlagebeschluss des OLG Frankfurt, NJW 2019, 525 ff. Beachte im Hinblick auf das Deliktstatut nach Art. 4 Rom II-VO die Entscheidung des High Court of Justice (Queen’s Bench Division) [2014] EWHC 3164 (Q.B.), 6.10.2014, Winrow v. Hemphill zum gewöhnlichen Aufenthalt und zur ‚escape clause‘. Siehe hierzu Rentsch, GRP 2015, 191 ff. 161 Zur Alternativanknüpfung s. Kropholler, Internationales Privatrecht6 (2006) § 53 IV 7 b), 534; Junker, JZ 2000, 477 ff.; Kreuzer, RabelsZ 65 (2001), 383 ff.; Looschelders, VersR 1999, 1316 ff.; Staudinger, DB 1999, 1589, 1592. Ausschließlich auf das Deliktsstatut abstellend: Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 3. 162 Es bleibt zu beachten, dass hinsichtlich der Anwendbarkeit des Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nach Art. 66 Brüssel Ia-VO auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen ist. Der Direktanspruch muss hingegen schon zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bestehen. Beachte zuletzt BGH, DAR 2016, 572 ff. m. Anm. Wittwer 575. Gegenstand des Verfahrens war ein im Jahre 2007 im Kosovo erlittener Verkehrsunfall. Zur intertemporalen Anwendung des Art. 40 EGBGB bei einem Unfallgeschehen in Wales: OLG Brandenburg v. 18.2.2016 – 12 U 118/15, NJW-RR 2016, 1038 ff. m. Anm. Staudinger/Friesen, IPRax 2018, 366 ff. 163 Ausführlich zu Art. 12 EGVVG a.F.: Dörner in Honsell (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz (1999) Art. 12 EGVVG. 164 Beachte zu § 115 VVG Piontek, Haftpflichtversicherung, § 6 Rz. 29. 165 Die Sonderposition Dänemarks ergibt sich aus den Protokollen Nr. 5, welche dem Vertrag über die Europäische Union und demjenigen über die Europäische Gemeinschaft beigefügt sind; beachte ebenso, dass das dänische Volk sich Ende 2015 per Referendum gegen eine verstärkte justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen durch opt-in-Regelungen entschieden hat, wie sie auch für das Vereinigte Königreich und Irland gelten. Hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2017, 1, 2.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
Abs. 2 a.E. Rom I-VO i.V.m. § 1 PflVersG).167 Denn von der den Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 4 lit. b Rom I-VO eingeräumten Option, kraft objektiver Anknüpfung ihre Rechtsordnung durchzusetzen, wenn diese die Versicherungspflicht vorschreibt, hat der deutsche Gesetzgeber in Art. 46d EGBGB Gebrauch gemacht. Art. 28 Abs. 1 Rom II-VO zufolge genießen bereits bestehende Abkommen mit Drittstaatenbetei- 30 ligung Vorrang vor dem Unionsrechtsakt.168 Hierzu zählt etwa das Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4.5.1971,169 welches für die Direktklage gegen den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer in Art. 9 Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht eine komplizierte Anknüpfungsleiter vorsieht.170 Deutschland hat dieses Abkommen bislang nicht ratifiziert.171 Dessen ungeachtet gilt es jedoch nach Art. 11 S. 2 Brüssel Ia-VO als „loi uniforme172“ (universelle Geltung) und damit im Verhältnis zwischen einem Signatar- zu einem Nichtvertragsstaat. Darüber hinaus war die Konvention aus dem Blickwinkel des deutschen Kollisionsrechts im Rahmen eines Gesamtverweises nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB zu beachten. Etwas anderes gilt jedoch nunmehr unter dem Regime der Rom II-VO; dieser Sekundärrechtsakt verweist nämlich stets auf das maßgebliche Sachrecht unter Ausschluss des jeweiligen Kolli-
166 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 L 177/6. Aufgrund des Art. 178 Solvency II-Richtlinie (RL 2009/138/EG, ABl. EU 2009 L 335/1 ff.) musste die dänische Legislative bis zu dem 31.3.2015 eine nationale Rechtsvorschrift erlassen, welche die Anwendung des Art. 7 Rom I-VO in Versicherungssachen vorsieht. Nach Art. 309 Abs. 1 Unterabs. 2 Solvency II-RL gilt diese Umsetzungsnorm ab dem 1.1.2016. Für eine Maßgeblichkeit der Rom I-VO in den übrigen Mitgliedstaaten gegenüber Dänemark spricht die von Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO normierte „Verbindung zum Recht verschiedener Staaten“ sowie eine fehlende Restriktion in Art. 2 Rom I-VO (s. hierzu Hk-BGB/Staudinger, Art. 1 Rom-VO Rz. 16 m.w.N.; wohl a.A. und für eine entsprechende Anwendung der Art. 27 ff. EGBGB a.F. bezüglich Dänemarks tendierend W.-H. Roth, IPRax 2015, 222, 225). Zu der Rom I-VO: Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798 ff.; Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 ff.; Lando/Nielsen, CML Rev 2008, 1687 ff.; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 ff.; Mankowski, IHR 2008, 133 ff.; Martiny, RIW 2009, 737 ff.; Pfeiffer, EuZW 2008, 622 ff.; Solomon, Tulane Law Review 82 (2008) 1709 ff.; Wagner, IPRax 2008, 377 ff. sowie die Beiträge in Baetge/von Hein/von Hinden (Hrsg.), FS Kropholler (2008) und dem Bonomi/Volken (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 10 (2008); beachte auch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 25.6.2009, BGBl. 2009 I 1574 ff.; zu den Vorarbeiten beachte die Beiträge in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationales Vertragsrecht (2003) und Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007) sowie Bonomi (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 5 (2003); Fricke, VersR 2006, 745 ff.; Fricke, VersR 2005, 726 ff.; Heiss, VersR 2006, 185 ff.; Junker, RIW 2006, 401 ff.; Kieninger, EuZ 2007, 22 ff.; Leible, EuZ 2006, 78 ff.; Leible, IPRax 2006, 365 ff.; López-Rodríguez, European Review of Private Law 12 (2004) 167 ff.; Mankowski, IPRax 2006, 101 ff.; Mankowski, RIW 2005, 481, 483; Mankowski, ZEuP 2003, 483 ff.; Martiny, ZEuP 2008, 78; Martiny, ZEuP 2007, 212 ff.; Martiny, ZEuP 2003, 590 ff.; Max Planck Institute for Comparative and International Law RabelsZ 71 (2007) 225 ff.; Meeusen/Pertegás/Straetmans (Hrsg.), Enforcement of International Contracts in the European Union (2004); Mauer/Sadtler, DB 2007, 1586 ff.; Staudinger, AnwBl. 2008, 8 ff.; speziell zum kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz: Basedow, FS Jayme (2004) 3 ff.; Bitterich, RIW 2006, 262 ff.; Bitterich, GPR 2006, 161 ff.; Ehle, GPR 2003–04, 49 ff.; Ferrari/Staudinger, Art. 29 EGBGB Rz. 30 ff., Art. 29a EGBGB Rz. 21 f., Art. 34 EGBGB Rz. 30; Hoffmann/Primaczenko, IPRax 2007, 173 ff.; Looschelders, FS Lorenz (2004) 441 ff.; Mankowski, ZVglRWiss 105 (2006), 120 ff.; Roth, FS Sonnenberger (2004) 591 ff.; Rühl, GPR 2006, 196 ff.; Siems, GPR 2005, 158 ff. 167 Hierzu Fricke, VersR 2008, 443, 449 f. 168 Insoweit kritisch Thiede/Kellner, VersR 2007, 1624 ff. 169 Abgedruckt in Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht18 (2016) Nr. 100; hierzu Kropholler, Internationales Privatrecht6 (2006) § 53 V 1, 535 ff.; Staudinger/von Hoffmann, EGBGB/IPR (2001) Art. 40 EGBGB Rz. 177 ff.; Staudinger, DAR 2019, 669 ff.; MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 1, 61, 75, 88 ff. 170 Vgl. Staudinger/von Hoffmann (2001), Art. 40 EGBGB Rz. 181; beachte in dem Zusammenhang östOGH v. 26.1.2017 – 2 Ob 50/165, IPRax 2017, Heft 3, XIII; zur Frage einer Aufspaltung des nach dem Übereinkommen anwendbaren Rechts außerdem östOGH v. 17.12.2019 – 2 Ob 147/19k. 171 Der aktuelle Ratifikationsstand des Übereinkommens ist einzusehen unter: http://www.hcch.net/index_de. php?act=conventions.status&cid=81#nonmem. 172 Siehe Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht18 (2016) Nr. 100 Fn. 2.
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen sionsrechts (Art. 24 Rom II-VO).173 Mit Blick auf die kritikwürdige Mehrspurigkeit des Kollisionsrechts im Binnenmarkt, die damit einhergehende Möglichkeit des forum shopping174 sowie die Schwächen jenes Übereinkommens erscheint es daher angebracht, den Vorrang der Rom II-VO sicherzustellen.175 31
Von der Möglichkeit des Geschädigten eine Direktklage am Heimatforum zu erheben, sind die prozesstaktischen Erwägungen zu unterscheiden, die einer solchen Vorgehensweise zugrunde liegen sollten.176
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So können die Gerichte – wie auch in dem Vorabentscheidungsersuchen des BGH – ausländisches Sachrecht zu ermitteln177, zu interpretieren und anzuwenden haben. Mithin könnte eine schnelle Beurteilung des Rechtsstreits gefährdet sein. Aus dem Blickwinkel des Geschädigten ist zu beachten, dass allein bei einem inländischen Verfahren der ErwGr. 33 Rom II-VO sowie eine ordre public-Kontrolle nach Art. 26 Rom II-VO eingreifen. Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung von materiellen und prozessualen Bestimmungen. Für Letztere gilt nicht die Rom II-VO, sondern das Prinzip der lex fori. Schadenspositionen als solche, wie etwa Mietwagenkosten oder Nutzungsausfall bzw. (Angehörigen-)Schmerzensgeld178, unterfallen wohl dem Sachrecht. Dies folgt aus Art. 15 Rom II-VO. Zweifelhaft erscheint indes die Qualifikation von §§ 286179, 287 ZPO180. Virulent wird diese Frage, wenn der Unfall an sich einem ausländischen Erfolgsortrecht untersteht, dessen ungeachtet aber ein hiesiges Gericht etwaige Kosten und damit Schäden nach Maßgabe von § 287 ZPO schätzen will. Weitere Abgrenzungsfragen ergeben sich dadurch, dass etwa Art. 145 und 148 Codice delle assicurazioni im italienischen Recht als Prozessvoraussetzungen die außergerichtliche Geltendmachung sowie die Einhaltung einer Friedenspflicht vorsehen.181 Ferner wurde am 10.11.2014 von der italienischen Regierung das Gesetz Nr. 162 erlassen, welches seit dem 9.2.2015 im Anschluss an das förmliche Regulierungsverfahren zusätzlich ein besonderes anwaltliches Streitschlichtungsverfahren „negoziazione 173 Der Sachnormverweis gilt auch dann, wenn in ein Sachrecht eines Mitgliedstaates verwiesen wird, in welchem das Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht auf der Ebene des IPR maßgeblich ist; siehe hinsichtlich Luxemburg: LG Frankenthal v. 14.4.2011 – Az. 4 O 155/09. 174 Angesichts der Tatsache, dass für den Direktklagegerichtsstand der Zeitpunkt der Klageerhebung maßgeblich ist, kann das Opfer durch einen Wohnsitzwechsel das Kollisionsrecht sowie das in der Sache anwendbare Recht beeinflussen. 175 Ausführlich Staudinger, FS Kropholler (2008) 691 ff.; ebenso die Empfehlung des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstages (Goslar, 28.1.–31.1.2009), abrufbar unter: http://www.deutsche-verkehrsakademie.de/images/sto ries/pdf/empfehlungen_47vgt.pdf; a.A. Rudolf, ZVR 2008, 528, 532. 176 Siehe zu prozesstaktischem Vorgehen und insbesondere der Anspruchsaufspaltung auf verschiedene Verfahren Buse, DAR 2020, 2 ff.; allgemein zur grenzüberschreitenden Unfallregulierung in der EU: Griebenow, NZV 2009, 21 f.; Riedmeyer, AnwBl. 2008, 17 ff.; Riedmeyer, FS Müller (2009) 473 ff.; Staudinger/Czaplinski, NJW 2009, 2249 ff.; Tomson, EuZW 2009, 204 ff.; zur Entschädigung des Unfallopfers bei internationalen Verkehrsunfällen: Huber, SVR 2009, 9 ff.; beachte ferner sämtliche Länderberichte im MünchKommStVR, Band 3. 177 Zur Ermittlung ausländischen Rechts im Lichte des § 293 ZPO: BGH v. 9.2.2017 – V ZB 166/15, IPRax 2019, 258 = DNotZ 2017, 702 f.; BGH v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, IPRax 2017, 517 = NJW 2014, 1244 ff.; BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, IPRax 2014, 431 = NJW 2013, 3656 ff.; OLG Oldenburg v. 1.6.2017 – 11 U 7/17, VersR 2018, 605 ff.; OLG München, DAR 2017, 269 ff. 178 Hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes (oftmals orientiert am durchschnittlichen Lebensstandard der Bevölkerung) sowie der Frage, ob und inwieweit Angehörige ein Anspruch auf immateriellen Schadensersatz zusteht, ergeben sich erhebliche Divergenzen. Siehe zu Schmerzensgeldansprüchen bei Verkehrsunfällen mit europäischem Auslandsbezug Häcker, DAR-Extra 2013, 758 ff. 179 Nach Ansicht des AG Geldern, DAR 2011, 210 ff. erstreckt sich der Verweisungsbefehl von Art. 18, 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO auch auf den Anscheinsbeweis; hierzu Staudinger sowie zur Vorlagepflicht dieser offenen und entscheidungserheblichen Frage, DAR 2011, 231 ff. und, NJW 2011, 650 ff.; a.A. auf die lex fori abstellend: LG Saarbrücken v. 11.5.2015 – 13 S 21/15, IPRax 2015, 567 = NJW 2015, 2823 ff. Aus deutschem Blickwinkel BGH v. 13.12.2011 – VI ZR 177/10, VersR 2012, 248 ff. 180 Das LG Saarbrücken v. 9.3.2012 – 13 S 51/11, IPRax 2014, 180 ff. hat § 287 ZPO bei der Schadensbemessung für einen Schadensersatzanspruch in Folge eines Verkehrsunfalls, der französischem Sachrecht unterliegt, für anwendbar erklärt. Siehe dazu Eichel, IPRax 2014, 156. 181 Siehe dazu MünchKommStVR/Buse, Italien Rz. 97 ff.; ferner zur Regulierung von Verkehrsunfällen nach italienischem Recht Buse, DAR 2016, 557 ff.; überdies zum Schadensersatz für den Verlust des menschlichen Lebens in Italien Buse, ZVR 2016, 423 ff.; zum sog. biologischen Schaden im italienischen Recht Buse, DAR 2017, 561 ff.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
assistita“ bei Verkehrsunfällen vorsieht und mit einem Vollstreckungstitel abschließt. Die Direktklage darf demnach erst erhoben werden, wenn der Versicherer die außergerichtliche Streitbeilegung verweigert, innerhalb von dreißig Tagen keine Erklärung abgibt oder nach drei Monaten keine Schlichtung erzielt werden konnte. Deutsche Gerichte unterliegen im Rahmen der Direktklage derartigen Vorgaben nicht automatisch, selbst wenn etwaige Ansprüche aus dem Unfall dem italienischen Erfolgsortrecht unterstehen.182 Sofern sich nämlich die Zielsetzung eines Prozesserfordernisses in der Justizentlastung erschöpft, ist ein Spruchkörper in Deutschland nur vergleichbaren Vorgaben in seiner lex fori unterworfen. Oftmals verfolgen derartige Prozessvoraussetzungen daneben allerdings auch andere Zwecke wie etwa die Kostenreduktion zugunsten der beteiligten Parteien. Letztlich obliegt die Abgrenzung von Sach- und Verfahrensrecht und damit die Reichweite der Rom II-VO dem Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung. 6. Zustellung an den inländischen Schadensregulierungsbeauftragten Fraglich war lange Zeit, ob die Klageschrift auch dem inländischen Schadensregulierungsbeauftragten des Haftpflichtversicherers zugestellt werden darf. Es handelte sich dann um eine Inlandszustellung nach den nationalen Verfahrensvorschriften, so dass auch eine Übersetzung der Klageschrift entbehrlich wäre.183 Einen Anhaltspunkt für die Zulässigkeit bietet Art. 21 Abs. 5 der kodifizierten Kraftfahrzeughaftpflicht-RL, wonach der Schadensregulierungsbeauftragte über genügende Befugnisse verfügen muss, um das Versicherungsunternehmen bei der Abwicklung von Verkehrsunfällen zu vertreten. Demzufolge könnte er als Zustellungsbevollmächtigter gem. § 171 S. 1 ZPO anzusehen sein, wenn die ihm nach der Richtlinie zu erteilende Vollmacht auch zur Entgegennahme von gerichtlichen Zustellungen ermächtigt.184 Dafür spricht jedenfalls, dass der Schaden nach ErwGr. 34 Kraftfahrzeughaftpflicht-RL in einer dem Unfallopfer vertrauten Weise reguliert werden soll. Dieses ist mithin so zu stellen, wie es bei einem Verkehrsunfall mit einem in seinem Heimatstaat versicherten Fahrzeug stünde.185 Der EuGH hat entschieden, dass zu den Befugnissen eines Schadensregulierungsbeauftragten die Vollmacht gehören muss, gerichtlich zugestellte Schriftstücke rechtswirksam entgegenzunehmen. Es handelt sich dabei um solche Schriftstücke, die für die Einleitung eines Verfahrens zur Regulierung eines Unfallschadens erforderlich sind186.187 Die Richtlinienvorgabe ist in 182 Im Lichte von Art. 18 RL 2009/103/EG kommt Art. 11 Abs. 2 Brüssel I-VO i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO (entspricht Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO) auch bei einer isolierten Klage gegen den Haftpflichtversicherer zur Anwendung, und zwar ungeachtet der Friedenspflicht nach Art. 144 Codice delle assicurazioni (Vorgängervorschrift von Art. 145 und 148 des Codice delle assicurazioni): OLG Nürnberg v. 10.4.2012 – 3 U 2318/11, NJW-RR 2012, 1178, AG Köln, DAR 2014, 470; s. dazu auch Staudinger, DAR 2014, 486; Gebauer, IPRax 2015, 331 ff.; zu deutsch-italienischen Verkehrsunfällen Gebauer, Jahrbuch für italienisches Recht 27 (2014) 57. 183 Zur Auslandszustellung nach der EG-ZustellVO s. Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 5; zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nach § 184 Abs. 1 ZPO: BGH v. 5.5.2008 – X ZB 36/07, NJW-RR 2008, 1082 f. 184 Diese Frage verneinend KG, NJW-RR 2008, 1023; ebenfalls OLG Saarbrücken v. 9.2.2010 – 4 U 449/09, IPRax 2012, 157 ff.; dazu kritisch Fucks, IPRax 2012, 140; LG Saarbrücken v. 20.1.2011 – 13 T 11/10; abweichend AG Achern, DAR 2010, 476; der BGH v. 7.12.2010 – VI ZR 48/10, NJW-RR 2011, 417 lässt die Streitfrage offen und sieht von einer Vorlage an den EuGH ab. Für die Möglichkeit einer Zustellung an den Schadensregulierungsbeauftragten sprach sich der 47. Deutsche Verkehrsgerichtstag (Goslar, 28.1.–31.1.2009) in seinen Empfehlungen aus, abrufbar unter: http://www.deutsche-verkehrsakademie.de/images/stories/pdf/empfehlun gen_47vgt.pdf. Aus dem Schrifttum ebenso: Riedmeyer, FS Müller (2009) 473, 488 f. 185 Abgrenzend nach Erwerbs-, Unterhaltsschaden sowie Schmerzensgeld Luckey, SVR 2014, 361, 369 f. 186 EuGH v. 10.10.2013 – C-306/12, ECLI:EU:C:2013:650 – Spedition Welter GmbH vs. Avanssur SA, NJW 2014, 44 ff.; hierzu Riedmeyer/Bouwmann, NJW 2015, 2614, 2615; beachte die Anschlussentscheidung des LG Saarbrücken v. 22.6.2012 – 13 S 12/12. In der abzulehnenden Entscheidung Nr. 10124 vom 18.5.2015 hielt der italienische Kassationshof den Schadensregulierungsbeauftragten aufgrund des Art. 153 Codice delle Assicurazioni private sogar für passivlegitimiert, siehe dazu die überzeugende Kritik von Buse, DAR 2015, 484 ff. Der EuGH urteilte allerdings, dass der Schadensregulierungsbeauftragte nach Art. 4 der Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie nicht passivlegitimiert sei, den Versicherer also nicht als Anspruchsgegner ersetze, sondern die Rolle eines bloßen Vermittlers einnehme, EuGH v. 15.12.2016 – C-306/15, ECLI:EU:C:2016:957, IWRZ 2017, 77. 187 Es empfiehlt sich, diese begrüßenswerte Möglichkeit der Zustellung aus Gründen der Transparenz in der nächsten Kraftfahrzeughaftpflicht-RL zu verankern.
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen das nationale Prozessrecht hineinzulesen. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung schließt dabei die Rechtsfortbildung ein. Der bevorstehende Ausstieg des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union wird wohl auch mit Blick auf die Zustellung an den Schadensregulierungsbeauftragten folgen haben. Da Art. 21 Abs. 5 der sechten Kraftfahrzeughaftpflicht-RL allein gegenüber Mitgliedstaaten Geltung beansprucht, wäre die erfolgreiche Zustellung an einen in Deutschland ansässigen Regulierer einer britischen Assekuranz nach dem Brexit188 jedenfalls nicht mehr gewährleistet. Es bleibt indes abzuwarten, ob und inwieweit das Königreich mit der Union in puncto Haftpflichtversicherungsrecht Übereinkünfte für die Zukunft trifft. 34
Zweifelhaft erscheint zudem, ob der Schadensregulierungsbeauftragte eine Niederlassung189 i.S.v. Art. 13 Abs. 2 Kraftfahrzeughaftpflicht-RL i.V.m. Art. 10, 7 Nr. 5 Kraftfahrzeughaftpflicht-RL darstellt und es sich um eine Streitigkeit aus ihrem Betrieb handelt. Fungiert eine bereits bestehende Zweigniederlassung als Schadensregulierungsbeauftragter,190 mag tatbestandlich eine Niederlassung i.S.d. Art. 7 Nr. 5 Kraftfahrzeughaftpflicht-RL vorliegen.191 Ob allerdings die Tätigkeit des Schadensregulierungsbeauftragten den strengen Anforderungen des EuGH genügt,192 den dieser an das Merkmal der Betriebsbezogenheit stellt, erscheint zweifelhaft.193 Gegen die Annahme eines Gerichtsstandes nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VOi.V.m. Art. 10 Brüssel Ia-VO, Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO scheinen der ErwGr. 38 Kraftfahrzeughaftpflicht-RL194 sowie Art. 21 Abs. 6 Kraftfahrzeughaftpflicht-RL195 der RL zu sprechen, die in Deutschland teilweise in § 7b Abs. 3 S. 4 VAG übernommen wurden. Folgt man dieser Einschätzung,196 dann vermag die drohende Schutzlücke allein Art. 13 Abs. 2 Brüssel IaVO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO zu schließen. Der EuGH hat jedenfalls in dem Zusammenhang festgelegt, dass die geltende Kraftfahrzeughaftpflicht-RL nicht zur nationalen Regelung einer Direktklagemöglichkeit des Geschädigten gegen den Schadensregulierungsbeauftragten zwingt. Der Gerichtshof legte Art. 4 Kraftfahrzeughaftpflicht-RL dahingehend aus, dass dieser die Mitgliedsstaaten in der Hinsicht gerade nicht verpflichte.197
188 Zu den Auswirkungen des Ausscheidens des Vereinigten Königreiches auf die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO beachte Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 7b ff.; ferner mit Blick auf die gesamte Entwicklung Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 6h. 189 Zum Begriff vgl. Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 156 f. 190 Vgl. auch BT-Drucks. 14/8770, 2: „Die überwiegende Mehrzahl der Versicherer wird dabei aufgrund der Internationalisierung ihres Geschäfts auf vorhandene Strukturen und Kooperationen im europäischen Ausland zurückgreifen können.“ 191 So Rudisch, ZVR 1998, 219, 234; vgl. auch Looschelders, NZV 1999, 57, 60; a.A. Fuchs, IPRax 2001, 425, 426. 192 Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 161 ff. 193 Vgl. hierzu: Lemor, NJW 2002, 3666, 3668; Lemor, DAR 2001, 540, 542; Looschelders, NZV 1999, 57, 60; Riedmeyer, FS Müller (2009) 473, 482; Rudisch, ZVR 1998, 219, 234 hält das Merkmal entgegen den zuvor genannten Autoren für erfüllt. Der nationale Gesetzgeber geht offenbar davon aus, dass Konstellationen denkbar sind, in denen dem Geschädigten ein Gerichtsstand in seinem Wohnsitzstaat eröffnet wird. So in BT-Drucks. 14/8770, 11: „Weiterhin soll durch die Tätigkeit des Schadensregulierungsbeauftragten allein noch kein Gerichtsstand begründet werden. Nur wenn aus anderen Gründen ein Gerichtsstand gegeben ist, etwa weil der Versicherer eine Zweigniederlassung mit der Tätigkeit des Schadensregulierungsbeauftragten betraut hat, kann also ein Geschädigter auch in seinem Wohnsitzstaat gerichtlich gegen den Versicherer vorgehen.“ Zweifelhaft ist, ob der Gesetzgeber bei diesen Ausführungen das Merkmal der Betriebsbezogenheit hinreichend berücksichtigt hat. 194 „Die Tätigkeiten der Schadensregulierungsbeauftragten reichen nicht aus, um einen Gerichtsstand im Wohnsitzmitgliedstaat des Geschädigten zu begründen, wenn dies nach den Regelungen des internationalen Privatund Zivilprozessrechts über die Festlegung der gerichtlichen Zuständigkeiten nicht vorgesehen ist.“ 195 „Die Benennung eines Schadensregulierungsbeauftragten stellt für sich allein keine Errichtung einer Zweigniederlassung i.S.v. Art. 1 Buchstabe b) der RL 92/49/EWG dar, und der Schadensregulierungsbeauftragte gilt nicht als Niederlassung gem. Art. 2 Buchstabe c) der RL 88/357/EWG oder als Niederlassung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 44/2001.“ 196 Wie hier Czernich/Kodek/Mayr/Heiss, Art. 13 Rz. 6. 197 EuGH C-588/15 Vieira de Azevedo, EuZW 2017, 935 ff.; zur Frage, ob das Grüne-Karte-Büro auch bei Zahlung durch Schadensregulierer Leistender sein kann OLG Hamm v. 6.4.2017 – 24 U 110/16, VersR 2018, 53 f. m. Anm. Kunz 54 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
Nicht unter die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO fallen indes Klagen gegen solche Einrichtungen, welche die Ansprüche der Geschädigtenseite als auszahlende Stellen des gegnerischen Haftpflichtversicherers regulieren.198 7. Vollstreckungsmöglichkeiten Eine Zeitverzögerung könnte sich ferner aus der Notwendigkeit einer Vollstreckung der Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat ergeben. Die auf die Direktklage hin ergehende Entscheidung im Erst- ist gegen den Versicherer regelmäßig mangels Vermögensbelegenheit in dessen Wohnsitzstaat zu vollstrecken. Im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO erforderte dies vom Grundsatz her eine Vollstreckbarerklärung (Exequatur) der ausländischen Entscheidung. Hierfür sah der Gemeinschaftsgesetzgeber in den Art. 38 ff. Brüssel I-VO (ebenso im Parallelabkommen mit Dänemark sowie dem LugÜbk 2007) ein verschlanktes Exequaturverfahren vor. Nach der Reform ist gem. Art. 39 Brüssel Ia-VO eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung, die dort vollstreckt werden kann, ipso iure in jedem anderen Mitgliedstaat vollstreckbar. Der Gläubiger muss lediglich nach Art. 42 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bei der jeweils zuständigen Behörde des ersuchten Mitgliedstaats die beweiskräftige Entscheidung (lit. a) sowie eine nach Art. 53 Brüssel Ia-VO vom Ursprungsgericht ausgestellte Bescheinigung (lit. b) vorlegen. Infolge der Anpassung des Parallelabkommens mit Dänemark199 gilt dies auch im Bezug auf diesen Staat.
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Dem Opfer steht alternativ der Weg offen, einen Antrag an das Ursprungsgericht zu stellen, um die über eine unbestrittene Forderung ergangene Entscheidung als Europäischen Vollstreckungstitel nach Maßgabe der EG-VollstrTitelVO bestätigen zu lassen.200 Dies hat den Vorzug, dass bspw ein (vorläufig vollstreckbares) Versäumnisurteil (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. c EG-VollstrTitelVO) gegen den EG-ausländischen Haftpflichtversicherer ohne vorheriges Exequaturverfahren unmittelbar vollstreckt werden kann. Im Ergebnis erlangt damit das Urteil des EuGH vom 13.12.2007 auch an dieser Stelle Bedeutung (vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. b EG-VollstrTitelVO). Eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel hängt schließlich davon ab, dass laut Art. 12 Abs. 1 EG-VollstrTitelVO bestimmte verfahrensrechtliche Erfordernisse eingehalten worden sind. Dies betrifft insbesondere die Zustellung. Im Lichte der EuGH Entscheidung Spedition Welter GmbH/Avanssur SA201 ist die Zustellung an den Schadensregulierungsbeauftragten mit den Mindestanforderungen in Art. 15 EG-VollstrTitelVO vereinbar.
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Seit dem 1.1.2009 gilt die europäische Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige 37 Forderungen (EG-BagatellVO).202 Es handelt sich um ein gemeinschaftsrechtliches Erkenntnisverfahren in grenzüberschreitenden Sachverhalten. Bei einer Forderung, deren Wert ohne Zinsen, Kosten und Auslagen im Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens 2000 t (Art. 2 EG-BagatellVO) nicht überschreitet,203 kann ein Verkehrsunfallopfer in einem sehr vereinfachten, in der Regel schriftlichen Verfahren ohne Anwaltszwang (Art. 10 EG-BagatellVO) schnell und kostengünstig einen Titel gegen den im Ausland wohnhaften Schädiger bzw. dessen dortigen Haftpflichtversicherer vor dem zuständigen Gericht erwirken (Art. 3 EG-BagatellVO). Mithin kommt der EuGH-Judikatur auch an dieser Stelle Bedeutung zu. Erleichterungen ergeben sich beispielsweise durch die Standardisierung der Klageerhebung mit Hilfe von Formblättern sowie die von dem Gericht veranlasste Zustellung durch Post198 Vgl. LG Darmstadt v. 13.10.2016 – 3 O 349/14, VersR 2017, 1149 f. m. Anm. Mankowski, 1150 f.; hierzu auch Looschelders, IPRax 2018, 360 ff. Im Ausgangsfall regulierte eine polnische Entschädigungsstelle den streitgegenständlichen Verkehrsunfall und fungierte dabei als auszahlende Stelle des Haftpflichtversicherers auf Schädigerseite. 199 ABl. EU 2013 L 79/4. 200 Vgl. hierzu Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 6a; s. auch die Bearbeitung bei Papst in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2015), EG-VollstrTitelVO (Band II). 201 EuGH v. 10.10.2013 – C-306/12, ECLI:EU:C:2013:650, NJW 2014, 44; s. auch Rz. 33. 202 Vgl. hierzu Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 6c; s. auch die Bearbeitung von Varga in Band 2 sowie Kotzur, GPR 2014, 98; zum Kommissionsvorschlag KOM (2013) 794 endg hinsichtlich einer Reform der EU-Mahn-und EU-Bagatellverordnung und der Erhöhung der Streitwertgrenze von 2.000 t auf 10.000 t: Huber, GPR 2014, 242 ff. 203 Zweifelhaft ist insoweit, ob die Anwendbarkeit der Verordnung durch teilweise Geltendmachung einer Gesamtforderung herbeigeführt werden kann; hierzu: Brokamp, Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen (2008) 13 f.
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Art. 13 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand bei Haftpflichtklagen dienste mit Empfangsbestätigung (Art. 5 Abs. 2 S. 2, Art. 13 Abs. 1 EG-BagatellVO). Der Titel ist dann im anderen Mitgliedstaat ohne vorangehendes Exequatur direkt vollstreckbar (Art. 20 Abs. 1 EG-BagatellVO).204
III. Streitverkündung (Abs. 3) 38
Nach Abs. 3 erstreckt sich die Zuständigkeit des Direktklagegerichts auch auf den Versicherungsnehmer und/oder den Versicherten als Streitverkündungsempfänger.205 Die Vorschrift dient der Verfahrenskonzentration und soll der Gefahr widersprechender Entscheidungen begegnen.206 Ferner bezweckt Abs. 3 den Schutz des Versicherers vor betrügerischen Machenschaften.207 Voraussetzung ist, dass das Institut der Streitverkündung bekannt ist, und zwar – so eine Ansicht – in dem auf die Direktklage anwendbaren Recht.208 Hiernach würde die durchzusetzende lex causae nicht an prozessualen Schranken scheitern.209 Bei einer verfahrensrechtlichen Qualifikation, die vorzugswürdig erscheint,210 entscheidet hingegen die lex fori des für die Hauptklage angerufenen Gerichts211 (in Deutschland: §§ 72 ff. ZPO).212 Zu beachten ist ferner die Sonderregel in Art. 65 Brüssel Ia-VO.
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Der Direktklagegerichtsstand gem. Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel IaVO eröffnet weder zugunsten des Unfallopfers noch des Versicherers einen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs i.S.d. Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO.213 Dies folgt aus Art. 10.214 Der Unfallverursacher wird demzufolge ohne stillschweigende Prorogation nicht am Forum der Direktklage gerichtspflichtig. In Folge der EuGH-Judikatur stellt sich jedoch die Frage, ob sich der Direktklagegerichtsstand auch gem. Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO auf den Versicherungsnehmer als Unfallverursacher erstreckt. In
204 Beachte hinsichtlich einer unbegründeten Klage gem. Art. 4 Abs. 4 S. 3 EG-BagatellVO AG Geldern v. 9.2.2011 – 4 C 4/11; zu einer geringfügigen Forderung im Rahmen der Fluggastrechte-VO s. AG Simmern/ Hunsrück, RRa 2012, 192. 205 Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 6. 206 Jenard-Bericht zu Art. 10 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 32. 207 Jenard-Bericht zu Art. 10 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 32. 208 Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 10 EuGVÜ Rz. 6; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 26. 209 Vgl. Grunsky, ZZP 89 (1976), 241, 257 ff. 210 Die materiell-rechtliche Qualifikation führt zu kaum überwindbaren praktischen Schwierigkeiten: Art. 18 Rom II-VO übernimmt zur Ermittlung des Direktklagestatuts die schon aus Art. 40 Abs. 4 EGBGB bekannte alternative Anknüpfung an das Delikts- oder Versicherungsvertragsstatut. Sehen nun beide die Streitverkündung gegen den Versicherungsnehmer vor, bliebe offen, welches Recht im Ergebnis Anwendung findet. Auch das Günstigkeitsprinzip hilft dann nicht weiter. Das Verfahrensrecht kann aber nicht einfach in das Belieben des Gerichts gestellt werden. Darüber hinaus droht abhängig vom jeweiligen Staat auch eine unterschiedliche IPR-Anknüpfung nach Maßgabe des Art. 18 Rom II-VO, Haager Straßenverkehrsübereinkommens oder dänischen IPR’s. Der Vorteil einer verfahrensrechtlichen Qualifikation besteht somit darin, dass das auf die Streitverkündung anwendbare Recht für den beklagten Versicherungsnehmer im hohem Maße vorhersehbar ist und lediglich das maßgebliche Sach-, nicht aber Kollisionsrecht divergieren kann. 211 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 25 ff.; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 5; Wagner in Stein/Jonas Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 14, 18; hingegen für eine Doppelqualifikation Kropholler/von Hein, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 5. 212 Zu Art. 10 Abs. 3 EuGVÜ wird zum Teil vertreten (Kropholler in Max-Planck-Institut [Hrsg.], Hdb. IZVR I Rz. 753), dass die Streitverkündung nach dem maßgeblichen Recht in concreto zulässig sein muss. Dies bedeutet, dass es nicht genügt, wenn die lex fori das Institut der Streitverkündung nur abstrakt kennt. Bei einer Klage in Deutschland erscheint das unproblematisch, da es nach § 72 Abs. 1 ZPO ausreichend ist, wenn der Versicherer im Falle eines ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits gegen den Geschädigten berechtigterweise davon ausgehen darf, einen Rückgriffsanspruch gegen den Versicherungsnehmer zu haben. Ob ein Rückgriffsanspruch tatsächlich besteht, ist demgegenüber eine Frage der Begründetheit. Eine andere Betrachtung könnte indes geboten sein, wenn das Prozessrecht des Forums für die Zulässigkeit der Streitverkündung verlangt, dass der Rückgriffsanspruch tatsächlich besteht. Entscheidet man sich aber dazu, die Streitverkündung verfahrensrechtlich zu qualifizieren, so ist ausnahmsweise die Begründetheit der Klage schon eine Frage der internationalen Zuständigkeit gem. Art. 11 Abs. 3 Brüssel I-VO/Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO und damit eine solche der Zulässigkeit. 213 Beachte hierzu bereits Rz. 16. 214 Vgl. Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 7.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 13 Brüssel Ia-VO
persönlicher Hinsicht erfasst Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO dem Wortlaut nach auf Beklagtenseite grds. sowohl Klagen gegen den Versicherungsnehmer als auch gegen den Versicherten. Fraglich bleibt indes, zu wessen Gunsten die internationale Zuständigkeit gem. Art. 13 Abs. 3 Brüs- 40 sel Ia-VO eröffnet ist. Aus der Bezugnahme auf die Streitverkündung wird nämlich nicht ersichtlich, wer als Streitverkünder im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden soll. Dabei kann es nicht nur aus der Sicht des Versicherers, sondern auch aus jener des Geschädigten sinnvoll sein, dem Versicherungsnehmer den Streit zu verkünden. Dies etwa, wenn bestimmte Haftungshöchstgrenzen der auf den Direktanspruch anwendbaren lex causae überschritten sind und der Geschädigte sich allein bei dem Versicherungsnehmer schadlos halten kann. Ein Umkehrschluss zu Art. 14 Brüssel Ia-VO, dessen Regelungen zur internationalen Zuständigkeit für Klagen des Versicherers unter dem Vorbehalt des Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO stehen, legt jedoch nahe, dass Streitverkünder der Versicherer sein muss. Diesem Verständnis folgt offenbar auch ein Teil der Literatur,215 die sich in diesem Zusammenhang auf den Jenard-Bericht216 zum im Wortlaut weitgehend ähnlichen Art. 10 Abs. 3 EuGVÜ stützen kann. Mit Blick auf den Schutzzweck von Art. 10 Abs. 3 EuGVÜ und Art. 13 Abs. 3 Brüssel IaVO217 dienen die Vorschriften den Interessen des Versicherers, was dafür spricht, nicht auch noch dem Geschädigten durch Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO einen zusätzlichen Gerichtsstand zu eröffnen, zumal der Versicherungsnehmer anders als der Versicherer im Grundsatz kompetenzrechtlich schutzwürdig ist. Kann der Versicherer im Wohnsitzstaat des Geschädigten gegen seinen Versicherungsnehmer klagen, 41 sofern dort die Direktklage anhängig ist, stellt sich die Frage, ob dieses Ergebnis aus Wertungsgesichtspunkten einer teleologischen Reduktion bedarf.218 Zwar betont eine Ansicht, dass die Schutzwürdigkeit des Versicherungsnehmers nur gegenüber dem Versicherer bestehe und Letzterem in diesem Verhältnis bei einer Direktklage am Wohnsitz des Geschädigten keine Vorteile zukämen;219 eine Korrektur der Norm sei daher abzulehnen.220 Zudem solle eine Norm, die das Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer betreffe, keine hinreichende Grundlage für die Beschneidung der Privilegierung des Geschädigten darstellen.221 Gleichwohl müsste Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO zufolge der durch den Unionsrechtsakt besonders geschützte Versicherungsnehmer den Prozess außerhalb seines Heimatstaates führen. Dieser Umstand ist für den Versicherungsnehmer in hohem Maße unvorhersehbar und birgt, wenn andere Gemeinschaftsrechtsakte wie die EG-VollstrTitelVO oder die EG-MahnVO in den Blick genommen werden, die Gefahr, dass sich der Versicherer die Zuständigkeitsordnung der Brüssel Ia-VO gezielt zum Nachteil des Versicherungsnehmers zu Nutze macht, indem er die Anwendbarkeit des Internationalen Privatrechts (Rom II-VO oder Haager Straßenverkehrsübereinkommen bzw. dänisches Kollisionsrecht) und folglich mittelbar des Sachrechts steuert. Während Stimmen in der Literatur diesen Umstand daher bereits als Argument gegen den Klägergerichtsstand bei einer Direktklage des Geschädigten heranzogen,222 lehnte der EuGH diese Auffassung ab.223 Die endgültige Klärung dieser gesonderten Streifrage obliegt letztlich allein dem Gerichtshof. Eine Korrektur würde zudem keinesfalls dazu führen, dass der Verweis in Art. 14 Abs. 1 Brüssel IaVO auf Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO leer läuft und ebenso wenig die zuletzt genannte Vorschrift auf Null reduziert wird. Zur Illustration mag die Konstellation dienen, dass ein deutsches Opfer eines Verkehrsunfalls in Italien zunächst den italienischen Versicherer vom italienischen Fahrer und Halter des Unfallwagens nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. a, b Brüssel Ia-VO oder 215 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 22 ff.; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 26; Looschelders, ZZPInt 12 (2007) 247, 249. 216 Hiernach „kann der Versicherer in dem Verfahren, das der Geschädigte gegen ihn anhängig gemacht hat, dem Versicherungsnehmer oder dem Versicherten den Streit verkünden.“; ABl. EG 1979 C 59/32. 217 Vgl. hierzu Rz. 38. 218 So Fuchs, IPRax 2008, 104, 107. 219 Vgl. in einem anderen Zusammenhang Thiede/Ludwichowska, VersR 2008, 631, 633. 220 Fricke, VersR 2009, 429, 434; Sujecki, EuZW 2008, 126, 127; ähnlich die stärkere Position des Versicherungsnehmers im Verhältnis zum Geschädigten betonend: Mumelter, ZVR 2009, 285, 290. 221 Looschelders, ZZPInt 12 (2007) 247, 249 f. 222 Fuchs, IPRax 2007, 302, 306; Heiss, VersR 2007, 327, 330; Thiede/Ludwichowska, VersR 2008, 631, 633. 223 Vgl. die Angaben in Rz. 7; kritisch insoweit Wasserer, ELR 2008, 143, 146.
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Art. 14 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand für Klage des Versicherers; Widerklage Art. 12 Brüssel Ia-VO verklagt und jener wiederum den Streit gem. Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO gegen den Versicherungsnehmer verkündet. Führt der Geschädigte den Prozess gem. Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO am Sitz des Versicherers, ist es für den Versicherungsnehmer i.S.d. ErwGr. 15 erwartbar, dort gerichtspflichtig zu werden. Denn auch nach den Wertungen der Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf der einen wie Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auf der anderen Seite224 wäre die Zuständigkeit italienischer Gerichte gegeben. Ebenfalls ist eine Streitverkündung am Gerichtsstand des Erfolgsorts nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel IaVO i.V.m. Art. 12 Brüssel Ia-VO bei einem beliebigen Unfallort in der EU für den Versicherungsnehmer vorhersehbar, da der Geschädigte ebenda laut Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO gegen ihn hätte klagen können. Befindet sich der Unfallort in seinem Heimatland, wären die italienischen Gerichte zuständig. Dieses Forum entspricht Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Lediglich im Mitgliedstaat des Geschädigten infolge der Streitverkündung eines Prozesses nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO gerichtspflichtig zu werden, liegt für ihn nicht im Rahmen des Erwartbaren, da er dort weder vom Geschädigten noch von der Versicherung isoliert verklagt werden kann. Angesichts dessen erscheint in dieser Konstellation eine teleologische Reduktion vorzugswürdig. 42
Weshalb eine Prorogationsabrede zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer keinerlei Wirkung zwischen diesen Beteiligten entfalten soll, ist nicht recht ersichtlich.225
Artikel 14 [Gerichtsstand für Klage des Versicherers; Widerklage] (1) Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 13 Absatz 3 kann der Versicherer nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats klagen, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, ohne Rücksicht darauf, ob dieser Versicherungsnehmer, Versicherter oder Begünstigter ist. (2) Die Vorschriften dieses Abschnitts lassen das Recht unberührt, eine Widerklage vor dem Gericht zu erheben, bei dem die Klage selbst gemäß den Bestimmungen dieses Abschnitts anhängig ist.
I. Gerichtsstand für Klagen des Versicherers 1
Der Versicherer (respektive dessen Rechtsnachfolger) kann nach Abs. 1 grundsätzlich nur vor den Spruchkörpern desjenigen Mitgliedstaates klagen, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte (etwa Versicherungsnehmer, Versicherter oder Begünstigter bzw. deren Rechtsnachfolger) beheimatet ist (Art. 62, 63 Brüssel Ia-VO). Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO entspricht Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und dient dem Schutz etwa des Versicherungsnehmers, indem dieser nicht außerhalb seines Wohnsitzstaates gerichtspflichtig wird. Entscheidend ist der Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung.1 Abs. 1 erfasst nach seiner ratio ebenso Versicherer, die keinen Sitz bzw. keine Niederlassung in einem Mitgliedstaat haben.2 Der Geschädigte ist in der Aufzählung der Beklagten nicht genannt. Es drängt sich mithin die Frage auf, ob dem gegnerischen Haftpflichtversicherer im Abschnitt 3 überhaupt eine Prozessführung gegen den Letztgenannten ermöglicht wird. Einen solchen Prozess umfasst dem Wortlaut nach keine der besonderen Vorschriften in Versicherungssachen. In der Konstellation, dass der Haftpflichtver224 Unterstellt, der Versicherer oder Geschädigte erhebt Klage gegen den Versicherungsnehmer als Schädiger. 225 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 24; Heiss, 105, 130 f.; so auch im Hinblick auf den Ausschluss der Streitverkündung zugunsten des Versicherten: Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 26; Geimer, FS Heldrich (2005) 627, 639; abweichend wohl Kropholler/von Hein, Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 6. 1 Jenard-Bericht zu Art. 11 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 33; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1. 2 Kropholler/von Hein, Art. 12 Brüssel I-VO Rz. 1.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 14 Brüssel Ia-VO
sicherer gerichtlich zu Unrecht gezahlte Beträge vom Geschädigten geltend macht, muss ihm aber gleichwohl eine solche Klage nach dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes sowie der Waffengleichheit im Lichte von Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO offen stehen. Der supranationale Gesetzgeber scheint diese Konstellation übersehen zu haben. Weiterhin lässt sich als systematisches Argument die europäisch normierte Belehrungspflicht aus Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO heranziehen. Demnach geht die Legislative davon aus, dass sich der Geschädigte in der Rolle des Beklagten befinden kann.3 Ebenfalls anzuführen ist im Rahmen des Abschnitts über die Anhängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren der Art. 31 Abs. 4 Brüssel Ia-VO, welcher den Geschädigten als Kläger nennt. Es bedarf der Anwendung von Art. 31 Abs. 4 Brüssel Ia-VO allerdings nur, wenn sich in dem bereits anhängigen Prozess dieselben Prozessparteien wegen desselben Anspruchs gegenüber stehen. Dabei kann es sich womöglich auch um eine vorherige Klage des Haftpflichtversicherers gegen den Geschädigten handeln. Für den spiegelbildlichen und daher vergleichbaren Fall der Direktklage des Geschädigten findet sich in Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eine Gesetzesanalogie. Aufgrund dieser Überlegungen erscheint es vorzugswürdig, einen Aktivprozess des Haftpflichtversicherers gegen den Geschädigten auf eine analoge Anwendung des Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu stützen.4 Sollte man eine solche Rechtsfortbildung ablehnen, muss jedenfalls über Art. 10 Brüssel Ia-VO ein Rückgriff auf Art. 4 Abs. 1 Brüssel IaVO eröffnet sein. Sollte dem Versicherer in dieser Konstellation die Klagemöglichkeit verwehrt werden, droht ein Verstoß gegen den unionsrechtlich anerkannten Grundsatz eines effektiven gerichtlichen Rechtschutzes, welcher auch in der Grundrechtecharta (EuGrCh)5 und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)6 festgeschrieben ist. Der Begriff Klage am allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ist nach seiner gram- 1a matikalischen und systematischen Auslegung im Lichte von Art. 29 und 30 Brüssel Ia-VO dahin zu verstehen, dass er sowohl eine Leistungs- als auch positive wie negative Feststellungsklage einschließt. Ebenso hat sich der Gerichtshof in der Kartellrechtssache Folien Fischer7 bezüglich des Deliktsgerichtsstands gem. Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO (entspricht Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) dafür ausgesprochen, dass eine Klage gerichtet auf die Feststellung des Nichtbestehens einer Haftung aus einer unerlaubten Handlung oder einer gleichgestellten Handlung dieser Vorschrift unterfällt. Jener Grundsatz ist im Lichte des ErwGr. 34 S. 2 Brüssel Ia-VO ebenfalls auf die Nachfolgerregelung des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zu übertragen. Der EuGH stützt seine Argumentation in der Ausgangsentscheidung vor allem darauf, dass dem Geschädigten über Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO (entspricht Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) kein Schutzgerichtsstand gegenüber dem Schädiger gewährt wird. Dies trifft gleichermaßen auf den Vertragsgerichtsstand zu, der keine Partei bevorteilt. Folglich kann nach Art. 7 Nr. 1 etwa lit. b Brüssel Ia-VO8 auch eine Klage gerichtet auf das Nichtbestehen eines Rechtsgeschäfts erhoben werden. Fehl geht jedoch die Annahme, eine negative Feststellungsklage scheide bei Schutzgerichtsständen wie im vorliegenden 3. Abschnitt von vornherein aus. Zum einen kann sie im Lichte der Rs. Folien Fischer nicht aufgrund der Tatsache abgelehnt werden, dass sie dem Opfer die Wahl eines anderen Gerichtsstandes versperre. Zum anderen liegt das besondere Privileg gerade darin, dass die schwächere Partei an ihrem Wohnsitz prozessieren kann. Dieser Schutzkonzeption wird gleichermaßen bei der
3 Sich diesem Argument mit dem Verweis auf die hiesige Kommentierung anschließend: Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 7. 4 So auch Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 7; die Maßgeblichkeit des Art. 12 Brüssel I-VO bei einem Prozess gegen den Geschädigten ablehnend: Cour de Cassation v. 27.2.2013 – 11-23.228; s. ausführlich zu der negativen Feststellungsklage des Haftpflichtversichers Staudinger, DAR 2014, 557 ff.; allgemein zu negativen Feststellungsklagen und Torpedos Sack, GRUR 2018, 893 ff. 5 ABl. EU 2007 C 303/1; zur Relevanz als Auslegungshilfe EuGH v. 27.2.2014 – C-470/12. 6 BGBl. 2010 II 1198 ff. 7 EuGH v. 25.10.2012 – C-133/11, ECLI:EU:C:2012:664 – Folien Fischer AG, Fofitec AG vs. Ritrama SpA, NJW 2013, 287; hierzu Gebauer, ZEuP 2013, 870; beachte auch die Nachfolgeentscheidung des BGH v. 29.1.2013 – KZR 8/10, GRUR-RR 2013, 228; s. auch OLG Bamberg, IHR 2013, 253, 257. 8 Siehe zur negativen Feststellungsklage über das Nichtbestehen eines Vertragshändlervertrags nach der Vorgängervorschrift Art. 5 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO: OLG Bamberg, IHR 2013, 253.
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Art. 14 Brüssel Ia-VO Gerichtsstand für Klage des Versicherers; Widerklage negativen Feststellungsklage9 des Haftpflichtversicherers am Wohnsitz des Geschädigten nach Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO analog genüge getan. Die soeben genannten Ausführungen lassen sich ebenfalls auf Zessionare als beklagte Partei ungeachtet ihrer Schutzwürdigkeit erstrecken.10 Dabei bildet der Wohnsitz des jeweiligen Rechtsnachfolgers den Bezugspunkt. Demnach ist die negative Feststellungsklage eines Haftpflichtversicherers gegen eine Sozialversicherung an ihrem Sitz gem. Art. 63 Brüssel Ia-VO sowie gegen einen Erben als potentiellen Beklagten an seinem Wohnsitz laut Art. 62 Brüssel Ia-VO zu erheben. Am Erfolgsort ist eine solche Prozessführung hingegen abzulehnen. Dies erforderte methodisch, die Art. 12 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und Art. 10 S. 1 Brüssel Ia-VO doppelt analog heranzuziehen. Unterstellt man hingegen im Lichte der Rs. SOVAG, der Abschnitt über Versicherungssachen gelange gar nicht erst zur Anwendung, erscheinen aus Sicht der Haftpflichtversicherung neben dem allgemeinen (Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) auch der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 2 Brüssel IaVO) als denkbare Alternative für eine solche negative Feststellungsklage.11 Die negative Feststellungsklage kann erhebliche Vorteile für den gegnerischen Haftpflichtversicherer mit sich bringen. Die internationale Zuständigkeit ist ausschlaggebend für das jeweilige IPR-System und hat folglich mittelbar Einfluss auf das am Ende anwendbare Sachrecht. Gerade hinsichtlich grenzüberschreitender Verkehrsunfälle sind in den Mitgliedstaaten unterschiedliche kollisionsrechtliche Systeme einschlägig.12 In Deutschland ist auf die Rom-VOen abzustellen, wohingegen die Vertragsstaaten des Haager Straßenverkehrsübereinkommens13 dieses vorrangig vor der Rom II-VO heranziehen und das Königreich Dänemark als einziger Mitgliedstaat auf sein eigenes IPR iRv außervertraglichen Schuldverhältnissen zurückgreift. Demnach dient eine negative Feststellungsklage, welche nach Art. 29 Brüssel Ia-VO eine Rechtshängigkeitssperre gegenüber konkurrierenden späteren Verfahren auslöst, auch der Sicherung eines günstigen Sachrechts.14 Des Weiteren kann der Klageort neben den Anwaltskosten, der Sprache, dem Prozessrecht und der Revisibilität noch Auswirkungen auf die jeweilige Ermittlung des Gerichts bei der Anwendung fremden Sachrechts haben. Deutsche Gerichte ergründen im Lichte von § 293 ZPO fremde Sachnormen von Amts wegen,15 während beispielsweise die englische Justiz auf Parteigutachten zurückgreift. 2
Die örtliche Zuständigkeit wird nicht durch Abs. 1 bestimmt, sondern richtet sich nach autonomem Recht,16 in Deutschland mithin nach den §§ 12 ff. ZPO sowie § 215 VVG17.
3
Nach Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO bleibt es dem Versicherer grds.18 unbenommen, dem Versicherungsnehmer oder Versicherten im Rahmen einer vom Geschädigten erhobenen Direktklage (Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO) den Streit zu verkünden.
4
Der Vorbehalt in Art. 10 Brüssel Ia-VO zugunsten der Art. 6 und Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO gilt einschränkungslos auch für Klagen gegen den Versicherungsnehmer, Versicherten sowie Begünstigten.19 9 Siehe detailliert zu der negativen Feststellungsklage des Haftpflichtversichers Staudinger, DAR 2014, 557 ff.; Staudinger, FS Jaeger, 2014, 437; allgemein zu negativen Feststellungsklagen und Torpedos Sack, GRUR 2018, 893 ff. 10 Siehe ausführlich Staudinger, DAR 2014, 557, 561. 11 Beachte hierzu Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 12 ff. 12 Hinsichtlich der unterschiedlichen Anknüpfungspunkte s. Czaplinski, Das Internationale Straßenverkehrsunfallrecht nach Inkrafttreten der Rom II-VO – Zur Kündigung des Haager Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht (2015). 13 Vertrags- und zugleich Mitgliedstaaten sind: Belgien, Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Slowakei, Slowenien, Spanien und Tschechien. Zu den teilnehmenden Drittstaaten zählen Bosnien und Herzegowina, Marokko, Mazedonien, Montenegro, Schweiz, Serbien, Ukraine und Weißrussland. 14 Detailliert dazu Staudinger, DAR 2014, 557, 577 f. 15 BGH v. 9.2.2017 – V ZB 166/15, IPRax 2019, 258 = DNotZ 2017, 702 f.; v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, IPRax 2017, 517 = NJW 2014, 1244 ff.; v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, IPRax 2014, 431 = NJW 2013, 3656 ff.; OLG Oldenburg v. 1.6.2017 – 11 U 7/17, VersR 2018, 605 ff.; OLG München, DAR 2017, 269 ff. 16 Jenard-Bericht zu Art. 11 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 33. 17 Siehe zu § 215 VVG Angaben in Art. 10 Fn. 8. 18 Zu der Frage, inwieweit Art. 13 Abs. 3 Brüssel Ia-VO zum Schutze des Versicherungsnehmers einer teleologischen Reduktion bedarf s. Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 41.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 15 Brüssel Ia-VO
Art. 14 Brüssel Ia-VO findet demzufolge keine Anwendung, wenn der Beklagte in einem Drittstaat beheimatet ist.20 Vielmehr greift Art. 6 Brüssel Ia-VO ein. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO eröffnet dem Versicherer die Möglichkeit, einen im Binnenmarkt domizilierten Prozessgegner vor dem Gericht des Mitgliedstaates zu verklagen, in dem dieser eine Zweigniederlassung etc. besitzt. Dies gilt allerdings nur unter der einschränkenden Voraussetzung, dass es sich um eine Streitigkeit aus deren Betrieb handelt. Schließlich können sich weitere Gerichtsstände aus zulässigen Prorogationsabreden nach Art. 15 i.V.m. Art. 25 Brüssel Ia-VO ergeben21 sowie durch eine rügelose Einlassung i.S.d. Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO22.
II. Widerklage Abs. 2 integriert die Vorschrift des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO in den 3. Abschnitt.23 Dadurch kann 5 der Versicherer Widerklage gegen den Versicherten24 an einem der in den Art. 10 bis 13 Brüssel IaVO aufgeführten Gerichtsstände erheben.25 Um einen Gleichklang mit Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO zu erzielen, ist Konnexität, also ein Sachzusammenhang mit der Klage, erforderlich.26 Abs. 2 gilt entgegen seiner systematischen Stellung innerhalb des Art. 14 Brüssel Ia-VO nicht nur für Klagen des Versicherers.27 Vielmehr steht auch dem Versicherungsnehmer, Versicherten und Begünstigten die Möglichkeit offen, Widerklage zu erheben.28 Die Vorschrift bestimmt gleichermaßen die internationale wie die örtliche Zuständigkeit. Abs. 2 steht abweichenden Gerichtsstandsvereinbarungen nicht entgegen.
Artikel 15 [Zulässige Gerichtsstandsvereinbarung] Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden, 1. wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird, 2. wenn sie dem Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen, 3. wenn sie zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben, getroffen ist, um die Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaats auch für den Fall zu begründen, dass das schädigende Ereignis im Ausland eintritt, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats nicht zulässig ist, 4. wenn sie von einem Versicherungsnehmer geschlossen ist, der seinen Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat hat, ausgenommen soweit sie eine Versicherung, zu deren Abschluss eine gesetz-
19 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 1, 9; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 12 Brüssel I-VO Rz. 1; Kropholler/von Hein, Art. 12 Brüssel I-VO Rz. 2; Musielak/Voit/Stadler, Art. 10 Rz. 3 und Art. 14 Rz. 1; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 7 EuGVÜ Rz. 2 und Art. 11 EuGVÜ Rz. 2; a.A. Franchi, Riv. dir. int. priv proc 1976, 712, 727. 20 Jenard-Bericht zu Art. 11 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 33. 21 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2. 22 Die rügelose Einlassung ist als stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung konzipiert, hierzu s. die Angaben bei Art. 26 Rz. 2. 23 Jenard-Bericht zu Art. 11 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 33. 24 Zur Klage des Versicherers gegen mehrere Beklagte – etwa Versicherungsnehmer und Versicherter – und mangelnden Anwendbarkeit des Art. 6 Nr. 1 und 2 Brüssel I-VO: Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 12 f. 25 Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 2. 26 Vgl. Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 41 f.; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 17; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 11 EuGVÜ Rz. 4. 27 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 23; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3. 28 Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 11 EuGVÜ Rz. 4.
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Art. 15 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandsvereinbarung liche Verpflichtung besteht, oder die Versicherung von unbeweglichen Sachen in einem Mitgliedstaat betrifft, oder 5. wenn sie einen Versicherungsvertrag betrifft, soweit dieser eines oder mehrere der in Artikel 16 aufgeführten Risiken deckt. I. Allgemeines und Zweck . . . . . . . . . . . . .
1
II. Zulässige Gerichtsstandsabreden . . . . . . . 1. Vereinbarung nach Entstehen der Streitigkeit (Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarung zugunsten des Versicherungsnehmers (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 4 5
3. Vereinbarung der Gerichtszuständigkeit bei gemeinsamem Wohnsitz oder Aufenthalt (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 4. Vereinbarung mit einem Versicherungsnehmer, der seinen Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat hat (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . 8 5. Versicherungen von „Großrisiken“, insb. Seeund Luftfahrtversicherungen (Nr. 5) . . . . . . 10
I. Allgemeines und Zweck 1
Art. 15 Brüssel Ia-VO enthält – vergleichbar den Art. 19 und 23 Brüssel Ia-VO – i.V.m. Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO eine Sonderregel für Gerichtsstandsabreden, um einer Umgehung der Schutzgerichtsstände im Wege der Prorogation vorzubeugen.1 Gerade in Versicherungssachen besteht die Gefahr, dass das Schutzniveau durch vorformulierte AVB unterlaufen wird.2 Gerichtsstandsvereinbarungen unterliegen den Formerfordernissen des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, soweit jene nicht durch Art. 15 Brüssel Ia-VO als lex specialis bzw. kraft Verweises auf das nationale Recht (vgl. Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO) modifiziert werden.3 Im Übrigen verbleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, wonach Gerichtsstandsvereinbarungen keine Wirkungen zu Lasten Dritter entfalten können.4 Zur intertemporalen Geltung der in der Brüssel Ia-VO vorgesehenen Pro- bzw. Derogationsschranken beachte deren Art. 66 Brüssel Ia-VO. Im Hinblick darauf, ob eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel in Betracht kommt, beachte Art. 6 Abs. 1 lit. b EG-VollstrTitelVO. Hinsichtlich des seit dem 1.10.2015 im Verhältnis zwischen der EU und Mexiko, Singapur sowie Montenegro geltenden Haager Gerichtsstandsübereinkommen ist die Deklaration der EU vom 11.6.2015 zu beachten, welche den Anwendungsbereich in Versicherungssachen einschränkt.5
1a
AVB enthalten oftmals Gerichtsstandsklauseln. Als Beispiel mag der Passus dienen: „Das Gericht am Wohnsitz des Versicherungsnehmers ist für jegliche Streitigkeiten aus diesem Vertragsverhältnis zuständig.“ Die Ausschließlichkeit einer solchen Prorogation ergibt sich aus der Vermutung des Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO. Eine derartige Abrede beschränkt die Wahlgerichtsstände des Versicherungsnehmers etwa aus Art. 11 und 12 Brüssel Ia-VO. Daher steht sie eigentlich im Widerspruch zu Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15 Nr. 1, 2 Brüssel Ia-VO. Fraglich erscheint, ob sich auch der Versicherer als Klauselsteller auf die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsklausel laut Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15 Brüssel Ia-VO berufen kann. Nach Maßgabe von Art. 15 Nr. 1, 2 Brüssel Ia-VO ist mit Vertragsschluss lediglich eine Erweiterung der Klagemöglichkeiten des Versicherungsnehmers gestattet, nicht hingegen eine Verkürzung. Ratio der Vorschrift ist demnach dessen Schutz sowie einseitige Begünstigung. Aufgrund dessen erscheint es überzeugend, dass sich allein der Versicherungsnehmer als Schutzadressat auf die Unwirksamkeit nach Art. 15 Nr. 1, 2 Brüssel Ia-VO berufen kann, nicht jedoch der Klauselsteller. Die einseitige Stoßrichtung dieses Schutzinstruments deckt sich mit der Belehrungspflicht des Gerichts nach Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Daher spricht für die hier vertretene Auffassung auch die Binnensystematik des Sekundärrechtsakts. Weitergehend lassen sich Beispiele im 1 Rauscher, IPR Rz. 2023; Schlosser/Hess/Schlosser, vor Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 12 EuGVÜ Rz. 1; vgl. auch ErwGr. 19 Brüssel Ia-VO. 2 Kropholler/von Hein, Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 1; Looschelders, IPRax 1998, 86, 87; Schlosser/Hess/Schlosser, vor Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Hausmann, Vor Art. 7 EuGVÜ Rz. 1 und Art. 12 EuGVÜ Rz. 1. 3 Musielak/Voit/Stadler, Art Rz. 1; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 12 EuGVÜ Rz. 2, 4. 4 Vgl. Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 5, 6, 11 sowie Art. 11 Brüssel Ia-VO Rz. 3. 5 Siehe ausführlich zum Übereinkommen Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 25.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 15 Brüssel Ia-VO
Europäischen Privatrecht finden, die gleichermaßen auf dem Prinzip der relativen Unwirksamkeit als Ausfluss einer einseitigen Schutzausrichtung basieren. So folgt aus Art. 7 der Verbrauchsgüterkauf-RL 1999/44/EG, dass der Mindeststandard des Sekundärrechtsakts halbzwingend ausgestaltet ist.6 Ebenso normiert Art. 6 der Klausel-RL, dass missbräuchliche Klauseln für den Unternehmer unverbindlich sein sollen.7 In der Gesamtschau sprechen Wortlaut, (übergreifende) Systematik sowie Sinn und Zweck dafür, dass sich das Versicherungsunternehmen als Klauselsteller nicht auf die Unwirksamkeit der vorformulierten Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber dem Versicherungsnehmer berufen kann. Dies überzeugt im Ergebnis, da eine derartige Klausel ihn zum Abschluss des Versicherungsvertrages motiviert haben und zumindest mitursächlich gewesen sein mag. In der Folge stellt sich die Frage, ob dies dem Versicherer gleichermaßen einem Zessionar (wie etwa eine Bank) gegenüber verwehrt ist, an welchen der Versicherungsnehmer seine Ansprüche abgetreten hat. Anders gewendet bleibt demnach zu prüfen, ob ein Versicherer auch gegenüber einem Zessionar an die Gerichtsstandsklausel gebunden wird. Nun ist im Ausgangspunkt festzuhalten, dass der Übertragungstatbestand für die Antwort sicherlich unerheblich erscheint. Es kommt mithin nicht darauf an, ob eine cessio legis oder rechtsgeschäftliche Abtretung vorliegt. Zu trennen ist die hier untersuchte Konstellation ferner von der Frage, ob sich der Zessionar auf einen Schutzgerichtsstand wie etwa Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO stützen kann. So können nicht schutzwürdige Abtretungsempfänger wohl nicht die gesetzlich normierten Gerichtsstände zugunsten von Versicherungsnehmern, Versicherten, Begünstigten oder Geschädigten geltend machen.8 Im vorliegenden Kontext beruft sich der Zessionar aber allein auf die vom Versicherer vorformulierte Gerichtsstandsabrede. Zu erörtern bleibt damit allein, ob sich der Versicherer als Klauselsteller der Bank gegenüber auf Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15 Nr. 1, 2 Brüssel Ia-VO stützen kann, um die Unwirksamkeit der Formularabrede zumindest ihr gegenüber ins Feld zu führen. Dies überzeugt allerdings aus einer Reihe von Gründen nicht. So greifen im Verhältnis zwischen Versicherer und Bank die Schranken aus Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15 Nr. 1, 2 Brüssel Ia-VO gar nicht ein. Vor allem ist für das Versicherungsunternehmen i.S.d. ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO vorhersehbar, dass es nach Maßgabe der Gerichtsstandsabrede im Land verklagt wird, wo der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz hat. Dass sich der Versicherer an seinem eigenen Wort festhalten lassen muss und eine Gerichtspflichtigkeit außerhalb seines Sitzlandes entstehen kann, erscheint aber gleichermaßen bei einer Prozessführung durch einen Zessionar für ihn erwartbar. Demzufolge vermag die Bank als eigentlich nicht schutzwürdige Zessionarin gestützt auf die Gerichtsstandsvereinbarung am Wohnsitz des Versicherungsnehmers Klage gegen den Versicherer zu erheben.9
1b
Der Schutz der Brüssel Ia-VO erweist sich auf den ersten Blick als lückenhaft, sofern man die Ein- 2 schränkung in Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO auf Abs. 4 überträgt und damit die Prorogation eines Drittstaatenforums nicht am Maßstab der Brüssel Ia-VO beurteilt, sondern anhand der divergierenden nationalen Regeln im jeweiligen Gerichtsstaat.10 Im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO erschien angesichts der ratio legis der Art. 8 ff. Brüssel I-VO sowie gestützt auf einen Erst-Recht-Schluss eine Analogie zu Art. 13 i.V.m. Art. 23 Abs. 5 Brüssel I-VO methodisch vertretbar und vorzugswürdig. Der supranationale Gesetzgeber hat sich allerdings nunmehr mit der Ausdehnung auf Drittstaatensachverhalte und drittstaatliche Parteien befasst. Hinsichtlich der Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren vor drittstaatlichen Gerichten postulieren Art. 33 f. Brüssel Ia-VO eine Aussetzungsmöglichkeit im Ermessen der Judikative. Die Regelung über Prorogationen nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO hat eine Modifikation dahingehend erhalten, dass die Vereinbarung einer mitgliedstaatlichen Justiz unabhängig vom Wohnsitz der Parteien möglich ist. Zur Frage etwaiger Wirkungen bei der Wahl eines drittstaatlichen Spruchkörpers schweigt die Verordnung scheinbar demgegenüber weiterhin. Nach der Reform dürfte es allerdings an einer planwidrigen Regelungslücke für eine solche Rechtsfortbildung fehlen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sowie im Lichte des
6 Siehe dazu Gebauer/Wiedmann/Leible, Kaufvertrag Rz. 23. 7 Vgl. auch EuGH, EuZW 2009, 503 ff. Im deutschen AGB-Recht als Umsetzungsakt kann sich der Verwender ebenso wenig auf die Unwirksamkeit der Klausel berufen. 8 Siehe dazu ausführlich Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 10 ff. 9 A.A. OLG Dresden v. 14.1.2014 – 4 U 717/13, VersR 2015, 382 ff. 10 Siehe Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 1; Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 23 Brüssel Ia-VO Rz. 33 ff.
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Art. 15 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandsvereinbarung Urteils des EuGH in der Rs. Mahamdia11 sind die Schranken dahingehend auszulegen, dass auch Vereinbarungen zugunsten drittstaatlicher Gerichte daran gemessen werden müssen. Es bedarf daher gar keiner Analogie zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Ein Verstoß gegen eine Schranke aus Art. 15 Brüssel Ia-VO wird durch die rügelose Einlassung nach Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO überspielt. 3
Die Prorogationsschranken gelten angesichts des Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO nicht analog für Schiedsgerichtsvereinbarungen12. Art. 15 Brüssel Ia-VO steht ebenso wenig einer außergerichtlichen Streitbeilegung entgegen.13
II. Zulässige Gerichtsstandsabreden 1. Vereinbarung nach Entstehen der Streitigkeit (Nr. 1) 4
Eine Gerichtsstandsabrede ist rechtlich unbedenklich, sofern sie nach dem Entstehen der Streitigkeit getroffen wird. Dies ist laut dem Bericht von Jenard14 der Fall, wenn ein „gerichtliches Verfahren unmittelbar oder in Kürze bevorsteht“. Nur dann sei die Durchbrechung des Prorogationsverbots gerechtfertigt, weil der rechtlich unerfahrene Versicherungsnehmer die Tragweite einer solchen Abrede überschauen und eine streitige Auseinandersetzung vor Gericht in seine Überlegung mit einbeziehen könne.15 Nach der Ansicht von Geimer/Schütze16 genügt es hingegen, wenn zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung, Abwicklung oder Erfüllung des Vertrages entstanden sind, ohne dass bereits in concreto eine gerichtliche Auseinandersetzung droht. Diese Interpretation begegnet im Lichte des von Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO intendierten Schutzes jedenfalls dann methodischen Bedenken, wenn sich die Vereinbarung zum Nachteil eines privaten Versicherungsnehmers auswirkt.17 Mit der Prorogationsschranke in Nr. 1 ist ferner eine bedingte Abrede unvereinbar, die bereits bei Vertragsschluss für den Fall des Entstehens einer Streitigkeit getroffen wird.18 Eine abweichende Beurteilung kann sich aus den Nrn 2 bis 5 ergeben. Die Besonderheit der Belehrung nach Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO gilt nur bei der nachträglichen rügelosen Einlassung als stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung. Nach Entstehung der Streitigkeit, aber noch vor dem Verfahren besteht nach Art. 15 Nr. 1 Brüssel Ia-VO kein Schutz für die schwächere Partei. 2. Vereinbarung zugunsten des Versicherungsnehmers (Nr. 2)
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Die Nr. 2 erlaubt Vereinbarungen, welche die Gerichtsstände des Versicherungsnehmers, Versicherten oder Begünstigten erweitern. Derlei Abreden auszuschließen, die allein eine prorogative Wirkung entfalten können, bedeutete einen hypertrophen Schutz.19 Zulässig sind ebenso Zuständigkeitsvereinbarungen zugunsten Dritter, ohne dass sie an deren Abschluss beteiligt sein müssen, sofern die formellen Voraussetzungen des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO im Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer eingehalten worden sind.20 11 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491, IPRax 2013, 572 = NZA 2012, 935 ff. Rz. 58 ff. 12 Die Kommission hatte sich sowohl im Grünbuch (KOM [2009] 175, S. 9 f.) als auch in dem Verordnungsvorschlag (KOM [2010] 748) dafür ausgesprochen die Schiedsgerichtsbarkeit teilweise in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO einzubeziehen, vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. d VO-E. Der europäische Gesetzgeber ist diesem Vorschlag jedoch nicht gefolgt. Von einer unbewussten Regelungslücke als Voraussetzung für eine Analogie kann daher nicht ausgegangen werden. Siehe zu CAS-Schiedsvereinbarungen Schütt, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 7. 13 Vgl. Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 4; zu der Mediationsrichtlinie 2008/52/EG s. Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 6d. 14 Jenard-Bericht zu Art. 12 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 33. 15 Kropholler/von Hein, Art. 17 Brüssel I-VO Rz. 1; Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 12 EuGVÜ Rz. 5. 16 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 5. 17 So auch Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 12; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 2; a.A. Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1. 18 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 4. 19 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 6. 20 EuGH v. 14.7.1983 – 201/82, ECLI:EU:C:1983:217 – Gerling Konzern vs. Amministrazione del tesoro, EuGHE 1983, 2503, 2515 Rz. 20 = IPRax 1984, 259 ff. m. Anm. Hübner, 237 ff.; bestätigt durch EuGH v. 12.5.2005 –
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 15 Brüssel Ia-VO
3. Vereinbarung der Gerichtszuständigkeit bei gemeinsamem Wohnsitz oder Aufenthalt (Nr. 3) Sofern Versicherer und Versicherungsnehmer zur Zeit des Vertragsschlusses ihren Wohnsitz (Art. 62, 6 63 Brüssel Ia-VO) oder gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO) in demselben Mitgliedstaat haben, können sie nach Nr. 3 das forum delicti commissi ausschließen und die internationale Zuständigkeit der Spruchkörper im gemeinsamen Wohnsitzstaat vereinbaren.21 Der Versicherer begegnet damit der Gefahr, bei Eintritt des Versicherungsfalls im Ausland gerichtspflichtig zu werden. Abbedungen werden dürfen jedoch nur die Gerichtsstände nach Art. 12 und Art. 13 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.22 Die Ausnahme nach Nr. 3 eröffnet dem Versicherer auch die Möglichkeit, sich vor Interventionsklagen zu schützen, da Art. 65 Brüssel Ia-VO diese nicht binnenmarktweit ausschließt.23 Eine Gerichtsstandsvereinbarung entfaltet keine Wirkung zu Lasten Dritter,24 so dass etwa die Direktklage des Geschädigten nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nicht durch eine Abrede zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer berührt wird.25 Ferner ist eine Prorogation zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer dem durch einen Versicherungsvertrag begünstigten Versicherten nicht entgegenzuhalten, soweit dieser der Gerichtsstandsvereinbarung nicht ausdrücklich zugestimmt hat.26 Ein abweichendes Ergebnis stünde im Widerspruch zur ratio der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO, welche den Schutz der wirtschaftlich schwächeren Partei – hier des Versicherten – bezwecken. Die Vereinbarung muss nach dem gemeinsamen Heimatrecht der Parteien zulässig sein. Prüfungsmaßstab ist demzufolge nicht Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.27 Dieser wird durch Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO als lex specialis verdrängt.28 Der Sekundärrechtsgeber verweist hierin auf die innerstaatlichen Vorschriften. In Deutschland richtet sich die Wirksamkeit somit nach den §§ 38, 40 ZPO. Die Inbezugnahme in Nr. 3 erstreckt sich ebenso auf die in § 38 Abs. 3 ZPO vorausgesetzten Formvorgaben,29 die einer Reform bedürfen.30 In diesem Zusammenhang sind auch die im Zuge der VVGNovellierung31 geschaffenen § 215 Abs. 1 und 3 VVG i.V.m. § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zu beachten. Hiernach dürfen Versicherungsnehmer ausschließlich an ihrem Wohnsitz verklagt werden. Eine ab-
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C-112/03, ECLI:EU:C:2005:280 – Société financière et industrielle du Peloux vs. Axa Belgium u.a., EuGHE 2005 I 3707 ff. = IPRax 2005, 531 ff. m. zust. Anm. im Hinblick auf die Brüssel I-VO: Heiss, 497 ff. Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 4. Hk-ZPO/Dörner, Art. 15 Rz. 4; Wagner in Stein/Jonas, Art. 13 EuGVVO Rz. 11; Wandt/Gal, GS Wolf 579, 596 f. Vgl. Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 2. EuGH v. 13.7.2017 – C-368/16 – Assens Havn vs.Navigators Management, IPRax 2018, 259 ff. m. Anm. Mankowski, 233 ff.; Fricke, VersR 1997, 399, 404; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 7; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 4; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 12 EuGVÜ Rz. 8. Schlosser-Bericht Nr. 148, ABl. EG 1979 C 59/71, 116; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 13 Rz. 2; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 26; Kropholler/von Hein, Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 6; Art. 11 Brüssel I-VO Rz. 5; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 13 Rz. 4; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 10 EuGVÜ Rz. 6. EuGH v. 12.5.2005 – C-112/03, ECLI:EU:C:2005:280 – Société financière et industrielle du Peloux vs. Axa belgium u.a., EuGHE 2005 I 3707 ff. = IPRax 2005, 531 ff. m. zust. Anm. im Hinblick auf die Brüssel I-VO Heiss, 497 ff. = VersR 2005, 1261 ff. m. krit. Anm. Fricke, VersR 2006, 1283 ff. Rauscher, IPR Rz. 2028; s. auch Kropholler/von Hein, Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 5, einschränkend jedoch in Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 79. Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 296; Basedow in MünchKomm/BGB, (4. Aufl. 2003) § 307 Rz. 323. Ansonsten wird die gesetzgeberische Einheit von Inhalt und Form zerstört, daher wird man bei natürlichen Personen, die nicht dem § 38 Abs. 1 ZPO unterfallen, fordern müssen, dass die Vereinbarung ausdrücklich und schriftlich sowie nach Entstehen der Streitigkeit erfolgt ist oder dem Wegzug der beklagten Partei vorbeugen soll (ebenfalls Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 20; a.A. Wandt/Gal, GS Wolf 579, 596 f.). Zur umstrittenen Auslegung des Merkmals „schriftlich“ s. die Angaben bei Schultzky in Zöller, § 38 ZPO Rz. 32; Junker, RIW 1999, 809, 813 f.; vgl. auch Keller, Jura 2008, 523 ff. Staudinger in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001) 295, 302. Siehe das Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 23.11.2007, BGBl. 2007 I 2631 ff.; hierzu etwa Franz, VersR 2008, 298 ff.; Langheid, NJW 2007, 3665 ff.; Langheid, NJW 2007, 3745 ff.; Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt (4. Aufl. 2010).
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Art. 15 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandsvereinbarung weichende Vereinbarung ist nach § 215 Abs. 3 VVG nur dann zulässig, wenn der Versicherungsnehmer nach Vertragsschluss seinen (Wohn-)Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Geltungsbereich des VVG verlegt oder sein (Wohn-)Sitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Zeitpunkt der Klageerhebung nicht bekannt ist.32 In dieser Hinsicht unterscheidet sich die letztgenannte Vorschrift von Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO, welche lediglich die Abwahl des forum delicti commissi, aber gerade nicht des Klägergerichtsstands bei Umzug erlaubt.33 Der intertemporal für Klagen seit dem 1.1.2008 geltende § 215 VVG ist daher nicht als Prüfungsmaßstab i.S.d. Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO heranzuziehen.34 32 § 215 VVG trägt der Schutzwürdigkeit von Versicherungsnehmern dadurch Rechnung, dass diese ausschließlich an ihrem Wohnsitz verklagt werden können. Bei Klagen des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag gegen den Versicherer, Versicherungsvertreter, -makler und -berater besitzt der Versicherungsnehmer demgegenüber ein Wahlrecht und kann sogar am eigenen Wohnsitzgerichtsstand prozessieren. Ob sich juristische Personen als Versicherungsnehmer auf § 215 Abs. 1 und 2 VVG stützen können, oder bei einem Aktiv- bzw. Passivprozess hingegen die allgemeinen Regeln (§§ 12 ff. ZPO) die örtliche (und internationale) Zuständigkeit vorgeben (Doppelfunktionalität) sowie § 33 Abs. 2 ZPO eingreift, war lange Zeit umstritten (zum alten Meinungsstand s. die Angaben in der 4. Aufl. 2016). Der BGH hat zuletzt diesen Streit beigelegt (BGH v. 8.11.2017 – IV ZR 551/15, VersR 2018, 182 ff. m. Anm. Mankwoski 184 ff.). Demnach unterstehen § 215 Abs. 1 S. 1 VVG kraft extensiver Auslegung auch Klagen von juristischen Personen, wobei auf deren Sitz nach § 17 ZPO abzustellen ist. Der Anlassstreit betraf die Klage gegen einen Drittstaatenversicherer, so dass die Vorschrift doppelfunktional zur Anwendung gelangte. Die ratio decidendi gilt dessen ungeachtet ebenso für den reinen Inlandsfall. Ferner lässt sich der Richterspruch im Ergebnis auch auf Personengesellschaften übertragen (so schon zuvor MünchKommStVR/Staudinger, IZVR/IPR Rz. 6; MünchKommVVG/Looschelders, § 215 VVG Rz. 14; a.A. Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG Rz. 12 sowie Hk-VVG/Muschner, § 215 VVG Rz. 3, 9, welche indes die neue Rechtsprechung des BGH noch nicht berücksichtigen). Eine Personengesellschaft (bspw GbR i.S.d. §§ 705 ff. BGB), die weder natürliche noch juristische Person ist, kann ebenfalls die Position eines Versicherungsnehmers einnehmen, sofern sie durch ihre Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet und damit Rechts- und Parteifähigkeit erlangt (BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056; zur Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft: BGH v. 2.6.2005 – V ZB 32/05, NJW 2005, 2061). Es erscheint geboten, ebenso Personengesellschaften (damit auch der OHG [§§ 105 ff. HGB] und KG [§§ 161 ff. HGB]) den Schutzgerichtsstand aus § 215 Abs. 1 VVG zu eröffnen (Bruck/Möller/ Brand, § 215 VVG Rz. 12; MünchKommVVG/Looschelders, § 215 VVG Rz. 14; VersHB/Staudinger, § 41 Rz. 299; Looschelders/Pohlmann/Eichelberg, § 215 VVG Rz. 5; a.A. Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG Rz. 12; Hk-VVG/Muschner, § 215 VVG Rz. 3, 9; ablehnend für eine Wohnungseigentümergemeinschaft LG Potsdam, BeckRS 2014, 17319). Eine Personengesellschaft verfügt über keinen Wohn-, sondern nur über einen Verwaltungssitz (in diesem Sinne Hüßtege in Thomas/Putzo, § 17 ZPO Rz. 1). Folglich ist ihre Einbeziehung in den § 215 Abs. 1 VVG lediglich möglich, so dass wie bei juristischen Personen der Sitz entscheidet. Eine Klarstellung von Seiten des Gesetzgebers, wonach in Anlehnung an andere Vorschriften die Gerichte am Wohnsitz oder Sitz des Versicherungsnehmers, Versicherten sowie Begünstigten zuständig sind, bleibt wünschenswert. Jedenfalls mag die Entscheidung des BGH (BGH, VersR 2018, 182 ff.) eine derartige Rechtsfortbildung beflügeln (eine Erstreckung des § 215 VVG auf versicherte Personen befürwortend OLG Oldenburg v. 18.4.2012 – 5 U 196/11, NJW 2012, 2894 ff.). Eine Erweiterung des persönlichen Regelungsbereiches fordert auch der Arbeitskreis IV des 56. Verkehrsgerichtstages 2018 in Goslar in seinen Empfehlungen an den Gesetzgeber (beachte in dem Zusammenhang den Beitrag von Piontek, Tagungsband zum 56. Verkehrsgerichtstag, 155 ff.). Dem Arbeitskreis zufolge solle zudem im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit der neu zu fassende § 215 VVG insgesamt in die ZPO überführt werden. Hierfür spricht letztlich auch das Verständnis des BGH mit Blick auf Art. 1 EGVVG (BGH v. 8.3.2017 – IV ZR 435/15, VersR 2017, 779 ff.; hierzu Piontek, r+s 2018, 113 ff.), wonach § 215 VVG als Prozessnorm nicht von der Übergangsvorschrift erfasst ist. Zur Frage, ob sich ebenso Erben des Versicherten auf § 215 Abs. 1 S. 1 VVG berufen können, lässt sich zum einen die Entscheidung des OLG Naumburg (v. 2.5.2014 – 1 AR 4/14, NJW-RR 2014, 1378) anführen. Zum anderen streitet der Umgang mit Erben im Rahmen der Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO (hierzu ausführlich Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982 f.; Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 23) für deren Einbeziehung in den persönlichen Schutzbereich des § 215 Abs. 1 S. 1 VVG. 33 So auch noch zu Art. 9 Brüssel I-VO: Wagner in Stein/Jonas, Art. 13 EuGVVO Rz. 12, für den Ausschluss auch von Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO indes: Heinig, 257. 34 Wandt/Gal, GS Wolf 579, 595 f.; zur intertemporalen Anwendbarkeit von § 215 VVG: Die Übergangsregel des Art. 1 Abs. 1 und 2 EGVVG, welche besagt, dass Versicherungsverträge, die vor dem 1.1.2008 geschlossen wurden, bis zum 31.12.2008 dem VVG in seiner Fassung vor Geltung des Versicherungsvertragsgesetzes vom 23.11.2007 unterliegen, erfasst ausschließlich Normen, die den Versicherungsvertrag betreffen. Der § 215 VVG unterfällt als prozessuale Vorschrift demnach nicht Art. 1 EGVVG (BGH v. 8.3.2017 – IV ZR 435/15, VersR 2017, 779 ff. m. Anm. Günther, FD-VersR 2017, 388241; ferner Piontek, r+s 2018, 113 ff.).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 15 Brüssel Ia-VO
Ebenso haben die europäischen Rechtsquellen in Auslandssachverhalten Anwendungsvorrang, so dass sich ein Rückgriff auf § 215 VVG verbietet. Eine vorformulierte Gerichtsstandsklausel muss überdies im Einklang mit den Vorgaben in §§ 305 ff. BGB stehen.35 Eine derartige Doppelkontrolle ist nach Art. 7 der Klausel-RL36 für bestimmte Konstellationen unionsrechtlich geboten und eröffnet das Verbandsklageverfahren.37 Für den Fall, dass der Versicherungsvertrag in einer Haustürsituation angebahnt wurde, befürwortete die Judikatur eine Kontrolle am Maßstab des § 29c Abs. 3 ZPO a.F. (entspricht dem derzeitigen Abs. 4 der Vorschrift).38 Dies erscheint allerdings im Lichte des § 312 Abs. 5 BGB zweifelhaft.39 Zudem ist der infolge der VVG-Reform40 geschaffene § 215 VVG nach den Grundsätzen lex posterior und lex specialis als speziellere Norm für Versicherungsverträge heranzuziehen. Zur Veranschaulichung des Verhältnisses von Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO und § 215 VVG dient die Konstellation, dass der Versicherer und sein Vertragspartner zunächst in Deutschland ansässig sind und der Haftpflichtversicherungsvertrag eine Formularabrede enthält, welche die Zuständigkeit den deutschen Gerichten im Fall eines etwaigen Umzugs des Versicherungsnehmers unterstellt. Bei dieser Fallgestaltung handelt es sich anfangs um einen reinen Inlandsfall, sofern auch das versicherte Risiko dort belegen ist.41 Eine solche Vereinbarung ist nach nationalem Recht gem. § 215 Abs. 3 VVG wirksam. Zieht der Versicherungsnehmer nach Vertragsschluss in einen anderen Mitgliedstaat, etwa nach Wien in Österreich, erhält der Sachverhalt dadurch ein grenzüberschreitendes Element42, so dass die Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel Ia-VO vor nationalen Bestimmungen nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV43 Anwendungsvorrang genießen. Ereignet sich nach dem Umzug ein schädigendes Ereignis in Italien, kann der Versicherungsnehmer an seinem Wohnsitzforum nach Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO prozessieren. Der Versicherer wird versuchen, gestützt auf die Gerichtsstandsvereinbarung, die fehlende Zuständigkeit zu rügen. Die Prorogationsabrede ist nunmehr nach der Brüssel Ia-VO zu 35 Vgl. hierzu ausführlich Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 6; ferner Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 38 ZPO Rz. 10 f.; Kieninger in MünchKomm/BGB (5. Aufl. 2007) § 307 Rz. 282 ff.; Staudinger, DB 2000, 2058, 2059. Nicht eindeutig geklärt ist, ob eine Vereinbarung i.S.d. § 215 VVG in Versicherungsbedingungen, welche den Passus „soweit dem EU-Rechtsakte nicht entgegenstehen“ enthält oder ein solcher Vorbehalt hinsichtlich der Wirksamkeit der Bedingung vom Versicherer als Klauselsteller erst gar nicht aufgenommen worden ist, einer AGB-Kontrolle standhält. Denn nach § 307 Abs. 1 BGB muss sie klar und verständlich sein (zum Transparenzgebot nach Art. 5 RL 93/13/EWG s. EuGH v. 23.4.2015 – C-96/14, ECLI:EU:C:2015:262, VersR 2015, 605 ff.). Auch nach Ansicht des BGH (v. 4.2.2015 – VIII ZR 26/14, MDR 2015, 389 ff. Rz. 17) sind Klauseln mit dem Zusatz „soweit das gesetzlich zulässig ist“ im deutschen nationalen Recht nicht mit dem Verständlichkeitsgebot vereinbar. Dies muss daher erst recht gelten, wenn keine Bezugnahmen auf etwaige Ausschlussgründe vorhanden sind und die Rechtslage dadurch verschleiert wird. 36 RL 93/13/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4.1993, ABl. EG 1993 L 95/29 ff.; zuletzt geändert durch Art. 32 ÄndRL 2011/83/EU vom 25.10.2011 (ABl. Nr. L 304 S. 64). 37 Zur Verbandsklage: EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304 ff. m. Anm. Paulus, NJW 2018, 987 ff.; s. auch kritisch Krüger/Stüllein, VuR 2018, 216 ff.; EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. K H Henkel, EuGHE 2002 I 8111 ff. = IPRax 2003, 341 m. Anm. Michailidou, 223 ff.; ausführlich hierzu Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 2a ff.; zum Verhältnis der Klausel-RL bzw. ihrer Transformation zu Art. 25 Brüssel Ia-VO s. Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 6 f. unter Berücksichtigung der zu Rechtswahlklauseln ergangenen Rs. Amazon (EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, IPRax 2017, 483 = MMR 2016, 808 ff.); Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 82; zur Europäischen Verbandsklage Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 6d. 38 Siehe BGH v. 7.1.2003 – X ARZ 362/02, NJW 2003, 1190 f.; LG Landshut v. 10.1.2003 – 74 O 1269/02, NJW 2003, 1197; LG Traunstein, r+s 2005, 135. 39 Vgl. zu § 29c ZPO: BT-Drucks. 14/6040, 278; a.A. Musielak/Voit/Heinrich, § 29c ZPO Rz. 7. 40 Siehe das Gesetz über den Versicherungsvertrag vom 23.11.2007, BGBl. 2007 I 2631 ff.; dazu etwa Franz, VersR 2008, 298 ff.; Langheid, NJW 2007, 3665 ff.; Langheid, NJW 2007, 3745 ff.; Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt (4. Aufl. 2010). 41 Ist die zu versichernde Immobilie hingegen im Ausland belegen, liegt kein reiner Inlandsfall vor. 42 Siehe dazu Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 19; Staudinger, jM 2015, 46, 49. 43 Mit Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages am 1.12.2009 ist Art. 249 EGV durch Art. 288 AEUV ersetzt worden.
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Art. 15 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandsvereinbarung beurteilen. Demnach stellt sich die Frage, ob die einst gem. § 215 Abs. 3 VVG wirksame Prorogation unter der Ägide der Brüssel Ia-VO invalide werden kann. Intertemporal findet die Brüssel Ia-VO gem. Art. 66 Brüssel Ia-VO auf alle Verfahren ab dem 10.1.2015 Anwendung. Beurteilt man eine Gerichtsstandsabrede als einen Prozessvertrag44 sind die Verfahrensregeln mit ihrem Inkrafttreten anzuwenden. Auch der EuGH45 hat sich dafür ausgesprochen, dass die Wirksamkeit nach dem geltenden Recht bei Klageerhebung zu überprüfen ist. In der dort vorliegenden Rechtssache ging es um die Heilung einer vertraglichen Klausel eines internationalen Arbeitsverhältnisses, welche nach dem geltenden innerstaatlichen Recht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses als nichtig anzusehen gewesen wäre, nach dem EuGVÜ hingegen wirksam war. Das Urteil des Gerichtshofs kann bei einem reinen Inlandsfall, der erst nach Vertragsschluss durch den Umzug des Versicherungsnehmers ein grenzüberschreitendes Element erfährt, zumindest als Wertungsgesichtspunkt herangezogen werden. Konsequent erscheint es, die Ausführungen des EuGH spiegelbildlich auf die Vernichtung einer zunächst wirksamen Abrede zu übertragen. Dieses Ergebnis wird auch durch die Schutzzwecke des Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO gerechtfertigt. Hierin kann keine Missbräuchlichkeit gesehen werden, da der Versicherer durch die Einbeziehung der Klausel gerade in Betracht gezogen hat, dass der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz wechseln könnte. Die Gerichtspflichtigkeit im Ausland infolge eines Umzugs war somit für ihn von vornherein erwartbar i.S.d. ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO. Ebenfalls zieht der Versicherungsnehmer keinen Vorteil daraus, erst nach dem 10.1.2015 unter dem Regime der Brüssel Ia-VO Klage zu erheben, da unter der Brüssel I-VO die Klausel ebenfalls invalide geworden wäre. Kontrollmaßstab ist nunmehr der Art. 25 Brüssel Ia-VO. In der konkreten Fallgestaltung ist über Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO der Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO heranzuziehen. Dieser erlaubt jedoch nur die Derogation des forum delicti commissi, nicht aber diejenige des Wohnsitzforums. In die bestehende Klausel wird man im Lichte des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion auch nicht hineinlesen können, dass lediglich der Gerichtsstand am Ort des schädigenden Ereignisses abgewählt werden sollte. Demnach ist eine solche Klausel bei Umzug in einen anderen Mitgliedstaat in toto nichtig. Folglich kann in internationalen Sachverhalten unter dem Regime der Brüssel Ia-VO nach Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO nie das Wohnsitzforum des Versicherungsnehmers nach Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO abbedungen werden.46 In dem dargelegten Sachverhalt wäre somit wegen der Nichtigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung sogar eine Klage in Italien nach Art. 12 Brüssel Ia-VO möglich. Selbst wenn die konkrete Abrede im Einklang mit Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO nur den Deliktsgerichtsstand derogierte und der Versicherungsnehmer in den Staat zieht, in dem später das schadensbegründende Ereignis eintritt, könnte er nach Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO an seinem Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat klagen. Allein der Gerichtsstand nach Art. 12 Brüssel Ia-VO bliebe ihm verwehrt. 7b
Zieht der Versicherungsnehmer hingegen in einen Drittstaat und der Versicherer prozessiert gegen ihn in Deutschland unter Berufung auf die Klausel, ist diese nach § 215 Abs. 3 VVG wirksam. Ob diese Norm als Prüfungsmaßstab herangezogen werden kann, erscheint klärungsbedürftig durch den EuGH. Auch in einer solchen Konstellation ergibt sich durch den Umzug ein grenzüberschreitendes Element47, so dass die Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel Ia-VO dem nationalen Recht aufgrund des Anwendungsvorranges nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV48 vorgehen. Laut Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO regelt die Brüssel Ia-VO ebenfalls die Zuständigkeit hinsichtlich Gerichtsstandsabreden von drittstaatlichen Beklagten sofern ein mitgliedstaatliches Gericht prorogiert worden ist. Die Schranken des Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO sind jedoch vorliegend nicht einschlägig, da diese nur in Mitgliedstaaten ansässige Personen privilegieren und daher im Einklang mit Art. 6 Abs. 1 44 So auch Schultzky in Zöller, § 38 Rz. 4; s. zum Streitstand Staudinger/Hausmann, (2011) Internationale Zuständigkeit für Vertragsklagen; Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen Rz. 260. 45 EuGH v. 13.11.1979 – 25/79, ECLI:EU:C:1979:255 – Sanicentral GmbH vs. René Collin, EuGHE 1979, 3423, 3429. 46 So auch noch zu Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel I-VO Wagner in Stein/Jonas, Art. 13 EuGVVO Rz. 12; Wandt/Gal, GS Wolf 579, 593 f. 47 Siehe dazu Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 19. 48 Mit Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages am 1.12.2009 ist Art. 249 EGV durch Art. 288 AEUV ersetzt worden.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 15 Brüssel Ia-VO
Brüssel Ia-VO allein zur Anwendung gelangen, wenn die beklagte Person ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat.49 Folglich sind weder Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO noch Nr. 4 mit der Rückausnahme für unbewegliche Sachen zu beachten. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO spricht im Lichte des ErwGr. 20 Brüssel Ia-VO einen Gesamtverweis auf die deutsche lex fori unter Einschluss des dortigen Internationalen Privatrechts hinsichtlich der materiellen Wirksamkeit aus. Nicht vom Anwendungsbereich der Rom I-VO umfasst, sind nach Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO Gerichtsstandsvereinbarungen. Aus dem Zusammenspiel der Brüssel Ia- und Rom I-VO wird man, um die Rechtssicherheit innerhalb des Binnenmarktes sicherzustellen, im Wege der harmonischen Auslegung50 die Art. 3 ff. Rom I-VO zumindest analog heranziehen.51 Bei einem früheren Inlandsfall wird der Vertrag deutschem Recht unterstehen, so dass der § 215 VVG zur Wirksamkeitskontrolle herangezogen werden könnte. Es ist derzeit offen, an dieser Stelle jedoch nicht entscheidungserheblich, ob § 215 VVG über Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zur Anwendung gelangt. In der vorliegenden Konstellation bestehen jedenfalls keine rechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit der Klausel. Ebenfalls muss die Vereinbarung der europäisch geprägten AGB-Kontrolle durch die Klausel-RL standhalten. Eine solche Überprüfung ergibt sich zwar zunächst nicht explizit aus der Brüssel Ia-VO, lässt sich auf folgende Überlegung stützen: Prüft ein Schiedsgericht in einem Schiedsverfahren zwischen Unternehmer und Verbraucher nicht die Vorgaben der Klausel-RL im Gewande des AGB-Rechtes und benachteiligt dadurch den Konsumenten, kann ein deutsches OLG nach §§ 1060 Abs. 1, 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs versagen bzw. laut § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO wegen Ordre public-Widrigkeit den Schiedsspruch aufheben. Der EuGH52 hat entschieden, dass ein nationales Gericht im Rahmen der Aufhebung oder Vollstreckbarkeit eines Schiedsspruchs von Amts wegen die Nichtigkeit der missbräuchlichen Schiedsklausel anhand der Klausel-RL zu prüfen hat.53 Es wäre daher unbillig, wenn ein Gericht unter der Ägide der Brüssel Ia-VO eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht an der Klausel-RL messen dürfte.54 Andernfalls würde das Verfahren unter Missachtung des Unionsrechts als Ausschnitt der öffentlichen Ordnung zu einem Titel führen. Klagt hingegen der Versicherungsnehmer an seinem neuen Wohnsitzforum in einem Drittstaat, muss die Formularabrede dann im Einklang mit dem jeweiligen nationalen drittstaatlichen Prozessrecht stehen. 4. Vereinbarung mit einem Versicherungsnehmer, der seinen Wohnsitz nicht in einem Mitgliedstaat hat (Nr. 4) Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die eine ausschließliche Zuständigkeit eines Mitglied- oder Drittstaates55 zum Inhalt hat,56 ist nach der auf Intervention hinsichtlich der Brüssel I-VO des Vereinigten 49 50 51 52 53
54 55 56
Bezüglich Art. 13 Nr. 4 Brüssel I-VO auch Wandt/Gal, GS Wolf 579, 600. ErwGr. 7 Rom I-VO i.V.m. Art. 80 Brüssel Ia-VO. Ebenfalls von Hein, RIW 2013, 97, 105. EuGH v. 26.10.2006 – C-168/05, ECLI:EU:C:2006:675 – Claro, NJW 2007, 135 f.; EuGH v. 6.10.2009 – C-40/08, ECLI:EU:C:2009:615 -Telecomunicaciones, EuZW 2009, 852 ff.; zur Judikatur auch Eichstädt, Der schiedsrechtliche Aquis communautaire (2013) S. 350, 353, 357. In Abgrenzung hierzu ist die Judikatur des EuGH v. 16.7.2015 – C-681/13, ECLI:EU:C:2015:471, IPRax 2016, 270 – Diageo Brands, BeckRS 2015, 80928 zur Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Urteils nach Art. 34 Nr. 1 Brüssel I-VO zu beachten. Der ursprünglichen Entscheidung, welcher eine fehlerhafte Anwendung des Art. 5 Abs. 3 Marken-RL 89/104/EWG zugrunde lag, wurde nicht die Anerkennung wegen ordre-public-Verstoßes untersagt. In der Gesamtschau mit den EuGH Entscheidungen Renault (v. 11.5.2000 – C-38/98, ECLI:EU:C:2000:225, NJW 2000, 2185 f.), Claro (v. 26.10.2006 – C-168/05, ECLI:EU:C:2006:675, NJW 2007, 135 f.) und Telecomunicaciones (v. 6.10.2009 – C-40/08, ECLI:EU:C:2009:615, EuZW 2009, 852 ff.) lässt sich festhalten, dass RL zur nationalen öffentlichen Ordnung gehören, allerdings nicht alle Sekundärrechtsakte, sondern nur diejenigen, die Fundamentalprinzipien der Unionsrechtsordnung darstellen. Hierzu zählt zumindest die Klausel-RL. Vgl. in dem Zusammenhang die Übertragbarkeit der ratio decidendi aus der Rs. Amazon (EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, IPRax 2017, 483 = NJW 2016, 2727 ff.) auf Gerichtsstandsvereinbarungen: Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 6 f. Im letzten Fall greifen die Formvorgaben aus Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nicht ein; maßgeblich ist die lex fori. Schlosser-Bericht Nr. 137, ABl. EG 1979 C 59/71, 112; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 9.
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Art. 15 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandsvereinbarung Königreichs zurückgehende Vorschrift Nr. 4 zulässig, wenn sie von einem Versicherungsnehmer geschlossen wurde, der seinen Wohnsitz57 außerhalb des Binnenmarkts hat. Erfasst wird der Aktivprozess eines Versicherungsnehmers aus einem Drittstaat gegen den Versicherer mit Sitz bzw. Niederlassung (Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO) im Binnenmarkt. Für den spiegelbildlichen Fall ist Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu beachten. Die Schranke gelangt nur zur Anwendung, wenn die beklagte Partei in einem Mitgliedstaat ansässig ist. Eine Prorogation scheidet bei einer gesetzlichen Versicherungspflicht58 ebenso aus wie bei der Versicherung von unbeweglichen Sachen in einem Mitgliedstaat. Der Versicherungsnehmer kann sich in diesen Fällen auf die Art. 11 bis 13 Brüssel Ia-VO stützen.59 Dem steht der mangelnde Mitgliedstaatenbezug nicht entgegen.60 9
Die Zielsetzung des Ausnahmetatbestandes liegt bei der Grundstücksversicherung darin, die Anwendbarkeit des Art. 12 Brüssel Ia-VO selbst für den Fall sicherzustellen, dass der Versicherungsnehmer außerhalb des Binnenmarkts beheimatet ist.61 Demzufolge muss Art. 12 Brüssel Ia-VO überhaupt einschlägig sein.62 Die Unwirksamkeit etwaiger Gerichtsstandsvereinbarungen gilt ungeachtet einer Prorogationsschranke im nationalen Recht.63 Nr. 4 verbietet es nach seiner ratio allerdings nicht, die in Art. 12 Brüssel Ia-VO genannten Gerichte für ausschließlich zuständig zu erklären.64 5. Versicherungen von „Großrisiken“, insb. See- und Luftfahrtversicherungen (Nr. 5)
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Die Nr. 5 enthält i.V.m. dem Katalog des Art. 16 Brüssel Ia-VO Sonderregeln für den Fall der Versicherung von „Großrisiken“, insbesondere für See- und Luftfahrtversicherungen. Die Abrede kann sich nach Nr. 5 ebenso auf mitversicherte Annexrisiken erstrecken, da der Wortlaut lediglich einen Versicherungsvertrag voraussetzt, der ein „Großrisiko“ betrifft.65 Bei reinen Landtransportversicherungen greift demgegenüber die Schranke in Nr. 1 ein.66 Der EuGH hielt zuletzt mit Blick auf Haftpflichtversicherungsverträge (Art. 16 Nr. 2 lit. a Brüssel Ia-VO) in der Schifffahrt fest, dass darin vereinbarte Gerichtsstandsabreden keine Derogationswirkung gegenüber dem geschädigten Direktkläger entfalten können.67
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Die Spezialbestimmung in Nr. 5 rechtfertigt sich dadurch, dass die Gruppe dieser Versicherungsnehmer nach typisierender Betrachtungsweise nicht schutzbedürftig ist.68 Gleichwohl sind von der Ausnahmeregel keine Gerichtsstandsabreden zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern zu Lasten von Versicherten oder Begünstigten gedeckt.69 Hierfür spricht die tatbestandliche Erweiterung 57 Zur Beantwortung der Frage, zu welchem Zeitpunkt der Wohnsitz vorliegen muss, ist an sich mangels abweichender Regelung wie in Nr. 3 auf die Grundsätze von Art. 25 und 66 Brüssel Ia-VO abzustellen; im Ergebnis erscheint der Zeitpunkt der Klageerhebung vorzugswürdig; zum Streitstand unter der Brüssel I-VO Heinig, 267. 58 Vgl. Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 12 EuGVÜ Rz. 11; einen ausführlichen Katalog der einschlägigen Versicherungen enthält der Schlosser-Bericht Nr. 138, ABl. EG 1979 C 59/71, 113. Zutreffend erscheint, die kollisionsrechtliche „Vorfrage“ im Lichte von Art. 7 sowie Art. 3, 4 und 6 Rom I-VO zu beantworten. 59 Musielak/Voit/Stadler, Rz. 5; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 15 Rz. 5. 60 Siehe hierzu Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 20. 61 Schlosser-Bericht Nr. 139, ABl. EG 1979 C 59/71, 114. 62 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 21 ff.; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 12. 63 Schlosser-Bericht Nr. 139, ABl. EG 1979 C 59/71, 114. 64 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 21; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 12; abweichend Schlosser-Bericht Nr. 139, ABl. EG 1979 C 59/71, 114. 65 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 16 Rz. 6; vgl. auch Fricke, VersR 1999, 1055, 1059 f., der eine Änderung der Verordnung für erforderlich hält. 66 Schlosser-Bericht Nr. 140, ABl. EG 1979 C 59/71, 114. 67 EuGH v. 13.7.2017 – C-368/16 – Assens Havn vs. Navigators Management, IPRax 2018, 259 ff. m. Anm. Mankowski, 233 ff. 68 Schlosser-Bericht Nr. 140, ABl. EG 1979 C 59/71, 114; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 10 Rz. 3 und Art. 16 Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 12 EuGVÜ Rz. 13. 69 EuGH v. 27.2.2020 – C-803/18 – AAS Balta vs. UAB Grifs AG, VersR 2020, 708 ff. m. Anm. Mankowski, 712 ff., wobei der Gerichtshof eine Ausnahme für solche Versicherte anerkannt, die gewerblich im Versicherungssektor tätig sind, da ihnen die Schutzbedürftigkeit fehle. Er knüpft damit an seine frühere Rechtsprechung an, siehe EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17 – Paweł Hofsoe vs. LVM Münster AG, VersR 2018, 1020 ff. m. Anm. Staudinger/Papadopoulos, 978 ff. Vgl. auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Fricke, Versicherungsrechts-Handbuch
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Art. 16 Brüssel Ia-VO
von Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO zugunsten versicherter und begünstigter Personen und die grds. Einbeziehung von Versicherungen über Großrisiken in Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO. Der insoweit regelmäßig fehlenden Schutzwürdigkeit der Beteiligten könnte der Unionsgesetzgeber jedoch de lege ferenda bei einer erneuten Novellierung in Form der ausdrücklichen Zulassung entsprechender Gerichtsstandsvereinbarungen Rechnung tragen oder konsequenterweise den Bereich der Großversicherungen gänzlich aus dem Katalog der Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO herausnehmen.70 Die fehlende Schutzbedürftigkeit von gewerblich im Versicherungssektor tätigen Versicherten hat inzwischen auch der EuGH erkannt und entschieden, dass diese eine Gerichtsstandsabrede zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer gegen sich gelten lassen müssen.71
Artikel 16 [Abweichende Risiken] Die in Artikel 15 Nummer 5 erwähnten Risiken sind die folgenden: 1. sämtliche Schäden a) an Seeschiffen, Anlagen vor der Küste und auf hoher See oder Luftfahrzeugen aus Gefahren, die mit ihrer Verwendung zu gewerblichen Zwecken verbunden sind, b) an Transportgütern, ausgenommen Reisegepäck der Passagiere, wenn diese Güter ausschließlich oder zum Teil mit diesen Schiffen oder Luftfahrzeugen befördert werden; 2. Haftpflicht aller Art mit Ausnahme der Haftung für Personenschäden an Passagieren oder Schäden an deren Reisegepäck, a) aus der Verwendung oder dem Betrieb von Seeschiffen, Anlagen oder Luftfahrzeugen gemäß Nummer 1 Buchstabe a, es sei denn, dass – was die letztgenannten betrifft – nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem das Luftfahrzeug eingetragen ist, Gerichtsstandsvereinbarungen für die Versicherung solcher Risiken untersagt sind, b) für Schäden, die durch Transportgüter während einer Beförderung im Sinne von Nummer 1 Buchstabe b verursacht werden; 3. finanzielle Verluste im Zusammenhang mit der Verwendung oder dem Betrieb von Seeschiffen, Anlagen oder Luftfahrzeugen gemäß Nummer 1 Buchstabe a, insbesondere Fracht- oder Charterverlust; 4. irgendein zusätzliches Risiko, das mit einem der unter den Nummern 1 bis 3 genannten Risiken in Zusammenhang steht; 5. unbeschadet der Nummern 1 bis 4 alle „Großrisiken“ entsprechend der Begriffsbestimmung in der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II).1
I. Kaskoversicherungen und Wertversicherungen von Transportgütern (Nr. 1) Nr. 1 lit. a betrifft bestimmte Kaskoversicherungen von gewerblich genutzten Seeschiffen und Luft- 1 fahrzeugen. Der Begriff Seeschiffe umfasst alle Fahrzeuge, die zum Verkehr auf See bestimmt sind.2 Von lit. a werden auch im Bau befindliche Schiffe erfasst, sofern die Schäden aus einem See-Risiko re-
70 71 1 2
(3. Aufl. 2015) § 3 Rz. 52; a.A. Heiss, IPrax 2005, 497, 499; Koch, VersR 2009, 141, 149; Kropholler/von Hein, Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 4. Krit. ebenso schon in der Vergangenheit Fricke, VersR 1997, 399, 401; vgl. zum Problem auch Geimer/Schütze, EuZVR Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 4; Schack, Rz. 283. EuGH v. 27.2.2020 – C-803/18 – AAS Balta vs. UAB Grifs AG, VersR 2020, 708 ff. m. Anm. Mankowski, 712 ff. Amtliche Fußnote: ABl. L 355 vom 17.12.2009, S. 1. Schlosser-Bericht Nr. 141, ABl. EG 1979 C 59/71, 115.
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Art. 16 Brüssel Ia-VO Abweichende Risiken sultieren. Ausgenommen bleiben demnach Schäden, die im Trockendock oder in den Werkhallen einer Werft auftreten.3 2
Nr. 1 lit. b bezieht sich auf die Wertversicherung von Transportgütern. Voraussetzung ist, dass die Transportgüter „ausschließlich oder zum Teil“4 mit Seeschiffen oder Luftfahrzeugen befördert werden.5 Selbst wenn der Schaden nachweisbar auf dem Landtransport entstanden ist, steht dies der Wirksamkeit einer nach Nr. 5 i.V.m. Art. 16 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung nicht entgegen.6 Darüber hinaus gilt die Bestimmung auch für einen reinen Binnentransport.7 Nicht umfasst ist hingegen die Einstandspflicht für das Reisegepäck von Passagieren, da sie typischerweise schutzbedürftig sind.8
II. Haftpflichtversicherungen (Nr. 2) 3
Zweifelhaft ist, ob zu Nr. 2 lit. a sämtliche Haftpflichtansprüche zählen, die im Zusammenhang mit dem (Um-)Bau oder der Instandsetzung eines Schiffes auftreten9 oder allein Ansprüche erfasst werden, die während einer Probefahrt entstehen.10 Die Ausnahme für Luftfahrtversicherungen in Nr. 2 lit. a a.E. eröffnet den Mitgliedstaaten, in denen das Luftfahrzeug eingetragen ist, die Möglichkeit, zum Schutz von Versicherungsnehmern und Unfallopfern Gerichtsstandsvereinbarungen für unzulässig zu erklären. Die Privilegierung der Passagiere gründet sich auf ihre schlechtere Verhandlungsposition.11
III. Versicherungen finanzieller Verluste (Nr. 3) 4
Der Begriff „finanzielle Verluste“ ist im Wege übergreifender systematischer Auslegung unter Rückgriff auf die RL 2009/138/EG12 zu bestimmen.13 Neben den ausdrücklich genannten Fracht- und Charterverlusten erfasst die Vorschrift damit etwa Berufsrisiken, ungenügende Einkommen, Schlechtwetter, Gewinnausfall, laufende Unkosten allgemeiner Art, unvorhergesehene Geschäftsunkosten, Wertverluste, Miet- oder Einkommensausfälle, indirekte kommerzielle Verluste außer den bereits erwähnten sowie nichtkommerzielle Geldverluste.14 Die finanziellen Einbußen müssen im Zusammenhang mit der Verwendung oder dem Betrieb von Seeschiffen, Anlagen oder Luftfahrzeugen i.S.d. Nr. 1 lit. a stehen.
IV. Zusatzversicherungen (Nr. 4) 5
Nr. 4 erlaubt Gerichtsstandsvereinbarungen bei Zusatzversicherungen,15 die mit einem der in Nr. 1 bis 3 genannten Risiken im Zusammenhang stehen. Zusatz- und Hauptrisiko müssen nicht in der 3 Schlosser-Bericht Nr. 141, ABl. EG 1979 C 59/71, 115. 4 Schlosser-Bericht Nr. 142, ABl. EG 1979 C 59/71, 115. 5 Ausführlich zum Merkmal der teilweisen Beförderung: Schlosser-Bericht Nr. 142, ABl. EG 1979 C 59/71, 115, abgedruckt bei Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 12a EuGVÜ Rz. 3. 6 Schlosser-Bericht Nr. 142, ABl. EG 1979 C 59/71, 115. 7 Schlosser-Bericht Nr. 142, ABl. EG 1979 C 59/71, 115. 8 Schlosser-Bericht Nr. 143, ABl. EG 1979 C 59/71, 115; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 14 Brüssel I-VO Rz. 2; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 12a EuGVÜ Rz. 4. 9 Schlosser-Bericht Nr. 144, ABl. EG 1979 C 59/71, 115; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 12a EuGVÜ Rz. 5; dafür: Geimer/Schütze, EuZVR Art. 14 Brüssel I-VO Rz. 3. 10 Vgl. hierzu jüngst EuGH v. 13.7.2017 – C-368/16 – Assens Havn vs. Navigators Management, IPRax 2018, 259 ff. m. Anm. Mankowski, 233 ff.; ferner Geimer/Schütze, EuZVR Art. 14 Brüssel I-VO Rz. 3; Schlosser-Bericht Nr. 144, ABl. EG 1979 C 59/71, 115. 11 Schlosser-Bericht Nr. 143, ABl. EG 1979 C 59/71, 115; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 12a EuGVÜ Rz. 6. 12 ABl. EU 2009 L 355/1, 117. 13 So noch zur Vorgänger RL 73/239/EG (ABl. EG 1973 L 228/3), auf welche die Brüssel I-VO Bezug genommen hat Schlosser-Bericht Nr. 146, ABl. EG 1979 C 59/71, 115. 14 Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994), Art. 12a EuGVÜ Rz. 7.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO
gleichen Police versichert sein.16 Nr. 4 betrifft etwa eine Versicherung für außerplanmäßige Betriebskosten („shipowners disbursements“) wie zusätzliche Hafengebühren während eines reparaturbedingten Aufenthalts oder eine Versicherung für den Verlust aus einer Unterversicherung, die während des Transports eingetreten ist („increased value“).17
V. „Großrisiken“ (Nr. 5) Nr. 5 ist im Zuge der Vergemeinschaftung in den Katalog aufgenommen worden. Für die Versicherung von „Großrisiken“ besteht kein Schutzbedürfnis. Die Begriffsbestimmung des Großrisikos ist der Solvency II-RL18 zu entnehmen. Soweit ein Risiko bereits von den Nrn. 1 bis 4 erfasst wird, gehen diese aufgrund des Wortlauts („unbeschadet“) der Regelung in Nr. 5 vor.
Abschnitt 4 Zuständigkeit bei Verbrauchersachen
Vorbemerkungen zu Art. 17–19 Schrifttum: Bach, Was ist wo Vertrag und was wo nicht? Anmerkung zur Ilsinger-Entscheidung des EuGH, IHR 2010, 17; Bauer/Friesen, UberPop – rechtlich top oder eher ein Flop?, DAR 2015, 61; Beck, Die Reform des Verbraucherschutzrechts, JA 2014, 66; Berg, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 7.12.2010 (C-585/08, C-144/09; RIW 2011, 241) – Zu Reisebuchungen im Internet und dem Verbrauchergerichtsstand nach Art. 15 EuGVVO, RIW 2011, 248; Beig/Reuß, Schlank & (nicht mehr ganz so) Schick III – Gewinnzusagen als Verbraucherverträge i.S. des Art. 15 I c EuGVVO?, EuZW 2009, Heft 3, VIII f.; Beig/Reuß, Anmerkung zu EuGH, 15.9.2009 – C-180/06, EuZW 2009, 492; Benicke, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 13, 14 EuGVÜ für Schadensersatzklagen geschädigter Anleger, WM 1997, 945; Bitter, Auslegungszusammenhang zwischen der Brüssel I-Verordnung und der künftigen Rom I-Verordnung, IPRax 2008, 96; Blobel, Isolierte Gewinnzusagen im europäischen Zivilprozessrecht, VuR 2005, 164; Blobel/Rösler, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei Gewinnmitteilungen aus dem Ausland, JR 2006, 441; Bopp/Kräft, Grundsätze der Bond-Rechtsprechung zur Beraterhaftung sind zwingendes verbraucherschützendes Recht i.S.d. Art. 6 II 2 Rom I-VO, GWR 2018, 10; Breckheimer, Zur Unterlassungsklage gegen im Internet verwendete Verbraucher-AGB sowie zu den Anknüpfungskriterien für das anzuwendende Sachrecht, Anmerkung zu EuGH, 28.7.2016 – C-191/15, RIW 2016, 681; Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005); Clausnitzer, Grenzüberschreitender Onlinehandel und internationales Privatrecht – Kurzbesprechung der Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 18.5.2010 – C-585/08 und C-144/09 (Pammer und Hotel Alpenhof), EuZW 2010, 446; Coester-Waltjen, Ein Plädoyer für Art. 25 Brüssel Ia VO, Fairness Justive Equity, Festschrift für Reinhold Geimer zum 80. Geburtstag (2017), S. 31; De Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht (1992), zitiert: De Bra; De Lousanoff, „Die Anwendung des EuGVÜ in Verbrauchersachen mit Drittstaatenbezug“, in: FS Peter Arens (1993) 251; Dörner, in: Saenger, Zivilprozessordnung8 (2019), zitiert: Hk-ZPO/Dörner; Dörner, „One-shotter“ gegen „repeat player“ – Zum Verständnis der Art. 13 Abs. 2 und 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO, IPRax 2018, 158; Dornis, Von Kalfelis zu Brogsitter – Künftig enge Grenzen der Annexkompetenz im europäischen Vertrags- und Deliktsgerichtsstand – Anm. zu EuGH vom 13.3.2014, C-548/12, GPR 2014, 352; Ersoy, Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht; Federrath, Geoblocking und die Möglichkeiten der Technik, ZUM 2015, 929; Felke/Jordans, Kommentar zu EuGH Rs. C-27/02 Petra Engler gegen Janus Versand GmbH, EWS 2005, 229; Fetsch, Die „Belegenheit“ von Forderungen im Internationalen Erbscheinsverfahren: Zur Auslegung und ratio von § 2369 Abs. 2 BGB, ZEV 2005, 425; Friesen, Auswirkungen der Richtlinie 2008/122/EG auf das Internationale Timesharingrecht in der EU, 2017; Friesen/Frensing-Deutschmann, Dual-Use expanded – Verbrauchervertrag bei Personenmehrheit, jM 2018, 51; Friesen/Kurth, Abgrenzung zwischen Unternehmer und Verbraucher – Anmerkung zu EuGH, 4.10.2018 – C-105/17, jurisPR-IWR 6/2018 Anm. 2; Führich/Staudinger, Reiserecht – Handbuch 15 Der Begriff entspricht nicht demjenigen der RL 73/239/EWG: Schlosser-Bericht Nr. 147, ABl. EG 1979 C 59/71, 116. 16 Schlosser-Bericht Nr. 147, ABl. EG 1979 C 59/71, 116; Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 14 Brüssel I-VO Rz. 7; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994), Art. 12a EuGVÜ Rz. 8. 17 Schlosser-Bericht Nr. 147, ABl. EG 1979 C 59/71, 116. 18 Die in Nr. 5 aufgezählte RL findet sich an folgender Stelle im Amtsblatt der EU: ABl. EU 2009 L 335/1.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO
gleichen Police versichert sein.16 Nr. 4 betrifft etwa eine Versicherung für außerplanmäßige Betriebskosten („shipowners disbursements“) wie zusätzliche Hafengebühren während eines reparaturbedingten Aufenthalts oder eine Versicherung für den Verlust aus einer Unterversicherung, die während des Transports eingetreten ist („increased value“).17
V. „Großrisiken“ (Nr. 5) Nr. 5 ist im Zuge der Vergemeinschaftung in den Katalog aufgenommen worden. Für die Versicherung von „Großrisiken“ besteht kein Schutzbedürfnis. Die Begriffsbestimmung des Großrisikos ist der Solvency II-RL18 zu entnehmen. Soweit ein Risiko bereits von den Nrn. 1 bis 4 erfasst wird, gehen diese aufgrund des Wortlauts („unbeschadet“) der Regelung in Nr. 5 vor.
Abschnitt 4 Zuständigkeit bei Verbrauchersachen
Vorbemerkungen zu Art. 17–19 Schrifttum: Bach, Was ist wo Vertrag und was wo nicht? Anmerkung zur Ilsinger-Entscheidung des EuGH, IHR 2010, 17; Bauer/Friesen, UberPop – rechtlich top oder eher ein Flop?, DAR 2015, 61; Beck, Die Reform des Verbraucherschutzrechts, JA 2014, 66; Berg, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 7.12.2010 (C-585/08, C-144/09; RIW 2011, 241) – Zu Reisebuchungen im Internet und dem Verbrauchergerichtsstand nach Art. 15 EuGVVO, RIW 2011, 248; Beig/Reuß, Schlank & (nicht mehr ganz so) Schick III – Gewinnzusagen als Verbraucherverträge i.S. des Art. 15 I c EuGVVO?, EuZW 2009, Heft 3, VIII f.; Beig/Reuß, Anmerkung zu EuGH, 15.9.2009 – C-180/06, EuZW 2009, 492; Benicke, Internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 13, 14 EuGVÜ für Schadensersatzklagen geschädigter Anleger, WM 1997, 945; Bitter, Auslegungszusammenhang zwischen der Brüssel I-Verordnung und der künftigen Rom I-Verordnung, IPRax 2008, 96; Blobel, Isolierte Gewinnzusagen im europäischen Zivilprozessrecht, VuR 2005, 164; Blobel/Rösler, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei Gewinnmitteilungen aus dem Ausland, JR 2006, 441; Bopp/Kräft, Grundsätze der Bond-Rechtsprechung zur Beraterhaftung sind zwingendes verbraucherschützendes Recht i.S.d. Art. 6 II 2 Rom I-VO, GWR 2018, 10; Breckheimer, Zur Unterlassungsklage gegen im Internet verwendete Verbraucher-AGB sowie zu den Anknüpfungskriterien für das anzuwendende Sachrecht, Anmerkung zu EuGH, 28.7.2016 – C-191/15, RIW 2016, 681; Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht (2005); Clausnitzer, Grenzüberschreitender Onlinehandel und internationales Privatrecht – Kurzbesprechung der Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak vom 18.5.2010 – C-585/08 und C-144/09 (Pammer und Hotel Alpenhof), EuZW 2010, 446; Coester-Waltjen, Ein Plädoyer für Art. 25 Brüssel Ia VO, Fairness Justive Equity, Festschrift für Reinhold Geimer zum 80. Geburtstag (2017), S. 31; De Bra, Verbraucherschutz durch Gerichtsstandsregelungen im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht (1992), zitiert: De Bra; De Lousanoff, „Die Anwendung des EuGVÜ in Verbrauchersachen mit Drittstaatenbezug“, in: FS Peter Arens (1993) 251; Dörner, in: Saenger, Zivilprozessordnung8 (2019), zitiert: Hk-ZPO/Dörner; Dörner, „One-shotter“ gegen „repeat player“ – Zum Verständnis der Art. 13 Abs. 2 und 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO, IPRax 2018, 158; Dornis, Von Kalfelis zu Brogsitter – Künftig enge Grenzen der Annexkompetenz im europäischen Vertrags- und Deliktsgerichtsstand – Anm. zu EuGH vom 13.3.2014, C-548/12, GPR 2014, 352; Ersoy, Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht; Federrath, Geoblocking und die Möglichkeiten der Technik, ZUM 2015, 929; Felke/Jordans, Kommentar zu EuGH Rs. C-27/02 Petra Engler gegen Janus Versand GmbH, EWS 2005, 229; Fetsch, Die „Belegenheit“ von Forderungen im Internationalen Erbscheinsverfahren: Zur Auslegung und ratio von § 2369 Abs. 2 BGB, ZEV 2005, 425; Friesen, Auswirkungen der Richtlinie 2008/122/EG auf das Internationale Timesharingrecht in der EU, 2017; Friesen/Frensing-Deutschmann, Dual-Use expanded – Verbrauchervertrag bei Personenmehrheit, jM 2018, 51; Friesen/Kurth, Abgrenzung zwischen Unternehmer und Verbraucher – Anmerkung zu EuGH, 4.10.2018 – C-105/17, jurisPR-IWR 6/2018 Anm. 2; Führich/Staudinger, Reiserecht – Handbuch 15 Der Begriff entspricht nicht demjenigen der RL 73/239/EWG: Schlosser-Bericht Nr. 147, ABl. EG 1979 C 59/71, 116. 16 Schlosser-Bericht Nr. 147, ABl. EG 1979 C 59/71, 116; Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 14 Brüssel I-VO Rz. 7; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994), Art. 12a EuGVÜ Rz. 8. 17 Schlosser-Bericht Nr. 147, ABl. EG 1979 C 59/71, 116. 18 Die in Nr. 5 aufgezählte RL findet sich an folgender Stelle im Amtsblatt der EU: ABl. EU 2009 L 335/1.
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Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 17–19 des Pauschalreise-, Reisevermittlungs-, Reiseversicherungs- und Individualreiserechts, 8. Auflage 2019; GaudemetTallon, Anm. zu CA Colmar vom 24.2.1999, 1 B 9804470, Rev. crit. dip. 2001, 135; Gebauer, in: Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss (2005); Geimer in Geimer/Schütze (Hrsg.), Europäisches Zivilverfahrensrecht3 (2010); Goratsch, Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks: Anspruch der Erben auf Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten – Anmerkung zu BGH, 12.07.2018 – III ZR 183/17, NZFam 2018, 800, 811; Gottschalk, Verbraucherbegriff und Dual-use-Verträge, RIW 2006, 576; Gottschalk/Breßler, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zivilprozessrecht, ZEuP 2007, 56; Gramlich, Gerichtsstände der EuGVVO in Verbrauchersachen – Probleme bei Umzug einer Partei, EuZW 2017, 213; Hau, Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug, in: Arnold/Lorenz (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Hannes Unberath (2015) 139; Hausmann, in: Staudinger (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen EGBGB/IPR (2002), Anh. 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Art. 17 Abs. 1 lit. c EuGVVO?, IPRax 2016, 545; Hess, Methoden der Rechtsfindung im Europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 2006, 348; Hofmann, Verfahrensrechtliche Aspekte grenzüberschreitender Gewinnzusagen nach § 661a BGB (2007), zitiert: Hofmann; Hoffmann, Verbraucherkollisionsrecht unter der Geoblocking-Verordnung, JZ 2018, 918; Jordans, Zur rechtlichen Einordnung von Gewinnzusagen, Anmerkung zu BGH, 1.12.2005 – III ZR 191/03, IPRax 2006, 582; Junker, Grenzen der Rechtswahl? – Zur Formulierung von Rechtswahlklauseln in AGB für Verbraucherverträge, Anmerkung zu EuGH, 28.7.2016 – C-191/15, jurisPR-ITR 21/2016 Anm. 3; Kartzke, Verträge mit gewerblichen Ferienhausanbietern – Internationale Zuständigkeit nach dem EuGVÜ und anwendbares materielles Recht, NJW 1994, 823; Keiler, Vorschlag: RL über Pauschal- und Bausteinreisen, ecolex 2014, 388; Keiler/Binder, Reisen nach Brüssel, Rom und Luxemburg, RRa 2009, 210; Keiler/Binder, Der EuGH lässt ausrichten: kein Zusammenhang von Ursache und Wirkung beim Verbrauchergerichtsstand – zugleich Besprechung der Rs. C-218/12 (Emrek), euvr 2013, 230; Klöpfer/Wendelstein, Anmerkung zu EuGH, 17.10.2013 – C-218/12, JZ 2014, 298; Koch, Verbrauchergerichtsstand nach dem EuGVÜ und Vermögensgerichtsstand nach der ZPO für Termingeschäfte? – Anmerkung zu EuGH, 19.1.1993 – C-89/91, IPRax 1995, 71; Kraul/Schaper, Die Geoblocking-Verordnung – zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück?, DB 2018, 618; Krüger/Stüllein, EuGH beschränkt Klagemöglichkeit von Verbrauchern, VuR 2018, 216; Leible, Bingo! – Gewinnbestätigung jetzt auch aus Karlsruhe, NJW 2003, 407; Leible, Luxemburg locuta – Gewinnmitteilung finita?, NJW 2005, 796; Leible, Binnenmarkt, elektronischer Geschäftsverkehr und Verbraucherschutz, JZ 2010, 272; Leible/Röder, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen, RIW 2007, 481; Leible/Müller, Internationale Zuständigkeit für Klagen aus Time-Sharing-Verträgen, NZM 2008, 18; Leible/Müller, Anmerkung zu BGH, 17.9.2009 – III ZR 71/08, EuZW 2009, 27; Leible/Müller, Die Bedeutung von Websites für die internationale Zuständigkeit in Verbrauchersachen, NJW 2011, 495; Lenz, Internationale Zuständigkeit bei Verbraucherverträgen – Anmerkung zu OLG Düsseldorf, 01.03.2018 – I-16 U 83/17, jurisPRHaGesR 9/2018 Anm. 6; Looschelders, Anmerkung zu BGH, 30.3.2006 – VII ZR 249/04, JR 2007, 459; Lorenz/ Unberath, Gewinnmitteilungen und kein Ende? – Neues zur internationalen Zuständigkeit, IPRax 2005, 219; Lüttringhaus, Das internationale Privatrecht der culpa in contrahendo, RIW 2008, 199; Mankowski, Darlehensvertrag zur Immobilienfinanzierung – ein Verbrauchervertrag i.S.d. VollstrZustÜbk Art. 13 Abs. 1 Nr. 3?, EWiR 1999, 1171; Mankowski, „Gemischte“ Verträge und der persönliche Anwendungsbereich des Internationalen Verbraucherschutzrechts, IPRax 2005, 503; Mankowski, Entwicklungen im Internationalen Privat- und Prozessrecht 2004/2005 (Teil 2), RIW 2005, 561; Mankowski, Zum Begriff des „Ausrichtens“ auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers unter Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO – zugleich Anmerkung zu BGH, 30.3.2006 – VII ZR 249/04, VuR 2006, 289; Mankowski, Internationale Zuständigkeit in Timesharing-Fällen – Ein Dauerbrenner, NZM 2007, 671; Mankowski, Muss zwischen ausgerichteter Tätigkeit und konkretem Vertrag bei Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO ein Zusammenhang bestehen?, Anmerkung zu OLG Karlsruhe, 24.8.2007 – 14 U 72/06, IPRax 2008, 333; Mankowski, Neues zum „Ausrichten“ unternehmerischer Tätigkeit unter Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO, Anmerkung zu BGH, 17.9.2008 – III ZR 71/08, IPRax 2009, 238; Mankowski, Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatbestände des Internationalen Verbraucherprozess- und Verbrauchervertragsrechts, IPRax 2009, 474; Mankowski, Pauschalreisen und europäisches Internationales Verbraucherschutzrecht – Besprechung von EuGH 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08 u. C-14/09, TranspR 2011, 35 – Peter Pammer/Reederei Karl Schlüter GmbH & Co. KG – Hotel Alpenhof GesmbH/Oliver Heller, TranspR 2011, 70; Mankowski, Anmerkung zu einer Entscheidung des EuGH, Urteil vom 7.12.2010, Az. C-585/08, C-144/09 – Zur Auslegung des Art. 15 EGV 44/2001, EwiR 2011, 111; Mankowski, Anmerkung zu EuGH, 17.12.2013 – Az. C-218/12 – Zur Auslegung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO, EWiR 2013, 717; Mankowski, Änderungen im Internationalen Verbraucherprozessrecht durch die Neufassung der EuGVVO, RIW 2014, 625; Mankowski, Enge Verbindung zu früher geschlossenem Verbrauchervertrag – Gerichtsstand – Anmerkung zu EuGH, 23.12.2015 – C-297/14, NJW 2016, 699; Mankowski, Verbandsklagen, AGB-Recht und Rechtswahlklauseln in Verbraucherverträgen, NJW 2016, 2705; Mankowski, Rechtswahlklauseln in den AGB
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO
von Fluggesellschaften, IPRax 2019, 208; Mankowski, Zur Frage der Beschränkung der Anwendbarkeit des europäischen Internationalen Verbraucherschutzrecht durch eine summenmäßige Obergrenze, Anmerkung zu EuGH, 2.5.2019 – C-694/17, EWiR 2019, 541; Martiny, Geoblocking – eine wirksame technische Schutzmaßnahme? Voraussetzungen des § 95a UrhG und die Konsequenzen für Nutzer und Rechteinhaber, MMR 2016, 579; Mayer, Missbräuchliche Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbraucherverträgen: Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 4.6.2009, C-243/08 – Pannon GSM Zrt. ./. Erzsébet Sustikné Györfi, GPR 2009, 220; Meller-Hannich, Sammelklagen am Europäischen Verbrauchergerichtsstand?, ZEuP 2019, 202; Michailidou, Internationale Zuständigkeit bei vorbeugenden Verbandsklagen – Anmerkung zu EuGH, 1.10.2002 Rs. C-167/00, IPRax 2003, 223; Müller, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 14.11.2013 (C-478/12; EuZw 2014, 33), EuZW 2014, 34; Mörsdorf-Schulte, Autonome Qualifikation der isolierten Gewinnzusage, JZ 2005, 770; Neumann/Rosch, Ein Lehrstück zu Art. 13 EuGVÜ?, IPRax 2001, 257; Papadopoulos, Teilbarkeit von Unterlassungsansprüchen mithilfe von Geoblocking – zugleich Anmerkung zu EuGH, 17.10.2017 – C-194/16, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2; Paulus, in: Geimer/Schütze (Hrsg.), Der internationale Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen (57. Ergänzungslieferung 2019), Brüssel IaVO; Paulus, Die Grenzen zivilprozessualen Verbraucherschutzes, ZZPInt 2016, 199; Paulus, Keine unechten Sammelklagen in Verbrauchersachen, Anmerkung zu EuGH, 25.1.2018 – C-498/16, NJW 2018, 987; Peschel, Kommt das Geoblockingverbot? Auswirkungen der geplanten Geoblockingverordnung auf den europäischen Verbrauchergerichtsstand der EuGVVO 2012, GPR 2016, 194; Pfeiffer, Entwicklungen und aktuelle Fragestellungen des AGBRechts, NJW 2017, 913; Piroutek/Reinhold, Wrong Direction? – Causality between Commercial Activity and Conclusion of Contract in Art. 15 Para 1 lit. c Brussels I Regulation, euvr 2014, 41; Rademacher, Prozessualer Verbraucherschutz gegenüber Rechtsanwälten – Anm. zu BGH vom 6.7.2017, IX ZR 38/16, IPRax 2018, 600; Reich, Anmerkung zu EuGH Urteil C-464/01 v. 20.1.2005, EuZW 2005, 244; Reich, Zur Einordnung von Darlehensverträgen als Verbraucherverträge im Sinne des VollstrZustÜbk, Anmerkung zu CA Colmar, 24.2.1999 – 1 B 9804470, ZIP 1999, 1210; Reich/Gambogi, Gerichtsstand bei internationalen Verbraucherstreitigkeiten im e-commerce – Die EG-Verordnung 44/2001 vom 22.12.2000 und der Haager Konventionsentwurf über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, VuR 2001, 169; Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im Europäischen Rechtsverkehr (2010); Rieländer, Die Inhalts- und Transparenzkontrolle von Rechtswahlklauseln im EU-Kollisionsrecht, RIW 2017, 28; Röß, Rügelose Einlassung bei grenzüberschreitenden Verbrauchersachen, NJW 2018, 3745; Rösler/Siepmann, Der Beitrag des EuGH zur Präzisierung von Art. 15 I EuGVO, EuZW 2006, 76; Rösler/Siepmann, Gerichtsstand bei gemischt privat-gewerblichen Verträgen nach europäischem Zivilprozessrecht, EWS 2006, 497; Roth, Datenschutz, Verbandsklage, Rechtswahlklauseln in Verbraucherverträgen: Unionsrechtliche Vorgaben für das Kollisionsrecht, IPRax 2017, 449; Röthel/Heßeler, Vertragsübernahme und Verbraucherschutz – Bewährungsprobe für ein junges Rechtsinstitut, WM 2008, 1001; Rott, Das IPR der Verbraucherverbandsklage, EuZW 2016, 733; Rühl, Kausalität zwischen ausgerichteter Tätigkeit und Vertragsschluss: Neues zum situativen Anwendungsbereich der Art. 15 ff. EuGVVO, IPRax 2014, 41; Schäfer, Lässt sich die Gewinnzusage nach § 661a BGB in das System des Bürgerlichen Rechts einordnen?, JZ 2005, 981; Schaltinat, Internationale Verbraucherstreitigkeiten (1998), zitiert: Schaltinat; Schuster-Wolf/Karsten, Entwicklungen im EU-Passagierrecht 2013–2014; Slonina, Verbrauchergerichtsstand aus Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO bei Vertragsschluss nach Internetwerbung auch ohne Kausalitätsnachweis, VbR 2014, 48; Staudinger, Anmerkung zu BGH, 28.11.2002 – III ZR 102/02, JZ 2003, 852; Staudinger, Anmerkung zu EuGH, 11.7.2002 – C-96/00, ZEuP 2004, 767; Staudinger, Internet-Buchung von Reisen und Flügen, RRa 2007, 98; Staudinger, in: Ferrari/Kieninger/Mankowski/Otte/Saenger/Staudinger, Internationales Vertragsrecht (2017), zitiert: Ferrari/Staudinger; Staudinger, in: Staudinger, BGB Reisevertragsrecht (erscheint 2020), zitiert: Staudinger/Staudinger, Reisevertragsrecht; Staudinger, Reichweite des Verbraucherschutzgerichtsstandes nach Art. 15 Abs. 2 EuGVVO, Anmerkung zu BGH, 12.6.2007 – XI ZR 290/06, IPRax 2008, 107; Staudinger, Streitfragen zum Erfüllungsortgerichtsstand im Luftverkehr, Anmerkung zu EuGH, 9.7.2009 – C-204/08, IPRax 2010, 140; Staudinger, Der EuGH hat es (aus)gerichtet – Harmonie zwischen Brüssel I-VO und Rom I-VO, AnwBl. 2011, 327; Staudinger, Europäisierung des § 29 Abs. 1 ZPO – zugleich Rezension von BGH, 18.1.2011, X ZR 71/10, JR 2012, 47; Staudinger, Anwendbarkeit des Verbraucherschutzgerichtsstandes der Brüssel I-VO bei Pauschalreisen im „unechten Inlandsfall“ – zugleich Anmerkung zum Vorlagebeschluss des LG Feldkirch, 20.9.2012 – 3 R 233/12 f, RRa 2013, 2; Staudinger, Die Buchung eines Ferienhauses ist eine Pauschalreise – und die Welt eine Scheibe, RRa 2013, 205; Staudinger, Anwendbarkeit des Art. 22 Nr. 1 Brüssel I-VO bei Ferienhausmietverträgen mit Verbrauchern – zugleich Rezension zu BGH, Urt. v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, RRa 2013, 58; Staudinger, Zur Kausalität zwischen Ausrichtung der Tätigkeit und Vertragsschluss, Anmerkung zu EuGH, 17.10.2013 – C-218/12, DAR 2013, 697; Staudinger, Der Schutzgerichtsstand im Sinne des Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel-VO bei Klagen gegen Reiseveranstalter und Vermittler – Rezension zur Entscheidung des EuGH vom 14.11.2013 in der Rechtssache C-478/12, RRa 2014, 10; Staudinger, Verbraucherverträge im Lichte der Rechtssache Emrek – Schutzgerichtsstand und anwendbares Recht, jM 2014, 229; Staudinger, EuGH: Unanwendbarkeit verbraucherprozessrechtlicher Vorschriften auf Verträge zwischen Verbrauchern, Anmerkung zu EuGH, 5.12.2013 – C-508/12, LMK 2014, 355575; Staudinger, Gerichtsstände hiesiger Kunden gegenüber Veranstaltern im Inland bei Pauschalreisen mit Auslandsbezug nach der Brüssel Ia-VO – pars pro toto für eine überschätzte ZPO, jM 2015, 46; Staudinger, Gerichtsstandsklauseln von Luftbeförderern gegenüber Verbrauchern in grenzüberschreitenden Sachverhalten: Schranken des Europäischen Zivilverfahrens- und
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Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 17–19 Privatrecht, RdTW 2018, 59; Staudinger, Allgemeine Beförderungsbedingungen und Gerichtsstandsvereinbarungen, Anmerkung zu OLG Wien, 28.5.2019 – 129 R 37/19p, RRa 2019, 236; Staudinger, Editorial, jurisPR-IWR 5/2019 Anm. 1; Staudinger/Bauer/Röben, Die Entwicklung des Reiserechts im ersten Halbjahr 2013, NJW 2013, 3760; Staudinger/Czaplinski, Inlandsgerichtsstands-AGB im über „passive Website“ vorbereiteten Mietvertrag über Wohnmobil – Internationale Zuständigkeit bei Verbrauchermietverträgen, NZM 2010, 461; Staudinger/FrensingDeutschmann, Klausur zum Internationalen Zivilverfahrens- und Privatrecht: Der shrekliche Broadwaybesuch, JuS 2015; Staudinger/Papadopoulos, Zum Wohnsitzgerichtsstand des Geschädigten gem. Art. 13 Abs. 2 i. V. m. Art. 11 Abs. 1 b EuGVVO – Zugleich Anmerkung zum Urteil des EuGH 31.1.2018 – C-106/17, VersR 2018, 978; Staudinger/Steinrötter, Verfahrens- sowie kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz bei Online-Geschäften – zugleich Besprechung des EuGH-Urteils vom 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08 und C-144/09, Pammer/Hotel Alpenhof, EWS 2011, 70; Staudinger/Steinrötter, Anmerkung zu EuGH, 6.9.2012 – C-190/11, NJW 2012, 3225; Staudinger/ Steinrötter, Anmerkung zu EuGH, 17.10.2013 – C-218/12, NJW 2013, 3505; Staudinger/Steinrötter, Neues Zuständigkeitsregime bei zivilrechtlichen Auslandssachverhalten, JuS 2015, 1; Steinrötter, Zuständigkeits- und kollisionsrechtliche Implikationen des europäischen Haftungstatbestands für fehlerhaftes Rating, ZIP 2015, 110; Steinrötter, Freier EU-Binnenmarkt im Internet und urheberrechtliche Grenzen am Beispiel des „Geoblocking“, EWS 2016, 17; Steinrötter, Anwendbares Recht bei Unterlassungsansprüchen in Bezug auf Rechtswahl- und Datenschutzklauseln von Online-Dienstleistern, Anmerkung zu EuGH, 28.7.2016 – C-191/15, juristPR-IWR 3/2017 Anm. 3; Stillner, Die internationale Zuständigkeit bei Verbraucherverbandsklagen, VuR 2008, 41; Sujecki, Anmerkung zu einer Entscheidung des EuGH, Urteil vom 14.11.2013 (C-478/12) – Der Begriff des anderen Vertragspartners beim Verbrauchergerichtsstand nach der EuGVVO, NJW 2014, 531; Thorn/Nickel, Der Schutz der strukturell unterlegenen Partei vor Schiedsverfahren – Anmerkung zu OGH Wien, 1.3.2017 – 5 Ob 72/16y, IPRax 2018, 541; Tonner, Der Vorschlag einer neuen Pauschalreiserichtlinie, ZPR 2014, 5; Wagner/Potsch, Gewinnzusagen aus dem Inland und Ausland, Jura 2006, 401; Wagner/Diehl, Internationale Zuständigkeit bei der Miete ausländischer Ferienhäuser, GPR 2014, 230; Wagner, Verbrauchergerichtsstand bei enger Verbindung zu früher geschlossenem Verbrauchervertrag, Anmerkung zu EuGH, 23.12.2015 – C-297/14, EuZW 2016, 269; Wilke, Verbraucherschutz im internationalen Zuständigkeitsrecht der EU – Status quo und Zukunftsprobleme, EuZW 2015, 13; Wittwer in FS Karl-Heinz Danzl (2017) 669.
I. Schutzgerichtsstand 1
Der 4. Abschnitt enthält Sonderregeln zum Verbraucherschutz. Der Sekundärrechtsgeber eröffnet dem Verbraucher als typischerweise wirtschaftlich schwächeren und rechtlich wenig erfahrenen Partei1 die Möglichkeit, vor dem Heimatforum zu klagen,2 sofern der Sachverhalt einen hinreichenden Auslandsbezug aufweist.3 Wirtschaftlicher Zweck der Bestimmungen ist es, das Vertrauen des Verbrauchers in den grenzüberschreitenden Binnenmarkt zu steigern.4 Die Vorschriften dieses Abschnitts ähneln den Regelungen zu Versicherungs- und Arbeitssachen und haben – vorbehaltlich der Art. 6 und 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO – abschließenden Charakter.5 Dieser wird auch aus einem Umkehrschluss zu dem reformierten Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO in Arbeitssachen deutlich, der ausdrücklich die Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO bei Klagen gegen den Arbeitgeber normiert. Die allgemeinen Zuständigkeitsbestimmungen der Art. 4, 7 Nr. 1–4, 8 Brüssel Ia-VO sind folglich nicht einschlägig.6 Art. 18 Brüssel Ia-VO regelt die internationale – und weitgehend auch die örtliche7 – Zuständigkeit sowohl für Klagen des Verbrauchers (Abs. 1) als auch gegen ihn (Abs. 2). Die Prorogationsfreiheit wird durch Art. 19 i.V.m. Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO erheblich eingeschränkt. Ein Zu1 EuGH v. 19.1.1993 – C-89/91, ECLI:EU:C:1993:15, IPRax 1995, 92 – Shearson vs. TVB Treuhandgesellschaft, EuGHE 1993 I 139, 187 Rz. 18; EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 472 Rz. 34; Kropholler/von Hein, vor Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 2. 2 Schlosser-Bericht Nr. 153, ABl. EG 1979 C 59/71, 117. 3 Dieser fehlte für Art. 16 Abs. 1 Brüssel I-VO jedenfalls, wenn die Parteien nicht in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig sind: östOGH, IPRax 2006, 607, 608 m. Anm. Heiderhoff, 612 ff.; auch AG Bremen EWiR Art. 16 Brüssel I-VO 1/08, 619 m. krit. Anm. Kumm; demgegenüber muss bei Klagen des Unternehmers Art. 16 Abs. 2 Brüssel I-VO auch in Fällen des gemeinsamen Wohnsitzes in einem Mitgliedstaat Beachtung finden Heiderhoff, IPRax 2006, 612, 613; s. auch Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 19; das grenzüberschreitende Element kann sich jedoch bei einem „unechten Inlandsfall“ auch aus einer grenzüberschreitenden Pauschalreise ergeben, s. dazu Rz. 6. 4 Heiderhoff, IPRax 2005, 230, 231; Hess, § 6 Rz. 98. 5 Jenard-Bericht zu Art. 7 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 30; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 17 Rz. 1. 6 von Hoffmann/Thorn, § 3 Rz. 235; Kropholler/von Hein, vor Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 1; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 17 Rz. 1 ff. 7 Siehe im Einzelnen Art. 18 Brüssel Ia-VO Rz. 1 ff.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO
ständigkeitsmangel kann allerdings kraft stillschweigender Prorogation nach Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO geheilt werden.8 Um den Verbraucher vor dem Verlust seines Schutzgerichtsstandes infolge einer ungewollten rügelosen Einlassung zu bewahren, hat der europäische Gesetzgeber im Zuge der Reform eine Belehrungspflicht in Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eingefügt. Abweichend von der Grundregel des Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO unterliegt die internationale9 Zuständigkeit nach Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO als Grund, die Anerkennung- bzw. Vollstreckung zu versagen, auf Antrag eines Berechtigten der Kontrolle des Gerichts des ersuchten Mitgliedstaates. Die Verbrauchersache wird in Art. 17 Brüssel Ia-VO legaldefiniert. Die dort genannten Begriffe sind autonom mit Hilfe eines binnenmarktweit einheitlichen Methodenkanons auszulegen.10 Angesichts der ratio legis scheidet der besondere Zuständigkeitskatalog bei reinen Privatgeschäften aus, da zwischen den Parteien kein wirtschaftliches Ungleichgewicht besteht und andernfalls die Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO zugunsten beider Seiten zur Anwendung gelangen müssten.11 Eine Klarstellung sieht insoweit Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO vor.12 Eine ausdrückliche sowie der im Rahmen einer rechtsaktübergreifenden systematischen Auslegung13 zu berücksichtigende Ausnahme entsprechender Konstellationen enthält nunmehr Art. 6 Rom I-VO,14 wonach die verbraucherschützende Kollisionsnorm lediglich zwischen einem Konsumenten und einem Unternehmer geschlossene Verträge erfasst. 8 OLG Koblenz, IPRax 2001, 334 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 16; Leible, JZ 2010, 272, 275; Musielak/Voit/Stadler, Art. 26 Rz. 2; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 26 Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 13 EuGVÜ Rz. 6; hierzu BGH, RIW 2005, 776 ff.; OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 935 f.; vgl. auch Ar t. 26 Rz. 11. 9 Nicht indes die örtliche, auch wenn sie unmittelbar in der Brüssel Ia-VO festgeschrieben wird; vgl. Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 76; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 45 Rz. 29. 10 EuGH v. 21.6.1987 – 150/77 – Bertrand vs. Ott, EuGHE 1978 I 1431, 1445 Rz. 12–16; EuGH v. 27.4.1999 – C-99/96, ECLI:EU:C:1999:202 – Mietz vs. Internship Yachting Sneek, EuGHE 1999 I 2277, 2310 Rz. 26; EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand GmbH, EuGHE 2005 I 481, 513 Rz. 32; EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 471 Rz. 31; Lutz/Neumann, RIW 1999, 827 ff.; beachte den Überblick bei Mankowski, RIW 1997, 990 ff.; zu den Methoden der Rechtsfindung im Europäischen Zivilprozessrecht auch Hess, IPRax 2006, 348 ff.; s. allgemein Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 35 ff. 11 Geimer/Schütze/Paulus, Art. 17 Rz. 29; Hk-ZPO/Dörner, Art. 17 Rz. 9; von Hoffmann/Thorn, § 3 Rz. 236; Keiler/Binder, RRa 2009, 210, 212; Lorenz, RIW 1987, 569, 576; Lorenz, IPRax 1994, 429 ff.; Magnus/Mankowski/ Mankowski/Nielsen, Art. 17 Rz. 42; Rauscher, IPR Rz. 1883; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 17 Rz. 3; so wohl auch Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 17 Rz. 8; anders Schack, Rz. 281. 12 Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 22; einschränkend Looschelders, JR 2007, 459, 460. 13 Zu Auslegungszusammenhängen zwischen den Gemeinschaftsrechtsakten Bitter, IPRax 2008, 96 ff.; Dutta, IPRax 2009, 293, 294 ff.; Hess, IPRax 2006, 348 ff.; Lando/Nielsen, CML Rev 2008, 1687, 1690; Lein, Yearbook of Private International Law 10 (2008) 177 ff.; Renna, 204. 14 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 L 177/6; hierzu: Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798 ff.; Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 ff.; Ferrari, Rome I Regulation Pocket Commentary (2014); Lando/Nielsen, CML Rev 2008, 1687 ff.; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 ff.; Mankowski, IHR 2008, 133 ff.; Martiny, RIW 2009, 737 ff.; Pfeiffer, EuZW 2008, 622 ff.; Solomon, Tulane Law Review 82 (2008), 1709 ff.; Wagner, IPRax 2008, 377 ff. sowie die Beiträge in Baetge/von Hein/von Hinden (Hrsg.), Festschrift Kropholler (2008) und dem Bonomi/Volken (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 10 (2008); beachte auch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 25.6.2009, BGBl. 2009 I 1574 ff.; zu den Vorarbeiten beachte die Beiträge in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2003) und Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007) sowie Bonomi (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 5 (2003); Fricke, VersR 2006, 745 ff.; Fricke, VersR 2005, 726 ff.; Heiss, VersR 2006, 185 ff.; Junker, RIW 2006, 401 ff.; Kieninger, EuZ 2007, 22 ff.; Leible, EuZ 2006, 78 ff.; Leible, IPRax 2006, 365 ff.; López-Rodríguez, European Review of Private Law 12 (2004), 167 ff.; Mankowski, IPRax 2006, 101 ff.; Mankowski, RIW 2005, 481, 483; Mankowski, ZEuP 2003, 483 ff.; Martiny, ZEuP 2008, 78; Martiny, ZEuP 2007, 212 ff.; Martiny, ZEuP 2003, 590 ff.; Max Planck Institute for Comparative and International Law, RabelsZ 71 (2007) 225 ff.; Meeusen/Pertegás/Straetmans (Hrsg.), Enforcement of International Contracts in the European Union (2004); Mauer/Sadtler, DB 2007, 1586 ff.; Staudinger, AnwBl. 2008, 8 ff.; speziell zum kollisionsrechtlichen Verbraucherschutz: Basedow, FS Jayme, 2004, 3 ff.; Bitterich, RIW 2006, 262 ff.; Bitterich, GPR 2006, 161 ff.; Ehle, GPR 2003–04, 49 ff.; Hoffmann/Primaczenko, IPRax 2007, 173 ff.; Looschelders, FS Lorenz, 2004, 441 ff.; Mankowski, ZVglRWiss 105 (2006), 120 ff.; Roth, FS Sonnenberger, 2004, 591 ff.; Rühl, GPR 2006, 196 ff.; Siems, GPR 2005, 158 ff.
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Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 17–19 Im Lichte der auf das Zuständigkeitsrecht ausstrahlenden herrschenden Meinung auf dem Gebiet des Verbraucherkollisionsrechts15 dürfte auch denjenigen Verbrauchern ein Rückgriff auf Art. 17–19 Brüssel Ia-VO eröffnet sein, die gegenüber einem grundsätzlich stärkeren Vertragspartner die vertragscharakteristische Leistung übernehmen (sog. c2b-Verträge). 3
Der 4. Abschnitt erfasst Streitigkeiten über das Zustandekommen eines Vertrages sowie vertragliche (Rückabwicklungs-)Ansprüche.16 Der besondere Zuständigkeitskatalog sieht weit reichende Ausnahmen vom Grundsatz des Beklagtenwohnsitzes vor. Demzufolge müssen die Vorschriften restriktiv interpretiert werden.17 Dies wirft etwa die Frage auf, ob allein zwei- oder gegenseitige Verträge erfasst werden.18 Allerdings hat der EuGH in der Rs. Ilsinger noch zu Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO entschieden, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift im Gegensatz zu Art. 13 Abs. 1 EuGVÜ nicht mehr auf Fallgestaltungen begrenzt ist, in denen die Parteien lediglich synallagmatische Pflichten vereinbart haben.19 Dies gilt jedoch nur unter dem Vorbehalt, dass ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und Verbraucher besteht. Obschon die Urteilsgründe zum Vorgängerrechtsakt ergingen, sind diese i.S.d. ErwG 34 S. 2 auf die Brüssel Ia-VO zu übertragen. Für die Anwendung des Verbrauchergerichtsstands auf Ansprüche aus vorvertraglicher Haftung ist zu differenzieren nach der Art der jeweiligen Pflichtverletzung und deren Nähe zur vertraglichen Einstandspflicht. Im Lichte der Tacconi-Doktrin20 ist die vorvertragliche Haftung wegen Abbruchs der Verhandlungen deliktisch zu quali15 Vgl. Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61, I-71; Prütting/Wegen/Weinreich/Remien, BGB5 (2010), Art. 6 Rom I-VO Rz. 2. 16 Hk-ZPO/Dörner, Art. 17 Rz. 6; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 17 Rz. 4 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 17 Rz. 5; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 13 EuGVÜ Rz. 23; auf den äußeren Tatbestand eines Vertragsverhältnisses abstellend: Zöller/Geimer, Art. 17 Rz. 14. 17 EuGH v. 19.1.1993 – C-89/91, ECLI:EU:C:1993:15, IPRax 1995, 92 – Shearson vs. TVB Treuhandgesellschaft, EuGHE 1993 I 139, 186 Rz. 13; EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 – Benincasa vs. Dentalkit, EuGHE 1997 I 3767, 3794 f. Rz. 13–16; EuGH v. 11.7.2002 – C-96/00, ECLI:EU:C:2002:436 – Rudolf Gabriel, EuGHE 2002 I 6367, 6399 Rz. 37; EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand GmbH, EuGHE 2005 I 481, 515 f. Rz. 42 f.; EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 471 Rz. 32; EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 – Renate Ilsinger vs. Martin Dreschers als Insolvenzverwalter im Konkurs der Schlank & Schick GmbH, EuZW 2009, 489, 490 Rz. 47; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 3; Thorn, IPRax 1995, 294 ff. 18 Siehe ausführlich zu isolierten Gewinnzusagen Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 9. 19 EuGH v. 14.5.2009 – C-180/16 – Renate Ilsinger vs. Martin Dreschers, EuZW 2009, 489, 491 Rz. 51 ff. 20 EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 – Officine Meccaniche Tacconi SpA vs. Heinrich Wagner Sinto Maschinenfabrik GmbH (HWS), EuGHE 2002 I 7357 ff.; hierzu Gebauer, JbItalR 15–16 (2002/2003), 155 ff.; Mankowski, IPRax 2003, 127 ff.; vgl. auch zu den Fallgruppen vorvertraglicher Haftung Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 111; zur Abgrenzung des vertraglichen vom deliktischen Gerichtsstand ebenfalls Stadler, FS Musielak, 2004, 569 ff. Die Bedeutung jener Judikatur für das IPR bestätigt die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU 2007 L 199/40. Dieser Gemeinschaftsrechtsakt legt den laut ErwGr. 11 S. 2 Rom II-VO autonom zu interpretierenden Begriff des „außervertraglichen Schuldverhältnisses“ nunmehr in Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO fest. Danach ist die Haftung aus culpa in contrahendo im Binnenmarkt deliktsrechtlich zu qualifizieren und unterfällt der Rom II-VO; hierzu Ersoy, Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 91 ff.; Lüttringhaus, RIW 2008, 193 ff.; s. auch Dutta, IPRax 2009, 293, 296 f.; allgemein zu diesem Sekundärrechtsakt s.: Garcimartín Alférez, EuLF 2007, I-77 ff.; Heiss/Loacker, JBl 2007, 613 ff.; Junker, NJW 2007, 3675 ff.; Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009) 1 ff.; Kühne, FS Deutsch (2009) 817 ff.; Leible, RIW 2008, 257 ff.; Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 ff.; Ofner, ZfRV 2008, 13 ff.; Staudinger, AnwBl. 2008, 8 ff.; Sujecki, EWS 2009, 310 ff.; Symeonides, AJCL 56 (2008), 173 ff.; Wagner, IPRax 2008, 1 ff. sowie die Beiträge in Baetge/von Hein/von Hinden (Hrsg.), Festschrift Kropholler (2008) und Bonomi/Volken (Hrsg.), Yearbook of Private International Law 9 (2007); beachte auch das Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom 10.12.2008, BGBl. 2008 I 2401 f.; zum Entwurf der Bundesregierung (BTDrucks. 16/9995): Wagner, IPRax 2008, 314 ff.; zu den vorausgegangenen Verordnungsvorschlägen: Benecke, RIW 2003, 830 ff.; Fuchs, GPR 2003–04, 100 ff.; von Hein, VersR 2007, 440 ff.; Huber/Bach, IPRax 2005, 73 ff.; Leible/Engel, EuZW 2004, 7 ff.; Mankowski, RIW 2005, 481 ff.; Sonnentag, ZVglRWiss 105 (2006), 256 ff.; Staudinger, Mitteilungsblatt DAV Internationaler Rechtsverkehr 2007, 28 ff.; Symeonides, FS Jayme, 2004, 935 ff.; Wagner, IPRax 2006, 372 ff.; hierzu mit Blick auf Verkehrsunfälle: Huber, SVR 2009, 9 ff.; Junker, JZ 2008, 169 ff.; Staudinger, ZGS 2005, 121; Staudinger, SVR 2005, 441 ff.; Staudinger, FS Kropholler, 2008, 691 ff.; Thiede/Kellner, VersR 2007, 1624 ff.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO
fizieren, so dass weder Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO noch Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO zur Anwendung gelangen.21 Gleiches ist für die infolge eines Informationsbesuchs ohne reales Vertragsinteresse begründete Haftung anzunehmen.22 Kommt es zu einer Schädigung an einem geschützten Rechtsgut des Verbrauchers durch unerlaubte Handlung im Kontext der Vertragsanbahnung, ist der Verbrauchergerichtsstand ebenfalls nicht eröffnet.23 Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich nach einem jüngsten Urteil des EuGH allerdings für eine Haftung aus vorvertraglicher Informationspflichtverletzung.24 Der Gerichtshof erlaubte die Heranziehung des Verbrauchergerichtsstands für Ansprüche wegen Aufklärungspflichtverletzung unter der Bedingung, dass es tatsächlich zu einem Vertragsschluss gekommen ist und die deliktische Haftung „untrennbar“ mit diesem Vertrag verbunden ist. Zwar wird die vorvertragliche Einstandspflicht auf kollisionsrechtlicher Ebene außervertraglich qualifiziert, ist aber nach Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO vertragsakzessorisch anzuknüpfen. Im Sinne der Kohärenz von anwendbarem Recht und Gerichtsstand möchte der Gerichtshof dieses Verständnis auf Art. 17 Brüssel Ia-VO übertragen und daher Ansprüche aus Aufklärungspflichtverletzung mit enger Nähe zum Vertrag dem Verbrauchergerichtsstand zuordnen.25
II. Deliktische Ansprüche Deliktische Ansprüche unterfallen hingegen angesichts des klaren Wortlauts nicht den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO.26 Bislang lehnt es der EuGH in ständiger Judikatur27 ab, konkurrierende vertragliche Ansprüche zum Gerichtsstand der unerlaubten Handlung zu ziehen28.29 Eine ebenso klare Absage an einen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs fehlt jedoch im spiegelbildlichen Fall,30 zumal die 21 Hierfür spricht auch Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO, wonach Schuldverhältnisse aus Verhandlungen über den Abschluss eines Vertrags nicht dem Gemeinschaftsrechtsakt unterfallen; zu dieser Harmonisierungsmaßnahme s. die Angaben in Fn. 14. 22 So auf kollisionsrechtlicher Ebene im Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO: Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 624. 23 Dies bestätigt der Vergleich mit den Kollisionsnormen der Rom II-VO. Bei vertragsnahen Pflichtverletzungen soll Art. 12 Rom II-VO und bei deliktischen Tatbeständen Art. 4 Rom II-VO einschlägig sein. Nach ErwGr. 30 S. 2 Rom II-VO fallen unter das Verschulden bei Vertragsverhandlungen nach Art. 12 Rom II-VO die Verletzung von Offenbarungspflichten und der Abbruch von Vertragsverhandlungen, nicht aber schädigende unerlaubte Handlungen. Eine entsprechende Differenzierung kann auch für das internationale Verfahrensrecht Geltung beanspruchen: Hk-ZPO/Dörner, Art. 7 Rz. 10; Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 75; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 7 Rz. 12; Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 30; in diesem Sinne wohl auch Bitter, IPRax 2008, 96, 99 f.; a.A. Lüttringhaus, RIW 2008, 193, 199; Wagner, IPRax 2008, 1, 12; beachte auch Henk, Die Haftung für culpa in contrahendo im IPR und IZVR (2007). 24 EuGH v. 2.4.2020 – C-500/18 – AU vs. Reliantco Investments LTD, Reliantco Investments LTD Limassol Sucursala Bucures¸ti, RIW 2020, 353 ff. m. Anm. Pfeiffer, LMK 2020, 429785. 25 EuGH v. 2.4.2020 – C-500/18 – AU vs. Reliantco Investments LTD, Reliantco Investments LTD Limassol Sucursala Bucures¸ti, RIW 2020, 353 ff. m. Anm. Pfeiffer, LMK 2020, 429785. 26 Ebenso Geimer/Schütze/Paulus, Art. 17 Rz. 9; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 84; Lüderitz, FS Riesenfeld, 1983, 147, 160; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 17 Rz. 4 ff.; Schaltinat, 77; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 17 Rz. 4. Auch die Ratinghaftung ist als außervertragliches Schuldverhältnis zu qualifizieren und somit nicht vom Anwendungsbereich der Verbrauchersachen erfasst, s. dazu Steinrötter, ZIP 2015, 110, 112. 27 EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459, IPRax 1989, 288 – Athanasios Kalfelis vs. Bankhaus Schröder, Münchinger, Hengst & Co. u.a., EuGHE 1988 I 5565, 5586 Rz. 20; weitere Nachweise zur Judikatur des EuGH bei Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 113; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 46, 50. 28 Gegen eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs: BGH, IPRax 2006, 40, 43 f. m. Anm. Looschelders, 14 ff.; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 113; vgl. auch Staudinger, ZEuP 2004, 767, 777 f. Im Rahmen von Art. 5 Nr. 3 LugÜbk 1988 einen Vorrang des Vertragsgerichtsstandes infolge einer Anspruchsgrundlagenkonkurrenz ablehnend: BGH, IPRax 2009, 150, 151 m. zust. Anm. Spickhoff 128 ff. 29 § 32 ZPO eröffnet ebenso keinen Gerichtsstand des Sachzusammenhangs im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit: BGH, JZ 2003, 687, 689 m. Anm. Mankowski, 689 ff.; hierzu auch Kiethe, NJW 2003, 1294 ff.; BGH, RIW 2005, 307, 309 ff.; vgl. auch Staudinger, ZEuP 2004, 767, 777 f. 30 Für eine Annexzuständigkeit kraft Sachzusammenhangs: OLG Frankfurt, EuZW 2009, 309, 310; Geimer, EuZW 1993, 564, 566; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 26; Gebauer/Wiedmann/Gebauer,
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Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 17–19 Grundsätze der Entscheidung in der Rs. Gabriel31 nicht als „overruled“ anzusehen sind.32 Eine derartige „vertragsakzessorische Lösung“33 bedeutet im Rahmen des EuGVÜ wie der Brüssel I-VO/Brüssel Ia-VO zwar Neuland.34 Für sie spricht aber neben der Prozessökonomie und der prägenden Kraft des Vertrages nunmehr auch Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO, wonach die Ausweichklausel eine Berücksichtigung der Gesamtheit von Umständen sowie eine engere Beziehung der unerlaubten Handlung zu einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien gestattet.35 Auch der Regelung des Art. 8 Nr. 4 Brüssel Ia-VO, welche die klageweise Geltendmachung von vertraglichen und dinglichen Ansprüchen normiert, ist nicht zu entnehmen, dass sich im Rahmen von Verbrauchersachen ein sonstiger Sachzusammenhang verbietet. 5
Die Entscheidung des EuGH in der Rs. Brogsitter36 geht über die Konstellation des Sachzusammenhangs hinaus, bei dem ein konkurrierender, als deliktisch qualifizierter Anspruch akzessorisch am Vertragsgerichtsstand geltend gemacht wird. Nach Ansicht des Gerichtshofs liegt ein vertraglicher Gerichtsstand vor, wenn das Rechtsgeschäft zur Auslegung deliktischer Handlungen heranzuziehen ist.37 Der EuGH hatte dabei das Verhältnis der Art. 5 Nr. 1 lit. a Brüssel I-VO und Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO im Blick. Aufgrund des identischen Wortlautes lässt sich diese Abgrenzung gleichermaßen auf die Nachfolgevorschriften der Art. 7 Nr. 1 und Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO übertragen.38 Im Ergebnis ist demnach eine Forderung aus einer deliktischen Handlung zwischen Parteien einer Vereinbarung,39 wenn diese eine hinreichende Ausstrahlungswirkung entfaltet, von vornherein am Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO einzuklagen und somit rechtsgeschäftlich zu qualifizieren.40 Dies gilt ungeachtet der Möglichkeit, dass ein Anspruch dem nationalen Deliktsrecht eines Mitgliedstaats zugeordnet wird. Nun vermag ein Vertrag in vielfältiger Weise die Einstandspflicht aus unerlaubter Handlung modifizieren oder auch sperren.41 Haftungsprivilegierungen bestimmter Vertragstypen wie etwa § 599 BGB sowie kürzere Verjährungsfristen, beispielsweise § 548
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Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 84; Hk-ZPO/Dörner, Art. 17 Rz. 7; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 17 Rz. 2; Staudinger, ZEuP 2004, 767, 770 f.; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 13 EuGVÜ Rz. 24; Zöller/Geimer, Art. 17 Rz. 12; a.A. Musielak/Voit/Stadler, Art. 17 Rz. 1; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 17 Rz. 4. EuGH v. 11.7.2002 – C-96/00, ECLI:EU:C:2002:436 – Rudolf Gabriel, EuGHE 2002 I 6367, 6404 Rz. 60 zu Art. 13 EuGVÜ; OLG Hamm, RIW 2003, 305 ff.; OLG Dresden, IPRax 2002, 421 ff.; OLG Nürnberg v. 28.8.2002 – 4 U 641/02, NJW 2002, 3637 ff.; östOGH v. 3.4.2003 – 6 Nc 10/03b; Fetsch, RIW 2002, 936 ff.; Feuchtmeyer, NJW 2002, 3598 f.; Klauser, ecolex 2002, 80 ff.; Klauser, ecolex 2002, 574 ff.; Leible, IPRax 2003, 28 ff.; Mankowski, EWiR 2002, 873 f.; Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 328 ff.; Simons, EuLF (D) 2003, 43 f.; Staudinger, ZEuP 2004, 767 ff.; Wukoschitz, ecolex 2002, 423 ff. Der Gerichtshof nimmt in der Rs. Engler (EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Petra Engler vs. Janus Versand GmbH EuGHE 2005 I 481 ff.) etwa in den Rz. 29 und 33 auf die frühere Entscheidung in der Rs. Gabriel (EuGH v. 11.7.2002 – C-96/00, ECLI:EU:C:2002:436 – Rudolf Gabriel, EuGHE 2002 I 6367 ff.) Bezug; abweichend die Deutung der jüngeren Judikatur durch Looschelders, IPRax 2006, 14, 16. So auch Leible, IPRax 2003, 28, 31 ff.; Zöller/Geimer, Art. 17 Rz. 12. Auch in der Rs. Ilsinger (EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 – Renate Ilsinger vs. Martin Dreschers als Insolvenzverwalter im Konkurs der Schlank & Schick GmbH, EuZW 2009, 489 ff. = RIW 2009, 485 ff.) zieht der Gerichtshof die Rs. Gabriel etwa in Rz. 43 f., 58 heran. Krit. daher Fetsch, RIW 2002, 936, 943; Mankowski, EWiR 2002, 873, 874. In diesem Sinne auch: Hk-ZPO/Dörner, Art. 17 Rz. 7; Spickhoff, IPRax 2009, 128, 132. Zur Rom II-VO s. die Angaben in Fn. 19. EuGH v. 13.3.2014 – C-548/12, ECLI:EU:C:2014:148, IPRax 2016, 149 – Marc Brogsitter vs. Fabrication de Montres Normandes EURL u.a., EuZW 2014, 383 f. m. Anm. Sujecki, 384; Dornis, GPR 2014, 352 ff.; Wendenburg/Schneider, NJW 2014, 1633 ff. An dieser Doktrin hält der Gerichtshof fest: EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37, IPRax 2016, 143; dazu Steinrötter, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 2. EuGH v. 13.3.2014 – C-548/12, ECLI:EU:C:2014:148, IPRax 2016, 149 – Marc Brogsitter vs. Fabrication de Montres Normandes EURL u.a., EuZW 2014, 383, 384 Rz. 24 ff. Nach ErwGr. 34 S. 2 Brüssel Ia-VO soll die Auslegung des EuGH auf die Brüssel Ia-VO übertragen werden. Machen allerdings Aktionäre deliktische Ansprüche gegen die Gesellschaft nach dem WpHG geltend, so fehlt es an dem erforderlichen Vertrag zwischen den Parteien, zu dem eine hinreichend enge Beziehung bestehen könnte. Aktien werden regelmäßig auf dem Sekundärmarkt und nicht vom Emittenten erworben, OLG Braunschweig v. 10.6.2020 – 3 W 6/18 Rz. 65. Hierzu Staudinger/Steinrötter, JuS 2015, 1 ff. Hk-BGB/Staudinger, Vor §§ 823–853 BGB Rz. 13.
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Kap. II: Zuständigkeit
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BGB, schlagen auf § 823 BGB durch. Ebenfalls lassen sich Einstandspflichten aus unerlaubter Handlung durch vertragliche Abreden begrenzen oder ausschließen. Ferner können kaufrechtliche Wertungen wie das Recht zur zweiten Andienung zu einem Konflikt etwa bei „weiterfressenden Mängeln“ und der Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB führen. Die Wirkung des Vertrags wird demnach schon als Sachurteilsvoraussetzung geprüft, so dass innerhalb der Zulässigkeitskontrolle eine Prüfung der kollisions- und sachrechtlichen Aspekte vorzunehmen ist.42 Die ratio decidendi der Rs. Brogsitter ist ebenfalls auf die speziellen Vertragsgerichtsstände in Verbrauchersachen der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO übertragbar.43 Auch hinsichtlich negativer Feststellungsklagen44 wird der Schutz des Konsumenten verstärkt, wenn eine solche nach Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nur an seinem Wohnsitz und nicht etwa am Erfolgsort nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO erhoben werden kann. Durch diese Aufwertung sowie die Entscheidungen des EuGH zum situativen Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO45 verliert der Schutzgerichtsstand indes immer mehr seinen Ausnahmecharakter.
III. Der „unechte Inlandsfall“ Der „unechte Inlandsfall“ ist von dem „echten Inlandsfall“ sowie der Einbeziehung Drittstaatenbeklagter46 zu trennen. Schließt ein in Deutschland ansässiger Kunde (über ein stationäres oder virtuelles Reisebüro)47 einen Pauschalreisevertrag mit einem hiesigen Veranstalter und macht nach Ende seines Urlaubes etwaige Minderungs- bzw. Schadensersatzansprüche geltend, so geht die bislang nahezu einhellige Ansicht48 davon aus, dass insoweit die ZPO einschlägig sei. Dies soll ungeachtet davon gelten, ob es sich um einen „echten Inlandsfall“ handelt oder die Vertragsdurchführung gegenüber dem Kunden (teilweise) im Ausland erfolgt. Weist der Sachverhalt keinerlei grenzüberschreitenden Bezug auf, weil nicht nur die beiden Parteien in Deutschland ansässig sind, sondern hier der Abschlussort des Rechtsgeschäfts sowie sämtliche Elemente seiner Erfüllung angesiedelt sind, so ist zweifelsohne die ZPO als Rechtsquelle in derartigen „echten Inlandsfällen“ maßgeblich. Führt indes die Pauschalreise den Kunden ins Ausland (Mitglied- oder Drittstaat), etwa per Flugzeug in eine Clubanlage oder auf einem Kreuz-
42 Überträgt man die Brogsitter-Entscheidung ins Kollisionsrecht, dann geht die Reichweite über eine akzessorische Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO hinaus. Vielmehr kann eine Anknüpfung innerhalb der Rom I-VO angedacht werden, wenn man im Lichte von ErwGr. 7 Rom I-VO wie Rom II-VO von einem harmonischen sekundärrechtaktsübergreifenden Vertragsbegriff ausgeht. Folgt man dem nicht, dann wird jedoch ein Gleichlauf über Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO erreicht. Weitere Bedeutung könnte die Entscheidung auch in Drittstaatensachverhalten im Anwendungsbereich der ZPO bei der Abgrenzung zwischen § 29 und § 32 ZPO haben. 43 Diesem Ansatz steht nicht entgegen: EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37, IPRax 2016, 143; dazu Steinrötter, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 2. Der konkrete Anlassstreit betraf nämlich eine Dreierkonstellation. In den obigen Ausführungen wird die Brogsitter-Formel indes im bipolaren Unternehmer-Verbraucherverhältnis herangezogen. 44 Siehe ausführlich Art. 18 Brüssel Ia-VO Rz. 7. 45 Dazu ausführlich Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 14 ff. 46 Zu der Vereinheitlichung des Verfahrensrechts bei in Drittstaaten ansässigen Antragsgegnern s. Malatesta, Die Auswirkungen der Revision der Brüssel I-Verordnung auf den deutsch-italienischen Rechtsverkehr in: Jayme/Mansel/Pfeiffer/Stürner (Hrsg.), Jahrbuch für Italienisches Recht (Band 25), Europäische Einflüsse auf den deutsch-italienischen Rechtsverkehr, S. 47 ff. 47 Beachte in diesem Zusammenhang das Urteil des EuGH in der Rs. Maletic, welches eine Dreierkonstellation betraf, bei welcher der Vertrag zwischen dem Veranstalter und Kunden mit gemeinsamer Ansässigkeit in einem Mitglied- über ein virtuelles Reisebüro in einem zweiten Mitgliedstaat zustande kam; EuGH, RRa 2014, 13 ff.; hierzu Müller, EuZW 2014, 34 f.; Staudinger, RRa 2014, 10 ff.; Sujecki, NJW 2014, 531. Siehe in Abgrenzung zur Rs. Maletic auch EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37, IPRax 2016, 143; dazu Steinrötter, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 2. 48 Siehe zum Streitstand: Staudinger, RRa 2013, 1, 3.
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Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 17–19 fahrtschiff zu verschiedenen Häfen, so sollen die nachfolgenden Ausführungen aufzeigen, dass die vorherrschende Auffassung fehl geht. Vorrangig zu prüfen ist vielmehr die Brüssel Ia-VO.49 Hinsichtlich der räumlichen Geltung der Brüssel Ia-VO setzt Art. 1 Abs. 1 S. 1 seinem Wortlaut nach allein voraus, dass eine Begebenheit auf dem Gebiet der Zivil- und Handelssachen vorliegt und kein Ausschluss nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO und ebenso wenig Abs. 2 eingreift. Aus dem Kompetenztitel in Art. 67 Abs. 4 und Art. 81 Abs. 1, 2 lit. a, c und e AEUV50 folgt, dass der Sachverhalt einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen muss. Diese Vorgabe der Ermächtigungsgrundlage ist primärrechtskonform in die Brüssel Ia-VO hineinzulesen, da man nicht unterstellen kann, der europäische Gesetzgeber habe beim Erlass des Sekundärrechtsakts kompetenzwidrig handeln wollen. Damit bleibt festzuhalten: Aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO im Zusammenspiel mit dem Kompetenztitel ist lediglich das eine Erfordernis abzuleiten, nämlich dass ein gerichtlich geltend gemachter Sachverhalt kein „echter Inlandsfall“ sein darf, sondern einen irgendwie gearteten grenzüberschreitenden Aspekt haben muss. Dieser Vorgabe genügt allerdings zweifelsohne die hier besprochene Fallgestaltung der Pauschalreise, welche vollständig oder teilweise im Ausland durchgeführt wird. Zum Vorläuferrechtsakt, der Brüssel I-VO, haben Stimmen im Schrifttum51 ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal befürwortet, wonach sie im Grundsatz allein Konstellationen erfasse, bei denen ein Binnenmarktbezug bestehe. Ein solcher Filter stieß schon in der Vergangenheit auf erhebliche dogmatische Bedenken. Erst recht lässt sich mit Blick auf die nunmehr maßgebliche Brüssel Ia-VO eine solche These nicht mehr aufrecht halten.52 Insbesondere in Verbrauchersachen belegt der neu geschaffene Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO, dass ein hiesiger Verbraucher unter bestimmten sachlichen und situativen Voraussetzungen sogar dann dem Schutzgerichtsstand unterfallen und daheim am international sowie örtlich zuständigen Wohnsitzgericht prozessieren kann, wenn der Unternehmer in einem Drittstaat ansässig ist. Demnach besteht ganz allgemein und mithin ebenso in Verbrauchersachen kein ungeschriebenes Tatbestandserfordernis für die Brüssel Ia-VO, dass ein Sachverhalt stets Bezüge zu zwei Mitgliedstaaten aufweisen muss. 6a
Somit gelangt man zu der eigentlichen Fragestellung, ob die Anwendbarkeit der Brüssel Ia-VO davon abhängt, dass Kläger und Beklagter in zwei verschiedenen Ländern (Mitglied- oder Drittstaat) wohnhaft sind oder der Sekundärrechtsakt jedenfalls in Verbrauchersachen ebenso „unechte Inlandsfälle“ einschließt, in denen zwar die beiden Prozessparteien ihr Domizil in demselben Mitgliedstaat haben, indes ein grenzüberschreitender Bezug zum Ausland (Mitglied- oder Drittstaat) besteht. Erneut bleibt hervorzuheben, dass die Ermächtigungsgrundlage in Art. 67 Abs. 4 und Art. 81 Abs. 1, 2 lit. a, c und e AEUV ebenso wenig eine derartige Vorgabe enthält wie Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel IaVO. Auch aus der Eingangsbestimmung zum allgemeinen Gerichtsstand in Art. 4 Abs. 1 Brüssel IaVO lässt sich kein abweichendes Ergebnis herauslesen. In diesem Zusammenhang ist vielmehr darauf hinzuweisen, dass der EuGH in der Rs. Owusu53 für die Vorläuferbestimmung in Art. 2 Abs. 1 Eu49 Beachte in dem Zusammenhang die Entscheidung des BGH v. 25.6.2019 – X ZR 166/18, NJW 2019, 3375, in welcher der erkennende Senat einen grenzüberschreitenden Bezug bei einer Reise ins Ausland unterstellt und das anwendbare Recht folglich anhand der Rom I- sowie Rom II-VO ermittelt, dazu Bohlsen, RRa 2019, 265 ff.; Pfeiffer, LMK 2019, 421265; Schwenker, jurisPR-BGHZivilR 21/2019 Anm. 2; Staudinger, jM 2020, 141 ff.; ders., jurisPR-IWR 5/2019 Anm. 1. 50 Siehe auch Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 1, 9a und 10 zu Art. 65 EGV sowie zur sachlichen Erweiterung der Unionskompetenz infolge Art. 81 AEUV des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrags von Lissabon (Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 zur Änderung des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU 2007 C 306/1 ff.; zu den konsolidierten Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), ABl. EU 2008 C 115/1 ff. s. etwa: Bergmann, DÖV 2008, 305 ff.; Hatje/Kindt, NJW 2008, 1761 ff.; Lengauer, ZfRV 2008, 4 ff.; Oppermann, DVBl. 2008, 473 ff.; Pache/Rösch, NVwZ 2008, 473 ff.; Pernice, EuZW 2008, 65; Streinz, ZG 2008, 105 ff.; Terhechte, EuR 2008, 143 ff.; beachte auch das Lissabon – Urteil des BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, NJW 2009, 2267 ff.; zum gescheiterten Verfassungsvertrag und den Perspektiven der Gemeinschaft: Mayer, JZ 2007, 593 ff.; Rabe, NJW 2007, 3153 ff.; Richter, EuZW 2007, 631 ff.; Schubert/ Schwithal, NJ 2008, 337 ff.; Weber, EuZW 2008, 7 ff.; vgl. auch Vedder/Wolff/von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag (2007). 51 Siehe hierzu die Angaben bei Staudinger, RRa 2013, 1, 3. 52 Siehe dazu Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 3. 53 EuGH, EuZW 2005, 345.
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Kap. II: Zuständigkeit
Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO
GVÜ bereits überzeugend ausgeführt hat, es schade ihrer Anwendbarkeit nicht, wenn Kläger und Beklagter ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben. Diese Judikatur lässt sich auf Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO sowie den Nachfolgerechtsakt und mithin Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO übertragen. Dies folgt aus ErwGr. 34 S. 2 Brüssel Ia-VO. Vor diesem Hintergrund bleibt festzuhalten, dass eine gemeinsame Ansässigkeit beider Prozessparteien nicht von vornherein dem Sekundärrechtsakt entgegensteht. Dieser Befund für den allgemeinen Gerichtsstand deckt sich mit Art. 24 Nr. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO. Dort hat der supranationale Gesetzgeber im Rahmen der ausschließlichen Zuständigkeit für bestimmte Miet- und Pachtverfahren einen Wahlgerichtsstand für die Situation geschaffen, dass Eigentümer sowie Mieter und Pächter ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben. Wäre aber die Brüssel Ia-VO bei gemeinsamer Ansässigkeit von Kläger und Beklagten nicht einschlägig, gelangte man niemals zu ihrem Art. 24 Nr. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO. Die europäische Legislative muss demzufolge auch „unechte Inlandsfälle“ mit bedacht haben. Unterstreichen lässt sich dieses Ergebnis durch die Neufassung von Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO. Dieser betrifft Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Parteien „unabhängig von ihrem Wohnsitz“.54 Demnach entbehrt die pauschale Annahme, die Brüssel Ia-VO schließe a priori Fallgestaltungen mit gemeinsamer Ansässigkeit von Kläger und Beklagten in einem Mitgliedstaat von ihrem Anwendungsbereich aus, jeder Grundlage. Vielmehr belegen gerade Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO im Lichte der übertragbaren Owusu-Doktrin des Gerichtshofs sowie beispielhaft Art. 24 Nr. 1 S. 2 und Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO das Gegenteil. Damit verbleibt zu prüfen, ob in Verbrauchersachen die gemeinsame Ansässigkeit von Veranstalter 6b und Kunden in einem Mitgliedstaat die für vertragliche Ansprüche speziellen Art. 17 bis 19 Brüssel Ia-VO sperrt. Die Antwort hierauf kann allein eine Auslegung dieses Abschnitts 4 geben, die autonom anhand von Wortlaut, Historie, Systematik sowie Teleologie zu erfolgen hat. Die Eingangsbestimmung über den persönlichen sachlichen sowie situativen Anwendungsbereich in Art. 17 Brüssel Ia-VO enthält an keiner Stelle eine Einschränkung des europäischen Gesetzgebers, der Unternehmer müsse in einem anderen (Mitglied-)Staat ansässig sein und von dort, also aus der Ferne, eine berufliche bzw. gewerbliche Tätigkeit in dem Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausüben oder sich von außen auf dieses Land hin ausrichten. Verbleibende Zweifel werden beseitigt, nimmt man einmal die Neufassung des Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO in den Blick. An dieser Stelle macht der europäische Gesetzgeber unmissverständlich klar, dass der Verbraucher an seinem Wohnsitzgericht prozessieren kann, und zwar vollkommen losgelöst von der Frage, wo der Unternehmer seinerseits ansässig ist. Dass aber „unechte Inlandsfälle“ nicht nur dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO allgemein, sondern speziell dem Schutzregime für Verbrauchersachen in ihrem Abschnitt 4 unterfallen, wird schließlich durch Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO55 eindeutig belegt. Diese Vorschrift betrifft Schranken individueller sowie vorformulierter Gerichtsstandsabreden zu Lasten der Unternehmer. Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO erlaubt eine abweichende Vereinbarung, wenn die Parteien „zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben“56 und die Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaates begründet wird. Wenn aber der europäische Gesetzgeber für den Fall, dass Verbraucher und Unternehmer bei Vertragsschluss in demselben Mitgliedstaat domiziliert sind, vorgibt, dass die internationale Zuständigkeit der Gerichte dieses Landes prorogiert werden darf, so muss die Brüssel Ia-VO unter Einschluss von Abschnitt 4 in Verbrauchersachen derartige Sachverhalte denklogisch umfassen. Denn Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO gelangt unabhängig davon zur Anwendung, ob etwa der Verbraucher in seinem Land verbleibt oder nach Vertragsschluss seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlagert und nunmehr der Unternehmer womöglich aus Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO heraus Gefahr läuft, dass der Verbraucher seinen Aktivprozess vor dem international und örtlich zuständigen Gericht im neuen Mitgliedstaat führt. Der im Lichte der Ermächtigungsgrundlage aus Art. 67 Abs. 4 und Art. 81 Abs. 1, 2 lit. a, c und e AEUV zwingend abzuleitende grenzüberschreitende Bezug kann sich daher zwangsläufig nur aus ei-
54 Das OLG Frankfurt geht in einer Entscheidung zur Vorgängervorschrift Art. 23 Brüssel I-VO sogar davon aus, diese erfordere überhaupt keinen Auslandsbezug (OLG Frankfurt v. 30.3.2015 – 23 U 11/14; dazu kritisch Peschke, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 3). 55 Zu Art. 17 Nr. 3 Brüssel I-VO so auch Slonina, ecolex 2013, 535 f. 56 Hervorhebung durch den Verfasser.
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Vor Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Vorbemerkungen zu Art. 17–19 nem anderen Element ableiten als der übereinstimmenden Ansässigkeit. Dieser ergibt sich aber ohne weiteres aus der Durchführung eines Vertrags allein oder eben auch im Ausland. 6c
Die vorangehenden Ausführungen stehen ferner im Einklang mit der übergreifenden Systematik des Europäischen Kollisions- und Zivilverfahrensrechts. Ereignet sich das schädigende Ereignis im Ausland, ist das anwendbare Vertrags- und Deliktsrecht unter Rückgriff auf die Rom I- und Rom II-VO zu ermitteln.57 Weshalb nun aber derselbe Sachverhalt einerseits für das Internationale Privatrecht und mithin Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom I- wie Rom II-VO eine hinreichende Verbindung zu verschiedenen Staaten aufweist, nicht aber für das Internationale Zivilverfahrensrecht und damit Art. 1 Abs. 1 S. 1, bleibt unerfindlich. Für ein einheitliches Verständnis streitet vielmehr das Gebot der übergreifenden systematischen Interpretation. Dieses Ziel der harmonischen Auslegung findet sich explizit gleichermaßen in ErwGr. 7 Rom I- wie Rom II-VO. Danach sind sämtliche Rechtsakte, nämlich einerseits Rom I- und Rom II-VO sowie andererseits die Brüssel I-VO möglichst übereinstimmend zu interpretieren. Dies gilt über Art. 80 Brüssel Ia-VO ebenfalls für diesen Nachfolgerechtsakt.
6d
Schließlich lässt sich für die hier vertretene Auffassung die Reform58 der EG-BagatellVO59 ins Feld führen. Bislang sieht Art. 3 der jetzigen Bagatell-VO vor, dass eine grenzüberschreitende Rechtssache im Sinne des Rechtsakts dann gegeben ist, „wenn mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts hat“. Die Kommission60 spricht sich dafür aus, zukünftig eine abweichende Legaldefinition für den Begriff der grenzüberschreitenden Rechtssache aufzunehmen. Danach soll die reformierte Bagatell-VO nur dann nicht gelten, wenn sich bestimmte, in einem Katalog aufgeführte Elemente beim Eingang eines Klageformblatts am zuständigen Gericht vollumfänglich in einem einzigen Mitgliedstaat lokalisieren lassen. Die Kommission schlägt anders gewendet vor, den reinen Inlandsfall, welcher allein zum Ausschluss der neuen Bagatell-VO führt, eindeutig festzulegen. Als relevante Gesichtspunkte, welche dem Sachverhalt ein grenzüberschreitendes Gepräge geben können, zählen laut Vorschlag nach Art. 2 Abs. 2 lit. a Brüssel Ia-VO „der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt der Parteien“, laut lit. b „der Ort der Vertragserfüllung“, kraft lit. c „der Ort, an dem der die Forderung begründende Sachverhalt entstanden ist“, gem. lit. d „der Ort der Urteilsvollstreckung“ und nach lit. e „das zuständige Gericht“. Aus dem vorgeschlagenen Art. 2 Abs. 2 lit. b und c Brüssel Ia-VO lässt sich daher ableiten, dass eine Fallgestaltung, bei welcher Veranstalter und Kunde zwar in einem Mitgliedstaat ansässig sind, jedoch die Durchführung des Vertrages außerhalb dieses Landes im Ausland (Mitglied- oder Drittstaat) erfolgt und diese Anlass für etwaige Schadensersatzansprüche bzw. einer Minderung ist, zur Anwendbarkeit der neuen Bagatell-VO führt. Die Kommission sieht in solchen Sachverhaltselementen demzufolge eine grenzüberschreitende Rechtssache. Interessanterweise begründet sie ihren Vorschlag damit, dass derartige Fallgestaltungen bereits jetzt in den räumlichen Anwendungsbereich der Brüssel I- bzw. Ia-VO fielen. Die Kommission bezweckt mithin keine Abkehr von der Rechtslage der Brüssel I bzw. Ia-VO. Sie will vielmehr durch ihre Klarstellung einen Gleichlauf zwischen diesen Sekundärrechtsakten mit der zukünftigen Bagatell-VO sicherstellen. Zwar handelt es sich dabei zunächst allein um einen Vorschlag aus der Feder eines Exekutivorgans und keinen endgültigen Sekundärrechtsakt. Dennoch ist dieser Reformvorschlag zur Bagatell-VO ein weiterer Beleg dafür, dass die hier untersuchten „unechten Inlandsfälle“ von Pauschalreisen der Brüssel Ia-VO unterliegen.
6e
Summa summarum bleibt festzuhalten, dass die Brüssel Ia-VO61 bei Fallgestaltungen eingreift, in welchen ein in Deutschland ansässiger Kunde bei einem hiesigen Veranstalter eine Pauschalreise bucht, 57 Siehe hierzu BGH v. 25.6.2019 – X ZR 166/18, NJW 2019, 3375 m. Anm. Bohlsen, RRa 2019, 265 ff.; Pfeiffer, LMK 2019, 421265; Schwenker, jurisPR-BGHZivilR 21/2019 Anm. 2; Staudinger, jM 2020, 141 ff.; ders., jurisPR-IWR 5/2019 Anm. 1. 58 Vorschlag KOM (2013) 794 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens; hierzu Huber, GPR 2014, 242 ff.; Sujecki, EuZW 2014, 291 ff. 59 VO (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. 2007 L 199/1 ff. 60 KOM (2013) 794, 7.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 17 Brüssel Ia-VO
welche jenen ins Ausland (Mitglied- oder Drittstaat) führt. Dies folgt aus ihrer Ermächtigungsgrundlage Art. 67 Abs. 4 und Art. 81 Abs. 1, 2 lit. a, c und e AEUV sowie Wortlaut, Systematik, Geschichte sowie Sinn und Zweck vor allem aus Art. 17, 18 Abs. 1 Fall 2, Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO des speziellen Abschnittes 4 in Verbrauchersachen. Eine abweichende Beurteilung, also der Ausschluss solcher „unechten Inlandsfälle“ von den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO, stünde auch im Widerspruch zur Teleologie. Der Schutzgerichtsstand in Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO soll den Verbraucher gerade dadurch privilegieren, dass es ihm ortsnah möglich ist, seine Ansprüche und Rechte geltend zu machen. Ein solches Ergebnis sichert nicht nur die Effektivität des Schutzgerichtsstandes sowie die einheitliche Rechtsanwendung im Binnenmarkt.62 Vielmehr deckt sich dieser Befund von der übergreifenden Systematik her nicht nur mit dem allgemeinen Gerichtsstand in Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO unter Einschluss der übertragbaren Owusu-Doktrin des Gerichtshofs, sondern auch der ausschließlichen Zuständigkeit etwa in Art. 24 Nr. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO sowie Gerichtsstandsvereinbarung in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO. Auch die übergreifende harmonische Auslegung mit der Rom I- wie II-VO untermauert den Befund. Als weiteren Beleg lässt sich ferner die Begründung der Kommission zum Reformvorschlag der Bagatell-VO anführen.63 Folge ist, dass dem Verbraucher nach Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ein Wahlrecht für den Fall zusteht, dass in persönlicher, sachlicher und situativer Hinsicht eine Verbrauchersache i.S.d. Art. 17 Brüssel Ia-VO vorliegt.
Artikel 17 [Begriff der Verbrauchersache] (1) Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit, unbeschadet des Artikels 6 und des Artikels 7 Nummer 5 nach diesem Abschnitt, a) wenn es sich um den Kauf beweglicher Sachen auf Teilzahlung handelt, b) wenn es sich um ein in Raten zurückzuzahlendes Darlehen oder ein anderes Kreditgeschäft handelt, das zur Finanzierung eines Kaufs derartiger Sachen bestimmt ist, oder c) in allen anderen Fällen, wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. (2) Hat der Vertragspartner des Verbrauchers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird er für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb so behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hätte.
61 Überdies ist jedenfalls demnächst die novellierte Bagatell-VO in „unechten Inlandsfällen“ nutzbar, so dass auch Pauschalreisekunden dieses prozessuale Instrument in Verfahren bis zu einem Streitwert von 10.000 t einsetzen können. 62 Integraler Bestandteil einer teleologischen Auslegung von europäischen Rechtsquellen ist ferner der Gedanke der praktischen Wirksamkeit (effet utile). Der Gerichtshof legt VOen und RL in der Weise aus, dass sie im Zweifel zur Anwendung gelangen und insofern zur Rechtseinheit im Binnenmarkt führen. Wer aber entgegen Wortlaut, Geschichte, Systematik und Schutzzweck in „unechten Inlandsfällen“ die Brüssel Ia-VO – wie die bislang in Deutschland wohl noch vorherrschende Ansicht – für nicht einschlägig erklärt, provoziert den Rückgriff auf divergierendes nationales Prozessrecht. Infolgedessen trägt das hier propagierte Auslegungsergebnis gleichermaßen dem Gedanken der Effektivität der Brüssel Ia-VO Rechnung. Auch Hau, GS Unberath (2015) 139, 155 f. sieht in Erfüllungshandlungen im Ausland einen hinreichenden grenzüberschreitenden Bezug. 63 Siehe dazu auch Staudinger, jM 2015, 46, 50.
Staudinger
457
Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache (3) Dieser Abschnitt ist nicht auf Beförderungsverträge mit Ausnahme von Reiseverträgen, die für einen Pauschalpreis kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen vorsehen, anzuwenden. I. Begriff der Verbrauchersache . . . . . . . .
1
II. Abs. 1 lit. a: Teilzahlungskauf . . . . . . . .
4
III. IV. 1. 2.
Abs. 1 lit. b: Finanzierungskauf . . . . . . . Abs. 1 lit. c: Sonstige Verträge . . . . . . . . Vertragstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . a) Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit (Fall 1) . . . . . . b) Ausrichten einer beruflichen und gewerblichen Tätigkeit auch auf den Wohnsitzstaat (Fall 2) . . . . . . . . . . . c) Abschlussmodalitäten . . . . . . . . . . . d) Kausalität zwischen Vertragsschluss und unternehmerischer Tätigkeit . . . . . . .
6 7 8 11 12 13 14 15
(1) Alte Rechtslage unter der Brüssel I-VO vor der Rs. Emrek . . . . (2) Die Rs. Emrek . . . . . . . . . . . (3) Bedeutung für die Brüssel Ia-VO (4) Bewertung der Entscheidung . . . e) Vertrag aus dem Bereich der Tätigkeit f) Wohnsitzwechsel vor Klageerhebung . g) Perpetuierung einmal begründeter Gerichtspflichtigkeit . . . . . . . . . .
. . . . . .
. . . . . .
15 15a 15b 15c 16 17
. .
18
V. Abs. 2: Wohnsitz des Vertragspartners außerhalb eines Mitgliedstaates . . . . . . . VI. Abs. 3: Ausschluss von Beförderungsverträgen und Rückausnahme europäischer Pauschalreisen sowie verbleibende Abweichungen mit Blick auf Art. 6 Rom I-VO . .
19
21
I. Begriff der Verbrauchersache 1
Gemäß Abs. 1 gilt als Verbraucher jede Person, die einen Vertrag i.S.d. Buchstaben a bis c zu einem Zweck abgeschlossen hat, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Der Begriff der Verbrauchersache ist autonom und in Anlehnung an Art. 5 Abs. 1 EVÜ sowie nunmehr Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO auszulegen.1 Im Lichte der ratio des 4. Abschnitts – Schutz des intellektuell und wirtschaftlich Schwächeren – sowie der Tatsache, dass dessen Vorschriften eine Ausnahme von der Grundregel in Art. 4 Abs. 1 darstellen, erscheint eine restriktive Interpretation geboten. Hierdurch wird sichergestellt, dass nicht auch Personen in den Anwendungsbereich einbezogen werden, die eines solchen Schutzes nicht bedürfen.2 Entscheidend ist insoweit die Stellung der Person innerhalb des konkreten Vertrages in Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung, so dass ein und dieselbe Person einerseits als Verbraucher und andererseits als Unternehmer angesehen werden kann.3 Demgemäß kommt der tatsächlichen Schutzwürdigkeit etwa eines Bauunternehmers, der für den privaten Gebrauch eine Yacht erwirbt, keine Bedeutung zu.4 Eine Verbrauchereigenschaft erscheint ebenso fernliegend bei Verträgen, deren Zweck in einer beruflichen oder gewerblichen Tätig1 Zur konventionsvergleichenden Auslegung s. EuGH v. 11.7.2002 – C-96/00, ECLI:EU:C:2002:436 – Rudolf Gabriel, EuGHE 2002 I 6367, 6400 f. Rz. 42 ff. zu Art. 13 EuGVÜ; zur methodischen Vorgehensweise des EuGH Rösler/Siepmann, EuZW 2006, 76, 79. Siehe auch Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 2; vgl. auch Röß, NJW 2018, 3745, 3746. 2 EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37, IPRax 2016, 143 – Harald Kolassa vs. Barclays Bank plc, NJW 2015, 1581 ff.; dazu Steinrötter, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 2; EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C: 2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 471 Rz. 32 ff. = EuZW 2005, 241, 242 Rz. 32 ff. m. Anm. Reich, 244 f. = IPRax 2005, 537 ff. m. Anm. Mankowski, 503 ff.; Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 5; Magnus/Mankowski/Nielsen Rz. 16, 19; Rösler/Siepmann, EuZW 2006, 76, 78. Aus nationalem Blickwinkel konstatierte der BGH, dass ein Unternehmer i.S.v. § 491 Abs. 1 BGB a.F. auch derjenige sein kann, dessen unternehmerische Tätigkeit sich nicht auf die Kreditvergabe bezieht, BGH v. 9.12.2008 – XI ZR 513/07, BB 2009, 738. 3 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 – Francesco Benincasa vs. Dentalkit, EuGHE 1997 I 3767, 3795 Rz. 16; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 24. Im Hinblick auf § 13 BGB a.F. zur Frage, inwieweit die Lieferung für den privaten Gebrauch bestimmter Gegenstände an eine gewerblich genutzte Adresse der Verbrauchereigenschaft des Käufers entgegensteht: BGH v. 30.12.1899 – VII ZR 7/09, NJW 2009, 3780 f.; hierzu Piekenbrock/Ludwig, GPR 2010, 114 ff.; s. zur inhaltsgleichen Vorschrift im LugÜbk 2007 auch BGH v. 9.2.2017 – IX ZR 67/16, MMR 2018, 95 ff.; BGH v. 6.7.2017 – IX ZR 38/16, IPRax 2018, 620 ff. m. Anm. Rademacher, IPRax 2018, 600 ff.; OLG Düsseldorf v. 30.3.2017 – 3 W 242/16, IPRax 2018, 624 ff.; vgl. ebenso EuGH v. 4.10.2018 – C-105/17 – Komisia za zashtita na potrebitelite vs. Evelina Kamenova m. Anm. Friesen/Kurth, jurisPR-IWR 6/2018 Anm. 2.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 17 Brüssel Ia-VO
keit besteht, selbst wenn diese erst für die Zukunft vorgesehen ist.5 Die Maßgeblichkeit der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO hängt allerdings nicht davon ab, dass ein Vertrag bestimmte wirtschaftliche Grenzen etwa mit Blick auf den Kaufpreis oder von Investitionen nicht überschreitet. Dies belegen jüngere Entscheidungen des EuGH.6 Demnach besitzt ebenso ein privater Kapitalanleger die Verbrauchereigenschaft, und zwar grundsätzlich unabhängig von der Höhe der investierten Geldbeträge, der Anzahl von ihm durchgeführter Transaktionen sowie seiner Einordung als „Kleinanleger“ iSd RL 2004/39/EG.7 In einem anderen Urteil qualifizierte der EuGH einen Kreditvertrag, der nicht den Anforderungen der Verbraucherkreditrichtlinie entsprach, als Verbrauchervertrag i.S.d. Art. 15 Abs. 1 LugÜ. Bei der Beurteilung nahm der Gerichtshof keine Rücksicht darauf, ob es sich beim Rechtsgeschäft um einen Verbraucherkredit nach der europäischen Richtlinie handelte, sondern allein darauf, dass nach den objektiven Kriterien des Abschnittes für Verbrauchersachen der Anwendungsbereich des Art. 15 LugÜ eröffnet war. Den Richterspruch übertrug der EuGH in einem nachfolgenden Verfahren auf die Parallelvorschrift des Art. 17 Brüssel Ia-VO.8 In derselben Entscheidung hielt der Gerichtshof außerdem zu Recht fest, dass sich der Ausschluss eines Vertragsverhältnisses vom Geltungsbereich des Art. 6 Rom I-VO grundsätzlich nicht auf die Einstufung als Verbraucher i.S.d. Art. 17 Brüssel Ia-VO auswirkt.9 So wurde für den streitgegenständlichen Verbrauchervertrag im Zusammenhang mit Finanzinstrumenten die Anwendbarkeit der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO unterstellt, während auf kollisionsrechtlicher Ebene eine Sonderanknüpfung aufgrund des Ausschlusses in Art. 6 Abs. 4 lit. d Rom I-VO für solche Geschäfte scheiterte. Verbraucher i.S.d. Art. 17 Brüssel Ia-VO können gleichwohl nur natürliche Personen sein.10 Juristi- 2 sche Personen werden demnach vom Schutzbereich ausgenommen.11 Es kommt darauf an, ob der Vertragsschließende als Verbraucher zu qualifizieren und persönlich Kläger oder Beklagter in einem Verfahren ist, so dass die Stellvertretung durch einen Unternehmer den Schutzgerichtsstand nicht ausschließt.12 Eine (analoge) Anwendung der Vorschriften des 4. Abschnitts auf Personengemeinschaften – etwa eine Ehegattengesellschaft – scheidet im Lichte einer engen autonomen Interpretation aus. Hierfür lässt sich ein obiter dictum des EuGH13 anführen, wonach der Schutzbereich der prozes-
4 Zu einem entsprechenden Fall s. EuGH v. 27.4.1999 – C-99/96, ECLI:EU:C:1999:202 – Mietz/Internship Yachting Sneek, EuGHE 1999 I 2277, 2310 Rz. 25 = IPRax 2000, 411 ff. m. Anm. Heß, 370, 370 f.; s. auch Czernich/ Kodek/Mayr, Art. 17 Rz. 20; vgl. zusätzlich LAG Baden-Württemberg, BeckRS 2018, 24331; s. auch zum Verbraucherbegriff bei Personenmehrheiten Friesen/Frensing-Deutschmann, jM 2018, 51 ff. 5 Vgl. EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17 – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagerberg-Wolfsberg eGen, BeckRS 2019, 1381 Rz. 91 mit Hinweis auf die Rs. Schrems. 6 EuGH v. 2.4.2020 – C-500/18 – AU vs. Reliantco Investments LTD, Reliantco Investments LTD Limassol Sucursala Bucures¸ti, RIW 2020, 353 ff.; EuGH v. 2.5.2019 – C-694/17 – Pillar Securitisation Sàrl vs. Hildur Arnadottir, RIW 2019, 371 ff.; hierzu Mankowski, EWiR 2019, 541 f. 7 EuGH v. 2.4.2020 – C-500/18 – AU vs. Reliantco Investments LTD, Reliantco Investments LTD Limassol Sucursala Bucures¸ti, RIW 2020, 353 ff. 8 Siehe EuGH v. 3.10.2019 – C-208/18 – Jana Petruchová vs. FIBO Group Holdings Limited, BeckRS 2019, 25123 Rz. 50. In dem Urteil EuGH v. 2.4.2020 – C-500/18 – AU vs. Reliantco Investments LTD, Reliantco Investments LTD Limassol Sucursala Bucures¸ti, RIW 2020, 353 ff., bestätigte der Gerichtshof noch einmal, dass private Kapitalanleger grundsätzlich als Verbraucher anzusehen sind und nicht bereits durch eine hohe Anzahl an Transaktionen oder Investition bedeutender Geldbeträge ihre Verbrauchereigenschaft verlieren. 9 EuGH v. 3.10.2019 – C-208/18 Jana Petruchová vs. FIBO Group Holdings Limited, BeckRS 2019, 25123 Rz. 66. 10 EuGH v. 19.1.1993 – C-89/91, ECLI:EU:C:1993:15, IPRax 1995, 92 – Shearson vs. TVB Treuhandgesellschaft, EuGHE 1993 I 139, 188 Rz. 22; EuGH v. 22.11.2001 – verb. Rs. C-541/99, ECLI:EU:C:2001:625 und C-542/99 – Cape Snc vs. Idealservice Srl und Idealservice MN RE Sas/OMAI Srl, EuGHE 2001 I 9049, 9065 Rz. 15. 11 Siehe zur Klausel-RL EuGH v. 22.11.2001 – verb. Rs. C-541/99 und C-542/99 – Cape Snc vs. Idealservice Srl und Idealservice MN RE Sas/OMAI Srl, EuGHE 2001 I 9049 ff.; dies muss ungeachtet einer etwaigen Schutzbedürftigkeit ebenso für Idealvereine oder Stiftungen gelten. 12 EuGH v. 19.1.1993 – C-89/91, ECLI:EU:C:1993:15, IPRax 1995, 92 – Shearson vs. TVB Treuhandgesellschaft, EuGHE 1993 I 139, 188 f. Rz. 22 ff. (zu einem Zessionsfall); OLG Hamburg, IPRax 2005, 251, 252 (zum LugÜbk 1988); Heiderhoff, IPRax 2005, 230, 231. 13 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 – Benincasa vs. Dentalkit, EuGHE 1997 I 3767, 3795 Rz. 17.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache sualen Sonderregeln auf Einzelpersonen begrenzt ist. Der 4. Abschnitt erfasst daher allenfalls die nicht gewerblich handelnden Gesellschafter, sofern sie höchstpersönlich betroffen werden.14 2a
Bei Klagen aus abgetretenem Recht15 oder Verbandsklagen16 dürfte zu differenzieren sein. Letztere werden regelmäßig wohl nicht unter die Schutzvorschriften des 4. Abschnitts fallen.17 Bereits in der Rs. Henkel18 stellte der Gerichtshof fest, dass einer juristischen Person als Zessionar der Schutzgerichtsstand versperrt bleibt, sofern es sich nicht um Beteiligte des konkreten Verbrauchervertrages handelt.19 Diese restriktive Tendenz wurde in der Entscheidung Schrems20 bestätigt. Im Gegensatz zu Henkel ist jedoch zu beleuchten, inwieweit sich ein Unterschied ergibt, soweit der Zessionar zugleich ein Verbraucher ist. Der EuGH hat auch diese Möglichkeit abgelehnt.21 Ein Verbrauchergerichtsstand dürfe nicht einem Kläger zu Gute kommen, „der selbst nicht an dem Verbrauchervertrag beteiligt ist“22. Der EuGH verwies zum einen auf die enge Auslegung der besonderen Gerichtsstände.23 Zum anderen hob er hervor, dass die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstandes in Übereinstimmung mit dem 11. ErwGr. sichergestellt werde.24 Daher kann ein Zessionar weder an seinem eigenen Wohnsitzforum 14 Hierzu Staudinger, IPRax 2001, 183, 185; davon zu trennen ist der Begriff des Verbrauchers im nationalen Recht: BGH v. 23.10.2001 – XI ZR 63/01, NJW 2002, 368 ff.; beachte auch Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff (2006). 15 EuGH v. 19.1.1993 – C-89/91, ECLI:EU:C:1993:15 – Shearson vs. TVB Treuhandgesellschaft, EuGHE 1993 I 139, 188 Rz. 23 = IPRax 1995, 92 ff. m. Anm. Koch 71 f.; BGH v. 20.4.1993 – XI ZR 17/90, IPRax 1995, 98 = NJW 1993, 2683; bestätigt in EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. K H Henkel, EuGHE 2002 I 8111, 8138 Rz. 33 f. = IPRax 2003, 341, 343 m. Anm. Michailidou, 223 ff.; s. auch EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 307 Rz. 44 m. Anm. Paulus, NJW 2018, 987 ff.; s. auch kritisch Krüger/Stüllein, VuR 2018, 216 ff.; Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 19; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 3; abweichend zum IPR: Staudinger/Magnus (2002) Art. 29 EGBGB Rz. 37; zum Verbraucherschutz bei Vertragsübernahme im nationalen materiellen Recht Röthel/Heßeler, WM 2008, 1001 ff. 16 EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. K H Henkel, EuGHE 2002 I 8111, 8138 Rz. 33 f. = IPRax 2003, 341, 343 m. Anm. Michailidou, 223, 224; Kartzke, NJW 1994, 823, 824; Neumann/Rosch, IPRax 2001, 257, 259; Stillner, VuR 2008, 41, 44; Zöller/Geimer, Rz. 22. 17 Verein für Konsumenteninformation/K H Henkel EuGHE 2002 I 8111, 8138 Rz. 33 f. = IPRax 2003, 341, 343 m. Anm. Michailidou, 223 ff., Kartzke, NJW 1994, 823, 824; Neumann/Rosch, IPRax 2001, 257, 259; Stillner, VuR 2008, 41, 44; Wittwer, FS Danzl, 2017, 669; Zöller/Geimer, Rz. 22. 18 EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. K H Henkel, EuGHE 2002 I 8111, 8138 Rz. 33 f. = IPRax 2003, 341, 343 m. Anm. Michailidou, 223 ff.; Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 19; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3; a.A. CA Colmar, IPRax 2001, 251 ff. = ZIP 1999, 1209 f. m. Anm. Reich, 1210 und Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 2001, 135; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 12; Mankowski, EWiR 1999, 1171; Zöller/Geimer, Rz. 22. 19 EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. K H Henkel, EuGHE 2002 I 8111, 8138 Rz. 33, 38 = IPRax 2003, 341, 343 m. Anm. Michailidou, 223, 224; Kartzke, NJW 1994, 823, 824; Neumann/Rosch, IPRax 2001, 257, 259; Stillner, VuR 2008, 41, 44; Zöller/Geimer, Rz. 22; s. auch Wittwer, FS Danzl, 2017, 669. 20 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 307 Rz. 44; die Entscheidung erging zur Brüssel I-VO. Die Urteilsgründe sind jedoch im Lichte des ErwG 34 S. 2 auf die Brüssel Ia-VO zu übertragen; zur Entscheidung Meller-Hannich, ZEuP 2019, 202 ff.; Paulus, NJW 2018, 987 ff.; ausführlich zum Verfahrensgang Paulus, ZZPInt 21 (2016) 199, 203 ff. 21 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 307 Rz. 44; vgl. zur Schutzwürdigkeit von Zessionaren differenzierend Dörner, IPRax 2018, 158, 165; die Entscheidung wurde im Nachgang durch das Urteil des EuGH v. 3.10.2019 – C-208/18 – Jana Petruchová vs. FIBO Group Holdings Limited, BeckRS 2019, 25123 Rz. 41 bestätigt. 22 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 307 Rz. 44. 23 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 307 Rz. 44; s. hierzu EuGH v. 4.10.2018 – C-337/17, IPRax 2019, 521 – Feniks sp z o.o. vs. Azteca Products & Services SL, RIW 2018, 760 Rz. 37. 24 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 307 Rz. 46; s. auch Generalanwalt Bobek in seinem Schlussantrag vom 14.11.2017 (Rz. 98), abrufbar unter: http://curia.europa.eu/. Dem Generalanwalt zufolge ergebe sich auch keine andere Bewertung aus den besonderen Umständen des dritten Abschnitts. Dieser sei anders konzipiert und im Gegensatz zum Verbraucherschutzgerichtsstand weiter gefasst.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 17 Brüssel Ia-VO
prozessieren, da dies ansonsten einen neuen speziellen Gerichtsstand begründen würde25, noch hat er die Möglichkeit am Domizil des Zedenten Klage zu erheben.26 In diesem Zuge führt der EuGH zutreffend aus, dass eine Forderungsabtretung keinen Einfluss auf die Bestimmung der Gerichtszuständigkeiten haben darf.27 Dieser Ansatz wird ferner durch den Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 Alt. 2 Brüssel Ia-VO untermauert. Hierbei kann ausschließlich der Gerichtsort aktiviert werden, „an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat“. Das wäre aber gerade nicht der Fall, sobald sich ein Forderungsempfänger auf das Forum des Abtretenden beriefe. Der besondere Verbrauchergerichtsstand kommt bei rechtsgeschäftlichen Abtretungen somit nicht zur Geltung. Im Lichte dieser Entscheidung dürfte ebenso wenig eine Schuldübernahme i.S.d. §§ 414, 415 BGB in 2b toto oder eine gesetzliche Prozessstandschaft zulässig sein. Etwas anderes gilt jedoch, sofern abgetretene Ansprüche aus einem einzigen Verbrauchervertrag geltend gemacht werden, an welchem der Kläger selbst involviert ist. Dies trifft etwa auf Konstellationen zu, in denen beispielsweise der Familienvater eine gemeinsame Reise für seine Ehefrau und Kinder bucht und sich im Anschluss die vertraglichen Forderungen seiner Angehörigen übertragen lässt, um diese gebündelt an seinem Wohnsitzforum klageweise geltend zu machen. Folgt man streng dem Ansatz des Gerichtshofes in der Rs. Schrems, dürfte sich das Mitglied einer Gruppenreise indes nicht auf den Verbrauchergerichtsstand im Hinblick auf die Ansprüche seiner Freunde mit abweichendem Wohnsitz berufen, sofern die Beteiligten jeweils Einzelverträge geschlossen haben. Agiert dagegen der Einzelerbe28 des Verbrauchers als natürliche Person sowie nicht in Ausübung ei- 2c ner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit, erscheint es sachgerecht, entsprechend der Ausgangslage in Versicherungssachen29 ihm den Schutzgerichtsstand zu eröffnen.30 Nach Auffassung des EuGH sind wohl etwaige Erben bei Versicherungsstreitigkeiten als schwächere und somit schutzwürdige Legalzessionare anzusehen.31 Daher erhalten diese wohl auch den Zugriff auf das forum actoris.32 Während im dritten Abschnitt grundsätzlich die konkrete individuelle Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Zessionars beurteilt wird, fehlt in den Verbraucherschutzgerichtsständen eine derartige Prüfung. Vielmehr reicht es aus, dass es sich beim Erben um einen Konsumenten handelt. Ansonsten drohte die Gefahr, dass der besondere Gerichtsstand des vierten Abschnitts posthum ersatzlos entfiele. Hierfür spricht auch eine Entscheidung des BGH, welcher sich mit der Vererbbarkeit eines FacebookNutzerkontos an die gesetzlichen Vertreter auseinandersetzte.33 Die Klägerin machte einen Anspruch auf Herausgabe des Benutzerkontos ihrer verstorbenen, minderjährigen Tochter gegen die in Irland ansässige Beklagte geltend. Sie ist neben ihrem Ehemann Teil der Erbengemeinschaft. Im Anlassstreit erläuterte der erkennende Zivilsenat, dass der Nutzungsvertrag nach § 1922 BGB auf diese übergeht.34 Ferner sah die Revisionsinstanz den Verbrauchergerichtsstand nach Art. 17 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 25 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 307 Rz. 48; s. auch Generalanwalt Bobek in seinem Schlussantrag vom 14.11.2017 (Rz. 98). 26 Siehe hierzu auch Krüger/Stüllein, VuR 2018, 216, 219 f. 27 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 307 Rz. 48. 28 Vom „Übergang“ eines Schutzgerichtsstandes zu trennen sind rein erbrechtliche Fragestellungen i.S.d. Erbrechtsverordnung [VO (EU) Nr. 650/2012; dazu s. Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 68], die bereits nach Maßgabe von Art. 1 Abs. 2 lit. f Brüssel Ia-VO nicht der Brüssel Ia-VO unterfallen (vgl. Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 28; s. auch Lüttringhaus, VersR 2010, 183, 186 f.). 29 Siehe dort unter Art. 10 Rz. 20. 30 So auch Fetsch, ZEV 2005, 425, 426; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 19, Art. 16 Brüssel I-VO Rz. 4 m.w.N.; s. auch BGH, NZFam 2018, 800, 801 Rz. 16 m. Anm. Goratsch, NZFam 2018, 800, 811. 31 EuGH v. 17.9.2009 – C-347/08, ECLI:EU:C:2009:561, IPRax 2011, 255 – Voralberger Gebietskrankenkasse vs. WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG, EuZW 2009, 855 f.; EuGH v. 20.7.2017 – C-340/16 – Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft – KABEG vs. Mutuelles du Mans assurances – MMA IARD SA, VersR 2017, 1481 ff.; EuGH v. 31.1.2018 – C-106/17 – Pawel Hofsoe vs. LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster AG, NZV 2018, 566 f.; s. hierzu Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982 ff. 32 Siehe ausführlich Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 23. 33 BGH, NZFam 2018, 800 ff. m. Anm. Goratsch, NZFam 2018, 800, 811; beachte zur Vererbbarkeit eines iCloudAccounts außerdem LG Münster v. 16.4.2019 – 14 O 565/18. Die Vertragsparteien hatten i.R.d. Nutzungsvertrages die internationale sowie örtliche Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Nutzers vereinbart. 34 BGH, NZFam 2018, 800, 801 Rz. 21 f. m. Anm. Goratsch, NZFam 2018, 800, 811.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache i.V.m. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO als aktiviert an.35 Daraus folgt, dass der BGH den Abschnitt über Verbrauchersachen für anwendbar erklärt, obschon die Erbengemeinschaft nicht am ursprünglichen Verbrauchervertrag beteiligt ist. Wenngleich der Eindruck erweckt werden könnte, dass die Entscheidung der Revisionsinstanz im Widerspruch zur Rs. Schrems steht, setzt sich diese vielmehr mit einer rechtsgeschäftlichen anstatt einer gesetzlichen Abtretung auseinander. Der BGH hätte jedoch aus Klarstellungsgründen dem europäischen Spruchkörper den Anlassstreit im Lichte der Rs. Schrems im Wege einer Vorabentscheidung als offen und entscheidungserhebliche Rechtsfrage nach Art. 267 AEUV wohl vorlegen müssen. In den Urteilsgründen fehlen etwaige Ausführungen. Unklar bleibt, ob der Schutzgerichtsstand auch für eine Erbengemeinschaft gilt, in der die einzelnen Zessionare in unterschiedlichen Mitgliedstaaten beheimatet sind und eine Klage an ihrem jeweiligen Wohnsitzforum nach Art. 17 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 i.V.m. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO erheben. Würde nun etwa für jene der vierte Abschnitt aktiviert werden, drohte die Gefahr einer Zersplitterung der Gerichtsstände. Dies käme einem Widerspruch zum Grundsatz der Vorhersehbarkeit des jeweiligen Gerichtsstandes sowie der Prozessökonomie gleich. Den zugrunde liegenden Urteilsgründen nach schiene dies nichtsdestotrotz wohl möglich. Sofern der Wohnsitz des Erben von demjenigen des Erblassers abweicht, folgt hieraus keine unzulässige Beeinträchtigung der anerkennenswerten Interessen des beklagten Unternehmers.36 Denn bereits zu Lebzeiten des Erblassers als Verbraucher ist im Lichte von Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO auf dessen aktuellen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen.37 Einen hinreichenden Schutz vor einer Wohnsitzverlegung bietet in bestimmten Fallkonstellationen eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO, die sich wiederum auch auf den Erben erstreckt. Die vorherigen Grundsätze gelten entsprechend bei Miterben. Der Gefahr paralleler Prozesse womöglich mit divergierendem Ausgang beugen Art. 29 und 30 Brüssel Ia-VO vor. Unabhängig von der Qualifikation einer Erben- als Gesamthandsgemeinschaft sowie ihrer Rechts- und Parteifähigkeit im Sachrecht gilt wie bei der Ehegattengesellschaft, dass der Schutzgerichtsstand der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO auf Einzelpersonen zugeschnitten ist. Abweichend zu beurteilen bleibt indes die Situation, in der ein Verbraucher als Erblasser während eines bereits begonnenen Prozesses verstirbt. Hier besteht ungeachtet der Schutzrichtung des Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO kein Grund, vom Prinzip der perpetuatio fori abzuweichen.38 Vielmehr bleibt der Einzel- bzw. Miterbe auch als Kläger an die vormals begründete internationale sowie örtliche Zuständigkeit aus Gründen der Prozessökonomie sowie dem Interesse des beklagten Unternehmers an der Fortdauer der Zuständigkeit und deren Vorhersehbarkeit gebunden. Aufgrund des Schutzzwecks der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO erstreckt sich der Zuständigkeitskatalog nicht auf Streitigkeiten, die mit Bezug auf zukünftige berufliche oder gewerbliche Tätigkeiten entstehen.39 Anders als im nationalen Recht nach § 513 BGB erfährt demnach beispielsweise der Existenzgründer keine Einbeziehung in den Schutzbereich40.41 Dagegen wird ein auf Gewinnerzielung ausgerichtetes Geschäft zur privaten Geldanlage – gleich in welcher Höhe – grundsätzlich als Verbrauchergeschäft erachtet.42 3
Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich bei gemischten Verträgen, die teils gewerblichen bzw. beruflichen, teils privaten Zwecken dienen. Eine Mehrheit verschiedener Gerichtsstände soll nach An35 BGH, NZFam 2018, 800, 801 Rz. 16 m. Anm. Goratsch, NZFam 2018, 800, 811. 36 Für den letzten Wohnsitz des Verbraucher-Erblassers indes Geimer/Schütze, EuZVR Art. 18 Brüssel Ia-VO Rz. 4 m.w.N.; s. hierzu Staudinger/Papadopoulos, VersR 2018, 978, 982. 37 Siehe die Angaben bei Art. 18 Brüssel Ia-VO Rz. 5. 38 Hierzu allgemein Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 10. 39 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 – Benincasa vs. Dentalkit, EuGHE 1997 I 3767, 3795 f. Rz. 17–19 = JZ 1998, 896 ff. m. Anm. Mankowski, 898 ff.; Czernich/Kodek/Mayr, Art. 17 Rz. 19; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 9; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 93; OLG Stuttgart, EuLF 2009, II-134 f.; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 25. 40 Siehe hierzu Bülow/Artz, Handbuch Verbraucherprivatrecht Rz. 72 und OLG Stuttgart, EuLF 2009, II-134, II-135. 41 So jetzt mit Blick auf § 1031 Abs. 5 S. 1 ZPO i.V.m. § 13 BGB auch BGH, NJW 2005, 1273 ff., 1274; OLG Düsseldorf v. 4.5.2004 – 26 Sch 5/04, NJW 2004, 3192, 3193 f.; zu diesem Themenkreis BGH v. 15.11.2007 – III ZR 295/06, NJW 2008, 435 f.; Grädler/Marquart, ZGS 2008, 250 ff.; Gottschalk, RIW 2006, 576 ff. 42 OLG Frankfurt, EuZW 2009, 309, 310; OLG Hamburg, IPRax 2005, 251, 252 m. Anm. Heiderhoff, 230, 231; Geimer/Schütze, EuZVR, Rz. 24 m.w.N.; Hk-ZPO/Dörner, Art. 17 Rz. 8.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 17 Brüssel Ia-VO
sicht des EuGH aus Gründen der Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit vermieden werden. Demzufolge verbiete sich eine prozessuale Aufspaltung eines Rechtsverhältnisses.43 Früher wurde anhand der objektiven Umstände auf die überwiegende Zweckbestimmung des Vertrages abgestellt.44 Hierbei sollte nicht die innere Willensrichtung, sondern Erkennbarkeit der Zwecksetzung für den Vertragspartner entscheidend sein.45 Dies stimmt mit Art. 2 lit. a CISG überein.46 Jüngst stellte der europäische Spruchkörper erneut klar, dass eine auch nur teilweise berufliche bzw. gewerbliche Zweckbestimmung des Vertrages der Anwendbarkeit der Art. 15 ff. Brüssel I-VO47 nicht entgegenstehe, sofern es sich bei der Tätigkeit um eine derartige Nebensächlichkeit handelt, die insgesamt betrachtet eine nur ganz untergeordnete Rolle spielt.48 Im Anlassstreit setzt sich der Gerichtshof mit der Vertragsgestaltung eines Facebook-Accounts auseinander. Der Kläger betreibt neben seinem privaten Nutzerkonto ebenso eine eigene Seite auf dieser Plattform, mit der er über seine Podiumsdiskussionen und Medienauftritte informierte sowie für Spenden und seine Bücher warb. Der EuGH beschäftigte sich daher mit der Frage, ob die berufliche Seitennutzung einer Verbrauchereigenschaft entgegensteht. Im Einklang mit dem Generalanwalt49 betonte dieser, dass dies nicht a priori der Fall ist. Vielmehr sei „die weitere Entwicklung der Nutzung der betreffenden Dienste zu berücksichtigen.“.50 Erlangt jedoch der ursprünglich zu privaten Zwecken geschlossene Nutzungsvertrag im Laufe der Zeit einen wesentlichen beruflichen Charakter, mag die Berufung auf die Verbrauchereigenschaft unzulässig sein. Seine Schlussfolgerung begründet der Gerichtshof vor allem damit, dass der Verbraucherbegriff i.R. des Art. 15 Brüssel I-VO autonom und eng auszulegen ist.51 Der Gerichtshof bestätigte somit in diesem Zusammenhang die in der Rs. Gruber ergangenen Entscheidungsgründe.52 Noch zum EuGVÜ entschied der Spruchkörper, dass eine auch nur teilweise berufliche bzw. gewerbliche Zweckbestimmung des Vertrages die Anwendbarkeit der Art. 13 ff. EuGVÜ angesichts ihrer Schutzrichtung ausschließe. Ein abweichendes Ergebnis sei lediglich dann angezeigt, wenn das Gericht nach „Inhalt, Art und Zweck des Vertrages“ und den „objektiven Umständen bei Vertragsabschluss“ bezüglich der beruflichen bzw. gewerblichen Verbindung eine derartige Nebensächlichkeit feststellt, dass jene „insgesamt betrachtet nur eine ganz untergeordnete Rolle“ in Anspruch nimmt.53 Der Gerichtshof 43 EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 475 Rz. 44 = EuZW 2005, 241, 242, 243 Rz. 44 m. Anm. Reich, 244 f. = IPRax 2005, 537 ff. m. Anm. Mankowski, 503 ff.; bestätigt durch EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304 m. Anm. Paulus, NJW 2018, 987 ff. 44 BG, SZIER 1996, 84, 87 mit krit. Anm. Volken 89; CA Versailles, RIW 1999, 884; Hk-ZPO/Dörner, Art. 17 Rz. 8; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 13 EuGVÜ Rz. 3; s. zum IPR: Bericht Guiliano/Lagarde zu Art. 5 EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 55 ff.; Staudinger/Magnus (2002) Art. 29 EGBGB Rz. 39 m.w.N.; umfängliche weitere Nachweise bei Mankowski, IPRax 2005, 503, 505; aus rechtsvergleichender Sicht Gottschalk, RIW 2006, 576, 577. 45 Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 25; Hk-ZPO/Dörner, Art. 17 Rz. 8; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 83; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3. 46 Vgl. Staudinger/Magnus (2002) Art. 29 EGBGB Rz. 38 m.w.N. 47 Entspricht Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO. 48 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 306 Rz. 32 m. Anm. Paulus, NJW 2018, 987 ff.; s. auch Peschel, Der europäische Verbrauchergerichtsstand, 2018; EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 475 Rz. 46 f. = EuZW 2005, 241, 243 Rz. 46 f. m. Anm. Reich, 244 f. = IPRax 2005, 537 ff. m. Anm. Mankowski, 503 ff. 49 Ebenso der Generalanwalt Bobek in seinem Schlussantrag vom 14.11.2017 (Rz. 35 ff.), abrufbar unter: http:// curia.europa.eu/. 50 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 307 Rz. 37. 51 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 306 Rz. 29. 52 EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439 ff. = EuZW 2005, 241 ff. m. Anm. Reich, 244 f. = IPRax 2005, 537 ff. m. Anm. Mankowski, 503 ff.; zur bisherigen Einschätzung im Internationalen Zivilverfahrens- und Privatrecht s. die Angaben bei Mankowski, RIW 2005, 561, 563. 53 EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 475 Rz. 46 f. = EuZW 2005, 241, 243 Rz. 46 f. m. Anm. Reich, 244 f. = IPRax 2005, 537 ff. m. Anm. Mankowski, 503 ff.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache stützt seine Auslegung zum einen auf die negative Formulierung der grundsätzlich restriktiv zu interpretierenden Ausnahmevorschrift in Art. 13 EuGVÜ, zum anderen auf das Gebot der Rechtssicherheit.54 Im Lichte des Faber-Urteils des EuGH55 wird das Gericht im Sinne einer übergreifenden Systematik von Amts wegen wohl prüfen müssen, ob eine Verbrauchereigenschaft vorliegt, allerdings obliegt bei gemischten Verträgen nach der Rs. Gruber dem Verbraucher die Beweislast56 hinsichtlich der Bedeutungslosigkeit des gewerblichen bzw. beruflichen Zwecks und damit in Bezug auf seine Verbrauchereigenschaft. Ein non liquet gehe – so der EuGH – zu Lasten der gegnerischen Seite,57 so dass im Zweifel von einem Verbrauchergeschäft auszugehen sei. Andernfalls drohe die Gefahr, dass den Art. 13 ff. EuGVÜ ihre praktische Wirksamkeit entzogen würde (effet utile). Ruft der Verbraucher bei seinem gutgläubigen Vertragspartner den Eindruck des beruflichen bzw. gewerblichen Handelns hervor, sieht der EuGH hierin einen Verzicht des Verbrauchers auf seinen prozessualen Schutz.58 Die Begründung muss insofern auf Widerspruch stoßen,59 als Art. 15 i.V.m. Art. 17 Abs. 3 EuGVÜ einen Verzicht auf den Schutzgerichtsstand vor Entstehen der Streitigkeit zu Lasten des Verbrauchers ausschließt und Art. 18 EuGVÜ erst innerhalb eines bereits rechtshängigen Verfahrens eine stillschweigende Prorogation erlaubt. Das Ergebnis des Gerichtshofs lässt sich aber wohl mit dem auch im Gemeinschaftsrecht verankerten Verbot des Rechtsmissbrauchs begründen.60 Hiervon weicht die Fassung des § 13 BGB ab, der lediglich ein Überwiegen einer nicht gewerblichen oder selbstständigen Tätigkeit für das Vorliegen der Verbrauchereigenschaft genügen lässt.61 Die Richtlinienkonformität des § 13 BGB bezüglich einer paritätischen Zwecksetzung kann jedoch angezweifelt werden, da ErwGr. 17 Verbraucherrechte-RL62 den Verbraucherbegriff negativ formuliert und ein Nichtüberwiegen des gewerblichen Zweckes fordert.63 Problematisch ist weiterhin, dass der europäische Begriff des Verbrauchers einen Unternehmer als Gegenstück bedarf.64 Im Lichte anderer verbraucherschützender RLen, wie etwa der vollharmonisierten Timesharing-RL II65, könnte ein Widerspruch hinsichtlich einer generellen Erweiterung der Verbrauchereigenschaft im BGB und einem 54 Krit. Mankowski, RIW 2005, 561, 563 f.; zust. Bitterich, RIW 2006, 262, 265; Rösler/Siepmann, EWS 2006, 497, 498 f. 55 Diese Judikatur erging zum Verbraucherprivatrecht: EuGH v. 4.6.2015 – C-497/13, ECLI:EU:C:2015:357 – Froukje Faber vs. Autobedrijf Hazet Ochten BV, NJW 2015, 2237 ff. 56 Zur Kritik an den Vorgaben des EuGH im Hinblick auf das Beweiserhebungsrecht: Mankowski, IPRax 2005, 503, 508. Ausführlich hierzu Mankowski, IPRax 2009, 474 ff. 57 EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 476 Rz. 50 = EuZW 2005, 241, 243 Rz. 50 mit krit. Anm. Reich, 244 = IPRax 2005, 537 ff. m. Anm. Mankowski, 503 ff.; Zöller/Geimer, Rz. 7; so in der Vergangenheit bereits Geimer/Schütze, EuZVR Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 23; a.A. Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3. 58 EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32, Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 477 Rz. 53 = EuZW 2005, 241, 243 Rz. 53 mit krit. Anm. Reich, 244 = IPRax 2005, 537 ff. m. Anm. Mankowski, 503 ff. 59 Beachte auch die Kritik von Reich, EuZW 2005, 244 f.; Rösler/Siepmann, EWS 2006, 497, 499; Zöller/Geimer, Rz. 6; anders wohl Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 10. 60 Ebenso Rösler/Siepmann, EWS 2006, 497, 499; zu einer vergleichbaren Konstellation beim Verbrauchsgüterkauf: BGH v. 22.12.2004 – VIII ZR 91/04, NJW 2005, 1045 ff.; OLG Celle, ZGS 2007, 354 ff. Der Grundsatz des Rechtsmissbrauchs ist mangels schutzwürdigen Vertrauens nicht ohne weiteres einschlägig, wenn der Verkäufer seine Tätigkeit auch auf weitere Staaten ausrichtet und der Erwerber – ungeachtet seines tatsächlichen ausländischen Wohnsitzes – eine Lieferanschrift im Staat des Unternehmers angibt: LG Feldkirch, EuLF 2008, II-23, II-25. 61 Siehe zu der Differenz zwischen § 13 BGB und Art. 15 Brüssel I-VO Bülow, WM 2014, 1, 3 f.; Hk-BGB/Staudinger, Art. 6 Rom I-VO Rz. 5. 62 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU Nr. L 304/64 ff. 63 Siehe ausführlich zur Neuregelung des Verbraucherbegriffs im BGB und der richtlinienkonformen Auslegung Beck, Jura 2014, 666, 668 ff.; Siehe ebenso Röß, NJW 2018, 3745 ff. 64 Dies verdeutlicht ebenso das Urteil des EuGH v. 5.12.2013 – C-508/12, ECLI:EU:C:2013:790 – Walter Vapenik vs. Josef Thurner, NJW 2014, 841 f.; dazu Staudinger, LMK 2014, 355575; zur Vereinheitlichung des Verbrauchervertragsbegriffs im Europäischen Zivil- und Zivilverfahrensrecht Stadler, IPRax 2015, 203 ff. 65 Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.1.2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Ur-
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Kap. II: Zuständigkeit
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vollharmonisierten Schutzkonzept der Rlen bestehen.66 Kritisch zu hinterfragen bleibt somit, ob eine derartige überschießende Auslegung bei anderen Sekundärrechtsakten an dieser Stelle zulässig ist oder ob es bei der Umsetzung der Verbraucherrechte-RL eines eigenen Verbraucherbegriffes oder einer Erweiterung der Vorschrift ähnlich § 512 BGB bedurft hätte. Jedenfalls divergiert der Verbraucherbegriff im nationalen Sachrecht vom autonomen Leitbild im Internationalen Zivilverfahrensund Privatrecht.67
II. Abs. 1 lit. a: Teilzahlungskauf Der Begriff des Teilzahlungskaufs ist autonom auszulegen.68 Die Vorschrift erfasst hiernach auch andere Vertragstypen, die auf Übertragung des wirtschaftlichen Wertes gerichtet sind (Mietkauf 69 und Leasingverträge mit Kaufoption70). Werk- und Werklieferungsverträge unterfallen hingegen nicht Abs. 1 lit. a. Vielmehr greift insoweit der Auffangtatbestand des Abs. 1 lit. c ein. Unter Kauf ist die Übertragung einer fertig bereitliegenden und auf Vorrat produzierten Sache zu verstehen.71 Währenddessen umfasste die Lieferung im Lichte des Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 EuGVÜ auch eine auf Bestellung hin angefertigte Sache. Beim Kaufgegenstand muss es sich um eine bewegliche Sache handeln. Dies ist beim Erwerb eines eingetragenen Schiffes zu bejahen,72 nicht indes bei Immaterialgütern oder Wertpapieren.73
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Ein Teilzahlungsgeschäft liegt vor, wenn die Vertragsparteien eine Ratenzahlung zu Finanzierungszwecken vereinbaren und die Sache dem Verbraucher übergeben wird, bevor er die letzte Rate gezahlt hat.74 Nicht genügt dagegen eine Anzahlung, die lediglich der Beschaffung und Bereitstellung der
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laubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen, ABl. EU 2009 L 33/10 ff.; s. ebenso Friesen, Auswirkungen der Richtlinie 2008/122/EG auf das Internationale Timesharingrecht in der EU, 2017. Siehe auch Staudinger, LMK 2014, 355575. Demnach können sich Konstellationen ergeben, in denen einem Verbraucher bei gemischten Verträgen kein Schutzgerichtsstand und in kollisionsrechtlicher Hinsicht keine Sonderanknüpfung nach Art. 6 Rom I-VO gewährt wird, jedoch die Schutzinstrumente des nationalen Rechts eingreifen. EuGH v. 21.6.1978 – 150/77 – Bertrand vs. Ott, EuGHE 1978 I 1431, 1445 Rz. 12–16; EuGH v. 27.4.1999 – C-99/96, ECLI:EU:C:1999:202 – Mietz vs. Internship Yachting Sneek, EuGHE 1999 I 2277, 2310 f. Rz. 26–30 = IPRax 2000, 411 ff. m. Anm. Heß, 370, 371. Hierbei dürfte auch die neue Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. EU 2008 L 133/66 ff.; hierzu Rott, WM 2008, 1104 ff.; Siems, EuZW 2008, 454 ff.) Beachtung finden. Siehe auch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufsund Rückgaberecht vom 29.7.2009, BGBl. I 2009 2355 ff. Die Kommission erwägte in ihrem Grünbuch zur Überprüfung der Brüssel I-VO, ob Art. 15 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO an die Definition der entsprechenden Richtlinie anzupassen ist, KOM (2009) 175, 12, dies ist letztlich in der Umsetzung unterblieben. Schlosser-Bericht Nr. 157, ABl. EG 1979 C 59/71, 118; Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 27; Hk-ZPO/Dörner, Art. 17 Rz. 10; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 44; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 18; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 95. Czernich/Kodek/Mayr Rz. 24; Donzallaz, La convention de Lugano du 16 septembre 1968 (1998) Nr. 6028; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 95; für eine Einordnung unter Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ hingegen Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 48; ebenso gegen die Erfassung von Leasingverträgen mit Kaufoption Geimer/Schütze/Paulus, Art. 17 Rz. 44. BGH v. 29.2.1996 – IX ZB 40/95, NJW 1997, 2685, 2686; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 16; Gottwald in MünchKomm/ZPO (2. Aufl. 2000), Art. 13 EuGVÜ Rz. 5; dagegen ohne Begründung Staudinger/ Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 95. EuGH v. 27.4.1999 – C-99/96, ECLI:EU:C:1999:202 – Mietz vs. Internship Yachting Sneek, EuGHE 1999 I 2277, 2309 Rz. 23 = IPRax 2000, 411 ff. m. Anm. Heß, 370 ff. ÖstOGH v. 8.9.2009 – 1 Ob 158/09f, ZIP 2010, 1154, 1155; LG Darmstadt v. 2.12.1993 – 13 O 438/92, IPRax 1995, 318, 320 mit zust. Anm. Thorn, 294, 296 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 17; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 29–37 EGBGB Rz. 96; zu Art. 5 EVÜ: BGHZ 123, 380, 387 = IPRax 1994, 449 ff. m. Anm. Lorenz, 429 ff. EuGH v. 27.4.1999 – C-99/96, ECLI:EU:C:1999:202 – Mietz vs. Internship Yachting Sneek, EuGHE 1999 I 2277, 2312 Rz. 33 = IPRax 2000, 411 ff. m. Anm. Heß, 370 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 15;
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache Ware dient.75 In diesen Fällen trägt der Verbraucher regelmäßig weder das wirtschaftliche Risiko, noch werden ihm zusätzliche Finanzierungskosten in Rechnung gestellt. Indiz für ein Teilzahlungsgeschäft ist ein Zahlungsplan mit drei Raten.76 Es können aber auch zwei Raten ausreichen, wenn sich der ausschließliche Zweck der Kreditierung aus den Umständen des Einzelfalls ergibt.77
III. Abs. 1 lit. b: Finanzierungskauf 6
Das Kreditgeschäft78 gem. Abs. 1 lit. b ist notwendig an einen Kauf i.S.d. lit. a79 gekoppelt.80 Der Zweck muss dabei für den Kreditgeber erkennbar sein;81 typischer Fall des Abs. 1 lit. b dürfte damit das Finanzierungsleasing sein. Unerheblich ist, ob die Darlehenssumme in Raten zurückgezahlt wird oder lediglich der Zwischenfinanzierung dient.82 Wird allerdings der kreditierte Kaufpreis in einer Summe gezahlt, so finden die Vorschriften des 4. Abschnitts wegen eines fehlenden Teilzahlungskaufs gem. Abs. 1 lit. a auf das finanzierte Geschäft keine Anwendung.83 Ausnahmsweise unterfallen beide Verträge Abs. 1 lit. b, wenn es sich um ein verbundenes Geschäft i.S.v. §§ 358 ff. BGB handelt und die autonome Interpretation nicht entgegensteht.84 Ist das Darlehen nicht zweckgebunden, scheidet Abs. 1 lit. b tatbestandlich aus; es verbleibt Abs. 1 lit. c.85
IV. Abs. 1 lit. c: Sonstige Verträge 7
Während Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 EuGVÜ lediglich Dienstleistungs- und Lieferverträge erfasste, greift Abs. 1 lit. c in „allen anderen Fällen“ ein. Im Zuge der Vergemeinschaftung des EuGVÜ wurde damit ein weit reichender Auffangtatbestand geschaffen. Darüber hinaus hat der Sekundärrechtsgeber die Anforderungen an den Inlandsbezug erheblich gelockert, um nicht nur neuen Vermarktungstechniken durch moderne, grenzüberschreitende Kommunikationsmittel Rechnung zu tragen.86 Vielmehr ist insofern ein Paradigmenwechsel eingetreten, als sich auch der aktive Verbraucher auf die Schutzgerichtsstände berufen kann.
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Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 29–37 EGBGB Rz. 97; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 17 Rz. 6. OLG Oldenburg, WM 1976, 1288 f. m. Anm. Geimer, 1289 ff.; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 10; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5. Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 29–37 EGBGB Rz. 97. Zust. Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 29; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 43; a.A. Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 29–37 EGBGB Rz. 97. Siehe insoweit die Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. EU 2008 L 133/66 ff.; hierzu Rott, WM 2008, 1104 ff.; Siems, EuZW 2008, 454 ff. Zur Umsetzung beachte den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21.1.2009, BT-Drucks. 16/11643. Die Kommission erwägte in ihrem Grünbuch zur Überprüfung der Brüssel I-VO, ob Art. 15 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO an die Definition der entsprechenden Richtlinie anzupassen ist, KOM (2009) 175, 12, dies ist letztlich in der Umsetzung unterblieben. Aus Schutzwürdigkeitserwägungen ist hierbei jedoch nicht erforderlich, dass es sich bei dem Teilzahlungskauf ebenfalls um ein Verbrauchergeschäft handelt. Demgemäß unterfällt gleichermaßen die Finanzierung von Verträgen, die dem unternehmerischen Bereich entstammen, dem sachlichen Anwendungsbereich von Art. 17 Brüssel Ia-VO. Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 29–37 EGBGB Rz. 98; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 7. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 46; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 11; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 29–37 EGBGB Rz. 98. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 46. Schlosser-Bericht Nr. 157, ABl. EG 1979 C 59/71, 118; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 45; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 19; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 7; a.A. Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 32. Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 29–37 EGBGB Rz. 98; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 7. Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 31; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 11; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 7. KOM (1999) 348, 17; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 331.
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Kap. II: Zuständigkeit
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1. Vertragstypen Von Abs. 1 lit. c werden insb. folgende Verträge erfasst: – Werk- und Werklieferungsverträge87 – Dienstleistungsverträge88 unter Einschluss medizinischer Behandlung89 – Beherbergungsverträge als sog. gemischte Verträge, die regelmäßig nicht Art. 24 Nr. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO unterfallen90 sowie Ferienhausmietverträge,91 sofern diese nicht als reine Mietverträge Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO unterfallen92 – Pauschalreiseverträge i.S.d. Abs. 393 – Bürgschaftsverträge; im Lichte der Rs. Engler94 erscheint zunächst zweifelhaft, ob einseitig verpflichtende Verträge nicht a priori vom sachlichen Anwendungsbereich des Verbrauchergeschäfts ausgenommen sind; selbst wenn man diesem Ansatz aus guten Gründen nicht folgt, greift der Schutzgerichtsstand bei Bürgschaftsverträgen im Lichte der Judikatur des EuGH95 zur alten Haustürwiderrufs-RL96 und damit nach übergreifender systematischer Interpretation wohl nur dann ein, wenn sich ein Verbraucher gegenüber einem Gewerbetreibenden für die Hauptschuld eines Verbrauchers verbürgt97 87 Siehe hierzu Rz. 4; vgl. auch Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 67; speziell zum Architektenvertrag BGHZ 167, 83 ff. = JR 2007, 457 ff. m. Anm. Looschelders, 459 ff. 88 Siehe hierzu Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 66 f.; speziell zur rechtsanwaltlichen Beratung OLG Karlsruhe, IPRax 2008, 348 f. m. Anm. Mankowski, 333 ff.; insoweit umfassend: Renna, Die Durchsetzung des anwaltlichen Honoraranspruchs im europäischen Rechtsverkehr (2010). Beachte auch das Vorabentscheidungsersuchen des BGH zur Abgrenzung des Verkaufs beweglicher Sachen von der Erbringung einer Dienstleistung, EuZW 2008, 704 ff. sowie die folgende Entscheidung des EuGH in der Rs. C-381/08 – Car Trim GmbH vs. KeySafety Systems Srl, EuZW 2010, 301 ff. m. Anm. Leible, 303 ff. 89 Hier ist wie in vielen weiteren Konstellationen der fehlende Gleichlauf von Internationalem Zivilverfahrensund Kollisonsrecht durch Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I-VO zu beachten; dazu Hk-BGB/Staudinger, Art. 6 Rom I-VO Rz. 7 m.w.N. Diese Divergenz ergibt sich gerade mit Blick auf den in der Praxis verstärkt zu beobachtenden „Medizintourismus“ in Drittstaaten. 90 OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 2008, 359 f.; Kropholler/von Hein, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 24; Staudinger, RRa 2007, 98, 100. 91 Vgl. hierzu Rz. 22; der BGH (v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308 ff.; RRa 2013, 222 ff.) hatte noch zum alten Reiserecht entschieden, dass Ansprüche gegen einen Reiseveranstalter hinsichtlich der zeitweisen Überlassung eines in einem anderen Mitgliedstaat belegenen und einem Dritten gehörenden Ferienhauses am Verbrauchergerichtsstand einzuklagen sind. Auf Kritik stößt dabei, dass der Gerichtshof als letztinstanzlicher Spruchkörper entgegen Art. 267 Abs. 3 AEUV eine offene und entscheidungserhebliche Frage zur Abgrenzung von Art. 22 Nr. 1 und Art. 15 Brüssel I-VO (entspricht Art. 24 Nr. 1 und Art. 17) nicht dem EuGH vorgelegt hat; dazu Staudinger, RRa 2013, 58 ff.; Wagner/Diehl, GPR 2014, 230 ff. Unter dem Regime der alten Rechtslage wendete der BGH die Vorschriften des Reisevertragsrechts insgesamt entsprechend an (BGH, NJW 2013, 308; BGH RRa 2013, 222; dazu Staudinger, NJW 2013, 3760, 3760). Der deutsche Gesetzgeber kehrte jedoch bewusst von dieser analogen Anwendung der §§ 651a ff. BGB auf Ferienhäuser ab, s. hierzu Führich/Staudinger, § 1 Rz. 27; zur analogen Anwendung bei einer Hotelbuchung BGH v. 20.5.2014 – X ZR 134/13, NJW 2014, 2955 f. Dabei handelte sich europarechtlich um eine zulässige überschießende Umsetzung. Die Rechtsfortbildung der §§ 651a ff. BGB vermochte bereits damals aus nationalem Blickwinkel methodisch nicht zu überzeugen; Staudinger, RRa 2013, 205; beachte zu Ferienhausverträgen Staudinger/Staudinger, Reisevertragsrecht Vorb. zu §§ 651a–y Rz. 115 ff. 92 Vgl. OLG Koblenz v. 23.3.2006 – 10 U 1550/05, OLGR Koblenz 2007, 808 f.; hierzu auch Rz. 22. 93 Vgl. hierzu Rz. 22. 94 Siehe hierzu die Ausführungen bei Rz. 9. 95 EuGH v. 17.4.1998 – C-45/96 – Bayerische Hypotheken- und Wechselbank AG vs. Edgar Dietzinger, EuGHE 1998 I 1199, 1222 Rz. 23 f.; EuGH v. 23.3.2000 – C-208/98, ECLI:EU:C:2000:152 – Berliner Kindl Brauerei AG vs. Andreas Siepert, EuGHE 2000 I 1741, 1775 Rz. 27; bestätigt in EuGH v. 15.5.2003 – C-266/01, ECLI: EU:C:2003:282 – Préservatrice foncière TIARD SA vs. Staat der Nederlanden, EuGHE 2003 I 4867, 4891 = IPRax 2003, 528 ff. Rz. 29 m. Anm. Geimer, 512 ff. Beachte allerdings im weiteren Zusammenhang BGH v. 10.1.2006 – XI ZR 169/05, NJW 2006, 845 ff. 96 Beachte, dass diese RL durch die Verbraucherrechte-RL (2011/83/EU) ersetzt worden ist. 97 Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der sachliche Anwendungsbereich der Parallelbestimmung in Art. 6 Rom I-VO keiner entsprechenden Restriktion unterliegt (hierzu Kluth, 270 f.). Denn der Verbraucherschutz im Rahmen der Brüssel Ia-VO greift in Abweichung zu demjenigen der Rom I-VO allein bei
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache – Timesharing-Verträge,98, 99 wenn es sich nicht um vereins- bzw. gesellschaftsrechtlich oder dinglich ausgestaltete Modelle handelt und insofern nicht eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 2 oder Nr. 1 Brüssel Ia-VO vorliegt.100 – reine, also nicht zweckgebundene Kreditverträge101 – Kommissionsverträge auf Durchführung von Finanztermingeschäften102 – Treuhandverträge103 9
Während der BGH104 im Falle isolierter Gewinnzusagen105 i.S.d. § 661a BGB106 die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zunächst alternativ auf Art. 5 Nr. 3 oder Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ stützte, sprach sich der EuGH107 in der Rs. Engler mit Blick auf die Vorgängerkonvention für ei-
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Finanzierungskäufen Platz, wohingegen auf dem Gebiet des IPR bereits reine Kreditverträge erfasst sind (Mankowski, IHR 2008, 133, 141; Prütting/Wegen/Weinreich/Remien, BGB [5. Aufl. 2010], Art. 6 Rom I-VO Rz. 3). KOM (1999) 348, 1, 17; Hausmann, EuLF (D) 2000/01, 40, 45; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 330; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 114; die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO für Klagen auf Rückgewähr der Kaufpreiszahlung, noch zur Vorgängerregelung des Art. 22 Nr. 1 Brüssel I-VO ablehnend: OLG Karlsruhe, ZMR 2006, 929 f.; ebenso zu Art. 16 Nr. 1 lit. a EuGVÜ: EuGH v. 13.10.2005 – C-73/04, ECLI:EU:C:2005:607 – Klein vs. Rhodos Management Ltd, EuGHE 2005 I 8667 ff. = IPRax 2006, 159 ff. m. Anm. Hüßtege 124 ff. = ZZPInt 10 (2005) 305 ff. m. Anm. Mankowski, 309 ff.; hierzu Dietze/Schnichels, EuZW 2006, 742, 746 f.; Downes, ERPL 2007, 157 ff.; gleichermaßen für die Zahlungsklage des Verkäufers: BGH, NZM 2008, 658 ff. m. Anm. Leible/Müller, NZM 2009, 18 ff. sowie OLG Saarbrücken, NZM 2007, 703 ff. m. Anm. Mankowski, 671 ff.; beachte aber zu Mietverträgen Rz. 22; nach der Judikatur des BGH unterliegen Ansprüche gegen den Reiseveranstalter hinsichtlich der zeitweisen Überlassung eines in einem anderen Mitgliedstaat belegenen und einem Dritten gehörenden Ferienhauses dem Verbrauchergerichtsstand (BGH v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308 ff.); dazu kritisch Staudinger, RRa 2013, 58 ff.; Wagner/Diehl, GPR 2014, 230 ff.; zu Ferienhausmietverträgen ausführlich Staudinger/ Staudinger, Reisevertragsrecht Vorb. zu §§ 651a–y Rz. 115 ff. Beachte in diesem Zusammenhang auch die Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.1.2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen, ABl. EU 2009 L 33/10 ff.; s. zum Kollisionsrecht des Timesharing nach der Richtlinie 2008/122/EG Leible/ Leitner, IPRax 2013, 37 ff.; zur Umsetzung in das deutsche Recht beachte den RegE eines Gesetzes zur Modernisierung der der Regelung über Teilzeit- und Wohnrechteverträge, Verträge über langfristige Urlaubsprodukte sowie Vermittlerverträge und Tauschsystemverträge, BT-Drucks. 17/2764; zu den Vorarbeiten s. den Richtlinienvorschlag der Kommission KOM (2007) 303; hierzu Busch, GPR 2008, 13 ff.; Schubert, NZM 2007, 665 ff.; s. auch Friesen, Auswirkungen der Richtlinie 2008/122/EG auf das Internationale Timesharingrecht in der EU, 2017. Hierzu im einzelnen Kropholler/von Hein, Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 17, 21; Mankowski in Rauscher, EuZPR/ EuIPR, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 67 ff.; OLG Koblenz, VuR 2002, 257 ff. m. Anm. Mankowski, 259 ff.; Mankowski, EuZW 1996, 177, 178 f.; Mankowski, NZM 2007, 671 ff.; beachte auch BGH, NZM 2010, 251 ff.; hierzu Müller, NZM 2010, 309 ff. Neumann/Rosch, IPRax 2001, 257, 259; Piltz, NJW 2002, 789, 791; Schack, Rz. 280a; bereits für die Begründung eines Verbrauchergerichtsstands i.S.v. Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ: CA Colmar, ZIP 1999, 1209 f. m. Anm. Reich, 1210 f.; Mankowski, EWiR 1999, 1171; dagegen mangels Vorliegen eines Dienstleistungsvertrages i.S.v. Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ die h.M.: statt aller Lutz/Neumann, RIW 1999, 827, 829, s. auch die Angaben bei Staudinger in Rauscher (2007), EuZPR/EuIPR Einf. LugÜbk Rz. 8. BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, IPRax 1994, 449 = NJW 1994, 262, 263; OLG Düsseldorf v. 8.3.1996 – 17 U 179/95, IPRax 1997, 118, 120 mit zust. Anm. Thorn, 98, 101; OLG Köln v. 16.3.1989 – 12 U 197/88, ZIP 1989, 838, 839; Benicke, WM 1997, 945 ff.; Kowalke, Die Zulässigkeit von internationalen Gerichtsstands-, Schiedsgerichts- und Rechtswahlklauseln bei Börsentermingeschäften (2002) 148; Samtleben, ZBB 2003, 69, 76; allgemein zu privaten Investmentgeschäften: Mankowski, RIW 2009, 98, 117. Siehe auch OLG Koblenz v. 29.9.2005 – 5 U 131/05, WM 2006, 484 f. m. krit. Anm. Rauscher, WuB VII B. Art. 15 Brüssel I-VO 1.06; OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 45 m. Anm. von Hein 16 ff. m. Anm. Welter, WuB VII B. Art. 15 Brüssel I-VO 1.07; allgemein zu zuständigkeitsrechtlichen Fragen bei fehlerhaften Kapitalmarktinformationen: Bachmann, IPRax 2007, 77 ff.; speziell zum deliktischen Kapitalanlegerschutz: EuGH v. 10.6.2004 – C-168/02, ECLI:EU: C:2004:364 – Kronhofer vs. Meier, EuGHE 2004 I 6009 f. = IPRax 2005, 32 f. m. Anm. von Hein 17 ff.; hierzu BGH, EuZW 2008, 189 ff. sowie Wagner/Gess, NJW 2009, 3481 ff.; s. zu Kommissionsgeschäften OLG Düsseldorf BeckRs 2018, 14040 Rz. 24 m. Anm. Lenz, jurisPR-HaGesR 9/2018 Anm. 6. Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 9; vgl. auch BayObLG v. 20.7.2005 – 1Z AR 118/05, NJW-RR 2006, 210 ff.
Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 17 Brüssel Ia-VO
ne vertragliche Qualifikation aus. Da indes Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ seiner Ansicht nach (wohl) nur auf synallagmatische Verträge Anwendung findet,108 verblieb allein der allgemeine Vertragsgerichtsstand in Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ. Der EuGH bejahte damit im Rahmen des EuGVÜ einen divergierenden Vertragsbegriff. Ob diese Judikatur zwingend auf die Brüssel I/Ia-VO übertragen werden muss, erschien deshalb nicht frei von Bedenken, da sich Art. 15 Brüssel I-VO (entspricht Art. 17 Brüssel IaVO) nunmehr von seiner Formulierung her mit Art. 5 Nr. 1 lit. a Brüssel I-VO (entspricht Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) deckt.109 Unter Aufgabe seiner früheren Auffassung hat sich der BGH110 in seinem Urteil v. 1.12.2005 zum EuGVÜ der Qualifikation des Gerichtshofs angeschlossen und hält nunmehr bei isolierter Gewinnmitteilung ebenfalls nur Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ für einschlägig.111 Jedoch ließ der III. Zivilsenat ausdrücklich offen, inwieweit der enge Vertragsbegriff gleichermaßen auf Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO zu übertragen ist und mithin bei einer isolierten Gewinnmitteilung allein Art. 5 Nr. 1 lit. a Brüssel I-VO Platz greift.112 Der um die Beantwortung dieser Frage ersuchte EuGH konnte – in Abweichung von den Schlussanträgen des Generalanwalts Tizzano, wonach die durch 104 BGH v. 28.11.2002 – III ZR 102/02, NJW 2003, 426, 428 = IPRax 2003, 346 ff. m. Anm. Pieckenbrock/Schulze, 328 ff. = JZ 2003, 850 ff. m. Anm. Staudinger, 852 ff.; hierzu Leible, NJW 2003, 407 ff.; Timme, JuS 2003, 638 ff. 105 Allgemein zur Gewinnmitteilung Dörner, FS Kollhosser, 2004, 75 ff.; Leipold, FS Musielak, 2004, 317 ff.; Meller-Hannich, NJW 2006, 2516 ff.; Schäfer, JZ 2005, 981 ff.; insbesondere zur Durchsetzung von Forderungen aus Gewinnmitteilungen AG Waren (Müritz) IPRax 2006, 606 m. Anm. Tamm/Gaedtke, 584 ff.; Dörr, MDR 2006, 1141 ff. 106 Beachte insofern die Verurteilung einer Firma aus Luxemburg zur Zahlung aufgrund einer Gewinnmitteilung: OLG Köln, ZfWG 2010, 293 ff. sowie LG Aachen, NJOZ 2010, 2377 ff. 107 EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Petra Engler vs. Janus Versand GmbH, EuGHE 2005 I 481 ff. = NJW 2005, 811 ff. = RIW 2005, 225 ff.; hierzu Blobel, VuR 2005, 164 ff.; Dietze/Schnichels, EuZW 2006, 742, 743 f.; Felke/Jordans, EWS 2005, 229 f.; Leible, NJW 2005, 796 ff.; Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 219 ff.; Mörsdorf-Schulte, JZ 2005, 770 ff.; Reich, EuZW 2005, 244 f.; Rösler/Siepmann, EuZW 2006, 76, 78 f. 108 Hierzu Leible, NJW 2005, 796, 797. 109 Gegen die Übertragbarkeit OLG Rostock v. 14.10.2005 – 8 U 84/04, NJW-RR 2006, 209 f.; OLG Hamm, NJOZ 2005, 4366 ff.; OLG Stuttgart v. 25.11.2002 – 6 U 135/2002, MDR 2003, 350 f.; Braun, VuR 2003, 214, 218; Hk-ZPO/Dörner, Art. 17 Rz. 6; Häcker, ZVglRWiss 103 (2004), 464, 491 f.; Hofmann 106 ff., 177; Leipold, FS Musielak, 2004, 317, 332, 335; Lorenz, IPRax 2002, 192, 194; Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 219, 222; Lorenz, NJW 2006, 472, 475; Mankowski, RIW 2005, 561, 563; Mörsdorf-Schulte, ZZPInt 8 (2003) 407, 480; Mörsdorf-Schulte, JZ 2005, 770, 779 f.; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 14; Rösler/Siepmann, EuZW 2006, 76, 79; Schäfer, JZ 2006, 522, 523; Tamm/Gaedtke, VuR 2006, 169, 175; Wagner/Potsch, Jura 2006, 401, 407 ff.; demgegenüber für die Einordnung isolierter Gewinnzusagen zu Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO OLG Braunschweig v. 4.7.2005 – 7 U 105/04, NJW 2006, 161 f.; Blobel, VuR 2005, 164, 168 f.; Blobel/Rösler, JR 2006, 441, 443; Leible, IPRax 2003, 28, 33; Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 328, 330; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 8; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 9. Erst recht sind die Wertung des EuGH und damit der enge Vertragsbegriff nicht zwingend auf das Anknüpfungssystem in Art. 5 EVÜ zu übertragen, so dass auch isolierte Gewinnzusagen – sofern sie auf die Lieferung einer beweglichen Sache und nicht bloß eine Geldzahlung gerichtet sind – in den Anwendungsbereich der Sonderkollisionsnorm fallen können Dörner, FS Kollhosser, 2004, 75, 85 f.; Ferrari/Staudinger, Art. 6 Rom I-VO Rz. 27; Leipold, FS Musielak, 2004, 317, 334; Tamm/Gaedtke, VuR 2006, 169, 176; a.A. Felke/Jordans, IPRax 2004, 409, 411; Leible, NJW 2005, 796, 798; Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 219, 223; Martiny, ZEuP 2008, 79, 96; Wagner/Potsch, Jura 2006, 401, 409. Um einen Gleichlauf von Internationalem Zivilverfahrens- und Privatrecht (vgl. ErwGr. 7 Rom I-VO) zu erzielen, kommt bei isolierten Gewinnmitteilungen die verbrauchervertragsrechtliche Qualifikation jedenfalls unter Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO in Betracht, sofern Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO (entspricht Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO) kein Synallagma erfordern sollte: Ferrari/Staudinger, Art. 6 Rom I-VO Rz. 29; zu Auslegungszusammenhängen die Angaben in Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 2 Fn. 13. 110 BGHZ 165, 172 ff. = NJW 2006, 230 ff. = IPRax 2006, 602 ff. m. Anm. Jordans 582 ff.; hierzu Blobel/Rösler, JR 2006, 441 ff.; Lorenz, NJW 2006, 472 ff.; Schäfer, JZ 2006, 522 ff. 111 Dies gilt ebenso für den östOGH, ZfRV 2005, 118 f.; im Ergebnis schied allerdings Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ aus, da die Beklagte in einem Drittstaat ansässig war; ebenso zu Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ OLG Hamm, NJOZ 2003, 135, 137; demgegenüber bei einer intendierten, wenn auch nicht vorgenommenen Warenbestellung auf Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ abstellend OLG Nürnberg v. 28.8.2002 – 4 U 641/02, NJW 2002, 3637 ff.; OLG Dresden, IPRax 2002, 421 ff. 112 So auch OLG Hamm v. 8.2.2007 – 21 U 138/06, OLGR Hamm 2007, 285, 286.
Staudinger
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO eingeführten Änderungen lediglich den sachlichen Anwendungsbereich der Norm beträfen, das Erfordernis eines Vertragsschlusses unberührt ließen und somit bei isolierten Gewinnzusagen ohne Warenbestellung Art. 5 Nr. 1 lit. a Brüssel I-VO einschlägig sei113 – am 16.3.2006 mit Blick auf das Prinzip der Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen noch auf eine Stellungnahme verzichten.114 Aufgrund einer Vorlage des OLG Wien im Zusammenhang mit § 5j des österreichischen Konsumentenschutzgesetzes – der Parallelvorschrift zu § 661a BGB im österreichischen Recht – musste der EuGH in der Rs. Ilsinger zu dieser Thematik Stellung beziehen.115 Mit Blick auf den im Vergleich zu Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ allgemeiner und weiter gefassten Wortlaut der Nachfolgevorschrift sei der sachliche Anwendungsbereich von Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO nicht auf Fallgestaltungen mit synallagmatischen Pflichten begrenzt. Jedoch erfordere die Zuständigkeitsregel ebenso wie die Vorgängernorm den Abschluss eines Vertrages, welcher entgegen der Auffassung des Generalanwalts Tizzano in der Rs. Kapferer116 nicht allein in der Warenbestellung liegen müsse. Vielmehr sei dieser bereits dann anzunehmen, wenn sich der Unternehmer bedingungslos verpflichtet habe, dem Verbraucher einen Preis auszuzahlen. Nach Maßgabe dieser Judikatur können nunmehr isolierte Gewinnmitteilungen im Falle einer Zahlungspflicht auf Seiten des Unternehmers oder einer von der Preisauszahlung unabhängigen Warenbestellung auf Seiten des Verbrauchers an dessen Wohnsitz geltend gemacht werden. Aus dem Blickwinkel der Effektivität des Verbraucherschutzes verdient die auf den ersten Blick konsumentenfreundliche Entscheidung allerdings insoweit Kritik, als der Gerichtshof zum einen nicht klarstellt, unter welchen Voraussetzungen von einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung des Gewinnversprechenden auszugehen ist.117 Zum anderen fordert der EuGH in Abweichung zu Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO118 sowie der überwiegenden Literaturmeinung im Rahmen von Art. 15 Brüssel I-VO119 die Notwendigkeit eines Vertragsschlusses.120 Infolge dessen scheinen Streitigkeiten, bei denen gerade die Verpflichtung des Versprechenden, mithin das Zustandekommen eines Vertrages in Frage steht, nicht a priori in den Anwendungsbereich des Schutzgerichtsstandes zu fallen. Die folgerichtige Behandlung materiell-rechtlicher Fragen bereits im Rahmen der Zuständigkeit widerspricht aber dem Grundsatz der Prozessökonomie und steht mit anderen strukturell schwächere Parteien privilegierenden Bestimmungen, die bspw. faktische Arbeitsverträge erfassen121 oder den Abschluss eines Versicherungsverhältnisses betreffen,122 nicht im Einklang.123 Der letztgenannte Einwand dürfte allerdings dann nicht überzeugen, wenn zumindest die Annahmeerklärung des Verbrauchers in der (gerichtlichen) Geltendmachung der Gewinnzusage zu sehen ist.124 Knüpft der Unternehmer die Gewinnzusage dagegen an eine Bestellung und nimmt der Verbraucher tatsächlich Waren ab, kann die Klage auf Herausgabe eines Gewinns nach dem damals geltenden § 5j des Konsumentenschutzgesetzes125 jedenfalls am Verbrauchergerichtsstand kraft Sachzusammenhangs
113 EuGHE 2006 I 2585, 2597 Rz. 37 ff. 114 EuGH v. 16.3.2006 – C-234/04, ECLI:EU:C:2006:178 – Rosmarie Kapferer vs. Schlank & Schick GmbH, EuGHE 2006 I 2585 ff. = NJW 2006, 1577 ff. = EWS 2006, 171 ff.; hierzu Blobel/Rösler, JR 2006, 441, 443; Hofmann 106 ff.; Schmidt-Westphal/Sander, EuZW 2006, 242 ff. 115 EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 – Renate Ilsinger vs. Martin Dreschers als Insolvenzverwalter im Konkurs der Schlank & Schick GmbH, EuZW 2009, 489 ff. m. krit. Anm. Beig/Reuß 492 f. = RIW 2009, 485 ff.; s. auch Bach, IHR 2010, 17 ff. sowie die Besprechung der Schlussanträge von Beig/Reuß, EuZW 2009, Heft 3, VIII f. 116 EuGHE 2006 I 2585, 2597 Rz. 52. 117 Hierzu ausführlich Bach, IHR 2010, 17, 21 ff. 118 Entspricht dem neuen Art. 7 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, s. hierzu Leible in Rauscher (2009), EuZPR/EuIPR Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 22. 119 Entspricht dem neuen Art. 17 Brüssel Ia-VO, vgl. die Nachweise in Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 3. 120 Kritisch ebenfalls: Bach, IHR 2010, 17, 21. 121 Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 52. 122 Art. 10 Rz. 10; ähnlich Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 10 Brüssel I-VO Rz. 3; auf den äußeren Tatbestand eines Vertragsverhältnisses abstellend: Zöller/Geimer, Art. 14 Rz. 1. 123 Siehe auch Beig/Preuß, EuZW 2009, 492, 492. 124 So Bach, IHR 2010, 17, 21 unter Rückgriff auf EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Petra Engler vs. Janus Versand GmbH, EuGHE 2005 I 481 ff. = NJW 2005, 811, 813 Rz. 55. 125 Die Regelung ist nun in § 5c Konsumentenschutzgesetz zu finden.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 17 Brüssel Ia-VO
erhoben werden. Dies folgt aus einer früheren Entscheidung des Gerichtshofs in der Rs. Gabriel,126 die auch im Lichte der jüngsten Judikatur nicht als „overruled“ anzusehen ist.127 Kraft Sachzusammenhang nicht von Abs. 1 lit. c erfasst werden Versicherungsverträge. Hier greifen 10 die Art. 10 ff. Brüssel Ia-VO als leges speciales ein.128 Sofern eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Abs. 1 S. 1 Fall 1 Brüssel Ia-VO besteht,129 bleiben ebenso Kaufverträge über Immobilien ausgenommen; dies gilt allerdings nicht für die zu ihrer Finanzierung geschlossenen Kreditverträge.130 2. Tatbestandliche Voraussetzungen Anders als Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 lit. b EuGVÜ stellt Abs. 1 lit. c nicht darauf ab, dass der Verbraucher alle rechtlich erforderlichen Schritte in seinem Wohnsitzstaat durchführt. So ist insb. derjenige Ort unbeachtlich, an dem der Vertrag zustande kommt.131 Abs. 1 lit. c erfasst demnach auch Fallgestaltungen, in denen der Kunde von der gegnerischen Seite angehalten wird, seinen Wohnsitzstaat zum Zwecke des Vertragsschlusses zu verlassen.132 Dem Zuständigkeitskatalog liegt folglich nicht mehr das Leitbild des passiven Verbrauchers zugrunde. Vielmehr wird ebenso der aktive Konsument in den Schutzbereich einbezogen.133 Entscheidend ist allein, ob der Vertragspartner eine hinreichend enge Verbindung zum Heimatstaat des Kunden geschaffen hat, die es im Ergebnis rechtfertigt, dass der Anbieter in diesem Staat gerichtspflichtig wird.134
11
a) Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit (Fall 1) Die Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit erfordert nicht notwendig eine (Zweig-) Niederlassung im Wohnsitzstaat des Verbrauchers. Ausreichend ist vielmehr, dass sich der Vertragspartner aktiv am Wirtschaftsverkehr in diesem Mitgliedstaat beteiligt, indem er z.B. vor Ort Dienstleistungen vornimmt.135 Erfolgt nur der Vertragsschluss im Heimatstaat des Verbrauchers, so handelt es sich nicht um die Ausübung einer Tätigkeit, sondern allenfalls um ein Ausrichten i.S.d. Abs. 1 lit. c Fall 2.
126 EuGH v. 11.7.2002 – C-96/00, ECLI:EU:C:2002:436 – Rudolf Gabriel, EuGHE 2002 I 6367, 6404 Rz. 60 zu Art. 13 EuGVÜ = EuZW 2002, 539 ff. = IPRax 2003, 50 ff.; OLG Hamm, RIW 2003, 305 ff.; östOGH v. 3.4.2003 – Az. 6 Nc 10/03b; Fetsch, RIW 2002, 936 ff.; Feuchtmeyer, NJW 2002, 3598 ff.; Klauser, ecolex 2002, 80 ff.; Klauser, ecolex 2002, 574 ff.; Koch, ZZPInt 7 (2002), 264 ff.; Leible, IPRax 2003, 28 ff.; Mankowski, EWiR 2002, 873 f.; Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 328 ff.; Simons, EuLF (D) 2003, 43 f.; Staudinger, ZEuP 2004, 767 ff.; Wukoschitz, ecolex 2002, 423 ff. 127 Der Gerichtshof nimmt in der Rs. Engler (EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Petra Engler vs. Janus Versand GmbH EuGHE 2005 I 481 ff. = NJW 2005, 811 ff.) etwa in den Rz. 29 und 33 auf die frühere Entscheidung in der Rs. Gabriel (EuGH v. 11.7.2002 – C-96/00, ECLI:EU:C:2002:436 – Rudolf Gabriel, EuGHE 2002 I 6367 ff. = EuZW 2002, 539 ff.) Bezug. Auch in der Rs. Ilsinger (EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 – Renate Ilsinger vs. Martin Dreschers als Insolvenzverwalter im Konkurs der Schlank & Schick GmbH, EuZW 2009, 489 ff. = RIW 2009, 485 ff.) zieht der Gerichtshof die Rs. Gabriel etwa in Rz. 43 f., 58 heran. 128 Vgl. die Angaben bei Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 1. 129 Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 20 ff. 130 Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 2001, 143, 148; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 20; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 1; Neumann/Rosch, IPRax 2001, 257, 259. 131 Siehe etwa BGH v. 17.9.2008 – III ZR 71/08, NJW 2009, 298, 298; Geimer/Schütze, EuZPR Rz. 40; Micklitz/ Rott, EuZW 2001, 325, 331. 132 KOM (1999) 348, 17; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 27; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 331. 133 Hierzu OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 46; Schoibl, JBl 2003, 149, 161 f.; Looschelders, JR 2007, 459, 460; einschränkend OLG Karlsruhe, IPRax 2008, 348, 349 m. Anm. Mankowski, 333. 134 KOM (1999) 348, 18. 135 Renna, 209; Staudinger/Czaplinski, NZM 2010, 461, 461; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 11; zum Zeitpunkt der Unternehmerbetätigung im Wohnsitzstaat des Verbrauchers s. Rz. 17 f.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache b) Ausrichten einer beruflichen und gewerblichen Tätigkeit auch auf den Wohnsitzstaat (Fall 2) 13
Die bedeutendste Änderung gegenüber dem EuGVÜ, welche auch auf Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO übertragen wurde,136 liegt im erweiterten räumlich-situativen Anwendungsbereich. Es genügt bereits, dass der Vertragspartner seine Tätigkeit auf mehrere Staaten137 ausrichtet,138 solange der Verbraucher in einem dieser Mitgliedstaaten beheimatet ist. Räumlich sind demnach alle dort ansässigen Verbraucher einbezogen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit. Sachlich erfasst wird hier die noch in Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ ausdrücklich erwähnte Werbung.139 In Anlehnung an das Römische Schuldvertragsübereinkommen140 sind alle Formen der Werbung einbezogen, losgelöst davon, ob sie allgemein (Presse, Radio, Fernsehen, Kino) oder in anderer Weise (speziell in den Staat geschickte Kataloge, persönliche Angebote durch Vertreter oder selbständige, vom Unternehmer beauftragte Kontaktbüros) an den Empfänger gerichtet wird bzw. diesen zufällig erreicht.141 Das einmalige Versenden von Katalogen an Einzelpersonen reicht indes nicht.142 Ebenso wenig genügt eine Empfehlung durch Bekannte. Zu einer anderen Beurteilung gelangt man, wenn eine solche hingegen auf einer Homepage fußt, welche der Unternehmer auf den Mitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichtet hat. Hinsichtlich der Einschaltung von Vermittlern muss differenziert werden. Es ist nicht als Werbung anzusehen, wenn der vom Verbraucher eingeschaltete Vermittler Formulare des späteren Vertragspartners ohne dessen Zutun zur Ausfüllung bereit hält.143 Abs. 1 lit. c Fall 2 greift vielmehr nur in Fällen, in denen der Vertragspartner die von ihm angebotene Ware gezielt auf dem Markt im Wohnsitzstaat des Verbrauchers abzusetzen sucht.144 Der Schutzgerichtsstand ist demzufolge etwa als eröffnet anzusehen, wenn sich das in einem anderen Mitgliedstaat angesiedelte Unternehmen der werbenden Tätigkeit einer in Deutschland tätigen Vertriebsfirma bedient, die ihm regelmäßig Kunden zuführt.145 Es bedarf mithin einer strategischen Geschäftsbeziehung.146 Ob der Vertragsabschluss im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers oder an einem anderen Ort erfolgt, ist unbeachtlich. Allerdings unterfallen Verträge, die etwa auf Reisen ohne vorherige Werbung und ohne das Vorhalten einer auf den Mitgliedstaat des Verbrauchers ausgerichteten Homepage im Ausland zustande kommen, nicht Abs. 1 lit. c Fall 2.
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Durch die sehr weit gefasste Formulierung der Vorschrift soll der wachsenden Bedeutung des elektronischen Geschäftsverkehrs Rechnung getragen werden.147 Vor allem bei Vertragsabschlüssen im Internet ist der Nachweis, an welchem Ort die erforderlichen Rechtshandlungen vorgenommen wur136 Zur Rom I-VO s. die Angaben in Vor. zu Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 2 Fn. 14. 137 Unschädlich ist es, wenn dies etwa auch Drittstaaten betrifft. 138 Parallelen lassen sich zum amerikanischen Rechtsraum ziehen: Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 9; Kohler in Gottwald (Hrsg.), Revision des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht (2000) 1, 19 f. 139 ÖstOGH v. 8.9.2009 – 1 Ob 158/09f, ZIP 2010, 1154, 1155; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 87; Kowalke, Die Zulässigkeit von internationalen Gerichtsstands-, Schiedsgerichts- und Rechtswahlklauseln bei Börsentermingeschäften (2002) 150; Reich/Gambogi, VuR 2001, 269, 271; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 7 f. 140 Vgl. Bericht Guiliano/Lagarde zu Art. 5 EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 56; hierauf stellt ab der EuGH v. 11.7.2002 – C-96/00, ECLI:EU:C:2002:436 – Rudolf Gabriel, EuGHE 2002 I 6367, 6400 f. Rz. 42 ff. zu Art. 13 EuGVÜ; Schoibl, JBl 2003, 149, 160 f. 141 Siehe OLG Düsseldorf, BeckRS 2018, 14040 Rz. 29 m. Anm. Lenz, jurisPR HaGesR 9/2018 Anm. 6. 142 Ebenso östOGH v. 8.9.2009 – 1 Ob 158/09f, ZIP 2010, 1154, 1155. 143 Unter dem Regime des EuGVÜ wurde der Verbraucher nicht geschützt, wenn er aktiv ohne vorherige Werbung des Unternehmers einen Vermittler einschaltete OLG München v. 21.1.1992 – 25 U 2987/91, NJW-RR 1993, 701, 703; OLG Köln v. 9.7.2003 – 13 U 135/02, WM 2004, 1324, 1326; im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO und im Lichte der Rechtsprechung des EuGH ist bei einer strategischen Geschäftsbeziehung zwischen dem Vermittler und dem Unternehmer von einem Ausrichten auf den Mitgliedstaat des Vermittlers auszugehen, so dass auch ein Verbraucher, der selbst einen Vermittler aufsucht, vom Schutz der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO erfasst ist. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nur, wenn keine Binnenbeziehung zwischen dem Vermittler und Unternehmer besteht. 144 Keiler/Binder, RRa 2009, 210, 216; Leible, JZ 2010, 272, 276; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 12. 145 OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 46; zustimmend von Hein, IPRax 2006, 16, 20; ebenso Keiler/Binder, RRa 2009, 210, 217 und Leible, JZ 2010, 272, 276; dies muss auch für einen Autoverkäufer in einem EU-/Drittstaat gelten, der von einem deutschen Autohändler Kunden vermittelt bekommt. 146 Auch östOGH v. 8.9.2009 – 1 Ob 158/09f, ZIP 2010, 1154 Rz. 8. 147 KOM (1999) 348, 17; Beraudo, Clunet 2001, 1033, 1055 f.; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 23; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 331; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 9.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 17 Brüssel Ia-VO
den, nur schwer zu erbringen. Dies führte bei Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ zu erheblichen Beweisproblemen.148 Ob Abs. 1 lit. c Fall 2 derlei Schwierigkeiten zu überwinden vermag, muss allerdings bezweifelt werden.149 Ferner ist im Lichte der Judikatur etwa in der Rs. Schrems150 eine restriktive Interpretation geboten, um den in Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO verankerten Grundsatz actor sequitur forum rei nicht auszuhöhlen.151 Der Begriff des „Ausrichtens“ wurde in den letzten Jahren durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes näher konkretisiert, so dass Unklarheiten152 weiterhin beseitigt werden konnten. In der Rs. Pammer153 hat der EuGH der oftmals von Teilen der Literatur vorgenommenen Differenzierung zwischen aktiven und sog. passiven Homepages154 eine Absage erteilt. Im Lichte des Urteils lässt sich festhalten, dass ein Ausrichten nicht automatisch und ganz allgemein durch das Vorhalten einer interaktiven Homepage vorliegt, während ein solches im Umkehrschluss bei passiven Internetseiten nicht a priori ausscheidet. Nach Ansicht des europäischen Spruchkörpers erfordert es zunächst der Prüfung, ob der Unternehmer seine Tätigkeit willentlich auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten, darunter den Aufenthaltsstaat des Verbrauchers, in abstrakter Weise ausrichtet.155 Nur bei einem derartigen Internetauftritt sei der situative Anwendungsbereich eröffnet.156 Dieser Wille ist nach Auffassung des EuGH bei konventioneller Werbung stets gegeben, hingegen bei solcher mittels Internet nicht automatisch vorhanden.157 Vielmehr bedarf es, um diese „innere“ Tatsache nachzuweisen, eines Rückschlusses auf den subjektiven Willen anhand von objektiven Anhaltspunkten.158 Der Gerichtshof nennt in einer nicht abschließenden Aufzählung Anzeichen, wobei er zwischen „offenkundigen Ausdrucksformen“ des Willens und weiteren, in der Indizwirkung schwächeren, unterscheidet.159 Zu den „starken“ Kriterien zählen laut EuGH sowohl Investitionen, um den Verbrauchern via Internet-Suchmaschinen den Zugang zu der Homepage zu erleichtern160, als auch die Angabe des Unternehmers, dass er die Dienstleistungen oder Produkte in einem oder mehreren namentlich erwähnten Mitgliedstaaten offeriere.161 In die Kategorie der weniger gewichtigen Kriterien zählen die Angabe von Telefonnummern mit internationaler Vorwahl, die Verwendung eines anderen Domänenamens oberster Stufe als dem des 148 KOM (1999) 348, 18; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 24; Leible, JZ 2010, 272, 275. 149 Siehe die Analyse von Øren, ICLQ 2003, 665, 679 ff. 150 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 306 Rz. 32. 151 Den Ausnahmecharakter der Vorschrift jüngst betonend: BGH, EuZW 2009, 26, 27 m. Anm. Leible/Müller, 27 f. Demgegenüber für eine weite Auslegung des Begriffs „Ausrichten“: OLG Karlsruhe, IPRax 2008, 348, 349; OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 45; zust. Mankowski, VuR 2006, 289; ablehnend von Hein, IPRax 2006, 16, 19. 152 Siehe dazu Vorauflage Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 13 ff. 153 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505 ff.; hierzu Berg, RIW 2011, 248 ff., Leible/Müller, NJW 2011, 495 ff.; Mankowski, EWiR 2011, 111; Mankowski, TranspR 2011, 70 ff.; Staudinger, AnwBl. 2011, 327 ff.; Staudinger/Steinrötter, EWS 2011, 70. 154 Zur Brüssel I-VO: KOM (1999) 348, S. 17 f.; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 10; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 7 f. 155 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 508, Rz. 75 f. 156 Siehe hierzu OLG Düsseldorf, BeckRS 2018, 14040 Rz. 32 ff. m. Anm. Lenz, jurisPR HaGesR 9/2018 Anm. 6. 157 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 508, Rz. 68. 158 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 508 ff., Rz. 76, 81, 83 f., 92. 159 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 509, Rz. 81 einerseits ([…], wodurch […] das Bestehen eines solchen Willens „belegt wird“.), Rz. 83 f. („[…], geeignet, […] zu belegen“.) andererseits. 160 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs.C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 509. 161 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 509, Rz. 81.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache Mitgliedstaates der Unternehmer-Niederlassung („.com“; „.eu“), Anfahrtsbeschreibungen von anderen Mitgliedstaaten zum Dienstleistungsort oder die Erwähnung einer internationalen Kundschaft.162 Keinen zwingenden Rückschluss auf ein Ausrichten erlaubt für sich genommen der internationale Charakter der Tätigkeit, dieser kann lediglich neben weiteren Anhaltspunkten ein Hinweis dafür sein.163 Ebenso wenig ist bei einer Angabe der elektronischen oder geografischen Adresse sowie einer Telefonnummer ohne internationale Vorwahl von einer Indizwirkung auszugehen.164 Zu einer anderen Bewertung kommt man wohl bei der Nennung einer solchen Vorwahl oder der Mobilfunknummer aus einem anderen Mitgliedstaat, um einem dort ansässigen Kunden die Kontaktaufnahme zu erleichtern.165 Entgegen dem scheinbar eindeutigen Wortlaut von ErwGr. 24 S. 4 Rom I-VO, welcher im Wege einer harmonischen Auslegung166 der supranationalen Rechtsakte heranzuziehen ist, misst der Gerichtshof den Kriterien Sprache oder Währung, sofern sie nicht mit denjenigen des Unternehmerstaates übereinstimmen, hinsichtlich des unternehmerischen Willens doch einen gewissen Aussagegehalt zu.167 Bei der relevanten Stelle des ErwGr. handelt es sich lediglich um ein Zitat einer gemeinsamen Stellungnahme des Rates und der Kommission. Die Legislative hat sich diese Erklärung folglich nicht zu eigen gemacht, so dass von ihr keine Bindungswirkung für den EuGH ausgeht und sich dieser über den Text hinwegsetzen konnte. Insoweit überzeugt dessen Entscheidung. Die Erstellung der Website in einer bestimmten Sprache168 mag zwar als Indiz dafür gelten, dass der Anbieter seine Tätigkeit nicht auf anderssprachige Märkte ausrichtet;169 problematisch dürfte dies aber bei außereuropäisch verbreiteten Sprachen wie Spanisch und Portugiesisch sein. Als Abgrenzungskriterium scheidet die Sprache wohl im Falle einer englischen Internetseite aus.170 Festzuhalten ist, dass schwache und starke Indizien einen Rückschluss auf das willentliche Ausrichten nahelegen können. In einer Gesamtschau genügt jedoch nicht das Vorliegen eines einzelnen schwachen Kriteriums, dafür spricht vor allem der Ausnahmecharakter des besonderen Schutzgerichtsstands.171 Weiterhin ist im Rahmen der primärrechtskonformen Auslegung der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie den Grundfreiheiten der Anbieter und damit einer hinreichenden Beachtung des Herkunftslandprinzips172 auf der einen und dem Schutzzweck auf der anderen Seite Rechnung zu tragen.
162 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 509, Rz. 83. 163 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 510 Rz. 90; dazu Leible/Müller, NJW 2011, 495, 496; Staudinger/Steinrötter, EWS 2011, 70, 72 f.; s. zur inhaltsgleichen Vorschrift im LugÜbk 2007 BGH v. 9.2.2017 – IX ZR 67/16, MMR 2018, 95, 97 Rz. 34; ferner: BGH v. 6.7.2017 – IX ZR 38/16, IPRax 2018, 620 ff. m. Anm. Rademacher, IPRax 2018, 600 ff.; OLG Düsseldorf v. 30.3.2017 – 3 W 242/16, IPRax 2018, 624 ff. 164 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 509, Rz. 77 f. 165 So auch die Ausführungen des LG Saarbrücken v. 17.1.2014 – 5 S 68/12 hinsichtlich der Angabe einer deutschen Handynummer auf der Homepage eines französischen Gebrauchtwagenhändlers. 166 ErwGr. 7 Rom I-VO. 167 EuGH v. 7.12.2010 – verb. Rs. C-585/08, C-144/09, ECLI:EU:C:2010:740, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 509, Rz. 84. 168 Nach der gemeinsamen Erklärung von Rat und Kommission sind die auf einer Website benutzte Sprache oder Währung ohne Bedeutung, IPRax 2001, 259, 261; ebenso Leible, JZ 2010, 272, 275; auf das Kriterium der Sprache abstellend: LG München I v. 18.7.2007 – 9 O 16842/06, K&R 2008, 322 f. m. Anm. Mankowski, EWiR 2008, 245 f.; OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 46; kritisch von Hein, IPRax 2006, 16, 19 f.; s. dort auch die Nachweise zum Streitstand im Schrifttum. 169 So aber Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 24; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 10; Rauscher, IPR Rz. 1892; auf die Umstände des Einzelfalls abstellend BGHZ 167, 91, 95 = JR 2007, 280, 282 m. Anm. Köhler, 284 = IPRax 2007, 446, 448 m. Anm. Koos 414 = GRUR-Int. 2006, 605, 606 f. m. Anm. Mankowski, 609; Buchner, EWS 2000, 147, 152. 170 Ähnlich Moritz, CR 2000, 61, 66. 171 Siehe zur inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 15 im LugÜbk 2007 BGH v. 9.2.2017 – IX ZR 67/16, MMR 2018, 95, 96 Rz. 24. 172 Bereits vor der Konkretisierung durch den EuGH zustimmend von Hein, IPRax 2006, 16, 19.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 17 Brüssel Ia-VO
Besondere Beachtung verdient überdies eine Entscheidung des I. Zivilsenates.173 Der BGH weist zutreffend darauf hin, dass es den Gerichten in den Mitgliedstaaten obliegt zu prüfen, ob starke oder schwache Indizien auf ein Ausrichten hindeuten. Im Revisionsverfahren stand außer Streit, dass ein Maklervertrag zwischen Unternehmer und Verbraucher und demzufolge der persönliche Anwendungsbereich des Schutzgerichtsstandes in Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO (entspricht Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO) vorlagen. Ferner hatte sich der Makler im Zeitpunkt der Klageerhebung durch Internetseiten von Deutschland aus auf die Niederlande und die dort ansässigen Kunden ausgerichtet. Unklar blieb allein, ob schon zwei Jahre zuvor im Moment des Vertragsschlusses ein solches Ausrichten gegeben war. Der erkennende Senat führt zunächst überzeugend aus, dass es sich um einen Ausnahmegerichtsstand handelt. Infolge dessen trifft grundsätzlich den Verbraucher eine Darlegungsund Beweislast in Bezug auf die hierfür notwendigen Tatsachen. Allerdings darf dem Schutzgerichtsstand seine praktische Wirksamkeit nicht durch überzogene Anforderungen an die Darlegungs-und Beweislast genommen werden. Hat sich ein Unternehmer durch seinen Internetauftritt bei Klageerhebung ausgerichtet, folgt hieraus ein Indiz dafür, dass dies auch bereits im Augenblick der Fall war, als das Rechtsgeschäft zustande kam.174 Im Rahmen der sekundären Beweislast des Unternehmers sind angesichts dessen erhöhte Anforderungen an sein Bestreiten zu stellen. Andernfalls drohte der Verbrauchergerichtsstand seiner Effektivität beraubt zu werden. Dem Kunden bliebe nämlich für den Nachweis letztlich nur die eigene Vernehmung als Partei, sofern er keine Zeugen aufzubieten vermag bzw. zum damaligen Zeitpunkt keine Screenshots angefertigt hat. Letzteres bei der Kontaktaufnahme nicht getan zu haben, gereicht ihm aber nicht zum Nachteil. Denn typischerweise besteht für eine derartige sichernde Maßnahme kein Anlass. Dem Unternehmer wiederum ist es zuzumuten, bei einem nachgewiesenen Ausrichten auf das Verbraucherland im Moment der Klageerhebung detailliert vorzutragen, weshalb der situative Anwendungsbereich noch nicht beim Vertragsabschluss gegeben war. Dies gilt umso mehr, als es sich um Vorgänge in der Sphäre des Unternehmers handelt. Klärungsbedarf besteht dahingehend, auf welchem Wege Internetanbieter ihre Gerichtspflicht auf 13b bestimmte Märkte oder Personenkreise beschränken können. Es ist jedenfalls auch Kleinanbietern durchaus zumutbar, durch entsprechende Hinweise (Disclaimer)175 einige Mitgliedstaaten ausdrücklich als Absatzgebiete auszunehmen.176 In der Ablehnung eines deutschen Unternehmers, mit einem Verbraucher aus einem anderen Mitgliedstaat zu kontrahieren, dürfte kein Verstoß gegen das AGG, insbesondere dem zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot nach § 19 AGG, beziehungsweise das allgemeine Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV oder etwaige Grundfreiheiten liegen. Dieser Ausschluss ist keinesfalls eine unmittelbare sondern vermag allenfalls eine mittelbare Diskriminierung zu begründen, da die vertragliche Beziehung nicht wegen der Staatsangehörigkeit des Verbrauchers, sondern angesichts seines Wohnsitzes in einem anderen Mitgliedstaat verweigert wird. Geht man von der Anwendbarkeit des § 19 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 AGG sowie dem Vorliegen einer mittelbaren Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft i.S.d. §§ 1 und 3 Abs. 2 AGG aus, erfordert diese eine Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeitsprüfung. Anzumerken ist, dass individual- oder vorformulierte Gerichtsstands- und Rechtswahlabreden den Unternehmer weder vor einer Gerichtspflichtigkeit im Ausland aufgrund der Prorogationsschranke des Art. 19 Nr. 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO noch dem Aufenthaltsrecht des Verbrauchers als 173 BGH v. 15.1.2015 – I ZR 88/14, MMR 2015, 802 ff. 174 Siehe zur inhaltsgleichen Vorschrift des Art. 15 im LugÜbk 2007 BGH v. 9.2.2017 – IX ZR 67/16, MMR 2018, 95, 97 Rz. 30. 175 KOM (1999) 348, 18; zust. Koch/Maurer, WM 2002, 2443, 2453; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 331; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Rz. 10; Reich/Gambogi, VuR 2001, 269, 273; auf die Missbrauchsgefahr verweist von Hein, IPRax 2006, 16, 20 Fn. 64; ausführlich Staudinger, jM 2014, 229, 235; zur Frage, ob durch Geoblocking Onlineinhalte nur auf bestimmte Aufenthaltsorte beschränkt werden können Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2. 176 Zur entsprechenden Indizwirkung des Disclaimers bei der Feststellung des Erfolgsortes als des Ortes des bestimmungsgemäßen Auswirkens i.S.v. Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ bei Wettbewerbsverletzungen im Internet BGHZ 167, 91, 95 = JR 2007, 280, 282 m. Anm. Köhler, 284 ff. = IPRax 2007, 446, 448 m. Anm. Koos 414 ff. = GRUR-Int. 2006, 605, 606 f. m. Anm. Mankowski, 609 ff.; ähnlich zu § 32 ZPO LG Krefeld v. 14.9.2007 – 1 S 32/07, CR 2008, 197 f.; s. auch Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 129.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache Mindeststandard im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO177 bewahren können. Ein sachlicher Grund hinsichtlich der Ungleichbehandlung von Kunden mit Wohnsitz im In- und Ausland lässt sich auf die soeben dargestellten international zivilverfahrensrechtlichen- und kollisionsrechtlichen Konsequenzen stützen. Dem Unternehmer bleibt, um nicht in einem bestimmten Staat gerichtspflichtig zu werden, somit kein milderes Mittel als einen Vertragsschluss generell zu verneinen. Zur Erreichung dieses legitimen Ziels ist eine Ausschlussklausel folglich angemessen und erforderlich. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sind zudem der Art. 18 AEUV sowie etwaige betroffene Grundfreiheiten, deren horizontale Direktwirkung unterstellt, anzuführen. Hervorzuheben bleibt, dass sich der Unternehmer im Ausgangspunkt auf die negative Abschlussfreiheit als Ausschnitt der Privatautonomie beruft. Dieser kommt auch auf supranationaler Ebene ein bedeutender Stellenwert zu, etwa im Rahmen des Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union unter Einbeziehung ihrer Erläuterungen.178 Folglich dürfte ein Disclaimer auf keine rechtlichen Bedenken stoßen. 13c
Fraglich erscheint, ob neben Disclaimern effektivere technische Eingrenzungsmöglichkeiten bestehen, welche den Absatzmarkt des Unternehmers auf bestimmte Mitgliedstaaten beschränken. Denkbar wäre hierfür etwa die Nutzung von Geoblocking.179 Üblicherweise verwenden Websitebetreiber dieses Verfahren, um Zugriffe auf deren Onlineinhalte territorial einzugrenzen. Dabei dient insbesondere die IP-Adresse der anfragenden User als Anknüpfungspunkt für die Standortermittlung. Sog Geo-IPDatenbanken können dabei genau bestimmen, von welchem Hoheitsgebiet aus der Websiteabruf vorgenommen wird.180 Richtet ein Unternehmer nun ein Geoblocking (auch IP-Sperre genannt) für gewisse Staaten ein, so entscheidet das System nach der Entschlüsselung des Nutzeraufenthaltsortes, ob Zugang zu den Inhalten der Unternehmerwebsite zu gewähren ist. Unterliegt der Staat des abrufenden Users einer solchen Sperre, erhält dieser gar nicht erst die Möglichkeit, den Internetauftritt des Unternehmers einzusehen. Die Betreiber von Websites haben es folglich einseitig in der Hand festzulegen, von welchem (Mitglied-)Staat ihre Inhalte zugänglich sind.181 Die Frage nach dem Ausrichten des Unternehmers auf einen Verbraucherstaat etwa durch einen Onlineshop würde sich mit Einrichtung eines Geoblockings sicherlich dann nicht mehr stellen. Im Lichte der neuen GeoblockingVO182 verbietet sich indes grundsätzlich die Verwendung der Technik im Onlinehandel. Der Sekundärrechtsakt soll sicherstellen, dass jede Form der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden vermieden wird. Ausnahmen hiervon gelten lediglich dann, wenn etwa die grenzüberschreitende Abrufbarkeit zu einem Verstoß gegen anderweitiges Unionsrecht oder die nationale Rechtsordnung eines Mitgliedstaates führt.183 Das aus Art. 3 der Verordnung abgeleitete Geoblockingverbot stößt allerdings in der Literatur auf Kritik, da die unternehmerische Freiheit insofern beschnitten würde, als mangels Einschränkbarkeit unerwünschte Vertragsschlüsse mit Verbrauchern anderer Staaten drohten.184 Dem lässt sich schließ177 Hat der Unternehmer eine abweichende Rechtswahl getroffen, gelangt das vereinbarte Statut zwar gem. Art. 6 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO zur Geltung, allerdings ist nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO ein Günstigkeitsvergleich zwischen dem vereinbarten Sach- und dem an sich nach Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO objektiv berufenen Verbrauchervertragsrecht vorzunehmen; vgl. zusätzlich EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15 -Verein für Konsumenteninformationvs.Amazon EU Sàrl, MMR 2016, 808 ff.; Breckheimer, RIW 2016, 681 ff.; Junker, jurisPR-ITR 21/2016 Anm. 3; Mankowski, IPRax 2019, 208 ff.; Mankowski, NJW 2016, 2705 ff.; Pfeiffer, NJW 2017, 913 ff.; W.-H. Roth, IPRax 2017, 449 ff.; Rott, EuZW 2016, 733 ff.; Steinrötter, jurisPR-IWR 3/2017 Anm. 3. 178 Siehe in diesem Zusammenhang EuGH, EuZW 2013, 747 f. 179 Zum Verfahren Federrath, ZUM 2015, 929 ff.; Martiny, MMR 2016, 579 ff.; Steinrötter, EWS 2016, 17 ff.; Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2; LG Hamburg, BeckRS 2018, 24806. 180 Hierzu Federrath, ZUM 2015, 929, 930. 181 Vgl. ausführlich Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2. 182 Verordnung (EU) Nr. 2018/302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.2.2018 über Maßnahmen gegen ungerechtfertigtes Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarktes und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 2006/2004 und (EU) 2017/2394 sowie der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. EU 2018 L 60/1; zum Rechtsakt Kraul/Schaper, DB 2018, 618 ff. 183 Vgl. Kraul/Schaper, DB 2018, 618, 619. 184 Siehe etwa Peschel, GPR 2016, 194, 198 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
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lich entgegenhalten, dass die GeoblockingVO ausweislich ihres Art. 1 Abs. 6 darauf hinweist, die Einhaltung der vom Unionsrechtsakt vorgeschriebenen Regelungen führte im Umkehrschluss zur Erfüllung des Ausrichtungserfordernisses der Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO sowie Art. 17 Abs. 1 lit. c. Der Verzicht auf Geoblocking indiziert somit jedenfalls nicht automatisch ein Ausrichten des Websitebetreibers auf andere (Mitglied-)Staaten. Eine Gerichtspflichtigkeit auf Grundlage des Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO müsste folglich im Lichte der Rs. Pammer185 auf darüber hinaus bestehenden Anhaltspunkten begründet werden. Nun darf Art. 1 Abs. 6 GeoblockingVO nicht dahingehend fehlgedeutet werden, dieser formuliere ein grundlegend abweichendes Verständnis des Ausrichtens im Vergleich zu den bereits festgelegten Grundsätzen der EuGH-Judikatur186. Vielmehr bestätigt die Vorschrift im Ausgangspunkt, dass die Abrufbarkeit eines Internetauftritts allein kein taugliches Indiz für ein Ausrichten auf gewisse Mitgliedstaaten darstellt. Letztlich erscheint Geoblocking somit zwar als wesentlich effektivere Methode zur Ausrichtungsbeschränkung im Vergleich zu Disclaimern. Vor dem Hintergrund der GeoblockingVO bleibt für die Technik zumindest in Bereich der Waren- und Dienstleistungsgewerbe jedoch kaum ein Spielraum.187 c) Abschlussmodalitäten Auch das Mittel des Vertragsschlusses war lange Zeit nicht eindeutig geklärt.188 14 Der EuGH hat sich in der Rs. Mühlleitner/Yusufi189 dafür ausgesprochen, dass das Rechtsgeschäft i.S.d. Art. 15 I lit. c Brüssel I-VO nicht im Fernabsatz erfolgt sein muss. Dafür streite der Wortlaut, der nicht ausdrücklich erfordert, dass die Abrede im Fernabsatz geschlossen wurde.190 Außerdem konterkariere eine solche Bedingung das Ziel des Verbraucherschutzes.191 Weiterhin droht bei einem abweichenden Ergebnis der Wertungswiderspruch hinsichtlich des Ausrichtens durch eine Homepage und konventionelle Werbung, bei der keine besondere Form des Zustandekommens gefordert wird.192 Allerdings würde das systematische Verständnis der Norm als Ausnahmecharakter eher für eine enge Auslegung sprechen. Zudem setzt sich die Mühlleitner-Entscheidung über den ErwGr. 24 S. 3 Rom I-VO hinweg, welcher im Wege einer rechtsaktübergreifenden harmonischen Auslegung193 der europäischen Sekundärrechtsakte zu berücksichtigen ist. Dieser fußt auf Überlegungen der Kommission, welche die Gefahr für Kleinanbieter erkannte, deren Marktstrategie eher regional ausgelegt ist, in allen Mitgliedstaaten einer Gerichtspflicht zu unterliegen.194 Daraufhin haben sich Rat und Kommission in einer gemeinsamen Erklärung dafür ausgesprochen, dass allein die bloße Zugänglichkeit einer Website nicht ausreiche.
185 EuGH v. 7.10.2010 – C-585/08, ECLI:EU:C:2010:740 – Peter Pammer vs. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co.KG, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505 ff. 186 A.A. Hoffmann, JZ 2018, 918, 922 ff. Dem Autor zufolge stelle der EuGH in erster Linie auf die ex ante-Bereitschaft zum Vertragsschluss mit Verbrauchern ab, um zu bestimmen, ob sich Unternehmer auf diesen Staat ausgerichtet hat. Im Lichte des Art. 1 Abs. 6 GeoblockingVO sei dieses Kriterium nunmehr gänzlich ungeeignet, da unter Einhaltung der GeoblockingVO jedes Angebot eines Unternehmers die Bereitschaft voraussetze, mit allen Verbraucher des Binnenmarktes zu kontrahieren (Hoffmann, JZ 2018, 918, 923). 187 Zum Schutz von Urheberrechten sowie zur Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen bei Onlinedelikten erweist sich die Technik wiederum als taugliches Mittel; beachte in dem Zusammenhang etwa BGH v. 25.10.2016 – VI ZR 678/15, NJW 2017, 827 ff. sowie hierauf bezugnehmend Papadopoulos, jurisPR-IWR 6/2017 Anm. 2. 188 Siehe dazu Vorauflage Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 14a f. 189 EuGH v. 6.9.2012 – C-190/11, ECLI:EU:C:2012:542 – Daniela Mühlleitner vs.Ahmad Yusufi, Wadat Yusufi, NJW 2012, 3225 ff. m. Anm. Staudinger/Steinrötter, NJW 2012, 3227; im Zuge dieser Entscheidung hat der BGH die Vorlagefrage in der Rs. Wim JJ Slot vs. 3 H Camping-Center Heinsberg GmbH (BGH XII ZR 10/10; EuGH C-98/12; vorangehend OLG Köln, NZM 2010, 495, 496, hierzu kritisch Staudinger/Czaplinski, NZM 2010, 461 ff.) zurückgenommen und unter Verweis auf die Rs. Mühlleitner seine Entscheidung gefällt, BGH, ZIP 2013, 1141. 190 EuGH v. 6.9.2012 – C-190/11, ECLI:EU:C:2012:542, NJW 2012, 3225 Rz. 34 f. 191 EuGH v. 6.9.2012 – C-190/11, ECLI:EU:C:2012:542, NJW 2012, 3225 Rz. 42 f. 192 Siehe dazu Staudinger/Steinrötter, EWS 2011, 70, 73 f. 193 ErwGr. 7 Rom I-VO. 194 KOM (1999) 348, 18; vgl. Moritz, CR 2000, 61, 71; Spindler, MMR 2000, 18, 23.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache Diese müsse vielmehr die Aufforderung zum Vertragsabschluss im Fernabsatz enthalten, der dann auch tatsächlich auf diesem Wege erfolge.195 Diese Aussage hat lediglich als Zitat Eingang in ErwGr. 24 S. 3 Rom I-VO196 gefunden und wurde von der Legislative nicht zu eigen gemacht, somit vermag sie keine Bindungswirkung für den Gerichtshof zu entfalten197 Im Ergebnis verdient die Entscheidung daher wohl Zuspruch. 14a
Die Konzeption im Internationalen Zivilverfahrens- und wohl Privatrecht198 weicht von dem Widerruf beim Fernabsatz im nationalen Sachrecht ab.199 Voraussetzung für ein Lösungsrecht ist dort laut § 312c BGB gerade der Vertragsschluss unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln.
14b
Selbst wenn ein Internetauftritt für sich genommen nicht das Tatbestandsmerkmal des „Ausrichtens“ erfüllt, kann gleichwohl der Schutzgerichtsstand eingreifen, wenn der Vertrag durch einen Vermittler zustande kommt, der dem Unternehmer regelmäßig Kunden zuführt.200 Als Beispiel dient etwa die Konstellation, in der ein Autoverkäufer in einem EU-/Drittstaat von einem deutschen Autohändler, mit welchem er eine strategische Geschäftsbeziehung unterhält, Käufer vermittelt bekommt. Mit Ausnahme von Informationsplattformen, die auch Privaten offen stehen, dürfte Gleiches wohl ebenso für Fälle gelten, bei denen sich ein Unternehmer fremder Websites zur gezielten Ausrichtung auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers bedient.201 Ebenfalls sollten Konstellationen des mobilen Internets und das Vorhalten einer App über einen App-Store erfasst sein.202 Nach Ansicht der Kommission sollte einem Verbraucher in der Vergangenheit kein Schutz gewährt werden203, wenn er gezielt die Leistung eines ausländischen Unternehmers annahm. Dies galt etwa für eine passive Website mit Produktinformationen, die zwar weltweit an Verbraucher adressiert war, aber für den Vertragsschluss an einen örtlichen Vertragshändler oder Vertreter verwies.204 Dieser restriktiven Auffassung kann mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH zu dem Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO (entspricht Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO) nicht mehr gefolgt werden. Vielmehr ist von einem Ausrichten des Unternehmers auszugehen, wenn er auf seiner Homepage auf ausgewählte ortsansässige Vertreter oder Vermittler aufmerksam macht, welche für diesen den Vertrag abschließen. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man nur, wenn der Vertragshändler selber Partei des Rechtsgeschäfts wird und folglich nicht nur lediglich eine Vermittlerrolle innehat. Im Lichte der Rs. Mühlleitner lässt sich festhalten, dass die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 lit. c Fall 2 Brüssel Ia-VO vorliegen, wenn die entsprechenden Internetauftritte neben allgemeinen Vertragsinformationen zugleich Hinweise auf Kommunikationsmöglichkeiten in einer ausländischen Sprache, Anfahrtsskizzen sowie Angaben zu Anschrift und E-Mail-Adresse enthalten und das Vertragsverhältnis als solches nicht im Fernabsatz, sondern persönlich am Sitz der Vermieterin zustande kommt.
195 Abgedruckt, IPRax 2001, 259, 261. 196 Zur Rom I-VO s. die Angaben in Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 2 Fn. 14. 197 von Hein, IPRax 2006, 16, 19; Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501, 505; Kohler, FS Geimer, 2002, 461, 480; Leible, JZ 2010, 272, 276; s. auch LG München I, IPRspr. Nr. 143 S. 406 m. zust. Anm. Mankowski, EWiR 2008, 245 f. 198 Es ist davon auszugehen, dass der EuGH auch hinsichtlich des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO trotz des ErwGr. 24 S. 3 Rom I-VO im Einklang mit Art. 17 Brüssel Ia-VO entscheiden wird, dass es keines Vertragsschlusses im Fernabsatz bedarf. 199 Siehe zur Divergenz hinsichtlich des Verbraucherbegriffs Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 3. 200 So im Ergebnis OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 45; zustimmend von Hein, IPRax 2006, 16, 20 und Keiler/Binder, RRa 2009, 210, 217; zur Gerichtspflichtigkeit von Reisevermittlern Staudinger, RRa 2007, 98, 104 f. 201 Siehe insoweit BGH, EuZW 2009, 26 f. m. Anm. Leible/Müller, 27 f.; ausführlich Mankowski, IPRax 2009, 238, 243 ff. Beachte EuGH v. 7.10.2010 – C-585/08, ECLI:EU:C:2010:740 – Peter Pammer vs. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co.KG, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505 ff. zum Ausrichten einer Tätigkeit über eine Homepage des Vermittlers. 202 Siehe dazu Bauer/Friesen, DAR 2015, 61, 63 f. 203 In diesem Sinne auch Hoeren/Oberscheidt, VuR 1999, 371, 386; Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 201, 239. 204 Vgl. Grünbuch der Kommission über die Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung, KOM (2002) 654, 38 sowie Kommissionsvorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM (2005) 650, 7.
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d) Kausalität zwischen Vertragsschluss und unternehmerischer Tätigkeit (1) Alte Rechtslage unter der Brüssel I-VO vor der Rs. Emrek Vor der Entscheidung in der Rs. Emrek205, verlangte das OLG Karlsruhe – unter Rückgriff auf die Er- 15 klärung von Rat und Kommission206 – für die Anwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO das Vorliegen eines „inneren Zusammenhanges“ zwischen der Präsentation des Anbieters und dem Zustandekommen des Verbrauchervertrages. Ziel war es, einer „uferlosen Ausdehnung“ der Zuständigkeitsregel entgegen zu treten.207 Um den Anwendungsbereich des Schutzgerichtsstandes zu eröffnen, reichte es demgemäß nicht aus, wenn der Unternehmer zwar einen Internetauftritt besaß, der Verbraucher ihn jedoch zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht kannte und über keinen Internetzugang verfügte.208 Dieser Rechtsprechung lag darüber hinaus die Notwendigkeit einer restriktiven Interpretation von Schutzgerichtsständen auch im Lichte der insoweit klarstellenden209 Rom I-VO210 zugrunde.211 Im Zuge der Vergemeinschaftung des EVÜ hatte der Sekundärrechtsgeber nämlich in ErwGr. 25 S. 2 Rom I-VO ausdrücklich verdeutlicht, dass der Vertragsschluss auf die Ausrichtung von Seiten des Unternehmers zurückzuführen sein müsse. Überdies bezieht sich die Rom I-VO in ihrem ErwGr. 7 auf die Rom II-VO212 sowie in den ErwGren Nr. 7, 24 S. 2 auf die Brüssel I-VO und fordert einen Einklang zwischen jenen Rechtsakten. Demzufolge bedurfte es – wohl in Übereinstimmung mit der Judikatur des BGH213 – einer Kausalität zwischen der Ausrichtung der unternehmerischen Tätigkeit und dem Vertragsschluss des Verbrauchers, um das Eingreifen der verbraucherschützenden Vorschriften in concreto zu rechtfertigen.214 Auch der BGH forderte, dass der Verbraucher in seinem Wohnsitzstaat zum Vertragsschluss zumindest motiviert worden sein müsse, wohingegen ein zufälliger Vertrag im Verlauf einer Auslandsreise ebenso wenig ausreiche, wie dessen Abschluss am Wohnsitz des Konsumenten notwendig sei.215 Hier ließe sich das Rechtsgeschäft – im Gegensatz zu der vom III. Zivilsenat vertretenen Auffassung, wonach es bereits an einem Ausrichten fehle216 – nicht auf eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit i.S.v. ErwGr. 25 Rom I-VO zurückfüh-
205 EuGH v. 17.10.2013 – C-218/12, ECLI:EU:C:2013:666, NJW 2013, 3504 f. m. Anm. Staudinger/Steinrötter, 3505 f.; hierzu Keiler/Binder, euvr 2013, 230; Klöpfer/Wendelstein, JZ 2014, 298 ff.; Mankowski, EWiR 2013, 717 f.; Piroutek/Reinhold, euvr 2014, 41 ff.; Rühl, IPRax 2014, 41 ff.; Slonina, VbR 2014, 48 ff.; Staudinger, DAR 2013, 697 ff.; Staudinger, jM 2014, 229 ff.; Wilke, EuZW 2015, 13 ff. Beachte im Nachgang die Entscheidung LG Saarbrücken – 5 S 68/12. 206 Abgedruckt in IPRax 2001, 259, 261. 207 OLG Karlsruhe, IPRax 2008, 348, 349 m. Anm. Mankowski, 333 ff. 208 Ebenso Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 538; Mankowski, IPRax 2008, 333 ff.; Mankowski, IHR 2008, 133, 142. 209 Zur dynamischen Auslegung s. Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 35 ff.; zu einem vergleichbaren Verhältnis von Gemeinschaftsrechtsakten bei der Annahme des Direktklagegerichtsstands am Wohnsitz des Geschädigten: Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 6. 210 Vgl. hierzu die Angaben in Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 2 Fn. 14. 211 Ebenso Leible, JZ 2010, 272, 277; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 538; Mankowski, IPRax 2008, 333 ff.; Mankowski, IHR 2008, 133, 142; Renna, 213 ff.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 7 f. 212 Vgl. hierzu die Angaben in Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 3 Fn. 19. 213 Der VII Zivilsenat bekräftigt die Notwendigkeit einer unternehmerischen Aktivität im Verbraucherstaat vor Vertragsschluss: BGHZ 167, 83, 88 f. = NJW 2006, 1672, 1673 = JR 2007, 457, 458 m. Anm. Looschelders, 459 ff.; hierzu Richter, VuR 2006, 324 f. 214 ÖstOGH v. 8.9.2009 – 1 Ob 158/09f, ZIP 2010, 1154, 1156; Keiler/Binder, RRa 2009, 210, 217; Leible, JZ 2010, 272, 277; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 12; Renna, 213 ff.; unter Aufgabe der bislang vertretenen Auffassung: Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 8; a.A.: Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 54; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 15 f.; das Kausalitätserfordernis nur für den Fall ablehnend, dass die Ausrichtung bereits vor oder bei Vertragsschluss stattfand: Zöller/Geimer, Rz. 23 ff. 215 BGH, EuZW 2009, 26, 27 m. Anm. Leible/Müller, 27 f. = IPRax 2009, 258 f. m. Anm. Mankowski, 238 ff.; vgl. auch Rauscher, IPR Rz. 1891 und Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 12. 216 BGH, EuZW 2009, 26, 27 und OLG Köln, NZM 2010, 495, 496 (Revision war anhängig unter Az. XII ZR 10/10, jedoch hat der BGH im Zuge der Mühlleitner-Entscheidung die Vorlagefrage in der Rs. Wim JJ Slot vs. 3 H Camping-Center Heinsberg GmbH (BGH – XII ZR 10/10; EuGH – C-98/12) zurückgenommen und unter Verweis auf die soeben genannte Rs. Mühlleitner seine Entscheidung gefällt, BGH, ZIP 2013, 1141); ebenso: Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 12; offen lassend: Leible/Müller, EuZW 2009, 27, 28.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache ren.217 In entsprechenden Konstellationen bedurfte derjenige Verbraucher, der sein Domizil ohne vorherige Kontaktaufnahme seitens des Vertragspartners verließ, keines Schutzes, da sich nach Auffassung des östOGH die Gefahren des elektronischen Geschäftsverkehrs nicht verwirklicht hätten.218 (2) Die Rs. Emrek 15a
Entgegen der bislang von der vorherrschenden Ansicht in der Literatur219 und nationalen Judikatur220 vertretenen Kausalitätserfordernisses hat sich der EuGH in der Rs. Emrek221 für eine Auslegung des Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO dahingehend ausgesprochen, dass die Kausalität nicht als conditio sine qua non zu werten sei. Im Ergebnis genüge nach Ansicht des Gerichtshofs bereits ein abstraktes „Ausrichten“ des Unternehmers. Unbedeutend sei, ob der spätere Vertragsschluss mit einem Verbraucher konkret-individuell hierauf basiere.222 Es reiche hingegen aus, dass der Kunde zum Kreis der potentiellen Adressaten zähle. Dem Ursachenzusammenhang als Filter wird vom EuGH jedoch nicht jegliche Relevanz abgesprochen. Vielmehr sieht er in der nachgewiesenen Kausalität ein Indiz, welches den Rückschluss auf das Ausrichten der Tätigkeit i.S.d. Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO ermögliche.223 (3) Bedeutung für die Brüssel Ia-VO
15b
Die Rs. Emrek ist aufgrund ihrer Textidentität und im Lichte von ErwGr. 34 S. 2 Brüssel Ia-VO auf Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO zu übertragen. (4) Bewertung der Entscheidung
15c
Die Begründung der Vorlageentscheidung ist nicht frei von Bedenken. Ein Kausalitätserfordernis lässt sich zwar weder dem Wortlaut entnehmen noch auf eine isoliert auf diesen Sekundärrechtsakt bezogene historische Auslegung stützen. Jedoch erscheint die Absage an den Ursachenzusammenhang deshalb kritikwürdig, weil der Verbrauchergerichtsstand im Rahmen einer systematischen Auslegung eine Abkehr vom Grundsatz „actor sequitur forum rei“ des Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO bedeutet. Strikte Kausalität hätte den Ausnahmecharakter von Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO unterstrichen. Allerdings ergibt sich aus dem Regel-Ausnahmeprinzip und der Binnensystematik von letztgenannter Vorschrift zu Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO nicht zwingend, dass stets und immer Kausalität zwischen Ausrichten und Vertragsschluss vorliegen muss.
15d
Ein weiterer Kritikpunkt ergibt sich aus der Außerachtlassung des Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO, welcher das kollisionsrechtliche Pendant zu Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO (jetzt Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO) darstellt. Ausweislich des ErwGr. 7 Rom I-VO ist eine harmonische Auslegung der europäischen Rechtsakte geboten, um zwischen Europäischem Zivilverfahrens- und Internationalen Privatrecht einen Gleichklang zu erzielen. Zudem sind beide Rechtsquellen auf den supranationalen Gesetzgeber zurückzuführen, so dass eine übergreifende systematische Betrachtung naheliegt. Ein Kausalitätskriterium sehen gleichermaßen die Formulierungen von Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO wie Art. 6 Abs. lit. b Rom I-VO zumindest im Haupttext nicht vor. Eine Abweichung ergibt sich allerdings mit Blick auf die Erwägungsgründe. Während die Brüssel I-VO keine Aussage zu einem etwai217 Ebenso zur Verortung des Kausalitätserfordernisses: Mankowski, IPRax 2008, 333, 336 ff. 218 ÖstOGH, JBl 2009, 727, 729; ebenso östOGH v. 8.9.2009 – 1 Ob 158/09f, ZIP 2010, 1154, 1156. 219 Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 15; Mankowski, IPRax 2008, 333 ff.; Leible/Müller, NJW 2011, 459; Vorauflage Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 18. 220 OLG Karlsruhe, IPRax 2008, 348, 349 m. Anm. Mankowski, 333 ff. 221 EuGH v. 17.10.2013 – C-218/12, ECLI:EU:C:2013:666, NJW 2013, 3504 ff. m. Anm. Staudinger/Steinrötter, 3505 f.; hierzu Keiler/Binder, euvr 2013, 230; Klöpfer/Wendelstein, JZ 2014, 298 ff.; Mankowski, EWiR 2013, 717 f.; Piroutek/Reinhold, euvr 2014, 41 ff.; Rühl, IPRax 2014, 41 ff.; Slonina, VbR 2014, 48 ff.; Staudinger, DAR 2013, 697 ff.; Staudinger, jM 2014, 229; Wilke, EuZW 2015, 13 ff. Beachte im Nachgang die Entscheidung LG Saarbrücken – 5 S 68/12. 222 Siehe zur inhaltsgleichen Vorschrift im LugÜbk 2007 BGH v. 9.2.2017 – IX ZR 67/16, MMR 2018, 95, 97 Rz. 36; OLG Frankfurt – 13 U 217-15 Rz. 32. 223 Siehe zu den weiteren Kriterien Rz. 13a.
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gen Ursachenzusammenhang trifft, sieht ErwGr. 25 S. 2 Rom I-VO vor, dass der Vertragsschluss auf das Ausrichten der Tätigkeit zurückzuführen sein muss. Im Rahmen des Gebots der harmonischen Interpretation hätte der EuGH diesen ErwGr. sowie die Rom I-VO insgesamt berücksichtigen müssen. Die Nichtbeachtung überrascht umso mehr, als der Gerichtshof in den Rs. Pammer und Mühlleitner im Rahmen einer systematischen Betrachtung die Rom I-VO als verwandten Sekundärrechtsakt herangezogen hat. Dabei setzte er sich über ErwGr. 24 S. 3 Rom I-VO hinweg und sprach ihm seine Bindungswirkung ab. Dies überzeugte damals, da es sich bei der Aussage in diesem ErwGr. lediglich um die Wiedergabe eines Zitats der Exekutive handelte.224 Im vorliegenden Zusammenhang bleibt indes zu beachten, dass der ErwGr. 25 S. 2 Rom I-VO mangels Zitatform offensichtlich dem historischen Willen des supranationalen Gesetzgebers entspricht. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Interessen im Internationalen Zivilverfah- 15e rens- und Privatrecht nicht immer deckungsgleich sind. Der Katalog in Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO sieht mehr Ausnahmen vor als derjenige des Art. 17 Abs. 3 Brüssel Ia-VO. Im Zuge der Novellierung der Brüssel I-VO hat die Legislative die Ausschlüsse nicht systematisch angepasst. Ebenso wenig erfolgte in den Erwägungsgründen eine Veränderung mit Blick auf einen etwaigen Ursachenzusammenhang. Diese Tatsache streitet für eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine gänzliche harmonische Interpretation. Demnach muss die Ausgestaltung des Verbraucherschutzes nicht zwingend kongruent sein.225 Die Regelungen des grenzüberschreitenden Zivilprozessrechts sind folglich verbraucherschutzfreundlicher ausgestaltet. Im Lichte der Teleologie des Gerichtsstandes bleibt anzumerken, dass selbst eine Person schutz- 15f bedürftig sein kann, die abstrakt-generell zu derjenigen Gruppe zählt, welche der Unternehmer durch seine Kundenwerbung erreichen wollte, unabhängig davon, ob jene konkret-individuell durch den Internetauftritt zum Vertragsschluss verleitet wurde. In der Praxis hätten, wie vom Gerichtshof aufgeführt, bei einem strengen Ursachenzusammenhang 15g darüber hinaus Beweisschwierigkeiten gedroht. Der Schutzgerichtsstand wäre konterkariert worden, hätte ein nationaler Spruchkörper dem einzelnen Verbraucher allzu hohe Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Kenntnis von dem Internetauftritt vor Zustandekommen des Rechtsgeschäfts auferlegt. Ein derart restriktiver Filter hätte im Widerspruch zu Sinn und Zweck der Vorschrift sowie zum Gebot der Effektivität des Unionsrechts (effet utile) gestanden. Demgegenüber wäre das Ursachenerfordernis schnell zu einer bloßen Förmelei verkommen, wenn der EuGH für den Nachweis der Kausalität die bloße Behauptung des Verbrauchers hätte genügen lassen, er habe die Homepage des Unternehmers wahrgenommen.226 Aufgrund dieser Überlegungen ist im konkreten Fall das Urteil des Gerichtshofs in der Rs. Emrek wohl in der Gesamtschau überzeugend. Vor dem Hintergrund der Rs. Mühlleitner sowie Emrek lässt sich damit zusammengefasst eine Reihe 15h früherer Zweifelsfragen beantworten. Nunmehr gilt: Art. 17 Abs. 1 lit. c Fall 2 Brüssel Ia-VO kommt zweifelsohne zur Anwendung, wenn der Unternehmer eine Website auf einen anderen Staat ausrichtet und dort ein Verbraucher von einem Dritten, welcher diese Seite kennt, motiviert wird, einen Vertrag ohne Nutzung des Internets abzuschließen. Gleiches gilt für den Fall, dass sich ein Konsument vor einer Auslandsreise auf Internetseiten ausländischer Anbieter informiert und anschließend vor Ort Rechtsgeschäfte tätigt.227 224 Rz. 14b. 225 Ob und inwieweit der Richterspruch des EuGH in der Rs. Emrek aufgrund des ErwGr. 25 S. 2 Rom I-VO auf Art. 6 Abs. 1 lit. b Rom I-VO übertragen werden kann, bleibt offen. Denn hinsichtlich der Brüssel I/Ia-VO ergeben sich andere Wertungen als bei der Rom I-VO und der EuGH bezieht zu dem letztgenannten Sekundärrechtsakt keine Stellung. Die Frage, ob zwischen Ausrichten und Vertragsschluss im Internationalen Schuldvertragsrecht Kausalität bestehen muss, ist demzufolge für eine in concreto letzte Instanz nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vorlagepflichtig. 226 Gerade der konkrete Ausgangssachverhalt verdeutlicht die vom Gerichtshof angeführten Beweisschwierigkeiten. Der Verbraucher war von Bekannten auf den Geschäftsbetrieb des Unternehmers in Frankreich hingewiesen worden. Unklar blieb jedoch, ob jene ihrerseits den Internetauftritt des Unternehmers bemerkt hatten. Unterstellt man dies, so ist offensichtlich, dass zwischen dem Ausrichten der unternehmerischen Tätigkeit und dem späteren Vertragsschluss zumindest ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang vorlag. 227 Für eine Anwendung von Art. 6 Rom I-VO: Ragno in Ferrari/Leible, Rome I Regulation (2009) 129, 148.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache An dieser maßgeblichen Judikatur orientierte sich die deutsche Rechtsprechung in einer Reihe von Entscheidungen zur Auslegung von Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ.228. Die zur inhaltsgleichen Vorschrift entwickelten Auslegungsgrundsätze zu Art. 15 Abs. 1 lit. c) Brüssel VO finden somit ebenso beim Pendant aus der LugÜ Anwendung. e) Vertrag aus dem Bereich der Tätigkeit 16
Als weiteres Tatbestandsmerkmal ist für beide Varianten229 des Abs. 1 lit. c erforderlich, dass das abgeschlossene Rechtsgeschäft dem Geschäftsbereich derjenigen Tätigkeit unterliegt, welche der Vertragspartner im Heimatstaat des Verbrauchers entfaltet oder auf diesen Staat ausgerichtet hat. Andernfalls scheidet der besondere Zuständigkeitskatalog tatbestandlich aus. Eine erstmals aus der konkreten Vereinbarung resultierende Betätigung in jenem Staat soll nach Auffassung des BGH angesichts des Normwortlauts, welcher zwischen der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit und dem geschlossenen Vertrag differenziert, sowie des Zwecks, nur solche Rechtsgeschäfte zu erfassen, denen eine vorherige werbende Praxis des Unternehmers im Wohnsitzstaat des Konsumenten zugrunde liegt,230 dagegen nicht genügen.231 Zweifelhaft erscheint, ob diese grds. zustimmungswürdige Rechtsprechung, wonach die unternehmerische Aktivität am Verbraucherwohnsitz stets vor dem streitigen Vertragsschluss und unabhängig von diesem erfolgen müsse, auch dann noch der Intention des Gemeinschaftsgesetzgebers entspricht, wenn es sich um eine auf den Abschluss des konkreten Kontrakts ausgerichtete, mithin keine von diesem losgelöste Tätigkeit handelt. Im Einklang mit dem Anliegen des Sekundärrechtsgebers, strukturell unterlegene Parteien zu privilegieren, sollte nämlich ebenso auf den Abschluss des konkreten Vertrages zielende Werbung Art. 17 Abs. 1 lit. c Fall 2 Brüssel Ia-VO unterfallen.232 In entsprechenden – von dem konkreten Anlassstreit abweichenden – Konstellationen verlässt der Unternehmer sein Heimatforum und begründet eine Nähe zu einem weiteren Staat, so dass eine Vergleichbarkeit mit den hinsichtlich von Existenzgründungsgeschäften getroffenen Wertungen gerechtfertigt erscheint.233 Zudem stellt der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 lit. c Fall 2 Brüssel Ia-VO lediglich auf eine „solche“, d.h. berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ab. Dieser Lesart zufolge erfordert die Bestimmung daher eine Ausrichtung der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Unternehmers u.a. auf den Domizilstaat des Konsumenten, die in diesem Land nicht bereits ausgeübt worden sein muss. Demzufolge eröffnet schon ein konkret beworbener Vertrag sowie eine hieraus resultierende erstmalige Beschäftigung den Anwendungsbereich des Schutzgerichtsstandes. In diesen Problemkreis fällt auch die Entscheidung des EuGH in der Rs. Hobohm zur Vorgängerregelung Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO.234 Gegenstand des Verfahrens war die Fragestellung, ob ein Verbraucher an seinem Wohnsitzgerichtsstand Klage gegen seinen Geschäftspartner aus einem Vertrag erheben kann, welcher nicht unmittelbar der auf den Wohnsitz des Verbrauchers ausgerichteten Tätigkeit unterfällt, aber der Verwirklichung eines früheren Rechtsverhältnisses zwischen den Par-
228 BGH v. 9.2.2017 – IX ZR 67/16, MMR 2018, 95 ff.; BGH v. 6.7.2017 – IX ZR 38/16, IPRax 2018, 620 ff. m. Anm. Rademacher, IPRax 2018, 600 ff.; OLG Düsseldorf v. 30.3.2017 – 3 W 242/16, IPRax 2018, 624 ff. 229 BGHZ 167, 83, 88 f. = RIW 2006, 464, 465; Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 39; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 26; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 16; zweifelnd östOGH, ÖJZ 2005, 307, 308. 230 Hierzu Magnus/Mankowski/Nielsen Rz. 61. 231 BGHZ 167, 83, 88 f. = RIW 2006, 464, 465 = JR 2007, 457, 458 m. zust. Anm. Looschelders, 459 ff.; zust. Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 9; s. jedoch differenzierend EuGH v. 23.10.2015 – 297/14 – Benedikt Kampik Lts & Co.KG vs. Mar Mediterraneo Werbe- und Vertriebsgesellschaft für Immobilien SL, EuZW 2016, 266 ff. und die Nachfolgeentscheidung des BGH v. 10.3.2016 – III ZR 255/12, MDR 2016, 1043 f.; hierzu ebenso Richter, VuR 2006, 324 f.; a.A. östOGH, ÖJZ 2005, 307, 308; dazu Jayme/Kohler, IPRax 2006, 537, 546; ebenfalls ablehnend Mankowski, VuR 2006, 289, 293; vor dem Hintergrund der Entscheidung des östOGH erscheint die fehlende Vorlage des BGH i.S.v. Art. 234 EG (nunmehr Art. 267 AEUV) kritikwürdig. 232 Vgl. KOM (1999) 348, 18; ebenso Looschelders, JR 2007, 459, 460; Richter, VuR 2006, 324, 325; die Judikatur ablehnend: Mankowski, VuR 2006, 289 ff. 233 In diesem Sinne Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 538; Mankowski, VuR 2006, 289, 293; vgl. auch Rz. 2. 234 EuGH v. 19.3.2019 – C-297/17 – Rüdiger Hobohmvs.Benedikt Kampik & Co.KG (u.a.), EuZW 2016, 266 m. Anm. Wagner, EuZW 2016, 269; dazu Heinze/Steinrötter, IPRax 2016, 545 ff. Die Entscheidung des EuGH ist im Lichte des ErwG 34 S. 2 Brüssel Ia-VO auf diese zu übertragen. Siehe auch Friesen/Frensing-Deutschmann, jM 2018, 51, 54; Nachfolgeentscheidung BGH, MDR 2016, 1357 ff.
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teien dient. Stehen beide Rechtsgeschäfte in einer derart engen Verbindung, werde ebenso für den nachgelagerten Kontrakt der Verbrauchergerichtsstand aktiviert.235 Dem Gerichtshof zufolge ist es Aufgabe des nationalen Gerichts eine etwaige Konnexität zu überprüfen. Diese kann sich aus der Identität der Parteien sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht, der Identität des wirtschaftlichen Erfolges der Verträge und der Tatsache, dass das zweite Rechtsgeschäft zur Realisierbarkeit des mit dem ersten Kontrakt bezweckten wirtschaftlichen Erfolges geschlossen wurde, ergeben.236 Eine zusammenhängende Verknüpfung beider Verträge sei dagegen nicht erforderlich, vielmehr jedoch eine zwischen dem vor- und nachgelagerten Vertrag bestehende wirtschaftliche Verbindung.237 Diese Auslegung von Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO stehe daher auch nicht im Widerspruch mit den aus der Verordnung verfolgten Zielen der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften, des Verbraucherschutzes und der Vermeidung von Parallelverfahren.238 Im Lichte des ErwGr. 7 Rom I-VO sind die Ausführungen des Gerichtshofes auch auf den Tätigkeitsbereich i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO zu übertragen.239 f) Wohnsitzwechsel vor Klageerhebung Vom Grundsatz der perpetuatio fori zu trennen ist die Konstellation, in der ein Verbraucher vor Kla- 17 geerhebung den Wohnsitz wechselt.240 Ein Umzug innerhalb seines Aufenthaltslandes und der damit verbundene Wechsel der örtlichen Gerichtszuständigkeit erscheinen für den Unternehmer im Lichte des ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO erwartbar. Denn er hat sich abstrakt auf einen Mitgliedstaat ausgerichtet und nicht auf ein bestimmtes Gericht an einem spezifischen Ort. Demzufolge überrascht es ihn nicht, an welchem örtlich maßgeblichen Forum auch immer nach Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel IaVO gerichtspflichtig zu werden. Liegt das neue Domizil in einem anderen Mitgliedstaat, ist hingegen für eine Klage am aktuellen Wohnsitzforum erforderlich, dass der Unternehmer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seine Tätigkeit auf das frühere wie gegenwärtige Aufenthaltsland des Verbrauchers ausgerichtet beziehungsweise in beiden Staaten ausgeübt hat.241 Hierfür streitet ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO. Ein Umzug des Verbrauchers in einen anderen Mitgliedstaat liegt für den Unternehmer gerade nicht im Rahmen des Vorhersehbaren. Um den Schutzgerichtsstand nicht ausufern zu lassen, sollte dieser restriktiv ausgelegt und daher gefordert werden, dass sich der Unternehmer bereits bei Abschluss des Rechtsgeschäfts auf den gegenwärtigen Mitgliedstaat ausgerichtet hatte. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, der Unternehmer ziele mit seiner Website nicht auf ein Land, sondern auf Personen mit einer gewissen Staatsangehörigkeit ab. Ein Internetauftritt ist räumlich auf sämtliche dort ansässigen Verbraucher bezogen, und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Diese Wertung lässt sich auch dem Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO entnehmen. g) Perpetuierung einmal begründeter Gerichtspflichtigkeit Abs. 1 lit. c verlangt seiner Formulierung entsprechend allein, dass der Vertragspartner auf irgendeinem Wege seine geschäftliche Tätigkeit im bzw. u.a. auf den Staat, in dem der Verbraucher domizi-
235 EuGH v. 19.3.2019 – C-297/17 – Rüdiger Hobohmvs. Benedikt Kampik & Co.KG (u.a.), EuZW 2016, 266, 268 Rz. 30, 33. 236 EuGH v. 19.3.2019 – C-297/17 – Rüdiger Hobohmvs.Benedikt Kampik & Co.KG (u.a.), EuZW 2016, 266, 268 Rz. 30, 37. 237 EuGH v. 19.3.2019 – C-297/17 – Rüdiger Hobohmvs.Benedikt Kampik & Co.KG (u.a.), EuZW 2016, 266, 268 Rz. 30, 36. 238 EuGH v. 19.3.2019 – C-297/17 – Rüdiger Hobohmvs.Benedikt Kampik & Co.KG (u.a.), EuZW 2016, 266, 268 Rz. 30, 33. 239 Vgl. Mankowski, NJW 2016, 699, 700; Wagner, EuZW 2016, 269, 270. 240 Hierzu umfassend Gramlich, EuZW 2017, 213 ff. Beachte zu der Frage, ob sich Art. 17 Brüssel Ia-VO auch dann anwenden lässt, wenn sich erst nach Vertragsschluss durch einen Umzug des Verbrauchers in einen anderen europäischen Mitgliedstaat ein Sachverhalt mit Auslandsbezug ergibt, den Vorlagebeschluss BGH v. 12.5.2020 – XI ZR 371/18 zum wortgleichen Art. 15 LugÜbk. 241 Siehe dazu auch Staudinger, jM 2014, 229, 231 ff.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache liert ist, ausübt bzw. ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Kommt unter diesen Voraussetzungen ein Kontrakt zustande, kann sich der Verbraucher auf den Schutzgerichtsstand berufen, unabhängig davon, ob der Unternehmer im Nachgang zum Vertragsabschluss etwa den Firmensitz in einen anderen Mitgliedstaat verlagert oder seine Tätigkeit vor oder nach der Anhängigkeit nicht mehr wie zuvor ausübt oder ausrichtet, etwa durch das Abschalten seiner Homepage. Mithin wird der einmal begründete Gerichtsstand perpetuiert.242 Eine andere Sichtweise gewährleistete keinen effektiven Verbraucherschutz und stünde im Übrigen mit ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO, wonach die Zuständigkeitsvorschriften in hohem Maße vorhersehbar sein müssen, in Widerspruch.243 Hingegen wird ein Schutzgerichtsstand nach den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO nicht dadurch begründet, dass sich ein Unternehmer erst nach Vertragsschluss, aber noch vor Klageerhebung elektronisch auf den Mitgliedstaat des Konsumenten ausrichtet.244
V. Abs. 2: Wohnsitz des Vertragspartners außerhalb eines Mitgliedstaates 19
Nach Maßgabe der in Abs. 1 enthaltenen Verweisung auf Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO finden die Vorschriften der Brüssel Ia-VO grundsätzlich nur Anwendung, wenn der Beklagte in einem Mitgliedstaat beheimatet ist.245 Hiervon ausgenommen bleiben Art. 18 Abs. 1, 21 Abs. 2, 24 und 25 Brüssel Ia-VO. Andernfalls wird über die internationale Zuständigkeit eines Gerichts nach dessen nationalem Recht und – gem. Maßgabe von Art. 6 Abs. 2 Brüssel Ia-VO – in Deutschland sogar unter Einschluss des § 23 ZPO entschieden. In Anlehnung an Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO statuiert Abs. 2 eine der beiden Ausnahmen246 von diesem Grundsatz in Verbrauchersachen. Damit können auch alle Anbieter aus Drittstaaten nach den Regeln des 4. Abschnitts verklagt werden, solange sie eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung in einem Mitglied-,247 beispielsweise im Aufenthaltsstaat des Verbrauchers haben.248 Demnach müssen Verbraucher und Zweigniederlassung weder zwingend in verschiedenen249 noch ausschließlich in denselben Mitgliedstaaten250 ansässig sein. Die in Abs. 2 verwendeten Begriffe sind entsprechend Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO auszulegen,251 so dass eine selbstständige Tochtergesellschaft nicht unter den Niederlassungsbegriff fällt.252 Der EuGH geht bereits dann von einer Niederlassung aus, wenn zwar nicht sämtliche objektiven Merkmale hierfür vorliegen, gegenüber einem Verbraucher aber hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Stammhaus und Außenstelle der Rechtsschein einer Niederlassung erweckt wurde253.254 Der Schutzgerichtsstand
242 243 244 245 246
247 248 249 250 251
252 253
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Staudinger, IPRax 2008, 107, 108; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 11. OLG Frankfurt, EuZW 2009, 309, 311 f. So aber wohl Keiler/Binder, euvr 2013, 230, 233 ff. Siehe zum Brexit Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 6. Nach dem neu eingeführten Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO kann auch ein drittstaatlicher Unternehmer am Wohnsitzforum des Verbrauchers gerichtspflichtig werden. Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO kann demnach weiterhin für den Wohnsitz als Anknüpfungskriterium für Art. 18 Abs. 1 Fall 1 Brüssel Ia-VO herangezogen werden, s. dazu Mankowski, RIW 2014, 625, 627. OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 45; Kropholler/von Hein, Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 5; Gottwald in MünchKomm/ ZPO Rz. 16; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 121; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 109; Wach/Weberpals, AG 1989, 193, 197. Zu einem derartigen Sachverhalt BGH, IPRax 2008, 128 ff. m. krit. Anm. Staudinger, 107 ff. Benicke, WM 1997, 945, 948; de Lousanoff, FS Arens, 1993, 251, 258; Geimer, RIW 1994, 59, 61; Schaltinat, 92; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 8; a.A. OLG München, NJW-RR 1993, 701, 703; Gottwald in MünchKomm/ ZPO Rz. 16. von Hein, IPRax 2006, 16, 17; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 17. OLG München v. 21.1.1992 – 25 U 2987/91, NJW-RR 1993, 701, 702; Benicke, WM 1997, 945, 949; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 28; Schaltinat, 89 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 9; Staudinger/ Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 109; für eine weitere Auslegung Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 14. EuGH v. 15.9.1994 – C-318/93, ECLI:EU:C:1994:331 – Brenner u. Noller vs. Dean Witter Reynolds, EuGHE 1994 I 4275, 4292 = IPRax 1995, 315, 316 Rz. 19 m. Anm. Rauscher 289 ff.; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 17; Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 160. EuGH v. 9.12.1987 – 218/86, ECLI:EU:C:1987:536, IPRax 1989, 96 – SAR Schotte vs. Parfums Rothschild, EuGHE 1987 I 4905, 4920 Rz. 16; ebenso OLG Düsseldorf v. 26.1.1988 – 4 U 190/87, WM 1989, 50, 54; Be-
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greift ebenso ein, wenn aus Sicht des Verbrauchers der Anschein der Betriebsbezogenheit hinsichtlich der tatsächlich bestehenden Zweigniederlassung erweckt wird.255 Allein die von der Niederlassung ausgehende Werbung reicht nicht aus.256 Die Zweigniederlassung etc. muss vielmehr selbst am Vertragsabschluss beteiligt sein.257 Ob darüber hinaus ihr Fortbestehen bei Einreichung der Klage eine zwingende Voraussetzung des verbraucherschützenden Zuständigkeitsrechts darstellt und die vorherige Auflösung somit den Anwendungsbereich von Art. 17 Brüssel Ia-VO entfallen lässt,258 stößt auf Bedenken.259 Wegen der Vergleichbarkeit mit den Rechtsscheinskonstellationen260 sowie der andernfalls drohenden Missbrauchsgefahr erscheint es mit dem Sinn und Zweck der Norm unvereinbar, den Verbraucherschutz zur Disposition des Unternehmers zu stellen, sofern nicht jegliche Anknüpfungspunkte zum Binnenmarkt entfallen.261 Ein hinreichender Bezug liegt bereits vor, wenn ein mitgliedstaatlicher Verbraucher Vertragspartei ist. Der Sitzverlegung der Niederlassung eines Unternehmers in einen EU- oder Drittstaat nach Vertragsschluss kommt somit keine Relevanz mehr zu. Der 4. Abschnitt verlangt – wie die Brüssel Ia-VO generell262 – keinen Mitgliedstaatenbezug. Vielmehr reicht es nach Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO aus, wenn außereuropäische Anbieter über Zweigniederlassungen im räumlichen Anwendungsbereich der Harmonisierungsmaßnahme tätig werden263 und ein internationaler Sachverhalt vorliegt. Der europäische Gesetzgeber ist beim novellierten Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO sogar über diese Konstellation hinausgegangen und ermöglicht dem Verbraucher gegen einen drittstaatlichen Unternehmer an seinem Wohnsitzforum zu klagen, sofern die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vorliegen. Aufgrund des ausdrücklichen Vorbehalts in Abs. 1 findet Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO neben Abs. 2 Anwendung.264 Beruft sich der Verbraucher auf den Gerichtsstand nach Art. 18 Abs. 1 Fall 1 i.V.m. Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, so ist für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit auf nationales Recht zurückzugreifen, während Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO auch diese am Ort der Niederlassung des Vertragspartners begründet. Es kann sich aber auch der Vertragspartner auf die Brüssel Ia-VO berufen, insb. dürfen die im autonomen Recht vorgesehenen exorbitanten Zuständigkeiten ihm gegenüber nicht geltend gemacht werden.265
254 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264
265
nicke, WM 1997, 945, 949 f.; Geimer, RIW 1994, 59, 61; Hartung, ZIP 1991, 1185, 1191; Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 108; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 121; Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 7 Brüssel IaVO Rz. 157; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 110; Wach/Weberpals, AG 1989, 193, 197; a.A. OLG Koblenz v. 29.9.2005 – 5 U 131/05, WM 2006, 484 f. m. krit. Anm. Rauscher, WuB VII B. Art. 15 Brüssel I-VO 1.06; OLG München, NJW-RR 1993, 701; de Lousanoff, FS Arens, 1993, 203, 266. Die Relevanz dieser Entscheidung für Art. 15 Abs. 2 Brüssel I-VO ausdrücklich betonend: BGH, IPRspr. 2007 Nr. 139; ebenso OLG Celle v. 15.6.2006 – 4 U 43/06, OLGR Celle 2007, 615, 617. Siehe in diesem Zusammenhang OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 45; hierzu von Hein, IPRax 2006, 16, 17. Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 18; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 7 f. Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 18; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 9; Schlosser/Hess/Schlosser, VO Rz. 9; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 111; a.A. Nasall, WM 1993, 1950, 1954. So jedenfalls zu Art. 15 Abs. 2 Brüssel I-VO BGH, IPRax 2008, 128 ff. m. krit. Anm. Staudinger, 107 ff.; BayObLG v. 20.7.2005 – 1Z AR 118/05, NJW-RR 2006, 210, 211; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 16; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 17. Vgl. Staudinger, IPRax 2008, 107 ff.; im Allgemeinen kritisch zu Art. 15 Abs. 2 Brüssel I-VO Rauscher, WuB VII B. Art. 15 Brüssel I-VO 2.07; ebenso im Rahmen von Art. 15 Abs. 1 lit. c Brüssel I-VO: OLG Frankfurt, EuZW 2009, 309, 311 f. Hierzu Fn. 212. Ähnlich Musielak/Voit/Stadler, Rz. 9 und Rauscher, WuB VII B. Art. 15 Brüssel I-VO 2.07. Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 20. Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 111. Jenard-Bericht zu Art. 7 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 31; LG Stuttgart, IPRax 1998, 100, 101 f. m. zust. Anm. Looschelders, 86, 89; Kropholler/von Hein, Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 3; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 109; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 10 Rz. 3; Thorn, IPRax 1997, 98, 101. Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 10; Kropholler/von Hein, Art. 9 Brüssel I-VO Rz. 5; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 111.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache
VI. Abs. 3: Ausschluss von Beförderungsverträgen und Rückausnahme europäischer Pauschalreisen sowie verbleibende Abweichungen mit Blick auf Art. 6 Rom I-VO 21
Um eine Kollision mit den weitreichenden transportrechtlichen Sonderregeln völkervertragsrechtlicher Provenienz (Warschabk,266 Montr Übk.,267. CMR,268 COTIF,269 CIV,270 CIM,271 Athener Übereinkommen272) zu vermeiden, werden Beförderungsverträge mit Verbrauchern vom Zuständigkeitskatalog ausgenommen.273 Sind derartige Sondervorschriften nicht einschlägig,274 verbleibt es bei der Anwendbarkeit der allgemeinen Regeln der Brüssel Ia-VO, insb. deren Art. 7275 und 25. Dies muss angesichts der Formulierung des Abs. 3 wohl ebenso bei gemischten Transporten gelten, auch wenn diese keinem staatsvertraglichen Sonderregime unterliegen.276 Um solche mit der ratio der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO kaum vereinbare Schieflagen277 zu vermeiden, hätte der Abs. 3 im Zuge der Novellierung aufgehoben werden sollen.278 Denn der Vorrang spezieller Konventionen ist bereits durch Art. 71 Brüssel Ia-VO279 sichergestellt. Auch wenn der Abschnitt über Verbrauchersachen gerade im Lichte 266 Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr in der Fassung vom 28.5.1955, BGBl. 1958 II 291 ff. 267 Beschluss des Rates vom 5.4.2001 über den Abschluss des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr durch die Europäische Gemeinschaft (2001/539/EG), ABl. EG 2001 L 194/38. Da die Europäische Gemeinschaft das Montrealer Übereinkommen in einen Sekundärrechtsakt eingekleidet hat, unterliegen Vorschriften dieser Konvention ebenfalls dem Auslegungsmonopol des EuGH; ausführlich hierzu Basedow, FS Schlechtriem, 2003, 165, 185 f.; hierzu Reuschle, Montrealer Übereinkommen (2. Aufl. 2011). 268 Genfer Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr vom 19.5.1956, BGBl. 1961 II 1119 ff. 269 Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr vom 9.5.1980, BGBl. 1985 II 130 ff.; beachte nunmehr auch das Protokoll vom 3.6.1999 betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9.5.1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF); BR-Drucks. 929, 60 ff. Am 1.7.2006 ist das Protokoll von Vilnius in Kraft getreten, BGBl. 2006 II 827 ff. 270 Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck (Anh. A zu COTIF), BGBl. 1985 II 179 ff. 271 Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern (Anh. B zu COTIF), BGBl. 1985 II 224 ff. 272 Athener Übereinkommen vom 13.12.1974 über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See; vgl. BBl 1986 II 741/717. Siehe auch das den Staatsvertrag ergänzende Protokoll vom 1.11.2002; abgedruckt in KOM (2005) 592, 17 ff. Im Nachgang an einen Kommissionsvorschlag (KOM (2005) 592; hierzu Czerwenka, RRa 2003, 158 ff.; Lagoni, ZEuP 2007, 1079 ff.) hat die Europäische Gemeinschaft am 23.4.2009 die Verordnung (EG) Nr. 392/2009 über die Unfallhaftung von Beförderern von Reisenden auf See (ABl. EU 2009 L 131/24) erlassen, mit welcher das Athener Übereinkommen i.d.F. des Protokolls von 2002 in das Gemeinschaftsrecht überführt wird; hierzu Czerwenka, TranspR 2010, 165 ff. und Karsten, VuR 2009, 213 ff.; beachte, dass die Europäische Union mittlerweile das AÜ 2002 ratifiziert hat, welches seit dem 23.4.2014 in Kraft getreten ist; aus dem Blickwinkel des Versicherungsrechts s. auch Art. 13 Rz. 27; zur Haftung für Personenund Gepäckschäden bei Schiffsreisen Czerwenka, DAR 2014, 242 ff. 273 Schlosser-Bericht Nr. 160, ABl. EG 1979 C 59/71, 119. 274 Diese sind gem. Art. 71 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vorrangig. 275 Beachte insoweit das Vorabentscheidungsersuchen des BGH zum Erfüllungsort bei Flugreisen, IPRax 2008, 513 ff. m. Anm. Staudinger, 493 ff.; auch EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, ECLI:EU:C:2009:439 – Peter Rehder vs. Air Baltic Corporation, IPRax 2010, 160 ff. m. Anm. Staudinger, 140 ff. und R. Wagner 143 ff. = NJW 2009, 2801 ff. m. Anm. Lehmann, 655 ff.; zu Transportverträgen: Mankowski, TranspR 2008, 67 ff.; zum Eisenbahnverkehr: Staudinger, EuZW 2008, 751 ff. Zur Auslegung des Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO (entspricht Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) hinsichtlich einer Klage allein gegen die ausführende Airline, zu welcher keine vertraglichen Beziehungen bestehen, beachte das Vorabentscheidungsersuchen des BGH v. 18.8.2015 – X ZR 2/15; hierzu ausführlich Staudinger/Keiler/Staudinger, Kommentar zur FluggastrechteVO (2015), IZVR Rz. 20. 276 Abweichend Beraudo, JDI 2001, 1033, 1054 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 10. 277 Siehe die überzeugende Kritik von Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 58. 278 Hierzu Schmidt-Bendun, Haftung der Eisenbahnunternehmen – Auf dem Weg zu einem harmonisierten Eisenbahn- und Luftverkehrsrecht (2007) 129 ff.; Staudinger, IPRax 2008, 493, 497; ebenso in Bezug auf Art. 6 Abs. 4 lit. b Rom I-VO Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 537; Mankowski, IHR 2008, 133, 142 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 17 Brüssel Ia-VO
des Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO einer restrikten Auslegung bedarf, muss ebenso der Ausschlusstatbestand in Abs. 3 eng interpretiert werden, da andernfalls die Ratio des Schutzgerichtsstandes verfehlt würde. So bleibt sicherlich bei der Personenbeförderung zu prüfen, ob der spezifische Vertrag überhaupt auf eine Ortsveränderung hin angelegt ist oder andere Zwecke verfolgt werden. So erscheinen etwa klassische Butterfahrten oder moderne Ballonfahrten über der Masai Mara zur Tierbeobachtung a priori nicht darauf gerichtet, den Verbraucher von einem Abgangs- zu einem Zielort innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zu befördern. Vor dem Hintergrund des ErwGr. 7 Rom I-VO und dem Grundsatz der übergreifenden systematischen und damit harmonischen Auslegung lässt sich der Streitstand zu Art. 5 und 6 Abs. 4 lit. b Rom I-VO übertragen.280 Dies gilt ebenso für Güterbeförderungs- in der Gestalt von Speditionsverträgen.281 Hier ist typischerweise der Hauptgegenstand des Rechtsgeschäfts in der Organisation zu sehen, nicht aber im Transport der Waren, den vielmehr ein personenverschiedener Frachtführer verantwortet. Abweichendes mag für den Sonderfall gelten, dass der Spediteur doch die Transportleistung selbst schuldet oder dies zumindest funktionell der Fall ist. In der Gesamtschau greift damit in Konstellationen wie Butter- und Ballonfahrten als pars pro toto bzw. den Speditionsverträgen der Zuständigkeitskatalog in Verbrauchersachen ein. Unter Bezugnahme auf die RL 90/314/EWG des Rates vom 13.6.1990 über Pauschalreisen282 hat die 22 Kommission ausdrücklich klargestellt,283 dass Pauschalreisen dem 4. Abschnitt unterfallen.284 Dies entspricht der bereits zum EuGVÜ vorherrschenden Auffassung.285 Trotz der Neufassung der Brüssel Ia-VO zum 10.1.2015 fehlt es an einer Begriffsbestimmung der Pauschalreise, so dass im Lichte der rechtsaktübergreifenden systematischen Auslegung auf diejenige des Art. 6 Abs. 4 lit. b Rom I-VO und mithin auf Pauschalreiseverträge i.S.d. PR-RL-I abzustellen ist. Im Zuge der Reiserechtsnovelle wurde die erste Pauschalreiserichtlinie mit Wirkung zum 1.7.2018 aufgehoben, Art. 29 S. 1 PR-RL-II. Hinsichtlich etwaiger Bezugnahmen spricht Art. 29 S. 2 PR-RL-II einen dynamischen Verweis aus, so dass nunmehr auf das Begriffsverständnis des reformierten Sekundärrechtsaktes zurückzugreifen ist. Hierfür lässt sich gleichermaßen die Entscheidung des EuGH zur Rs. Pammer286 ins Feld führen, bei welcher der Gerichtshof auf die Parallelvorschrift in Art. 6 Abs. 4 lit. b Rom I-VO rekurrierte, ob-
279 Hierzu OLG München, TranspR 2003, 155 f. 280 Hk-BGB/Staudinger, Art. 6 Rom I-VO Rz. 7; Ferrari/Staudinger, Art. 5 Rom I-VO Rz. 76. 281 Beachte im weiteren Zusammenhang und im Ausgangspunkt noch zum Römischen Schuldvertragsübereinkommen (EVÜ): EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU:C:2014:2320, IPRax 2015, 559; hierzu Bauer, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 5. 282 ABl. EG 1990 L 158/59 ff. 283 KOM (1999) 348, 18. 284 Zu Internet-Buchung von Reisen und Flügen Staudinger, RRa 2007, 98 ff.; zur internationalen Zuständigkeit der Gerichte bei Pauschalreiseverträgen s. Führich/Staudinger, Reiserecht § 4 Rz. 1 ff.; beachte auch die Entscheidungen des BGH (v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308; RRa 2013, 222), welcher entschieden hat, dass Ansprüche gegen einen Reiseveranstalter hinsichtlich der zeitweisen Überlassung eines in einem anderen Mitgliedstaat belegenen und einem Dritten gehörenden Ferienhauses am Verbrauchergerichtsstand einzuklagen sind. Auf Kritik stößt dabei, dass der Gerichtshof als letztinstanzlicher Spruchkörper entgegen Art. 267 Abs. 3 AEUV eine offene und entscheidungserhebliche Frage zur Abgrenzung von Art. 22 Nr. 1 und Art. 15 Brüssel I-VO (entspricht Art. 24 Nr. 1 und Art. 17) nicht dem EuGH vorgelegt hat; dazu Staudinger, RRa 2013, 58 ff.; Wagner/Diehl, GPR 2014, 230 ff.; Unter dem Regime der alten Rechtslage wendete der BGH die Vorschriften des Reisevertragsrechts insgesamt entsprechend an (BGH, NJW 2013, 308 ff.; BGH, RRa 2013, 222 ff.; dazu Staudinger, NJW 2013, 3760, 3760). Der deutsche Gesetzgeber kehrte jedoch bewusst von dieser analogen Anwendung der §§ 651a ff. BGB auf Ferienhäuser ab, s. hierzu auch die Gesetzesbegr auf S. 66; zur analogen Anwendung bei einer Hotelbuchung BGH v. 20.5.2014 – X ZR 134/13, NJW 2014, 2955 ff. Dabei handelte sich europarechtlich um eine zulässige überschießende Umsetzung. Die Rechtsfortbildung der §§ 651a ff. BGB vermochte bereits damals aus nationalem Blickwinkel methodisch nicht zu überzeugen, dazu Führich/Staudinger, Reiserecht § 1 Rz. 27; Staudinger, RRa 2013, 205; beachte zu Ferienhausverträgen Führich/Staudinger, Reisevertragsrecht § 3 Rz. 2. 285 LG Konstanz v. 24.8.1992 – 2 O 241/92, IPRax 1994, 448 ff.; Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 59; Jayme, IPRax 1993, 42, 43; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 10; Thorn, IPRax 1994, 426 ff. 286 (Noch zur Brüssel I-VO) EuGH v. 7.10.2010, ECLI:EU:C:2010:740 – C-585/08 – Peter Pammer vs. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co.KG, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 507 Rz. 37, 45; hierzu auch Staudinger/ Staudinger, Vorb. zu §§ 651a–651m Rz. 104.
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Art. 17 Brüssel Ia-VO Begriff der Verbrauchersache schon die Rom I-VO zum Zeitpunkt des für den Rechtsstreit relevanten Sachverhalts noch gar nicht in Kraft war.287 Als Pauschalreise gilt dabei auch eine Reise, die von einem Reisebüro auf Wunsch und nach den Vorgaben eines Verbrauchers organisiert wird288.289 Ferner muss jedoch Beachtung finden, dass die in Frage stehende Rückausnahme lediglich kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen erfasst, wohingegen Art. 3 Nr. 1 und 2 der maßgeblichen RL ebenfalls eine Verbindung eines jener Elemente mit anderen touristischen Dienstleistungen ausreichen lässt. Diese Divergenz innerhalb des Unionsrechts wiegt umso schwerer, als für die Parallelnorm in Art. 6 Abs. 4 lit. b Rom I-VO eine Verbindung von Beförderung und anderen Leistungen, die gerade nicht in der Unterbringung liegen, genügt.290 Der EuGH hat sich in der Rs. Pammer im Rahmen einer rechtsaktübergreifenden Auslegung dafür ausgesprochen, dass auch dem Art. 15 Abs. 3 Brüssel I-VO der Pauschalreisebegriff der RL zugrunde gelegt werden sollte.291 Im Lichte des ErwGr. 34 S. 2 Brüssel Ia-VO muss dies aufgrund von Textidentität ebenso für Art. 17 Abs. 3 Brüssel Ia-VO gelten.292 Obwohl sich der persönliche Anwendungsbereich der Pauschalreiserichtlinie auch auf Unternehmen erstreckt,293 ist der Schutzgerichtsstand des Art. 17 Brüssel Ia-VO nach seinem Sinn und Zweck bei von Gewerbetreibenden gebuchten Reisen nicht einschlägig. In sachlicher Hinsicht wurden bereits zum alten Pauschalreiserecht überschießende Umsetzungen in Form des Richterrechts, wie in Deutschland etwa durch analoge Anwendung der §§ 651a ff. BGB auf einzelne Bootscharter und Ferienhausmietverträge gegenüber einem Reiseveranstalter,294 ebenso wenig erfasst. Erst Recht gilt dieses seit dem Stichtag des 1.7.2018, ab welchem die neuen reiserechtlichen Vorschriften Anwendung finden. Die hiesige Legislative überführte die Rechtsprechung zur analogen Anwendung der §§ 651a ff. BGB bewusst nicht in das Gesetz.295 Mithin überzeugt es, bei der Vermietung von Ferienhäusern ein reines Mietverhältnis anzunehmen. Klarheit kann für eine derartige offene und entscheidungserhebliche Rechtsfrage letztlich nur der EuGH im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV schaffen. 23
Augenfällig ist, dass der Reformgesetzgeber die Ausnahmen des Art. 17 Abs. 3 Brüssel Ia-VO nicht an diejenigen des erst nach dem Inkrafttreten der Brüssel I-VO geschaffenen Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO angeglichen hat. Demnach ergibt sich eine Divergenz zwischen dem Internationalen Zivilverfahrensund Kollisionsrecht. Der Katalog des Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO erfasst weit mehr Fallkonstellationen als der Art. 17 Abs. 3 Brüssel Ia-VO. Folglich gewährt die Brüssel Ia-VO einen umfassenderen Verbraucherschutz. Zur Veranschaulichung soll folgendes Beispiel dienen: Ein deutscher Verbraucher
287 Siehe hierzu Führich/Staudinger, Reiserecht § 4 Rz. 8. 288 Insoweit überführte der Unionsgesetzgeber die sog. Club-Tour-Entscheidung des EuGH in die neue Richtlinie; s. hierzu: EuGH v. 30.4.2002 – C-400/00 – Club Tour Viagens e Turismo SA vs. Alberto Carlos Lobo Gonçalves Garrido, EuGHE 2002 I 4051, 4071 f. Rz. 13 ff.; hierzu Führich, RRa 2002, 194 ff.; Tonner, EuZW 2002, 403 f.; Führich, RRa 2006, 50 ff. 289 Eine Frachtschiffreise ist eine Pauschalreise i.S.d. Art. 15 Abs. 3 Brüssel I-VO (entspricht Art. 17 Abs. 3) s. dazu: EuGH v. 7.10.2010 – C-585/08, ECLI:EU:C:2010:740 – Peter Pammer vs. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co.KG, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 507 Rz. 46; dies auch schon vorher bejahend: Keiler/Binder, RRa 2009, 210, 217 f. Ebenso die Generalanwältin Trstenjak in ihren Schlussanträgen vom 18.5.2010 (Rz. 41 ff.), abrufbar unter: http://curia.europa.eu. 290 Hierzu Keiler/Binder, RRa 2009, 210, 213 f. 291 EuGH v. 7.10.2010 – C-585/08, ECLI:EU:C:2010:740 – Peter Pammer vs. Reederei Karl Schlüter GmbH & Co.KG, IPRax 2012, 160 = NJW 2011, 505, 506 Rz. 38 ff. 292 Die versäumte Anpassung innerhalb der Brüssel Ia-VO ist jedoch keinesfalls als Overruling des EuGH anzusehen. 293 Führich/Staudinger, § 4 Rz. 24. 294 Vgl. Tonner in MünchKomm/BGB (4. Aufl. 2005) § 651a Rz. 28 ff.; nach der Rechtsprechung des BGH sind im Sachrecht die Vorschriften des Reisevertragsrechts insgesamt entsprechend heranzuziehen (BGH v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308; BGH, RRa 2013, 222 f. dazu Staudinger, NJW 2013, 3760, 3760); zur analogen Anwendung bei einer Hotelbuchung s. BGH v. 20.5.2014 – X ZR 134/13, NJW 2014, 2955 f. Es handelt sich europarechtlich um eine zulässige überschießende Umsetzung. Die Rechtsfortbildung der §§ 651a ff. BGB vermag jedoch aus nationalem Blickwinkel methodisch nicht zu überzeugen; Staudinger, RRa 2013, 205. 295 Führich/Staudinger, Reiserecht, § 1 Rz. 27.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 18 Brüssel Ia-VO
bucht über eine auf Deutschland ausgerichtete Website eine Musicalkarte für eine Aufführung auf dem Broadway.296 Eine Klage gegen den drittstaatlichen Musicalveranstalter mit Sitz in New York ist nach Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO am Heimatforum des Konsumenten möglich. Im Lichte der Rs. Emrek wird dasselbe Ergebnis erzielt, wenn der Verbraucher die Karte erst an der Theaterkasse kauft, aber eine auf seinen Mitgliedstaat ausgerichtete Homepage zum Zeitpunkt des Rechtsgeschäftes vorgehalten wird. Dieser Internetauftritt muss nicht kausal für den Abschluss des Dienstleistungsvertrages297 vor Ort gewesen sein. Hinsichtlich der Ermittlung des materiellen Rechts bleibt der Rückgriff auf die Verbraucherschutznorm des Art. 6 Rom I-VO aufgrund ihres Ausschlusses in Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I-VO verwehrt, da die Musicalaufführung ausschließlich in New York erbracht wird. Demnach bestimmt sich das anzuwendende Recht bei einer Rechtswahl der Parteien nach Art. 3. Ansonsten kommt laut Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO das Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zur Anwendung. Diese Ausführungen lassen sich ebenso auf Hotelbeherbergungsverträge, Tauchkurse sowie Ballonfahrten übertragen, die nicht im Mitgliedstaat des Konsumenten durchgeführt werden. Der Verbraucher kann zwar an seinem Heimatforum klagen, allerdings unterfällt der Dienstvertrag nicht seinem Aufenthaltsrecht, es sei denn, es ist eine dementsprechende Abrede zwischen den Parteien getroffen worden. Obschon diese Veranschaulichung keinen Gleichlauf von forum und ius herstellt, handelt es sich diesbezüglich um eine bewusste Entscheidung des supranationalen Gesetzgebers. Dieser lässt dem Verbraucherschutz auf prozessualer Ebene einen starken Schutz zukommen, um den Verbraucher von einer Rechtsverfolgung im Ausland nicht abzuhalten. Eine unbekannte Verfahrenssprache mag hierbei etwa ein Hindernis darstellen. Nichtsdestotrotz dürfen die Interessen des Unternehmers im Rahmen der Ermittlung des maßgeblichen Status nicht unberücksichtigt bleiben. Daher erscheint es sachgerecht, dem Verbraucher an seinem eigenen Domizil einen Schutzgerichtsstand zu eröffnen, während das ermittelte Sachrecht hiervon divergieren könnte. Dies bestätigt zudem eine jüngere Entscheidung des Gerichthofes298, in welcher er trotz der angestrebten Kohärenz von Brüssel Ia- und Rom I-VO die unterschiedliche Zielsetzung der Rechtsakte aufzeigte. Danach ist dem Verbraucher der verfahrensrechtliche Schutz nicht allein aus dem Grund zu entziehen, weil ihm ein solcher kollisionsrechtlich – etwa aufgrund eines Ausschlussgrundes aus Art. 6 Abs. 4 Rom I-VO – verwehrt wird.299
Artikel 18 [Gerichtsstände für Klagen des Verbrauchers und seines Vertragspartners] (1) Die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner kann entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen Vertragspartners vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. (2) Die Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher kann nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. (3) Die Vorschriften dieses Artikels lassen das Recht unberührt, eine Widerklage vor dem Gericht zu erheben, bei dem die Klage selbst gemäß den Bestimmungen dieses Abschnitts anhängig ist.
296 Eine ähnliche Konstellation findet sich als Übungsklausur für Studierende bei Staudinger/Frensing-Deutschmann, JuS 2015, 1092 ff. 297 Der Begriff des Dienstleistungsvertrags ist autonom auszulegen. So zuletzt zu Art. 5 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO EuGH, EuZW 2014, 181, 182 f. Rz. 32, 37. 298 EuGH v. 3.10.2019 – C-208/18 – Jana Petruchová vs. FIBO Group Holdings Limited, BeckRS 2019, 25123; beachte zum Urteil bereits die Ausführungen unter Rz. 1. 299 EuGH v. 3.10.2019 – C-208/18 – Jana Petruchová vs. FIBO Group Holdings Limited, BeckRS 2019, 25123 Rz. 65.
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Art. 18 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen des Verbrauchers und seines Vertragspartners 1
In Konstellationen mit grenzüberschreitenden Bezügen1 bestimmt Art. 18 Brüssel Ia-VO nicht nur die internationale, sondern zum Teil auch die örtliche Zuständigkeit. Art. 18 Brüssel Ia-VO genießt Anwendungsvorrang und schließt – ebenso im Hinblick auf die vorgegebene örtliche Zuständigkeit – nationale Vorschriften aus.2 Beschränkt sich der Sekundärrechtsgeber wie in Abs. 1 Fall 1 oder Abs. 2 auf die internationale Zuständigkeit, kann die auf supranationaler Ebene bestehende Regelungslücke unter Rückgriff auf das jeweilige nationale Recht geschlossen werden.3 In Deutschland geschieht dies mit Hilfe der §§ 12 ff. ZPO.
I. Klagemöglichkeiten des Verbrauchers, Abs. 1 2
Art. 18 Brüssel Ia-VO erlaubt dem Verbraucher die Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen. Ziel ist es, dem Verbraucher eine Möglichkeit zu eröffnen, seine Ansprüche ortsnah4 gerichtlich geltend zu machen.5 Generell soll er jedoch nicht auf eine Rechtsverfolgung am Heimatforum beschränkt werden. So mag es aus Sicht des Verbrauchers vorzugswürdig erscheinen, den Vertragspartner in dessen Wohnsitzstaat zu verklagen, etwa um Schwierigkeiten bei der anschließenden Auslandsvollstreckung zu vermeiden.6
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Dem Verbraucher stehen folgende Gerichtsstände zur Verfügung: Nach Abs. 1 Fall 1 ist die gegnerische Seite in ihrem Heimatstaat gerichtspflichtig. Gemäß Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO dienen Zweigniederlassungen des in einem Drittstaat ansässigen Vertragspartners als fiktiver Wohnsitz. Der Unionsgesetzgeber regelt in Abs. 1 Fall 1 nur die internationale Zuständigkeit, so dass die örtliche nach der lex fori zu ermitteln ist.
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Dem Verbraucher steht es nach Abs. 1 Fall 2 frei, die Klage vor seinem Heimatforum zu erheben. Während Art. 16 Abs. 1 Fall 2 Brüssel I-VO noch vorsah, dass der Vertragspartner des Verbrauchers in einem Mitgliedstaat beheimatet oder gem. Art. 15 Abs. 2 Brüssel I-VO so zu behandeln ist,7 stellt die Brüssel Ia-VO keine Anforderungen an dessen Wohnsitz. Vielmehr kann der Verbraucher vor dem mitgliedstaatlichen Gericht an seinem Domizil gegen einen Drittstaatenunternehmer (auch gegen einen solchen, der in Liechtenstein ansässig ist und nicht dem LugÜbk 2007 unterliegt8) prozessieren.9 Diese Neuregelung geht somit weit über Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO hinaus und erfordert 1 Beachte insoweit die Ausführungen in Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 19 und Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 1 Fn. 3. 2 Jayme, FS Nagel, 1987, S. 123, 130; Mankowski, VuR 2001, 259, 260; Schoibl, JBl 1998, 700, 707; Wagner, WM 2003, 116, 120. 3 Hk-ZPO/Dörner, Rz. 3; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 1. 4 Beachte im weiteren Zusammenhang: EuGH v. 28.1.2015 – C-375/13, ECLI:EU:C:2015:37, IPRax 2016, 143; dazu Steinrötter, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 2. 5 KOM (1999) 348, 19. 6 Kropholler/von Hein, vor Art. 8 Brüssel I-VO Rz. 2. 7 EuGH v. 15.9.1994 – C-318/93, ECLI:EU:C:1994:331 – Brenner u. Noller vs. Dean Witter Reynolds, EuGHE 1994 I 4275, 4292 Rz. 20 = IPRax 1995 315 f. m. Anm. Rauscher 289, 292 f.; BGH, NJW 1995, 1225, 1226; Kropholler/von Hein, Art. 15 Brüssel I-VO Rz. 1; Hüßtege in Thomas/Putzo (34. Aufl. 2013), Art. 16 Brüssel I-VO Rz. 4. 8 Nur sofern die Brüssel Ia-VO intertemporal nicht eingreift, also bei einer Klageerhebung vor dem 10.1.2015, bleibt der Rückgriff auf das nationale Prozessrecht, wie etwa § 29c ZPO: BGH v. 30.10.2014 – III ZR 474/13, NJW 2015, 169 ff.; dazu Mankowski, BB 2014, 3090; Vossler, NJW 2015, 171 f. Obschon § 29c ZPO aufgrund des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013 (BGBl. 2013 I 3642 ff.) mit Wirkung vom 13.6.2014 inhaltlich angepasst wurde, bliebt die offizielle Überschrift über „Haustürgeschäfte“ unverändert. 9 Ungeklärt ist hingegen eine eventuelle Ausstrahlungswirkung der Brüssel Ia-VO in dem umgekehrten Fall, dass ein Drittstaaten-Unternehmer einen in der EU ansässigen Verbraucher an seinem drittstaatlichen Gericht nach dem dortigen nationalen Verfahrensrecht verklagt und gerade nicht nach Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO am Verbraucherwohnsitz. Zu hinterfragen ist, ob bei der Anerkennung und Vollstreckung der drittstaatlichen Entscheidung, z.B. in Deutschland, die Wertungen der Brüssel Ia-VO zu beachten sind. In dem Sekundärrechtsakt selbst ist die Anerkennung drittstaatlicher Entscheidungen nicht geregelt, so dass auf das autonome Recht der Mitgliedstaaten zurückgegriffen werden muss. Denkbar wäre die Versagung der Anerkennung gem. § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nach dem Spiegelbildprinzip. Obwohl die Norm auf die deutschen Gesetze abstellt, sollte bei inter-
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 18 Brüssel Ia-VO
nicht einmal das Vorhalten einer Niederlassung im Binnenmarkt. Mithin wird der Konsument nicht nur vor fremden Verfahrenssprachen im Ausland geschützt, sondern es erfolgt eine Sicherstellung der Anwendung des europäischen Verbraucherschutzrechts. Im Gegensatz zu Art. 14 Abs. 1 Fall 2 EuGVÜ, aber im Einklang mit der Brüssel I-VO, bestimmt die Vorschrift ebenso die örtliche Zuständigkeit.10 Damit ist etwa aus dem Blickwinkel der deutschen Prozessrechtsordnung, die keinen allgemeinen Verbrauchergerichtsstand kennt, die Gefahr eines zuständigkeitsrechtlichen horror vacui gebannt.11 Entscheidend ist der Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klageerhebung.12 Dies gilt ebenso für den Fall, dass der Verbraucher nach Vertragsschluss in einen anderen Mitgliedstaat umzieht.13 Der Sekundärrechtsgeber sieht zum Schutz der gegnerischen Seite eine Prorogationsmöglichkeit in Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO vor. Eine darüber hinausgehende Einschränkung des Abs. 1 Fall 2 im Sinne einer Missbrauchskontrolle14 anhand von Einzelfallumständen verbietet sich.15 Sie steht im Widerspruch zum Gebot von Rechtssicherheit und -klarheit, das im ErwGr. 15 S. 1 Brüssel Ia-VO zum Ausdruck kommt. Eine einmal begründete Zuständigkeit entfällt nach dem Grundsatz der perpetuatio fori nicht dadurch, dass der Verbraucher seinen Wohnsitz während des Prozesses verlegt.16
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Bei Klagen gegen Zweigniederlassungen, Agenturen oder sonstige Niederlassungen kann der Verbraucher seine Ansprüche am Ort der Niederlassung etc. gerichtlich geltend machen, Art. 17 Abs. 2 i.V.m. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO.
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II. Gerichtspflichtigkeit des Verbrauchers, Abs. 2 Nach Abs. 2 kann ein Passivprozess gegen den in einem Mitgliedstaat wohnhaften Verbraucher nur vor den Gerichten seines Aufenthaltstaates geführt werden. Abzustellen ist auf den Wohnsitz des Verbrauchers zum Zeitpunkt der Klageerhebung.17 Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach nationalem Recht.18 Der Begriff Klage am allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ist nach seiner grammatikalischen und systematischen Auslegung im Lichte von Art. 29 und 30 Brüssel Ia-VO derartig zu verstehen, dass er sowohl eine Leistungs- als auch positive wie negative Feststellungsklage einschließt. Ebenfalls hat sich der EuGH in der Kartellrechtssache Folien Fischer19 hinsichtlich des Deliktsgerichtsstands nach Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO (entspricht Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) dafür ausgesprochen, dass eine Klage gerichtet auf die Feststellung des Nichtbestehens einer Haftung aus einer
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nationalen Sachverhalten die europäisch modifizierte ZPO herangezogen werden und im Lichte der BGH-Entscheidung zur Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Nr. 1 lit. b Brüssel I-VO (BGH, JR 2012, 67 s. dazu Staudinger, JR 2012, 47 ff.; zur freiwilligen Orientierung am Europäischen Zivilprozessrecht auch: BGH v. 30.10.2014 – III ZR 474/13, NJW 2015, 169, 170: Dort ging es um § 29c ZPO und die Brüssel I-VO), in § 29 ZPO der Rechtsgedanke der Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO hineingelesen werden. ÖstOGH, IPRax 2006, 607, 608 m. Anm. Heiderhoff, 612 ff. Ebenso wenig ist fortan im österreichischen Recht eine Ordination erforderlich; s. hierzu östOGH v. 5.3.2002 – Az. 9 Nd 502/02; Schoibl JBl 2003, 149, 163. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 14; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 5; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 6; s. hierzu Gramlich, EuZW 2017, 213, 215. Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 17. Siehe zum Wohnsitzwechsel des Verbrauchers und zu anderen intertemporalen Fragestellungen Staudinger, jM 2014, 229, 231 ff.; s. hierzu ausführlich Gramlich, EuZW 2017, 213, 215 ff. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 7. Kropholler/von Hein, Art. 16 Brüssel I-VO Rz. 2; Schaltinat, 80; a.A. de Bra 168; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3. Zur perpetuatio fori s. Hess, § 6 Rz. 102; Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 10; Art. 17 Rz. 18; Art. 62 Rz. 3. Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 18; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 8; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 4; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 14 EuGVÜ Rz. 8. Vgl. Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 1; krit. hierzu Schoibl, JBl 2003, 149, 163. EuGH v. 25.10.2012 – C-133/11, ECLI:EU:C:2012:664 – Folien Fischer AG, Fofitec AG vs. Ritrama SpA, NJW 2013, 287; hierzu Gebauer, ZEuP 2013, 870; beachte auch die Nachfolgeentscheidung des BGH v. 29.1.2013 – KZR 8/10, GRUR-RR 2013, 228; s. auch OLG Bamberg, IHR 2013, 253, 257.
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Art. 19 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandsvereinbarungen unerlaubten Handlung oder einer gleichgestellten Handlung, dieser Bestimmung unterfällt. Jener Grundsatz ist im Lichte des ErwGr. 34 S. 2 Brüssel Ia-VO ebenfalls auf die Nachfolgervorschrift des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zu übertragen. Der Gerichtshof stützt seine Argumentation in der Ausgangsentscheidung vor allem darauf, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung der schwächeren Partei keinen verstärkten Schutz gewährleistet. Dies trifft gleichermaßen auf den Vertragsgerichtsstand zu, der keine Partei bevorteilt. Folglich kann nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO auch eine Klage gerichtet auf das Nichtbestehen eines Rechtsgeschäfts erhoben werden. Fehl geht jedoch die Annahme, eine negative Feststellungsklage scheide bei Schutz- als speziellen Gerichtsständen von vornherein aus. Zum einen kann sie im Lichte der Rs. Folien Fischer nicht aufgrund der Tatsache abgelehnt werden, dass sie dem Opfer die Wahl eines anderen Gerichtsstandes versperre. Zum anderen liegt das besondere Privileg gerade darin, dass die schwächere Partei an ihrem Wohnsitz prozessieren kann. Demnach muss ebenso eine negative Feststellungsklage des Unternehmers im Wohnsitzstaat des Verbrauchers nach Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO möglich sein, da dessen Schutz nicht verkürzt wird.
III. Widerklage, Abs. 3 8
Unabhängig davon, ob der Verbraucher oder dessen Vertragspartner Kläger des Ausgangsverfahrens ist, bestimmt Abs. 3 die internationale sowie örtliche Zuständigkeit für die Widerklage.20 Ihr Gegenstand muss anders als beim Ursprungsprozess keine Verbrauchersache betreffen.21 Erforderlich ist allerdings, dass die Zuständigkeit der Klage auf den Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO beruht und zwischen ihr und der Widerklage Konnexität22 besteht.
Artikel 19 [Zulässige Gerichtsstandsvereinbarungen] Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden, 1. wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird, 2. wenn sie dem Verbraucher die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen, oder 3. wenn sie zwischen einem Verbraucher und seinem Vertragspartner, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben, getroffen ist und die Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaats begründet, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats nicht zulässig ist.
I. Normzweck 1
Die Vorschrift zielt darauf ab, den Verbraucher vor nachteiligen (vorformulierten) Gerichtsstandsklauseln zu schützen.1 Gemäß Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO führt ein Verstoß gegen Art. 19 Brüssel Ia-VO zur Unwirksamkeit der Abrede. Unter dem Regime der Brüssel I-VO galten die Vorschriften im Gewande der Art. 23 Abs. 5 Brüssel Ia-VO und Art. 17 Brüssel Ia-VO in entsprechender Anwendung im Fall der Prorogation eines Drittstaatenforums.2 Der supranationale Gesetzgeber hat sich 20 Siehe auch Art. 14 Brüssel Ia-VO Rz. 5. 21 Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 89; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 20; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 9. 22 Siehe hierzu Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 41 f.; Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 20. 1 Kropholler/von Hein, Art. 17 Brüssel I-VO Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1; ausführlich zur Vorschrift des Art. 25 Brüssel Ia-VO: Coester-Waltjen, FS Geimer, 2017, 31 ff.; vgl. auch Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 1.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 19 Brüssel Ia-VO
allerdings nunmehr mit der Ausdehnung auf Drittstaatensachverhalte befasst. Hinsichtlich der Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehenden Verfahren vor drittstaatlichen Gerichten postulieren Art. 33 f. Brüssel Ia-VO eine ermessensgetragene Aussetzung des Verfahrens. Die Regelung über Gerichtsstandsabreden nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO hat eine Modifikation dahingehend erfahren, dass die Vereinbarung einer mitgliedstaatlichen Justiz unabhängig vom Wohnsitz der Parteien möglich ist. Hinsichtlich etwaiger Wirkungen bei der Prorogation eines drittstaatlichen Spruchkörpers schweigt die Verordnung scheinbar weiterhin. Für eine Rechtsfortbildung dürfte es allerdings nach der Reform an einer planwidrigen Regelungslücke fehlen.3 Nach Sinn und Zweck der Vorschrift sowie im Lichte des Urteils des EuGH in der Rs. Mahamdia4 sind die Schranken dahingehend auszulegen, dass auch Vereinbarungen zugunsten drittstaatlicher Gerichte daran gemessen werden müssen. Es bedarf daher gar keiner Analogie zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.5 Ein Zuständigkeitsmangel kann durch rügelose Einlassung geheilt werden, sofern keine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Brüssel Ia-VO begründet ist.6 Dies wurde bei Klagen gegen den Verbraucher i.S.d. Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO vereinzelt als verfehlt empfunden. Der Wortlaut des Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ist indes eindeutig. Zum Schutz der schwächeren Partei hat der europäische Gesetzgeber nunmehr überdies im Zuge der Reform eine Belehrungspflicht in Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eingeführt. Ferner spricht für jenes Ergebnis der Regelungsgehalt in Nr. 1. Wenn eine abweichende Vereinbarung nach Entstehen der Streitigkeit uneingeschränkt zulässig ist, muss dies ebenso für eine stillschweigende Prorogation gelten.7 Ob und inwieweit Unternehmer in Verbrauchersachen durch Individual- oder Formularabreden von 2 den Vorgaben des Art. 18 Brüssel Ia-VO zu Lasten der Verbraucher abweichen dürfen, ergibt sich nicht erst nach Maßgabe eines nationalen Rechts wie bei der allgemeinen Bestimmung über Gerichtsstandsvereinbarungen laut Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO i.V.m. ErwGr. 20 Brüssel Ia-VO. Vielmehr bestehen in Art. 19 Brüssel Ia-VO strenge Pro- und Derogationsschranken zum Schutz der Konsumenten. Diese führt Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO als spezielle Vorgaben in Verbrauchersachen explizit auf. So verbietet Art. 19 Nr. 1 Brüssel Ia-VO jede abweichende Vereinbarung vor Entstehung der Streitigkeit, also bei Vertragsschluss, in welcher Form auch immer. Lediglich eine Besserstellung erlaubt Art. 19 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, indem der Verbraucher neben den halbzwingenden weitere Gerichtsstände zur Auswahl erhält. Nach Entstehung der Streitigkeit, aber noch vor dem Verfahren besteht nach Art. 19 Nr. 1 Brüssel Ia-VO kein Schutz für den Verbraucher. Die Besonderheit der Belehrung nach Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO gilt nur bei der nachträglichen rügelosen Einlassung als stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung. Sofern der Art. 19 Brüssel Ia-VO keine speziellere Regelung enthält oder auf das nationale Recht verweist (Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO), verbleibt es bei den Formvorschriften aus Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Nr. 1 und 2 entsprechen Art. 15 Nr. 1 und 2 Brüssel Ia-VO für Versicherungsnehmer, insoweit wird auf die dortigen Ausführungen verwiesen. Nach Entstehung der Streitigkeit, aber noch vor dem Verfahren besteht nach Art. 19 Nr. 1 Brüssel Ia-VO kein Schutz für den Verbraucher. Die Besonderheit der Belehrung nach Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO gilt nur bei der nachträglichen rügelosen Einlassung 2 Siehe Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 2; Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2009), Art. 23 Brüssel Ia-VO Rz. 7; im Ergebnis – wenn auch mit abweichender Begründung – Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 90; s. hierzu OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 47; dem im Ergebnis zustimmend von Hein, IPRax 2006, 16, 17 mit weiteren Nachweisen zum Streitstand; Heinig, 136, 227. 3 In diese Richtung wohl Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev contracts 2013, 1037, 1045 (zitiert nach Mankowski, RIW 2014, 625, 626 Fn. 15). 4 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491, IPRax 2013, 572 = NZA 2012, 935 ff. Rz. 58 ff. 5 So im Ergebnis ebenfalls Mankowski, RIW 2014, 625, 626 Fn. 15, welcher die Ausdehnung des Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO auf drittstaatliche Unternehmer auch als entsprechende Erweiterung auf den Art. 19 Brüssel Ia-VO ansieht. 6 Noch zu Art. 24 Brüssel I-VO OLG Koblenz, IPRax 2001, 334; Hess, § 6 Rz. 148; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 16; Musielak/Voit/Stadler, Art. 26 Rz. 4; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 125; Schütze, ZZP 90 (1977), 67, 76; Hüßtege in Thomas/Putzo, Vorb. zu Art. 17–19 Rz. 3 f.; Art. 26 Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Vor Art. 13 EuGVÜ Rz. 6; hierzu BGH, RIW 2005, 776 ff.; OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 935 f.; vgl. auch Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 11. 7 Bülow, RabelsZ 29 (1965), 473, 495; Kropholler/von Hein, Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 2; Schulte-Beckhausen, Internationale Zuständigkeit durch rügelose Einlassung im Europäischen Zivilprozessrecht (1994) 113.
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Art. 19 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandsvereinbarungen als stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung. Sofern der Art. 19 Brüssel Ia-VO keine speziellere Regelung enthält oder auf das nationale Recht verweist (Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO), verbleibt es bei den Formvorschriften aus Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. 2a
Nach Nr. 3 können die Parteien die internationale Zuständigkeit der Gerichte an ihrem gemeinsamen Wohnsitz (Art. 62, 63 Brüssel Ia-VO) oder gewöhnlichen Aufenthaltsort vereinbaren, sofern eine solche Abrede nach dem Heimatrecht der Beteiligten zulässig ist. Hierbei handelt es sich nicht wie in Art. 25 S. 1 Brüssel Ia-VO i.V.m. ErwGr. 20 Brüssel Ia-VO um einen Gesamt-, sondern um einen Sachnormverweis. Sinn und Zweck dieser Ausnahme von Nr. 1 ist, dass der Unternehmer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach Art. 18 Abs. 1 Fall 1 Brüssel Ia-VO gewärtigen muss, in dem Land verklagt zu werden, in welchem er wie der Verbraucher ihren (Wohn)Sitz haben. Für ihn ist gleichermaßen i.S.d. ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO erwartbar, dass der Verbraucher seine Klage am eigenen Wohnsitzforum gem. Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO erhebt. Zieht allerdings der Kunde nach dem Zustandekommen des Rechtsgeschäftes in einen anderen Mitgliedstaat, droht, dass jener nunmehr vor den Gerichten des neuen Mitgliedstaates gegen den Veranstalter prozessiert. Denn im Ausgangspunkt vermag sich der Verbraucher auf den aktuellen Schutzgerichtsstand am Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klage stützen.8 Ratio von Nr. 3 ist somit, dass sich der Unternehmer vor einem Wandel der internationalen Zuständigkeit durch Wegzug des Kunden immunisieren und der Gerichtspflichtigkeit in einem anderen Mitgliedstaat begegnen kann. Die Zulässigkeit der Prorogationsabrede beurteilt sich auch dann nach der Brüssel I-VO und nunmehr Brüssel Ia-VO, wenn der Verbraucher in einen Drittstaat zieht.9 Mit Blick auf die grds. Schutzwürdigkeit des Unternehmers verbietet sich nämlich eine Differenzierung zwischen dem Umzug in einen Mitglied- oder einen Drittstaat. Dieses Ergebnis bestätigt zudem Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, wonach eine Gerichtsstandvereinbarung nach Maßgabe der Brüssel Ia-VO zugunsten eines mitgliedstaatlichen Spruchkörpers die Gerichtspflichtigkeit auch von nicht in einem Mitgliedstaat beheimateten Beklagten begründen kann.
II. Wirksamkeit von abweichenden Formularabreden nach Nr. 3 3
Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO erlaubt indes Unternehmern wie etwa Reiseveranstaltern die internationale Zuständigkeit des gemeinsamen Wohnsitz- bzw. Aufenthaltslandes allein dann individual- oder formularvertraglich festzulegen, wenn eine „solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Mitgliedstaates“ zulässig ist.10 Anzuknüpfen ist an den gemeinsamen Wohnsitz im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und nicht der nachfolgenden Gerichtsstandsvereinbarung.11 Der europäische Gesetzgeber verweist insoweit unmittelbar in das nationale Prozess- wie Sachrecht. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO wird mithin verdrängt. In Deutschland ist die Wirksamkeit anhand der §§ 38, 40 ZPO zu beurteilen. Dies gilt unter Einschluss der in § 38 Abs. 3 ZPO genannten Formvorgaben,12 die jedoch einer Novellierung bedürfen.13 Sofern der Verbrauchervertrag in einer Haustürsituation angebahnt wurde, ist ferner § 29c Abs. 3 ZPO14 zu beachten.15 Eine vorformulierte Gerichtsstandsklausel unterliegt schließ8 Zu den Einschränkungen etwa hinsichtlich des situativen Anwendungsbereichs und der hiervon zu unterscheidenden Fallgruppe der perpetuatio fori beachte Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 17. 9 A.A. noch zur Brüssel I-VO Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 3; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 5. 10 Insoweit unterscheidet sich Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO von Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO i.V.m. ErwGr. 20, der einen Gesamtverweis auf ein nationales Recht unter Einschluss des dortigen Internationalen Privatrechts ausspricht. 11 Zu Recht Geimer/Schütze/Paulus, Rz. 11; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 3; dagegen auf den Zeitpunkt der Gerichtsstandsvereinbarung abstellend Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 19 Rz. 5. 12 Ansonsten wird die gesetzgeberische Einheit von Inhalt und Form zerstört, daher wird man bei natürlichen Personen, die nicht dem § 38 Abs. 1 ZPO unterfallen, fordern müssen, dass die Vereinbarung ausdrücklich und schriftlich sowie nach Entstehen der Streitigkeit erfolgt ist oder dem Wegzug der beklagten Partei vorbeugen soll (so ebenfalls Wagner in Stein/Jonas, Art. 17 EuGVVO Rz. 8); überdies bestimmte Art. 23 Brüssel I-VO allein die Formvorgaben einer nach Art. 17 Brüssel I-VO zulässigen Gerichtsstandsabrede; der Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO unterstellt nunmehr auch die materielle Wirksamkeit dem Recht des prorogierten Gerichts; zur umstrittenen Auslegung des Merkmals „schriftlich“ s. die Angaben bei Schultzky in Zöller, § 38 ZPO Rz. 32, 40, 43; Junker, RIW 1999, 809, 813 f.; vgl. auch Keller, Jura 2008, 523 ff.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 19 Brüssel Ia-VO
lich den §§ 305 ff. BGB16, in welche die Klausel-RL im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung hineinzulesen ist. Eine derartige Doppelkontrolle17 ist gemeinschaftsrechtlich nach Art. 7 der KlauselRL18 vorgeschrieben und eröffnet den Weg der Verbandsklage.19 Weiterhin ist in den Blick zu nehmen, ob und inwieweit Nr. 3 ebenso Abweichungen hinsichtlich der 3a örtlichen Zuständigkeit erlaubt. Die Vorschrift spricht im Plural von der Zuständigkeit der „Gerichte“ des gemeinsamen Aufenthaltslandes. Dies stimmt mit den anderen Sprachfassungen, wie etwa der englischen, französischen, spanischen und italienischen überein. Der Regelungsgehalt in Nr. 3 und die darin den Unternehmern gewährte Prorogationsfreiheit erschöpft sich daher ausschließlich in der Festlegung der internationalen Zuständigkeit i.S.d. Art. 18 Abs. 1 Fall 1 Brüssel Ia-VO. Zum Ausschnitt der örtlichen Zuständigkeit verhält sich demgegenüber Nr. 3 gerade nicht. Eine abweichende Interpretation folgt ebenso wenig aus der Systematik. Denn die Vorschrift erlaubt lediglich in der Konstellation der gemeinsamen Ansässigkeit eine Gerichtsstandsvereinbarung, und zwar allein in Bezug auf die internationale Zuständigkeit. Derartige Ausnahmebestimmungen müssen jedoch restriktiv interpretiert und dürfen nicht gegen ihren Wortlaut weit ausgelegt oder gar analog angewendet werden. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem Schutzweck von Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO. Der Unternehmer darf daher nach Nr. 3 nicht das derzeitige Wohnsitzgericht des Verbrauchers durch eine Vereinbarung „einfrieren“. Verbleibt der Kunde demnach zwar in dem ursprünglichen Mitgliedstaat, verzieht indes in eine andere Stadt, so gilt das aktuelle Wohnsitzforum nach Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO als international und örtlich zuständig. Erst recht darf der Veranstalter als Unternehmer nicht unter Hinweis auf Nr. 3 durch eine abweichende Individual- oder Formularabrede bei Vertragsschluss das Gericht am eigenen Firmensitz als ausschließlich örtlich zuständig prorogieren und damit Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO abbedingen. Dies steht im klaren Widerspruch zu den Schranken in Nr. 1 und 3. Demzufolge kann dahinstehen, ob derartige Abreden nach §§ 38, 40 ZPO und § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam sind.20 In der Praxis legen beispielsweise inländische Reiseveranstalter typischerweise formularvertraglich 3b fest, dass Kunden ihre Ansprüche und Rechte ausschließlich am Firmensitz geltend machen können. Eine derartige Abrede enthält einerseits die Prorogation der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte sowie eine solche der örtlichen Zuständigkeit. Andererseits werden damit sämtliche anderen
13 Staudinger in Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg.), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts (2001) 295, 302. 14 Obschon § 29c ZPO aufgrund des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013 (BGBl. 2013 I 3642 ff.) mit Wirkung vom 13.6.2014 inhaltlich angepasst wurde, bliebt die offizielle Überschrift über „Haustürgeschäfte“ unverändert. 15 Hierzu BGH v. 30.10.2014 – III ZR 474/13, NJW 2015, 169 f.; dazu Mankowski, BB 2014, 3090; Vossler, BGH v. 22.10.2014 – XII ZB 257/14, NJW 2015, 171 f.; BGH v. 7.1.2003 – X ARZ 362/02, NJW 2003, 1190 f. 16 Vgl. hierzu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 38 ZPO Rz. 10 f.; Kieninger in MünchKomm/BGB (5. Aufl. 2007) § 307 Rz. 282 ff.; Staudinger, DB 2000, 2058, 2059. 17 Auch die Entscheidung des EuGH v. 25.10.2012 – C-423–97, NZM 1999, 580 ff. lässt sich wohl dahin verallgemeinern, dass im Grundsatz von einer parallelen Geltung von Verbraucherschutz-RL auszugehen ist. 18 RL 93/13/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4.1993, ABl. EG 1993 L 95/29 ff.; zuletzt geändert durch Art. 32 ÄndRL 2011/83/EU vom 25.10.2011 ABl. EU 2011 L 304/64 ff. 19 Zum Verhältnis der Klausel-RL bzw. ihrer Transformation zu Art. 25 Brüssel Ia-VO s. Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 7; Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 99 ff.; dort auch zur Missbrauchskontrolle als Notanker. 20 Nach der hier vertretenden Ansicht erscheinen bei Sachverhalten, welche von der Brüssel Ia-VO (veränderten Parallelkonvention mit Dänemark, dem revidierten Lugano-Übereinkommen) ausgenommen bleiben, mithin bei „echten Inlandsfällen“, Klauseln, wonach der Kunde allein am Firmensitz des Veranstalters prozessieren kann, als Verstoß gegen §§ 38 und 40 ZPO. Überdies erweisen sich derartige Formularabreden als unwirksam nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unter Einschluss der Wertungen der Klausel- und Pauschalreiserichtlinie samt Judikatur des EuGH, welche richtlinienkonform in jene Vorschrift hineinzulesen sind; hierzu Staudinger/Staudinger (2011), § 651m BGB Rz. 42 ff.
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Art. 19 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandsvereinbarungen Wahlgerichtsstände abbedungen, u.a. auch die Möglichkeit für den Verbraucher, eine Klage ortsnah an seinem Wohnsitzforum einzureichen. Es stellt sich daher die Frage, ob derartige Formularabreden hiesiger Veranstalter den in Deutschland ansässigen Kunden gegenüber auch in „unechten Inlandsfällen“21 mit der vorrangig zu beachtenden Brüssel Ia-VO vereinbar sind. Zunächst kann festgehalten werden, dass sich eine Klausel, welche den Firmensitz des Veranstalters als ausschließlich maßgebliches Forum vorgibt, mit Blick auf die implizite Prorogation der deutschen Justiz als international zuständig auch Verbrauchern gegenüber in „unechten Inlandsfällen“ als unbedenklich erweist. Hinsichtlich der Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit ist zu beachten, dass sich der Regelungsgehalt in Nr. 3 und die dortige einem Unternehmer, gewährte Prorogationsfreiheit aufgrund des klaren Wortlauts ausschließlich in der Festlegung der internationalen Zuständigkeit i.S.d. Art. 18 Abs. 1 Fall 1 Brüssel Ia-VO erschöpft. Die Vereinbarung des örtlich maßgeblichen Forums unterfällt nicht dieser Vorschrift. Dass der Kunde, welcher bei Vertragsschluss in demselben Mitgliedstaat wie der Unternehmer ansässig ist, an seinem Wohnsitzforum Klage erheben kann, folgt hingegen aus Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Damit bleibt festzuhalten: Bestimmt ein Veranstalter gegenüber Verbrauchern, dass sie Ansprüche und Rechte ausschließlich an seinem Firmensitz gerichtlich geltend machen können, so wird durch eine solche Klausel der Schutzgerichtsstand aus Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO abbedungen. Eine derartige Prorogation ist auch in „unechten Inlandsfällen“ unmittelbar nach der Brüssel Ia-VO, nämlich laut ihren Schranken in Art. 19 Nr. 1 und 3 Brüssel Ia-VO als insgesamt unwirksam anzusehen. Eines Rückgriffs auf nationale Kontrollmaßstäbe wie §§ 38 und 40 ZPO bzw. das AGB-Recht bedarf es daher nicht. Der Verbraucher kann somit den Aktivprozess gem. Art. 18 Abs. 1 Fall 2 Brüssel Ia-VO an seinem aktuellen Wohnsitzforum führen. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass er im Nachgang zum Vertragsschluss in dem betreffenden Mitgliedstaat verbleibt und lediglich innerhalb des Landes in eine andere Stadt zieht. Da die Formularabrede des Veranstalters in toto unwirksam ist und Art. 19 Nr. 1 und 2 Brüssel Ia-VO keine geltungserhaltende Reduktion kennen, droht diesem auch sogar dann Ungemach, wenn der Kunde nach dem Zustandekommen des Rechtsgeschäftes in einen anderen Mitgliedstaat verzieht. Dies gilt jedenfalls, wenn sich der Unternehmer etwa abstrakt auch auf diesen zweiten Mitgliedsstaat ausgerichtet hat. Dann ist der Veranstalter mangels wirksamer Prorogation nicht davor gefeit, außerhalb des Landes, in dem er ansässig ist, gerichtspflichtig zu werden, obschon er sich gegen diese Situation durch eine Formularabrede nach Nr. 3 hätte schützen können.
III. Schiedsgerichtsvereinbarungen 4
Die Prorogationsschranken in Nr. 1–3 gelten angesichts des Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO22 nicht analog für Schiedsgerichtsvereinbarungen.23 Art. 19 Brüssel Ia-VO steht ebenso wenig einer außergerichtlichen (Online-)Streitbeilegung entgegen.24 21 Siehe zu dieser Fallkonstellation bereits Vor. Art. 17–19 Brüssel Ia-VO Rz. 6. 22 Die Kommission hatte sich sowohl im Grünbuch (KOM [2009] 175, 9 f.) als auch in dem Verordnungsvorschlag (KOM [2010] 748) dafür ausgesprochen die Schiedsgerichtsbarkeit teilweise in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO einzubeziehen, vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. d VO-E. Der europäische Gesetzgeber ist diesem Vorschlag jedoch nicht gefolgt. Von einer unbewussten Regelungslücke als Voraussetzung für eine Analogie kann daher nicht ausgegangen werden. Siehe zu CAS-Schiedsvereinbarungen Schütt, jurisPR-IWR 1/2015 Anm. 7. 23 So auch Samtleben, ZBB 2003, 69, 76; Samtleben, ZEuP 1999, 974, 976 f.; a.A. Reich, ZEuP 1998, 981, 988 f.; ein Korrektiv schafft wiederum die Klausel-RL, die nach ihrem Anhang (Nr. 1 lit. q) vorformulierte Schiedsvereinbarungen erfasst; offen lassend, ob eine Schiedsklausel einer entsprechenden Kontrolle durch die Klausel-RL zugänglich ist BGH JZ 2008, 358 f. m. Anm. Mäsch 359 ff.; hierzu kritisch Thode, DNotZ 2007, 404 ff.; demgegenüber bejahend: EuGH v. 26.10.2006 – C-168/05, ECLI:EU:C:2006:675 – Elisa María Mostaza Claro vs. Centro Móvil Milenium SL, EuGHE 2006 I, 10421 ff. = SchiedsVZ 2007, 46 ff. m. Anm. Wagner 49 ff. = IPRax 2008, 515 ff. m. Anm. Schlosser, 497 f.; hierzu Jordans, GPR 2007, 48 ff.; Micklitz, EWS 2008, 353 f.; zur amtswegigen Prüfung der Missbräuchlichkeit einer Schiedsklausel durch ein nationales Gericht nach Maßgabe der Klausel-RL EuGH v. 6.10.2009 – C-40/08, ECLI:EU:C:2009:615 – Asturcom Telecomunicaciones S. L. vs. Cristina Rodríguez Nogueira, EWS 2009, 475 ff.; der EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335,
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 19 Brüssel Ia-VO
IV. Formvorschriften und weitere Kontrollmaßstäbe Soweit Prorogationsfreiheit herrscht, ist Art. 25 Brüssel Ia-VO zu berücksichtigen, so z.B. hinsichtlich der Form der Gerichtsstandsvereinbarung,25 für welche auch die Einhaltung von Informationspflichten von Bedeutung sein kann.26 Im Hinblick darauf, ob eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel in Betracht kommt, s. Art. 6 Abs. 1 lit. d EG-VollstrTitelVO. Beachte überdies Art. 6 Abs. 2 EG-VollstrTitelVO als Sonderregel für die internationale gerichtliche Zuständigkeit bei Mahnverfahren.
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Inwieweit neben Art. 19 und 25 Brüssel Ia-VO eine weitere (Missbrauchs-)Kontrolle von Gerichtsstandsabreden zulässig bzw. sogar geboten ist, lässt sich nicht pauschal beantworten.27 Die Brüssel Ia-VO enthält keine explizite Konkurrenzregel hinsichtlich der Klausel-RL. Der Anwendbarkeit der Klausel-RL28 stehen ebenso wenig die auch auf Unionsebene zu beachtenden Grundsätze lex posterior und lex specialis entgegen. Die Prorogationsschranken der Brüssel Ia-VO und diejenigen der RL gelten vielmehr nebeneinander.29 Eine solche Parallelität von Verbraucherschutzinstrumenten befür-
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IPRax 2016, 362 – CDC vs. Evonik Degussa GmbH u.a. Rz. 57 ff. hat jüngst entschieden, dass eine Gerichtsstandsabrede nach Art. 23 Brüssel I-VO nicht allein deshalb unberücksichtigt bleiben darf, weil das prorogierte Gericht die effektive Durchsetzung des Kartellverbots nicht sicherstellen könne; nach Ansicht des BGH ist die Vereinbarung zugunsten eines drittstaatlichen Gerichts unwirksam, wenn dadurch der Handelsvertreterausgleichsanspruch verwehrt bliebe: IHR 2013, 35 f. m. Anm. Antomo, 225 ff.; nach Auffassung des OLG München kann eine Schiedsabrede etwa dann unwirksam sein, wenn sie in Verbindung mit dem am prorogierten Forum geltenden Kollisionsrecht die Nichtanwendung von international zwingenden Normen (§ 89b HGB) zu bewirken droht: IPRax 2007, 322 ff. m. krit. Anm. Rühl, 294 ff. = IHR 2006, 166 ff. m. zust. Anm. Thume 169 f.; Musielak/Voit/Heinrich, § 38 ZPO Rz. 20; zur Eingriffsnormqualität des Handelsvertreterausgleichsanspruchs s. EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663, IPRax 2014, 174 – Unamar, EuZW 2013, 956 und EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 – Ingmar GB Ltd vs. Eaton Leonard Technologies Inc, EuGHE 2000 I, 9305, 9335 = EuGH v. 26.6.2001 – C-381/99, ECLI:EU:C:2001:358, NJW 2001, 2007, 2008 m. Anm. Staudinger, 1974 ff.; hierzu auch Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 ff.; Ferrari/Staudinger, Art. 9 Rom I-VO Rz. 16; Schurig, FS Jayme, 2004, 837 ff.; s. ferner OGH Wien v. 1.3.2017 – 5 Ob 72/16y, IPRax 2018, 532 ff. m. Anm. Thorn/Nickel, IPRax 2018, 541 ff. Vgl. Art. 15 Rz. 3; s. auch das Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht vom 19.4.2002, KOM (2002) 196; Art. 14 der RL 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und die neue Verbraucherrechte-RL RL 2011/83/EU zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU 2011 L 304/64. Schlosser-Bericht Nr. 161, ABl. EG 1979 C 59/71, 120; de Bra, 202; Kropholler/von Hein, Art. 13 Brüssel I-VO Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 17 Brüssel I-VO Rz. 1; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 1. Zu den aus der RL über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen resultierenden Informationspflichten des Unternehmers s. Art. 10 Brüssel Ia-VO Rz. 5. Ablehnend jedenfalls für Unternehmer betreffende Gerichtsstandsabreden OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3128; LG Mainz v. 13.9.2005 – 10 HK. O 112/04, WM 2005, 2319, 2323; dem zustimmend Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56 ff.; eine ungeschriebene europarechtliche Kontrolle hingegen bejahend Leible/Röder, RIW 2007, 481 ff.; in dem Sinne bei Timesharing-Verträgen Mankowski, NZM 2007, 671, 676 f.; zur Frage, inwieweit die mit einer Gerichtsstandabrede einhergehende Nichtanwendung von international zwingenden Normen eine Unwirksamkeit der Pro- wie Derogation nach sich zieht: BGH IHR 2013, 36 f. m. Anm. Antomo, 225 ff.; OLG München, IPRax 2007, 322 ff. m. krit. Anm. Rühl, 294 ff. Zur Missbräuchlichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung i.S.d. RL: EuGH v. 27.6.2000 – verb. Rs. C-240/98 bis C-244/98, ECLI:EU:C:2000:346 – Océano Grupo Editorial SA vs. Roco Murciano Quintero u.a., EuGHE 2000 I 4941 ff. = EWiR 2000, 783 m. Anm. Freitag, 783 f. = IPRax 2001, 128 ff. m. Anm. Hau, 96 ff. = JA-R 2000, 173 ff. m. Anm. Leible = JZ 2001, 245 f. m. Anm. Schwartze 246 ff. = DB 2000, 2056 ff. m. Anm. Staudinger, 2058 ff.; hierzu ferner Augi/Baratella, EuLF (D) 2000/01, 83 ff.; Borges, RIW 2000, 933 ff.; Borges, NJW 2001, 2061 f.; Leible, RIW 2001, 422 ff.; Pfeiffer, ZEuP 2003, 144 ff.; Stuyck, CML Rev 2001, 719 ff.; zur Entscheidung auch Hakenberg, ZEuP 2001, 888, 901 f. Ebenso Heinig, GPR 2010, 36, 41 f. m.w.N.; Heinig, 340 ff.; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 332; Reithmann/ Martiny/Hausmann Rz. 2960; s. im Zusammenhang mit Beförderungsverträgen: Staudinger, IPRax 2010, 140, 142 f.; zu Mietverträgen: Staudinger/Czaplinski, NZM 2010, 461, 463 ff. jeweils mit Kriterien, anhand derer die Missbräuchlichkeit der Klausel festgestellt werden kann; wohl auch Mayer, GPR 2009, 220, 222 f.; abweichend Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56, 75 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 20; Gottwald in
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Art. 19 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandsvereinbarungen wortet der EuGH etwa ebenso in der Rs. Heininger30 und bestätigte diesen – wenn auch bei einem reinen Inlandssachverhalt – aufgestellten Grundsatz noch einmal.31 Die Amazon-Doktrin32 untermauert den hier befürworteten Ansatz. Im Anlassstreit untersuchte der EuGH die Zulässigkeit von Rechtswahlklauseln zum anwendbaren Recht am Maßstab der Klausel-RL bzw. deren Umsetzung. Ein österreichischer Verbraucherschutzverein hatte eine Unterlassungsklage gegen Formularabreden des Internetversandhändlers Amazon erhoben. Vor allem die Bedingung „Es gilt luxemburgisches Recht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts“ war Streitgegenstand. Zur Prüfung von Rechtswahlklauseln in einem Verbrauchervertrag wird zunächst unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO i.V.m. des Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO das Vertragsstatut ermittelt. Jene müssen nach Maßgabe des Art. 3 S. 2 Rom I-VO ausdrücklich oder sich eindeutig aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Rechtswahlabrede finden nach Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO die Art. 10, 11 und 13 Rom I-VO Anwendung. Ergibt sich kein Verstoß der Klausel aus dem gewählten Recht, erfolgt eine erneute Überprüfung kraft Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO. In diesem Zuge präzisiert der Spruchkörper seine Anforderungen von Vereinbarungen über das anwendbare Recht auf Grundlage der Klausel-RL. Jene müssen diesem zufolge im konkreten Einzelfall den Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit sowie Transparenz genügen.33 Werde dem Verbraucher daher der Eindruck vermittelt, dass nur ein bestimmtes Recht eines Mitgliedstaates anwendbar sei, verstoße die streitgegenständliche Formularabrede gegen die Mindestvorgaben aus Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL.34 Nicht fernliegend erscheint es, diese Ausführungen bei der Überprüfung der Zulässigkeit von Gerichtsstandsabreden in Verbrauchersachen auf den hiesigen Sekundärrechtsakt zu übertragen. So existiert in Art. 19 i.V.m. Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO ein Pendant zu Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO. Im Wege einer rechtsaktübergreifenden systematischen Auslegung i.S.d. ErwG 7 der Rom I-VO ist es daher wohl folgerichtig im Lichte der Rs. Amazon auch im Rahmen von Gerichtsstandsabreden den Rückgriff auf die Klausel-RL und deren Transformationsnormen zuzulassen. Für eine zweite Kontrollebene spricht, dass sich die Regelungsbereiche der beiden Sekundärrechtsakte weder in sachlicher noch räumlich-situativer Hinsicht vollständig decken. Schutzlücken drohen überdies bei vorrangigen Spezialabkommen nach Art. 71 Brüssel Ia-VO und im Lichte von Art. 17 Abs. 3 Brüssel Ia-VO. Ferner erlaubt allein die Klausel- und Unterlassungsklagen-RL35 einen kollektiven Rechtsschutz in Form von Verbandsklagen. Schließlich erlangt die amtswegige Kontrolle von Proro-
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MünchKomm/ZPO, Art. 25 Rz. 71 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 25 Rz. 31; umfassend zu diesem Themenkreis Heinig, 332 ff. EuGH v. 13.12.2001 – C-481/99, ECLI:EU:C:2001:684 – Eheleute Heininger vs. Bayerische Hypo- und Vereinsbank, EuGHE 2001 I 9945 ff. Bestätigt durch EuGH v. 25.10.2005 – C-350/03, ECLI:EU:C:2005:637 – Schulte vs. Badenia AG, EuGHE 2005 I 9215 ff. = JZ 2006, 86 ff. und EuGH v. 25.10.2005 – C-229/04, ECLI:EU:C: 2005:640 – Crailsheimer Volksbank, EuGHE 2005 I 9273 ff. = WM 2005, 2086 ff. Zum Ganzen Fischer, VuR 2006, 53 ff.; Habersack, JZ 2006, 91 ff.; Käseberg/Richter, EuZW 2006, 46 ff.; Knops, WM 2006, 70 ff.; Lang/Rösler, WM 2006, 513 ff.; Nettesheim, WM 2006, 457 ff.; Schwintowski, VuR 2006, 5 ff.; Staudinger, NJW 2005, 3521 ff.; Wielsch, ZBB 2006, 16 ff.; Woitkewitsch, MDR 2006, 241 ff. EuGH v. 4.6.2009 – C-243/08, ECLI:EU:C:2009:350 – Pannon GSM Zrt. vs. Erzsébet Sustinkné Györfi, NJW 2009, 2367 ff. m. Anm. Pfeiffer, 2369; s. auch Heinig, EuZW 2009, 885 ff. EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15 – Verein für Konsumenteninformation vs. Amazon EU Sàrl, NJW 2016, 2727; hierzu Breckheimer, RIW 2016, 681 ff.; Junker, jurisPR-ITR 21/2016 Anm. 3; Mankowski, IPRax 2019, 208 ff.; Mankowski, NJW 2016, 2705 ff.; Pfeiffer, NJW 2017, 913 ff.; W.-H. Roth, IPRax 2017, 449 ff.; Rott, EuZW 2016, 733 ff.; Steinrötter, jurisPR-IWR 3/2017 Anm. 3; der Gerichtshof hat die Amazon-Doktrin zuletzt ebenso auf Treuhandverträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern übertragen: EuGH v. 3.10.2019 – C-272/18, ECLI:EU:C:2019:827, IPRax 2020, 246 – Verein für Konsumenteninformation vs. TVP Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft für Publikumsfonds mbH & Co.KG, IPRax 2020, 246 = BB 2019, 2447. EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, IPRax 2017, 483 – Verein für Konsumenteninformationvs.Amazon EU Sàrl, NJW 2016, 2727, 2730 Rz. 65. EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, IPRax 2017, 483 – Verein für Konsumenteninformationvs.Amazon EU Sàrl, NJW 2016, 2727, 2730 Rz. 71. RL 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. EG 1998 L 166/51 ff.; hierzu etwa Kohler, Die grenzüberschreitende Verbraucherverbandsklage nach dem Unterlassungsklagengesetz im Binnenmarkt (2008).
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Kap. II: Zuständigkeit
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gationen nach der Klausel-RL Bedeutung im Rahmen des Art. 26 Brüssel Ia-VO.36 Für ein Nebeneinander von Schutzinstrumenten lässt sich auch Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO anführen, welcher die materielle Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen der lex fori des prorogierten Gerichts unterstellt.37 Dabei handelt es sich ausweislich ErwGr. 20 Brüssel Ia-VO um einen Gesamtverweis auf das mitgliedstaatliche Recht des Gerichts unter Einschluss des dortigen Internationalen Privatrechts. Nach Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO sind jedoch Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgeschlossen. Aus dem Zusammenspiel der Brüssel Ia- und Rom I-VO wird man, um die Rechtssicherheit innerhalb des Binnenmarktes sicherzustellen, im Wege der harmonischen Auslegung38 die Art. 3 ff. Rom I-VO zumindest analog heranziehen müssen.39 Gelangt der Richter zu einem mitgliedstaatlichen Recht, so muss auch die RL als Kontrollmaßstab infolge einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts herangezogen werden. Im Rahmen der RL findet ex officio eine Prüfung von Gerichtsstandsabreden statt, um sicherzustellen, dass unwirksame Klauseln keine Rechtsfolgen entfalten.40 Im Hinblick auf verbraucherrechtliche Konstellationen, in denen bereits eine Prorogationsschranke aus Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 19 Brüssel Ia-VO greift, bedarf es keines Rückgriffs mehr auf Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und das nationale Recht. Für die Durchführung einer europäisch geprägten AGB-Kontrolle durch die Klausel-RL streitet weiterhin folgende Überlegung: Wird ein Verbraucher in einem Schiedsprozess gegen einen Unternehmer dadurch benachteiligt, dass das Schiedsgericht nicht die Vorgaben der Klausel-RL im Gewande des AGB-Rechtes prüft, darf ein deutsches OLG nach §§ 1060 Abs. 1, 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen versagen bzw. laut § 1059 Abs. 2 Nr. 2 lit. b ZPO wegen ordrepublic-Widrigkeit den Schiedsspruch aufheben. Der EuGH41 hat entschieden, dass ein nationales Gericht im Rahmen der Aufhebung oder Vollstreckbarkeit eines Schiedsspruchs von Amts wegen die Nichtigkeit der missbräuchlichen Schiedsklausel anhand der Klausel-RL zu prüfen hat.42 Es wäre daher unbillig, wenn ein Gericht unter der Ägide der Brüssel Ia-VO eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht ebenfalls an der Klausel-RL messen dürfte. Andernfalls würde das Verfahren unter Missachtung des Unionsrechts als Ausschnitt der öffentlichen Ordnung zu einem Titel führen. Für den hier vertretenen Ansatz streitet nicht zuletzt eine jüngere Entscheidung des OLG Bamberg.43 Demzufolge könne es auch bei einer nach Art. 19 Brüssel Ia-VO zulässigen Gerichtsstandsabrede im Einzelfall geboten erscheinen, die Klausel im Lichte der zwingenden Mindestvorgaben des Sekundärrechtsaktes dahingehend zu prüfen, ob sie den Verbraucher in missbräuchlicher Weise benachteilige. Der Richterspruch verdient in jeglicher Hinsicht Zustimmung. Da eine Gerichtsstandsvereinbarung neben Art. 19 Brüssel Ia-VO ebenso den materiellen Wirksamkeitsschranken der nationalen Rechtsordnung des Mitgliedstaates untersteht, deren Gerichte prorogiert wurden (vgl. Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO), finden die Mindestanforderungen der Klausel-RL jedenfalls in der dort transformierten Form Berücksichtigung.
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Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 32 f. Siehe auch von Hein, RIW 2013, 97, 105. ErwGr. 7 Rom I-VO i.V.m. Art. 80 Brüssel Ia-VO. Ebenfalls von Hein, RIW 2013, 97, 105. EuGH, EuZW 2009, 852 ff.; EuZW 2011, 27 ff. EuGH v. 26.10.2006 – C-168/05, ECLI:EU:C:2006:675 – Claro, NJW 2007, 135 f.; EuGH v. 6.10.2009 – C-40/08, ECLI:EU:C:2009:615 – Telecomunicaciones, EuZW 2009, 852 ff.; zur Judikatur auch Eichstädt, Der schiedsrechtliche Aquis communautaire (2013) S. 350, 353, 357. 42 Beachte in Abgrenzung hierzu die Judikatur des EuGH v. 16.7.2015 – C-681/13, ECLI:EU:C:2015:471, IPRax 2016, 270 – Diageo Brands, BeckRS 2015, 80928 zur Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung nach Art. 34 Nr. 1 Brüssel I-VO. Dem ursprünglichen Urteil, welches durch die fehlerhafte Anwendung des Art. 5 Abs. 3 Marken-RL 89/104/EWG zustande kam, wurde nicht die Anerkennung wegen ordre-public-Verstoßes versagt. In der Gesamtschau mit den EuGH Entscheidungen Renault (v. 11.5.2000 – C-38/98, ECLI:EU:C:2000:225, NJW 2000, 2185), Claro (Rs. v. 26.10.2006 – C-168/05, ECLI:EU: C:2006:675, NJW 2007, 135 f.) und Telecomunicaciones (v. 6.10.2009 – C-40/08, ECLI:EU:C:2009:615, EuZW 2009, 852 ff.) lässt sich festhalten, dass RL zur nationalen öffentlichen Ordnung gehören, allerdings nicht alle Sekundärrechtsakte, sondern nur diejenigen, die Fundamentalprinzipien der Unionsrechtsordnung darstellen. Hierzu zählt zumindest die Klausel-RL. 43 OLG Bamberg, BeckRS 2018, 29192.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich Neben der Entscheidung des OLG Bamberg lässt sich ferner ein Verfahren des österreichischen OLG Wien anführen.44 Im Mittelpunkt der Streitigkeit stand die Zulässigkeit einer nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO getroffenen Gerichtsstandsabrede zwischen einem Luftbeförderer und einem Passagier. Zwar lag dem Grunde nach ein Verbrauchervertrag i.S.d. Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vor. Indes sorgte der Ausnahmetatbestand für Beförderungsverträge gem. Abs. 3 der Vorschrift für den Ausschluss des dritten Abschnitts, so dass Art. 19 Brüssel Ia-VO keine Maßgeblichkeit erlangte (beachte Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO). Dennoch kam das OLG Wien zu dem Ergebnis, dass Gerichtsstandvereinbarungen iRv Verbraucherverträgen, welche in den Regelungsbereich der Klausel-RL bzw. der entsprechenden nationalen Transformationen fallen, ebenso laut Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO der Missbrauchskontrolle nach dem Maßstab der Richtlinienvorgabe unterliegen und damit im Einzelfall unwirksam sein können.45 Dies begründet das Gericht mit der Vorschrift des Art. 67 Brüssel Ia-VO, wonach diejenigen Bestimmungen unberührt bleiben, welche für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit regeln und in Unionsrechtsakten oder in diesbezüglichen Ausführungsbestimmungen enthalten sind. Da Anh. Nr. 1 lit. q Klausel-RL zufolge Vereinbarungen, welche einem Verbraucher die Möglichkeit zur Anrufung staatlicher Gerichte nehmen oder erschweren, als missbräuchlich gewertet werden können, sieht das OLG Wien in den Umsetzungsvorschriften des Sekundärrechtsaktes auch eine Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit i.S.d. Art. 67 Brüssel Ia-VO. Folglich gelte das Klauselverbot ebenfalls für Gerichtsstandsabreden und regele mittelbar die gerichtliche Zuständigkeit.46 Ein Konkurrenzproblem zwischen den Prorogationsschranken der Brüssel Ia-VO und der Richtlinie bestehe im Übrigen nicht. Vielmehr gälten die Unionsrechtsakte nebeneinander. Die Entscheidung des OLG Wien überzeugt allein im Ergebnis. Als zutreffend erweist sich der Befund, dass die Brüssel Ia-VO die Kontrolle einer Formularabrede anhand der Klausel-Richtlinie nicht a priori verbietet. Indes begründet das Gericht die Anwendbarkeit der Harmonisierungsmaßnahme mit Art. 67 Brüssel Ia-VO, obschon es unter Rekurs auf die Vorschrift unklar erscheint, welche Umsetzung der Klausel-RL für eine Kontrolle maßgebend ist. Einfacher und überzeugender wäre gewesen, das Ergebnis anhand des Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO selbst zu begründen.47 Schließlich erfolgt die Prüfung der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandvereinbarung mit Rückgriff auf die lex fori des Mitgliedstaates, dessen Gerichte prorogiert wurden. Die dortige Rechtsordnung umfasst jedenfalls auch die entsprechende Transformation der Klausel-RL und dient entsprechend als Maßstab bei der Beurteilung der materiellen Nichtigkeit.48 Insgesamt lässt sich festhalten, dass eine Missbrauchskontrolle nicht lediglich innerhalb des Regelungsbereiches der Art. 17–19 Brüssel IaVO iRv Gerichtsstandvereinbarungen zu erfolgen hat, sondern ebenso für die Fälle, in welchen allein der Maßstab der Transformationsnormen zur Klausel-RL verbleibt. Als Aufhänger einer solchen Prüfung dient insoweit Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO.
Abschnitt 5 Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge
Artikel 20 [Anwendungsbereich] (1) Bilden ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 6, des Artikels 7 Nummer 5 und, wenn die Klage gegen den Arbeitgeber erhoben wurde, des Artikels 8 Nummer 1 nach diesem Abschnitt. (2) Hat der Arbeitgeber, mit dem der Arbeitnehmer einen individuellen Arbeitsvertrag geschlossen hat, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird er für Streitig44 45 46 47 48
OLG Wien, RRa 2019, 236. OLG Wien, RRa 2019, 236, 238 Rz. II.1.5. ff. OLG Wien, RRa 2019, 236, 238 Rz. II.1.6.3.2. Staudinger, RdTW 2018, 59. Staudinger, RRa 2019, 245.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich Neben der Entscheidung des OLG Bamberg lässt sich ferner ein Verfahren des österreichischen OLG Wien anführen.44 Im Mittelpunkt der Streitigkeit stand die Zulässigkeit einer nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO getroffenen Gerichtsstandsabrede zwischen einem Luftbeförderer und einem Passagier. Zwar lag dem Grunde nach ein Verbrauchervertrag i.S.d. Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vor. Indes sorgte der Ausnahmetatbestand für Beförderungsverträge gem. Abs. 3 der Vorschrift für den Ausschluss des dritten Abschnitts, so dass Art. 19 Brüssel Ia-VO keine Maßgeblichkeit erlangte (beachte Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO). Dennoch kam das OLG Wien zu dem Ergebnis, dass Gerichtsstandvereinbarungen iRv Verbraucherverträgen, welche in den Regelungsbereich der Klausel-RL bzw. der entsprechenden nationalen Transformationen fallen, ebenso laut Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO der Missbrauchskontrolle nach dem Maßstab der Richtlinienvorgabe unterliegen und damit im Einzelfall unwirksam sein können.45 Dies begründet das Gericht mit der Vorschrift des Art. 67 Brüssel Ia-VO, wonach diejenigen Bestimmungen unberührt bleiben, welche für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit regeln und in Unionsrechtsakten oder in diesbezüglichen Ausführungsbestimmungen enthalten sind. Da Anh. Nr. 1 lit. q Klausel-RL zufolge Vereinbarungen, welche einem Verbraucher die Möglichkeit zur Anrufung staatlicher Gerichte nehmen oder erschweren, als missbräuchlich gewertet werden können, sieht das OLG Wien in den Umsetzungsvorschriften des Sekundärrechtsaktes auch eine Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit i.S.d. Art. 67 Brüssel Ia-VO. Folglich gelte das Klauselverbot ebenfalls für Gerichtsstandsabreden und regele mittelbar die gerichtliche Zuständigkeit.46 Ein Konkurrenzproblem zwischen den Prorogationsschranken der Brüssel Ia-VO und der Richtlinie bestehe im Übrigen nicht. Vielmehr gälten die Unionsrechtsakte nebeneinander. Die Entscheidung des OLG Wien überzeugt allein im Ergebnis. Als zutreffend erweist sich der Befund, dass die Brüssel Ia-VO die Kontrolle einer Formularabrede anhand der Klausel-Richtlinie nicht a priori verbietet. Indes begründet das Gericht die Anwendbarkeit der Harmonisierungsmaßnahme mit Art. 67 Brüssel Ia-VO, obschon es unter Rekurs auf die Vorschrift unklar erscheint, welche Umsetzung der Klausel-RL für eine Kontrolle maßgebend ist. Einfacher und überzeugender wäre gewesen, das Ergebnis anhand des Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO selbst zu begründen.47 Schließlich erfolgt die Prüfung der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandvereinbarung mit Rückgriff auf die lex fori des Mitgliedstaates, dessen Gerichte prorogiert wurden. Die dortige Rechtsordnung umfasst jedenfalls auch die entsprechende Transformation der Klausel-RL und dient entsprechend als Maßstab bei der Beurteilung der materiellen Nichtigkeit.48 Insgesamt lässt sich festhalten, dass eine Missbrauchskontrolle nicht lediglich innerhalb des Regelungsbereiches der Art. 17–19 Brüssel IaVO iRv Gerichtsstandvereinbarungen zu erfolgen hat, sondern ebenso für die Fälle, in welchen allein der Maßstab der Transformationsnormen zur Klausel-RL verbleibt. Als Aufhänger einer solchen Prüfung dient insoweit Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO.
Abschnitt 5 Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge
Artikel 20 [Anwendungsbereich] (1) Bilden ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 6, des Artikels 7 Nummer 5 und, wenn die Klage gegen den Arbeitgeber erhoben wurde, des Artikels 8 Nummer 1 nach diesem Abschnitt. (2) Hat der Arbeitgeber, mit dem der Arbeitnehmer einen individuellen Arbeitsvertrag geschlossen hat, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so wird er für Streitig44 45 46 47 48
OLG Wien, RRa 2019, 236. OLG Wien, RRa 2019, 236, 238 Rz. II.1.5. ff. OLG Wien, RRa 2019, 236, 238 Rz. II.1.6.3.2. Staudinger, RdTW 2018, 59. Staudinger, RRa 2019, 245.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
keiten aus ihrem Betrieb so behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hätte. I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausdrückliche Zulassung des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft aus Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Individualarbeitsvertragliche Streitigkeit . 1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitnehmerähnliche Personen . . . . . . . 3. Scheinselbstständige . . . . . . . . . . . . . . 4. Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . 5. Mehrere Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . 6. Bereich der arbeitsvertraglichen Ansprüche . 7. Faktisches oder fehlerhaftes Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Kollektivarbeitsrechtliche Streitigkeiten und Ansprüche aus Tarifvertrag . . . . . . . . . .
1 1
7 16 16 30 31 37 38 41 52
9. Handelsvertreter . . . . . . . . . . . . . 10. Organpersonen von Gesellschaften . . . 11. Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Arbeitsrechtliche Aufhebungs- oder Abwicklungsverträge . . . . . . . . . . .
. . . . . .
60 62
. . .
79
. . .
83
III. Drittstaatliche Arbeitgeber mit Niederlassung im EU-Gebiet (Abs. 2) . . . . . . . .
85
IV. Vorbehalt zugunsten des Art. 6 Brüssel IaVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vorbehalt zugunsten des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergänzender Vorrang von Umsetzungen des Art. 8 EntsendeRL . . . . . . . . . . . . .
95 97 104
55
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
I. Grundsätzliches 1. Systematik Art. 20–23 Brüssel Ia-VO setzen Art. 18–21 Brüssel I-VO fort. Die Brüssel I-VO führte erstmals einen 1 eigenen Abschnitt für die internationale Zuständigkeit in Arbeitssachen ein. Einerseits wurden darin zuvor in Art. 5 Nr. 1 Halbs. 2, 3, Art. 17 Abs. 5 EuGVÜ/LugÜ 1988 verstreute Momente an einer Stelle vereinigt. Schon dies geschah indes nicht ohne erhebliche Modifikationen, insbesondere dadurch, dass aus besonderen Gerichtsständen ausschließliche Gerichtsstände wurden.1 Bei der Lokalisierung der Gerichtsstände wirkt sich dies allerdings weniger aus.2 Indes wird der gewöhnliche Arbeitsort aus seinem historischen Bezug zum Erfüllungsortsgerichtsstand gelöst,3 so dass Erfüllungsortsvereinbarungen für ihn keine Bedeutung mehr haben können.4 Insoweit wurde im Kern die zuvor ergangene Rechtsprechung des EuGH kodifiziert,5 die ihrerseits methodisch und politisch durchaus mutig und dynamisch war.6 Andererseits begegneten in Art. 18–21 Brüssel I-VO innovative, so zuvor nicht existierende Momen- 2 te,7 insbesondere die Erweiterung im räumlich-persönlichen Anwendungsbereich durch Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO8 und die Exklusivität des Passivgerichtsstands gegen den Arbeitnehmer.9 Ein Strukturelement ist der Versuch, möglichst weitgehend eine Parallele zu Art. 17–19 Brüssel Ia-VO und Art. 10–16 Brüssel Ia-VO herzustellen. Primär Art. 17–19 Brüssel Ia-VO sind deutlich als systematisches Vorbild zu erkennen.10 Dies gilt vor allem für die Trennung nach Klagen des Arbeitnehmers und Klagen des Arbeitgebers.11 Die Brüssel Ia-VO hat namentlich in Art. 21 Abs. 2 Brüssel IaVO und durch die Zulassung des Streitgenossenschaftsgerichtsstands in Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO a.E. den Arbeitnehmerschutz noch ausgedehnt.12 Jenseits dieser legislativen Innovationen wird Auslegungskontinuität vom EuGVÜ über Brüssel I-VO zur Brüssel Ia-VO zum Desiderat.13 Die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers wird zum fundamentalen Axiom.14 Die Berufs- 3 ausübungsfreiheit des Arbeitnehmers aus Art. 15 Abs. 1 GRC gewinnt eine zuständigkeitsrechtliche Dimension und größeres Gewicht in der Abwägung als die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers aus Art. 16 GRC.15 Die primärrechtliche Wertung bricht sich selbst normhierarchisch dann Bahn, wenn völkerrechtliche und völkervertragliche Wertungen ihr entgegenstehen sollten.16 Auf der Arbeitgeberseite ist unerheblich, ob Arbeitgeber ein Unternehmen oder ein Privater ist, erst recht, welche Größe ein arbeitgebendes Unternehmen hat. Es gibt keine telelogische Reduktion der Art. 20–23 Brüssel Ia-VO zugunsten von kleinen, mittleren oder Mikro-Unternehmen.17
1 Begründung der Kommission KOM (1999) 348, 17; Hausmann, EuLF 2000/01, 40, 46; Droz/Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 90 (2001) 601, 633; Mankowski, IPRax 2003, 21, 27; Rosner, 131; Hüßtege in Thomas/Putzo Vor Art. 20 Rz. 1; kritisch zur Terminologie Junker, FS Schlosser (2005) 299, 308. 2 Junker, RIW 2002, 569, 574; Junker, FS Heldrich (2005) 719, 724; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 307 f. 3 Fach Gómez, Rev. der. com. eur. 14 (2003) 181, 193. 4 Behr, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 15, 21. 5 Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 4. 6 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 4. 7 Lombardi/Martinelli, Contratto e impresa/Europa 2001, 371, 389. 8 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 18 EuGVVO Rz. 3 f. 9 Menjucq in Béguin/Menjucq (Hrsg.), Droit du commerce international (2005) Rz. 2134. 10 Ebenso C. Müller, 47; de Sousa Gonçalves, Estudos em Memória do Professor Doutor António Marques dos Santos (2005) 35, 49; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 2. 11 Hausmann, EuLF 2000/01, 40, 46; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1; Behr, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 15, 21. 12 Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 5.1 sowie Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 2. 13 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 33 f. 14 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 46, 60 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; James Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [17], [2016] ILPr 51 (C.A., per MooreBick L.J.); Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 13. 15 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 21. 16 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 30–32. 17 Zur generellen Stellung von KMU im europäischen Arbeitsrecht Stöhr, EuZA 2019, 203.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich 4
Art. 20–23 Brüssel Ia-VO schaffen ein prinzipiell abschließendes Regime für Streitigkeiten aus Individualarbeitsverträgen.18 Wesentliche Leitmotive dafür sind Schutz- und Privilegierungsfunktion zugunsten des Arbeitnehmers als der typischerweise schwächeren Partei.19 Arbeitnehmer sehen sich typischerweise besonderen Schwierigkeiten bei Prozessen außerhalb ihres Wohn- oder Arbeitsstaates ausgesetzt: Sprachbarrieren, Informationskosten, Suchkosten für Anwälte, während gerade multinationale Arbeitgeber auf der Gegenseite Inhouse Counsel und die Unterstützung großer Law Firms genießen.20 Andere als die in Art. 20–23 Brüssel Ia-VO ausdrücklich zugelassenen weiteren Gerichtsstände21 (Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO gegen den Arbeitgeber, Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO gegen den Arbeitnehmer und richtigerweise auch gegen den Arbeitgeber, Art. 6 Brüssel Ia-VO gegen in Drittstaaten ansässige Parteien) sind zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht gegeben.22 Insoweit entfalten Art. 20–23 Brüssel Ia-VO Verdrängungswirkung.23 Art. 20–23 Brüssel Ia-VO stehen weit oben in der Hierarchie der Gerichtsstände und stechen nahezu alles andere aus;24 nur den objektiven ausschließlichen Gerichtsständen aus Art. 24 Brüssel Ia-VO müssen selbst sie weichen.
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Dies gilt auch, wenn das nationale Recht dem Arbeitnehmer mehr Optionen an Gerichtsständen für Klagen gegen drittstaatliche Arbeitgeber einräumen würde, z.B. durch einen Gerichtsstand am Abschlussort des Vertrags (ohne dass an diesem eine Niederlassung des Arbeitgebers wäre).25 Der Vorbehalt zugunsten (auch) des Art. 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO in Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO besagt nichts anderes,26 sondern im Gegenteil, dass die nationalen Regeln zurückgeschnitten sind, soweit die Brüssel Ia-VO selber Gerichtsstände gegen drittstaatsansässige Beklagte reguliert. Auch die Beschränkung der negativen Gerichtspflichtigkeitsgarantie aus Art. 5 Brüssel Ia-VO auf Beklagte mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat steht einer Auslegung der Art. 20–23 Brüssel Ia-VO als abschließend nicht entgegen.27
18 Siehe nur EuGH v. 22.5.2008 – C-462/06, ECLI:EU:C:2008:299 Rz. 18 – Laboratoires GlaxoSmithKline vs. Jean-Pierre Rouard; EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 44 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim; EuGH v. 14.9.2017 – verb. Rs. C-168/16 u. C-169/16, ECLI:EU:C:2017:688 Rz. 51 – Sandra Nogueira u.a. vs. Crewland Ireland Ltd.; Miguel José Moreno Osacar vs. Ryanair Designated Acitivities Ltd.; EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 Rz. 25 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida; BAGE 132, 182 Rz. 40; östOGH, ecolex 2015/390, 892 = DRdA 2016/7, 55 m. Anm. Burger = RdW 2016/90, 124; LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 37 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski; LAG Niedersachsen, NZA-RR 2017, 611, 612; Hof Amsterdam, NIPR 2019 Nr. 171 S. 436; Ian Shannon v. Global Tunneling Experts UK Ltd. et al [2015] EWHC 1267 (Q.B.) [51] (Q.B.D., Lay J.); Mankowski, LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 7 S. 15 (März 2004); Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 4 (2005); Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 85; Stella, Int’l Lis 2016, 67, 69; Mankowski, EuZA 2016, 244, 245; Mankowski, EuZA 2017, 126, 128; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 8. 19 Siehe nur EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 43 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim; EuGH v. 14.9.2017 – verb. Rs. C-168/16 u. C-169/16, ECLI: EU:C:2017:688 Rz. 49 – Sandra Nogueira u.a. vs. Crewland Ireland Ltd.; Miguel José Moreno Osacar vs. Ryanair Designated Acitivities Ltd.; EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 Rz. 23 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida; GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 7.5.2015 in der Rs. C-47/14, ECLI:EU:C:2015: 309 Rz. 27; James Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [18], [2016] ILPr 51 (C.A., per Moore-Bick L.J.); Peter Miles Bosworth v. Arcadia Petroleum Ltd. [2016] EWCA Civ 818 [29], [64] (C.A., per Gross L.J.); Rauscher, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 695; Behr, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 15, 22 f.; Hernández Rodríguez, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 852, 857; Juárez Pérez, Cuad. Der. Trans. 11 (1) (2019) 372, 382. 20 Fornasier, in International Encyclopedia of Private International Law, Vol. 1: Entries A-H (2017) 624, 625 f. 21 Hof Arnhem, NIPR 2013 Nr. 55 S. 126 prüft nachgerade ober-, ja überschulmäßig, ob einer der Vorbehalte greift, und schließt dies schnell aus. 22 Siehe nur BAGE 137, 71; BAG, RIW 2013, 565, 567 Rz. 20. 23 Hüßtege in Thomas/Putzo Vor Art. 20–23 Rz. 1; Däubler, NZA 2003, 1297, 1299; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 1 (2016). 24 Peter Miles Bosworth v. Arcadia Petroleum Ltd. [2016] EWCA Civ 818 [30] (C.A., per Gross L.J.); Briggs, Rz. 2.10. 25 A.A. Garcimartín Álferez/Sara Sánchez, Rev. esp. der. eur. 48 (2013), 9, 15 f. 26 A.A. Garcimartín Álferez/Sara Sánchez, Rev. esp. der. eur. 48 (2013), 9, 16. 27 A.A. Garcimartín Álferez/Sara Sánchez, Rev. esp. der. eur. 48 (2013), 9, 16.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
Der grundsätzlich abschließende Charakter besteht nur für Hauptsacheklagen. Dagegen versperrt er nicht den Rückgriff auf Art. 35 Var. 2 Brüssel Ia-VO und die Eilgerichtsstände des nationalen Rechts für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes,28 es sei denn, man wollte dies für Eilrechtsschutz des Arbeitgebers teleologisch reduzieren.29
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2. Ausdrückliche Zulassung des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft aus Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO Eröffnet ist kraft ausdrücklicher Festschreibung in Abs. 1 a.E. auch der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft aus Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO für eine Klage des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer kann seinen Arbeitgeber also auch am allgemeinen Gerichtsstand eines Streitgenossen zusammen mit diesem anderen Beklagten verklagen. Das kann praktisch erhebliche Bedeutung bei Klagen gegen mehrere Arbeitgeber haben,30 z.B. in Konzernkonstellationen,31 bei Arbeitnehmerüberlassungen, anderen Arten der Arbeitnehmerleihe und doppelten Arbeitsverhältnissen. Dass dem Arbeitnehmer der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft aus Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO eröffnet ist, ist eine Neuerung in der Brüssel Ia-VO. Sie erfolgt gezielt, um die gegenläufige Entscheidung GlaxoSmithKline/Rouard des EuGH,32 ergangen zu Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO, zu korrigieren. Diese viel kritisierte Entscheidung sah den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft schlechthin und umfassend ausgeschlossen, weil Art. 18–21 Brüssel I-VO ein geschlossenes System seien. Teleologischen Überlegungen versperrte sich der EuGH. Der abschließende Charakter des Regimes soll im Prinzip den Arbeitnehmer schützen. Mit der Lösung des EuGH würde er sich aber gegen den Arbeitnehmer kehren, weil er ihm eine Option versagen würde.33 Der europäische Gesetzgeber hat diese Fehlentwicklung nun beendet und die zwischenzeitlich verloren gegangene Option wiedereröffnet.34 Der Arbeitnehmerschutz wird zum zentralen Aspekt.35
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Die ausdrückliche Zulassung des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO in Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO a.E. 8 durchbricht und überspielt jeden Umkehrschluss, den man sonst aus Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO oder aus Art. 22 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu ziehen geneigt sein könnte.36 Sie ist ausgesprochen sinnvoll: Erstens würde ohne sie der Arbeitnehmer vor einer schwierigen Auswahlentscheidung stehen, welchen seiner Arbeitgeber er verklagen soll, insbesondere wenn – wie häufig in Konzernen oder bei Doppelarbeitsverhältnissen – sich Ansprüche nicht oder zumindest nicht vollständig einem bestimmten Arbeitsverhältnis zuordnen lassen.37 Arbeitgeber innerhalb eines Konzerns wie Verleiher und Entleiher bei einer atypischen Arbeitnehmerleihe mit zwei Arbeitsverhältnissen stehen miteinander in Kontakt, und Konnexität der Ansprüche ist die natürliche Konsequenz.38 Außerdem darf es keine Anreize zu besonders ausgeklügelten Vermeidungsgestaltungen geben.39 Zweitens spricht das Ordnungsinteresse, widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, für eine Konzentrationsmöglich-
28 Garber, Einstweiliger Rechtsschutz nach der EuGVVO (2011) 120 f.; Neumayr/Geroldinger/Garber, Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 51. 29 Näher Art. 22 Brüssel Ia-VO Rz. 2 (Mankowski). 30 LAG Berlin-Brandenburg, ZInsO 2018, 2114 Rz. 16–18. 31 Siehe GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 24.1.2019 in der Rs. C-603/17, ECLI:EU:C:2019:65 Rz. 109. 32 EuGH v. 22.5.2008 – C-462/06, ECLI:EU:C:2008:299 – Laboratoires GlaxoSmithKline vs. Jean-Pierre Rouard. 33 Mankowski, EuZA 2008, 104, 114 f. 34 Makridou, ZZPInt 15 (2010) 199, 211 f.; Pesce, Dir. comm. int. 2014, 579, 597; Nord, JCP S No. 52, 23 décembre 2014, S. 22, 26; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 50. 35 Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6; Nord, JCP S No. 52, 23 décembre 2014, S. 22, 26. 36 Dafür unter Art. 18 Abs. 1 Brüssel I-VO; Art. 20 Abs. 2 Brüssel I-VO EuGH v. 22.5.2008 – C-462/06, ECLI: EU:C:2008:299 Rz. 19-23 – Laboratoires GlaxoSmithKline vs. Jean-Pierre Rouard; Polak, Ars Aequi 2008, 641, 644 f. Dagegen Mankowski, EuZA 2008, 104, 112 f.; Mankowski, EWiR Art. 18 EuGVVO 1/08, 435, 436; Heredia Cervantes, REDI 2006, 434, 440 f.; vgl. auch Franzina, NGCC 2008 I 1093, 1096 f.; J. Harris (2008) 124 LQR 523, 526; Arenas García, REDI 2008, 227. 37 Krebber, IPRax 2009, 409, 411; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 51. 38 Siehe Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6. 39 Siehe GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 24.1.2019 in der Rs. C-603/17, ECLI:EU:C:2019:65 Rz. 109.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich keit.40 Anders als im Internationalen Arbeitnehmerprozessrecht fehlt es dem Arbeitnehmer an der Möglichkeit, Klagen gegen alle beklagten Arbeitgeber an seinem Wohnsitz zu konzentrieren, was einen Verzicht auf den Streitgenossenschaftsgerichtsstand leichter fallen ließe.41 9
Andererseits ist zu vermeiden, dass Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO dem Arbeitgeber einen zusätzlichen Gerichtsstand eröffnete.42 Genau dies gebietet die Konsequenz gerade unter Schutzaspekten,43 denn Schutzregimes begünstigen gezielt eine Partei und behandeln die andere schlechter,44 wie Erwägungsgrund 13 Brüssel I-VO nochmals unterstreicht.45 Diese Konsequenz zieht Art. 20 Abs. 1 Brüssel IaVO aE. Denn er eröffnet (konsequent und gleichsam „einseitig“46) den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft eben nur für den Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber, nicht aber umgekehrt für den Arbeitgeber gegen den Arbeitnehmer. Der Grundsatz des Art. 22 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, dass dem klagenden Arbeitgeber nur der Gerichtsstand am Wohnsitz des Arbeitnehmers offensteht, wird nicht durchbrochen.47 Zwar mögen Klagen des Arbeitgebers gegen mehrere Arbeitnehmer in einem Verfahren selten sein,48 sie sind jedoch denkbar, und es ist eine Frage des Prinzips zu verhindern, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aus dessen natürlichem Forum herauszwingen und dem Arbeitnehmer ein „Auswärtsspiel“ aufnötigen kann.49 Insoweit ist die Öffnung zu Art. 8 Nr. 1 Brüssel IaVO asymmetrisch.50
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Außerdem besteht der Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO, wenn der Arbeitnehmer neben seinem Arbeitgeber an dem Sitz dieses Arbeitgebers51 ein weiteres Unternehmen (z.B. ein Konzernunternehmen) verklagt52 oder der Arbeitgeber neben seinem Arbeitnehmer externe Dritte.53 In der ersten Konstellation kann Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO eine Möglichkeit bieten, Unsicherheiten über die konkrete Arbeitgeberposition innerhalb des Konzerns zu überspielen.54
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Des Weiteren ist der Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO eröffnet, wenn und soweit der Arbeitnehmer deliktische (und damit außervertragliche) Ansprüche aus einem Arbeitsunfall geltend macht.55 Auch umgekehrt greift nicht Art. 22 Brüssel Ia-VO, sondern es greift Art. 7 Nr. 2 Brüssel IaVO, soweit der Arbeitgeber seinerseits deliktische Ansprüche gegen seinen Arbeitnehmer geltend macht56 (es sei denn, es handelte sich gar nicht um deliktische Ansprüche, sondern um letztlich57 40 Mankowski, EuZA 2008, 104, 116 f.; Mankowski, EWiR Art. 18 EuGVVO 1/08, 435, 436; J. Harris (2008) 124 LQR 523, 527 sowie Franzina, NGCC 2008 I 1093, 1097 f. 41 Jault-Seseke, Rev. crit. dip. 97 (2008) 853, 858. 42 EuGH v. 22.5.2008 – C-462/06, ECLI:EU:C:2008:299 Rz. 29-31 – Laboratoires GlaxoSmithKline vs. Jean-Pierre Rouard. 43 Entgegen EuGH v. 22.5.2008 – C-462/06, ECLI:EU:C:2008:299 Rz. 29 – Laboratoires GlaxoSmithKline vs. Jean-Pierre Rouard. 44 Ebenso Krebber, IPRax 2009, 409, 412. 45 J. Harris (2008) 124 LQR 523, 525. 46 Pesce, Dir. comm. int. 2014, 579, 598; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 52. 47 Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 88. 48 Begründung der Kommission, KOM (2010) 748, S. 11. 49 Siehe Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 88; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 52 sowie Garber/Neumayr, JbEuR 2011, 255, 268. 50 Gulotta, Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 619, 621. 51 Nicht dagegen im Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes oder der einstellenden Niederlassung, weil es dann an der Grundvoraussetzung des Art. 8 Nr. 1 fehlt; Mankowski, EuZA 2008, 104, 109. 52 Ian Shannon v. Global Tunneling Experts UK Ltd. et al [2015] EWHC 1267 (Q.B.) [56]–[57] (Q.B.D., Lay J.); Mankowski, LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 7 S. 15, 16 (März 2004) sowie Ktg. Amsterdam, NIPR 2003 Nr. 28 S. 65 f.; Gardeñes Santiago, AEDIPr 2005, 742, 744 f. 53 G. Schmidt, NIPR 2001, 150, 158. 54 Krebber, IPRax 2009, 409, 412; Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 21 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 12. 55 Hoppe, 62 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 6 (2005); Mankowski, EuZA 2016, 368, 372; Mankowski, EuZA 2017, 126, 129 sowie Behr, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 15, 27; Makridou, ZZPInt 15 (2010) 199, 202. Näher zu Arbeitsunfällen im IPR und IZPR Espiniella Menéndez, REEI 37 (2019) art 09. A.A. Ian Shannon v. Global Tunneling Experts UK Ltd. et al [2015] EWHC 1267 (Q.B.) [52]–[55] (Q.B.D., Lay J.). 56 Swithenbank Foods Ltd. v. Bowers [2002] 2 All ER (Comm) 974, 982 f. (Q.B.D., McGonigal J.); Alfa Laval Tumba AB v. Separator Spares International Ltd. (in liquidation) [2011] EWHC 1155 (Ch.) [31] (Ch. D., M Briggs J.); Hoppe, 62 f., 65 f.; Behr, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 15, 27; Geimer/Schütze/S. Auer, Rz. 6 (2005); Jun-
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
vertraglich zu qualifizierende Ansprüche; dann ist Art. 22 Brüssel Ia-VO gegeben58). Das bloße Faktum, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsvertrag besteht, führt nicht dazu, dass alle Ansprüche zwischen ihnen automatisch vertraglich zu qualifizieren wären.59 In den genannten Konstellationen besteht auch jeweils der allgemeine Gerichtsstand nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.60 Art. 20–23 Brüssel Ia-VO sind auf außervertragliche Rechtsverhältnisse also prinzipiell nicht an- 12 wendbar. Obwohl das Gegenteil im Interesse des Arbeitnehmerschutzes durchaus wünschenswert sein könnte,61 schlägt auch hier zu Buche, dass unter der Brüssel Ia-VO vertragliche und außervertragliche Ansprüche einander nicht anziehen und miteinander nicht die Gerichtsstände teilen.62 Zudem drohten ansonsten Arbeitnehmer- und Geschädigtenschutz miteinander in Konflikt zu geraten.63 Eine Annexkompetenz, dass außervertragliche Ansprüche in den Vertragsgerichtsstand gezogen würden, besteht ebenfalls nicht.64 Unproblematisch ist der Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO dagegen eröffnet, wenn Beklagter ein Dritter ist.65 Denn jeden (echten) Dritten66 verbindet per definitionem kein arbeitsvertragliches Band mit dem Arbeitgeber oder dem Arbeitnehmer.67 Den neuen Arbeitgeber von Ex-Mitarbeitern verbindet in aller Regel auch kein sonstiger Vertrag mit dem alten Arbeitgeber. Ex-Mitarbeiter nehmen nicht nur ihr persönliches Können und Know-how mit, sondern auch ihr betriebliches Insiderwissen, insbesondere ihr Wissen um Kunden- oder Lieferantenbeziehungen. Arbeitgeber können ein vitales Interesse daran haben, dass ihre Ex-Mitarbeiter dieses wie jenes nicht zu ihrem Schaden nutzen. Der neue Arbeitgeber kann Wettbewerber des alten Arbeitgebers sein und deshalb sehr interessiert am Wissen der Arbeitnehmer. Der alte Arbeitgeber mag gegen ihn aus Lauterkeitsrecht vorgehen, um Kundenabwerbung oder Know-how-Ausnutzung zu verhindern.
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Durchgriffsklagen des Arbeitnehmers gegen eine eventuelle Muttergesellschaft seines Arbeitgebers unterfallen mangels vertraglicher Verbindung zwischen den Prozessparteien nicht Art. 20–23 Brüssel Ia-
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ker, NZA 2005, 199, 203; Bosse, 74 f.; Mankowski, EuZA 2016, 368, 372; Mankowski, EuZA 2017, 126, 129; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 12. A.A. Rauscher, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 695, 706; Schlosser/ Hess/Schlosser, Rz. 3. Zumal unter Berücksichtigung von EuGH v. 13.3.2014 – C-548/12, ECLI:EU:C:2014:148 Rz. 2 – Marc Brogsitter vs. Fabrication de Montres Normandes EURL u. Karsten Fräßdorf. Wie hier ÖstOGH, ÖJZ 2015, 1051 m. Anm. Brenn = ZfRV-LS 2015/63; Hof ’s-Hertogenbosch, NIPR 2015 Nr. 314 S. 554; Mankowski, EuZA 2016, 368, 372 f.; Mankowski, EuZA 2017, 126, 129 f.; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 12; Wieczorek/Schütze/ Temming, Rz. 70 f. Am Beispiel Veruntreuung oder Unterschlagung GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 24.1.2019 in der Rs. C-603/17, ECLI:EU:C:2019:65 Rz. 67–103; Peter Miles Bosworth vs. Arcadia Petroleum Ltd. [2016] EWCA Civ 818 [29], [64] (C.A., per Gross L.J.); Cunico Resources NV v. Daskalakis [2019] EWHC 57 (Comm) [36], [2019] 1 BCLC 584 (Q.B.D., A. Baker J.). Hof Arnhem, NIPR 2013 Nr. 55 S. 126; Hof ’s-Hertogenbosch, NIPR 2015 Nr. 314 S. 554; Alfa Laval Tumba AB v. Separator Spares International Ltd. (in liquidation) [2012] EWCA Civ 1569, [2013] 1 WLR 1110, [2013] 2 All ER (Comm) 177 [24]–[28] (C.A., per Longmore L.J.); James Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [20], [2016] ILPr 51 (C.A., per Moore-Bick L.J.); Lavelle in Lavelle (Hrsg.), The Maritime Labour Law Convention 2006 (2014) Rz. 9.29, 9.31. Peter Miles Bosworth v. Arcadia Petroleum Ltd. [2016] EWCA Civ 818 [72] (C.A., per Gross L.J.). Siehe Rb. Amsterdam, NIPR 2002 Nr. 108 S. 199. Däubler, NZA 2003, 1297, 1299; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3; Junker, NZA 2005, 199, 203. Schon de lege lata für Anwendbarkeit der Art. 20–23 Brüssel Ia-VO unalex Komm/Simons, Vor Art. 18–21 Rz. 9; Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 21 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 11. Ebenso Mankowski, EuZA 2015, 369, 372; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 12 (2016); Neumayr/Geroldinger/ Garber, Rz. 12. Allgemein EuGH v. 27.9.1988 – 189/87, ECLI:EU:C:1988:459 Rz. 19 – Anastasios Kalfelis vs. Bankhaus Schröder Münchmeyer Hengst & Cie.; EuGH v. 27.10.1998 – C-51/97, ECLI:EU:C:1998:509 Rz. 49 – Réunion europénne SA vs. Spliethoff’s Bevrachtingskantoor BV u. Kapitän des Schiffes „Alblasgracht 002“; Cass. civ., Rev. crit. dip. 93 (2004) 652 m. Anm. Ancel; HG Zürich, SZIER 1996, 74, 75 m. Anm. Volken; Rb. Middelburg, NIPR 1996 Nr. 133 S. 204. Hoppe, 65 f.; Müller, 47 f.; Mankowski, EuZA 2017, 126, 129. Mankowski, EuZA 2017, 126, 130 f. ÖstOGH, ÖJZ 2015, 1051 m. Anm. Brenn = ZfRV-LS 2015/63; Mankowski, EuZA 2016, 368 f. Kein „echter“ Dritter ist ein Co-Arbeitgeber oder Mitarbeitgeber. Denn auch ihn verbindet ja ein arbeitsvertragliches Band mit dem Arbeitnehmer, wenn auch ein eigenes, selbstständiges und unabhängiges. Mankowski, EuZA 2016, 368, 373.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich VO.68 Der Gerichtsstand der rügelosen Einlassung aus Art. 26 Brüssel Ia-VO besteht nach der Kodifikation der Bílas-Entscheidung69 des EuGH in der Neufassung des Art. 26 Brüssel Ia-VO70 und ausweislich insbesondere Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO auch gegen den Arbeitnehmer (obwohl eine differenziertere Betrachtung sachlich besser wäre71). 15
Die ausschließlichen Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel Ia-VO gehen immer vor und verdrängen auch Art. 20–23 Brüssel Ia-VO;72 dies kann Bedeutung haben, soweit der Arbeitnehmer Mieter einer Werkwohnung ist73 oder soweit es um den Bestand von Arbeitnehmererfindungen oder -urheberrechten geht.74
II. Individualarbeitsvertragliche Streitigkeit 1. Definition 16
Art. 20 Brüssel Ia-VO definiert den Begriff des Individualarbeitsvertrages nicht ausdrücklich, ebenso wenig wie den Begriff des Arbeitnehmers.75 Vielmehr setzt er den Begriff des Individualarbeitsvertrags voraus. Implizit bezieht er sich damit auf zwei Quellen:76 zum einen auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ77 und zum anderen auf den (weiten78) primärrechtlichen Arbeitnehmer- und Arbeitsvertragsbegriff,79 wie er unter Art. 45 AEUV (ex Art. 39 EGV) Gültigkeit hat.80 Das Primärrecht verlangt bei einem Sekundärrechtsakt sowohl unter dem Aspekt einer die 68 Palao Moreno, YbPIL 4 (2002) 303, 314. 69 EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290 Rz. 29-33 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as u. Vienna Insurance Group vs. Michal Bílas. 70 Nuyts, Rev. crit. dip. dip 102 (2013) 1, 60; Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 446; Mankowski, RIW 2016, 245 (245); Simotta, ZVglRWiss 115 (2016), 95, 101 f.; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 9.2, Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 49 sowie d’Avout, D 2013, 1014, 1021. Ebenso zuvor schon unter Art. 24 Brüssel I-VO (heute für Art. 24 LugÜbk 2007 fortzuführen) BAG v. 23.3.2016 – 5 AZR 767/14, NZA 2017, 78 Rz. 14; BAG, AP Nr. 85 zu § 4 KSchG 1969 Rz. 27 = RIW 2017, 233. 71 Eingehend Mankowski, IPRax 2001, 310; zustimmend Bosse, 272–275; Marino, Contratto e impresa/Europa 2009, 285, 299 f. 72 Siehe nur TSJ Cataluña, REDI 2016-1, 190, 191 m. Anm. García Mirete; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 17. 73 Insoweit a.A. Winterling, 47; Mayr/Wittwer, Rz. 3.498; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 18. 74 Junker, FS Schlosser (2005) 299, 307 f.; Bosse, 95; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 19. 75 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 35 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim. 76 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 3 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim; Mankowski, BB 1997, 465, 467 f.; Trenner, 84 f.; Mosconi, Riv. dir. int. priv. proc. 2003, 5, 11; Mosconi, FS Sonnenberger (2004) 549, 555 f.; Casado Abarquero, La autonomía de la voluntad en el contrato de trabajo internacional (2008) 51–76; Merrett, Employment Agreements in Private International Law (2011) 58–62; Carballo Piñeiro, REDI 2014–1, 278, 279; vgl. auch OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3127; LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 38 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski; WPP Holdings Italy srl v. Benatti [2006] 2 Lloyd’s Rep. 610, 622 (Q.B.D., Field J.); C. Müller, 51; Abele, FA 2013, 357, 358. 77 Dort namentlich EuGH v. 15.1.1987 – 266/85, ECLI:EU:C:1987:11 – H. Shenavai vs. K Kreischer, EuGHE 1987, 239, 255 f. Rz. 16. 78 Siehe nur EuGH v. 14.6.2012 – C-542/09, ECLI:EU:C:2012:346 Rz. 68 – Kommission vs. Niederlande; EuGH v. 26.3.2015 – C-279/13, ECLI:EU:C:2015:199 Rz. 28 – Iraklis Haralambidis vs. Calogero Casilli. 79 Siehe nur BAG, NZA-RR 2014, 46 Rz. 20; BAG v. 20.10.2015 – 9 AZR 525/14, NZA 2016, 254 Rz. 18; BAG, AP Nr. 85 zu § 4 KSchG 1969 Rz. 54 = RIW 2017, 233; Temming, jurisPR-ArbR 8/2016 Anm. 6 sub C. 80 Dort namentlich EuGH v. 23.3.1982 – 53/81, ECLI:EU:C:198 2:105 Rz. 9 – D M Lewin vs. Staatssecretaris van Justitie; EuGH v. 3.7.1986 – 66/85, ECLI:EU:C:1986:284 Rz. 17 – Deborah Lawrie-Blum vs. Land BadenWürttemberg; EuGH v. 8.6.1999 – C-337/97, ECLI:EU:C:1999:284 Rz. 13 – CPM Meeusen vs. Hoofddirectie van de Informatie Beheer Groep; EuGH v. 31.5.2001 – C-43/99, ECLI:EU:C:2001:303 Rz. 55 – Ghislain Leclere u. Alina Deaconescu vs. Caisse nationale des prestations familiales; EuGH v. 6.11.2003 – C-413/01, ECLI:EU: C:2003:600 Rz. 24 – Franca Ninni-Orasche vs. Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst; EuGH v. 23.3.2004 – C-138/02, ECLI:EU:C:2004:172 Rz. 26 – Brian Francis Collins vs. Secretary of State for Work and Pensions; EuGH v. 7.9.2004 – C-456/02, ECLI:EU:C:2004:488 Rz. 15 – Michel Trojani vs. Centre public
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
Normhierarchie beachtenden Auslegung als auch unter jenem der systematischen Auslegung Beachtung. Der Arbeitnehmerbegriff des Primärrechts ist zwar für eine Grundfreiheit entwickelt worden; er ist aber nicht so spezifisch geprägt oder gefärbt, dass er sich nicht übertragen ließe.81 Im Gegenteil hat der EuGH ausdrücklich ausgesprochen, dass der Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV für alle unter Art. 288 AEUV erlassenen Sekundärrechtsakte gilt.82 Ein Gesamtsystem des europäischen Arbeitnehmerbegriffs in den verschiedenen Akten des Sekundärrechts geht vom Primärrecht des Art. 45 AEUV aus.83
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Darüber erzielte Kohärenz zwischen dem Arbeitsnehmer- und Arbeitsvertragsbegriff des Art. 20 Brüssel Ia-VO einerseits und des sonstigen Sekundärrechts andererseits ist ein Pluspunkt.84 Der Import aus dem Primärrecht schließt eine ansonsten empfindliche Lücke im Sekundärrecht.85 Worin so gewichtige Abweichungen gerade des IZPR spezifisch beim Arbeitnehmerverständnis bestünden, dass ein solcher Import nicht stattfinden dürfte,86 bedürfte eingehender Darlegung. Ein solcher Import aus dem Primärrecht scheitert nicht etwa an unterschiedlichen Regelungsanliegen.87 Vielmehr ist umgekehrt, soweit möglich, eine primärrechtskonforme und primärrechtsorientierte Auslegung des Sekundärrechts mindestens wünschenswert. Zudem erschiene es kaum möglich, überzeugend eine echte Alternative aufzubauen, dass unter Abs. 1 inhaltlich-funktionell „der Begriff Arbeitsvertrag“ anders verstanden werden könnte als unter Art. 45 AEUV.88 Abweichende Kriterien sind denn bisher auch nie ernsthaft vorgeschlagen worden.
18
Hinzu kann eine rechtsvergleichende Betrachtung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen treten.89 Eine Auslegung unter echter Qualifikationsverweisung auf ein mitgliedstaatliches Recht verbietet jedoch zusätzlich der Umkehrschluss aus Art. 4 Abs. 2 RL 96/71/EG, wo ein solches alternatives Modell gewählt und ausdrücklich realisiert wurde.90 Auf das primärrechtliche Konzept greift das Sekundärrecht nämlich ansonsten zurück.91 Eine Dichotomie zwischen Vertragstyp und Statusbegriff des Ar-
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81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91
d’aide sociale de Bruxelles (CPAS); EuGH v. 17.3.2005 – C-109/04, ECLI:EU:C:2005:187 Rz. 12 – Karl Robert Kranemann vs. Land Nordrhein-Westfalen; EuGH v. 17.7.2008 – C-94/07, ECLI:EU:C:2008:425 Rz. 14 – Andrea Raccanelli vs. Max-Planck-Gesellschaft = EuZW 2008, 529 m. Anm. Repasi; EuGH v. 7.4.2011 – C-519/09, ECLI:EU:C:2011:221 Rz. 21 – Dieter May vs. AOK Rheinland/Hamburg – Die Gesundheitskasse; EuGH v. 3.5.2012 – C-337/10, ECLI:EU:C:2012:263 Rz. 23 – Georg Neidel vs. Stadt Frankfurt/M.; EuGH v. 13.12.2012 – C-379/11, ECLI:EU:C:2012:798 Rz. 25 – Caves Krier Frères SA vs. Directeur de l’Administration de l’emploi; EuGH v. 28.2.2013 – C-544/11, ECLI:EU:C:2013:124 Rz. 30 – Helga Petersen u. Peter Petersen vs. Finanzamt Ludwigshafen; EuGH v. 19.6.2014 – C-507/12, ECLI:EU:C:2014:2007 Rz. 35 – Jessy Saint Prix vs. Ministery of State for Work and Pensions; EuGH v. 26.3.2015 – C-279/13, ECLI:EU:C:2015:199, ECLI:EU: C:2014:2185 Rz. 28 – Iraklis Haralambidis vs. Calogero Casilli; EuGH v. 4.12.2014 – C-413/13, ECLI:EU:C: 2014:2411 Rz. 34 – FNV Kunsten Informatie en Media vs. Staat der Nederlanden; EuGH v. 19.7.2017 – C-143/16, ECLI:EU:C:2017:566 Rz. 19 – Abercrombie & Fitch Italia Srl/Antonio Bordonaro; EuGH v. 25.10.2018 – C-260/17, ECLI:EU:C:2018:864 Rz. 28 – Anodiki Services EPE vs. G.N.A., O Evangelismos – Ofthalmiatreio Athinon – Polykiniki; BAGE 132, 182 Rz. 40; BAG, RIW 2013, 803, 804. Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013) 31, 50; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 81. A.A. Knöfel, RdA 2006, 269, 271; Knöfel, EuZA 2016, 348, 360 f. Zu Versuchen differenzierter Arbeitnehmerbegriffe im europäischen Arbeitsrecht z.B. Kontouris, (2018) 47 Industrial L.J. 192; Wank, EuZA 2018, 327. EuGH v. 7.4.2011 – C-519/09, ECLI:EU:C:2011:221 Rz. 22 – Dieter May vs. AOK Rheinland/Hamburg – Die Gesundheitskasse. Zustimmend Temming, SR 2016, 158, 160 f.; Wank, EuZW 2018, 21; Wank, EuZA 2018, 327. Forst, EuZW 2015, 664, 665, 667; Mankowski, RIW 2015, 821 (821). Siehe EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 41, 46 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim. Siehe nur Mankowski, EuZA 2015, 358, 360. So Knöfel, EuZA 2016, 348, 360 f. Dahin aber Jault-Seseke, Bull. Joly Sociétés 2015, 222, 223. Mankowski, EuZA 2016, 107, 111. Eingehend Springer, 91–125. Behr, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 15, 32; Junker, EuZA 2016, 184, 186. A.A. Knöfel, EuZA 2016, 348, 363. Bosse, 64 f.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich beitnehmers lässt sich bei Arbeitsverträgen nicht herstellen.92 Hilfe kann auch ein Blick auf Art. 8 Rom I-VO; Art. 6 EVÜ versprechen.93 Abweichende Vorstellungen nationaler Rechte zählen nicht.94 20
Aus diesen Quellen95 gespeist ergibt sich folgende Definition:96 Ein Individualarbeitsvertrag ist ein Vertrag, in dem sich die eine Partei für eine gewisse Dauer verpflichtet, gegen Vergütung für die andere Partei Dienste zu erbringen, dabei deren Weisungen unterworfen ist und sich in deren betriebliche Organisation eingliedert, kein eigenes unternehmerisches Risiko trägt97 und keine eigene unternehmerische Entscheidungsfreiheit hat. Verlangt ist ein Über/Unterordnungsverhältnis,98 das aus der Weisungsgebundenheit resultiert.99 Eine gewisse soziale und wirtschaftliche Abhängigkeit der schwächeren Partei kann hinzutreten;100 sie wirkt indes nur indiziell und ist nicht notwendig,101 zudem allein für sich auch nicht hinreichend.102 Die Arbeitnehmereigenschaft wird konkret-objektiv tätigkeitsbezogen,103 weder vertragstyp- noch statusbezogen ermittelt.104 Die Betrachtung ist typisierend und stellt nicht auf die konkrete wirtschaftliche Potenz oder rechtliche Erfahrung des potentiellen Arbeitnehmers ab.105 Ein ausdrücklicher Vertrag ist nicht notwendig.106 Die Darlegungs- und Beweislast 92 Wie hier Temming, IPRax 2015, 509, 511. A.A. Knöfel, ZfA 2006, 397, 429 f. 93 Hof Arnhem, NIPR 2013 Nr. 55 S. 126. 94 LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 36 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski; Temming, IPRax 2015, 509, 511. 95 Siehe auch Waas/van Voss (Hrsg.), Restatement of Labour Law in Europe I: The Concept of Employee (2017). 96 EuGH v. 11.4.2019 – C-603/17, ECLI:EU:C:2019:310 Rz. 25 – Peter Bosworth u. Colin Hurley vs. Arcadia Petroleum Ltd.; Mankowski, BB 1997, 465, 469; Temming, IPRax 2015, 509, 511; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 36 (2016); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 30; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 85, 87 sowie EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 45 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim; GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C: 2011:564 Rz. 88; GA Pikamäe, Schlussanträge v. 26.11.2019 in der Rs. C-610/18, ECLI:EU:C:2019:1010 Rz. 43; BAG, AP H 4/2004 Nr. 1 zu Art. 7 Lugano-Abkommen Bl. 4; BAGE 132, 182 Rz. 40; BAG, EzA § 20 GVG Nr. 8 Rz. 20; BAG, RIW 2013, 803, 804; BAG v. 20.10.2015 – 9 AZR 525/14, NZA 2016, 254 Rz. 18; BAG, AP Nr. 85 zu § 4 KSchG 1969 Rz. 54 = RIW 2017, 233; OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3127; LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 36 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski; östOGH, ÖJZ 1999, 504, 505; James Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [17], [2016] ILPr 51 (C.A., per Moore-Bick L.J.); Hof Amsterdam, NIPR 2019 Nr. 171 S. 435; WPP Holdings Italy srl v. Benatti [2006] 2 Lloyd’s Rep. 610, 622 (Q.B.D., Field J.); Kropholler/von Hein, Art. 18 EuGVO Rz. 2; P. Haas, Eur. Co. L. 13 (2016) 79, 80 und östOGH, ecolex 2005, 311, 312 unter weiterem Hinweis auf östOGH – 9 ObA 247/98h und östOGH, DRdA 2007, 117. Vgl. auch Cavalier/Upex (2006) 55 ICLQ 587. Zu den einzelnen Merkmalen teilweise skeptisch Bosse, 66–71. 97 Insbesondere EuGH v. 4.12.2014 – C-413/13, ECLI:EU:C:2014:2411 Rz. 36 – FNV Kunsten Informatie en Media vs. Staat der Nederlanden; BAG v. 20.10.2015 – 9 AZR 525/14, NZA 2016, 254 Rz. 18; LAG RheinlandPfalz v. 8.10.2019 – 6 Sa 97/19 Rz. 51; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 32; Mankowski, RIW 2019, 505, 506. Ablehnend indes Lüttringhaus, EuZW 2015, 804, 806. 98 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 46 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim; EuGH v. 11.4.2019 – C-603/17, ECLI:EU:C:2019:310 Rz. 26 – Peter Bosworth u. Colin Hurley vs. Arcadia Petroleum Ltd.; BGH NZA 2016, 254 Rz. 18; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.10.2019 –- 6 Sa 97/19 Rz. 51 und unter dem AEUV EuGH v. 20.11.2018 – C-147/17, ECLI:EU:C:2018:926 Rz. 42 – Sindicatu Familia Constant¸a u.a. vs. Direct¸ia Generala˘ de Asistent¸a˘ Sociala˘ s¸i Protect¸ia Copilolui Constant¸a; C. Meyer, EuZA 2020, 86, 93. 99 Siehe EuGH v. 11.4.2019 – C-603/17, ECLI:EU:C:2019:310 Rz. 25 – Peter Bosworth u. Colin Hurley vs. Arcadia Petroleum Ltd.; Garber, GPR 2019, 229, 231 und unter dem EG EuGH v. 20.9.2007 – C-116/06, ECLI: EU:C:2007:536 Rz. 25 – Sari Kiiski vs. Tampereen Kaupunki m.w.N. 100 Siehe EuGH v. 26.3.2015 – C-279/13, ECLI:EU:C:2015:199 Rz. 29 – Iraklis Haralambidis vs. Calogero Casilli. 101 Hessisches LAG, IPRspr. 2011 Nr. 218 S. 572. 102 ÖstOGH, ecolex 2005, 311, 312 unter weiterem Hinweis auf östOGH – 9 ObA 230/99k; WPP Holdings Italy srl v. Benatti [2006] 2 Lloyd’s Rep. 610, 622 (Q.B.D., Field J.). 103 Beispielhaft BAG, NZA 2016, 254 Rz. 21-29. 104 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 83. 105 Garber, GPR 2019, 229 (229). 106 EuGH v. 11.4.2019 – C-603/17, ECLI:EU:C:2019:310 Rz. 27 – Peter Bosworth u. Colin Hurley vs. Arcadia Petroleum Ltd.; GA Pikamäe, Schlussanträge v. 26.11.2019 in der Rs. C-610/18, ECLI:EU:C:2019:1010 Rz. 55.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
für das Vorliegen eines Individidualarbeitsvertrags im konkreten Fall trägt vor deutschen Gerichten derjenige, der sich auf das Vorliegen eines Individualarbeitsvertrags beruft.107 Die Vergütung kann auch in Kost und Logis von einem Wert liegen, der nicht außer Verhältnis zum 21 Wert der erbrachten Dienstleistung steht.108 Erfolgsabhängige Vergütungsteile bewirken nicht automatisch, dass der Betreffende kein Arbeitnehmer mehr wäre.109 Dies gilt grundsätzlich auch bei eingelösten Aktienoptionen, jedenfalls solange es sich nicht um vinkulierte Aktien oder Optionen handelt.110 Allerdings kann sich über eingelöste Optionen eine Beteiligung am unternehmerischen Risiko ergeben, solange die Beteiligung gehalten und nicht entgeltlich veräußert wird, namentlich während des Laufs etwaiger Sperrfristen.111 Arbeiter, Angestellte und leitende Angestellte sind gleichermaßen erfasst.112 Leitende Angestellte spielen keine Sonderrolle, sondern sind weisungsunterworfene „normale“ Arbeitnehmer.113
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Wie die Parteien ihren Vertrag bezeichnen, ist irrelevant;114 Substanz geht vor Form, um keine Mani- 23 pulationsmöglichkeiten qua bloßer Benennung zu eröffnen.115 Z.B. kann ein nominelles „Vereinsmitglied“, das Dienstleistungen erbringt, (z.B. eine Rotkreuz-Schwester) Arbeitnehmer sein.116 Auch Auszubildende, Praktikanten und Referendare sind Arbeitnehmer, wenn ihre Ausbildung unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis durchgeführt wird.117 Teilzeitbeschäftigung und geringfügige Beschäftigung können allgemein reichen,118 ebenso Saisonarbeit,119 alle selbst dann, wenn das darüber erzielte Einkommen unter dem Existenzminimum im Tätigkeitsstaat liegen sollte.120 Ein sog. Beratervertrag kann ein materieller Arbeitsvertrag sein, sogar dann, wenn er mit einer anderen Gesellschaft in einer Gruppe abgeschlossen ist, um so einen Teil der Gehaltszahlung auf anderem Wege ins Werk zu setzen.121 Die Höhe der Vergütung spielt grundsätzlich keine Rolle.122 Anderenfalls drohten gerade die besonders schutzbedürftigen und schutzwürdigen prekären Arbeitsverhältnisse aus dem Schutzregime herauszufallen. Subventionierung aus öffentlichen Kassen (z.B. durch Lohnzuschüsse oder Aufstockung mittels Sozialleistungen) schadet ebenfalls nicht.123
107 BAG v. 20.10.2015 – 9 AZR 525/14, NZA 2016, 254 Rz. 19; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.10.2019 – 6 Sa 97/19 Rz. 54; Mankowski, IHR 2016, 167, 168. 108 EuGH v. 5.10.1988 – 196/87, ECLI:EU:C:1988:475 Rz. 12-14 – Udo Steymann vs. Staatssecretaris van Justitie; Streinz/Franzen, EUV/AEUV (3. Aufl. 2018) Art. 45 AEUV Rz. 28; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 30. 109 EuGH v. 14.12.1989 – 3/87, ECLI:EU:C:1989:650 Rz. 36 – The Queen/Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Agegate Ltd., EuGHE 1989, 4459, 4505 Rz. 36; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 37 (2016). 110 Mankowski, RIW 2004, 167, 171. 111 Mankowski, RIW 2015, 821, 822. 112 Blefgen, 22 m.w.N.; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 33. 113 BAG, AP § 38 ZPO (Internationale Zuständigkeit) Nr. 23 Bl. 5R [27]; Mankowski, AP H 8/2012 § 38 ZPO (Internationale Zuständigkeit) Nr. 23 Bl. 7R, 8. 114 Hof Amsterdam, NIPR 2019 Nr. 171 S. 435; Cunico Resources NV v. Daskalakis [2019] EWHC 57 (Comm) [27], [2019] 1 BCLC 584 (Q.B.D., A. Baker J.). 115 Mankowski, IPRax 2001, 123, 125; Mankowski, RIW 2004, 167, 169. 116 EuGH v. 17.11.2016 – C-216/15, ECLI:EU:C:2016:883 Rz. 36 f. – Betriebsrat der Ruhrlandklink gGmbH vs. Ruhrlandklink gGmbH zur RL 2008/104/EG; dazu Preis/Morgenbrodt, EuZA 2017, 418. 117 EuGH v. 3.7.1986 – 66/85, ECLI:EU:C:1986:284 Rz. 18 ff. – Deborah Lawrie-Blum vs. Land Baden-Württemberg; EuGH v. 26.2.1992 – C-3/90, ECLI:EU:C:1992:89 Rz. 14-17 – M. J. E. Bernini vs. Minister van Onderwijs en Wetenschappen; EuGH v. 17.3.2005 – C-109/04, ECLI:EU:C:2005:187 Rz. 13 – Karl Robert Kranemann vs. Land Nordrhein-Westfalen; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 39 (2016). 118 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 17 (2005); Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 37 (2016). 119 Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 32. 120 EuGH v. 23.3.1982 – 53/81, ECLI:EU:C:1982:105 Rz. 17 – D M Lewin vs. Staatssecretaris van Justitie; C. O. Lenz/Borchardt/Weerth, EUV/AEUV/GRCh (6. Aufl. 2013) Art. 45 AEUV Rz. 7; Streinz/Franzen, EUV/AEUV (3. Aufl. 2018) Art. 45 AEUV Rz. 28. 121 Cunico Resources NV v. Daskalakis [2019] EWHC 57 (Comm) [76], [2019] 1 BCLC 584 (Q.B.D., A Baker J.). 122 Siehe nur EuGH v. 17.3.2005 – C-109/04, ECLI:EU:C:2005:187 – Karl Robert Kranemann vs. Land Nordrhein-Westfalen, EuGHE 2005 I 2421, 2439 Rz. 17 m.w.N. 123 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 17 (2005).
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Work on Demand,124 also ohne dauerhafte oder gar kontinuierliche Beschäftigung, Arbeit nur für bestimmte Projekte, sog. freelancers, temps oder on-call employees und andere Erscheinungsformen der Gig Economy125 (z.B. Crowdworking126) unterfallen dem Arbeitsvertragsbegriff, wenn dessen Anforderungen erfüllt sind. Kontinuierliche oder dauerhafte Beschäftigung ist eben kein Kriterium des Arbeitsvertragsbegriffs. Z.B. können auch Plattformen und angebliche Vermittler wie Uber127 zu Arbeitgebern avancieren, wenn sie Weisungen erteilen und Mikromanagement betreiben.128 Größere Selbstständigkeit des Dienstleisters hinsichtlich Ort und Zeit sind nur ein Teil des Gesamtbilds und bewirken nicht automatisch Verschiebungen.129 Unternehmerische Strategien, soziale Schutzmechnismen auszuhebeln, indem ein Ausweichen in vermeintliche Einzelwerkverträge mit nominellen Solo-Selbstständigen erfolgt, führt ebenso wenig per se aus dem Arbeitsvertragsbegriff heraus.
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Arbeitgeber130 ist, wem die Arbeitsleistung normativ-rechtlich zusteht,131 nicht, wem sie faktisch erbracht wird.132 Auch kollaborative Netzwerkstrukturen bedingen keinen generellen Abschied vom „bilateralen“ Arbeitgeberbegriff,133 sondern dürften eher zu Co-Arbeitgeberschaft führen, wenn denn mehrere Personen den Arbeitnehmer gegenübertreten. Crowdwork-Plattformen und Plattformen z.B. für haushaltsnahe Dienstleistungen sind im Ausgangspunkt nur Intermediäre, können aber in Arbeitgeberpositionen einrücken, je stärker sie koordinieren und eigenständig Weisungen erteilen.134
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Die Eingliederung des Arbeitnehmers hat weniger eigenständige Bedeutung, sondern ist Folge und Funktion des arbeitgeberischen Weisungsrechts.135 Ob jemand weisungsgebunden ist und, wenn ja, wer ihm gegenüber weisungsbefugt ist, ist nach Maßgabe aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln,136 auch anhand der Angaben im Vertrag und anhand von Angaben, die gegenüber Sozialversicherungsträgern gemacht wurden.137 Ausschlaggebend ist indes das gelebte Verhältnis, nicht der gegebe-
124 Dazu z.B. Prassl, Humans as a Service (2018) 11–30. 125 Rechtsvergleichend zur Qualifikation der Beschäftigten in der Gig. Economy Waas, AuR 2018, 548; C. Schubert, ZVglRWiss 2019, 341. Außerdem z.B. M. T. Moore (2019) 39 Leg Studies 579. 126 Näher z.B. Bourazeri, NZA 2019, 741; Mosing, wbl 2019, 601; Hans Hanau/Matiaske (Hrsg.), Entgrenzung von Arbeitsverhältnissen (2019); Hensel/Schönefeld/Kocher/Anna Schwarz/Jochem Koch (Hrsg.), Selbstständige Unselbstständigkeit (2019). 127 Zu Uber vgl. sub specie RL 2006/123/EU und Art. 58 AEUV (Transportdienstleistungen) EuGH v. 20.12.2017 – C-434/15, ECLI:EU:C:2017:981 – Asociación Profesional Elite Taxi/Uber Systems Spain SL. 128 Z.B. (je unter nationalen materiellen Rechten) Cass. soc., JCP S 2018.1398 m. Anm. Loiseau, avis CoureolBouchard; Cass. soc., JCP G 2019, 103 m. Anm. Vincent Roche = JCP E 2019.1031 m. Anm. Bossu = JCP E N° 3, 17 janiver 2019, 53 m. Anm. Bossu; Uber BV v. Yaseen Aslan [2018] EWCA Civ 1478 (C.A.), [2017] UKEAT 0056_17_1011, [2018] IRLR 97, [2018] ICR 453 (EAT); LAG München v. 4.12.2019 – 8 Sa 146/19; Dewhurst v. City Sprint UK Ltd. ET 5 January 2017; Leyland v. Hermes Parcelnet Ltd. ET 22 June 2018; Groff/ Callegari/Madden, CRi 2015, 166; Ian Lloyd, CRi 2016, 161; Miriam Kullmann, MR-Int. 2018, 79; Kruit/ Ouwehandtra, TRA 2018/58; Dedessus-Le Moustier, JCP G 2018, 2317; Laagland/Kloostra, Ondernemingsrecht 2019, 41; Delebecque, Énergie Environment Infrastructures N° 1, janvier 2019 comm. 5, 51; Ancieux, JCP S 2019.1026 = JCP S N° 5, 5 février 2019, 8. 129 Kocher, NZA 2016, 977, 979. 130 Zu diesem Begriff im Europäischen Arbeits- und Sozialrecht näher GA Pikamäe, Schlussanträge v. 26.11.2019 in der Rs. C-610/18, ECLI:EU:C:2019:1010 Rz. 43–63. 131 BAG AP H 4/2004 Nr. 1 zu Art. 7 Lugano-Abkommen Bl. 4; Trenner, 89. 132 Mankowski, AP H 4/2004 Nr. 1 zu Art. 7 Lugano-Abkommen Bl. 7R, 8R. A.A. Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 115 unter Hinweis auf EuGH v. 21.10.2010 – C-242/09, ECLI:EU:C:2010:625 Rz. 22 – Albron Catering BV/FNV Bondgenoten u. John Roest sowie EuGH v. 11.4.2013 – C-290/12, ECLI:EU:C:2013:235 Rz. 40 – Oreste Della Rocca vs. Poste Italiane SpA. 133 Dahin aber Kocher, NZA 2016, 977, 979 f. 134 Uffmann, NZA 2016, 984, 985–987. 135 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 89. 136 Siehe nur WPP Holdings Italy srl v. Benatti [2007] EWCA Civ 263 [47], [2007] 2 All ER (Comm) 525 (C.A., per Toulson L.J.); Cunico Resources NV v. Daskalakis [2019] EWHC 57 (Comm) [28], [2019] 1 BCLC 584 (Q.B.D., A Baker J.). 137 LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 39 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski.
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nenfalls davon abweichende Buchstabe des Vertrages.138 Der Arbeitgeber muss das ihm zustehende Weisungsrecht nicht selber wahrnehmen, sondern kann die Ausübung dieses Weisungsrechts auf andere delegieren.139 Die Definition des Arbeitsvertrages muss europäisch-autonom sein.140 Ein Rekurs auf nationales Recht findet nicht statt,141 weder auf die potentielle lex causae142 noch auf die lex fori.143 Es kommt nicht darauf an, ob das Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht als Rechtsverhältnis sui generis einzustufen ist oder ob der Dienstleistende nach nationalem Recht ein Selbstständiger wäre.144 Dabei ist der Begriff des Arbeitnehmers tendenziell weit zu verstehen, um so den persönlichen Anwendungsbereich der Grundfreiheit Arbeitnehmerfreizügigkeit möglichst weit zu ziehen.145 Er ist z.B. deutlich weiter als der Arbeitnehmerbegriff unter § 611a BGB.146
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Daher ist auch in Grenzfällen ein Rekurs auf das Arbeitsvertragsstatut für die Frage, ob dieses dem konkret in Rede stehenden Diensteerbringer den für Arbeitnehmer typischen Sozialschutz gewähre, abzulehnen.147 Damit geriete man zudem in einen Zirkel und in eine Abhängigkeit vom nationalen Recht. Schließlich wäre die Ausgrenzung kollektivarbeits- und öffentlich-rechtlichen Schutzes erklärungsbedürftig, wenn man denn auf Schutzmechanismen abstellen wollte.148 Lassen sich im konkreten Fall Argumente sowohl für als auch gegen eine arbeitsvertragliche Qualifikation finden, kann auch das weitere Verhalten der Parteien und ihr Verständnis vom konkreten Vertrag Bedeutung gewinnen.149
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Das Erfordernis des Arbeitsvertrags grenzt allerdings bloß Arbeitssuchende aus, die keinen Vertrag mit einem Arbeitgeber haben (obwohl solche ernsthaft Arbeitssuchenden durchaus den Schutz der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 45 AEUV genießen150).
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138 LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 40 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski. 139 GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C:2011:564 Rz. 89. 140 Siehe nur EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 42 – Ahmed Mahamdia/Demokratische Volksrepublik Algerien; EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 37 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim; EuGH v. 11.4.2019 – C-603/17, ECLI:EU:C: 2019:310 Rz. 24 – Peter Bosworth u. Colin Hurley vs. Arcadia Petroleum Ltd.; BAG, AP H 4/2004 Nr. 1 zu Art. 7 Lugano-Abkommen Bl. 4; östOGH, ÖJZ 2015, 1051, 052 m. Anm. Brenn; James Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [16], [2016] ILPr 51 (C.A., per Moore-Bick L.J.); Blefgen, 24 f. m.w.N.; Christina Meyer, EuZA 2020, 86, 90. A.A. – im IPR – allein Morse in North (Hrsg.), Contract Conflicts (1982) 143, 148; Morse (1992) 41 ICLQ 1, 12 f.; Plender/Wilderspin, The European Contracts Private International Law of Obligations (4. Aufl. 2015) Rz. 11–015–11-026; Dicey/Morris/Morse, Rz. 33–054 f. für lex causae und Knöfel, IPRax 2006, 552 mit einer eigenwilligen Abgrenzung zwischen Auslegung und angeblich dem Tatbestand vorgeschalteter Qualifikation. 141 EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 36 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim; EuGH v. 11.4.2019 – C-603/17, ECLI:EU:C:2019:310 Rz. 24 – Peter Bosworth u. Colin Hurley vs. Arcadia Petroleum Ltd. 142 Hof Amsterdam, NIPR 2019 Nr. 171 S. 435. 143 James Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [16], [2016] ILPr 51 (C.A., per Moore-Bick L.J.); Krebber, FS v. Hoffmann (2011) 218, 228; Krebber, IPRax 2017, 313, 315 will beide plus eine mögliche eingriffsrechtliche Sonderanknüpfung im Rahmen einer vierfachen alternativen Qualifikationsverweisung (viertes Glied soll eine europäisch-autonome Qualifikation sein) berücksichtigen; dem tendenziell zustimmend Knöfel, EuZA 2016, 348, 364. 144 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674 – Dita Danosa vs. LKB Lı¯zings SIA, EuGHE 2010 I 11405 Rz. 40 f.; LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 36 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski. 145 EuGH v. 19.6.2014 – C-507/12, ECLI:EU:C:2014:2007 Rz. 33 – Jessy Saint Prix vs. Ministery of State for Work and Pensions. 146 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 92. 147 A.A. östOGH, ecolex 2005, 311, 312. 148 Mankowski, RIW 2005, 481, 497. 149 WPP Holdings Italy srl v. Benatti [2006] 2 Lloyd’s Rep. 610, 627 (Q.B.D., Field J.). 150 EuGH v. 19.6.2014 – C-507/12, ECLI:EU:C:2014:2007 Rz. 33 – Jessy Saint Prix vs. Ministery of State for Work and Pensions.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich 2. Arbeitnehmerähnliche Personen 30
Eine Verweisung auf nationales Recht ist auch in den Randbereichen ausgeschlossen.151 Daher ist es z.B. unmöglich, der europäischen Definition die deutsche Sonderregel über arbeitnehmerähnliche Personen aus § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG unterzuschieben.152 Ein Bedürfnis, arbeitnehmerähnliche Personen in relativer wirtschaftlicher Abhängigkeit wie namentlich kleine Vertragshändler in den persönlichen Schutzbereich mit einzubeziehen, soll angesichts von Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO nicht in hinreichendem Maße bestehen.153 Vertragshändler sind keine Arbeitnehmer.154 Allerdings eröffnet diese Ausgrenzung dem Arbeitgeber Gestaltungsmöglichkeiten durch Gerichtsstandsvereinbarungen. Künstlerexklusivverträge sind Lizenz-, Produktions- und Finanzierungsverträge, aber keine Arbeitsverträge. Bei nominell selbstständigen Handelsvertretern, die im Kern nur für einen Prinzipal tätig sind, sog. Einfirmen-Handelsvertreter, liegt ein extensives Verständnis des Arbeitnehmerbegriffs nahe.155
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Jedenfalls ist eine Vorlage an den EuGH dringend geboten.156 Auch europäisch steht im Raum, ob es nicht zwischen Arbeitnehmer und Selbständigen eine dritte Kategorie der arbeitnehmerähnlichen Personen geben könnte. Für diese Kategorie könnten Arbeitnehmerschutzregimes analog anzuwenden sein,157 wo diese passen. Eine Analogie wäre aber weder nötig noch überhaupt möglich, wenn die arbeitnehmerähnlichen Personen bereits als Arbeitnehmer zu behandeln und in der Folge die Arbeitnehmerschutzregimes direkt anwendbar wären.158 Arbeitnehmerähnliche Personen wären jedenfalls von Scheinselbständigen zu unterscheiden,159 also von einer Umgehungsgestaltung, die – wenn erkannt – die Anwendung genau der Schutzregeln nach sich ziehen würde, deren Umgehung beabsichtigt war.160 3. Scheinselbstständige
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Scheinselbstständige sind dementsprechend kraft materieller Betrachtung Arbeitnehmer,161 denn sie erfüllen alle Kriterien der Arbeitnehmerdefinition.162 Entscheidend ist die Freiheit des Dienstleistenden bei der Wahl von Zeit, Ort und Inhalt der Arbeit.163 Unter Art. 8 Rom I-VO; Art. 6 EVÜ findet sich der Versuch einer allgemeinen Qualifikation nach der lex causae eigentlich nur im englischen Schrifttum.164 Umso auffälliger ist es, dass spezifisch für die moderne Scheinselbstständigenproble151 Däubler, NZA 2003, 1297, 1299; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 302. 152 Trenner, 217; Müller, 52; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 302; für analoge Anwendung der Art. 20–23 Brüssel Ia-VO auf arbeitnehmerähnliche Personen Däubler, NZA 2003, 1297, 1302. 153 LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 36 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski; OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3127; Rauscher, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 695, 708 f.; Mankowski, MDR 2002, 1352, 1353; Mankowski, IHR 2014, 247, 248; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 36.1; vgl. auch Däubler, NZA 2003, 1297, 1302; C. Müller, 52. Offen östOGH, ÖJZ 1999, 504, 505; klar anders Temming, jurisPR-ArbR 8/2016 Anm. 6 sub C und tendenziell anders Birk in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht I (3. Aufl. 2008) § 23 Rz. 18; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 5; Wieczorek/ Schütze/Temming, Rz. 93; für eine Analogie zu Art. 6 EVÜ im IPR Kaumanns, Telearbeit im Internationalen Privatrecht (2004) 150–162. 154 Dostal, EuZW 2018, 944, 952. 155 Temming, jurisPR-ArbR 8/2016 Anm. 6 sub C. 156 A. Junker, FS Peter Schlosser (2005) 299, 302; Temming, jurisPR-ArbR 8/2016 Anm. 6 sub D. 157 Temming, IPRax 2015, 509, 515. 158 Temming, IPRax 2015, 509, 515; Mankowski, IHR 2016, 167, 169. 159 Mankowski, IHR 2016, 167, 169. Dies tut EuGH v. 4.12.2014 – C-413/13, ECLI:EU:C:2014:2411 Rz. 31–37 – FNV Kunsten Informatie en Media vs. Staat der Nederlanden nicht genügend. 160 Junker, EuZA 2016, 184, 196. 161 EuGH v. 13.1.2004 – C-256/01, ECLI:EU:C:2004:18 Rz. 71 f. – Debra Allonby vs. Accrington & Rossendale College; EuGH v. 4.12.2014 – C-413/13, ECLI:EU:C:2014:2411 Rz. 36 – FNV Kunsten Informatie en Media vs. Staat der Nederlanden; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 103. 162 Eingehend Mankowski, BB 1997, 465, 469–472. 163 EuGH v. 13.1.2004 – C-256/01, ECLI:EU:C:2004:18 Rz. 72 – Debra Allonby vs. Accrington & Rossendale College; LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 38 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski. 164 Nachweise in Fn. 139 aE.
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matik auf eine besondere Form der Qualifikation nach der lex causae rekurriert wird. Richtig ist dagegen eine einheitlich, unionsrechtlich autonome Qualifikation ohne Rekurs auf das Recht des Staates, in dem die Arbeitsleistung erbracht wird.165 Eine Bindungswirkung entfaltet die einzelne Angabe „Selbstständiger“ in einer Bescheinigung E 101 (vormals A 1) für das Internationale Arbeitsprozessrecht nicht.166 Die Bescheinigung E 101, – gegebenenfalls sogar rückwirkend167 – ausgestellt von einer Einrichtung der Sozialen Sicherheit in einem EU-Mitgliedstaat, besagt, ob jemand in dem Staat der Ausstellung sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Sie belegt das Bestehen einer Sozialversicherungspflicht nach dem Recht des Herkunftslands.168
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Die Bescheinigung E 101 verhindert mittelbar eine Doppel(sozial)versicherung in anderen EU-Mit- 33 gliedstaaten, indem eine Sozialversicherungspflicht nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Ausstellungsstaats ausgeschlossen ist.169 Arbeitnehmer und sozialversicherte Selbstständige stehen einander für die Zwecke der VO (EWG) Nr. 1408/71 und ihrer Nachfolger gleich. Sozialversicherungsrechtlich ist allein bezweckt, eine Doppelversicherung mit doppelter Beitragspflicht zu vermeiden.170 Dafür kommt es aber nicht darauf an, ob der Betroffene Arbeitnehmer oder (sozialversicherungspflichtiger) Selbstständiger ist. Im Gegenteil würde der Zweck auch greifen, wenn ihn das eine Recht als Arbeitnehmer, das andere Recht als Selbstständiger der jeweiligen Sozialversicherungspflicht unterwirft.171 Die Gültigkeit der Bescheinigung darf im Zweitstaat zwar grundsätzlich nicht nochmals kontrolliert 34 werden.172 Jedoch steht dies unter dem Vorbehalt, dass weder Betrug noch Rechtsmissbrauch nach unionsrechtlichen Maßstäben vorliegen.173 Zudem sind prinzipielle Gültigkeit und Einzelwirkung zu 165 A.A. Koberski/Sahl/Hold, AEntG (1997) § 1 AEntG Rz. 27; Däubler, EuZW 1997, 613, 618; Gerauer, BB 1999, 2083, 2084; dagegen auch, von einem grundsätzlich anderen Ansatzpunkt aus, Knöfel, IPRax 2006, 552, 554 f. 166 Cass. soc., D 2015, 1324 = JCP S 2015.1339 m. Anm. Tricoit = JCP S 2015 N° 39, 22 septembre 2015, S. 41, 42 m. Anm. Tricoit; Mankowski, EuZA 2016, 107, 112 f. Vgl. auch z.B. für das Strafrecht Cass. crim., Bull. crim 2014 n° 75 = Cah soc 2014, 255; Cass. crim., RTD eur. 2015, 348 m. Anm. Thellier de Poncheville (zu beiden Salomon Dr. soc. 2014, 827; Guichaoua, Dr ouvrier 2014, 385; Muller, Dr. soc. 2014, 788; Lhernould, RJS 2014, 307; Lhernould, Dr. soc. 2014, 1050; J.-C. Fillon, Liaisons sociales Europe 2014 n° 350 S. 5; Chavrier/Chabaud, SSL 2014, 1641); Cass. soc., JCP S 2015.1063 m. Anm. Tricoit = JCP S 2015 N° 7–89, 17 février 2015, S. 38 m. Anm. Tricoit; Cass. soc., JurisData n° 2018-000026 (dazu Ranc/Parier, Energie – Environnement – Infrastructures N° 3, mars 2018, S. 41). 167 EuGH v. 6.9.2018 – C-527/16, ECLI:EU:C:2018:669 Rz. 70–77 – Salzburger Gebietskrankenkasse u.a. vs. Alpenrind GmbH u.a. = JCP S 2018.1331 m. Anm. Lhernould; B. Klopstock/Rittweger, NZA 2018, 1247, 1249 f. 168 EuGH v. 26.1.2006 – C-2/05, ECLI:EU:C:2006:69 Rz. 19 – Rijksdienst voor Sociale Zekerheid vs. Herbosch Kiere NV. 169 EuGH v. 10.2.2000 – C-202/97, ECLI:EU:C:2000:75 Rz. 49-54 – Fitzwilliam Executive Search Ltd. vs. Bestuur van het Landelijk instituut sociale verzekeringen; EuGH v. 26.1.2006 – C-2/05, ECLI:EU:C:2006:69 Rz. 21 – Rijksdienst voor Sociale Zekerheid vs. Herbosch Kiere NV. 170 Mankowski, BB 1997, 465, 471; Mankowski, EuZA 2016, 107, 112. 171 Mankowski, BB 1997, 465, 471; Mankowski, EuZA 2016, 107, 112. 172 EuGH v. 30.3.2000 – C-178/97, ECLI:EU:C:2000:169 Rz. 32-48 – Barry Banks vs. Theatre royale de la monnaie; EuGH v. 27.4.2017 – C-620/15, ECLI:EU:C:2018:63 Rz. 59 – A-Rosa Flussschiff GmbH vs. Union de recouvrement des cotisations de securité sociale et d’allocations familiales d’Alsace (Urssaf) u. Sozialversicherungsanstalt des Kantons Graubünden; EuGH v. 6.2.2018 – C-359/16, ECLI:EU:C:2018:63 Rz. 47; EuGH v. 6.9.2018 – C-527/16, ECLI:EU:C:2018:669 Rz. 35–47 – Salzburger Gebietskrankenkasse u.a. vs. Alpenrind GmbH u.a. = JCP S 2018.1331 m. Anm. Lhernould; Lhernould, J.-Cl. Protection sociale Traité fasc. 212-10 nos 67 f., 98; Tricoit, JCP S 2015.1063 = JCP S 2015 N° 7–8, 17 février 2015, S. 38, 39; B. Klopstock/Rittweger, NZA 2018, 1247, 1249. 173 EuGH v. 6.2.2018 – C-359/16, ECLI:EU:C:2018:63 Rz. 48–56; Cass. crim., JurisData n° 2018-105920; Cass. crim., JurisData n° 2018-105921; Cass. crim., JurisData n° 2018-105923; Cass. crim., JurisData n° 2018-105924; Mankowski, EuZA 2018, 473, 480–484; s. auch Amauger-Lattes, Dr. soc. 2017, 866; Jault-Seseke/ Robin-Olivier, RDT 2017, 562; Lhernould, Dr. soc. 2017, 579; Kessler, Dr. soc. 2018, 389; B. Klopstock/Rittweger, NZA 2018, 1247, 1249; Parier/Ranc, Energie Environment Infrastructures N° 11, novembre 2018, 33, 34. Weitergehend sogar Cass. ass. plén., JCP S 2018.1016 m. Anm. Legoherel u. Lhernould: Bindungswirkung
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich unterscheiden.174 Bindung besteht allein an die Angabe, dass eine Sozialversicherungspflicht nach dem Recht des Ausstellungsstaates existiert.175 Der Arbeitsbegriff des Art. 14 Abs. 1 lit. b VO (EWG) Nr. 1408/71 erfasst unselbstständige und selbstständige Arbeit gleichermaßen.176 Die Beweiskraft der Bescheinigung beschränkt sich auf die Feststellung des anwendbaren Rechts durch den zuständigen Träger.177 Ein Gericht im Gaststaat darf nicht überprüfen, ob eine arbeitsrechtliche Bindung zwischen dem entsendenden Unternehmern und dem entsandten Arbeitnehmer existiert, wenn die Bescheinigung auf der Annahme einer solchen Bindung beruht.178 35
Ohne Bescheinigung einer arbeitsrechtlichen Beziehung aber besteht umgekehrt keine Bindung. Die Angabe über den „Status“ in der Bescheinigung präjudiziert nicht die Einordnung für die Zwecke anderer Rechtsgebiete. Sie bewirkt keine Zuschreibung eines überall geltenden Quasi-Status.179 Nicht einmal sozialversicherungsrechtlich bindet sie den Empfangsstaat dahin, dass er den Betroffenen bei praktischer wie bei hypothetischer Betrachtung ebenso einzuordnen hätte wie der Herkunftsstaat.180
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Jenseits der Scheinselbstständigen, die ihrer wahren Natur gemäß als Arbeitnehmer zu behandeln sind, sind Art. 20–23 Brüssel Ia-VO auf formal und dann eben auch materiell Selbstständige nicht analog anzuwenden, selbst wenn diese sozial schutzbedürftig erscheinen.181 Dies trifft z.B. Architekten und Rechtsanwälte als Auftragnehmer.182 4. Arbeitnehmerüberlassung
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Im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung muss man deutlich zwischen den einzelnen Rechtsverhältnissen unterscheiden: Arbeitsvertrag ist allein der Vertrag zwischen dem Arbeitnehmer und dem überlassenden Unternehmen, bei dem er weiterhin angestellt bleibt. Dies gilt sowohl für die echte als auch für die unechte Leiharbeit.183 Mit dem ausleihenden Unternehmen verbindet den Arbeitnehmer in aller Regel überhaupt kein vertragliches Band, sondern vielmehr ein gesetzliches Schuldverhältnis; eine Weisungsbefugnis des Entleihers folgt mittelbar aus dem Überlassungsvertrag.184 Der eigentliche Überlassungsvertrag zwischen verleihendem und entleihendem Unternehmen aber ist kein Arbeitsvertrag, sondern je nach Ausgestaltung ein Dienstverschaffungsvertrag oder ein Dienstleistungsvertrag.185
174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185
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nur, wenn Tätigkeit offensichtlich nicht unter Art. 14 Abs. 2 lit. a VO (EWG) Nr. 1408/71 fällt. Das Angehen des Zielstaates gegen eine Bescheinigung will der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der VO (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Syssteme der Sozialen Sicherheit und zur Änderung der VO (EG) Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO (EG) Nr. 883/2004, von der Kommission vorgelegt am 13.12.2016, COM (2016) 815 endg., tendenziell erleichtern. Tricoit, JCP S 2015.1063 = JCP S 2015 N° 7–8, 17 février 2015, S. 38, 39; Mankowski, EuZA 2018, 473, 478. Siehe EuGH v. 10.2.2000 – C-202/97, ECLI:EU:C:2000:75 Rz. 40 – Fitzwilliam Executive Search Ltd. vs. Bestuur van het Landelijk instituut sociale verzekeringen; EuGH v. 26.1.2006 – C-2/05, ECLI:EU:C:2006:69 Rz. 23 – Rijksdienst voor Sociale Zekerheid vs. Herbosch Kiere NV. EuGH v. 30.3.2000 – C-178/97, ECLI:EU:C:2000:169 Rz. 20-28 – Barry Banks vs. Theatre royale de la monnaie. EuGH v. 10.2.2000 – C-202/97, ECLI:EU:C:2000:75 Rz. 50 – Fitzwilliam Executive Search Ltd. vs. Bestuur van het Landelijk instituut sociale verzekeringen. EuGH v. 26.1.2006 – C-2/05, ECLI:EU:C:2006:69 Rz. 32 – Rijksdienst voor Sociale Zekerheid vs. Herbosch Kiere NV; Mankowski, EuZA 2018, 473, 478. Mankowski, BB 1997, 465, 471; Mankowski, EuZA 2016, 107, 113; Mankowski, EuZA 2018, 473, 479. Mankowski, BB 1997, 465, 471; Mankowski, EuZA 2016, 107, 113. A.A. B. Klopstock/Rittweger, NZA 2018, 1247, 1249. OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3127; 26, 3127; LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 39 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 19 EuGVVO Rz. 19. A.A. Däubler, NZA 2003, 1297, 1302. Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 35. Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 4 S. 8, 13 f. (März 1995); Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 122. Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 124. Heilmann, Das Arbeitsvertragsstatut (1991) 166 f.; Franzen, AR-Blattei SD 920 Rz. 154 (Okt 1993); Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 4 S. 8, 13 f. (März 1995); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 33 sowie Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 122. Anders Ulrici, jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 5 sub C II 1.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
5. Mehrere Arbeitgeber Namentlich bei komplexen Arbeitsverhältnissen innerhalb eines Konzerns,186 aber auch z.B. bei coemployeurs, grupo laboral, associated employers187 bestehen im Außenverhältnis zum Arbeitnehmer mehrere Arbeitsverhältnisse zu je verschiedenen einzelnen Arbeitgebern nebeneinander. Für diese sind Art. 20–23 Brüssel Ia-VO jeweils getrennt zu prüfen.188 Zwar greifen Art. 20–23 Brüssel Ia-VO arbeitsrechtliche Drittbeziehungen nicht expressis verbis auf, sind aber andererseits offen genug, um auch für sie einen Rahmen zu bieten.189 Das Bestehen nichtarbeitsvertraglicher Beziehungen mit einer Gesellschaft der Gruppe hat keinerlei Einfluss auf die separat zu erfolgende Qualifikation der vertraglichen Beziehungen mit einer anderen Gesellschaft der Gruppe.190 „Ansprüche aus“ erweitert in personeller Hinsicht nicht über das Basiskriterium „individueller Arbeitsvertrag“ hinaus.191 Auch ein Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers allein vermag weder einen Vertrag zu ersetzen noch zur Anwendung der Artt. 20–23 zu führen.192
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Nur auf den ersten Blick scheint es paradox zu sein, die Feststellung von coemploi zu begehren gegen den behaupteten coemployeur. Im Internationalen Privatrecht wird dies jedoch mit dem bekannten und bewährten bootstrap principle gelöst, wie es heute in Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO kodifiziert ist und zuvor in Art. 8 Abs. 1 EVÜ; 31 Abs. 1 EGBGB kodifiziert war. Über dessen Rechtsgedanken lässt sich auch die prozessuale Situation klären.193
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Innenausgleich und Ausgleich zwischen den Arbeitgebern sind jedenfalls keine Arbeitssachen und fallen nicht unter Art. 20–23 Brüssel Ia-VO.194 Selbst eine cessio legis vermöchte den Schutzgerichtsstand, welchen der Arbeitnehmer im Außenverhältnis genoss, nicht auf das Innenverhältnis zu transponieren.
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6. Bereich der arbeitsvertraglichen Ansprüche Der Bereich der arbeitsvertraglichen Ansprüche ist nicht eng, sondern funktionell und in der Tendenz 41 weit zu verstehen.195 Arbeitsvertraglich sind Ansprüche in einem lebenden Arbeitsvertrag, namentlich auf Erbringung der Arbeitsleistung und auf Lohnzahlung (einschließlich aller eventuellen Zuschläge und Gratifikationen, auch aus formell abgetrennten Bonusabreden196) sowie leistungsstörungsrechtliche Ansprüche z.B. auf Schadensersatz197 oder Lohnersatzansprüche zwischen den Vertragspar-
186 Siehe Julian Samengo-Turner v. J & H Marsh & McLennan (Services) Ltd. [2007] EWCA Civ 723, [2007] 2 All ER (Comm) 913, [2007] ILPr 706 (C.A.); James Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA Civ 828, [2015] IRLR 847 (C.A.); Peter Miles Bosworth v. Arcadia Petroleum Ltd. [2016] EWCA Civ 818 (C.A.); Cunico Resources NV v. Daskalakis [2019] EWHC 57 (Comm) [36], [2019] 1 BCLC 584 (Q.B.D., A Baker J.). 187 Dazu Pagnerre, JCP S 2017.1188 = JCP S N° 23, 13 juin 2017, 10; Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 5 (Mankowski) m.w.N. 188 Näher Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 6–7 (Mankowski); ebenso Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 20 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 5. Vgl. auch Icard, Cah soc 2015, 160; Bugada, Procédures avril 2015, 28; Tricoit, JCP S 2015.1162 = JCP S 2015 N° 17–18, 28 avril 2015, 46; Jault-Seseke, Bull. Joly Sociétés 2015, 222; Krebber, IPRax 2017, 313, 315 f. Cass., JCP S 2015.1162 = JCP S 2015 N° 17–18, 28 avril 2015, 45 erwähnt Art. 20–23 dagegen nicht. 189 Tendenziell zweifelnd aber wohl Krebber, IPRax 2017, 313, 316. 190 Cunico Resources NV v. Daskalakis [2019] EWHC 57 (Comm) [44], [49], [60], [2019] 1 BCLC 584 (Q.B.D., A Baker J.). 191 Ulrici, jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 5 sub C III. 192 Ulrici, jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 5 sub C II 3 b) (1). 193 Jault-Seseke, Bull. Joly Sociétés 2015, 222, 223. 194 Zustimmend Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 117. Vgl. zur parallelen Frage des Regresses zwischen Mitversicherern EuGH v. 26.5.2005 – C-77/04, ECLI:EU:C:2005:327 Rz. 18-23 – Groupe d’intérêt économique (GIE) Réunion européenne vs. Zurich España. 195 ArbG Bielefeld, IPRspr. 2008 Nr. 49 S. 163; Däubler, NZA 2003, 1297, 1299. 196 Julian Samengo-Turner v. J & H Marsh & McLennan (Services) Ltd. [2007] EWCA Civ 723, [2007] 2 All ER (Comm) 913, [2007] ILPr 706 [31] (C.A., per Tuckey L.J.). 197 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 20 (2005).
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich teien wie z.B. eine Karenzentschädigung198 oder eine Lohnfortzahlung seitens des Arbeitgebers im Krankheitsfall.199 Flexible, insbesondere erfolgsabhängige Vergütungsbestandteile sind gleichermaßen erfasst.200 Die Ansprüche müssen nicht im Individualarbeitsvertrag selber festgelegt sein, sondern können sich auch aus Quellen ergeben, auf welche der Individualarbeitsvertrag ergänzend Bezug nimmt und die er insoweit inkorporiert, z.B. aus Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen.201 42
Arbeitsvertraglich sind außerdem Ansprüche aus einem bereits aufgelösten Arbeitsverhältnis, namentlich aus Abfindungsabreden,202 aus Rückgabe-,203 Liquidations-, sonstigen Rückabwicklungs-, Geheimhaltungs-, Zeugnisausstellungs- oder Auskunftspflichten204 und richtigerweise auch konstitutive Schuldanerkenntnisse über arbeitsvertragliche Forderungen205 sowie Streitigkeiten aus einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot.206 Denn Rechte aus einem Arbeitsverhältnis sind auch noch fortwirkend nach dessen faktischem Abschluss möglich.207
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Vertraglich ist zudem der gesamte Kündigungsschutz.208 Kündigungsschutz ist eine Kernmaterie und ein Hauptgegenstand des Arbeitsrechts. Kündigungsschutzprozesse sind in Deutschland mit Abstand die häufigsten Klageverfahren im Individualarbeitsrecht. Über 95 % aller Arbeitsgerichtsverfahren werden in Deutschland von Arbeitnehmern angestrengt, die weit überwiegende Mehrzahl davon sind Kündigungsstreitigkeiten.209 Würden Art. 20–23 Brüssel Ia-VO partout Kündigungsschutzstreitigkeiten nicht erfassen, so gingen sie an der Lebenswirklichkeit vorbei und wären verfehlte Regelungen, die ein drängendes Regelungsbedürfnis nicht aufnähmen.210
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Eine Differenzierung zwischen allgemeinem und besonderem Kündigungsschutz erscheint dabei grundsätzlich nicht angezeigt. Art. 20–23 Brüssel Ia-VO erfassen beide prinzipiell gleichermaßen.211 Denn beide treffen sich in den zentralen Punkten: Beiden geht es um die mögliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses, und beide vermitteln den Arbeitnehmer Schutz dagegen.212 Der Schutz kann unterschiedliche Intensität haben, er kann unterschiedliche Dauer haben, er kann unterschiedliche Gestalt haben, er wird unterschiedliche Voraussetzungen haben (denn anderenfalls wäre eine Unterscheidung zwischen allgemeinem und besonderem Kündigungsschutz a priori sinnlos). Schon der allgemeine Kündigungsschutz kann aber je nach anwendbarem Recht ein völlig unterschiedliches Gesicht haben. Das eine Recht gewährt Bestandsschutz, das andere von vornherein nur Kompensation, 198 östOGH, ecolex 2015/390, 892 = DRdA 2016/7, 55 m. Anm. Burger = RdW 2016/90, 124; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 20 (2005). 199 Zustimmend östOGH, ecolex 2015/390, 892 = DRdA 2016/7, 55 m. Anm. Burger = RdW 2016/90, 124; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 37. 200 BAG, AP H 8/2012 § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Nr. 23 [26]; Mankowski, RIW 2004, 167, 171. Zu Aktienoptionen sogleich Rz. 18. 201 Siehe Ulrici, jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 5 sub C III. 202 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 107. 203 Siehe Mankowski, EuZA 2017, 126, 132. 204 östOGH, ÖJZ 2015, 1051, 052 m. Anm. Brenn; östOGH, ecolex 2015/390, 892 = DRdA 2016/7, 55 m. Anm. Burger = RdW 2016/90, 124; Hessisches LAG, NJOZ 2001, 45, 48; Johner, 76; Valloni, 305 f.; Trenner, 91; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 20 (2005); Abele, FA 2013, 357, 358; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 112. 205 Offen indes Rb. Maastricht, NIPR 1995 Nr. 279 S. 263. 206 östOGH, ÖJZ 2015, 1051, 052 m. Anm. Brenn; Alexandre Miguel Braz Duarte v. The Black and Decker Corp [2007] EWHC 2720 (Q.B.), [2008] 1 All ER (Comm) 401 [51]–[52] (Q.B.D., Field J.); Johner, 76; Valloni, 306; Trenner, 91; Abele, FA 2013, 357, 358; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 54 (2016); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 37. 207 EuGH v. 24.9.1998 – C-35/97, ECLI:EU:C:1998:431 Rz. 41 – Kommission vs. Frankreich; EuGH v. 6.11.2003 – C-413/01, ECLI:EU:C:2003:600 Rz. 34 – Franca Ninni-Orasche vs. Bundesminister für Wissenschaft, Verkehr und Kunst; EuGH v. 23.3.2004 – C-138/02, ECLI:EU:C:2004:172 Rz. 27 – Brian Francis Collins vs. Secretary of State for Work and Pensions. 208 Siehe nur östOGH, ecolex 2015/390, 892 = DRdA 2016/7, 55 m. Anm. Burger = RdW 2016/90, 124; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 303. 209 Junker, FS Schlosser (2005) 299, 315; Junker, FS Gunther Kühne (2009) 735, 739. 210 Mankowski, EuZA 2016, 244, 248. 211 östOGH, ecolex 2015/390, 892 = DRdA 2016/7, 55 m. Anm. Burger = RdW 2016/90, 124; Mankowski, EuZA 2016, 244, 248. 212 Mankowski, EuZA 2016, 244, 248.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
das dritte erlaubt, Bestandsschutz durch Kompensation, Abfindung abzulösen. Allgemeines Kündigungsschutzrecht ist ein Mittel zur Arbeitsmarktgestaltung,213 besonderes Kündigungsschutzrecht verfolgt eigene Schutzzwecke zugunsten politisch als besonders schutzwürdig eingestufter Kategorien von Arbeitnehmern. Anbahnungskosten für den Abschluss eines Arbeitsvertrages, insbesondere Vorstellungskosten (Rei- 45 se-, Hotel, sonstige Auslagen anlässlich einer Vorstellung) sind arbeitsvertraglich.214 Bei Ansprüchen wegen Diskriminierung ist zu differenzieren:215 Diskriminierung im bereits entstandenen, erst recht im gelebten Arbeitsvertrag ist arbeitsvertraglich zu qualifizieren.216 Das Versagen eines Arbeitsvertrages wegen Diskriminierung dagegen ist ein Fall der culpa in contrahendo und daher nach der Wertung des Art. 12 Rom II-VO nicht vertraglich.217 Vergütungsansprüche für Arbeitnehmererfindungen oder Arbeitnehmerurheber fallen unter Art. 20–23 Brüssel Ia-VO,218 sofern die betreffende Streitigkeit nicht ausnahmsweise von Art. 24 Nr. 4 Brüssel Ia-VO erfasst wird. Arbeitsvertraglich ist ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung nach einem Betriebsübergang (im deutschen Recht § 613a BGB).219 Ein eventueller Anspruch auf eine Werkswohnung ist arbeitsvertraglich;220 indes fallen spätere Rechtsbeziehungen aus einem geschlossenen Mietvertrag oder in Bezug auf das Immobiliennutzungsverhältnis unter Art. 24 Nr. 1 Unterabs. 1 Var. 2 Brüssel Ia-VO. Gewährt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Darlehen für dessen private Zwecke (z.B. einen Immobilienerwerb), so verlässt man den arbeitsvertraglichen Bereich und mag den verbrauchervertraglichen betreten.221
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Verpflichtungen aus Pensionsabreden des Arbeitgebers, auch dem eigentlichen Arbeitsverhältnis nachlaufende, und Verpflichtungen aus sonstiger betrieblicher Altersversorgung sind arbeitsvertraglicher Natur.222 Sie werden aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses gegeben und sind Nachwirkung des Arbeitsverhältnisses.223 Zudem ergeben erst eigentliches Gehalt, erfolgsabhängige Vergütungsanteile (einschließlich eventueller Optionsrechte) und betriebliche Altersversorgung zusammen das Gesamtvergütungsbild.224
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Eine eventuelle Erfüllung durch einen Dritten als Versicherungsträger ändert nichts und gibt keinen 48 Anlass zu einer abweichenden Qualifikation, etwa dergestalt dass die Versorgungszusage nun akzesso-
213 Siehe nur Krebber, FS Rolf Birk (2008) 477, 487–493; Krebber, FS Rolf Stürner (2013) 1105, 1106–1112; Mankowski, IPRax 2015, 309, 315 f. 214 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 20 (2005); Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 108. 215 Zu pauschal für arbeitsvertragliche Qualifikation Abele, FA 2013, 357, 358. 216 Ebenso Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 53 (2016). 217 Eingehend Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz – Das Internationale Privatrecht der Antidiskriminierung (2010) 155–168; außerdem Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 109. 218 Geimer/Schütze/S. Auer. Art. 18 EuGVVO Rz. 20 (2005) sowie Schack, FS Heldrich (2005) 997, 1000. Siehe auch OLG Karlsruhe v. 13.4.2018 – 6 U 161/16, GRUR 2018, 1030 Rz. 145; Fezer/Koos, BGB, Internationales Wirtschaftsrecht (2015) Rz. 1053; Martiny in MünchKomm/BGB, Bd. 11 (7. Aufl. 2018) Art. 8 Rom I-VO Rz. 113 zur parallelen Fragestellung im IPR. 219 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 20 (2005); Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 54 (2016). 220 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 20 (2005). 221 Siehe zur RL 93/13/EWG EuGH v. 21.3.2019 – C-590/17, ECLI:EU:C:2019:232 Rz. 18-43 – Henri Pouvin u. Marie Dijoux vs. Electricité de France (EDF); GA Bobek, Schlussanträge v. 15.11.2018 in der Rs. C-590/17, ECLI:EU:2018:920 Rz. 52–72. 222 BAG, AP H 5/2005 Nr. 21 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 3; BAG, RIW 2013, 803, 804; Rb. Amsterdam, NIPR 1994 Nr. 163 S. 219 f.; Ktg. Hilversum, NIPR 1993 Nr. 186 S. 282; Mankowski, AP H 5/2005 Nr. 21 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 3R f.; Mankowski, RIW 2005, 481, 495; Mankowski, EWiR 2014, 63, 64 und im IPR Junker, 244; Franzen, AR-Blattei SD 920 Rz. 159 (Okt 1993); W. Blomeyer/K. Otto, BetrAVG (7. Aufl. 2018) Einl. Rz. 101; Bohne, Kollisions- und Sachnormen der betrieblichen Altersversorgung bei internationalen Personaleinsätzen (2004) 53–56. 223 Siehe nur Junker, IPRax 1993, 1, 6; Bittner, Europäisches und internationales Betriebsrentenrecht (2000) 261 f. 224 Mankowski, AP H 5/2005 Nr. 21 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 3R; Mankowski, RIW 2005, 481, 495; Mankowski, EWiR 2014, 63, 64; ähnlich Bohne, Kollisions- und Sachnormen der betrieblichen Altersversorgung bei internationalen Personaleinsätzen (2004) 54 f.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich risch als Versicherungsverhältnis zu qualifizieren wäre. Das Drittverhältnis ist ein selbstständiges Verhältnis, kein Arbeitsvertrag und seinerseits selbstständig anzuknüpfen.225 Auf die Anknüpfung einer vom Arbeitgeber gegebenen Versorgungszusage aber färbt es nicht prinzipiell ab. Sofern ein Dritter, z.B. die Konzernmutter oder die Zwischenholding gegenüber Arbeitnehmern einer Tochtergesellschaft, schon die Versorgungszusage gibt (nicht etwa nur die Deckungszusage), ist das Versorgungsverhältnis nicht als Arbeitsvertrag einzuordnen.226 49
Ansprüche auf Optionseinräumung (stock options) oder Ausgabe von sog. Belegschaftsaktien sind arbeitsvertraglich zu qualifizieren, wenn sie sich gegen den Arbeitgeber richten.227 Sie sind dagegen normalvertraglich zu qualifizieren, wenn sie sich gegen jemand anderen (z.B. die Konzernmutter) aus einer mit diesem geschlossenen besonderen Abrede ergeben.228 Im letzteren Fall sind auch Art. 17–19 Brüssel Ia-VO sachlich nicht anwendbar.229
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Unter einem isolierten Optionsgewährungsvertrag mit einem Dritten fehlt es an arbeitsvertraglichen Leistungspflichten des Arbeitnehmers.230 Ein Konzernzusammenhang allein macht den Dritten nicht zu einem, sei es auch zusätzlichen, Arbeitgeber.231 Nur im Verhältnis zum Arbeitgeber besteht eine echte Gehaltsergänzungsfunktion von Stock Options;232 sie überwindet nicht die Hürde der Personenverschiedenheit.233
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Auch eine akzessorische Anknüpfung führt nicht zu einer Änderung in der Qualifikation.234 Das Rechtsverhältnis, das sich anlehnt, nimmt nicht etwa die Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses, an das es sich anlehnt, an. Die Anlehnung an einen Arbeitsvertrag allein macht eine daneben bestehende Abrede noch nicht selber zum Arbeitsvertrag.235 Die Abrede bezieht die gewährende Muttergesellschaft nicht in das Arbeitsverhältnis ein.236 Ein Senior Executive Incentive and Stock Award Plan oder ein Bonus Agreement haben bloßen Ergänzungscharakter und nicht die Kraft, ein zweites Arbeitsverhältnis neben dem Arbeitsverhältnis zu begründen; entscheidend ist das nicht hinreichend umfangreiche eigene Pflichtenprogramm.237 Daran ändert sich auch nichts, wenn formeller Arbeitgeber eine reine Recruiting Company ist.238
225 Siehe nur W. Blomeyer/K. Otto, BetrAVG (7. Aufl. 2018) Einl. Rz. 150. 226 Mankowski, AP H 5/2005 Nr. 21 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 3R, 4; Mankowski, RIW 2005, 481, 495. 227 Fischer, DB 1999, 1072; Mankowski, LAGE § 611 BGB Mitarbeiterbeteiligung Nr. 2 S. 7, 11 f. (Aug 2002); Mankowski, EuZA 2008, 417, 425; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 20 (2005); Bosse, 76. 228 OLG München v. 18.7.2008 – 25 U 1797/08, AG 2008, 870; OLG Hamm v. 5.12.2018 – 8 U 50/17, NZG 2019, 232, 233; Mankowski, LAGE § 611 BGB Mitarbeiterbeteiligung Nr. 2 S. 7, 12 (Aug 2002); Mankowski, EuZA 2008, 417, 425; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 37.1 sowie LAG Düsseldorf v. 3.3.1998 – 3 Sa 1452/97, NZA 1999, 981, 982. 229 OLG Hamm v. 5.12.2018 – 8 U 50/17, NZG 2019, 232, 233 f.; Mankowski, EuZA 2019, 386, 389 f. 230 Lingemann/Diller/Mengel, NZA 2000, 1191, 1199; Mankowski, LAGE § 611 BGB Mitarbeiterbeteiligung Nr. 2 S. 7, 12 (Aug 2002); Annuß/Lembke, BB 2003, 2230, 2234; Piran, DB 2003, 1066, 1067; Driver-Polke/Melot de Beauregard, BB 2004, 2350, 2351; Mankowski, EuZA 2019, 386, 388. A.A. Buhr/S. Radtke, DB 2001, 1882, 1883 f. 231 OLG München v. 18.7.2008 – 25 U 1797/08, AG 2008, 870; Briggs [2007] LMCLQ 433; Mankowski, EuZA 2008, 417, 425. A.A. Julian Samengo-Turner v. J & H Marsh & McLennan (Services) Ltd. [2007] EWCA Civ 723, [2007] 2 All ER (Comm) 913, [2007] ILPr 706 [33]–[35] (C.A., per Tuckey L.J.). 232 Lembke, DB 2001, 1469, 1470 f.; Nehls/Sudmeyer, ZIP 2002, 201, 202 f.; Kolmann, ZEV 2002, 216; Leuzinger, Aktienoptionen im Arbeitsverhältnis (2005) 73 f.; Mankowski, EuZA 2019, 386, 389. 233 Mankowski, LAGE § 611 BGB Mitarbeiterbeteiligung Nr. 2 S. 7, 12 (Aug 2002); Leuzinger, Aktienoptionen im Arbeitsverhältnis (2005) 311, 319; Mankowski, EuZA 2019, 386, 389. 234 Z.B. Schurig, FS Heldrich (2005) 1021, 1023. 235 Driver-Polke/Melot de Beauregard, BB 2004, 2350, 2351. 236 Lingemann/Diller/Mengel, NZA 2000, 1191, 1198; Leuzinger, Aktienoptionen im Arbeitsverhältnis (2005) 319. 237 Mankowski, EuZA 2008, 417, 426 f. Vgl. aber Julian Samengo-Turner v. J & H Marsh & McLennan (Services) Ltd. [2007] EWCA Civ 723, [2007] 2 All ER (Comm) 913, [2007] ILPr 706 (C.A.). 238 Mankowski, EuZA 2008, 417, 427.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
7. Faktisches oder fehlerhaftes Arbeitsverhältnis Obwohl Art. 20 Brüssel Ia-VO nur vom Arbeitsvertrag, nicht auch vom Arbeitsverhältnis spricht, sind ihm richtigerweise Streitigkeiten aus faktischen oder fehlerhaften Arbeitsverhältnissen zu unterstellen, bei denen entweder Arbeit ohne eigentlichen Vertragsabschluss geleistet wird239 oder zwar ein Vertrag existiert, dieser sich aber als unwirksam herausstellt.240 Für diese Einbeziehung spricht die Parallele zu Art. 8 Rom I-VO; Art. 6 EVÜ,241 die nach allgemeiner Ansicht auch solche Arbeitsverhältnisse erfassen,242 insbesondere aber, dass auch der primärrechtliche Begriff des Arbeitnehmers aus Art. 45 AEUV (ex Art. 39 EGV) die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages nicht verlangt.243 Im umgekehrten Fall sollte man Streitigkeiten aus noch nicht angetretenen Arbeitsverhältnissen (z.B. wegen Vertragsbruchs oder Missachtung einer Konkurrenzklausel) ebenfalls nicht ausgrenzen.244
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Aus Konkurrenzgründen innerhalb des Unionsrechts ist für die Ehegattenmitarbeit im Betrieb oder Unternehmen des anderen Ehegatten zu differenzieren: Diese ist arbeitsvertraglich zu qualifizieren, wenn ein Arbeitsvertrag existiert.245 Ohne Vertrag dürfte sie dagegen unter die EG-EheGüterVO mit ihrem weiten, auf alle vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den Ehegatten ausgedehnten Güterrechtsbegriff in ihrem Art. 3 Nr. 1 Brüssel Ia-VO fallen.246 Dies trifft insbesondere einen Anspruch auf angemessene Abgeltung der Mitarbeit.247
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Ein (z.B. wegen Krankheit, Mutterschutz, Elternzeit, Wehr- oder Ersatzdienst248) ruhendes oder suspendiertes Arbeitsverhältnis, welches keine aktuellen Pflichten zeitigt, ist erst recht ein Arbeitsvertrag i.S.v. Art. 20 Brüssel Ia-VO.249 Dies gilt namentlich für Rumpfarbeitsverhältnisse im Rahmen von Entsendungen und Doppelarbeitsverhältnissen.250
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8. Kollektivarbeitsrechtliche Streitigkeiten und Ansprüche aus Tarifvertrag Echte kollektivarbeitsrechtliche Streitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien oder zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen (namentlich dem deutschen Betriebsrat), insbesondere aus dem Betriebsverfassungsrecht,251 fallen sachlich nicht unter Art. 20 Brüssel Ia-VO,252 ebenso Streitigkeiten zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften253 oder Streitigkeiten zwischen dem Arbeitgeber und Sozialeinrichtungen der Tarifpartner.254 Denn Gegenbegriff zum Individualarbeitsvertrag sind 239 Vgl. EuGH v. 17.11.2016 – C-216/15, ECLI:EU:C:2016:883 Rz. 36 – Betriebsrat der Ruhrlandklink gGmbH vs. Ruhrlandklink gGmbH zur RL 2008/104/EG. 240 Johner, 76; Trenner, 92; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3; Däubler, NZA 2003, 1297, 1299; C. Müller, 53; Geimer/ Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 15 (2005); Junker, FS Schlosser (2005) 299, 303; Bosse, 77 f.; Geimer/ Schütze/D. Paulus, Rz. 49 (2016); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 38; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 107; Ulrici, jurisPR-ArbR 24/2020 Anm. 5 sub C II 1. 241 Trenner, 92; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 4. 242 Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 C 282 Art. 6 EVÜ Anm. (1). 243 Streinz/Franzen, EUV/AEUV (3. Aufl. 2018) Art. 45 AEUV Rz. 19. 244 Zustimmend Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 40. A.A. östOGH, SZ 71/207; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 9. 245 Mankowski in Staudinger Art. 14 EGBGB Rz. 296 (2011); Henrich, FS Richardi (2007) 1041, 1043; Andrae, IPRax 2018, 221, 223. 246 Henrich, ZfRV 2016, 171, 173; Nademleinsky, JEV 2017, 36, 37; Andrae, IPRax 2018, 221, 223. A.A. ohne Berücksichtigung der EU-EheGüterVO Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 39. 247 C. Rudolf, EF-Z 2017, 244, 245. 248 Neumayr/Geroldinger/Garber, Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 24. 249 Krebber, IPRax 2004, 309, 314 f.; Leipold, GS Wolfgang Blomyer (2004) 143, 152; Junker, FS Kropholler (2008) 481, 495; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 107. 250 Junker, FS Kropholler (2008) 481, 495. 251 U. Fischer, FS 50 Jahre BAG (2004) 1293, 1299. 252 östOGH, IPRax 2011, 89, 90; Johner, 77–79; Trenner, 93; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 19 (2005); Palao Moreno, AEDIPr 2007, 958, 960; Graf-Schimek, ÖJZ 2010, 245; Mankowski, IPRax 2011, 93, 94; Temming, IPRax 2016, 181, 182; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 41; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 105. 253 Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 3. 254 ArbG Wiesbaden, NZA-RR 2000, 321, 323.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich kollektivarbeitsrechtliche Phänomene.255 Entscheidend ist, wer formelle Partei ist und ob die formelle Partei eine Institution oder ein einzelner Arbeitnehmer ist.256 Allerdings prägt bloße Prozessstandschaft eines Betriebsrats für einen Arbeitnehmer nicht.257 Ob ein Betriebsrat als Institution Partei sein kann, ist eine Frage der Parteifähigkeit, nicht der internationalen oder örtlichen Zuständigkeit.258 56
Ein Individualarbeitsvertrag muss keineswegs individuell ausgehandelt sein, sondern kann auch ein Formulararbeitsvertrag sein.259 Unter Art. 20 Brüssel Ia-VO fallen des Weiteren Gruppenarbeitsverträge, z.B. mit Musik- oder Theaterguppen.260 Ein Tarifvertrag ist – wie unter Art. 8 Rom I-VO; Art. 6 EVÜ261 – zwischen seinen Parteien kein Individualarbeitsvertrag, ebenso wenig eine Betriebsvereinbarung.262 Streiten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Arbeitssicherheitsrecht oder sonstiges öffentliches Recht, so bleibt es aber trotzdem bei einer zivilen Arbeitsstreitigkeit.263
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Den Art. 20–23 Brüssel Ia-VO geht es um den Schutz des individuellen Arbeitnehmers als der typischerweise schwächeren Partei. Der einzelne Arbeitnehmer soll ein Heimspiel bekommen, zumindest aber einen Gerichtsstand, mit dem er auch verbunden ist. Parteien in Streitigkeiten des kollektiven Arbeitsrechts begegnen sich dagegen eher auf Augenhöhe. Zwischen ihnen besteht kein typisches Gefälle, und der Arbeitgeber ist insoweit nicht weisungsbefugt.264 Arbeitgeber, Arbeitgeberverband und Gewerkschaft beim Tarifvertrag zum einen und Arbeitgeber und Betriebsrat (ggf. Gesamt- oder Konzernbetriebsrat) bei der Betriebsverfassung zum anderen stehen zueinander nicht in einem Über-/Unterordnungsverhältnis. Eine Gewerkschaft braucht keinen zuständigkeitsrechtlichen Schutz, ebenso wenig ein Betriebsrat.265 Bei kollektivarbeitsrechtlichen Streitigkeiten würden auch die Anknüpfungspunkte des Art. 21 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO nicht passen:266 der gewöhnliche Arbeitsort nicht, weil im echten kollektiven Arbeitsrecht keine Erbringung von Arbeit in Rede steht, und die einstellende Niederlassung nicht, weil ja niemand eingestellt oder arbeitsrechtlich geführt wird.267 Kollektiver Rechtsschutz passt eben nicht in individualbezogene Gerichtsstände. Arbeitnehmervertreter agieren eben in dieser Funktion nicht als Arbeitnehmer,268 umso weniger wenn sie als Verband auftreten.
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Individualarbeitsvertraglich sind indes konkrete Ansprüche oder Rechte des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber aus einem anwendbaren Tarifvertrag.269 Dieser ist dann nur Rechtsquelle, nicht mehr. Insoweit gewährt er dem einzelnen Arbeitnehmer individuelle Rechte, ist also gleichsam in den Individualarbeitsvertrag ergänzend hineinzulesen.270 Deshalb finden Art. 20–23 Brüssel Ia-VO dann Anwendung. Dies gilt ebenso für Streitigkeiten um individuelle Auswirkungen des Betriebsverfassungsrechts, z.B. eine auf § 78 BetrVG gestützte Schadensersatzklage oder Streitigkeiten um Lohn oder Kündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder.271 Kollektivarbeitsrechtliche Elemente (z.B. Zu255 Siehe nur LAG Nürnberg, IPRspr. 2008 Nr. 130 S. 442. 256 Mankowski, IPRax 2011, 93, 94. 257 Mankowski, IPRax 2011, 93, 95 f.; van Hoek in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 173, 185. 258 van Hoek in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 173, 178. 259 Junker, NZA 2005, 199, 201; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 104 Fn. 244. 260 Junker, FS Schlosser (2005) 299, 302; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 43. 261 Siehe dort nur Gamillscheg, ZfA 1983, 307, 365 f.; Birk, RdA 1989, 201, 206; Basedow, BDGesVR 31 (1990) 75, 93; von Bar, Internationales Privatrecht II (1991) Rz. 444; Junker, 417; Hergenröder, AR-Blattei SD 1550.15 Rz. 43 (Feb 2004); Fudickar, Parteiautonome Anknüpfung grenzüberschreitender Tarifverträge in der Europäischen Union (2005) 107–138. 262 Kropholler/von Hein, Art. 18 EuGVO Rz. 2; Trenner, 93; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1; Junker, NZA 2005, 199, 201; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 302; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 51 (2016); Wieczorek/Schütze/ Temming, Rz. 104. 263 Johner, 80; Trenner, 93. 264 Mankowski, IPRax 2011, 93, 94; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 41. 265 Mankowski, IPRax 2011, 93, 94; van Hoek in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 173, 184 f. 266 Bosse, 73. 267 Mankowski, IPRax 2011, 93, 94. 268 Bosse, 73. 269 östOGH, ecolex 2015/390, 892 = DRdA 2016/7, 55 m. Anm. Burger = RdW 2016/90, 124; Trenner, 93; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 8; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 104. 270 Zustimmend Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 42.1.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
stimmungserfordernisse seitens des Betriebsrates) prägen als Vorfragen den Charakter eines Anspruchs nicht.272 Dagegen sind Ansprüche von Sozialversicherungsträgern, die sich aus einem Tarifvertrag ergeben, keine individualarbeitsvertraglichen Ansprüche. Sie mögen zwar mittelbar im Interesse des Arbeitnehmers bestehen, haben aber einen anderen Gläubiger und eine andere Struktur. Bei ihnen ist vorgelagert von Bedeutung, inwieweit sie – namentlich bei einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag – überhaupt Zivilsache sind und, wenn sie Zivilsache sein sollten, ob sie durch Art. 1 Abs. 2 lit. c Brüssel Ia-VO als Maßnahme der sozialen Sicherheit aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel I-VO ausgegrenzt sind.273
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9. Handelsvertreter Ob ein Handelsvertreter Arbeitnehmer im Sinne der unionsrechtlichen Definition ist oder nicht, ist 60 eine Frage des Einzelfalls.274 Da ein Arbeitnehmer eine natürliche Person sein muss,275 sind jedenfalls Handelsvertretergesellschaften keine Arbeitnehmer.276 Freie Handelsvertreter sind in der Regel keine Arbeitnehmer,277 jedenfalls wenn sie für mehrere Unternehmen tätig werden.278 Dann fehlt es an der erforderlichen Weisungsabhängigkeit279 und an einer hinreichenden Eingliederung in die Arbeitsorganisation nur eines Auftraggebers. Außerdem tragen solche Handelsvertreter ein Unternehmerrisiko am Markt für Dienstleistungen. Auf solche freien Handelsvertreter finden die besonderen Schutzregeln des Internationalen Arbeitsprozessrechts auch keine analoge Anwendung.280 Ansonsten kann eine natürliche Person als Handelsvertreter ausnahmsweise wirtschaftlich und sozial 61 arbeitnehmerähnlich sein, wenn sie nur für einen Prinzipal tätig ist und die geschuldete Tätigkeit im Wesentlichen ohne eigene Arbeitnehmer erbringt.281 Freilich wird dies am Ergebnis, dass Art. 20–23 Brüssel Ia-VO nicht anwendbar sind, in der Regel nichts ändern.282 Eine wertende Abgrenzung ist trotzdem geboten.283 Im Einzelfall kann ein fest angestellter Handelsvertreter sogar letztlich unproblematisch Arbeitnehmer sein.284 Das hat wegen Art. 23 Brüssel Ia-VO praktisch bedeutsame Auswirkungen für etwaige Gerichtsstandsabreden im Anstellungsvertrag.285
271 östOGH, ecolex 2015/390, 892 = DRdA 2016/7, 55 m. Anm. Burger = RdW 2016/90, 124; Ulrich Fischer, FS 50 Jahre BAG (2004) 1293, 1299. 272 Mankowski, IPRax 2011, 93, 95; van Hoek in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 173, 184 sowie östOGH, IPRax 2011, 89, 90. 273 Dazu Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 99 (Mankowski). 274 Mankowski in Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Wirtschaftsrechts im deutsch-griechischen Rechtsverkehr (2006) 131, 134; Mankowski in Calvo Caravaca/Rodríguez Rodrigo (Hrsg.), Parmalat y otros casos e derecho internacional privado (2007) 413, 416. 275 Siehe die amtliche Überschrift zu Art. 6 EVÜ; 30 EGBGB: „Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse von Einzelpersonen“ (Hervorhebung hinzugefügt). 276 Mankowski in Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Aktuelle Fragen des Wirtschaftsrechts im deutsch-griechischen Rechtsverkehr (2006) 131, 134; Mankowski in Calvo Caravaca/Rodríguez Rodrigo (Hrsg.), Parmalat y otros casos e derecho internacional privado (2007) 413, 416; Mankowski, YbPIL 10 (2008), 19, 25. 277 ÖstOGH, JBl 1999, 745; OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3127 f.; Mankowski, MDR 2002, 1352, 1353; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 35. 278 OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3128. 279 OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3128; Czernich/Heiss/Rudisch, EVÜ (1999) Art. 6 EVÜ Rz. 20. 280 LAG Düsseldorf v. 28.5.2014 – 12 Sa 1423/13, IPRax 2015, 551 Rz. 38–42 = IHR 2014, 242 m. zust. Anm. Mankowski; Mankowski, MDR 2002, 1352, 1353; Hopt/von Hein, Handelsvertreterrecht (3. Aufl. 2003) § 92c HGB Rz. 1. A.A. Emde, MDR 2002, 190, 198. 281 ÖstOGH, JBl 1999, 745; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 7; Ebenroth/Boujong/Joost/K. W. Lange, HGB (2. Aufl. 2007) Anh. § 92c HGB Rz. 16; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 101. 282 Siehe Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 30a (Mankowski). Im Ergebnis a.A. Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 101 f. 283 Ebenroth/Boujong/Joost/K. W. Lange, HGB (2. Aufl. 2007) Anh. § 92c HGB Rz. 16. 284 Vgl. LAG Bremen, AP Nr. 5 zu Art. 30 EGBGB nF. 285 Temming, jurisPR-ArbR 8/2016 Anm. 6 sub A.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich 10. Organpersonen von Gesellschaften 62
Angestellte Organpersonen von Gesellschaften sind ein Problemfall: Einerseits üben sie das Weisungsrecht des Arbeitgebers gegenüber anderen aus, andererseits müssen sie selber Zielvorgaben erfüllen. Sie haben eine hybride Stellung.286 § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG, die ausdrückliche Ausgrenzung von Organpersonen aus dem Arbeitnehmerbegriff, findet kein Pendant auf der europäischen Ebene287 und ist auch nicht inhaltlich zu übertragen.288 Ob das Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht als Verhältnis sui generis einzuordnen wäre, ist ebenso unerheblich,289 wie es Herkunft und Höhe der Vergütung sind.290 Eine Differenzierung zwischen (vorgeblich gesellschaftsrechtlichem) Bestellungs- und (arbeitsrechtlichem) Anstellungsverhältnis291 ist ebenfalls nicht vorzunehmen, denn sie bezöge sich auf nationale Besonderheiten.292 Auszugrenzen sind allerdings Klagen, mit denen sich abberufene Organpersonen gegen den Abberufungsbeschluss richten; sie fallen unter Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.293
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Entscheidendes Kriterium aus dem Arbeitnehmerbegriff ist hier die Weisungsgebundenheit.294 Wenn nach dem Gesellschaftsstatut keine Weisungsrechte der Gesellschafter oder anderer Unternehmensorgane gegenüber den Organpersonen bestehen, so sind die Organpersonen mangels Weisungsunterworfenheit eben keine Arbeitnehmer, weil es dann an einem zentralen Merkmal des Arbeitnehmerbegriffs fehlt.295 Um zu beurteilen, ob und, wenn ja, wessen Weisungen Organpersonen unterworfen sind, ist für die Untersatzbildung ein Rekurs auf das Gesellschaftsstatut, auf das für die Innenbeziehungen zwischen der Gesellschaft und ihren Organen maßgebliche Recht, notwendig.296 Denn für den Untersatz, ob das Merkmal der Weisungsunterworfenheit vorliegt, erfolgt eine Qualifikationsverweisung. Normalerweise geht diese Qualifikationsverweisung aus dem Grundgedanken des Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO heraus auf dasjenige Recht, das Arbeitsvertragsstatut wäre, wenn es sich denn um einen Arbeitsvertrag handelte.297 Hier wird indes das Arbeitsrecht durch das Gesellschaftsrecht teilweise überlagert. Dass es sich dabei nicht um ein genuin arbeitsvertragliches, sondern um ein gesellschaftsrechtliches Weisungsrecht handelt, ändert nichts am etwaigen Bestehen eines Weisungsrechts.298
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Welche Weisungsrecht gegenüber Organpersonen besteht, ist eine Frage der inneren Gesellschaftsstruktur und beantwortet sich daher notwendig nach dem Gesellschaftsstatut (adem auf die betref286 287 288 289
290 291 292 293 294 295
296 297 298
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Rammeloo, Eur. Co. L.J. 16 (2019) 104. Mankowski, RIW 2004, 167, 170. A.A. Knöfel, EuZA 2016, 348, 362. EuGH v. 23.3.1982 – 53/81, ECLI:EU:C:1982:105 Rz. 16 – D M Levin vs. Staatssecretaris van Justitie; EuGH v. 31.5.1989 – 344/87, ECLI:EU:C:1989:226 Rz. 15 f. – I Bettray vs. Staatssecretaris van Justitie; EuGH v. 19.11.2002 – C-188/00, ECLI:EU:C:2002:694 Rz. 32 – Bülent Kurz, geb. Yüce vs. Land Baden-Württemberg; EuGH v. 7.9.2004 – C-456/02, ECLI:EU:C:2004:488 Rz. 16 – Michel Trojani vs. Centre public d’aide sociale de Bruxelles (CPAS); EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674 Rz. 40 f. – Dita Danosa vs. LKB Lı¯zings SIA (dazu C. Kruse/Stenslik, NZA 2013, 596; Schiefer/Worzalla, ZfA 2013, 41). EuGH v. 19.11.2002 – C-188/00, ECLI:EU:C:2002:694 Rz. 32 – Bülent Kurz, geb. Yüce vs. Land Baden-Württemberg. Dahin Arons. Ondernemingsrecht 2014, 312 f.; P. Haas, Eur. Co. L. 13 (2016) 79, 80. Mankowski, RIW 2004, 167, 171; Mankowski, ZIP 2010, 802, 803; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 42 (2016) sowie Kindler, IPRax 2016, 115, 117 f. OLG Frankfurt v. 3.2.2010 – 21 U 54/09, IPRax 2010, 534 = ZIP 2010, 800; Mankowski, ZIP 2010, 802; Kindler, NZG 2010, 576, 577. EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 47 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies von Büllesheim; Mankowski, RIW 2015, 821 (821); Christina Meyer, EuZA 2020, 86, 94. A.A. Knöfel, EuZA 2016, 348, 360. Mankowski, RIW 2019, 505, 506; s. Bericht Jenard/Möller, ABl. EWG 1990 C 189/73 Rz. 41; GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C:2011:564 Rz. 88; GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 7.5.2015 in der Rs. C-47/14, ECLI:EU:C:2015:309 Rz. 27–29; GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 24.1.2019 in der Rs. C-603/17, ECLI:EU:C:2019:65 Rz. 45. Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 6; Mankowski, LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 7 S. 15, 19 (März 2004); Mankowski, RIW 2004, 167, 169; Lüttringhaus, EuZW 2015, 904, 905; Mankowski, RIW 2015, 821, 822; Reinstadler/Reinalter, Giur. It. 2016, 851, 853. Mankowski, BB 1997, 465, 469. Forst, EuZW 2015, 664, 665 f.; Mankowski, RIW 2015, 821, 822.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
fende Gesellschaft anwendbaren Recht).299 Dabei handelt es sich um eine Vorfrage (bzw. wohl noch genauer: Erstfrage) im Sinne des IPR.300 Dass sie sich unter Art. 20 Brüssel Ia-VO bereits im Rahmen der internationalen Zuständigkeit stellt, ändert nichts daran, dass sie sich stellt. Es gibt kein Dogma, dass in der Zuständigkeitsprüfung niemals materielles Recht samt IPR zum Zuge kommen könnte und dass die Zuständigkeitsprüfung um jeden Preis von der Prüfung materiellen Rechts zu entlasten wäre. Zuzugestehen ist, dass man bei der Vorfrage die implizite Verweisung auf nationales Recht ein heteronomes Element hineinbringt.301 Mangels europäisch-autonomer Ausfüllungsmaßstäbe lässt sich dies an dieser Stelle aber nicht vermeiden. Wenn ein Organ nach dem Gesellschaftsstatut weisungsfrei ist, wird in der Gesellschaftsstruktur auch kein anderes Organ existieren, das ihm rechtlich verbindliche Weisungen erteilen könnte.302 Informeller „Gehorsam“ reicht nicht für Weisungsunterworfenheit,303 wohl aber Weisungsunterworfenheit als Folge einer besonderen Organstruktur, die vom Gesellschaftsstatut zwar nicht vorgeschrieben, aber gestattet ist und von der Gesellschaftssatzung ausgestaltet wird,304 z.B. durch Einrichtung eines weisungsbefugten Beirats.305 Umgekehrt kann das Gesellschaftsstatut die Abbedingung eines generell bestehenden Weisungsrechts gestatten.306 Kohärenz mit dem Mutterschutzrecht,307 dem Recht der Massenentlassung308 und dem Antidiskriminierungsrecht (z.B. dem AGG309) ist ein großer Pluspunkt.310
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Trotz prinzipieller Weisungsgebundenheit nach der Organstruktur des betroffenen Gesellschaftstyps kann sich aber ergeben, dass die Organperson sich gleichsam selber die Weisungen erteilt311 und so einem „Selbstbeschäftigten“, einem Selbstständigen gleicht.312 Dies ist ein zweiter Prüfungsschritt.313 Es kann dabei auch dann an einem Unterordnungsverhältnis fehlen, wenn die Organperson nicht zugleich Gesellschafter ist.314
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299 Mankowski, RIW 2015, 821, 822; Kindler, IPRax 2016, 115, 116 f.; L. Hübner, ZGR 2016, 897, 905 f.; Knöfel, EuZA 2016, 348, 358 f. Vgl. auch GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 24.1.2019 in der Rs. C-603/17, ECLI:EU:C:2019:65 Rz. 52. 300 Mankowski, RIW 2015, 821, 822; Kindler, IPRax 2016, 115, 116 f.; Mankowski, EuZA 2016, 398, 399; L. Hübner, ZGR 2016, 897, 906; vgl. auch Jenderek 133 f. 301 So die Kritik von Knöfel, EuZA 2016, 348, 356 f. 302 Mankowski, LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 7 S. 15, 19 (März 2004); Mankowski, RIW 2004, 167, 169 f.; Mankowski, RIW 2015, 821, 822; Mankowski, RIW 2019, 505, 506. 303 Mankowski, LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 7 S. 15, 19 (März 2004); Mankowski, RIW 2004, 167, 170; Mankowski, RIW 2015, 821, 822. 304 GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 7.5.2015 in der Rs. C-47/14, ECLI:EU:C:2015:309 Rz. 32; Kindler, IPRax 2016, 115, 116. 305 Lüttringhaus, EuZW 2015, 904, 906; Mankowski, RIW 2015, 821, 822. 306 Reinstadler/Reinalter, Giur. It. 2016, 851, 853. 307 Dort EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674 – Dita Danosa vs. LKB Lı¯zings SIA, EuGHE 2010 I 11405 Rz. 47–51. 308 Dort EuGH v. 13.2.2014 – C-596/12, ECLI:EU:C:2014:77 Rz. 17 f. – Kommission vs. Italien; EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455 Rz. 35–48 – Ender Balkaya vs. Kiesel Abbruch- und Recycling Technik GmbH; Hohenstatt/Naber, EuZA 2016, 22. 309 Dort BGH v. 26.3.2019 – II ZR 244/17, ECLI:DE:BGH:2019:260319IIZR244.17.0, NZG 2019, 705; C. Arnold/ Romero, NZG 2019, 930. 310 Siehe EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 41, 46 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim; Jungemeyer, jurisPR-IWR 4/2015 Anm. 1 sub C; L. Hübner, ZGR 2016, 897, 905 sowie H.-P. Löw, DB 2019, 2168, 2170. Übergreifend Henssler/Pant, RdA 2019, 321. A.A. Knöfel, EuZA 2016, 348, 358. Skeptisch auch GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 24.1.2019 in der Rs. C-603/17, ECLI:EU:C:2019:310, ECLI:EU:C:2019:65 Rz. 50. f. 311 GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 7.5.2015 in der Rs. C-47/14, ECLI:EU:C:2015:309 Rz. 31; Mankowski, RIW 2004, 167, 171; Mankowski, RIW 2015, 821, 822; Mankowski, RIW 2019, 505, 506; C. A. Krebs, GWR 2015, 450; Stella, Int’l Lis 2016, 67, 69; Kindler, IPRax 2016, 115, 117; Garber, GPR 2019, 229, 231. 312 Treffend Stella, Int’l Lis 2016, 67, 69. 313 Kindler, IPRax 2016, 115, 117; Mankowski, RIW 2019, 505, 506. 314 EuGH v. 11.4.2019 – C-603/17, ECLI:EU:C:2019:310 Rz. 31 – Peter Bosworth u. Colin Hurley vs. Arcadia Petroleum Ltd.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich 67
An der Weisungsgebundenheit und damit an der Arbeitnehmereigenschaft fehlt es jedenfalls für den Gesellschafter-Geschäftsführer einer Ein-Mann-Gesellschaft.315 Gleiches gilt bei Stimmrechtsmehrheit des Geschäftsführers, mag diese auf Beteiligungsmehrheit oder auf Stimmvereinbarungen beruhen.316 Auch Minderheitsgesellschafter mit Sperrminorität können entscheidenden Einfluss haben.317 Umgekehrt können stimmrechtslose Vorzugsaktien keine (rechtliche) Einflussnahmemöglichkeit tragen.318 Bedeutung kann auch gewinnen, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer als Gesellschafter Mitglieder in ein Gremium (namentlich ein Kontrollorgan) entsendet, das ihm seinerseits als Geschftsführer Weisungen erteilen kann.319
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Andererseits stehen erfolgsabhängige Vergütungsanteile einer Arbeitnehmereigenschaft nicht zwingend entgegen.320 Ebenso wenig schadet automatisch die Beteiligung an der Gesellschaft,321 insbesondere wenn sich die Beteiligung nur aus dem Einlösen erteilter Optionen ergibt und damit eigentlich besonderer Vergütungsbestandteil ist.322 Bloße Belegschaftsanteile vermitteln keine wesentliche Teilhabe am unternehmerischen Risiko.323
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Eine teleologische Reduktion für Organpersonen ist nicht generell vorzunehmen.324 Zwar entsprechen viele Organpersonen nicht dem Normalbild eines Arbeitnehmers und haben konkret-individuell größere Verhandlungsmacht. Zuzugestehen sind auch Besonderheiten bei der internen Haftung gegenüber der Gesellschaft, das Organpersonen Risiken der unternehmerischen Tätigkeit des Unternehmens besser beeinflussen und steuern können.325 Das (angeblich326) höhere Risiko von Organpersonen spiegelt sich häufig in entsprechend höheren Vergütungen wider.327 Obendrein können verhandlungsstarke Organpersonen auf den Abschluss einer D&O (Directors’ and Officers’ Liability)-Versicherung drängen.328
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Solche Momente konkret-individueller Natur zu berücksichtigen konfligierte jedoch mit dem abstrakten Schutzansatz, den Art. 20–23 Brüssel Ia-VO verfolgen. Sie vermuten unwiderleglich, dass der Arbeitnehmer typischerweise, also abstrakt, die schwächere Partei ist. Darin gleichen sie Art. 10–16 Brüssel Ia-VO und Art. 17–19 Brüssel Ia-VO, die beide ebenfalls nicht darauf abstellen, ob im konkreten Fall der Versicherungsnehmer bzw. der Verbraucher wirklich die schwächere Partei ist. Ein abstrakter Schutzansatz setzt eine klarere Orientierungsmarke und erspart hohe Ermittlungskosten.329 Eine eigene Begriffsbildung spezifisch für Haftungsklagen330 würde zersplittern. 315 EuGH v. 27.6.1996 – C-107/94, ECLI:EU:C:1996:251 Rz. 26 – P.H. Asscher vs. Staatssecretaris van Financien; EuGH v. 8.6.1999 – C-337/97, ECLI:EU:C:1999:284 Rz. 15 – CPM Meeusen vs. Hoofddirectie van de Informatie Beheer Groep; Mankowski, RIW 2004, 167, 171; L. Hübner, ZGR 2016, 897, 910; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 34; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 99. 316 Mankowski, RIW 2015, 821, 822; L. Hübner, ZGR 2016, 897, 910 sowie Reinstadler/Reinalter, Giur. It. 2016, 851, 853; A. Junker, GS Robert Rebhahn (2019) 177, 188 f. Im deutschen Recht ebenso BGH, ZInsO 2019, 2433. 317 C. A. Krebs, GWR 2015, 450; L. Hübner, ZGR 2016, 897, 910 sowie A. Junker, GS Robert Rebhahn (2019) 177, 189. 318 Mankowski, RIW 2015, 821, 822. 319 Mankowski, RIW 2015, 821, 822 sowie Mankowski, RIW 2004, 167, 171. 320 EuGH v. 14.12.1989 – 3/87, ECLI:EU:C:1989:650 Rz. 36 – The Queen vs. Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Agegate Ltd. 321 EuGH v. 10.12.1991 – C-179/90, ECLI:EU:C:1991:464 Rz. 13 – Merci convenzionali porto di Genova SpA vs. Siderurgica Gabrielli SpA; GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 7.5.2015 in der Rs. C-47/14, ECLI:EU:C: 2015:309 Rz. 31, 36. 322 Mankowski, RIW 2004, 167, 171. 323 GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 7.5.2015 in der Rs. C-47/14, ECLI:EU:C:2015:309 Rz. 36; Bosse, 68 f.; Mankowski, RIW 2015, 821, 822; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 89; Mankowski, RIW 2019, 505, 507. 324 Wie hier Jungemeyer, jurisPR-IWR 4/2015 Anm. 1 sub D sowie GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 7.5.2015 in der Rs. C-47/14, ECLI:EU:C:2015:309 Rz. 30. A.A. Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 18 EuGVVO Rz. 14; Knöfel, EuZA 2016, 348, 355 f. 325 Knöfel, EuZA 2016, 348, 355 unter Hinweis auf S. Binder, Grenzen der Vorstandshaftung (2016) 314–321. 326 Rechtstatsächlich wäre sowieso zu fragen, wie häufig Haftungsklagen gegen Organpersonen wirklich sind im Kontrast zum Ausscheiden gegen (hohe) Abfindungen. 327 Knöfel, EuZA 2016, 348, 356 unter Hinweis auf Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1306. 328 Knöfel, EuZA 2016, 348, 356.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
Fremdgeschäftsführer deutscher GmbHs sind in der Regel Arbeitnehmer, da sie nach deutschem GmbH-Recht (§ 37 Abs. 1 GmbHG) den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterworfen sind.331 Vorstandsmitglieder deutscher AGs sind dagegen grundsätzlich keine Arbeitnehmer, denn nach § 76 Abs. 1 AktG sind sie nicht weisungsunterworfen, und es gibt niemanden, der ihnen Weisungen erteilen könnte.332 Eine Ausnahme besteht aber, wenn ein Beherrschungsvertrag über die AG existiert und Vorschriften wie § 308 AktG zu beachten sind, weil dann die Vorstandsmitglieder der beherrschten AG Weisungen des herrschenden Unternehmens zu befolgen haben.333 Das Leitungsorgan einer monistisch verfassten deutschen SE wieder unterliegt gem. § 44 Abs. 2 SEAG Weisungen im Innenverhältnis.334
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Das Prüfungsprogramm335 umfasst folgenden Indizienkatalog lautet:336 – Bedingungen und Umstände der Einstellung; – Umfang der Befugnisse; – Kontrolle über die Geschäftsführung; – mögliche Umstände für eine Abberufung; – Umfang und Inhalt möglicher Weisungen; – Art und Umfang der Aufgaben der Organperson; – Rahmen, in welchem die jener Organperson übertragenen Aufgaben zu erledigen sind.
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Konkrete Einflussmöglichkeiten und deren Wahrnehmung durch einen Fremdorganschafter festzu- 73 stellen ist ex post schwer, insbesondere, wenn sie informeller Natur waren bzw. sind. Die Parteien treffen erhebliche Vortrags-, Darlegungs- und Beweislasten.337 Natürlich hat der Unternehmensträger in einem Streit mit seiner eigenen Organperson grundsätzlich Zugriff auf die Informationen über die relevanten Tatsachen. Externe Detektive braucht er normalerweise nicht zu beauftragen. Dem Unternehmensträger mögen für den Nachweis wahrgenommener informeller Einflussmöglichkeiten von Organpersonen auch Telefonnotizen und E-Mail-Dokumentationen helfen.338 Für Eigenorganschafter, die zugleich maßgeblich beteiligte Gesellschafter sind, neigt sich die Waage letztlich auch deshalb zur Ausgrenzung aus dem Arbeitnehmerbegriff,339 weil sie unternehmerisches Risiko tragen.340 Maßgeblich beteiligt ist jedenfalls, wer eine Stimmrechtsmehrheit besitzt.341 329 James Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [57], [2016] ILPr 51 (C.A., per Sales L.J.); Peter Miles Bosworth v. Arcadia Petroleum Ltd. [2016] EWCA Civ 818 [46] (C.A., per Gross L.J.). Näher Mankowski, IPRax 2015, 115. 330 Dahin GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 24.1.2019 in der Rs. C-603/17, ECLI:EU:C:2019:65 Rz. 53–57; Knöfel, EuZA 2016, 348, 356, jeweils unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO sowie Christina Meyer, EuZA 2020, 86, 91. 331 Mankowski, LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 7 S. 15, 19 (März 2004); Lüttringhaus, EuZW 2015, 904, 906; C. A. Krebs, GWR 2015, 450; Kindler, IPRax 2016, 115, 116; im Ergebnis ähnlich (Analogie zu Art. 30 EGBGB für das IPR) OLG Düsseldorf, RIW 2004, 230, 232 f. 332 Mankowski, LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 7 S. 15, 19 (März 2004); Gastell, EWS 9/2005, I; Diller/Wilske, DB 2007, 1866, 1868; C. A. Krebs, GWR 2015, 450; Jungemeyer, jurisPR-IWR 4/2015 Anm. 1 sub D; Kindler, IPRax 2016, 115, 116; L. Hübner, ZGR 2016, 897, 910; H.-P. Löw, DB 2019, 2168, 2171 f. 333 Kindler, IPRax 2016, 115, 116; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 98. 334 Forst, EuZW 2015, 664, 667; L. Hübner, ZGR 2016, 897, 910. 335 Siehe EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674 Rz. 47-51 – Dita Danosa vs. LKB Lı¯zings SIA sowie EuGH v. 11.4.2019 – C-603/17, ECLI:EU:C:2019:310 Rz. 26–33 – Peter Bosworth u. Colin Hurley vs. Arcadia Petroleum Ltd. 336 Commandeur/Kleinebrink, NZA-RR 2017, 449, 452; Mankowski, RIW 2019, 505, 506. 337 Knöfel, EuZA 2016, 348, 359 f. 338 Mankowski, RIW 2019, 505, 506. 339 Im Ergebnis ebenso EuGH v. 10.9.2015 – C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574 Rz. 47 – Holterman Ferho Exploitatie BV vs. Friedrich Leopold Freiherr Spies vBüllesheim; GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 7.5.2015 in der Rs. C-47/14, ECLI:EU:C:2015:309 Rz. 31; Bosse, 67; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 6; Gastell, EWS 9/2005, I; Messaï-Bahri, Bull. Joly Sociétés 2016, 135, 136. 340 Mankowski, RIW 2004, 167, 171; Mankowski, RIW 2015, 821, 822. A.A. Kindler, IPRax 2016, 115, 117. 341 Kindler, IPRax 2016, 115, 117; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 43 (2016); Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 99 sowie Forst, EuZW 2015, 664, 666; Mankowski, RIW 2015, 821, 822.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich Kriterien für den beherrschenden Einfluss lassen sich an Art. 22 Abs. 2 BilanzRL342 anlehnen (auf die namentlich Art. 2 Nr. 14 EuInsVO 2015 verweist), in Deutschland umgesetzt in § 290 HGB.343 Unbeschränkte persönliche Haftung als Gesellschafter namentlich einer Personengesellschaft begründet jedenfalls ein unternehmerisches Risiko.344 75
Ein direktes unternehmerisches Risiko als Folge drohenden Verlusts oder drohender Minderung eingesetzten Kapitals trägt im Grundsatz nur, wer selber Gesellschafter und Anteilseigner ist; wer dagegen Fremdorganschafter ist und nicht zugleich Gesellschafter, trägt eigentlich kein unternehmerisches Risiko.345 Dass das Bestehen einer Gesellschaftsbeteiligung kein absolutes Ausschlusskriterium für die Arbeitnehmereigenschaft ist,346 ist nur die negative Spiegelung.347
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Bei Gesellschaften im Streubesitz oder mit vielen Anteilseignern ohne klare Mehrheitsstruktur haben faktisch in aller Regel die angestellten Manager, also die Organpersonen des Geschäftsführungsorgans, das Sagen und die reale Macht. Dies gilt insbesondere für viele Positionen, die sich mit einem „Chief“ schmücken dürfen, insbesondere CEO/Chief Executive Officer, CFO/Chief Financial Officer oder COO/Chief Organisation Officer.348
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Bei Familienunternehmen und anderen Unternehmen mit klaren Mehrheitsstrukturen werden angestellte Manager dagegen weniger eigenen Einfluss gewinnen können und eher ausführendes als gestaltendes Organ sein. Familienfremde Manager im echten Familienunternehmen werden den nötigen Grad an Autonomie und Kontrolle, um die Obergrenze des Arbeitsvertrags zu überschreiten, kaum je erreichen.349
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Eine eigene Fallgruppe bilden solche Organpersonen, die einen (alleinigen oder weiteren) Anstellungsvertrag mit einer anderen Gesellschaft als derjenigen, deren Organ sie sind, besitzen (z.B. zu Tochtergesellschaften entsandte Manager mit der entsendenden Muttergesellschaft) und sich in einer vertraglichen Streitigkeit mit jener anderen Gesellschaft befinden. Solche Organpersonen sind Arbeitnehmer, und ihr dann relevanter Arbeitgeber ist die andere Gesellschaft, der Partner des Anstellungsvertrages.350 Insoweit geht es eben nicht um einen Streit zwischen der Organperson und der gemeinhin von ihr vertretenen Gesellschaft. Diese Gesellschaft ist mit Blick auf den Anstellungsvertrag nur Dritter, aber nicht Partei. 11. Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst
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Dass ein Arbeitnehmer Beamter oder Angestellter im öffentlicher Dienst ist, ändert prinzipiell nichts an seiner Arbeitnehmereigenschaft.351 Auch Angestellte oder Funktionäre internationaler Organisationen oder der EU selber sind grundsätzlich Arbeitnehmer.352 Jedoch ist jeweils im Einzelfall 342 Richtlinie 2013/34EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl. EU 2013 L 182/19. 343 Kindler, IPRax 2016, 115, 117; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 100. 344 Mankowski, RIW 2015, 821, 822. 345 Mankowski, RIW 2019, 505, 506. 346 Siehe EuGH v. 11.4.2019 – C-603/17, ECLI:EU:C:2019:310 Rz. 30–34 – Peter Bosworth u. Colin Hurley vs. Arcadia Petroleum Ltd. 347 Mankowski, RIW 2019, 505, 506; s. GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 24.1.2019 in der Rs. C-603/17, ECLI:EU:C:2019:65 Rz. 42. 348 Mankowski, RIW 2019, 505, 507. 349 Mankowski, RIW 2019, 505, 507. 350 Ktg. Utrecht, NIPR 2002 Nr. 199 S. 339; Mankowski, LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 7 S. 15, 20 (März 2004); Mankowski, RIW 2004, 167, 172. 351 Siehe nur EuGH v. 12.2.1974 – 152/73, ECLI:EU:C:1974:13 Rz. 5 – Johannes Maria Sotgiu vs. Deutsche Bundespost; EuGH v. 3.6.1986 – 307/84, ECLI:EU:C:1986:222; EuGH v. 3.7.1986 – 66/85, ECLI:EU:C:1986:284 Rz. 20 – Deborah Lawrie-Blum vs. Land Baden-Württemberg; EuGH v. 27.11.1991 – C-4/91, ECLI:EU:C: 1991:448 Rz. 6 – Annegret Bleis vs. Ministère de l’Éducation national; EuGH v. 15.1.1998 – C-15/96, ECLI: EU:C:1998:3 Rz. 12 f. – Kalliope Schöning-Kougebetopoulou vs. Freie und Hansestadt Hamburg. 352 EuGH v. 15.3.1989 – 389/87 u. 390/87, ECLI:EU:C:1989:723 Rz. 11 – G.B.C. Echternach und A. Moritz vs. Minister van Onderwijs en Wetenschappen; EuGH v. 27.5.1993 – C-310/91, ECLI:EU:C:1993:221 Rz. 20 –
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
zu untersuchen, in welchem Umfang die Beamteneigenschaft mit genuin hoheitlicher Tätigkeit zusammenhängt und deshalb auch im Innenverhältnis zwischen dem anstellendem Staat und seinem Beamten eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, die nach Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO insgesamt aus der Brüssel I-VO herausfällt bzw. bereits qua Immunität des Beklagten auf der noch vorlagerten Ebene der Gerichtsbarkeit ausgenommen wird.353 Die bloße Zuweisung solcher Streitigkeiten an besondere Spruchkörper und insbesondere an eine besondere Verwaltungsgerichtsbarkeit durch das nationale Recht schließt noch nicht per se aus, dass trotzdem eine Zivil- und Handelssache vorliegt, denn Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO grenzt die Art der Gerichtsbarkeit ausdrücklich als Abgrenzungskriterium aus.354 Sachgerecht ist dagegen der Versuch, Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO insoweit in Einklang mit Art. 45 Abs. 4 AEUV (ex 39 Abs. 4 EGV) zu bringen und eine Abgrenzung entlang den zu Art. 45 Abs. 4 AEUV (ex Art. 39 Abs. 4 EGV) entwickelten Linien vorzunehmen.355 Zu den Beschäftigungen in der öffentlichen Verwaltung zählen danach diejenigen Stellen, die eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates und anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind.356 Dies umfasst auch legislative und richterliche Tätigkeit.357
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Die Zuordnung zur öffentlichen Verwaltung hängt davon ab, ob die betreffenden Stellen typisch für die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung sind.358 Hinzukommen muss ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten, welche grundsätzlich359 dem Staatsangehörigkeitsband360 zugrunde liegen.361 Die formelle Verbeamtung ist nicht ausschlaggebend,362 ebenso wenig die Stellenbezeichnung als Beamter, Ange-
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353
354 355 356
357 358 359 360 361 362
Hugo Schmid vs. Belgischer Staat vertreten durch den Sozialminister; EuGH v. 3.10.2000 – C-411/98, ECLI: EU:C:2000:530 Rz. 41 f. – Angelo Ferlini vs. Centre hospitalier de Luxembourg; EuGH v. 16.12.2004 – C-293/03, ECLI:EU:C:2004:821 Rz. 37 – Gregorio My vs. Office national des pensions (ONP), EuGHE 2004 I 12013, 12050 Rz. 37. Wie hier Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 18 EuGVVO Rz. 21; R. Wagner, RIW 2014, 257, 260; Junker, IZPR § 3 Rz. 4 f.; Musielak/Voit/A. Stadler, Rz. 4; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 82. Siehe zu Immunitätsfragen in diesem Bereich BAG, AP Nr. 1 zu § 18 GVG = IPRax 1999, 174 (Krebber, 164) = AR-Blattei ES 920 Nr. 5 m. Anm. Mankowski (Juli 1998); BAG, AP Nr. 19 zu § 23 KSchG 1969; BAG, AP Nr. 2 zu § 20 GVG; LAG Berlin, IPRax 2001, 144; Holland v. Lampen-Wolfe [1999] 1 WLR 188 (C.A.); Trib. Sup. REDI 1998, 2, 262 m. Anm. Palao Moreno; Trib. Sup. REDI 1998, 1, 331 m. Anm. Sánchez Lorenzo; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1998, 181; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1998, 816; ArbG Köln, RIW 1999, 623 m. Anm. Kollatz; Ktg. ’s-Gravenhage NIPR 1999 Nr. 191; Mankowski, IPRax 2001, 123–125. Zustimmend Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 82. Wie hier Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 82. EuGH v. 26.5.1982 – 149/79, ECLI:EU:C:1982:195 Rz. 10 – Kommission vs. Belgien; EuGH v. 3.6.1986 – 307/84, ECLI:EU:C:1986:222 Rz. 12 – Kommission vs. Frankreich; EuGH v. 3.7.1986 – 66/85, ECLI:EU:C: 1986:284 Rz. 16 – Deborah Lawrie-Blum vs. Land Baden-Württemberg; EuGH v. 2.7.1996 – C-473/93, ECLI:EU:C:1996:263 Rz. 2 – Kommission vs. Luxemburg; EuGH v. 2.7.1996 – C-173/94, ECLI:EU:C:1996: 264 Rz. 2 – Kommission vs. Belgien; EuGH v. 2.7.1996 – C-290/94, ECLI:EU:C:1996:265 Rz. 2 – Kommission vs. Griechenland; EuGH v. 15.1.1998 – C-15/96, ECLI:EU:C:1998:3 Rz. 13 – Kalliope Schöning-Kougebetopoulou vs. Freie und Hansestadt Hamburg. C. Calliess/Ruffert/Brechmann, EUV/AEUV (5. Aufl. 2015) Art. 45 AEUV Rz. 109; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Kreuschitz, EUV/AEUV/GRC, Bd. I (7. Aufl. 2015) Art. 45 AEUV Rz. 160. EuGH v. 26.2.1982 – 149/79, ECLI:EU:C:1982:195 Rz. 12 – Kommission vs. Belgien; EuGH v. 2.7.1996 – C-473/93, ECLI:EU:C:1996:263 – Kommission vs. Luxemburg, EuGHE 1996 I 3207, 3255 f. Rz. 27. Vgl. aber auch Streinz/Franzen, EUV/AEUV (3. Aufl. 2018) Art. 45 AEUV Rz. 148. Vgl. dazu GA Lenz, Schlussanträge v. 24.3.1993 in der Rs. C-42/92, ECLI:EU:C:1993:114 Rz. 29–32. EuGH v. 26.2.1982 – 149/79, ECLI:EU:C:1982:195 Rz. 10 f. – Kommission vs. Belgien; EuGH v. 2.7.1996 – C-473/93, ECLI:EU:C:1996:263 Rz. 2 – Kommission vs. Luxemburg; EuGH v. 2.7.1996 – C-290/94, ECLI: EU:C:1996:265 Rz. 2 – Kommission vs. Griechenland. Siehe nur EuGH v. 3.7.1986 – 66/85, ECLI:EU:C:1986:284 Rz. 16 – Deborah Lawrie-Blum vs. Land BadenWürttemberg; Mankowski, IPRax 2001, 123, 125.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich stellter oder Arbeiter.363 Gefordert ist eine funktionelle, keine institutionelle Betrachtung.364 Das nationale Recht und seine Qualifikationsentscheidung präjudizieren und determinieren den autonomen Begriff und die Formel zu seiner Ausfüllung nicht.365 82
Die Formel umschreibt einen Typusbegriff.366 „Normale“ Arbeitsverhältnisse betreffen daher solche Stellen, die zwar dem Staat oder einer öffentlichen Einrichtung zuzuordnen sind, jedoch keine Mitwirkung bei der Erfüllung von Aufgaben mit sich bringen, die zur öffentlichen Verwaltung in diesem hoheitlichen Sinne gehören.367 Eine Tätigkeit, die sowohl privat- als auch öffentlich-rechtlich organisiert durchgeführt werden könnte, ist jedenfalls nicht hoheitlich.368 Insbesondere die klassische Eingriffsverwaltung durch Polizei, Streitkräfte, Justiz und Steuerverwaltung zum einen und die Diplomatie zum anderen sind dagegen hoheitlich.369 Alle Funktionen, bei denen der Inhaber zu einseitig-verbindlichen Anordnungen befugt ist, gehören zur Verwaltung.370 12. Arbeitsrechtliche Aufhebungs- oder Abwicklungsverträge
83
Arbeitsrechtliche Aufhebungs- oder Abwicklungsverträge sind individualarbeitsvertraglich zu qualifizieren und unterfallen Art. 20–23 Brüssel Ia-VO.371 Dass sie bei isolierter Betrachtung nicht die Charakteristika eines Arbeitsvertrages aufweisen, weil unter ihnen keine Arbeitsleistung erbracht wird, ist zwar richtig, verschlägt aber nicht.372 Sie beenden den Arbeitsvertrag und gewinnen dadurch ihre Einbindung in das Arbeitsverhältnis. Beendigungsmodus und beendetes Rechtsverhältnis lassen sich auf der zuständigkeitsrechtlichen Ebene ebenso wenig voneinander trennen373 wie im IPR unter Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO und lassen sich nicht jeweils isoliert anknüpfen.374 363 St. Rspr., s. nur EuGH v. 12.2.1974 – 152/73, ECLI:EU:C:1974:13 Rz. 5 – Johannes Maria Sotgiu vs. Deutsche Bundespost; EuGH v. 3.6.1986 – 307/84, ECLI:EU:C:1986:222 Rz. 11 – Kommission vs. Frankreich; EuGH v. 24.3.1994 – C-71/93, ECLI:EU:C:1994:120 Rz. 17 – Guido van Poucke vs. Rijksinstituut voor de Sociale Verzekeringen der Zelfstandigen und Algemene Sociale Kas voor Zelfstandigen. 364 EuGH v. 3.6.1986 – 307/84, ECLI:EU:C:1986:222 Rz. 12 – Kommission vs. Frankreich; Grabitz/Hilf/Nettesheim/U. Forsthoff, Das Recht der Europäischen Union (Losebl. 1983 ff.) Art. 45 AEUV Rz. 424 (2010); C. O. Lenz/Borchardt/Weerth, EUV/AEUV/GRCh (6. Aufl. 2013) Art. 45 AEUV Rz. 84; von der Groeben/Schwarze/ Hatje/Kreuschitz, EUV/AEUV/GRC, Bd. I (7. Aufl. 2015) Art. 45 AEUV Rz. 158. 365 Siehe nur EuGH v. 12.2.1974 – 152/73, ECLI:EU:C:1974:13 Rz. 5 f.– Johannes Maria Sotgiu vs. Deutsche Bundespost; Schwarze/Hatje/H. Schneider/Wunderlich, EU-Kommentar (4. Aufl. 2018) Art. 45 AEUV Rz. 5. 366 Burgi, JuS 1996, 958, 960; Grabitz/Hilf/Nettesheim/U. Forsthoff, Das Recht der EU (Losebl. 1983 ff.) Art. 45 AEUV Rz. 427 (2010); Streinz/Franzen, EUV/AEUV (3. Aufl. 2018) Art. 45 AEUV Rz. 150. 367 EuGH v. 26.2.1982 – 149/79, ECLI:EU:C:1982:195 Rz. 10 f. – Kommission vs. Belgien; EuGH v. 2.7.1996 – C-473/93, ECLI:EU:C:1996:263 Rz. 2 – Kommission vs. Luxemburg; EuGH v. 2.7.1996 – C-173/94, ECLI: EU:C:1996:264 Rz. 2 – Kommission vs. Belgien; EuGH v. 2.7.1996 – C-290/94, ECLI:EU:C:1996:265 Rz. 2 – Kommission vs. Griechenland. 368 Siehe nur Mitteilung der Kommission Freizügigkeit der Arbeitnehmer und Zugang zur Beschäftigung im öffentlichen Dienst – Aktion der Kommission, AB EG 1988 C 72/2; GA Mayras, Schlussanträge in der Rs. 152/73, EuGHE 1974, 167, 171; S. Jakobs in Hommage an Josef Isensee (2002) 507, 526 f.; von der Groeben/ Schwarze/Hatje/Kreuschitz, EUV/AEUV/GRC, Bd. I (7. Aufl. 2015) Art. 45 AEUV Rz. 161. 369 Siehe GA Mayras, Schlussanträge v. 5.12.1973 in der Rs. 152/73, EuGHE 1974, 167, 171; GA Mancini, Schlussanträge v. 15.4.1986 in der Rs. 307/84, EuGHE 1986, 1726, 1731 f.; v.der Groeben/Schwarze/Hatje/ Kreuschitz, EUV/AEUV/GRC, Bd. I (7. Aufl. 2015) Art. 45 AEUV Rz. 161. 370 V. der Groeben/Schwarze/Hatje/Kreuschitz, EUV/AEUV/GRC, Bd. I (7. Aufl. 2015) Art. 45 AEUV Rz. 161 unter Bezugnahme auf EuGH v. 14.10.1976 – 29/76, ECLI:EU:C:1976:137 – LTU Lufttransportunternehmen GmbH & Co KG vs. Eurocontrol (zu Art. 1 Abs. 1 EuGVÜ). 371 Ebenso LAG Nürnberg, IPRspr. 2008 Nr. 130 S. 441; Cornelia Müller, 53 f.; Junker, NZA 2005, 199, 201; Mankowski, AR-Blattei SD 160.5.5 Rz. 118 (2007); Mankowski, AP H. 8/2012 § 38 ZPO (Internationale Zuständigkeit) Nr. 23 Bl. 7R, 8R; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 41; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 113. A.A. Knöfel, ZfA 2006, 397, 430. 372 Mankowski, AP H 8/2012 § 38 ZPO (Internationale Zuständigkeit) Nr. 23 Bl. 7R, 8R. A.A. Knöfel, ZfA 2006, 397, 430. 373 Zustimmend LAG Nürnberg, IPRspr. 2008 Nr. 130 S. 441; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 41; Wieczorek/ Schütze/Temming, Rz. 113. 374 Mankowski, AP H. 8/2012 § 38 ZPO (Internationale Zuständigkeit) Nr. 23 Bl. 7R, 8R; Wieczorek/Schütze/ Temming, Rz. 113. A.A. Knöfel, ZfA 2006, 397, 405 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
Anderenfalls drohte eine Divergenz gerade in der wichtigsten Konstellation für Streitigkeiten um Aufhebungsverträge, nämlich dass der Arbeitnehmer den Bestand des Aufhebungsvertrages (insbesondere wegen angeblicher Täuschung oder sonstiger Übervorteilung seitens des Arbeitgebers) incidenter angreift und hauptsächlich Fortbestand des Arbeitsvertrages und eigene Rechte daraus reklamiert.375 Die gleichlaufende Qualifikation vermeidet eine missliche Gerichtsstandsspaltung für positive Feststellungsklagen auf Fortbestand des Arbeitsvertrages, die mit negativen Feststellungsklagen auf Nichtbestand des Aufhebungsvertrags kombiniert sind.376 In der deutschen ArbGpraxis dominiert bekanntlich die Klage des Arbeitnehmers auf Feststellung, dass das ursprüngliche Arbeitsverhältnis fortbesteht, oder auf Weiterbeschäftigung, jeweils unter Anfechtung des Aufhebungsvertrags wegen behaupteter widerrechtlicher Drohung des Arbeitgebers mit einer Kündigung.377 Dies muss auch im IZPR Beachtung finden.378 Der Nexus mit dem Arbeitsverhältnis dominiert; dies gilt auch, wenn die Aufhebung das formelle Gewand eines Vergleichs annimmt.379
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III. Drittstaatliche Arbeitgeber mit Niederlassung im EU-Gebiet (Abs. 2) Im Prinzip setzen Art. 20–23 Brüssel Ia-VO die Grundbedingung des Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vo- 85 raus: Der Beklagte muss seinen Wohnsitz im EU-Gebiet haben.380 Dies hat zur Folge, dass ein Arbeitnehmer seinen in einem Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber auch dann im Gerichtsstand des Art. 21 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO verklagen kann, wenn er seinen gewöhnlichen Arbeitsort in einem Drittstaat hat.381 Umgekehrt erfassen Art. 20–23 Brüssel Ia-VO nicht Klagen gegen einen Arbeitnehmer mit Wohnsitz in einem Drittstaat; vielmehr kommt dann über Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO das nationale Zuständigkeitsrecht des jeweiligen Forums zum Zuge.382 Auf den Wohnsitz des Klägers kommt es nicht an. Auch drittstaatsansässige Arbeitnehmer können sich der Gerichtsstände des Art. 21 bedienen, soweit diese nach ihren eigenen Voraussetzungen eröffnet sind.383 Im Prinzip wären Art. 20–23 Brüssel Ia-VO für Klagen gegen Arbeitgeber, die ihren Sitz außerhalb 86 der Mitgliedstaaten haben, nicht anwendbar. In Parallele zu Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, in Erweiterung des EuGVÜ/LugÜbk 1988-Systems384 und in Durchbrechung von Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO; Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO385 behandelt Abs. 2 jedoch Arbeitgeber, die zwar ihren Sitz in einem Drittstaat, im Unionsgebiet aber eine Niederlassung haben, für individualarbeitsrechtliche Streitigkeiten mit Bezug auf diese Niederlassung so, als hätten sie ihren Sitz in einem Mitgliedstaat. Die Niederlassung wird gleichsam zum fingierten Sitz im Brüssel Ia-Gebiet.386 An sie knüpft die Rechtsfiktion eines Wohnsitzes im Geltungsbereich der Brüssel Ia-VO an.387 Dies unterwirft den Arbeitgeber (aber nicht parallel den Arbeitnehmer388) als Beklagten partiell der Brüs-
375 Zustimmend LAG Nürnberg, IPRspr. 2008 Nr. 130 S. 441. 376 Mankowski, AP H. 8/2012 § 38 ZPO (Internationale Zuständigkeit) Nr. 23 Bl. 7R, 8R; Cornelia Müller, 54. 377 Siehe nur BAG v. 16.1.1992 – 2 AZR 412/91, NZA 1992, 1023; BAG, AP Nr. 4 zu § 620 BGB Aufhebungsvertrag; BAGE 74, 281; BAG, AP Nr. 41, 42, 51 zu § 123 BGB. 378 Mankowski, AR-Blattei SD 160.5.5 Rz. 119 (2007); Mankowski, AP H. 8/2012 § 38 ZPO (Internationale Zuständigkeit) Nr. 23 Bl. 7R, 8R; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 18 EuGVVO Rz. 25; Neumayr/Geroldinger/ Garber, Rz. 40. 379 Eingehend Merinson v. Yukos International UK BV [2019] EWCA Civ 830 [33]–[39], [2019] 2 All ER (Comm) 644 (C.A., per Gross L.J.). 380 Siehe nur Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 7 (2005). 381 LAG Düsseldorf, EuZW 2008, 740, 741; Däubler, NZA 2003, 1297, 1298. 382 Abele, FA 2013, 357, 360. 383 Siehe nur Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 84, 85. 384 Siehe nur Rauscher, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 695, 709; Kennett (2001) 50 ICLQ 725, 730; Chaumette, DMF 2002, 640, 645; Koppenol-Laforce/X. E. Kramer, NTBR 2003, 202, 206. 385 Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 22. 386 Gegen Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat kommt Abs. 2 nach Wortlaut und Logik nicht zum Zuge TSJ Cataluña, REDI 2016-1, 190, 191; García Mirete, REDI 2016-1, 191, 192. 387 Siehe nur Gulotta, Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 619, 630; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 39, 150. 388 Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 23.
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich sel Ia-VO. Drittstaaten sind aus der Sicht der Brüssel Ia-VO auch die Mitgliedstaaten des LugÜbk 2007.389 87
Die partielle Unterwerfung unter die Brüssel Ia-VO beschneidet zugleich den Spielraum, welcher dem nationalen Recht noch verblieben ist, und überführt etliche Fälle in das Verordnungsregime, die unter EuGVÜ und LugÜbk 1988 nicht unter das jeweilige Übereinkommen fielen.390 Andererseits schützt sie den Arbeitgeber gegen exorbitante Gerichtsstände aus nationalen Rechten.391 Die Niederlassung ist ein doppelfunktionales Kriterium.392 Sie erfüllt hier eine andere Funktion denn als einstellende Niederlassung unter Art. 21 Abs. 1 lit. b ii) Brüssel Ia-VO.393 Hier dient sie als Kriterium für den räumlich persönlichen Anwendungsbereich des europäischen Internationalen Arbeitsprozessrechts, dort ist sie Anknüpfungspunkt für einen ganz bestimmten Gerichtsstand. Für den Arbeitnehmer ist Abs. 2 nicht automatisch und in allen Fällen von Vorteil, denn er könnte sich bei Anwendung nationaler Zuständigkeitsregeln besser stehen, soweit diese exorbitante Gerichtsstände gewähren.394 Eine vorgeschlagene Korrektur, Abs. 2 dahingehend zu formulieren, dass Art. 6 Brüssel Ia-VO vorbehalten sei,395 fand keinen Widerhall.
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Typisches Beispiel für Abs. 2 sind – neben European Headquarters, Europazentralen und European Divisional Headquarters von Unternehmen396 – ausländische Staaten als Arbeitgeber von Ortskräften für ihre diplomatischen Vertretungen in Mitgliedstaaten.397 Botschaften, diplomatische Vertretungen und Konsulate sind Niederlassungen des betreffenden ausländischen Staates.398 Dies wird als flexible und arbeitnehmerfreundliche Handhabung des Niederlassungsbegriffs bewertet.399 Immunitätsfragen sind unter Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bei der vorgelagerten Anwendbarkeit der Brüssel IaVO insgesamt zu klären.400 Regelmäßig sind ausländische Staaten als Arbeitgeber in arbeitsvertraglichen Beziehungen nicht immun, wenn die Arbeitnehmer nicht-hoheitliche Tätigkeiten ausüben.401 Dabei ist nicht zwischen Ortskräften und entsandten Staatsangehörigen des Entsendestaates zu differenzieren.
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Wer freiwillig einen lokalen Stützpunkt, einen Betrieb, im EU-Gebiet begründet hat, kann sich nicht unfair behandelt fühlen, wenn er in dem betreffenden Staat Streitigkeiten mit Bezug auf gerade diesen Betrieb ausfechten muss. Die Beschränkung auf solche Streitigkeiten, die Bezug auf die Niederlassung in der EU haben,402 bietet die nötige Einschränkung. Der drittstaatliche Arbeitgeber wird eben nicht für alle weltweit anfallenden Streitigkeiten im Staat seiner EU-Niederlassung gerichtspflichtig gemacht.
389 Mankowski, AP H 4/2004 Nr. 1 zu Art. 7 Lugano-Abkommen Bl. 7R, 9 und allgemein OLG Schleswig, OLGR Bremen/Hamburg/Schleswig 2003, 471. 390 Däubler, NZA 2003, 1297, 1298; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 305; Grusˇic´, (2012) 61 ICLQ 91, 103 f. sowie Droz/Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 90 (2001) 601, 632; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 332. 391 Junker, FS Schlosser (2005) 299, 304; Geimer/Schütze/S. Auer, Rz. 14 (2005); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 22. 392 Junker, EuZA 2013, 83, 91 f. 393 Dies trennt Junker, FS Gottwald (2014) 293, 298 nicht genügend. 394 Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 104, 119; Junker, EuZA 2016, 281, 282; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 66 f. 395 Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 119. 396 Siehe BAG, RIW 2013, 803, 805; Hessisches LAG, EuLF 2011, 82 = IPRspr. 2010 Nr. 205 S. 517. 397 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 4 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2011, 431; Hof ’s-Gravenhage, NIPR 2008 Nr. 115 S. 198. 398 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 4 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2011, 431, 434; BAG, RIW 2014, 691, 692; Junker, EuZA 2013, 83, 93; Pataut, Rev. crit. dip. 102 (2013) 223, 231; Gulotta, Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 619, 634 f.; Nino, Giur. it. 2013, 1841, 1844; de Boer, NedJur 2013 Nr. 334 S. 3723, 3724; Martiny, IPRax 2013, 536, 541 f.; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 25 (2016); Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 21 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 11. 399 Gulotta, Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 619, 633; Pataut, Rev. crit. dip. 102 (2013) 217, 225. 400 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 5 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien. 401 Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 15 f. (Mankowski). 402 Tendenziell weiter Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 12.
534
Mankowski
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO hat Bedeutung namentlich für die bei der EU-Niederlassung beschäftig- 90 ten Arbeitnehmer, sogar wenn diese zur drittstaatlichen Zentrale entsandt werden sollten.403 Zumindest insoweit ist der Arbeitgeber auf einem Arbeitsmarkt innerhalb der EU präsent und untersteht deshalb dem europäischen Regulierungsregime.404 Ein Streit aus einer Beschäftigung in der Niederlassung oder um die Kündigung einer solchen Beschäftigung weist den nötigen Niederlassungsbezug auf.405 Ein Bezug zur Niederlassung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit in der Niederlassung verrichtet (wenn er also dort seinen gewöhnlichen Arbeitsort hat) oder in die Organisations-, Weisungs- oder Berichtskette dieser Niederlassung eingebunden ist.406 Bei einem gewöhnlichen Arbeitsort in einem Drittstaat dürfte es nur ausnahmsweise wirklich einen Gerichtsstand in der EU geben.407 Denn bloße vorübergehende Entsendungen in Drittstaaten begründen dort keinen gewöhnlichen Arbeitsort. Eine dauerhafte Entsendung unter fortbestehender Leitung und Führung durch eine Niederlassung in der EU bleibt aber denkbare Fallgruppe. Allerdings ist für Abs. 2 richtigerweise der spezifisch arbeitsvertragliche Niederlassungsbegriff des 91 Art. 21 Abs. 1 lit. b ii) Brüssel Ia-VO408 zugrunde zu legen und nicht jener des Art. 7 Nr. 5 Brüssel IaVO.409 Dies gebieten sowohl die Konsistenz innerhalb des arbeitsprozessrechtlichen Sonderregimes als auch der Umstand, dass es hier um unternehmensinterne, nicht um unternehmensexterne Streitigkeiten geht.410 Insoweit besteht keine strikte Parallele zu Art. 17 Abs. 2 Brüssel Ia-VO; Art. 10 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, die beide – da auf unternehmensexterne Rechtsgeschäfte bezogen – den Niederlassungsbegriff des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO verwenden.411 Unter dem Niederlassungsbegriff des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO können rechtlich selbstständige Tochtergesellschaften für die Zwecke des Abs. 2 Niederlassungen ihrer Muttergesellschaft sein.412 Der Rechtsschein einer Niederlassung reicht unter den Maßstäben des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO auch für arbeitsrechtliche Zwecke.413 Zweigniederlassung und Agentur haben keine wirklich eigenständige Bedeutung, Niederlassung ist der maßgebliche Anknüpfungsbegriff. Aus dem „sonstigen“ ist nicht herauszulesen, dass der europäische Niederlassungsbegriff (des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO) hier notwendig weiter verstanden werden müsste als der deutsche aus § 21 ZPO.414 Die zuvor existierende Niederlassung im EU-Gebiet muss bei Klagerhebung noch bestehen, um 92 Abs. 2 auslösen zu können.415 Denn auch der Wohnsitz des Beklagten muss für Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bei Klagerhebung vorliegen,416 und die Niederlassung im EU-Gebiet wird als Wohnsitz im EU-Gebiet fingiert. Wird die Niederlassung im EU-Gebiet vor Klagerhebung geschlossen, so kommt
403 404 405 406 407 408
409
410 411 412 413 414 415 416
Behr, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 15, 30; Leipold, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 143, 159. Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 12. LAG Düsseldorf, EuZW 2008, 740, 742. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 14 (2005); Fasching/Konecny/Simotta, Art. 18 EuGVVO Rz. 34; Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 84 f.; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 58. Rb. Amsterdam, sector kanton, locatie Amsterdam, NIPR 2010 Nr. 77 S. 155 f. sowie BAG, RIW 2013, 803, 805 f. Rz. 33. Dazu Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 88 f. (Mankowski); zustimmend C. Müller, 59; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Brussels I Regulation (2. Aufl. 2012) Art. 18 Brussels I Regulation Rz. 11; Knöfel, AP H 10/2008 Nr. 8 zu Art. 27 EGBGB n.F. Bl. 11, 14; Mankowski, EWiR 2014, 63, 64; s. auch Espiniella Menéndez, REDI 2004, 886, 888; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 22.1. Dafür aber die ganz h.M., z.B. EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 47 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; BAG, AP Nr. 8 zu Art. 27 n.F. EGBGB Bl. 8 [72]; BAG, RIW 2013, 803, 804 f.; LAG Düsseldorf, EuZW 2008, 740, 741; Mosconi, Riv. dir. int. priv. proc. 2003, 5, 17; Däubler, NZA 2003, 1297, 1298; Behr, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 15, 30; Leipold, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 143, 159; Layton/Mercer, Rz. 18.009; Kropholler/von Hein, Art. 18 EuGVO Rz. 4. Ausführlicher sogleich Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 62 f. (Mankowski) sowie Knöfel, AP H 10/2008 Nr. 8 zu Art. 27 EGBGB n.F. Bl. 11, 14. Zustimmend C. Müller, 59. BAG, RIW 2013, 803, 804 f.; Abele, FA 2013, 357, 359. Hessisches LAG, EuLF 2011, 82 = IPRspr. 2010 Nr. 205 S. 517; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 25 (2016). So aber LAG Rheinland-Pfalz, IPRspr. 2010 Nr. 203 S. 512. BAG, RIW 2013, 803, 805 Rz. 32; Mankowski, AP H 5/2005 Nr. 21 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 3R, 7. Art. 6 Brüssel Ia-VO Rz. 3 (Mankowski).
Mankowski
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich Abs. 2 dem Arbeitnehmer nicht zu Hilfe.417 Dies kann für Streitigkeiten über betriebsbedingte Kündigungen oder dem Arbeitsverhältnis nachlaufende Pflichten Bedeutung haben, wenn sich der Arbeitgeber von festen Stützpunkten aus der EU zurückgezogen und die entsprechenden Niederlassungen komplett aufgegeben hat. Wird die Niederlassung nach Klagerhebung aufgelöst, so gilt der Grundsatz der perpetuatio fori, und die einmal begründete Zuständigkeit bleibt bestehen.418 Wird eine zuvor bestehende Niederlassung vor Klagerhebung aufgegeben, aber danach und vor dem für die Tatsachenfindung letztmöglichen Zeitpunkt wiederbegründet, so ist Abs. 2 Genüge getan. 93
Prinzipiell maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen einer Niederlassung ist nicht jener des Vertragsschlusses,419 sondern jener der Klagerhebung. Ein Vertrauen des Arbeitgebers, der bei Vertragsschluss noch keine Niederlassung in der EU hatte, dass das EU-Regime nicht anwendbar sei, wird zerstört, wenn nach Vertragsschluss der Arbeitnehmer auf eine inzwischen neu eröffnete Niederlassung in der EU geschaltet wird. Man denke nur an Fälle, in denen Personal gezielt für den Einsatz in einer noch zu gründenden EU-Niederlassung eingestellt wird, um bei deren Aufbau mitzuwirken oder das arbeitgebende Unternehmen auf Märkten in der EU präsent zu machen.420
94
Abs. 2 setzt des Weiteren voraus, dass es sich um eine Streitigkeit aus dem Betrieb der Niederlassung handelt. Dagegen setzt er nicht voraus, dass es sich um die einstellende Niederlassung handeln müsste, und hebt insoweit nicht – wenn man denn Einstellen mit Vertragsschluss gleichsetzen will421 – auf den Vertragsschluss ab. Bestand bei Vertragsschluss eine Niederlassung in der EU, war der Arbeitnehmer über diese beschäftigt, ist sie aber inzwischen aufgegeben, so bleibt der Gerichtsstand für Streitigkeiten über den Zeitraum, in welchem die Niederlassung bestand, und nachlaufende Kündigungsschutz- und Weiterbschäftigungsstreitigkeiten erhalten. Der Arbeitgeber soll nicht durch nachlaufende Schritte sein Gerichtspflichtigkeitsrisiko vermindern können.422 Für die Zwecke des Art. 25 Brüssel Ia-VO freilich ist der Vertragsschluss maßgeblich, weil dies generell bei Gerichtsstandsvereinbarungen der Zeitpunkt ist, um den Grad an Internationalität zu beurteilen423 und weil eine vertragliche Gestaltung bewusst vorgenommen wird.
IV. Vorbehalt zugunsten des Art. 6 Brüssel Ia-VO 95
Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO behält den Art. 6 Brüssel Ia-VO vor. Dies heißt, dass ein Arbeitgeber mit Sitz oder ein Arbeitnehmer mit Wohnsitz in einem Drittstaat gem. Art. 6 den Regeln des autonomen IZPR des jeweiligen Forums unterworfen ist.424 Besondere Bedeutung hat dies für Arbeitgeber mit Sitz außerhalb der EG und ohne Niederlassung innerhalb der EG. Auch die internationale Zuständigkeit für Klagen gegen Arbeitgeber mit Sitz in einem Drittstaat, aber einer Niederlassung innerhalb der EG, ist grundsätzlich über Art. 6 Brüssel Ia-VO nach dem Regime des jeweiligen nationalen IZPR zu beurteilen, einschließlich der darin enthaltenen exorbitanten Gerichtsstände.425 Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO kommt zwar überlagernd und verdrängend hinzu,426 verdrängt aber für andere arbeitsvertragliche Klagen, die nicht aus dem Betrieb der Niederlassung in der EU herrühren, Art. 6 Brüssel Ia-VO nicht.
417 418 419 420 421 422 423 424
425 426
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Mankowski, AP H 5/2005 Nr. 21 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 3R, 7. LAG Düsseldorf, EuZW 2008, 740, 742; Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 84. Dafür aber Hessisches LAG, IPRspr. 2011 Nr. 218 S. 573; Hessisches LAG, IPRspr. 2012 Nr. 18 S. 421. Vgl. Wright v. Deccan Chargers Sporting Ventures Ltd. [2011] EWHC 1307 (Q.B.), [2011] ILPr 781 [49]–[58] (Q.B.D., Tugendhat J.). Zum Streitstand Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 63–69 (Mankowski). Hessisches LAG, IPRspr. 2011 Nr. 218 S. 573; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 18 Rz. 26. Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 265 (Mankowski). Siehe nur Trib. Sup., AEDIPr 2007, 957; Droz/Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 90 (2001) 601, 633; Mosconi, Riv. dir. int. priv. proc. 2003, 5, 18; Lajolo di Cassàno, Dir. comm. int. 2002, 901, 913; Magnus/Mankowski/ Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 7; Palao Moreno, AEDIPr 2007, 958, 959 f. Altrechtlicher Beispielsfall: BAG, AP Nr. 18 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit = NZA 2003, 339. Zustimmend Junker, FS Schlosser (2005) 299, 304. Layton/Mercer, Rz. 18.003; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 7.
Mankowski
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 20 Brüssel Ia-VO
Eine Veränderung des Umfelds für die Verweisung bewirkt dagegen Art. 23 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Diese Norm dehnt die Gerichtspflichtigkeit drittstaatlicher Arbeitgeber unter dem europäischen Regime aus und eröffnet dem Arbeitnehmer den Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung für Klagen gegen drittstaatsansässige Arbeitgeber. Art. 18 Abs. 1 Brüssel Ia-VO Vorschlag Brüssel Ia-VO enthielt keinen Vorbehalt für Art. 4 Brüssel Ia-VO mehr (allerdings im Rahmen des Vorschlags nur konsequent, weil der Vorschlag das gesamte europäische Zuständigkeitsregime auf Drittstaatenbeklagte ausdehnen und deshalb Art. 4 Brüssel Ia-VO streichen wollte). Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO seinerseits enthält einen Vorbehalt zugunsten des Art. 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO soll nur gelten vorbehaltlich des Art. 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Dieser Vorbehalt ist dahin zu lesen, dass Art. 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO Vorrang genießt, soweit er als Spezialregelung Anwendung unabhängig vom Wohnsitz des Beklagten heischt.
96
V. Vorbehalt zugunsten des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO Von den besonderen Gerichtsständen der Art. 7 Brüssel Ia-VO, Art. 8 Brüssel Ia-VO wird in Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO voll427 nur der Niederlassungsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO vorbehalten.428 Der Beklagte muss dafür seinen Wohnsitz in der EU haben, beurteilt unter Einbeziehung von Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO.429 Im Fall des Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO muss die Niederlassung des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO eine zweite Niederlassung im Brüssel Ia-Gebiet sein.430
97
Vorausgesetzt ist des Weiteren nach den allgemein für Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO geltenden Erfordernissen ein Bezug des Vertrages gerade zu dieser Niederlassung.431 Ersichtlich standen hier Art. 10 Abs. 1 Brüssel Ia-VO a.E., Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO a.E. Pate. Deren Vorbild wird hier sogar besonders deutlich. Indes könnte die systematische Parallele übertrieben sein.432 Denn Versicherungsund Arbeitnehmerverträge sind unternehmensexterne Rechtsgeschäfte, Arbeitsverträge dagegen unternehmensinterne. Der Niederlassungsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO ist aber ein Gerichtsstand für unternehmensexterne Rechtsgeschäfte. Das folgt aus der dortigen Definition433 der Niederlassung als Stützpunkt für den unternehmensexternen Rechtsverkehr mit eigener Organisation und eigenem Geschäftsbereich unter der Leitung eines Stammhauses. Das passt nicht für unternehmensinterne arbeitsvertragliche Streitigkeiten, umso weniger, als die Niederlassung i.S.d. Art. 21 Nr. 2 lit. b Brüssel Ia-VO richtigerweise anders zu begreifen ist als die Niederlassung i.S.d. Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO.434
98
Man würde mit einem Niederlassungsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO, der ja nur für 99 Klagen gegen den Arbeitgeber bestehen könnte435 (denn Arbeitnehmer haben definitionsgemäß keine Niederlassung436), das ausgefeilte System und die innere Kohärenz des Art. 21 Nr. 2 Brüssel Ia-VO sprengen, indem man dessen lit. a zu überspielen drohte. Alles dies übersieht, wer437 pauschal und ohne nähere Begründung Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO auch auf unternehmensinterne Streitigkeiten anwendet. 427 Für Klagen des Arbeitnehmers gegen der Arbeitgeber stellt Abs. 1 auch den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft aus Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zur Verfügung; näher Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 3–5 (Mankowski). 428 Für Widerklagen gegen den klagenden Arbeitnehmer stellt Art. 22 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zudem den Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO zur Verfügung, bei richtigem Verständnis zudem auch gegen den klagenden Arbeitgeber. 429 Ungenau insoweit Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 94. 430 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 54, 63. Zu pauschal Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 29 (2016): Anwendung von Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO scheide aus. 431 Siehe Rb. Amsterdam, NIPR 2003 Nr. 48 S. 98; näher Hoppe, 67 f. 432 Kritisch aus anderen Gründen Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 11. 433 Eingehend Rauscher/Leible, Art. 7 Rz. 156–160. 434 Eingehend Art. 21 Rz. 18. 435 Ebenso Behr, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 15, 40. Ungenau Junker, FS Gottwald (2014) 293, 298. 436 Zustimmend Layton/Mercer, Rz. 18.004; Junker, NZA 2005, 199, 203; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 11 (2005); Bosse, 105 f.; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 27 (2016); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 14; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 53; übersehen von Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 11. 437 Wie z.B. Pålsson, Bryssel- og Luganokonventionerna (1995) 100; Bogdan, SvJT 2001, 845, 851.
Mankowski
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Art. 20 Brüssel Ia-VO Anwendungsbereich 100
Folgt man der Verweisung auf Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO, so können sich, wenn man die EuGH-Entscheidung Schotte/Parfum Rothschild ernst nimmt, interessante Weiterungen ergeben. Denn dann kann der Sitz von upstream-Gesellschaften oder auch Schwestergesellschaften konkret Niederlassung eines Arbeitgebers sein. Das kann in echten Konzernsachverhalten Bedeutung gewinnen, aber auch bei coemployeurs und anderen Mitarbeitgebern.438
101
Folgt man der Verweisung auf Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO, so ist außerdem zu beachten, dass die Streitigkeit einen Bezug zur Tätigkeit der Niederlassung haben muss. Das Arbeitsverhältnis muss dann also einen Bezug zu der Niederlassung aufweisen. Nicht erforderlich ist allerdings, dass die betreffende Niederlassung den Arbeitnehmer eingestellt haben müsste.439 Ausreichend ist vielmehr auch sonstige Beschäftigung, Betreuung, Einbindung oder Beteiligung am Vertragsschluss.440 Insbesondere kommt eine vorübergehende Tätigkeit des Arbeitnehmers bei der betreffenden Niederlassung in Betracht, namentlich in Fällen vorübergehender Entsendung.441 Indes kommt Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO nicht zum Zuge, wenn ein gewöhnlicher Arbeitsort am Ort der Niederlassung besteht.442 Ebenso hat Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO keine Bedeutung, wenn die Niederlassung die einstellende ist und die Zuständigkeit an die einstellende Niederlassung angeknüpft wird.
102
Unabhängig vom zugrunde gelegten Niederlassungsbegriff besteht der Niederlassungsgerichtsstand nur gegen den Inhaber der Niederlassung und gibt diesem keinen Aktivgerichtsstand für die Durchsetzung eigener Ansprüche.443
103
Fällt die Streitigkeit nur deshalb überhaupt in den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO, weil ein Arbeitgeber mit Sitz in einem Drittstaat eine Niederlassung in der EU hat und deshalb Abs. 2 greift, so ergibt sich die Zuständigkeit am Ort dieser EU-Niederlassung nicht etwa aus Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO,444 sondern vielmehr aus Art. 21 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO. Hat der Arbeitgeber nur eine einzige EU-Niederlassung, so wird diese durch Abs. 2 als Sitz in der EU fingiert.445 Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO kommt bei drittstaatlichen Arbeitgebern nur ins Spiel, wenn ein Bezug zu einer weiteren Niederlassung als der Niederlassung (dann gewichtigsten Niederlassung) in der EU hat. Bei mehreren EU-Niederlassungen sorgt der Vorbehalt zugunsten des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO indes für eine spezielle Gleichbehandlung mitglieds- und drittstaatsansässiger Arbeitgeber.446
VI. Ergänzender Vorrang von Umsetzungen des Art. 8 EntsendeRL 104
Art. 6 EntsendeRL447 sieht für Klagen entsandter Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber zusätzlich eine internationale Zuständigkeit für die Gerichte jenes Staates vor, in welchen der Arbeitnehmer entsandt ist. Die Umsetzungen dieser Richtlinie, in Deutschland § 15 S. 1 AEntG,448 genießen nach Art. 67 Brüssel Ia-VO Vorrang vor dem Regime der Brüssel Ia-VO, soweit sie solchen Vorrang be438 Temming, EuZA 2018, 132, 138. 439 Junker, ZZP Int 7 (2002) 229, 242; Leipold, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 143, 162; Neumayr/Geroldinger/ Garber, Rz. 16. 440 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 58 sowie Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 14 (2005). 441 Siehe, allerdings im Ergebnis ablehnend, C. Müller, 57 f. 442 Junker, FS Gottwald (2014) 293, 298. 443 Ebenso Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 15. Zumindest missverständlich Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 18 EuGVVO Rz. 11 (2005). 444 So aber Mosconi, FS Sonnenberger (2004) 549, 562. 445 Rb. Rotterdam, sector kanton, locatie Rotterdam, NIPR 2013 Nr. 142 S. 254 wendet gar Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 2 Brüssel I-VO (heute wären dies Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 4 Brüssel IaVO) an. Richtig wäre als Zuständigkeitsnorm aber Art. 19 Nr. 1 Brüssel I-VO (= Art. 21 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) gewesen. 446 Übersehen von Noltin, EzA EG-Vertrag 1999 Verordnung 44/2001 Nr. 4 S. 15, 17 f. (Dez. 2010). 447 Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EG 1997 L 18/1. 448 Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG) vom 20.4.2009, BGBl. 2009 I 799 i.d.F. durch Gesetz vom 11.8.2014, BGBl. 2014 I 1348.
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Mankowski
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
anspruchen.449 Art. 6 EntsendeRL will nicht verdrängen, sondern nur ergänzen.450 Er erweitert den Zuständigkeitskatalog für den Arbeitnehmer um einen entsendungsspezifischen Gerichtsstand.451 Ursprünglich war geplant, die Gerichtsstandsregelung letztendlich aus der EntsendeRL in das Brüs- 105 sel I-Regime zu überführen.452 Davon hat man jedoch Abstand genommen,453 weil zu befürchten stand, dass dann der mühsam erreichte Kompromiss des Art. 8 EntsendeRL erneut zur Diskussion gestellt worden wäre und dass die im Anlauf zur EntsendeRL aufgetretenen Gegensätze wieder aufgebrochen wären.454 Auch die Novellierung der EntsendeRL durch die RL (EU) 2018/957455 hat Art. 6 EntsendeRL unverändert belassen.
Artikel 21 [Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber] (1) Ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden: a) vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, oder b) in einem anderen Mitgliedstaat i) vor dem Gericht des Ortes, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, oder ii) wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet oder verrichtet hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet oder befand. (2) Ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann vor dem Gericht eines Mitgliedstaats gemäß Absatz 1 Buchstabe b verklagt werden. I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . II. Gerichtsstand am Wohnsitz des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff des gewöhnlichen Arbeitsortes a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . b) Entsendungsfälle . . . . . . . . . . c) Verschiedene Arbeitsorte in einem Staat . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
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1 8
. . . .
12 12 12 23
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2. Ort, von dem aus der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich verrichtet (Abs. 1 lit. b i) Var. 2) . . . . . . . . . . . 3. Besondere Fälle, insbesondere Transportpersonal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Seeleute auf internationaler Fahrt . . b) Arbeit im Küstenmeer, über dem Territorialsockel oder in der Ausschließlichen Wirtschaftszone . . . . . c) Binnenschiffer . . . . . . . . . . . . . . d) Fliegendes Personal . . . . . . . . . . .
.
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. . .
49 52 54
449 LAG Hessen, AuR 1999, 146; ArbG Wiesbaden v. 15.4.1998 – 3 Ca 1970/97, NZA-RR 1998, 412; Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 332; Kropholler/von Hein, Art. 18 EuGVO Rz. 13; van Hoek, NIPR 2002, 296, 297; Lajolo di Cossàno, Dir. comm. int. 2002, 901, 923; de Sousa Gonçalves in Estudos em Memória do Professor Doutor António Marques dos Santos (2005) 35, 52; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Art. 21 Rz. 23; Makridou, ZZPInt 15 (2010) 199, 205; Abele, FA 2013, 357, 360. 450 Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 118; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 3; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 3; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 163. 451 Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 86 (1997) 341, 346; Franzen, ZEuP 1997, 1055, 1071; Palao Moreno, YbPIL 4 (2002) 303, 329; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 306; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Art. 19 Rz. 25. 452 Gemeinsame Erklärung der Vertreter der Mitgliedstaaten der EU im Anhang zum 4. Beitrittsübereinkommen zum EuGVÜ, ABl. EG 1998 C 27/27. 453 Markus, SZW 1999, 205, 207 Fn. 23. 454 C. Kohler in Gottwald (Hrsg.), Revision des EuGVÜ/Neues Schiedsverfahrensrecht (2000) 1, 17; Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 87. 455 Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.6.2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EU 2018 L 173/16.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber e) f) g) h)
Kraftfahrer . . . . . . . . . . . . . . . . Zugpersonal . . . . . . . . . . . . . . . Telearbeiter . . . . . . . . . . . . . . . Entsandte Arbeitnehmer: Doppelarbeitsverhältnis mit Rumpf- und Lokalarbeitsverhältnis . . . . . . . . . i) Befristete Kettenarbeitsverträge . . . . 4. Wechsel des gewöhnlichen Arbeitsortes und Gerichtsstand am letzten gewöhnlichen Arbeitsort . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gerichtsstand am Ort der einstellenden Niederlassung . . . . . . . . . . . . . . . .
. . .
63 67 68
. .
69 75
.
80
.
84
1. Anwendungsfälle der Abs. 1 lit. b ii) . . . . 2. Arbeitsvertragsspezifischer Begriff der Niederlassung in Abs. 1 lit. b ii) . . . . . . 3. Begriff des Einstellens . . . . . . . . . . . . 4. Anwendungsfälle der Abs. 1 lit. b ii) Var. 2
84 88 90 99
V. Ausweitung gegen Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem Drittstaat (Abs. 2) . .
100
VI. Rechtsnachfolge auf Arbeitnehmerseite .
110
VII. Rechtsnachfolge auf Arbeitgeberseite . . VIII. Abweichungen unter LugÜbk 2007 . . . .
115 117
I. Grundsätzliches 1
Art. 21 Brüssel Ia-VO regelt die Zuständigkeit für Klagen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber. Er eröffnet dem Arbeitnehmer eine Option, insbesondere zugunsten des forum rei.1 Der Arbeitnehmer hat ein Wahlrecht zwischen den Gerichtsständen aus Abs. 1 lit. a einerseits und der jeweils einschlägigen Variante der Abs. 1 lit. b andererseits, sofern beide zu verschiedenen Staaten weisen. Ein garantiertes forum actoris am eigenen Wohnsitz gibt Art. 21 Brüssel Ia-VO dem Arbeitnehmer allerdings nicht,2 vielmehr nur ein gleichsam akzidentelles, wenn der Arbeitnehmer dort auch lebt, wo er gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.3 Art. 21 Brüssel Ia-VO ist die wichtigste Norm innerhalb des Sonderregimes der Art. 20–23 Brüssel Ia-VO. Denn die weit überwiegende Mehrzahl aller arbeitsrechtlichen Klagen erheben die Arbeitnehmer.4 Darunter haben wiederum die Kündigungsschutzklagen oder allgemeiner gesagt: die Kündigungsstreitigkeiten das Übergewicht.
2
Zwischen dem jeweils einschlägigen Untertatbestand der Abs. 1 lit. b und dem Gerichtsstand des Abs. 1 lit. a hat der klagende Arbeitnehmer immer ein Wahlrecht, wenn sie auf verschiedene Staaten weisen; insoweit besteht Disjunktivität.5 Weist der einschlägige Untertatbestand der Abs. 1 lit. b dagegen zu demselben Staat, in welchem der Arbeitgeber seinen Wohnsitz/Sitz hat, so greift Abs. 1 lit. b nicht.6 Denn Abs. 1 lit. b gewährt Gerichtsstände nach seinem klaren Wortlaut nur in einem anderen Mitgliedstaat als jenem des Arbeitgebersitzes. Abs. 1 lit. b verhält sich insoweit zu Abs. 1 lit. a wie Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zu Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO; darin schlägt sich die Historie des Art. 21 Brüssel Ia-VO nieder.7 Praktische Bedeutung hat die Nichtanwendbarkeit der Abs. 1 lit. b in diesen Konstellationen indes nur für die örtliche, nicht für die internationale Zuständigkeit.8
3
Abs. 1 lit. b i) und Abs. 1 lit. b ii) sind komplementäre und strikt alternative Tatbestände:9 Es kann jeweils nur genau einer von beiden gegeben sein. Denn lit. b ii) setzt negativ voraus, dass es keinen gewöhnlichen Arbeitsort gibt – und das heißt, dass lit. b i) nicht positiv gegeben ist. Insoweit ist lit. b ii) subsidiär zu lit. b i).10 Es besteht eine klare Hierarchie: Zunächst und vorrangig ist nach einem ge1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Lombardi/Martinelli, Contratto e impresa/Europa 2001, 371, 389. Oró Martínez, REDI 2009–2, 493. Zustimmend Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 2. Junker, RIW 2002, 569, 575; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 2. Siehe nur TSJ Cataluña REDI 2016-1, 190, 191 m. Anm. García Mirete; Lajolo di Cossàno, Dir. comm. int. 2002, 901, 913; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 5; Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 21 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 3. Abele, FA 2013, 357, 359. Weniger deutlich Sächsisches LAG, IPRspr. 2010 Nr. 208 S. 527. Mankowski, RIW 2004, 133, 141; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 6. Mankowski, RIW 2004, 133, 141. Bericht Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard, Nr. 23e1–2; Mankowski, IPRax 1999, 332, 334; Trenner, 47 f.; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 19 EuGVVO Rz. 1 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 19 EuGVVO Rz. 10; Wieczorek/ Schütze/Temming, Rz. 7. A.A. Rauscher, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 695, 703. Siehe nur EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 32 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA; ÖstOGH, EuLF 2008, II-102, II-103; Kruger, SEW 2011, 363, 365; Zábalo Escudero, Liber amicorum Iglesias Buhigues (2012), 573, 578 f.; Abele, FA 2013, 357, 359; Charbonneau, JCP S 2018.1190 = JCP S N° 22, 5 juni 2018, 36, 37.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
wöhnlichen Arbeitsort zu suchen; erst dann, wenn ein solcher auch bei extensivem Verständnis nicht festzustellen ist, erfolgt ein Übergang zum Anknüpfungspunkt einstellende Niederlassung.11 Eine Ausweichklausel für einen Gerichtsstand der engeren Verbindung gibt es – im Gegensatz zur Ausweichklausel des Internationalen Privatrechts für das anwendbare Recht in Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO; Art. 6 Abs. 2 Halbs. 2 EVÜ; Art. 30 Abs. 2 Halbs. 2 EGBGB – nicht.12 Gerichtsstände brauchen Festigkeit und Sicherheit.13 Außerdem decken die existierenden Gerichtsstände des Art. 21 die Suche nach einer engen Verbindung ab.14 Nur das IPR sucht nach der engsten Verbindung, das Zuständigkeitsrecht begnügt sich dagegen mit einer engen Verbindung, derer es auch mehrere geben kann.15 Der Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung aus Abs. 1 lit. b ii) genießt nur geringe Sympathie, weil er an ein Merkmal des Arbeitgebers anknüpft und daher einer gezielten Gestaltung durch den Arbeitgeber offensteht. Dies läuft dem Arbeitnehmerschutz, der zentralen Zielsetzung der Art. 20–23 Brüssel Ia-VO, diametral zuwider.16 Der EuGH versucht daher, den Anwendungsbereich dieses Gerichtsstands möglichst klein zu machen, indem er, wann immer möglich, den vorrangigen Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes bejaht.17 Daraus folgt wiederum eine klare und deutliche Linie in der Rechtsprechung des EuGH, den gewöhnlichen Arbeitsort extensiv zu verstehen.18 Der Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung wird gezielt marginalisiert.19
4
Steht auf der Arbeitgeberseite eine Unternehmensgruppe, so wird in Frankreich bei Interessen-, Aktivitäten- und Weisungsvermengung eine Theorie der coemployeurs angewandt,20 in Spanien eine Theorie der grupo laboral,21 im Vereinigten Königreich die Doktrin des associated employer aus s 231 Employment Rights Act 1995.22 Sie durchbricht die Relativität des Arbeitsvertrages und macht alle Unternehmen der Gruppe gleichermaßen zu Arbeitgebern, auch soweit zu ihnen keine direkten
5
11 Deutlich EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 31, 32, 39 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA; Del Sol, Cah. dr. entrepr. N° 3, mai-juin 2013, 30, 32; Mankowski/Knöfel, EuZA 2013, 521, 526; Junker, EuZW 2014, 41, 42; Knöfel, IPRax 2014, 130, 131. 12 Mankowski, RIW 2004, 133, 138; Mankowski, IPRax 2005, 58, 60; Trenner, 146; Krebber, IPRax 2004, 309, 313; Junker, FS Heldrich (2005) 719, 725; Junker, FS Gottwald (2014) 293, 295; Ulrici, jurisPR-ArbR 30/2011 Anm. 3 sub C II 1; Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013) 31, 54; Knöfel, EuZA 2014, 375, 378 f.; Franzen/Gallner/ Oetker/Krebber, Art. 21 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 12; übersehen von Hoge Raad, NIPR 2003 Nr. 108 S. 189. 13 Krebber, IPRax 2009, 409 (409 f.); Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 21 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 12. 14 Siehe Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 21 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 13, aber auch Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 20 sowie Junker, ZZP Int 8 (2003) 491, 498. 15 Mankowski, FS Heldrich (2005) 867, 868–870. 16 Siehe EuGH v. 15.3.2011 – C-29/10, ECLI:EU:C:2011:151 Rz. 46 – Heiko Koelzsch vs. Großherzogtum Luxemburg Rz. 46; Mankowski, IPRax 1999, 332, 334 f.; Brière, Clunet 139 (2012) 190, 192; Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 115 f.; Knöfel, IPRax 2014, 130, 131; Junker, FS Gottwald (2014) 293, 298; Iriarte Ángel, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018), 477, 486. 17 Junker, FS Gottwald (2014) 293, 296; Mankowski, EuZA 2017, 267, 271 sowie Hernández Rodríguez, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 852, 861. Paradigmatisch EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 40 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA. 18 Paradigmatisch EuGH v. 15.3.2011 – C-29/10, ECLI:EU:C:2011:151 Rz. 43, 45, 47 – Heiko Koelzsch vs. Großherzogtum Luxemburg. Ebenso BAG, AP Nr. 85 zu § 4 KSchG 1969 Rz. 56 = RIW 2017, 233. 19 Del Sol, Cah. dr. entrepr. N° 3, mai-juin 2013, 30, 33. 20 Cass. soc., RDtrav 2007, 543 m. Anm. Jault-Seseke = Dr ouvrier 2007, 522 m. Anm. Lacoste-Mary; Cass. soc., JCP S 2012.1052 m. Anm. Moran = Dr. soc. 2012, 140 m. Anm. Devers; Cass. soc., Rev. crit. dip. 103 (2014) 426 m. Anm. Jault-Seseke; Cass. soc., Rev. soc. 2014, 709 m. Anm. Couret/M.-P. Schramm; Cass. soc., Bull. Joly social 2014, 38 m. Anm. Mouial-Bassilana; Cass. soc., Rev. crit. dip. 104 (2015) 594; Cass. soc., Rev. crit. dip. 104 (2015) 597 m. Anm. Jault-Seseke, Cass. soc., Bull. Joly Sociétés 2016, 87 m. Anm. Auzero; Cass. soc., Rev. sociétés 2018, 58 m. Anm. Schlumberger; Escande-Varniol, Cah. dr. entrepr. N° 3, mai-juin 2013, 25, 28. Näher dazu Auzero in Le Dolley (Hrsg.), Les concepts émergents du droit des affaires (2010) 43; d’Ornano, JCP S 2010.1533; Morvan, JCP S 2011.1065; Loiseau, JCP S 2011.1528; Fabre, Rev. dr. trav. 2014, 672; Auzero, Mélanges Paul Le Cannu (2014) 655; Perotoo/Mathey, JCP S 2014.1262; Loiseau, JCP S 2015.1414; Pagnerre, JCP S 2015.1436 = JCP S N° 49, 1 décembre 2015, 11; Boetzkes, Die Konzernmutter als Mitarbeitgeberin nach französischem Recht (2015); Temming, Der vertragsbeherrschende Dritte (2015) 915–975; Temming, GPR 2017, 127; Temming, EuZA 2018, 132. 21 Trib. Sup., STS 78/2012; Trib. Sup., STS 4017/2013; Trib. Sup., STS 312/2014; Trib. Sup., STS 172/2014. 22 Guter Überblick insbesondere bei Pagnerre, JCP S 2017.1188 = JCP S N° 23, 13 juin 2017, 10.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber vertraglichen Beziehungen bestehen. Sie geht von einem gemeinsamen Nutzen für die Gruppe und einem gruppenumspannenden Direktionsrecht aus.23 6
Der Arbeitnehmer kann in der Folge alle Unternehmen der Gruppe gleichermaßen im Gerichtsstand seines gewöhnlichen Arbeitsorts nach Abs. 1 lit. b i) verklagen.24 Die Doktrin stützt sich insbesondere auf eine Vermengung von Interessen und den daraus resultierenden Verlust an Eigenständigkeit der Einzelgesellschaften.25 In ihr liegt auch eine Durchbrechung der Rechtspersönlichkeit der einzelnen Gesellschaft, ein lifting of the corporate veil.26 Sie dient dem Umgehungsschutz, indem sie Herrschafts- und Verantwortungsebene in Konzernstrukturen wieder zusammenführt.
7
Ein Ansatz, der die Relativität der Arbeitsverhältnisse wahrt, erscheint im europäischen Rahmen aber vorzugswürdig.27 Über doppelte Arbeitsverhältnisse, Rumpf- und Lokalarbeitsverhältnisse28 kann man des Problems der Arbeit in einer Unternehmensgruppe einschließlich der sog. „entgrenzten“ Arbeitsverhältnisse mit Matrixstrukturen für verschiedene Funktionsbereiche29 weitgehend Herr werden. Zudem wahrt man so auch einen gewissen Gleichlauf mit ErwGr. 36 S. 2 Rom I-VO.30 In den Ergebnissen unterscheiden sich beide Ansätze sowieso kaum, jedoch in den zugrunde liegenden Begründungen.31
II. Gerichtsstand am Wohnsitz des Arbeitgebers 8
Abs. 1 lit. a32 wiederholt Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Er importiert gleichsam das Prinzip actor sequitur forum rei und den allgemeinen Beklagtengerichtsstand in das Sonderregime,33 während Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO als solcher nicht anwendbar ist, sondern nach Maßgabe des Art. 20 Brüssel IaVO verdrängt wird.34 Für Wohnsitz- und Sitzbestimmung gelten auch unter Abs. 1 lit. a Art. 62 Brüssel Ia-VO, Art. 63 Brüssel Ia-VO.35 Eine bei Klagerhebung begründete Zuständigkeit kann nach dem 23 Zum IPR der Qualifikation als coemploi Cass. soc., JCP S 2019.1008 = JCP S N° 1–2, 15 janvier 2019, 46 m. Anm. Sarah Laval. 24 Cass. soc., Bull. civ. 2007 V n° 109 = JCP S 2007.1618 m. Anm. Coursier; Cass. soc., Rev. crit. dip. 96 (2007) 543 m. Anm. Jault-Seseke; Cass. soc., JClP (G) 2012, 202; Dedessus-Le-Moustier, JClP (G) 2012, 201; Devers, Dr. soc. 2012, 140. Vgl. auch Cass. soc., JCP S 2015, 1162 m. Anm. Tricoit = Procédures avril 2015, 28 m. Anm. Bugada = Bull. Joly Sociétés 2015, 222 m. Anm. Jault-Seseke; Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel IaVO Rz. 130–138. 25 Cass. soc., Rev. crit. dip. 103 (2014) 426, 427 f. m. Anm. Jault-Seseke. 26 Jault-Seseke, Rev. crit. dip. 103 (2014) 428, 429; Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 126. 27 Wie hier Palao Moreno, YbPIL 3 (2002) 303, 314; Boetzkes, Die Konzernmutter als Mitarbeitgeberin nach französischem Recht (2015) 60 f. A.A. Moreau, Cah. dr. entrepr. N° 3, mai-juin 2013, 22, 23 sowie Wieczorek/ Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 130–138. 28 Dazu Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 52 (Mankowski). 29 Zum Phänomen z.B. Gimmy/Hügel, NZA 2013, 764; Claudia Schubert, Betriebliche Mitbestimmung in Unternehmen und Konzernen mit Matrixorganisation (2017); Homburg, FS Thomas Klebe (2018) 178; Maschmann/ H.-J. Fritz, Matrixorganisationen (2019); Claudia Schubert, DRdA 2019, 407. 30 Ebenso Mankowski, IPRax 1999, 332, 334; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 69 m.w.N. 31 Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 140 f. 32 Beispielsfälle für einfache und problemlose Anwendung: BAGE 157, 258 Rz. 13; LAG Düsseldorf, IPRspr. 2010 Nr. 209 S. 528. 33 G. Schmidt, NIPR 2001, 150, 158; Palao Moreno (2002) 4 YbPIL 303, 310; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 19 EuGVVO Rz. 2; C. Müller, 62 f.; Kropholler/von Hein, Art. 19 EuGVVO Rz. 3; de Sousa Gonçalves in Estudos em Memória do Professor Doutor António Marques dos Santos (2005) 35, 50; Mahinga, D 2005, 1332, 1335; Ulrici, jurisPR-ArbR 28/2013 Anm. 2 sub C I; Junker, FS Gottwald (2014) 293, 294; Nord, JCP S No. 52, 23 décembre 2014, S. 22, 23. Siehe auch Trib. Sup., AEDIPr 2005, 740, 741 f.; Trib. Sup., AEDIPr 2005, 745, 747; Hof ’s Hertogenbosch, NIPR 2007 Nr. 29 S. 51; Rb. Haarlem, sector kanton, locatie Haarlem, NIPR 2006 Nr. 27 S. 47; Rb. Breda, sector kanton, locatie Breda, NIPR 2009 Nr. 21 S. 65. 34 Asín Cabrera, AEDIPr 2007, 962, 963; Junker, FS Kühne (2009) 735, 738. 35 BAG, RIW 2013, 565, 567 Rz. 19; BAG, RIW 2013, 803, 804 Rz. 16; Sächsisches LAG, IPRspr. 2010 Nr. 208 S. 527; Rb. Rotterdam, sector kanton, locatie Rotterdam, NIPR 2008 Nr. 313 S. 577; Rb. Amasterdam, NIPR 2015 Nr. 197 S. 345; Powell v. OMV Exploration & Production Ltd. [2014] IRLR 80 (EAT); Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 19 EuGVVO Rz. 6 (2005); Fotinopoulou Basurko, Ann dr mar océan XXVI (2008) 309, 349 f.;
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
Grundsatz der perpetuatio fori nicht dadurch entfallen, dass der beklagte Arbeitgeber nachträglich seinen Wohnsitz wegverlegt.36 Umgekehrt kann eine anfangs fehlende internationale Zuständigkeit dadurch erwachsen, dass der beklagte Arbeitgeber nach Klagerhebung, aber vor Schluss der mündlichen Verhandlung seinen Wohnsitz in den Forumstaat verlegt.37 Die örtliche Zuständigkeit zu regeln bleibt wie bei Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO dem nationalen Recht 9 des Wohnsitzstaates überlassen.38 In Abs. 1 lit. b wird dagegen die örtliche Zuständigkeit mitgeregelt.39 Gegenüber Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO weist Abs. 1 lit. a die aus Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO folgende Besonderheit auf, dass bei einem Arbeitgeber, der in einem Drittstaat ansässig ist, eine Niederlassung in der EU als Wohnsitz fingiert wird.40 Deshalb kann der drittstaatsansässige Arbeitgeber nach Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO am Ort seiner EU-Niederlassung verklagt werden, wenn diese Bezug zu dem Rechtsstreit hat.41 Für die Wohnsitz- bzw. Sitzbestimmung spielt aber die Nationalität des Arbeitgebers keine Rolle.42 Der Wohnsitzgerichtsstand hat eine Garantiefunktion. Der dort verklagte Arbeitgeber kann nicht verlangen, dass der Rechtsstreit in einem Forum des Abs. 1 lit. b auszufechten wäre.43 Dem Arbeitnehmer eröffnet der Wohnsitzgerechtsstand eine Klagmöglichkeit dort, wo der Arbeitgeber vermutlich wesentliche Teile seines Vermögens hat, mit der Chance auf eine Vollstreckung im Foruminland.44
10
Arbeitgeber ist, wer Vertragspartner des Arbeitnehmers unter dem Arbeitsvertrag ist. Einordnungs- 11 kriterium ist primär die Rolle als formelle Vertragspartei. Dies eröffnet Gestaltungsspielräume. Innerhalb eines Konzerns kann die Arbeitgeberseite vergleichsweise frei entscheiden, welche Konzerngesellschaft als Arbeitgeber im Verhältnis zum Arbeitnehmer fungieren soll. Ein Durchgriff wird hinsichtlich der Arbeitgeberposition kaum je stattfinden können. Selbst wenn der Arbeitgeber sein Weisungsrecht an einen formell Dritten delegiert und selber jenseits der Lohnzahlungen gar nicht mehr in Erscheinung tritt, ja obendrein selbst die Lohnbuchhaltung outgesourct hat, bleibt er Arbeitgeber. Bei Leiharbeit und Arbeitnehmerüberlassung ist im Ausgangspunkt allein der Verleiher Arbeitgeber des Arbeitnehmers. Nur ausnahmsweise wird vor einer formellen Übernahme (und damit einem formellen Wechsel in der Arbeitgeberposition) der Entleiher ein eigenes Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer begründen. Bei Manning Agencies, Hiring Agencies oder Crewing Agencies ist danach zu unterscheiden, ob sie im eigenen Namen Arbeitnehmer bei sich anstellen und diese dann verleihen oder ob sie nur als Vermittler fungieren und Intermediär für den Abschluss von Arbeitsverträgen zwischen ihren auftraggebenden Kunden und den angeworbenen Arbeitnehmern sind. Namentlich im Seeverkehr spielen Crewman A (Cost Plus Fee) 2009 und Crewman (Lump Sum) 2009 der Baltic and International Maritime Conference (BIMCO) eine gewichtige Rolle als Standardverträge, die moderne Crew Management-Praktiken abzubilden versuchen, neben ihnen die Shipman 2009.45
36 37 38 39 40 41 42 43 44 45
Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 3; Junker, FS Kühne (2009) 735, 738; Graf-Schimek, ÖJZ 2010, 245, 246; Escande-Varniol, Cah. dr. entrepr. N° 3, mai-juin 2013, 25, 27; Abele, FA 2013, 357, 358, 359; Moreau Mélanges Jacquet (2013) 401, 404; Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 21 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 4 f. Zustimmend Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 11. Sächsisches LAG, IPRspr. 2010 Nr. 208 S. 527; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 11. Siehe nur Kropholler/von Hein, Art. 19 EuGVVO Rz. 1; de Sousa Gonçalves in Estudos em Memória do Professor Doutor António Marques dos Santos (2005) 35, 50; Abele, FA 2013, 357, 359; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 6; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 6. Siehe nur Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 7, 32; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 6. Deshalb darf man „Ort“ nicht durch „Staat“ ersetzen. Dies übersieht Briggs, Rz. 2.85. Layton/Mercer, Rz. 18.013. BAGE 125, 24; BAG, NZA 2014, 56, 57. Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2012, 955, 956; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 4; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 10. Cass., Bull. civ. 2005 ch mixte n° 2; Derache/Didier, JCP S N° 16–17, 19 avril 2011, 17, 20. Cornelia Müller, 63; Czernich/Tiefenthaler/Kodek/Czernich, Rz. 2; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 5. Dazu und zur Frage nach der Arbeitgebereigenschaft von Reedereien und Ausrüstern Fotinopoulou Basurko, Ann dr mar océan XXVI (2008) 309, 352–358; Egler, 131–133.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber
III. Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort 1. Begriff des gewöhnlichen Arbeitsortes a) Grundsätzliches 12
Der Begriff des gewöhnlichen Arbeitsortes ist autonom ohne Rückgriff auf Begriffsbildungen in den nationalen Rechten auszulegen.46 Hinter ihm steht der Gedanke, dass der Arbeitnehmer einen Ort haben soll, mit dem seine Arbeit eng verbunden ist und an dem er mit den relativ geringsten Kosten seine Rechte wahrnehmen kann.47 Mit seinem gewöhnlichen Arbeitsort ist der Arbeitnehmer gemeinhin am relativ engsten verbunden,48 und er kennt idealiter die dortige Umgebung und das dortige Umfeld.49 Insoweit schlägt sich der Schutz des Arbeitnehmers als tragender Gedanke nieder.50
13
Das Internationale Arbeitsvertragsrecht verwendet in Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO wie zuvor in Art. 6 Abs. 2 lit. a EVÜ, Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB ebenfalls den gewöhnlichen Arbeitsort als Anknüpfungskriterium, so dass man zu einem Gleichlauf von forum und ius, also zum erwünschten Ergebnis der Eigenrechtsanwendung, der lex propria in foro proprio, kommt.51 Allerdings ist für den gewöhnlichen Arbeitsort nicht ausschlaggebend, welches Recht in der Sache anzuwenden ist.52
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Zudem ist der gewöhnliche Arbeitsort ein stark faktisch geprägtes Kriterium von beachtlicher Manipulationsresistenz.53 Sowohl ihm als auch dem alternativen Kriterium der einstellenden Niederlassung kann man ein marktorientiertes Auslegungsmodell mit der Testfrage unterlegen, auf welchem national begrenzt gedachten Arbeitsmarkt der Arbeitgeber hypothetisch Ersatz für den konkreten Arbeitnehmer rekrutieren würde.54
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Eine Rechtswahl der Parteien spielt für den gewöhnlichen Arbeitsort keine Rolle.55 Eine Festlegung des Arbeitsortes im Vertrag kann dagegen ein wichtiges Indiz und Ausgangspunkt für die Beurteilung sein.56 Eine weitergehende Bindungswirkung würde auf eine Gerichtsstandsvereinbarung hinauslaufen und wäre an Art. 23 Brüssel Ia-VO zu messen.57 Bei ortsfester Arbeit ist der Ort der Arbeitser46 Besonders deutlich EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 38 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd.; EuGH v. 10.4.2003 – C-437/00, ECLI:EU:C:2003:219 Rz. 16 – Giulia Pugliese vs. Finmeccanica SpA, Betriebsteil Alenia Aerospazio. 47 EuGH v. 13.7.1993 – C-125/92, ECLI:EU:C:1993:306 Rz. 19 – Mulox IBC Ltd. vs. Hendrick Geels; EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 40 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd.; EuGH v. 10.4.2003 – C-437/00, ECLI:EU:C:2003:219 Rz. 18 – Giulia Pugliese vs. Finmeccanica SpA, Betriebsteil Alenia Aerospazio; BAG, RIW 2013, 565, 567 = BAG v. 20.12.2012 – 2 AZR 481/11, NZA 2013, 925, 927 Rz. 21; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.10.2019 – 6 Sa 97/19 Rz. 53; ArbG Cottbus, IPRspr. 2013 Nr. 201 S. 438; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 222; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 15. 48 EuGH v. 14.9.2017 – verb. Rs. C-168/16 u. C-169/16, ECLI:EU:C:2017:688 Rz. 50 – Sandra Nogueira u.a. vs. Crewland Ireland Ltd.; Miguel José Moreno Osacar vs. Ryanair Designated Activities Ltd.; EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 Rz. 24 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida. 49 Gulotta, Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 619, 636. Gulotta, Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 619, 6. 50 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11 ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 46 – Ahmed Mahamdia/Demokratische Volksrepublik Algerien; BAG, RIW 2013, 565, 567 Rz. 21. 51 Siehe nur EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 16 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd.; GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 80; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 222; Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013) 31, 51; Hernández Rodríguez, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 852, 859; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 2. 52 Cass., Gaz Pal 2013, 4020. 53 GA Jacobs, Schlussanträge v. 26.5.1993 in der Rs. C-125/92, ECLI:EU:C:1993:217 Rz. 37; GA Jacobs, Schlussanträge v. 24.10.1996 in der Rs. C-383/95, ECLI:EU:C:1996:417 Rz. 37; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 18.3.2008 – 1 Sa 38/07 Rz. 56; Springer, 191; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 96. 54 Mankowski, IPRax 1999, 332, 336–338. Kritisch Springer, 175 f.; Junker, FS Heldrich (2005) 719, 735. Vgl. mit einem benachbarten Ansatz Bosse, 179 f. 55 Mankowski, AP H 12/2002 Nr. 17 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 2, 4R f.; unzutreffend BAG, AP H 12/2002 Nr. 17 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 2. 56 Vgl. Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2009, 108, 112. 57 In diese Richtung TSJ Cataluña, REDI 2016-1, 191 nota García Mirete; Juárez Pérez, Cuad. Der. Trans. 11 (1) (2019) 372, 386.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
bringung gewöhnlicher Arbeitsort.58 Das politische und geschäftliche Umfeld soll dort die Arbeitstätigkeit ebenfalls beeinflussen.59 Dies meint Liberalität oder Rigidität der Regulierung auf dem jeweiligen nationalen Arbeitsmarkt (insbesondere beim Kündigungsschutz)60 und spielt bei der internationalen Zuständigkeit weniger eine Rolle als vielmehr im IPR. Entscheidendes Kriterium ist die Zeit (noch genauer: der Zeitanteil), welche(n) der Arbeitnehmer 16 in Ausübung seiner vertraglichen Tätigkeit an bestimmten Orten oder in bestimmten Staaten verbringt. Der gewöhnliche Arbeitsort ist nicht automatisch mit dem hauptsächlichen Tätigkeitsort gleichzusetzen.61 Das nur relative Überwiegen gegenüber anderen Tätigkeitsorten muss nicht notwendig die nötige absolute Qualität erreichen.62 Ein gewöhnlicher Arbeitsort setzt eben das Überschreiten einer Mindestschwelle voraus. Einen (relativ) hauptsächlichen Tätigkeitsort wird es immer geben, so dass an ihn anzuknüpfen Abs. 1 lit. b ii) sinnlos machen würde.63 Es geht nicht nur um die (relativ) engste Verbindung,64 sondern um eine Verbindung von besonderer und spezifischer Qualität und Gravität. Auch welchen Ort der Arbeitnehmer als Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit gewählt haben mag,65 ist so nicht ausschlaggebend, weil zu subjektiv gefärbt.66 Zudem droht der Mittelpunkt, das Zentrum, sprachlich Einmaligkeit und Einzigartigkeit zu suggerieren, welche dem gewöhnlichen Arbeitsort nicht unbedingt zukommen.67 Umgekehrt ginge es zu weit, soziale Integration und Längerfristigkeit zu verlangen und in der Folge die Möglichkeit paralleler wie sukzessiver gewöhnlicher Arbeitsorte abzulehnen.68 Arbeitet der Arbeitnehmer in einem bestimmten Betrieb oder einer bestimmten Organisationseinheit, wird der gewöhnliche Arbeitsort in aller Regel dort liegen69 (allerdings ohne dass man den deutscharbeitsrechtlichen Begriff des Betriebes in das europäische Normgefüge übertragen dürfte). Indes muss die tatsächliche Leistungserbringung an einem bestimmten Ort70 vertraglich abgesichert sein; sie darf zumindest nicht vertragswidrig sein, denn anderenfalls drohte man eigenmächtige Verlegungen durch den Arbeitnehmer zu prämieren.71 Ob am gewöhnlichen Arbeitsort des Arbeitnehmers eine Niederlassung des Arbeitgebers besteht, ist unerheblich.72 Die Arbeitsortsanknüpfung ist eben keine Betriebsanknüpfung.
58 Siehe nur LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 18.3.2008 – 1 Sa 38/07 [59]. 59 EuGH v. 15.3.2011 – C-29/10, ECLI:EU:C:2011:151 Rz. 42 – Heiko Koelzsch vs. Großherzogtum Luxemburg; GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 50; GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C:2011:564 Rz. 52. 60 Vgl. GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 50. 61 Mankowski, IPRax 1999, 332 f. sowie Lagarde, Rev. crit. dip. 83 (1994) 573, 577; Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 86 (1997) 341, 344; de Boer, Ned. Jur. 1997 Nr. 717 S. 3959 f. Entgegen EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 23 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd.; östOGH, EuLF 2008, II-102; LAG Baden-Württemberg, IPRspr. 2002 Nr. 129a S. 326; Rb. Amsterdam, sector Leanton, locatie Amsterdam, NIPR 2006 Nr. 50 S. 81; Holl, IPRax 1997, 88, 90 sowie EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 50 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd. 62 Mankowski, IPRax 1999, 332, 333 sowie Ktg. Utrecht, NIPR 1993 Nr. 287 S. 496; Kocher, JR 2004, 88; Junker, FS Heldrich (2005) 719, 734. 63 Mankowski, IPRax 1999, 332, 333; zustimmend C. Müller, 67; vgl. auch GA Jacobs, Schlussanträge in der Rs. C-125/92, EuGHE 1993 I 4085, 4097 Nr. 37; GA Jacobs, Schlussanträge v. 24.10.1996 in der Rs. C-383/95, ECLI:EU:C:1996:417 Rz. 37. 64 So aber EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 23 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd. 65 So EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 23 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd. 66 Junker, ZZP Int 3 (1998) 179, 195; C. Müller, 67. 67 Bischoff, Clunet 124 (1997) 635, 636. 68 So aber Behr, GS W Blomeyer (2004) 15, 34. 69 LAG Köln, LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 1; ArbG Bielefeld, IPRspr. 2008 Nr. 49 S. 163 f.; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 310; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 224. 70 EuGH v. 10.4.2003 – C-437/00, ECLI:EU:C:2003:219 Rz. 19 – Giulia Pugliese vs. Finmeccanica SpA, Betriebsteil Alenia Aerospazio; BAGE 158, 266 Rz. 59. 71 Reinhard/Böggemann, NJW 2008, 1263, 1265; Domröse, DB 2008, 1626, 1628 f. 72 Bergwitz, NZA 2008, 443.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber 17
Als grobe Faustformel lässt sich die Frage heranziehen, ob der Arbeitnehmer 60 % seiner Arbeitszeit oder mehr an einem bestimmten Ort verbringt und vertragsgemäß verbringen soll.73 Gegen die Faustformel lässt sich nicht anführen, man reduziere den gewöhnlichen Arbeitsort damit auf ein quantitatives Kriterium und vernachlässige das wertende Element.74 Dies hieße den Charakter einer Faustformel zu verkennen und diese entgegen ihrem Charakter zur festen Regel zu erheben. Auch qualitative und organisatorische Aspekte haben natürlich in der Gesamtbeurteilung ihren Platz.75 Nur der größte Zeitanteil76 reicht jedenfalls nicht, weil man damit wieder beim nur relativ hauptsächlichen Tätigkeitsort wäre.77 Zudem könnte selbst der relativ größte Zeitanteil weniger als die Hälfte der Zeit ausmachen (Beispiel: sechs Monate in den Niederlanden, acht in Norwegen, vier in Frankreich) und jedenfalls dann nicht das Ganze prägen.78
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Auf der anderen Seite schließt schon die Tatsache, dass der Arbeitnehmer in verschiedenen Staaten arbeitet, das Bestehen eines gewöhnlichen Arbeitsortes nicht per se aus.79 Kurz- und selbst mittelfristige Abwesenheit von einem Zentrum, zu welchem die Rückkehr geplant ist, z.B. als Folge von Projekt- oder Dienstreisen schadet jedenfalls nicht.80 Anderenfalls könnte der Arbeitgeber durch eine kurzfristige und vorübergehende Entsendung kraft seines Direktionsrechts den Hauptgerichtsstand des Arbeitnehmers verschieben.81
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Eine Gesamtschau des Arbeitsverhältnisses in seiner zeitlichen Gesamtheit82 ist ebenfalls abzulehnen. Denn damit legte man den gewöhnlichen Arbeitsort erst ex post fest und würde so aktuellen Planungserwartungen der Parteien während des laufenden Arbeitsverhältnisses nicht gerecht.83 Absehbare zukünftige Entwicklungen sind nicht schlechterdings unbeachtlich.84 Bei kurzfristiger Beendigung drohte eine Retrospektive die Parteien rückwirkend zu überraschen.85 Der Wohnsitz des Arbeitnehmers als solcher spielt keine Rolle.86 Grenzgänger und grenzüberschreitende Pendler haben daher einen (Aktiv-)Gerichtsstand an ihrer Arbeitsstelle, aber nicht an ihrem Wohnort.87
73 Mankowski, IPRax 1999, 332, 334, 336 sowie östOGH, EuLF 2008, II-102, II-103; A-G Strikwerda, Ned. Jur. 1997 S. 3943, 3947; Strikwerda, Ned. Jur. 1998 Nr. 546 S. 3126; Ktg. Rotterdam, NIPR 1997 Nr. 270 S. 347; Geimer/Schütze, Rz. 5; C. Müller, 67 f.; Winterling, 67 f.; Fasching/Konecny/Simotta, Rz. 10; Egler, 216; Ulrici, jurisPR-ArbR 30/2011 Anm. 3 sub C II 1; Ulrici, jurisPR-ArbR 28/2013 Anm. 2 sub C II 1; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 233; Block, 170, 174, 303; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 16, 17; vgl. auch EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 25 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd.; Powell v. OMV Exploration & Production Ltd. [2014] IRLR 80 (EAT). 74 So aber Junker, FS Heldrich (2005) 719, 735; vgl. auch GA Jacobs, Schlussanträge v. 18.10.2001 in der Rs. C-37/00, ECLI:EU:C:2011:554 Rz. 52; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 24 (2016); Musielak/Voit/A. Stadler, Rz. 2. 75 Siehe Todolí Signes, Rev. inf. lab. 2016-1; Hernández Rodríguez, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 852, 861. 76 Dafür EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 50 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd.; Trib. Sup. AEDIPr 2013, 1070, 1072; BAG, AP Nr. 85 zu § 4 KSchG 1969 Rz. 58 = RIW 2017, 233; Iriarte Ángel, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 477, 491. 77 Vgl. van Hoek, NIPR 2002, 296, 298; Bosse, 168 f. 78 de Boer, Ned. Jur. 2005 Nr. 337 S. 2611, 2613. 79 Holl, IPRax 1997, 88, 90; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 66. 80 Garber, FS Kaissis (2012) 221, 224; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 15; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 63. 81 Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 15. 82 Dafür tendenziell EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 52 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd.; GA Jacobs, Schlussanträge v. 18.10.2001 in der Rs. C-37/00, ECLI:EU:C:2011:554 Rz. 18; Carver v. Saudi Arabian Airlines [1999] 3 All ER 61, 70 (C.A., per Mantell L.J.); Arbetsdomstolen, AD 2004 Nr. 15; Kropholler/von Hein, Art. 19 EuGVVO Rz. 5; Pålsson, SvJT 2005, 224, 231. 83 Mankowski, IPRax 2003, 21, 23; Bosse, 170–172; Domröse, DB 2008, 1626, 1629. 84 Zu pauschal Ktg. Middelburg, NIPR 2001 Nr. 195 S. 332. 85 Mankowski, AP H 12/2002 Nr. 17 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 2, 2R f.; zustimmend Kocher, JR 2004, 88. 86 Siehe nur GA Jacobs, Schlussanträge v. 26.5.1993 in der Rs. C-125/92, ECLI:EU:C:1993:217 Rz. 34; Piltz, NJW 2002, 789, 792; Mosconi, Riv. dir. int. priv. proc. 2003, 5, 19. 87 Siehe Rb. Maastricht NIPR 2002 Nr. 110 S. 201 f.; Weth/Kerwer, RdA 1998, 233, 236; Hoppe, 159; Mankowski, IPRax 1999, 332, 337; Mankowski, IPRax 2003, 21, 25; Trenner, 115.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
Beim gewöhnlichen Arbeitsort geht es um den Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Es geht um die Aktivität des Arbeitnehmers. Maßgebliche Anknüpfungsperson für diesen spezifischen Anknüpfungspunkt ist und bleibt der Arbeitnehmer. Auf den Arbeitgeber schwenkt erst die (subsidiäre) Anknüpfung an die einstellende Niederlassung nach Abs. 1 lit. b ii) um. Deshalb haben alle Aktivitäten auf der Seite des Arbeitgebers beim gewöhnlichen Arbeitsort keinen Platz. Organisationsleistungen des Arbeitgebers sind keine Aktivität des Arbeitnehmers, auch nicht, wenn es um die Versorgung oder Ausstattung von Arbeitnehmern geht.88 Erst recht gehören Sitz oder gar Konzernverbundenheit des Arbeitgebers nicht in die Ermittlung des gewöhnlichen Arbeitsorts.89
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Das Erteilen von Weisungen seitens des Arbeitgebers ist keine Aktivität des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer kommt vielmehr erst am anderen Ende der Kommunikation ins Spiel, wenn und wo er Weisungen entgegennimmt. Der Ort, von dem aus der Arbeitnehmer Anweisungen zu seinen Aktivitäten erhält,90 gehört in den Kontext der einstellenden Niederlassung, nicht zum Arbeitsort. Weisungen strukturieren zwar die Arbeitsleistung und wirken auf die Arbeitsleistung ein – aber sie stammen vom Arbeitgeber und sind daher kein Teil der vom Arbeitnehmer selbst erbrachten Arbeitsleistung. Genauer, weil auf die allein maßgebliche Arbeitnehmerleistung bezogen, ist daher darauf abzustellen, wo der Arbeitnehmer Weisungen erhält.91 Die Entgegennahme von Weisungen ist eine eigene, wenn auch passive Tätigkeit des Arbeitnehmers.92
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Verträge des Arbeitgebers mit dessen Kunden im Außenverhältnis spielen beim gewöhnlichen Arbeitsort keine direkte Rolle.93 Der Arbeitnehmer ist an ihnen nicht als Partei beteiligt, und ihre Zwecke sind von jenen des Arbeitsvertrags verschieden. Der Arbeitnehmer mag im Außenverhältnis Erfüllungsgehilfe seines Arbeitgebers bei dessen unternehmerischer Tätigkeit sein. Jedoch darf das Außenverhältnis anknüpfungstechnisch nicht überwirken in das Arbeitsverhältnis. Der Erfüllungsort im Außenverhältnis ist ohne direkte Bedeutung für den gewöhnlichen Arbeitsort im Innenverhältnis.94
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b) Entsendungsfälle In seinem Wortlaut sagt Abs. 1 lit. b i) nichts über die Behandlung von Entsendungsfällen. Richtigerweise ist aber der Gedanke aus Art. 8 Abs. 2 Halbs. 2 Rom I-VO; Art. 6 Abs. 2 lit. a Halbs. 2 EVÜ, Art. 30 Abs. 2 lit. a Halbs. 2 EGBGB korrigierend in den Wortlaut hineinzulesen:95 Eine nur vorübergehende Entsendung des Arbeitnehmers verändert den gewöhnlichen Arbeitsort nicht und begründet keinen Gerichtsstand am Entsendungsort.96 Anderenfalls liefe man Gefahr, einerseits Gerichts88 Mankowski, AP H 4/2012 Verordnung Nr. 44/2001/EG Nr. 3 Bl. 5, 6R gegen BAGE 137, 71 Rz. 30, 33. 89 Mankowski, AP H 4/2012 Verordnung Nr. 44/2001/EG Nr. 3 Bl. 5, 6R gegen BAGE 137, 71 Rz. 29. 90 EuGH v. 15.3.2011 – C-29/10, ECLI:EU:C:2011:151 Rz. 49 – Heiko Koelzsch vs. Großherzogtum Luxemburg; EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 38 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA; EuGH v. 14.9.2017 – verb. Rs. C-168/16 u. C-169/16, ECLI:EU:C:2017:688 Rz. 63 – Sandra Nogueira u.a. vs. Crewland Ireland Ltd.; Miguel José Moreno Osacar vs. Ryanair Designated Activities Ltd.; Iriarte Ángel, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 477, 493 sowie EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 25 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd. 91 GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 96. 92 Mankowski/Knöfel, EuZA 2011, 521, 529; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 68. 93 Gegen die Tendenz in BAGE 137, 71 Rz. 32, 33. 94 Mankowski, AP H 4/2012 Verordnung Nr. 44/2001/EG Nr. 3 Bl. 5, 6R. 95 Mankowski, EWiR Art. 7 EuGVÜ 1/97, 221, 222; Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 6 S. 6, 8 (Nov. 1999); Franzen, ZEuP 1997, 1055, 1071; Junker, ZZP Int 3 (1998) 179, 194 f.; Junker, ZZP Int 8 (2003) 491, 495; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 311 f.; Palao Moreno, YbPIL 4 (2002) 303, 327; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 4; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 19 EuGVVO Rz. 6; C. Müller, 71; Kropholler/von Hein, Art. 19 EuGVVO Rz. 7; de Sousa Gonçalves, Estudos em Memória do Professor Doutor António Marques dos Santos (2005) 35, 52; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 71 f.; vgl. auch EuGH v. 13.7.1993 – C-125/92, ECLI:EU:C:1993:306 Rz. 25 – Mulox IBC Ltd. vs. Hendrick Geels; EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 25, 27 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd. 96 Deutlich ArbG Bielefeld, IPRspr. 2008 Nr. 49 S. 163; außerdem z.B. Holl, IPRax 1997, 88, 89; Bergwitz, NZA 2008, 443; Graf-Schimek, ÖJZ 2010, 245; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 224; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 25.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber stände zu häufen97 oder andererseits dem Arbeitgeber unter einer Mobilitätsklausel ein Mittel zu geben, um dem Arbeitnehmer Gerichtsstände zu nehmen.98 Außerdem würde der Wertungs- und Auslegungsgleichlauf mit Art. 8 Abs. 2 Var. 1 Rom I-VO aufgestört, ohne dass es einen rechtfertigenden Grund dafür gäbe. 24
Gegenbegriff zur vorübergehenden ist die endgültige Entsendung. Erwägungsgrund 36 Rom I-VO bietet hier eine Handreichung. Maßgebliche Abgrenzungskriterien sind der Rückkehrwille (animus revertendi) des Arbeitnehmers und der Rückbeorderungs- bzw. Wiederaufnahmewille (animus retrahendi) des Arbeitgebers.99 Vertragliche vorgesehene Rückkehr, Wiederbeschäftigung oder Rückkehrmöglichkeit unter Vorhalten eines Arbeitsplatzes im alten Arbeitsstaat machen die Entsendung grundsätzlich zur nur vorübergehenden.100 Allerdings kann das Arbeitsverhältnis auch mit einer Entsendung beginnen; vorherige Tätigkeit am gewöhnlichen Arbeitsort ist nicht notwendig.101
25
Erforderlich ist indes immer die Absicht, d.h. die bei Vertragsschluss bestehende Absicht, den Arbeitnehmer nach Rückkehr von der Entsendung im Entsendestaat zu beschäftigen.102 Ob sich diese ursprünglich gehegte Absicht realisiert, ist dagegen ohne Bedeutung. Ein zeitlich unbefristetes Rückrufrecht des Arbeitgebers auch bei langjährigem Auslandsaufenthalt kann quasi-rechtsmissbräuchlich und in der Folge unbeachtlich sein.103
26
Eine auf ein konkretes Projekt bezogene Tätigkeit in einem Land kann eine vorübergehende Entsendung sein.104 Sie ist es jedoch nicht, wenn die Einstellung nur für dieses eine Projekt erfolgt; in letzterem Fall liegt der gewöhnliche Arbeitsort allein im Land des Auslandseinsatzes.105
27
Feste Zeitgrenzen für die Abgrenzung gibt es nicht. Entsprechende Vorschläge, drei Jahre oder zwei Jahre einzusetzen,106 letzteres namentlich in Übertragung der sozialrechtlichen Fristtatbestände aus Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 und zuvor Art. 14 Nr. lit. a, b VO (EWG) Nr. 1408/71,107 haben keinen Eingang gefunden.108 Über den Entsendungsgedanken lassen sich gegenwärtig auch Fälle der Arbeit in der Antarktis oder im Weltraum lösen.109
97 de Sousa Gonçalves, Estudos em Memória do Professor Doutor António Marques dos Santos (2005) 35, 52 f.; vgl. EuGH v. 13.7.1993 – C-125/92, ECLI:EU:C:1993:306 Rz. 21 – Mulox IBC Ltd. vs. Hendrick Geels; EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 18 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd.; Nunes, Ondernemingsrecht 1999, 327, 329. 98 Vgl. Harada Ltd. trading as Chequepoint UK Ltd. v. Turner [2000] ILPr 574, 584 (EAT, Lindsay J.); Lagarde, Rev. crit. dip. 83 (1994) 573, 576. 99 Siehe nur Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 25; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 69. 100 Siehe nur Däubler, RIW 1987, 249, 251; Schmidt-Hermesdorf, RIW 1988, 938, 940; Junker, ZIAS 1995, 564, 586. 101 Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 5 S. 6, 9 f. (Juli 1998); Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009) 171, 188; Deinert, RdA 2009, 144, 146; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 26. A.A. Junker, 182; Block, 190 f. 102 Junker, RIW 2006, 401, 407; Mankowski, IHR 2008, 133, 145; Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.) Rome I Regulation (2009) 171, 185 f. 103 Hessisches LAG v. 28.5.2008 – 8 Sa 2179/06 Rz. 56; Hessisches LAG v. 1.9.2008 – 16 Sa 1296/07 Rz. 57; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 73. 104 Junker, ZIAS 1995, 564, 568; Hänlein, ZIAS 1996, 21, 38; sowie Cass. soc., JCP S 2011.1293 m. Anm. Coursier; Cass. soc., JCP S 2011.1309 m. Anm. Tricoit. 105 Cass. soc., JurisData n° 2012–005956; ArbG Bielefeld, IPRspr. 2008 Nr. 49 S. 163; Rb. Midden-Nederland, locatie Utrecht NIPR 2015 Nr. 284 S. 475; Rb. Midden-Nederland, locatie Utrecht, kantonrechter, NIPR 2015 Nr. 282 S. 467; Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 5 S. 6, 10 (Juli 1998); Cottin-Dusart, Cah. dr. entrepr. N° 3, mai-juin 2013, 34, 35; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 26. 106 Gamillscheg, ZfA 1983, 307, 333 bzw. Heilmann, Das Arbeitsvertragsstatut (1991) 144; s. auch Franzen, ARBlattei SD 920 Rz. 62 (1993). 107 European Parliament, Draft Report by the Committee Responsible (Reporter: Maria Berger) of 22 August 2006, PE 371.427 2005/0261 (COD) Nr. 23. 108 Block, 187. 109 Block, 189 f. Siehe aber weitergehende Überlegungen bei permanenter Arbeit in der Antarktis bzw. im Weltraum bei Block, 397–433 bzw. 483–525.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
c) Verschiedene Arbeitsorte in einem Staat Für die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Staates verschlägt es nicht, wenn der Arbeitnehmer simultan, gleichzeitig innerhalb dieses Staates verschiedene Arbeitsorte hat. Die Auswahl unter diesen wird erst für die mitgeregelte örtliche Zuständigkeit relevant.110 Auf dieser Ebene kann es sich dann als notwendig erweisen, die spezifische Qualität des gewöhnlichen Arbeitsortes aufzugeben und entweder den jeweils letzten Tätigkeitsort heranzuziehen oder eine wertende Schwerpunktbetrachtung vorzunehmen, jedenfalls wenn man keinen Gerichtsstand an jedem Tätigkeitsort und keine Vervielfachung der örtlichen Gerichtsstände will.111 Ein Überwechseln zum Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung112 für die örtliche Zuständigkeit würde dagegen das System sprengen. Insbesondere aber wäre es in all’ den Fällen nicht möglich, in denen im Staat der gewöhnlichen Arbeitsorte gar keine einstellende Niederlassung liegt. Der Ort der Arbeitsaufnahme als Kriterium für den Stichentscheid113 vermag ebenfalls nicht zu überzeugen. Denn wenn darunter die erste, initiale Arbeitsaufnahme versteht, erfolgte ein Griff in die Vergangenheit des Vertrages und könnte man zu einem Forum gelangen, das mit dem Vertrag bei Klagerhebung gar nicht mehr eng verbunden ist.
28
2. Ort, von dem aus der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich verrichtet (Abs. 1 lit. b i) Var. 2) Eine Neuerung gegenüber Art. 19 Nr. 2 lit. a Brüssel I-VO ist die zweite Variante des Abs. 1 lit. b i), 29 nämlich dass gewöhnlicher Arbeitsort auch der Ort sei, von dem aus der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich verrichtet. Dieser zusätzliche Anknüpfungspunkt stammt aus Art. 8 Abs. 2 Var. 2 Rom I-VO. Er wird abgekürzt als sog. base rule bezeichnet. Die base rule bringt zum Ausdruck, dass ein Staat für einen Arbeitnehmer auch eine Art Stützpunkt oder Basis sein kann.114 Schon dies genügt aber vollauf, um scheinbar delokalisierte internationale Arbeit genau einem Staat zuzuordnen. Man wollte damit Formulierungen aus der EuGH-Rechtsprechung zu Art. 5 Nr. 1 Halbs. 2 EuGVÜ115 integrieren und übernehmen.116 Die base rule sollte in Art. 8 Abs. 2 Var. 2 Rom I-VO die Maßstäbe im IPR an jene für die internationale Zuständigkeit angleichen.117 Der Import in das IZPR ist also eigentlich ein Re-Import.118 Jedenfalls erweitert die base rule den Begriff des Arbeitsortes.119 Materiell hatte sie allerdings bereits der EuGH120 vorweggenommen,121 kaschiert als Auslegung des Arbeitsortsbegriffs. Mit der base rule erfasst der erweiterte Arbeitsortbegriff die weit überwiegende Mehrzahl grenzüberschreitender Arbeitsverhältnisse und umfasst Konstellationen, in denen die Arbeitstätigkeit Mobilität impliziert.122
110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122
BAG, AP H 12/2002 Nr. 17 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 2. Mankowski, AP H 12/2002 Nr. 17 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 2, 4. Dafür Hessisches LAG, IPRspr. 2011 Nr. 218 S. 573. Dafür LAG Köln, IPRspr. 2011 Nr. 211 S. 551. Knöfel, RdA 2006, 269, 274; Knöfel, EWiR Art. 6 EVÜ 1/11, 315, 316; Junker, Arbeitnehmereinsatz im Ausland – Anzuwendendes Recht und Internationale Zuständigkeit, 2007, S. 23; Martiny in MünchKomm/BGB (5. Aufl. 2010) Art. 8 Rom I-VO Rz. 48. Nämlich aus EuGH v. 13.7.1993 – C-125/92, ECLI:EU:C:1993:306 Rz. 24 – Mulox IBC Ltd. vs. Hendrick Geels; EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 21 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd. Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 15.12.2005 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM (2005) 650, S. 8. Jault-Seseke, RDtrav 2008, 619, 621; Pataut, Rev. crit. dip. 101 (2012) 657, 663; Escande-Varniol, Cah. dr. entrepr. N° 3, mai-juin 2013, 25, 26. Zustimmend Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 3 Fn. 7. Pataut, Rev. crit. dip. 101 (2012) 657, 663; Block, 177; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 51. Besonders deutlich EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA. Grappershaus, Ondernemingsrecht 2011, 210, 211; Carballo Piñeiro, REDI 2012–2, 243, 244. Jault-Seseke, RDTrav 2011, 388; Del Sol, Cah. dr. entrepr. N° 3, mai-juin 2013, 30, 33.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber Ihre Einführung nimmt dem zu ihr subsidiären Anknüpfungspunkt der einstellenden Niederlassung weiter an Bedeutung und degradiert diesen gleichsam zum kaum je eingewechselten Ersatzspieler.123 31
Der gewöhnliche Arbeitsort als tatsächlicher Verrichtungsort der Arbeitsleistung124 hat damit einen vorwiegend für Arbeitsverhältnisse im Transportgewerbe relevanten Schwesterbegriff erhalten. Der Ort, der dem Arbeitnehmer als „Startpunkt“ zur Erfüllung seines Vertrags dient, ist alternativ neben den früher allein maßgeblichen Ort getreten, an dem der Arbeitnehmer seine Leistungen erbringt. Nach der Kommissionsbegründung zum Vorschlag der Rom I-VO125 sollte sich diese Erweiterung ausdrücklich auf „fliegendes“ Personal beziehen, insbesondere auf solches mit ergänzender Bodentätigkeit, etwa Einchecken und Sicherheitskontrolle.126 Im Rechtssetzungsprozess war deswegen unklar, ob die Neuregelung nur „fahrendes“ oder „fliegendes“ Personal erfassen sollte, das am Boden oder am Ausgangspunkt noch Annex- oder Zusatztätigkeiten verrichtet (Flugbegleiter),127 oder auch reine „Transportarbeiter“ (Piloten).128 Unter Art. 8 Rom I-VO in seiner Endfassung ist aber nicht mehr streitig, dass die „von dem aus“-Klausel grundsätzlich beiderlei Arten von Tätigkeiten, also auch die reinen „Transportarbeiter“, erfasst.129 Es ist nicht erforderlich, dass sich an dem Ort, von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, auch ein Niederlassung oder sonstige Organisationsstruktur des Arbeitgebers befinden müsste.130
32
„An dem“ und „von dem aus“ stehen zueinander in einem Subsidiaritätsverhältnis:131 Primäre Anknüpfung ist „an dem“. Wenn es einen Ort gibt, an dem gewöhnlich die Arbeit verrichtet wird, steht die Anknüpfung fest. Wenn es dagegen keinen Ort gibt, an dem gewöhnlich die Arbeit verrichtet wird, kommt die „von dem aus“-Klausel zum Zuge. „Von dem aus“ weicht auf schwächere Bezüge aus, da es die stärkeren Bezüge des „an dem“ eben konkret nicht gibt. Der eigentlich gesuchte Schwerpunkt des „an dem“ existiert konkret nicht. Dann wird die „von dem aus“-Klausel ein Stück weit arbiträr und lässt eben den Treffpunkt der Strahlen genügen, von welchem der Arbeitnehmer immer wieder auszieht und zu welchem er immer wieder zurückkehrt.132 „Von dem aus“ ist funktionell eine Erweiterung der Arbeitsortsanknüpfung.133 „An dem“ hat systematisch Vorrang, wenn es sich konkret ausfüllen lässt.134 Zu „von dem aus“ kommt man erst, wenn man über „an dem“ nicht erfolgreich war. Eine Anknüpfung an den Ausgangsort setzt daher systematisch voraus, dass man keinen gewöhnlichen Arbeitsort nach gewöhnlichen Maßstäben bejahen kann. 123 So plastisch Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 61 in Anlehnung an U. Steiner, FS Maurer (2010) 103, 113 mt Fn. 43. 124 Siehe nur Schlachter in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2004) 155, 163. 125 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), von der Kommission vorgelegt am 15.12.2005, KOM (2005) 650; Text auch in, IPRax 2006, 193–197. 126 Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 15.12.2005 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM (2005) 650, S. 8. 127 Offen für das Arbeitsprozessrecht noch EuGH v. 10.6.2004 – C-555/03 – Magali Warbecq vs. Ryanair Ltd., Slg. 2004 I-6041; s. heute noch Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 8. 128 Dazu Mankowski, IPRax 2006, 101, 108; Knöfel, RdA 2006, 269, 274; Junker in Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa – Der Vorschlag für eine Rom I-Verordnung (2007) 111, 125 f. 129 Siehe nur Knöfel, AP H 10/2008 Art. 27 EGBGB n.F. Nr. 8 Bl. 11, 13; Winkler von Mohrenfels/Block, EAS B 3000 Rz. 127 Fn. 396 (Aug. 2010). Zuvor praktisch genauso Arbh Brussel, [email protected] 2008 nr 3 S. 44. 130 Siehe Cassaz., Riv. it. dir. lav. 2010 II 653, 654; Amici, Riv. it. dir. lav. 2010 II 655, 661. 131 Knöfel, RdA 2006, 269, 274; Mankowski/Knöfel, EuZA 2011, 521, 528; Polak, NedJur 2011 Nr. 246 S. 2490, 2492; Mankowski, AP H 4/2012 Verordnung Nr. 44/2001/EG Nr. 3 Bl. 5, 8; Deinert § 9 Rz. 89; Ulrici, jurisPRArbR 41/2013 Anm. 2 sub C II 2 b; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 50 f.; Wieczorek/ Schütze/Temming, Rz. 3. 132 Mankowski/Knöfel, EuZA 2011, 521, 529. 133 Franzen, AR-Blattei SD 920 Rz. 93 (Nov. 2006); Winkler v. Mohrenfels/Block, EAS B 3000 Rz. 101 (Aug 2010); Knöfel, IPRax 2014, 130, 133; s. auch Rb. Oost-Brabant, zittingplaats ’s-Hertogenbosch, kantonrechter, NIPR 2015 Nr. 175 S. 299; Rb. Oost-Brabant, zittingplaats ’s-Hertogenbosch, kantonrechter, NIPR 2015 Nr. 176 S. 303 f. 134 Mankowski, AP H 4/2012 Verordnung Nr. 44/2001/EG Nr. 3 Bl. 5, 8R; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 51.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
Der Ort, „von dem aus“ gewöhnlich Arbeit verrichtet wird, bedarf einer Mindestqualität. Er darf sich 33 nach Gewicht und relativer Bedeutung innerhalb des Arbeitsverhältnisses nicht zu sehr von einem Ort, „an dem“ Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, entfernen.135 Er muss das relative Zentrum der tatsächlichen Arbeitsverrichtung bleiben.136 Erforderlich ist eine wertende Gesamtschau,137 dass eine qualitative Schwelle an Mindestbedeutung für das Arbeitsverhältnis insgesamt überschritten ist.138 Der Ort, von dem aus gewöhnlich Arbeit verrichtet wird, muss eine echte Einsatzbasis sein,139 eine Operationsbasis und „Einsatzniederlassung“.140 Er darf nicht nur bloßer Rückkehrort ohne weitere Bedeutung sein.141 Ebenso wenig darf er bloßer Arbeitsantrittsort sein.142 Der Arbeitnehmer muss vielmehr an dem betreffenden Ort auch (Teil-)Arbeitsleistungen erbringen.143 Anderenfalls wäre der betreffende Ort zu manipulationsanfällig, indem er auf Weisung des Arbeitgebers bestimmt lokalisiert würde.144 Keine Rolle darf jedenfalls spielen, wie die Arbeitnehmer zum Ausgangsort kommen. Die Anreise zum Ausgangsort der Tätigkeit ist gleichsam Privatsache jedes Arbeitnehmers. Auch wenn die Arbeitnehmer dabei arbeitgeberseitig versichert sein sollten, sind Fahrten von der Privatwohnung zum Arbeitsplatz der eigentlichen Arbeitsaufnahme vorgelagert. Ebenso wenig wie bei grenzüberschreitenden Pendlern deren Wohnort Einfluss auf die Anknüpfung des Arbeitsvertrages hat,145 darf der Weg zwischen Wohnort und Ausgangspunkt der Tätigkeit unter dem Arbeitsvertrag Bedeutung für die Anknüpfung des Arbeitsvertrages haben.
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Die base rule hat Bedeutung auch für Handelsvertreter, die als Arbeitnehmer zu qualifizieren sind. 35 Bereisen diese mehrere Ländern, haben aber ein Büro, in dem sie ihre Arbeit organisieren, akquirierte Aufträge abwickeln und zu dem sie immer wieder zurückkehren, so ist jenes Büro der Ort, von dem aus sie ihre Arbeit gewöhnlich verrichten.146 Dies erlaubt systemkonform, nicht auf die Anknüpfung an die einstellende Niederlassung zurückgreifen zu müssen.147 Die Reisen werden funktionell gleichsam wie vorübergehende Entsendungen bewertet (auch wenn sie regelmäßiger und mit höherer Frequenz auftreten als dies bei der Normalkonstellation einer vorübergehenden Entsendung der Fall ist). Das home office148 prägt als Zentrum, von dem alles andere sternförmig ausgeht und zu dem alles andere sternförmig wieder zurückführt. Auch der unselbständige Handelsvertreter bekommt darüber einen Klägergerichtsstand, denn sein häusliches Arbeitszimmer wird als gewöhnlicher Arbeitsort zuständigkeitsbegründend.149
135 Zustimmend Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 27 (2016); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 8. Siehe auch GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 63. 136 GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 94; Wurmnest, EuZA 2009, 481, 492; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 69; vgl. auch Martel, JClP (G) 2011, 1100, 1103. 137 Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 69 f. 138 Siehe Deinert, § 9 Rz. 93; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 72. 139 Lüttringhaus, IPRax 2011, 554, 556; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 71. 140 Block, 178 f.; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 65. 141 GAin Generalanwältin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 94; Mankowski/Knöfel, EuZA 2011, 521, 529. 142 Block, 181–184; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 69 f. Anderer Ansicht LAG Mecklenburg-Vorpommernn, HambSchRZ 2009, 9 Rz. 76; Schlachter in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 14. Aufl. 2014 Art. 3, 8, 9 Rom I-VO Rz. 12. 143 Hartenstein, TranspR 2008, 143, 161; Egler, 216; Lüttringhaus, IPRax 2011, 554, 556; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 71. 144 Deinert § 9 Rz. 93; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 72. 145 Siehe nur GA Jacobs, Schlussanträge v. 26.5.1993 in der Rs. C-125/92, ECLI:EU:C:1993:217 Rz. 34; Piltz, NJW 2002, 789, 792; Mosconi, Riv. dir. int. priv. proc. 2003, 5, 19. 146 EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 21 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd.; Hansen, Eur. Bus. L. Rev. 2008, 758, 767; Deinert, § 9 Rz. 89; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 26 (2016). 147 Junker, RIW 2006, 401, 406; Boskovic, D 2008, 2175, 2176; Hansen, Eur. Bus. L. Rev. 758, 767 f.; Lacoste-Mary, Droit ouvrier 2009, 70, 71; Deinert, § 9 Rz. 89. 148 Block, 179 f.; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 66. 149 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 82–84, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 16.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber 3. Besondere Fälle, insbesondere Transportpersonal 36
Besondere Beachtung verdient Transportpersonal. Transportpersonal stellt die mobilsten Arbeitsplätze. Arbeitnehmer in der Transportwirtschaft haben keine Niederlassung und kein Büro, wohin sie zurückkehren.150 Vielmehr kehren sie, wenn überhaupt, zum Standort des jeweiligen Fahrzeugs zurück.151 Dort mögen sie vor- oder nachlaufende Arbeiten am Fahrzeug oder um die Abwicklung der Fahrten verrichten. Sie verrichten jedoch auch Arbeit an den verschiedenen Lade- und Bestimmungsorten ihrer Fahrten. Manche Transportmittel sind rechtlich quasi-immobilisiert, und ihre Mobilität ist rechtlich ausgeglichen, indem ihre Registrierung oder ihre Zuordnung zu einem Staat herangezogen werden.152 Generell können völkerrechtliche Vorfragen Bedeutung gewinnen.153 Zudem besteht eine Tendenz, die Anknüpfungen immer spezifischer und feinmaschiger auszugestalten.154
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Be- und Entladeorte stehen nicht auf einer Stufe mit dem Ausgangsort der Fahrten und Standort des Transportmittels, sondern sind Kontrollfaktoren, ob jener Standort insgesamt das nötige relative Gewicht im Rahmen der Tätigkeit erreicht. Sie sind jedenfalls keine eigenständigen positiven Anknüpfungsmerkmale gleichen Ranges,155 sondern mögen einerseits verstärkend dienen und andererseits bei regulären, immer wieder gefahrenen Routen auch im Rahmen der Ausweichklausel nach Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO Bedeutung erlangen können.156 a) Seeleute auf internationaler Fahrt
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Seeleute auf internationaler Fahrt haben ihren gewöhnlichen Arbeitsort an Bord des jeweiligen Schiffes,157 es sei denn, es handelte sich um Dienst auf Schiffen unter verschiedener Flagge.158 Die Flagge ordnet ein Schiff völkerrechtlich einem Staat zu. Das europäische IZPR folgt für die Zuordnung von Orten oder Gebieten zu Staaten den Vorgaben des Völkerrechts.159 Die Zuordnung kann auf Grund jeder Art völkerrechtlicher Hoheit erfolgen. Territorialhoheit ist nicht erforderlich. Flaggenhoheit als dritte Hoheitsform (neben Territorialhoheit und Personalhoheit) reicht dem Völkerrecht in Art. 91 UN-SeeRÜbk. 1982 für eine Zuordnung des Schiffes zu dessen Flaggenstaat aus und sollte auch dem IZPR ausreichen.160 150 151 152 153 154 155 156 157
158 159
160
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Jault-Seseke, Rev. crit. dip. 100 (2011) 77 f. Kruger, SEW 2011, 363, 366. Kruger, SEW 2011, 363, 366. A.A. Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 50. Rammeloo in Strikwerda’s conclusies – Opstellen Strikwerda (2011) 403, 408; Even, NIPR 2013, 13, 20. östOGH, EuLF 2010, II 14, II 15; Calabresi-Scholz, EuLF 2010, II 12, II 13; Mankowski, AP H 1/2011 Art. 18 EuGVVO Nr. 1 Bl. 6R, 9. Mankowski, AP H 4/2012 Verordnung Nr. 44/2001/EG Nr. 3 Bl. 5, 6. BAGE 132, 182, 193 = AP Art. 18 EuGVVO Nr. 1 m. zust. Anm. Mankowski; BAG, TranspR 2010, 310; BAG v. 24.9.2009 – 8 AZR 304/08; TSJ Galicia, AEDIPr 2005, 757 f.; TSJ Cataluña, REDI 2012–1, 205, 206; Carballo Piñeiro, REDI 2012–1, 208; eingehend Mankowski, RabelsZ 53 (1989) 487, 490–511; Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im Internationalen Privatrecht (1995) 459–494; Taschner, 130–151 mit Nachweisen zum Streitstand; Asin Cabrera, AEDIPr 2008, 373, 379–381; Wurmnest, EuZA 2009, 481, 497; Egler, 203 f.; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 230 f.; Block, 239–311; Chaumette, Mélanges en l’honneur de Christian Scapel (2013) 119; Chaumette, DMF 2014, 875, 877; Lavelle in Lavelle (Hrsg.), The Maritime Labour Law Convention 2006 (2014) Rz. 9.33; Junker, EuZA 2016, 409, 410; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 31.2 vgl. auch LAG Düsseldorf, EuLF 2010, II-15, II-17 sowie östOGH, EuLF 2010, II-14, II-15. A.A. EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 38 f. – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 18.3.2008 – 1 Sa 38/07 [63]–[68]; LAG Mecklenburg-Vorpommern, HmbSchRZ 2009, 9; Fotinopoulou Basurko, Ann dr mar océan XXVI (2008) 309, 339–348; vgl. auch Temming, jurisPR-ArbR 15/2010 Anm. 6 sub C. Die Vorlage des LAG Mecklenburg-Vorpommern zur C-413/07 – Haase/Superfast Ferries SA wurde am 4.12.2007 beim EuGH gestrichen. Zu dieser Ausnahmekonstellation Mankowski, 495–499; Mankowski, AP H 1/2011 Art. 18 EuGVVO Nr. 1 Bl. 6R, 9; Block, 307. EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 31-36 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd.; Roelvink, Bundel opstellen aangeboden aan A V M Struycken (1996) 273, 282; Mankowski, IPRax 2003, 21 f.; Mankowski, IPRax 2005, 58, 60; Huet, Clunet 130 (2003), 661, 663; de Boer, Ned. Jur. 2005 Nr. 337 S. 2611, 2612; Requejo Isidro, REDI 2005–1, 414, 417; Egler, 167; Block, 288. BAGE 132, 182, 193; Mankowski, AP H 1/2011 Art. 18 EuGVVO Nr. 1 Bl. 6R, 7.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
Flaggenhoheit gewährleistet, ganz übereinstimmend mit den Zwecken der Arbeitsortanknüpfung, Kontinuität der Arbeitsverhältnisse.161 Bei mobilen Arbeitsplätzen prägt der Arbeitsplatz als solcher, nicht der durchmessene Raum oder gar ein nur passierter hoheitsfreier Raum.162 Das Schiff bildet den räumlichen Schwerpunkt der Tätigkeit des Seemanns163 und außerdem einen organisatorisch in vielen Bereichen abgeschlossenen (Teil-)Betrieb.164 Die Anknüpfung an den Arbeitsort Schiff schützt gegen Verschiebungen durch so etwas Einfaches wie Routenumplanung, z.B. durch Fahrt von einem anderen Einsatzhafen aus.165 Für die Flaggenanknüpfung streiten auch Wertungen aus dem Seearbeitsübereinkommen der International Labour Organisation166 und dessen unionsrechtlicher Umsetzung RL 2009/13/EG167.168
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Die Flaggenanknüpfung führt zu einem (partiellen) Gleichlauf der Zuständigkeit in Individual- 40 arbeitsstreitigkeiten mit der Regulierungszuständigkeit von Behörden im öffentlichen Arbeitsrecht.169 Auch im kollektiven Arbeitsrecht dürfte gemeinhin die Regulierung samt Verbandszuständigkeit durch den Flaggenstaat ein gewichtiges Wort sprechen. Allerdings taucht etwa für die Ansiedlung von Betriebsräten Sitz oder Niederlassung der arbeitgebenden Reederei als ernsthafter Konkurrent auf. Die Flaggenanknüpfung gewährleistet – ebenso wie die klassische Arbeitsortanknüpfung an Land170 – die Chancengleichheit der Konkurrenten um einen Arbeitsplatz und die Gleichbehandlung von Arbeitskollegen.171
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Man könnte an eine Abwägung zwischen der Flaggenhoheit einerseits und der Territorialhoheit der 42 Anrainerstaaten andererseits denken.172 Indes fällt diese Abwägung völkerrechtlich dahin aus, dass zwar grundsätzlich Hafen- und Anrainerstaaten die Hoheit hätten, diese aber grundsätzlich nur dann ausüben, wenn von den inneren Angelegenheiten des Schiffes ihre Belange beeinträchtigt zu werden drohen. Der Flaggenstaat bleibt primär zuständig, nach Art. 94 Abs. 1 UN-SeeRÜbk 1982 gerade für die sozialen Belange.173 Die inneren Angelegenheiten des Schiffes und des Schiffsbetriebs werden grundsätzlich dem Flaggenstaat überlassen.174 Zu den inneren Angelegenheiten zählen insbesondere arbeitsrechtliche Streitigkeiten.175 Dies gilt selbst in Häfen.176 Solange die Würde des Hafenstaates oder die Ruhe des Hafens nicht berührt sind, also solange keine externen Effekte eintreten, überlässt
161 Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 6. 162 Behr, FS Buchner (2009) 81, 90 f. 163 BAG, AP Art. 18 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Nr. 1; Noltin, EzA EG-Vertrag 1999 Verordnung 44/2001 Nr. 4 S. 15, 19 (Dez. 2010). 164 Mankowski, 485. 165 Mankowski, AP H 1/2011 Art. 18 EuGVVO Nr. 1 Bl. 6R, 7R; ähnlich Bosse, 187 f.; Egler, 195. 166 Maritime Labour Convention vom 23.2.2006, UNTS Registration No I-51299. 167 Richtlinie 2009/13/EG des Rates vom 16.2.2009 zur Durchführung der Vereinbarung zwischen dem Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (ECSA) und der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) über das Seearbeitsübereinkommen 2006 und zur Änderung der Richtlinie 1999/63/EG, ABl. EU 2009 L 124/30. 168 Junker in Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Vertragsrecht für Europa (2007) 111, 125; Block, 291 f.; Gräf, ZfA 2012, 557, 580 f.; Gräf, jurisPR-ArbR 41/2013 Anm. 2 sub C II 2 c. 169 Mankowski, AP H 1/2011 Art. 18 EuGVVO Nr. 1 Bl. 6R, 7R. 170 Dort Kronke, RabelsZ 45 (1981), 301, 310; Mayer-Maly, FS Schwind (1993) 87. 171 Mankowski, 485; Mankowski, AP H 1/2011 Art. 18 EuGVVO Nr. 1 Bl. 6R, 7R. 172 Dahin tendenziell Temming, jurisPR-ArbR 15/2010 Anm. 6 sub C. 173 Siehe nur Marten, Port State Jurisdiction and the Regulation of International Merchant Shipping (2014) 14 f. 174 Siehe nur Colombos, International Law of the Sea (6. Aufl. 1967) S. 326 § 350; Lagoni, ArchVR 26 (1988) 261, 337; Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht I/1 (2. Aufl. 1989) 411; Mankowski, 477; Churchill/Lowe, Law of the Sea (3. Aufl. 1999) 65–68. 175 Siehe nur v. Gadow-Stephani, Der Zugang zu Nothäfen und sonstigen Notliegeplätzen für Schiffe in Seenot (2006) 204; Lagoni, Anwendbarkeit von Arbeitsschutzvorschriften und Zuständigkeiten der Arbeitsschutzbehörden auf Seeschiffen unter fremder Flagge (2009) 30–32 sowie selbst Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 102, der dies indes nicht in das IZPR übertragen will. 176 Siehe nur Churchill/Lowe, Law of the Sea (3. Aufl. 1999) 65 f.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber die Staatenpraxis die inneren Angelegenheiten selbst dort der Regulierung durch den Flaggenstaat.177 Umso mehr gilt es bei Fahrt nur durch Ausschließliche Wirtschaftszonen, wo die Belange des Anrainerstaates weniger berührt sind.178 In jedem Fall gibt es dort konkurrierende Hoheitsansprüche von Anrainer- und Flaggenstaat und keine exklusive, verdrängende Jurisdiktion des Anrainerstaates.179 Es mag eine gewisse Erosion der Flaggenanknüpfung geben;180 trotzdem ist die Verbindung zum Flaggenstaat anzuerkennen.181 43
Spezifisch für das europäische Internationale Arbeitsprozessrecht fällt zudem ein Gegenargument weg, das im IPR gegen die Flaggenanknüpfung vorgebracht werden könnte, dass diese nämlich zum Recht von Billigflaggenstaaten führen könnte.182 Denn Abs. 1 lit. b i) geht es nur um die Begründung von Gerichtsständen in Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO, und kein Mitgliedstaat der Brüssel Ia-VO ist ein Billigflaggenstaat.183 Liberia, Panama, die Marshall slands, Bermuda und die Bahamas gehören der EU bekanntlich nicht an. Zypern und Malta, deren Handelsflotten massiv von griechischen Reedern beherrscht werden, sind die am nächsten kommenden Kandidaten aus der EU. An der völkerrechtlichen Ausgangsbasis, der Zurechnung des Schiffes zum Flaggenstaat qua Flaggenhoheit, ändert sich zudem bei Billigflaggen nichts mit Relevanz für IPR oder IZPR.184
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Allerdings weist die Flagge nur auf den Flaggenstaat insgesamt und damit die internationale Zuständigkeit, so dass eine Ausfüllung für die örtliche Zuständigkeit nötig ist.185 Diese sollte sich am Heimathafen des Schiffes orientieren, soweit dieser im Flaggenstaat liegt.186 Ersatzweise wäre mit Bedenken an einen Einsatzhafen zu denken, soweit einer im Flaggenstaat liegt.187 Eine Alternative wäre, die Ausfüllung von vornherein dem Recht des Flaggenstaates zu überlassen.188 Letzthilfsweise kommt eine Gerichtsstandsbestimmung durch das für Gerichtsstandsbestimmungen nach dem Recht des Flaggenstaates zuständige Gericht in Betracht.189
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Der EuGH dehnt indes die base rule auf Seeleute aus und fragt, ob der Ort, von dem aus der Seemann seine Fahrten durchführe und von dem aus er die Anweisungen für seine Fahrten erhalte, immer derselbe sei.190 Eine Flaggenanknüpfung und eine mögliche Verortung des gewöhnlichen Arbeitsortes auf dem Schiff diskutiert, ja erwähnt er nicht einmal.191 Die Wertungen dahinter deckt er nicht auf, sondern setzt stärker einzelfallbezogen-kasuistisch an unter erheblicher Vortragslast für die
177 Siehe nur Sohn/Gustafson, The Law of the Sea in a Nutshell (1984) 86; Churchill/Lowe, Law of the Sea (3. Aufl. 1999) 65 f., 84. Kritischer Marten, Port State Jurisdiction and the Regulation of International Merchant Shipping (2014) 28–31. 178 Eingehend Haijiang Yang, Jurisdiction of the Coastal State over Foreign Merchant Waters and the Territorial Sea (2006). 179 Art. 217; 218; 220 UN-SeeRÜbk 1982; Hasselmann, Die Freiheit der Handelsschifffahrt (1987) 360; Lagoni, AVR 26 (1988), 261, 335; Haijiang Yang, Jurisdiction of the Coastal State over Foreign Merchant Waters and the Territorial Sea (2006) 84; Marten, Port State Jurisdiction and the Regulation of International Merchant Shipping (2014) 19. 180 Carbone, Rec. des Cours 340 (2009), 63, 167. 181 Sehr kritisch wegen angeblicher Inkompatibilität mit einer arbeitnehmerschützenden Teleologie der Arbeitsortanknüpfung Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 97 und wegen angeblichen Konflikts mit unionsgrundrechtlich geschützten Arbeitnehmerrechten Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 104. 182 W. Lorenz, IPRax 1987, 269, 276; Hönsch, NZA 1988, 113, 114; vgl. Mankowski, 500; Egler, 171–182, 197–203; Block, 319–327. 183 Bosse, 188; Mankowski, AP H 1/2011 Art. 18 EuGVVO Nr. 1 Bl. 6R, 7R f.; Magnus, FS Posch zum 60. Geb. (2011) 443, 450; Henze, 238–243; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 95 (Vermeidung jedweder Diskussion aus Loyalitätsgründen zwischen den EU-Mitgliedstaaten). Übersehen von Egler, 197–199. 184 Block, 247–251. 185 Ebenso Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 99. 186 Mankowski, AR-Blattei SD 160.5.5 Rz. 165 (2007). 187 Mankowski, AP H 1/2011 Art. 18 EuGVVO Nr. 1 Bl. 6R, 9R. 188 Dafür Garber, FS Kaissis (2012) 221, 236. 189 Vgl. Garber, FS Kaissis (2012) 221, 235. 190 EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 38 f. – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA; ähnlich bereits Cass., DMF 2003, 961 m. Anm. Chaumette; App. Aix DMF 2003, 960; Carbone Rec. des Cours 340 (2009) 63, 192. 191 Gräf, jurisPR-ArbR 41/2013 Anm. 2 sub C I; Junker, EuZA 2016, 409 (409).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
Parteien und deutlicher Kognitionslast des entscheidenden Gerichts.192 Rechtsprechungskontinuität mit der zu Kraftfahrern im Fernverkehr entwickelten Linie193 war ersichtliches Motiv.194 Bei Lkw gibt es aber keine Flagge und keine Flaggenhoheit, und Schiffe durchfahren mit der hohen See anders als Lkw staatenloses Gebiet.195 Die base rule war ihrer Genese nach eigentlich für fliegendes Personal gedacht,196 weniger für Seeleu- 46 te,197 legt in ihrem Wortlaut aber auch keine Steine in den Weg.198 Die base des Flugpersonals ist indes relativ gewichtiger als der Einstiegshafen für Seeleute.199 An ihr wird mehr Arbeitszeit verbracht, und sie wird weit häufiger berührt, da Flugrundtouren weniger lang dauern als Schiffsreisen.200 Der Seemann ist bei Ozeanfahrt für Monate an Bord, das Flugpersonal ist spätestens drei Tage später wieder an seiner base. Zudem arbeitet Flugpersonal mit höherer Wahrscheinlichkeit auf Flugzeugen unter wechselnder Registrierung.201 Auf die base, den Arbeitsantrittsort abzustellen, würde den gewöhnlichen Arbeitsort von Seearbeitsverhältnissen an Land verlegen.202 Auch in Art. 8 Abs. 2 S. 1 Var. 2 Rom I-VO fehlt es weiterhin an einer ausdrücklichen Sonderregel für Seeleute, und auch dieses Signal sollte man nicht übersehen.203 Dies wiegt umso schwerer, als im Grünbuch zur Rom I-VO204 noch ein Sondertatbestand für die Arbeit in Räumen, die keiner nationalen Staatsgewalt unterliegen, vorgesehen war. Art. 6 Abs. 2 lit. b S. 1 Vorschlag Rom I-VO griff dies im Kontext der einstellenden Niederlassung auf, scheiterte aber. Dies spricht für eine Fortführung des status quo, der Flaggenanknüpfung.205
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Zudem ist die base rule subsidiär zur Anknüpfung an den gewöhnlichen Arbeitsort. Wenn man einen gewöhnlichen Arbeitsort identifizieren kann, darf man nicht auf die base oder den regelmäßigen Arbeitsantrittsort verfallen. Beides sind nur Ausweichlösungen, deren Einsatz unnötig ist, wenn man bereits über die Hauptregel zu einem Ergebnis gelangen kann. Bei Seeleuten gewährleistet die Flaggenanknüpfung eine spezielle Anknüpfung an den gewöhnlichen Arbeitsort, subsidiäre Lösungen können daher nicht zum Zuge kommen.206 Bei Seeleuten fehlt es typischerweise an Arbeitselementen an dem Ort, an den sie persönlich zurückkehren.207 Der philippinische Seemann auf Heimaturlaub arbeitet nicht auf den Philippinen, wenn das Schiff die Philippinen niemals berührt, geschweige denn, dass es regelmäßig dort verkehrte. Ein Schiff im regelmäßigen Linienverkehr hat zwar mehrere feste Anlaufpunkte; die dortigen Arbeitselemente fallen aber gegenüber der Arbeit an Bord nicht entscheidend ins Gewicht.208 Hafenliegezeiten und Umschlagzeiten haben sich immer weiter verkürzt. Ausgangs- und Zielhafen haben zudem hinsichtlich der jeweiligen Arbeitselemente ungefähr das gleiche Gewicht,209 zumal beim Rückverkehr sich die Funktionen umkehren.
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192 Knöfel, IPRax 2014, 130, 132. 193 Unten Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 46–49 (Mankowski). 194 Lüttringhaus, IPRax 2011, 554, 558; Gräf, jurisPR-ArbR 41/2013 Anm. 2 sub C I; Junker, EuZA 2016, 409 (409 f.). 195 Even, NIPR 2013, 13, 20. 196 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, KOM (2005) 650, 8. 197 Siehe aber Grünbuch über eine Umwandlung des Übereinkommens von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung, KOM (2002) 654, S. 45. 198 Staudinger/Magnus, Art. 8 Rom I-VO Rz. 148; Magnus, FS Posch zum 70. Geb. (2012) 443, 450 mit Fn. 52; Knöfel, IPRax 2014, 130, 133. 199 Vgl. indes Knöfel, IPRax 2014, 130, 133. 200 Mankowski, AP H 1/2011 Art. 18 EuGVVO Nr. 1 Bl. 6R, 8; Mankowski/Knöfel, EuZA 2011, 521, 530. 201 Benecke, IPRax 2001, 449, 450; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 230; s. auch BAGE 125, 24. 202 Junker, EuZA 2016, 409, 410. 203 Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009) 171, 200; Block, 296. 204 KOM (2002) 654, S. 45. 205 Block, 308; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 227. 206 Block, 293 f. 207 Vgl. Block, 295. 208 Garber, FS Kaissis (2012) 221, 228. 209 Garber, FS Kaissis (2012) 221, 228.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber b) Arbeit im Küstenmeer, über dem Territorialsockel oder in der Ausschließlichen Wirtschaftszone 49
Den Seeleuten auf internationaler Fahrt benachbart liegen die Arbeitskräfte auf Bohrinseln, Versorgern und Küstenschiffen, also Seeschiffen in der Küstenfahrt, die nur in Territorialgewässern eingesetzt sind. Jedoch bewegen diese Arbeitskräfte sich nur im Hoheitsgebiet eines einzigen Staates und haben in diesem Staat ihren gewöhnlichen Arbeitsort, sofern sie über dem Territorialsockel oder in der Ausschließlichen Wirtschaftszone dieses Staates arbeiten.210 Territorialsockel wie Ausschließliche Wirtschaftszone sind völkerrechtlich eindeutig der Territorialhoheit des Küstenstaates unterworfen und werden jedenfalls für die wirtschaftliche Nutzung diesem zugeschlagen.211 Das IZPR hat diese völkerrechtliche Vorgabe zu beachten.212 Der gewöhnliche Arbeitsort liegt jedenfalls – schon mangels jeglicher Alternative – in diesem allein objektiv betroffenen Staat.213 Insoweit setzt sich die Territorialhoheit des Küstenstaates über die Flaggenhoheit durch und wird zur völkerrechtlich primären Zurechnung. Dabei verschlägt es nicht, dass der Küstenstaat seine bestehende Jurisdiktion bei inneren Angelegenheiten des Schiffes regelmäßig nicht wahrnehmen wird.
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Fährpersonal, das immer nur von einem bestimmten Ort aus eingesetzt wird, der zugleich Ausgangsoder Endpunkt der Fährfahrt ist, wird in der Regel seinen gewöhnlichen Arbeitsort an diesem Ort haben.214 Allerdings sollte man sich vor einem Übergang zu einem „Arbeitsantrittsort“ als gewöhnlichem Arbeitsort hüten.215
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Für die örtliche Zuständigkeit sollte man in diesen Konstellationen (abgesehen von den Bohrinseln) ausfüllend auf die Wertungen der base rule zurückgreifen. In diesen Konstellationen wird es einen Arbeitsantrittsort im einzigen regelmäßig befahrenen Staat geben. Häufig wird es auch einen regelmäßig angelaufenen Standort des Schiffes geben. Ein Bohrinselversorger wird eine feste Route zwischen den Bohrinseln und einem Ausgangs- und Zielhafen mehr oder weniger als Rundtour fahren. Bei Arbeit auf Bohrinseln ist hilfsweise für die örtliche Zuständigkeit auf den örtlich nächstgelegenen Gerichtsbezirk an Land abzustellen. Vorrangig ist aber, sofern es eine solche gibt, eine etwaige Zuordnung der Bohrinsel zu einer bestimmten Territorialeinheit (Gemeinde, Kreis, Bezirk) zu beachten. c) Binnenschiffer
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Bei Binnenschiffern ist danach zu differenzieren, ob sie in grenzüberschreitender Fahrt eingesetzt sind oder in rein nationaler Fahrt. Nennenswerte grenzüberschreitende Binnenschifffahrt gibt es in Europa auf Donau, Rhein, Elbe und Oder. Bei rein nationaler Binnenschifffahrt ohne Grenzüberschreitung ist eindeutig, dass die Arbeit gewöhnlich nur in dem einzig betroffenen Staat verrichtet wird,216 und es geht allein um die örtliche Zuständigkeit innerhalb dieses Staates, während die internationale Zuständigkeit klar zugewiesen ist.
210 Hoge Raad, Ned. Jur. 2003 Nr. 344 m. Anm. de Boer = NIPR 2002 Nr. 191; Iriarte Ángel in Diaz años de Derecho Marítimo Donostiarra (2003) 89; Mankowski, IPRax 2005, 58, 59 f. (mit eingehender völkerrechtlicher Herleitung und Begründung); Garber, FS Kaissis (2012) 221, 232 f. 211 Art. 60 Abs. 1; 80; 77 Abs. 1, 3 UNCLOS; Art. 5 Genfer Übereinkommen über den Festlandsockel vom 29.4.1958, UNTS 499, 311; näher z.B. Block, 18–25, 349–352. 212 EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 31-36 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd.; Roelvink in Bundel opstellen aangeboden aan A V M Struycken (1996) 273, 282; Mankowski, IPRax 2003, 21 f.; Mankowski, IPRax 2005, 58, 60; Huet, Clunet 130 (2003) 661, 663; de Boer, Ned. Jur. 2005 Nr. 337 S. 2611, 2612; Requejo lsidro, REDI 2005, 414, 417; Block, 352 f.; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 91–93. 213 Mankowski, IPRax 2005, 58, 59 f.; Mankowski, AR-Blattei SD 160.5.5 Rz. 166 (Nov. 2007); Geimer/Schütze, EuZVR Rz. 18; Egler, 144–170; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 233; Block, 353–356; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 83 f.; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 31.2; vgl. Hoge Raad, Ned. Jur. 2003 Nr. 344 m. Anm. de Boer. 214 LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 18.3.2008 – 1 Sa 38/07 [66]–[67]. 215 Reinhard, jurisPR-ArbR 29/2008 Anm. 1 sub C. 216 Mankowski, AP H 4/2012 Verordnung Nr. 44/2001/EG Nr. 3 Bl. 5, 6R; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 83.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
Bei grenzüberschreitender Binnenschifffahrt werden die passierten Länder zu Transitstaaten. Obwohl die Gewässer klar der Territorialhoheit des jeweiligen Anrainerstaates unterliegen, sind nicht die Arbeitszeiten „in“ diesem Staat ungewichtet zu addieren.217 Die angelaufenen Entlade- oder Zwischenhäfen jedenfalls spielen keine Rolle. In sie wird der Binnenschiffer gleichsam entsandt. Sie berührt er nur vorübergehend. In ihnen begründet er keine eigenständigen gewöhnlichen Arbeitsorte. Dafür fehlt es ihnen an zeitlicher Quantität und an Qualität der dort geleisteten Arbeitseinheiten. Ob dort Landgänge stattfinden, ist sowieso egal, denn Landgänge sind Freizeit und keine Arbeitsleistung. Die eigentliche Arbeitsleistung des Binnenschiffers wird an Bord des Binnenschiffs erbracht. Darin unterscheidet er sich nicht vom Seemann auf einem Seeschiff. Einziger ernsthafter Konkurrent für den gewöhnlichen Arbeitsort Binnenschiff ist der Ausgangshafen.
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d) Fliegendes Personal Angehörige des fliegenden Personals von international tätigen Fluggesellschaften haben, wenn man die base rule des Abs. 1 lit. b i) Var. 2 auf sie anwendet – was Historie und Genese der Vorschrift nahelegen – ihren gewöhnlichen Arbeitsort am Ort ihrer Einsatzbase.218 Diese Anknüpfung wurde auch schon vor Inkrafttreten der base rule vertreten.219
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Sofern ein Element arbeitnehmerischer Tätigkeit am Ort der base verlangt wird, kann dies bei Flug- 55 begleitern im Einchecken der Passagiere, im Schalterdienst und in Sicherheitskontrollen, bei Piloten und Bordingenieuren in Wartung, Kontrolle, Check, Überprüfung und Vorbereitung der Flugzeuge liegen. Hinzu kommen bei allen Beschäftigtengruppen Einweisungen, Schulungen und Fortbildungen.220 Notwendige Voraussetzung ist dies allerdings nicht.221 Ein Stützpunkt des Arbeitgebers an der base ist dagegen sicher keine Voraussetzung,222 wenn man die base-Anknüpfung nicht als besondere Niederlassungsanknüpfung konstruiert, sondern als besondere Arbeitsortanknüpfung. Nimmt man das Erfordernis ernst, dass ein Teil der Arbeitsleistung an der base verrichtet werden muss,223 so wird ein Gerichtsstand an der base problematisch für solche Angehörigen des fliegenden Personals, die an der base keine Tätigkeiten verrichten.224
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Indiz ist für fliegendes Personal, wo die Flugzeuge stationiert sind; Mit dem Begriff der Heimatbasis aus OPS 1.1095 Anh. III VO (EG) Nr. 3922/91 soll dies aber nicht identisch sein, auch wenn VO (EG) Nr. 883/2004 auf diesen Begriff verweist.225 Das IPR und hier auch das IZPR suchen nach dem Sitz des Rechtsverhältnisses, und die anderen Rechtsakte streben nicht per se an, die Heimatbasis als ausschließliches Kriterium für den Bereich der Zivilluftfahrt zu etablieren.226
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217 LAG Düsseldorf v. 28.5.2009 – 13 Sa 1492/08 [30]. 218 Siehe nur LAG Berlin-Brandenburg, LAGE § 117 BetrVG 2001 Nr. 1 Rz. 33; Hof Amsterdam, NIPR 2019 Nr. 171 S. 436; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 627; Knöfel, EWiR Art. 6 EVÜ 1/11, 315, 316; Magnus, IPRax 2010, 27, 41; Bayreuther, NZA 2010, 262, 265; Lüttringhaus, IPRax 2011, 554, 557 f. 219 BAG, RIW 2013, 565, 567, NZA 2013, 925, 927; ArbG Cottbus v. 17.10.2013 – 3 Ca 738/13, openjur 2013, 43663 Rz. 30. 220 Mankowski, EWiR 2017, 739, 740. 221 Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation, 2009, S. 180; Mankowski/Knöfel, EuZA 2011, 521, 527 f. 222 Vgl. aber Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2011, 162, 164. 223 Oben Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 19 (Mankowski). 224 Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 89. 225 EuGH v. 14.9.2017 – verb. Rs. C-168/16 u. C-169/16, ECLI:EU:C:2017:688 Rz. 67, 74 – Sandra Nogueira u.a. vs. Crewland Ireland Ltd.; Miguel José Moreno Osacar vs. Ryanair Designated Activities Ltd.; Cass. soc., JurisData n° 2018-002734; Tricoit, JCP S 2017.1338 = JCP S N° 43, 31 octobre 2017, 26, 27 f.; P. Dupont/Poissonier, D 2018, 107, 111; Parier/L. O’Kelly, Énergie Environnement Infrastructures N° 6, juin 2018, 59, 60. 226 Winkler v. Mohrenfels, EuZA 2018, 236, 244. Für gesamtsystematische Umschau Knöfel, GPR 2019, 43, 46 f.
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Jedoch kann jener Begriff der Heimatbasis eben wiederum als gewichtiges Indiz eine wichtige Rolle spielen.227 Er soll seine Relevanz nur verlieren, wenn es eine engere Verbindung gibt.228 Die Qualität des betroffenen Orts als gewöhnlicher Ausgangsort ist bei der base rule ebenfalls hochzuhalten und stellt erhöhte Anforderungen an die positive Begründung;229 diesen mag die base im Einzelfall ausnahmsweise nicht genügen, so dass im IPR Art. 8 IV Rom I-VO als Korrekturinstrument zum Einsatz käme.230 Jede Indizkonstruktion würde, ganz perfekt ausgeführt, jedenfalls eine Darlegung implizieren, weshalb und wann abstrakt das jeweilige Indiz Gewicht gewinnt.231 Mit einer Vermutung zu arbeiten, dass die Heimatbasis im Zweifel ein gewichtiges Indiz ist,232 würde die praktische Handhabung erleichtern.
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Die Staatsangehörigkeit der Flugzeuge jedenfalls spielt bei diesem Ansatz auch unter Berücksichtigung von Art. 17 Chicago Convention233 keine Rolle.234 Eine Anknüpfung an das Register des Flugzeugs als normative Lokalisierung des Arbeitsorts will diesem Ansatz nicht zu den rechtstatsächlichen Verhältnissen häufigen Wechseldienstes oder zwischengestreuter Inlandseinsätze und dem relativen Anteil der Flugzeiten an der Gesamtarbeitszeit passen.235
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Die Alternative verliefe entlang folgender Linie: Angehörige des fliegenden Personals verrichten ihre Arbeit spezifisch an Bord der Flugzeuge.236 Das Flugzeug ist weit mehr als nur ein Arbeitsgerät, nämlich die Arbeitsumgebung.237 Sind diese in demselben Staat registriert, so ist der gewöhnliche Arbeitsort dem Registerstaat zuzurechnen.238 Dafür streitet zuvörderst Art. 17 Chicagoer Abkommen239, demzufolge Luftfahrzeuge die Staatsangehörigkeit des Staates haben, in dem sie registriert sind.240 Die base rule ist subsidiär; auf sie ist nicht zurückgreifen, wenn sich bereits ein gewöhnlicher Arbeitsort identifiziert wird, an dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird. Der an der Base verbrachten Zeit stehen faktisch wie normativ die überwiegenden Zeiten im Flugzeug gegenüber241 plus Zeiten für Tätigkeiten an angeflogenen Flughäfen. Die in den angeflogenen Flughäfen verbrachten Zeiten sind flugzeugbezogen.242 Auch dort erfolgen Einchecken, Kontrolle, Wartung. Erholungs- und Ruhephasen in den angeflogenen Staaten oder im Staat der base gehören dagegen im Zweifel nicht zur Arbeitszeit und sind deshalb für die Betrachtung irrelevant. 227 EuGH v. 14.9.2017 – verb. Rs. C-168/16 u. C-169/16, ECLI:EU:C:2017:688 Rz. 68 – Sandra Nogueira u.a. vs. Crewland Ireland Ltd.; Miguel José Moreno Osacar vs. Ryanair Designated Activities Ltd.; LAG RheinlandPfalz v. 8.10.2019 – 6 Sa 97/19 Rz. 66, 68; Temming, NZA 2017, 1437, 1449; Krebber, LMK 2017, 400168; Ulrici, EuZW 2017, 947, 948; Iriarte Ángel, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 477, 489 f.; Knöfel, GPR 2019, 43, 46 f. Tendenziell anders Winkler v. Mohrenfels, EuZA 2018, 236, 245. 228 EuGH v. 14.9.2017 – verb. Rs. C-168/16 u. C-169/16, ECLI:EU:C:2017:688 Rz. 73 – Sandra Nogueira u.a. vs. Crewland Ireland Ltd.; Miguel José Moreno Osacar vs. Ryanair Designated Activities Ltd.; LAG RheinlandPfalz v. 8.10.2019 – 6 Sa 97/19 Rz. 66. Methodologisch kritisch dazu Knöfel, GPR 2019, 43, 47. 229 Ähnlich Ulrici, jurisPR-ArbR 43/2017 Anm. 5 sub C II 1 b. 230 Mankowski, EWiR 2017, 739, 740. 231 Ulrici, jurisPR-ArbR 43/2017 Anm. 5 sub C II 1 b; vgl. auch Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 49. 232 Dafür Hernández Rodríguez, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 852, 861. 233 Chicago Convention on International Civil Aviation of 7 December 1944, BGBl. 1956 II 411. 234 EuGH v. 14.9.2017 – verb. Rs. C-168/16 u. C-169/16, ECLI:EU:C:2017:688 Rz. 75 f. – Sandra Nogueira u.a. vs. Crewland Ireland Ltd.; Miguel José Moreno Osacar vs. Ryanair Designated Activities Ltd.; GA Saugmandsgaard Øe, ECLI:EU:C:2017:312 Rz. 122–127; Tricoit, JCP S 2017.1338 = JCP S N° 43, 31 octobre 2017, 28; Temming, NZA 2017, 1437, 1440; Haanappel-van der Burg, Ars Aequi 2018, 222, 226; Winkler v. Mohrenfels, EuZA 2018, 236, 246; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 108. 235 Näher Henze, 347–353. Vgl. aber auch Ulrici, jurisPR-ArbR 43/2017 Anm. 5 sub C II 2 b. 236 Junker, 188; Junker, SAE 1994, 37, 40; Franzen, AR-Blattei ES 920 Nr. 3 S. 15, 21 f. (Sept 1993); Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 S. 13, 16 f. (März 2001); a.A. z.B. BAG, H 8/2002 Nr. 10 zu Art. 30 EGBGB n.F. Bl. 4 f. m. Anm. Schlachter = IPRax 2003, 258, 260 f. m. Anm. Franzen, 239; Hessisches LAG, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 S. 5 f.; Benecke, IPRax 2001, 449, 450; eingehend Taschner, 152–157 m.w.N. 237 Junker, SAE 2002, 258, 260. 238 Eingehend Block, 440–452 m.w.N. 239 Convention on International Civil Sviation, done at Chicago on 7 December 1944, 15 UNTS 295. 240 Block, 445–447; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 88. 241 Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 S. 13, 17 (März 2001); Wurmnest, EuZA 2009, 481, 496 f.; Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 89. 242 Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 S. 13, 16 f. (März 2001).
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Kap. II: Zuständigkeit
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Bei Wechseldienst auf Flugzeugen, die in verschiedenen Staaten registriert sind, fehlt es an einem gewöhnlichen Arbeitsort.243 Bei Einsatz nur auf nationalen Routen kommt das Recht des von den Routen allein betroffenen Staates zur Anwendung, nicht das Registerrecht des Flugzeugs.244
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Sozialpolitisch und unter dem Aspekt des Schwächerenschutzes ist der Ausschluss des Registers als Anknüpfungspunkt ein sympathisches Ergebnis,245 das jeglichen strategischen Überlegungen des Arbeitgebers einen Strich durch die Rechnung macht, durch eigennützige Registrierung oder gar „Ausflaggung“ zu einem ihm günstigen Arbeitsrecht zu kommen.246 Es soll keine Anreize zu Umgehungsstrategien geben.247
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e) Kraftfahrer Für Kraftfahrer stellt der EuGH einen Katalog von Indizien und Kriterien auf, die für die Ausfüllung 63 des gewöhnlichen Arbeitsorts, zumal in der Spielart „von dem aus“ der base rule,248 hilfreich sein können.249 Der Ansatz ist pragmatisch und kasuistisch.250 Der Katalog ist weder abschließend und erschöpfend noch notwendig in jedem Fall in jedem Aspekt abzuarbeiten.251 Funktionell verlangt der EuGH, unter Berücksichtigung des Wesens der Arbeit im Transportsektor sämtlichen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen, welche die Tätigkeit des Arbeitnehmers kennzeichnen.252 Insbesondere sei zu ermitteln, wo sich der Ort befinde, von dem aus der Arbeitnehmer seine Transportfahrten durchführe, Anweisungen zu diesen Fahrten erhalte und seine Arbeit organisiere und an dem sich die Arbeitsmittel befänden.253 Zu prüfen sei auch, an welche Ort die Waren tatsächlich transportiert würden, wo sie entladen würden und wohin der Arbeitnehmer nach seinen Fahrten zurückkehre.254 Präziser, umfangreicher und detaillierter ist der Katalog bei Generalanwältin Trstenjak.255 Er umfasst 64 auch die Eigenorganisationsleistung des Arbeitnehmers und die Frage nach Art und Weise dieser Eigenorganisation.256 Der Standort der Fahrzeuge257 zielt darauf, wo der Fernfahrer den ihm jeweils zugewiesenen Wagen übernimmt. Denn mit einer bloßen Übernahme dürfte es gemeinhin nicht getan sein. Ein Basischeck der Funktionstauglichkeit und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs gehört vielmehr dazu. Noch verstärkt wird dies, wenn der Standort Rückkehrort für Fahrerwechsel und Regeneration ist.258 Nicht unproblematisch ist, wenn auch bloße Transitstaaten zu ermitteln sein sollten,259 durch welche der Fernfahrer nur durchfährt, ohne dort mehr zu tun als zu fahren, gegebenenfalls zu tanken, zu essen oder zu übernachten. Dass Transitstaaten für die Arbeitsleistung von Transportpersonal eigentlich keine Bedeutung haben, ist für Seeleute und Flugpersonal unausgesprochen allgemeine Ansicht, 243 Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 8 S. 11, 16 (März 2003) m.w.N. 244 , BAGE 71, 297, 311–316; Mankowski, IPRax 1994, 88, 94. 245 Mankowski, EWiR 2017, 739, 740 sowie Ulrici, jurisPR-ArbR 43/2017 Anm. 5 sub D; Ulrici, EuZW 2017, 947, 948; Temming, NZA 2017, 1437, 1439 f.; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 108. 246 GA Saugmandsgaard Øe, ECLI:EU:C:2017:312 Rz. 121. 247 LAG Rheinland-Pfalz v. 8.10.2019 – 6 Sa 97/19 Rz. 66. 248 Siehe bereits CA Lyon Rev dr transp décembre 2011, 20; Carré, Rev dr transp décembre 2011, 21, 22. 249 Vgl. als Kontrast zuvor LAG Köln, IPRspr. 2010 Nr. 185 S. 469. 250 Martel, JClP (G) 2011, 1100, 1102 f. 251 Martel, JClP (G) 2011, 1100, 1102 f. 252 EuGH v. 15.3.2011 – C-29/10, ECLI:EU:C:2011:151 Rz. 48 – Heiko Koelzsch vs. Großherzogtum Luxemburg. 253 EuGH v. 15.3.2011 – C-29/10, ECLI:EU:C:2011:151 Rz. 49 – Heiko Koelzsch vs. Großherzogtum Luxemburg; Iriarte Ángel, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 477, 492. 254 EuGH v. 15.3.2011 – C-29/10, ECLI:EU:C:2011:151 Rz. 49 – Heiko Koelzsch vs. Großherzogtum Luxemburg. 255 GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 96. 256 GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 96; Cass. soc. v. 20.9.2006 – n° 05–40.490, Bull. civ. 2006 V N° 277 S. 263; Cass. soc. v. 20.9.2006 – nos 05–40.491, 05–40.492, 05–40.494, 05–40.495, Bull. civ. 2006 V N° 277 S. 263, 264. 257 GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 96. 258 Vgl. GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 96. 259 Dahin GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 96.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber und wird auch für Kraftfahrer behauptet.260 Nun haben Fernfahrer auf dem Boden eine engere Verbindung mit den Transitstaaten als Seeleute, die nur Gewässer passieren, und erst recht als Flugpersonal, das Gebiete gar nur überfliegt. Zudem sagt das bloße Ermitteln nicht automatisch etwas über die angemessene Gewichtung. Immerhin fügen Listen von Transitstaaten weitere Mosaiksteine in das Gesamtbild ein. Freilich sollte man sie durch den Filter der Entsendungsmethodik schicken.261 66
Die Frequenz, mit der Fernfahrer den heimatlichen Standort berühren, ist jener von Flugpersonal vergleichbar. Deshalb ist für sie die Anwendung des Standortrechts ebenfalls vertretbar.262 Zudem bieten sich für viele Fernfahrer weniger Berührungspunkte zu bestimmten anderen Staaten, wenn sie keine regelmäßigen Routen, sondern nach Bedarf fahren. Außerdem werden die Sozialabgaben sich gemeinhin nach dem Recht dieses Standortes richten, so dass ein Gleichlaufaspekt ins Spiel kommt.263 Unter dem Blickwinkel des Schwächerenschutzes ergibt sich ein erfreulicher Nebenaspekt: Typischerweise wird der heimatliche Standort nahe beim Wohnort des Fernfahrers liegen.264 Ansonsten könnte nämlich eine Erstattung der Kosten von Fahrten zum Standort ins Spiel kommen und zum Kostenfaktor für den Arbeitgeber werden. Er wird vielmehr die Fahrer für einen bestimmten Standort rekrutieren, sei es, dass er gleich in der Nähe anwirbt (wie im konkreten Fall), sei es, dass er eine Übersiedlung des Fahrers veranlasst. Betroffen ist der regionale Arbeitsmarkt um den Standort herum.265 Erst recht hat ein Kraftfahrer seinen gewöhnlichen Arbeitsort für die Zwecke der internationalen Zuständigkeit in einem Staat, wenn er ganz überwiegend nur innerhalb dieses Staates eingesetzt wird.266 f) Zugpersonal
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Zugpersonal arbeitet in einem Beförderungsmittel, das häufig immer noch zumindest mittelbar mit einem bestimmten Staat verbunden ist, nämlich dann, wenn es sich um eine Staatsbahn oder ein dem Staat gehörendes Bahnunternehmen handelt. Dies gilt allerdings nicht bei privatisierten oder von vornherein als Privatunternehmen gegründeten Bahnunternehmen. Grenzüberschreitender Einsatz führt trotzdem in aller Regel zum Heimatstaat des Bahnunternehmens zurück, in dem, wenn es denn registriert ist, auch das Transportmittel Zug registriert ist. Am Ausgangsort erfolgen auch etwaige Einweisungen. Arbeit stationär am Ausgangsort verrichtet Zugpersonal dagegen gemeinhin nicht. Dies gilt zumindest für Zugbegleiter. Lokführer mögen eingebunden sein in das Zusammenstellen der Züge. Dass Zugpersonal mit dem Beladen von Güterwaggons befasst ist, dürfte seltene Ausnahme sein. Diesen Einwänden zum Trotz erscheint die Anwendung der base rule als beste Lösung.267 g) Telearbeiter
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Ortsfeste Telearbeiter (auch Cyberarbeiter genannt268) haben ihren gewöhnlichen Arbeitsort am Standort ihres Computers,269 ebenso wie andere Heimarbeiter.270 Wohin und wem sie abliefern und in welche Strukturen ihr Arbeitsergebnis eingebunden wird, ist ohne Bedeutung;271 entscheidend ist 260 Bosse, 201 f. 261 Vgl. Mankowski, 489. 262 Im Ergebnis ebenso A. Staudinger/Magnus, Art. 8 Rom I-VO Rz. 161, 166; Blefgen, 137; vgl. auch Cass. soc. v. 20.9.2006 – n° 05–40.490, Bull. civ. 2006 V N° 277 S. 263; Cass. soc. v. 20.9.2006 – nos 05–40.491, 05–40.492, 05–40.494, 05–40.495, Bull. civ. 2006 V N° 277 S. 263, 264. 263 Siehe Hessisches LAG v. 4.1.1984 – 2 Sa 718/83, IPRax 1986, 107; Bosse, 201 f. 264 Vgl. auch GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 16.12.2010 in der Rs. C-29/10, ECLI:EU:C:2010:789 Rz. 96 mit dem Bezug auf den Fahrerwechsel. 265 Für eine auf den Arbeitsmarkt einer hypothetischen Ersatzrekrutierung abstellendes Verständnis des gewöhnlichen Arbeitsorts Mankowski, IPRax 1999, 332, 336–338; vgl. auch Grapperhaus, Ondernemingsrecht 2011, 210, 211. 266 LAG Köln, IPRspr. 2011 Nr. 211 S. 551. 267 Im Ergebnis ebenso Staudinger/Magnus, Art. 8 Rom I-VO Rz. 166. 268 Iriarte Ángel, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 477, 483. 269 Mankowski, DB 1999, 1854, 1856 f.; Oppertshäuser, NZA-RR 2000, 393, 395; Schlachter in Noack/Spindler (Hrsg.), Unternehmensrecht und Internet (2001) 199, 228 f.; Taschner, 159 f.; Däubler, NZA 2003, 1297, 1300; Sontag Koenig, Le télétravail transfrontalier: un defi pour le droit social, Petites Affiches N° 21, 29 janvier 2016, 6, 9 f.; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 27. 270 Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 28.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
die Aktivität, nicht ihr Ergebnis. Schon die Zwischenschaltung einer lokalen Tochtergesellschaft als Arbeitgeber nimmt dem Arbeitsverhältnis im Übrigen die Internationalität.272 Ein Knstrukt der „virtuellen Entsendung“273 ist abzulehnen. Nur wirklich mobile Telearbeiter, die ihre Arbeit vom Notebook aus per Modem und Internetanschluss verrichten, haben keinen gewöhnlichen Arbeitsort.274 Allerdings dürften sie in der Realität kaum vorkommen, und wenn doch, dann in der Regel als Selbständige, nicht als Arbeitnehmer. h) Entsandte Arbeitnehmer: Doppelarbeitsverhältnis mit Rumpf- und Lokalarbeitsverhältnis Entsandte Arbeitnehmer schließen häufig einen zweiten Arbeitsvertrag mit einem lokalen Unternehmen am Entsendungsort. Dann muss man zuständigkeitsrechtlich die beiden Arbeitsverhältnisse sauber voneinander unterscheiden: erstens das fortbestehende ursprüngliche, jetzt unter Umständen ruhende Arbeitsverhältnis mit dem entsendenden Arbeitgeber (Rumpfarbeitsverhältnis); zweitens das Arbeitsverhältnis mit dem lokalen Arbeitgeber (Lokalarbeitsverhältnis).
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Unter dem Rumpfarbeitsverhältnis bewirkt die nur vorübergehende Entsendung keinen Wechsel des gewöhnlichen Arbeitsorts;275 unter dem Lokalarbeitsverhältnis begründet die Arbeit am Entsendungsort dagegen einen gewöhnlichen Arbeitsort, weil es sich um den einzigen Arbeitsort unter diesem Arbeitsvertrag handelt.276 Wächst sich die Entsendung zur dauerhaften Entsendung aus, so entfällt im Rumpfarbeitsverhältnis, unter dem die Arbeitspflichten ruhen, der gewöhnliche Arbeitsort.277 Das Rumpfarbeitsverhältnis verliert aber nicht dadurch seinen Charakter als Arbeitsvertrag, dass die unter ihm bestehenden Pflichten suspendiert werden.278 Ein Arbeitsvertrag muss nicht aktiv sein, um Arbeitsvertrag zu sein. Anderenfalls ließen sich gerade Streitigkeiten um Rückkehr und Wiederaktivierung nicht sachgerecht zuordnen.279 Jede Rückkehrvereinbarung stellt die Verknüpfung mit der vorherigen und der nachmaligen Tätigkeit her.280 Außerdem bestehen hinreichende Restpflichten und Positionen unter dem Rumpfvertrag.281
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Anders verhält es sich allerdings, wenn das ursprüngliche Arbeitsverhältnis nicht in ein ruhendes Rumpfarbeitsverhältnis umgestaltet, sondern vielmehr in bloße Garantien oder Patronatserklärungen zur Absicherung von Ansprüchen aus dem Lokalarbeitsverhältnis umgewandelt wird.282
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Für das Lokalarbeitsverhältnis beim doppelten Arbeitsverhältnis ist der gewöhnliche Arbeitsort nach 72 den allgemeinen Maßstäben zu bestimmen. Er liegt aber in aller Regel im Staat des lokalen, zweiten 271 Mankowski, DB 1999, 1854, 1857; Deinert, § 9 Rz. 87 sowie Carillo Pozo, Revista Española de Derecho de Trabajo 2011, 1023, 1036. A.A. Springer, 178 f.; Bosse, 204–207. 272 Schlachter in Noack/Spindler (Hrsg.), Unternehmensrecht und Internet (2001) 199, 229. 273 Dafür aber Risak, DRdA 2019, 117, 121. 274 Schlachter in Noack/Spindler (Hrsg.), Unternehmensrecht und Internet (2001) 199, 228; Springer, 159; Blefgen, 34; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 27. 275 Mankowski, RIW 2004, 133, 138 f.; Junker, FS Kropholler (2008) 481, 496; zustimmend C. Müller, 76 f. EuGH v. 10.4.2003 – C-437/00, ECLI:EU:C:2003:219 Rz. 23-25 – Giulia Pugliese vs. Finmeccanica SpA, Betriebsteil Alenia Aerospazio: Es sei das Interesse des ersten Arbeitgebers an der Tätigkeit für den zweiten Arbeitgeber zu ermitteln. Dagegen wegen zu großer Offenheit und fehlender Normanbindung Huet, Clunet 131 (2004) 632, 634; Mankowski, RIW 2004, 133, 135 f.; Krebber, IPRax 2004, 309, 313; Leipold, GS W Blomeyer (2004) 143, 150 f.; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 311 f.; Junker, FS Kropholler (2008) 481, 496; Wieczorek/Schütze/ Temming, Rz. 77. 276 Vgl. Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 78: Zurechnung, letztlich aus Arbeitnehmerschutzgründen. 277 Mankowski, RIW 2004, 133, 139. Weiter Franzen, EuLF 2000/01, 296, 297 f.; vgl. auch Simons, EuLF 2003, 163, 166; Junker, ZZP Int 8 (2003) 491, 497. Anders wohl Leipold, GS W Blomeyer (2004) 143, 152 f. Klar a.A. Lavelle in Lavelle (Hrsg.), The Maritime Labour Law Convention 2006 (2014) Rz. 9.37: Gewöhnlicher Arbeitsort des zweiten Arbeitsverhätnisses wird zum gewöhnlichen Arbeitsort auch des ersten Arbeitsverhältnisses. 278 Mankowski, RIW 2004, 133, 136; Krebber, IPRax 2004, 309, 314 f.; a.A. Junker, 217; Franzen, EuLF 2000/01, 296, 298 sowie Junker, ZIAS 1995, 564, 578 f. 279 Krebber, IPRax 2004, 309, 315. 280 Junker, FS Kropholler (2008) 481, 490. 281 Mankowski, RIW 2004, 133, 136; Junker, FS Kropholler (2008) 481, 490 f. 282 Vgl. Junker, FS Kropholler (2008) 481, 485 f.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber Arbeitgebers, so dass es bei Abs. 1 lit. a bleibt und Abs. 1 lit. b i) nicht zum Zuge kommt.283 Im Einzelfall kann es sich aus konkreten Besonderheiten (z.B. fortlaufende Gehaltszahlung nur durch die Mutter) ergeben, dass die formale Trennung zwischen beiden Verträgen im Sinne einer Einheit aufzuheben ist, um nicht Konzernsachverhalt und Arbeitsteiligkeit zu prämieren.284 73
Entsandte Arbeitnehmer schließen häufig einen sog. Entsendevertrag mit ihrem Arbeitgeber ab.285 Dieser passt die Bedingungen des zuvor und weiter bestehenden Arbeitsverhältnisses an den Auslandseinsatz an und regelt spezifisch aus dem Auslandseinsatz erwachsenden Fragen, z.B. Umzugskosten, Rückkehrrechte, Vergütung, Sonderzahlungen für Integration der Familie, Schuldgeld der Kinder im Ausland usw. Der Entsendevertrag ist Ergänzung und Modifikation zum Arbeitsvertrag, allenfalls dessen Ersetzung. Er begründet kein zweites Arbeitsverhältnis. Seine Anknüpfung folgt jener des Arbeitsvertrages. Durch eine nicht nur vorübergehende Entsendung ergibt sich aber ein Wechsel des gewöhnlichen Arbeitsortes, nach Beendigung einer solchen Entsendung und Rückkehr ein Rückwechsel zum ursprünglichen gewöhnlichen Arbeitsort.
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Wird die Tätigkeit effektiv nicht aufgenommen, wird der geschlossene Vertrag also nicht effektiv in Vollzug gesetzt, so hat nie ein aktueller gewöhnlicher Arbeitsort am Ort der eben nur geplanten Entsendung bestanden. Jedoch ist dann ein Rückgriff auf einen von den Parteien intendierten gewöhnlichen Arbeitsort möglich, an welchem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit nach dem Vertrag hätte verrichten sollen.286 i) Befristete Kettenarbeitsverträge
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Bei befristeten Kettenarbeitsverträgen ist die zentrale Frage, ob man der formellen Unterteilung in mehrere Verträge folgen will oder ob man das Ensemble als Einheit sehen will.287 Für die Suche nach dem gewöhnlichen Arbeitsort macht dies einen massiven Unterschied:288 Wenn man der formellen Unterteilung in mehrere Verträge folgt, muss man für jeden Einzelvertrag untersuchen, ob es unter diesem einen gewöhnlichen Arbeitsort gibt und, wenn ja, jeweils wo. Wenn man dagegen das Ensemble als Einheit sehen, muss man für diese Einheit untersuchen, ob es unter ihr einen gewöhnlichen Arbeitsort gibt und, wenn ja, wo.
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Bei einer Kette von Einzelverträgen wird es eine sukzessive Abfolge von gewöhnlichen Arbeitsorten geben, typischerweise mit genau einem gewöhnlichem Arbeitsort pro Einzelvertrag. Für alles, was einen bestimmten Einzelvertrag betrifft, wird dann der gewöhnliche Arbeitsort unter genau diesem Einzelvertrag zum lokalen Schwerpunkt und Gerichtsstand.289
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Bei einer Gesamt- oder Einheitsbetrachtung wird es dagegen schwieriger. Eine Gesamtbetrachtung namentlich nach Zeitanteilen290 hat etwas Retrospektives.291 Denn welche Anteile der einzelne Arbeitsabschnitt relativ zur Gesamttätigkeit hat, kann eigentlich erst nach dem Ende der Gesamttätigkeit endgültig feststehen, bei einer anderweitig gesetzten Zäsur dagegen nur vorläufig. Nachfolgende Zeitabschnitte drohten, wenn man sie denn bei einer erneuten Gesamtbetrachtung im fortbestehenden Vertrag einbeziehen würde (und nach dem eigenen Ansatz müsste), releative Gewichte und
283 Trenner, 146; Mankowski, RIW 2004, 133, 140 f.; C. Müller, 77; Junker, FS Kropholler (2008) 481, 492 f. 284 Mankowski, AP H 4/2004 Nr. 1 zu Art. 7 Lugano-Abkommen Bl. 7R, 8R; vgl. aber auch BAG, AP H 4/2004 Nr. 1 zu Art. 7 Lugano-Abkommen Bl. 4R f. 285 Reichel/Spieler, BB 2011, 2741. 286 Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 5 Rz. 8; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 19 EuGVVO Rz. 12 (2005); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 23; vgl. auch östOGH, SZ 71/207 = DRdA 1999/56 m. krit. Anm. Burgstaller; Ganglberger, RdW 2000, 160. 287 Für letzteres Cass. soc., JCP S 2016.1408 m. Anm. Bugada = JCP S N° 47, 29 novembre 2016, 33 m. Anm. Bugada = JurisData n° 2016-019593. 288 Mankowski, EuZA 2017, 267, 269. 289 Mankowski, EuZA 2017, 267, 269. 290 Dahin in anderem Kontext indes auch EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 52 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd.; GA Jacobs, Schlussanträge v. 18.10.2001 in der Rs. C-37/00, ECLI: EU:C:2011:554 Rz. 48 f.; GA Jacobs, EuGHE 2003, I-3575, I-3582 f. Nr. 32. 291 Mankowski, IPRax 2005, 58, 60.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
Schwerpunkte zu verschieben. Jede Retrospektive droht obendrein ex ante bestehende, durchaus legitime Planungsinteressen der Vertragsparteien zu missachten.292 Soweit die Gesamtbetrachtung über den Gesamtvertrag nur einen gewöhnlichen Arbeitsort identifi- 78 ziert, hätte sie notwendig zur Folge, dass Arbeit andernorts im Ergebnis nur eine vorübergehende Entsendung sein kann293 oder einer vorübergehenden Entsendung zumindest insoweit gleich zu behandeln ist, als sie den gewöhnlichen Arbeitsort nicht verändert.294 Erwägungsgrund 36 S. 2 Rom I-VO hilft insoweit übrigens nicht weiter, denn er lässt die Frage letztlich offen, ordnet nichts positiv an, sondern schließt nur negativ etwas nicht aus.295 Denkbar ist indes auch bei einer Gesamtbetrachtung eine sukzessive Abfolge mehrerer gewöhnlicher Arbeitsorte im Lauf der Zeit.296 Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses käme es gem. Abs. 1 lit. b i) Var. 2 auf den zeitlich letzten dieser gewöhnlichen Arbeitsorte an. Nach dem Ende des Arbeitsvertrages ist dann nur dieser spätere feste Arbeitsplatz zuständigkeitsbegründend. Dann ist der Rückgriff auf den aufgegebenen gewöhnlichen Arbeitsort versperrt, auch wenn der Arbeitnehmer dort viel länger gearbeitet haben sollte als an dem späteren gewöhnlichen Arbeitsort.297
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4. Wechsel des gewöhnlichen Arbeitsortes und Gerichtsstand am letzten gewöhnlichen Arbeitsort Der Gerichtsstand am letzten gewöhnlichen Arbeitsort hat Bedeutung für die Fälle, in denen ein Ar- 80 beitnehmer innerhalb eines Unternehmens von einem festen Arbeitsplatz in einer Niederlassung grenzüberschreitend zu einem festen Arbeitsplatz in einer anderen Niederlassung wechselt.298 Nach dem Ende des Arbeitsvertrages ist dann nur dieser spätere feste Arbeitsplatz zuständigkeitsbegründend. Dann ist der Rückgriff auf den aufgegebenen gewöhnlichen Arbeitsort versperrt, auch wenn der Arbeitnehmer dort viel länger gearbeitet haben sollte als an dem späteren gewöhnlichen Arbeitsort. Die zeitlich größte Nähe signalisiert auch die relativ aktuellste sachliche Nähe.299 Dies hat namentlich für Kündigungsschutzklagen Bedeutung,300 daneben für andere Bestands- oder Abfindungsschutzstreitigkeiten.301 Es kann auch bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit Aufhebungsverträgen Bedeutung erlangen.302 Der Arbeitnehmer kann auch im bestehenden Arbeitsverhältnis nach einem Wechsel des gewöhnli- 81 chen Arbeitsortes nicht zwischen dem Gerichtsstand des aktuellen und jenem des aufgegebenen vorherigen gewöhnlichen Arbeitsortes wählen. Vielmehr verdrängt der aktuelle gewöhnliche Arbeitsort den aufgegebenen vorherigen.303 Ein Griff in die Vergangenheit erfolgt nicht, wenn eine relevante Ge-
292 Mankowski, IPRax 2003, 21, 23; Mankowski, AP H 12/2002 Nr. 7 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Bl. 2, 2R; Mankowski, IPRax 2005, 58, 60. 293 Bugada, JCP S N° 47, 29 novembre 2016, 33, 35. 294 Mankowski, EuZA 2017, 267, 269. 295 Siehe näher Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009) 171, 190–193. McParland, The Rome I Regulation on the Law Applicable to Contracual Obligations (2015) Rz. 14.121 illustriert dies am Beispiel von Chunilal v. Merrill Lynch International Inc. [2010] EWHC 1467 (Comm) (Q.B.D., Burton J.). 296 Vgl. Bugada, JCP S N° 47, 29 novembre 2016, 33, 34. 297 Mankowski, EuZA 2017, 267, 270. 298 Beraudo, Clunet 128 (2001) 1033, 1058. 299 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 113; s. auch EuGH v. 14.9.2017 – verb. Rs. C-168/16 u. C-169/16, ECLI: EU:C:2017:688 Rz. 50 – Sandra Nogueira u.a. vs. Crewland Ireland Ltd.; Miguel José Moreno Osacar vs. Ryanair Designated Activities Ltd. 300 Droz/Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 90 (2001) 601, 632; Béraudo, Clunet 128 (2001) 1033, 1058; Mankowski, IPRax 2003, 21, 27; Junker, FS Heldrich (2005) 719, 737; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 313; Sinay-Cytermann, Mélanges en l’honneur de Paul Lagarde (2005) 737, 740; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 17; Knöfel, ZfA 2006, 397, 430; Mankowski, EuZA 2017, 267, 270. 301 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 116. 302 Vgl. Knöfel, ZfA 2006, 397, 430 f. 303 EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 54 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd.; Kropholler/von Hein, Art. 19 EuGVVO Rz. 6; Mankowski, IPRax 2003, 21, 27; Schoibl, JBl 2003, 149, 164; Thüsing, NZA 2003, 1303, 1310; Behr, GS W Blomeyer (2004) 15, 35 f.; C. Müller, 69; Junker, FS Schlosser
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber genwart existiert.304 Es müssen aber alle Kriterien für einen gewöhnlichen Arbeitsort erfüllt sein; ein bloßer Ortswechsel bewirkt als solcher nichts und darf nicht zu einer rückwirkenden Neuvorortung gewöhnlicher Arbeitsorte führen.305 82
Berührt die Klage verschiedene Phasen des Arbeitsverhältnisses, während derer sukzessive verschiedene gewöhnliche Arbeitsorte bestanden und einander ablösen,306 so erfolgt keine Segmentierung dergestalt, dass ein Gerichtsstand für die einzelne Phase nur dort bestünde, wo gerade während dieser Phase der gewöhnliche Arbeitsort war. Dies stünde nicht nur im Widerspruch zur Prozessökonomie, sondern würde die Parteien zwingen, sich in einem Gerichtsstand zu streiten, zu welchem keine aktuellen realen Bezüge mehr bestünden.307 Der Arbeitnehmer könnte dann eine Strategie rationaler Apathie adaptieren und davon absehen, die Klage auch auf jene früheren Phasen zu erstrecken. Davon würde der Arbeitgeber ungerechtfertigt profitieren.
83
Vielmehr besteht für alle Phasen des Arbeitsverhältnisses ein Gerichtsstand an dem zum Zeitpunkt der Klagerhebung aktuellen gewöhnlichen Arbeitsort,308 ersatzweise bei bereits beendetem Arbeitsverhältnis am letzten gewöhnlichen Arbeitsort. Allerdings wird das anwendbare Recht unter Art. 8 Abs. 2 lit. a EVÜ; Art. 30 Abs. 2 Abs. 1 lit. a EGBGB wandelbar angeknüpft. Für das anwendbare Recht kommt es also in der Tat auf den während der betreffenden Phase bestehenden gewöhnlichen Arbeitsort an. So entstünde die Notwendigkeit, auf der Basis forumfremden materiellen Rechts zu prozessieren, soweit vergangene Abschnitte in Rede stehen. Diesen Nachteil muss man indes in Kauf nehmen.
IV. Gerichtsstand am Ort der einstellenden Niederlassung 1. Anwendungsfälle der Abs. 1 lit. b ii) 84
Wenn der Arbeitnehmer nicht genau einen gewöhnlichen Arbeitsort in genau einem Staat hat, kommt nicht der Gerichtsstand nach Abs. 1 lit. b i) zum Zuge, sondern der Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung nach Abs. 1 lit. b ii). Durch diese konzentrierende Anknüpfung an einen einzigen Ort wird eine Häufung von Gerichtsständen an verschiedenen Tätigkeitsorten samt der Gefahr widersprechender Entscheidungen gebannt.309 Zudem wird Interessen an schneller Bestimmung, relativer Klarheit und Einfachheit Rechnung getragen.310
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Auf der anderen Seite schwenkt man zu einem arbeitgeberbezogenen Kriterium um. Ein persönliches Merkmal des Arbeitgebers wird maßgeblich. Mit den Orten seiner Niederlassungen und den dort geltenden Vorschriften wird der Arbeitgeber normalerweise vertraut sein. Er hat ausgewählt, wo er eine Niederlassung eröffnet. Er hat ein „Heimspiel“, wenn auch kein „großes“ an seinem Sitz, aber immerhin ein „kleines“ an einem seiner Standorte.311 Der Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung hat allerdings keine Tendenz zu einem forum actoris zugunsten des Arbeitgebers, denn selber aktiv klagen kann der Arbeitgeber nach Art. 22 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nur im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers.312
304 305 306 307 308 309 310 311 312
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(2005) 299, 312 f.; Mankowski, EuZA 2017, 267, 270; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 10 sowie Layton/Mercer, Rz. 18.021. Mankowski, EuZA 2017, 267, 270. Mankowski, EuZA 2017, 267, 270. Tendenziell anders wohl Buy, Dr. soc. 2002, 968, 960; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 17. Schwander, SZIER 2018, 403, 414 f. Trenner, 59. Ebenso Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 112. Vgl. EuGH v. 13.7.1993 – C-125/92, ECLI:EU:C:1993:306 Rz. 21 – Mulox IBC Ltd. vs. Hendrick Geels (den Art. 5 Nr. 1 Halbs. 3 EuGVÜ allerdings ignorierend) sowie EuGH v. 9.1.1997 – C-383/95, ECLI:EU:C:1997:7 Rz. 18 – Petrus Wilhelmus Rutten vs. Cross Medical Ltd. Ulrici, jurisPR-ArbR 30/2011 Anm. 3 sub C II 2; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 118. Zustimmend Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 118. Bericht Pocar, ABl. EU 2009 C 319/23; Brière, Clunet 139 (2012) 190, 192.
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Kap. II: Zuständigkeit
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Die möglichen Konstellationen für Abs. 1 lit. b ii) sind: Der Arbeitnehmer hat überhaupt keinen gewöhnlichen Arbeitsort. Hierher gehören z.B. Journalisten, die sich in dauerhaftem wechselndem Einsatz als Auslandskorrespondenten befinden.313 Weitere Beispiele sind internationale troubleshooter, mobile Berater314 oder Montagearbeiter mit ständig wechselnden Einsatzorten und ohne Mittelpunkt, zu dem sie immer wieder zurückkehren würden.315 Auch Tournee-Ensemblemitglieder kommen in Betracht,316 desgleichen Mitarbeiter in einem international reisenden Zirkus.317 Der Arbeitnehmer hat simultan zwei oder mehrere gewöhnliche Arbeitsorte in zwei oder mehreren verschiedenen Staaten.318 Ob diese Arbeitsorte sich in Mitgliedstaaten oder Drittstaaten befinden, ist ohne Belang.319 Insoweit verhindert die Anknüpfung an die einstellende Niederlassung eine Zuständigkeitszersplitterung.320 Der Arbeitnehmer hat seinen gewöhnlichen Arbeitsort in staatsfreiem Gebiet, das einem Staat auch nicht über andere Kriterien als die Territorialhoheit völkerrechtlich zugeordnet werden kann.321 Hierher zählen Bohrinseln auf Hoher See,322 dagegen nicht solche in Gewässern, die bestimmten Staaten völkerrechtlich über die Exklusive Wirtschaftszone oder den Festlandsockel zuzurechnen sind.323 Eine Analogie zur Flaggenhoheit und in der Konsequenz zur Flaggenanknüpfung, wie sie bei Arbeit auf Seeschiffen gilt, unter Zuordnung zum Errichterstaat324 wäre für feste Einrichtungen auf Hoher See ein zu großer Schritt. In keinem völkerrechtlichen Übereinkommen ist er bisher auch nur ansatzweise erfolgt, und die Flaggenhoheit über Schiffe ist ein Partikulär.
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Dagegen kommt Abs. 1 lit. b ii) nicht zur Anwendung, wenn der Arbeitnehmer zwar genau einen gewöhnlichen Arbeitsort in genau einem Staat hat, es sich dabei aber um einen Drittstaat handelt.325 Insoweit ist zwar das Anknüpfungskriterium aus Abs. 1 lit. b i) erfüllt, bezeichnet aber kein zuständiges Gericht im EU-Gebiet.326 Wegen der komplementären Scheidung zwischen Abs. 1 lit. b i) und lit. b ist Abs. 1 lit. b ii) tatbestandlich nicht erfüllt. In der Konsequenz kommt Abs. 1 lit. b in beiden Untertatbeständen nicht zur Anwendung und ist der Arbeitnehmer als Kläger allein auf Abs. 1 lit. a verwiesen.327 Erst recht kommt Abs. 1 lit. b ii) nicht zum Zuge, wenn ein gewöhnlicher Arbeitsort in einem anderen Mitgliedstaat als dem Forumstaat besteht.328
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313 314 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324 325 326 327
328
Trenner, 178; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 35. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 19 EuGVVO Rz. 10 (2005). Siehe nur Schlachter, NZA 2000, 57, 60; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 122. Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 122. Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 35. Siehe nur Oppertshäuser, NZA-RR 2000, 393, 399; Blefgen, 41–45; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 122; vgl. EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 55-57 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd. Almedia Cruz/Desantes Real/Jenard-Bericht Nr. 23d; Kropholler/von Hein, Art. 19 EuGVVO Rz. 7, 10; Junker, ZZP Int 7 (2002) 230, 233 f.; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 314; Behr, GS W Blomeyer (2004) 15, 38. A.A. Däubler, NZA 2003, 1297, 1300. Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 34. Zustimmend Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 121. Bericht Giuliano/Lagarde, ABl. EG 1980 C 282 Art. 6 EVÜ Anm. (4); Trenner, 177. EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 31-35 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd.; Hoge Raad, Ned. Jur. 2003 Nr. 344 S. 2752 m. Anm. de Boer; Mankowski, IPRax 2003, 21 f.; Junker, FS Heldrich (2005) 719, 729; Block, 348–362. Dafür mit beachtlichen Argumenten Block, 373–397; Block, EuZA 2013, 20, 25–32; Block, Symposium Winkler von Mohrenfels (2013) 45, 87. A.A. Junker, ZZP Int 2002, 230, 233 f.; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 314; Lavelle in Lavelle (Hrsg.), The Maritime Labour Law Convention 2006 (2014) Rz. 9.32; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 39; Wieczorek/ Schütze/Temming, Rz. 120. C. Müller, 65 f. Siehe EuGH 15.2.1989 – 32/88, ECLI:EU:C:1989:68 Rz. 19-22 – Six Constructions Ltd. vs. Paul Humbert; EuGH v. 27.2.2002 – C-37/00, ECLI:EU:C:2002:122 Rz. 27 – Herbert Weber vs. Universal Ogden Services Ltd.; Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard-Bericht Nr. 23e; Cass. [2004] ILPr 18; Kruger, Civil Jurisdiction Rules of the EU and their Impacton Third States (2008) 168, 176; Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 105. Falsch daher ArbG Bielefeld, IPRspr. 2008 Nr. 49 S. 163.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber 2. Arbeitsvertragsspezifischer Begriff der Niederlassung in Abs. 1 lit. b ii) 88
Der Begriff der Niederlassung in Abs. 1 lit. b ii) ist richtigerweise und entgegen der herrschenden Meinung arbeitsvertragsspezifisch und abweichend von jenem des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO zu verstehen,329 aber ebenso wie jener in Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO.330 Niederlassung meint hier den Betrieb, den organisatorischen Zusammenhang, in welchen der Arbeitnehmer eingegliedert ist.331 Eine eigene Rechtspersönlichkeit ist nicht verlangt.332 Der allgemeine Niederlassungsbegriff des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO stellt auf den unternehmensexternen Rechtsverkehr und auf unternehmerisches Auftreten am Markt ab. Er greift unternehmerische Marktpräsenz auf. Mit einer nach außen gerichteten unternehmerischen Präsenz auf einem Markt für Waren oder Leistungen hat das Arbeits-Innenverhältnis nichts zu tun.333 Ob ein Stützpunkt im Geschäftsverkehr mit Dritten für den Arbeitgeber aufgetreten ist und für diesen Rechtsgeschäfte abgeschlossen hat,334 spielt für diese Dritten eine Rolle, aber nicht für den Arbeitnehmer. Der externe Marktteilnehmer muss sich auf das verlassen könne, was er von außen sehen kann; der Arbeitnehmer dagegen blickt von innen.335 Unternehmenstheoretisch sind Arbeitnehmer integrative Bestandteile des Unternehmens.336
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Daher sind die für Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO tragenden Momente keine tauglichen Kriterien für das unternehmensinterne Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer,337 zumal sie auf Entscheidungen unter dem EuGVÜ beruhen, das noch kein eigenes Speziaregime für Arbeitsverträge kannte.338 Insbesondere ist keine eigene Geschäftsführung nach außen verlangt.339 Repräsentanz nach außen und Kommandostelle nach innen erfüllen verschiedene Funktionen und müssen nicht übereinstimmen.340 Schwerpunkt nach außen und Schwerpunkt nach innen müssen nicht zusammenfallen;341 man denke nur an Rekrutierungsniederlassungen oder interne Personalführungszentren ohne relevanten Außenverkehr.342 Es muss, soweit möglich, eine Beziehung nicht nur zum Arbeitgeber, sondern auch zum Arbeitnehmer bestehen. Als forum actoris für den Arbeitnehmer steht die Anknüpfung an ein arbeitgeberbezogenes Merkmal sowieso in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Schutzzweck.343 Deshalb wurde sie in Art. 5 Nr. 1 Halbs. 3 EuGVÜ 1989 auch anders als noch in Art. 5 Nr. 1 Halbs. 3 LugÜ 1988 dem Arbeitgeber nicht mehr zur Verfügung gestellt.344 329 Zustimmend C. Müller, 79; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 97; Espiniella Menéndez, REDI 2004, 886, 888; Blefgen, 63 f.; Knöfel, AP H 10/2008 Nr. 8 zu Art. 27 EGBGB n.F. Bl. 11, 14; Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013) 31, 53. A.A. die ganz h.M., s. nur EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 47 f. – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; GA Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C:2011:564 Rz. 83; BAG, AP Nr. 8 zu Art. 27 EGBGB n.F. [72]; BAG, RIW 2013, 903; Kropholler/von Hein, Art. 19 EuGVO Rz. 13; Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 113; Gulotta, Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 619, 633 f.; s. auch Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard-Bericht Nr. 23e Fn. 1. Wieder anders Bosse, 79–93 zum einen und Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 124 zum anderen. 330 Ebenso methodisch Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 123. 331 Gamillscheg, ZfA 1983, 307, 334; Hoppe, 186; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 97. 332 Jenard/Möller-Bericht Nr. 43; Layton/Mercer, Rz. 18.023; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 19 EuGVVO Rz. 17 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 19 EuGVVO Rz. 13; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 123. Vgl. aber umgekehrt LAG Köln, IPRspr. 2010 Nr. 185 S. 469: formelle Selbständigkeit einer Tochtergesellschaft schadet. 333 Mankowski, AR-Blattei ES 160.5.5 Rz. 191 (2007). A.A. Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 153: Personalgewinnung erfolge durch marktorientiert Nachfrager nach dem Produktionsfaktor Arbeit. Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 158 will sich vergleichend an den Begriff der wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit aus Art. 1 RL 2011/23/EG (BetriebsübergangsRL) orientieren. 334 So die Anforderungen in BAG, RIW 2013, 803, 805 Rz. 32. 335 Knöfel, AP H 10/2008 Nr. 8 zu Art. 27 EGBGB n.F. Bl. 11, 14. 336 Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 152 unter Hinweis auf Coase, Econometrica 1937, 386, 403. 337 Mankowski, EWiR 2014, 63, 64. 338 Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 157. 339 Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013) 31, 53. 340 Knöfel, AP H 10/2008 Nr. 8 zu Art. 27 EGBGB n.F. Bl. 11, 14; Mankowski, EWiR 2014, 63, 64. 341 Knöfel, AP H 10/2008 Nr. 8 zu Art. 27 EGBGB n.F. Bl. 11, 14; Mankowski, EWiR 2014, 63, 64. 342 Insoweit zustimmend Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 154. 343 Siehe EuGH v. 15.2.1989 – 32/88, ECLI:EU:C:1989:68 Rz. 13 f. – Six Constructions Ltd. vs. Paul Humbert; Springer, 157.
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3. Begriff des Einstellens Den Begriff des Einstellens kann man in zweierlei Hinsicht verstehen: zum einen mit Blick auf den 90 Vertragsabschluss345 (z.B. Veröffentlichen der Stellenausschreibung oder Führen eines Einstellungsgesprächs346), zum anderen mit Blick auf die organisatorische Betreuung und Eingliederung (insbesondere die buchhalterische Abwicklung der Gehaltszahlung und die Ausübung von Weisungsbefugnissen) während des gelebten Arbeitsverhältnisses.347 Der Wortlaut ist in der überwiegenden Mehrzahl348 der Fassungen (namentlich „eingestellt“, „engaged“, „embauché“, „assumere“, „empleado“, „anställts“, „întreprinderea“) nicht eindeutig.349 Die erste Auffassung mag zwar weniger Recherchenotwendigkeit mit sich bringen und relativ schnellere Klarheit bedeuten.350 Sie hat den Vorteil, auf ein eher formales und gut belegbares Kriterium abzustellen.351 Den Vorzug verdient trotzdem hier wie im IPR die zweite Auffassung. Anderenfalls eröffnete man dem Arbeitgeber ein zu großes Manipulationspotential, indem eine Niederlassung nur für die Zwecke des formellen Vertragsabschlusses eingeschaltet würde.352 Im Extremfall könnte er eine Niederlassung nur zu dem Zweck gründen, um dort Verträge mit Arbeitnehmern zu schließen, die ihre Arbeit ganz woanders verrichten.353 Der Abschlussort ist keineswegs notwendig der Ort, an welchem der Arbeitnehmer erstmals in die Unternehmensstruktur eingegliedert wird.354 Die Verlockung ist groß, eine Rekrutierungsniederlassung oder ein bloßes Anwerbebüro in einem Staat mit niedrigen Arbeitnehmerschutzstandards anzusiedeln.355 Der Aufwand, um eine Rekrutierungsniederlassung in
344 Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard-Bericht Nr. 23b im Anschluss an EuGH v. 15.2.1989 – 32/88, ECLI:EU: C:1989:68 Rz. 13 f. – Société Six Constructions Ltd. vs. Paul Humbert. 345 Dafür im IZPR z.B. ArbG Bielefeld, IPRspr. 2008 Nr. 49 S. 163; Johner, 98; Valloni, 332 f.; Hoppe, 187; Trenner, 172 f.; Gragert/Dreckhahn, NZA 2003, 303, 305; Rosner 132; Pfeiffer, FS Etzel (2011) 291, 294; Wieczorek/ Schütze/Temming, Rz. 126 f. und im IPR z.B. EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 45-50 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA; GA Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C: 2011:564 Rz. 68–70; LAG Niedersachsen, AR-Blattei ES 920 Nr. 6 S. 4; Hessisches LAG, NZA-RR 2000, 401, 403; Schlachter, NZA 2000, 57, 60. 346 EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA, Rz. 50; Neumayr/ Geroldinger/Garber, Rz. 40.1; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 126. 347 Dafür (vor allem im IPR) Gamillscheg, ZfA 1983, 307, 334; Junker, 185; Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 6 S. 6, 8–11 (Nov. 1999); Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 S. 13, 19–22 (März 2001) je m.w.N.; Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009) 171, 193–196; C. Müller, 81; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 19 EuGVVO Rz. 17 (2005) Art. 19 EuGVVO; Blefgen, 75–88; van Eeckhoutte in Blanpain (Hrsg.), Freedom of Services in the European Union – Labour and Social Security Law: The Bolkestein Initiative (2006) 168, 171; Wurmnest, EuZA 2009, 481, 491; Martiny in MünchKomm/BGB, Bd. 11 (8. Aufl. 2020) Art. 8 Rom I-VO Rz. 65; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 41 (2016); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 40. 348 Das portugiesische „contratou“ weist stärker zum Vertragsabschluss, das niederländische „in dienst genomen“ stärker zur organisatorischen Betreuung. 349 Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 6 S. 6, 11 (Nov. 1999); Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009) 171, 194 f.; Knöfel, IPRax 2014, 130, 135. Behr, FS Buchner (2009) 81, 83 sieht ein rein vertragsabschlussbezogenes Verständnis vom Wortlaut gar ausgeschlossen. A.A. EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 46 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 127. 350 Siehe GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C:2011:564 Rz. 68; Lüttringhaus/Schmidt-Westpfahl, EuZW 2012, 139, 140. 351 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 128. 352 Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 S. 13, 19 (März 2001); Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009) 171, 195; van Hoek, Internationale mobiliteit van werknemers (2000) 437; Jault-Seseke in M Keller (Hrsg.), Procès du travail et travail du procès (2008) 343, 350; Robin-Olivier, Dr. soc. 2011, 897, 902; Brière, Clunet 139 (2012) 190, 192; Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013) 31, 53. 353 Mankowski, EWiR Art. 6 EVÜ 1/12, 109, 110. 354 So aber GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C:2011:564 Rz. 68. Ähnlich Even, NIPR 2013, 13, 21. 355 Mankowski, EWiR Art. 6 EVÜ 1/12, 109, 110. Zugestanden von GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C:2011:564 Rz. 71. Vgl. aber auch Hessisches LAG v. 24.11.2008 – 17 Sa 682/07 Rz. 60.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber einem Niedriglohnland zu errichten, ist nicht prohibitiv hoch,356 sondern kann sich relativ schnell amortisieren. 92
Mit der Anerkennung von Rekrutierungsniederlassungen provozierte man zudem entgegen dem Grundansatz der Brüssel Ia-VO einen beziehungsarmen Gerichtsstand.357 Das zentrale Anliegen des Arbeitnehmerschutzes, wie es Erwägungsgrund (13) Brüssel I-VO und Erwägungsgrund 23 Rom I-VO für das IPR noch eigens betonen und unterstreichen, würde hintangesetzt.358 Im IPR gelangte man gerade im besonders sensiblen Seearbeitsrecht zum Recht von Billiglohnländern ohne Schutzstandards.359 Aus dem Auffangcharakter der Abs. 1 lit. b ii) Schlüsse auf Erleichterungen bei der erforderlichen Nähe zu ziehen360 wäre verfehlt. Hinzu treten Probleme bei formell selbständigen Crewing Agencies, Hiring Agencies oder Manning Agencies361 und innerhalb von Konzernen.362
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Dagegen ist die organisatorische Betreuung manipulationsfester, denn eine einstellende Niederlassung dieses Verständnisses wird der Arbeitgeber nicht schnell verlegen, weil dies massive Implementationskosten mit sich bringen würde.363 Die organisatorische Betreuung weist Bezüge zum gelebten Arbeitsverhältnis auf. Zudem entspricht nur sie der grundsätzlichen Wandelbarkeit der arbeitsrechtlichen Anknüpfung.364 Organisatorische Betreuung ist etwas anderes als Arbeitsverrichtung. Das eine blickt auf den Arbeitgeber, das andere auf den Arbeitnehmer.
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Daher ist aus dem Fehlen eines gewöhnlichen Arbeitsortes in der EU keineswegs darauf zu schließen, dass nur ein abschlussbezogenes Verständnis des Einstellens in Betracht käme.365 Mit einer starren Fixierung auf den Vertragsschluss würde man im Gegenteil Bezüge zum gelebten Arbeitsverhältnis verfehlen und damit dem Charakter des gelebten Arbeitsverhältnisses als eines Dauerschuldverhältnisses nicht gerecht.366 Die Rechtssicherheit gebietet nicht, Abstriche vom Arbeitnehmerschutz zu machen und von materiellen auf formelle Kriterien überzugehen.367 Weisungsbefugnis als Ausfluss der organisatorischen Gliederung greift kein Kriterium auf, das bereits beim gewöhnlichen Arbeitsort verwendet würde,368 sondern korrespondiert vielmehr trefflich mit der Definition des Arbeitsvertrags, die Weisungsgebundenheit zum Zentralkriterium hat.
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Im IPR mag man noch über die Ausnahmeklausel des Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO helfen können,369 im IZPR dagegen gibt es kein solches Ausweichinstrument.370 Eine gewisse, aber nicht schutzzweckorientierte Abhilfe vermag die über Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO a.E. offen gehaltene Möglichkeit zu bie356 So aber Bosse, 258. 357 Lajolo di Cossàno, Dir. comm. int. 2002, 901, 919; Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009) 171, 195. 358 Knöfel, IPRax 2014, 130, 135. 359 Mankowski, IPRax 2003, 21, 27; Block, 309. 360 Dahin Bosse, 258 f. 361 Junker, FS Heldrich (2005) 719, 731; vgl. auch Carbone, Rec. des Cours 340 (2009), 63, 193, 195; Lavelle in Lavelle (Hrsg.), The Maritime Labour Law Convention 2006 (2014) Rz. 9.38. Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 113 bestreitet, dass diese überhaupt erfasst sein können, da die einstellende Niederlassung zum Zeitpunkt der Klagerhebung noch bestehen müsse. 362 Knöfel, IPRax 2014, 130, 135 f. 363 Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009) 171, 196. 364 Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 6 S. 6, 10 (Nov. 1999); Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 S. 13, 19 (März 2001); Springer, 163 f. Genau umgekehrt preist GAin Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C:2011:564 Rz. 68 Unwandelbarkeit als Vorzug des Abstellens auf den Vertragsschluss. 365 So aber EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 47 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA. 366 Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 6 S. 6, 10 (Nov. 1999); Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 S. 13, 19 (März 2001); Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009) 171, 195; Mankowski, EWiR Art. 6 EVÜ 1/12, 109, 110; Pfeiffer, FS Etzel (2011) 291, 293 f. Zugestanden von Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 132. A.A. Bosse, 258 f. 367 Dahin aber van Kampen, TAP 2012, 372; Even, NIPR 2013, 13, 21. 368 Dahin aber Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 131 f. 369 EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 51 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA; AG Trstenjak, Schlussanträge v. 8.9.2011 in der Rs. C-384/10, ECLI:EU:C:2011:564 Rz. 73; Hessisches LAG v. 24.11.2008 – 17 Sa 682/07 Rz. 60. Differenzierter dagegen Lüttringhaus/Schmidt-Westpfahl, EuZW 2012, 139, 141. 370 Egler, 192 ff.; Mankowski, EWiR Art. 6 EVÜ 1/12, 109, 110; Block, 304 f. Vgl. aber auch Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 18–18.2; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 134.
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Kap. II: Zuständigkeit
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ten, dass der Arbeitnehmer Klage bei einer Niederlassung des Arbeitgebers gestützt auf Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO erhebt, wenn diese Niederlassung einen Bezug zum Streitgegenstand hat; diese Kriterien erfüllt die „Einsatzniederlassung“.371 Dem Betonen der organisatorischen Eingliederung kann man nicht entgegenhalten, dass bereits der 96 vorrangige gewöhnliche Arbeitsort auf tätigkeitsbezogene Kriterien abstelle und es deshalb nicht angehe, die gleichen Kriterien bei der einstellenden Niederlassung wieder zu verwenden.372 Denn es sind nicht die gleichen Kriterien. Zum einen sind die Gewichtungen unterschiedlich.373 Zum anderen ist die Perspektive unterschiedlich: Der gewöhnliche Arbeitsort sieht auf die Tätigkeit des Arbeitnehmers, die Einsatzniederlassung auf die Struktur- und Organisationsleistung des Arbeitgebers. Stellte man auf die Rekrutierung ab, so würde jedenfalls bei Rekrutierung durch die Unternehmens- 97 zentrale Abs. 1 lit. b ii) neben Abs. 1 lit. a kaum eigenständige Bedeutung haben.374 Eine vermutungsweise Gleichsetzung von Ort des Vertragsschlusses und Ort der Personalverwaltung375 hebt im Ergebnis auf das organisatorische Kriterium ab, verbrämt dies aber mit einer zweifelhaften Vermutung. Organisatorische Einbindung und Betreuung können sich äußern in Lohn- und Gehaltszahlung, 98 Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen, Verbuchung auf Lohn- und Gehaltskonto, Bezahlen von Steuern bei Quellenbesteuerung von Arbeitslohn, Supervision und Weisungserteilung.376 4. Anwendungsfälle der Abs. 1 lit. b ii) Var. 2 Abs. 1 lit. b ii) Var. 2 beruft den Gerichtsstand am Ort jener Niederlassung, an welchem sich die ein- 99 stellende Niederlassung befand. Diese vergangenheitsbezogene Variante bezieht sich zum einen auf Fälle, in denen die betreffende Niederlassung vor Klagerhebung aufgelöst worden ist.377 Zum anderen passt sie für Kündigungsstreitigkeiten und für Streitigkeiten aus arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen, die definitionsgemäß nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses stattfinden378 (sofern man solche Verträge überhaupt unter Art. 20 fallen lässt). Dagegen sind Fälle der räumlichen Verlegung der Niederlassung nicht erfasst. Der Arbeitnehmer hat dann kein Wahlrecht,379 sondern muss der wandelbaren Anknüpfung zur jeweils aktuellen Niederlassung folgen.380
V. Ausweitung gegen Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem Drittstaat (Abs. 2) Abs. 2 eröffnet dem Arbeitnehmer die Gerichtsstände aus Abs. 1 lit. b auch für Klagen gegen Arbeit- 100 geber, die ihren Wohnsitz in einem Drittstaat haben.381 Abs. 2 ist eine wichtige Neuerung.382 Er wurde im Verlauf des Novellierungsprozesses eingefügt und tritt erstmals in der Brüssel Ia-VO auf. Hebt man den Blick über das Arbeitsprozessrecht hinaus, so steht die Ausdehnung des Art. 18 Abs. 1 Var. 2 Brüssel Ia-VO in einem weiteren Kontext: Der Vorschlag der Kommission383 sah (nach intensiven
371 Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013) 31, 54; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 125. 372 So aber EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 44 – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA. Dagegen mit Recht Lüttringhaus/Schmidt-Westpfahl, EuZW 2012, 139, 140. 373 Lüttringhaus/Schmidt-Westpfahl, EuZW 2012, 139, 140. 374 Siehe Morris/McClean/Beevers, The Conflict of Laws (6. Aufl. 2005) Rz. 4–046. 375 So ArbG Bielefeld, IPRspr. 2008 Nr. 49 S. 163 f. im Anschluss an Gragert/Drenckhahn, NZA 2003, 307. 376 Mankowski in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009) 171, 195. 377 Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard-Bericht Nr. 23c; Trenner, 174; vgl. auch Bosse, 263 f.; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 43, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 33 (2016); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 42. 378 Mankowski, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 S. 13, 22 (März 2001). 379 Dafür aber Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard-Bericht Nr. 23c; Trenner, 174; Däubler, NZA 2003, 1297, 1300; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 41. 380 Wie hier Bosse, 263. 381 Beispiel: Hof Amsterdam, NIPR 2019 Nr. 171 S. 436 (Arbeitgeber mit Wohnsitz in der Türkei). 382 Siehe nur Lhernould, JCP S 2019.1009 = JCP S N° 1–2, 15 janvier 2019, 50. 383 Speziell Art. 4 Abs. 2; 5; 6; 25; 26; ErwGr. 16, 17 Vorschlag Brüssel Ia-VO.
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber wissenschaftlichen Vorarbeiten384) vor, das Verhältnis des europäischen IZPR zu Drittstaaten fundamental umzugestalten und auf den Wohnsitz des Beklagten in der EU als grundsätzliche Voraussetzung beim räumlich-persönlichen Anwendungsbereich der Neufassung ganz zu verzichten.385 Die Kommission ist damit jedoch am Widerstand der Mitgliedstaaten gescheitert, die in ihrer großen Mehrheit auf die Reste ihres nationalen IZPR nicht verzichten wollten und deshalb ein weiteres Vordringen des Unionsrechts auf Kosten ihrer nationalen Zuständigkeitsrechte ablehnten.386 Die Mitgliedstaaten wollten keine vollständige Übertragung der Kompetenz für Außenbeziehungen auf die EU.387 Art. 4 Abs. 1 Brüssel I-VO ist ohne Änderung Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO geworden. 101
Rechtspolitisch hat man dem dringendsten Bedarf außerhalb des Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO abgeholfen, eben indem der Klägergerichtsstand des Arbeitnehmers an seinem eigenen Wohnsitz aus Art. 18 Abs. 1 Var. 2 Brüssel Ia-VO und der Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung für den Arbeitnehmer kraft Art. 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO auch für Klagen gegen Unternehmer bzw. Arbeitgeber ohne Sitz und (Zweig-)Niederlassung in der EU gelten.388 Beide genießen den Vorrang der Schutzregimes, sind nach ihrem eigenen Anspruch zuerst zu prüfen und lassen erst dann Raum für Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO und nationales Zuständigkeitsrecht, wenn sie mit negativem Ausgang passiert sind.389 Man kann darin einen Rest des grundsätzlicheren Ansatzes aus dem Vorschlag sehen, denn die realisierte Lösung trägt deutliche Züge eines politisch induzierten Kompromisses.390 Sie ist ein Schritt zu einseitiger Unilateralität.391 Sie ist ein letzter Rest des im Vorschlag geplanten großen Wurfs.392 Den Vorwurf, einen exorbitanten Gerichtsstand zu eröffnen, kann man Abs. 2 nicht machen angesichts der engen Verbindungen des drittstaatsansässigen Arbeitgebers zum Territorium der EU, die vorliegen müssen, damit Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. b überhaupt greift.393 Die Technik ist eine andere, keine Fiktion wie bei Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO.394
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Abs. 2 erweitert den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich des europäischen Internationalen Arbeitsprozessrechts und damit partiell der Brüssel Ia-VO.395 Er hat Bedeutung insbesondere, wenn EU-Unternehmen mit Partnerunternehmen in Drittstaaten kooperieren.396 Er garantiert aber nicht, dass dem Arbeitnehmer wirklich ein Gerichtsstand in der EU zur Verfügung steht. Wenn weder der gewöhnliche Arbeitsort (soweit vorhanden) noch die einstellende Niederlassung in der EU liegen, fehlt es am Anknüpfungspunkt für einen Zuständigkeitstatbestand.397 Eine denkbare subsidiäre Auffanglösung bestünde darin, dann auf den Wohnsitz des Arbeitnehmers abzustellen, um zu einem Ge384 European Group for Private International Law (Bergen Session, 21 September 2008) IPRax 2009, 283 sowie Nuyts, Study on residual jurisdiction, 3.9.2007, http:ec.europa.eu/justice_home/doc_centre/civil/studies/doc/ study_residual_jurisdiction.en; Fallon, Liber amicorum Gaudemet-Tallon (2008) 241; Gaudemet-Tallon, Mélanges Guinchard (2010) 465; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts (2000); Grolimund ZVR-Jb 2010, 79; Kropholler, FS Ferid zum 80. Geb. (1988) 239; Kruger, Civil Jurisdiction Rules of the European Union and Their Impact on Third States (2008); Pataut in Leroyer/Jeuland (Hrsg.), Quelle cohérence pour l’espace judiciaire européen? (2004) 31; Pocar, Liber amicorum Gaudemet-Tallon (2008) 573; Schlosser, FS Heldrich (2005) 1007; de Vareilles-Sommières, Liber amicorum Gaudemet-Tallon (2008) 397. 385 Eingehend diskutiert z.B. von Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 261–270; Johannes Weber, RabelsZ 75 (2011) 619; Borrás in Lein (Hrsg.), The Brussels I Review Proposal uncovered (2012) 57; Weitz, FS Simotta (2012) 679; Gilles (2012) 8 JPrIL 489; Luzzatto in Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (Padova 2012) 111; Markus, ebd. 123; Cafari Panico, ebd. 127; Fallon/Kruger, YbPIL 14 (2012/13) 1. 386 Peter Arnt Nielsen (2013), 50 C.M.L. Rev. 503, 513. 387 Peter Arnt Nielsen, Nordic J Int L 83 (2014), 61, 64. 388 d’Avout, D 2013, 1014, 1021. 389 Mankowski, EuZA 2019, 386, 388. Praktisches Beispiel: OLG Hamm v. 5.12.2018 – 8 U 50/17, NZG 2019, 232. 390 Peter Arnt Nielsen (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 513. 391 Fallon/Kruger, YbPIL 14 (2012/13) 1, 19 f. 392 von Hein, RIW 2013, 97, 100 f. 393 Gulotta, Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 619, 625 f. 394 Siehe Gulotta, Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 619, 631. 395 Siehe nur Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 85; Alio, NJW 2014, 2395, 2398; Nord, JCP S No. 52, 23 décembre 2014, S. 22, 23. 396 Gulotta, Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 619, 623. 397 Francq, T.B.H. 2013, 307, 317.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
richtsstand in der EU zu gelangen. Für eine solche Lösung fehlt es aber an jedem Anhaltspunkt in Art. 21 Brüssel Ia-VO. Der klagende Arbeitnehmer hat anders als der klagende Verbraucher eben kein garantiertes forum actoris am eigenen Wohnsitz. Das Internationale Arbeitsprozessrecht knüpft an andere, arbeits- oder vertragsbezogene Gerichtsstände an und kennt keine Parallele zu Art. 18 Abs. 1 Var. 2 Brüssel Ia-VO ändert an der Anknüpfungsstruktur und an den Anknüpfungspunkten nichts. Zudem würde ein Abstellen auf den Wohnsitz problematisch bei Arbeitnehmern, die in der EU arbeiten oder angestellt wurden, aber ihren Wohnsitz in Drittstaaten haben.398 Abs. 2 hat aber immerhin die wünschenswerte Folge, dass ein Arbeitnehmer, der seinen gewöhnlichen Arbeitsort in der EU hat, immer an diesem klagen kann, unabhängig davon, wo sein Arbeitgeber ansässig ist.399 Allerdings kann sich bei gewöhnlichem Arbeitsort in einem Drittstaat eine Verschlechterung gegenüber der Altrechtslage ergeben, wenn das nationale Wohnsitzrecht des Arbeitnehmers diesem einen Klägergerichtsstand eröffnet hätte.400 Eine teleologische Reduktion des europäischen Regimes, die wieder eine Anwendung nationalen Zuständigkeitsrecht erlauben würde, ist trotzdem nicht statthaft.401
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Abs. 2 verweist nur auf Abs. 1 lit. b, dagegen nicht auf Abs. 1 lit. a. Das ist nur logisch und einzig konsequent. Denn Abs. 1 lit. a eröffnet einen Gerichtsstand in der EU im Wohnsitzmitgliedstaat des Arbeitgebers. Er knüpft die Zuständigkeit an den Wohnsitz des Arbeitgebers in einem Mitgliedstaat. Daran fehlt es aber per definitionem bei einem Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem Drittstaat. Dieser hat eben keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat.402 Hat er eine Niederlassung in der EU und hat diese Bezug zum Arbeitsverhältnis, so fingiert Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO diese Niederlassung als Wohnsitz in der EU, so dass es sich wiederum – jedenfalls aus der Sicht des EU-Rechts – nicht um einen drittstaatsansässigen Arbeitgeber handelt.403
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In seinem Kern eröffnet Abs. 2 dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, seinen Arbeitgeber an seinem ge- 105 wöhnlichen Arbeitsort nach Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. b i) zu verklagen, wenn dieser Ort in einem Mitgliedstaat liegt. Dauerhafte, ortsfeste Arbeit in der EU für ein drittstaatsansässiges Unternehmen zieht also den Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort nach sich.404 Für den gewöhnlichen Arbeitsort gelten freilich keine besonderen Maßstäbe, die gerade die Drittstaatsansässigkeit des Arbeitgebers beachten würden. Arbeitnehmer, die von ihrem drittstaatsansässigen Arbeitgeber nur vorübergehend in die EU entsandt wurden, gewinnen auch über Abs. 2 keinen Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsorts, weil eine nur vorübergehende Entsendung eben keinen gewöhnlichen Arbeitsort begründet. Dies wird nicht durch besondere, zur EU weisende Schutzüberlegungen überspielt. Dagegen kann Abs. 2 bei näherer Betrachtung nur mit geringem wirklich eigenständigem Gehalt auf den Gerichtsstand der einstellenden Niederlassung aus Abs. 1 lit. b ii) verweisen. Denn Abs. 2 kann nur dann einen Gerichtsstand gegen drittstaatstaatsansässige Arbeitgeber eröffnen, wenn der Anknüpfungspunkt des betreffenden Zuständigkeitstatbestands konkret in der EU belegen ist. Damit eine Verweisung des Abs. 2 auf Abs. 1 lit. b ii) sinnvoll wird, wäre es zwingend nötig, dass die einstellende Niederlassung des Arbeitgebers in der EU liegt. Eine einstellende Niederlassung muss begriffsnotwendig eine Niederlassung sein, gleich ob man dafür die Maßstäbe des Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO anlegt oder nicht. Eine einstellende Niederlassung in der EU wäre also notwendig eine Niederlassung in der EU. Hat ein drittstaatsansässiger Arbeitgeber aber eine Niederlassung in der EU, so fingiert Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, dass er für Streitigkeiten aus dem Betrieb dieser Niederlassung seinen Wohnsitz in der EU hat und unter das europäische Regime fällt. Eine einstellende Niederlassung muss 398 Vgl. Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 85. 399 Zilinsky, NIPR 2014, 3, 4. Ein gutes Beispiel ist Hof Amsterdam, NIPR 2018 Nr. 180 S. 433: Arbeitnehmer mit gewöhnlichem Arbeitsort in Amsterdam verklagt dort seinen in Marokko ansässigen Arbeitgeber. 400 Nord, JCP S No. 52, 23 décembre 2014, S. 22, 24. 401 Entgegen Nord, JCP S No. 52, 23 décembre 2014, S. 22, 24. 402 Siehe nur LAG Düsseldorf, BeckRS 2017, 110381 Rz. 39. 403 Abele, FA 2013, 357, 359 spricht ungenau davon, dass die Gerichtsstände des Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu jenen des gewöhnlichen Arbeitsortes und der einstellenden Niederlassung hinzuträten. 404 Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 85 f.; Lhernould, JCP S 2019.1009 = JCP S N° 1–2, 15 janvier 2019, 50. Beispielsfall Cass. soc., JCP S 2019.1009 = JCP S N° 1–2, 15 janvier 2019, 50 m. Anm. Lhernould: Masseur und Kinesiotherapeut des AS Monaco arbeitet auf Trainingsgelände des Clubs in La Turbie (Frankreich).
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Art. 21 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitgeber einstellen. Gleich wie man „Einstellen“ verstehen will, es muss jedenfalls einen Bezug zu dieser Niederlassung geben, denn anderenfalls wäre diese Niederlassung ja keine einstellende Niederlassung, sondern nur eine Niederlassung, die sogar keine relevante Berührung mit dem Arbeitsverhältnis hätte. Hat der drittstaatsansässige Arbeitgeber eine einstellende Niederlassung in der EU, so hat er also nach Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO seinen Wohnsitz in der EU. Damit ist aber der Gerichtsstand des Wohnsitzes aus Abs. 1 lit. a eröffnet,405 und zwar im Staat der einstellenden Niederlassung.406 107
Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. b ii) verweist also grundsätzlich auf dasselbe Merkmal, auf das bereits Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO verweist. Nun schließt Abs. 1 lit. a nicht aus, dass neben ihm gleichzeitig eine Verweisung auf Art. 1 lit. b Brüssel Ia-VO erfolgen könnte. Wirklich eigenständige Bedeutung hat Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. b ii) aber neben Abs. 1 lit. a primär, indem er auch die örtliche Zuständigkeit mitregelt, während Abs. 1 lit. a es bei einer Regelung allein der internationalen Zuständigkeit belässt und die örtliche Zuständigkeit seinerseits nicht regelt.
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Denkbar wäre auch, dass die wohnsitzfingierende Niederlassung des drittstaatsansässigen Arbeitgebers aus Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nicht den in Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO vorausgesetzten Bezug zwischen dem Betrieb dieser Niederlassung und der Streitigkeit aufweist.407
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Hat der Arbeitgeber mit Sitz in einem Drittstaat neben der wohnsitzfingierenden Niederlassung (Art. 20 Abs. 2 Brüssel Ia-VO) eine weitere Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat als jenem der ersten Niederlassung, so ist im Ausgangspunkt der – in Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ausdrücklich vorbehaltene – allgemeine Niederlassungsgerichtsstand aus Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO eröffnet, wenn die Streitigkeit den notwendigen Bezug zum Betrieb dieser zweiten Niederlassung aufweist.408 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. b lit. ii) kommt dann eigentlich nur ins Spiel, wenn die erste, insgesamt wirtschaftlich bedeutsamere Niederlassung nicht die einstellende Niederlassung ist.409
VI. Rechtsnachfolge auf Arbeitnehmerseite 110
Tritt der Arbeitnehmer seine Ansprüche gegen den Arbeitgeber an einen Dritten ab (z.B. an seine Hausbank zur Absicherung persönlicher Kredite) oder gehen diese Ansprüche im Wege der Legalzession auf einen Dritten über (z.B. in Deutschland nach § 115 SGB X auf einen Sozialversicherungsträger410), so ist fraglich, ob dem Dritten die Gerichtsstände aus Art. 23 Brüssel Ia-VO offenstehen.411
111
Werden Forderungen eines Verbrauchers abgetreten, so steht dem Zessionar Art. 18 Brüssel Ia-VO nicht offen.412 Bei Verbrauchern wird eine persönliche Begünstigung der Schutzperson angenommen, die einem Zessionar nicht zugute kommt. Dieser Gedanke ließe sich auf das Schutzregime für Arbeitnehmer durchaus übertragen,413 zumal Art. 20–23 Brüssel Ia-VO soweit wie möglich die bewusste Parallele zu Art. 17–19 Brüssel Ia-VO suchen. Dann wäre auch nicht danach zu differenzieren, ob der Zessionar seinerseits Arbeitnehmer (zumal nur Arbeitnehmer des jeweiligen Arbeitgebers, 405 Ebenso Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 141; wohl auch Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 21 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 10. 406 LAG Düsseldorf, BeckRS 2017, 110381 Rz. 39 spricht von einem Gerichtsstand der (Zweig-)Niederlassung und spielt damit die Wohnsitzfiktion terminologisch herunter. 407 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 142. 408 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 140. 409 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 144. 410 Däubler, NZA 2003, 1297, 1299; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 303. 411 Dagegen Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 19 EuGVVO Rz. 16; Schlosser, JZ 2004, 409; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 19 EuGVVO Rz. 4, Art. 20 EuGVVO Rz. 22 (2005); Lorenz/Unberath, FS Schlosser (2005) 513, 518; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 18 EuGVVO Rz. 18; Neumayr/Geroldinger/Garber, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 44. 412 EuGH v. 19.1.1993 – C-89/91, ECLI:EU:C:1993:15 – Shearson Lehman Hutton, Inc vs. TVB Treuhandgesellschaft mbH, EuGHE 1993 I 139, 188 Rz. 23; EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. Karl Heinz Henkel, EuGHE 2002, I 8111, 8138 Rz. 33 f. 413 Dafür Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 19 EuGVVO Rz. 22 (2005); Wieczorek/ Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 145–147 sowie im Ergebnis Abele, FA 2013, 357, 360. A.A. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 19 EuGVVO Rz. 16.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 21 Brüssel Ia-VO
nicht überhaupt irgendeines beliebigen Arbeitgebers in Betracht kommen dürften) ist oder nicht.414 Die Abtretung an einen Arbeitskollegen würde nicht privilegiert. Allerdings soll wegen perpetuatio fori eine Ausnahme zu der Übertragung bestehen, wenn die Rechtsnachfolge erst nach Erhebung der Klage eintritt.415 Andererseits knüpft Art. 21 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO nicht an den Wohnsitz der Schutzperson an, sondern an eine Art Erfüllungsort unter dem Arbeitsverhältnis (allerdings ohne dass er Raum für Erfüllungsortsvereinbarungen welcher Couleur auch immer ließe416). Der Anknüpfungspunkt ist sachbezogen, nicht personenbezogen und garantiert dem Arbeitnehmer keinen Klägergerichtsstand. Insoweit ist der gewählte Mechanismus im entscheidenden Detail anders. Dies spricht dafür, dem Zessionar den Gerichtsstand nach Art. 21 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO zu eröffnen, ebenso wie man dem Zessionar einer normalen Vertragsforderung den Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO eröffnen würde.417 So vermeidet man auch eine Differenzierung danach, ob der Arbeitnehmer den Anspruch bereits vor der Abtretung einzuklagen begonnen hat oder nicht418 (und des Weiteren danach, welches Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer als etwaiger Prozessstandschafter genießen könnte).419
112
Jedenfalls abzulehnen ist eine Differenzierung danach, ob der Zessionar seinerseits Arbeitnehmer ist oder nicht.420 Denn der Zessionar erhält die abgetretenen Ansprüche in keinem Fall spezifisch in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer; Arbeitnehmer ist er nämlich nur in Bezug auf sein individuelles Arbeitsverhältnis zu seinem Arbeitgeber. Ein weiteres Argument ist die auch insoweit fortzuführende Parallele zum Verbraucherprozessrecht: Dort ist autoritativ festgestellt, dass das Jurisdiktionsprivileg nicht auf einen Verbraucher als Zessionar übergeht.421 Die Addition zweier Verbrauchereigenschaften (jener des Zedenten und jener des Zessionars) reicht nicht,422 wenn man konsequent auf den Zeitpunkt des ursprünglichen Vertragsschlusses und den ursprünglichen Vertragspartner abstellt.423 Geschützt wird relativ im Vertragsverhältnis.424
113
Auch eine Gewerkschaft, die Ansprüche ihrer Mitglieder im eigenen Namen einklagt, kann sich Art. 21 Brüssel Ia-VO nicht zunutze machen.425
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VII. Rechtsnachfolge auf Arbeitgeberseite Der Wortlaut der Art. 20–23 Brüssel Ia-VO ließe zu, „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ als Festlegungen auf die betreffenden Personen zu begreifen und deshalb bei Rechtsnachfolge auf Seiten des Arbeitgebers Art. 20–23 Brüssel Ia-VO für nicht anwendbar zu erachten, stattdessen das allgemeine Regime der Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO anzuwenden. Dies hieße, dass der Arbeitgeber den Schutzmechanismus zugunsten des Arbeitnehmers durch Abtretung oder durch Vertragsübernahme eines Dritten aushebeln könnte. Das ist teleologisch nicht zuzulassen.426 414 Abele, FA 2013, 357, 360. 415 Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 18 EuGVVO Rz. 20; Neumayr/Geroldinger/Garber, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 44.1; Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 149. 416 Winterling, 28–30; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 223; Mankowski, EuZA 2017, 267, 274; Wieczorek/Schütze/ Temming, Rz. 14. 417 Schlosser, JZ 2004, 409; S. Lorenz/Unberath, FS Schlosser (2005) 513, 518; Mankowski, AR-Blattei SD 160.5.5 Rz. 281 (2007); Winterling, 53. A.A. Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 147 f. 418 Däubler, NZA 2003, 1297, 1299. 419 Mankowski, AR-Blattei SD 160.5.5 Rz. 282 (2007). 420 Mankowski, AR-Blattei SD 160.5.5 Rz. 283 (2007). Für eine solche Differenzierung aber Schlosser/Hess/ Schlosser, Rz. 3; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 19 EuGVVO Rz. 22 (2005). 421 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems/Facebook Ireland Ltd. Rz. 44–46. 422 A.A. D. Paulus, ZZP Int 21 (2016) 199, 228 f. m.w.N. 423 Mankowski, EWiR 2018, 351, 352. 424 GA Bobek, Schlussanträge v. 14.11.2017 in der Rs. C-498/16, ECLI:EU:C:2017:863 Rz. 84–86. 425 Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 46 (2016). 426 Fasching/Konecny/Simotta, Art. 19 EuGVVO Rz. 40; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 18 EuGVVO Rz. 17; Abele, FA 2013, 357, 360; Basler Komm LugÜ/Meyer/Stojiljkovic´, Art. 18 LugÜ Rz. 35; Neumayr/Geroldinger/Gar-
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Art. 22 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitnehmer; Widerklage 116
Art. 20–23 Brüssel Ia-VO gelten auch dann, wenn die Möglichkeit einer Rechtsübertragung gesetzlich vorgesehen und eingeräumt ist.427 Sie gelten sogar dann, wenn die Verfügungsbefugnis von Gesetzes wegen wechselt: Klagt ein Insolvenzverwalter über das Vermögen des Arbeitgebers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (sei es auch wegen eines insolvenzbedingten Sonderkündigungsrechts) auf Rückgabe von Arbeitsmitteln, so kann er dies nur im Gerichtsstand des Art. 22 Brüssel Ia-VO am Wohnsitz des Arbeitnehmers.428 Verklagt umgekehrt der Arbeitnehmer den Insolvenzverwalter auf Erteilung eines Arbeitszeugnisses, so stehen ihm alle Gerichtsstände des Art. 21 Brüssel Ia-VO offen.429
VIII. Abweichungen unter LugÜbk 2007 117
Art. 19 LugÜbk 2007 spiegelt den Stand wider, den Art. 19 Brüssel I-VO erreicht hatte. In ihm finden sich die Neuerungen noch nicht, welche der Reformprozess hin zur Brüssel Ia-VO mit sich gebracht hat. Dies betrifft in der Sache zuvörderst Art. 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Die Erweiterung auf Klagen des Arbeitnehmers gegen Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem Drittstaat hat noch nicht stattgefunden. Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem Nichtvertragsstaat des LugÜbk 2007 sind nur dann gerichtspflichtig unter Art. 19 LugÜbk 2007, wenn sie eine Niederlassung in einem Vertragsstaat haben und deshalb Art. 18 Abs. 2 LugÜbk 2007 eingreift, der diese Niederlassung für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb einem Wohnsitz in dem betreffenden Vertragsstaat gleichstellt.
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Redaktionell hat Art. 21 Brüssel Ia-VO eine Umnummerierung bewirkt: Art. 19 Nr. 1 LugÜbk 2007 entspricht Art. 21 lit. a Brüssel Ia-VO, Art. 19 Nr. 2 lit. a LugÜbk 2007 entspricht Art. 21 lit. b i) Brüssel Ia-VO, Art. 19 Nr. 2 lit. b LugÜbk 2007 entspricht Art. 21 lit. b ii) Brüssel Ia-VO. Sachliche Änderungen sind damit nicht verbunden. Die Gerichtsstände für Klagen des Arbeitgebers und die Regel über Gerichtsstandsvereinbarungen sind unverändert geblieben, nur die Nummerierung hat sich verschoben.
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Beim gewöhnlichen Arbeitsort scheint die base rule, die Anknüpfung an den Ort, von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, im Wortlaut des Art. 19 Nr. 2 lit. a LugÜbk 2007 zwar nicht auf. Der EuGH hat die base rule jedoch bereits im Wege der Interpretation in Art. 6 Abs. 2 lit. a EVÜ, der seinerseits Art. 19 Nr. 2 lit. a Brüssel I-VO entsprach, hineingelesen.430 Überträgt man diese Rechtsprechung getreulich auf das LugÜbk 2007, so besteht trotz unterschiedlichem Wortlaut keine Differenz in der Sache. Zudem geht die base rule schon auf Rechtsprechung zu Art. 5 Nr. 1 S. 2 EuGVÜ zurück.431
Artikel 22 [Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitnehmer; Widerklage] (1) Die Klage des Arbeitgebers kann nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat. (2) Die Vorschriften dieses Abschnitts lassen das Recht unberührt, eine Widerklage vor dem Gericht zu erheben, bei dem die Klage selbst gemäß den Bestimmungen dieses Abschnitts anhängig ist.
427 428 429 430 431
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ber, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 45; Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 143 sowie Geimer/ Schütze/D. Paulus, Rz. 14 (2016). Abele, FA 2013, 357, 360. Abele, FA 2013, 357, 360; Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 143. Abele, FA 2013, 357, 360. EuGH v. 15.3.2011 – C-29/10, ECLI:EU:C:2011:151 Rz. 48 f. – Heiko Koelzsch vs. Großherzogtum Luxemburg; EuGH v. 15.12.2011 – C-384/10, ECLI:EU:C:2011:842 Rz. 38 f. – Jan Voogsgeerd vs. Navimer SA. Oben Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 18 (Mankowski).
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Kap. II: Zuständigkeit I. Grundsätzlich ausschließlicher Passivgerichtsstand im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsstand im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort oder am Ort der einstellenden Niederlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfolglose Änderungsinitiative der Niederlande 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Art. 22 Brüssel Ia-VO
II. Widerklagegerichtsstand als Ausnahme . 1. Prozessökonomie . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erweiterung auch auf Widerklagen des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konnexität, insbesondere in Konzernsachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . .
. . 14 . . 14 . . 16 . . 17 . . 22
. 10
Schrifttum: Brinkmann, Zum Zusammenhang zwischen Klage und Widerklage im europäischen Zivilprozessrecht, IPRax 2019, 501; Espiniella Menéndez, La reconvención en los litigios sobre contractos internacionales de trabajo, Cuad Der Trans 11 (2) (2019) 604; Junker, Widerklage mit abgetretener Forderung im Internationalen Zivilprozessrecht, EuZA 2018, 401; Wilke, Auf Umwegen zurück zum Wortlaut: Der EuGH zur Widerklage, GPR 2018, 283; de Wind, Vergissing van de rechter in uw vordeel – Art. 22 lid 1 EEX-verordening in de praktijk, ArbeidsRecht 2/2007, 3.
I. Grundsätzlich ausschließlicher Passivgerichtsstand im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers 1. Gerichtsstand im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers Art. 22 Brüssel Ia-VO regelt abschließend die Zuständigkeit für Klagen des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer (aber nicht gegen Rechtsnachfolger des Arbeitnehmers; gegen diese greifen vielmehr Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO1). Klage meint alle einschlägigen Rechtsdurchsetzungsformen des nationalen Rechts.2 Der Arbeitgeber hat grundsätzlich nur den internationalen Gerichtsstand im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers.3 Besondere Gerichtsstände stehen ihm nicht zur Verfügung.4 Er hat kein Wahlrecht.5 Optionen sind abgeschnitten, und der Wohnsitzgerichtsstand ist alternativlos.6 Allerdings vermag eine rügelose Einlassung des Arbeitnehmers einen Gerichtsstand unter Art. 26 Brüssel Ia-VO zu schaffen, wie insbesondere Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO belegt.7 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Rüge ist in Deutschland nach dem BAG der erste Kammertermin,8 richtigerweise aber schon der Gütetermin als integrierter Teil des Verfahrens.9
1
Der Anknüpfungspunkt des Art. 22 Brüssel Ia-VO ist derselbe wie in Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO10 2 und ist nch den dortigen allgemeinen Maßstäben auszufüllen.11 Er gewinnt aber ausschließlichen Charakter. Insoweit folgt Art. 22 Brüssel Ia-VO dem Vorbild des Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Er etabliert aus Schutzgründen den Passivgerichtsstand im Wohnsitzstaat der beklagten schwächeren Partei. Die ratio gebietet eigentlich auch eine Erstreckung auf vom Arbeitgeber begehrten einstweiligen Rechtsschutz und einen Ausschluss des Art. 35 Brüssel Ia-VO.12 1 Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 9 (2016). 2 OGH, ecolex 2015/390, 892 = DRdA 2016/7, 55 m. Anm. Burger = RdW 2016/90, 124; Ktg. Eindhoven, JAR 2005/38; Rb’s Hertogenbosch, sector kanton, locatie ’s-Hertogenbosch, NIPR 2005 Nr. 358 S. 468. 3 Siehe nur Mahinga, D 2005, 1332, 1335. 4 Krebber in AR: Kommentar zum gesamten Arbeitsrecht (7. Aufl. 2015) Art. 3, 8, 9 Rom I-VO Rz. 26. 5 Trib. Sup., AEDIPr 2007, 961, 962 m. Anm. Asín Cabrera. 6 Nord, JCP S No. 52, 23 décembre 2014, S. 22, 23; Junker, EuZA 2018, 401, 402. 7 Siehe nur Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 47. 8 BAGE 127, 111; BAG, NZA-RR 2010, 604, 607; Temming, EuZA 2009, 413, 415 f. 9 Mankowski, AP H 1/2009 Nr. 1 zu VO Nr. 44/2001/EG Bl. 4R. 10 Kropholler/von Hein, Art. 20 EuGVO Rz. 1; Lavelle in Lavelle (Hrsg.), The Maritime Labour Law Convention 2006 (2014) Rz. 9.40; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 1. 11 Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 10 (2016). 12 Für Anwendung des Art. 35 Brüssel Ia-VO jedoch, weil bei Anspruchsgefährdung auch der Arbeitgeber schutzwürdig sei, Garber, Einstweiliger Rechtsschutz nach der EuGVVO (2011) 121; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 7.
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Art. 22 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitnehmer; Widerklage 3
Hat der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz nicht im Forumstaat, aber in einem andern Mitgliedstaat, so scheitert die Klage mangels internationaler Zuständigkeit.13 Die örtliche Zuständigkeit auszufüllen bleibt bei gegebener internationaler Zuständigkeit dem nationalen Prozessrecht des Wohnsitzstaates überlassen.14 Liegt der Wohnsitz des Arbeitnehmers nicht in einem Mitgliedstaat, so ist Art. 22 Brüssel Ia-VO nicht anwendbar, sondern über Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO das nationale Recht.15
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Der Wohnsitz ist über Art. 62 Brüssel Ia-VO zu bestimmen,16 wobei sich in seltenen Ausnahmefällen das Problem ergeben kann, dass verschiedene Staaten einen Wohnsitz für den Arbeitnehmer nach ihrem jeweils eigenen Recht bejahen.17 Stichregel ist dann Art. 62 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, der für einen Wohnsitz im Forumstaat entscheiden und genügen lässt, dass der Forumstaat einen solchen aus seiner Sicht inländischen Wohnsitz bejaht. Maßgeblich ist der Wohnsitz bei Klagerhebung,18 nicht derjenige bei Vertragsabschluss oder bei Vertragsbeendigung.19
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Praktisch hat Art. 22 Brüssel Ia-VO zumindest in Deutschland nur geringe Relevanz,20 denn mehr als 97 % aller arbeitsrechtlichen Streitigkeiten sind hierzulande Klagen des Arbeitnehmers.21
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Art. 22 Brüssel Ia-VO gilt nicht für Klagen gegen öffentliche Einrichtungen oder staatliche Stellen auf Zustimmung zu Kündigungen, z.B. unter dem niederländischen BBA22 oder nach §§ 17 Abs. 2 MuSchG; §§ 168, 174 SGB IX; § 18 Abs. 1 BEEG; § 5 PflegeZG; § 18 KSchG; § 10 Abs. 1 BVSG NW.23 Dabei handelt es sich um hoheitliche Tätigkeit des Staates (in Deutschland um privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte), die über Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO aus der Brüssel ia-VO insgesamt herausfällt.24 Dagegen bleibt Art. 22 Brüssel Ia-VO für nachlaufende Streitigkeiten nach dem Ende eines Arbeitsverhältnisses.25 2. Kein Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort oder am Ort der einstellenden Niederlassung
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Art. 22 Abs. 1 Brüssel Ia-VO etabliert nicht etwa einen speziellen Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort oder am Ort der einstellenden Niederlassung; vielmehr begründet er nur am Wohnsitz des Arbeitnehmers einen prinzipiell (vorbehaltlich Abs. 2) ausschließlichen Gerichtsstand.26 Es besteht keine Parallele zu den Gerichtsständen des Art. 21 Brüssel Ia-VO.27 Die Gerichtsstände für Klagen des Arbeitnehmers einerseits und für Klagen gegen den Arbeitnehmer andererseits laufen bewusst auseinander. Es erfolgt eine Spaltung des Zuständigkeitsregimes nach den Parteirollen.28 Dem Arbeit13 Hof Arnhem, NIPR 2013 Nr. 55 S. 126 (Art. 20 Brüssel I-VO zudem in erweiternden vertraglicher Qualifikation auch auf konkurrierende Deliktsansprüche angewandt). 14 Siehe nur Junker, NZA 2005, 199, 202; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 20 EuGVVO Rz. 2 (2005); Kengyel, FS Gottwald (2014) 315, 320; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 3; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 1. 15 Trib. lav Madrid, Span. Yb Int L XIII (2007), 426, 427 f.; Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 22 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 1; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 3.1. 16 Siehe nur Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 1 m.w.N. Anders nur Rb. Groningen, NIPR 2010 Nr. 350: Einigkeit der Parteien über den Wohnsitz ausreichend. 17 Mosconi, Riv. dir. int. priv. proc. 2003, 5, 22; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 2. 18 Siehe nur Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 1. 19 Siehe nur Junker, NZA 2005, 199, 202; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 1; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 1. 20 Siehe als Anwendungsbeispiel immerhin LAG Schleswig-Holstein, LAGE Art. 30 EGBGB Nr. 9 S. 6. 21 Junker, FS Schlosser (2005) 299, 315; Junker, FS Kühne (2009) 735, 739; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 5 (2016); Mankowski, EuZA 2016, 244, 248. 22 Rb. Amsterdam, sector kanton, locatie Amsterdam, NIPR 2013 Nr. 238 S. 399. 23 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 2. 24 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 2. 25 Alfa Laval Tumba AB v. Separator Spares International Ltd. (in liquidation) [2012] EWCA Civ 1569, [2013] 1 WLR 1110, [2013] 2 All ER (Comm) 177 [16] (C.A., per Longmore L.J.). 26 Siehe nur Hof Amsterdam, NIPR 2005 Nr. 262 S. 354; Rb. Maastricht, sector kanton, locatie Heerlen NIPR 2008 Nr. 126 S. 213 f.; de Sousa Gonçalves in Estudos em Memória do Professor Doutor António Marques dos Santos (2005) 35, 53 f.; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6; Kindler, IPRax 2016, 115 (115); Neumayr/Geroldinger/ Garber, Rz. 1. 27 Koppenol-Laforce/X. E. Kramer, NTBR 2003, 202, 206; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 2; Sinay-Cytermann, Mélanges en l’honneur de Paul Lagarde (2005) 737, 740.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 22 Brüssel Ia-VO
nehmer wird zwar zugemutet, an einem von seinem Wohnsitz abweichenden gewöhnlichen Arbeitsort selber zu klagen. Ihm wird aber nicht zugemutet, an einem solchen Ort eine Klage des Arbeitgebers gewärtigen zu müssen.29 Dem daraus resultierenden Drohpotential soll er sich nicht ausgesetzt sehen. Darin liegt eine bewusste Begünstigung des Arbeitnehmers.30 Umso weniger steht dem Arbeitgeber gegebenenfalls eine Klage am Ort einer eigenen Niederlassung, welche den Arbeitnehmer einstellt, offen.31 Die Regelung ist durchaus sachgerecht,32 denn dem Arbeitgeber wird eine Klage am Wohnsitz des Ar- 8 beitnehmers recht sein: Er wird Geldansprüche durchzusetzen trachten, und eine Klage dort wird ihm ein Vollstreckungsverfahren in einem anderen Staat ersparen.33 Vollstreckungsnähe ist für den Arbeitgeber der Zuckerguss über der bitteren Pille des ausschließlichen Passivgerichtsstands.34 Im Normalfall des lokal tätigen Arbeitnehmers werden Wohnsitz und gewöhnlicher Arbeitsort indes zusammenfallen. Bei Grenzgängern fallen sie allerdings auseinander.35 Ebenso fallen sie auseinander, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung eines im Ausland erfüllten Arbeitsvertrages wieder in sein Heimatland zurückgekehrt ist.36 Die Nationalität der Beteiligten ist unerheblich.37 Art. 22 Brüssel Ia-VO hat den impliziten Nachteil, dass das anwendbare Recht in den Divergenzfällen forumfremd sein wird.38 Er verwirklicht kein Gleichlaufprinzip.39
9
3. Erfolglose Änderungsinitiative der Niederlande 2002 Abs. 1 war Ende 2002 Gegenstand eines von den Niederlanden eingebrachten Nachbesserungsverlan- 10 gens.40 Das Verlangen zielte darauf, dem Arbeitgeber eine Klage auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses auch in den Gerichtsständen des heutigen Art. 21 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO zu erlauben. In den seinerzeitigen Art. 20 Brüssel Ia-VO sollte ein neuer Abs. 1a eingefügt werden: „Die Klage des Arbeitgebers auf Auflösung eines Arbeitsvertrags kann ferner vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, oder, wenn er seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Land verrichtet, vor dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem sich die Niederlassung, die ihn eingestellt hat, befindet.“ Dies hätte Bedeutung insoweit, als nach dem materiellen Recht einiger Mitgliedstaaten ein Auf- 11 lösungsantrag an das Gericht nötig ist, wenn der Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis beenden will.41 Eine Pflicht des Arbeitgebers, einen solchen Antrag im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers zu stellen, 28 Junker, FS Gottwald (2014) 293, 295. 29 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1; Müller, 84 sowie Harris (2001) 20 CJQ 218, 221; Gottwald in MünchKomm/ ZPO Rz. 1. 30 Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 332; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 2. 31 Vlas/Zilinsky, WPNR 6650 (2007), 337, 342; Junker, FS Gottwald (2014) 293, 295; vgl. Hof Arnhem, NJF 2006 Nr. 222. 32 Kritisch dagegen Behr, GS W Blomeyer (2004) 15, 26; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 316 f.; Junker, NZA 2005, 199, 202. 33 Vgl. Mankowski, MMR-Beilage 7/2000, 22, 32 (zum parallelen Art. 14 Abs. 2 EuGVÜ). 34 Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 18. 35 Ebenso Graf-Schimek, ÖJZ 2010, 245 f.; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 2. 36 Mosconi, Riv. dir. int. priv. proc. 2003, 5, 23. 37 Hof Arnhem, NIPR 2006 Nr. 132 S. 199. 38 Junker, FS Schlosser (2005) 299, 317; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 2. 39 Vlas in Voorkeur voor het lex fori – Symposium ter gelegenheid van het adscheid van prof. mr. Th.M. de Boer (2003) 181, 188 f.; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 3; praktisch Hof Arnhem, NIPR 2006 Nr. 132 S. 199. 40 Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2002 C 311/16; ebenso Polak in Meeusen/Pertegás/Straetmans (Hrsg.), Enforcement of International Contracts in the European Union: Convergence and Divergence between Brussels I and Rome I (Antwerpen 2004) 323, 326. 41 ErwGr. 3 Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2002 C 311/16; Grusˇic´ (2012), 61 ICLQ 91, 124 f.; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 6.
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Art. 22 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitnehmer; Widerklage könnte zu einer Rechtsverweigerung führen, wenn das Gericht im Wohnsitzstaat mit einem solchen Antrag nichts anzufangen wisse.42 Die Gerichte am gewöhnlichen Arbeitsort hätten einen besonders engen Bezug und generell die besten Möglichkeiten, Informationen einzuholen; außerdem bestehe die Chance auf einen Gleichlauf von forum und ius.43 Zumindest wären anderenfalls schwierige Fragen des IPR, namentlich Anpassungsfragen, zu gewärtigen.44 Dem mag man Waffengleichheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils in der Rolle als Kläger hinzufügen.45 Außerdem wäre der gewöhnliche Arbeitsort das natürliche Zentrum des Arbeitsverhältnisses.46 12
Der niederländischen Initiative war jedoch kein Erfolg beschieden. Sie ist gescheitert.47 Den Todesstoß versetzte der niederländischen Initiative die Ablehnung durch das Europäische Parlament. Es forderte die Niederlande auf, die Initiative zurückzunehmen.48 Der Bericht von Wallis im Ausschuss für Recht und Binnenmarkt hielt die Initiative nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Nizza für unzulässig, weil Art. 251 EGV keine Initiative eines Mitgliedstaates vorsah.49 Auch der Wirtschaftsund Sozialausschuss stand der Initiative ablehnend gegenüber. Er hielt die gerichtliche Auflösungsklage des Arbeitgebers für einen Sonderfall in wenigen Rechtsordnungen.50 Eventuelle Schwierigkeiten empfahl er durch Vereinbarung der Parteien zu lösen, insbesondere in dem von Art. 23 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zugelassenen Rahmen.51 Ansonsten würde der Vorschlag schwerwiegende Folgen für den Arbeitnehmer zeitigen.52
13
Sachlich-inhaltlich ließ der Wallis-Bericht dagegen durchaus Sympathie für die Initiative erkennen. Er konnte sich Fälle vorstellen, in denen eine Klage am Wohnsitz auch nicht im Interesse des Arbeitnehmers liegen könnte, und dachte an eine Zustimmung des Arbeitnehmers zur Klage am gewöhnlichen Arbeitsort als zusätzliche Option.53 Jedenfalls wurde die Kommission aufgefordert, das mögli42 Vgl. ErwGr. 3 Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2002 C 311/16. Siehe auch Schriftliche Anfrage von B. Pronk u.a. an die Kommission vom 19.3.2002 und Antwort der Kommission vom 21.3.2002, ABl. EG 2002 C309E/47; Schriftliche Anfrage von M. Smet an die Kommission vom 29.5.2002 und Antwort der Kommission vom 10.7.2002, ABl. EG 2003 C92E/62. 43 ErwGr. 4 Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2002 C 311/16. 44 Junker, FS Schlosser (2005) 299, 317. 45 Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 124. 46 Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 124. 47 OGH, ecolex 2015/390, 892 = DRdA 2016/7, 55 m. Anm. Burger = RdW 2016/90, 124; Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481, 485; de Boer, Ned. Jur. 2005 Nr. 337 S. 2611, 2613; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 2; Wieczorek/ Schütze/Temming, Rz. 6. 48 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2.9.2003 zu der Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, P5_TA(2003)0353. 49 Bericht vom 9.7.2003 über die Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Berichterstatterin: Wallis, A5–0253/2003, 8 f. 50 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 29.10.2003 zu der Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, INT/167 – CESE 1401/2003 S. 3 = ABl. EU 2004 C 32/88. Kritisch dazu Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481, 485. 51 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 29.10.2003 zu der Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, INT/167 – CESE 1401/2003 S. 4 = ABl. EU 2004 C 32/88. 52 Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 29.10.2003 zu der Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, INT/167 – CESE 1401/2003 S. 4 = ABl. EU 2004 C 32/88.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 22 Brüssel Ia-VO
che Problem zu untersuchen.54 Letztlich scheiterte der Vorschlag an seiner arbeitgeberbegünstigenden Tendenz, welche mit der arbeitnehmerbegünstigenden Generaltendenz des europäischen Internationalen Arbeitsprozessrechts in Widerspruch stand.55
II. Widerklagegerichtsstand als Ausnahme 1. Prozessökonomie Einzige Durchbrechung der ausschließlichen Zuständigkeit im Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers ist nach Abs. 2 der Widerklagegerichtsstand des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO,56 der auch die örtliche und sachliche Zuständigkeit mitregelt.57 Abs. 2 durchbricht partiell die (gewollte) Asymmetrie zwischen den Gerichtsstandsoptionen des Arbeitgebers und jenen des Arbeitnehmers.58 Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber bereits verklagt, so darf dieser in dem vom Arbeitnehmer gewählten Forum den Gegenschlag der Widerklage59 führen.60 Für den Arbeitnehmer ist dies nicht unfair, da er ja durch seine Klage bereits Beziehungen zu diesem Forum hat, ja es selber unter den ihn zur Verfügung stehenden Optionen ausgewählt hat.61 Seine zuständigkeitsrechtliche Privilegierung für Klagen vermindert nicht die Verteidigungs- und Gegenangriffsmöglichkeiten des Arbeitgebers.62
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Damit obsiegt wie im Internationalen Versicherungs- und Verbraucherprozessrecht die Prozessöko- 15 nomie, die es erlaubt, das gesamte Rechtsverhältnis in Angriff und Gegenangriff umfassend aufzuarbeiten.63 Zwei Verfahren an zwei verschiedenen Orten wären aufwendiger und wenig prozessökonomisch,64 zudem würde Art. 29 Brüssel Ia-VO einem Gegenangriff des Arbeitgebers selbst am Wohnsitz des Arbeitnehmers eine Grenze ziehen, soweit sich die Streitgegenstände beider Verfahren überschneiden. Außerdem werden so konkurrierende Verfahren und die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen verschiedener Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten vermieden, ganz im Sinne der Zilesetzungen aus ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO.65
53 Bericht vom 9.7.2003 über die Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Berichterstatterin: Wallis, A5–0253/2003, 7 f. 54 Bericht vom 9.7.2003 über die Initiative des Königreichs der Niederlande im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Berichterstatterin: Wallis, A5–0253/2003, 8. 55 Garber, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 81, 90; Mankowski, EuZA 2016, 244, 250; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 6. 56 Siehe EuGH v. 22.5.2008 – C-462/06, ECLI:EU:C:2008:299 Rz. 22 – Laboratoires GlaxoSmithKline vs. JeanPierre Rouard; EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 Rz. 25–27 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida; Brinkmann, IPRax 2019, 501, 503. 57 Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 4.1; Espiniella Menéndez, Cuad. Der. Trans. 11 (2) (2019) 604, 606; Brinkmann, IPRax 2019, 501, 502. 58 Lhernould, JCP S 2019.1053 = JCP S N° 7, 19 février 2019, S. 42. 59 Der Begriff der Widerklage ist derselbe wie in Art. 8 Nr. 3 Büssel Ia-VO; EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI: EU:C:2018:478 Rz. 29 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida. 60 Siehe nur GA Bot, Schlussanträge v. 7.3.2018 in der rs C-1/17, ECLI:EU:C:2018:163 Rz. 23; Juárez Pérez, Orden social y litigios internacionales: competencia judicial (2002) 115; Mosconi, Riv. dir. int. priv. proc. 2003, 5, 23; Temming/Glatz, ZESAR 2019, 38, 39 sowie EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 Rz. 258 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida. 61 Zustimmend Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 5; ebenso Grusˇic´ (2012), 61 ICLQ 91, 100. Siehe auch Espiniella Menéndez, Cuad. Der. Trans. 11 (2) (2019) 604, 607. 62 Nourissat, Procédures octobre 2018, 27 sowie Temming/Glatz, ZESAR 2019, 38, 40. 63 Zustimmend Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 5; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 6; Temming/Glatz, ZESAR 2019, 38, 41. 64 Siehe EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 Rz. 29 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida. 65 Lhernould, JCP S 2019.1053 = JCP S N° 7, 19 février 2019, S. 42.
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Art. 22 Brüssel Ia-VO Gerichtsstände für Klagen gegen Arbeitnehmer; Widerklage 2. Erweiterung auch auf Widerklagen des Arbeitnehmers 16
Trotz des scheinbar nur für Widerklagen des Arbeitgebers geltenden Standorts in Art. 22 Brüssel IaVO ist Abs. 2 richtigerweise auch auf Widerklagen des Arbeitnehmers bei Klagen des Arbeitgebers anzuwenden.66 Ersichtlich ist eine Parallele zu Art. 16 Abs. 3 Brüssel Ia-VO sachgerecht und angemessen. Sogar der Wortlaut des Abs. 2 weist versteckt in dieselbe Richtung, indem er sich auf die Vorschriften des Abschnitts (also einschließlich Art. 21 Brüssel Ia-VO und damit der Klagen des Arbeitnehmers), nicht aber ausschließlich auf Abs. 1 bezieht. Abs. 2 ist nicht statusspezifisch.67 Hinzu tritt ein systematisches Argument: Abs. 2 hat u.a. Art. 12 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zum Vorbild. Dieser aber war in seiner Ursprungsfassung als Art. 11 Abs. 2 EuGVÜ als Übernahme des seinerzeitigen Art. 6 Nr. 3 EuGVÜ gedacht, der seinerseits nicht nach Parteirollen im Vertrag differenziert.68 Angemessen ist daher, Abs. 2 wie in Art. 12 Brüssel Ia-VO so zu lesen, als stünde in der Eingangsnorm des jeweiligen Abschnitts (also hier in Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) ein Vorbehalt zugunsten des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO.69 Systematisch sollte Abs. 2 ein Art. 20 Abs. 3 Brüssel Ia-VO sein.70 3. Konnexität, insbesondere in Konzernsachverhalten
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Anders als Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO stellt Abs. 2 kein ausdrückliches Konnexitätserfordernis auf. Ein Konnexitätserfordernis in Abs. 2 hineinzulesen71 erscheint denkbar, aber letztlich überflüssig: Für nicht-arbeitsvertragliche Ansprüche gilt Art. 8 Nr. 3; Brüssel Ia-VO und bei arbeitsvertraglichen Ansprüchen zwischen demselben Arbeitgeber und demselben Arbeitnehmer ist fehlende Konnexität kaum vorstellbar.72 Typischer Anwendungsfall des Abs. 2 ist die auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzung gerichtete Widerklage des Arbeitgebers bei Lohnklage des Arbeitnehmers.73 Obendrein ist kein sachlicher Grund zu erkennen, weshalb ausgerechnet bei einer Widerklage gegenüber einer typischerweise schwächeren Partei eine weniger voraussetzungsstrenge Zuständigkeit bestehen sollte.74 Ein zusätzliches Vorhersehbarkeitskriterium75 ist überflüssig, wenn man Konnexität verlangt, weil Vorhersehbarkeit bei gleichem Sachverhalt immer gegeben sein dürfte.76 Auf der anderen Seite bedingt Konnexität kein strengeres Erfordernis, dass Klag- und Widerklaganspruch notwendig und unbedingt auf denselben Vertrag gründen müssten.77
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Abtretungen zwischen Gesellschaft desselben Konzerns, die jeweils Arbeitgeber desselben Arbeitnehmers sind, stehen miteinander in zwei zusammenbindenden Kontexten, einmal übergeordnet dem
66 Kropholler/von Hein, Art. 20 EuGVO Rz. 2; Gaudemet-Tallon, 243; Behr, GS W Blomeyer (2004) 15, 39; Stein/ Jonas/G. Wagner, Art. 19 EuGVVO Rz. 3; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2; Nomos Komm GesArbR/Ulrici, Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 1, 5; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 5; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 14 (2016); Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 4; Musielak/Voit/A. Stadler, Rz. 1; Neumayr/ Geroldinger/Garber, Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 50; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 8, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 73–75 sowie Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 20 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 7 (allerdings offen gegenüber Zulassung des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO unter teleologischer Reduktion von Art. 20 Brüssel Ia-VO als anderem Weg). 67 Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 74. 68 Jenard-Bericht zu Art. 11. 69 Siehe Kropholler/von Hein, Art. 12 EuGVO Rz. 3. 70 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 20 EuGVVO Rz. 3; Art. 23 EuGVVO Rz. 3 (2005); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 6.1; Wieczorek/Schütze/Temming, Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 75. 71 Dafür Kropholler/von Hein, Art. 20 EuGVO Rz. 2; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 2; Czernich/Kodek/ Mayr/Czernich, Rz. 3; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 98; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 4 m.w.N.; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 7. Zweifelnd Behr, GS Wolfgang Blomeyer (2004) 15, 39. 72 Vgl. EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 Rz. 30 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 7. 73 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 20 EuGVVO Rz. 8 (2005); Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 4. 74 Wilke, GPR 2018, 283, 286. 75 Vgl. dahin ansatzweise EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 Rz. 33 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida. 76 GA Bot, Schlussanträge v. 7.3.2018 in der Rs. C-1/17, ECLI:EU:C:2018:163 Rz. 38; Wilke, GPR 2018, 283, 286. 77 Espiniella Menéndez, Cuad. Der. Trans. 11 (2) (2019) 604, 609.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 22 Brüssel Ia-VO
Konzernkontext, zum anderen konkret dem doppelten Arbeitsverhältnis. Die Arbeitsverhältnisse sind miteinander verflochten.78 Als Bestätigung drängt sich die hypothetische Frage auf, ob der Arbeitnehmer in den Genuss des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft aus Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO i.V.m. Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO kommen würde, wenn er beide Arbeitgeber zusammen verklagen würde. Denn Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO verlangt jedenfalls Konnexität, wenn auch anders formuliert. Was bei einer Klage konnex wäre, ist aber im Zweifel auch bei der Widerklage konnex, zumal beide Male Art. 30 Abs. 3 Brüssel Ia-VO als Dritter im Bunde hineinspielt. Was Mitarbeitgebern bei der Klage zum Nachteil gereicht,79 hat dann immerhin einen korrespondierenden Vorteil für sie bei der Widerklage.80 Arbeitnehmer mögen sich Klagen, insbesondere Kündigungsschutz- oder Abfindungsklage, gründlicher überlegen, wenn sie befürchten müssen, dass eine Widerklage des Arbeitgebers aus einem so abgetretenen Recht erfolgt.81 Der einzelne Arbeitgeber kann sich durch Zession von Forderungen anderer Arbeitgeber innerhalb des Konzerns einen Widerklagegerichtsstand gegen den betreffenden Arbeitnehmer verschaffen.82 Die anderen Arbeitgeber sind keine beliebigen Dritten, sondern Kooperationspartner, notwendig auch für die Abstimmung zwischen den mehrfachen Arbeitsverträgen hinsichtlich Arbeitspflichten, Vergütung, Urlaub, Dauer.83 Es wird mit einer solchen Abtretung nichts fraudulös erschlichen, indem man sich eine beliebige Forderung von einem beliebigen Dritten abtreten ließe.84
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Auf den Zeitpunkt der Abtretung sollte es nicht ankommen.85 Im Gegenteil wäre, wenn überhaupt, 20 die erst nach Erhebung der Arbeitnehmer-Klage erfolgende Abtretung eher inkriminiert als die vor jener Klagerhebung erfolgende. Der so eröffnete Widerklagegerichtsstand ist kein besonderer Schutzgerichtsstand mit einem persönlichen Privileg aufgrund besonderer Eigenschaft des Klagenden, so dass Überlegungen, dass ein aktiver Schutzgerichtsstand nicht als Folge einer Abtretung entstehen sollte,86 nicht einschlägig sind.87 Abs. 2 kommt eben dem Arbeitgeber entgegen und enthält keine spezifischen Beschränkungen.88 Die Abtretung einer Forderung durch eine Konzerngesellschaft, die nicht zugleich Arbeitgeber des Schuldners ist, kann dagegen grundsätzlich nicht ausreichen (anders mag es sich für Deliktsforderungen verhalten, wenn eine Konzerngesellschaft Arbeitsmaterial oder Arbeitsstätten zur Verfügung gestellt hat, obwohl sie nicht Arbeitgeber war).89 Selbst der Versuch, den Widerklagegerichtsstand insoweit vertraglich zu erweitern, wird in aller Regel an Art. 23 Brüssel Ia-VO scheitern.90
21
4. Weitere Einzelfälle Abs. 2 gestattet weder unionsrechtlich-autonom eine echte Drittwiderklage, noch eröffnet er dieser einen Gerichtsstand.91 Für parteierweiternde Widerklagen gilt Abs. 2 ebenso wenig wie Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO.92
78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92
GA Bot, Schlussanträge v. 7.3.2018 in der Rs. C-1/17, ECLI:EU:C:2018:163 Rz. 35. Siehe nur Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 6 (Mankowski); Mankowski, EuZA 2015, 358. Mankowski, EWiR 2018, 573, 574; Temming/Glatz, ZESAR 2019, 38, 41. EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 Rz. 30–34 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida; Mankowski, EWiR 2018, 573, 574; Junker, EuZA 2018, 401, 402. Junker, EuZA 2018, 401, 402; vgl. auch Lhernould, JCP S 2019.1053 = JCP S N° 7, 19 février 2019, S. 42, 43. Katalog möglicher Gegenargumente bei Espiniella Menéndez, Cuad. Der. Trans. 11 (2) (2019) 604, 612–614. Mankowski, EWiR 2018, 573, 574. Mankowski, EWiR 2018, 573, 574; Temming/Glatz, ZESAR 2019, 38, 40 f. EuGH v. 21.6.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:478 Rz. 33 – Petronas Lubricants Italy SpA vs. Livio Guida. EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Ltd. Mankowski, EWiR 2018, 573, 574. GA Bot, Schlussanträge v. 7.3.2018 – C-1/17, ECLI:EU:C:2018:163 Rz. 39. Mankowski, EWiR 2018, 573, 574. Mankowski, EWiR 2018, 573, 574; Temming/Glatz, ZESAR 2019, 38, 40 f. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 20 EuGVVO Rz. 8 (2005); Fasching/Konecny/Simotta, Art. 20 EuGVVO Rz. 6; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 20 EuGVVO Rz. 5; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 5. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 20 EuGVVO Rz. 5. Offener indes Brinkmann, IPRax 2019, 501, 504 f.
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Art. 23 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandvereinbarungen 23
Hauptbegehr und gegenläufiger einstweiliger Rechtsschutzantrag begründen auch kein ausreichendes Widerklageverhältnis.93
Artikel 23 [Zulässige Gerichtsstandvereinbarungen] Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden, 1. wenn die Vereinbarung nach der Entstehung der Streitigkeit getroffen wird oder 2. wenn sie dem Arbeitnehmer die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen. I. Grundsätzlicher Ausschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Ausnahmsweise Zulässigkeit . . . . . . . . . . 11 1. Nach Ausbruch einer Streitigkeit (Nr. 1) . . . 11
2. Zusätzlicher Gerichtsstand für den Arbeitnehmer (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3. Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . 32 III. Ausschließliche Prorogation eines Gerichts in einem Drittstaat . . . . . . . . . . . . . . . 33
Schrifttum: Derache/Didier, Contrat de travail international et juridiction compétente: modèles de clauses, JClP (S) 2011.1194 = JClP (S) N° 16–17, 19 avril 2011, 17 = JClP (E) 2011.1374 = JClP (E) N° 19, 12 mai 2011, 39; Mankowski, An der Grenze – Die Verteidigung des europäischen Internationalen Arbeitsprozessrechts gegen Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten drittstaatlicher Gerichte und das Internationale Zivilprozessrecht (IZPR) von Aktienoptionen im Konzern, EuZA 2008, 417L; Mankowski, Gerichtsstandsvereinbarungen in Tarifverträgen und Art. 25 EuGVVO, NZA 2009, 584; Temming, Beitragsklagen der Sozialkassen des Baugewerbes – Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Arbeitsgerichte, EuZA 2009, 413.
I. Grundsätzlicher Ausschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen 1
Das objektive Schutzregime zugunsten des Arbeitnehmers wäre nichts wert, wenn man ihm durch Gerichtsstandsvereinbarung im Arbeitsvertrag derogieren könnte. Eine Derogationsmöglichkeit wäre mit dem Charakter eines ausschließlichen Regimes nicht zu vereinbaren. Konsequenterweise reduziert daher Art. 23 Brüssel Ia-VO in Parallele zu Art. 19, 15 Brüssel Ia-VO – letztlich aus Gründen mitgliedstaatlicher öffentlicher Ordnung1 – die prozessuale Parteiautonomie2 und lässt eine Gerichtsstandsvereinbarung nur in zwei Ausnahmekonstellationen zu. Diese Ausnahmen entsprechen Art. 19 Nr. 1, 2 Brüssel Ia-VO. Jenseits dessen gibt es keine weiteren Ausnahmen. Wortlaut und Telos des Art. 23 Brüssel Ia-VO stützen einen eindeutigen Umkehrschluss.3
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Dagegen fehlt es an einer Übernahme von Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO.4 Der Arbeitgeber hat damit keine Möglichkeit, sich bei einem objektiv ursprünglich reinen Inlandsarbeitsverhältnis gegen einen Wohnsitzwechsel des Arbeitnehmers ins Ausland abzusichern.5 Andererseits wird dem Arbeitgeber verwehrt, sich einen prozesstaktischen Vorteil zu verschaffen, indem er zuerst den Gerichtsstand im
93 Rb. Almelo, sector kanton, locatie Enschede, NIPR 2009 Nr. 139 S. 241. Anders wohl Rb. Almelo, sector kanton, locatie Eindhoven, JAR 2005 Nr. 38. 1 Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [53]–[55], [2016] ILPr 51 (C.A., per Sales L.J.). 2 Siehe nur Sherdley v. Nordea Life and Pension SA [2012] EWCA Civ 88, [2012] 2 All ER Comm 725 [63] (C.A., per Rix L.J.); Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [19], [2016] ILPr 51 (C.A., per Moore-Bick L.J.); Mosconi, Riv. dir. int. priv. proc. 2003, 5, 23; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 1; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 1. 3 Mankowski, EuZA 2017, 267, 273. 4 Vgl. Trib. Sup., REDI 2004, 885 f. m. krit. Anm. Espiriella Menéndez: Klausel wirksam bei Ansässigkeit beider Parteien in Portugal, Arbeitsort und gewähltem Forum in Portugal. 5 Junker, ZZP Int 3 (1998) 179, 199; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 3.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 23 Brüssel Ia-VO
seinerzeit gemeinsamen Wohnsitzstaat vereinbaren lässt und den Arbeitnehmer danach in einer Weise ins Ausland entsendet oder versetzt, welche auch den Wohnsitz des Arbeitnehmers verändert.6 Vor Entstehung der konkreten Streitigkeit getroffene Gerichtsstandsvereinbarungen sind grundsätzlich wirkungslos. Der Arbeitgeber kann sich auf sie nicht berufen. Er kann insbesondere aus ihnen nicht ableiten, dass ein bestimmter Gerichtsstand für eine Klage des Arbeitnehmers ausgeschlossen sei. Sie entfalten gegen den Arbeitnehmer keinerlei Derogationswirkung. Art. 23 Brüssel Ia-VO soll Vereinbarungen verhindern, die eine Abwahl von Gerichtsständen ermöglichen und damit den Arbeitnehmerschutz praktisch konterkarieren.7 Dies mindert jedenfalls für informierte Arbeitnehmer den Abschreckungseffekt, den Gerichtsstandsvereinbarungen entfalten, und hält solche Arbeitnehmer nicht davon ab, zu klagen, weil sie subjektiv befürchteten, als Folge der Gerichtsstandsvereinbarung nur in einem für sie fremden und fernen Staat klagen zu können.8
3
Andererseits kann sich auch der Arbeitnehmer als Beklagter nicht darauf berufen, ein bestimmter, objektiv gegebener Gerichtsstand, in welchem der Arbeitgeber seine Klage verfolgt, sei durch die Vereinbarung derogiert.9 Man kann auch nicht nationales Recht auf dem Umweg über Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bei Wohnsitz des Arbeitgebers in einem Drittstaat wieder zum Zuge kommen lassen,10 weil sich dies an der Wertung des Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO und dem dortigen Verzicht auf ein Wohnsitzerfordernis bricht.11
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Unwirksam und wirkungslos ist namentlich eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung im ur- 5 sprünglichen Arbeitsvertrag.12 Denn der Arbeitsvertrag liegt grundsätzlich vor dem Entstehen jeder echten vertraglichen Streitigkeit. Daher kann er nicht unter Art. 23 Nr. 1 Brüssel Ia-VO fallen.13 Der Arbeitnehmer schenkt im Moment des Vertragsschlusses der Planung für zukünftige Streitigkeiten keine hinreichende Aufmerksamkeit, und bei Zulassung der Prorogation würde sich das Ungleichgewicht in Verhandlungsmacht und gestaltender Planungsmacht zwischen den Parteien niederschlagen.14
6 Raabe in Kodek/Rebhahn (Hrsg.), Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Arbeitsrechtsfragen (2007) 1, 19; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 3 sowie Pocar-Bericht, ABl. EG 2009 C 319/1 Rz. 90. 7 BAG, AP § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Nr. 23 Rz. 24; Yukos International UK BV, Yukos Capital Ltd., Yukos Hydrocarbons Investments Ltd. v. Dimitri Merinson [2018] EWHC 335 (Comm) [57], [2018] 2 WLR 1541 (Q.B.D., Judge Salter QC); Junker, NZA 2005, 199, 201; Mankowski, AR-Blattei SD 160.5.5 Rz. 310 (2007); Chwalisz, GWR 2011, 244. 8 Guez, Gaz Pal 7–11 août 2011, 5. 9 Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 2.1. 10 So aber Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1045. Siehe anders indes schon LAG Düsseldorf, IPRspr. 2017 Nr. 101 S. 183 Rz. 52–55. 11 Nord, JCP S No. 52, 23 décembre 2014, S. 22, 25. 12 Siehe nur EuGH v. 14.9.2017 – verb. Rs. C-168/16 u. C-169/16, ECLI:EU:C:2017:688 Rz. 54 – Sandra Nogueira u.a. vs. Crewlink Ltd., Miguel José Moreno Osacar vs. Ryanair Designated Activity Company; BAG, RIW 2014, 691, 692 Rz. 28 = AP Nr. 8 zu § 20 GVG = BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 741/13, IPRax 2015, 342; BAGE 158, 266 Rz. 60 = AP Nr. 11 zu § 20 GVG m. Anm. Winkler von Mohrenfels; Trib. Sup. AEDIPr 2007, 861 f. m. Anm. Asín Cabrera; Cass. soc., JCP G 1998 IV.1303; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 125, 126; Trib. Sup., REDI 2014–1, 277, 278 m. Anm. Carballo Piñeiro = AEDIPr 2013, 1069; Trib. Sup., AEDIPr 2013, 1070, 1071; Hof Amsterdam, NIPR 2005 Nr. 262 S. 354; CA Aix, DMF 2014, 873, 874 m. Anm. Chaumette; Hof Amsterdam, NIPR 2019 Nr. 171 S. 436; LAG Rheinland-Pfalz v. 8.10.2019 – 6 Sa 97/19 Rz. 70; Trib. Roma, Riv. dir. int. priv. proc. 2015, 620, 622 (unter Hinweis auf Cassaz. n 25761/2011; Cassaz. n 29093/2011; Cassaz. n 5872/2012; Cassaz. n 11140/2012); ArbG Bielefeld, IPRspr. 2008 Nr. 49 S. 163; TSJ Cataluña, REDI 2012–1, 205, 206 m. Anm. Carballo Piñeiro; C. Müller, 89; Gardeñes Santiago, REDI 2007–2, 331, 332; Graf-Schimek, ÖJZ 2010, 245, 246; Derache/Didier JCP S N° 16–17, 19 avril 2011, 17, 19; Mankowski, EuZA 2017, 267, 273; Fornasier in International Encyclopedia of Private International Law, Vol. 1: Entries A-H (2017) 624, 632; Wiede, FS Anton K Schnyder (2018) 455, 457 m.w.N. 13 Cass. soc., JClP (G) 1998 IV 1303; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2011, 431, 434; Hof Amsterdam, NIPR 2005 Nr. 262 S. 354; Rb. Maastricht, NIPR 2002 Nr. 110 S. 201; ArbG Bielefeld, IPRspr. 2008 Nr. 49 S. 163; Huet, Clunet 126 (1999) 195; Franzen, RIW 2000, 81, 82. 14 Layton/Mercer, Rz. 18.033; Fornasier in International Encyclopedia of Private International Law, Vol. 1: Entries A–H (2017) 624, 632.
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Art. 23 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandvereinbarungen 6
Zudem mag der Arbeitnehmer unter Druck stehen, dass er den Arbeitsplatz nur bekommt, wenn er der Gerichtsstandsvereinbarung als Teil eines Gesamtpakets zustimmt.15 Dies gilt auch, wenn nur der Gerichtsstand gewählt wird, der sich aus Art. 21 lit. a Brüssel Ia-VO ergibt,16 denn dies schneidet Art. 21 lit. b Brüssel Ia-VO ab; außerdem gibt es möglicherweise Veränderungen bei örtlicher und funktioneller Zuständigkeit.17
7
Allenfalls für Streitigkeiten aus vorvertraglichen Verhältnissen mag anderes gelten, wenn und soweit sie schon ausgebrochen sind, bevor der Arbeitsvertrag geschlossen wird. Freilich dürfte dies kaum praktisch werden.18 Es reicht für Art. 23 Nr. 1 Brüssel Ia-VO insgesamt nicht, dass die causa des Streits als solche vor dem Vertragsschluss liegt. Der Grund für den Streit ist nicht der Streit selbst.
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Versuche, den gewöhnlichen Arbeitsort per Vereinbarung festzulegen, sind bei internationalen Arbeitsverhältnissen, insbesondere wenn sie auf Flexibilität und Mobilität angelegt sind, nicht selten.19 Man könnte eine solche „Arbeitsortsabrede“ als eine Art besonderer Erfüllungsortabrede akzeptieren. Akzeptieren hieße: ihr in der Folge arbeitsort- und damit gerichtsstandsweisende Wirkung beizulegen. Der gewöhnliche Arbeitsort ist aber ein objektiv zu bestimmender Anknüpfungspunkt. Vertragliche Abreden können allenfalls ein Indiz sein. Anders als Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO räumt Art. 21 Abs. 1 lit. b i) Brüssel Ia-VO Parteiabreden keinen Vorrang ein.20 Insoweit besteht also ein fundamentaler Unterschied zu Erfüllungsortabreden bei „normalen“ Verträgen.21 Eine Abrede könnte den gewöhnlichen Arbeitsort in keinem Fall kontrafaktisch festlegen. Den Rahmen für gerichtsstandsweisende Abreden zieht Art. 23 Brüssel Ia-VO, und er zieht diesen Rahmen sehr eng.22
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Auch Gerichtsstandsvereinbarungen in Tarifverträgen können den einzelnen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht binden.23 Insbesondere vermögen sie ihm nicht ansonsten objektiv gegebene Gerichtsstände aus Art. 21 Brüssel Ia-VO zu nehmen.24 Tarifvertragliche Gerichtsstandsvereinbarungen dürfen dem Arbeitnehmer den Zugang zu den Gerichten nicht erschweren.25 Sie dürfen nicht zu Lasten des Arbeitnehmers als am Abschluss nicht beteiligten Dritten wirken.26 Da tarifliche Zusagen in das bestehende und anderweitig begründete Individualarbeitsverhältnis integriert sind, könnte man auch nicht argumentieren, der Tarifvertrag sei ein Vertrag zugunsten Dritter und der begünstigte Arbeitnehmer müsse die ihm aus jenem Vertrag erwachsenen Ansprüche genau so und unter den Kautelen nehmen, wie der Tarifvertrag sie schaffe. Bei einer Integration nimmt aber nicht das Integrierte seine Kautelen mit, sondern muss sich in die Kautelen des Integrierenden fügen. Der integrierende Teil regiert und schafft die Rahmenbedingungen.27 Für die Prorogation im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen zudem die „Parteien“ i.S.v. Art. 25 Brüssel Ia-VO und damit auch Art. 23 Brüssel Ia-VO: Es sind eben Arbeitgeber und Arbeitnehmer.28 Die Tarifvertragsparteien haben – schon mit Blick auf Nr. 1 – nichts mit Einzelfällen zu schaffen.29 15 Chwalisz, GWR 2011, 244; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 2; Fornasier in International Encyclopedia of Private International Law, Vol. 1: Entries A–H (2017) 624, 632. 16 Entgegen Trib. Sup., AEDIPr 2005, 740, 742. 17 Gardeñes Santiago, AEDIPr 2005, 742, 743. 18 Junker, FS Kühne (2009) 735, 740. 19 Siehe z.B. auch die Sachverhalte in Cass. soc., Bull. Joly Sociétés 2016, 250 note Laborde und Cass. soc., JCP S 2016.1408 note Bugada = JCP S N° 47, 29 novembre 2016, 33 note Bugada. 20 Winterling, 28–30; Garber, FS Kaissis (2012) 221, 223; Mankowski, EuZA 2017, 267, 274; Wieczorek/Schütze/ Temming, Art. 21 Brüssel Ia-VO Rz. 14. 21 Mankowski, EuZA 2017, 267, 274. 22 Mankowski, EuZA 2017, 267, 274. 23 Mankowski, NZA 2009, 584, 589; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 4 sowie Temming, EuZA 2009, 413, 414 f. Vgl. aber tendenziell LAG Berlin-Brandenburg v. 1.11.2012 – 5 Sa 1072/12; ArbG Cottbus v. 17.10.2013 – 3 Ca 738/13, openjur 2013, 43663 Rz. 31. 24 Däubler in Däubler, TVG (2. Aufl. 2006) Einl. Rz. 679; Mankowski, NZA 2009, 584, 588. 25 S. Walz, Multinationale Unternehmen und internationaler Tarifvertrag (1981) 173; Däubler, Tarifvertragsrecht (3. Aufl. 1993) Rz. 1657. 26 Temming, EuZA 2009, 413, 414 f. BAGE 127, 111 Rz. 14 beruft sich für ein gleichlaufendes Ergebnis auf Art. 3 Brüssel I-VO (heute Art. 5 Brüssel Ia-VO). 27 Mankowski, NZA 2009, 584, 589. 28 N. Wimmer, Die Gestaltung internationaler Arbeitsverhältnisse durch kollektive Normenverträge (1992) 73; Mankowski, NZA 2009, 584, 589.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 23 Brüssel Ia-VO
Richtigerweise lässt man eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem Tarifvertrag nicht für den normativen Teil, sondern nur für den obligatorischen Teil des Tarifvertrages Wirkung entfalten.30 In den Individualarbeitsvertrag importiert werden nur die vom Tarifvertrag begründeten Anspruchspositionen als solche, nicht aber die umgebenden Abreden, gleichsam die weiteren Rahmenbedingungen, des Tarifvertrages, jedenfalls soweit sie mit eigenen Rahmenbedingungen des Individualarbeitsvertrages kollidieren würden.31 Der von den Tarifparteien nach ihren Zwecken vereinbarte Gerichtsstand kann für beide Parteien des Individualarbeitsvertrags, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, entlegen und entfernt sein. Er kann beiden ungelegen sein und wird jedenfalls in der Regel nicht sachnah sein. Im europäischen Regime gibt es zudem keine Gerichtsstandsvereinbarungen zu Lasten Dritter.32
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II. Ausnahmsweise Zulässigkeit 1. Nach Ausbruch einer Streitigkeit (Nr. 1) Eine – praktisch selten eingreifende33 – Ausnahme vom grundsätzlichen Vereinbarungsverbot macht Nr. 1 für den Fall der bereits ausgebrochenen Streitigkeit. Eine Streitigkeit ist bereits ausgebrochen im Sinne von Nr. 1, sobald die Parteien über einen bestimmten Punkt uneins sind und ein gerichtliches Verfahren unmittelbar oder in Kürze bevorsteht.34 Die Androhung eines gerichtlichen Verfahrens ist allerdings nicht erforderlich, und auch ein außergerichtliches Verfahren zur Streitbeilegung kann hinreichen.35 Es muss sich jedenfalls um eine aktuelle, nicht um eine bloß potentielle Meinungsverschiedenheit handeln.36 Die Parteien müssen zumindest mit unterschiedlichen Ansichten miteinander kommuniziert haben.37 Zuzugestehen ist, dass sich manchmal ein genauer Zeitpunkt für den Ausbruch der Streitigkeit nicht wird bestimmen lassen.38
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In dieser Situation ist der Arbeitnehmer als die schwächere Partei hinreichend alertisiert, um ein An- 12 gebot des Arbeitgebers auf Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung zu hinterfragen und auf mögliche eigennützige Hintergedanken des Arbeitgebers zu überprüfen.39 Er wird bei rationalem Handeln nicht leichter Hand seine Gerichtsstandsprivilegien aufgeben.40 Zudem wird es sich in aller Regel um ein isoliertes Angebot handeln, so dass keine Gefahr besteht, dass es in einer Fülle vertraglicher Bestimmungen untergehen und überlesen werden könnte. Die Gefahr, dass die schwächere Partei überrumpelt wird, sinkt beträchtlich.41 Augenhöhe ist zwar nicht garantiert, aber der Arbeitnehmer wird sich seiner Position bewusster sein als beim ursprünglichen Vertragsschluss.42
29 Mankowski, NZA 2009, 584, 589; vgl. N. Wimmer, Die Gestaltung internationaler Arbeitsverhältnisse durch kollektive Normenverträge (1992) 73. 30 Mankowski, NZA 2009, 584, 589 sowie C. Schubert, RdA 2010, 242, 244. 31 Mankowski, NZA 2009, 584, 589. 32 Siehe nur Hessisches LAG, IPRax 2008, 131, 132; Geimer, NJW 1985, 533; Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 25 EuGVO Rz. 48a; Dasser/Oberhammer/Killias, Art. 23 LugÜ Rz. 171. 33 Iriarte Ángel, Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 477, 479. 34 Jenard/Möller-Bericht, ABl. EG 1990 C 189/57; Merinson v. Yukos International UK BV [2019] EWCA Civ 830 [44], [2019] 2 All ER (Comm) 644 (C.A., per Gross L.J.); Rb. Breda, sector kanton, locatie Breda, NIPR 2009 Nr. 21 S. 65; Yukos International UK BV, Yukos Capital Ltd., Yukos Hydrocarbons Investments Ltd. v. Dimitri Merinson [2018] EWHC 335 (Comm) [61], [2018] 2 WLR 1541 (Q.B.D., Judge Salter QC); Junker, FS Schlosser (2005) 299, 318; Junker, FS Kühne (2009) 735, 740; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 10. 35 LAG Nürnberg v. 22.4.2008 – 7 Sa 918/06 [45]. 36 Merinson v. Yukos International UK BV [2019] EWCA Civ 830 [67], [73], [2019] 2 All ER (Comm) 644 (C.A., per Gross L.J.). 37 Merinson v. Yukos International UK BV [2019] EWCA Civ 830 [67], [72], [2019] 2 All ER (Comm) 644 (C.A., per Gross L.J.). 38 Merinson v. Yukos International UK BV [2019] EWCA Civ 830 [70], [2019] 2 All ER (Comm) 644 (C.A., per Gross L.J.); A. Briggs, Rz. 2.95 Fn. 593. 39 Zustimmend C. Müller, 89; Junker, NZA 2005, 199, 201. 40 Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 99. 41 Hoppe, 73; Junker, NZA 2005, 199, 201. 42 Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 10.
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Art. 23 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandvereinbarungen 13
Gleichermaßen ist nach Ausbruch einer Streitigkeit häufig der Druck auf den Arbeitnehmer, um der Erhaltung seines Arbeitsplatzes willen in eine Prorogation einzuwilligen, zumindest vermindert.43 Es liegt kein Gesamtpaket „Arbeitsplatz, aber nur mit Gerichtsstandsvereinbarung“ mehr auf dem Tisch.44
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Das Potential für einen Missbrauch durch den Arbeitgeber als die stärkere Partei sinkt beträchtlich.45 Es steht zu vermuten, dass die unterlegene Partei durch die bereits bestehende Streitsituation hinreichend alarmiert und vielleicht sogar beraten ist, um gegebenenfalls ihren Widerstand auszudrücken.46 Daher erlaubt Nr. 1 mit vollen Wirkungen eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Ausbruch der Streitigkeit. Dass fortbestehende wirtschaftliche Abhängigkeit die schwächere Partei immer noch nachgiebig halten könnte, ist in Kauf zu nehmen, da nicht zu vermeiden.47 Freilich erhöht es sachgerechterweise die Hürde, bis man das Vorliegen einer Streitigkeit bejahen kann; eine bloße Meinungsverschiedenheit reicht dafür nicht, mag sie sich auch in einem Schriftwechsel niederschlagen.48 Praktische Probleme können bei der Frage nach dem Zeitpunkt auftreten, ab welchem die Streitigkeit als ausgebrochen zu bewerten ist.49
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Eine ähnliche Überlegung, nämlich dass der Arbeitnehmer bloß „Nein“ sagen muss, um eine Gestaltung zu verhindern und ohne deshalb Nachteile zu erleiden, und deshalb eine größere Verhandlungsstärke hat als beim Eingehen des Arbeitsverhältnisses, spricht dafür, Art. 23 Brüssel Ia-VO nicht auf Gerichtsstandsvereinbarungen in arbeitsrechtlichen Aufhebungs- oder Abwicklungsverträgen anzuwenden.50 Die Notwendigkeit einer Reduktion setzt voraus, dass man – wie hier vertreten51 – arbeitsrechtliche Aufhebungs- und Abwicklungsverträge sachlich überhaupt Art. 20 Brüssel Ia-VO unterstellt.
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Verneint man die Berechtigung einer Reduktion, so ist eine differenzierte Betrachtung geboten: Soweit der Aufhebungsvertrag eine Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis aufgreift und einer Klärung zuführt, greift Nr. 1.52 Für Streitigkeiten aus dem Aufhebungsvertrag selber (z.B. um ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot oder im Zusammenhang mit Abfindungen oder der Abgeltung von Sonderleistungen) wäre dagegen eine Gerichtsstandsvereinbarung im Aufhebungsvertrag selber nicht möglich.53 2. Zusätzlicher Gerichtsstand für den Arbeitnehmer (Nr. 2)
17
Das Pro- und Derogationsverbot soll den Arbeitnehmer vor Nachteilen durch Vereinbarungen schützen. Er soll nicht der überlegenen Verhandlungsmacht und dem größeren planerischen Geschick des Arbeitgebers zu seinem Nachteil unterworfen sein.54 Diese ratio greift nicht, wenn und soweit eine Gerichtsstandsvereinbarung den Arbeitnehmer begünstigt. Ein völliger Ausschluss auch solcher Gerichtsstandsabreden würde den Schutz zum Nachteil des Geschützten übertreiben.
43 Hofstetter-Schnellmann, Die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Lugano-Übereinkommen (1992) 81; Bosse, 287; Mankowski, AP H 8/2012 § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Nr. 23 Bl. 7R, 9; Neumayr/Geroldinger/ Garber, Rz. 2. 44 Winterling, 130; Mankowski, AP H 8/2012 § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit Nr. 23 Bl. 7R, 9. 45 Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 5. 46 Siehe nur Franzen, RIW 2000, 81, 82; Hoppe, 73; C. Müller, 89. 47 Trenner, 194. 48 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 21 EuGVVO Rz. 5 (2005); Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 7 (2016). 49 Briggs/Rees, Rz. 2.85. 50 Dagegen für Abstellen auf den Aufhebungsvertrag als Quelle der Streitigkeit Junker, NZA 2005, 199, 201; Junker, FS Kühne (2009) 735, 741; Knöfel, ZfA 2006, 397, 431 f. sowie Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 6 (2016); Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 12 (beide aber wiederum anders, wenn die Streitigkeit aus dem ursprünglichen Arbeitsvertrag stamme) und generell für eine Anwendung von Art. 23 Brüssel Ia-VO auf „settlements“ Yukos International UK BV, Yukos Capital Ltd., Yukos Hydrocarbons Investments Ltd. v. Dimitri Merinson [2018] EWHC 335 (Comm) [58], [2018] 2 WLR 1541 (Q.B.D., Judge Salter QC). 51 Art. 20 Brüssel Ia-VO Rz. 36 (Mankowski). 52 Junker, FS Kühne (2009) 735, 741; vgl. auch LAG Nürnberg, IPRspr. 2008 Nr. 130 Rz. 45. 53 LAG Nürnberg, IPRspr. 2008 Nr. 130 Rz. 45 f.; Junker, FS Kühne (2009) 735, 741. 54 Siehe nur Czernich/Tiefenthaler, JBl 1998, 745, 750.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 23 Brüssel Ia-VO
Es besteht kein Grund, Gerichtsstandsvereinbarungen zu verbieten, welche die Rechtsstellung der als schutzwürdig erachteten Person verbessern.55 Daher verwirklicht Nr. 2 ein prozessuales Günstigkeitsprinzip56 und erlaubt Gerichtsstandsvereinbarungen, welche dem Arbeitnehmer zusätzliche Optionen zu den gesetzlichen Gerichtsständen geben. Um unter Nr. 2 zu fallen, muss eine Gerichtsstandsvereinbarung also Gerichtsstände begründen, die zu den in Art. 21 Brüssel Ia-VO benannten noch hinzukommen.57 Nr. 2 kommt nicht ins Spiel, wenn nur ein in Art. 21 Brüssel Ia-VO benanntes Gericht prorogiert wird.58 Richtigerweise ist das „wenn“ im Wortlaut der Nr. 2 als „soweit“ zu lesen.59 Die Gerichtsstandsklausel der Nr. 2 kann dem Arbeitnehmer als schwächerer Partei keine Nachteile, sondern nur Vorteile bringen.60
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Es steht im Einklang mit der generellen Linie, den Arbeitnehmer zu schützen, dass Nr. 2 eine Gerichtsstandsvereinbarung zulässt, wenn diese dem Arbeitnehmer erlaubt, in weiteren Gerichtsstände neben den gesetzlichen Gerichtsstände zu klagen. Wenn der Arbeitgeber bereit ist, dem Arbeitnehmer eine solche Zusatzoption einzuräumen und den Arbeitnehmer besser zu stellen, als er nach der gesetzlichen Lage stünde, ist dies erlaubt. Rechtlich legt Nr. 2 dem keine Steine in den Weg. Jemanden davor zu schützen, dass er besser gestellt wird, als er gesetzlich stünde, wäre nicht nur hypertroph,61 sondern paradox. Art. 20–23 Brüssel Ia-VO begründen einen Mindeststandard, aber nicht zugleich einen Maximalstandard. Natürlich kann der Arbeitgeber freiwillig mehr zugestehen und den Arbeitnehmer noch besser stellen. Nr. 2 erhält asymmetrische Geirchtsstandsvereinbarungen zugunsten des Arbeitnehmers aufrecht.62
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Nr. 2 hat optionale (fakultative), nicht-ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen im Auge, die 20 nur einseitig zugunsten des Arbeitnehmers wirken.63 Dabei ist es unerheblich, wann eine solche Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen wurde. Nr. 2 ist sowohl dann anwendbar, wenn die Vereinbarung bereits im ursprünglichen Arbeitsvertrag enthalten war und verlangt anders als Nr. 1 nicht, dass eine Streitigkeit bereits entstanden war.64 Ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen im Arbeitsvertrag rettet Nr. 2 aber nicht.65 Das Regime der Art. 20–23 Brüssel Ia-VO ist bei genauer Betrachtung nur halbzw.ingend. Art. 23 stellt sicher, dass dem Arbeitnehmer nicht der Schutz genommen wird, den Art. 21 ihm zudenkt. Art. 23 Brüssel Ia-VO untersagt jeden derogativen Effekt zu des Arbeitnehmers Nachteil, verbieten aber keinen prorogativen Effekt zu des Arbeitnehmers Vorteil.66 Um unter Nr. 2 zu fallen, muss eine Gerichtsstandsvereinbarung dem Arbeitnehmer zusätzliche Gerichtsstände (genauer: mindestens einen zusätzlichen Gerichtsstand67) eröffnen68 und darf dem Arbeitnehmer keinen der unter Art. 21 Brüssel Ia-VO gegebenen Gerichtsstände nehmen.69 Eine vor Entstehung einer Streitigkeit getroffene 55 KG, VersR 2014, 1020, 1021; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 13 EuGVVO Rz. 20 (2005). 56 Däubler, NZA 2003, 1297, 1301; Junker, FS Kühne (2009) 735, 741 sowie LAG Düsseldorf, BeckRS 2017, 110381 Rz. 38. 57 BAG, RIW 2013, 565, 568 Rz. 32; Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 92; Dopagne, Clunet 140 (2013) 494, 503; Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 13. 58 Layton/Mercer, Rz. 18.034. 59 LAG Düsseldorf, IPRspr. 2017 Nr. 101 S. 183 juris Rz. 58 = BeckRS 2017, 110381 Rz. 38; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 21 EuGVVO Rz. 4; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 318. 60 Vgl. EuGH v. 12.5.2005 – C-112/03, ECLI:EU:C:2005:280 Rz. 42 – Société financière et industrielle du Peloux vs. Axa Belgium (zum parallelen Art. 12 Nr. 2 EuGVÜ in Versicherungssachen). 61 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 13 EuGVO Rz. 6; Art. 15 Brüssel Ia-VO Rz. 5 (A. Staudinger). 62 Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 112. 63 Tang, Electronic Consumer Contracts in the Conflict of Laws (2009) 134; Lavelle in Lavelle (Hrsg.), The Maritime Labour Law Convention 2006 (2014) Rz. 9.44. 64 Layton/Mercer, Rz. 17.051; Gehri in Basler Kommentar, Art. 17 LugÜ Rz. 14–15. 65 Siehe nur Trib. Sup., AEDIPr 2013, 1070, 1072. 66 Cordero Álvarez, REDI 2013–1, 204, 206. 67 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 13 EuGVVO Rz. 21 (2005). 68 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 62 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; BAG, RIW 2013, 565, 568, NZA 2013, 925, 927 Rz. 32; BAG, RIW 2014, 691, 692 Rz. 27; Junker, EuZA 2013, 83, 94; Martiny, IPRax 2013, 536, 541; Franzen/Gallner/Oetker/Krebber, Art. 23, 25 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 7. 69 Siehe nur LAG Düsseldorf, BeckRS 2017, 110381 Rz. 38.
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Art. 23 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandvereinbarungen Gerichtsstandsvereinbarung muss dem Arbeitnehmer erlauben, in Gerichtsständen zu klagen, die zu jenen des Art. 21 Brüssel Ia-VO hinzukommen.70 22
Die Vereinbarung bewirkt nicht den Ausschluss der objektiv gegebenen Gerichtsstände aus Art. 21 Brüssel Ia-VO, sondern erweitert die Befugnis des Arbeitnehmers, unter mehreren zuständigen Gerichten zu wählen,71 mag sich die Zuständigkeit aus Gesetz oder aus Vereinbarung ergeben. Indem solche Gerichtsstandsvereinbarungen dem Arbeitnehmer „die Befugnis einräumen“ können, andere als in Art. 21 Brüssel Ia-VO bezeichneten Gerichte anzurufen, kann Nr. 2 nicht dahingehend verstanden werden, dass die betreffende Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich gilt und somit dem Arbeitnehmer verböte, die in Art. 21 Brüssel Ia-VO genannten Gerichte anzurufen.72
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Das Ziel, den Arbeitnehmer als schwächere Vertragspartei zu schützen, würde verfehlt, wenn die Gerichtsstände, die zur Gewährleistung dieses Schutzes in Art. 21 Brüssel Ia-VO vorgesehen sind, durch eine vor Entstehung einer Streitigkeit getroffene Vereinbarung ausgeschlossen werden könnten.73 Vereinbarungen nach Nr. 2 haben nur prorogativen, aber keinen derogativen Effekt.74 Forum fixing erlauben sie nicht.75 Dies gilt selbst dann, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung nur den ursprünglich nach Art. 21 Brüssel Ia-VO einzig gegebenen Gerichtsstands nachzeichnet und mit einer Veränderungssperre belegt.76 Nr. 2 greift nicht, wenn nur für alle Streitigkeiten auf die objektiv gegebenen Gerichtsstände verwiesen wird.77
24
Der Arbeitnehmer hat also als Ausgangspunkt, der ihm immer eröffnet ist, die Gerichtsstände aus Art. 21 Brüssel Ia-VO. Der Gerichtsstand an seinem gewöhnlichen Arbeitsort aus Art. 21 Abs. 1 lit. b i) Brüssel Ia-VO steht ihm dabei besonders nahe und ist fast so günstig, wie es ein forum actoris an seinem eigenen Wohnsitz wäre. Häufig wird der gewöhnliche Arbeitsort sogar mit dem Wohnsitz des Arbeitnehmers zusammenfallen. Jede weitere Option aus Vertrag ist ihm daher willkommen, wird aber für ihn in der Regel kein gesteigertes Interesse haben, es sei denn, ihm würde ausdrücklich ein Gerichtsstand an seinem eigenen Wohnsitz eröffnet.
25
Dies könnte für den Arbeitnehmer insbesondere bei Kündigungsstreitigkeiten interessant sein, wenn er nach faktischer Beendigung seiner Arbeitstätigkeit von einem abweichenden gewöhnlichen Arbeitsort wieder nach Hause zurückgekehrt ist. Ein fester Gerichtsstand am eigenen Wohnsitz wird für den Arbeitnehmer sogar noch interessanter, wenn er gar keinen gewöhnlichen Arbeitsort hat, sondern seine Tätigkeit aus einer Reihe von Entsendungen und Projekten in verschiedenen Staaten besteht. Gerade bei Führungskräften und Ingenieuren kann dies der Fall sein. Sachlich mag jedes zusätzliche Forum zudem neue Möglichkeiten bei günstigen Verfahrensregeln (z.B. pretrial discovery) oder beim anwendbaren Recht (z.B. punitive damages oder besonders hohe Kündigungsentschädigungen) eröffnen,78 oder bestimmte Beweismittel mögen nur dort verfügbar sein.79 Der Arbeitnehmer muss selber abschätzen und bewerten, welche der ihm zur Verfügung stehenden Optionen konkret die für ihn beste Option ist.80
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Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Inhalt von Nr. 2 ergibt sich, dass eine optionale Gerichtsstandsvereinbarung nicht zusätzlich die Zuständigkeit der Gerichte eines Drittstaates eröffnet könnte, vorausgesetzt, dass sie nicht die objektive Zuständigkeit aus Art. 21 Brüssel Ia-VO ausschließt.81
70 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 62 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische republik Algerien; BAG, RIW 2013, 565, 568 Rz. 32. 71 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 62 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische republik Algerien. 72 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 63 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische republik Algerien. 73 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 64 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische republik Algerien. 74 Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Art. 21 EuGVVO Rz. 3; Junker, FS Kühne (2009) 735, 741. 75 Trenner, 195 f.; Junker, NZA 2005, 199, 201. 76 BAG, RIW 2013, 565, 568 = NZA 2013, 925, 927 Rz. 33. 77 KG, VersR 2014, 1020, 1022. 78 Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht (2010) 278. 79 Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht (2010) 278. 80 Vgl. Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 6.
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VolksVolksVolksVolks-
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 23 Brüssel Ia-VO
Die zusätzlichen Optionen, die sich dem Arbeitnehmer kraft Vereinbarung erschließen, können also auch Gerichte außerhalb der EU einschließen.82 Insoweit geht Nr. 2 über Art. 25 Brüssel Ia-VO hinaus, der für seine Anwendbarkeit verlangt, dass das prorogierte Forum in einem Mitgliedstaat liegen muss.83 Art. 25 Brüssel Ia-VO befasst sich jedoch auch – und sogar zuvörderst – mit dem prorogativen Element, während Nr. 2 sich nur mit dem derogativen Element beschäftigt (das nicht gegeben ist, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung nur zusätzliche Optionen eröffnet). Nur der Arbeitnehmer, nicht auch der Arbeitgeber kann sich auf Nr. 2 berufen.84 Dem Arbeitgeber stehen trotz – insoweit eben unwirksamer – Gerichtsstandsvereinbarung nur die objektiven Gerichtsstände aus Art. 22 Brüssel Ia-VO offen.85 Deshalb ist eine Gerichtsstandsvereinbarung, die sowohl dem Arbeitnehmer als auch dem Arbeitgeber jeweils zusätzliche Gerichtsstandsoptionen eröffnet, nur statthaft, soweit sie den Arbeitnehmer begünstigt. Soweit sie dagegen den Arbeitgeber begünstigt und damit das Gerichtspflichtigkeitsrisiko des Arbeitnehmer erweitert, ist sie nicht statthaft.
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Wesentlich deshalb ist auch nicht jede vorgängige Gerichtsstandsvereinbarung im Wege der Teilunwirksamkeit auf den Gehalt des Nr. 2 zu reduzieren,86 denn dies liefe dem Willen des Arbeitgebers zuwider, soweit dieser Konzentrationswirkung anstrebt. Damit Teilunwirksamkeit mit diesem Resultat möglich ist, darf eben nicht Derogationswirkung gewollt sein. Derselbe Gedanke greift bei Altverträgen, die noch vor Wirksamwerden der Brüssel I-VO geschlossen wurden und eine vorbeugende Gerichtsstandsvereinbarung enthalten.87
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Wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gem. Art. 22 Brüssel Ia-VO an dessen Wohnsitz verklagt 29 hat, kann sich der Arbeitnehmer nicht darauf berufen, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung ihm seinerseits erlauben würde, woanders zu klagen, um eine Abweisung der arbeitgeberischen Klage zu bewirken. Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO kommt dem Arbeitnehmer insoweit nicht zu Hilfe, denn er gilt nur für ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung und der Arbeitgeber bricht keine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung, wenn er genau dort klagt, wo das Gesetz es von ihm verlangt. Nr. 2 gilt nur für Aktivprozesse des Arbeitnehmers;88 daher kann der Arbeitnehmer die Gerichtsstandsvereinbarung nicht geltend machen, um zu behaupten, das vom Arbeitgeber gem. Art. 22 Abs. 1 Brüssel IaVO angerufene Gericht sei unzuständig.89 Gilt es zu entscheiden, ob eine konkret zu beurteilende Gerichtsstandsvereinbarung eine ausschließliche oder eine optionale ist (nur im zweiten Fall kann Nr. 2 gegeben sein), so greift die Vermutung des Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO, dass im Zweifel Ausschließlichkeit anzunehmen ist.90
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Die Wahrscheinlichkeit, dass sich optionale Gerichtsstandsklauseln zugunsten der typischerweise 31 schwächeren Partei finden, ist bei Arbeitsverträgen höher als bei Verbraucherverträgen. Während Verbraucher kaum die Macht und Unternehmer kaum einen Anreiz haben, solche Klauseln in Verbraucherverträgen aufzunehmen, haben viele Arbeitnehmer eine hinreichende Verhandlungsmacht, um ihnen günstige Optionen herauszuverhandeln. Spitzenkräfte, Manager, leitende Angestellte und begehrte Fachkräfte können dies durchsetzen.91 Wer eine D & O-Versicherung, Dienstwohnung oder Dienstwagen durchsetzen kann oder hart über Boni verhandelt, wird, wenn er dies will, auch eine
81 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 65 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien. 82 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 66 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; Junker, EuZA 2013, 83, 94; Martiny, IPRax 2013, 536, 541. 83 Dopagne, Clunet 140 (2013) 494, 503 f. spricht von einer relativen Autonomie des Schutzregimes. 84 Cordero Álvarez, REDI 2013–1, 204, 206. 85 Cordero Álvarez, REDI 2013–1, 204, 206. 86 Zustimmend Junker, FS Kühne (2009) 735, 742. A.A. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 21 EuGVVO Rz. 3. 87 Junker, FS Schlosser (2005) 299, 318; Junker, FS Kühne (2009) 735, 742. 88 Siehe nur Hausmann, EuLF 2000–01, 40, 47; Cornelia Müller, 90; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 9 (2016). 89 Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 2; Däubler, NZA 2003, 1297, 1301; Junker, FS Schlosser (2005) 299, 318. Vgl. aber auch Sherdley v. Nordea Life and Pension SA [2012] EWCA Civ 88, [2012] 2 All ER Comm 725 [66] (C.A., per Rix L.J.). 90 LG Potsdam v. 19.1.2012 – 2 O 378/10, NJW-RR 2012, 956; Nejvysˇˇsí soud, unalex CZ-19. 91 Zustimmend Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 13.
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Art. 23 Brüssel Ia-VO Zulässige Gerichtsstandvereinbarungen einseitig optionale Gerichtsstandsvereinbarung zu seinen Gunsten durchsetzen können. Ein Arbeitgeber kann weitaus mehr auf das „Ja“ eines bestimmten Arbeitnehmers angewiesen sein als ein Unternehmer auf das „Ja“ eines bestimmten Verbrauchers. Dies betrifft gerade Arbeitnehmer mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass sie sich im Ernstfall wehren, oder mit hohem Drohpotential. In der Realität dürfte es mehr Anwendungsfälle für Nr. 2 geben, als man auf den ersten Blick anzunehmen geneigt ist, so dass der Vorschrift kein durchschlagender Vorwurf der Wirklichkeitsferne zu machen ist.92 3. Allgemeine Voraussetzungen 32
Die Bestimmtheit muss dieselben Maßstäbe wahren wie unter Art. 25 Brüssel Ia-VO.93 Die Form einer Gerichtsstandsvereinbarung richtet sich ebenfalls nach Art. 25 Brüssel Ia-VO.94 Allerdings kommen von den dort aufgezählten Formtatbeständen nur Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO und Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO95 in Betracht, nicht aber Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b, c Brüssel Ia-VO; diese können im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber tatbestandlich nicht erfüllt sein.96 Des Weiteren gelten dieselben Konsensmaßstäbe wie bei Art. 25 Brüssel Ia-VO: Die Einhaltung der Form indiziert den Konsens; soweit wie möglich hat eine autonome Auslegung zu erfolgen, wenn es aber komplexer wird und sich keine autonomen Maßstäbe finden lassen, wird ein Rückgriff auf das in der Sache anwendbare Recht unumgänglich. Die räumlich-persönlichen Anwendungsvoraussetzungen für Art. 23 Brüssel Ia-VO sind indes richtigerweise jene des Art. 20 Brüssel Ia-VO, nicht jene des Art. 25 Brüssel Ia-VO.97
III. Ausschließliche Prorogation eines Gerichts in einem Drittstaat 33
Art. 23 ist seinem inhärenten und über Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO bekräftigten Bezug auf Art. 25 Brüssel Ia-VO zum Trotz auch dann direkt anwendbar, wenn das ausschließlich gewählte Gericht nicht in einem Mitgliedstaat, sondern in einem Drittstaat liegt.98 Es wäre kaum verständlich, warum innerhalb der EU mit ihrem doch relativ homogenen und hohen Niveau ein besonderes Schutzregime eingriffe, während die Prorogation auf ein Gericht in einem beliebigen Drittstaat (mit beliebigem Schutzniveau) liberaler zugelassen würde.99
92 Entgegen Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 17 EuGVÜ Rz. 73; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 21 EuGVVO Rz. 6 (2005); Junker, FS Kühne (2009) 735, 741; Neumayr/Geroldinger/Garber, Rz. 11. 93 Siehe Yukos International UK BV, Yukos Capital Ltd., Yukos Hydrocarbons Investments Ltd. v. Dimitri Merinson [2018] EWHC 335 (Comm) [59], [2018] 2 WLR 1541 (Q.B.D., Judge Salter QC); Franzen/Gallner/Oetker/ Krebber, Art. 23, 25 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 6. 94 Schlosser-Bericht Nr. 161; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 2; Däubler, NZA 2003, 1297, 1301; Leipold, GS W Blomeyer (2004) 143, 163; Cornelia Müller, 91; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 21 EuGVVO Rz. 2 (2005); Graf-Schimek, ÖJZ 2010, 245, 246; Grusˇic´ (2012) 61 ICLQ 91, 99; Abele, FA 2013, 357, 360; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 3 (2016); Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 5. 95 Abele, FA 2013, 357, 360. 96 Mosconi, Riv. dir. int. priv. proc. 2003, 5, 24; Magnus/Mankowski/Esplugues Mota/Palao Moreno, Rz. 7 Fn. 12. 97 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 21 EuGVVO Rz. 4 (2005). A.A. Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 4 (2016). 98 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 66 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; LAG Düsseldorf, EuZW 2008, 740, 742; Petter v. EMC Europe Ltd. [2015] EWCA 828 [26], [2016] ILPr 51 (C.A., per Moore-Bick L.J.); Monomeles protodikeio Peiraios [2002] ILPr 233, 238; GaudemetTallon, Nr. 301; Trenner, 186; Däubler, NZA 2003, 1297, 1301; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 99; Sinay-Cytermann, Mélanges Lagarde (2005) 737, 740; Knöfel, RdA 2006, 269, 277; Knöfel, AP H 10/2008 Nr. 8 zu Art. 27 EGBGB n.F. Bl. 11, 13R; Nord, JCP S No. 52, 23 décembre 2014, S. 22, 25; Franzen/Gallner/Oetker/ Krebber, Art. 23, 25 VO Nr. 1215/2012/EU Rz. 8; Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rz. 37; Mills, Party Autonomy in Private International Law (2018) 253 sowie C. Müller, 92. A.A. Hoge Raad, NIPR 1997 Nr. 236 S. 295; Ktg. Amsterdam, NIPR 2000 Nr. 315 S. 473; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 21 EuGVVO Rz. 3 (2005); vgl. auch Rb. Amsterdam, NIPR 2003 Nr. 48 S. 98. 99 Zustimmend Knöfel, AP H 10/2008 Nr. 8 zu Art. 27 EGBGB n.F. Bl. 11, 13R; Junker, EuZA 2013, 83, 91 f. Vgl. Sinay-Cytermann, Mélanges Lagarde (2005) 737, 740.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO versperrt den Weg zu einer direkten Anwendung nicht. Er ist nur eine deklaratorische Hinweisnorm ohne eigenen Sachgehalt.100 Er fügt sich den eigenen Anwendungsansprüchen der Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO und beschränkt diese nicht auf Fälle, in denen Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anwendbar ist.101
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Der Wortlaut des Art. 23 Brüssel Ia-VO ist weit genug:102 Art. 23 Brüssel Ia-VO spricht davon, dass eine Abweichung von Art. 19, 20 Brüssel Ia-VO nur unter den in Nr. 1 oder Nr. 2 genannten Voraussetzungen zulässig ist. Eine Abweichung von Art. 19, 20 Brüssel Ia-VO, ja sogar die größtmögliche, liegt aber auch in deren Derogation zugunsten eines drittstaatlichen Gerichts. Der Wortlaut des Art. 23 Brüssel Ia-VO enthält keine Einschränkung auf Art. 25 unterfallende Gerichtsstandsvereinbarungen.
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Hinzu tritt ein systematisches Argument: Das Gemeinschaftsrecht hat ein eigenes, stetig wachsendes Regime an Arbeitnehmerschutznormen geschaffen. Diese dürfen nicht einfach dadurch ausgeschaltet werden können, dass der Arbeitgeber die Prorogation eines drittstaatlichen Gerichts durchsetzt. Gegebenenfalls müsste man aus ihnen Derogationsverbote ableiten. Der Weg über Art. 23 Brüssel Ia-VO als ausdrückliches Derogationsverbot ist kürzer, knapper und einleuchtender. Erwägungsgrund 14 S. 2 bietet zusätzliche Unterstützung.103
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Falls man sich nicht zu einer direkten Anwendung des Art. 23 Brüssel Ia-VO verstehen kann, sollte 37 man Art. 23 Brüssel Ia-VO aus Schutzgründen zumindest analog anwenden.104 Wenn man Art. 23 Brüssel Ia-VO weder direkt noch analog anwendet, bestünde die Alternative nämlich darin, das nationale Recht des Forumstaates über den Umfang, in dem Prorogationsfreiheit besteht, und insbesondere über die Derogation entscheiden zu lassen.105 Der für den Arbeitnehmer gefährlichere Tatbestand könnte dann, je nach Ausgestaltung des nationalen Rechts, privilegiert sein.106
Abschnitt 6 Ausschließliche Zuständigkeiten
Artikel 24 [Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten] Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien sind folgende Gerichte eines Mitgliedstaats ausschließlich zuständig: 1. für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Jedoch sind für Verfahren betreffend die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum vorübergehenden privaten Gebrauch für höchstens sechs aufeinander folgende Monate auch die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, sofern es sich
100 Mankowski, RIW 1997, 990, 991; Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 168 (Mankowski). Mehr Gehalt geben Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 4 (2016); Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 2. 101 Näher Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 169 (Mankowski). 102 Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6488; Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 14 (Mankowski). 103 Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rz. 37. 104 Dafür Franzen, RIW 2000, 81, 86 f.; 1. Aufl. Brüssel I-VO Art. 21 Rz. 7 (Mankowski); Däubler, FS Rolf Birk (2008) 27, 36. 105 Zum deutschen Richterrecht BAGE 22, 410 = AP Nr. 4 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit m. Anm. E. Lorenz = SAE 1971, 178 m. Anm. Fikentscher; BAGE 24, 411, 417 f. = AP Nr. 159 zu § 242 BGB Ruhegehalt m. Anm. Grunsky/Wuppermann; Junker, ZZP Int 3 (1999) 179, 199 f. In Frankreich wird Art. R 1421–1 C trav als Eingriffsnorm gegen die Gerichtsstandsvereinbarung in Stellung gebracht; Cass. soc., JCP S 2011, 1036; Jault-Seseke, RDTrav 2011, 271; Escande-Varniol, Cah. dr. entrepr. N° 3, mai-juin 2013, 25, 29. 106 Siehe Arbeidshof Antwerpen, ETR 2014, 203, 209: Wie selbstverständlich wird eine Prorogation zugunsten philippinischer Gerichte zugelassen.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO versperrt den Weg zu einer direkten Anwendung nicht. Er ist nur eine deklaratorische Hinweisnorm ohne eigenen Sachgehalt.100 Er fügt sich den eigenen Anwendungsansprüchen der Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO und beschränkt diese nicht auf Fälle, in denen Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO anwendbar ist.101
34
Der Wortlaut des Art. 23 Brüssel Ia-VO ist weit genug:102 Art. 23 Brüssel Ia-VO spricht davon, dass eine Abweichung von Art. 19, 20 Brüssel Ia-VO nur unter den in Nr. 1 oder Nr. 2 genannten Voraussetzungen zulässig ist. Eine Abweichung von Art. 19, 20 Brüssel Ia-VO, ja sogar die größtmögliche, liegt aber auch in deren Derogation zugunsten eines drittstaatlichen Gerichts. Der Wortlaut des Art. 23 Brüssel Ia-VO enthält keine Einschränkung auf Art. 25 unterfallende Gerichtsstandsvereinbarungen.
35
Hinzu tritt ein systematisches Argument: Das Gemeinschaftsrecht hat ein eigenes, stetig wachsendes Regime an Arbeitnehmerschutznormen geschaffen. Diese dürfen nicht einfach dadurch ausgeschaltet werden können, dass der Arbeitgeber die Prorogation eines drittstaatlichen Gerichts durchsetzt. Gegebenenfalls müsste man aus ihnen Derogationsverbote ableiten. Der Weg über Art. 23 Brüssel Ia-VO als ausdrückliches Derogationsverbot ist kürzer, knapper und einleuchtender. Erwägungsgrund 14 S. 2 bietet zusätzliche Unterstützung.103
36
Falls man sich nicht zu einer direkten Anwendung des Art. 23 Brüssel Ia-VO verstehen kann, sollte 37 man Art. 23 Brüssel Ia-VO aus Schutzgründen zumindest analog anwenden.104 Wenn man Art. 23 Brüssel Ia-VO weder direkt noch analog anwendet, bestünde die Alternative nämlich darin, das nationale Recht des Forumstaates über den Umfang, in dem Prorogationsfreiheit besteht, und insbesondere über die Derogation entscheiden zu lassen.105 Der für den Arbeitnehmer gefährlichere Tatbestand könnte dann, je nach Ausgestaltung des nationalen Rechts, privilegiert sein.106
Abschnitt 6 Ausschließliche Zuständigkeiten
Artikel 24 [Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten] Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien sind folgende Gerichte eines Mitgliedstaats ausschließlich zuständig: 1. für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist. Jedoch sind für Verfahren betreffend die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum vorübergehenden privaten Gebrauch für höchstens sechs aufeinander folgende Monate auch die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat, sofern es sich
100 Mankowski, RIW 1997, 990, 991; Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 168 (Mankowski). Mehr Gehalt geben Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 4 (2016); Wieczorek/Schütze/Temming, Rz. 2. 101 Näher Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 169 (Mankowski). 102 Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6488; Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 14 (Mankowski). 103 Magnus/Mankowski/Magnus, Art. 25 Brussels Ibis Regulation Rz. 37. 104 Dafür Franzen, RIW 2000, 81, 86 f.; 1. Aufl. Brüssel I-VO Art. 21 Rz. 7 (Mankowski); Däubler, FS Rolf Birk (2008) 27, 36. 105 Zum deutschen Richterrecht BAGE 22, 410 = AP Nr. 4 zu § 38 ZPO Internationale Zuständigkeit m. Anm. E. Lorenz = SAE 1971, 178 m. Anm. Fikentscher; BAGE 24, 411, 417 f. = AP Nr. 159 zu § 242 BGB Ruhegehalt m. Anm. Grunsky/Wuppermann; Junker, ZZP Int 3 (1999) 179, 199 f. In Frankreich wird Art. R 1421–1 C trav als Eingriffsnorm gegen die Gerichtsstandsvereinbarung in Stellung gebracht; Cass. soc., JCP S 2011, 1036; Jault-Seseke, RDTrav 2011, 271; Escande-Varniol, Cah. dr. entrepr. N° 3, mai-juin 2013, 25, 29. 106 Siehe Arbeidshof Antwerpen, ETR 2014, 203, 209: Wie selbstverständlich wird eine Prorogation zugunsten philippinischer Gerichte zugelassen.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten
2.
3. 4.
5.
bei dem Mieter oder Pächter um eine natürliche Person handelt und der Eigentümer sowie der Mieter oder Pächter ihren Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat haben; für Verfahren, welche die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft oder juristischen Person oder die Gültigkeit der Beschlüsse ihrer Organe zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft oder juristische Person ihren Sitz hat. Bei der Entscheidung darüber, wo der Sitz sich befindet, wendet das Gericht die Vorschriften seines Internationalen Privatrechts an; für Verfahren, welche die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Register geführt werden; für Verfahren, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen, zum Gegenstand haben, unabhängig davon, ob die Frage im Wege der Klage oder der Einrede aufgeworfen wird, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines Unionsrechtsakts oder eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt. Unbeschadet der Zuständigkeit des Europäischen Patentamts nach dem am 5. Oktober 1973 in München unterzeichneten Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente sind die Gerichte eines jeden Mitgliedstaats ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien für alle Verfahren ausschließlich zuständig, welche die Erteilung oder die Gültigkeit eines europäischen Patents zum Gegenstand haben, das für diesen Mitgliedstaat erteilt wurde; für Verfahren, welche die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist.
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zwecksetzung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reflexwirkung zugunsten von Drittstaaten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Regelung der örtlichen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . II. Dingliche Rechte an Immobilien (Nr. 1 S. 1 Var. 1) . . . . . . . . . . . . . . 1. Qualifikationsfragen . . . . . . . . . . . . 2. Grundstücksveräußerungsverträge . . . . 3. Mittelbarer Bezug auf Immobilien . . . . 4. Schadensersatz- und Nachbarrechtsansprüche und insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen . . . . . . . . . . . . . 5. Löschungsansprüche auf Grund Abrede . 6. Immissionsabwehrklagen . . . . . . . . . III. Schuldrechtliche Immobilienüberlassungsverträge (Nr. 1 S. 1 Var. 2, S. 2) . . 1. Miete und Pacht . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . b) Vermittlung und Anmieten zur Weiterüberlassung . . . . . . . . . . . c) Vertragsrechtlich ausgestaltetes Timesharing . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Pseudo-gesellschafts- oder pseudovereinsrechtlich ausgestaltetes Timesharing . . . . . . . . . . . . . . . e) Nebenabreden über vorgezogenen Besitz des Käufers in Kaufverträgen .
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1 1
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9
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18 19
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49 50 51
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55 55 55
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f) Erfasste Ansprüche . . . . . . . . . . . . 2. Ferienhausmiete . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderfall des Nr. 1 S. 2 . . . . . . . . . . . IV. Organisationsaspekte von Gesellschaften (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeitskonzentration und sachliche erga omnes-Wirkung . . . . . . . . . 3. Gesellschaftsbegriff . . . . . . . . . . . . . . 4. Sitz der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . a) Verweisungstechnik des Nr. 2 S. 2 . . . b) Alternative: Verweisung auf den Sitzbegriff des nationalen IZPR, nicht des IPR? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sitzbestimmung nach der überlagerten Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . 5. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . a) Autonome Qualifikation . . . . . . . . . b) Organbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . c) Unerheblichkeit bloßer Vorfragen . . . d) Auflösung der Gesellschaft, insbesondere in Abgrenzung zu Insolvenzsachen e) Ausgrenzung amtswegiger Verfahren . . f) Klagen um das Mitgliedschaftsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Streitigkeiten der Gesellschafter untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Unternehmensverträge . . . . . . . . . . i) Staatliche Beschlagnahme des Gesellschaftsvermögens . . . . . . . . . . . . . j) Spruchverfahren . . . . . . . . . . . . .
80 87 89 96 96 99 107 112 112 115 118 123 123 126 136 144 147 148 154 156 157 158
Kap. II: Zuständigkeit V. Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . VI. Gültigkeitsfragen registrierter gewerblicher Schutzrechte (Nr. 4) . . . . . . . . . 1. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . 2. Einrede der Ungültigkeit oder Nichtigkeit in Verletzungsverfahren . . . . . . . . . . . 3. Registrierungsort . . . . . . . . . . . . . . . 4. Europäisches Patentübereinkommen . . . 5. Markenverordnung . . . . . . . . . . . . . .
162 170 170 179 197 199 202
Art. 24 Brüssel Ia-VO
6. EPG-Übereinkommen . . . . . . . . . . VII. Verfahren der Zwangsvollstreckung (Nr. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung . 2. Ort der Zwangsvollstreckung . . . . . .
. .
205
. . . . . .
206 209 227
VIII. Abweichungen unter Art. 22 LugÜbk 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
229
IX. SchKG-Verfahren nach schweizerischem Recht und Art. 22 Nr. 5 LugÜbk 2007 . .
232
Schrifttum: Allgemein: Arenas García, El Regolamento 44/2001 y las cuestiones incidentales: dar vueltas para (casi) volver al mismo sitio, La Ley 13999 (2011), 15; Chalas, L’exercice discrétionnaire de la compétence juridictionelle en droit international privé (2000); Chalas, L’affaire Ferrexpo: baptême anglaise pour l’effet réflexe des articles 22, 27 et 28 du règlement Bruxelles I, RCDIP 102 (2013), 359; Crawford, Ferrexpo AG v. Gilson Investments Ltd. and ors: a flexible interpretation of the reflexive doctrine, (2013) 17 Edinburgh L Rev 78; Grundmann, Zur internationalen Zuständigkeit der Gerichte von Drittstaaten nach Art. 16 EuGVÜ, IPRax 1985, 249; Schack, Vorfragen begründen keine ausschließliche Zuständigkeit, ZEuP 2012, 195. Zu Nr. 1: Czernich/Tiefenthaler, Art. 16 EuGVÜ: Liegenschaftsstreitigkeiten mit Auslandsbezug, wobl 1999, 255; Downes, Conflicting Interests in Timeshare Contracts Revisited, ERPL 2007, 157; Endler, Urlaubsfreuden: Ferienhausvermittlung und Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ, IPRax 1992, 212; Fontanellas Morell, La erosión de la exclusividad del forum rei sitae en las acciones reales immobiliaria, AEDIPr 2016, 967; Führich, Internationale gerichtliche Zuständigkeit bei Ferienunterkünften im Ausland, RRa 2014, 106; Graf-Schimek, Die grenzüberschreitende Immissionsabwehrklage im europäischen Privat- und Verfahrensrecht, in: Beig/Graf-Schimek/Grubinger/Schacherreiter, Rom II-VO (Wien 2008); Hadeyer, Nochmals zur Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Unterlassungsklagen, ecolex 2004, 828; G. Hager/F. 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R. van de timesharingvoereenkomst, RW 2001–2, 361; Jayme, Ferienhausvermittlung und Verbraucherschutz, IPRax 1993, 18; Jayme, Prozessuale Hindernisse für Timesharing-Anbieter in Auslandsfällen, IPRax 1996, 87; Kartzke, Verträge mit gewerblichen Ferienhausanbietern, NJW 1994, 823; Kaye, Creation of an English Resulting Trust of Immovables Held to Fall Outside Article 16 (1) of the European Judgments Convention, IPRax 1995, 286; Kelp, Time-Sharing-Verträge (2005); Christoph A. Kern, Technik und Taktik – Die Not des EuGH mit Prozessrecht und Sachenrecht, in: FS Thomas Sutter-Somm. (2016) 303; Kreuzer, Zuständigkeitssplitting kraft Richterspruch, IPRax 1986, 75; Kreuzer, Zuständigkeitssplitting kraft Richterspruch II, IPRax 1991, 25; Kümmerle, Anmerkung zur Entscheidung des EuGH vom 3. Oktober 2013 in der Rechtssache C-386/12 „Siegfried Janós Schneider“, GPR 2014, 170; Lagarde, Les locations de vacances dans les conventions européennes de droit international privé, in: Études offertes à Pierre Bellet (1991) 281; Matthias Lehmann/Sánchez Lorenzo, Der Rumpfgerichtsstand für dingliche Klagen nach Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ (Art. 22 Nr. 1 EuGVVO), IPRax 2007, 190; Leue, Die grenzüberschreitende „reine Mietzinsklage“ beim Ferienhaus, NJW 1983, 1242; Lindskoug, When is the Property Immovable and When is the Right in rem? – And What Does It Matter in the Question of Jurisdiction?, in: Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 257; Mankowski, Timesharing und internationale Zuständigkeit am Belegenheitsort, EuZW 1996, 177; Mankowski, Urteilsanm, VuR 2004, 217; Mankowski, Internationale Zuständigkeit in Timesharing-Fällen – Ein Dauerbrenner, NZM 2007, 671; Mankowski, Das Grundbuch im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, in: Wudarski (Hrsg.), Das Grundbuch im Europa des 21. Jahrhunderts (2016) 83; Mankowski, Zahlungsklagen gegen Wohnungseigentümer im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, ZMR 2019, 565; McGuire, actio negatoria: Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, ecolex 2006, 709; Musger, Grenzüberschreitende Umweltbelastungen im Internationalen Zivilverfahrensrecht, Zak 2006, 203; Nordmeier, Verfahrenskoordination nach Art. 27 EuGVVO bei ausschließlichen Gerichtsständen – zugleich zur Reichweite des Art. 22 Nr. 1 EuGVVO, IPRax 2015, 120; Hanns Prütting, Der Fall Weber des EuGH und der dingliche Gerichtsstand des Art. 22 Nr. 1 EuGVVO, in: FS Dagmar Coester-Waltjen (2015) 631; Rauscher, Die Ferienhausentscheidung des EuGH – Unbilligkeit oder Konsequenz europäischer Rechtspflege?, NJW 1985, 892; Schack, Abwehr grenzüberschreitender Immissionen im dinglichen Gerichtsstand, IPRax 2005, 262; Solomon, Der Immobiliargerichtsstand im Europäischen Zuständigkeitsrecht, in: FS Bernd vHoffmann
Mankowski
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten (2011) 727; A. Staudinger, Internet-Buchung von Reisen und Flügen, RRa 2007, 98; A. Staudinger, Ferienhausmiete im Ausland: Sind der inländische Verbraucherschutzgerichtsstand und das Pauschalreiserecht „out“?, NZM 2011, 257; A. Staudinger, Anwendbarkeit des Art. 22 Nr. 1 Brüssel I-VO bei Ferienhausmietverträgen mit Verbrauchern, RRa 2013, 58; Teixeira de Sousa, Der Anwendungsbereich von Art. 24 Nr. 1 S. 2 EuGVVO, IPRax 2003, 320; Thole, Die internationale Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 1 EuGVVO für Immissionsabwehrklagen, IPRax 2006, 564; Thomale, Die international-privatrechtliche Behandlung von Wohnungseigentümergemeinschaften, IPRax 2020, 18; Tiefenthaler/Hanusch, Internationale Zuständigkeit für vorbeugende Immissionsabwehrklagen, ecolex 2004, 330; M. Ulmer, Neue Tendenzen bei der Auslegung des Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ, IPRax 1995, 72; R. 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L.J. 15 (2018) 134; Ringe, „Überseering im Verfahrensrecht“ – Zu den Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften auf das Internationale Zivilprozessrecht, IPRax 2007, 388; Schaper, Internationale Zuständigkeit nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO und Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten – Implikationen für den europäischen Wettbewerb der Gesellschaftsrechte, IPRax 2010, 513; Schillig, Die ausschließliche internationale Zuständigkeit für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit – Zur Anwendung des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO auf eine englische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, IPRax 2005, 208; Schotel, International jurisdiction in cross-border corporate litigation, NIPR 2019, 350; Storm, Corpo-
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Mankowski
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
rate Litigation bij de Ondernemingskamer (2014); Storm, Reactie, WPNR 7037 (2014) 1024; Strik, Internationale aspecten van de Ondernemingskamer, WPNR 7037 (2014) 1018; Thole, Die Reichweite des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO bei Rechtsstreitigkeiten über Organbeschlüsse, IPRax 2011, 541; Thomale, Die Gründungstheorie als versteckte Kollisionsnorm, NZG 2011, 1290; van Vught, Rechtmacht in de rechtspersoon. Twee arresten, één forum voor corporate geschillen?, NIPR 2018, 894; G. Wagner, Scheinauslandsgesellschaften im Europäischen Zivilprozessrecht, in: Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223; J. Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2011); J. 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Zu Nr. 5: Acocella, Die Qualifikation des Zahlungsbefehls, der provisorischen Rechtsöffnung, der Aberkennungsklage und der Feststellungsklage gemäss Art. 85a SchKG nach dem LugÜ, in: FS Ivo Schwander (St. Gallen 2011) 643; A.-K. Bitter, Vollstreckbarerklärung und Zwangsvollstreckung ausländischer Titel in der Europäischen Union (2009), zitiert: A.-K. Bitter; Bommer, Die Zuständigkeit für Widerspruchs- und Anfechtungsklagen im internationalen Verhältnis (2001), zitiert: Bommer; Briggs, Owing, Owning and the Garnishing of Foreign Debts, [2003]
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Kap. II: Zuständigkeit
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LMCLQ 418; Cuniberti, Le principe de territorialité des voies d’exécution, Clunet 135 (2008) 963; Domej, Der „Lugano-Zahlungsbefehl“ – Titellose Schuldbetreibung in der Schweiz nach der LugÜ-Revision, ZZP Int 13 (2008) 167; Domej, Internationale Zwangsvollstreckung und Haftungsverwirklichung (2016), zitiert: Domej; Donzallaz, La mainlevée provisoire de l’opposition (Art. 82 LP) dans la Convention de Lugano après l’ATF 136 III 566, in: FS Ivo Schwander (St. Gallen 2011) 683; Garber, Zur internationalen Zuständigkeit für die Erlassung eines Europäischen Kontenpfändungsbeschlusses, in: FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 81; Geimer, Schwedische Bank im deutschen Grundbuch: Grundschuld zur Sicherung einer ausländischem Recht unterliegenden Forderung, IPRax 1999, 152; Heß, Auslandssachverhalte im Offenbarungsverfahren, Rpfleger 1996, 89; Jestaedt, Internationale Zuständigkeit eines deutschen Vollstreckungsgerichts bei alleinigem Wohnsitz des Drittschuldners im Inland?, IPRax 2001, 438; Kaufmann-Kohler, Commandement de payer, mainlevée provisoire, action en libération de dette et Convention de Lugano, Sem. jud. 117 (1995) 537; B. König, Die Oppositionsklage (§ 35 EO) und Art. 22 Nr. 5 EuGVVO, ÖJZ 2006, 931; Markus, Provisorische Rechtsöffnung und Zuständigkeit nach dem Lugano-Übereinkommen, ZBJV 131 (1995) 323; Markus, Lugano-Übereinkommen und SchKG-Zuständigkeiten (1996), zitiert: Markus; Markus, Drittschuldners Dilemma, in: FS Franz Kellerhals (2005) 177; Markus, Zahlungsbefehl als Mahntitel nach dem revidierten Lugano-Übereinkommen, in: Kren Kostkiewicz/Markus/Rodriguez (Hrsg.), Internationaler Zivilprozess 2011 (2010) 33; I. Meier/Sogo, Internationale Zuständigkeit für Klagen des Vollstreckungsschuldners im schweizerischen Recht, in: FS Peter Schlosser (2005) 579; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung im internationalen Rechtsverkehr (2000), zitiert: Nelle; Oberhammer, Klägergerichtsstand für die Aberkennungsklage nach Art. 83 SchKG und Art. 4 LugÜ: Schweizerische Praxis und europäisches Zivilprozessrecht im Konflikt?, ZZP Int 9 (2004) 219; Oberhammer, Oppositionsklage und europäisches Zivilprozessrecht, in: Bernhard König/Mayr (Hrsg.), Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich III (2013) 83; Reichardt, Die Auswirkung des Nichtigkeitseinwands auf die internationale Zuständigkeit in Patentstreitigkeiten, GRURInt 2008, 574; Herbert Roth, Die negative Feststellungsklage zur Abwehr drohender Zwangsvollstreckungsmaßnahmen als Anwendungsfall von Art. 16 Nr. 5 Lugano-Übereinkommen, IPRax 1999, 50; H. Roth, Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ, Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO und Klage auf Auskehrung des unberechtigt Erlangten nach durchgeführter Zwangsversteigerung, IPRax 2001, 323; H. Roth, Vollstreckungsabwehrklage und Aufrechnung, IPRax 2015, 538; Schimrick, Die unmittelbare grenzüberschreitende Forderungsvollstreckung im internationalen und europäischen Rechtsraum (2012); Schlosser, Gläubigeranfechtungsklage nach französischem Recht und Art. 16 EuGVÜ, IPRax 1991, 29; C. Schreiber, Die Haftung des Vollstreckungsgläubigers im internationalen Zivilrechtsverkehr (2008), zitiert: C. Schreiber; Solomon, Internationale Zuständigkeit zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen, AG 2006, 832; Staehelin, Die internationale Zuständigkeit der Schweiz im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, AJP 1995, 259; Stoffel, Ausschließliche Gerichtsstände des Lugano-Übereinkommens und SchKG-Verfahren, insbesondere Rechtsöffnung, Widerspruchsklage und Arrest, in: FS Oscar Vogel (1991) 357; Vouilloz, Mainlevée provisoire et Convention de Lugano, RVJ 1994, 337; Weibel, Aberkennungsklagegerichtsstand am schweizerischen Betreibungsort im euro-internationalen Verhältnis?, BJM 2004, 169.
I. Allgemeines 1. Zwecksetzung Art. 24 Brüssel Ia-VO ist eine vorrangige Ausnahmeregel zu Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO. Er begründet 1 ausschließliche Zuständigkeiten, die sowohl die allgemeine als auch alle besonderen Zuständigkeiten verdrängen.1 Dies gilt selbst für die Gerichtsstände der Schutzregimes, insbesondere jene in Verbrauchersachen nach Art. 17–19 Brüssel Ia-VO.2 Da Art. 24 Brüssel Ia-VO kein Pendant zu Art. 14 Abs. 2; 18 Abs. 3; 22 Abs. 2 Brüssel Ia-VO enthält, gibt es auch kein besonderes Einfallstor für den Widerklagegerichtsstand des Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO.3 Das Litispendenzregime und sein Prioritätsprinzip gelten nicht für die Konkurrenz zwischen einem ausschließlichen und einem nicht ausschließlichen Gerichtsstand; vielmehr hat der ausschließliche Gerichtsstand insoweit unbedingten Vorrang.4 Eine Konkurrenz mehrere Gerichtsstände ist nur für die verschiedenen Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel Ia-VO untereinander möglich; dieses Ausnahmefalls nimmt sich Art. 29 Brüssel IaVO an. Ob anderwärts eine Zuständigkeit nach Art. 24 Brüssel Ia-VO besteht, ist gem. Art. 27 Brüs-
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Siehe nur östOGH, JBl 2007, 804, 806; östOGH, JBl 2016, 109, 110; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 3. Siehe nur A. Staudinger, NZM 2011, 257, 258. Siehe nur Brinkmann, IPRax 2019, 501, 503 m.w.N. Koza Ltd. v. Mustafa Akçil [2019] UKSC 40 [28], [2019] 1 WLR 4630, [2019] ILPr 911 (S. C., per Lord Sales JSC).
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten sel Ia-VO auch ohne Einlassung des Beklagten von Amts wegen zu prüfen.5 Für Verbandsklagen nach dem UKlaG gilt Art. 24 Brüssel Ia-VO nicht.6 Die ausschließlichen Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel Ia-VO sind zwingend7 und derogationsfest. Sie nehmen ausweislich Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO jeder Gerichtsstandsvereinbarung, z.B. in einem internationalen Mietvertrag, die Wirkung.8 Die Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel Ia-VO sind vorrangig zu prüfen und begründen teilweise recht imperialistische „Zwangszuständigkeiten“.9 2
Im einstweiligen Rechtsschutz greift die Ausschließlichkeitswirkung nicht; vielmehr stehen neben den durch Art. 24 Brüssel Ia-VO bezeichneten Gerichtsständen die über Art. 35 Brüssel Ia-VO verwiesenen Gerichtsstände des nationalen Rechts,10 denn Art. 35 Brüssel Ia-VO ist insoweit Ausnahme zu allen vorstehenden Zuständigkeitstatbeständen einschließlich Art. 24 Brüssel Ia-VO.
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Die Zuständigkeiten des Art. 24 Brüssel Ia-VO bezwecken eine Zuständigkeitskonzentration in einem sachnahen Forum. Sie wählen Anknüpfungspunkte, die jeweils für einen bestimmten Gegenstand besonders sachnah sind und gleichsam das „natürliche Forum“ definieren.11 Diese Anknüpfungspunkte sind sach- und nicht personenbezogen. Einfache Sach- und Beweisnähe allein vermöchte allerdings die Ausschließlichkeit nicht zu tragen, weil sie gleichermaßen hinter bloßen besonderen Gerichtsständen stünde.12 Die Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel Ia-VO beruhen auf stärkeren Gründen. Nr. 3 etwa entspringt einem Gebot der Logik: Über die Gültigkeit der Eintragung in ein Register kann nur der Registerstaat entscheiden; dass ein anderer Staat zu einem gegenteiligen Ergebnis gelangte, ginge nicht an.13
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Hinter den Gerichtsständen des Art. 24 Brüssel Ia-VO stehen zudem häufig Souveränitätserwägungen.14 Des Weiteren bewirken sie in der Regel einen Gleichlauf mit dem anwendbaren Recht.15 Dies ist wichtig, denn es handelt sich um Materien von besonderer Schwierigkeit oder Komplexität, die in besonderem Maße nach einem Gericht verlangen, das mit dem anwendbaren Recht vertraut ist.16 Allerdings geht dies nicht so weit, eine domaine réservé und ein forum legis annehmen zu müssen.17
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Die Liste der ausschließlichen Gerichtsstände in Art. 24 Brüssel Ia-VO ist abschließend18 und einer Analogie nicht zugänglich.19 Ausschließliche Gerichtsstände vermindern in einem geschlossenen Zuständigkeitssystem wie jenem der Brüssel Ia-VO die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen massiv, denn mit einem ausschließlichen Gerichtsstand kann allenfalls ein anderer ausschließlicher Gerichtsstand konkurrieren.20 Die ausschließlichen Gerichtsstände werden auf der Ebene der 5 Siehe nur östOGH, JBl 2007, 804, 806. 6 BGHZ 109, 33 = EuZW 1990, 36 m. zust. Anm. Nagel = BB 1990, 659 m. zust. Anm. Lindacher; Lorenz, IPRax 1990, 292; Lindacher, IPRax 1993, 228, 229; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 8. 7 Siehe nur GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 26.5.2016 – C-230/15, ECLI:EU:C:2016:366 Rz. 49. 8 ÖstOGH, GRUR-Int. 2009, 74, 75; AppG Basel-Stadt SZIER 1996, 91 m. Anm. Volken; Cour de justice Genève SZIER 1997, 359 m. zust. Anm. Volken; Aud. Prov. Madrid REDI 2006, 459 m. Anm. Álvarez de Sotomayor; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 3. 9 Treffender Ausdruck von Musger ÖRZ 1993, 198; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 2; aufgenommen von ÖstOGH, GRUR-Int. 2009, 74, 75. 10 EuGH v. 12.7.2012 – C-616/10, ECLI:EU:C:2012:445 – Solvay SA vs. Honeywell Fluorine Products Europe BV, GRUR 2012, 1169 = EuZW 2012, 837 Rz. 36–44, 50; Hof Den Haag NIPR 2014 Nr. 275 S. 485; Geimer/ Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 5 (2005). 11 Noch emphatischer Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 1 (2016): „das einzig richtige Forum“. 12 Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 730. 13 Matthias Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 515. 14 Audit in Mélanges en l’honneur de Paul Lagarde (2005) 19, 33; Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 731. Für Nr. 1 Var. 1 überspitzt: „feudalistisches Konzept“ Matthias Lehmann/Sánchez Lorenzo, IPRax 2007, 190, 194 f.; Matthias Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 515. 15 Vlas in Voorkeur voor het lex fori – Symposium ter gelegenheid van het adscheid van prof. mr. Th.M. de Boer (2003) 181, 187. 16 GA Lenz, Schlussanträge v. 6.6.1985 – 220/84, EuGHE 1985, 2267, 2271; Kuwait Oil Tanker SAK v. Qabazard [2004] 1 AC 300, 305 = [2003] 3 All ER 501 (HL, per Lord Bingham of Cornhill). 17 Matthias Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 515. 18 Siehe nur EuGH v. 28.4.2009 – C-420/07, ECLI:EU:C:2009:271 Rz. 48 – Meletis Apostolidis vs. David Charles Orams u. Linda Elizabeth Orams; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 4 (2016). 19 Siehe nur Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 13; Markus Würdinger, ZZP Int 13 (2008), 147, 151.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Anerkennung durch den Anerkennungsversagungsgrund des Art. 45 Abs. 1 lit. e i) Brüssel Ia-VO gegen Missachtung geschützt. Aus dem Ausnahmecharakter ist indes nicht auf eine restriktive und strenge Auslegung zu schlie- 6 ßen.21 Zwar betont der EuGH immer wieder, dass Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausnahmen zu Art. 4 ff. statuiere und deshalb nicht über die verfolgten Zwecke hinaus angewendet werden dürfe.22 Im Rahmen der verfolgten Zwecke ist er jedoch ebenso teleologisch auszulegen wie alle anderen Gerichtsstandsnormen auch. Teleologie und Verfolgen legitimer Zwecke greifen, nicht eine Zweifelsregel zugunsten einer restriktiven Auslegung.23 Der EuGH selber hält sich jedenfalls nicht konsequent an die von ihm proklamierte Linie, sondern entscheidet durchaus nach Sachaspekten differenziert und in sich nicht widerspruchsfrei.24 Deutlichstes Beispiel dafür ist die Entscheidung GAT vs. LuK zu Nr. 4.25 Dort befürwortet der EuGH eine weite Auslegung der Nr. 4, um deren effet utile sicher zu stellen.26 Art. 24 Brüssel Ia-VO definiert seine Anwendungsvoraussetzungen auch im Verhältnis zu Drittstaaten selbst und abschließend.27 Er ist nicht davon abhängig, dass die Voraussetzungen des Art. 4 Brüssel Ia-VO vorlägen (also dass der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand im EU-Gebiet hätte) oder ein Bezug zu einem weiteren Mitgliedstaat bestünde.28 Allein entscheidend ist vielmehr, ob der im jeweiligen Tatbestand des Art. 24 Brüssel Ia-VO geforderte Anknüpfungspunkt in einem Mit20 EuGH v. 12.5.2011 – C-144/10, ECLI:EU:C:2011:300 Rz. 40 – Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Anstalt des öffentlichen Rechts vs. JP Morgan Chase Bank NA; Niederlassung Frankfurt; Jenard-Bericht Art. 16 Nr. 2 Anm. 1; Koza Ltd. v. Akçil [2019] UKSC 40 [38]–[39], [2019] 1 WLR 4630, [2019] ILPr 911 (S. C., per Lord Sales JSC); Matthias Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 515 f.; Schack, ZEuP 2012, 195, 197; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 5 (2016). 21 Anders noch 3. Aufl. Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 1 (Mankowski). 22 Z.B. EuGH v. 14.12.1977 – 73/77, ECLI:EU:C:1977:208 Rz. 17/18 – Theodorus Engelbertus Sanders vs. Ronald van der Putte; EuGH v. 26.3.1992 – C-261/90, ECLI:EU:C:1992:149 Rz. 25 – Mario Reichert u. Ingeborg Kockler vs. Dresdner Bank AG; EuGH v. 27.1.2000 – C-8/98, ECLI:EU:C:2000:45 Rz. 21 – Dansommer AS vs. Andreas Götz; EuGH v. 5.4.2001 – C-518/99, ECLI:EU:C:2001:209 Rz. 14 – Richard Gaillard vs. Alaya Chekilim.w.N.; EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C:2006:330 Rz. 26 – Land Oberösterreich vs. CˇEZas; EuGH v. 2.10.2008 – C-372/07, ECLI:EU:C:2008:534 Rz. 18 f. – Nicole Hassett vs. South Eastern Health Board; EuGH v. 12.5.2011 – C-144/10, ECLI:EU:C:2011:300 Rz. 30 – Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Anstalt des öffentlichen Rechts vs. JP Morgan Chase Bank NA; Niederlassung Frankfurt; EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 24 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu; EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:881 Rz. 28 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt; EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 Rz. 22 – Brian Andrew Kerr vs. Pavlo Postnov u. Natalia Postnova; dem folgend z.B. östOGH, ÖJZ 1998, 431; östOGH, JBl 2007, 804, 806; GA Jääskinen, Schlussanträge v. 30.1.2014 – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:43 Rz. 28; Calyon v. Wytwornia Sprzetu Komunikacynego PZL Swidnik SA [2009] 2 All ER (Comm) 603, 623 [93] (Q.B.D., Field J.); JP Morgan Chase Bank NA v. Berliner Verkehrsbetriebe (BIG) [2009] ILPr 791, 803 [23] (Q.B.D., Teare J.); In re Zavarco plc [2015] EWHC 1898 (ch) [18], [2015] 3 WLR 1479, 1485 f. (ChD, Judge David Donaldson QC). 23 Tendenziell ebenso Crespi Reghizzi, Giur. It. 2018, 1645, 1654. Vgl. aber auch Poesen, T.B.H. 2019, 116, 118 f. 24 Matthias Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 513 f. 25 EuGH v. 13.7.2006 – C-4/03, ECLI:EU:C:2006:457 – GAT vs. LuK, EuGHE 2006, I 6509, 6531–6534 Rz. 21–31. 26 Deutlich betont in EuGH v. 12.7.2012 – C-616/10, ECLI:EU:C:2012:445 – Solvay SA vs. Honeywell Fluorine Products Europe BV, GRUR 2012, 1169 = EuZW 2012, 837 Rz. 44, 47. 27 Siehe nur Mankowski, EuZW 1996, 177; Coester-Waltjen, FS Nakamura (1996) 89, 103 f.; Gaudemet-Tallon, Liber amicorum Droz (1996) 85, 89; Geimer/Schütze/Safferling, Art. 16 EuGVÜ Rz. 2 (1997); Geimer, IPRax 1999, 152, 154; Francq in Boularbah/Francq/Nuyts/van Boxstael/Wautelet J. trib. 2015, 89, 90 sowie Koza Ltd. v. Mustafa Akçil [2019] UKSC 40 [1], [2019] 1 WLR 4630, [2019] ILPr 911 (S. C., per Lord Sales JSC); Dar Al Arkan Real Estate Development Co v. Refai [2014] EWCA Civ 715, [2015] 1 WLR 135 [64] (C.A., per Beatson L.J.); Dar Al Arkan Real Estate Development Co v. Refai [2013] EWHC 4112 (Q.B.) [38]–[64] (Q.B.D., Andrew Smith J.). A.A. Choudhary v. Bhatter [2010] ILPr 130, [2010] 2 All ER 1031 [35]–[41] (C.A., per Sir John Chadwick). 28 EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C:2006:330 Rz. 21 – Land Oberösterreich vs. CˇEZas; OLG Hamburg, IPRax 1999, 168, 169 m.w.N.; OLG München v. 16.6.2005 – 29 U 5456/04, MMR 2005, 608, 609 – 1–800-Flowers; Bernasconi/Gerber, SZIER 1993, 39, 54; Geimer, IPRax 1999, 152, 154; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 2; Knöfel, RIW 2006, 627; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 5.
Mankowski
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7
Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten gliedstaat verwirklicht ist,29 ob also z.B. bei Nr. 1 das betroffene Grundstück in einem Mitgliedstaat liegt.30 8
Der Wohnsitz des Beklagten wird ausdrücklich für irrelevant erklärt,31 bestätigt durch den Vorbehalt zugunsten des Art. 24 in Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO,32 der Wohnsitz des Klägers ist von vornherein unbeachtlich.33 Maßgeblich ist nur der Klaggegenstand, nicht der Beklagtenwohnsitz.34 Z.B. fällt ein Streit zwischen einem in New York ansässigen Kläger und einem in San Francisco ansässigen Beklagten um das Eigentum an einem in Hamburg belegenen Grundstück unter Art. 24 Nr. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO, zuständig sind die Hamburger Gerichte. Eine Klage auf Löschung einer Marke in Deutschland fällt unter Art. 24 Nr. 4 Brüssel Ia-VO, auch wenn der Beklagte in den USA ansässig ist.35 Auf der anderen Seite erfasst auch Art. 24 Brüssel Ia-VO keine reinen Binnensachverhalte, sondern setzt wenigstens eine gewisse Auslandsberührung voraus.36 2. Reflexwirkung zugunsten von Drittstaaten?
9
Art. 24 Brüssel Ia-VO ist nach seinem klaren Wortlaut nur anwendbar, wenn das jeweilige Anknüpfungsmoment zu einem Mitgliedstaat weist. Liegt das Anknüpfungsmoment dagegen in einem Drittstaat, so ist Art. 24 Brüssel Ia-VO nicht anzuwenden.37 Ebenso entfaltet Art. 24 Brüssel Ia-VO keine Reflexwirkung zugunsten von Drittstaaten. Die Theorie vom effet réflexe38 ist abzulehnen.39 Sie kolli29 30 31 32 33 34 35 36 37
38
39
Siehe nur Cuniberti, Clunet 135 (2008) 963, 988; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 9 (2016. Siehe nur Hof Amsterdam, NIPR 2008 Nr. 94 S. 158; Mankowski, EuZW 1996, 177. Siehe nur Friesen, jurisPR-IWR 1/2018 Anm. 2 sub C. Verkannt von Choudhary v. Bhatter [2010], ILPr 130, [2010] 2 All ER 1031 [35]–[41] (C.A., per Sir John Chadwick). Siehe nur Geimer, IPRax 1999, 152, 154; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 101. Siehe nur Hye-Knudsen, 21; Wilderspin, Rev. crit. dip. 95 (2006) 777, 795; Schauwecker, GRUR-Int. 2009, 187, 189. OLG München v. 16.6.2005 – 29 U 5456/04, MMR 2005, 608, 609 – 1–800-Flowers. Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 6; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 11 (2016). Siehe nur östOGH, SZ 74/75 S. 475; Hof Amsterdam, NIPR 2008 Nr. 94 S. 158; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 7; Wenner, FS Jagenburg (2002) 1013, 1015 f.; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 7; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 12. A.A. Rb. Rotterdam, Ned. Jur. 1978 Nr. 621 m. Anm. Schultsz; Grundmann, IPRax 1985, 249; vgl. auch Rb. Amsterdam, Ned. Jur. 1976 Nr. 323 m. Anm. Schultsz = NILR 1975, 206 m. Anm. Verheul; Rb. Arnhem, WPNR 5791 (1981) 459; Jansegers, RW 2001–2, 361, 368. Begründet von Droz, 108 f.; außerdem vertreten von östOGH, JBl 2002, 52; Ferrexpo AG v. Gilson Investments Ltd. [2012] EWHC 721 (Comm), [2012] 1 Lloyd’s Rep. 588, [2012] 1 CLC 645 [125]–[155] (Q.B.D., Andrew Smith J.); Blue Tropic Ltd. v. Chkrhartishvili [2014] EWHC 2243 (Ch.), [2014] ILPr 501 [18] (Ch. D., Newey J.); Bariatti, Riv. dir. int. priv. proc. 1982, 484, 502; Gothot/Holleaux, Nr. 37; Grundmann, IPRax 1985, 249; Luzzatto, Jus 1990, 9, 13 f.; Bernasconi/Gerber, SZIER 1993, 39, 55; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 16 EuGVÜ Rz. 7; Calvo Caravaca/Carrascosa González, Art. 17 Anm. 7; Gaudemet-Tallon, Liber amicorum Droz (1996) 85, 95 f.; Boschiero in Appunti sulla riforma del sistema italiano di diritto internazional privato (1996) 130 f.; Geimer/Schütze/Safferling (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 2; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 158; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts (2000) Rz. 429; Gaudemet-Tallon, Nr. 100; Kropholler, FS Ferid (1988) 239, 241 f.; Chalas, L’exercise discrétionnaire de la compétence juridictionelle en droit international privé (2000) nos 621–623; Chalas, Rev. crit. dip. 102 (2013) 359; Nuyts in de Leval/M. Storme (dir), Le droit judiciaire et processuel européen (2003) 73; Schack, Rz. 316; Fernández Arroyo, FS Jayme (2004) 169, 178, 186; Layton/Mercer, Rz. 19.010; Peel [2005] LMCLQ 363; Briggs [2005] LMCLQ 378; Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224, 227 f.; B. Audit in Mélanges en l’honneur de Paul Lagarde (2005) 19, 34; Fentiman (2005) 64 Cambridge L.J. 303, 304; Mourre/Lahlou, RDAI 2005, 509, 519; Heinze/Roffael, GRUR-Int. 2006, 787, 796; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 10; Bonomi, Riv. dir. int. priv. proc. 2007, 313, 318; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 7; Dicey/Morris/Collins, Rz. 12–021; Pataut, Rev. crit. dip. 102 (2013) 223, 233 f. sowie Rb. Rotterdam, Ned. Jur. 1978 Nr. 621 m. Anm. Schultsz; Crawford (2013) 17 Edinburgh L Rev 78; Slonina, wobl 2014, 61 f. Siehe nur EuGH Gutachten 1/03 Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGHE 2006 I 1145, 1245 Rz. 138; östOGH, SZ 74/75 = ZfRV 2002, 115 = JAP 2001/2, 246 m. Anm. Frauenberger-Pfeiler; Koza Ltd. v. Mustafa Akçil [2019] UKSC 40 [44], [2019] 1 WLR 4630, [2019] ILPr 911 (S. C., per Lord Sales JSC); Hof Arnhem-Leeuwarden, locatie Leeuwarden NIPR 2014 Nr. 140 S. 269; Gei-
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
diert mit der Gerichtsstandsgarantie für den Kläger, wenn ein Gerichtsstand nach der Brüssel Ia-VO gegeben ist.40 Gerade wenn man die Lehre vom effet féflexe als spezielle forum non conveneinesDoktrin einordnen will,41 hat sie keinen Platz und bricht sich an Art. 5 Brüssel Ia-VO.42 Eine Analogie zu Art. 24 Brüssel Ia-VO43 scheidet mangels der für jede Analogie notwendigen plan- 10 widrigen Regelungslücke aus, denn es greifen ja die „normalen“ Gerichtsstände der VO. Ist z.B. die streitgegenständliche Immobilie in einem Drittstaat belegen, so kommt den Gerichten jenes Staates aus EU-Sicht keine ausschließliche Zuständigkeit zu. Die Brüssel Ia-VO kann als Rechtsakt zwischen den Mitgliedstaaten keine positive Zuweisung an Drittstaaten beinhalten, denn sie kann drittstaatliche Gerichte nicht zur Entscheidung von Fällen zwingen.44 Man kann nicht die internationale Zuständigkeit fremder Gerichte bestimmen und diesen aufzwingen.45 Ohne positive Zuweisungskomponente darf es aber auch keine Derogationskomponente geben, dass die Gerichte der EU-Staaten sich für unzuständig erklären müssten. Ansonsten drohte nämlich ein negativer Kompetenzkonflikt. Die EU-Sicht mag an die Immobilie anknüpfen, der Drittstaat muss dies aber nicht.46 Ebenso können die sachlichen Anwendungsbereiche der einschlägigen Nummer aus Art. 24 Brüssel Ia-VO einerseits und des am nächsten kommenden Zuständigkeitstatbestands des drittstaatlichen Rechts anders geschnitten sein.47 Auch ErwGr. 24 überwindet dies nicht.48 Eine Reflexwirkung davon abhängig zu machen, dass der Drittstaat konkret eine ausschließliche Zuständigkeit für sich in Anspruch nimmt,49 vermeidet zwar die Gefahr negativer Kompetenzkonflikte. Es überfrachtet aber die Prüfung der eigenen Zuständigkeit für die Gerichte der Mitgliedstaaten und verlangt diesen die Ermittlung drittstaatlichen Prozessrechts ab. Ein effet réflexe verlangte eine delikate Kombination von Normen aus verschiedenen Rechtsordnungen, zudem kraft verschiedener Methoden.50
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Historisch-genetisch erfährt die Ablehnung Unterstützung durch den Bericht Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard51 wie durch den Bericht Jenard/Möller.52 Systematisch spricht Art. 27 Brüssel Ia-VO gegen einen effet réflexe, denn er verlangt Amtsprüfung und Amtsaussetzung nur bei ausschließlicher Zuständigkeit kraft Art. 24 Brüssel Ia-VO in einem anderen Mitgliedstaat.53 Positive Kompetenzkon-
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40 41 42 43 44 45 46 47 48 49
50 51 52 53
mer, NJW 1976, 441, 443; Mota de Campos, Doc. Dir. Comp. 22 (1985) 73, 121; Teixeira de Sousa/Moura Vicente, 113 f.; Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 257 f.; Mari, 148 f.; Rechberger/Frauenberger-Pfeiler, ZZP Int 6 (2001) 3, 22; Béraudo, JCl Droit international fasc. 631–50 Nr. 27 (2002); Wenner, FS Jagenburg (2002) 1013, 1022–1025; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 7; Teixeira de Sousa, IPRax 2003, 320, 322 f.; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 13 f.; Rosner, 172; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 7 (2005); Magnus/Mankowski/Queirolo, Art. 27 Rz. 5; Kruger, Civil Jurisdiction Rules of the European Union and Their Impact on Third States (2008) Rz. 5.26; Schauwecker, GRUR-Int. 2009, 187, 189 f. (anders aber 194); Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 139–141; Queirolo in Queirolo/Heiderhoff (Hrsg.), Party Autonomy in European Private (and) International Law I (2015) 83, 120 f.; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 10 (2016). Zugestanden von Slonina, wobl 2014, 61 f. So Chalas, L’exerc.i.c.e discétionnaire de la compétence juridictionelle en droit international privé (2000) no 621. Siehe Nuyts in de Leval/Storme (dir), Le droit judiciaire et processuel européen (2993) 73, 82. Dafür Slonina, wobl 2014, 61, 62 sowie Frauenberger-Pfeiler, JAP 2001/2002, 246. Ventiliert von Fallon, Mélanges Hélène Gaudemet-Tallon (2008) 241, 245–250. Wenner, FS Jagenburg (2002) 1013, 1022 f. Ebenso östOGH, EF-Z 2014, 142, 143 m. Anm. Nademleinsky für eine österreichische Zuständigkeitsnorm. Wenner, FS Jagenburg (2002) 1013, 1025; dies übersieht z.B. Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 10. Fentiman in Nuyts (Hrsg.), International Civil Litigation in Europe and Relations with Third States (2005) 83, 102 f. Siehe aber Gsell, ZZP 128 (2014), 431, 438–440; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 8. So Jayme in Schwind (Hrsg.), Europarecht, IPR, Rechtsvergleichung (1988) 97, 108 f.; Coester-Waltjen, FS Nakamura (1996) 89, 105; Geimer/Schütze/Safferling (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 2; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts (2000) Rz. 429 f., 507; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 7; Kropholler, FS Murad Ferid zum 80. Geb. (1988) 239, 241 f.; Hess, § 5 Rz. 12; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 9; Slonina, wobl 2014, 61, 62. Zugestanden von Fallon, Liber amicorum Gaudemet-Tallon (2008) 241, 258; Chalas, Rev. crit. dip. 102 (2013) 359, 380. Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard-Bericht Nr. 25d; kritisch dazu Droz, Rev. crit. dip. 79 (1990), 1, 10. Jenard/Möller-Bericht Nr. 54. Magnus/Mankowski/Queirolo, Art. 25 Rz. 5.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten flikte mit einem Drittstaat, der für sich ausschließliche internationale Zuständigkeit in Anspruch nimmt, sind hinzunehmen und über die Litispendenz- wie die Anerkennungsregeln des nationalen Rechts zu lösen.54 Eine Reflexwirkung, welche die drittstaatliche ausschließliche Zuständigkeit akzeptiert, würde dagegen Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten mitgliedstaatlicher Gerichte unmöglich machen und gefährliche Anreize zur Flucht in die Schiedsgerichtsbarkeit setzen.55 Völkerrechtlichen Bindungen gegenüber dem Drittstaat kann ein Mitgliedstaat im Rahmen des Art. 71 Brüssel Ia-VO und nur in diesem Rahmen Rechnung tragen.56 Anderenfalls verkürzte man nämlich Justizgewährungsanspruch und verbriefte Gerichtsstandsgarantie für den Kläger, wie sie sich in den Zuständigkeitstatbeständen der VO niederschlagen.57 13
Richterliches Ermessen, das in eine Klagabweisung zugunsten drittstaatlicher Zuständigkeit münden würde, bricht sich an dem festen Charakter der europäischen Zuständigkeitstatbestände. Es gibt kein richterliches Ermessen gestützt auf forum non conveniens,58 und dies kehrt sich auch gegen eine Lehre vom effet réflexe.59 Der Beklagtenwohnsitz oder besondere Zuständigkeiten vermitteln eine hinreichende Verbindung zum Forum, so dass keine Rede davon sein kann, dass dieses keine Beziehung zum Sachverhalt habe.60 Verankert im Wortlaut ist ein effet réflexe nirgends.61 Eine spiegelbildliche Anwendung von Vorschriften62 gibt es nicht. Litispendenzfragen aus Konkurrenz mit drittstaatlichen Fragen lösen Art. 33; 3463 und bieten damit eine ebenso eindeutige wie systemimmanente und eingebettete Lösung der drängenderen Konstellationen.64
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Niemals im gesamten Reformprozess zur Brüssel Ia-VO haben die Legislativinstanzen der EU einen ernsthaften Vorstoß zur umfassenden Verankerung oder Bestätigung eines effet réflexe unternommen, obwohl das Verhältnis zu Drittstaaten einer der Zentralpunkte in der Reformdiskussion war. Nur in ErwGr. 24 S. 2 und nur mit Bezug auf Litispendenzfragen (letztlich auf Art. 33, 34) finden sich Spuren.65 Insbesondere hatte die Groupe Européenne de Droit International Privé einen effet réflexe vorgeschlagen,66 war damit aber nicht durchgedrungen.67 Daraus ist ein bestärkender Umkehrschluss zu ziehen, dass jenseits dessen kein effet réflexe gewollt war.68
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Der Gefahr, dass eine mitgliedstaatliche Entscheidung im Drittstaat nicht anerkannt wird, soweit dieser konkret für seine eigenen Gerichte eine ausschließliche Zuständigkeit beansprucht,69 und dass dadurch hinkende Rechtsverhältnisse entstehen,70 müssen die Parteien steuern. Eine reale Gefahr solcher Art bedeutet für den Kläger einen erheblichen Anreiz gegen eine Klage in der EU. Andererseits muss es auf die Anerkennung im Drittstaat gar nicht ankommen. Der obsiegende Kläger kann gegen den Beklagten gerade in dessen Wohnsitzstaat hinreichende Zwangsmittel haben, um diesen zu be-
54 55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70
Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 7. Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 257 f.; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 7. Ungenau Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 14. Rechberger/Frauenberger-Pfeiler, ZZP Int 6 (2001) 3, 22 f. sowie östOGH, SZ 74/75 S. 476; Czernich/Kodek/ Mayr/Tiefenthaler, Rz. 7; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 13. EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. N B Jackson, EuGHE 2005 I 1383, 1460 f. Rz. 38–42; näher Vor. Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 30–40 (Mankowski). Zugestanden von Chalas, Rev. crit. dip. 102 (2013) 359, 370–372. Gegen Layton/Mercer, Rz. 19.010. Francq, T.B.H. 2013, 307, 313. Dahin Bonomi, Riv. dir. int. priv. proc. 2007, 313, 318. Dazu insbesondere Franzina, Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 23; Marongiu Buonaiuti, YbPIL 15 (2013/14) 87. Rogerson, Collier’s Conflict of Laws (2013) 193. von Hein, RIW 2013, 97, 106. Groupe Européenne de Droit International Privé, Consolidated Version of a Proposal to Amend Regulation 44/2001 in order to Apply It to External Situations, 20th to 22nd Sessions Bergen 2008, Padova 2009, København 2010, Art. 22bis. Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 140 f. Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 271; von Hein, RIW 2013, 97, 106 sowie Takahashi (2012) 8 JPrIL 1, 13. Offener Chalas, Rev. crit. dip. 102 (2013) 359, 387–392. Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994), Art. 16 EuGVÜ Rz. 7; Audit, Mélanges en l’honneur de Paul Lagarde (2005) 19, 34. Coester-Waltjen, FS Nakamura (1996) 89, 105.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
stimmten Handlungen oder Unterlassungen zu zwingen. Insoweit steht bei Klage im Wohnsitzstaat des Beklagten eine Inlandsvollstreckung in Rede.71 Im Gegenteil kann die Vollstreckung gegen den Beklagten in dessen Wohnsitzstaat sogar effektiver und direkter sein, als sie es wäre, wenn der Kläger erst im Drittstaat ein Urteil erstreiten müsste. Insbesondere die grenzüberschreitende Vollstreckung von Handlungsgeboten ist bekanntlich schwierig und problembehaftet. Bei Mietzinsklagen stellt sich die Frage der Vollstreckung im Drittstaat überhaupt nicht, wenn der Beklagte Vermögen im Forumstaat hat.72 Nicht jeder Streit um Immobilien hat seinen Kern am Belegenheitsort.73 Eine Auslandsvollstreckung ist auch bei Verurteilung zur Abgabe einer Erklärung nicht notwendig.74
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Hinzu tritt auf der anderen Seite die Frage, ob eine Entscheidung aus dem betroffenen Drittstaat im jetzigen Forumstaat überhaupt anerkannt würde.75 Weitere Komplikationen ergeben sich, wenn eine drittstaatliche Entscheidung zwar im Forumstaat, aber nicht in anderen Mitgliedstaaten anerkannt würde, mit einer nächsten Stufe, wenn der Forumstaat völkerrechtliche Bindungen gegenüber dem Drittstaat zu beachten hat.76 Insoweit sind mehrere Konstellationen denkbar, die es ausschließen, eine einfache und pauschale Antwort zu geben und dem Drittstaat ausschließliche Zuständigkeit seiner Gerichte zuzuschreiben. Insbesondere würde eine Analogie zu Art. 24 Brüssel Ia-VO auch eine Analogie zu Art. 45 Abs. 1 lit. e ii) Brüssel Ia-VO notwendig machen. Dies würde die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung mitgliedstaatlicher Entscheidungen wegen Rücksicht auf Drittstaaten erschweren und damit einem Grundwert der gesamten VO zuwiderlaufen.77
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3. Keine Regelung der örtlichen Zuständigkeit Anders als Art. 7 Brüssel Ia-VO regelt Art. 24 Brüssel Ia-VO jeweils nur die internationale Zuständigkeit und überlässt es dem nationalen Prozessrecht, die örtliche Zuständigkeit zu regeln.78 Verwiesen wird in Art. 24 Brüssel Ia-VO jeweils nur auf die Gerichte des betreffenden Mitgliedstaates, dagegen nicht auf das Gericht am Ort des Sachmoments. Für Nr. 2, 4 und 5 ist dies sachgerecht, dagegen weniger für Nr. 1 und 3. Belegenheit der Immobilie und Register stehen fest und weisen eigentlich zu Orten.79
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4. Maßgeblicher Zeitpunkt Maßgeblicher Zeitpunkt, um das Vorliegen der Anknüpfungstatsachen zu beurteilen, ist grundsätzlich jener der Klagerhebung.80 Wann eine Klage als erhoben gilt, richtet sich nach Art. 32 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Fällt eine ursprüngliche zuständigkeitsbegründende Tatsache nach Klagerhebung weg, so bleibt die ursprünglich gegebene Zuständigkeit nach dem Grundsatz der perpetuatio fori erhalten. Stellen sich bei Klagerhebung noch nicht gegebene zuständigkeitsbegründende Tatsachen bis zur letzten Prozesshandlung in der ersten Instanz ein, so begründet dies die Zuständigkeit. Es wäre unökonomisch, die Klage mangels ursprünglicher Zuständigkeit abzuweisen, wenn der Kläger die Klage umgehend erneut erheben und sich dabei auf die neu begründete Zuständigkeit stützen könnte. 71 72 73 74 75 76 77 78
79 80
Wenner, FS Jagenburg (2002) 1013, 1024. Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 257. Wenner, FS Jagenburg (2002) 1013, 1023. Wenner, FS Jagenburg (2002) 1013, 1024. ÖstOGH, SZ 74/75 S. 476; Geimer, NJW 1976, 441, 443; Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 257; Rechberger/Frauenberger-Pfeiler, ZZP Int 6 (2001) 3, 23. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 14. Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 322; Geimer/Schütze, Art. 35 EuGVVO Rz. 63–65; Rosner, 172; Magnus/Mankowski/Mankowski, Art. 45 Brussels Ibis Regulation Rz. 106; s. auch Kropholler/von Hein, Art. 35 Rz. 11. Siehe nur EuGH v. 28.4.2009 – C-420/07, ECLI:EU:C:2009:271 Rz. 48, 50 – Meletis Apostolidis vs. David Charles Orams u. Linda Elizabeth Orams; BGE 134 III 475, 478; GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 26.6.2016 – C-230/15, ECLI:EU:C:2016:366 Rz. 50; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 18; Neumayr, ERAForum 2005, 172, 192; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 101; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 3 (2005); Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 7 (2016); Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 2. Zustimmend Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 34 (2016). Vgl. auch östOGH, ZfRV 2006, 71. Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 12 (2016).
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten
II. Dingliche Rechte an Immobilien (Nr. 1 S. 1 Var. 1) 20
Nr. 1 S. 1 Var. 1 gewährt für Klagen aus dinglichen Rechten an unbeweglichen Sachen einen ausschließlichen Gerichtsstand am Belegenheitsort der Immobilie. Hauptgrund dafür ist, dass die Gerichte dieses Staates wegen der räumlichen Nähe zum Streitobjekt am besten in der Lage sind, sich gute Kenntnis über die Sachverhalte zu verschaffen und die insoweit geltenden Regeln und Gebräuche anzuwenden, die im allgemeinen jene des Belegenheitsstaates sind.81 Nationale, regionale oder lokale Praktiken der Ausgestaltung von Immobiliarsachenrechten sind im Belegenheitsstaat regelmäßig gerichtsbekannt.82 Sach- und Rechtsnähe sollen also tragen. Dabei reichen bloße Publizitätsregeln allerdings nicht aus, um zu tragen.83
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Die Einsichtnahme in Grundbücher und andere Register ist vor Ort leichter.84 Ortstermine lassen sich im Belegenheitsstaat leichter durchführen. Die Sachverhaltsaufklärung ist vor Ort am einfachsten.85 Sachverständigenarbeit lässt sich eigentlich nur vor Ort durchführen,86 z.B. durch Zustandsoder Wertermittlung in Kenntnis der lokalen Verhältnisse.87 Auch Zeugen werden häufig vor Ort wohnen.88 Sachverhaltsermittlung vor Ort und Interesse einer geordneten Rechtspflege reichen sich hier die Hand.89 Die Nähe zum Zwangsvollstreckungsobjekt Immobilie ist ein weiterer Vorteil. Hinzu kommt der regelhafte Gleichlauf mit dem Sachstatut der Immobilie90 und mit dem Verfahrensstatut einer Veräußerung durch Versteigerung vor Ort.91
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Ein öffentliches Interesse an Justizgewährung durch die örtlich nah gelegenen Gerichte92 oder an effektiver Regulierung93 dürfte dagegen weniger tragen.94 Auch Souveränitätsüberlegungen haben in einer nicht-feudalen Ära keine Bedeutung.95 Trotzdem kann man Nr. 1 S. 1 Var. 1 einen sowohl territorialistischen als auch pragmatischen Charakter attestieren.96 Dafür braucht man allerdings nicht ein wie auch immer geartetes „land taboo“ zu bemühen.97 81 Siehe nur EuGH v. 14.12.1977 – 73/77, ECLI:EU:C:1977:208 Rz. 12/15 – Theodorus Engelbertus Sanders vs. Ronald van der Putte; EuGH v. 10.1.1990 – C-115/88, ECLI:EU:C:1990:3 – Mario Reichert u. Ingeborg Kockler vs. Dresdner Bank AG, EuGHE 1990 I 27, 41 Rz. 10 m.w.N.; EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C: 2006:330 Rz. 28 f. – Land Oberösterreich vs. CˇEZ as; EuGH v. 3.4.2014 – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:212 Rz. 41 – Irmengard Weber vs. Mechthilde Weber; EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 23 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu; EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:881 Rz. 29 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt; EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 Rz. 48 – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima. 82 GA Mischo, Schlussanträge v. 22.11.1989 – C-115/88, EuGHE 1990 I 30 Rz. 23. 83 EuGH v. 10.1.1990 – C-115/88, ECLI:EU:C:1990:3 Rz. 13 – Mario Reichert u. Ingeborg Kockler vs. Dresdner Bank AG. 84 EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 29 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu; Kümmerle, GPR 2014, 171, 172. 85 Kümmerle, GPR 2014, 171, 172. 86 EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C:2006:330 Rz. 29 – Land Oberösterreich vs. CˇEZas; EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 31 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu. 87 Perreau-Sassine, JCP G 2017, 1197, 1200. 88 Siehe Hof Beroep Antwerpen RW 2016-17, 547, 548. 89 EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C:2006:330 Rz. 29 – Land Oberösterreich vs. CˇEZas; EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 31 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu; GAin Kokott, Schlussanträge v. 28.4.2009 – C-420/07, EuGHE 2009, I 3574 Nr. 83; GA Jääskinen, Schlussanträge v. 30.1.2014 – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:43 Rz. 27; Hof Arnhem-Leeuwarden, locatie Arnhem NIPR 2018 Nr. 182 S. 443. 90 EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 29 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu; GAin Kokott, Schlussanträge v. 28.4.2009 – C-420/07, EuGHE 2009, I 3574 Nr. 83 m.w.N. 91 EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 29 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu. 92 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 7. 93 Fontanellas Morell, AEDIPr 2016, 967, 971 f. 94 Kümmerle, GPR 2014, 171, 172. 95 Rauscher, NJW 1985, 892, 894; M. Lehmann/Sánchez Lorenzo, IPRax 2007, 190, 194. 96 Lelouvier in Attal Rev. jur. Comm. 2017, 581, 582.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
1. Qualifikationsfragen Die Frage, ob eine unbewegliche Sache vorliegt, beantwortet im Wege der Qualifikationsverweisung das (materielle) Recht des Staates, in welchem der betreffende Gegenstand belegen ist.98 Die Größe eines Gegenstands spielt prinzipiell keine Rolle. Hinreichende europäische Kriterien für eine vollständig autonome Auslegung99 fehlen. Dies gilt insbesondere100 mit Blick auf die Abgrenzung von Zubehör, Inventar und Bestandteilen.101 Ob etwas abgebaut und transportiert werden kann, ist nicht die entscheidende Frage, ebenso wenig eine Abgrenzung nach Augenschein oder an Hand von Photographien.102 Eine Qualifikationsverweisung ist nicht notwendig weiter als eine autonome Definition.103 Bei in Deutschland belegenen Gegenständen gelten die im Zusammenhang mit Art. 25 Abs. 2, 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB 1986 entwickelten Maßstäbe dafür, ob es sich um unbewegliche Sachen handelt.104 „Immeubles par destination“ kann es nach einer Entfernung vom Grundstücksbestandsteilen nicht geben, jedenfalls nicht dergestalt, dass nun auf ihren jeweils aktuellen Lageort und nicht mehr auf jenen des ehemaligen Muttergrundstücks abzustellen wäre.105
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Gemischte Klagen mit Klaghäufung namentlich auf Herausgabe von unbeweglichen Sachen einerseits und beweglichen Sachen (die weder Zubehör noch sonst einer unbeweglichen Sachen zuzurechnen sind) andererseits ziehen die Klaganträge für die beweglichen Sachen nicht in den Immobiliengerichtsstand.106
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Dagegen besteht eine autonome Vorgabe für den Begriff des dinglichen Rechts:107 Im Gegensatz zum persönlichen Recht entfaltet das dingliche Recht Wirkung gegen jedermann108 (erga
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97 Vgl. aber Muir Watt, Rev. crit. dip. 95 (2006) 188, 192; Fontanellas Morell, AEDIPr 2016, 967, 973. 98 Schlosser-Bericht ABl. EWG 1979 C 59/129; Schlosser, GS Bruns (1980) 45, 58–60; Schlosser/Hess vs. Schlosser, Rz. 2; Kaye 894–898; Geimer/Schütze/Safferling (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 6; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 11 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 12; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 19 (2016). 99 Für diese obiter EuGH v. 10.1.1990 – C-115/88, ECLI:EU:C:1990:3 Rz. 8 – Mario Reichert vs. Dresdner Bank AG; Collins, 78–79; Kaye, 894–898; Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 258; Hertz, Bruxelles-forordningen (2007) 242; Lindskoug, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 257, 262 f. sowie OLG Schleswig, NJOZ 2004, 775, 776 und vom Ansatz her Rb. Utrecht NIPR 1998 Nr. 138 S. 165. 100 Aber nicht nur, denn bereits der Grundbegriff des „Grundstücks“ variiert stark zwischen den Mitgliedstaaten; vBar, FS Magnus (2014) 585. 101 Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 10; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 18 (2016); paradigmatisch, obwohl vom Boden der Gegenauffassung aus, OLG Schleswig, NJOZ 2004, 775, 776 f. Siehe auch Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 13 f. 102 Entgegen OLG Schleswig, NJOZ 2004, 775, 776. 103 Dahin aber Lindskoug, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 257, 263. 104 Ausführlich Mankowski in Staudinger (2011) Art. 15 EGBGB Rz. 166–215. 105 von Hein, Trierer, FS Walter F. Lindacher zum 80. Geb. (2017) 151, 152 gegen Peter Schlosser, GS Bruns (1980), 45, 58 f. Fn. 37. 106 Hof Beroep Antwerpen, RW 2016-17, 547, 548. 107 EuGH v. 10.1.1990 – C-115/88, ECLI:EU:C:1990:3 Rz. 9 – Mario Reichert u. Ingeborg Kockler vs. Dresdner Bank AG; EuGH v. 9.6.1994 – C-292/93, ECLI:EU:C:1994:241 Rz. 14 – Norbert Lieber vs. Willi S u. Siegrid Göbel; EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C:2006:330 Rz. 25 – Land Oberösterreich vs. CˇEZ as; EuGH v. 3.4.2014 – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:212 Rz. 40 – Irmengard Weber vs. Mechthilde Weber; EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 21 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu; EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:881 Rz. 27 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt; EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C:2019:123 Rz. 97 – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagerberg-Wolfsberg eGen; EuGH v. 15.5.2019 – C-827/18, ECLI:E:C:2019:416 Rz. 25 – MC vs. ND; Schlosser-Bericht Nr. 166; östOGH, SZ 71/2; östOGH, wobl 2002, 304, 305 m. Anm. Call; östOGH, ecolex 2008/150 S. 428 = ZfRV 2008, 77, 78; Högsta Domstolen NJA 2005, 498, 499; ObG Zürich BlZürchRspr. 102 (2003) Nr. 1 S. 2; Lindskoug, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 257, 270 f.; Dietze, EuZW 2014, 472. A.A. (Begriff des dinglichen Rechts nach lex rei sitae) östOGHRz. 2000/44; östOGH, SZ 68/55. 108 Siehe nur EuGH v. 5.4.2001 – C-518/99, ECLI:EU:C:2001:209 Rz. 17 – Richard Gaillard vs. Alaya Chekili; EuGH v. 3.4.2014 – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:212 Rz. 43 – Irmengard Weber vs. Mechthilde Weber; EuGH vv. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 25 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu; Schlosser-Bericht Nr. 166; Nioche, Clunet 142 (2015) 664, 666.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten omnes)109; es ist also ein absolutes Recht110 und nicht nur ein relativ wirkendes Forderungsrecht. Der Terminus ist strikt zu verstehen.111 Wer nur behauptet, Rechte gegen jemanden bestimmten, also nur gegen bestimmte Personen, zu haben, hat kein dingliches Recht.112 Das Klagergebnis muss Dritte propter rem, vermittelt über die Rechtsverhältnisse an der Immobilie, ebenfalls betreffen.113 Erfasst sind Klagen, die darauf gerichtet sind, Umfang und Bestand einer unbeweglichen Sache, das Eigentum, den Besitz oder das Bestehen anderer dinglicher Rechte hieran zu bestimmen und den Inhabern dieser Rechte den Schutz der mit ihrer Rechtsstellung verbundenen Vorrechte zu sichern.114 26
Dass die Klage ein dingliches Recht bloß berührt oder im Zusammenhang mit einem dinglichen Recht steht, reicht nicht aus.115 Es gibt keine Annexzuständigkeit aus Art. 24 Nr. 1 Var. 1 Brüssel IaVO für persönliche Ansprüche; allenfalls Art. 8 Nr. 4 Brüssel Ia-VO vermag eine Zusammenführung zu bewirken, allerdings nur als besonderer, nicht als ausschließlicher Gerichtsstand.116
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Allerdings schadet nicht, wenn ursprünglich eine persönliche Forderung (z.B. auf Bestellung einer Sicherheit) Grundlage für die Begründung des dinglichen Rechts war.117 Eine Klage, die persönliche Ansprüche des Sicherungsgebers hinsichtlich der Rückgewähr von dinglichen Sicherheiten betrifft, hat dagegen nicht dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand.118 Bei gemischten Klagen (also einer Klaghäufung mit Klagen aus dinglichem Recht einerseits und aus einem Anspruch andererseits119) soll der persönliche Charakter inter partes dominieren.120
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Eine Qualifikationsverweisung auf nationales Recht für den Begriff des dinglichen Rechts schüfe unangebrachte Anreize für die nationalen Gesetzgeber, ihem eigenen Staat durch entsprechende Ausgestaltung Entscheidungsmonopole zu verschaffen.121 Mangels Qualifikationsverweisung auf das na109 Siehe nur GAin Kokott, Schlussanträge v. 7.7.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:535 Rz. 36; GAin Kokott, Schlussanträge v. 31.1.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:86 Rz. 38. 110 Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 20 (2016). 111 CA Liège RCDB 2015, 531, 532. 112 Siehe nur EuGH v. 17.5.1994 – C-294/92, ECLI:EU:C:1994:193 – George Lawrence Webb vs. Lawrence Desmond Webb, EuGHE 1994 I 1717, 1738 Rz. 15; EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 25 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu; EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:881 Rz. 31 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt; EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C:2019:123 Rz. 100 – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagerberg-Wolfsberg eGen; EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 Rz. 45 – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima; GA Jääskinen, Schlussanträge v. 30.1.2014 – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:43 Rz. 30; östOGH, ecolex 2008/150 S. 428 = ZfRV 2008, 77, 78. 113 EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C:2019:123 Rz. 102 f. – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagerberg-Wolfsberg eGen; Perreau-Sassine, JCP G 2017, 1197, 1200. 114 EuGH v. 10.1.1990 – C-115/88, ECLI:EU:C:1990:3 Rz. 11 – Mario Reichert u. Ingeborg Kockler vs. Dresdner Bank AG; EuGH v. 3.10.2013 – C-386/12, ECLI:EU:C:2013:633 Rz. 21, 28 – Siegfried Janós Schneider; EuGH v. 3.4.2014 – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:212 Rz. 42 – Irmengard Weber vs. Mechthilde Weber; EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 24 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu; EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:881 Rz. 30 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt; EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 Rz. 37 – Brian Andrew Kerr vs. Pavlo Postnov u. Natalia Postnova; EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 Rz. 44 – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima; BayObLG ZEV 2019, 637, 638 Rz. 34 m. Anm. Leipold; Gebauer/ Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 102; Kümmerle, GPR 2014, 171, 172. 115 EuGH v. 15.5.2019 – C-827/18, ECLI:E:C:2019:416 Rz. 25 – MC vs. ND; ÖstOGH, ÖJZ 2004, 141, 142 = EvBl 2004/30 = ZfRV 2004, 105, 106; ObG Zürich BlZürchRspr. 102 (2003) Nr. 1 S. 2; Mankowski, RIW 2005, 561, 571; H. Prütting, FS Dagmar Coester-Waltjen (2015) 631, 632. 116 Graf v. Westphalen, IWRZ 2019, 231. 117 EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 Rz. 47 – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima; GA Tanchev, Schlussanträge v. 3.4.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:285 Rz. 54–60. 118 BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, WM 2019, 232 Rz. 39; Mankowski, WuB 2019, 152. 119 Wobei jeweils konkret genau zu prüfen ist, ob wirklich eine Klaghäufung vorliegt und nicht doch ein einziger immobiliarsachenrechtlicher Antrag; s. Hof Arnhem-Leeuwarden, locatie Arnhem NIPR 2018 Nr. 182 S. 442 f. 120 EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:881 Rz. 35 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt unter Bezugnahme auf Schlosser-Bericht Nr. 170–172 und EuGH v. 5.4.2001 – C-518/99, ECLI:EU:C:2001:209 Rz. 21 – Richard Gaillard vs. Alaya Chekili.
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tionale Recht ist z.B. die Kategorie der actions mixtes aus dem französischen Recht hier ohne Relevanz.122 Die autonome Qualifikation ist funktionell; sie stellt nicht auf formelle Kriterien wie insbesondere 29 die Eintragung in ein Grundbuch oder sonstiges Immobilienregister ab.123 Erfasst ist z.B. die Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung aus einem Grundpfandrecht.124 Nicht erfasst sein soll dagegen die Klage auf Nutzungsentschädigung wegen unberechtigter Nutzung einer Wohnimmobilie.125 Erfasst sind nur Klagen aus einem dinglichen Recht, nicht Klagen auf ein dingliches Recht.126 Ein 30 Anspruch auf Übertragung eines absolut wirkenden Rechts bleibt trotzdem ein Anspruch gegen einen ganz bestimmten Schuldner und bleibt deshalb relativ.127 Erst recht sind Klagen auf Aufhebung der causa (z.B. eines Schenkungsvertrags oder eines Kaufvertrags) für einen dinglichen Rechtserwerb nicht erfasst.128 Eine Aufrechnung gegen den causa-tragenden persönlichen Anspruch ist für Nr. 1 Var. 1 unerheblich,129 ebenso eine Gläubigeranfechtungsklage oder ein funktionelles Äquivalent dazu (z.B. in Gestalt eines entsprechenden Widerspruchs oder einer Widerspruchsklage).130 Die Ausgrenzung von Klagen auf Übertragung von Grundstücksrechten ist indes vor allem bei registrierungsbedürftigen Rechten rechtspolitisch zweifelhaft und lässt sich weder mit dem Gläubigerinteresse noch mit angeblich fehlender Sachnähe der Gerichte rechtfertigen.131 De regulatione lata gilt indes eindeutig: Das dingliche Recht muss Klaggegenstand,132 genauer: Klaggrund, nicht Klagziel sein.133 Urheberrechte sind keine dinglichen Rechte im Sinne von Nr. 1, obwohl sie erga omnes wirken.134
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Für die subjektiven Sachenrechte des deutschen Rechts folgt daraus keine Einschränkung. So zählen zu den von Nr. 1 S. 1 Var. 1 erfassten Rechten die Hypothek,135 die Grundschuld (einschließlich
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121 Schack, BDGesVR 32 (1992), 315, 329; Schack, IPRax 2005, 262, 265; G. Hager/F. Hartmann, IPRax 2005, 266, 267. 122 Perreau-Sassine, JCP G 2017, 1197, 1198 f. gegen Cass., JurisData n° 2015-021238 einerseits und Cass., JCP G 2017, 1198 = JCP G 2017.693 = Clunet 145 (2018) 134 m. Anm. Parisot, andererseits. Vgl. auch Parisot, Clunet 145 (2018) 135, 136–139. 123 Unzutreffend daher OLG Naumburg, IPRspr. 2006 Nr. 142 S. 314: dingliches Timesharing als nicht dinglich qualifiziert, weil es (zudem bei einer österreichischen Immobilie!) nicht als Dauerwohnrecht nach § 31 Abs. 4 WEG im Grundbuch eingetragen war. 124 BGH v. 18.9.2013 – V ZB 163/12, WM 2013, 2160; BGH, WM 2014, 1813, 1814; Cranshaw, jurisPR-HaGesR 2/2018 Anm. 3 sub C II. 125 Hof Beroep Antwerpen, RW 2016-17, 547, 548. 126 Z.B. östOGH, ZfRV-LS 2016/57 = ZfRV 2016, 376 m. Anm. Rohrer; H. Prütting, FS Dagmar Coester-Waltjen (2015) 631, 632 f. 127 Siehe nur Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 731 m.w.N. 128 EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:881 – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt Rz. 34–37; GAin Kokott, Schlussanträge v. 7.7.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:535 Rz. 40; Klöpfer, EuZW 2017, 39, 40. 129 EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 Rz. 47 – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima; GA Tanchev, Schlussanträge v. 3.4.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:285 Rz. 39–43. 130 EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 Rz. 48 f. – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima; GA Tanchev, Schlussanträge v. 3.4.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:285 Rz. 44–46; Sujecki, EuZW 2019, 471, 472. 131 Mankowski, ZZP Int 9 (2004) 210, 212–215; Arenas García, REDI 2005, 374, 375 f.; Muir Watt, Rev. crit. dip. 95 (2006) 188, 191 f.; Mankowski in Wudarski (Hrsg.), Das Grundbuch im Europa des 21. Jahrhunderts (2016) 83, 96. 132 So GAin Kokott, Schlussanträge v. 7.7.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:535 Rz. 37; östOGH, ÖJZ 2004, 141, 142; Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 259; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 13; Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 55. 133 Mankowski, ZZP Int 9 (2004) 210, 211 f.; Peschke, IWRZ 2016, 84; Mankowski in Wudarski (Hrsg.), Das Grundbuch im Europa des 21. Jahrhunderts (2016) 83, 96. 134 Siehe nur Fawcett/Torremans, 35; Kieninger, GRUR-Int. 1998, 280, 283; Hye-Knudsen, 61 f.; a.A. Arnold (1990) 7 EIPR 254, 260; Jooris (1996) 3 EIPR 127, 139. 135 EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C:2019:123 Rz. 102 f. – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagerberg-Wolfsberg eGen; de Moor, TvC 2019, 231, 234.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten der Sicherungsgrundschuld nach § 1192 Abs. 1a BGB136), das Erbbaurecht, der Nießbrauch nach § 1030 BGB,137 das dingliche Vorkaufsrecht nach § 1094 BGB (das eben einen Anspruch auf Grundstücksübertragung auch gegen Dritte und nicht nur gegen den Verkäufer sichert),138 Grunddienstbarkeiten,139 eingetragene persönliche Dienstbarkeiten und Reallasten140 sowie dingliche Timesharingrechte.141 33
Dingliche Rechte sind bei in England, Wales, Nordirland (also in Großbritannien außer Schottland) oder Irland belegenen Grundstücken neben den legal rights auch die sog. equitable interests, für die allerdings kein numerus clausus besteht.142 Die Maxime „equity operates in personam“ darf insoweit nicht überstrapaziert und missverstanden werden.143
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Zu den erfassten Klagen gehören solche auf Grenzberichtigung, Löschung im Grundbuch wegen besserer Berechtigung,144 Löschung eines Sicherungsrechts, das keine Grundlage hat, im Grundbuch,145 Teilungsklage und actio hypothecaria146 sowie auf Eintragung einer bestehenden Grunddienstbarkeit.147 Grob zusammengefasst gehört der Schutz von Vorrechten hierher.148
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Sonstige Streitigkeiten um die bessere Berechtigung zählen ebenfalls hierher.149 Ebenso fallen solche Streitigkeiten unter Nr. 1 S. 1 Var. 1, die einen Aufschub für das Vorgehen aus einem dinglichen Recht zum Ziel haben.150 Hinzu könnten Restrukturierungen von Grundpfandrechten durch gerichtliche Schritte im Rahmen eines präventiven Restrukturierungsrahmens151 kommen.152 Negative Feststellungsklagen auf Nichtbestehen eines dinglichen Rechts sind gleichsam acta contraria und deshalb von Nr. 1 S. 1 Var. 1 erfasst.153
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Schiffe sind keine Immobilien für die Zwecke der Nr. 1 S. 1 Var. 1. Dies gilt jedenfalls für nichtregistrierte Schiffe.154 Richtigerweise sind für die begrenzten Zwecke des Zuständigkeitsrechts aber auch 136 BGH v. 13.8.2014 – V ZB 163/12, IPRax 2015, 347 = WM 2014, 1813, 1814 = ZIP 2014, 1951, 1952 [11]; Mankowski, WuB 2019, 152. 137 Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 17 (2005). 138 EuGH v. 3.4.2014 – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:212 Rz. 44 f. – Irmengard Weber vs. Mechthilde Weber; GA Jääskinen, Schlussanträge v. 30.1.2014 – C-438/12, ECLI:EU:C:2014:43 Rz. 31; Dietze, EuZW 2014, 472; Vogl, EWiR 2014, 433, 434; Debernardi, Giur. it. 2014, 1379; Álvaraz González, REDI 2014-2, 256; Berlioz, Rev. contrats 2014, 496; d’Avout, Rev. crit. dip. 103 (2014) 712, 718; Nioche Clunet 142 (2015) 664, 667; Wieczorek/ Schütze/C. A. Kern, Rz. 15. A.A. H. Prütting, FS Dagmar Coester-Waltjen (2015) 631, 634 mit bedenkenswertem Hinweis auf § 1098 Abs. 2 BGB und dessen Verweisung auf §§ 463 ff. BGB sowie mit einem Vergleich mit der Vormerkung. Zweifelnd auch C. A. Kern, FS Thomas Sutter-Somm. (2016) 303, 311 f., aber 312 f. bejahend für Streit zwischen Vorkaufsberechtigtem und Drittem. 139 Rb. Middelburg NIPR 2004 Nr. 244 S. 345; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 21 (2016). 140 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 51; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 21 (2016). 141 BayObLG v. 24.5.2002 – 1Z AR 52/02, NJW-RR 2002, 1502, 1503; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 10; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 17. 142 Geimer/Schütze/Safferling, (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 6; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 18 (2005). 143 Briggs (1994) 14 YB EL 563; Dohmann/Briggs, FS Schlosser (2005) 161, 164–166; Mankowski in Wudarski (Hrsg.), Das Grundbuch im Europa des 21. Jahrhunderts (2016) 83, 97. 144 EuGH v. 16.11.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:881 Rz. 40 f. – Wolfgang Schmidt vs. Christiane Schmidt; GAin Kokott, Schlussanträge v. 7.7.2016 – C-417/15, ECLI:EU:C:2016:535 Rz. 43–45. 145 EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C:2019:123 Rz. 102–104 – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagerberg-Wolfsberg eGen. 146 Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 259; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 14. 147 ÖstOGH, RdW 2000/254. 148 Cranshaw, jurisPR-IWR 2/2019 Anm. 2 sub B, C III. 149 Högsta Domstolen NJA 2005, 498, 500 f. 150 Vzngr. Rb. Maastricht NIPR 2005 Nr. 359 S. 469. 151 Begriffsbildung nach Richtlinie 2019/1023/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz), ABl. EU 2019 L 172/18. 152 Skauradszun, ZIP 2019, 1501, 1505. 153 Dietze, EuZW 2014, 472. 154 OLG Düsseldorf, NJOZ 2004, 3905, 3906.
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registrierte Schiffe nicht als Immobilien zu behandeln, weil man anderenfalls zu dem Ergebnis gelangte, dass Ansprüche aus time charter-Verträgen nur am Registrierungsort geltend gemacht werden dürften. Dies stünde mit der Praxis des Schifffahrtsverkehrs und den elementaren Bedürfnissen der Charterwirtschaft in diametralem Widerspruch. Soweit Streitigkeiten um Eintragungen betreffend das Eigentum oder registrierte Schiffspfandrechte bestehen, führt Nr. 3 zum Registerort. In dieser und nur in dieser Hinsicht ist eine Anknüpfung an das Register sinnvoll. Vorfragen prägen den Streitgegenstand ebenso wenig wie Einwendungen des Beklagten.155 Sofern man sich bei Nr. 1 überhaupt Konstellationen vorstellen kann, in denen allein die Vorfrage Immobilien beträfe, prägt trotzdem die Hauptfrage laut Klagantrag. Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob die Einwendung, wenn sie denn hypothetisch als Klage erhoben würde, unter Nr. 1 fiele.156 Eine Einwendung ist eben keine Klage, nicht einmal eine Widerklage.
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2. Grundstücksveräußerungsverträge Bei Grundstücksveräußerungsverträgen ist zu unterscheiden: Gewährt das Belegenheitsrecht nur einen schuldrechtlichen, persönlichen Anspruch auf Eigentumsübertragung, so greift Nr. 1 S. 1 Var. 1 nicht;157 gewährt jenes Recht dagegen einen dinglichen Anspruch (was z.B. in Belgien der Fall sein könnte), greift die Vorschrift.158 Dies gilt auch z.B. für Klagen auf die Übertragung von mit Wohnungseigentum verbundenen Miteigentumsanteilen und erst recht für Klagen auf Abschluss eines entsprechenden Übertragungsvertrages.159
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Für Klagen auf gestaltende Auflösung oder auf Feststellung der Vertragsauflösung bietet sich eine ähnliche Differenzierung an,160 gleichermaßen für Klagen auf Zustimmung zu Rechtsübertragungen wie z.B. unter dem ius quasitum tertii des schottischen Rechts.161 Dies gilt auch für Anfechtungsklagen gegen Verträge über unbewegliche Sachen oder die Einräumung von Verfügungsbeschränkungen.162
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Geht das Eigentum an dem Grundstück bereits aufgrund des bloßen Vertragsabschlusses über, weil das Konsensualprinzip maßgeblich ist (ob dies der Fall ist, besagt die lex rei sitae des Grundstücks als Sachstatut), so steht keine Eigentumsübertragung mehr in Rede, die noch zu erfolgen hätte, weil das Eigentum eben bereits dinglich übergegangen ist.163 Allerdings wird unter Systemen, die nicht dem Abtraktionsprinzip folgen, mit Vorverträgen gearbeitet und damit doch getrennt.164 Nur die Herausgabe des Grundstücks mag der Erwerber noch verlangen müssen, kann sich aber dabei bereits auf eine Vindikationsklage stützen, weil er ja Eigentümer geworden ist. Die Vindikation kann sich gegen den Veräußerer wie gegen einen Dritten, welchem der Veräußerer die Nutzung der Immobilie überlassen hat, gleichermaßen richten.165 Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines
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155 Fontanellas Morell, AEDIPr 2016, 967, 970. 156 Dafür aber Briggs, Civil Jurisdiction Rz. 2.60. 157 EuGH v. 5.4.2001 – C-518/99, ECLI:EU:C:2001:209 Rz. 16 – Richard Gaillard vs. Alaya Chekili; östOGH, wobl 2002, 304, 305 m. Anm. Call; Vzngr. Rb. Breda NIPR 2004 Nr. 266 S. 370; Schlosser-Bericht Nr. 169; Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 259; Caro Gándara, AEDIPr 2003, 881, 882; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 21; Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 732; Christoph A. Kern, IPRax 2014, 503, 504; auch LG Bonn, IPRax 1997, 183 m. zust. Anm. Jayme; ungenau Vzngr. Rb. Maastricht NIPR 2005 Nr. 62 S. 103; unzutreffend Aud. Prov. Les Illes Balears AEDIPr 2004, 754, 755; Vzngr. Rb. Leeuwaarden NIPR 2006 Nr. 224 S. 345. 158 Schlosser-Bericht Nr. 171; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 16 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 21. 159 ÖstOGH, wobl 2002, 304, 305 m. Anm. Call sowie Rb. Haarlem NIPR 2005 Nr. 60 S. 101. 160 EuGH v. 5.4.2001 – C-518/99, ECLI:EU:C:2001:209 Rz. 16-18 – Richard Gaillard vs. Alaya Chekili; OLG Hamm, RIW 2001, 867; LG Münster, IPRspr. 1999 Nr. 135 S. 325; vgl. Hof Amsterdam, NIPR 2001 Nr. 33 S. 95. 161 Vgl. Geimer/Schütze/Safferling, Art. 16 EuGVÜ Rz. 6 (1997). 162 ÖstGH JBl 1998, 380; Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 259. 163 Tendenziell anders Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 732. 164 Siehe überblicksartig F. Baur/R. Stürner, Sachenrecht (18. Aufl. 2009) § 64 Rz. 13, 21, 27, 30. 165 Vgl. Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 732 f.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten Grundstücksveräußerungsvertrags fällt ebenso wenig unter Nr. 1 S. 1 Var. 1166 wie die rücktrittsrechtliche. 41
Nicht unter Nr. 1 S. 1 Var. 1 fällt erst recht die Klage auf Gegenleistung bei einem Vertrag über die Veräußerung eines Grundstücksrechts, also z.B. die Kaufpreisklage bei einem Grundstückskaufvertrag167 oder einem sog. dinglich ausgestalteten Timesharinggeschäft mit Erwerb eines dinglichen Teilzeitwohnrechts,168 die Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises169 oder die Klage auf Sekundäransprüche, z.B. eine verwirkte Vertragsstrafe170 oder Schadensersatz,171 oder auf eine Entschädigung für gezogene Nutzungen, nachdem die Nichtigkeit einer Eigentumsübertragung festgestellt ist.172
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Es reicht nicht einmal, wenn die Klage auf Nichtigkeit eines Vertrags sachenrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde,173 wie es in Rechtsordnung mit Konsensualsystem, also kausalem System der Eigentumsübertragung, der Fall sein kann.174 Da sie nur einen relativen Anspruch sichert und keine dingliche Wirkung erga omnes entfaltet, ist auch eine Vormerkung kein dingliches Recht.175
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Noch weniger fällt die Klage auf Darlehensauskehrung gegen die Bank, welche einen Erwerb von Immobiliarrechten finanziert, unter Nr. 1 S. 1 Var. 1176 oder eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des finanzierenden Realkredits.177 Das gleiche gilt für eine Klage, mit der ein – sei es auch vormerkungsgesicherter – Anspruch auf Bestellung einer Bauhandwerkerhypothek verfolgt wird,178 die Klage aus einer die Kaufpreisschuld sichernden Bürgschaft179 oder die Klage eines Grundstücksmaklers auf Zahlung der versprochenen Courtage.180
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Schließlich ist auch eine Klage gegen einen Miteigentümer, dass dieser Verpflichtungen aus einem Kaufvertrag nachkomme, nicht erfasst.181 Anders kann es sich verhalten bei einem Streit zwischen Miteigentümern um eine öffentliche Versteigerung.182 Die Klage auf Mitwirkung am Verkauf oder an der Übertragung eines Grundstücks ist aber grundsätzlich nicht erfasst.183 Gleiches gilt für die Klage im Rahmen einer internen Verteilung von Anteilen an einer Immobilie.184
166 LG Bonn, IPRax 2007, 183 m. zust. Anm. Jayme; Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 733; Mankowski, WuB 2019, 152. 167 ÖstOGH, RdW 2000/254; Schlosser-Bericht Nr. 169; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 17; s. auch Højesteret UfR 2001, 2524; Aud. Prov. Castellón AEDIPr 2016, 947. 168 BayObLG v. 24.5.2002 – 1Z AR 52/02, NJW-RR 2002, 1502, 1503; Huet, Clunet 131 (2004) 207, 209; Mankowski, VuR 2004, 217, 218. 169 BayObLG v. 24.5.2002 – 1Z AR 52/02, NJW-RR 2002, 1502, 1503; OLG Hamm v. 13.11.1995 – 22 U 170/94, NJW-RR 1996, 1145; OLG Karlsruhe, ZMR 2007, 929 = IPRspr. 2006 Nr. 127 S. 285 f. 170 Rb. Amsterdam, Ned. Jur. 1977 Nr. 251. 171 EuGH v. 5.4.2001 – C-518/99, ECLI:EU:C:2001:209 Rz. 20 – Richard Gaillard vs. Alaya Chekili; Huet, Clunet 129 (2002) 621, 622; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 26. Siehe auch BGH v. 16.10.2015 – V ZR 120/14, ZIP 2016, 190: Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO herangezogen. 172 EuGH v. 9.6.1994 – C-292/93, ECLI:EU:C:1994:241– Norbert Lieber vs. Willi S u. Siegrid Göbel, EuGHE 1994 I 2535, 2550–2552 Rz. 15–22. 173 Siehe EuGH v. 5.4.2001 – C-518/99, ECLI:EU:C:2001:209 Rz. 16 – Richard Gaillard vs. Alaya Chekili. 174 Lobach, IWRZ 2019, 182. 175 Geimer/Schütze/Safferling, (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 6; H. Prütting, FS Dagmar Coester-Waltjen (2015) 631, 634. 176 Jarrett v. Barclays Bank plc [1997] 2 All ER 484, 496 (C.A., per Morritt L.J.). 177 EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C:2019:123 Rz. 101 – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagerberg-Wolfsberg eGen. 178 OLG Köln v. 29.4.1983 – 9 U 221/82, IPRax 1985, 161; Schröder, IPRax 1985, 145. 179 ObG Zürich BlZürchRspr. 102 (2003) Nr. 1 S. 2. 180 LG Stuttgart, JbItalR 9 (1996) 200 = IPRspr. 1996 Nr. 27 S. 63. 181 Hof ’s-Gravenhage, NIPR 2000 Nr. 207 S. 345. 182 Hof Amsterdam, Ned. Jur. 1981 Nr. 155; Geimer/Schütze/Safferling (1997), Art. 16 EuGVÜ Rz. 7. 183 Vzngr. Rb. Roermond NIPR 2009 Nr. 22 S. 66. 184 Rb. ’s-Gravenhage, nevenvestigung Rotterdam, NIPR 2009 Nr. 42 S. 99.
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3. Mittelbarer Bezug auf Immobilien Nr. 1 S. 1 Var. 1 erfasst Streitigkeiten, die nur mittelbar Bezug auf dingliche Rechte an Immobilien haben, nicht. Daher fällt die Veräußerung von Anteilen an einer reinen Grundstücksgesellschaft, bei denen es wirtschaftlich um die (Teil-)Veräußerung der Grundstücke jener Gesellschaft geht, nicht unter Nr. 1 S. 1 Var. 1, ebenso wenig die Auseinandersetzung nach Auflösung einer solchen Gesellschaft.185 Dasselbe gilt für Streitigkeiten über den Bestand oder den Inhalt von Treuhandverhältnissen oder trusts des angloamerikanischen Rechts, selbst wenn einziges Treugut oder trust-Eigentum Grundstücke sind.186 Deshalb erfasst Nr. 1 S. 1 Var. 1 auch gesellschafts- oder vereinsrechtlich ausgestaltetes Timesharing schon tatbestandlich grundsätzlich nicht.187 Der Erwerb von Anteilen an einem Real Estate Investment Trust ist ebenso wenig erfasst wie die Veräußerung solcher Anteile. Ebenfalls nicht erfasst sind Immobilienmakler- oder -brokerverträge.
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Bloß mittelbaren Bezug auf die Immobilie haben auch Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft untereinander oder mit dem Verwalter. Dies gilt namentlich für die Klage auf Ausschluss von Miteigentümern.188 Jedenfalls fallen Ansprüche auf Zahlung des sog. Hausgelds oder Wohngelds nicht unter Nr. 1 S. 1 Var. 1.189 Denn sie sind persönliche Ansprüche aus dem Gemeinschaftsverhältnis, also aus einer eindeutigen Relativbeziehung und eben kein unmittelbarer Ausfluss des Eigentums, der erga omnes wirken würde.190 Dass sich als Teilnehmer an dem Relativverhältnis nur qualifiziert, wer Miteigentümer ist, verschlägt nicht.191 Für solche Ansprüche bestehen der allgemeine Gerichtsstand aus Art. 4 Brüssel Ia-VO und der Vertragsgerichtsstand aus Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO.192 Klagen aus Wohnungseigentum sind nur dinglich, soweit sie eben keine persönlichen Ansprüche betreffen.193 Der Erwerb des Miteigentums soll als freiwilliges Rechtsgeschäft die Basis für eine vertragliche Qualifikation der anknüpfenden Folgeansprüche sein.194
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Streitigkeiten aus der Verwaltung oder um die Verwaltung einer Wohnungseigentumsanlage er- 47 wachsen ebenfalls nicht als dingliche Ansprüche,195 obwohl eine Konzentration am Ort der verwalteten Anlage bei ihnen durchaus sinnvoll wäre.196 Der bessere Weg dorthin sollte aber über eine Analogie zu Nr. 2 führen. § 43 Abs. 1 Nr. 1–4, 6 WEG sind für in Deutschland belegene Grundstücke dagegen, weil verdrängt, nicht für die internationale, sondern höchstens für die örtliche Zuständig185 Rb. Alkmaar NIPR 1999 Nr. 279 S. 376 f.; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 28 (2016). 186 EuGH v. 17.5.1994 – C-294/92, ECLI:EU:C:1994:193 – George Lawrence Webb vs. Lawrence Desmond Webb, EuGHE 1994 I 1717, 1738 f. Rz. 15–19; Prazic v. Prazic [2006] 2 FLR 1124, 1132 f., [2007] 1 FCR 503, 507 f. (C.A., per Thorpe L.J.); Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 16. Kritisch z.B. Briggs/Rees, Rz. 2.43. 187 LG Dresden, NZM 1998, 825, 826; Mankowski, EuZW 1996, 177, 179; Mankowski, VuR 1996, 392, 393. 188 A.A. Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 259. 189 EuGH v. 8.5.2019 – 25/18, ECLI:EU:C:2019:376 Rz. 38 – Brian Andrew Kerr vs. Pavlo Postnov u. Natalia Postnova; GAin Kokott, Schlussanträge v. 31.1.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:86 Rz. 39; BayObLG, FGPrax 2003, 159; LG Frankfurt/M., NJW-RR 2014, 907; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 96; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 32 (2016); Mankowski, ZMR 2019, 565, 566 f.; van der Plas, Ned. Jur. 2019 Nr. 445 S. 7344, 7345. A.A. OLG Düsseldorf, VersR 2003, 1324; OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 2004, 24; Weitnauer/Mansel, WEG (9. Aufl. 2005) § 43 WEG Rz. 33a; offen gelassen von OLG Stuttgart, NJW-RR 2005, 814. 190 Mankowski, ZMR 2019, 565, 566. 191 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 Rz. 28 – Brian Andrew Kerr vs. Pavlo Postnov u. Natalia Postnova. 192 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 Rz. 17–30 – Brian Andrew Kerr vs. Pavlo Postnov u. Natalia Postnova (im konkreten Fall allerdings einen Dienstleistungsvertrag bejahend und in der Folge Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO anwendend; kritisch dazu Mankowski, ZMR 2019, 565, 568; Thomale, IPRax 2020, 18, 19 f.); GAin Kokott, Schlussanträge v. 31.1.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:86 Rz. 47–58; OLG Stuttgart, NJW-RR 2005, 814; LG Frankfurt/M. v. 25.3.2014 – 2-09 S 63/12, IPRax 2015, 254 = NJW-RR 2014, 907; C. Schreiber, juris-PR ZivilR 2005, 86, 88. 193 ÖstOGH, ecolex 2008/150 S. 428 = ZfRV 2008, 77, 78; Hüßtege, IPRax 2015, 220. 194 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 Rz. 28 – Brian Andrew Kerr vs. Pavlo Postnov u. Natalia Postnova; EuGH v. 5.12.2019 – C-421/18, ECLI:EU:C:2019:1053 Rz. 29 – Ordre des avocats du barreau de Dinant vs. JN; GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 29.7.2019 – C-421/18, ECLI:EU:C:2019:644 Rz. 79. 195 Zustimmend Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 32 (2016). Entgegen Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5a. 196 Mankowski, ZMR 2019, 565, 566.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten keit zu beachten, sofern die Brüssel Ia-VO diese nicht mitregelt.197 Eine Klage, deren Ziel die Aktivierung eines Pfandrechts an einem Wohnungseigentumsanteil nach nationalem Recht ist, soll von Nr. 1 S. 1 Var. 1 erfasst sein.198 48
Unter Nr. 1 S. 1 Var. 1 sollen dagegen Anträge auf Auflösung einer Miteigentümergemeinschaft an einer unbeweglichen Sache durch Verkauf über einen betrauten Treuhänder fallen.199 Eine Klage auf Zustimmung zur Übertragung eines Miteigentumsanteils z.B. bei Auseinandersetzung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft wäre in der Konsequenz ebenfalls von Nr. 1 S. 1 Var. 1 erfasst.200 Bei Auseinandersetzungsverlangen in einem güterrechtlichen Rahmen unter Ehegatten oder eingetragenene Partnern oder in einer Erbengemeinschaft sind Art. 1 Abs. 2 lit. a und die Abgrenzung zur EuGüVO, EuPartVO und EuErbVO zu beachten.201 4. Schadensersatz- und Nachbarrechtsansprüche und insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen
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Schadensersatzansprüche wegen der Beeinträchtigung eines dinglichen Rechts fallen ebenfalls nicht unter Nr. 1 S. 1 Var. 1,202 ebenso wenig nachbarrechtliche Abwehransprüche.203 Denn bei beiden ist das dingliche Recht als solches nur inzident berührt.204 Schließlich fallen insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen wegen Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO aus der Brüssel Ia-VO insgesamt heraus, daher kann Nr. 1 S. 1 Var. 1 sie auch dann nicht erfassen, wenn sie Änderungen im Grundbuch zur Folge haben sollten.205 Gläubigeranfechtungsklagen realisieren Ansprüche inter partes zwischen der Masse und dem Erwerber und fallen deshalb nicht unter Nr. 1 S. 1 Var. 1.206 5. Löschungsansprüche auf Grund Abrede
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Nur Löschungsklagen aus einer besseren dinglichen Berechtigung sind dinglich. Eine Löschungsklage auf Grund einer vertraglichen Abrede, namentlich zwischen Grundpfandgläubiger und Eigentümer, fällt dagegen nicht unter Nr. 1 S. 1 Var. 1.207 Die Löschungsklage ist keine Klage aus einem dinglichen Immobiliarrecht, sondern eine Klage auf ein Immobiliarrecht bzw. dessen Veränderung oder Aufhebung.208 Der Löschungsanspruch richtet sich nicht gegen jedermann. Er hat keine Wirkung erga omnes. Vielmehr ergibt er sich aus einer Abrede zwischen den Parteien und ist damit ein relativer und persönlicher Anspruch.209 Dass die Klage ein dingliches Recht bloß berührt oder im Zusammen197 Unzutreffend daher Drasdo, NJW-Spezial 2019, 385. 198 ÖstOGH, ecolex 2008/150 S. 429 = ZfRV 2008, 77, 78; Pröbsting, ZfRV 2008, 78. 199 EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C:2015:833 Rz. 26–31 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu; Cass., Rev. jur. Comm. 2017, 582; Edward Jan Magiera v. Eve Terese Magiera [2016] EWCA Civ 1292 [43]–[51], [54], [2017] 3 WLR 41, [2017] Fam 327 (C.A., per Black L.J.); vgl. auch Peschke, IWRZ 2016, 84. Überlegungen zu möglichen Besonderheiten bei trust-Konstuktionen angelsächsicher Prägung Haggie/Galtrey, [2019] Fam L 660, 665–667. 200 Cass., JCP G 2017, 1198 = JCP G 2017.693 = Clunet 145 (2018) 134 m. Anm. Parisot; Drapier, JCP N 2017.1315, 32, 34. Kritisch Perreau-Saussine, JCP G 2017, 1197, 1198 f.; Parisot, Clunet 145 (2018) 135, 141 f. Anders noch Cass., JurisData 2015 n° 2015-021238; östOGH, ZfRV-LS 2016/57 = ZfRV 2016, 376 m. Anm. Rohrer sowie Rixhon, RCDB 2015, 533, 535. 201 Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 983, 986; Perreau-Saussine, JCP G 2016, 1459, 1462; Parisot, Clunet 145 (2018) 135, 147 f. 202 Schlosser-Bericht Nr. 163; Geimer/Schütze/Safferling (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 7; Wehdeking, DZWiR 2004, 323, 324; Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 735. 203 Musger, Grenzüberschreitende Unweltbelastungen im internationalen Zivilprozessrecht (1991) 54; Geimer/ Schütze/Safferling (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 7; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 22 m.w.N.; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 17; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 25 (2016). 204 Tiefenthaler/Hanusch, ecolex 2004, 330, 331; Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 734 f. 205 ÖstOGH, JBl 1998, 381. 206 OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966, 1967. 207 BGH v. 4.8.2004 – XII ZR 28/01, NJW-RR 2005, 72 = EuLF 2004, 286 m. Anm. Simons = ZZP Int 9 (2004) 206 m. Anm. Mankowski; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 13 (2005); Mankowski, RIW 2005, 561, 571; Mankowski, ZZP Int 9 (2004) 210, 211. 208 BGH v. 4.8.2004 – XII ZR 28/01, NJW-RR 2005, 72. 209 BGH v. 4.8.2004 – XII ZR 28/01, NJW-RR 2005, 72.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
hang mit einem dinglichen Recht steht, reicht nicht aus.210 Dies gilt auch für Löschungsansprüche hinsichtlich Sicherungsgrundschulden bei Realkrediten.211 6. Immissionsabwehrklagen Abwehrbefugnisse des Eigentümers können sich gegen jedermann richten. Der Eigentümer hat das Recht, jedermann von der Nutzung seiner Immobilie auszuschließen. Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüche gegen einzelne geben dem nur ein Gewand. Trotzdem ist die Qualifikation solcher Abwehransprüche problematisch.
51
Insbesondere stellt sich die Frage, ob vorbeugende Immissionsabwehrklagen unter den ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand des Nr. 1 S. 1 Var. 1 fallen212 oder vielmehr vom allgemeinen Regime, insbesondere vom besonderen Deliktsgerichtsstand aus Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO, erfasst werden.213 Zwischen den nationalen Rechten sind die Einordnungen gespalten, so dass rechtsvergleichende Umschau keine Antwort gibt.214 Für die dingliche Einordnung würde immerhin sprechen, dass der Anspruch aus dem Eigentum kommt und auf ungestörte Wahrnahme des Eigentums geht.215 Vindikation und negatorischer Rechtsschutz sind nahe benachbart.216 Indes erscheint das Eigentumsrecht bei einer Immissionsabwehrklage als Präjudizialelement, nicht als Streitgegenstand.217 Sach- und Beweisnähe kann man dem Gerichtsstand am Ort des belästigten Grundstücks in keinem Fall absprechen;218 indes wäre sie gleichermaßen bei deliktischer Qualifikation gewahrt,219 und obendrein bestünde sie auch am Ort der emittierenden Anlage.220
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Für eine deliktische Qualifikation spricht, dass eine dingliche Qualifikation Abwehrklagen hinsichtlich Sachen einerseits und hinsichtlich Personen (z.B. der Bewohner des von Immissionen bedrohten Grundstücks) andererseits auseinander reißen würde.221 Schadensersatz und actio negatoria sind zwei Seiten derselben Medaille.222 Die Zuweisung präventiver Unterlassungsklagen zum Deliktsgerichtsstand in Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO a.E. spricht tendenziell ebenfalls für eine deliktische Qualifikation,223 muss aber nicht umfassend sein.224 Deliktisch qualifiziert auch Art. 7 Rom II-VO; will
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210 EuGH v. 15.5.2019 – C-827/18, ECLI:E:C:2019:416 Rz. 25 – MC vs. ND; ÖstOGH, ÖJZ 2004, 141, 142 = EvBl 2004/30 = ZfRV 2004, 105, 106; ObG Zürich BlZürchRspr. 102 (2003) Nr. 1 S. 2; Mankowski, RIW 2005, 561, 571; H. Prütting, FS Dagmar Coester-Waltjen (2015) 631, 632. 211 Mankowski, ZZP Int 9 (2004) 210, 215 f. 212 Dafür östOGH, ÖJZ 2004, 77, 80 („Temelin I“) = JBl 2004, 105 m. krit. Anm. Rotter = RdU 2003, 155 m. zust. Anm. Lepeska; Lepeska, RdU 2001, 50, 51; Schlosser/Hess vs. Schlosser, Rz. 4; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 56 (a.A. Rz. 76); Hadeyer, ecolex 2004, 828, 829; Knöfel, RIW 2006, 627, 628; s. auch östOGH, ecolex 2004, 859 („Temelin II“) m. Anm. Mayr. 213 Dafür EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C:2006:330 Rz. 34 – Land Oberösterreich vs. CˇEZas; BGH, NJW 2008, 3502; Kohler in Moltke/Schmölling/Kloepfer/Kohler (Hrsg.), Grenzüberschreitender Umweltschutz in Europa (1984) 69, 74 f.; Musger, Grenzüberschreitende Umweltbelastungen im internationalen Zivilprozessrecht (1991) 48 et passim; von Bar, Rec. des Cours 268 (1997) 291, 333 f.; Tiefenthaler/Hanusch, ecolex 2004, 330, 331; Wehdeking, DZWiR 2004, 323, 324 f.; Schack, IPRax 2005, 262, 265; G. Hager/F. Hartmann, IPRax 2005, 266, 268 f. 214 Schack, IPRax 2005, 262, 264; s. auch Knöfel, RIW 2006, 627, 629; Althammer, FS Gottwald (2014) 9, 13. 215 Hadeyer, ecolex 2004, 828, 829. 216 Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 735 f. 217 EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C:2006:330 Rz. 34 – Land Oberösterreich vs. CˇEZas; Althammer, FS Gottwald (2014) 9, 13. 218 Knöfel, RIW 2006, 627, 628. 219 Ebenso Graf-Schimek in Beig/Graf-Schimek/Grubinger/Schacherreiter, Rom II-VO (2008) 95, 107. 220 EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C:2006:330 Rz. 39 – Land Oberösterreich vs. CˇEZas; Althammer, FS Gottwald (2014) 9, 13. 221 Schack, IPRax 2005, 262, 265; ähnlich EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C:2006:330 Rz. 34 – Land Oberösterreich vs. CˇEZas. 222 Schack, IPRax 2005, 262, 265. 223 Tiefenthaler/Hanusch, ecolex 2004, 330, 331. 224 G. Hager/F. Hartmann, IPRax 2005, 266, 268.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten man möglichst parallele Qualifikation in europäischem IPR und europäischem IZPR, so wiegt dies schwer.225 54
Schließlich hat zwar der Immissionsstaat ernst zu nehmende Interessen, der Emissionsstaat hat aber kaum minder bedeutsame, so dass die ratio von Nr. 1 S. 1 Var. 1 jedenfalls nicht voll zuträfe.226 Eine ausschließliche Zuständigkeit am Immissionsort würde zudem von jenem Staat trennen, in dem ein Unterlassungsurteil aller Wahrscheinlichkeit nach vollstreckt werden müsste, nämlich dem Emissionsstaat.227 Die eigene ratio von Nr. 1 S. 1 Var. 1 passt insgesamt nur schlecht.228 Dingliche Qualifikation benötigte jedenfalls eine Stichregel soweit eventuelle Rechte zur Emission aus dem belästigenden Grundstück in Rede stehen sollten.229
III. Schuldrechtliche Immobilienüberlassungsverträge (Nr. 1 S. 1 Var. 2, S. 2) 1. Miete und Pacht a) Grundsätzliches 55
Unter Miete und Pacht fällt jede einen Rechtsanspruch begründende Überlassung des Gebrauchs der Immobilie auf Zeit.230 Der Begriff ist autonom, ohne Rückgriff auf das nationale Sachenrecht des Gerichtsstaates oder auf das Sachrecht des Belegenheitsstaates auszulegen.231 Hinter Nr. 1 S. 1 Var. 2 steht die Überlegung, dass Immobilienmietverträge in der Regel besonderen Regulierungen durch den Belegenheitsstaat des Mietobjekts unterliegen.232 Er soll auch eine effektive Durchsetzung von Mieterschutzvorschriften des Belegenheitsrechts eröffnen.233
56
Zudem sollen Beweis- und Rechtsnähe eine geordnete Rechtspflege im Belegenheitsstaat ermöglichen,234 z.B. wenn es um Fragen von Teilbarkeit oder Unteilbarkeit geht.235 Mietverhältnissen soll eine besondere Komplexität eignen, weil sie eine ganze Reihe von Pflichten enthalten.236 Außerdem sind Sachverständigengutachten und die Beurteilung lokaler Besonderheiten am besten vor Ort möglich.237 Erfasst sind private wie gewerbliche Miete gleichermaßen, Grundstücks-, Haus- und Wohnungsmiete.238 Eine besonders enge oder restriktive Anwendung ist nicht geboten.239
225 226 227 228 229 230 231 232 233 234
235 236 237
238 239
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G. Hager/F. Hartmann, IPRax 2005, 266, 268. G. Hager/F. Hartmann, IPRax 2005, 266, 268 f. sowie Tiefenthaler/Hanusch, ecolex 2004, 330, 331. G. Hager/F. Hartmann, IPRax 2005, 266, 269. Siehe EuGH v. 18.5.2006 – C-343/04, ECLI:EU:C:2006:330 Rz. 35-37 – Land Oberösterreich vs. CˇEZas. Vgl. Knöfel, RIW 2006, 627, 628. Schwander in Schwander (Hrsg.), Das Lugano-Übereinkommen (1990) 61, 89. BGH, RIW 2008, 633, 634 = NJW-RR 2008, 1381, 1382; AppG Basel-Stadt SZIER 1996, 90; Endler, IPRax 1992, 212, 214; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 19 gegen LG Frankfurt/M., IPRax 1982, 242; LG Berlin v. 1.10.1991 – 65 S 31/91, IPRax 1992, 243. EuGH v. 15.5.2019 – C-827/18, ECLI:E:C:2019:416 Rz. 27 – MC vs. ND. EuGH v. 26.2.1992 – C-280/90, ECLI:EU:C:1992:92 – Elisabeth Hacker vs. Euro-Relais GmbH, EuGHE 1992 I 1111, 1136 Rz. 29; BGH v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308 [10]; LG Mainz, IPRspr. 2012 Nr. 180 S. 408. Siehe nur EuGH v. 27.1.2000 – C-8/98, ECLI:EU:C:2000:45 – Dansommer AS vs. Andreas Götz, EuGHE 2000, I 393 Rz. 27; EuGH v. 13.10.2005 – C-73/04, ECLI:EU:C:2005:607 – Brigitte u. Marcus Klein vs. Rhodos Management Ltd., EuGHE 2005, I 8667, 8686 Rz. 16; BGH v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308 Rz. 10; OLG Köln, ZMR 2016, 621, 622; ObG Basel-Land BJM 1998, 209; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 37 (2016). Parisot, Clunet 145 (2018) 135, 147. EuGH v. 15.5.2019 – C-827/18, ECLI:E:C:2019:416 Rz. 27 – MC vs. ND. EuGH v. 13.10.2005 – C-73/04, ECLI:EU:C:2005:607 – Brigitte u. Marcus Klein vs. Rhodos Management Ltd., EuGHE 2005, I 8667, I 8686 Rz. 16; BGH, RIW 2008, 633, 634; BGH v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308 [10] sowie – wenn auch zu Nr. 1 S. 1 Var. 1 – EuGH v. 17.12.2015 – C-605/14, ECLI:EU:C: 2015:833 Rz. 29 – Virpi Komu, Hanna Ruotsalainen, Ritva Komu vs. Pekka Komu Jelena Komu. Siehe nur Jenard-Bericht 53; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 24 (2005); Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 29. Entgegen LG Mainz, IPRspr. 2012 Nr. 180 S. 408.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Betrifft ein Miet- oder Pachtvertrag genau benannte oder zumindest lokalisierbare Grundstücke in mehreren Staaten (d.h. werden Grundstücke in mehreren Staaten vermietet oder verpachtet), so ist jedes Belegenheitsgericht jeweils für die in seinem Sprengel belegenen Grundstücke zuständig.240 Unter einer Konstruktion wie jener der Nr. 1 S. 1 Var. 1 ist eine solche Fragmentierung leider unvermeidlich. Der Gesamtzusammenhang des Vertrages wird aufgelöst.241 Allerdings sollte man Nr. 1 S. 1 Var. 1 zurücknehmen, wenn die Miete insgesamt eingeklagt wird. Es wäre für den Vermieter unzumutbar, wenn er eine Vielzahl von Verfahren über Teiltranchen anstrengen müsste. Eine weitere Ausnahme gilt bei Grundstücken direkt an der Grenze, bei denen ein Teil in einem Land liegt, während der andere Teil im anderen liegt. Dann ist eine Schwerpunktbildung geboten.242 Ebenso erscheint eine Ausnahme sinnvoll, wenn Pachtgegenstand eigentlich gar nicht die Grundstücke sind, sondern ein Unternehmen, zu dessen (Betriebs-)Vermögen die Grundstücke zählen. Dann sollte man schon auf der Qualifikationsebene ausgrenzen und anerkennen, dass die Grundstücke nur mittelbar betroffen sind.243
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Die Gebrauchsüberlassung muss den Vertrag charakterisieren. Hat der Vertrag einen anderen Hauptgegenstand, so fällt er aus Nr. 1 S. 1 Var. 2 heraus.244 Maßgeblich ist der verfolgte wirtschaftliche Zweck.245 Z.B. wird die Überlassung eines Ladengeschäfts durch die Übertragung des Betriebes, der unternehmerischen Einheit, nicht durch die insoweit nicht prägende Überlassung der Ladenräume charakterisiert.246 Auch die Verpflichtung, einen Mitmieter oder einen Nachmieter beizubringen, ist nicht mietrechtlich zu qualifizieren.247 Hausbauverträge fallen nicht unter Nr. 1 S. 1 Var. 2.248 Andererseits fällt der Mietteil eines Mietkaufs unter Nr. 1 S. 1 Var. 2.249
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Auf die Dauer der Nutzungsüberlassung kommt es nicht an, auch die kurzfristige Gebrauchsüberlassung ist erfasst, selbst wenn sie zu Erholungszwecken erfolgt.250 Sogar die Benutzung einer Parkfläche für Stunden oder gar nur Minuten reicht,251 wenn man gewillt ist, deren Betreiber das grundsätzliche Jurisdiktionsprivileg aus Nr. 1 S. 1 Var. 1 zuzugestehen und nicht zu einer teleologischen Nutzung zu schreiten.
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Eine private Nutzung durch den Mieter ist andererseits nicht verlangt. Gewerberaummiete ist also erfasst. Für Gewerberaummiete war in Art. 22 Nr. 1 lit. b Vorschlag Brüssel Ia-VO die Möglichkeit vorgesehen, dass die Parteien miteinander eine Gerichtsstandsvereinbarung schließen können.252 Dieser Vorstoß der Kommission ist aber gescheitert.253
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b) Vermittlung und Anmieten zur Weiterüberlassung Ein Anmieten von Räumen, um diese dann vertraglich Dritten zu überlassen (z.B. durch einen kommerziellen Ferienhausvermittler), fällt unter den Begriff der Miete oder Pacht.254 Dass derjenige, welchem die Räume überlassen werden, diese selber nutzt, ist nicht erforderlich. Ebenso wenig ist 240 EuGH v. 6.7.1988 – 158/87, ECLI:EU:C:1988:370 – ROE Scherrens vs. MG Maenhout, EuGHE 1988, 3791, 3805 Rz. 13, 16; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 11; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 50 (2016). 241 Kreuzer, IPRax 1991, 25, 26. 242 EuGH v. 6.7.1988 – 158/87, ECLI:EU:C:1988:370 – ROE Scherrens vs. MG Maenhout, EuGHE 1988, 3791, 3805 Rz. 14. 243 Vgl. auch Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 78 (1989) 548, 553; Kreuzer, IPRax 1991, 25, 27 f. 244 Siehe nur EuGH v. 14.12.1977 – 73/77, ECLI:EU:C:1977:208 Rz. 16 – Theodorus Engelbertus Sanders vs. Ronald van der Putte; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 40 (2016). 245 Endler, IPRax 1992, 212, 214. 246 Vgl. EuGH v. 14.12.1977 – 73/77, ECLI:EU:C:1977:208 Rz. 19 – Theodorus Engelbertus Sanders vs. Ronald van der Putte. 247 Entgegen Rb. Arnhem, NIPR 2001 Nr. 50 S. 116. 248 OLG Frankfurt, IPRspr. 2016 Nr. 282 S. 687. 249 Rb. Utrecht, NIPR 1998 Nr. 138 S. 165. 250 A. Staudinger, NZM 2011, 257, 258 f. A.A. Rauscher, NJW 1985, 892, 898. 251 A. Staudinger/Frensing-Deutschmann, DAR 2016, 181, 184. 252 Wobei zu überlegen war, ob dies nicht auf Fälle zu beschränken war, in denen auch der Vermieter gewerblich agierte; Heidelberg Report/Pfeiffer, Rz. 317; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 282 f. 253 Siehe nur Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 529. 254 Entgegen OLG Düsseldorf, OLGR Düsseldorf 1991, 3; Endler, IPRax 1992, 212, 215.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten nur der Eigentümer der Immobilie als tauglicher Vermieter anzusehen.255 Vielmehr sind Nutzungsüberlassung und Eigentum zu trennen. Untermietverträge sind daher sicher erfasst.256 Mietvertrag bleibt nach seiner Natur sogar derjenige Immobiliennutzungsüberlassungsvertrag, bei welcher der Überlassende nicht zur Überlassung berechtigt ist. Nr. 1 S. 1 Var. 2 ist wiederum nicht einschlägig, wenn der kommerzielle Ferienhausvermittler die Räume nicht anmietet, sondern nur die Erlaubnis erhält, sie an Dritte zu vermitteln, die ihrerseits (sei es auch unter Vertretung durch den Vermittler) einen Mietvertrag mit dem Eigentümer schließen.257 62
Typische Verträge mit Reiseveranstaltern sind keine Mietverträge,258 auch wenn sie die Miete einer Ferienimmobilie mit beinhalten, denn sie beinhalten eine Vielzahl weiterer Leistungen (z.B. Transport, Empfang, Betreuung am Ferienort, möglicherweise Verköstigung), so dass die Gebrauchsüberlassung der Immobilie nicht ausschlaggebend prägen kann259 (wobei rein vorvertragliche Beratungsoder Auskunftsleistungen allerdings nicht zählen können260). Beschränkt sich der Vertrag mit einem Reiseveranstalter allerdings im Kern auf eine Miete mit nur wenigen, nicht prägenden Nebenleistungen (z.B. der Vermittlung einer Reiserücktrittsversicherung), so ist er atypisch gelagert und doch Mietvertrag.261
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Ein Reisevermittler ist umso weniger Vermieter.262 Agiert der Anbieter nur als Vermittler von Leistungen und klagt er als Zessionar Ansprüche des Immobilieneigentümers ein, so klagt er nicht aus dem eigenen, mit ihm abgeschlossenen Vertrag, sondern aus dem vermittelten Vertrag zwischen Kunden und Eigentümer, für den sich das sach- und gegenstandsbezogene Forum am Belegenheitsort durch die Abtretung nicht ändert.263
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Entscheidend für die Einordnung des konkret zu beurteilenden Vertrags ist nicht die subjektive Stellung des Anbieters, sondern der objektive Vertragstypus.264 Vorschriften des nationalen Rechts über Vertragstypen sind für die Qualifikation nicht heranzuziehen,265 da diese europäisch-autonom und funktional erfolgen muss. Möglich ist aber ein abgrenzender Blick zum einen auf Art. 6 Abs. 4 lit. b Rom I-VO und zum anderen auf den Begriff der Pauschalreise aus Art. 2 PauschalreiseRL266.267 Was Pauschalreise im Sinne der PauschalreiseRL ist, ist in aller Regel kein Ferienhausmietvertrag für die Zwecke der Nr. 1 S. 1 Var. 2.268
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Im Zuge der Überlassung erteilte Auskünfte und Ratschläge und die Reservierung einer Ferienunterkunft prägen nicht. Beratungsleistungen vor Vertragsschluss liegen zu früh, um zur für den Vertrag 255 A. Staudinger, NZM 2011, 257, 258; A. Staudinger, RRa 2013, 58, 60; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 43 (2016). A.A. Führich, LMK 2013, 343828. 256 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 9; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 43 (2016). 257 OLG Frankfurt v. 31.1.2002 – 1 W 20/01, OLGR Frankfurt 2002, 102; OLG Frankfurt v. 1.8.2007 – 7 U 146/06, MDR 2008, 336, 337. 258 EuGH v. 26.2.1992 – C-280/90, ECLI:EU:C:1992:92 Rz. 14 f. – Elisabeth Hacker vs. Euro-Relais GmbH; BGH v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308 Rz. 10, 13; BGH v. 28.5.2013 – X ZR 88/12, MDR 2013, 995 Rz. 12; OLG München, BeckRS 2017, 127677 Rz. 10; OLG Frankfurt v. 1.8.2007 – 7 U 146/06, MDR 2008, 336, Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 261; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 30; A. Staudinger, RRa 2007, 98, 99; Führich, LMK 2013, 343828; Friesen, jurisPR-IWR 1/2018 Anm. 2 sub C. 259 BGH v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308 Rz. 10, 13; BGH v. 28.5.2013 – X ZR 88/12, MDR 2013, 995 Rz. 12; OLG München, BeckRS 2017, 127677 Rz. 10; A. Staudinger, NZM 2011, 257, 259. 260 A. Staudinger, RRa 2013, 58, 60; Friesen, jurisPR-IWR 1/2018 Anm. 2 sub C. 261 AG Mannheim, IPRspr. 2010 Nr. 198 S. 504; A. Staudinger, RRa 2007, 98, 99. 262 BGH v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308 Rz. 13-15; A. Staudinger, NZM 2011, 257, 260; Führich, LMK 2013, 343828; R. Wagner/Diehl, GPR 2014, 230, 234 Fn. 43. 263 Siehe EuGH v. 27.1.2000 – C-8/98, ECLI:EU:C:2000:45 Rz. 34 f. – Dansommer AS vs. Andreas Götz. 264 A. Staudinger, RRa 2013, 58 f. 265 A. Staudinger, RRa 2013, 58, 59. 266 Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.11.2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EG des Rates, ABl. EU 2015 L 326/1; ursprünglich Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13.6.1990 über Pauschalreisen, ABl. EG 1990 L 158/59. 267 A. Staudinger, RRa 2013, 58, 59. 268 A. Staudinger, NZM 2011, 257, 260.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
charakteristischen Leistung beitragen zu können; sie gehören gar nicht zum vertraglichen Hauptleistungsprogramm im Synallagma.269 Eine Endreinigung bleibt ebenfalls Nebenleistung270 in einem grundsätzlich mietvertraglichen Programm,271 gleichermaßen Wäschewechsel oder Instandhaltung.272 Eine bloße Schlüsselübergabe gehört sogar zum typischen Programm eines Mietvertrags und lässt sich nicht einer reisevertragstypischen Inempfangnahme der Personen vor Ort gleichstellen.273 Eine Reiserücktrittsversicherung und eine Reisesicherung gegen Insolvenz können zwar in Richtung Reisevertrag deuten, prägen aber für sich nicht das Gesamtbild.274 Für Privatbuchende kann dies von Vorteil sein, weil ihnen das für sie günstigere Regime für Verbraucherverträge offen steht;275 sie können an ihrem Wohnsitz klagen und sind nicht unter Umständen zu einer Klage am ausländischen Belegenheitsort gezwungen. Ein Hotelvertrag, insbesondere ein Hotelvertrag mit Voll- oder Halbpension oder Clubprogramm, ist kein Mietvertrag,276 sondern ein Dienstleistungsvertrag.277 Nur eine isolierte Vermietung von Hotelzimmern ohne weitere Leistungen als eine Reinigung kann ein Mietvertrag sein.278 Kein Mietvertrag ist prinzipiell auch ein Beherbergungsvertrag, selbst wenn dieser zusätzlich das Zurverfügungstellen von Konferenzräumen beinhaltet.279 Dagegen ist ein Allotment-Vertrag zwischen einem Hotel und einem Reiseunternehmen, demzufolge das Hotel Zimmerkontingente bereitzustellen hat, ein Mietvertrag.280
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c) Vertragsrechtlich ausgestaltetes Timesharing Vertragsrechtlich ausgestaltetes Timesharing begründet eine Nutzungsüberlassung und fällt unter 67 Nr. 1 S. 1 Var. 2.281 Ein „globaler“ Charakter der Zahlungsverpflichtung, der sich vom einzelnen Objekt abhöbe, besteht nicht.282 Der Kunde hätte, um das wirtschaftlich gleiche Ziel zu erreichen, auch einfach ein Ferienhaus für den betreffenden Zeitraum mieten und dies jedes Jahr wiederholen können. Er erwirbt keine bessere Berechtigung, und der Unterschied liegt nur in der von vornherein festgelegten mehrjährigen Bindung; dieser Unterschied ist nicht wesentlich.283 Zudem greift die ratio hinter der Belegenheitsanknüpfung für schuldrechtliche Nutzungsüberlassungsverträge, nämlich zwingende Bestimmungen des Belegenheitsrechts durch dessen eigene Gerichte effektiv durchsetzen zu helfen,284 auch beim schuldrechtlichen Timesharing.285
269 A. Staudinger, NZM 2011, 257, 259; A. Staudinger, RRa 2013, 58, 60; Schultheiß, VuR 2013, 141 f.; R. Wagner/ Diehl, GPR 2014, 230, 235. 270 A. Staudinger, RRa 2013, 58, 60; offen BGH v. 23.10.2012 – X ZR 157/11, NJW 2013, 308 [15]. 271 R. Wagner/Diehl, GPR 2014, 230, 235. 272 A. Staudinger, NZM 2011, 257, 259. 273 R. Wagner/Diehl, GPR 2014, 230, 235. 274 R. Wagner/Diehl, GPR 2014, 230, 235. 275 Führich, LMK 2013, 343828. 276 östOGH, ÖJZ 2004, 388, 390; ØLD UfR 2004, 1404; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2008, 1526, 1527, MDR 2008, 1000; A. Staudinger, RRa 2007, 98, 100; Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 743 sowie OLG Karlsruhe, RIW 1999, 464 (dazu Mansel, IPRax 2000, 30). 277 ÖstOGH, ÖJZ 2004, 388, 390; A. Staudinger, RRa 2007, 98, 100; s. auch Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 18. 278 Vgl. Führich, Rrax 2014, 106, 117. 279 OLG Karlsruhe, RIW 1999, 464. 280 Epheteio Dodekanes EED 1998, 125 m. Anm. Klavanidou; Vassilikakis, IPRax 2005, 279, 282. 281 OLG Koblenz v. 8.9.2000 – 11 U 288/00, NJW-RR 2001, 490 = VuR 2001, 257, 258 m. Anm. Mankowski; CA Pau JClP 2003 IV 2180; LG Darmstadt, EuZW 1996, 181; Rb. ’s-Gravenhage NIPR 1995 Nr. 559 S. 792; AG Montabaur Informaciones 2006, 187, 188; Mankowski, EuZW 1996, 177, 178 f.; Mankowski, VuR 1996, 392, 393; Mankowski, VuR 2001, 259; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 17; Artz, Informaciones 2006, 189; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 33. 282 Vgl. Nuyts, Rev. dr. int. dr. comp. 2000, 143, 166. 283 Mankowski, EuZW 1996, 177, 178. 284 Siehe nur Jenard-Bericht, 35. 285 Mankowski, EuZW 1996, 177, 178.
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Timesharingverträge enthalten zwar durchaus Dienstleistungsanteile. Diese sind jedoch in aller Regel Nebenleistungen.286 Instandhaltung der Immobilie und Wartung der für ihren Betrieb erforderlichen technischen Anlagen etwa vermögen den Vertrag nicht zu prägen, zumal sie in ganz ähnlicher Weise Pflichten jedes Immobilienvermieters sind.287 Auch Wachservice, Wäscherservice und Reinigung sind in aller Regel bloße Nebenleistungen.288 Dies gilt umso mehr, wenn diese Leistungen gar nicht vom Timesharingunternehmen selber auf Grund des Timesharingvertrages, sondern von Dritten auf Grund eigenständiger Verträge zwischen diesen und dem Timesharingkunden erbracht werden.289
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Nur im Ausnahmefall290 kann der Dienstleistungsanteil größeren Wert haben und damit den Vertrag mehr prägen als der Nutzungsanteil.291 Dann nähert sich der Gesamtcharakter des Vertrages einem Hotelvertrag an. Die Abgrenzung ist im Einzelfall mit Blick auf die Pflichtenstruktur des konkreten Vertrages zu treffen.292 Die psychologisch bedeutsamste Verpflichtung prägt nicht automatisch.293 Das bloße Vorhandensein von anderen Leistungen allein macht den Vertrag aber noch nicht zu einem gemischten Vertrag,294 denn Nebenleistungen vermöchten definitionsgemäß den Charakter des Vertrages nicht zu prägen und auch nicht zu verändern. Verlangt ist nur eine überwiegende mietvertragliche Prägung,295 keine eindeutige oder gar ausschließliche.296
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Die vermittelte Mitgliedschaft in einer Tauschorganisation oder die eröffnete Möglichkeit, an einem Tauschring zu partizipieren, können indes bei keinem Timesharing-Typ relevante Charakteristika des Timesharing-Vertrages begründen:297 Die eigentliche Tauschorganisation obliegt nämlich Dritten und vollzieht sich außerhalb des Gefüges des Timesharing-Vertrages;298 die reine Vermittlung aber ist nur Nebenleistung.299
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Eine Sonderkonstellation besteht, wenn zwar ein Nutzungsrecht eingeräumt wird, jedoch nicht an einer bestimmten Immobilie, sondern an jeweils jährlich neu festlegenden Immobilien aus dem Kreis der Clubimmobilien.300 Dies wird als flexibles Timesharing bezeichnet.301 Dann fehlt es vor der Konkretisierung an einem klaren Bezug zu einer bestimmten Immobilie und deshalb auch an einer Immobilienbelegenheit, an die man anknüpfen könnte.302 Zwar ist eine Nutzungsüberlassung an Immobilien bezweckt, doch ausnahmsweise führt dies mangels Konkretisierung der betroffenen Immobilie nicht zur Lokalisierung des Vertrages. 286 Siehe nur OLG Celle v. 13.2.1996 – 17 U 28/95, RIW 1996, 963; LG Düsseldorf v. 12.4.1994 – 10 O 513/93, RIW 1995, 415, 416; LG Weiden v. 27.10.1995 – 2 O 816/95, NJW-RR 1996, 438; Mankowski, NZM 2007, 671, 672. 287 Mankowski, RIW 1995, 364, 367. 288 LG Darmstadt v. 23.8.1995 – 9 O 62/95, IPRax 1996, 121 = EuZW 1996, 191, 192. 289 Reithmann/Martiny/Mankowski, Internationales Vertragsrecht (6. Aufl. 2004) Rz. 1073, vgl. (7. Aufl. 2010) Rz. 4349. 290 Siehe GA Alber, Schlussanträge v. 26.11.1998 – C-423/97, EuGHE 1999 I 2199, 2208 Nr. 34. 291 EuGH v. 22.4.1999 – C-423/97, ECLI:EU:C:1999:197 Rz. 25 – Travel Vac SL vs. Manuel José Antelm Sanchis; EuGH v. 13.10.2005 – C-73/04, ECLI:EU:C:2005:607 Rz. 27 – Brigitte u. Marcus Klein vs. Rhodos Management Ltd.; Hüßstege, IPRax 2006, 124, 125. 292 Ebenso Jansegers, RW 2001–2, 361, 366. 293 Couwenberg, RW 2008–09, 208, 209. 294 Ungenau insoweit EuGH v. 13.10.2005 – C-73/04, ECLI:EU:C:2005:607 – Brigitte u. Marcus Klein vs. Rhodos Management Ltd., EuGHE 2005, I 8667, I 8689 Rz. 27. 295 Mankowski, NZM 2007, 671, 672. 296 Dahin aber OLG Saarbrücken, NZM 2007, 703 = NJOZ 2007, 5040. 297 Mankowski, NZM 2007, 671, 673. Entgegen EuGH v. 13.10.2005 – C-73/04, ECLI:EU:C:2005:607 Rz. 25 – Brigitte u. Marcus Klein vs. Rhodos Management Ltd.; BGH, RIW 2008, 633, 634. 298 Mankowski, NZM 2007, 671, 673; Boos, LMK 2008, 115, 116. Zu den Rechtsbeziehungen zwischen Timesharer und Tauschpool Kelp, Time-Sharing-Verträge (2005) 181–192. 299 Mankowski, VuR 2004, 217, 218 f.; Mankowski, NZM 2007, 671, 673; Naujok, ZfIR 2008, 623, 624. 300 Missverstanden von BGH, RIW 2008, 633, 634. 301 Kelp, (Fn. 218) 229 et passim. 302 EuGH v. 13.10.2005 – C-73/04, ECLI:EU:C:2005:607 Rz. 24-26 – Brigitte u. Marcus Klein vs. Rhodos Management Ltd.; BGH, RIW 2008, 633, 634; Mankowski, EuZW 1996, 177, 179; Mankowski, VuR 2001, 259, 261; Mankowski, VuR 2004, 217, 218; Mankowski, ZZP Int 10 (2005) 309, 310 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
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Die Materialien versuchen allerdings (ohne nähere Begründung), vertragsrechtlich ausgestaltetes 72 Timesharing (wie Timesharing insgesamt) Nr. 1 immer zu entziehen.303 Dies kann indes nur gelingen, wenn und soweit der konkrete Timesharingvertrag von Dienstleistungselementen mindestens gleichgewichtig mitgeprägt wird.304 Der normale Timesharingvertrag weist aber keine solchen mitprägenden Dienstleistungselemente auf, sondern enthält Dienstleistungspflichten nur als Nebenpflichten. Die Materialien sind zu pauschal und zu undifferenziert.305 Eine autoritative Festlegung vermögen – zudem nicht einmal offiziell publizierte – Materialien nicht zu verfügen.306 Wann die Nutzungsüberlassung und wann ausnahmsweise andere Momente überwiegen, ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls. Allerdings ist an der Regel festzuhalten, dass Nutzungsüberlassung grundsätzlich das prägende Moment ist. Autoritative Unterstützung durch rechtsaktvergleichende Auslegung scheinen würden die Materialien indes durch Art. 8 Abs. 4 lit. c Halbs. 2 Rom I-VO zu erhalten. In Art. 8 Abs. 4 lit. c Halbs. 1 Rom I-VO werden Verträge, die ein dingliches Recht an einem Grundstück oder ein Recht zur Nutzung eines Grundstücks zum Gegenstand haben, vom sachlichen Anwendungsbereich des zukünftigen Internationalen Verbrauchervertragsrechts ausgenommen. Für Timesharingverträge aber enthält Halbs. 2 eine ausdrückliche, pauschale Rückausnahme. Methodisch bleibt dies jedoch zweifelhaft: Kann eine Rückausnahme einer Norm unterwerfen, was eigentlich gar nicht dieser Norm, sondern einer anderen, Vorrang heischenden Norm unterfällt? Die sachliche Reichweite des Internationalen Verbraucherschutzrechts darf schließlich erst in den Blick kommen, sobald festgestellt ist, dass der ausschließliche Gerichtsstand seinerseits sachlich nicht anwendbar ist. Das Internationale Verbraucherschutzrecht mag für sich noch so weite Anwendung reklamieren. Mit diesem Anwendungsanspruch wird es erst gehört, wenn kein vorrangiger Anwendungsanspruch besteht. Die sachliche Reichweite des Immobiliengerichtsstandes hat sich nicht geändert. Da er ein alles andere verdrängender ausschließlicher Gerichtsstand ist, muss er in jeder Prüfung zuerst stehen. Er verdrängt, soweit er reicht, auch das Schutzregime des Internationalen Verbraucherprozessrechts.307 Deshalb können Überlegungen, Timesharing dem Internationalen Verbraucherprozessrecht zuzuschlagen,308 allenfalls dann greifen, wenn man eine entsprechende Reduktion des Immobiliengerichtsstandes vorgenommen hätte.309 Eine solche Reduktion ist aber nicht erfolgt. Vielmehr gilt weiterhin die alte Abgrenzung: Steht die Nutzungsüberlassung am Timesharingobjekt im Vordergrund, so kommt der Immobiliengerichtsstand zum Zuge; dominieren dagegen ausnahmsweise Dienstleistungsmomente (oder handelt es sich um einen Vertrag über dinglich ausgestaltetes Timesharing),310 so gelangt man zum Internationalen Verbraucherprozessrecht.
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Die Veräußerung von Nutzungsansprüchen aus schuldrechtlichem Timesharing ist jedenfalls keine 74 Miete, sondern Verpflichtung zur Rechtsübertragung, die nicht unter Nr. 1 S. 1 Var. 2 fällt.311 d) Pseudo-gesellschafts- oder pseudo-vereinsrechtlich ausgestaltetes Timesharing Als vertragsrechtlich sind auch pseudo-gesellschafts- und pseudo-vereinsrechtlich ausgestaltete Konstruktionen einzuordnen.312 Sie sind vordergründig die komplizierteste Konstruktion und kaschieren am gründlichsten den eigentlichen Vertragszweck. Gewollt ist im Kern ein Leistungsaustausch: Nutzungsrecht an einer bestimmten Immobilie gegen Entgeltzahlung. Wirtschaftlich geht es 303 Begründung der Kommission BR-Drucks. 534/99, 16 zu Art. 15 Brüssel Ia-VO (Anm. 2. Abs.); ebenso Kelp, (Fn. 218) 339; Vlas, Ned. Jur. 2006 Nr. 285 S. 2667. 304 Siehe Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 330 f. 305 Mankowski, VuR 2004, 217, 219; vgl. auch Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 330 f. 306 Mankowski, VuR 2004, 217, 219. 307 OLG Frankfurt v. 1.8.2007 – 7 U 146/06, MDR 2008, 336, 337; VLD UfR 2008, 1736, 1737; Mankowski, VuR 2004, 217, 219; Mankowski, ZZP Int 10 (2005), 309, 311. 308 Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325, 330; Kelp (Fn. 218) 331–339; s. auch Hüßtege, IPRax 2006, 124, 126. 309 Letztlich de regulatione ferenda Mäsch, JZ 2010, 898; Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 742. 310 Zu dessen Behandlung Huet, Clunet 131 (2004) 207, 212; Mankowski, VuR 2004, 217, 218. 311 Tonner, Das Recht des Time-Sharing an Ferienimmobilien (1997) Rz. 455; Schlosser/Hess vs. Schlosser, Rz. 10; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 17. 312 OLG Hamm, ZMR 2004, 512; OLG Brandenburg, NZM 2008, 660, 661; Mankowski, VuR 1999, 219, 221; Mankowski, VuR 2001, 259, 261; Mankowski, VuR 2004, 217, 218; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 33.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten nicht um eine vermittelte Kontrolle über Clubimmobilien.313 Es zählt die Substanz des Vertrages, nicht dessen Benennung.314 Gestaltungsmissbrauch ist nicht stattzugeben, sondern auf der Qualifikationsebene entgegenzutreten.315 76
Wie beim schuldrechtlichen Timesharing316 gilt: Grundsätzlich greift der ausschließliche Gerichtsstand der Nr. 1 S. 1 Var. 2, es sei denn, dass ausnahmsweise Dienstleistungselemente den Vertrag stärker prägen als die Nutzungsüberlassung.317 Die Berechtigung, Clubanlagen zu nutzen, prägt nicht.318 Maßgeblich ist die Pflichtenstruktur in der konkreten Abrede.319 Nr. 1 S. 1 Var. 2 kann – wie beim schuldrechtlichen Timesharing320 – ausnahmsweise auch dann nicht greifen, wenn zwar Nutzungsrechte aus dem Kreis der Clubimmobilien eingeräumt werden, jedoch nicht besagt ist, an welcher Clubimmobilie.321 Bestehen wechselnde Nutzungsrechte an wechselnden Clubimmobilien kann ebenfalls eine Ausnahme vorliegen.322
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Streitigkeiten spezifisch um Beteiligungsrechte in einer echten Cluborganisation sind zwar theoretisch denkbar, kommen praktisch aber nicht vor.323 Theoretisch mag auch eine Anwendung der Nr. 2 denkbar sein;324 die dafür allenfalls einschlägigen organisationsrechtlichen Streitigkeiten gibt es aber in der Realität nicht. Die Möglichkeit wirklich vereinstypischer Streitigkeiten und die Existenz einer vereinsrechtlichen Einkleidung samt daraus entspringenden weiteren Rechten und Pflichten prägen typischerweise nicht.325 Diese Rechte und Pflichten stehen gemeinhin nur auf dem Papier und prägen gerade nicht. Prinzipiell ist der Zusammenhang zwischen Clubmitgliedschaft und wirtschaftlich angestrebter Einräumung von Nutzungsrechten so eng, dass eine Anwendung von Nr. 1 S. 1 Var. 2 gerechtfertigt ist.326 e) Nebenabreden über vorgezogenen Besitz des Käufers in Kaufverträgen
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Im Immobilienkaufverträgen über vermietete Immobilien sind Abreden zwischen Verkäufer und Käufer nicht unüblich, dass der Besitz an der vermieteten Wohnung und mit der Wohnung verbundene Nutzen und Lasten ab Kaufpreiszahlung auf den Käufer übergehen sollten. Ein Nutzungsüberlassungsverhältnis zwischen Verkäufer und Käufer, das man unter einen richtigerweise funktionalweit als Nutzungsüberlassung verstandenen Begriff von „Miete und Pacht“327 unter Nr. 1 Unterabs. 1 Var. 2 hätte ziehen können, wird dadurch nicht begründet.328 Denn der Verkäufer übergibt ja den Besitz und bleibt selber nicht mehr Besitzer.329 313 Mankowski, EuZW 1996, 177, 179. 314 GA Geelhoed, Schlussanträge v. 7.4.2005 – C-73/04, EuGHE 2005, I 8669, I 8674 Nr. 23; Mankowski, VuR 2001, 259, 261; nicht so weitgehend LG Dresden, NZM 1998, 825, 826. 315 Mankowski, VuR 1999, 219, 220 f.; Mankowski, VuR 2001, 259, 261; Czernich/Tiefenthaler, wobl 1999, 255, 261; s. auch LG Dresden, NZM 1998, 825, 826. 316 Dort eingehend Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 33–39 (Mankowski). 317 GA Geelhoed, Schlussanträge v. 7.4.2005 – C-73/04, EuGHE 2005, I 8669, I 8673 f. Nr. 18–22; OLG Brandenburg, NZM 2008, 660, 661. 318 OLG Brandenburg, NZM 2008, 660, 661. 319 GA Geelhoed, Schlussanträge v. 7.4.2005 – C-73/04, EuGHE 2005, I 8669, I 8675–8677 Nr. 26–31; OLG Brandenburg, NZM 2008, 660. 320 Oben Rz. 17c. 321 EuGH v. 13.10.2005 – C-73/04, ECLI:EU:C:2005:607 – Brigitte u. Marcus Klein vs. Rhodos Management Ltd., EuGHE 2005, I 8667, I 8688 f. Rz. 24–26. 322 Boos, LMK 2008, 115, 116. 323 Mankowski, EuZW 1996, 177, 179; Mankowski, VuR 2004, 217, 218 sowie OLG Brandenburg, NZM 2008, 660, 661. 324 Gralka, Time-Sharing bei Ferienhäusern und Ferienwohnungen (1986) 154 f.; Mankowski, EuZW 1996, 177, 179; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 10; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 17. 325 Entgegen BGH v. 25.6.2008 – VIII ZR 103/07, NJW-RR 2008, 1381, 1382; BGH, EuZW 2010, 357, 358. 326 Tendenziell anders BGH v. 25.6.2008 – VIII ZR 103/07, NJW-RR 2008, 1381, 1382; BGH, EuZW 2010, 357, 358. 327 Siehe allgemein Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 26 (Mankowski); Schwander in Schwander (Hrsg.), Das LuganoÜbereinkommen (1990) 61, 89. 328 Mankowski, ZMR 2019, 925. 329 Mankowski, ZMR 2019, 925.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Soweit eine Vertragsübernahme des Mietvertrags mit dem Mieter erfolgt (nach Maßgabe des auf den Mietvertrag anwendbaren Rechts), besteht ab erfolgter Übernahme ein Miet- oder Pachtverhältnis zwischen Käufer/Erwerber/Neuvermieter und Mieter. Zahlt der Mieter noch an den Verkäufer, obwohl nach der Nebenabrede für den Kaufvertrag Besitz und Genuss der Immobilie für den betroffenen Zeitraum bereits auf den Käufer übergegangen sein sollen, so beruht der Herausgabeanspruch des Käufers gegen den Verkäufers auf die vom Mieter gezahlten Summen nicht aus Miete oder Pacht.330
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f) Erfasste Ansprüche Bei Überlassungsverträgen gilt Nr. 1 S. 1 Var. 2 für alle Rechtsstreitigkeiten und Ansprüche. Darunter fallen auf Seiten des Mieters der Erfüllungsanspruch, Ansprüche auf Instandhaltung und auf Wiedereinräumung des Besitzes (insbesondere als Grundlage von Räumungsklagen)331 und die Mängelgewährleistungsansprüche auf und aus Rücktritt, Wandelung, Minderung sowie alle Ansprüche auf Schadensersatz nach Maßgabe des anwendbaren Vertragsrechts.332 Erfasst sind also nach Fehlschlagen des Vertrages z.B. die Ansprüche auf Rückzahlung des Mietzinses, unabhängig vom deliktischen oder vertragsrechtlichen Charakter der Anspruchsgrundlage333 oder Erstattung der Kosten für das Anmieten eines Ersatzobjekts.334
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Nr. 1 S. 1 Var. 2 erfasst aber auch die Vergütungsansprüche des Vermieters.335 Die gewollte Konzen- 81 tration gründet sich hier auf die Einheitlichkeit des Vertrages, eventuelle Mieterschutzvorschriften des Belegenheitsrechts (Mietpreisbindungen) wie auf die Möglichkeit von Gegenansprüchen, die auf Mängel der Mietsache zurückgehen. Für die Beurteilung von Mängeln der Mietsache sind die Gerichte am Belegenheitsort der Immobilie die kompetentesten und sachnächsten. Ansprüche auf Nebenkosten (Wasser-, Gas-, Stromverbrauch, Haus- oder Gehwegreinigung, Bewachung, Hausmeister/ Concièrge, Erstattung öffentlicher Abgaben) gehören ebenfalls unter Nr. 1 S. 1 Var. 2.336 Gleiches gilt für Ansprüche auf Baukostenzuschüsse.337 Hierher gehören außerdem Ansprüche auf Schadensersatz wegen Beschädigung des Mietobjekts durch den Mieter338 und auf Räumung339 einschließlich konkurrierender Ansprüche aus Delikt.340 Umgekehrt gehören auch Ansprüche des Mieters auf Rückzahlung eines überzahlten Betrages oder nach einer Anfechtung des Vertrages hierher,341 gleichermaßen solche auf Nebenkostenabrechnung oder Inventarerstellung. Streitigkeiten um die Nutzung von Hauseinrichtungen, z.B. Stellplätzen für Autos, fallen unter Nr. 1 S. 1 Var. 2, wenn sie Teil des einheitlichen Mietvertrages sind.
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Entschädigungsansprüche für vertragslose Nutzung im Vorgriff auf einen geplanten Vertrag werden nicht unter Nr. 1 S. 1 Var. 2 gezogen, ebenso wenig entsprechende Ansprüche für Weiternutzung nach dem Auslaufen eines Vertrages342 oder nach Feststellung, dass ein geschlossener Vertrag unwirk-
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330 331 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341 342
EuGH v. 15.5.2019 – C-827/18, ECLI:E:C:2019:416 Rz. 28 f. – MC vs. ND. OLG Köln, ZMR 2016, 621, 622; Busl, EuZW 1990, 456; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 20 (2005). VLD UfR 2008, 1736, 1738. OLG Frankfurt v. 1.8.2007 – 7 U 146/06, MDR 2008, 336, 337; LG Bochum v. 17.9.1985 – 11 S 64/85, RIW 1986, 135 m. Anm. Geimer; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 26. Huff, EuZW 1992, 221 im Anschluss an AG Altenkirchen v. 16.1.1992 – 2 C 694/91. EuGH v. 15.1.1985 – 241/83, ECLI:EU:C:1985:6 Rz. 26 – Erich Rösler vs. Horst Rottwinkel; Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 739; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 45 (2016). ÖstOGH, ZfRV 2000/22 = wobl 2001/17; OLG Köln, ZMR 2016, 621, 622; Busl, EuZW 1990, 456; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 25; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 20; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 19. OLG Saarbücken, IPRspr. 2012 Nr. 197 S. 456. Zustimmend Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 46 (2016). ObG Basel-Land BJM 1998, 209, 210; Busl, EuZW 1990, 456; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 31. OLG Hamm v. 24.1.1995 – 7 U 158/94, OLGR Hamm 1995, 69 = IPRspr. 1995 Nr. 142 S. 281. GA Geelhoed, Schlussanträge v. 7.4.2005 – C-73/04, EuGHE 2005, I 8669, I 8677–8679 Nr. 32–39; LG Bochum v. 17.9.1985 – 11 S 64/85, RIW 1986, 135; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 25 (2005). ÖstOGH, IPRax 1999, 471 f.; Hüßtege, IPRax 1999, 477 f. Anderer Ansicht OLG Köln, ZMR 2016, 621, 622.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten sam ist.343 Insoweit fehlt es an der Grundvoraussetzung des Vertrages, die angesichts des Ausnahmecharakters von Nr. 1 ernst zu nehmen ist.344 Anders ließe sich nur argumentieren, wenn man das Mietverhältnis über den Mietvertrag hinausreichen lässt345 und nachwirkende Vertragspflichten samt culpa post pactum perfectum vel contractum finitum anerkennt. Auch besondere mietrechtliche Schutzregimes des Belegenheitsstaates können nicht eingreifen, so dass der Schutzzweck der Nr. 1 nicht einschlägig ist.346 84
Ein konkludenter Vertragsschluss kann indes durch freiwillige und willentliche Nutzung vorliegen, z.B. bei Parkflächen.347 Sofern für Mietverträge nach dem anwendbaren materiellen Sachrecht ein Formzwang besteht, genügt bloße Nutzung dieser Form nicht und begründet daher keinen Vertrag, sondern nur etwaige Ausgleichsanrpüche aus außervertraglichen Schuldverhältnissen oder Sachenrecht, namentlich Geschäftsführung ohne Auftrag oder Eigentümer-Besitzer-Verhältnis.
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Ansprüche auf Reisekosten zum Mietobjekt und Ersatz für vertanen Urlaub oder entgangene Urlaubsfreuden sollen nur mittelbaren Bezug zum Mietobjekt haben und deshalb nicht unter Nr. 1 S. 1 Var. 2 fallen.348 Allerdings hat dies die missliche Konsequenz, dass der Urlauber an zwei Orten klagen muss, zum einen für unmittelbare Schäden aus Nutzungsüberlassung am Belegenheitsort, zum anderen für mittelbare Schäden in den Gerichtsständen des Art. 18 Brüssel Ia-VO.349 Zudem bleibt auch ein mittelbarer Bezug trotzdem ein Bezug zum Mietobjekt.350 Konkurrierende deliktische Ansprüche werden in den Gerichtsstand des Nr. 1 gezogen,351 obwohl dies in Wertungswiderspruch dazu steht, dass es unter Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO keine Annexkompetenz für deliktische Ansprüche im Vertragsgerichtsstand geben soll.352
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Streitigkeiten um die Zuweisung des Wohnrechts oder die Übertragung aus einem Mietvertrag im Innenverhältnis zwischen Mitmietern (z.B. als Teil einer Scheidungsauseinandersetzung) sind von Nr. 1 S. 1 Var. 2 ebenfalls nicht erfasst.353 2. Ferienhausmiete
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Nr. 1 S. 1 Var. 2 erfasst auch, Nr. 1 S. 2 zielt gar ausdrücklich auf die Miete von Ferienhäusern, für die daher die ausschließliche Belegenheit am Ort der Immobilie ebenfalls gilt.354 Ein Vertrag über Reiseleistungen, innerhalb dessen die Ferienhausmiete nur einen Teil des Leistungsprogramms ausmacht, weist jedoch zu starke Dienstleistungselemente (Auskunfts- und Beratungspflichten insbesondere bei der Auswahl des Objekts, Reservierung des Objekts, Beförderungs- und Transferleistungen oder deren Buchen, Betreuung vor Ort, Vermittlung von Reinigungspersonal oder Cateringservices, Vermittlung einer Reiserücktrittsversicherung o.Ä.) auf, um noch unter Nr. 1 zu fallen.355 Hier tritt eine eventuelle Vermietung der Ferienunterkunft nur als Teil eines Gesamtpakets auf und prägt den Gesamtvertrag nicht entscheidend.356 Man würde den Gesamtvertrag wesentlicher Elemente berau343 344 345 346 347 348 349 350 351 352 353 354
355
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EuGH v. 9.6.1994 – C-292/93, ECLI:EU:C:1994:241 Rz. 15-22 – Norbert Lieber vs. Willi S u. Siegrid Göbel. ÖstOGH, IPRax 1999, 471 f. So OLG Köln, ZMR 2016, 621, 622 für Ansprüche aus § 546a BGB. EuGH v. 9.6.1994 – C-292/93, ECLI:EU:C:1994:241 – Norbert Lieber vs. Willi S u. Siegrid Göbel, EuGHE 1994 I 2535, 2551 f. Rz. 20; Hüßtege, IPRax 1999, 477, 478. A. Staudinger/Frensing-Deutschmann, DAR 2016, 181, 184. EuGH v. 15.1.1985 – 241/83, ECLI:EU:C:1985:6 – Erich Rösler vs. Horst Rottwinkel, EuGHE 1985, 99, 127 f. Rz. 28; AG Flensburg, RRa 1998, 176. A.A.A. A. Staudinger, NZM 2011, 257, 261. Kreuzer, IPRax 1986, 75, 80; R. Wagner/Diehl, GPR 2014, 230, 234. A. Staudinger, NZM 2011, 257, 261. A. Staudinger, NZM 2011, 257, 261; Musielak/Lachmann, Rz. 4; Zöller/Geimer, Rz. 3. Dazu Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 113 (Leible). Entgegen Rb’s-Gravenhage NIPR 1997 Nr. 87 S. 102. EuGH v. 15.1.1985 – 241/83, ECLI:EU:C:1985:6 – Erich Rösler vs. Horst Rottwinkel, EuGHE 1985, 99, 126 f. Rz. 21–25; EuGH v. 26.2.1992 – C-280/90, ECLI:EU:C:1992:92 – Elisabeth Hacker vs. Euro-Relais GmbH, EuGHE 1992 I 1111, 1132 Rz. 13; Vestre Landsret UfR 1996, 709, 712; LG Bonn v. 1.8.2001 – 5 S 78/01, NJWRR 2001, 1574; A. Staudinger, RRa 2007, 98, 99; Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 743. EuGH v. 26.2.1992 – C-280/90, ECLI:EU:C:1992:92 – Elisabeth Hacker vs. Euro-Relais GmbH, EuGHE 1992 I 1111, 1132 Rz. 14; BGHZ 119, 152, 157 = IPRax 1993, 244; BGH, RRa 2013, 70; AG Hechingen, RRa 2002, 93; AG Ahrensburg, RRa 2002, 127, 128; Lindacher, IPRax 1993, 228, 229; Führich, RRa 2014, 106, 115.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
ben, wenn man ihn als Mietvertrag einordnen würde. Außerdem ist der typische Streit bei Buchungen anhand eines Prospektes der Streit um Beschreibungen des Prospekts und die Übereinstimmung zwischen Prospekt und Wirklichkeit.357 In den genannten Fällen sind vielmehr regelmäßig Art. 17–19 Brüssel Ia-VO einschlägig.358 Erfolgt dagegen nur die Vorlage einer Auswahl samt etwaiger Beratung, so liegt noch keine relevante Dienstleistung vor.359 Eine Segmentierung und Aufspaltung des Vertrages in einen immobilienbezogenen und einen ande- 88 ren Teil ist nicht angezeigt.360 Dies gilt selbst dann, wenn der Reiseveranstalter selbst die Ferienunterkunft vermieten sollte.361 Wenn man eine Pauschalreise in ihre Einzelteile aufgliederte, wäre sie keine Pauschalreise mehr und würde ihren Charakter verlieren. Kein Mietvertrag mit dem Reiseveranstalter liegt erst recht vor, wenn im Rahmen des Pauschalreisepakets nur die Vermittlung einer Ferienunterkunft erfolgt.362 Dass der Vermieter eine Reise-Rücktrittsversicherung für Rechnung des Mieters bucht, reicht dagegen allein nicht aus, um einen gemischten Vertrag zu begründen.363 Einige weitere Dienstleistungselemente, namentlich Instandhaltung der Immobilie und eventuell Reinigung der Unterkunft, bleiben untergeordnete Nebenleistungen zur Gebrauchsüberlassung.364 Gleiches gilt im Prinzip auch für Handtuch- oder Wäschewechsel.365 Eine Analogie zum Reiserecht, wie sie für die Einzelleistung Überlassung einer Ferienunterkunft im deutschen Recht gang und gäbe ist, bricht sich unter der Brüssel Ia-VO an Nr. 1 S. 1 Var. 2, S. 2 und dem Fehlen einer Lücke.366 Eine Einzelleistung kann per definitionem kein Teil eines Pakets sein. 3. Sonderfall des Nr. 1 S. 2 Nr. 1 S. 2 eröffnet in einer Sonderkonstellation einen zu Nr. 1 S. 1 zusätzlichen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten. Er gilt nur für die kurzfristige Vermietung, insbesondere die Ferienhausoder Ferienwohnungsvermietung an privat. Eine natürliche Person als Mieter und ein Vermieter, die in demselben Staat wohnen, sollen sich nicht im Belegenheitsstaat einer Ferienimmobilie auseinandersetzen müssen. Vermietet also z.B. ein Hamburger sein Appartement auf Mallorca für dessen Urlaub an einen anderen Hamburger, greift Nr. 1 S. 2 ein. Abzustellen ist auf die Vertragsparteien. „Eigentümer“367 ist korrigierend als „Vermieter“ zu lesen.368 Ist der Vermieter nicht Eigentümer, so ist also trotzdem er die maßgebliche Person, nicht der Eigentümer.369 Dass ein Makler oder Reisebüro zwischengeschaltet ist, ändert nichts, sofern Makler oder Reisebüro nicht Vertragspartei des Mietvertrages werden, sondern bloß vermitteln oder als Vertreter tätig werden. Im internationalen Anwendungsbereich folgt S. 2 dem S. 1. Eine Erstreckung auf Fälle der Vermietung von Ferienimmobilien in einem Drittstaat ist nicht angezeigt, da Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO eingreift; ob der Drittstaat für sich ausschließliche Zuständigkeit reklamiert, kann für die europäische Perspektive keine Rolle spielen.370
356 357 358 359 360 361 362 363 364 365 366 367 368 369 370
Hüßtege, IPRax 2001, 31, 32; Droz, Rev. crit. dip. 75 (1986) 135, 136 f.; Hausmann, EuLF 2000, 60, 62. Huff, EuZW 1992, 221. LG Berlin v. 1.10.1991 – 65 S 31/91, IPRax 1992, 243; LG Kiel, RRa 1997, 164, 165; Jayme, IPRax 1993, 18, 19. Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 744 sowie Mäsch, JZ 2010, 898, 899; A. Staudinger, NZM 2011, 257, 259. Entgegen AG Pinneberg, NZM 2001, 648. Entgegen AG München, RRa 2002, 129. OLG Frankfurt v. 1.8.2007 – 7 U 146/06, MDR 2008, 336; LG Berlin v. 1.10.1991 – 65 S 31/91, IPRax 1992, 243; Endler, IPRax 1992, 212, 213; Jayme, IPRax 1993, 18, 19; Muir Watt, Rev. crit. dip. 89 (2000) 271, 272; Rauscher, ZZPInt 5 (2000) 245, 247. EuGH v. 27.1.2000 – C-8/98, ECLI:EU:C:2000:45 – Dansommer AS vs. Andreas Götz, EuGHE 2000 I 393, 414 Rz. 34 f.; GA La Pergola, EuGHE 2000 I 395, 399 Nr. 9; Muir Watt, Rev. crit. dip. 89 (2000) 271, 272. Deutlich LG Darmstadt v. 23.8.1995 – 9 O 62/95, IPRax 1996, 121 = EuZW 1996, 191 m. Anm. Mankowski, 177. Siehe OLG Düsseldorf, TranspR 1998, 214. Im Ergebnis a.A. BGH, RRa 2013, 70; BGH, RRa 2013, 222 sowie tendenziell Führich, RRa 2014, 106, 113. Historisch stammt das Wort wohl aus EuGH v. 27.1.2000 – C-8/98, ECLI:EU:C:2000:45 – Dansommer AS vs. Andreas Götz, EuGHE 2000, I 393 Rz. 36. Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 22. Stein/Jonas/G. Wagner, Rz. 53; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 9; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 22. Anders Teixeira de Sousa, IPRax 2003, 320, 322 f.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten 90
Nr. 1 S. 2 korrigiert die oft kritisierte371 ausschließliche Zuständigkeit am Belegenheitsort auch für die nur kurzfristige Miete, bei welcher der Mieter den Streit zumeist von seinem gewöhnlichen Aufenthalt aus ausfechten wird, aber nur teilweise und nicht so weitgehend, wie dies rechtspolitisch wünschenswert wäre. Hier haben sich 1989 bei der Teilreform des EuGVÜ durch das Dritte Beitrittsübereinkommen aber die südeuropäischen Staaten mit ihren Zuständigkeitsinteressen wegen dort belegener Ferienwohnungen stärker durchsetzen können als noch beim LugÜbk 1988.372 Art. 16 Nr. 1 lit. b LugÜbk 1988 verlangt sachgerechterweise nicht, dass Vermieter und Mieter ihren Wohnsitz im selben Staat haben, sondern nur, dass Vermieter und Mieter ihren jeweiligen Wohnsitz nicht im Belegenheitsstaat haben (sie können also durchaus in verschiedenen Staaten leben). Nr. 1 S. 2 geht zwar im Vergleich mit Art. 16 Nr. 1 lit. b EuGVÜ einen Schritt in Richtung der LugÜbk-Lösung, indem jetzt nur noch der Mieter, aber nicht mehr der Vermieter eine natürliche Person sein muss.373 Am Hauptfehler, dem gemeinsamen Wohnsitz beider Parteien in demselben Staat, ändert er aber leider nichts.374 Sofern die Parteien ihre Wohnsitze in verschiedenen Staaten haben, greift Nr. 1 S. 2 nicht.375
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Der Mieter muss eine natürliche Person sein, darf also keine Gesellschaft oder juristische Person sein.376 Damit wollte man eine Umgehung durch Zwischenschalten von Mietgesellschaften verhindern.377 Indes wäre selbst dann eine Stufe später doch wieder ein Belegenheitsgerichtsstand auf Grund externen Umsatzgeschäftes gegeben. Da Abs. 1 S. 2 nichts mit Verbraucherschutz als solchem zu tun hat, vermag auch die weitere Begründung378 nicht einzuleuchten, dass bei Gesellschaften als Mietern gewerbliche Nutzung zu vermuten sei. Überzeugender ist der Blick auf die zweite Voraussetzung, dass der Mieter zu privaten Zwecken agieren muss. Bei Gesellschaften steht nämlich zu vermuten, dass sie aus gewerblich-kommerziellen Motiven handeln.379
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Die Abgrenzung zwischen privatem und berufsbezogenem oder gewerblichem Handeln erfolgt wie generell im europäischen Verbraucherschutzrecht380 konkret-funktionell auf den einzelnen Vertrag bezogen, nicht an Hand eines Quasi-Status’. Anmieten spezifisch in Verfolg einer unselbständigen beruflichen Tätigkeit ist nicht privat. Mietet der Arbeitnehmer dagegen eine Wohnung für die Dauer einer Entsendung, so fällt dieses Organisieren seiner Unterbringung in seinen Privatbereich. Ob eine interne Kostenerstattung oder Kostenübernahme seitens des Arbeitgebers erfolgt, ist ohne Belang.
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Der Mietvertrag darf eine Maximallänge von kontinuierlich sechs Monaten haben. Eine Umgehung durch zeitlich einander folgende Kettenmietverträge von jeweils höchstens sechs Monaten ist nicht statthaft, da es dadurch am nur vorübergehenden Gebrauch der Mietsache fehlt.381 Wie stets zählt nicht das formale Gewand, sondern der materiale Gehalt.
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Timesharing ist keine kurzfristige Überlassung, wenn man richtigerweise die vereinbarten Nutzungszeiträume aus der gesamten Vertragslaufzeit zusammenzählt, so dass Nr. 1 S. 2 regelmäßig keine Anwendung finden kann.382
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Nr. 1 S. 2 ist eine zusätzliche, fakultative Option nur neben Nr. 1 S. 1 Var. 2. Im Verhältnis zu diesem eröffnet er einen weiteren Gerichtsstand, und der Kläger kann auswählen, ob er den Beklagten an dessen Wohnsitz oder am Belegenheitsort der Immobilie verklagen wird.383 Der Belegenheitsgerichtsstand wird nicht verdrängt, sondern ergänzt. Im Verhältnis zu allen anderen Gerichtsständen hat 371 Siehe LG Offenburg v. 16.11.1982 – I S 219/82, NJW 1983, 1273; LG Aachen v. 27.1.1984 – 5 S 414/83, NJW 1984, 1308; Leue, NJW 1983, 1242; Rauscher, NJW 1985, 892; Kreuzer, IPRax 1986, 75. 372 Kohler, EuZW 1991, 303, 305; Ulmer, IPRax 1995, 72, 75. 373 Kennett, (2001) 50 ICLQ 725, 730; Zöller/Geimer, Rz. 11; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 5. 374 Vgl. Beraudo, Clunet 128 (2001) 1033, 1060 f.; Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 742. 375 OLG Frankfurt v. 1.8.2007 – 7 U 146/06, MDR 2008, 336. 376 Siehe nur Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 57 (2016). 377 Trunk, Die Erweiterung des EuGVÜ-Systems am Vorabend des Europäischen Binnenmarkts (1991) 44 f.; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 28. 378 Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 30 (2005). 379 Jenard/Möller-Bericht Nr. 52; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 28; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 57 (2016). 380 Eingehend dazu Mankowski, Beseitigungsrechte (2003) 243–262. 381 Trunk, Die Erweiterung des EuGVÜ-Systems am Vorabend des Europäischen Binnenmarkts (1991) 43; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 30; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 63 (2016). 382 Mankowski, EuZW 1996, 177, 179; Mankowski, VuR 2004, 217.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Nr. 1 S. 2 den verdrängenden Charakter eines ausschließlichen Gerichtsstands. Er nimmt nicht etwa Charakteristika des allgemeinen Gerichtsstands an, dessen Anknüpfungspunkt er durchaus aufgreift. Insbesondere ist Nr. 1 S. 2 nicht dispositiv und steht einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht offen.384
IV. Organisationsaspekte von Gesellschaften (Nr. 2) 1. Grundsätzliches Nr. 2 begründet eine ausschließliche Zuständigkeit für Klagen um Organisationsaspekte von Gesellschaften am Gesellschaftssitz. Dieser Bereich hat an Bedeutung gewonnen. Gesellschaftsrecht und Internationales Zivilprozessrecht haben mehr Berührungspunkte, als beide zu denken geneigt sind. Denn auch Gesellschaftsrecht kennt gerichtlichen Rechtsschutz, und bei Auslandsberührung stellen sich im gerichtlichen Rechtsschutz Fragen des IZPR.385 Dazu hat die Internationalisierung von Gesellschafterstrukturen beigetragen. Denn mit ihr ist die Wahrscheinlichkeit deutlich gestiegen, dass eine Auseinandersetzung grenzüberschreitenden Charakter hat.386 Ein weiteres Moment dürfte das Vordringen an Kapitalanlagen interessierter Investoren und ein partieller Rückgang klassischer Familiengesellschaften sein. Die Diskretion der Familie und der internen Auseinandersetzung weicht insoweit einer höheren Wahrscheinlichkeit gerichtlich ausgetragener Konflikte. In dieselbe Richtung dürften der Rückzug von Banken aus dem Eigenbeteiligungsgeschäft und das prinzipielle Ende solcher volkswirtschaftlicher Modelle wie des „rheinischen Kapitalismus“ und der untereinander verflochtenen „Deutschland AG“ weisen. Der „angelsächsische Kapitalismus“ ist weniger persönlich strukturiert und deshalb kurzfristiger orientiert.387
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Hinzu tritt die Entwicklungsgeschwindigkeit in der Gestaltungspraxis des Gesellschaftsrechts. Immer 97 neue Neuigkeiten werden entwickelt. Vorrangig kapitalistisch an Investment und Rendite interessierte Gesellschafter dürften im Fall von Verlusten Klagen als Versicherung im ökonomischen Sinn einsetzen, um ihre Verluste zu minimieren, indem sie Verantwortliche in Haftung nehmen.388 Sie haben die nötige Größe, und ihnen stehen die nötigen Mittel zu Gebote, um auch lange und komplizierte Verfahren durchzustehen. Bei einem Großinvestor aus dem Ausland gelangt man damit nicht selten zu Nr. 2. Schließlich sind die Berührungsängste und die Gräben zwischen Gesellschaftsrecht und IZPR kleiner geworden:389 Gesellschaftsrechtler verstehen sich nicht mehr fast ausschließlich als konfliktvermeidende „Gestaltungskünstler“, sondern blicken zunehmend auch auf die forensischen Konsequenzen, während die Internationalzivilprozessualisten sich mit den Instituten des modernen Gesellschaftsrechts haben anfreunden müssen. Umgekehrt waren im IZPR die im Gesellschaftsrecht geläufigen Phänomene wie „Spruchverfahren“, „ultra vires“ oder „debt-to-equity swap“ lange Zeit kaum Gegenstand. Bemerkenswert ist, dass die Zahl der vom Gesellschaftsrecht her kommenden, also nicht aus dem klassischen IZPR oder IPR stammenden Autoren zu Nr. 2 wächst. Ausschließliche Zuständigkeiten wollen eben beachtet sein. Nr. 2 ist also im Bewusstsein beider betroffener Disziplinen zunehmend „angekommen“.
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2. Zuständigkeitskonzentration und sachliche erga omnes-Wirkung Nr. 2 bewirkt eine Zuständigkeitskonzentration für Klagen über bestimmte Fragen des Organisationsrechts von Gesellschaften am Sitz der betroffenen Gesellschaft.390 Hintergrund ist die über die konkreten Parteien des Klagverfahrens hinausgreifende Wirkung auf alle anderen Gesellschafter und 383 Siehe nur Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 103 (2004), 131 161 f.; Mankowski, IPRax 2006, 101, 104; Mankowski, IHR 2008, 133, 139; A. Staudinger, RRa 2007, 98, 99. 384 Ebenso Solomon, FS v. Hoffmann (2011) 727, 742. 385 Mankowski, LMK 2018, 405156. 386 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 352. 387 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 352. 388 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 352. 389 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 352 f. 390 Zustimmend L. Hübner, IPRax 2019, 267, 269.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten gegebenenfalls auch auf die Gläubiger der Gesellschaft. Materiell steht noch eine Stuf dahinter der gesellschaftsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.391 Erga omnes-Wirkung verträgt überhaupt keine konfligierenden Entscheidungen.392 100
Gemeint ist nicht formelle erga omnes-Wirkung, dass die ergehende Entscheidung automatisch die Gesellschaft, alle Gesellschafter, Organpersonen und sogar Gläubiger prozessrechtlich binden würde. Gemeint und erforderlich ist vielmehr sachliche, materielle erga omnes-Wirkung: Die Struktur einer Gesellschaft lässt sich eben nicht nur mit Wirkung gegen einzelne verändern. Ein Beschluss wird nicht nur mit Wirkung gegen einzelne bestätigt oder aufgehoben. Ein Beschluss wird entweder aufgehoben (und dann mit Wirkung gegen alle aus der Welt geschafft) oder nicht aufgehoben, sondern in seiner Wirksamkeit bestätigt (und bleibt damit mit Wirkung gegen alle in der Welt). Es geht also um eine fehlende persönliche Beschränkung des Ergebnisses.
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Einstweilen frei.
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Der Gesellschaftssitz ist das quasi-natürliche Forum für Streitigkeiten mit Wirkung erga omnes. Nur er gewährleistet die nötige Konzentration.393 Im Sitzstaat der Gesellschaften werden zudem die Förmlichkeiten der Publizität erfüllt, und das Interesse an einer geordneten Rechtspflege spreche für eine ausschließliche Zuständigkeit dort.394
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Daher wird die Zuständigkeitsprüfung nicht etwa mit möglicherweise komplexen Analysen rechtlicher Wirkungen und insbesondere der materiellen Rechtskraft belastet.395 Außerdem wird ein Supertorpedo vermieden.396 Trotzdem wird die Chance für eine einheitliche und effiziente Prozessführung und für eine einheitliche Streitentscheidung gegenüber vielen verschiedenen materiell (nicht unbedingt formell!) Beteiligten an einem einzigen Gerichtsstand geschaffen.397 Sofern ausnahmsweise das Gesellschaftsstatut eine Differenzierung dergestalt kennt, dass nur relative Unwirksamkeit besteht (etwa weil Sonderrechte eines Gesellschafters bestehen oder in solche Sonderrechte eingegriffen wurde), sollte man die Zuständigkeitsprüfung nicht mit solchen komplizierten Fragen überfrachten.398
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Zudem hat der Sitzstaat ein eigenes, gleichsam öffentliches Interesse,399 weil er der Gesellschaft als Rechtskonstrukt ihre Existenz normativ verleiht.400 Gleichlauf zwischen forum und ius, zwischen Gerichtsstand und anwendbarem Recht ist bezweckt.401
391 Anliker 265 f. Allerdings dürfte dies vom Gesellschaftsstatut und der Ausgestaltung der einzelnen Gesellschaftsfrm abhängig sein. 392 Siehe nur EuGH v. 2.10.2008 – C-372/07, ECLI:EU:C:2008:534 Rz. 20 – Nicole Hassett vs. South Eastern Health Board; EuGH v. 7.3.2018 – C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167 Rz. 31 – E.ON Czech Holding AG vs. Michael De˘douch, Petr Streitberg, Pavel Suda; Beteiligte: Jihocˇeská plynárenská, a.s.; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 33; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 139; Leible in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 7; Schillig, IPRax 2005, 208, 213; Markus Würdinger, ZZP Int 13 (2008) 147, 150; Wedemann, AG 2011, 282, 289, 293 f.; Wedemann, NZG 2011, 733, 735; Mankowski, EWiR Art. 22 EuGVVO 2/11, 707, 708; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 57; Thomale, NZG 2011, 1290, 1291; Wedemann in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 182, 195; Meilicke, EWiR 2018, 389, 390; Coibion/ Viseur, Rev. prat. sociétés 2018, 535, 537. Die Notwendigkeit gerade einer ausschließlichen Zuständigkeit anzweifelnd Johannes Weber, 186–188. 393 Meilicke, EWiR 2018, 389, 390. 394 EuGH v. 2.10.2008 – C-372/07, ECLI:EU:C:2008:534 – Nicole Hassett vs. South Eastern Health Board, EuGHE 2008, I-7403, I-7415 Rz. 21; EuGH v. 7.3.2018 – C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167 Rz. 31 – E.ON Czech Holding AG vs. Michael De˘douch, Petr Streitberg, Pavel Suda; Beteiligte: Jihocˇeská plynárenská, a.s.; Menjucq, Bull. Joly Sociétés 2018, 417, 421; Mastrullo, Rev sociétés 2018, 671, 672. 395 Wie es Wedemann, AG 2010, 282, 290; Thole, IPRax 2011, 541, 545 sowie Johannes Weber, 189 von einem zu prozessualen Verständnis des Begriffs erga omnes ausgehend befürchtet. 396 Vgl. Wedemann, NZG 2011, 733, 735. 397 Johannes Weber, 190. 398 Wedemann, AG 2010, 282, 293. 399 Siehe nur Bülow, RabelsZ 29 (1965), 473, 491; Bauer, 72 f.; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 33; Stein/ Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 57; vgl. auch Grupo Torras SA and Torras Hostench London Ltd. v. Skeikh Fahad Mohammed Al Sabah [1996] 1 Lloyd’s Rep. 7, 15 (C.A., per Stuart-Smith, L.J.); Juzgado Primera Instancia de Madrid (no 7) AEDIPr 2002, 545, 547 (dazu Amores Conradi/Carrasco Perera, Actualidad Juridi-
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Gerichte außerhalb des Sitzstaates dürften mit den Feinheiten ausländischen Gesellschaftsrechts nicht hinreichend vertraut sein.402 Zudem greifen materiell-rechtliche und (register)verfahrensrechtliche Regelungen im Gesellschaftsrecht oft ineinander.403 Freilich dürfte diese ratio (Rücksicht auf Komplexität des Gesellschaftsrechts) über den engen sachlichen Rahmen des Nr. 2 hinaus reichen.404
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Des Weiteren stellt Nr. 2 sicher, dass Publizitätserfordernisse des Sitzstaates beachtet werden.405 Im 106 registerführenden Staat werden zudem Entscheidungen über Grundlagen der Verbandsstruktur publiziert.406 Effiziente und rasche Entscheidungsdurchführung und effektive Registerverwaltung unterstreichen die Bedeutung eines relativen Gleichlaufs mit dem Register.407 Nr. 2 ist allerdings nicht auf eintragungsfähige oder gar auf publizitätspflichtige Entscheidungen beschränkt.408 3. Gesellschaftsbegriff Gesellschaften sind alle Personenverbindungen zu einem gemeinsamen Zweck409 einschließlich Vereinen410 (darunter auch Sportverbände411), also z.B. die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGB-Gesellschaft) nach deutschem Recht412 oder die sog. einfache Gesellschaft nach Schweizer
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ca Aranzadi no 408, 7 octobre 1999, 1); Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 101; Johannes Weber, 193 f.; Pereira Dias, Pactos de Jurisdição Societários (2018) 445 f. Skeptisch Thole, IPRax 2011, 541, 542. Ablehnend Wedemann, AG 2010, 282, 288. Siehe nur EuGH v. 7.3.2018 – C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167 Rz. 42 – E.ON Czech Holding AG vs. Michael De˘douch, Petr Streitberg, Pavel Suda; Beteiligte: Jihocˇeská plynárenská, a.s.; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, ZIP 2011, 1837, 1838; OLG Wien v. 10.6.2009 – 28 R 263/08i, AG 2010, 49, 50; OLG Frankfurt v. 3.2.2010 – 21 U 54/09, ZIP 2010, 800, 801; Rb. ’s-Hertogenbosch NIPR 2013, 274; GA Strikwerda, Ned. Jur. 2003 Nr. 240 S. 1877; A. Bülow, RabelsZ 29 (1965), 473, 491 Fn. 66; Vlas, Ned. Jur. 2003 Nr. 240 S. 1882; G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 265; Leible in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 7; Schillig, IPRax 2005, 208, 213; Briggs (2004) 75 BYIL 537, 544 f.; Ringe, IPRax 2007, 388, 392; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 101, 115; Hess, § 6 Rz. 117; Kindler, NZG 2010, 576, 577; Musielak/Stadler, Art. 22 EuGVVO Rz. 6; Dasser/ Oberhammer/Rusch, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 55; Wedemann, NZG 2011, 733, 735; Rüdiger Werner, GmbHR 2011, 1097; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 57, 73; Bulten, De geschillenregeling ten gronde (2011) 109; Schotel NIPR 2019, 350, 362. Skeptisch Johannes Weber, 192 f.; Thomale, NZG 2011, 1290, 1291. OLG Wien v. 10.6.2009 – 28 R 263/08i, AG 2010, 49, 50; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 33 (2005); Schlosser, Art. 22 EuGVVO Rz. 16; vgl. auch EuGH v. 12.5.2011 – C-144/10, ECLI:EU:C:2011: 300 – Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Anstalt des öffentlichen Rechts vs. JP Morgan Chase Bank NA; Niederlassung Frankfurt, EuGHE 2011 I 3961 Rz. 37. Ringe, IPRax 2007, 388, 392; Schaper, IPRax 2010, 513, 514. Donzallaz, Rz. 6298; J. Weber, 192; Wedemann, NZG 2011, 733, 735; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 7. EuGH v. 2.10.2008 – C-372/07, ECLI:EU:C:2008:534 – Nicole Hassett vs. South Eastern Health Board, EuGHE 2008, I-7403, I-7415 Rz. 21; Leible in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 7; Ringe, IPRax 2007, 388, 391; Dasser/Oberhammer/Rusch, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 55; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 57; Schack, ZEuP 2012, 195, 197. Siehe nur östOGH, ZfRV 2010, 122, 123 = GesRZ 2010, 228, 229; Mock, RabelsZ 72 (2008), 264, 280; Bertrand Ance, Rev. crit. dip. 98 (2009), 76, 79; Meilicke/Lochner, AG 2010, 23, 28; Wedemann, AG 2010, 282, 289; Johannes Weber, 193. Virgós Soriano/Garcimartín Alférez, Derecho procesal civil internacional (2. Aufl. 2007) 265; Johannes Weber, 193. Wedemann, AG 2011, 282, 293; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 6; Thole, IPRax 2011, 541, 546. Siehe nur Hoge Raad, NIPR 2011 Nr. 225 S. 403; Hoge Raad, NIPR 2011 Nr. 226 S. 407; Rb. Alkmaar NIPR 1999 Nr. 279 S. 376; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 74 (2016). Siehe nur Geimer/Schütze/Safferling, Art. 16 EuGVÜ Rz. 18 (1997); Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 67; Grothe, FS v. Hoffmann (2011) 601, 604. Anders für nicht rechtsfähige Vereine Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 147. Grothe, FS v. Hoffmann (2011) 601, 604. Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 16 EuGVÜ Rz. 38; Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 24 EuGVVO Rz. 23. A.A. Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 107.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten Recht.413 Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit sind erfasst, wie aus dem Kontrast zwischen „Gesellschaften“ und „juristischen Personen“ zu entnehmen ist.414 108
Die stille Gesellschaft des deutschen Rechts und andere Spielarten der Innengesellschaft aber sind letztlich Vertragsverhältnisse ohne hinreichende übergreifende Strukturen,415 wie im IPR anerkannt und durch Anwendung der Rom I-VO dokumentiert, unter konsequenter Nichtanwendung der Ausnahme nach Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO.416 Selbst wenn man die stille Gesellschaft und andere Innengesellschaften als Gesellschaft einordnen würde, dürften bei ihr indes Streitigkeiten der unter Nr. 2 fallenden Art faktisch kaum vorkommen.417 Wegen des Angriffsobjekts ist eine gewisse Mindeststruktur zu verlangen, jedoch weder zwingend eine eigentliche Organisation noch automatisch eine Verselbständigung.418 Eine Beschränkung auf juristische Personen ist nicht gewollt und liefe schon dem Wortlaut des Normtextes in den meisten Sprachen zuwider; sollte sich die Überschrift anders, enger verhalten, so ist sie unbeachtlich.419
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Auf eine eigene Rechtspersönlichkeit oder in deutscher Terminologie: auf Rechtsfähigkeit abzustellen420 führte weit in die nationalen Rechte und drohte zudem mit dem Begriff der juristischen Person ins Gehege zu kommen.421 Dies gilt erst recht für einen Rekurs auf die Parteifähigkeit nach dem dafür anwendbaren Recht,422 zumal eine auf mangelnde Parteifähigkeit gestützte Nichtanwendbarkeit nicht zweckmäßig wäre.423 Eine eigene Rechtspersönlichkeit ist für die Gesellschaftsqualität also nicht verlangt. Dafür spricht zum einen eben die gesonderte Nennung der juristischen Personen und zum anderen z.B. das englische „companies or other legal persons or associations of natural or legal persons“.424
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Eine Differenzierung zwischen Innen- und Außengesellschaften ist ebenfalls nicht angezeigt,425 denn auch Innengesellschaften können Streitigkeiten um Organisationsgeschäfte haben.426 Ob für die innergesellschaftliche Meinungsbildung Einstimmigkeits- oder Mehrheitsprinzip gelten, ist ohne Relevanz und nicht einmal ein Indiz.427 Konzernspezifische Besonderheiten sind für Nr. 2 nicht zu erkennen.428
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Vereine sind in Parallele zur Trias der Gesellschaften, Vereine und juristischen Personen z.B. aus Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO; 1 Abs. 2 lit. d Rom II-VO; 1 Abs. 2 lit. e EVÜ einzubeziehen.429 Stiftungen sind entweder juristische Personen oder sonst den Gesellschaften gleichzustellen, jedenfalls aber 413 Killias, EuZ 2004, 26, 27 f.; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 69. 414 GAin Kokott, Schlussanträge v. 31.1.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:86 Rz. 43. 415 Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 16 EuGVÜ Rz. 38; Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 24 EuGVVO Rz. 23; Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVVO Rz. 147; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 34 (2005); Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 10; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 107; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 74 (2016). Anders noch 3. Aufl. Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 28a. 416 Siehe nur BGH, NJW 2004, 3796, 3708; BGH v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, IPRax 2010, 367 = NJW 2009, 1482; OLG Frankfurt v. 9.4.1998 – 15 U 58/97, VersR 1999, 1428, 1430; Martiny in MünchKomm/BGB, Bd. 10 (7. Aufl. 2018) Art. 1 Rom I-VO Rz. 66; Ferrari/Kieninger/Mankowski/K Otte/Saenger/G Schulze/A Staudinger/Kieninger, Internationales Vertragsrecht (2. Aufl. 2012) Art. 1 Rom I-VO Rz. 21. 417 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 355. 418 Anders Killias, EuZ 2004, 26, 27 f.; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 147; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 31. 419 Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Art. 22 Brussels I Regulation Rz. 45. 420 So Bauer, 84. 421 Dasser/Oberhammer/Rusch, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 62. 422 Dahin aber Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 107. Wie hier Burgstaller/Neumayr/Geroldinger, Art. 22 EuGVVO Rz. 87. 423 Burgstaller/Neumayr/Geroldinger, Art. 22 EuGVVO Rz. 87. 424 Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 69 (2016). 425 Im Ergebnis anders Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 147; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 60 sowie (in sich nicht ganz konsequent) Burgstaller/Neumayr/Geroldinger, Art. 22 EuGVVO Rz. 86. 426 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 355. 427 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 356. A.A. Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 32. 428 Sakka, Der Konzern im Kompetenzrecht der EuGVVO (2019) 157. 429 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 356.
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einbezogen.430 Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind nur insoweit einbezogen, als die betreffenden Streitigkeiten Zivil- und Handelssachen i.S.v. Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO sind.431 4. Sitz der Gesellschaft a) Verweisungstechnik des Nr. 2 S. 2 Der Sitz der Gesellschaft ist ausweislich Nr. 2 S. 2 nicht nach Art. 63 Brüssel Ia-VO zu ermitteln,432 112 sondern vielmehr nach Maßgabe des Sitzbegriffs im nationalen IPR des Forums. Nr. 2 enthält keine verordnungsautonome Vorgabe.433 Maßgeblich ist – wie unter Art. 53 Abs. 1 S. 2 EuGVÜ/LugÜbk 1988 – der im IPR des Forums verwendete Anknüpfungsbegriff des Sitzes,434 nicht der Sitz nach dem Sachrecht des als Gesellschaftsstatut anwendbaren Rechts.435 Es besteht kein forum legis für die lex societatis,436 sondern eine unechte Gesamtverweisung.437 Bei einem Doppelsitz nach dem so herangezogenen IPR des Forums soll der Kläger ein Wahlrecht zwischen beiden Sitzen haben.438 Großbritannien hatte in sec. 43 Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 eine eigene Ausfüllungsvorschrift für den Sitzbegriff unter Art. 16 EuGVÜ eingeführt. Eine Anlehnung an den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI), den Anknüpfungspunkt des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 S. 1 EuInsVO 2015 bzw. Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2000, scheidet jedenfalls aus, denn das COMI ist ein insolvenzspezifischer Anknüpfungspunkt mit eigenen Maßstäben.439
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Die konzeptionelle Schwäche des Art. 63 Brüssel Ia-VO, bei Auseinanderfallen von Satzungssitz und 114 effektivem Verwaltungssitz eine Gerichtsstandsdoppelung zu bewirken, wird durch Konzentration regelmäßig vermieden.440 Das gebieten erga omnes-Wirkung und mögliche Drittwirkungen.441 Der positive Zuständigkeitskonflikt ist bewusst in Kauf genommen442 und wäre gem. Art. 29 Brüssel IaVO nach dem Prioritätsprinzip aufzulösen.443 b) Alternative: Verweisung auf den Sitzbegriff des nationalen IZPR, nicht des IPR? Ein alternativer Ansatz will die Verweisung auf das Internationale Privatrecht als Verweisung auch auf das Prozessrecht und das Internationale Prozessrecht verstehen; in der Konsequenz wäre der Sitz430 Gardeñes Santiago, Las Fundaciones en Derecho internacional privado español (2003) 125 f.; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 356; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 68. 431 Thole, IPRax 2011, 541, 546 f. Pauschal bejahend Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 24 EuGVVO Rz. 22 f.; Schlosser, Art. 22 EuGVO Rz. 16; pauschal verneinend Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVVO Rz. 143. 432 Siehe nur Botschaft LugÜbk 2007, BBl. 2009, 1777, 1779; BaslerKomm/Güngerich, Art. 22 LugÜ Rz. 45; M. Müller, NJW 2011, 3375; Kieninger, BB 2011, 2831. Übersehen von Hoge Raad, NIPR 2011 Nr. 225 S. 404. 433 Siehe nur Thomale, NZG 2011, 1290, 1291. 434 Siehe nur Areios Pagos EED 2000, 210; OLG Celle, IPRspr. 2006 Nr. 128 S. 288; Gaja, Riv. dir. int. priv. proc. 1969, 25, 42; Mari, Il diritto processuale civile della Convenzione di Bruxelles II (1999) 216 f.; G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223 265; Leible in Hirte vs. Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 8; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 41; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 83 (2016). 435 Dafür immerhin Cass. com., Rev. crit. dip. 86 (1997) 97. 436 Dafür aber insbesondere Benedetelli in Picone (a cura di), Diritto internazionale privato e diritto comunitario (2004) 205, 243 et passim. 437 Thomale, NZG 2011, 1290, 1291. 438 Bericht Schlosser, Nr. 162; Geimer/Schütze/Safferling, Art. 16 EuGVÜ Rz. 21 (1997). 439 Leible in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 9. 440 Droz/Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 90 (2001) 601, 641; G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 265; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 37. 441 Leible vs. Röder, NZG 2009, 29; M. Becker, EWiR 2009, 143, 144; Kindler, NZG 2010, 576, 577; Wedemann, AG 2011, 282, 289; Wedemann in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 182, 195. 442 Siehe nur Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 213; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 5. 443 Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 75; Thomale, NZG 2011, 1290, 1291.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten begriff den prozessrechtlichen Zuständigkeitstatbeständen des Forumstaates zu entnehmen.444 Für Österreich bedeutete dies einen Rückgriff auf § 75 JN,445 nicht auf § 10 IPRG,446 für Deutschland auf § 17 dZPO.447 Begründet wird dieser Ansatz damit, dass die Verweisung auf das IPR nicht strikt wörtlich zu verstehen sei448 und dass in vielen Mitgliedstaaten der Terminus für Internationales Privatrecht weit zu verstehen sei und auch das IZPR umfasse.449 116
In der Tat verweist die französische Fassung auf den umfassenderen Begriff des droit international privé, nicht auf den engeren des conflit de lois. Auch die englische Fassung geht auf private international law, nicht auf conflict of laws. Allerdings trifft die Einbeziehung des IZPR in das IPR für mindestens zwei Mitgliedstaaten nicht zu, deren Verständnis und Terminologie bereits Art. 16 Nr. 2 EuGVÜ 1968 geprägt haben: Deutschland und Italien. Dort wird zwischen Internationalem Privatrecht und Internationalem Zivilprozessrecht, zwischen diritto internazionale privato und diritto internazionale processuale seit jeher genau unterschieden, und in der europäischen Verweisungsnorm findet sich auf Deutsch und auf Italienisch jeweils nur der erstgenannte Begriff. Eine umfassende Verweisung auf nationales Recht geht auf „Recht“ ohne einengende Zusätze und Qualifizierungen, wie Art. 62 Brüssel Ia-VO deutlich zeigt.
117
Die Diskussion, ob auf den Sitzbegriff des IPR oder auf jenen des (Internationalen) Zivilprozessrechts verwiesen wird, wurde unter Art. 53 Abs. 1 S. 2 EuGVÜ 1968 früh zugunsten der Verweisung gerade und spezifisch auf das IPR entschieden.450 Der Wortlaut des Art. 53 Abs. 1 S. 2 EuGVÜ 1968 aber war gleich mit jenem des Art. 16 Nr. 2 S. 2 EuGVÜ 1968 und schreibt sich über Art. 22 Nr. 2 S. 2 EuGVVO in Nr. 2 S. 2 fort.451 Teleologisch tritt hinzu, dass nur die Verweisung auf den Sitzbegriff des IPR den angestrebten und gewollten Gleichlauf zwischen forum und ius, zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht,452 herzustellen vermag.453 c) Sitzbestimmung nach der überlagerten Gründungstheorie
118
Im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht ist als Folge der EuGH-Entscheidungen Centros, Überseering, Inspire Art und SEVIC454 für Sachverhalte im Binnenmarkt von EU oder EWR die von wenigen Sonderanknüpfungen überlagerte Gründungstheorie maßgeblich geworden.455 Auch wenn
444 Bernhard König, JBl 2000, 603; Burgstaller/Neumayr/Geroldinger, Art. 22 EuGVVO Rz. 78 f. 445 Nachweise wie vorige Fn. 446 Straube/Frauenberger-Pfeiler, Wiener Kommentar zum GmbHG (2. Aufl. 2010) § 102 GmbHG Rz. 19; Rechberger/Peter Mayr, ZPO (3. Aufl. 2006) § 75 JN Rz. 3; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Art. 22 EuGVVO Rz. 36. Für ein Wahlrecht des Klägers zwischen § 10 IPRG und § 75 JN Burgstaller/Neumayr/Burgstaller/Neumayr, Art. 22 EuGVVO Rz. 27 (2001). 447 So Schlosser, EuGVÜ (1996) Art. 53 EuGVÜ Rz. 2. 448 Burgstaller/Neumayr/Geroldinger, Art. 22 EuGVVO Rz. 79. 449 Schlosser, Art. 60 EuGVVO Rz. 1; Schnyder, FS Schütze (1999) 768, 770; B. König, JBl 2000, 603. 450 Siehe nur Santa Maria, Riv. dir. int. priv. proc. 1969, 139, 142 f.; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht (1982) Art. 53 EuGVÜ Rz. 2. 451 Siehe nur Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 114; Dasser/Oberhammer/Rusch, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 57. 452 Nachweise oben Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 64 (Mankowski). 453 Probleme um einen renvoi aus einer Gesamtverweisung im IPR seien hier ausgeklammert. Sie spielen zudem in der für Nr. 2 primär bedeutsamen Konstellation, dass der Sitz im Forumstaat liegt, keine Rolle, denn dann führt bei gleichem Sitzbegriff das IPR zum Recht des Forumstaates. 454 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 – Centros Ltd. vs. Erhvervs- og Selskabsstyrelse, EuGHE 1999, I 1459; EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 – Überseering BV vs. Nordic Construction Co. Baumanagement GmbH; EuGH v. 5.12.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 – Kamer voor Koophandel en Fabrieken voor Amsterdam vs. Inspire Art Ltd.; EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005: 762 – SEVIC Systems AG. 455 Siehe nur BGHZ 154, 185, 190; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, ZIP 2005, 805; BGH, ZIP 2005, 1869; BGHZ 178, 192; BayObLG, IPRax 2003, 244; OLG Celle, IPRax 2003, 245; OLG Naumburg v. 6.12.2002 – 7 Wx 3/02, GmbHR 2003, 533; OLG Zweibrücken v. 26.3.2003 – 3 W 21/03, GmbHR 2003, 530; OLG Frankfurt, IPRax 2004, 56, 58; OLG Hamm v. 28.6.2005 – 15 W 159/05, DB 2005, 2292, 2293; AG Hamburg v. 14.5.2003 – 67g IN 358/02, ZIP 2003, 1008.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
dies nach der EuGH-Entscheidung Cartesio456 zwischenzeitig wieder unklarer und für den Teilbereich der Wegzugsregelung partiell in Frage gestellt war,457 dürfte es doch nach der Vale-Entscheidung458 und spätestens nach der Polbud-Entscheidung459 klar sein.460 Dies gilt konsequent auch für die Zwecke des Nr. 2 S. 2.461 Anknüpfungspunkt ist damit der Satzungssitz,462 gegebenenfalls in Verbindung mit dem Recht, unter welchem die Gesellschaft gegründet worden ist, oder der Registrierung463 (nicht dagegen das „Hauptquartier“). Eine über die Inkorporation hinausgehende realwirtschaftliche Beziehung zum Gründungsstaat muss auch im Lichte der Cadbury-Entscheidung464 nicht bestehen.465 Die Gründung in einem bestimmten Mitgliedstaat, nur um in den Genuss von Vorteilen dortiger Rechtsvorschriften zu kommen, begründet nicht per se einen durchschlagenden Missbrauchsvorwurf, selbst wenn die Gesellschaft sich fast ausschließlich in einem anderen Staat betätigt.466
119
Durch die gesellschaftskollisionsrechtliche Wende im Primärrecht hin zur Gründungstheorie gelangt 120 man so trotz der Anlehnung des Nr. 2 S. 2 an Art. 53 Abs. 1 S. 2 EuGVÜ und der bewussten Nichtgeltung von Art. 63 Brüssel Ia-VO doch zu Ergebnissen, wie sie sich bei Anwendung des Art. 63 Brüssel Ia-VO auch ergeben würden.467 Anderenfalls würde man den im Prinzip gewollten Gleichlauf von
456 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 – Cartesio Octató és Szolgáltató bt = ZIP 2009, 24 m. Anm. Knof/Mock. 457 Vgl. Thomale, NZG 2011, 1290, 1292. 458 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 – Vale Épitési kft = EuZW 2012, 621 m. Anm. P. Behrens; dazu u.a. Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481; C. Teichmann, DB 2012, 2085; Roelofs, WPNR 6950 (2012), 792; WJM van Veen WPNR 6981 (2013), 512; J. L. Hansen, ECFR 2013, 10; Schön, ZGR 2013, 333; Verse, ZEuP 2013, 458; Navez, Rev. prat. sociétés 2013, 243. 459 EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804 Rz. 33 – Polbud Wykostnastwo sp z o.o. 460 Vorsichtig noch M. Müller, NJW 2011, 3375; M.-P. Weller, ZGR 2012, 606, 627; Wedemann in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 182, 187 (198: Anknüpfung an Registerort oder Satzungssitz de lege ferenda). 461 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, ZIP 2011, 1837, 1838 f.; OLG Frankfurt v. 3.2.2010 – 21 U 54/09, ZIP 2010, 800, 801 f.; Benedetelli, Riv. dir. int. priv. proc. 2002, 879, 910 f.; Benedetelli in Meeusen/Pertegás/Straetmans (Hrsg.), Enforcement of International Contract in the European Union (2004) Rz. 8/26; Benedetelli, (2005) 16 Eur. Bus. L. Rev. 55, 73; Gebauer vs. Wiedmann vs. Gebauer, Kap. 27 Rz. 104; G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 265; Leible in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 9; Schillig, IPRax 2005, 208, 217 f.; Menjucq in Béguin/ Menjucq (éds), Droit du commerce international (2005) Rz. 2117; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 41; Ringe, IPRax 2007, 388, 391 f.; Burgstaller/Neumayr/Geroldinger, Art. 22 EuGVVO Rz. 87; Hess, § 6 Rz. 118; Mankowski, ZIP 2010, 802, 803; Mankowski, EWiR Art. 22 EuGVVO 2/11, 707, 708; Lüttringhaus, Grenzüberschreitener Diskriminierungsschutz (2010) 355; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 213; Wöhlert, GWR 2010, 193; Johannes Weber, 195–200; R. Werner, GmbHR 2011, 1097; Kieninger, BB 2011, 2831; Schack, ZEuP 2012, 195, 198; Rammeloo, Eur. Co. L. 12 (2015) 234, 238 f.; Rammeloo, Eur. Co. L.J. 15 (2018) 134, 140; ähnlich Rehm in EidenMüller, (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht (2004) § 5 Rz. 120; Thomale, NZG 2011, 1290, 1292; Coibion vs. Viseur Rev. prat. sociétés 2018, 535, 540 f.; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 25. Skeptisch Kindler, NZG 2010, 576, 577; Schaper, IPRax 2010, 513, 515. 462 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, ZIP 2011, 1837, 1838 f.; Kieninger, BB 2011, 2831, 2832. Für die Konstruktion zweifelnd M. Müller, NJW 2011, 3375. Für legislative Klarstellung de regulatione ferenda M.-P. Weller, ZGR 2012, 606, 625; Wedemann in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 182, 198. 463 Eingehend zum Anknüpfungspunkt der Gründungstheorie J. Hoffmann, ZVglRWiss 101 (2002), 283. 464 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 – Cadbury Schweppes plc u. Cadbury Schweppes Overseas Ltd. vs. Commissioners of Inland Revenue. 465 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, ZIP 2011, 1837, 1838; R. Werner, GmbHR 2011, 1097; M. Müller, NJW 2011, 3375; Kieninger, BB 2011, 2831, 2832. A.A. Kindler, NZG 2010, 576, 578. 466 R. Werner, GmbHR 2011, 1097; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 359. 467 Carbone, Il nuovo spazio giudiziario europeo (4. Aufl. 2002) 135 f.; Benedetelli in Picone (a cura di), Diritto internazionale privato e diritto comunitario (2004) 205, 244; Hess, § 6 Rz. 118; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 359.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten forum und ius aufstören.468 Ob nur eine fiktive Ansiedlung im Satzungssitzstaat vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls.469 121
Unter Nr. 2 S. 2 gelten jedenfalls keine spezifischen Besonderheiten.470 Ein negativer Kompetenzkonflikt, weil der Staat des Gesellschaftsstatuts weiterhin der Sitztheorie anhängt,471 dürfte in der EU nicht vorkommen, deren Mitgliedstaaten primärrechtlich und damit qua Normhierarchie auf die Gründungstheorie verpflichtet sind.472 Die ausschließliche Zuständigkeit für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten mit materieller erga omnes-Wirkung weist konsequent bei einer EU-Scheinauslandsgesellschaft zum ausländischen Satzungssitz.473 Gerichtsstandsklauseln im Gesellschaftsvertrag helfen dagegen nicht, denn Nr. 2 ist zwingend, und mit dieser Norm nicht zu vereinbarende Gerichtsstandsvereinbarungen sind nach Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO unwirksam.474 Vielleicht stimmen solche Konsequenzen Gestalter und Gründer doch nachdenklich, wenn es um wirtschaftliche Tätigkeit im Inland geht.475 Allenfalls eine Schiedsklausel könnte helfen.476
122
Situationen, in denen der Sitz nach Nr. 2 S. 2 in einem Staat liegt, zu dem keines der Anknüpfungsmerkmale des Art. 63 Brüssel Ia-VO weist, lassen sich angesichts des Art. 63 lit. a Brüssel Ia-VO kaum vorstellen.477 Positive Kompetenzkonflikte können höchstens auftreten, soweit bei Fusionen, Verschmelzungen oder Spaltungen Gesellschaften mit Sitzen in unterschiedlichen Staaten beteiligt sind.478 5. Sachlicher Anwendungsbereich a) Autonome Qualifikation
123
Nr. 2 erfordert eine unionsrechtsautonome Qualifikation der erfassten Klagarten, weil sich ansonsten einzelnen Mitgliedstaaten unerwünschte Anreize eröffnen würden, durch extensives Verständnis Zuständigkeitsmonopole zu ihren Gunsten zu schaffen.479 Eine Qualifikation lege societatis nach Maßgabe des Gesellschaftsstatuts480 ist abzulehnen. Gerade Qualifikationsfragen sind im Prinzip einheitlich und deshalb verordnungsautonom zu beantworten. Die autonome Qualifikation ist funktionell und teleologisch.481
124
Nr. 2 geht es um bestimmte Binnenstreitigkeiten der Gesellschaft.482 Erfasst sind von Nr. 2 insbesondere Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse von Gesellschafterversammlungen,483 unter deutschem Recht nach §§ 246 AktG; 51 GenG sowie Klagen auf Feststellung der Nichtigkeit eines Beschlusses.484 Hierher zählen auch Dividendenstreitigkeiten oder Streitigkeiten über genehmigtes Kapital, soweit 468 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, ZIP 2011, 1837, 1838; Benedetelli (2005) 16 Eur. Bus. L. Rev. 55, 73; Mankowski, ZIP 2010, 802, 803. 469 Kindler, NZG 2010, 576, 578; Mankowski, EWiR Art. 22 EuGVVO 2/11, 707, 708. 470 Siehe nur Mankowski, ZIP 2010, 802, 803 m.w.N. 471 Cranshaw, jurisPR-HaGesR 7/2010 Anm. 4 sub C 4. 472 Mankowski, EWiR Art. 22 EuGVVO 2/11, 707, 708. 473 Wöhlert, GWR 2010, 193; R. Werner, GmbHR 2011, 1097, 1098. 474 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, ZIP 2011, 1837, 1839; Mankowski, EWiR Art. 22 EuGVVO 2/11, 707, 708; R. Werner, GmbHR 2011, 1097, 1098; M. Müller, NJW 2011, 3375; Kieninger, BB 2011, 2831, 2832. 475 Cranshaw, jurisPR-HaGesR 7/2010 Anm. 4 sub D. 2; Michael Müller, NJW 2011, 3375; vgl. auch Kieninger, BB 2011, 2831, 2832. 476 Kindler, NZG 2010, 576, 578; Schaper, IPRax 2010, 513, 516–518; Cranshaw, jurisPR-HaGesR 7/2010 Anm. 4 sub D. 3; R. Werner, GmbHR 2011, 1097, 1098; Kieninger, BB 2011, 2831, 2832. 477 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 359. A.A. Benedetelli, Rz. 8/27. 478 Benedetelli, Rz. 8/28. 479 OLG Wien v. 10.6.2009 – 28 R 263/08i, AG 2010, 49, 51; Schillig, IPRax 2005, 208, 213; Markus Würdinger, ZZP Int 13 (2008), 147, 150. 480 Dafür Benedetelli Rz. 8/30; Benedetelli (2005) 16 Eur. Bus. L. Rev. 55, 75. 481 Mastrullo, Rev sociétés 2018, 671, 672. 482 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 23; L. Hübner, IPRax 2019, 267, 268. 483 Siehe nur östOGH, JBl 2007, 804, 807; OLG Brandenburg v. 29.7.1998 – 7 U 29/98, NJW-RR 1999, 543; Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2006 Nr. 308 S. 455 f.; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Art. 22 EuGVVO Rz. 40; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 113. 484 Ausführliche Zusammenstellung bei Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 185–212; außerdem z.B. Jaspert, 84.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
mit ihnen notwendig und auch formell der Angriff gegen einen entsprechenden Gesellschaftsbeschluss verbunden ist, dessen Aufhebung Voraussetzung für einen Klagerfolg sein muss.485 Streitigkeiten über die Zusammensetzung von Gesellschaftsorganen gehören ebenfalls unter Nr. 2,486 auch wenn sie unter Organpersonen ausgefochten werden.487 Unter Nr. 2 sollte man auch Klagen gegen die Bestellung von Abschlussprüfern (§ 318 HGB) fallen lassen.488 Solange die Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses Klagziel und Streitgegenstand ist und eine 125 Entscheidung materielle Wirkung erga omnes entfalten würde, ist es unerheblich, wer gegen wen klagt.489 Nr. 2 ist nicht etwa bereits dann unanwendbar, wenn die Gesellschaft keine Partei im Verfahren ist.490 Spezielle Ausgestaltungen einzelner Verfahren im nationalen Recht schaden erst recht nicht.491 Gestaltungsklagen und Feststellungsklagen sind gleichermaßen erfasst.492 Eine Kombination von Anfechtungsklage und positiver Feststellungsklage auf Feststellung des richtigen Beschlusses schadet nicht,493 z.B. bei Bilanzfeststellungsbeschlüssen.494 Jedenfalls nicht unter Nr. 2 fällt eine Klage auf Schadensersatz wegen Verstoßes gegen das EU-Kartellrecht.495 b) Organbeschlüsse Organbeschlüsse sind alle förmlichen Willenskundgaben der Gesellschaftsorgane.496 Organbeschlüsse sind also nicht nur solche der Gesellschafterversammlungen, sondern auch solche der anderen Gesellschaftsorgane.497 Welche Gesellschaftsorgane bestehen, muss das Gesellschaftsstatut, d.h. das auf das Gesellschaftsverhältnis nach dem Internationalen Privatrecht des angerufenen Gerichts maßgebliche materielle Recht, entscheiden.498 Dies kann auch faktische Organe und Revisionsstellen umfassen,499 erst recht fakultative Organe, deren Einrichtung das Gesellschaftsstatut erlaubt, z.B. Beiräte oder Aufsichtsräte bei deutschen GmbHs.500 Organ ist auch ein gerichtlich bestelltes Notorgan.501
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„Beschluss“ ist jede organschaftliche Willensbildung und Willensäußerung zur verbindlichen Regelung von Gesellschaftsangelegenheiten durch autonome Setzung und Abstimmung.502 Nicht erfor-
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485 östOGH, GesRZ 2011, 374, 376 m. Anm. Simotta; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 68. Ähnlich Benedetelli in Picone (a cura di), Diritto internazionale privato e diritto comunitario (2004) 205, 247 f. 486 Speed Investments Ltd. v. Formula One Holdings Ltd. (No. 2) [2005] 1 WLR 1936, 1945 (C.A., per Carnwath L.J.); Choudhary v. Bhatter [2010] ILPr 130 [47] (C.A., per Sir John Chadwick); Choudhary v. Bhatter [2009] ILPr 842, 854 (ChD, Judge D. Donaldson QC); Mankowski, RIW 2005, 561, 571 Fn. 207. 487 Choudhary v. Bhatter [2009] ILPr 842, 854 (ChD, Judge D. Donaldson QC). 488 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 360. 489 Siehe OLG Wien, JBl 1999, 259; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Art. 22 EuGVVO Rz. 40. 490 OLG Wien v. 10.6.2009 – 28 R 263/08i, AG 2010, 49, 51; Meilicke/Lochner, AG 2010, 23, 28; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 360. Vorschnell Rb. Haarlem NIPR 2004 Nr. 348 S. 461. 491 OLG Wien v. 10.6.2009 – 28 R 263/08i, AG 2010, 49, 52. 492 Siehe nur Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 186, 203; Burgstaller/Neumayr/Geroldinger, Art. 22 EuGVVO Rz. 96; Meilicke/Lochner, AG 2010, 23, 28; Schmitt, IPRax 2010, 310, 311; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 64; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 63. Skeptisch Wedemann, AG 2010, 282, 286. 493 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 189; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 360 f. 494 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 191. 495 EuGH v. 23.10.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2319 Rz. 41 f. – flyLAL-Lithuanian Airlines AS (in Insolvenz) vs. Starptautiska¯ lidosta Rı¯ga VAS u. Air Baltic Corporation SA; Sujecki, EWS 2014, 340; Mastrullo, Rev sociétés 2018, 671, 673. 496 Koppenol-Laforce/Zilinsky in IPR in de spiegel van Paul Vlas (2012) 123, 128; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 93 (2016). 497 Siehe nur Jaspert, 84. 498 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 381; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 94 (2016). 499 Donzallaz Rz. 6318; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 185; Dasser/Oberhammer/Rusch, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 69; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 62. 500 Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 95 (2016). 501 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 18; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 27; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 95 (2016). 502 Wedemann, AG 2010, 282, 292.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten derlich sind eine Formalisierung und ein Rückbezug auf Gesetz oder Gesellschaftsvertrag.503 So kann ein Vertragsschluss bei Vertretung durch alle Gesellschafter ein Gesellschafterbeschluss sein.504 Auch ein bestimmtes Abstraktionsniveau ist nicht zu verlangen, so dass eine Differenzierung zwischen abstrakt-generellen und konkret-individuellen Beschlüssen, von denen nur erstere erfasst wären, nicht zu überzeugen vermag.505 Wichtig für die Anwendbarkeit von Nr. 2 ist, dass die Gesellschafter in Mitwirkungsrechten und -pflichten gebunden sein sollen.506 Allerdings ist genau darauf zu achten, ob sich die Klage gegen die Gesellschaft richtet, deren Organe den Beschluss gefasst haben.507 128
Eine eigentliche erga omnes-Wirkung nach dem Gesellschaftsstatut ist dagegen nicht zwingend verlangt.508 Zu den Beschlüssen der Organe zählt daher gegebenenfalls schon das Einberufen einer Gesellschafterversammlung durch das Geschäftsführungsorgan.509
129
Die Klage muss sich gegen den Beschluss als solchen richten, nicht nur gegen dessen Konsequenzen.510 Deshalb fällt die Klage eines Geschäftsführers gegen die Kündigung seines Vertrages nicht unter Nr. 2,511 ebenso wenig eine Klage auf Weiterzahlung des Gehalts,512 wohl aber eine Anfechtungsklage des Geschäftsführers gegen den Abberufungsbeschluss.513 Es fällt eben nicht jede Klage, bei der ein Beschluss eine Rolle spielt, unter Nr. 2.514
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Klagziel muss ein Angriff gegen den rechtlichen Bestand des Beschlusses oder gegen Teile des Beschlusses sein, keine bloße Überprüfung auf Angemessenheit ohne – sei es auch nur mittelbaren – Einfluss auf den rechtlichen Bestand.515 Auch Rechtsbehelfe wegen unfair prejudice, gestützt auf s. 994 Companies Act 2006, fallen nicht unter Nr. 2, soweit sie auf andere Rechtsfolgen zielen, wenn die Gültigkeit eines Beschlusses nicht tangiert wird.516
131
Gültigkeit ist weit zu verstehen und erfasst nicht nur die formelle Gültigkeit nach Abstimmungsbedingungen, Einberufung und Quorum.517 Teilaufhebung oder Abänderung eines Beschlusses sind ebenso erfasst wie die Komplettaufhebung.518 503 Wedemann, AG 2010, 282, 292. A.A. Schmitt, IPRax 2010, 310, 311. 504 Wedemann, AG 2010, 282, 292. 505 Wedemann, AG 2010, 282, 292. A.A. M. Würdinger, ZZP Int 13 (2008) 147, 150 f.; vgl. auch Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 212a. 506 östOGH, JBl 2007, 804, 807; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 361. 507 Siehe LG Bielefeld v. 22.10.2019 – 17 O 117/18: Fällen die Organe einer KG den Beschluss, den mit der KG in einem Anstellungsverhältnis stehenden Geschäftsführer der Komplementärin abzuberufen, kommt es auf den Sitz der Komplementärin nicht an, deren Organe den betreffenden Abberfungsbeschluss ja nicht gefällt haben. 508 östOGH, JBl 2007, 804, 807. 509 Papanicolaou v. Thielen and Euro Mediterranean Estates SA [1997] ILPr 37, 40 (HC, Keane J.); Leible in Hirte/ Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 12 sowie Hoge Raad, Ned. Jur. 2003 Nr. 240 S. 1881 m. Anm. Vlas = NIPR 2001 Nr. 129 S. 258 (durch Vergleich erledigter Vorlagebeschluss). 510 Siehe EuGH v. 2.10.2008 – C-372/07, ECLI:EU:C:2008:534 – Nicole Hassett vs. South Eastern Health Board, EuGHE 2008, I 7403, 7416 Rz. 23–26; Hassett (a minor) v. South Eastern Health Board [2007] 1 IR 644, 670 (HC, Finnegan P); Sujecki, EuZW 2008, 667 f. 511 Grupo Torras SA and Torras Hostench London Ltd. v. Skeikh Fahad Mohammed Al Sabah [1996] 1 Lloyd’s Rep. 7, 15 (C.A., per Stuart-Smith L.J.); Briggs (2004) 75 BYIL 537, 545; Mankowski, ZIP 2010, 802, 803; Kindler, NZG 2010, 576, 577. 512 M.-P. Weller, ZGR 2012, 606, 624. 513 OLG Frankfurt v. 3.2.2010 – 21 U 54/09, IPRax 2010, 534 = ZIP 2010, 800; Mankowski, ZIP 2010, 802; Kindler, NZG 2010, 576, 577; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 68; Grothe, FS v. Hoffmann (2011) 601, 607. 514 Vgl. EuGH v. 2.10.2008 – C-372/07, ECLI:EU:C:2008:534 Rz. 23 – Nicole Hassett vs. South Eastern Health Board. 515 Killias, EuZ 2004, 26, 30; Dasser/Oberhammer/Rusch, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 69; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 61; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 96 (2016). 516 A.A. Wedemann, AG 2010, 282, 294, da eine Beschlussaufhebung möglich sei, aber eben nur als eine unter mehreren Optionen im Ermessen des Gerichts stehe. 517 Marmisse-d’Abbadie d’Arrast, RTDCom 2018, 517, 518. 518 Wedemann, AG 2010, 282, 293 f.; Menjucq, Bull. Joly Sociétés 2018, 417, 421.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Auf der anderen Seite sollte man nicht danach differenzieren, ob das Organ bewusst-kollusiv zum Schaden der Gesellschaft gehandelt hat, und sollte Klagen gegen betrügerische Beschlüsse nicht wegen Handelns ultra vires aus Nr. 2 herausnehmen.519 Vielmehr sollten solche Klagen von Nr. 2 erfasst sein, da gerade ein Handeln ultra vires Ungültigkeit des Beschlusses bewirken kann.520 Hingegen ist die bloße Prüfung der Angemessenheit von Beschlüssen ohne Angriff auf deren Gültigkeit wiederum nicht erfasst.521 Normale Geschäftsführungsbeschlüsse werden weitgehend entzogen sein.522
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Die Bezugnahme auf „Organe“ ist nicht wörtlich zu verstehen, da eigentliche Organe nur bei bestimmten Gesellschaftsformen (insbesondere juristischen Personen) bestehen, andere Gesellschaftsformen aber keineswegs vom ausschließlichen Gerichtsstand für Angriffe gegen ihre Beschlüsse ausgenommen sein sollen.523
133
Unter Nr. 2 Var. 1 und 2 fallen alle Klagen, deren Ziel die Nichtigerklärung oder Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Beschlüsse der Gesellschaftsorgane ist. Materiell ist dies gegründet auf deren anfängliche Wirksamkeit oder Unwirksamkeit, während die nachträgliche Beendigung ex nunc für die Zukunft unter Nr. 2 Var. 3 fällt.524 Teilnichtigerklärung als Begehr reicht.525 Unter Nr. Var. und Var. 2 fallen jedoch keine Streitigkeiten um die bloße Durchführung von Beschlüssen526 oder mit nur mittelbarem Bezug zu Beschlüssen.527 Streitigkeiten über Satzungsdurchbrechungen oder Satzungsverletzungen als Schutz einer Minderheit vor Willkürakten einer Gesellschaftermehrheit oder von dieser dominierter andererer Organe gehören ebenfalls hierher.528
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Es kommt jedoch nicht darauf an, dass die Klage spezifisch eine Anfechtungsklage wäre. Vielmehr reicht auch eine Klage auf Feststellung der ex lege bestehenden Unwirksamkeit eines Beschlusses.529 Nr. 2 erfasst von den Klagen des deutschen Gesellschaftsrechts namentlich jene nach §§ 75, 76 GmbHG; 275 AktG; 94 GenG.530 Auch eine Leistungsklage, die angestrengt wird, um dem Vorwurf mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses für eine Feststellungsklage zu entgehen, impliziert und umfasst einen passenden Streitgegenstand, wenn und soweit sie die Feststellung herbeiführt, dass ein Beschluss mit Wirkung erga omnes unwirksam ist.531
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519 A.A. Grupo Torras SA and Torras Hostench London Ltd. v. Skeikh Fahad Mohammed Al Sabah [1996] 1 Lloyd’s Rep. 7, 16 (C.A., per Stuart-Smith L.J.). 520 Kaye 946; Schillig, IPRax 2005, 208, 215; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 362; vgl. auch JP Morgan Chase Bank NA v. Berliner Verkehrsbetriebe (BIG) [2009] ILPr 791, 811–813 (Q.B.D., Teare J.). 521 Newtherapeutics Ltd. v. Katz [1991] 2 All ER 151 (ChD, Knox J.); Jaspert 82 f. Anderer Ansicht Kaye, [1991] CJQ 220, 224. 522 Leible/Röder, NZG 2009, 29, 30; Michael Becker, EWiR Art. 22 EuGVVO 1/09, 143; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 16; M. Würdinger, ZZP Int 13 (2008), 147, 149. 523 Killias, EuZ 2004, 26, 30; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 64. 524 Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 86, 89 (2016). 525 Mastrullo, Rev sociétés 2018, 671, 673. 526 AG Strikwerda, Ned. Jur. 2003 Nr. 240 S. 1878; Vlas, Ned. Jur. 2003 Nr. 240 S. 1881 f.; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 97 (2016). 527 M.-P. Weller, ZGR 2012, 606, 623 m.w.N. 528 Anliker, 269. 529 OLG Wien, JBl 1999, 259, 262; Jaspert, 84; G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 262; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 98 (2016). 530 Ausführliche Zusammenstellung bei Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 155–165; außerdem z.B. LG Mainz v. 13.9.2005 – 10 HK. O 112/04, WM 2005, 2319, 2322; Jaspert, 81; Bauer, 101; G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 262; Leible in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 11; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 87 (2016). 531 Vgl. Meilicke/Lochner, AG 2010, 23, 28.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten c) Unerheblichkeit bloßer Vorfragen 136
Eine breite, evaluative Betrachtung, was der „wahre Kern“ des Rechtsstreits sei oder worum es in dem Rechtsstreit „eigentlich“ gehe,532 verbietet sich.533 Beschlüsse als Vorfragen, die nur durch Einwände des Beklagten ins Spiel gebracht werden, prägen nicht.534 Stellen sich solche Fragen bloß vorfrageweise in einem Verfahren, dessen Ziel ein anderes ist (z.B. die Durchsetzung einer Forderung), was praktisch häufiger vorkommt als die echte Beschlussanfechtung,535 so greift Nr. 2 daher nicht.536 Ob Gesellschaftsorgane ultra vires gehalten haben und intern im Verhältnis zur Gesellschaft ihre Befugnisse überschritten haben oder ob ihr Handeln noch gedeckt war, interessiert für den Gerichtsstand der Nr. 2 im Außenverhältnis nicht. Vorfragen prägen den Gegenstand der Klage generell nicht. Nr. 4 ist eine Ausnahmebestimmung und trägt sogar ein argumentum e contrario, dass eine zuständigkeitsbegründende Wirkung von Vorfragen einer ausdrücklichen Erwähnung bedarf. Der Kläger bestimmt mit seiner Klage deren Gegenstand.
137
Eine Klage aus Vertrag bleibt eine Klage aus Vertrag, auch wenn dem Vertrag auf der Seite einer beklagten Gesellschaft eine formelle interne Beschlussfassung vorausgegangen sein sollte.537 Die Wirksamkeit dieses Vertrags ist eine andere Frage als diejenige nach der Gültigkeit eines vorangegangenen Organbeschlusses in der Gesellschaft.538 Diese Differenzierung befreit Gegenparteien im Außenverhältnis von Informationslasten, ex post-Risiken und kommerziellen Absicherungsnotwendigkeiten.539
138
Bloßes Verteidigungsvorbringen des Beklagten vermag den Klaggegenstand und damit die Prägung der Klage nicht zu verändern. Anderenfalls hätte es der Beklagte in der Hand, dem Kläger den zuvor begründeten Gerichtsstand zu nehmen.540 Dadurch würde das Prinzip, dass die Zuständigkeit bei Klagerhebung feststehen muss, entwertet.541 Die Vorsehbarkeit würde untergraben.542 Der Beklagte könnte dann mit einer schlichten Einrede die klägerische Rechtsdurchsetzung torpedieren und gleichsam eine „ausschließliche Zuständigkeit kraft Einrede“ herbeiführen.543 Taktische Prozessführung und z.B. sog. ultra vires-Torpedos darf es nicht geben.544 532 So Koza Ltd. v. Mustafa Akçil [2017] EWCA Civ 1609 [46], [2018] 1 BCLC 591 (C.A., per Floyd L.J.). 533 Koza Ltd. v. Mustafa Akçil [2019] UKSC 40 [33]–[34], [2019] 1 WLR 4630, [2019] ILPr 911 (S. C., per Lord Sales JSC). 534 Zweifelnd allerdings JP Morgan Chase Bank NA v. Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) [2009] ILPr 791, 800 f. (Q.B.D., Teare J.). Offen anders noch Cass. com., Bull. Joly sociétés. 2011, 917 m. abl. Anm. Menjucq = Rev sociétés 2011, 714 m. Anm. Mastrullo; Koppenol-Laforce vs. Zilinsky in IPR in de spiegel van Paul Vlas (2012) 123, 132. 535 Espiniella Menéndez, REDI 2011–2, 242, 245. 536 EuGH v. 12.5.2011 – C-144/10, ECLI:EU:C:2011:300 Rz. 42-44 – Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Anstalt des öffentlichen Rechts vs. JP Morgan Chase Bank NA; Frankfurt Branch; GAin Kokott, Schlussanträge v. 3.7.2014 – C-302/13, ECLI:EU:C:2014:2046 Rz. 66–69; Cass., Rev. jur. Comm. 2017, 584; OLG Celle, IPRspr. 2006 Nr. 128 S. 288; OLG Düsseldorf v. 17.8.2011 – 18 U 9/11 Rz. 8; Blue Tropic Ltd. v. Chkrhartishvili [2014] EWHC 2243 (Ch.), [2014] ILPr 501 [24] (Ch. D., Newey J.); B. König, JBl 2007, 808, 809; Mock, IPRax 2009, 271, 274; Schmitt, IPRax 2010, 310, 312 f.; Mankowski, EWiR Art. 22 EuGVVO 1/11, 343, 344; Michael Müller, EuZW 2011, 479, 480; Wedemann, NZG 2011, 733 f.; J. Weber, 213–215; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 62; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 61; Menjucq, Bull. Joly sociétés. 2011, 918, 919 f.; Espiniella Menéndez, REDI 2011–2, 242, 245 f.; Fentiman [2011] Cambridge L.J. 513, 515 f.; Mastrullo, Rev sociétés 2011, 715, 717; M.-P. Weller, ZGR 2012, 606, 624; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 99 (2016); L. Hübner, IPRax 2019, 267, 268. Ungenau OLG Wien, JBl 1999, 259, 262; unzutreffend Rb. Middelburg NIPR 2000 Nr. 143 S. 231. 537 M. Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 514. 538 M. Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 514. 539 Siehe Strong/R. Lewis (2011), 4(1) Bankers’ L 32, 37; Marsch/O’Felton, [2011] BJIBFL 500; Shine (2012) 27 J.I.B.L.R. 38, 42; Grusˇic´ (2019), 68 ICLQ 837, 847 f. 540 Briggs/Rees, Rz. 2.53, 2.65; Wedemann, AG 2010, 282, 291. 541 Wilderspin, Rev. crit. dip. 95 (2006), 777, 786; Heinze/Roffael, GRUR-Int. 2006, 787, 794. 542 Briggs, [2006] LMCLQ 447, 449; Mankowski, EWiR Art. 22 EuGVVO 1/11, 343, 344; Menjucq, Bull. Joly sociétés. 2011, 918, 920. 543 Siehe nur Reichardt, GRUR-Int. 2008, 574, 576; Schack, FS Leipold (2009) 317, 331; Menjucq, Bull. Joly sociétés. 2011, 918, 920; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 363. 544 Fentiman, [2011] Cambridge L.J. 513, 515 f.; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 363.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Eine Gesellschaft darf nicht mit der bloßen Behauptung, ein Beschluss ihrer Organe sei berührt, die 139 Fälle vor ihr Heimatgericht ziehen und sich so etwa aus einem vereinbarten Gerichtsstand herauswinden.545 Dies gilt selbst dann, wenn es sich um Kommunalgesellschaften deutscher Kommunen handelt, die sich auf credit default swaps und ähnlich komplexe Finanzgeschäfte eingelassen haben, bei denen sie massive Verluste erlitten und die kommunale Handlungsfähigkeit in finanzieller Hinsicht verloren haben. Eine zusätzliche Dimension, Nr. 2 vorgeschaltet, ergibt sich für diese Fälle aus der Frage, ob sie angesichts Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO überhaupt unter die Brüssel Ia-VO fallen.546 Nur wenn das Organisationsgeschäft die formelle Hauptfrage ist, greift Nr. 2. Materiell klingende Formulierungen, dass das Organisationsgeschäft hauptsächlich betroffen547 oder in erster Linie betroffen548 sei, ziehen keine andere Linie. Die formelle Abgrenzung ist und bleibt aber die richtige, nicht eine materielle Prüfung und Aufladung.549
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Die Testfrage ist einfach: Sollte eine Vertragsklage ohne formelle Aufhebung oder Bestätigung eines 141 Gesellschaftsbeschlusses wirklich unter Nr. 2 fallen? Anderenfalls drohte man bei Klagen gegen Gesellschaften das Zuständigkeitssystem auszuhebeln und die „normalen“ Gerichtsstände vollständig zu entwerten.550 Man würde zwischen natürlichen Personen und Gesellschaften als Beklagten differenzieren und erstere diskriminieren.551 Außerdem würde man eine unerklärliche Differenzierung zwischen Klagen gegen die Gesellschaft und Klagen der Gesellschaft in ein und denselben Vertrag hineintragen.552 Es handelt sich nicht um eine echte multi issue-Problematik mit gleichwertigen Aspekten ohne Hierarchie, und auch Art. 29 Brüssel Ia-VO bietet keine Grundlage für eine abweichende Bewertung.553 So ergeht im Hauptfrageprozess nur eine Entscheidung mit Wirkung inter partes.554 Das Interesse an einer Entscheidung mit erga omnes-Wirkung über den betroffenen organisationsrechtlichen Aspekt vermindert sich allerdings, und praktisch dürfte nur noch eine eventuelle Haftung der Gesellschaftsorgane von Bedeutung werden.555 Im Normtext ergibt sich die Schwierigkeit, dass die englische Fassung unglücklich formuliert ist („in proceedings which have as their object the validity“), während etwa in der deutschen oder der niederländischen Fassung das Zwischenglied „object“ nicht auftritt. Jedoch steht dies einer engen, Vorfragen ausgrenzenden Auslegung nicht entgegen.556 Der Wortlaut der Nr. 2 legt letztlich mit einem anderen Merkmal ein enges, Vorfragen ausgrenzendes Verständnis nah: „zum Gegenstand haben“, „which have as their object“.557 Die abweichende Formulierung in der englischen Fassung des Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO („a claim which is principally concerned with“) begründet kein anderes Verständnis,558
545 Depfa Bank plc v. Provincia di Pisa [2010] EWHC 1148 (Comm), [2010] 2 CLC 478 [53] (Q.B.D., Hamblen J.); UBS AG London Branch v. Kommunale Wasserwerke Leipzig GmbH [2010] EWHC 2566 (Comm), [2010] 2 CLC 499 [56] (Q.B.D., Gloster J.); Schack, ZEuP 2012, 195, 197. 546 Eingehend Bolle, 77–98. 547 Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) v. JP Morgan Chase Bank [2010] EWCA Civ 390, [2010] 1 CLC 628, 654 [83] (C.A., per Aikens L.J.); Depfa Bank v. Provincia di Pisa 2010 WL 1990678 (Q.B.D.); UBS AG v. Kommunale Wasserwerke Leipzig GmbH 2010 WL 4007066 (Q.B.D.); Briggs/Rees, Rz. 2.65 sowie Grupo Torras SA and Torras Hostench London Ltd. v. Skeikh Fahad Mohammed Al Sabah [1995] 1 Lloyd’s Rep. 374, 404, 408 (Q.B.D., Mance J.); offen Wedemann, AG 2010, 282, 284 f. 548 EuGH v. 12.5.2011 – C-144/10, ECLI:EU:C:2011:300 Rz. 44 – Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Anstalt des öffentlichen Rechts vs. JP Morgan Chase Bank NA; Niederlassung Frankfurt. 549 Dahin aber Wedemann, NZG 2011, 733, 735. Wie hier im Ergebnis Fentiman, [2011] Cambridge L.J. 513, 515. 550 Zustimmend L. Hübner, IPRax 2019, 267, 268. Nicht so stark betonend Wedemann, NZG 2011, 733, 734. 551 Siehe Thole, IPRax 2011, 541, 544. 552 Wedemann, NZG 2011, 733, 734. 553 Wedemann, AG 2010, 282, 285. 554 Espiniella Menéndez, REDI 2011–2, 242, 245. 555 Espiniella Menéndez, REDI 2011–2, 242, 246. 556 Koppenol-Laforce/Zilinsky in IPR in de spiegel van Paul Vlas (2012) 123, 125. 557 Schack, ZEuP 2012, 195, 196 (auch mit Hinweis auf das potentiell weiter „en matière de“). 558 Siehe aber Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Anstalt des öffentlichen Rechts v. JP Morgan Chase Bank NA [2010] EWCA Civ, [2012] Q.B. 176, [2011] 1 All ER (Comm) 775 [32], [43], [83] (C.A., per Aikens L.J.); M. Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 515.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten denn dort werden keine Tatbestandsvoraussetzungen der Nr. 2 aufgestellt.559 Die Vorfrage zieht die Hauptsache nicht an sich. Sie zieht die Hauptsache nicht in einen Gerichtsstand der Vorfrage, sondern belässt es vielmehr beim Gerichtsstand der Hauptsache.560 Nr. 2 begründet eben keine umfassenden Gerichtsstand für alle Streitigkeiten, die irgendwie mit Gesellschaften oder Gesellschaftsbeschlüssen zu tun haben.561 143
Vorfragen können sich auch mit umgekehrter Frontstellung ergeben: Der Kläger erhebt Beschlussanfechtungsklage, und die beklagte Gesellschaft wendet ein, dem Kläger fehle es dafür an der materiellen Berechtigung, z.B. weil er seine Gesellschafsanteile oder -einlage noch nicht eingezahlt habe. Auch bei umgekehrter Frontstellung müssen Vorfragen unbeachtlich sein, weil sonst zu große Unsicherheit mit Blick auf potentielle Folgesteitigkeiten entstünde und weil ansonsten der Beklagte durch geschickte, möglicherweise sogar fabrizierte Einwände dem Kläger das Forum entziehen könnte.562 d) Auflösung der Gesellschaft, insbesondere in Abgrenzung zu Insolvenzsachen
144
Klageziel kann nach Nr. 2 Var. 3 auch die Auflösung der Gesellschaft sein,563 so dass unter deutschem Recht auch die Auflösungsklagen aus §§ 131, 133 HGB; 61 GmbHG erfasst sind.564 Bei Auflösungsverfahren ist aber immer vorab zu klären, inwieweit diese insolvenzbedingt sind und deshalb als Insolvenzverfahren über Art. 1 Abs. 2 lit. b aus der Brüssel Ia-VO insgesamt herausfallen.565 Z.B. sind winding up proceedings über in England ansässige Gesellschaften von der Brüssel Ia-VO nicht erfasst, es sei denn, es handelte sich um Winding up Proceedings on Just and Equitable Grounds, die nicht unter die EuInsVO 2015 fallen.566 So genannte Solvent Liquidations und Solvent Schemes of Arrangement sind keine Insolvenzsachen.567 Die gleiche Abgrenzung gilt für kollektive Liquidationsverfahren,568 so dass z.B. Verfahren nach §§ 145 ff. HGB unter Nr. 2 Var. 3 fallen.569 Behördliche Auflösungsverfahren dürften bereits über Art. 1 Abs. 1 S. 2 aus der Brüssel Ia-VO herausfallen.570
145
Auseinandersetzungen zwischen Gesellschaftern als Folge einer Auflösung dagegen sind nicht per se aus der Brüssel Ia-VO ausgeklammert,571 dürften aber typischerweise nicht unter Nr. 2 fallen.572
146
Von den Klagen des deutschen Gesellschaftsrechts fallen unter Nr. 2 Var. 3 jene nach §§ 61 GmbHG; 133 HGB573 sowie Feststellungsklagen nach einer Auflösungskündigung.574 Die Kündigungsklage 559 560 561 562 563 564 565 566
567 568 569 570 571 572 573 574
638
Schack, ZEuP 2012, 195, 196 f. Koppenol-Laforce/Zilinsky in IPR in de spiegel van Paul Vlas (2012) 123, 130 f. Schack, ZEuP 2012, 195, 197. In re Zavarco plc [2015] EWHC 1898 (ch) [19]–[26], [2015] 3 WLR 1479, 1486–1488 (ChD, Judge David Donaldson QC). Siehe nur Schillig, IPRax 2005, 208, 213–215. LG Mainz v. 13.9.2005 – 10 HK. O 112/04, WM 2005, 2319, 2322. Bauer, 110–112; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 43. Schillig, IPRax 2005, 208, 214 f. unter Hinweis auf Re Marann Brooks CSV Ltd. [2003] BCC 239 [39] (ChD, Patten J.); Halsbury’s Laws of England, vol 8 (3) (4. Aufl. 2003) para 475 Fn. 1; außerdem Schlosser/Hess/ Schlosser, Rz. 17; G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 262; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 43; Menjucq, Rz. 2116; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 112; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 364. Look Chan Ho (2006) 22 IL & P 145; Look Chan Ho (2009) 2.1 Corp Rescue & Insol. 3; Eidenmüller/Frobenius, WM 2011, 1210, 1214; Mankowski, WM 2011, 1201, 1202. Fasching/Simotta, § 83b JN Rz. 19; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Art. 22 EuGVVO Rz. 39; Schnyder/ Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 20; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 17; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 27. Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 90 (2016) m.w.N. Im Ergebnis übereinstimmend Pereira Dias, Pactos de Jurisdição Societários (2018) 448. Schlosser-Bericht Nr. 58; Schlosser, Art. 22 EuGVVO Rz. 17; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Art. 22 Brussels I Regulation Rz. 47. Wohl entgegen Philips v. Symes (Ch. D., Hart J.) 9 July 2001; Kennett/McEleavy (2002) 51 ICLQ 463, 466 f. Hoge Raad, NIPR 2011 Nr. 225 S. 403; Hoge Raad, NIPR 2011 Nr. 226 S. 407. Ausführliche Zusammenstellung bei Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 166–184; außerdem G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 262. Bauer, 108 f.; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 365. A.A. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 170 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
nach §§ 723, 724 BGB ist erfasst, soweit die Wirksamkeit des Gesellschaftsverhältnisses, nicht jene der Kündigung an sich Streitgegenstand ist.575 Die Klage gegen den Beschluss, welcher einen Gesellschafterausschluss oder eine Einziehung des Gesellschaftsanteils (Kaduzierung) verfügt, ist auch erfasst.576 Wenn die Klage auf Feststellung zielt, dass der Ausschluss nichtig sei, ist zu ermitteln, inwieweit dies ein hinreichender Angriff gegen den zugrunde liegenden Beschluss ist,577 was aber regelmäßig der Fall sein dürfte. Kaduzierung (Ausschluss samt Einziehung des Anteils des betreffenden Gesellschafters) samt Folgeansprüchen fallen ebenso unter Nr. 2.578 e) Ausgrenzung amtswegiger Verfahren Nr. 2 gilt darüber hinaus nur für kontradiktorische Verfahren,579 nicht für einseitige Verfahren ex officio wie z.B. das Amtslöschungsverfahren nach dem LöschG oder §§ 394, 395, 397 FamFG,580 die Entziehung der Rechtsfähigkeit eines Vereins nach §§ 73 BGB; 401 FamFG oder öffentlich-rechtliche Zwangsauflösungsverfahren wie jenes nach §§ 396 AktG; 399 FamFG oder § 80 GenG.581
147
f) Klagen um das Mitgliedschaftsverhältnis Nr. 2 erfasst wichtige Bereiche des Gesellschaftsrechts nicht. Er ist kein umfassender gesellschafts- 148 rechtlicher Gerichtsstand.582 Vielmehr ist er eng beschränkt auf die in ihm ausdrücklich aufgezählten Gegenstände.583 Insbesondere fallen die meisten Klagen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft nicht unter Nr. 2, z.B. Klagen auf Auszahlung eines zustehenden Gewinnanteils (Gewinnausschüttung),584 auf Auszahlung eines Auseinandersetzungsguthabens585 oder auf Auskunftserteilung586 oder Klagen auf Vorlage von Geschäftsunterlagen;587 ebenso umfasst Nr. 2 nicht die Klagen der Gesellschaft (oder eines Gesellschafters im Wege der actio pro socio) gegen die Gesellschafter auf Zahlung der Stammeinlage, eines Erhöhungsbeitrags oder von Schadensersatz.588 Von einer grundsätz575 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 184; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 42; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 105. 576 östOGH, JBl 2007, 804, 807. 577 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 365. Insoweit zu wenig differenziert Bernhard König, JBl 2007, 808. 578 Anliker 271 f. 579 Ebenso Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 17; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 26. 580 Wieczorek/Schütze/Hausmann, Art. 16 EuGVÜ Rz. 11; Jaspert, 81; Geimer/Schütze/Safferling, Art. 16 EuGVÜ Rz. 17 (1997); G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 262; Leible in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 11; Geimer/ Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 42; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 102; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 34; Dasser/Oberhammer/Rusch, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 58; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 63; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 36 f.; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 84 (2016). 581 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 173; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 41 (2005); Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 63; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 84 (2016). 582 Siehe nur Hassett (a minor) v. South Eastern Health Board [2007] 1 IR 644, 669 (HC, Finnegan P); Geimer, FS Schippel (1996) 869; Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 24 EuGVVO Rz. 28 f.; Sujecki, EuZW 2008, 667; Moritz Becker, EWiR Art. 22 EuGVVO 1/09, 143, 144; Mock, IPRax 2009, 271, 273. 583 Siehe EuGH v. 10.1.1990 – C-115/88, ECLI:EU:C:1990:3 Rz. 9 – Mario Reichert u. Ingeborg Kockler vs. Dresdner Bank AG; EuGH v. 17.10.2013 – C-519/12, ECLI:EU:C:2013:674 – OTP Bank Nyilvánosan Müködö Részvénytársaság vs. Hochtief Solution AG, IPRax 2014, 528 Rz. 19; EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI: EU:C:2019:577 Rz. 38 – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima; GA Tanchev, Schlussanträge v. 3.4.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:285 Rz. 36; Kindler, IPRax 2014, 486, 488. 584 Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 46. 585 OLG Hamm v. 13.11.2006 – 8 U 139/06, NJW-RR 2007, 478 = NZG 2007, 387. 586 LG München I, RIW 2000, 146; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 105; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 68; Thole, IPRax 2011, 541, 543. 587 LG München I, RIW 2000, 146; G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 263; vgl. auch Benedetelli in Picone (a cura di), Diritto internazionale privato e diritto comunitario (2004) 205, 247 f. 588 G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 263; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 40; Mock, RabelsZ 72 (2008) 264, 280 f.; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten lichen Konzentration am Gesellschaftssitz durch Nr. 2 kann also im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern nicht die Rede sein.589 149
Erst recht nicht erfasst sind Kapitalersatzklagen,590 Haftungsklagen von Gesellschaftsgläubigern gegen Gesellschafter591 (z.B. wegen materieller Unterkapitalisierung592 oder aus Durchgriffshaftung),593 Schadensersatzklagen,594 Klagen auf Ausgleichs-, Abfindungs- oder Zuzahlungsansprüche insbesondere bei Strukturmaßnahmen,595 Unterlassungs- oder Kompensationsklagen wegen Rechtsverletzung,596 Klagen gegen Gesellschafter oder Handelnde wegen Haftung aus einer Vorgesellschaft,597 Klagen gegen Organpersonen wegen Verschiebens von Gesellschaftsvermögen und Kollusion zu Lasten der Gesellschaft,598 generell Klagen, die auf Binnenhaftung einer Organperson gestützt werden,599 oder Klagen auf Übernahme oder Übertragung von Gesellschaftsanteilen.600
150
Zusammengefasst kann man sagen, dass Leistungsklagen auf Geld, insbesondere auf Schadensersatz, aus Nr. 2 herausfallen,601 da ihrem Ergebnis keine Wirkung erga omnes eignet. Bei solchen Klagen steht nur eine Wirkung inter partes in Rede, und es droht keine Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen über die Gültigkeit von Organbeschlüssen.602 Gleiches gilt für Unterlassungsklagen.603 Umso mehr fallen Streitigkeiten aus Anteilskäufen nicht unter Nr. 2.604 Ausfüllungsgeschäfte zwischen einer Genossenschaft und ihren Genossen sind von Nr. 2 nicht erfasst, selbst wenn sie auf die Satzung der Genossenschaft Bezug nehmen.605 Übergreifend gilt: Eine Zuständigkeitskonzentration setzt abstraktgenerelles Gesellschaftshandeln voraus, während konkret-individuelles nicht genügt.606
151
Klagen der Gesellschaft gegen einzelne Gesellschafter, z.B. auf Zahlung einer Vereinsstrafe, fallen nicht unter Nr. 2,607 da die zugrunde liegenden Beschlüsse und deren Wirksamkeit nur Vorfrage, aber nicht Hauptsache sein können.608
152
Obwohl materiell gewichtige organisatorische Grundlagen der Gesellschaft betroffen sind, gilt Nr. 2 ihrem Wortlaut nach zudem nicht für Klagen auf Ausschließung eines Gesellschafters (§§ 140 HGB;
589 590 591 592 593 594 595 596 597 598 599 600 601 602 603 604 605 606 607 608
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EuGVVO Rz. 68; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 100 (2016) sowie App. Catanzaro Banca borsa tit cred 2011 II 216, 219 f.; Gardella, Banca borsa tit cred 2011 II 222, 223 f.; van der Plas, Ned. Jur. 2019 Nr. 445 S. 7344, 7345. A.A. Anliker 271. Entgegen östOGH, ecolex 2017, 858, 859. OLG Jena v. 15.7.1998 – 15 W 0608/98, ZIP 1998, 1498; OLG Koblenz v. 11.1.2001 – 6 U 1199/98, NZG 2001, 759, 760; G. C. Schwarz, FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002) 503, 515; Geimer/Schütze/Thiel/ Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 46. Zimmer, IPRax 1998, 187, 189; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 105. OLG Köln v. 14.5.2004 – 16 W 11/04, WM 2005, 612. Jaspert, 298 f. östOGH, JBl 2007, 804, 807; Kodek in Heindler vs. Verschraegen (Hrsg.), Internationale Bankgeschäfte mit Verbrauchern (2017) 75, 79; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 28. Mock, IPRax 2009, 271, 274 f. EuGH v. 2.10.2008 – C-372/07, ECLI:EU:C:2008:534 Rz. 26 – Nicole Hassett vs. South Eastern Health Board. Benedetelli in Picone (a cura di), Diritto internazionale privato e diritto comunitario (2004) 205, 248. Shahar v. Tsitsekkas [2004] EWHC 2659, [2004] All ER (D.) 283 (Nov.) (ChD, Lawrence Collins J.). OLG Celle, IPRspr. 2006 Nr. 128 S. 288; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 79; Anliker 275. östOGH, GesRZ 2011, 374, 376; Rb. Rotterdam, NIPR 2001 Nr. 303 S. 495; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 105; Simotta, GesRZ 2011, 376, 377. östOGH, JBl 2007, 804, 807; östOGH, GesRZ 2011, 374, 376 m. Anm. Simotta; Jaspert, 84. EuGH v. 2.10.2008 – C-372/07, ECLI:EU:C:2008:534 Rz. 24 – Nicole Hassett vs. South Eastern Health Board. B. König, JBl 2007, 808, 809. FKI Engineering Ltd. v. Dewind Holdings Ltd. [2007] ILPr 266, 273 (Q.B.D., David Steel J.); Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 366. OLG München I, IPRspr. 2011 Nr. 204 S. 537. M. Würdinger, ZZP Int 13 (2008), 147, 150. Siehe nur Adolphsen, Internationale Dopingstrafen (2003) 420; Nagel/Gottwald, § 5 Rz. 192; Bernhard König, JBl 2007, 808, 809; Hess, § 6 Rz. 117. Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 367.
Mankowski
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
140 östUGB),609 auf Stimmrechtssuspendierung (Art. 32 Abs. 7 schwBEHG)610 oder auf Entziehung der Vertretungsbefugnis (§ 127 HGB).611 Von der Teleologie der Vorschrift her ist dies nicht zufriedenstellend, denn es bestehen ersichtlich ein enger Zusammenhang mit Grundlagen des Gesellschaftslebens und letztlich Wirkung erga omnes.612 Andererseits geriete eine extensive Auslegung613 zur Analogie, der wiederum das Fehlen einer Lücke (denn Art. 4 ff. greifen614) und der Klarheitsgrundsatz für Zuständigkeitsregeln entgegenstünden.615 Mit Blick auf den Zweck der Norm könnte es zwar sinnvoll erscheinen, in ihren Anwendungsbereich über den engen Wortlaut hinaus sämtliche Streitigkeiten über interne Angelegenheiten der Gesellschaft einzubeziehen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit deren Organisationsverfassung stehen.616 Dies ist jedoch auch in der Novellierung hin zur Brüssel Ia-VO nicht geschehen. Darin ist eine bewusste Entscheidung des europäischen Gesetzgebers zu sehen.
153
g) Streitigkeiten der Gesellschafter untereinander In jedem Fall gehören Streitigkeiten der Gesellschafter untereinander nicht unter Nr. 2,617 sondern unter Art. 4 ff.618 Nr. 2 ist leider kein umfassender Gerichtsstand der Mitgliedschaft.619 Andererseits versperrt der Vorrang der Brüssel Ia-VO für die internationale Zuständigkeit den Rückgriff auf nationale Regeln wie z.B. § 22 ZPO.620 § 22 ZPO und seine wenigen Pendants können nur auf der Ebene der örtlichen Zuständigkeit, die Nr. 2 nicht mitregelt, zum Tragen kommen.621 Hier vergibt Nr. 2 durch seine zu enge und rigide Beschränkung die große Chance, die Zuständigkeitskonzentration durch ein echtes forum societatis zu fördern. Darin liegt ein strukturelles Problem.622
609 B. König, SpuRt 2007, 241; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 367; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 111 m.w.N.; s. auch Grothe, FS v. Hoffmann (2011) 601, 606. 610 Rüetschi, REPRAX 2009, 34, 44; Dasser/Oberhammer/Rusch, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 72. A.A. Iffland/Gilliard, GesKR 2007, 365, 379. 611 Geimer/Schütze/Safferling, Art. 16 EuGVÜ Rz. 20 (1997); Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 24 EuGVVO Rz. 16; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 36; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 12; G. Wagner in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005) 223, 263; B. König, JBl 2007, 808; Stein/ Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 68; Thole, IPRax 2011, 541, 543. 612 Coibion/Viseur, Rev. prat. sociétés 2018, 535, 540. 613 Dafür Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 730; Geimer/Schütze/Geimer, Art. 22 EuGVVO Rz. 181; Geimer, FS Helmut Schippel (1996) 869, 878, 880; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Art. 24 EuGVVO Rz. 39; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083, 1087; Leible in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 13 sowie Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 37; ablehnend Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 24 EuGVVO Rz. 16; Geimer/Schütze/Safferling, Art. 16 EuGVÜ Rz. 20 (1997); Geimer/ Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 42. 614 Bauer, 105; Rammeloo, Eur. Co. L.J. 15 (2018) 134, 139 f. (wenig verständlich deshalb die „Drohkulisse“ eines jurisdiktionellen Vakuums bei engem Verständnis der Nr. 2, ebd 138). 615 Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 367; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 43. 616 Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083, 1087; Leible in Hirte/Bücker (Hrsg.), Grenzüberschreitende Gesellschaften (2. Aufl. 2006) § 12 Rz. 13 sowie Geimer, FS Schippel (1996) 869; dagegen indes Schack, Rz. 320. 617 Siehe nur GA Wathelet, Schlussanträge v. 16.11.2017 – C-560/16, ECLI:EU:C:2017:872 Rz. 20; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 367; Mankowski, LMK 2018, 405156; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 104. 618 Siehe nur Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 101 (2016). 619 Kritisch insbesondere Geimer, FS Schippel (1996) 869; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVO Rz. 141; Mock, RabelsZ 72 (2008) 264, 280; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 67 (2016). Missverständlich Anliker 266. 620 OLG Naumburg, NZG 2000, 1218, 1219; OLG Köln v. 14.5.2004 – 16 W 11/04, WM 2005, 612, 613; Kindler, FS Peter Ulmer (2003) 305, 306. 621 OLG Naumburg, NZG 2000, 1218, 1219. 622 GA Wathelet, Schlussanträge v. 16.11.2017 – C-560/16, ECLI:EU:C:2017:872 Rz. 20; Mankowski, LMK 2018, 405156 sowie Pereira Dias, Pactos de Jurisdição Societários (2018) 449.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten 155
Dieses Problem durch eine extensive Auslegung zu lösen623 (die in Wahrheit auf eine Analogie hinausliefe624), wäre de lege lata ein mutiger Schritt.625 Der europäische Gesetzgeber sollte ihn bei der nächsten Reform überflüssig machen, indem er selber Konsequenz und innere Logik in den Vordergrund stellt und Nr. 2 auf Streitigkeiten zwischen den Geslelschaftern in spezifisch dieser Funktion ausdehnt626 (auch wenn dies neue Abgrenzungs- und Qualifkationsprobleme mit sich bringen wird). h) Unternehmensverträge
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Unternehmensverträge wie namentlich Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge, investment agreements oder shareholder agreements,627 Fusions-, Verschmelzungs- und Entflechtungsverträge (aber auch deren actus contrarii wie z.B. Entherrschungsverträge628) gehören zu den Grundlagengeschäften einer Gesellschaft. Unter Nr. 2 fallen sie insoweit, als sie die Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft verändern (vor allem bei Fusion oder Verschmelzung) oder als sie auf Beschlüssen der Gesellschaftsorgane beruhen.629 Dagegen sind sie nicht vollständig in den relativ engen Anwendungsbereich der Nr. 2 einbezogen.630 i) Staatliche Beschlagnahme des Gesellschaftsvermögens
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Die staatliche Beschlagnahme des Gesellschaftsvermögens, z.B. im Zuge der Verbrechensbekämpfung, berührt die wirtschaftlichen Grundlagen und Existenzbedingungen der Gesellschaft massiv. Sie gehört aber nicht unter Nr. 2.631 Vielmehr handelt es sich um einen hoheitlichen Eingriff. Gerichtliche Schritte gegen diesen hoheitlichen Eingriff sind keine Zivilsachen und fallen daher schon wegen Art. 1 Abs. 1 S. 1 aus der Brüssel Ia-VO insgesamt heraus.632 j) Spruchverfahren
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Barabfindungsverfahren im Fall eines Squeeze-out, die sog. Spruchverfahren,633 gehören unter Nr. 2, wenn man in ihnen ein funktionelles Substitut für eine Beschlussanfechtung jedenfalls hinsichtlich der Abfindungshöhe sieht,634 nicht unter Art. 4 Brüssel Ia-VO und Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO.635 Letzterer würde bei Anwendbarkeit von Vorschriften wie § 269 BGB auf den Wohnsitz 623 624 625 626 627 628 629 630 631 632 633 634
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Dafür GA Wathelet, Schlussanträge v. 16.11.2017 – C-560/16, ECLI:EU:C:2017:872 Rz. 35 f. Siehe Seulen, IWRZ 2018, 133. Seulen, IWRZ 2018, 133. Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 369 f.; Mankowski, LMK 2018, 405156. Zu letzteren eingehend Mock/Csoch/B. Havel (Hrsg.), International Handbook on Shareholders’ Agreements (2018). Zum Phänomen z.B. T. Hamm, Der Entherrschungsvertrag (2017). Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 368 sowie Jaspert, 106. Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 368. Großzügiger Benedetelli, Rz. 8/31; Benedetelli, (2005) 16 Eur. Bus. L. Rev. 55, 76, allerdings nach Maßgabe einer Qualifikation lege societatis. Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 368. Frage aufgeworfen bei Vlas, WPNR 6633 (2005), 663, 666. Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 368. Überblick über die Ausgestaltung in mitgliedstaatlichen Rechten und ökonomische Analyse bei Vos ECFR 2018, 148. EuGH v. 7.3.2018 – C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167 Rz. 34–42 – E.ON Czech Holding AG vs. Michael De˘douch, Petr Streitberg, Pavel Suda; Beteiligte: Jihocˇeská plynárenská, a.s.; OLG Wien v. 10.6.2009 – 28 R 263/08i, AG 2010, 49, 51; HG Wien, IPRax 2009, 265; LG Frankenthal v. 6.3.2008 – 1 HKO 19/06 AktG; van Solinge/Bulten in Geschriften vanwege de Vereniging Corporate Litigation (2002) 124; Vlas, Ned. Jur. 2003 Nr. 240 S. 1882; Meilicke, NZG 2004, 547, 551; V. Meyer, Gesellschaftsrechtliche Ausgleichs- und Abfindungsansprüche im Spruchverfahren (2010) 230; Drescher in Spindler/Stilz, AktG (3. Aufl. 2015) § 2 SpruchG Rz. 7; Meilicke/Lochner, AG 2010, 23, 28–30; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 71 f.; Mankowski, FS Simotta (2012) 351, 369; Wasmann in KölnKomm/AktG; Bd. 9 (3. Aufl. 2013) § 2 SpruchG Rz. 15; Leuering, EWiR 2013, 1165; Hüffer/Jens Koch, AktG (12. Aufl. 2016) § 2 SpruchG Rz. 3 sowie Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 2 LugÜ Rz. 75: Salemink, Uitkoop van minderheisaandeelhouders (2014) 8; Vlas, Rechtspersonen (5. Aufl. 2017) Rz. 217; Menjucq, Bull. Joly Sociétés 2018, 417, 421; Crespi Reghizzi, Giur. It. 2018, 1645, 1654; van Dongen, Ondernemingsrecht 2018, 562, 564; J. Schmidt, EuZW 2018, 813, 814; Bayer/J. Schmidt, BB 2018, 2562, 2565; L. Hübner, IPRax 2019, 267, 269. Anderer Ansicht Storm, Corporate Litigation bij de Onderne-
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
des ausländischen Mehrheitsaktionärs als Erfüllungsort weisen,636 also keine Gerichtspflicht im Inland der Gesellschaft begründen, wenn man nicht auf besondere Aspekte der gesellschaftsrechtlichen Bindung abstellt, etwa auf ihre Rechtsnatur als Korporationsvertrag.637 Es bestünde Manipulationsgefahr insbesondere zu Lasten von Minderhetsgesellschaftern und vor allem Kleinaktionären.638 Je nach konkreter Prozesssituation wechselnde Gerichtsstände sind jedenfalls zu vermeiden.639 Allerdings fehlt es formell an dem Angriff auf die Gültigkeit eines Gesellschaftsbeschlusses,640 und Antragsgegner ist nach § 5 Nr. 3 SpruchG der Hauptaktionär.641 Ausgleichs- und Abfindungsansprüche beim Abschluss von Unternehmensverträgen (§§ 304; 305 AktG) oder im Zuge einer Verschmelzung (§ 29 UmwG) beruhen sogar formell auf dem jeweiligen Unternehmens- oder Verschmelzungsvertrag.642 Materiell aber handelt es sich bei alledem um einen ausgegliederten Teil des Rechtsstreits über die Rechtmäßigkeit der Strukturmaßnahme und des Squeeze-out.643 Das gilt auch für Streitigkeiten um die Angemessenheit von Abfindungen und entsprechende Leistungsklagen.644
159
Für die Anwendung von Nr. 2 spricht die Zuständigkeit645 für gerichtliche Kontrollverfahren über 160 die Ansprüche der Minderheitsaktionäre auf Abfindung anlässlich einer Sitzverlegung nach Art. 8 Abs. 5 SE-VO646 sowie für Ansprüche auf Verbesserung der Barabfindung und auf bare Zuzahlung bei der Verschmelzungsgründung, die zum (ehemaligen) Sitzstaat der SE bzw. der übertragenden Gründungsgesellschaft weist.647 § 22 Abs. 1 öSEG648 belegt, dass der österreichische Gesetzgeber ebenfalls die SE-VO als internationalzivilverfahrensrechtliche Norm ansieht und dabei das Sitzgericht der übertragenden Gründungsgesellschaft als primär anrufbares Forum betrachtet.649 Der deutschen Regierungsbegründung zu § 6 Abs. 4 SE-G650 Gegenteiliges entnehmen zu wollen,651 ginge zu weit. Gegen eine Anwendung des Nr. 2 sprechen nachteilige Konsequenzen, die sich ergeben würden, wenn man den Mehrheitsaktionär an dessen allgemeinem Gerichtsstand verklagen müsste, namentlich bei der Frist und infolge erheblichen Anpassungsbedarfs beim gemeinsamen Vertreter nach § 6 SpruchG.652
635
636 637 638 639 640 641 642 643 644 645 646 647 648 649 650 651 652
mingskamer (2014) 50 f.; Strik, WPNR 7037 (2014) 1018, 1019; s. auch Hof Amsterdam, JOR 2009 Nr. 127 m. Anm. Jitta; Hof Amsterdam, JOR 2012 Nr. 243 m. Anm. Doorman; Garber, ÖJZ 2010, 661, 663; Ballesteros Barros Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 811, 814–817. So aber Nießen, NZG 2006, 441, 442; Simon in Simon, SpruchG (2007) § 2 SpruchG Rz. 24 f.; Mock, IPRax 2009, 271, 273 f.; Ballesteros Barros Cuad. Der. Trans. 10 (2) (2018) 811, 818–820; Poesen, T.B.H. 2019, 116, 119 f.; s. auch D. Kubis in MünchKomm/AktG (4. Aufl. 2015), § 2 SpruchG Rz. 5. Vgl. auch die Skizzierung der Alternative bei GA Wathelet, Schlussanträge v. 16.11.2017 – C-560/16, ECLI:EU:C:2017:872 Rz. 23 f. Meilicke, NZG 2004, 547, 551; Mankowski, LMK 2018, 405156; Schotel, NIPR 2019, 350, 354–358. So Nießen, NZG 2006, 441, 444. Meilicke, EWiR 2018, 389, 390. J. Schmidt, EuZW 2018, 813, 814. Siehe EuGH v. 7.3.2018 – C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167 Rz. 34 – E.ON Czech Holding AG vs. Michael De˘douch, Petr Streitberg, Pavel Suda; Beteiligte: Jihocˇeská plynárenská, a.s; Schotel, NIPR 2019, 350, 351 f. Vgl. Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 71. Seulen, IWRZ 2018, 133. EuGH v. 7.3.2018 – C-560/16, ECLI:EU:C:2018:167 Rz. 36 – E.ON Czech Holding AG vs. Michael De˘douch, Petr Streitberg, Pavel Suda; Beteiligte: Jihocˇeská plynárenská, a.s.; Meilicke/Lochner, AG 2010, 23, 29; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 72 sowie J. Schmidt, EuZW 2018, 813, 814. Meilicke, EWiR 2018, 389, 390. Siehe C. Schäfer in MünchKomm/AktG (3. Aufl. 2019) Art. 8 VO (EG) 157/2001 Rz. 58, Art. 20 VO (EG) 157/2001 Rz. 33, Art. 24 VO (EG) 157/2001 Rz. 15. VO (EG) 157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl. EG 2001 L 294/1. Knöfel, EWiR Art. 22 EuGVVO 1/09, 51, 52; Mankowski, LMK 2018, 405156. ÖBGBl. I 67/2004. Knöfel, EWiR Art. 22 EuGVVO 1/09, 51, 52; Mankowski, LMK 2018, 405156. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG), BT-Drucks. 15/3405, 32. So Nießen, NZG 2006, 441, 442; Simon/Simon, SpruchG (2007) § 2 SpruchG Rz. 24 f. Meilicke/Lochner, AG 2010, 23, 24–26; Mankowski, LMK 2018, 405156.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten 161
Änderungen oder Klärungen bringt auch das Company Law Package653 nicht mit sich. Es statuiert nämlich nicht selber Regeln zu Fragen der internationalen Zuständigkeit. Vielmehr möchte es insoweit Aktivität der Mitgliedstaaten sehen. Solche Aktivität können und dürfen die Mitgliedstaaten aber gerade wegen der Existenz der Brüssel Ia-VO nicht leisten.654
V. Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register (Nr. 3) 162
Öffentliche Register führt jeder Staat als hoheitliche Tätigkeit nach seinem eigenen Verfahrensrecht. Deshalb sollen nach bisher herrschendem Verständnis Streitigkeiten um die Gültigkeit von Eintragungen in öffentliche Register, da an ihnen notwendig ein Träger öffentlicher Gewalt beteiligt sei, nur vor den Gerichten des Registerstaates ausgetragen werden.655 Streitgegenstand sei die Gültigkeit der Eintragungen, also die Überprüfung eines Hoheitsaktes mit besonderen förmlichen Voraussetzungen.656 Dazu seien die Gerichte im Registerstaat gerade deshalb optimal berufen, weil sie die Arbeit der registerführenden Stelle, zumeist einer Behörde des betreffenden Staates, überwachten.657 Zudem sei Registerrecht hochgradig formalisiert und eine Funktion seines Verfahrensrechts.658 Rechts- und Sachnähe stritten deshalb für die Gerichte im Staat der Registerführung.659 Hinter der Registerzuständigkeit stehe die Idee der Nichteinmischung in einen fremden service public.660
163
An jeglicher Beschränkung auf Streitigkeiten mit der registerführenden Stelle sind jedoch erhebliche Zweifel angebracht, wenn man Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO miteinbezieht.661 Denn Streitigkeiten mit hoheitlich agierenden Stellen fallen nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 aus der Brüssel Ia-VO insgesamt heraus. Registerstreitigkeiten zwischen Bürger und Staat sind keine materiellen Zivilsachen, auch wenn sie in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erfolgen sollten.662 Wenn auf Streitigkeiten mit hoheitlich agierenden Stellen aber bereits die Brüssel Ia-VO insgesamt nicht anwendbar ist, dann kann Nr. 3 sie erst recht nicht erfassen.663 Die unter Nr. 3 fallenden Streitigkeiten können also keineswegs notwendig die Beteiligung eines Hoheitsträgers voraussetzen.664 Würde man Nr. 3 allein auf Streitigkeiten mit der registerführenden Stelle beschränken und einengen, so hätte Nr. 3 vielmehr keinen verbliebenen Anwendungsbereich.665 Nr. 3 würde damit zu einer sinn- und nutzlosen Vorschrift mutieren. Sie hätte keinen effet utile. Um dies zu vermeiden, ist im Gegenteil nach einem Verständnis zu suchen, welches der Norm einen eigenen Anwendungsbereich eröffnet und belässt. Dabei wird man
653 Hier insbesondere Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grezüberschreitende Umwandlungen, Verscmelzungen und Spaltungen, von der Kommission vorgelegt am 25.4.2018, KOM (2018) 241 endg. 654 Schotel, NIPR 2019, 350, 352. 655 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 20; Vorauflage Rz. 93; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 52; Geimer/ Schütze/D. Paulus, Rz. 104 (2016). 656 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 218; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 117; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 3 LugÜ Rz. 7. 657 unalex Komm/Borrás/Hausmann, Rz. 62. 658 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 216; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 49 (2005); Vorauflage Rz. 93. 659 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 216; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 49 (2005); Vorauflage Rz. 93; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 29. 660 Gautier, Rev. crit. dip. 80 (1991) 403, 406. 661 Mankowski, IPRax 2018, 355, 359. 662 Salerno, Giurisdizione ed efficacia delle decisioni stranieri nel Regolamento (CE) n. 44/2001, 3. Aufl. 2006, S. 43 f.; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 1 EuGVVO Rz. 22; Kropholler/v. Hein, Art. 1 EuGVO Rz. 12; Mock, IPRax 2009, 271, 273; Kindler, IPRax 2014, 486, 487; Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 1 (Mankowski). Vgl. aber auch Calvo Caravaca/Carrascosa González, Derecho internacional privado, vol. I, 17. Aufl. 2017, S. 213 f.; Carrillo Lerma, Cuad. Der. Trans. 6 (1) (2014), 349, 354 f. 663 Mankowski, IPRax 2018, 355, 359. Mit richtigem Gespür, aber ohne Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO einzubeziehen, Basler Komm/Güngerich, Art. 22 LugÜ Rz. 49. 664 A.A. Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 20; Vorauflage Brüssel Ia-VO Art. 24 Rz. 93 (Mankowski); Magnus/Mankowski/de Lima Pinheiro, Rz. 52; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 104 (2016). 665 Mankowski, IPRax 2018, 355, 359.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
bei Sinn und Zweck von Registern fündig: Registereintragungen sind Verlautbarungen. Sie verkünden etwas. Sie sind die Basis für Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutungen, die in den Sachrechten an sie geknüpft werden. Sie begründen positive und negative Publizität.666 Nr. 3 auf Prätendentenstreitigkeiten anzuwenden und einer ausschließlichen Zuständigkeit am Registerort zuzuführen schafft zumindest Gleichbehandlung mit Verletzungsklagen, bei denen der Beklagte den Nichtigkeitseinwand erhebt.667 Wenn auch auf anderer Grundlage (nämlich Nr. 3, nicht Nr. 4), wäre gleichermaßen eine Zuständigkeitskonzentration bewirkt. Anderenfalls würde eine Verteidigungsstrategie, deren Einwand lautet, dass das IP-Recht zwar bestehe, aber der Kläger nicht dessen Inhaber sei, doch wieder aus der Konzentration herausführen. Die Sachnähe als Fundament der Zuständigkeit im Registrierungsstaat unter Nr. 4 ließe sich so wiederum einfach aushebeln. Der Streit um die Rechtsinhaberschaft gehört ebenso in den Registrierungsstaat wie der Streit um das Bestehen des Rechts.668 Dass die Registerbehörde nur eintrage, aber keine Verwaltungstätigkeit entfalte, ist im Lichte von Art. 1 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO gerade kein Gegenargument.669
164
Jede Konzentration schafft Sicherheit. Sie kommt dem Beklagten insoweit entgegen, als er nicht 165 fürchten muss, Opfer von forum shopping zu werden, und als er sich nicht auf eine Vielzahl möglicher Optionen einstellen und gegebenenfalls aufwendig vorbereiten muss.670 Umgekehrt schneidet jede ausschließliche Zuständigkeit dem Kläger Möglichkeiten ab. Öffentliche Register sind nicht etwa von jedermann einsehbare Register (die auch von Privaten ohne 166 staatlichen Auftrag geführt werden könnten), sondern Register, die vom Staat bzw. im staatlichen Auftrag durch Belehnte geführt werden (ohne Rücksicht darauf, ob sie „Register“, „Buch“, „Protokoll“ oder anders heißen).671 Der Oberbegriff des öffentlichen Registers ist auf diese Weise unionsrechtsautonom auszufüllen, den Untersatz, wie das konkrete Register ausgestaltet ist und ob es hoheitlich geführt wird, liefert dagegen das jeweilige nationale Recht.672 Nr. 3 betrifft insbesondere die Eintragung in Grundbücher, Hypothekenbücher und Handels-, Gesell- 167 schafts- oder Vereinsregister,673 aber auch Schiffs- und Fahrzeugregister.674 Personenstandsbücher und Personenstandsregister sind dagegen von Nr. 3 wegen ihrer generellen Ausgrenzung aus der gesamten Brüssel Ia-VO durch Art. 1 Abs. 2 lit. a Brüssel Ia-VO nicht gemeint.675 (Verwaltungsrechtliche) Register, welche nur der Erfüllung hoheitlich-staatlicher Aufgaben (z.B. statistischer Zwecke
666 Mankowski, IPRax 2018, 355, 359. 667 Mankowski, IPRax 2018, 355, 359; Sendlmeier, Cuad. Der. Trans. 11 (1) (2019) 937, 943 f. sowie Kindler, GRUR 2018, 1107, 1114. 668 Mankowski, IPRax 2018, 355, 359 f. 669 Entgegen Fawcett vs. Torremans Rz. 2.39 (zu Nr. 4). 670 Mankowski, IPRax 2018, 355, 360. 671 Mankowski, IPRax 2018, 355, 357; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 31; ähnlich Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 3 LugÜ Rz. 10. 672 Mankowski, IPRax 2018, 355, 357 sowie Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 20; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Art. 22 EuGVVO Rz. 50 (2005); Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 3 LugÜ Rz. 10; Geimer/Schütze/D. Paulus, Art. 24 Brüssel Ia-VO Rz. 105 (2016). 673 Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 118; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 215; Kropholler/v. Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 42; unalex Komm/Borrás/Hausmann, Art. 22 EuGVVO Rz. 62; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 20; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 45; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 105 (2016); Mankowski in Wudarski (Hrsg.), Das Grundbuch im Europa des 21. Jahrhunderts (2016) 83, 95; Mankowski, IPRax 2018, 355, 357. Beispiel: Eintragung einer Sicherungshypothek, Direccíon General Registro Nacional REDI 2005-1, 373 m. Anm. García. 674 Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 3 LugÜ Rz. 10; Dasser/Oberhammer/K. Müller, Art. 22 LugÜ Rz. 79; Basler Komm/Güngerich, Art. 22 LugÜ Rz. 47 (jeweils mit weiteren Beispielen schweizerischer Register); unalex Komm/Borrás/Hausmann, Art. 22 EuGVVO Rz. 62; Mankowski, IPRax 2018, 355, 357; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 31. 675 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 215; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 105; Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 3 LugÜ Rz. 5; Dasser/Oberhammer/K. Müller, Art. 22 LugÜ Rz. 79 Fn. 258; unalex Komm/Borrás/Hausmann, Art. 22 EuGVVO Rz. 62; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 106 (2016); Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 53; Mankowski, IPRax 2018, 355, 357; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 31.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten oder zur Kontrolle qua Aufsicht) dienen, fallen über Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO heraus,676 Eintragungen in Insolvenzregister über Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO.677 168
Die ausschließliche Zuständigkeit besteht nur für Streitigkeiten über die Gültigkeit von Eintragungen, nicht auch für Streitigkeiten über deren Wirkungen.678 Eine gegenteilige Andeutung in den Materialien679 ist als Redaktionsversehen zu werten, da sie weder mit dem Wortlaut noch mit der Zweckrichtung der Nr. 3 übereinstimmt.680 Normalfall der Nr. 3 ist die Kontrolle erfolgter Eintragungen.681 Richtigerweise sollte man Nr. 3 aber auch Streitigkeiten um die Rechtmäßigkeit einer Nichteintragung trotz entsprechendem Antrag unterwerfen.682 Register können negative Publizität ebenso gut kommunizieren wie positive. Daher ist auch der Rechtsschutz gegen Eintragungen wie Nichteintragungen gleich zu behandeln.683
169
Ist die Korrektur der Registereintragung nicht Streitgegenstand und nicht formelles Antragsziel, sondern nur berührt, während der Streit in Wahrheit um die Tatsachen geführt wird, welche der Eintragungen zugrunde liegen, so ist Nr. 3 nicht einschlägig.684
VI. Gültigkeitsfragen registrierter gewerblicher Schutzrechte (Nr. 4) 1. Sachlicher Anwendungsbereich 170
Nr. 4 eröffnet einen ausschließlichen Gerichtsstand für Verfahren, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten und anderen gewerblichen Schutzrechten zum Gegenstand haben. Hintergrund sind die Territorialität gewerblicher Schutzrechte, die Schutz jeweils nur für ihren jeweiligen Verleihungsstaat gewähren, und die Souveränität der Staaten bei der Verleihung.685 Nur die Gerichte des Verleihungsstaates sollen die Kompetenz für den actus contrarius, die Entziehung des Rechtes, haben.686 Gewerbliche Schutzrechte sind Rechtskonstrukte und deshalb eng mit bestimmten Rechtsordnungen verbunden, über deren Auslegung am sachgerechtesten die in dieser Rechtsordnung heimischen Gerichte entscheiden.687
171
Der Begriff der gewerblichen Schutzrechte ist autonom auszulegen.688 Eine Anlehnung an Art. 36 AEUV und die dazu ergangene Judikatur689 führt zu einem Verständnis als alle einem oder mehreren Rechtssubjekten durch einen Staat verliehene Ausschließlichkeitsrechte.690 Unter Nr. 4 fallen zuvör676 Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 3 LugÜ Rz. 4 mit Fn. 7. 677 Schnyder/Killias, Art. 22 Nr. 3 LugÜ Rz. 5. 678 Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 771; Geimer/Schütze/Safferling, Art. 16 EuGVÜ Rz. 22 (1997); Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 42; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 54; ungenau Jenard-Bericht 54 Zu Art. 16 Nr. 3 EuGVÜ. 679 Jenard-Bericht 54 Zu Art. 16 Nr. 3 EuGVÜ. 680 Geimer/Schütze/Safferling, (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 22; Mankowski in Wudarski (Hrsg.), Das Grundbuch im Europa des 21. Jahrhunderts (2016) 83, 95. 681 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 218; Mankowski in Wudarski (Hrsg.), Das Grundbuch im Europa des 21. Jahrhunderts (2016) 83, 95. 682 Mankowski in Wudarski (Hrsg.), Das Grundbuch im Europa des 21. Jahrhunderts (2016) 83, 95. 683 Zustimmend Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 32. 684 Blue Tropic Ltd. v. Chkrhartishvili [2014] EWHC 2243 (Ch.), [2014] ILPr 501 [28] (Ch. D., Newey J.); Mankowski in Wudarski (Hrsg.), Das Grundbuch im Europa des 21. Jahrhunderts (2016) 83, 96; Wieczorek/ Schütze/C. A. Kern, Rz. 32. 685 Siehe nur Jenard-Bericht Zu Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ; GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 26.5.2016 – Rs. C-230/15, ECLI:EU:C:2016:366 Rz. 53; Lundstedt, GRUR-Int. 2001, 103, 106; Fawcett, Essays in Honour of Sir Peter North (2002) 137, 139. 686 Siehe nur Kur, IPRax 2004, 331, 332; Stauder, FS Schricker (2005) 917, 921. 687 Fawcett, Essays in Honour of Sir Peter North (2002) 137, 139 f. 688 EuGH v. 15.11.1983 – 288/82, ECLI:EU:C:1983:326 Rz. 19 – Ferdinand Duijnstee vs. Lodewijk Goderbauer. 689 Namentlich EuGH v. 14.9.1982 – 144/81, ECLI:EU:C:1982:289 Rz. 14 – Keurkoop BV vs. Nancy Kean Gifts BV. 690 Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 1 (2016) unter Hinweis auf Grabitz/Hilf/Nettesheim/Leible/T. Streinz, Das recht der Europäischen Union (Losebl. 1983 ff.) Art. 36 AEUV Rz. 33 (2015).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
derst Streitigkeiten um die Ordnungsmäßigkeit der Eintragung einschließlich von Prioritätsstreitigkeiten.691 Dagegen fallen Prätendentenstreitigkeiten um die Inhaberschaft an einem bestehenden Schutzrecht nicht darunter.692 Eine Vindikationsklage nach § 8 PatG ist im Ergebnis ebenso wenig von Nr. 4 erfasst wie eine Klage auf Erteilung einer Eintragungsbewilligung.693 Dies gilt auch für den arbeitnehmererfinderrechtlichen Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.694 Klagen aus Vertrag auf Übertragung eines Schutzrechts sind ebenso wenig gemeint.695
172
Für Patente kann sich diese Lösung auf zusätzliche gesamtsystematische Argumente stützen: Sowohl 173 in Art. 60 Abs. 1 S. 2 EPÜ696 als auch in Art. 69 Abs. 4 lit. b Luxemburger Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt697 werde ganz klar unterschieden zwischen der Zuständigkeit für Streitigkeiten über das Recht auf das Patent, insbesondere in Fällen, in denen sich das Patent auf die Erfindung eines Arbeitnehmers bezieht,698 und der Zuständigkeit für Streitigkeiten über die Eintragung oder die Gültigkeit eines Patents. Dass die beiden Übereinkommen ausdrücklich eine derartige Unterscheidung träfen, bestätige die Auslegung des Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ durch den EuGH.699 Sekundieren sollen Art. 4 ZuständigkeitsProt zum EPÜ700 sowie Art Vd Prot. EuGVÜ i.d.F. durch das 1. und 2. Beitrittsübereinkommen zum EuGVÜ.701 Eine solche ausdrückliche Unterscheidung findet sich indes nicht in Art. 32 Abs. 1 EPG-Übk.702. Für andere IP-Rechte fehlt es ganz an formellen Anhaltspunkten der in Bezug genommenen Art.703 Erfasst sind von Nr. 4 im Einzelnen: Anmelde- und Erteilungsverfahren, Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren,704 Klagen auf Löschung des Schutzrechts705 oder Einwilligung in die Schutzentziehung706 so-
691 EuGH v. 15.11.1983 – 288/82, ECLI:EU:C:1983:326 Rz. 24 – Ferdinand Duijnstee vs. Lodewijk Goderbauer; GAin Rozès, Schlussanträge v. 5.10.1983 – 288/82, EuGHE 1983, 3679, 3682; GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 13.7.2017 – C-341/16, ECLI:EU:C:2017:551 Rz. 27. 692 EuGH v. 15.11.1983 – 288/82, ECLI:EU:C:1983:326 Rz. 26, 28 – Ferdinand Duijnstee vs. Lodewijk Goderbauer; EuGH v. 5.10.2017 – C-341/16, ECLI:EU:C:2017:738 Rz. 30–43 – Hanssen Beleggingen BV vs. Tanja PrastKnipping; GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 13.7.2017 – C-341/16, ECLI:EU:C:2017:551 Rz. 25–29, 38; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 106; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 58 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 45; Thünken, GRURPrax 2017, 483; Sujecki, EWS 2081, 72, 79; Mansel/ Thorn/R. Wagner, IPRax 2018, 121, 137. 693 D. Stauder, IPRax 1985, 76, 79; Geimer/Schütze/Safferling (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 25; Geimer/Schütze/ Thiel/Tschauner, Rz. 59 (2005); Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 120 (2016). 694 EuGH v. 15.11.1983 – 288/82, ECLI:EU:C:1983:326 Rz. 26, 28 – Ferdinand Duijnstee vs. Lodewijk Goderbauer; Högsta Domstolen, NJA 1994, 51; OLG Karlsruhe v. 20.4.2018 – 6 U 161/16 Rz. 143; Schlosser/Hess/ Schlosser, Rz. 22; Hye-Knudsen, 22; R. Schulte/Voß/Kühnen, PatG (10. Aufl. 2017) § 139 PatG Rz. 249; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 36. 695 Stauder, GRUR-Int. 1976, 510, 512; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 50. 696 Münchener Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 5.10.1973. 697 Luxemburger Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt vom 15.12.1975, ABl. EWG 1976 L 17/1. 698 EuGH v. 15.11.1983 – 288/82, ECLI:EU:C:1983:326 Rz. 27 – Ferdinand Duijnstee vs. Lodewijk Goderbauer; GAin Rozès, Schlussanträge v. 5.10.1983 – 288/82, EuGHE 1983, 3679, 3683 f. 699 EuGH v. 15.11.1983 – 288/82, ECLI:EU:C:1983:326 Rz. 27 – Ferdinand Duijnstee vs. Lodewijk Goderbauer. 700 Protokoll über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen über den Anspruch auf Erteilung des europäischen Patents, Anh. zum EPÜ. 701 GAin Rozès, Schlussanträge v. 5.10.1983 – 288/82, EuGHE 1983, 3679, 3683 f. 702 Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht, ABl. EU 2013 C 175/1 = ABl. EPA 5/2013, 287. 703 Mankowski, IPRax 2018, 355, 357. 704 Siehe nur Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 45; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 118 (2016). 705 OLG Stuttgart, RIW 2001, 141; C. Heinze/Roffael, GRUR-Int. 2006, 787, 797. 706 BGH v. 30.3.2006 – I ZR 96/03, GRUR 2006, 941, 942 m. Anm. Fritzsche = GRUR-Int. 2006, 1035, 1036 – Tosca Blu.
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174
Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten wie Verfahren um das Auslaufen eines Rechts707 oder um Priorität auf Grund früherer Anmeldung.708 Klagen auf Feststellung der Unwirksamkeit sind mit erfasst.709 175
Ausnahmsweise sind hier auch Verwaltungsverfahren und öffentlich-rechtliche Verfahren in die Brüssel I-VO einbezogen, namentlich das Eintragungsverfahren vor dem Patentamt in Deutschland samt den dazu gehörigen Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsverfahren.710 Hintergrund ist Rücksichtnahme auf Souveränitätsüberlegungen, da es um die staatliche Verleihung und Zuerkennung von Schutzrechten geht.711 Zudem können nur die Stellen und Gerichte des Registrierungslandes effektiv Ein- und Austragungen bewirken.712 Dies könnte freilich auch auf der Basis anzuerkennender ausländischer Entscheidungen geschehen.713 Sekundär erhöht es die Akzeptanz von Entscheidungen, wenn Organe des verleihenden Staates entscheiden.714
176
Streitigkeiten um die Einräumung von (Zwangs-)Lizenzen oder die Erfüllung von Lizenzverträgen gehören dagegen nicht unter Nr. 4,715 ebenso wenig fallen eigentliche Patentverletzungsklagen auf Schadensersatz o.Ä. im Prinzip unter Nr. 4.716 Schadensersatz- oder Unterlassungsklagen wegen Marken- oder sonstiger Schutzrechtsverletzung gehören im Prinzip ebenfalls unter Art. 2; 7 Nr. 2.717 Dasselbe gilt für Verfahren mit umgekehrten Parteirollen über die gleiche Frage, also negative Feststellungsklagen auf Feststellung einer Nichtverletzung.718 Verträge über gewerbliche Schutzrechte erfasst Nr. 4 nicht. Die Ausschließlichkeit besteht nicht im Verhältnis zu Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes unter Art. 35 Brüssel Ia-VO, denn Hauptsacheverfahren und Eilverfahren haben unterschiedliche Streitgegenstände;719 im einstweiligen Verfahren wird nicht über die Gültigkeit des registrierten Schutzrechts entschieden, sondern erfolgt nur eine Prognose, wie das nach Nr. 4 zuständige Gericht jene Gültigkeit beurteilen wird.720 707 CA Paris, Rev. crit. dip. 71 (1982) 135. 708 EuGH v. 15.11.1983 – 288/82, ECLI:EU:C:1983:326 – Ferdinand Duijnstee vs. Lodewijk Goderbauer, EuGHE 1983, 3663, 3677 Rz. 24; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 117 (2016). 709 OLG München v. 15.5.2003 – 29 U 1977/03. 710 Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 47. A.A. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 233. 711 Jenard-Bericht Zu Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ; Pearce v. Ove Arup Partnership [1999] ILPr 442, 460 (C.A., per Roch L.J.); kritisch Hye-Knudsen, 47–53. 712 Siehe nur Markus, 57 f.; Nelle, 374; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 21. 713 Hye-Knudsen, 56 f. 714 Plastus Kreativ AB v. Minnesota Mining and Manunfacturing Co [1995] RPC 438, 447 (C.A., per Aldous L.J.); insoweit skeptisch Dutson (1998) 47 ICLQ 659, 678; Hye-Knudsen, 53 f. 715 Stauder, GRUR-Int. 1976, 510, 512; Bonet, Rev. crit. dip. 71 (1982) 139, 141; Geimer/Schütze/Safferling, (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 25; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 49, 50, 51; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 22; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 61 (2005); Ahrens in Ahrens (Hrsg.), Der Wettbewerbsprozess5 (2005) Kap. 16 Rz. 17; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 65; vgl. CA Paris Rev. crit. dip. 71 (1982) 135, 136 f. 716 EuGH v. 15.11.1983 – 288/82, ECLI:EU:C:1983:326 – Ferdinand Duijnstee vs. Lodewijk Goderbauer, EuGHE 1983, 3663, 3677 Rz. 23; Mölnlycke AB v. Procter & Gamble Ltd. (No. 4) [1992] 4 All ER 47, 52 (C.A., per Dillon L.J.); Pearce v. Ove Arup Partnership [1999] ILPr 442, 465 (C.A., per Roch L.J.); Coin Controls Ltd. v. Suzo International (UK) Ltd. [1999] Ch. 33, 51 (Ch. D., Laddie J.); LG Düsseldorf, GRUR-Int. 1999, 455, 458 – Schussfadengreifer; LG Mannheim v. 8.2.2002 – 7 O 235/01; Vestre Landsret UfR 2003, 898, 900. 717 Siehe nur östOGH, GRUR-Int. 2000, 795 – Thousand Clowns; OLG Hamburg v. 2.5.2002 – 3 U 312/01, MMR 2002, 822, 823 – hotel maritime.dk; OLG Karlsruhe v. 10.7.2002 – 6 U 9/02, MMR 2002, 814, 815 – intel m. Anm. Mankowski; 800-Flowers Trade Mark [2002] FSR 191 (C.A.); Euromarket Designs Inc v. Peters and Trade & Barrel Ltd. [2001] FSR 288 (Ch. D., Jacob J.); Bonnier Media Ltd. v. Smith and Kestrel Trading Co 2002 S.C.L.R. 977 (OH, Lord Drummond Young); LG Düsseldorf, GRUR-Int. 2001, 893 – Mechanischer Torsionsdämpfer; Vestre Landsret UfR 2003, 898, 901; Pansch, 41; D. Stauder, FS Gerhard Schricker (2005) 917, 924; Dickinson, [2010] LMCLQ 181, 185. 718 Högsta Domstolen GRUR-Int. 2001, 178 f. – Flootek; Lundstedt, GRUR-Int. 2001, 103, 106. 719 EuGH v. 12.7.2012 – C-616/10, ECLI:EU:C:2012:445 Rz. 50 f. – Solvay SA vs. Honeywell Fluorine Products Europe BV; GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 29.3.2012 – C-616/10, ECLI:EU:C:2012:193 Nr. 38–43; dazu Francesca Ferrari, Int’l Lis 2012, 117; van Nispen, BIE 2012, 263; de Miguel Asensio, AEDIPr 2012, 835; Sujecki, GRUR-Int. 2013, 201; Treppoz, Rev. crit. dip. 102 (2013) 479; Dack, BIE 2013, 364. 720 EuGH v. 12.7.2012 – C-616/10, ECLI:EU:C:2012:445 Rz. 49 – Solvay SA vs. Honeywell Fluorine Products Europe BV.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Zum Kreis der von Nr. 4 erfassten Rechte gehören alle registrierungsfähigen gewerblichen Schutzrechte, also auch registrierungsfähige Marken-, Warenzeichen- und Sortenrechte.721 Die Entscheidung über die Gültigkeit nicht registrierungsbedürftiger Schutzrechte fällt dagegen in keinem Fall unter Nr. 4.722 Sachlich nicht von Nr. 4 erfasst sind daher Urheberrechte, sei es als Urheberpersönlichkeitsrecht, sei es als Copyright.723 Ihnen fehlt es an der Registrierung und der Registrierungsfähigkeit. Sie beruhen auch nicht auf einem konkreten staatlichen Erteilungsakt,724 sondern entstehen ipso iure.
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Einem Patent nicht hinreichend nahe steht das Recht an der eingetragenen Firma eines Unternehmens oder eines Kaufmanns. Hier geht es nicht um einen Schutz einer eigenen Leistung, einen gegenstandsbezogenen Schutz, sondern vielmehr um einen Namensschutz. Außerdem ist der Punkt wirtschaftlich wie rechtlich so bedeutsam, dass es seiner ausdrücklichen Erwähnung im Wortlaut selbst bedurft hätte, wenn Nr. 4 sich denn auf eingetragene Firmen erstrecken sollte. Im Ergebnis fallen eingetragene Firmen daher nicht unter Nr. 4.725 Eintragungsstreitigkeiten um Firmen fallen unter Nr. 3 und sind deshalb am Registerort konzentriert.726
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2. Einrede der Ungültigkeit oder Nichtigkeit in Verletzungsverfahren Streitigkeiten des gewerblichen Rechtsschutzes haben in der Wissens- und Informationsgesellschaft 179 stetig steigende Bedeutung. Immaterialgüterrechte werden immer wichtiger, immer bedeutsamer und immer wertvoller. Dementsprechend ist ihr effektiver Schutz eine zentrale Frage moderner Gesellschaften. Im IZPR spitzt sich dies darauf zu, ob man IP-Rechtsverletzungen grenzüberschreitend verfolgen kann. Die Reichweite der Nr. 4 in Patent-, Marken- oder sonstigen Schutzrechtsverletzungsverfahren, 180 in denen einrede- oder widerklageweise die Nichtigkeit oder Ungültigkeit des angeblich verletzten Patents727 geltend gemacht wird,728 ist daher unter Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO ein großer Streitpunkt gewesen. Drei Alternativen standen zur Diskussion: Erstens konnte das unter Art. 2 oder Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO eigentlich für das Patentverletzungsverfahren zuständige Gericht Art. 27 Brüssel I-VO anwenden und sich für unzuständig erklären.729 Diese Lösung präferiert im Grundsatz der
721 Siehe nur Bukow, 204. 722 Pearce v. Ove Arup Partnership [1999] ILPr 442, 448 (C.A., per Roch L.J.), [1997] 3 All ER 31, 35 = [1998] ILPr 10, 16 (Ch. D., Lloyd J.); Gardella in Nuyts, 181, 194; Dickinson [2010] LMCLQ 181, 185; R. Davis/ St. Quintin/Tritton, Tritton on Intellectual Property in Europe (5. Aufl. 2018) Rz. 17.144; s. auch Mecklermedia Corp v. DC Congress GmbH [1997] ILPr 629 (Ch. D., Jacob J.). 723 Siehe nur Fort Dodge Animal Health Ltd. v. Mustafa Akzo Nobel NV [1998] ILPr 732, 743 f. (C.A., per Lord Woolf MR); Griggs Group Ltd. v. Ross Evans Raben Footwear Pty Ltd. [2005] Ch. 153 (Ch.) (ChD, Jacob J.); Hye-Knudsen, 22; Nuyts/Szychowska/Hatzimihail in Nuyts, 1, 36 f.; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 115 (2016); R. Davis/St. Quintin/Tritton, Tritton on Intellectual Property in Europe (5. Aufl. 2018) Rz. 17.144 (dort Rz. 17.145 auch gegen eine Anwendung von Nr. 1, obwohl solche IP-Rechte nach englischem Verständnis immobilienähnlich seien). 724 Hye-Knudsen, 22. 725 Im Ergebnis ebenso Rb. Rotterdam, NIPR 1998 Nr. 246 S. 294 f.; Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 783; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 241; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 52; Schlosser/Hess/ Schlosser, Rz. 22; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 65 (2005); Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 115 (2016). A.A. Geimer/Schütze/Gerd Müller, Art. 16 EuGVÜ Anm. IV 4 (1977); Stauder, GRUR-Int. 1988, 376, 377. 726 Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 65 (2005). 727 Zu Klagen wegen Verletzung drittstaatlicher Patente Schauwecker, GRUR-Int. 2009, 187. 728 Sofern die Gültigkeit des Patents nicht in Rede steht, kommt Nr. 4 bei Verletzungsklagen jedenfalls nicht zur Anwendung; s. nur Reichardt, GRUR-Int. 2008, 574. 729 So Fort Dodge Animal Health Ltd. v. Mustafa Akzo Nobel NV [1998] ILPr 732, 741 f. (C.A., per Lord Woolf MR); Prudential Assurance Co Ltd. v. Prudential Insurance Co of America [2003] 1 WLR 2295, 2305 (C.A., per Chadwick L.J.); Coin Controls Ltd. v. Suzo International (UK) Ltd. [1999] Ch. 33, 51 f. = [1997] FSR 660, 676 (Ch. D., Laddie J.); Sepracor; Inc v. Hoechst Marrion Roussel Ltd. [1999] FSR 746, 753 (Ch. D., Laddie J.); Rb. Brussels GRUR-Int. 2001, 170, 171 f. m. Anm. Henning-Bodewig (Treichel 175); Rb. Brussels IER 2000, 232; LG Mannheim v. 8.2.2002 – 7 O 235/01; Arnold, EIPR 7 (1990) 254, 259; Bragiel, (1999) 2 I.P.Q. 135, 158.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten EuGH.730 Als Kodifizierung der EuGH-Rechtsprechung731 ist sie in Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 1 und 2 LugÜbk 2007 eingeflossen: Im Unterabs. 1 heißt es nach „Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen, zum Gegenstand haben,“ ausdrücklich: „unabhängig davon, ob die Frage klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird“; Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 2 a.E. LugÜbk 2007 wiederholt dies. 181
Das Gericht des Verletzungsstreits konnte diesen Rechtsstreit zum zweiten nach Maßgabe seines nationalen Verfahrensrechts aussetzen und überantwortete die Vorfrage nach der Gültigkeit des Patents an das nach Nr. 4 zuständige Gericht.732 Es mochte die Aussetzung davon abhängig machen, dass binnen einer vom Gericht gesetzten Frist das Gültigkeitsverfahren in Gang gesetzt wurde,733 zumindest aber zeitnah.734 Es mochte eine Zustimmung des Klägers zur Aussetzung als Voraussetzung ausmachen und bei deren Fehlen abweisen.735 Freilich konnte es mangels innergemeinschaftlicher Verweisungsmöglichkeit nicht bindend verweisen.736 Diese „Züricher Lösung“737 barg Eleganz.738
182
Unter prinzipiellen Aspekten war eine solche Option freilich zunächst janusköpfig und zweischneidig.739 Wäre sie die einzige Option, so würde sie immer noch zu stark den Beklagten begünstigen und das strategische Erheben der Ungültigkeitseinrede befördern. Ihr Hauptfehler war dann, dass sie immer noch Verteidigungsvorbringen auf das Vorliegen des Gerichtsstands durchschlagen ließe.740 Jedoch hatte die Option unter pragmatischen Aspekten erheblichen Charme. Sie würde die exklusive Entscheidungshoheit des Gerichts am Registrierungsort für alle Wirksamkeits- und Gültigkeitsfragen bewahren, während sie gleichzeitig grenzüberschreitende Verletzungsrechtsstreitigkeiten erlauben würde.741 Sie dem Arsenal als zusätzliche, eben nicht verdrängende Option hinzuzufügen würde jedenfalls nicht schaden.742
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Zum dritten könnte das Gericht des Verletzungsstreits incidenter auch über die Vorfrage nach der Gültigkeit des Patents entscheiden,743 vielleicht jedoch insoweit ohne Rechtskraft.744
730 EuGH v. 13.7.2006 – C-4/03, ECLI:EU:C:2006:457 Rz. 21-31 – GAT vs. LuK = Ned. Jur. 2008 Nr. 78 Anm. Vlas; dazu Wilderspin, Rev. crit. dip. 95 (2006) 777; Heinze/Roffael, GRUR-Int. 2006, 787; de Wit, IER 2006, 262; de Ranitz, IER 2006, 267; van Brinkhof, BIE 2006, 319; Briggs, [2006] LMCLQ 447; Luginbühl/D. Stauder, sic! 2006, 876; Kur/Metzger, IER 2007, 1; de Lange, JBPr 2007, 5; Adolphsen, IPRax 2007, 15; Gottschalk, JZ 2007, 300. GAT vs. LuK folgend EuGH v. 12.7.2012 – C-616/10, ECLI:EU:C:2012:445 – Solvay SA vs. Honeywell Fluorine Products Europe BV, GRUR 2012, 1169 = EuZW 2012, 837 Rz. 45; SanDisk Corp v. Philips [2007] EWHC 332 (Ch.) (ChD, Pumfrey J.); Rb’s-Gravenhage NIPR 2007 Nr. 317 S. 434; Rb.’s-Gravenhage NIPR 2008 Nr. 123 S. 209. 731 Schauwecker, GRUR-Int. 2007, 551; Dallafior/Götz Staehelin, SchwJZ 2008, 105, 111; Dasser/Oberhammer/ Blumer, Art. 22 Nr. 4 LugÜ Rz. 116 f.; Schack, FS Dieter Leipold (2009) 317, 331. 732 So Rb. ’s-Gravenhage NIPR 1998 Nr. 236 S. 284 f. = [1998] FSR 199, 213; Rb. ’s-Gravenhage NIPR 1999 Nr. 82 S. 126 f.; Rb. ’s-Gravenhage NIPR 2005 Nr. 269 S. 361 f.; HG Zürich GRUR-Int. 2007, 258, 259; Stauder, FS Eugen Ulmer (1973) 509, 514; Stauder, GRUR-Int. 1976, 510; Stauder, GRUR-Int. 1983, 50, 51; Stauder, IPRax 1998, 317, 321; Floyd/Purvis, (1995) 3 EIPR 110, 111; Karet (1998) 3 I.P.Q. 317, 329; Duston, (1998) 47 ICLQ 659, 668; Briggs, [2006] LMCLQ 447, 449; Hess-Blumer, sic! 2006, 882; Wilderspin, Rev. crit. dip. 95 (2006) 777, 795; Nuyts in Nuyts, 105, 108; vgl. auch Rb. ’s-Gravenhage NIPR 2001 Nr. 138 S. 272; zurückhaltender indes Rb’s-Gravenhage NIPR 2005 Nr. 270 S. 364 nach den Schlussanträgen von GA Geelhoed v. 7.4.2005 – C-4/03, EuGHE 2005, I 8669. 733 So die pragmatische und kreative (Stieger, sic! 2010, 3, 6) Lösung in HG Zürich GRUR-Int. 2007, 258, 259 sowie Hoge Raad, NIPR 2008 Nr. 47 S. 80; A-G Langemeijer, NIPR 2008 Nr. 47 S. 80, 82. 734 Dafür Adolphsen, IPRax 2007, 15, 19. 735 Hoge Raad, NIPR 2008 Nr. 47 S. 80; A-G Langemeijer, NIPR 2008 Nr. 47 S. 80, 82. 736 Gassauer-Fleissner, FS Pagenberg (2006) 263, 266. 737 Nach HG Zürich GRUR-Int. 2007, 258, 259. Wie hier z.B. Torremans in Leible/Ohly (Hrsg.), Intellectual Property and Private International Law (2009) 191, 205, 206. 738 Stieger, sic! 2010, 3, 6. 739 Siehe z.B. Adolphsen, ZZP Int 11 (2006), 137, 161; Kubis, MittPat 2007, 220, 224; Schack, FS Leipold (2009) 317, 331 sowie C. Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht (2007) 204. 740 Hye-Knudsen, 43. 741 Mankowski, IGKK/IACPIL 1 (2010) 31, 52. 742 Mankowski, IGKK/IACPIL 1 (2010) 31, 52.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Nr. 4 Unterabs. 1 hat die Frage nun legislativ entschieden. Die Ergänzung des Wortlauts um die Wortgruppe „unabhängig davon, die Frage im Wege der Klage oder im Wege der Einrede aufgeworfen wird“ stellt Einreden Klagen ausdrücklich gleich. GAT/LuK wird auch im EU-Raum kodifiziert.745 Man folgt insoweit der Linie, die bereits Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 1 LugÜbk 2007 vorgezeichnet hatte. Eine Fußnote machte für den Vorschlag Brüssel Ia-VO Quelle und Bezug überdeutlich. In ihr hieß es: „Note for the translators: The translations, particularly the German and French translation, shall use the wording of the corresponding translation of the decision of the Court of Justice in the matter GAT v. LuK (C-4/03) of 13 July 2006 (summary).“ Der Formulierungsvorschlag für den Text orientierte sich ersichtlich an Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 1 LugÜbk 2007.
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Die Kodifizierung schlägt die Tür zu für eine – zuvor immerhin theoretisch mögliche – Selbstkorrek- 185 tur des EuGH. Nr. 4 Unterabs. 1 ist ein Fremdkörper im Gesamtsystem. Er kollidiert mit der Unbeachtlichkeit von Vorfragen und von Einwendungen des Beklagten in anderen Zusammenhängen und bei anderen Normen, insbesondere bei Art. 1 Brüssel Ia-VO746 und bei Art. 29 Brüssel Ia-VO747 sowie bei Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.748 Am deutlichsten wird die Systemfremdheit und Systemwidrigkeit jedoch durch den Widerspruch, dass bei Nr. 2 Vorfragen (zu Recht) nicht als gerichtsstandsführend bewertet werden.749 Der EuGH selber sah sich insoweit zu abenteuerlichen und in keiner Weise überzeugenden750 Abgrenzungen gezwungen.751 Eine bloße Vorfrage prägt den Charakter der Klage eben nicht,752 und ebenso wenig darf der Beklagte, indem er seine Verteidigung auf entsprechende Vorfragen gründet, eigentlich den Klaggegenstand verändern (und damit mittelbar die zur Auswahl stehenden Gerichtsstände prägend beeinflussen).753
186
Insbesondere entwertet der Verordnung gewordene GAT/LuK-Ansatz aber das Prinzip der perpetua- 187 tio fori (die Zuständigkeit muss bei Klagerhebung feststehen) entwerten.754 Er unterminiert das Prinzip, dass ein Gerichtsstand bei Klageerhebung vorhersehbar sein muss, ein Zentralprinzip der Brüssel Ia-VO,755 und begründet eine erhebliche Missbrauchsgefahr seitens des Beklagten.756 Denn der 743 So LG Düsseldorf, Entscheidungen 1998, 1 – Kettenbandförderer III; LG Düsseldorf, Entscheidungen 1996, 1 – Reinigungsmittel für Kunststoffverarbeitungsgeräte; Neuhaus, MittPat 1996, 257, 258; König, MittPat 1996, 296, 298; vRospatt, GRUR-Int. 1997, 861, 862; Honorati, Riv. dir. int. priv. proc. 1997, 301; Perret in Études en l’honneur de Jean-Francois Poudret (1999) 125, 135–137; Meier-Beck, GRUR 1999, 379, 380; Schack, MMR 2000, 135, 136; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 50; Briggs (2003) 74 BYIL 525, 527 f.; Franzosi/Tilmann, MittPat 2005, 55, 57; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 62 f. (2005); Ohly, JZ 2005, 738, 739; Reichardt, GRUR-Int. 2008, 574, 579 und der Sache nach Hof’s-Gravenhage NIPR 1998 Nr. 317 S. 392 f. = GRUR-Int. 1998, 58 m. Anm. Stauder sowie Luginbühl, FS Kolle u. D. Stauder (2005) 389, 404. 744 Stieger in Spühler (Hrsg.), Internationales Zivilprozess- und -verfahrensrecht III (2003) 57, 74; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 237. 745 von Hein, RIW 2013, 97, 104; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 529. 746 Insbesondere EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 Rz. 26 – Allianz SpA u. Generali Assicurazioni Generali SpA vs. West Tankers Inc. 747 Heinze/Roffael, GRUR-Int. 2006, 787, 792 f. 748 Reichardt, GRUR-Int. 2008, 574, 576 unter Hinweis auf EuGH v. 5.2.2004 – C-18/02, ECLI:EU:C:2004:74 Rz. 37 – Danmarks Rederiforeniging; handelnd für DFDS Torline AS vs. LO Landsorganisationen i Sverige; handelnd für SEKO Sjöfolk Facket for Service och Kommunikation. 749 EuGH v. 12.5.2011 – C-144/10, ECLI:EU:C:2011:300 Rz. 38-44 – Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Anstalt des öffentlichen Rechts vs. JP Morgan Chase Bank NA; Frankfurt Branch. 750 Siehe nur Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 296 f.; Arenas García, La Ley 13999 (2011) 15, 19; Espiniella Menéndez, REDI 2011–2, 244, 245; M. Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 516–518. 751 EuGH v. 12.5.2011 – C-144/10, ECLI:EU:C:2011:300 – Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Anstalt des öffentlichen Rechts vs. JP Morgan Chase Bank NA; Frankfurt Branch EuGH v.E 2011 I 3961 Rz. 45 f. 752 Siehe schon oben Rz. 33 im Zusammenhang mit Nr. 2. Nachdrücklich Adolphsen, IPRax 2007, 15, 17. 753 Siehe EuGH v. 8.5.2003 – C-111/01, ECLI:EU:C:2003:257 Rz. 30-32 – Gantner Electronic GmbH vs. Basch Exploitatie Maatschappij BV. 754 Wilderspin, Rev. crit. dip. 95 (2006) 777, 786; Heinze/Roffael, GRUR-Int. 2006, 787, 794; Bukow, FS T Schilling (2007) 59, 71; Schack, FS Leipold (2009) 317, 331. 755 Briggs [2006] LMCLQ 447, 449. 756 Kieninger, GRUR-Int. 1998, 280, 288; Meier-Beck, GRUR-Int. 1999, 379, 380; Hye-Knudsen, 41; Wilderspin, Rev. crit. dip. 95 (2006) 777, 786.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten Beklagte kann mit einer schlichten Einrede die klägerische Rechtsdurchsetzung torpedieren und gleichsam eine „ausschließliche Zuständigkeit kraft Einrede“ herbeiführen.757 Eine gewisse Abmilderung und Entschärfung könnte in strengen Substantiierungsanforderungen an die Ungültigkeitseinrede bestehen.758 Sofern die Einrede aus anderen Gründen verworfen wird oder als Institut nach der lex fori nicht statthaft ist, wird nicht abgewiesen.759 188
Bedroht ist bei grundsätzlicher Anwendung der Nr. 4 für die bloße Einrede die für Rechtsinhaber wichtige Möglichkeit sicher, die nationalen Teile eines Europäischen Patents als Bündelpatent gemeinsam geltend zu machen,760 also den praktischen Normalfall761 zu verwirklichen. Die Ausdehnung der Nr. 4 Unterabs. 1 droht, Patentverletzungsverfahren erheblich und zu rigide762 auf das Erteilungsland zu konzentrieren.763 Sie renationalisiert gleichsam,764 obwohl sich die EU sonst um nationale Souveränitätsbelange der Mitgliedstaaten nicht allzusehr schert.765
189
Allerdings – das ist zuzugestehen – harmoniert Nr. 4 Unterabs. 1 mit dem Territorialitäts- oder Schutzlandprinzip, das im materiellen Recht und im IPR sowieso dominiert.766 Dem Patent inter partesWirkungen abzusprechen berührt nämlich auch partiell die Wirksamkeit des Erteilungsakts,767 jedoch nicht formell.
190
Durch die ausschließliche Konzentration für das einzelne Schutzrecht wird jedoch die effektive grenzüberschreitende Rechtsverfolgung erschwert und die Prozessökonomie in Mitleidenschaft gezogen.768 Denn die konzentrierte Verfolgung von mehreren parallelen Schutzrechtsverletzungen insbesondere am Verletzerwohnsitz wird durch eine extensive Anwendung der Nr. 4 nahezu unmöglich gemacht.769 Damit erhöht sich zudem die Gefahr konfligierender Entscheidungen,770 sofern man diese nicht a priori durch Entscheidung über einzelne nationale Teilrechte als unterschiedliche Gegenstände gebannt sieht.771 Seit GAT/LuK hat sich die Durchsetzungsfrequenz in Europa verschlechtert, da Rechteinhaber tendenziell nur noch im Erteilungsstaat klagen,772 und richtet sich der Blick zunehmend auf die USA als Durchsetzungsforum.773 Außerdem werden unterschiedliche Prozesstaktiken von Rechteinhabern verlangt, je nachdem, ob ein Gültigkeits- oder ein Verletzungsverfahren in Rede steht.774 Forum shopping und geschickte Gerichtsauswahl stehen ebenfalls hoch im Kurs.775
191
Jede Renationalisierung stößt sich massiv daran, dass die meisten Patente in Europa heute als Europäische Patente, als Bündelpatente, von einer europäischen Behörde und nicht mehr von nationalen 757 Hye-Knudsen, 42; Briggs [2006] LMCLQ 447, 449; Kubis, MittPat 2007, 220, 222; Reichardt, GRUR-Int. 2008, 574, 576; Schack, FS Leipold (2009) 317, 331. 758 Adolphsen, ZZPInt 11 (2006) 137, 161; Kubis, MittPat 2007, 220, 224; Schack, FS Leipold (2009) 317, 331 sowie Heinze, 204. 759 Offen aber wohl vMeibom/Heusch, FS Lüer (2008) 11, 17. 760 Rospatt, GRUR-Int. 1997, 859, 860; Meier-Beck, GRUR-Int. 1999, 379, 380; Grabinski, GRUR-Int. 2001, 199, 209; Treichel, Die Sanktionen der Patentverletzung und ihre gerichtliche Durchsetzung im deutschen und französischen Recht (2001) 49. 761 Torremans in Nuyts, 61, 65. 762 Gardella in Nuyts, 181, 192. 763 Grabinski, GRUR-Int. 2001, 199, 209. 764 Adolphsen, IPRax 2007, 15; Schauwecker, GRUR-Int. 2008, 96, 101. 765 C. Heinze, RabelsZ 82 (2018) 443, 447. 766 Vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-Int. 2003, 1030, 1032 – Mechanischer Torsionsdämpfer. 767 Vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-Int. 2003, 1030, 1032 – Mechanischer Torsionsdämpfer. 768 CLIP [2007] EIPR 195, 197; Adolphsen, IPRax 2007, 15, 17; Schauwecker, GRUR-Int. 2008, 96, 101; Torremans in Nuyts, 61, 72; vMeibom/Heusch, FS Lüer (2008) 11, 21; vgl. GA Geelhoed, Schlussanträge v. 7.4.2005 – C-4/03 vom 16.9.2004, EuGHE 2006, I 6511, 6521 Nr. 47. 769 CLIP [2007] EIPR 195, 197; Gottschalk, JZ 2007, 300, 302 f. 770 CLIP [2007] EIPR 195, 197; Heinze/Roffael, GRUR-Int. 2006, 787, 792; Gottschalk, JZ 2007, 300, 302 f.; vgl. auch Torremans in Nuyts, 61, 70 f. 771 Wilderspin, Rev. crit. dip. 95 (2006) 777, 787. 772 Herr, MittPat 2006, 481, 482; Warner/Middlemiss, [2006] EIPR 580, 585; Schauwecker, GRUR-Int. 2008, 96, 101 f. 773 Pertegás in Nuyts, 89, 103. 774 Illustrativ Gardella in Nuyts, 181, 194 f. 775 vMeibom/Heusch, FS Lüer (2008) 11, 22 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Stellen erteilt werden.776 Die mittelbare Betroffenheit nationaler Erteilungsstellen777 kann insoweit kein durchschlagendes Argument mehr sein.778 Die angebliche bessere Sachkenntnis des Richters im Erteilungsstaat trägt hier nicht mehr.779 Zwar werden Bündelpatente in parallele nationale Rechte heruntergebrochen, dies ist jedoch keine materielle Renationalisierung.780 Bei der Verletzung von Bündelpatenten stehen in aller Regel technische Fragen, die sich überall beantworten lassen, nicht Rechtsfragen im Vordergrund, so dass es auch nicht auf besondere Rechtsnähe ankommt.781 Zudem wäre die bloße Möglichkeit, dass ausländisches Recht zur Anwendung kommen könnte, in keinerlei Hinsicht ein Hinderungsgrund.782 Dies gilt umso mehr, als bei europäischen Bündelpatenten eine sehr weitgehende materiell-rechtliche Harmonisierung vollzogen ist.783 Widerklagen auf Nichtigkeit oder Feststellung des Nichtbestehens sind sicher und sachgerecht von 192 Nr. 4 erfasst.784 Denn eine Widerklage ist eine Klage, ein eigener Angriff und nicht nur ein Verteidigungsmittel. Spätestens dies überschreitet den Rahmen bloßer Verteidigung. Eigener Rechtskraft fähige Zwischenfeststellungsklagen unterfallen Nr. 4 Unterabs. 1 ebenfalls sicher. Verlangte man, dass die Feststellungsklage Hauptantrag ist, so würde man die Anwendbarkeit des Nr. 4 in der Tat allein dem Kläger anheim stellen und dem Beklagten den Gegenangriff versagen.785 Unter Nr. 4 Unterabs. 1 erübrigen sich Überlegungen786 zum Umfang der Rechtskraft bei der Ent- 193 scheidung über Einreden nach dem Prozessrecht der lex fori. Denn danach differenziert Nr. 4 Unterabs. 1 nicht. Er billigt der Ungültigkeitseinrede vielmehr gerichtsstandsweisende Bedeutung zu, unabhängig davon, ob über sie nach der lex fori überhaupt mit Rechtskraft entschieden wird. Man muss man auch nicht mehr darauf achten, ob erga omnes-Wirkung auch bei Entscheidungen über Schutzrechte nach forumfremdem Recht787 besteht.788 Erhebt der Beklagte mehrere Einwände und ist der Nichtigkeitseinwand nicht der erste in der Staffel 194 (etwa dergestalt, dass die angebliche Verletzungshandlung gar nicht in den Schutzbereich des Schutzrechts falle, falls aber doch, sei das Schutzrecht ungültig)789, so kommt Nr. 4 Unterabs. 1 nur allenfalls dann und insoweit zum Zuge, als es auf den Nichtigkeitseinwand ankommt. Schlägt bereits der primär vorgebrachte Einwand durch, bleibt es bei den normalen Zuständigkeitsregeln für den Verletzungsprozess. Gleichermaßen bleibt es bei diesen, wenn gar keine Nichtigkeits- oder Ungültigkeitseinrede erhoben wird,790 selbst wenn sie angekündigt wird.791 Wird eine erhobene Nichtigkeits- oder Ungültigkeitsabrede für rechtsmissbräuchlich und unbeachtlich erklärt (gestützt auf das auch in den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts enthaltene Verbot des Rechtsmissbrauchs), so bleibt es ebenfalls bei der Anwendung der allgemeinen Regeln.792 776 777 778 779 780 781 782 783 784
785 786 787 788 789 790 791 792
Szychowska, [email protected] 2006, 68, 73; Torremans in Nuyts, 61, 66. Darauf hebt EuGH v. 13.7.2006 – C-4/03, ECLI:EU:C:2006:457 Rz. 23 – GAT vs. LuK ab. Torremans in Nuyts, 61, 66. Vlas, WPNR 6799 (2009) 407, 411. Dies verkennt SanDisk Corp v. Philips [2007] EWHC 332 (Ch.) (ChD, Pumfrey J.). Bukow, FS Schilling (2007) 59, 65 f. Heinze/Roffael, GRUR-Int. 2006, 787, 794 f. Brinkhof, BIE 2006, 319, 320; Kur, IIC 2006, 844, 848; Torremans in Nuyts, 61, 65. Siehe nur Fort Dodge Ltd. v. Mustafa Akzo Nobel NV [1998] FSR 222, 243 (C.A., per Lord Woolff MR); Stauder, GRUR-Int. 1976, 510, 511; Vivant, RIW 1991, 26, 29; Kieninger, GRUR-Int. 1998, 280, 281; Mousseron/ Raynard/Véron, IIC 1998, 884, 901 f.; Fawcett/Torremans, 211; Hartley, Essays in Memory of Peter E Nygh (2004) 155, 158; Bukow, 212 f.; Ebner, 210; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 36. Vgl. GA Geelhoed, Schlussanträge v. 7.4.2005 – C-4/03 vom 16.9.2004, EuGHE 2006, I 6511, 6519 Nr. 39 f.; Slonina, SZZP 2005, 313, 322. Siehe 3. Auflage Art. 22 Brüssel I-VO Rz. 47f, 47h (Mankowski) m.w.N. Insoweit differenzierend das französische Recht; s. Treichel, Die Sanktionen der Patentverletzung und ihre gerichtliche Durchsetzung im deutschen und im französischen Recht (2001) 40 ff. So unter der Brüssel I-VO Adolphsen, IPRax 2007, 15, 18; vgl. auch Torremans in Nuyts, 61, 70. In England plastisch als „Gillette defence“ bekannt, vgl. Research in Motion UK Ltd. v. Visto Corp [2008] EWCA Civ 153 [9] (C.A.). EuGH v. 13.7.2006 – C-4/03, ECLI:EU:C:2006:457 Rz. 16 – GAT vs. LuK; Wilderspin, Rev. crit. dip. 95 (2006) 777, 792; Nuyts in Nuyts 105, 107. Rb’s-Gravenhage NIPR 2007 Nr. 48 S. 78. Nuyts in Nuyts, 105, 109.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten 195
Erstaunlicherweise wurde die gleichlautende Erweiterung des Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 2 LugÜbk 2007 im zweiten Unterabsatz nicht übernommen, so dass es weiterhin eine Diskrepanz mit dem LugÜbk 2007.793
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Eine Arbeitsgruppe der Max-Planck-Institute für ausländisches und internationales Privatrecht (Hamburg) und für ausländisches und internationales Wettbewerbs-, Immaterialgüter- und Steuerrecht (München) hat Ende 2006 vorgeschlagen, Nr. 4 um folgenden lit. b als zweiten Absatz zu ergänzen, während der jetzige Text zu lit. a würde: „The provisions under lit. (a) do not apply where validity or registration arises in a context other than by principal claim or counterclaim. The decisions resulting from such proceedings do not affect the validity or regristration of those rights as against third parties.“794 Die Überlegungen mündeten in Art. 2:401 Principles for Conflict of Laws in Intellectual Property (CLIP Principles).795 Diese Formulierung soll zum einen ermöglichen, dass das mit einer Verletzungsklage befasste Gericht die Gültigkeit eines ausländischen (forumfremden) Schutzrechts als Vorfrage überprüfen darf, und stellt zum anderen klar, dass diese Überprüfung keine Wirkungen erga omnes im Verhältnis zu Dritten haben kann.796 Im Novellierungsverfahren hat dieser Vorschlag aber keine Bedeutung gewinnen können. 3. Registrierungsort
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Zuständigkeitsbegründend ist nicht nur der Ort einer schon erfolgten Registrierung, sondern schon der Ort, an dem eine Registrierung erfolgen soll, ab Antragstellung. Gültigkeitsstreitigkeiten während eines laufenden Eintragungsverfahrens sind so angemessen erfasst. Auf diese Weise ist jenen Rechtsordnungen wie z.B. der deutschen Rechnung getragen, welche die Eintragung von einem unter Umständen langwierigen Prüfungsverfahren abhängig machen.
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Die in Nr. 4 Unterabs. 1 a.E. genannte Fiktion („aufgrund eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als eingetragen gilt“) bezieht sich auf das Madrider Abkommen über die Internationale Registrierung von Fabrik- oder Handelsmarken797 und das Haager Abkommen über die Internationale Hinterlegung gewerblicher Muster oder Modelle798.799 Bei internationalen Geschmacksmustern kann der Anmelder durch Hinterlegung nach dem Haager Markenhinterlegungsübereinkommen und Einreichung eines entsprechenden Gesuchs bei Internationalen Büro der WIPO in Genf Rechtsschutz für die vom Hinterleger benannten Mitgliedstaaten beantragen; der nationale Akt danach beschränkt sich auf die Entgegennahme der Mitteilung des WIPO-Büros über die Hinterlegung.800 Trotzdem bleibt es beim Territorialitätsprinzip, da kraft nationaler souveräner Entscheidung ein Schutzrecht anerkannt wird, und damit auch bei der Anwendbarkeit der Nr. 4, obwohl es an einer eigentlichen Registrierung im einzelnen Staat fehlt.801 Denn die Hinterlegung hat nach Art. 7 Abs. 1 lit. a Haager Markenhinterlegungsübereinkommen die gleichen Wirkungen, wie sie eine nationale Registrierung hätte.802 Die einmalige Hinterlegung bei den zentralen Stellen wirkt also wie eine Hinterlegung in jedem einzelnen Vertragsstaat. Sie begründet kein einheitliches Schutzrecht gemeinschaftsweit oder in den Vertragsstaat, sondern vielmehr ein jeweils national wirkendes Schutzrecht für jeden Vertragsstaat und fällt deshalb unter Nr. 4 Unterabs. 1.803
793 Dasser/Oberhammer/Blumer, Art. 22 Nr. 4 LugÜ Rz. 121 Fn. 361. 794 CLIP [2007] EIPR 195, 200. 795 Principles for Conflict of Laws in Intellectual Property, Prepared by the European Max Planck Group for Conflict of Laws in Intellectual Property, Second Preliminary Draft June 6, 2009. 796 CLIP [2007] EIPR 195, 200. 797 Vom 14.4.1891 i.d.F. vom 14.7.1967, BGBl. 1970 II 418. 798 Vom 6.11.1925 i.d.F. vom 28.4.1960, BGBl. 1962 II 775, 1984 II 798. 799 Siehe nur Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 128 (2016). 800 Kur, IPRax 2004, 331 f. 801 OLG München, IPRax 2004, 346, 348; Kur, IPRax 2004, 331, 332. 802 OLG München, IPRax 2004, 346, 348. 803 Jenard-Bericht Zu Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ; OLG München, IPRax 2004, 346, 347 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 23; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 66 (2005).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
4. Europäisches Patentübereinkommen Unterabs. 2 trifft eine Sonderregel für europäische Patente. Er geht auf Art Vd Prot. EuGVÜ zurück und nimmt auf die Besonderheiten des Münchener Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente804 Rücksicht. Nr. 4 gilt ausweislich Unterabs. 2 grundsätzlich auch für Patente nach dem Münchener Übereinkommen, sofern dessen Anerkennungsprotokoll805 keine nach Art. 71 Brüssel Ia-VO vorrangigen806 Zuständigkeitsregeln aufstellt.807 Im Prinzip gibt es keine solchen vorrangigen Zuständigkeitsregelungen.808 Das europäische Patent ist kein für alle Benennungsstaaten einheitliches Schutzrecht, sondern ein Bündel separater, jeweils territorial begrenzt erteilter Patente, die lediglich ihre Entstehung einem einzigen Erteilungsakt in einem vereinheitlichten Erteilungsverfahren verdanken.809
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Dieses Bündelungsprinzip vollzieht Nr. 4 Unterabs. 2 nach: In jedem Staat, für welchen die Anmeldung gilt, besteht eine ausschließliche Zuständigkeit, soweit es um den für jenen Staat geltenden Teil des Europäischen Patents geht. Niemand ist gezwungen, einen entsprechenden Angriff gerade in dem Staat zu führen, in welchem die Anmeldung erfolgt ist810 und stattgefunden hat.811 Es gibt andererseits keinen garantierten umfassenden Gerichtsstand, in dem man das gesamte Patent europaweit einheitlich angreifen könnte.812
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Entsprechendes gilt, sollten diese noch jemals in Kraft treten, für die Luxemburger Vereinbarung 201 über Gemeinschaftspatente813 und deren Streitregelungsprotokoll.814 Entsprechende Aussagen sind allerdings nicht aus Art Vd Prot. EuGVÜ in Nr. 4 übernommen worden, gerade weil jene Übereinkunft nicht in Kraft ist.815 Wahrscheinlicher ist, dass es eine über Art. 67 Brüssel Ia-VO Vorrang heischende Regelung durch einen Unionsrechtsakt geben wird. Die Kommission hat insoweit schon vor einiger Zeit einen Verordnungsvorschlag unterbreitet.816 Dieser sieht die Einrichtung einer eigenen europäischen Fachgerichtsbarkeit vor.817 5. Markenverordnung Die GMVO 1994818 hat die europäische Gemeinschaftsmarke als Institut eingeführt. Die UMVO819 hat heute die novellierte GMVO 2009820 abgelöst. Die UMVO enthält wie die GMVO enthält in ihrem Kapitel X eigene Bestimmungen über Zuständigkeit und Verfahren für Klagen mit Bezug auf Unionsmarken. Diese eigenen Sachregelungen gehen der Brüssel Ia-VO nach Art. 67 Brüssel Ia-VO vor. Sie sind grundsätzlich inhaberbegünstigend821 und eröffnen erhebliche Möglichkeit zum forum shopping.822
804 805 806 807 808 809 810 811 812 813 814 815 816 817 818 819 820 821 822
Vom 5.10.1973, BGBl. 1976 II 649. Vom 5.10.1973, BGBl. 1976 II 659. Siehe Bariatti, Riv. dir. int. priv. proc. 1982, 493. Siehe nur Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 244–254; Hye-Knudsen, 21. Siehe nur Otte, IPRax 2001, 315. OLG Düsseldorf, IPRax 2001, 336, 337 – Schussfadengreifer; dazu K. Otte, IPRax 2001, 315. Anmeldungen erfolgen nach Art. 127 EPÜ beim Europäischen Patentamt mit Sitz in München. Dieses führt das Europäische Patentregister. Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 56. Deshalb kann Nr. 4 Unterabs. 2 nicht entsprechend auf einheitliche IP-Rechte angewendet werden; GA Saugmandsgaard Øe, Schlussanträge v. 26.5.2016 – C-230/15, ECLI:EU:C:2016:366 Rz. 57 f. Vom 21.12.1989, BGBl. 1991 II 1358 = ABl. EG 1989 L 401/1. Vom 21.12.1989, BGBl. 1991 II 1378. Begründung der Kommission, BR-Drucks. 534/99, 19. Vorschlag für eine Verordnung über das Gemeinschaftspatent, KOM (2000) 412. Zum Vorschlag Schade, GRUR 2000, 827; Schade, GRUR 2000, 101. VO (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20.12.1993 über die Gemeinschaftsmarke, ABl. EG 1994 L 11/1. VO (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über die Unionsmarke, ABl. EU 2017 L 154/1. VO (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26.2.2009 über die Gemeinschaftsmarke, ABl. EG 2009 L 78/1. Kritisch dazu insbesondere Jayme/Kohler, IPRax 1994, 405, 408. Jenkins, Trade Mark World 1996, 24; Knaak, GRUR-Int. 1997, 864, 866.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten 203
Art. 125 Abs. 5 UMVO ist ein funktionelles Äquivalent zu Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, allerdings nur unter Anknüpfung an die Handlung, nicht an den Erfolg und eingeschränkt auf Handlungen im Gerichtsstaat durch Art. 126 Abs. 2 UMVO.823 Nach Art. 125 Abs. 4 UMVO sind Art. 25; 26 Brüssel Ia-VO mit der Maßgabe anwendbar, dass kraft Prorogation oder rügeloser Einlassung zuständiges Gericht nur ein anderes Unionsmarkengericht sein kann.824 Die Anwendbarkeit des Art. 25 Brüssel Ia-VO betrifft namentlich die Form.825 Funktionell sind nach Art. 124 MarkenVO die Unionsmarkengerichte ausschließlich zuständig.826 Die örtliche Zuständigkeit regelt die UMVO nicht.827 Art. 131 UMVO trifft Sonderregelungen für den einstweiligen Rechtsschutz.
204
Nur im Übrigen erklärt Art. 122 Abs. 1 UMVO im Wege der nicht rezipierenden, sondern bloß hinweisenden Verweisung828 grundsätzlich die Brüssel Ia-VO für anwendbar.829 Nach Zielsetzung und Ausgestaltung der UMVO, insbesondere den Art. 63 ff., 128 Brüssel Ia-VO über das besondere Verfahren vor dem Amt nach Art. 2 UMVO und der (alleinigen) Geltendmachung durch Widerklage, dürfte diese Verweisung nicht auf Nr. 4 gehen,830 zumal wegen der „Registrierung in der EU“ der Anknüpfungspunkt der Nr. 4 nicht passt.831 Löschungsklagen aus einer Gemeinschaftsmarke gegen andere Marken passen dagegen unter Nr. 4.832 Gleiches wie für die UMVO gilt für die GeschmacksmusterVO,833 die in ihren Art. 82 ff. entsprechende eigene Regelungen trifft und subsidiär in ihrem Art. 79 auf das EuGVÜ verweist, heute qua doppelter Überleitung auf die Brüssel Ia-VO. 6. EPG-Übereinkommen
205
Das EPG-Übereinkommen834 schafft eine eigene Grundlage für Streitigkeiten über das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung. Art. 33 Abs. 3 EPG-Übk. erlaubt dem Gericht der Verletzungsklage, diese auch dann weiter zu hören, wenn der Beklagte einen Nichtigkeitseinwand erhebt, und selber über den Nichtigkeitseinwand zu entscheiden. Diese Lösung weicht diametral von GAT vs. LuK und Nr. 4 ab.835 Rechtspolitisch steht die Frage im Raum, wie sinnvoll es ist, für andere IP-Rechte die gegenteilige Lösung in Nr. 4 weiter bestehen zu lassen.836
VII. Verfahren der Zwangsvollstreckung (Nr. 5) 206
Der Gerichtsstand des Nr. 5 weist die ausschließliche Kompetenz für Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der Zwangsvollstreckung und besondere Verfahren im Zusammenhang mit Maßnahmen der Zwangsvollstreckung dem Vollstreckungsstaat zu. Er schafft so eine Einheit von Angriff und Angriffsobjekt. Für die eigentliche Anordnung oder Durchführung der Zwangsvollstreckung selber gilt er dagegen nicht,837 da es insoweit an echten Streitigkeiten fehlt.838 Er erfasst daher z.B. nicht Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse.839 In jedem Fall kann Nr. 5 als Regelung der internationalen Zustän823 824 825 826 827 828 829 830 831 832 833 834 835
Kohler, FS Everling (1995) 651, 659–661; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 58. Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 58. Huet, Clunet 121 (1994) 623, 636. Knaak, GRUR-Int. 1997, 864, 865. Huet, Clunet 121 (1994) 623, 633. C. Kohler, FS Everling (1995) 651, 654 f. Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 58; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 46. Huet, Clunet 121 (1994) 623, 627 f.; Kohler, FS Everling (1995) 651, 656 f. C. Kohler, FS Everling (1995) 651, 657. Knaak, GRUR-Int. 1997, 864, 866. VO (EG) Nr. 6/2002v 12.12.2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, ABl. EG 2002 L 3/1. Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht, ABl. EU 2013 C 175/1 = ABl. EPA 5/2013, 287. Torremans in Beaumont/Danov/Trimmings/Yüksel (Hrsg.), Cross-Border Litigation in Europe (2017) 655, 666. 836 Torremans in Pila/Wadlow (Hrsg.), The Unitary EU Patent System (2015) 161, 171. 837 Domej, 267–296; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 47; Mankowski, LMK 2019, 418573; Sujecki, EuZW 2019, 471, 472; S. Arnold/Zwirlein-Forschner, GPR 2019, 262, 267. 838 Siehe nur BayObLG ZEV 2019, 637, 638 Rz. 35 m. Anm. Leipold; OLG Saarbrücken, IPRax 2001, 456; OLG Köln, BeckRS 2009, 89488; Heß, Rpfleger 1996, 89, 91; Jestaedt, IPRax 2001, 438, 440; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 25; Acocella, FS Schwander (2011) 643, 646; Eichel, IPRax 2013, 146, 147 f.; Wolber, Schuldnerschutz
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
digkeit direkt nur Gerichte betreffen.840 Dies würde freilich erweitert, wenn man bei Nr. 5 ausnahmsweise keinen institutionellen, sondern einen funktionellen Gerichtsbegriff zugrundelegen würde.841 Der Sache nach bildet Nr. 5 einen Fremdkörper in Art. 24 Brüssel Ia-VO und überhaupt im Zustän- 207 digkeitsabschnitt. Eigentlich gehört er eher in den Kontext der Anerkennung und Vollstreckung (bzw. unter dem LugÜbk 2007 der Vollstreckbarerklärung).842 Die Besonderheit der im Gerichtsstand des Nr. 5 ergehenden Entscheidungen besteht darin, dass sie Vollstreckungsentscheidungen sind und wegen der territorialen Beschränkung des ihnen als Rahmen vorgegebenen Vollstreckungsverfahrens Anerkennung im Ausland weder heischen noch überhaupt heischen könnten.843 Ihre Territorialität beruht auf dem Souveränitätsprinzip, das umgekehrt eine hoheitliche Tätigkeit ausländischer Vollstreckungsorgane auf fremdem Gebiet untersagt.844 Hinter Nr. 5 stehen in besonderem und hier legitimen Maße Souveränitätsinteressen der Mitgliedstaaten.845 Überspitzt mag man Nr. 5 einen eher deklaratorischen Charakter zuschreiben.846 Auf der anderen Seite spiegelt die ausschließliche Anknüpfung wider, dass die Gerichte am Bele- 208 genheitsort der Zugriffsobjekte wegen ihrer Sach- und Rechtsnähe in besonderem Maße geeignet sind, effektiven Rechtsschutz in Streitigkeiten um ebendiese Zugriffsobjekte zu gewährleisten.847 Nr. 5 schützt den Vollstreckungsschuldner davor, dass bei (grenzüberschreitendem) Auseinanderfallen von Vollstreckungsort und Gerichtsstand für vollstreckungsbezogene Klagen seine Chancen auf eine effektive Gegenwehr gegen eine Zwangsvollstreckung unterminiert würden.848 Zudem dient er dem Vollstreckungsschutz Dritter.849 Vor Ort sind obendrein die Chancen auf schnellen Schutz bei „Gefahr in Verzug“ am besten.850 Da ausländische Gerichte inländischen Vollstreckungsstellen keine Befehle erteilen können, sprechen souveränitätsrechtliche Überlegungen aus dem Verhältnis zwischen Gerichten und Vollstreckungsstellen deutlich für Nr. 5.851 1. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung Der Begriff Maßnahmen der Zwangsvollstreckung ist nicht zu eng zu verstehen. Er umfasst alles, was sich aus der Inanspruchnahme von Zwangsmitteln ergibt, insbesondere bei der Herausgabe oder Pfändung von beweglichen oder unbeweglichen Sachen im Hinblick auf die Vollstreckung von Entscheidungen und Urkunden.852 Es geht um reine Durchsetzungs- oder Abwehrverfahren auf der Basis
839 840 841 842 843 844 845 846 847 848 849 850 851 852
im europäischen Zwangsvollstreckungsrecht (2015) 151 f.; Hau, ZVglRWiss 116 (2017), 23, 30. A.A. Schlosser, FS Beys (2003) 1471, 1472 f. Zöller/Geimer, Rz. 34; BayObLG ZEV 2019, 637, 638 Rz. 35 m. Anm. Leipold. Domej, 278 f. Domej, ZZP Int 13 (2008) 167, 168; Domej, 279. GA Lenz, Schlussanträge v. 16.9.1993 – C-129/92, EuGHE 1994 I 119, 135 Nr. 46; Donzallaz, FS Schwander (2011) 683, 687. Vgl. auch OLG Hamburg, ZVertriebsR 2019, 132, 134 f. Bommer, 54. Vgl. auch Masri v. Consolidated Contractors Inc Co SAL [2008] 2 Lloyd’s Rep. 128, 146 (C.A., per Lawrence Collins L.J.). Siehe nur Mack, IPRax 2005, 553; C. Schreiber, 53; Cuniberti, Clunet 135 (2008) 963; Domej, 256–266; Mankowski, LMK 2019, 418573 sowie Masri v. Consolidated Contractors Inc Co SAL [2008] 2 Lloyd’s Rep. 128, 146 (C.A., per Lawrence Collins L.J.). östOGH, JBl 2016, 109, 110; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 157; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 138 (2016). Donzallaz, FS Schwander (2011) 683, 688. Kuwait Oil Tanker SAK v. Qabazard [2004] 1 AC 300, 305 = [2003] 3 All ER 501 (HL, Lord Bingham of Cornhill); Domej, 284. Domej, 281 sowie Oberhammer in Bernhard König/Mayr (Hrsg.), Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich III (2013) 83, 99 f. Domej, 281 f. Domej, 282. Domej, 293. EuGH v. 26.3.1992 – C-261/90, ECLI:EU:C:1992:149 Rz. 27 f. – Mario Reichert u. Ingeborg Kockler vs. Dresdner Bank AG; EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 Rz. 52 – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima; östOGH, JBl 2016, 109, 110; OLG Hamburg, ZVertriebsR 2019, 132, 133; Hof Den Haag NIPR 2016 Nr. 201 S. 376; Jenard-Bericht Zu Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten eines bereits bestehenden, in einem vorangegangenen Erkenntnisverfahren erwirkten Titels853 oder einer vollstreckbaren Urkunde.854 Dies schließt allerdings gegen die Zwangsvollstreckung als solche gerichtete Abwehrschritte des Vollstreckungsschuldners oder Dritter ein.855 Denn es ist ausschließlich Sache des Vollstreckungsstaates, seine eigenen Vollstreckungsorgane und seine eigenen Vollstreckungsverfahren zu kontrollieren.856 Gefordert ist indes immer Vollstreckungsnähe, d.h. ein unmittelbarer Bezug zur Zwangsvollstreckung.857 Ausgegrenzt sind jedenfalls alle funktionell außerjudiziellen und erst recht alle nichtstaatlichen Vollstreckungsverfahren.858 210
Sachlich gehören zu Nr. 5 zuvörderst Verfahren, welche den Ablauf und die Durchführung einer Pfändung oder Verwertung oder einer rechtlich erfolgreichen Pfandverwertung betreffen,859 auch wenn es um Anordnungen geht, die mittelbar Auswirkungen auf im Ausland belegene Vermögenswerte haben,860 sowie einschließlich Anordnungen gegen Drittschuldner, z.B. die kontoführende Bank bei Kostenpfändung.861 Hierher gehört auch die Durchführung einer Zwangsversteigerung.862 Nr. 5 erfasst auch die Erteilung eines Buchauszugs und sonstige Ersatzvornahmen unter § 887 ZPO863 samt der Anordnung eines entsprechenden Kostenvorschusses.864
211
Durchsetzungs- und Abwehrverfahren sind gleich zu behandeln:865 Daher fallen unter Nr. 5 auch die Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO),866 die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO)867 und die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO)868 nebst Anträgen auf Vollstreckungsschutz (§§ 719; 765a ZPO),869 außerdem natürlich vergleichbare Institute in den anderen Mitgliedstaaten,870 die namentlich eine Einstellung oder Aufhebung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen bezwecken,871 z.B. die Auf853 Stoffel, FS Vogel (1991) 357, 368; A.-K. Bitter, 106–108. A.A. Wolber, Schuldnerschutz im europäischen Zwangsvollstreckungsrecht (2015) 151: Nr. 5 sei erst einschlägig ab Durchführung einer Zwangsmaßnahme und erfasse allein deren Überprüfung oder Aufhebung. 854 Hof Amsterdam, NIPR 2015 Nr. 52 S. 146. A.A. Vzngr. Rb. Noord-Nederland, locatie Leewarden NIPR 2017 Nr. 183 S. 293 f. 855 ÖstOGH, JBl 2016, 109, 110. 856 Zustimmend ÖstOGH, JBl 2016, 109, 110. Siehe EuGH v. 26.3.1992 – C-261/90, ECLI:EU:C:1992:149 Rz. 26 – Mario Reichert u. Ingeborg Kockler vs. Dresdner Bank AG; A.-K. Bitter, 108. 857 ÖstOGH, JBl 2016, 109, 110; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 160; A Burgstaller/Neumayr/ Geroldinger/Schmaranzer/Geroldinger, Rz. 150. 858 Cuniberti, Clunet 135 (2008) 963, 984, 988. 859 Stoffel, FS Oscar Vogel (1991) 357, 372. 860 Vgl. Kuwait Oil Tanker SAK v. Qabazard [2004] 1 AC 300, 305, 307, 308 = [2003] 3 All ER 501, 504, 507 (HL, per Lords Bingham of Cornhill, Hoffmann, Millett), [2001] ILPr 719, 721 f. (Q.B.D., Langley J.). 861 Kuwait Oil Tanker SAK v. Qabazard [2004] 1 AC 300, 305, 307, 308 = [2003] 3 All ER 501, 504, 507 (HL, per Lords Bingham of Cornhill, Hoffmann, Millett). 862 GA Strikwerda, Ned. Jur. 2003 Nr. 266 S. 2121; Vlas, Ned. Jur. 2003 Nr. 266 S. 2123. 863 BGH v. 13.8.2009 – I ZB 43/08, IPRax 2013, 173 = WM 2010, 520; OLG München, IHR 2018, 163, 164; OLG Hamburg, ZVertriebsR 2019, 132, 134; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 41. 864 OLG München, IHR 2018, 163, 164; OLG Hamburg, ZVertriebsR 2019, 132, 135. 865 ÖstOGH, JBl 2016, 109, 110. 866 OLG Köln, InVo 2004, 424 = OLGR 2004, 157 = IPRspr. 2003 Nr. 196. 867 OLG Hamm, IPRax 2001, 339; OLG Köln, InVo 2004, 424 = OLGR 2004, 157 = IPRspr. 2003 Nr. 196; H. Roth, IPRax 2001, 323; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 143 (2016); Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 42. Vgl. aber auch Hoge Raad, Ned. Jur. 2019 Nr. 100 S. 1695 u. 1696 Vorlagefrage 3 sowie vorbereitend A.-G Vlas, Ned. Jur. 2019 Nr. 99 S. 1681, 1690. 868 EuGH v. 4.7.1985 – 220/84, ECLI:EU:C:1985:302 – AS-Autoteile Service vs. Pierre Malhé, EuGHE 1985, 2267, 2277 Rz. 12; OLG Hamburg, IPRax 1999, 168, 169 (Geimer, 152); OLG Köln, InVo 2004, 424 = OLGR 2004, 157 = IPRspr. 2003 Nr. 196; OLG Köln, IPRspr. 2012 Nr. 272 S. 613; OLG Saarbrücken, EuZW 2019, 347 Rz. 16; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 61; Roth, RabelsZ 68 (2004) 379, 382 f.; Hüßtege, FS Jayme (2004) 371, 384; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 268; R. Wagner, IPRax 2005, 401, 405–407; H. Roth, IPRax 2015, 538 (538 f.). sowie P. Schwarz, Enforcement Shopping im europäischen Rechtsraum (2019) 209–211. Kritisch mit beachtlichen Gründen Nelle, 377–381 sowie Hau, ZVglRWiss 100 (2001), 495, 497 f.; Münzberg, FS Geimer zum 65. Geb. (2002) 745, 748 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 25; Heß, IPRax 2004, 493, 494; Bittmann, IPRax 2015, 129, 130 f.; Halfmeier, IPRax 2007, 381, 385; auch Hess, IPRax 2008, 25, 29. AG Köln, BecKRS 2019, 626 hat die Frage nach möglichen Grenzen der Nr. 5 bei Vollstreckungsabwehrklagen dem EuGH vorgelegt; dazu Althammer, NZFam 2019, 236. 869 Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 72 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 61.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
hebung einer dwangsom-Anordnung.872 Insoweit schlägt der funktionelle Zusammenhang durch. Rechtsbehelfe gehören zum Zwangsvollstreckungsverfahren, und dieses gehört in den Staat der betreffenden Zwangsvollstreckung.873 Der funktionelle Zusammenhang ist das Entscheidende; auch bei einer Vollstreckungsabwehrklage tritt der in ihr liegende Gegenangriff auf den titulierten Anspruch zurück.874 Nicht unter Nr. 5 sollen indes Vollstreckungsabwehrklagen fallen, die eigene Forderungen des Schuldners ins Spiel bringen, sei es auch nur im Wege der Geltendmachung einer zuvor erfolgten Aufrechnung.875 Letzteres überzeugt nicht. Die Aufrechnung bleibt ein Verteidigungsmittel und macht den Aktivanspruch nicht rechthängig.876 Der Erfüllungseinwand ist mit der Vollstreckungsabwehrklage oder einem vergleichbaren zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelf im Zweitstaat vorzutragen.877 In Deutschland stellt § 1117 ZPO dies klar. Konsequenz daraus ist, dass im Kern nur für den einzelnen Zweitstaat die eingetretene Erfüllungswirkung festgestellt wird.878 Eine europaweite Feststellung tritt nicht ein.879
212
Der Schutz des Vollstreckungsgläubigers als Beklagten gebietet nicht, Art. 4–8 zur Anwendung zu 213 bringen und zu einer restriktiven Auslegung der Nr. 5 zu schreiten.880 Beklagter ist bei einer Vollstreckungsabwehrklage eben der Titelgläubiger, der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausbringt. Dieser Beklagte verdient keinen zuständigkeitsrechtlichen Schutz. Denn er hat den Kampfplatz ausgewählt für seinen eigenen Angriff aus dem Titel. Dann muss er auch hinnehmen, dass genau dort die Verteidigung gegen seinen Angriff stattfindet. Er muss sich dort auch dem Gegenangriff der Vollstreckungsabwehrklage stellen. Es ist nicht unfair, wenn er sich in einem Staat stellen muss, den er selber ausgesucht hat. Er hat den Kampf dort gewollt, dann muss er sich ihm auch dort stellen.881 In abgewandelter Form liegt diese Wertung dem Gerichtsstand der Widerklage aus Art. 8 Nr. 3 Brüssel IaVO zugrunde (dort erfolgt der Angriff mit einer Klage, nicht per Zwangsvollstreckung aus einem Titel). Nr. 5 LugÜbk 2007 will für das Zwangsvollstreckungsverfahren sogar ausschließliche Konzentrationswirkung. Er will alles, was sachlich zu einem bestimmten Zwangsvollstreckungsverfahren gehört, vor das Forum dieses Zwangsvollstreckungsverfahrens ziehen und nur dorthin. Allerdings soll in Österreich die sog. Oppositionsklage des § 35 EO, im Grundsatz funktionelles Pen- 214 dant zu § 767 ZPO, nicht unter Nr. 5 fallen, da sie nicht nur die konkrete Vollstreckung angreife, sondern auch das Erlöschen des titulierten Anspruchs feststelle und so über Nr. 5 hinausgriffe.882 Richtigerweise ist danach zu differenzieren, ob dies konkret wirklich der Fall ist.883 Gemeint sind jedenfalls 870 Z.B. das Oppositionsgesuch nach § 40 EO in Österreich; östOGH, JBl 2016, 109, 110 f.; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 163; A. Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer/Geroldinger, Rz. 152. 871 Siehe nur Pres. Rb. Utrecht NIPR 1998 Nr. 98 S. 110; Stoffel, FS Vogel (1991) 357, 373; I. Meier/Sogo, FS Schlosser (2005) 579, 595; zur differenzierten Behandlung der Widerspruchsrechte nach Art. 107 SchKG einerseits und Art. 108 SchKG andererseits Bommer, 56–60. 872 Hof ’s-Hertogenbosch ECLI:NL:GHSHE:2016:5607. 873 Siehe nur östOGH, JBl 2016, 109, 110; Haubold, FS Rolf Schütze zum 80. Geb. (2014) 163, 171. 874 Mankowski, WuB VII C Art. 22 LugÜ 1.14, 411, 412. 875 EuGH v. 4.7.1985 – 220/84, ECLI:EU:C:1985:302 – AS-Autoteile Service vs. Pierre Malhé, EuGHE 1985, 2267, 2278 Rz. 17 f.; BGH v. 3.4.2014 – IX ZB 88/12, IPRax 2015, 571 = WM 2014, 1003 Rz. 16 f.; EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 Rz. 54 – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima; BGH, ZInsO 2018, 1569 Rz. 4. Vgl. auch OLG Saarbrücken, EuZW 2019, 347 Rz. 30. 876 H. Roth, IPRax 2015, 538, 539 f. 877 Haubold, FS Rolf Schütze zum 80. Geb. (2014) 163, 177. 878 OLG Köln, BeckRS 2013, 05770; R. Wagner, IPRax 2005, 401, 408; Schlosser, Art. 20 EuVTVO Rz. 7; Rauscher/U. P. Gruber, Art. 22 EG-MahnVO Rz. 36, 44; Ulrici in MünchKomm/ZPO Art. 24 VO (EG) 1896/2006 Rz. 22. 879 Rechtspolitisch kritisch dazu Haubold, FS Rolf Schütze zum 80. Geb. (2014) 163, 179. 880 Geimer/Schütze/Safferling, (1997) Art. 16 EuGVÜ Rz. 27; Mankowski, WuB VII C Art. 22 LugÜ 1.14, 411. A.A. BGH v. 3.4.2014 – IX ZB 88/12, IPRax 2015, 571 = WM 2014, 1003 Rz. 16 f.; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 61. 881 Mankowski, WuB VII C Art. 22 LugÜ 1.14, 411; vgl. Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 385. 882 östOGH, SZ 2003/174; B. König, ÖJZ 2006, 931. 883 EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 Rz. 41 f. – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima; GA Tanchev, Schlussanträge v. 3.4.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:285 Rz. 35–38.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten kontradiktorische Verfahren, die einen unmittelbaren Bezug zur Zwangsvollstreckung haben.884 Daran fehlt es, sowiet funktionell eine Gläubigeranfechtung erfolgt, die sich nicht gegen die Handlungen der Zwangsvollstreckungsorgane als solche richtet.885 215
Außerdem erfasst Nr. 5, vornehmlich in anderen Mitgliedstaaten, Gesuche um Aufschub oder Einschränkung der Zwangsvollstreckung.886 Funktionell gleichwertig ist, sofern das betreffende Prozessrecht die einschlägigen Institute kennt, als vorverlagerte Gegenmaßnahme eine negative Feststellungsklage, dass die Zwangsvollstreckung unzulässig sei,887 oder eine au Delikt oder ungerechtfertigte Bereicherung gestützte Abwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung.888 Einwendungen auch in anderen Staaten zuzulassen889 stünde vor dem praktisch kaum zu überwindenden Problem, wie man aus einer stattgebenden Entscheidung in einem anderen Staat heraus die Zwangsvollstreckung im Vollstreckungsstaat effektiv anhalten könnte.890 Klagen gegen den vollstreckenden Gläubiger, auf dass dieser eine Willenserklärung abgebe, die eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach sich ziehen würde, sind nur anders gewanderte Abwehrschritte gegen die Zwangsvollstreckung und fallen unter Nr. 5.891
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Maßnahmen der Zwangsvollstreckung sind auch vorbereitende Schritte für die eigentliche Zwangsvollstreckung, z.B. die eidesstattliche Versicherung nach § 807 ZPO892 und die Vermögensauskunft nach § 802c ZPO. Denn solche vorbereitenden Maßnahmen sollen dem Titelgläubiger im Rahmen eines laufenden Zwangsvollstreckungsverfahrens Kenntnis von Vermögensgegenständen des Schuldners verschaffen und so einen effektiven Zugriff ermöglichen. Grammatikalisch wird dies dadurch unterstützt, dass Nr. 5 Var. 1 eine Zuständigkeit auch an jenem Ort begründet, an dem eine Zwangsvollstreckung stattfinden soll.893 Die Alternative bestünde darin, Offenbarungsverfahren als einstweilige Maßnahmen unter Art. 35 Brüssel Ia-VO fallen zu lassen.894 Jedenfalls das Widerspruchsverfahren nach § 900 Abs. 5 ZPO ist unter Nr. 5 zu fassen.895 Zur Zwangsvollstreckung zählen auch bloße Sicherungsmaßnahmen.896 Strafrechtliche Vorverfahren sollte man dagegen nicht zur Zwangsvollstreckung schlagen.897
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Verfahren, die einen Vollstreckungstitel erst schaffen, sind keine Verfahren der Zwangsvollstreckung, also alle Verfahren, die nach dem Prozessrecht des Gerichtsstaates in eine rechtskraftfähige Entscheidung münden.898 Die Trennung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren gilt auch 884 OLG Köln, InVo 2004, 424 = OLGR 2004, 157 = IPRspr. 2003 Nr. 196. 885 EuGH v. 10.7.2019 – C-722/17, ECLI:EU:C:2019:577 Rz. 55 – Norbert Reitbauer u.a. vs. Enrico Casamassima. 886 Fasching/Konecny/Simotta, Art. 22 EuGVVO Rz. 165; Czernich/Kodek/Mayr/Tiefenthaler, Rz. 50. 887 H. Roth, IPRax 1999, 50, 51 f. A.A. östOGH, IPRax 1999, 47, 48 = RdW 1998, 406; Czernich/Kodek/Mayr/ Tiefenthaler, Rz. 51; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 145 (2016). 888 A.A. Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 26; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 145 (2016). 889 Dafür Leutner, Die vollstreckbare Urkunde im internationalen Rechtsverkehr (1997) 248–251. 890 Geimer, IPRax 1999, 152, 154. 891 ÖstOGH, JBl 2016, 109, 111. 892 Mankowski, EWiR § 899 ZPO 1/95, 935, 936 sowie H. Koch in Schlosser (Hrsg.), Materielles Recht und Prozessrecht (1992) 171, 198. A.A. OLG Saarbrücken, IPRax 2001, 456 m. Anm. E. Jestaedt, 438; OLG Köln, InVo 2004, 424 = OLGR 2004, 157 = IPRspr. 2003 Nr. 196; Masri v. Consolidated Constructors International (UK) Ltd. [2009] Q.B. 450 [123] (C.A., per Lawrence Collins L.J.); Geimer, IPRax 1986, 208, 209; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 16 EuGVÜ Rz. 62; Heß, Rpfleger 1996, 89, 91; Heß, § 6 Rz. 126; Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 273; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 74 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 61; Schuschke/Walker/Schuschke, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz (6. Aufl. 2016) § 899 ZPO Rz. 4; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 146 (2016); Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 49; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 17. 893 Mankowski, EWiR § 899 ZPO 1/95, 935, 936; vgl. unter deutschem Recht LG Zwickau v. 22.3.1995 – 6 T 17/95, IPRax 1996, 193 (dazu Rauscher, IPRax 1996, 179). 894 Dahingehend Interpool Ltd. v. Galani [1988] Q.B. 738, 743 (C.A., per Balcombe L.J.); Babanaft Co SA v. Bassatne [1990] Ch. 13, 34 (C.A., per Kerr L.J.); Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 16 EuGVÜ Rz. 30. 895 Heß, Rpfleger 1996, 89, 91. 896 Vzngr. Rb. Zwolle-Lelystad NIPR 2009 Nr. 59 S. 121. 897 A.A. Dar Al Arkan Real Estate Development Co v. Refai [2014] EWCA Civ 715, [2015] 1 WLR 135 [64] (C.A., per Beatson L.J.). 898 Zustimmend Acocella, FS Schwander (2011) 643, 647.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
auf der europäischen Ebene.899 Erkenntnisverfahren wollen Rechtsgewissheit im Einzelfall schaffen, Vollstreckungsverfahren dienen der zwangsweisen Verwirklichung des darüber definierten rechtmäßigen Zustands.900 Erkenntnisverfahren bleiben Erkenntnisverfahren, auch wenn sie nicht dem Normalbild entsprechen und summarischen Charakter haben.901 Zwangsvollstreckungsverfahren setzen dagegen die Existenz eines anderweitig geschaffenen Titels vo- 218 raus.902 Daher fallen unter Nr. 5 nicht: Verfahren auf Duldung der Zwangsvollstreckung,903 insbesondere insolvenzrechtliche oder sonstige Gläubigeranfechtungsklagen (actiones Paulianae),904 Klagen auf Herausgabe eines Vollstreckungstitels,905 Abänderungsklagen (z.B. § 323 ZPO)906 und präventive isolierte Klagen, die auf die Feststellung, dass eine Zwangsvollstreckung aus einem bestimmten Titel unzulässig sei, gerichtet sind907 sowie in England receivership und freezing order.908 Mit Blick auf Art. 55 Brüssel Ia-VO ist auch die Verhängung eines Zwangsgeldes keine Zwangsvollstreckungsmaßnahme im Sinne von Nr. 5, sondern eine ergänzende Verurteilung als Nebenentscheidung zur Hauptsache, nationalen Einordnungen zum Trotz.909 Wie eine Maßnahme nach dem nationalen Recht des Forumstaates zu qualifizieren ist, ist für die verordnungsautonom auszulegende Nr. 5 nicht ausschlaggebend, sondern bietet nur die Grundlage, um die Funktionalität der einzelnen Maßnahme europäisch beurteilen zu können.910
219
Titelschaffend war auch das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 38 ff. Brüssel I-VO, das kein 220 Zwangsvollstreckungsverfahren, sondern diesem vorgelagert ist.911 Begründungen aus Art. 32 Brüssel I-VO gingen allerdings fehl.912 Erst recht erfasst Nr. 5 nicht Klagen auf Schadensersatz (z.B. unter deutschem Recht nach §§ 717 Abs. 2; 945 ZPO)913
899 900 901 902 903 904
905 906 907 908 909 910 911
912 913
Acocella, FS Schwander (2011) 643, 647. Markus, FS Kellerhals (2005) 177, 189. Acocella, FS Schwander (2011) 643, 647. Saenger/H. Dörner, Rz. 27; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 141 (2016). Siehe nur Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 145 (2016). EuGH v. 26.3.1992 – C-261/90, ECLI:EU:C:1992:149 Rz. 28 – Mario Reichert u. Ingeborg Kockler vs. Dresdner Bank AG; OLG Düsseldorf, IPRax 2000, 534, 539 (dazu Kubis, IPRax 2000, 501); OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966, 1967; Wieczorek/Schütze/C. A. Kern, Rz. 43; Dostal, IHR 2019, 89, 92. Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 26. Schlosser-Bericht Nr. 107; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 28; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 73 (2005); Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 15. ÖstOGH, ÖJZ 1998, 431. Masri v. Consolidated Contractors Inc Co SAL [2008] 2 Lloyd’s Rep. 128, 146 (C.A., per Lawrence Collins L.J.) (dazu Briggs [2008] LMCLQ 421). C. Kohler in Bothe (Hrsg.), Rechtsfragen grenzüberschreitender Umweltbelastungen (1984) 159, 168; Remien, Rechtsverwirklichung durch Zwangsgeld (1992) 324 f. A.A. Mezger, GS Léontin-Jean Constantinescu (1983) 503, 507 f. Markus in Kren Kostkiewicz/Markus/Rodriguez (Hrsg.), Internationaler Zivilprozess 2011 (2010) 49, 57 f.; Acocella, FS Schwander (2011) 643, 647. Siehe nur GA Lenz Schlussanträge v. 16.9.1993 – C-129/92, EuGHE 1994 I 119, 133 Nr. 39; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 63; Solomon, AG 2006, 832, 840; Álvarez de Sotomayor, REDI 2006, 459, 461. Dagegen fallen Rechtsbehelfe gegen die Zwangsvollstreckung aus einem Exequatur unter Nr. 5, vgl. Hof ’s-Hestogenbosch NIPR 2006 Nr. 47 S. 78. Entgegen EuGH v. 20.1.1994 – C-129/92, ECLI:EU:C:1994:13 – Owens Bank Ltd. vs. Fulvio Bracco u. Bracco Industria Chimica SpA, EuGHE 1994 I 117, 153 Rz. 24. OLG Hamm, IPRax 2001, 339, 340; Rb. Rotterdam, NIPR 2006 Nr. 319 S. 468; Rb. Rotterdam, S & S 2007 Nr. 39 S. 212; Verheul, NILR 1975, 354; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 16 EuGVÜ Rz. 62; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 15; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 272; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 107; Geimer/Schütze/Thiel/Tschauner, Rz. 73 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 62; C. Schreiber, 53; Coester-Waltjen, ZZP 122 (2009) 126, 128; Schack, ZEuP 2012, 195, 199; Solomon in Hess (Hrsg.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Vollstreckungsrecht (2014) 173, 178 f.; Raffelsieper, Die Rückabwicklung der vorläufigen Vollstreckung im nationalen und europäischen Zivilprozessrecht (2018) 206 f. A.A. Wolf, NJW 1973, 397, 398, 401.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten 221
Nr. 5 gilt auch nicht für Klagen auf Herausgabe der Bereicherung wegen ungerechtfertigter Vollstreckung.914 Übervollstrecktes muss der Gläubiger dem Schuldner aus ungerechtfertigter Bereicherung, angeknüpft über Art. 10 Rom II-VO, wieder herausgeben; Art. 24 Nr. 5 Brüssel Ia-VO greift aber insoweit nicht.915 Rechtsbehelf gegen eine Überpfändung ist in Deutschland die Erinnerung.916 § 765a ZPO kann dagegen keine Anwendung finden.917
222
Denkbar ist weiterhin ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Herausgabe des Titels, anzuknüpfen nach Art. 10 Rom II-VO.918 Für seine gerichtliche Geltendmachung greift die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 5 Brüssel Ia-VO nicht.919 Es geht in allen diesen Konstellationen um einen Ausgleich vom Vollstreckungsschuldner erlittener Beeinträchtigungen.920 Die Rechtmäßigkeit der Zwangsvollstreckung ist insoweit bloße Vorfrage.921 Gleiches gilt für eine vorbereitende Auskunftsklage auf Auskehrung des Erlöses aus einer ungerechtfertigten Verwertung und die Auskehrungsklage selber.922
223
Eine Klage, die darauf gestützt wird, dass der Titel durch ein Delikt erlangt worden sei, soll nicht unter Nr. 5 fallen, sondern unter Art. 4 oder 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO.923
224
Für den Erlass eines Europäischen Kontenpfändungsbeschlusses unter der EUKoPfVO gilt Nr. 5 nicht. Zum einen wäre Art. 6 EuKoPfVO sowieso vorrangige Spezialregelung.924 Zum anderen ist jenes Erlassverfahren ein – wenn auch kupiertes – Erkenntnis- und kein Zwangsvollstreckungsverfahren.925
225
Die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung deutschen Rechts erfüllt mehrere Funktionen, indem sie namentlich die Verfügung als solche erst wirksam macht und so ein Element im titelschaffenden Tatbestand ist; daher ist jene Vollziehung kein Akt der Zwangsvollstreckung.926 Nicht zur Zwangsvollstreckung schlagen sollte man auch die Ersetzung eines Aktes, der einer bestimmten gesetzlichen Form bedarf, durch ein Urteil.927 Entweder handelt es sich dann um ein Gestaltungsurteil im Erkenntnisverfahren, oder es geht um nicht mehr als Substitution.
226
Kein Teil eines Zwangsvollstreckungsverfahrens ist eine Hinterlegung, auch wenn sie bei einer amtlichen Stelle erfolgt und selbst wenn das nationale Recht seine entsprechende Normen in sein Zwangsvollstreckungsrecht einstellt (wie z.B. Österreich in die EO).928 Konsequenterweise fallen auch Prätendenten-, Herausgabe- und Freigabestreitigkeiten um hinterlegte Gegenstände oder Gelder nicht unter Nr. 5.929 2. Ort der Zwangsvollstreckung
227
Nr. 5 besagt nicht selber, wo die Zwangsvollstreckung stattfindet oder stattfinden soll, und erfordert deshalb einen Rückgriff auf jenseits von Nr. 5 liegende Wertungen.930 Wo die Zwangsvollstreckung 914 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 22 EuGVVO Rz. 272; H. Roth, IPRax 2001, 323, 324; Magnus/Mankowski/Lima Pinheiro, Rz. 76. 915 Philipp Schwarz, Enforcement Shopping im europäischen Rechtsraum (2019) 237 f. 916 Philipp Schwarz, Enforcement Shopping im europäischen Rechtsraum (2019) 216. 917 Philipp Schwarz, Enforcement Shopping im europäischen Rechtsraum (2019) 226. 918 Eingehend P. Schwarz, Enforcement Shopping im europäischen Rechtsraum (2019) 230–233. 919 P. Schwarz, Enforcement Shopping im europäischen Rechtsraum (2019) 229. 920 Solomon in Hess (Hrsg.), Die Anerkennung im Internationalen Zivilprozessrecht – Europäisches Vollstreckungsrecht (2014) 173, 178 f.; Raffelsieper, Die Rückabwicklung der vorläufigen Vollstreckung im nationalen und europäischen Zivilprozessrecht (2018) 206 f. 921 OLG Hamm, IPRax 2001, 339, 340; H. Roth, IPRax 2001, 323, 324; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 62; C. Schreiber, 53. 922 OLG Hamm, IPRax 2001, 339, 340; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 62; Geimer/Schütze/D. Paulus, Rz. 144 (2016). 923 OLG Saarbrücken, EuZW 2019, 347 Rz. 18–23; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 26. 924 Siehe Garber, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 81, 82. 925 Garber, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 81, 82. 926 KG, IPRax 2001, 236, 237; Mennicke, IPRax 2001, 202, 205; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 26. 927 A.A. Rb. Haarlem NIPR 2005 Nr. 60 S. 102. 928 Jayme, FS Mußgnug (2005) 517, 522. 929 Vgl. Jayme, FS Mußgnug (2005) 517, 522.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
stattfindet, orientiert sich rein faktisch am Ort des Verfahrens des (intendierten) Vollstreckungsverfahrens. Wo die Zwangsvollstreckung stattfinden soll, bestimmt sich nach den gleichen Maßstäben wie unter Art. 39 Abs. 2 LugÜbk 2007.931 Maßgeblich ist die Belegenheit der Objekte der prospektiven Zwangsvollstreckung.932 Es besteht kein Gegensatz zwischen der Belegenheit der prospektiven Vollstreckungsobjekte und dem Verfahrensort.933 Die Belegenheit von Forderungs- oder Mitgliedschaftsrechten beurteilt sich prinzipiell nach nationalem Recht,934 weil es insoweit an einer realen Lokalisierung fehlt und eine normative Lokalisierung notwendig ist, für welche Nr. 5 keine eigenen Maßstäben enthält.935 Forderungen des Schuldners sind grundsätzlich am Sitz des Drittschuldners belegen.936 Insoweit besteht aber ein wertendes Moment.937
228
VIII. Abweichungen unter Art. 22 LugÜbk 2007 Art. 24 Brüssel Ia-VO ist inhaltlich nahezu identisch mit seinem Vorgänger Art. 22 Brüssel I-VO. Die Reform hat eine Veränderung vorgenommen, indem sie GAT vs. LuK938 in Nr. 4 Unterabs. 1 kodifiziert hat. Genau dadurch vermeidet sie eine Divergenz zu Art. 22 LugÜbk 2007, wie sie im Kontrast dazu zwischen Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 1 Brüssel I-VO und Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 1 LugÜbk 2007 bestand. Denn das LugÜbk 2007 hat bewusst GAT vs. LuK939 in Übereinkommensform gegossen und in den Normtext des Art. 22 Nr. 4 LugÜbk 2007 übernommen.940 Dieser lautet: „Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz sind ausschließlich zuständig […]: 4. für Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen, zum Gegenstand haben, unabhängig davon, ob die Frage klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen worden ist oder aufgrund eines Unionsrechtsakts oder eines zwischenstaatlichen Übereinkommens als vorgenommen gilt. Unbeschadet der Zuständigkeit des Europäischen Patentamts nach dem am 5. Oktober 1973 in München unterzeichneten Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente sind die Gerichte eines jeden Mitgliedstaats ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien für alle Verfahren ausschließlich zuständig, welche die Erteilung oder die Gültigkeit eines europäischen Patents zum Gegenstand haben, das für diesen Staat erteilt wurde unabhängig davon, ob die Frage klageweise oder einredeweise aufgeworfen wird.“941
930 931 932 933 934 935 936
937 938 939 940
941
Domej, 283 sowie Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 22 EuGVVO Rz. 108. Siehe Vorauflage Art. 39 Brüssel I-VO Rz. 8–11 (Mankowski). Ebenso A.-K. Bitter, 104; Domej, 295 f. So aber Mack, IPRax 2005, 553, 557. Staehelin, AJP 1995, 261; Vlas, Ned. Jur. 2003 Nr. 266 S. 2123; Markus, FS Kellerhals (2005) 177, 183 f.; Mack, IPRax 2005, 553. Domej, 295 f. Aud. Prov. Guipúzcoa REDI 2001, 495, 496 m. Anm. Michinel Álvarez = AEDIPr 2002, 561, 565; Geimer/ Schütze/Haß, (2000) Art. 32 EuGVÜ Rz. 2; Markus, FS Kellerhals (2005) 177, 195 sowie Kuwait Oil Tanker SAK v. Qabazard [2004] 1 AC 300, 305, 307, 308 = [2003] 3 All ER 501, 504, 507 (HL, per Lords Bingham of Cornhill, Hoffmann, Millett); vgl. auch Société Eram Ltd. v. Cie Internationale (CIE) [2004] 1 AC 260, 287 f. (HL, per Lord Hobhouse of Woodborough). Mack, IPRax 2005, 553. EuGH v. 13.7.2006 – C-4/03, ECLI:EU:C:2006:457 Rz. 21-31 – GAT vs. LuK. EuGH v. 13.7.2006 – C-4/03, ECLI:EU:C:2006:457 Rz. 21-31 – GAT vs. LuK. Siehe Bundesamt für Justiz, Erläuternder Begleitbericht zum Vernehmlassungsverfahren – Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung des revidierten Übereinkommens von Lugano, über die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.5.2008 S. 19 http://www.bj.admin.ch/etc/medialib/data/wirtschaft/gesetzgebung/Lugano_ uebreinkommen,par.0004.File.tmp/vn-ber-d.pdf. Hervorhebungen hinzugefügt.
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Art. 24 Brüssel Ia-VO Ausschließliche Gerichtszuständigkeiten 230
Unter Art. 22 Nr. 4 LugÜbk 2007 konnte man nicht mehr über die Einbeziehung von Vorfragen diskutieren, weil sie eben im Wortlaut der Norm eindeutig vorgeschrieben ist. Materiell unterschied sich dies allerdings nicht von der Lage unter Art. 24 Nr. 4 Brüssel Ia-VO, wenn man – wie die Rechtspraxis es tun muss – die Autorität des EuGH942 ernst nimmt und dieser folgt, sei es auch nur, um die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung zu wahren. Art. 22 Nr. 4 LugÜbk 2007 schnitt, will man normtreu sein, de conventione lata jeden Widerspruch ab und ließ nur de conventione ferenda Spielraum, dass sich eine andere Lösung durchsetzen könnte.
231
Allerdings besteht eine Divergenz zwischen Nr. 4 Unterabs. 2 und Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 2 LugÜbk 2007. Denn Art. 22 Nr. 4 Unterabs. 2 LugÜbk 2007 hat die Lösung aus GAT vs. LuK ausweislich der Schlussworte „unabhängig davon, ob die Frage klagweise oder einredeweise aufgeworfen wird“ auch für seinen Unterabs. 2 kodifiziert, während Nr. 4 Unterabs. 2 dies nicht tut.
IX. SchKG-Verfahren nach schweizerischem Recht und Art. 22 Nr. 5 LugÜbk 2007 232
Im Gerichtsstand des Nr. 5 bzw. des Art. 22 Nr. 5 LugÜbk 2007 können deutsche Parteien auch vor ausländische Gerichte zitiert werden. Daher kann auch für sie der in der Schweiz herrschende Streit von Bedeutung werden, ob die sog. provisorische Rechtsöffnung nach Art. 82 SchKG (auf der Grundlage, dass mindestens eine öffentliche943 oder vom Schuldner unterschriebene Urkunde vorgelegt wird, aus welcher die Anerkennung einer Schuld durch den Schuldner hervorgeht) unter Art. 22 Nr. 5 LugÜbk 2007 fällt944 oder nicht945 (oder gar ganz aus dem LugÜbk 2007 herausfällt946).
233
Das BG argumentiert für die Einbeziehung unter Art. 22 Nr. 5 LugÜbk 2007, dass der Rechtsöffnungsrichter nicht über den Bestand der in Beitreibung gesetzten Forderung entscheide, sondern nur über deren Vollstreckbarkeit.947 Ziel sei nicht, über die Existenz der Forderung, sondern über jene eines Vollstreckungstitels zu entscheiden, wobei materiell-rechtliche Punkte bloße Vorfragen blieben.948
234
Zutreffend ist trotzdem die verneinende Ansicht, denn die provisorische Rechtsöffnung ist – anders als die definitive Rechtsöffnung – kein eigentliches Zwangsvollstreckungsverfahren, sondern im Kern ein erst titelschaffendes Erkenntnisverfahren, in welchem über eine Urkundsanerkennung der materielle Bestand der geltend gemachten Forderung summarisch, aber vollinhaltlich geprüft wird.949 Zwar finden sich Momente eines Vollstreckungsverfahrens, jedoch dominieren die Momente eines Erkenntnisverfahrens. Funktionale Betrachtung muss Vorrang vor formellen Bezeichnungen aus dem Dispositiv des Rechtsöffnungsurteils haben.950 942 EuGH v. 13.7.2006 – C-4/03, ECLI:EU:C:2006:457 Rz. 21-31 – GAT vs. LuK. 943 Zu der Spezialfrage, ob eine nicht-schweizerische öffentliche Urkunde wegen Art. 50 LugÜ 1988 bereits ein definitiver, kein provisorischer Rechtsöffnungstitel ist, eingehend Visinoni-Meyer, FS Spühler (2004) 419 mit umfassenden Nachweisen. 944 So BGE 136 III 566; ObG Luzern SchwJZ 1998, 368; Vouilloz, SchwJZ 1996, 33; Spühler/Infanger in Spühler (Hrsg.), Aktuelle Probleme des nationalen und internationalen Zivilprozessrechts (2000) 121 f. 945 So ObG Zürich BlZürchRspr. 102 (2003) Nr. 1 S. 1; Cour de justice civile Genève SZIER 1994, 397, SZIER 1994, 407 und SZIER 1997, 358, jeweils m. abl. Anm. Volken; Trib. cant. valaisan SZIER 1995, 24 m. Anm. Volken; BezG See SZIER 1994, 424 m. Anm. Volken; Kantonsgerichtsausschuss Graubünden PKG 1997 Nr. 10 S. 82 und PKG 1999 Nr. 19 S. 67; BezG Zürich BlZürchRspr. 97 (1998) Nr. 14 S. 44; ZivG Basel-Stadt BJM 1998, 211, 213; Rekurskommission des Kantons Thurgau RBOG 1999 Nr. 21 S. 145; Präs. BezG Arlesheim SZIER 1995, 43 m. Anm. Volken; Meier in Schwander (Hrsg.), Das Lugano-Übereinkommen (1990) 202; Stoffel, FS Vogel (1991) 357, 379; Volken, RVJ 1992, 121, 139; Staehelin, AJP 1995, 259, 275; Kaufmann-Kohler, Sem. jud. 117 (1995) 537, 551, 558; Markus, ZBJV 131 (1995) 323; Markus, 66 ff.; Markus, ZZP Int 15 (2010) 251, 257–261; Stücheli, Die Rechtsöffnung (2000) 45 ff.; Schwander, FS 75 Jahre Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz (2000) 373, 382; Weibel, BJM 2004, 169, 171 f.; I. Meier/Sogo, FS Schlosser (2005) 579, 585 f.; Acocella, FS Schwander (2011) 643, 649–651, 654–656; Donzallaz, FS Schwander (2011) 683, 684. 946 So Trib. app Lugano SZIER 1997, 353 m. zust. Anm. Volken; Trib. cant. valaisan SZIER 1996, 95 m. zust. Anm. Volken; eingehende Begründung des richtigen gegenteiligen Ergebnisses bei Markus, 132 ff. 947 BGE 136 III 566 E 3.3. 948 BGE 136 III 566 E 3.3. 949 Nachdrücklich BezG Zürich BlZürchRspr. 97 (1998) Nr. 14 S. 44 f.; Kaufmann-Kohler, Sem. jud. 117 (1995) 551, 559; Markus, 131; I. Meier/Sogo, FS Schlosser (2005) 579, 585 f., 590.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 24 Brüssel Ia-VO
Man könnte versucht sein, von einem ersatztitelschaffenden Verfahren zu sprechen, bei dem ein eigentliches Erkenntnisverfahren nachgeholt wird.951 Art. 22 Nr. 5 LugÜbk 2007 will aber keinen Vermögensgerichtsstand für die Titulierung von Forderungen in Erkenntnisverfahren schaffen.952 Die provisorische Rechtsöffnung ähnelt funktionell einem Mahnverfahren.953
235
Nach schweizerischem Recht bilden provisorische Rechtsöffnung und (spezifische) Aberkennungs- 236 klage nach Art. 83 Abs. 2 SchKG ein symbiotisches Duo,954 so dass auch die Aberkennungsklage nicht unter Art. 22 Nr. 5 LugÜbk 2007 fällt.955 Dies gilt umso mehr, weil das Urteil über die Aberkennungsklage sogar, anders als die provisorische Rechtsöffnung, in materielle Rechtskraft erwächst. Das Aberkennungsverfahren ist ein rein materiell-rechtliches Verfahren,956 in seinen Wirkungen vom eigentlichen Betreibungsverfahren getrennt957 und jedenfalls kein Rechtsbehelf im eigentlichen Sinn zur provisorischen Rechtsöffnung.958 Sie ist weder bloße zweite Phase des Betreibungsverfahrens959 noch der Vollstreckung inzident.960 Auf verschiedenen Wegen, namentlich über Art. 6 Nr. 3 LugÜbk 2007 (Aberkennungsklage als negati- 237 ve Feststellungswiderklage961), gegebenenfalls auch analog,962 perpetuatio fori mit Umkehrung der Parteirollen oder Art. 24 LugÜbk 2007 wird aber versucht, die Zuständigkeit für die Aberkennungsklage im Ergebnis (auch) zum Forum der provisorischen Rechtsöffnung zu ziehen.963 Schon die Möglichkeit einer abweichenden Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 LugÜbk 2007, wie sie sich bei richtiger Nichtanwendung des Art. 22 Nr. 5 LugÜbk 2007 auf die Aberkennungsklage notwendig ergibt, zerstört indes die Zielsetzung, die Aberkennungsklage als negative Feststellungsklage nur in der Schweiz zuzulassen.964 Gleichermaßen sind die negative Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG und die Rückforderungsklage nach Art. 86 SchKG als Erkenntnisverfahren einzuordnen, die als titelschaffende Verfahren nicht unter Art. 22 Nr. 5 LugÜbk 2007 fallen.965
238
Die definitive Rechtsöffnung nach Art. 83 Abs. 3 SchKG dagegen ist ein Vollstreckungsverfahren, 239 denn sie wandelt nur die zuvor erfolgte provisorische Rechtsöffnung um, ohne dass eine weitere materielle Prüfung erfolgte.966
950 Markus, ZZP Int 15 (2010) 251, 259 unter Hinweis auf das Spannungsverhältnis zwischen BGE 136 III 566 E 3.3 und BGE 136 III 583 E 2.2. 951 Siehe Acocella, FS Schwander (2011) 643, 649 sowie Markus, ZZP Int 15 (2010) 251, 261. 952 Oberhammer, ZZP Int 9 (2004) 219, 226 f.; Markus, ZZP Int 15 (2010) 251, 260 f. 953 Markus, 33 ff.; Markus, ZZP Int 15 (2010) 251, 262. 954 Konzise Darstellung des Verfahrens bei Oberhammer, ZZP Int 9 (2004) 219, 229. 955 Siehe nur BGE 130 III 285, 291 f.; BGE 136 III 566 E 3.3; ObG Zürich BlZürchRspr. 102 (2003) Nr. 1 S. 3 f.; I. Meier/Sogo, FS Schlosser (2005) 579, 586; Oberhammer, ZZP Int 9 (2004) 219, 239 f.; Acocella, FS Schwander (2011) 643, 656–658; kritisch Markus, AJP 2006, 366; Donzallaz, FS Schwander (2011) 683, 690 f.; weitere umfassende Nachweise bei Oberhammer, ZZP Int 9 (2004) 219, 228 Fn. 42. 956 BGE 83 III 75, 77; BGE 129 III 378; Weibel, BJM 2004, 169, 174. 957 BGE 83 III 75, 77; BGE 118 III 40; BGE 119 II 77, 81; BGE 129 III 378. 958 Weibel, BJM 2004, 169, 175. 959 Oberhammer, ZZP Int 9 (2004) 219, 242. 960 BGE 129 III 378; Jametti Greiner, ZBJV 141 (2005) 55, 57. 961 Mit dem kaum überwindbaren Problem, dass über die „Hauptklage“ schon entschieden wäre, bevor die „Widerklage“ anhängig würde; Oberhammer, ZZP Int 9 (2004) 219, 237. 962 Dafür Markus, 142. 963 Überblick bei ObG Zürich BlZürchRspr. 102 (2003) Nr. 1 S. 3 m.w.N.; Weibel, BJM 2004, 169, 173 (im Übrigen i.E. kritisch 176–186); Oberhammer, ZZP Int 9 (2004) 219, 231 f. 964 Weibel, BJM 2004, 169, 187 f.; Oberhammer, ZZP Int 9 (2004) 219, 233. 965 Stoffel, FS Vogel (1991) 357, 375; Tenchio, Feststellungsklagen und Feststellungsprozess nach Art. 85a SchKG (1999) 151 ff.; I. Meier/Sogo, FS Schlosser (2005) 579, 592–595; Sogo, IPrax 2006, 144, 147; Acocella, FS Schwander (2011) 643, 658 f. (differenzierend 659 f.). 966 Siehe nur Kaufmann-Kohler, Sem. jud. 117 (1995) 539; Staehelin, AJP 1995, 259, 274; Donzallaz, Rz. 6385; Oberhammer, ZZP Int 9 (2004) 219, 225 f. m.w.N.; Kropholler/von Hein, Art. 22 EuGVO Rz. 64 sowie BGE 124 III 505; BGH v. 22.1.2009 – IX ZB 42/06, MDR 2009, 584; Präs. BezG Arlesheim, SZIER 1995, 42 = BJM 1994, 317.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 240
Für den Zahlungsbefehl war unter dem LugÜbk 1988 dessen Entscheidungsqualität zweifelhaft, weil er nicht von einem Gericht stammte, sondern nur von einer Verwaltungsbehörde. Art. 62 LugÜbk 2007 beseitigt diese Zweifel und erstreckt „Gericht“ auf jede Behörde, die von einem Vertragsstaat des LugÜbk 2007 als für die in den Anwendungsbereich des LugÜbk 2007 fallenden Rechtsgebiete zuständig bezeichnet worden ist. Maßgeblich ist nicht die Bezeichnung, sondern die ausgeübte Funktion.967 Die Schlagrichtung ist eindeutig und eine teleologische Reduktion für den schweizerischen Zahlungsbefehl nicht anzunehmen.968
Abschnitt 7 Vereinbarung über die Zuständigkeit
Artikel 25 [Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen] (1) Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden: a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung, b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten. (2) Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt. (3) Ist in schriftlich niedergelegten Trust-Bedingungen bestimmt, dass über Klagen gegen einen Begründer, Trustee oder Begünstigten eines Trust ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats entscheiden sollen, so ist dieses Gericht oder sind diese Gerichte ausschließlich zuständig, wenn es sich um Beziehungen zwischen diesen Personen oder ihre Rechte oder Pflichten im Rahmen des Trust handelt. (4) Gerichtsstandsvereinbarungen und entsprechende Bestimmungen in Trust-Bedingungen haben keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften der Artikel 15, 19 oder 23 zuwiderlaufen oder wenn die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig sind. (5) Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrags ist, ist als eine von den übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln. Die Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung kann nicht allein mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass der Vertrag nicht gültig ist. I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . a) Unabhängigkeit von den Wohnsitzen der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 8
b) Prorogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vereinbarung der Zuständigkeit eines drittstaatlichen Gerichts . . .
967 Pocar-Bericht Nr. 175. 968 Acocella, FS Schwander (2011) 643, 652. A.A. Kren Kostkiewicz/Rodriguez, Jusletter 26.4.2010 Rz. 50 ff.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 240
Für den Zahlungsbefehl war unter dem LugÜbk 1988 dessen Entscheidungsqualität zweifelhaft, weil er nicht von einem Gericht stammte, sondern nur von einer Verwaltungsbehörde. Art. 62 LugÜbk 2007 beseitigt diese Zweifel und erstreckt „Gericht“ auf jede Behörde, die von einem Vertragsstaat des LugÜbk 2007 als für die in den Anwendungsbereich des LugÜbk 2007 fallenden Rechtsgebiete zuständig bezeichnet worden ist. Maßgeblich ist nicht die Bezeichnung, sondern die ausgeübte Funktion.967 Die Schlagrichtung ist eindeutig und eine teleologische Reduktion für den schweizerischen Zahlungsbefehl nicht anzunehmen.968
Abschnitt 7 Vereinbarung über die Zuständigkeit
Artikel 25 [Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen] (1) Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden: a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung, b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder c) im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten. (2) Elektronische Übermittlungen, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglichen, sind der Schriftform gleichgestellt. (3) Ist in schriftlich niedergelegten Trust-Bedingungen bestimmt, dass über Klagen gegen einen Begründer, Trustee oder Begünstigten eines Trust ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats entscheiden sollen, so ist dieses Gericht oder sind diese Gerichte ausschließlich zuständig, wenn es sich um Beziehungen zwischen diesen Personen oder ihre Rechte oder Pflichten im Rahmen des Trust handelt. (4) Gerichtsstandsvereinbarungen und entsprechende Bestimmungen in Trust-Bedingungen haben keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften der Artikel 15, 19 oder 23 zuwiderlaufen oder wenn die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig sind. (5) Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrags ist, ist als eine von den übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln. Die Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung kann nicht allein mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass der Vertrag nicht gültig ist. I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . a) Unabhängigkeit von den Wohnsitzen der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . .
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b) Prorogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vereinbarung der Zuständigkeit eines drittstaatlichen Gerichts . . .
967 Pocar-Bericht Nr. 175. 968 Acocella, FS Schwander (2011) 643, 652. A.A. Kren Kostkiewicz/Rodriguez, Jusletter 26.4.2010 Rz. 50 ff.
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Kap. II: Zuständigkeit
2. 3. 4.
5.
bb) Vereinbarung der Zuständigkeit von Gerichten . . . . . . . . . . . . Internationalität durch Drittstaatenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reine Inlandssachverhalte . . . . . . . . . Keine materielle Nichtigkeit nach der lex fori prorogati . . . . . . . . . . . . . . . a) Verweisung auf die lex fori prorogati . . aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . bb) Gesamtverweisung . . . . . . . . . cc) Vermutung zugunsten der materiellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . b) Materielle Nichtigkeit . . . . . . . . . . aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . bb) Nicht: Konsens . . . . . . . . . . . cc) Rechts- und Handlungsfähigkeit . dd) Stellvertretung . . . . . . . . . . . . ee) Nicht: Prorogations- und Derogationsverbote . . . . . . . . . . . . . Isolierter Derogationsvertrag . . . . . . .
II. Abschließende Regelung der Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen durch Art. 25 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1, Abs. 4 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prorogations- und Derogationsverbote . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . b) Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . c) Transportrecht . . . . . . . . . . . . . . 2. Freie Wahl ohne Rechtfertigungszwang . 3. Missbrauchskontrolle im Einzelfall? . . . 4. Kein eigener persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verhältnis von Gerichtsstandsvereinbarung und Hauptvertrag . . . . . . . . . a) Unabhängigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung vom Hauptvertrag (Abs. 5) . b) Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . 6. Keine volle Kompetenz-Kompetenz des prorogierten Gerichts . . . . . . . . . . . . III. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schriftliche Vereinbarung (Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mündliche Vereinbarung mit schriftlicher Bestätigung (sog. halbe Schriftlichkeit) (Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 2) . . . . . 3. Entsprechung zu zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten (Abs. 1 S. 3 lit. b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entsprechung zu internationalem Handelsbrauch (Abs. 1 S. 3 lit. c) . . . . . a) Handelsbrauch . . . . . . . . . . . . . . b) Subjektives Moment . . . . . . . . . . . c) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Elektronische Form (Abs. 2) . . . . . . . . IV. Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 27 30 36 36 36 45 56 57 57 63 67 71 74 80
81 82 82 86 94 97 99 106 109 109 119 121 123 127
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164 177 177 189 192 197 214
Art. 25 Brüssel Ia-VO
1. Konsensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rückgriff auf das anwendbare materielle Recht für komplexere Fragen . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsnachfolger . . . . . . . . . . . . . c) Vertretungsaspekte und Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . e) Schuldübernahme und Vertragsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Stellvertreter . . . . . . . . . . . . . . . . g) Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . h) Bindung weiterer Dritter . . . . . . . . . i) Mehrheit von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestimmtheitserfordernis . . . . . . . . . a) Bestimmtes Rechtsverhältnis . . . . . . b) Bestimmtes Gericht . . . . . . . . . . . .
214
V. Besondere Fallgruppen . . . . . . . . . . . 1. Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbraucher-, Arbeits- und Versicherungsverträgen (Abs. 4; Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtsstandsvereinbarungen in trustBedingungen (Abs. 3) . . . . . . . . . . . . 3. Gerichtsstandsklauseln in Gesellschaftsverträgen und -satzungen . . . . . . . . . 4. Gerichtsstandsklauseln in Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gerichtsstandsklauseln in Konnossementen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aufhebung oder Änderung einer Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . .
296
VI. Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzlich ausschließlicher Gerichtsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachliche Reichweite einer Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . a) Erfasste Ansprüche . . . . . . . . . . . . b) Widerklage . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . 3. Aufrechnungsausschluss . . . . . . . . . . 4. Wirkungen gegenüber Dritten . . . . . . . a) Grundsatz: Relativität, keine Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . c) Rechtsnachfolger . . . . . . . . . . . . . d) Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Direktansprüche in Vertragsketten . . . f) Vertraglicher Beförderer, ausführender Beförderer und Kunde im Transportrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Streitverkündungen . . . . . . . . . . . 5. Vorrang bei Litispendenz nach Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . 6. Schadensersatz wegen Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen? . . . . . .
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237 237 244 250 252 256 258 259 263 268 276 276 283
296 298 309 320 324 335 338 338 358 358 376 377 379 383 383 386 387 388 389 396 398 399 404
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 7. Vereinbarung materieller Kostenerstattungsansprüche für die Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . 8. Vereinbarung von Vertragsstrafen für die Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Standardisierte Musterklauseln? . . . . .
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VII. Intertemporale Fragen . . . . . . . . . . . VIII. Verhältnis zum Haager Gerichtsstandsvereinbarungsübereinkommen nach dessen Inkrafttreten . . . . . . . . . . . . . IX. Abweichungen unter Art. 23 LugÜbk 2007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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431 450
Schrifttum: Abendroth, Parteiautonome Zuständigkeitsbegründung im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2016); Abendroth, Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Kreditgeschäft, WM 2017, 1786; Addis, La conferma per iscritto della proroga verbale di competenza (art 17 della Convenzione di Bruxelles), Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 831; Affaki/Grigera Naón (Hrsg.), Jurisdictional Choices in Times of Trouble (2015); Ishfaq Ahmed, Jurisdiction agreements, declarations, damages and compatibility with Regulation 44/2001, [2014] JIBFL 705; Ishfaq Ahmed, Marzillier and the enforcement of exclusive English jurisdiction clauses, [2017] BJIBFL 410; Ishfaq Ahmed/Dinsmore, The strengthening of jurisdiction agreements following Brussels Reg (Recast) and the impact of Brexit, [2017] BJIBFL 476; Mukarrum Ahmed, The enforcement of settlement and jurisdiction agreements and parallel proceedings in the European Union: the Alexandros T litigation in English courts, (2015) 11 JPrIL 406; Mukarrum Ahmed, The Nature and Enforcement of Choice of Court Agreements (2017), zitiert: M. Ahmed; Mukarrum Ahmed, The Legal Regulation and Enforcement of Asymmetric Jurisdiction Agreements in the European Union, Eur. Bus. L. Rev. 28 (2017) 403; Mukarrum Ahmed/Beaumont, Exclusive choice of court agreements: some issues on the Hague Convention on Choice of Court Agreements and its relationship with the Brussels I Recast, especially anti-suit injunctions, concurrent proceedings and the implications of Brexit, (2017) 13 JPrIL 386; Álvarez González, The Spanish Tribunal Supremo Grants Damages for a Breach of a Choice-of-Court Agreement, IPRax 2009, 529; Bertrand Ancel, La clause attributive de juridiction selon l’art 17 de la Convention de Bruxelles, Riv. dir. int. 1990, 263; M.-É. Ancel, L’internationalité à la lumière de la convention d’electio fori, in: Mélanges Jacques Foyer (2008) 21; M.-É. Ancel/Marion, Clauses d’élection de for: le parcours du combattant, JCP E 2016.1087; M.-É. Ancel/Marion/Wynaendts, Reflections on One-Sided Jurisdiction Clauses in International Litigation, Banque & dr n° 148, mars-avril 2013, 3; P. Ancel/Cuniberti, One Sided Jurisdiction Clauses – A Casenote on Rothschild, J. trib. Luxembourg 2013, 7; Antomo, Das auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach § 38 ZPO anwendbare Recht, ZZP Int 17 (2012) 183; Antomo, Zum Verhältnis zwischen § 89b HGB sowie anderen Eingriffsnormen und internationalen Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, IHR 2013, 225; Antomo, Aufwind für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen – Inkrafttreten des Haager Übereinkommens, NJW 2015, 2919; Antomo, Schadensersatz wegen der Verletzung einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung (2017), zitiert: Antomo; Antomo, Verfahren im ausländischen forum derogatum, Schadensersatz im inländischen forum prorogatum – gerechter Ausgleich der Interessen oder ungerechtfertigter Eingriff in fremde Hoheitsbefugnisse, in: Gössl (Hrsg.), Politik und Internationales Privatrecht (2017) 75; Antomo, Verleitung zum Bruch einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung – deliktischer Schadensersatz und EuGVVO-Erfolgsort?, ZEuP 2018, 261; Antón Juárez, El litisconsorcio pasivo, la validez de la sumisión expresa y la noción de materia contractual en el sector financier, Cuad Der Trans 8 (2) (2016) 349; Arrue Montenegro, L’autonomie de la volonté dans le conflit de juridictions (2011); Attal, Union europénne et convention de La Haye de 2005 sur le accords d’élection de for: vers un droit communautaire de source non-communautaire, D 2009, 2379; Attal, Non-transmissibilité des clauses attributives de juridiction dans les groupes de contrats: le nouvel échec de la conception française dans les situations internationales?, JClP (E) N° 23, 6 juin 2013, 37; B. Audit, Observations sur la convention de La Haye du 30 juin 2005 relative aux accords d’élection de for, in: Mélanges Hélène Gaudemet-Tallon (2008) 171; Aull, Der Geltungsanspruch des EuGVÜ: „Binnensachverhalte“ und Internationales Zivilverfahrensrecht in der Europäischen Union (1996); zitiert: Aull; Aull, Internationale Gerichtsstandsvereinbarung bei gemeinsamem Sitz der Parteien in einem Vertragsstaat, JbItalR 2 (1989) 157; Aull, Zur isolierten Prorogation nach Art. 17 Abs. 1 LugÜ, IPRax 1999, 226; d’Avout, Pour une réhabilitation des clauses attributives de jurisdiction dissymétriques, JCP G 2015, 995; Baatz, Who Decides on Jurisdiction Clauses? [2004], LMCLQ 25; Barnett, Choices, Choices: Domestic Courts versus International Fora – A Commerce Perspective, 17 Tulane J. Int’l & Comp. L. 435 (2009); Basedow, Das forum conveniens der Reeder im EuGVÜ, IPRax 1985, 133; Basedow, Exclusive Choice-of-Court Agreements as a Derogation from Imperative Norms, in: Essays in honour of Michael Bogdan (2013) 15; Basedow, Zuständigkeitsderogation, Eingriffsnormen und ordre public, in: FS Ulrich Magnus (2014) 337; Baumgärtel, Die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit nach dem EWG-Übereinkommen vom 27. September 1968 und nach § 38 Abs. 2 ZPO, in: FS Gerhard Kegel (1977) 285; Beale/Clayson, One-Way Jurisdiction Clauses: A One-Way Ticket to Anywhere?, [2013] J.I.B.L.R. 463; Beaumont, Hague Choice of Court Agreements Convention 2005: Background, Negotiations, Analysis and Current Status, (2009) 5 JPrIL 125; Beaumont/Yüksel, La reforma del Reglamento Bruselas I sobre acuerdos de sumisión y la preparación para la ratificación por la UE del Convenion de La Haya sobre acuerdos de elección de foro, AEDIPr 2009, 129; Beaumont/Yüksel, The Validity of Choice of Court Agreements under the Brussels I Regulation and the Hague Choice of Court Agreement Convention, in: Liber amicorum Kurt Siehr
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Kap. II: Zuständigkeit
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(2017) 405; Torres Vouga, O novo regime jurídcio dos pactos de jurisdição (à luz do artigo 25. do Regulamento Bruxelas I revisto (Regulamento (UE) n. 1215/2012, de 12 de Dezembro de 2012), Rev Centro de Estudos Judiciários 2018-I, 65; Treppoz, De la difficulté de rédiger une clause attributive de jurisdiction, Rev. contrats 2016, 282; Tretthahn/Hiersche, How to dismantle an Italian Torpedo, ÖJZ 2014, 57; Usunier, La Convention de La Haye du 20 juin 2005 sur les accords d’élection de for – Beaucoup de bruit pour rien?, Rev crit 109 (2010) 27; Usunier, Le droit applicable à la validité des clauses attributives de juridcition en vertu de l’article 25 § 1 due règlement Bruxelles Ibis, in: Affaki/Grigera Naón (dir), Jurisdictional Choices in Times of Trouble (2015) 158; Usunier, Valse-hésitation à la Cour de cassation à propos du sort des clauses attributives de juridiction dissymétriques, RTDCiv 2015, 844; Usunier, La compétence des juridictions françaises pour connaître du différend entre le réseau social Facebook et l’un de ses membres, RTDCiv 2016, 310; Vanfraechem, Forumkeuze middels moderne communicatiemiddelen en mits betuttelende voorwaarden?, in: Liber amicorum Johan Erauw (2014) 249; Villata, Clausola di proroga della giurisdizione e negozi collegati, Riv. dir. proc. 2008, 1142; Villata, L’attuazione degli accordi di scelta del foro nel regolamento Bruxelles I (2012); Villata, Choice-ofCourt Agreements in Favour of Third States Jurisdiction in Light of the Suggestions by Members of the European Parliament, in: Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (Padova 2012) 219; Villata, Choice-of-Courts Agreements and „Third Parties“ in light of Refcomp and beyond, in: Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? 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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
saga judiciaire sur l’opposabilité de la clause attributive de juridiction insérée au connaissement, Rev. Scapel 2013, 111; Zilinsky, Inroepbaarheid van een forumkeuzebeding door de bestuurders van een vennootschap: derdenwerking van een forumkeuzebeding, NIPR 2018, 263.
I. Anwendungsbereich 1. Grundsätzliches Art. 25 Brüssel Ia-VO ist die für den internationalen Handelsverkehr wichtigste Bestimmung der 1 Brüssel Ia-VO1 und hat überragende Bedeutung, die sich bei der Vorgängernorm Art. 23 Brüssel I-VO in einer Vielzahl von Entscheidungen und Auslegungsstreitigkeiten niederschlägt. Gerichtsstandsvereinbarungen (oder allgemeiner konsentierte Streitbeilegungsmechanismen) gehören zu einem vorausdenkenden Risikomanagement insbesondere in grenzüberschreitenden Verträgen zwischen Unternehmen.2 Sie sind das Instrument für litigation planning, forum fixing und litigation management.3 Sie verhindern forum shopping4 (soweit sich dies mit vertraglichen Mitteln überhaupt verhindern lässt). Sie sollen Kalkulierbarkeit und Rechssicherheit schaffen.5 Sie beruhen im guten, durchdachten Fall auf vielschichtigen und komplexen Überlegungen, die eine Vielzahl verschiedener Faktoren bei Ob, Wie und Auswahl berücksichtigen.6 Art. 25 Brüssel Ia-VO ist indes nicht auf Handelssachen beschränkt, sondern gilt für alle Zivil- und Handelssachen i.S.v. Art. 1, es sei denn, diese fielen unter Art. 24 Brüssel Ia-VO.7 Im Zuständigkeitssystem der Brüssel Ia-VO ist Art. 25 Brüssel IaVO eine zentrale Norm.8 Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung zu beachten ist, steht nicht im Ermessen des angerufenen Gerichts, sondern ist eine gebundene Rechtsentscheidung aufgrund von Art. 25 Brüssel Ia-VO, einer für Gerichte zwingenden Norm.9 Es gibt auch bei Gerichtsstandsvereinbarungen für die Mitgliedstaaten keine Doktrin vom forum non conveniens.10
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Art. 25 Brüssel Ia-VO steht in der Hierarchie der normalen Gerichtsstände an zweiter Stelle und weicht nur den objektiven ausschließlichen Gerichtsständen aus Art. 24 Brüssel Ia-VO (sowie gegebenenfalls einer rügelosen Einlassung unter Art. 26 Brüssel Ia-VO). Der allgemeine Gerichtsstand aus Art. 4 Brüssel Ia-VO und die besonderen Gerichtsstände aus Art. 7; 8 Brüssel Ia-VO stehen unter ihm und werden von ihm derogiert.11 Rechtfertigung dafür sind der Wille der Parteien und dessen gesetz-
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1 Ebenso GA Szpunar, Schlussanträge v. 7.4.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 29; Thode, jurisPR-PrivBauR 5/2012 Anm. 1 sub A; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 5. 2 Siehe nur Brödermann, FS Martiny, 2014, 1045, 1059 f. 3 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 11; M. Weller, GPR 2012, 34, 39; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461 (461); Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 2 (2016); Danelzik, 118. 4 Siehe nur Dostal, EuZW 2018, 944, 946; Mankowski, JZ 2019, 141; Calvo Caravaca/Suderow, Cuad. Der. Trans. 11 (2) (2019) 439, 443. 5 GA Szpunar, Schlussanträge v. 7.4.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 29; GA Wahl, Schlussanträge v. 5.7.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:541 Rz. 29; Mankowski, IPRax 2009, 23 (23); E. Peiffer, 14. 6 Siehe nur Brödermann, FS Martiny, 2014, 1045, 1053–1055. 7 Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels I Regulation (2. Aufl. 2012) Art. 23 Brussels I Regulation Rz. 19. 8 GA Wahl, Schlussanträge v. 5.7.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:541 Rz. 29. 9 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 45. 10 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 46; Abendroth, 193–196. 11 Siehe nur EuGH v. 14.12.1976 – 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 Rz. 7 – Estasis Salotti di Colzani Aimo u. Gianmario Colzani Snc vs. RÜWA Polstereimaschinen GmbH; EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C: 2015:335 Rz. 59, 61 – Cartel Damages Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV; EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16 – Georgios Leventis u. Nikolas Vafeias vs. Malcon Navigation Co Ltd. u. Brave Bulk Transport Ltd. ECLI:EU:C:2017:497 Rz. 39 f.; EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 Rz. 24 – Saey Home & Garden NV/SA vs. Lusavouga-Máquinas e Accessórios Industriais SA; GA Szpunar, Schlussanträge v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 29; BGH v. 26.3.2019 – XI ZR 228/17, ZIP 2019, 1160 Rz. 25; Cass., CCC 2017 comm. 247 m. Anm. Mathey; Cassaz., Dir. mar. 2002, 634; Cassaz. v. 31.7.2018 – n 20439: Cassaz., Dir. mar. 2019, 591; Hof Gent RW 2016-17, 543, 544; LG Dortmund v. 29.4.2013 – 13 O (Kart) 23/09, WuW 2013, 872; Mankowski, TranspR 2009, 303, 306; W.-H. Roth, IPRax 2016, 318, 325; Mankowski, TranspR 2018, 221, 228; Lopez de Gonzalo, Dir. mar. 2019, 592; Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 2019, 471 f.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen liche Anerkennung.12 Vertragsfreiheit und Parteiautonomie genießen Vorrang selbst vor Zuständigkeitskonzentration und Prozessökonomie, wie Art. 8 Brüssel Ia-VO sie verfolgt.13 Art. 25 Brüssel IaVO belegt, dass die Zuständigkeitsnormen der Brüssel Ia-VO grundsätzlich (d.h. soweit es keine Ausnahme von Art. 25 Brüssel Ia-VO gibt) nicht zum ordre public des Unionsrechts gehören;14 das lässt sich noch deutlicher Art. 45 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO entnehmen. 4
Art. 25 Brüssel Ia-VO gilt nur für Gerichtsstandsvereinbarungen, d.h. die parteiautonome, konsensuale Vereinbarung eines Forums ein Erkenntnisverfahren; dagegen gilt er nicht für Vollstreckungsvereinbarungen, mit denen die Parteien Vollstreckungsvoraussetzungen vertraglich zu modfizieren versuchen.15
5
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass überhaupt eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wurde, trifft ebenso denjenigen, der sich auf eine Gerichtsstandsvereinbarung beruft,16 wie die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO tatsächlich gegeben sind17 oder dass Konsens zwischen den Parteien besteht.18 Insoweit bestehen autonom-europäische Maßstäbe19 ohne Verweisung auf nationales Recht;20 die Beweislast richtet sich nicht nach der jeweiligen lex fori.21 Behauptet jemand, eine Gerichtsstandsvereinbarung sei über AGB zustandegekommen, so hat er die Beweislast dafür, dass Konsens über diese AGB bestand und dass jene AGB dem Gegner des Verwenders zur Verfügung standen.22 Ihn trifft auch die Beweislast dafür, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für einen der Formtatbestände des Abs. 1 S. 3 vorliegen,23 z.B. dass es eine Gepflogenheit unter Abs. 1 S. 3 lit. b gibt.24 Sofern eine der Parteien geltend macht, eine Gerichtsstandsvereinbarung sei unwirksam nach Art. 15; 19; 23 Brüssel Ia-VO, hat sie die Beweislast dafür, dass das entsprechende Schutzregime einschlägig ist.25 12 Siehe nur EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 Rz. 26 – Jaouad El Majdoub vs. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH; EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 Rz. 24 – Profit Investment SIM SpA vs. Stefano Ossi u.a.; EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 Rz. 44 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services; EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 Rz. 33 – Georgios Leventis u. Nikolas Vafeias vs. Malcon Navigation Co Ltd. u. Brave Bulk Transport Ltd.; GA Jääskinen, Schlussanträge v. 11.12.2014 – C-352/13, ECLI:EU:C:2014:2443 Rz. 105–108; GA Wahl, Schlussanträge v. 5.7.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:541 Rz. 87; BGH v. 26.3.2019 – XI ZR 228/17, ZIP 2019, 1160 Rz. 30. 13 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 11.12.2014 – C-352/13, ECLI:EU:C:2014:2443 Rz. 107. 14 GA Wathelet, Schlussanträge v. 4.12.2014 – C-536/14, ECLI:EU:C:2014:2414 Rz. 183. 15 Loyal, GPR 2018, 63, 65. 16 ÖstOGH, JBl 2001, 327 LS = ZfRV 2001, 113; östOGH, ZfRV 2006, 70, 71; Klöckner & Co AG v. Gatoil Overseas Ltd. [1990] 1 Lloyd’s Rep. 77 (Q.B.D., Hirst J.); Hewden Tower Cranes Ltd. v. Wolffkran GmbH [2007] 2 Lloyd’s Rep. 138, 145 (Q.B.D., Jackson J.); Polskie Ratownictwo Okretowe v. Rallo Vito & C SNC [2009] ILPr 922, 930 (Q.B.D., Hamblen J.); Chester Hall Precision Engineering Ltd. v. Service Centres Aero France [2014] EWHC 2529 (Q.B.), [2014] ILPr 548 [5] (Q.B.D., Slade J.); LG Augsburg, IPRspr. 2010 Nr. 189 S. 476; Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2017, 977, 978 f.; Boglione, Assicurazioni 2008 II/2 41, 46; Hohmeier, IHR 2014, 217, 223; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 174; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 39; Mankowski, LMK 2018, 406706. 17 Siehe nur östOGH, ZfRV 2006, 70, 71; Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2001 Nr. 289 S. 480; Hof Arnhem NIPR 2008 Nr. 297 S. 553; Rb. Rotterdam, NIPR 2003 Nr. 119 S. 212; Rb. Rotterdam, NIPR 2003 Nr. 215 S. 327; Hewden Tower Cranes Ltd. v. Wolffkran GmbH [2007] 2 Lloyd’s Rep. 138, 145 (Q.B.D., Jackson J.); Rb. Roermond NIPR 2009 Nr. 45 S. 102; Thode, jurisPR-PrivBauR 5/2012 Anm. 1; Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels I Regulation (2. Aufl. 2012) Art. 23 Brussels I Regulation Rz. 173. 18 Bols Distilleries BV v. Superior Yacht Services [2007] 1 WLR 16, 20 (PC, opinion delivered by Lord Rodger of Earlsferry); Cassaz., Assicurazioni 2008 II/2 40, 57 f.; Joint Stock Company „Aeroflot Russian Airlines“ v. Berezovsky [2013] EWCA Civ 784, [2013] 2 Lloyd’s Rep. 242 [66] (C.A., per Aikens L.J.); Deutsche Bank AG v. Asia Pacific Broadband Wireless Communications Inc [2008] 2 Lloyd’s Rep. 177, 180 (Q.B.D., Flaux J.). 19 Mankowski, LMK 2018, 406706. 20 GA Szpunar, Schlussanträge v. 7.4.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 31. 21 So aber Joint Stock Company „Aeroflot Russian Airlines“ v. Berezovsky [2013] EWCA Civ 784, [2013] 2 Lloyd’s Rep. 242 [47] (C.A., per Aikens L.J.). 22 Vzngr. Rb. Utrecht NIPR 2006 Nr. 322 S. 471 f. 23 Siehe M. Stürner, ZEuP 2012, 353, 357; Hohmeier, IHR 2014, 217, 223. 24 CA Paris BTL 2019, 222, 223 f. = DMF 2019, 400, 403 f.; Vanfraechem, Liber amicorum Erauw (2014) 249, 263; Delebecque, DMF 2019, 405, 406. 25 WPP Holdings Italy srl v. Benatti [2006] 2 Lloyd’s Rep. 610, 620 (Q.B.D., Field J.).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Beruft sich keine Partei auf eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung, so wird das angerufene Gericht nach Art. 26 Brüssel Ia-VO kraft rügeloser Einlassung des Beklagten zuständig, welche die frühere Gerichtsstandsvereinbarung außer Kraft setzt.26 Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO gewährt Gerichtsstandsvereinbarung zwar besonderen Schutz, dies aber ausdrücklich nur unbeschadet des Art. 26 Brüssel Ia-VO, und erkennt so einen letztlichen Vorrang der rügelosen Einlassung an.27 Die rügelose Einlassung liegt zeitlich nach der ursprünglichen Gerichtsstandsvereinbarung. Wenn man die rügelose Einlassung denn – wie der EuGH – als stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung versteht,28 ersetzt die spätere Vereinbarung dann die frühere. Sie bedingt die frühere Vereinbarung ab29 (wie auch eine spätere Gerichtsstandsvereinbarung jenseits der Einlassung eine frühere Gerichtsstandsvereinbarung abbedingt, soweit sich beide widersprechen30). Das sind einfache Konsensmaßstäbe. Sie gelten unabhängig davon, ob die frühere Gerichtsstandsvereinbarung ein mitgliedstaatliches oder ein drittstaatliches Gericht prorogierte.31
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Ein Gericht ist nicht gehalten, von Amts wegen zu prüfen, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt.32 Dagegen muss es von Amts wegen prüfen, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung wirksam ist, auf die sich mindestens eine Partei beruft.33 Art. 25 Brüssel Ia-VO greift nur, wenn die Brüssel Ia-VO sachlich anwendbar ist. Insoweit wird seine sachliche Reichweite durch den sachlichen Anwendungsbereich der Gesamtverordnung begrenzt, ohne dass es spezifische Erweiterungen oder Einengungen gäbe. Die Parteien haben nicht die Macht, den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO kraft Vereinbarung auszudehnen,34 auch nicht partiell und nur für Gerichtsstandsvereinbarungen. Art. 25 Brüssel Ia-VO gewährt keine Prorogationsfreiheit für Materien außerhalb der Brüssel Ia-VO. Insbesondere kann man ihm nicht entnehmen, dass Gerichtsstandsvereinbarungen in Insolvenzsachen wirksam wären,35 denn Insolvenzsachen fallen gem. Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO aus der Brüssel Ia-VO heraus, und insolvenzrechtliche Annexsachen schlägt Art. 6 EuInsVO 2015 ausdrücklich der EuInsVO 2015 und deren Art. 3 zu.
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a) Unabhängigkeit von den Wohnsitzen der Parteien Art. 25 Brüssel Ia-VO gilt ausweislich Abs. 1 S. 1 unabhängig von den Wohnsitzen der Parteien. Unter Art. 23 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO war noch gefordert, dass mindestens eine der Parteien (gleich ob späterer Kläger oder späterer Beklagter) ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben musste. Dieses Erfordernis besteht nicht mehr.36 Art. 25 Brüssel Ia-VO greift vielmehr, gleich wo die Parteien ihre Wohnsitze haben. Dies dehnt den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich der Prorogationsregel 26 EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 Rz. 10 – Elefanten Schuh GmbH vs. Pierre Jacqmain; EuGH v. 7.3.1985 – 48/84, ECLI:EU:C:1985:105 Rz. 24 – Hannelore Sommer vs. Spitzley Exploitation SA; EuGH v. 17.3.2016 – C-175/15, ECLI:EU:C:2016:176 Rz. 23 f. – Taser International Inc vs. S. C. Gate 4 Business SRL u. Cristian Mircea Anastasiu; OLG München, IHR 2017, 120 = NJ 2017, 79 m. Anm. C. Schreiber; Geimer/ Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 5 (2005); Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 15; Friesen, jurisPR-IWR 3/2016 Anm. 1 sub D; Koechel, GPR 2016, 204, 205; Gebauer, GPR 2016, 245, 247; Lorente Martínez, Cuad. Der. Trans. 9 (1) (2017) 444, 448 f.; Dostal, EuZW 2018, 983 (983). 27 Koechel, GPR 2016, 204, 205. 28 Zuletzt EuGH v. 13.7.2017 – C-433/16, ECLI:EU:C:2017:550 Rz. 31–36 m.w.N. – Bayerische Motorenwerke AG vs. Acacia Srl. 29 Mankowski, LMK 2016, 378249. 30 Hess, FS Prütting (2018) 337, 343. Vgl. auch Trust Risk Group SpA v. Amtrust Europe Ltd. [2015] EWCA Civ 437 [59], [2015] 2 Lloyd’s Rep. 154 (C.A., per Beatson L.J.); Deutsche Bank AG v. Commune di Savona [2017] EWHC 1013 (Comm) [54] (Q.B.D., Judge Waksman QC). 31 EuGH v. 17.3.2016 – C-175/15, ECLI:EU:C:2016:176 Rz. 23 f. – Taser International Inc vs. S. C. Gate 4 Business SRL u. Cristian Mircea Anastasiu; Mankowski, LMK 2016, 378249; Koechel, GPR 2016, 204, 205. 32 Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels I Regulation (2. Aufl. 2012) Art. 23 Brussels I Regulation Rz. 171. 33 Rb. Zutphen NIPR 2003 Nr. 216 S. 328; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 238; Magnus/ Mankowski/Magnus, Brussels I Regulation (2. Aufl. 2012) Art. 23 Brussels I Regulation Rz. 173. 34 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 19. 35 M. Stürner, IPRax 2005, 419; Magnus/Mankowski/U. Magnus, Rz. 19. 36 Siehe nur Kaefer Aisliamentos SA de CV v. AMS Drilling Mexico SA de CV [2019] EWCA Civ 10 [81], [2019] 1 WLR 3514 (C.A., per Green L.J.); Trib. Bologna Riv. dir. int. priv. proc. 2018, 1073, 1074; UCP v. Nectrus Ltd. [2018] EWHC 380 (Comm) [28], [2018] 2 All ER (Comm) 419 (Q.B.D., Cockerill J.); Magnus/Man-
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen noch weiter und absolut erheblich aus,37 auf Kosten der nicht vereinheitlichten Internazionalzivilprozessrechte der Mitgliedstaaten.38 Es vermeidet Zweifel hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunktes für eine Wohnsitzfeststellung.39 Es reduziert die Zahl der expliziten Voraussetzungen von zwei auf eine.40 Einziges Erfordernis für die räumliche Anwendbarkeit des Art. 25 Brüssel Ia-VO ist allein, dass die Parteien die Zuständigkeit eines Gerichts in einem Mitgliedstaat oder der Gerichte eines Mitgliedstaats vereinbart haben.41 Zusätzliche Bezüge zum Gebiet der Mitgliedstaaten sind nicht mehr verlangt.42 Art. 25 Brüssel Ia-VO erfasst also auch Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen lauter Drittstaatsansässigen, wenn denn nur das prorogierte Forum in einem Mitgliedstaat liegt.43 Die europäischen Gerichte öffnen sich liberal und freizügig für Vereinbarungen von Nichtmarktbürgern.44 Ihre Rechtsdienstleistungsindustrien wollen Mandate auch aus Drittstaaten anziehen. 9
Was drittstaatliche Rechte dazu sagen, insbesondere die Rechte der Drittstaaten, aus denen die Parteien der Gerichtsstandsvereinbarungen kommen, interessiert das europäische Regime aus seiner Perspektive nicht.45 Bei einem Prozess vor dem prospektiven forum derogatum zählt natürlich die Perspektive des drittstaatlichen Forums für die Derogationskomponente der Gerichtsstandsvereinbarung; das ist aber kein Regelungsgegenstand des europäischen Regimes.
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Die Ausdehnung des europäischen Regimes geht auf Kosten der nationalen Regelungen über internationale Gerichtsstandsvereinbarungen. Diese werden von Art. 25 Brüssel Ia-VO kraft Anwendungsvorrang des Unionsrechts verdrängt, soweit er selber reichen will.46 Das fördert Einheitlichkeit und verhindert forum shopping in Fällen mit lauter drittstaatsansässigen Parteien.47 § 38 Abs. 1 wie Abs. 2 ZPO hat bei der internationalen Zuständigkeit nur noch einen sehr eingeschränkten verbliebenen Anwendungsbereich,48 nämlich unter der Basisvoraussetzung, dass die Zuständigkeit eines drittstaatliches Gerichts prorogiert wird.49 Gleiches gilt selbst für eine neuere Regel wie Art. 468 Ley de Navegación Marítima50 in Spanien.51 Nationales Zuständigkeitsrecht für Gerichtsstandsvereinbarun-
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kowski/Magnus, Rz. 20; Nourissat Mélanges Audit (2014) 567, 571; Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 117; de Maestri, Dir. comm. int. 2014, 607, 614 f. Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 525; Nourissat, Mélanges Bernard Audit (2014) 567, 571; Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 117; Ishfaq Ahmed, [2017] BJIBFL 410, 412. Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 27 f. Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 25 f. Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 273; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 25. Francq in Boularbah/Francq/Nuyts/van Boxstael/Wautelet J. trib. 2015, 89, 95. Siehe nur Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 25; X. E. Kramer/Themeli in Lazic´/Stuij (Hrsg.), Brussels Ibis Regulation – Changes and Challenges of the Renewed Procedural Scheme (2017) 27, 40. Siehe nur Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 273; Magnus, FS v. Hoffmann, 2011, 664, 672; Magnus, FS Martiny (2014) 785, 788 f.; Weitz, FS Simotta (2012) 679, 686; Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 252; Leandro, Giusto proc civ. 2013, 583, 595; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 652; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6; Leipold, FS Schilken (2015) 353, 357; Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 27 f.; Harms/Sanner/J. Schmidt, EuZW 2015, 584, 591; Schlosser, FS Isaak Meier (2015) 587, 596; Friesen, jurisPR-IWR 3/2016 Anm. 1 sub C. Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1049. Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1049. Siehe nur OLG Celle, NJW-RR 2010, 136, 137; OLG Frankfurt v. 30.3.2015 – 23 U 11/14 Rz. 45; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 70; LAG Düsseldorf, IPRspr. 2017 Nr. 101 S. 182; OLG Hamm, IPRspr. 2017 Nr. 269 S. 548; OLG Bamberg v. 31.10.2018 – 8 U 73/18 Rz. 43; Hess, IPRax 2018, 258. Schlicht falsch OLG München I, IPRspr. 2017 Nr. 262 S. 533. Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 27 f. Siehe (mit Unterschieden im ausfüllenden Detail) Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (7. Aufl. 2015) Rz. 1847 f.; M. Weller, ZZP Int 19 (2014) 251, 257; Thorn in Kleinschmidt/Kronke/Raab/Robbers/Thorn (Hrsg.), Strukturelle Ungleichgewichtslagen in der internationalen Streitbeilegung – Symposium im Gedenken an Bernd v. Hoffmann (2016) 133, 143 mit Fn. 43; Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 31, 44. Siehe nur Thode, jurisPR-PrivBauR 5/2012 Anm. 1 sub A; Leipold, FS Schilken (2015) 353, 358; Schack, RabelsZ 82 (2018) 397, 398. Verfehlt z.B. OLG Köln v. 18.11.2016 – 19 U 25/16, Rpfleger 2017, 407: § 38 ZPO angewendet in deutsch-slowenischem Fall.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
gen kommt nur noch zum Zuge, wenn der sachliche Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO eröffnet ist oder wenn ein reiner Inlandsfall vorliegt52 oder wenn ein Forum in einem Drittstaat prorogiert ist53 (soweit nicht bereits einheitliche europäische Maßstäbe für die Derogation europäischer Zuständigkeiten greifen). Der Verzicht auf einen weiteren Mitgliedstaatenbezug durch Wohnsitz einer Partei in einem Mitglied- 11 staat entspringt einer politischen Linie, welche das Brüssel Ia-Regime im Verhältnis zu Drittstaaten ausdehnen will. Während die besonderen Gerichtsstände der Art. 7; 8 Brüssel Ia-VO letztlich doch am Beklagtenwohnsitz in einem Mitgliedstaat als einschränkendem Kriterium festhalten und eine solche, im Vorschlag angelegte Linie54 nicht mehr verfolgen, setzt Art. 25 Brüssel Ia-VO sie für Gerichtsstandsvereinbarungen um.55 Für die Erweiterung des europäischen Regimes für Gerichtsstandsvereinbarungen bestand kein Junktim mit einer Ausdehnung der objektiven Gerichtsstände.56 Wollen Drittstaatsansässige in die EU hineinprorogieren, so will ihnen die EU keine Steine in den Weg legen. Eine solche Gerichtsstandswahl von Drittstaatsansässigen wird EU-seitig akzeptiert. Der Wille der Parteien soll geschehen. Das IZPR folgt dem Vorbild des IPR und stellt Wertungsgleichlauf her.57 Zugleich behebt dies Komplikationen, wie sie sich unter Art. 23 Brüssel I-VO ergaben, vereinfacht die Rechtsanwendung und bestärkt die Kraft von Gerichtsstandsvereinbarungen.58 Man muss nicht mehr fragen, welches die relevanten Parteien sind (diejenigen der Vereinbarung oder diejenigen des Rechtsstreits59), und man muss sich (zumindest für den Prorogationsaspekt) keine Gedanken mehr darum machen, ob es nur auf die Wohnsitze zum Zeitpunkt der Vereinbarung ankommen solle oder auch auf jene zum Zeitpunkt, in welchem der Rechtsstreit anhängig wird.60 Ein teilweiser Konflikt besteht vorderhand mit ErwGr. 13 Brüssel Ia-VO, der einen Bezug des Rechts- 12 streits zum Territorium der Mitgliedstaaten zu verlangen scheint.61 Dieser Konflikt lässt sich indes auf mehreren Wegen auflösen und zu einem Scheinkonflikt reduzieren: Erstens könnte man ErwGr. 13 Brüssel Ia-VO als allgemeine Programmaussage deuten, die nur für die objektiven Gerichtsstände gilt. Zweitens könnte man in Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 eine Durchbrechung des Erwägungsgrunds 13 sehen, die sich auf den Vorrang des operativen Verordnungstextes gegenüber bloßen Erwägungsgründen stützen kann. Drittens kann man die Wahl eines mitgliedstaatichen Forums als Bezug zum Unionsgebiet bewerten, auch wenn er nur subjektiv hergestellt ist. Der maßgebliche Anknüpfungspunkt liegt im Unionsgebiet. Viertens kann man zwischen Gerichtsstandsregelungen im engeren Sinn und Regeln über den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich differenzieren und sodann ErwGr. 13 Brüssel Ia-VO auf Gerichtsstandsregelungen beziehen, während Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 als Regel über den räumlichpersönlichen Anwendungsbereich eingeordnet wird.62 Als ein gewisses Vorbild lassen sich Art. 3 lit. a; 5 HProrogÜbk 2005 nennen,63 die ebenfalls von einem Wohnsitzerfordernis absehen und ein prorogiertes Forum in einem Vertragsstaat als Bezug zu Vertragsstaaten ausreichen lassen. Dies hat den zusätzlichen Vorteil, dass in Nicht-HProrogÜbk-Fäl50 Ley 14/2014 de 24 de julio 2014, de Navegación Marítima, BOE núm 180 de 25 julio 2014. 51 Gómez Jene, Cuad. Der. Trans. 6 (2) (2014) 112, 116 f. Aus der Diskussion in Spanien Arroya Martínez, An Der Mar XXX (2013) 23; González Pellicer, La Ley 8354 (2014) 8; Álvarez Rubio, AEDIPr 2017, 597, 626–630. 52 Hau, GS Unberath (2015) 139, 153. 53 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 63 f.; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 469; Fohrer-Dedeurwaerder, RTDCom 2018, 1083, 1085. 54 KOM (2010) 748, sub 1.2, 3.1.2. 55 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 273; U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 789 sowie Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 652. 56 Siehe Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 252. 57 Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 444. 58 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 6. 59 Siehe nur Briggs [2012] LMCLQ 364, 375. 60 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 50. 61 Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 445. 62 Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 445 sowie Schack, RabelsZ 82 (2018) 387 (387). 63 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 273; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 64; U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 789 sowie Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 273.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen len zumindest ähnliche Maßstäbe gelten wie in HProrogÜbk-Fällen.64 Auch die GEDIP hatte einen entsprechenden Vorschlag gemacht.65 Der Wegfall des Wohnsitzerfordernisses gewährleistet eine bessere Abstimmung und Koordination mit dem HProrogÜbk.66 14
Ohne Wohnsitzerfordernis wird eine Differenzierung danach vermieden, ob Parteien innerhalb oder außerhalb der EU ansässig sind.67 Alle Prorogationen mitgliedstaatlicher Gerichte sind bei Internationalität gleichermaßen erfasst.68 Bei Gerichtsstandsvereinbarungen kommt es materiell auf den Willen der Parteien an, nicht auf deren Wohnsitz.69 Die prozessuale Parteiautonomie ist das tragende Element und wird ohne einschränkendes Wohnsitzerfordernis noch besser verwirklicht.70 Die Verlässlichkeit der Abrede für die Parteien erhöht sich, weil der Wohnsitz ein von ihnen kaum ode rnur mit Aufwand zu beeinflussendes Kriterium ist.71 Zugleich wird der Prüfungsaufwand für die Gerichte vermindert, und die Belastung mit einer Inzidentprüfung des Wohnsitzes fällt weg.72 Das erhöht die Rechtssicherheit.73 Es gibt keinen Rekurs auf nationale Regulierungen von Zuständigkeitsvereinbarungen mehr und keine Gefahr hinkender Gerichtsstandsvereinbarungen, weil sie je nach Forummitgliedstaat unterschiedlich beurteilt würden.74 Außerdem wird es unnötig, sich Gedanken über den richtigen Zeitpunkt zu machen, zu welchem die Anwendungsvoraussetzungen vorliegen und so auf etwaige Wohnsitzwechsel mindestens einer Partei zwischen Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung und Klagerhebung zu reagieren.75
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Darüber hinaus eröffnet sich der Rechtsdienstleistungsindustrie der Mitgliedstaaten, als den Gerichten wie den Anwälten, ein weites Feld,76 indem die Mitgliedstaaten potentielles Forum für die ganze Welt werden. Die EU bietet sich als neutrales Forum für Streitigkeiten unter Drittstaatsansässigen an. War es unter Art. 23 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO wegen des Wohnsitzerfordernisses nicht möglich, ein mitgliedstaatliches Forum als neutrales Forum zwischen Drittstaatsansässigen unter dem europäischen Regime anzubieten, so ist dies jetzt anders. War unter Art. 23 Brüssel I-VO insoweit ein Rückgriff auf das nationale Recht des prorogierten Forums nötig, so greift jetzt das einheitliche europäische Regime.77 Die mitgliedstaatlichen Gerichte können auf alle Gerichtsstandsvereinbarungen dieselben Maßstäbe anlegen, wenn auf sie prorogiert wurde, ohne nach Wohnsitzen differenzieren zu müssen.78 Die Anwendbarkeit der nationalen Rechte wird zurückgedrängt.79 Art. 25 Brüssel Ia-VO ist ein liberales Regime und lässt der prozessualen Parteiautonomie viel Raum. Insbesondere schaltet er Prorogationsverbote der nationalen Rechte aus und garantiert so den Bestand der Gerichtsstandsvereinbarung. Richter müssen sich auch psychologisch von restriktiveren Einstellungen ihrer Heimatrechte verabschieden.80 Allerdings gilt dies nur aus der Perspektive der Mitgliedstaaten. Aus der Perspektive betroffener Drittstaaten gilt dies nicht. Vielmehr setzen sich aus deren Sicht deren Derogationsverbote, gegebenenfalls als Eingriffsrecht, durch und erzeugen so hinkende, aus unterschiedli64 Siehe Magnus, FS v. Hoffmann, 2011, 664, 673. 65 Groupe Européen de Droit International Privé (GEDIP) (Bergen Session 21 September 2008) IPRax 2009, 283, 284 Art. 23. 66 KOM (2009) 174, 7; Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 47 (2011) 113, 117. Kritisch Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1047 mit Blick auf Art. 26 Abs. 6 lit. a HProrogÜbk 2005. 67 Magnus, FS v. Hoffmann, 2011, 664, 672; Weitz, FS Simotta (2012) 679, 682; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 63 Fn. 11. 68 d’Avout, D 2013, 1014, 1021; de Maestri, Dir. comm. int. 2014, 607, 615. 69 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 273; Magnus, FS v. Hoffmann, 2011, 664, 672. 70 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 273; Magnus, FS v. Hoffmann, 2011, 664, 672; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 64. 71 Siehe nur Danelzik, 85 m.w.N. 72 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 65. 73 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 65; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 470; J. Schilling (2015) 21 JIML 504, 508; Danelzik, 85 sowie Lorente Martínez, Cuad. Der. Trans. 9 (1) (2017) 444, 452. 74 Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 117; s. auch Heidelberg Report/M. Weller, Rz. 377; Danelzik, 85. 75 Zu diesem Komplex s. Art. 23 Brüssel I-VO (2011) Rz. 9b f. (Mankowski). 76 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 10. 77 Magnus, FS v. Hoffmann, 2011, 664, 672. 78 Magnus, FS v. Hoffmann, 2011, 664, 672 f. 79 d’Avout, D 2013, 1014, 1021; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 63; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6. 80 Nourissat, Procédures décembre 2016, 24.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
chen Perspektiven unterschiedlich bewertete Gerichtsstandsvereinbarungen.81 Entfernt besteht auch ein Wertungskonflikt mit Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO und der Limitierung der kollisionsrechtlichen im Vergleich mit der prozessualen Parteiautonomie.82 Mit dem Erfordernis, dass einen Partei ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben muss, ist auch 16 der frühere Art. 23 Abs. 3 Brüssel I-VO entfallen.83 Dieser enthielt nämlich eine begrenzte Ausnahme vom Grundsatz: Selbst wenn keine Partei ihren Wohnsitz/Sitz in einem Mitgliedstaat hatte, die Parteien aber trotzdem die Zuständigkeit eines Gerichts in einem EU-Mitgliedstaat prorogiert hatten, hatte das prorogierte Gericht die ausschließliche Kompetenz über die Wirksamkeit dieser Gerichtsstandsabrede zu entscheiden. Die Derogationskomponente der Vereinbarung band also solange, wie die Gerichtsstandsvereinbarung vom prorogierten Gericht nicht verworfen war, alle Gerichte in anderen Mitgliedstaaten, die ohne die Vereinbarung nach ihrem jeweiligen nationalen IZPR zuständig gewesen wären.84 Dies wurde relevant, wenn Parteien aus Drittstaaten miteinander einen Gerichtsstand in der EU als neutrales Forum (d.h. ein Forum, in dem keine der Parteien einen Heimvorteil genießt) vereinbart hatten.85 Eine solche, nur die Derogation anerkennende Regel ist überflüssig, wenn auch die Prorogation europaeinheitlich geregelt ist. Zudem hatte Abs. 3 den Nachteil, dass er selbst aus europäischer Sicht keine Ausschließlichkeit der Gerichtsstandsvereinbarung gewährleistete.86 Zusammengefasst fallen unter Art. 25 Brüssel Ia-VO also folgende Konstellationen:87 17 – Parteien aus Mitgliedstaaten vereinbaren ein Forum in einem Mitgliedstaat. – Eine Partei aus einem Mitgliedstaat und eine Partei aus einem Drittstaat vereinbaren ein Forum in einem Mitgliedstaat. – Parteien aus Drittstaaten vereinbaren ein Forum in einem Mitgliedstaat. b) Prorogation eines mitgliedstaatlichen Gerichts Einzige Voraussetzung des Art. 25 Brüssel Ia-VO ist die Vereinbarung, dass ein Gericht in einem Mit- 18 gliedstaat zuständig sein solle. Art. 355 AEUV ist dabei zu beachten, weshalb die Prorogation von Gerichten auf der Isle of Man oder den Channel Islands nicht erfasst ist.88 Systematisch ist das Erfordernis, dass ein mitgliedstaatliches Gericht prorogiertes Forum ist, eine Regelung des internationalen Anwendungsbereichs von Art. 25 Brüssel Ia-VO,89 keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Gerichtsstandsvereinbarung90.91 In der praktischen Handhabung stehen sich aber beide denkbaren Antworten auf diese Frage gleich. Vereinbart werden kann auch die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats (z.B. durch „the courts of England and Wales“ oder „to be decided in Ireland“92). Darin liegt dann eine zulässige Vereinbarung bloß der internationalen Zuständigkeit.93 Die örtliche Zuständigkeit auszufüllen überlassen die Parteien dann dem Recht des vereinbarten Gerichtsstaats.94 Dabei können die Regeln der lex fori prorogati über vereinbarte Gerichtsstände, in 81 Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1049. 82 Vgl. Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1049 f. 83 Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1047; Penasa, Int’l Lis 2013, 117; Magnus, FS Martiny (2014) 785, 786; Harris [2014] JIBFL 709, 710. 84 Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 23 EuGVVO Rz. 9. 85 Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 12; s. auch Samtleben, FS Ansay, 2006, 343, 359–361. 86 Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 444. 87 Siehe die Tabelle bei Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 470. 88 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 31. 89 EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 Rz. 17 – Refcomp SpA vs. Axa Corporate Solutions Assurance SA; Dechamps, T.B.H. 2018, 7, 9. 90 Dahin aber EuGH Gutachten 1/03 Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGHE 2006 I 1145 Rz. 153. 91 Unentschieden noch Francq, T.B.H. 2013, 307, 328; Francq in E. Guinchard 107, 118 f. 92 Siehe OLG Bremen, RdTW 2014, 227, 231 (im konkreten Fall hieß die Klausel „to be decided in Iceland“ unter dem LugÜbk 2007). 93 Siehe nur BG v. 21.9.2017 – 4A_131/2017 E 4.3.4.1. 94 Siehe nur östOGH v. 13.7.2007 – 6 Nc 12/07b; Hohmeier, IHR 2014, 217, 219.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Deutschland also § 38 ZPO, nicht helfen. Denn sie stellen auf eine Vereinbarung der örtlichen Zuständigkeit ab, an der es in den hier interessierenden Fällen gerade fehlt. Sie kommen also neben Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht ergänzend zur Anwendung. Es gibt keine Arbeitsteilung zwischen Art. 25 Brüssel Ia-VO für die internationale und z.B. § 38 ZPO für die örtliche Zuständigkeit, die § 38 ZPO eine Restbedeutung in grenzüberschreitenden Fällen beließe. aa) Vereinbarung der Zuständigkeit eines drittstaatlichen Gerichts 20
Art. 25 regelt zumindest hinsichtlich des Prorogationsaspekts nicht den Fall, dass ein Gericht außerhalb des EU-Gebietes für zuständig erklärt wird.95 Den Prorogationsaspekt hat dann das prorogierte drittstaatliche Gericht nach seinem nationalen IZPR zu beurteilen.96 Das EU-Recht kann einem Nichtmitgliedstaat nicht bindend vorschreiben, wann er zuständig sei.97 Positiv kann es mit Wirkung für einen Drittstaat dessen Zuständigkeit nicht begründen.98 Daran scheitert auch jeder Versuch einer Analogie zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.99 Das nationale Recht diesmal des jeweiligen potentiellen forum derogatum entscheidet auch darüber, ob die Gerichtsstandsvereinbarung eine ausschließliche Zuständigkeit begründet; Abs. 1 S. 2 ist nicht anwendbar.100 Ein effet réflexe ist abzulehnen, demzufolge quasi kraft gespiegelter Wertung des europäischen Rechts einem vereinbarten Gerichtsstand in einem Drittstaat ausschließlicher Charakter zuzusprechen wäre.101 Dagegen sprechen schon Art. 33; 34 Brüssel Ia-VO.102
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Werden mit der Prorogation der ausschließlichen Zuständigkeit eines drittstaatlichen Gerichts jedoch Zuständigkeiten nach der Brüssel Ia-VO abbedungen, so sollte man Art. 25 Brüssel Ia-VO, insbesondere Abs. 4, im Interesse einer EU-weit einheitlichen Beurteilung der Derogation und zudem, um zu verhindern, dass die Schutzvorschriften der Art. 15, 19, 23 oder Art. 24 Brüssel Ia-VO ausgehebelt werden können, auf diese Derogationsaspekte anwenden.103 Damit ist zumindest der nötige Konsens gewährleistet, und man kann nicht leichter zugunsten drittstaatlicher als zugunsten mitgliedstaatlicher 95 Siehe nur EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 Rz. 19 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV; Schlosser-Bericht Nr. 176; BGH v. 20.1.1986 – II ZR 56/85, IPRax 1987, 168 = NJW 1986, 1438 m. Anm. Geimer; BGH v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, IPRax 1990, 41 = NJW 1989, 1431; BGHZ 216, 358 Rz. 29 = VersR 2018, 182 m. Anm. Mankowski; Hoge Raad, NIPR 2003 Nr. 109 S. 192; OLG München, NJW 1987, 2166; Konkola Copper Mines plc v. Coromin Ltd. [2006] 1 Lloyd’s Rep. 410, 423 (C.A., per Rix L.J.); Hof Antwerpen J.P.A. 2007, 162, 176; LG München I v. 11.8.2017 – 33 O 8184/16, K&R 2017, 667, 668; Rb. Arnhem NIPR 2003 Nr. 285 S. 441; Rb. Rotterdam, NIPR 2006 Nr. 63 S. 100; Rb. Rotterdam, S&S 2007 Nr. 51 S. 264; Rb. Rotterdam, NIPR 2007 Nr. 232 S. 313; Rb. Rotterdam, NIPR 2008 Nr. 64 S. 107; Rb. Rotterdam, NIPR 2009 Nr. 52 S. 112; Juzgado de Primera Instancia Moncada AEDIPr 2017, 984; Thode, jurisPRPrivBauR 5/2012 Anm. 1; Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 247 f.; Penasa, Int’l Lis 2013, 117, 126; Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 137; Francq in Boularbah/Francq/Nuyts/van Boxstael/Wautelet J. trib. 2015, 89, 96; Queirolo in Queirolo/Heiderhoff (Hrsg.), Party Autonomy in European Private (and) International Law I (2015) 83, 116; Chalas, RCDIP 2016, 684, 685; Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 401; L. Martínez, Cuad. Der. Trans. 9 (1) (2017) 444, 446; X. E. Kramer/Themeli in Lazic´/Stuij (Hrsg.), Brussels Ibis Regulation – Changes and Challenges of the Renewed Procedural Scheme (2017) 27, 40. Eingehend C. Kohler in Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (2012) 199. 96 Siehe nur EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV, EuGHE 2000 I 9337, 9373 Art. 23 EuGVVO Rz. 19; östOGH, JBl 1996, 795; östOGH, IPRax 2004, 261, ´ ski (2011) 1067, 262 f.; LG München I v. 11.8.2017 – 33 O 8184/16, K&R 2017, 667, 668; Gottwald, FS Erecin 1071; Hartley, Liber amicorum Ole Lando (2012) 197, 198; Geimer, FS Gottwald (2014) 175, 178; Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 137; Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2018 Anm. 1 sub C. Zweifelnd Chalas, RCDIP 102 (2013) 359, 372 f. 97 Mankowski, LMK 2016, 378249; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 21. 98 von Hein, RIW 2013, 97, 104; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 29; Mankowski, LMK 2016, 378249. 99 Gegen Berner, RIW 2017, 792, 796–798. 100 ÖstOGH, IPRax 2004, 261, 263; Heiss/Zobel, IPRax 2004, 266, 267 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 14. 101 Penasa, Int’l Lis 2013, 117, 126; Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 24 (Mankowski); vgl. aber Francq in Boularbah/ Francq/Nuyts/van Boxstael/Wautelet J. trib. 2015, 89, 96; Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 29. 102 Siehe Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 30.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Gerichte Gerichtsständen der Brüssel Ia-VO derogieren. Unter Art. 24 Brüssel Ia-VO fallende Fälle sind jederAbbedingung abhold. Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO heischen aus sich selbst heraus Anwendung auf die Vereinbarung eines 22 Gerichtsstands in einem Drittstaat.104 Im Wortlaut differenzieren diese Schutzvorschriften nicht danach, auf welcher Art Gericht prorogiert werden soll;105 ihnen geht es eben darum, die Derogation zu verhindern. Es wäre nicht zu rechtfertigen, wenn man in den sensiblen Bereichen leichter zugunsten solcher Foren, die kein europäisch harmonisiertes Recht mit Mindestschutzstandards kennen, sollte prorogieren können als zugunsten von Foren in EU-Staaten.106 Des Weiteren steht zwingendes Unionsrecht, das von einem prorogierten Drittstaatsgericht nicht angewendet würde, der Derogation einer mitgliedstaatlichen Zuständigkeit entgegen.107 Bei der Derogationskomponente geht es darum, zu prüfen, ob Zuständigkeiten mitgliedstaatlicher Gerichte wirksam abbedungen sind. Das Unionsrecht kann mitgliedstaatlichen Gerichten sehr wohl generell vorschreiben, wann diese sich für unzuständig zu erklären haben und wann sie trotz Gerichtsstandsvereinbarung zuständig bleiben.108 Umgekehrt fördert die teilweise Anerkennung von Gerichtsstandsklauseln zugunsten drittstaatlicher 23 Gerichte die Reziprozität und die Rechtssicherheit.109 Art. 25 Brüssel Ia-VO hat sich nicht an einer legislativen Festschreibung versucht, weil die inzwischen verwirklichte politische Absicht bestand, sich des Problems durch Beitritt zum HProrogÜbk zu entledigen.110 Indes bringt auch der Beitritt zum HProrogÜbk keine vollständige legislative Lösung, weil das HProrogÜbk nur zwischen Vertragsstaaten anwendbar ist, aber nicht im Verhältnis zu anderen Staaten111 (ein angesichts der extrem niedrigen Zahl von Ratifikationen für das HProrogÜbk112 sehr bedeutsamer Aspekt).
103 EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 Rz. 66 – Ahmed Mahamdia vs. Demokratische Volksrepublik Algerien; Geimer, NJW 1986, 1439; Schack, IPRax 1990, 18, 20; Schack, Rz. 467; Killias, 74–79; Oberhammer, JBl 1997, 434; Rechberger/Frauenberger-Pfeiler, ZZP Int 6 (2001) 3, 17; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 42; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6486 f.; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 109; M. Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen im autonomen Zuständigkeitsrecht (2005) 57–66; Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224, 228; von Hein, IPRax 2006, 16, ´ ski (2011) 1067, 1071; Schaper/Eberlein, 17; Samtleben, FS Ansay (2006) 343, 354 f.; Gottwald, FS Erecin RIW 2012, 43, 46 f.; Abendroth, 94 f.; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 37; Dickinson/Lein/Garcimartín Álferez, Rz. 9.15; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 16, 77 (2016); Mankowski, LMK 2016, 378249; Koechel, GPR 2016, 204, 206; Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 402; X. E. Kramer/Themeli in Lazic´/Stuij (Hrsg.), Brussels Ibis Regulation – Changes and Challenges of the Renewed Procedural Scheme (2017) 27, 40; Kistler (2018) 14 JPrIL 66, 75 sowie Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 14; im Ergebnis auch OLG Dresden, IPRax 2006, 44, 46 f. A.A. EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV, EuGHE 2000 I 9337, 9373 Art. 23 EuGVVO Rz. 19; Schlosser-Bericht Nr. 176; BGH v. 20.1.1986 – II ZR 56/85, NJW 1986, 1438 = IPRax 1987, 168 (Roth, 141); BGH v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, IPRax 1990, 41 = NJW 1989, 1431; Konkola Copper Mines plc v. Coromin [2005] ILPr 561, 587–592 = [2005] 2 Lloyd’s Rep. 555, 569–574 (Q.B.D., Colman J.); Droz, Nr. 218; Gothot/Holleaux Nr. 166; Schlosser, FS Kralik (1986) 287, 297 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 4; Gaudemet-Tallon, Nr. 131; Franzen, RIW 2000, 81, 87; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 525 f.: jeweils für Anwendung des nationalen Rechts des möglicherweise derogierten Gerichts. 104 Näher zur Begründung Art. 23 Brüssel Ia-VO Rz. 33–37 (Mankowski) sowie Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 133. Vorsichtiger noch 1. Aufl. Art. 21 Brüssel I-VO Rz. 3, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 7. 105 Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 8.112. 106 Art. 23 Brüssel Ia-VO Rz. 33–37 (Mankowski); im Ergebnis ebenso OLG Dresden, IPRax 2006, 131; von Hein, IPRax 2006, 16, 17; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 8.112 m.w.N.; Koechel, GPR 2016, 204, 206. 107 BGH, IHR 2013, 35; OLG München, IPRax 2007, 322 = IHR 2006, 166 m. Anm. Thume; Mankowski, MDR 2002, 1352, 1355; Mankowski in Hopt/Tzouganatos (Hrsg.), Europäisierung des Handels- und Wirtschaftsrechts (2006) 131, 149 f.; Tzouganatos, YbPIL 10 (2008) 19, 46–51; Antomo, IHR 2013, 225; M. Weller, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 705, 711. Siehe aber auch Rühl, IPRax 2007, 294, 299; Rühl, ERPL 2007, 891, 899. 108 Mankowski, LMK 2016, 378249. 109 B. Audit, Mélanges en l’honneur de Paul Lagarde (2005) 19, 31. 110 KOM (2010) 748/3, sub 3.1.3; C. Kohler in Pocar/Viarengo/Villata (Hrsg.), Recasting Brussels I (2012) 199, 201; Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 249. 111 Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 249. 112 Zu den Vertragsstaaten des HProrogÜbk unten Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 432 (Mankowski).
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 24
Generell gilt, dass aus Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht auf ein Verbot geschlossen werden kann, drittstaatliche Gerichte zu prorogieren, dass jedoch die Derogation unionsrechtlicher Zuständigkeit nach Unionsrecht zu beurteilen ist.113 Art. 6 und Art. 7, 8 Brüssel Ia-VO sind auch im Verhältnis zu Drittstaaten ius dispositivum und weichen wirksamen Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten drittstaatlicher Gerichte.114 Der Beklagtengerichtsstand ist nicht etwa in Fällen mit Drittstaatenbezug derogationsfest und zwingend.115 Das wäre eine nicht zu rechtfertigende Bevorzugung drittstaatsansässiger Kläger gegenüber EU-ansässigen Klägern und liefe der tendenziellen Privilegierung von EU-Marktbürgern, am deutlichsten durch die Unionsbürgerschaft der Art. 17 ff. AEUV als weitere Grundfreiheit, zuwider. Wegen der internationalen Verbreitung der prozessualen Parteiautonomie besteht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass das prorogierte Gericht die Prorogation annehmen wird und dass die Prorogation daher weder zu effektiver Rechtsschutzverweigerung noch zu einem zeitaufwendigen und kostenträchtigen Zirkel führt. Der Parteiwille trägt, ohne dass man den theoretischen Überbau einer Theorie vom effet réflexe (oder nach anderer Schreibart, bezugnehmend auf die Fotoreflexkamera, effet réflex116) bemühen müsste.117 Zudem ist unter Art. 6 HProrogÜbk 2005 drittstaatlichen Prorogationen sowieso Respekt zu zollen,118 selbst dies aber nur eingeschränkt und ausweislich Art. 5 HProrogÜbk 2005 nur im Kreis der Vertragsstaaten.119 Das Europäische Parlament wollte zwar einen effet réflexe verankern.120 Damit ist es aber nicht durchgedrungen. Daraus ist ein klarer Umkehrschluss zu ziehen, dass ein effet réflexe beim europäischen Gesetzgeber letztlich keinen Gefallen und keine Gnade fand.121 Zuständigkeitsrecht beruht auf Gegenseitigkeit, an der es im Verhältnis zu Drittstaaten gerade fehlt.122 Berechtigten Interessen tragen die Litispendenzregeln der Art. 33; 34 Brüssel Ia-VO und daran anknüpfend ErwGr. 24 S. 2 Brüssel Ia-VO Rechnung.123 bb) Vereinbarung der Zuständigkeit von Gerichten
25
Der Singular im Wortlaut des Abs. 1 S. 1 („ein Gericht“ bzw. „die Gerichte eines Mitgliedstaats“)124 ist nicht strikt wörtlich zu verstehen. Art. 25 Brüssel Ia-VO anerkennt die Autonomie der Parteien und möchte diesen die größtmögliche Freiheit eröffnen. Die Parteien können daher optionale Gerichtsstandsvereinbarungen treffen, welche dem späteren Kläger die Auswahl zwischen verschiedenen Gerichten in einem Staat oder zwischen Gerichten in verschiedenen Mitgliedstaaten eröffnen.125 Dabei sind Modalitäten und Form der Optionsausübung, Berechtigung, etwaige Frist und Folgen einer verspäteten Optionsausübung vertraglich zu regeln.126 Keine Gerichtsstandsvereinbarung ist eine 113 Geimer, FS Gottwald (2014) 175, 178. 114 Konkola Copper Mines plc v. Coromin [2005] ILPr 561, 593 = [2005] 2 Lloyd’s Rep. 555, 573 f. (Q.B.D., Col´ ski, 2011, 1067, 1071. Vgl. aber EuGH Gutachten 1/03 Zuständigkeit der Gemeinman J.); Gottwald, FS Erecin schaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGHE 2006 I 1145 Rz. 153; Hartley Liber amicorum Ole Lando (2012) 197, 201–203 und die Erörterung bei Francq in E. Guinchard 107, 114–116. Vgl. aber auch Kistler (2018) 14 JPrIL 66, 84–95. 115 Dahin aber Kruger, Civil Jurisdiction of the EU and Their Impact of Third States (2008) 453 ff.; Kruger (2010) ´ ski(2011) 1067, 1071. 6 JPrIL 499, 511. Wie hier Gottwald, FS Erecin 116 Fallon in de Leval/Storme (Hrsg.), Le droit judiciaire et processuel européen (2003) 73; Francq in E. Guinchard 107, 111 Fn. 10. 117 Dafür aber Dicey/Morris/Collins Rz. 12–021; Pataut, Rev. crit. dip. 102 (2013) 223, 233 f. Eingehende Diskussion bei Kruger, Civil Jurisdiction Rules of the EU and Their Impact on Third States (2008) Rz. 3.06–3.19; Briggs, Agreements, Rz. 7.98–7.104; Francq in E. Guinchard 107, 111–113. 118 Pataut, Rev. crit. dip. 102 (2013) 223, 235. 119 Pohl, IPRax 2013, 109, 112. 120 Legislative Entschließung des Europäische Parlaments vom 7.9.2010, P7_TA(2010)0304, Nr. 17; Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, Bericht vom 29.6.2010, Berichterstatter: Tadeusz Zwiefka, A7_0219/2010 Nr. 17. 121 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 271. 122 Pohl, IPRax 2013, 109, 112. 123 Pohl, IPRax 2013, 109, 112 sowie Francq in E. Guinchard 107, 119 f.; Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 137 f. 124 Hervorhebung jeweils hinzugefügt. 125 OLG Hamm, ZIP 2005, 2336; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 33; Bernheim-Desvaux, CCC Novembre 2013, 39.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Klausel, mit der nur der Wohnsitz einer Partei für die Zwecke des Vertrags fixiert wird.127 Ebenfalls keine Gerichtsstandsvereinbarung ist eine reine Rechtswahlklausel.128 Es gibt keine Paroimie Qui eligit legem eligit iudicem. Vereinbart sein muss die Zuständigkeit eines Gerichts. Gericht meint einen staatlichen Spruchkörper 26 zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten. Nicht erfasst sind private Konfliktbeilegungsmechanismen. Schiedsklauseln sind keine Gerichtsstandsvereinbarungen, ebenso wenig sonstige ADR-Vereinbarungen. Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO belegt dies augenfällig. Auch die Vereinbarung eines privaten Havarie grosse-Verfahrens in einem Staat, der kein gerichtliches Verfahren zum gleichen Zweck kennt, ist keine Gerichtsstandsvereinbarung.129 Ob eine Klausel eine Gerichtsstands- oder eine Schiedsvereinbarung ist, ist durch Auslegung der Klausel zu ermitteln.130 2. Internationalität durch Drittstaatenbezug Umstritten ist, ob Art. 25 Brüssel Ia-VO neben diesen aus dem Wortlaut ersichtlichen Voraussetzun- 27 gen ein ungeschriebenes weiteres Tatbestandsmerkmal enthält, nämlich einen weiteren Bezug zum EU-Gebiet. Die deutsche Rechtsprechung hat bisher ein solches ungeschriebenes (von ihr nicht näher ausgefülltes) Tatbestandsmerkmal bejaht,131 ebenso die Höchstgerichte Italiens132 und Österreichs.133 Die nähere Ausgestaltung, wenn man denn ein solches Tatbestandsmerkmal bejahen wollte, ist allerdings wiederum umstritten. Wohl vorherrschend wird verlangt, dass einem Gerichtsstand in einem anderen Mitgliedstaat als jenem des prorogierten Gerichts abbedungen wird.134 Die Alternative bestünde darin, dass der Wohnsitz einer Partei in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem Staat des prorogierten Forums liegen müsste.135 Richtigerweise sollte man ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal insgesamt ablehnen.136 Dafür 28 sprechen zum einen der Gegenschluss aus dem Wortlaut schon des Art. 23 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO,137 erst recht aus dem Wortlaut des erweiterten Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO138 und zum anderen die seinerzeitige Entstehungsgeschichte des Art. 12 Nr. 4 EuGVÜ, der ausweislich der Mate-
126 127 128 129 130 131
132 133 134 135 136
137 138
Bernheim-Desvaux, Contrats Concurrence Consommation Novembre 2013, 39 f. Rb. Middelburg NIPR 2007 Nr. 51 S. 80. Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 43. Rb. Rotterdam, NIPR 2004 Nr. 271 S. 375 f. Trib. Sup. AEDIPr 2007, 907, 908 f.; Arenas Garcia, Arbitraje 2008, 214. Siehe nur BGH v. 20.1.1986 – II ZR 56/85, IPRax 1987, 168 = NJW 1986, 1438, 1439; BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, WM 1992, 87, 88 (dazu Heß, IPRax 1992, 358); BGHZ 134, 127, 133; OLG München, IPRax 1991, 47; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1993, 568; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670; Bork, ZZP 105 (1992) 336. Cassaz., Foro it. 1994 I 2158 m. Anm. Pagni; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1999, 1012, 1015. ÖstOGH, JBl 1998, 726, 727 f. So z.B. Droz, 119; Stauder, GRUR-Int. 1976, 465, 472; Kohler, IPRax 1983, 265, 266; Benecke, 149. So östOGH, JBl 1998, 726, 728; östOGH, ZfRV 1998, 209; Samtleben, NJW 1974, 1590, 1593; Samtleben, RabelsZ 59 (1995) 670, 687–693; Patzina in MünchKomm/ZPO § 38 ZPO Rz. 24; Bork in Stein/Jonas, ZPO21 (1993) § 38 ZPO Rz. 22 (nicht mehr in ZPO22 und ZPO23). Siehe nur BG v. 21.9.2017 – 4A_131/2017 E 3.3; OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 = WM 1989, 602; Mercury Communications Ltd. v. Communications Telesystems International [1999] 2 All ER (Comm) 33 (Q.B.D.); Sinochem International Oil (London) Ltd. v. Mobil Sales and Supply Corp Ltd. (No. 2) [2000] 1 All ER (Comm) 758 (Q.B.D., Rix J.); HG Zürich BlZürchRspr. 95 (1996) 291 = SZIER 1997, 373; Juzgado de lo Mercantil n° 6 de Madrid AEDIPr 2017, 959, 960; Geimer, NJW 1986, 2991, 2992; Geimer, IPRax 1991, 31; Basedow, RabelZ 52 (1988) 756, 757; Bernasconi/Gerber, SZIER 1993, 39, 65; Bajons, ZfRV 1993, 45, 49; Killias, 60–67; Mankowski, 234–239 m.w.N.; Coester-Waltjen, FS Nakamura (1996) 89, 112; Saenger, ZZP 110 (1997) 477, 481; Kröll, ZZP 113 (2000) 135, 139 f.; A. Staudinger, IPRax 2000, 483, 484 f. m.w.N.; Newton, 197; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 22 (2005); Baatz [2006] LMLQ 143, 151; Simotta in Studia in honorem Yessiou-Faltsi (2007) 633, 656; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 2; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 25; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 19 (2016); Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 398; vgl. auch östOGH, IPRax 2004, 261, 262 f. Z.B. Kropholler, ZZP 105 (1992) 383, 384; Bernasconi/Gerber, SZIER 1993, 39, 65; Mankowski, 238 m.w.N. Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 65; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 25.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen rialien139 gerade auf Prorogationen mit Drittstaatenbezug zugeschnitten war.140 Zudem gilt es, einen Konflikt zwischen Abs. 3 und der Auslegung des Abs. 1 S. 1 zu vermeiden.141 Der EuGH tendiert ebenfalls deutlich in diese Richtung,142 wie sich aus seiner Lösung des parallelen Problems bei Art. 4 Brüssel Ia-VO (seinerzeit Art. 2 EuGVÜ) ergibt: Es wäre inkonsistent und selbstwidersprüchlich, ein solches Merkmal zwar für Art. 4 Brüssel Ia-VO zu verneinen,143 für Art. 25 Brüssel Ia-VO aber zu fordern. Die sog. Reduktionslehren sind insgesamt zu verwerfen. Zuständigkeitstatbestände fordern Klarheit und keine ungeschriebenen einschränkenden Tatbestandsmerkmale, die unnötige Unsicherheit144 und damit mangelnde Vorsehbarkeit bringen.145 Dagegen streitet wesentlich der eine Hauptzweck des Brüssel Ia-Systems, die Gerichtsstände so weit wie möglich zu vereinheitlichen.146 29
Mit dem zweiten Absatz der Präambel zum EuGVÜ ist die eine Stütze gefallen, welche die Reduktionslehre noch im Normtext gehabt haben mag. ErwGr. 2 S. 2 Brüssel I-VO aber betont nochmals und deutlich den Vereinheitlichungszweck, ohne die Beschränkung auf den innergemeinschaftlichen Rechtsverkehr zu wiederholen.147 Ganz in diese Richtung weist auch ErwGr. 8 S. 1 Brüssel I-VO.148 Angesichts der bekannten Kontroverse ist die Nichtfestschreibung eines zusätzlichen Tatbestandsmerkmals im Rahmen einer der zahlreichen Novellierungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO beredtes Schweigen des Unionsgesetzgebers.149 Schließlich erleichtert der Verzicht auf ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die praktische Arbeit, denn er macht es überflüssig, umständlich und inzident die möglicherweise derogierten Gerichtsstände als Hypothesen zu prüfen.150 Art. 25 Brüssel Ia-VO regelt seinen eigenen Anwendungsbereich abschließend in seinen geschriebenen Merkmalen.151 3. Reine Inlandssachverhalte
30
Benachbart steht die Frage, inwieweit Art. 25 Brüssel Ia-VO auch sog. reine Inlandssachverhalte erfasst, also Sachverhalte, die objektive Bezüge nur zu einem einzigen Staat haben.152 Ein Sachverhalt mit Auslandsbezug liegt aber in jedem Fall vor, wenn durch die Vereinbarung ein Gerichtsstand in einem anderen EU-Mitgliedstaat abbedungen wird,153 z.B. ein Erfüllungsortsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO oder ein Tatortgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO oder der allgemeine Gerichtsstand einer Partei nach Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Haben die Parteien ihre Sitze in verschie139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152
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Schlosser-Bericht Nr. 136–138. Geimer, IPRax 1991, 31, 34; Killias, 66; Mankowski, ZZP 108 (1995) 272, 276; Mankowski, 237 f. Burgstaller, JBl 1998, 691, 695. Siehe EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 Rz. 41 f. – Group Josi Reinsurance Co SA vs. Universal General Insurance Co (UGIC). So nachdrücklich EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 Rz. 33-61 – Group Josi Reinsurance Co SA vs. Universal General Insurance Co (UGIC); EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 Rz. 25 f. – Andrew Owusu vs. Nugent B. Jackson. Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 398 und aus praktischer Sicht Stempfle, IDR 2005, 134, 136 f. Gebauer, ZEuP 2001, 943, 953; Simotta in Studia in honorem Yessiou-Faltsi (2007) 633, 659. EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Andrew Owusu vs. Nugent B Jackson, EuGHE 2005 I 1383 Rz. 25 f.; zustimmend C. Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224, 225. Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224, 225; Mankowski, RIW 2005, 561, 564. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 29 f.; Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224, 225; Mankowski, RIW 2005, 561, 564; Mülbert, ZZP 118 (2005) 313, 325. Bernasconi/Gerber, SZIER 1993, 39, 65. Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 25. Cass. civ., Contrats, concurrence, consommation 5/2007, 10 m. Anm. Leveneur; Cass., Rev. crit. dip. 96 (2007) 647, 648 m. Anm. B. Ancel; Cass. civ., D 2008, 1729; Kenfack, D 2008, 1729, 1730. Verneinend z.B. Cass., Rev. crit. dip. 95 (2006) 413 m. Anm. M. Audit = Clunet 133 (2006) 169 m. Anm. Jacquet = D 2016, 1501 m. Anm. Jault-Seseke = Gaz Pal 24–25 mai 2006, 24 m. Anm. M.-L. Niboyet; Cass., Clunet 142 (2015) 646 m. Anm. Sinay-Cytermann; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 15; Campuzano, Diáz 60–63. Rb. Leeuwaarden NIPR 2001 Nr. 294 S. 485 f.; Aull, 113–125; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6375; Burgstaller, JBl 1998, 691, 693; Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser (2005) 119, 123; Neumayr, ERA-Forum 2005, 172, 178; Thode, jurisPR-PrivBauR 5/2012 Anm. 1; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 40; Wieczorek/ Schütze/M. Weller, Rz. 9.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
denen Staaten, so besteht jedenfalls ein hinreichender Auslandsbezug.154 Vereinbaren die Parteien dagegen die Zuständigkeit eines Gerichts in ihrem gemeinsamen Wohnsitz-/Sitzstaat (und wird keinem ausländischen Gerichtsstand derogiert), so ist Art. 25 Brüssel Ia-VO grundsätzlich nicht anwendbar.155 Dass sich etwaige Zeugen im Ausland aufhalten, reicht nicht;156 ebenso wenig reicht, da die Staats- 31 angehörigkeit für die Brüssel Ia-VO anders als für die Rom I-VO (unter deren Ausweichklauseln) kein relevanter Faktor ist, dass eine der Parteien eine ausländische Staatsangehörigkeit hat.157 Wird die Gerichtsstandsvereinbarung im Ausland abgeschlossen, so sollte dies – parallel den bei Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO bei einer Rechtswahl anzulegenden Maßstäben158 – dagegen genügen.159 Für eine Vereinbarung allein und nur der örtlichen Zuständigkeit kommt Art. 25 Brüssel Ia-VO sicher nicht zum Zuge.160 Zwar spiegelt der Wortlaut des Art. 25 Brüssel Ia-VO das Erfordernis eines Auslandsbezuges – anders 32 als Art. 1 Abs. 1 HProrogÜbk 2005161 – nicht unmittelbar wider,162 dieses ergibt sich jedoch aus dem Gesamtkontext der Brüssel Ia-VO, die keineswegs das gesamte nationale Zuständigkeitsrecht für alle Fälle ersetzen wollte, sondern nur die grenzüberschreitenden Sachverhalte aufgreifen wollte. Die Teleologie gebietet diese Klarstellung.163 Die Brüssel Ia-VO ist für reine Inlandsfälle nicht konzipiert, und ihre Kompetenzgrundlage Art. 81 AEUV sieht Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit (zu ergänzen: zwischen den Mitgliedstaaten) vor164 mit Auslandsbezug als Mindestvoraussetzung.165 Art. 25 als Teil der Brüssel Ia-VO, eines Rechtsakts spezifisch für grenzüberschreitende Sachverhalte, braucht nicht nochmals eigens und gesondert zu betonen, dass auch er Internationalität voraussetzt.166 Soweit Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht greift, ist die Wirksamkeit der Gerichtsstandsklausel am nationalen Recht, in Deutschland also an § 38 ZPO, zu messen.167 Dabei bleibt es auch, wenn eine der Parteien nachher in einen anderen Staat umzieht,168 wie indirekt Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO belegt. Maßgeblicher Zeitpunkt für einen Auslandsbezug ist jener des Abschlusses der Gerichtsstands-
154 Cass., Clunet 142 (2015) 646, 647; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 6. 155 Geimer/Schütze/Gerd Müller, (1977) Art. 17 EuGVÜ Anm. II 3; C. Kohler, IPRax 1983, 265, 266; Burgstaller, JBl 1998, 691, 693; Laazouzi, Rev. contrats 2014, 434, 436; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 4; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 2; Hau, GS Unberath (2015) 139, 153; Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2018 Anm. 1 sub C. A.A. Jayme/Aull, IPRax 1989, 80; Aull, IPRax 1999, 226; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 36. Vgl. auch Rb. Rotterdam, S&S 2015 Nr. 113 S. 702. 156 Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 7; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 16. 157 Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 9; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 16. 158 Dort BGHZ 135, 124, 130; OLG Celle v. 28.8.1990 – 20 U 85/89, IPRax 1991, 334 = RIW 1991, 421; LG Stade, IPRspr. 1989 Nr. 39; LG Koblenz, IPRspr. 1989 Nr. 43; LG Hildesheim v. 11.12.1991 – 7 S 236/91, IPRax 1993, 173; Taupitz, RIW 1990, 642, 648; Mankowski, RIW 1993, 453, 454; v. Hein in Rauscher, EuZPR/EuIPR Art. 3 Rom I-VO Rz. 111; Magnus/Mankowski/Mankowski, Rome I Regulation (2017) Art. 3 Rome I Regulation Rz. 384. 159 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 13 (2005). A.A. Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 16. 160 Aull, 106–111; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 36; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 2; Samtleben, FS Ansay (2006), 343, 357; Hau, GS Unberath (2015) 139, 153. 161 Hague Convention of 30 June 2005 on Choice of Court Agreements. 162 Provimi Ltd. v. Roche Products Ltd. [2003] 2 All ER (Comm) 683, 718 (Q.B.D., Aikens J.) sowie FrauenbergerPfeiter, FS Rechberger (2005) 125, 129. 163 ÖstOGH, ÖJZ 2004, 105 = JBl 2004, 187 m. abl. m. Anm. Klicka; s. auch Cass., Rev. crit. dip. 95 (2006) 143 m. Anm. M. Audit = Clunet 135 (2007) 169 m. Anm. Jacquet; Cass., Bull. civ. 200 I n° 177 = JClP (G) 2008 II 10092 m. Anm. Boismain; Simotta in Studia in honorem Yessiou-Faltsi (2007) 633, 655; M.-E. Ancel, Mélanges Foyer (2008) 21; Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 27. 164 Neumayr, ERA-Forum 2005, 172, 185. 165 Mankowski, NZA 2009, 584, 587; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVO Rz. 2; Stein/Jonas/G. Wagner, Einl. Art. 2 EuGVVO Rz. 7; Hau, GS Unberath (2015) 139, 146–150; Abendroth, 81. 166 Jacquet, Clunet 133 (2006) 169, 171 f.; Sinay-Cytermann, Clunet 142 (2015) 647, 649. 167 LG München I v. 11.8.2017 – 33 O 8184/16, K&R 2017, 667, 668 f.; Klicka, JBl 2004, 188; Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser (2005) 119, 127; Hau, GS Unberath (2015) 139, 153. 168 Vgl. aber östOGH, EuLF 2009, II-97.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen vereinbarung.169 Umgekehrt bleibt es daher bei Art. 25 Brüssel Ia-VO, wenn die zuvor im Ausland ansässige Partei zwischen jenem Abschlusszeitpunkt und Klagerhebung ins Inland umzieht.170 33
Daran, dass reine Binnenfälle nicht erfasst sind, bleibt es auch nach der Erweiterung des Art. 25 Brüssel Ia-VO, denn diese bezieht sich allein auf den Fortfall des Erfordernisses, dass mindestens eine Partei ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben muss, dagegen nicht auf die objektiv nicht internationalen Fälle.171 Bei diesen besteht ja nach wie vor und unverändert der Wohnsitz beider Parteien in demselben Mitgliedstaat, weil anderenfalls ein relevanter Auslandsbezug bestünde. Eine Erstreckung auch in dieser Hinsicht würde dazu führen, dass Art. 25 Brüssel Ia-VO insoweit keine Regelung der internationalen Zuständigkeit mehr beinhaltete, sondern für diese Fallgruppe zur Normierung allein der örtlichen Zuständigkeit mutierte. Er wäre dann die einzige Vorschrift in der Brüssel Ia-VO mit einem solchen Regelungsansinnen.
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Bestehen objektive Auslandsbezüge,172 so können Parteien mit Wohnsitz/Sitz in demselben EUStaat dagegen ohne weiteres die Zuständigkeit eines Gerichts in einem anderen EU-Staat vereinbaren.173 Objektiven Auslandsbezug schaffen etwa Vertragsleistungen, die in einem anderen Staat oder grenzüberschreitend erbracht werden,174 ein schadensstiftendes Ereignis oder ein Schaden in einem anderen Staat175 und generell Tatsachen, die einen besonderen Gerichtsstand in einem anderen Vertragsstaat unter Art. 7 Brüssel Ia-VO begründen könnten.176 Bei Tarifverträgen besteht Auslandsbezug entweder durch mögliche Verrichtungsorte der erfassten Arbeit oder aus den Personen der Verbandsmitglieder.177 Im Einzelfall mag die Derogation eines Gerichtsstands in einem anderen Staat zumindest dann schwer festzustellen sein, wenn sich die Vereinbarung auf eine Mehrzahl zukünftiger Vorgänge bezieht.178
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Die bloße Vereinbarung eines Gerichtsstands in einem anderen Vertragsstaat schafft indes noch keinen objektiven Bezug.179 Insoweit ist der Gedanke des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO in das IZPR zu übertragen.180 Dieser Gedanke wohnt Art. 25 Brüssel Ia-VO als inhärente und europa-einheitliche Aussage inne, so dass im Staat des prorogierten wie im Staat des derogierten Gerichts dieselben und nicht unterschiedliche Maßstäbe gelten.181 Darin liegt eine Art Missbrauchskontrolle.182 Bestätigung findet dieser internationalisierungsfähige und international akzeptierte Gedanke in Art. 1 Abs. 2 HProrogÜbk 2005,183 der bei Wohnsitz beider Parteien in demselben Staat und objektiver Verbindung der Beziehung zwischen den Parteien wie der Angelegenheit nur mit diesem Staat ebenfalls Internationalität verneint.184 Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsabrede müssen die Parteien bereits
169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179
180 181 182 183
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OLG Hamm, IPRspr. 2017 Nr. 269 S. 548. OLG Hamm, IPRspr. 2017 Nr. 269 S. 548. Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 63 f. Siehe nur Abendroth, 87 f.; Sinay-Cytermann, Clunet 142 (2015) 647, 652–654. OLG München I, IPRspr. 1985 Nr. 133A; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 38 sowie östOGH, EuLF 2009, II-97; a.A. Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1986, 863, 867 (dazu Bariatti, Riv. dir. int. priv. proc. 1986, 819); Aull, 129–132; vgl. auch Herranz Ballesteros, REDI 2004, 881, 882. Krings, Rev. dr. int. dr. comp. 1978, 78, 90; Bonassies, DMF 1995, 83, 95; Hill, 107 f.; Newton, 178; zu eng AG Köln, IPRspr. 1985 Nr. 133. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 13 (2005). Siehe nur Gothot/Holleaux, 99; M. J. Schmidt, RIW 1992, 173, 176; Newton, 178 f.; Simotta in Studia in honorem Yessiou-Faltsi (2007) 633, 656. Mankowski, NZA 2009, 584, 587. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 12 (2005). OLG Hamm, IPRax 1999, 244, 245; Huet, Clunet 115 (1988) 140, 141; vgl. auch OLG Stuttgart, RIW 2001, 228; Thole, ZZP 122 (2009) 423, 437. A.A. Aull, 125–139; Aull, IPRax 1999, 226; Hill, 107; M. Weller, IPRax 1999, 226, 227; Newton, 177–179; Klicka, JBl 2004, 188, 189; Czernich, wbl 2004, 458, 462; Samtleben, FS Ansay (2006) 343, 358 f. sowie Vzngr. Rb. Haarlem NIPR 2003 Nr. 291 S. 447. Mankowski, RIW 2005, 561, 567; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 26; R. Magnus, ZEuP 2018, 507, 534 f. A.A. Frauenberger-Pfeiler, FS Rechberger (2005) 125, 132. Mankowski, RIW 2005, 561, 567. A.A. Burgstaller/Neumayr, FS Schlosser (2005) 119, 124 f. sowie Kröll, ZZP 113 (2000) 135, 139; Klicka, JBl 2004, 188, 190. Thole, ZZP 122 (2009) 423, 437. Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 26.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
vor und mit deren Abschluss kalkulieren können, so dass es nicht auf den späteren Zeitpunkt einer eventuellen Klage ankommen kann.185 4. Keine materielle Nichtigkeit nach der lex fori prorogati a) Verweisung auf die lex fori prorogati aa) Grundsätzliches Gemäß Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nur wirksam, wenn sie nicht nach dem Recht des prorogierten Gerichts materiell nichtig ist. „Dieser Mitgliedstaat“ ist der Staat, die Zuständigkeit von dessen Gerichten bei Wirksamkeit der Prorogation vereinbart wäre.186 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 formuliert eine einheitliche Kollisionsnorm.187 Er verweist, mit Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungspunkt.188 Soweit Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 verweist, findet keine unionsrechtliche autonome Lösung in der Sache statt. Auf der anderen Seite ist eben eine eigene unionseinheitliche Kollisionsnorm statuiert, welche die Hoffnung begründet, dass alle mitgliedstaatlichen Gerichte die betroffenen Fragen nach demselben Recht beantworten werden.189 Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung begründet die im Zweifel ausschließliche Zuständigkeit des forum prorogatum190 und die korrespondierende Unzuständigkeit aller fora derogata; deshalb ist eine einheitliche Entscheidungsgrundlage wünschenswert.191 Die beiden anderen im Heidelberg Report vorgeschlagenen Optionen, nämlich auf einen Common Frame of Reference zu rekurrieren oder eine Kollisionsnorm mit diesem zu kombinieren,192 ließen sich mangels CFR nicht realisieren.193
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Eine einheitsrechtliche Regel über die materielle Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen, 37 welche der Lage bei Schiedsvereinbarungen ähneln würde,194 gibt es nicht. Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 und ErwGr. 20 Brüssel Ia-VO verabschieden sich von einer unionsrechtsautonomen Regelung, indem sie verweisen.195 Sie tun dies aber nur für einen begrenzten Anknüpfungsgegenstand.196 Damit verkomplizieren sie die Handhabung197 und führen zu einem Nebeneinander verschiedener Ansätze für verschiedene Teilfragen.198 Die Einhaltung der Form des Abs. 1 S. 3 mag Konsens indizieren, trotzdem 184 Dazu Draft Report Dogauchi/Hartley, Prel Doc 26 (Dec 2004) Nr. 12; Rühl, IPRax 2005, 410, 411 f.; Francq, T.B.H. 2013, 307, 318; M. Weller, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) (2014) 705, 708. 185 Abendroth, 172 f. m.w.N.; U. Magnus, ZEuP 2018, 507, 537. A.A. Czernich, wbl 2004, 458, 462. 186 Siehe nur Hof van Cass., IHT 2019, 91, 93 noot de Smet = RW 2019-20, 389; Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1052; Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 256; U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 791; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 474; Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 27, 38; Simotta, FS Bernhard Eccher(2017) 1119, 1125. 187 Siehe nur U. Magnus, IPRax 2016, 521 (521). 188 Cachard, DMF 2019, 412, 415 f. 189 U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 791; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 82 (2016). 190 Allerdings ist für die Anwendbarkeit des Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 nicht vorausgesetzt, dass die konkrete Gerichtsstandsvereinbarung eine ausschließliche ist; Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 584. 191 d’Avout, D 2013, 1014, 1022. 192 Heidelberg Report/M. Weller, Rz. 378. Diskutiert z.B. von Beaumont/McEleavy, Anton’s Private International Law3 (2011) Rz. 8–103–8.111. 193 Vgl. Penasa, Int’l Lis 2013, 117; Herranz Ballesteros (2014), 10 JPrIL 291, 293 f. Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 429 will dem EuGH die Freiheit einräumen, kreativ aus dem privatrechtlichen Acquis (DCFR, CESL-Vorschlag, ACQP, nationale Rechte) eine Grenze zwischen unionsrechtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen und nationalrechtlichen Wirksamkeitshindernissen zu entwickeln. 194 Gefordert von Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 80 (1991) 135; Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 88 (1999) 611; Beraudo, Clunet 140 (2013) 741, 749 f. 195 Queirolo in Queirolo/Heiderhoff (Hrsg.), Party Autonomy in European Private (and) International Law I (2015) 83, 102 f. sowie Bowen, 2014 SLT art. 99, 103. 196 CA Paris DMF 2019, 407, 409. 197 Geimer, FS Simotta (2012) 163, 184; Frensing-Deutschmann, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 3 sub C; U. Magnus, IPRax 2016, 521, 526; Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 31 (31 f.). Eingestanden, aber in Abwägung akzeptiert von Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 402. 198 Queirolo in Queirolo/Heiderhoff (Hrsg.), Party Autonomy in European Private (and) International Law I (2015) 83, 103 sowie Guzzi, Dir Com Scambi Int 2018, 131, 145.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen bleibt eine Frage zur Substanz, deren eigenständigen Charakter Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 jetzt anerkennt.199 Eine unionsrechtliche Regelung über die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen schaffen aber Art. 15; 16; 19; 23 Brüssel Ia-VO. Soweit die Schutzregimes Anwendung heischen, genießen sie nach Abs. 4 Vorrang. Dieser Vorrang gilt auch gegenüber Abs. 1 S. 1 Halbs. 2. 38
Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 schafft auf der anderen Seite größere Rechtssicherheit im Ausgangspunkt. Er entscheidet eine Streitfrage,200 die sich schon unter dem EuGVÜ entsponnen hatte, nämlich nach welchem Recht die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zu beurteilen ist. Diskutierte Alternativen waren die lex fori prorogati, die lex fori des jeweiligen Prozessgerichts und die lex causae des Hauptvertrages.201 Die jetzige Lösung hatte bereits 1981 GA Slynn befürwortet,202 ohne dass der EuGH sich nachfolgend dazu verhalten hätte.203 Sie folgt der Maxime qui eligit iudicem eligit ius, die – in anderem Kontext – auch in ErwGr. 12 Rom I-VO ihren Niederschlag gefunden hat.204 Sie gewährleistet eine grundsätzlich einheitliche Beurteilung der Frage unabhängig davon, wo die Entscheidung darüber ansteht.205 Eine Verweisung auf die lex causae und das Statut des Hauptvertrags hätte dagegen die Unabhängigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung vom Hauptvertrag partiell wiederaufgehoben.206 Der prozessualen Autonomie gesellt sich nun eine kollisionsrechtliche Autonomie hinzu.207 Diese bedient sich eines spezifisch verfahrensbezogen ausgerichteten Anknüpfungspunkts und keines im Kern materiell-rechtlichen Ansatzes.208 Sie schließt gleichsam eine Lücke zwischen dem Rom I- und dem Brüssel I(a)-Regime.209
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Allerdings wird befürchtet, die Hervorhebung des Aspekts erhöhe insgesamt die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einem Streit über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsabrede kommt.210 Praktisch werden Gerichtsstandsvereinbarungen jedoch aus taktischen Gründen bestritten, unabhängig von der Detailausgestaltung des rechtlichen Rahmens; sie werden häufig allein deshalb bestritten, um den Lästigkeitswert der eigenen Position zu erhöhen. Nichtregelung würde zudem nicht minderes Argumentations- und Streitpotential schaffen.211 Problemfälle sind die bloß fakultative Gerichtsstandsvereinbarung und die optionale Gerichtsstandsvereinbarung, in der mehrere Gerichte gleichwertig zur Auswahl des jeweiligen Klägers vereinbart sind. Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 sollte in ihnen trotzdem angewandt werden, und zwar für jede Prorogation einzeln, gesondert und für sich. Ob die fakultative Zusatzoption materiell nichtig ist, beurteilt sich also nach dem Recht des in ihr (und nur in ihre, nicht in der Grundgerichtsstandsvereinbarung) fakultativ vereinbarten Gerichts.212 Bestehen mehrere gleichwertige Optionen nebeneinander, so bestimmt das Recht des jeweils unter einer bestimmten Option vereinbarten Gerichts, ob genau diese Option materiell nichtig ist.213
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Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 kopiert, schon im Heidelberg Report angestoßen,214 Art. 5 Abs. 1 Halbs. 2 HProrogÜbk 2005.215 Dabei bestehen allerdings Formulierungsunterschiede im Detail: Das HProrogÜbk 2005 kann natürlich von einem Vertragsstaat sprechen, während unionsrechtlich ein Mitgliedstaat in 199 Briggs [2011] LMCLQ 156, 161; U. Magnus in Lein (Hrsg.), The Brussels I Review Proposal Uncovered (2012) 84, 92; Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291 f. 200 Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 55; Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1052; Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 97. 201 Siehe nur Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 580 f.; Gaudemet-Tallon, n° 152. 202 GA Slynn, Schlussanträge v. 20.5.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:112 (EuGHE 1981, 1690, 1698). Erkannt auch von GA Szpunar, Schlussanträge v. 7.4.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 47. 203 Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 97. 204 Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 295. 205 Siehe nur Simotta, FS Bernhard Eccher(2017) 1119, 1126 m.w.N. 206 Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1052 sowie Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 257; vgl. auch Briggs [2013] LMCLQ 137, 141. 207 Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1052. 208 Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1052. 209 Basedow, FS Ulrich Magnus (2014) 337, 341. 210 Kessedjian, RTDeur 47 (2011) 121, 126 f. 211 Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 292 f. 212 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 81e befasst sich mit diesem Fall im Kern nur unter Litispendenzaspekten. 213 Anderer Ansatz wohl bei Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 81 f. 214 Heidelberg Report/M. Weller, Rz. 327.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Rede steht. Während Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 auf die materielle Nichtigkeit abstellt, spricht Art. 5 Abs. 1 Halbs. 2 HProrogÜbk 2005 in der deutschen Übersetzung von Unwirksamkeit.216 Im Englischen („null and void“) und im Französischen („nul“), den offiziellen und verbindlichen Vertragssprachen des HProrogÜbk 2005, gibt es aber in diesem zweiten Punkt keinen terminologischen Unterschied. Die Verweisung des Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 geht gleichermaßen auf das materielle Recht wie auf das Prozessrecht der lex fori prorogati.217 Die internrechtliche Qualifikation eines Instituts als Prozessrecht durch die lex fori prorogati ist unerheblich.218 Lex fori prorogati müssen nicht zwingend vertragsrechtliche Regeln, sondern es können auch Regeln für den nichtvertraglichen Bereich sein.219
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Zentrale Aussage des Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 ist, dass die materielle Nichtigkeit im Ausgangspunkt nur und ausschließlich nach der lex fori prorogati zu beurteilen ist. Sie ist im Ausgangspunkt nicht nach irgendeinem anderen Recht zu beurteilen, weder nach der lex causae des Hauptvertrags220 noch nach einem eigenen Statut der Gerichtsstandsvereinbarung noch nach dem Recht eines derogierten Gerichtsstands. Sie ist insbesondere nicht nach der lex fori des aktuellen Prozessgerichts zu beurteilen. Vielmehr muss ein Prozessgericht, dass nicht prorogiert worden ist, also jedes derogierte Forum die lex fori prorogati anwenden.221 Jegliche lex fori derogati hat keine Bedeutung mehr für die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung. Ihr unterliegt auch nicht mehr der Derogationsaspekt. Die Wirksamkeit der Derogation (bzw., wenn man auf alle potentiell derogierten Gerichtsstände sieht, der Derogationen) richtet sich ebenso ausschließlich nach der lex fori prorogati wie die Wirksamkeit der Prorogation. So vermeidet man jegliche Inkonsistenz, die sich ergeben könnte, wenn eine Derogation nach der lex fori derogati wirksam, die Prorogation nach der lex fori prorogati aber unwirksam wäre, und umgekehrt. Forum prorogatum und forum derogatum sollen im Gleichklang auf der Basis der lex fori prorogati entscheiden.222 Freilich erkauft man dies um höhere Komplexität und den Preis eines doppelten Zwischenschritts der IPR- und der Sachrechtsermittlung.223 Vertrags- und Beratungspraxis werden auf die Probe gestellt und müssen einen weiteren Gegenstand abseits des Vertragsstatuts bewältigen.224 Der Verzicht auf eine europäisch-autonome Lösung auf der Sachrechtsebene kann außerdem Ergebnisdifferenzen produzieren, wenn für in verschiedenen Gerichtsstandsvereinbarungen eines Komplexes verschiedene Gerichte prorogiert sind.225 Besondere Probleme bereiten fakultative Gerichtsstandsvereinbarungen, die im Ausgangspunkt mehrere potentielle Gerichtsstände bezeichnen. Dann steht eine mögliche kumulative Anwendung aller leges fororum progatorum in Rede.226
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Entscheidet das prorogierte Gericht als Prozessgericht, so hat dies den Vorteil, dass es häufig sein eigenes Recht anwenden kann.227 Das forum prorogatum ist am besten dazu geeignet, über die mate-
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215 GA Szpunar, Schlussanträge v. 7.4.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 49; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 277; M. Weller, GPR 2012, 34, 41; Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 55; Penasa, Int’l Lis 2013, 117; Francq, T.B.H. 2013, 307, 330; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 65; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541 (541); Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 256 f.; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 669; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 526; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 473. 216 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 66; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541, 542. 217 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 68 f.; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541, 545 f.; NunnerKrautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 475. 218 A.A. Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 475. 219 Nourissat, Mélanges Audit (2014) 567, 573. 220 Siehe nur Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541, 544 f. 221 Siehe nur Leandro, Giusto proc civ. 2013, 583, 596; Basedow, FS Ulrich Magnus (2014) 337, 341 f.; U. Magnus, IPRax 2016, 521, 525. 222 Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 56. 223 Markus, AJP 2014, 800, 811 f. 224 Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 476. 225 Geimer, FS Simotta (2012) 163, 184; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 477. 226 Dafür Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 110. 227 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 277; Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 584; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 70; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) (2014) 541, 548.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen rielle Nichtigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach der lex fori prorogati zu entscheiden.228 Bei einer typischen kombinierten Rechtswahl- und Gerichtsstandsklausel werden zudem forum und ius parallel laufen, so dass das forum prorogatum in der Regel auch unter vertragsrechtlichen Aspekten sein eigenes Recht anwenden wird.229 Aus der Sicht aller Gerichte in anderen Staaten zieht die Anwendung der lex fori prorogati dagegen eine Fremdrechtsanwendung nach sich.230 Der Aufwand erhöht sich sogar noch dadurch, dass zunächst ein fremdes IPR zu ermitteln ist.231 44
Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 ist für den Normalfall der einfachen Gerichtsstandsvereinbarung konzipiert. Bei miteinander konkurrierenden, kollidierenden Gerichtsstandsklauseln ist er auf jede Klausel je gesondert und isoliert anzuwenden. Die dann entscheidende Konsensfrage hilft er nicht zu beantworten, weil Konsens nicht zum von ihm erfassten Bereich der materiellen Nichtigkeit gehört.232 Prüfstein für Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 ist dagegen die Konstellation, dass es zwar nur eine Gerichtsstandsvereinbarung gibt, diese aber fakultativ, optional oder einseitig eine Partei begünstigend ausgestaltet ist.233 Richtigerweise ist dann für jede Option Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 jeweils gesondert heranzuziehen und führt zur lex fori prorogati desjenigen Gerichts, das unter genau dieser Option berufen wäre. Auf die lex fori eines wirklich angerufenen Gerichts abzustellen würde die Planungsphase und die Phase der bloßen Optionalität mit Unsicherheit belasten. Eine fallweise Lösung234 bricht sich erst recht an der gebotenen ex ante-Planungssicherheit. bb) Gesamtverweisung
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Eine Rück- oder Weiterverweisung ist für die Verweisung auf die lex fori prorogati nirgends im operativen Teil der Brüssel Ia-VO ausdrücklich angeordnet.235 Dies spricht dafür, die Verweisung als Sachnormverweisung einzuordnen und jede Art von renvoi auszuschließen.236 In die gleiche Richtung deuten „substantive“, „materiell“, „materiél“, „material“, „sostanziale“.237 Unterstützend deutet ein Umkehrschluss aus Art. 24 Nr. 2 a.E. Brüssel Ia-VO; Art. 63 Abs. 3 Brüssel Ia-VO dahin, dass die Vorschriften des IPR ausdrücklich zur Anwendung berufen werden, wenn dies gewollt ist.238 Dagegen spricht aber das Vorbild Art. 5 Abs. 1 Halbs. 2 HProrogÜbk 2005.239 Diese Norm soll nämlich eine Gesamtverweisung sein, also zunächst auf das IPR der lex fori prorogati verweisen. Wenn eine Sachnormverweisung gewollt gewesen wäre, hätte man im Haag „nach dem innerstaatlichen Recht dieses Staates“ formuliert. Dies hat man aber bewusst nicht getan, so dass ein Umkehrschluss aus dem Fehlen von „innerstaatlich“ zu ziehen ist.240 Anschlussfähig an die Haager Lösung zu sein241 war erklärtes politisches Ziel der Kommission.242 Noch deutlicher und letztlich eindeutig243 ist ErwGr. 20 Brüssel Ia-VO244 (obwohl dieser in den normativ-operativen Teil gehört hätte245): 228 Czernich, JbZVR 2010, 97, 102; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 70. 229 Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1053. 230 Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541, 548. Beispiel: Anwendung irischen Rechts in Hof van Cass., IHT 2019, 91, 93 m. Anm. De Smet = RW 2019-20, 389. 231 Markus, AJP 2014, 800, 812 sowie Report Hartley/Dogauchi, Nr. 125; Usunier, Rev. crit. dip. 109 (2010) 37, 64 f.; Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 56. 232 Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 63–66 (Mankowski). 233 Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 295 f. 234 Dafür Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 296. 235 Das Fehlen einer ausdrücklichen Klarstellung moniert mit Recht Stellungnahme des Bundesrates BR-Drucks. 833/10 B Nr. 11. 236 Hof van Cass., IHT 2019, 91, 93 m. Anm. De Smet = RW 2019-20, 389 verfährt im Ergebnis so, allerdings ohne die Frage zu sehen. 237 Beraudo, Clunet 140 (2013) 741, 749. 238 Beraudo, Clunet 140 (2013) 741, 749. 239 Koppenol-Laforce, NIPR 2011, 452, 458; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 68; Francq, T.B.H. 2013, 307, 330; U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 791; Francq in E. Guinchard 107, 130 f. sowie P. A. Nielsen (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 522. 240 Report Hartley/Dogauchi, Nr. 125, Nr. 149 Fn. 184; R. Wagner, RabelsZ 73 (2009) 100, 117 f.; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014)541, 545; Landbrecht, YbPIL 19 (2017/2018) 109, 177 f. 241 Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 257; Campuzano Diáz, Cuad. Der. Trans. 10 (1) (2018) 551, 555. 242 KOM (2010) 748/3, sub 3.1.3.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
„(20) Stellt sich die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats materiell nichtig ist, so sollte sie nach dem Recht einschließlich des Kollisionsrechts des Mitgliedstaats des Gerichts oder der Gerichte entschieden werden, die in der Vereinbarung bezeichnet sind.“246 Eine Sachnormverweisung anzunehmen würde Rechtswahlklauseln, die ein anderes Recht als die lex 46 fori prorogati berufen wollen, partiell die Wirkung nehmen.247 Die Gesamtverweisung respektiert dagegen die Perspektive der lex fori prorogati in vollem Maße und auch deren konkrete Behandlung der konkreten Gerichtsstandsvereinbarung, sei es durch Annahme der Verweisung, sei es durch Verweisung auf ein anderes Recht.248 Zudem beachtet man Qualifikationsentscheidungen innerhalb des IPR der lex fori prorogati, insbesondere besondere Kollisionsnormen für Geschäftsfähigkeit und Stellvertretung.249 Es ist keineswegs offen, ob eine Rechtswahl für die materielle Nichtigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung möglich ist.250 Vielmehr ist sie, wenn man ErwGr. 20 Brüssel Ia-VO folgt und eine Gerichtsstandsvereinbarung annimmt, immer dann möglich, wenn das IPR der lex fori prorogati sie zulässt. Unterstützend wird – wie stets bei Zulassung eines renvoi – die internationale Entscheidungsharmonie ins Feld geführt.251 Kollisionsrechtstheoretisch weden sowohl der double renvoi, also die foreign court theory, als auch die Lehre vom ordre juridique compétent als mögliche Erklärungsansätze bemüht.252
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Jedoch ist an einer Gesamtverweisung prinzipielle Kritik zu üben:253 Die Gesamtverweisung löst die Einheit von forum und ius auf; sie trennt den Gleichlauf von Prüfungskompetenz und anwendbarem Sachrecht.254 Sie zerstört zudem zu einem gewissen Grad die Einheitlichkeit, genauer: die einheitliche Beurteilung aller Gerichtsstandsvereinbarungen (wie sie das andere erklärte Ziel der Kommission war, das diese mit einer einheitlichen Kollisionsnorm wie Abs. 1 S. 3 verfolgte255). Dies hat sogar in einem konkreten Fall Bedeutung, nämlich dann, wenn mehrere miteinander konfligierende Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten von Gerichten in unterschiedlichen Mitgliedstaaten bestehen. Einheitlich ist jetzt nur noch die Ausgangskollisionsnorm, nämlich Abs. 1 S. 1 Halbs. 2. Einheitlich sind dagegen nicht mehr die verwiesenen Kollisionsnormen der mitgliedstaatlichen Rechte. Denn für Gerichtsstandsvereinbarungen gelten die EU-einheitlichen Kollisionsnormen der Rom I-VO gerade
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243 Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 55; Francq, T.B.H. 2013, 307, 330; Francq in E. Guinchard 107, 130; P. A. Nielsen (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 522; Pocar, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 471, 475; Rouchard-Joët, J. dr. eur. 2014, 2, 4; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6 f.; Basedow, FS Ulrich Magnus (2014) 337, 341; Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 428; Dittrich, EWS 2014, 217, 219; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 526; Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 296; Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 126; de Maestri, Dir. comm. int. 2014, 607, 616; Pfeiffer, ZZP 127 (2014) 409, 417; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 474; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 27; Francq in Boularbah/Francq/Nuyts/van Boxstael/Wautelet J. trib. 2015, 89, 96 f.; J. Schilling (2015) 21 JIML 504, 508; Schacherreiter, öAnwBl. 2016, 75, 78; Frensing-Deutschmann, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 3 sub C; Maultzsch in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 153, 176; Cobussen, NIPR 2017, 22, 33; Guzzi, Dir Com Scambi Int 2018, 131, 141; Dostal, EuZW 2018, 944, 948; Danelzik, 102; Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 103. 244 Zu dessen Genese Herranz Ballesteros, (2014) 10 JPrIL 291, 294. 245 Hess, FS Prütting (2018) 337, 345 sowie Requejo Isidro, Liber amicorum Christian Kohler (2018) 425, 438. 246 Hervorhebung hinzugefügt. 247 Markus, AJP 2014, 800, 811. 248 Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 55 unter Hinweis auf Usunier, Rev. crit. dip. 109 (2010) 37, 63. 249 Vgl. Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 259; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 84. 250 Entgegen Tretthahn/Hiersche, ÖJZ 2014, 57, 62. 251 Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 526; Pfeiffer, ZZP 127 (2014) 409, 417. 252 Für ersteres Cuniberti in v. Hein/Kieninger/Giesela Rühl (Hrsg.), How European is European Private International Law (2019) 355, 360, für letzteres Usunier, RCDIP 99 (2010), 37, 64 f.; Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 104–106. 253 Wie hier Nourissat, Mélanges Audit (2014) 567, 574 f. A.A. Domej in Bonomi/C. Schmid (Hrsg.), Revision der Verordnung 44/2011 (Brüssel I) – Welche Folgen für das Lugano-Übereinkommen? (2011) 105, 121; Bonomi/C. Schmid, RabelsZ 78 (2014) 508, 526 sowie U. Magnus, FS v. Hoffmann (2011) 664, 673 f. 254 Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 584; von Hein, RIW 2013, 97, 105. 255 KOM (2010) 748/3, S. 8.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen nicht.256 Art. 1 Abs. 2 lit. e Var. 2 Rom I-VO nimmt Gerichtsstandsvereinbarungen vielmehr ausdrücklich vom sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO aus. Die Zulassung des renvoi für Teilaspekte einer Vereinbarung (sei diese auch eine in ihren Wirkungen primär prozessrechtliche) konterkariert zudem die Nichtzulassung des renvoi für „normale“ Verträge in Art. 22 Rom I-VO.257 ErwGr. 20 Rom I-VO führt zu Wertungsfriktionen im Gesamtsystem des europäischen Internationalen Privat- und Prozessrechts.258 Er erzeugt Rechtsunsicherheit259 und ist ineffizient.260 49
Jeder Mitgliedstaat hat letztlich die Freiheit, eigene Kollisionsnormen für die materielle Nichtigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen zu formulieren.261 Er mag dies etwa tun, indem er sein vor der Rom I-VO bestehendes nationales Altkollisionsrecht für Schuldverträge beibehält. Art. 1 Abs. 2 lit. e Var. 2 Rom I-VO hindert den einzelnen Mitgliedstaat andererseits nicht daran, die Rom I-VO kraft nationaler Entscheidung auf Gerichtsstandsvereinbarungen für entspechend anwendbar zu erklären.262 Eine Analogie zu Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO kann jedenfalls nicht stattfinden.263
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Eine Analogie zur Rom I-VO ist in Deutschland264 nach der Aufhebung der Art. 27–37 EGBGB herrschende Meinung,265 zwar gesetzlich nirgends verankert, jedoch eine sachliche Fortführung bisherigen Richterrechts.266 Jede vereinheitlichungsfähige Kollisionsnorm, zumal eine, die sich an europaweit schon vereinheitlichtes IPR anlehnt, würde die Wahrscheinlichkeit übereinstimmender Ergebnisse in verschiedenen Staaten erhöhen und damit den Anreiz zu forum shopping, um Regulierungsarbitrage zu betreiben, vermindern.267 Art. 1 Abs. 2 lit. c Rom I-VO, demzufolge die Rom I-VO nicht für Gerichtsstandsvereinbarunge gilt, stellt kein unüberwindliches Hindernis dar, denn er ist älter als Abs. 1 S. 1 Halbs. 2, konnte noch nicht auf die durch letzteren aufgeworfene Notwendigkeit reagieren, einschlägige Kollisionsnormen anzubieten, und ist heute insoweit eine planwidrige Lücke.268 In vielen anderen Mitgliedstaaten sehen autonome Kollisionsnormen eine sachliche Erstreckung der Regeln aus der Rom I-VO auf solche Frage vor, die Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO von der direkten Anwendung der Rom I-VO ausklammert; Beispiele sind Art. 98 Code DIP in Belgien, Art. 10:154 BW in den Niederlanden und Art. 57 itaIPRG.269
256 von Hein, RIW 2013, 97, 105; P. A. Nielsen, (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 523; Geimer, FS Delle Karth (2013) 319, 329; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 7; Markus, AJP 2014, 800, 811; X. E. Kramer/Themeli in: Lazic´/Stuij (Hrsg.), Brussels Ibis Regulation – Changes and Challenges of the Renewed Procedural Scheme (2017) 27, 41. 257 Nygh, 83 f.; Queirolo, 190 f.; Pocar, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 471, 475. 258 Siehe Francq, T.B.H. 2013, 307, 330. 259 Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 126. 260 X. E. Kramer/Themeli in Lazic´/Stuij (Hrsg.), Brussels Ibis Regulation – Changes and Challenges of the Renewed Procedural Scheme (2017) 27, 41. 261 Zilinsky, NIPR 2014, 3, 7. 262 Dafür Carrascosa González, La ley aplicable a los contratos internacionales: el Regolamento Roma I (2009) 100; Castellanos Ruiz, El Reglamento Roma I’ sobre la ley aplicable a los contratos internacionales y su aplicación por los tribunales españoles (2009) 25; U. Magnus in Lein (Hrsg.), The Brussels I Review Proposal Uncovered (2012) 82, 94. 263 U. Magnus, IPRax 2016, 521, 526 f. 264 In Österreich ist § 35 IPRG einschlägig; Schacherreiter, öAnwBl. 2016, 75, 79. 265 LG München I v. 11.8.2017 – 33 O 8184/16, MMR 2018, 109; Max Planck Institute for Comparative and Private International Law RabelsZ 68 (2004) 1, 25; Martiny, RIW 2009, 737, 740; Martiny in MünchKomm/BGB (7. Aufl. 2018) Art. 1 Rom I-VO Rz. 57; Art. 1 Rom I-VO Rz. 39 (von Hein); A. Staudinger/U. Magnus, BGB, Art. 1–10 Rom I-VO (2016) Art. 1 Rom I-VO Rz. 77; Kieninger in Ferrari/Kieninger/Mankowski/K. Otte/Saenger/G. Schulze/A. Staudinger, Internationales Vertragsrecht (3. Aufl. 2018) Art. 1 Rom I-VO Rz. 18; Antomo, ZZP Int 17 (2012) 183, 194 f.; von Hein, RIW 2013, 97, 105; Pohl, IPRax 2013, 109, 111; U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 793; A. Staudinger/Steinrötter, JA 2015, 1, 4; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 81a; FrensingDeutschmann, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 3 sub C; Maultzsch in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 153, 177; Danelzik, 108–111. Für fortwährende Anwendung der Art. 27–37 EGBGB Schack, Rz. 508. 266 Insbesondere BGHZ 171, 141, 146. 267 Siehe Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 299. 268 Maultzsch in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 153, 177. 269 Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 107.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Einer Rechtswahl der Parteien für die Gerichtsstandsvereinbarung ist zu folgen.270 Allerdings bleibt das Problem bei der objektiven Anknüpfung, dass Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO und das Prinzip der charakteristischen Leistung bei isolierter Betrachtung von Gerichtsstandsvereinbarungen nicht passen, so dass ein eigentlich systemwidriger Rückgriff auf Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO analog271 erfolgen und richtigerweise zur lex fori prorogati führen müsste.272
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Eine weitere Möglichkeit wäre ein Rückgriff auf das Statut des Hauptvertrags. Allerdings würde sich dies zusätzlich an Art. 25 Abs. 5 Brüssel Ia-VO stoßen.273 Ebenso denkbar wäre eine alternative Anknüpfung, derzufolge eine Gerichtsstandsvereinbarung wirksam wäre, wenn sie nach der lex fori oder nach dem in der Sache anwendbaren Recht wirksam ist.274
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Die Gesamtverweisung schafft also zusätzliche Unsicherheit,275 indem sie dazu führen kann, dass 53 man auf eine unklare Lage im IPR der verwiesenen lex fori prorogati stößt, für welche die lex fori prorogati keine eindeutige und nicht einmal eine ausdrückliche Lösung vorhält.276 In vielen Mitgliedstaaten gibt es keine belastbaren Aussagen.277 Der eine Staat mag sein eigenes Recht als lex fori anwenden (z.B. wegen prozessualer Qualifikation278), ein anderer verweisen,279 gar auf die lex causae des Hauptvertrages (und damit die Wertung des Abs. 5 in einem gewichtigen Punkt wieder aufheben). Eine Erstreckung der Rom I-VO kraft nationalen Rechts280 wäre zwar eine vereinheitlichungsfreundliche Auffanglösung und würde die Lücke noch auf eine recht elegante Weise füllen,281 lässt sich aber in der Gerichtspraxis der Mitgliedstaaten nicht zuverlässig genug nachweisen. Sie hätte zudem den Vorteil, dass zumeist dasselbe Recht Gerichtsstandsvereinbarung und Hauptvertrag regieren würde.282 Dieses Spektrum an Möglichkeiten erhöht die Komplexität, die sich aus Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 für potentiell derogierte Gerichte ergibt, erheblich283 und vermindert die Gefahr hinkender Gerichtstandsvereinbarungen nicht.284 Selbst die Rolle der Parteiautonomie ist nicht klar.285 Solche Komplexität eindringen zu lassen war nicht zwingend notwendig.286 Sie macht die wenig diskutierte Regel in Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 problematisch.287 Hinzu treten Wertungsdivergenzen mit Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO.288 270 Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 28 f. 271 Zustimmend Frensing-Deutschmann, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 3 sub C. Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 3 0 kommt über die engste Verbindung nach § 1 östIPRG zu ähnlichen Überlegungen. 272 Zilinsky, NIPR 2014, 3, 7; Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 108 f. 273 Zilinsky, NIPR 2014, 3, 7; Frensing-Deutschmann, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 3 sub C; Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 109 sowie Strikwerda in IPR in de spiegel van Paul Vlas (2012) 211, 219. 274 So der Vorschlag von P. A. Nielsen (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 523. 275 Leandro, Giusto proc civ. 2013, 583, 597; Pocar, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 471, 475. 276 Siehe Silvestri, Riv. trim. dir. proc. civ. 2013, 677, 693; Harris [2014] JIBFL 709, 710. Überlegungen pro und contra einer expliziten legislativen Lösung bei U. Magnus, IPRax 2016, 521, 527 (hilfsweiser Formulierungsvorschlag 528 f.). 277 Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 256; Harris [2014], JIBFL 709, 710. Augenöffnend sind die Antworten auf Questionnaire No. 3 in der Compilation of All National Reports, Study JLS/C4/2005/03 S. 388–395. 278 Penasa, Int’l Lis 2013, 117, 118. 279 Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 257. 280 Wie Art. 98 § 1 CodeDIP in Belgien. 281 Virgos Soriano/Garcimartín Álferez, Derecho procesal civil internacional (2007) 285; Álvarez González, IPRax 2009, 529, 513; Requejo Isidro, Revista Electrónica de Estudios Internacionales 2009, 17; Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 299. 282 Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 300. 283 Report Hartley/Dogauchi, Nr. 125; Usunier, Rev. crit. dip. 109 (2010) 37, 64 f.; Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 56; Silvestri Riv. trim. dir. proc. civ. 2013, 677, 693. 284 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 82 (2016). 285 Silvestri, Riv. trim. dir. proc. civ. 2013, 677, 693. 286 d’Avout, D 2013, 1014, 1022; Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1053; Francq in E. Guinchard 107, 131 f. 287 Geimer, FS Simotta (2012) 163, 184; Geimer, FS Delle Karth (2013) 319, 329. 288 Penasa, Int’l Lis 2013, 117, 118.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 55
Eine Sachnormverweisung wäre auch nicht deshalb zu kritisieren, weil die Wahl eines bestimmten Forums nicht auf sachrechtlichen Motiven beruhen muss, sondern etwa räumliche Neutralität zwischen den Parteien oder eine zügige Streitentscheidung gewährleisten soll.289 Dies würde schon in den Regelfällen nicht durchschlagen, in denen eine Gerichtsstandsklausel mit einer parallelen Rechtswahlklausel kombiniert wird („Law and Jurisdiction Clauses“). Zudem dürfte man den Typ der Verweisung abstrakt nicht von konkreten Motiven abhängig machen. cc) Vermutung zugunsten der materiellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung
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Aus dem „es sei denn“ ergibt sich eindeutig, dass die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung vermutet wird und dass materielle Nichtigkeit nach der lex fori prorogati die Ausnahme sein soll.290 Wer das Vorliegen der Ausnahme behauptet, muss deren Voraussetzungen beweisen, wobei für die Beweislast die lex fori prorogati gilt.291 Man kann insoweit von einem funktionellen Äquivalent zu einem Beweis des Gegenteils sprechen.292 b) Materielle Nichtigkeit aa) Grundsätzliches
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Der Begriff der materiellen Nichtigkeit wird nicht explizit definiert.293 Er ist ein Neologismus und hat auch kein Vorbild in HProrogÜbk.294 Materielle Nichtigkeit (substantive validity, nullité quand au fond, validità sostanziale, validez material) bezieht sich nur auf materielle, nicht aber auf formelle Unwirksamkeitsgründe.295 Erstens ergibt sich dies aus dem klaren Wortlaut. Zweitens folgt dies aus der Anlehnung an Art. 5 Abs. 1 Halbs. 2 HProrogÜbk 2005.296 Drittens regelt Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO die Form selber, so dass eine Verweisung für Formaspekte keinen Sinn ergeben oder die Einheitlichkeit der europäischen Regelung durchbrechen würde.297 Denn die Form regelt Abs. 1 S. 3 eben unionsrechtsautonom und abschließend. Daher kommt es nicht darauf an, welche Nuancen und Usancen beim forum prorogatum für die Form nach Abs. 1 S. 3 lit. b und c gelten mögen.298 Dadurch entsteht die Notwendigkeit einer qualifikatorischen Abgrenzung.299 Materielle Nichtigkeit kann auch nicht grundsätzliche Statthaftigkeit meinen.300 289 So aber Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar, (2013) 9 JPrIL 245, 258. 290 GA Szpunar, Schlussanträge v. 7.4.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 47; M. Weller, GPR 2012, 33, 41; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 65 f.; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) (2014) 541, 543; Lenaerts/Stapper, RabelsZ 78 (2014) 252, 282; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 474; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 79a; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 113 (2016); Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 116. 291 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 66; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541, 543. Zu pauschal Danelzik, 86 f.: Die Beweislast falle vollumfänglich in den prozessualen Verantwortungsbereich der Beklagtenseite. 292 Siehe aber Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 66: „Beweis des Gegenteils“ und Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 474 („Beweislastumkehr“). Genauer dagegen Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541, 543. 293 Francq in Boularbah/Francq/Nuyts/van Boxstael/Wautelet J. trib. 2015, 89, 97. 294 Matteo M. Winkler in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 347, 355. 295 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 66; Francq, T.B.H. 2013, 307, 330; Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 252; Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1052, 1053; Nourissat Mélanges Audit (2014) 567, 575; Francq in E. Guinchard 107, 134; Danelzik, 103; Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 114 f. sowie Beaumont/McEleavy, Anton on Private International Law (3. Aufl. 2011) Rz. 8.125. 296 Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541, 542 unter Hinweis auf Report Hartley/Dogauchi, Nr. 126; außerdem Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 476. 297 Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 428; U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 791; Nourissat, Mélanges Audit (2014) 567, 575 sowie P. A. Nielsen (2013) 50 C.M.L. Rev. 53, 522. 298 Unzutreffend insoweit Geimer, FS Simotta (2012) 163, 184; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 71. 299 Siehe nur Francq, T.B.H. 2013, 307, 329. 300 Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 111.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Den Begriff der Nichtigkeit verwendet auch Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO. Dort meint er – über den Wortlaut hinaus – jegliche Art der Unwirksamkeit301 einschließlich Formunwirksamkeit und Gesetzesverstoß,302 beschränkt sich aber nur auf die vertragsrechtlichen Rechtsfolgen und geht nicht auf die Nichtigkeitsgründe als solche.303 Daher wäre eine Anlehnung an Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO mit so großen Transferproblemen belastet, dass sie nicht zu überzeugen vermag. Eine Anlehnung an den DCFR304 wiederum hätte das Problem, sich an einem nicht in Kraft befindlichen Konstrukt ohne echte Rechtsqualität zu orientieren.
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Materielle Nichtigkeit in Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 meint primär die hergebrachten Unwirksamkeitsgründe des Rechts des Vertragsschlusses: Täuschung, Drohung, Nötigung, falsche Angaben, Irrtum, Mentalreservation, Scherzgeschäft, Scheingeschäft.305 Zum Vergleich kann man auf Book II Ch. 7 DCFR hinweisen.306 Wegen der Verweisung und damit der materiellen Kompetenzdelegation weg vom Unionsrecht sind sekundär auch besondere vertragsrechtliche Unwirksamkeitsgründe der lex fori prorogati anzuwenden (vorbehaltlich einer „Weiterverweisung“ durch das IPR der lex fori prorogati). Ein Zweifelsfall ist die consideration des englischen Rechts.307 Wegen Abs. 5 sollte man sie letztlich jedoch auf den Hauptvertrag beschränken.308 Eine Abgrenzung danach, dass Nichtigkeit oder Unwirksamkeit die im verwiesenen Recht vorgesehene Rechtsfolge sei,309 würde zu wenig auf die materiellen Linien sehen und stünde nicht im Einklang mit dem insoweit zum Abgleich heranzuziehenden weiten, untechnischen Nichtigkeitsbegriff des Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO.310
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Keinen Unterschied macht,311 ob die Nichtigkeit ex lege, also unmittelbar kraft Gesetzes und auto- 60 matisch, eintritt oder erst nach entsprechender Geltendmachung durch eine berechtigte Partei (z.B. nach Anfechtung wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung unter deutschem Recht).312 Beide sind aus europäischer Sicht gleichwertig.313 „Null“ und „void“ von „inapplicable as a matter of construction“, „terminated“, „discharged“ ernsthaft trennen zu wollen würde eine willkürliche Grenze ziehen.314 Die lex fori prorogati entscheidet zum einen, welches Modell gilt, und zum anderen, welche Wirkung bei einer Ausgestaltung als Gestaltungsrecht eine durchschlagende Anfechtung hat.315 Bloße 301 Siehe nur Spellenberg in MünchKomm/BGB, Bd. 11 (7. Aufl. 2018) Art. 12 Rom I-VO Rz. 169; Staudinger/U. Magnus, BGB, Art. 11–29 Rom I-VO; 46b, 46c EGBGB (2016) Art. 12 Rom I-VO Rz. 77. 302 Siehe nur G.-P. Callies/G. Schulze, Rome Regulations (2. Aufl. 2015) Art. 12 Rome I Regulation Rz. 33; Ferrari/Kieninger/Mankowski/K. Otte/Saenger/G. Schulze/A. Staudinger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht (3. Aufl. 2018) Art. 12 Rom I-VO Rz. 26. 303 Spellenberg in MünchKomm/BGB, Bd. 11 (7. Aufl. 2018) Art. 12 Rom I-VO Rz. 168; Staudinger/U. Magnus, BGB, Art. 11–29 Rom I-VO; 46b, 46c EGBGB (2016) Art. 12 Rom I-VO Rz. 78; Ferrari/Kieninger/Mankowski/K. Otte/Saenger/G. Schulze/A. Staudinger/Ferrari, Internationales Vertragsrecht (3. Aufl. 2018) Art. 12 Rom I-VO Rz. 26. 304 Vorgeschlagen von M. Weller, Essays in Honour of Michael Joachim Bonell vol I (2016) 393; Wieczorek/ Schütze/M. Weller, Rz. 44. 305 Report Hartley/Dogauchi, Nr. 126; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 66 f.; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541, 542 sowie LG Kleve v. 27.10.2015 – 4 O 119/15 Rz. 25, 35; Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 585; Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 255; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6; U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 792; Frensing-Deutschmann, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 3 sub C; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 91 (2016); U. Magnus, IPRax 2016, 521, 525; M.-É. Ancel/Marion Clunet 145 (2018), 1168, 1181; Matteo M. Winkler in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 347, 358. 306 U. Magnus, IPRax 2016, 521, 525. 307 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 275; U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 792 zum einen und von Hein, RIW 2013, 97, 105 Fn. 159 zum anderen. 308 Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 302; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 88 (2016). 309 Vorgeschlagen von Francq in E. Guinchard 107, 135. 310 H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 844. 311 Tendenziell anders allerdings die spanische Fassung „de pleno derecho“. 312 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 276; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 67 sowie Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 429. 313 U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 793; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 81c; Danelzik, 106 f. sowie Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 302; fragend allerdings Francq in E. Guinchard 107, 135. 314 Vgl. Briggs [2011] LMCLQ 157, 161. 315 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 67.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Anfechtbarkeit oder Vernichtbarkeit ist der Nichtigkeit ex lege dagegen nicht gleichwertig.316 Anders verhielte es sich nur, wenn in der lex fori prorogati eine ausdrückliche Gleichstellung erfolgen würde, wie etwa § 142 Abs. 2 BGB sie nur in sehr begrenztem Maße ausspricht.317 Grundsätzlich zieht aber erst die Ausübung eines Anfechtungsrechts die nötige Unwirksamkeit nach sich. Erst, aber immerhin realisierte Vernichtbarkeit ist Vernichtung.318 61
Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 hat nur die materielle Nichtigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung als eingegrenzten Anknüpfungsgegenstand. Er ist dagegen keine Auffangregel, die eine Verweisungsnorm für alle in Art. 25 Brüssel Ia-VO selber nicht geregelten Fragen aufstellt, welche sich im Zusammenhang mit Gerichtsstandsvereinbarungen stellen könnten.319 Er gilt nicht für die Existenz der Gerichtsstandsvereinbarung schlechthin320 oder die Auslegung321 und erfasst namentlich nicht die Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber Dritten.322 Vorschläge, den sachlichen Anwendungsbereich des Abs. 1 Halbs. 2 zu erweitern, indem man auf das Materielle der Nichtigkeit verzichtete,323 wurden nicht aufgegriffen.324 Eine Beschränkung auf vertragsrechtliche Nichtigkeitsregeln besteht nicht; auch nicht vertragsrechtliche Regeln können zur Anwendung kommen,325 ebenso wie Gerichtsstandsvereinbarungen nicht vertragliche Ansprüche erfassen können. Insoweit müssen die berufenen Nichtigkeitsgründe der Materie folgen können, für welche eine Prorogation beabsichtigt ist. Materielle Nichtigkeit ist eben nicht gleichzusetzen mit vertraglicher Nichtigkeit.326
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Verwiesen wird auch nicht für prozessuale Fragen; inbesondere entscheidet Art. 25 Brüssel Ia-VO über die Statthaftigkeit bestimmter Abredetypen (z.B. asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen) selber.327 Abs. 1 Halbs. 2 kann als subsidiäre Regelung nur für solche Aspekte greifen, die nicht bereits in Art. 25 Brüssel Ia-VO selber geregelt sind; er kann andere Normaussagen in Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht überspielen.328 Der begrenzte Regelungsanspruch kann dazu führen, dass für verschiedene Aspekte verschiedene Rechte zur Anwendung kommen.329 bb) Nicht: Konsens
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Zur materiellen Nichtigkeit sollte man dagegen nicht den Konsens schlagen.330 Denn anderenfalls würde man die bewährte, ständige und seit langem durchgehaltene Linie331 aufgeben, dass die Einhaltung der Form den Konsens indiziert.332 Zudem setzt der Ausnahmecharakter des Abs. 1 Halbs. 1 S. 2 („es sei denn“) voraus, dass es überhaupt eine Gerichtsstandsvereinbarung gibt.333 316 Offener dagegen Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 116. 317 Vgl. ähnlich Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 116 unter Bezugnahme auf Kompetenz-Kompetenz-Gedanken. 318 A.A. U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 793; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 81c. 319 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 72. A.A. Hess, FS Prütting (2018) 337, 341. 320 Strnad, IHR 2014, 113, 117. 321 Dafür aber Hess, FS Prütting (2018) 337, 341; vgl. auch U. Magnus, IPRax 2016, 521, 527 f.; Sirakova/Westerhoven, IPRax 2019, 493, 494. 322 Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 586; Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 303. 323 Heinze, RabelsZ 75 (2011) 581, 587. 324 Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 303. 325 Briggs [2011] LMCLQ 157, 161. 326 Briggs [2012] LMCLQ 364, 375 Fn. 75. 327 M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 891, 903. 328 Herranz Ballesteros (2014) 10 JPrIL 291, 302; ähnlich Nourissat, Mélanges Audit (2014) 567, 575. 329 Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014)541, 550. 330 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 276; Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 587; Kessedjian, Europe mars 2013 étude 3 n° 10; Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 255; Bureau, Rev. crit. dip. 102 (2013) 716, 721; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 475; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 85 (2016); Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 79a; Abendroth, WM 2017, 1786, 1788 f.; M. Ahmed (2017) 28 Eur. Bus. L. Rev. 403, 413; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 46 sowie U. Magnus, FS v. Hoffmann (2011) 664, 673; Nourissat, Mélanges Audit (2014) 567, 575; Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 119; Czernich/Geimer/ Garber, Teil 2 A I Rz. 89; Dostal, EuZW 2018, 944, 948. Tendenziell anders Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6; Dechamps, T.B.H. 2015, 35, 41. 331 Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 125 m.w.N. (Mankowski). Dagegen Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 46.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Außerdem würde man ansonsten Friktionen und Inkonsistenzen mit Art. 10 Rom I-VO aufwerfen. 64 Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO differenziert zwischen Zustandekommen und Wirksamkeit des Vertrages. Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO unterwirft nur die Behauptung einer Vertragspartei, sie habe nicht zugestimmt, nicht aber die Wirksamkeit einer kumulativen Anknüpfung sui generis. Dieser Vorlage sollte man auch für Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 folgen. Sonst würde man entgegen der Triangulierung von Rom I-, Rom II- und Brüssel Ia-VO durch die Erwägungsgründe (7) Rom I-VO, (7) Rom II-VO eine erklärungsbedürftige Divergenz begründen, für die es sowohl an einer Erklärung als auch an einer inneren Rechtfertigung fehlen würde. Denn wenn es keine überzeugendere Abgrenzungslinie gibt, sollte man jener der Rom I-VO folgen. Der sachliche Anwendungsbereich des Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 sollte sich also grundsätzlich und im Ausgangspunkt mit jenem der Wirksamkeit unter Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO decken, solange nicht eigene Wertungen und Notwendigkeiten der Brüssel I-VO anderes verlangen. Zu den Willensmängeln gesellen sich damit jedenfalls die verbraucherschützenden Widerrufsrechte (soweit Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbraucherverträgen angesichts Art. 23 Brüssel Ia-VO überhaupt statthaft sind334). Dagegen sind Sprachfragen Konsensfragen und damit kein Gegenstand des Abs. 1 S. 1 Halbs. 2.335 Zum Konsens und nicht zur materiellen Wirksamkeit gehört auch, ob bei kollidierenden Gerichtsstandsvereinbarungen überhaupt eine Gerichtsstandsvereinbarung zustandegekommen ist und, wenn ja, welche.336 Wollte man es anders halten, so müsste man Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 doppelt anwenden, nämlich isoliert jeweils auf die einzelne Gerichtsstandsklausel, und einen Stichentscheid dahingehend, dass kein Konsens vorliegt, vornehmen, wenn jede lex fori prorogati die jeweils von ihr zu beurteilende Gerichtsstandsvereinbarung für wirksam hielte. Kollidierende Gerichtsstandsvereinbarungen sind die Realität: Der Leistungserbringer stipuliert in seinen AGB Heimatgerichtsstand, die Gegenpartei in ihren AGB ihren Heimatgerichtsstand.
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Abs. 5 S. 2 verlangt nicht, den Konsens in die materielle Wirksamkeit einzubeziehen, denn er verwendet einen anderen, weiteren Begriff der Wirksamkeit als Abs. 1 S. 1 Halbs. 2.337 Sein Wirksamkeitsbegriff ist nicht auf die materielle Wirksamkeit beschränkt, sondern umfasst auch Konsens und formelle Wirksamkeit. Im Gegenteil will gerade Abs. 5 S. 2 – in Verfolg der unter dem HProrogÜbk 2005 vorherrschenden Linie338 – eine möglichst verordnungsautonome Regelung möglichst vieler Gegenstände.339
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cc) Rechts- und Handlungsfähigkeit Ob fehlende Fähigkeit zum Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung zu den Anknüpfungsgegenständen des Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 zu zählen ist,340 bedarf näherer Betrachtung. Art. 1 Abs. 2 lit. a Var. 1, 2 Brüssel Ia-VO nimmt die Rechts- und Handlungsfähigkeit zwar vom sachlichen Anwendungsbereich der gesamten Brüssel Ia-VO aus. Jedoch betrifft Art. 1 Abs. 2 lit. a Brüssel Ia-VO nur solche Streitsachen, deren Hauptfrage die Rechts- oder Handlungsfähigkeit ist. Die Ausnahme greift dagegen nicht, wenn die betreffenden Fragen bloße Vorfragen sind, weil Vorfragen den Gegenstand des 332 Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 255; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 7 9a; Abendroth, WM 2017, 1786, 1788 f. sowie Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 587; Francq, T.B.H. 2013, 307, 331; Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 428; s. auch Koppenol-Laforce, NIPR 2011, 452, 458; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 19. 333 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 7 9a; Abendroth, WM 2017, 1786, 1789. 334 Vgl. Beraudo, Clunet 140 (2013) 741, 748. 335 Tendenziell anders Francq, T.B.H. 2013, 307, 331; Francq in E. Guinchard 107, 135. 336 Queirolo in Queirolo/Heiderhoff (Hrsg.), Party Autonomy in European Private (and) International Law I (2015) 83, 96 m.w.N. sowie Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 100. 337 Siehe Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 255, 260. 338 Siehe Report Hartley/Dogauchi, Nr. 94; Beaumont (2009) 5 JPrIL 125, 138. Anders indes Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements (2008) 79. 339 Siehe Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 255, 260. 340 Dafür Report Hartley/Dogauchi, Nr. 126; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 67; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541, 543; Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 255, 258; wohl auch Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 527. Tendenziell anders Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 658. Klar verneinend Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 127.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Streits normativ nicht wesentlich prägen, selbst wenn faktisch Vorfragen der hauptsächliche Streitpunkt sein können. Der Rechts- und Handlungsfähigkeit im europäischen Sinn sollte man als drittes Element auch die Geschäftsfähigkeit nach deutschem Verständnis unterlegen.341 „Legal capacity“ deckt dies ab. 68
Auf der anderen Seite gehört die Geschäftsfähigkeit nicht zur materiellen Nichtigkeit.342 Dies ergibt sich aus der Systematik des Art. 8 HProrogÜbk 2005:343 Dessen lit. a rekurriert auf (materielle) Nichtigkeit nach der lex fori prorogati in exakt denselben Worten, die Art. 7 Abs. 1 Halbs. 2 HProrogÜbk 2005 gebraucht. Dessen lit. b aber befasst sich mit der „legal capacity“. Darin liegt eine deutliche Differenzierung zwischen beiden Gegenständen. Das HProrogÜbk 2005 fungiert als Vorbild für Art. 25 Brüssel Ia-VO, und es ist erklärte Zielsetzung des Art. 25 Brüssel Ia-VO, Friktionen mit dem HProrogÜbk 2005 zu vermeiden. Daher hat die Lösung des HProrogÜbk 2005 auch im Detail Bedeutung für die Auslegung des Art. 25 Brüssel Ia-VO.
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Die Handlungs- und die Geschäftsfähigkeit sind Gegenstand einer gesonderten Teilfragenanküpfung.344 Sie unterliegen aus deutscher Sicht nach Art. 7 EGBGB dem Recht des Staates, welchem die betreffende Person angehört. Unter einer ausländischen lex fori gibt die dortige Kollisionsnorm für das Geschäftsfähigkeitsstatut dafür Maß, welches Sachrecht die Frage beantworten soll. Dass die Geschäftsfähigkeit und die Prorogationsfähigkeit als besondere Geschäftsfähigkeit einem eigenen Statut unterstehen, lässt sich mit einer Wertungsparallele zur subjektiven Schiedsfähigkeit untermauern, die nach Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ dem Heimatrecht der betreffenden Partei unterliegt.
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Eine generelle Verweisung auf die lex fori, wie sie Art. 8 lit. b HProrogÜbk 2005 für die subjektive Fähigkeit ausspricht, Gerichtsstandsvereinbarungen einzugehen, kommt nicht in Betracht, weil sie sich über die differenzierenden Qualifikationsentscheidungen des IPR der lex fori hinwegsetzen würde.345 Art. 25 Brüssel Ia-VO will zwar möglichst keine Friktionen mit dem HProrogÜbk 2005 entstehen lassen, hat sich aber andererseits nicht dazu verstehen können, jede einzelne Regel des HProrogÜbk 2005 zu transponieren, sondern nur ausgewählte Normen des HProrogÜbk 2005 zum inhaltlichen Vorbild erkoren. Art. 8 lit. b HProrogÜbk 2005 gehört nicht dazu, so dass auch eine Analogie zu dieser Norm oder eine Übertragung ihres Rechtsgedankens abzulehnen ist. dd) Stellvertretung
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Die rechtsgeschäftliche Vertretung natürlicher Personen und die Vertretung von juristischen Personen und Gesellschaften schlechthin werden allerdings in keinem Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO gesondert aufgeführt. Jedenfalls sie gehören daher im Ansatz in den Verweisungsumfang des Abs. 1 Halbs. 2.346 Wer Vertragspartei ist, ist eine Frage des Zustandekommens des Vertrages und gehört daher zum Vertragsstatut. Das Gleiche gilt für die Statthaftigkeit einer Stellvertretung.
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Andere Aspekte der Vertretung unterliegen dagegen wegen abweichender Qualifikation im IPR als Teilfrage347 einem eigenen Vertretungsstatut,348 bei organschaftlicher Vertretung von Gesellschaften dem Gesellschaftsstatut, bei rechtsgeschäftlicher Vertretung einem eigenen Vollmachtsstatut.349 Im 341 Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 53 (Mankowski). 342 A.A. Simotta, Int. J. Proc. L. 1 (2013) 58, 68; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 541, 543; NunnerKrautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 478; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 92–95 (2016); Musielak/ Voit/A. Stadler, Rz. 5; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 88 sowie Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 45. 343 A.A. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 95 (2016). 344 Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 582, 585; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 84. 345 Im Ergebnis ähnlich Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1053. 346 von Hein, RIW 2013, 97, 105; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 96 (2016); Schack, Rz. 528; Schack, RabelsZ 82 (2018) 387, 389 sowie M. Weller, GPR 2012, 33, 41; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 67; Simotta, FS Schütze zum 80. Geb. (2014)541, 543; Domej, RabelsZ 78 (2014) 508, 527. A.A. Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 45 und wohl Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 658. Bewusst offen lassend Franzina in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 95, 96. 347 Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 582. 348 Gebauer, FS v. Hoffmann (2011) 577, 585; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 84; Hussmann, ÖJZ 2018, 962 sowie Danelzik, 107 f.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO
deutschen IPR ist Art. 8 EGBGB eigene Kollisionsnorm für das Vollmachtsstatut. Liegt nach dem Vollmachtsstatut Vertretung ohne Vertretungsmacht vor, so wird der Prinzipal nicht an die Gerichtsstandsvereinbarung gebunden,350 wenn er nicht genehmigt. Die Anknüpfung von Rechtsscheinvollmachten (Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht in deutscher Terminologie) richtet sich nach dem Handlungsort.351 Maßgeblich ist – jenseits der von der Rom I-VO gemachten Qualifikationsvorgaben über den Umfang des Vertragsstatuts – die Qualifikation und Anknüpfung nach dem IPR der lex fori prorogati. Das von der lex fori prorogati berufene Vertretungsstatut entscheidet daher ein Vetorecht bei über die Person des Vertreters und Umfang der Vertretungsbefugnis.352
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ee) Nicht: Prorogations- und Derogationsverbote Bei weitem Verständnis scheint materielle Nichtigkeit auch Sittenwidrigkeit, Verstoß gegen ein materielles gesetzliches Verbot und Fehlen einer erforderlichen behördlichen oder gerichtlichen Genehmigung zu erfassen.353 Der Wortlaut ist weit genug, um dies herzugeben.354 Er würde selbst eine AGBInhaltskontrolle decken können.355
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Dies ist jedoch aus mehreren Gründen abzulehnen:356 Erstens wäre dies eine fundamentale Kehrt- 75 wende und ein massiver Rückschritt gegenüber der Lage unter Art. 23 Brüssel I-VO357.358 Für eine solche Abkehr vom bereits erreichten Niveau bedürfte es unüberwindlicher Anhaltspunkte in den Materialien und einer überzeugenden sachlichen Begründung. Beides liegt nicht vor.359 Zweitens verfolgt die Brüssel Ia-VO als ein zentrales Grundanliegen, Gerichtsstandsvereinbarungen zu stärken und die Verlässlichkeit der Parteiautonomie zu stärken. Damit stünde eine großzügige Zulassung von Prorogations- oder Derogationsverboten nach Maßgabe der nationalen Rechte in einem eklatanten Widerspruch.360 Würde man Eingriffsnormen, zumal aus der Sicht derogierter Foren fremde der lex fori prorogati, telles quelles berufen,361 so würde entgegen dem bereits erreichten Stand die Büchse der Pandora geöffnet.362 Man käme zu einer uneinheitlichen Beurteilung, je nachdem ob das forum prorogatum eine liberale oder eine restriktive Justizpolitik verfolgt.363 Drittens schreibt Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 als Grundaussage Art. 23 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO fort, ohne diesen zu ändern. Man kann ihn nicht durch die Hintertür des Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 im Kern auf die unproblematischen Formfra-
349 Ebenso Hussmann, ÖJZ 2018, 962. 350 Deutsche Bank AG v. Asia Pacific Broadband Wireless Communications Inc [2008] 2 Lloyd’s Rep. 177, 183 f. (Q.B.D., Flaux J.). 351 OLG Frankfurt, AWD 1969, 415; Kropholler, NJW 1965, 1641, 1644 f.; Leible, IPRax 1998, 257, 260 f.; vBar, IPR II (1991) Rz. 593; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 5507 sowie BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, NJW 2007, 1529, 1530; KG, IPRax 1998, 280; OLG Hamm, RIW 2003, 305. 352 Im Ergebnis ebenso Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 67 sowie M. Weller, GPR 2012, 33, 41. 353 Dafür Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 67; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 6. 354 Hof van Cass., IHT 2019, 91, 93 f. noot De Smet = RW 2019-20, 389 Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 429. 355 H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 845 f. 356 Im Ergebnis ebenso M. Weller, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 705, 709; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 98–100 (2016); Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb. (2017)31, 35; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 90. 357 Zu dieser: 3. Aufl. Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 10–12b (Mankowski); vgl. aber auch B. A. Marshall, ZEuP 2016, 515, 525 f. 358 Ebenso Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 429. 359 Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 429 f. 360 Ähnlich Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 430. Vgl. auch Cobussen, NIPR 2017, 22, 34–36 in Diskussion von Art. 1171; 1143 Code civil aus Frankreich in möglicher Anwendung auf asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen. 361 Dahin wohl Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 671. 362 Mankowski in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-Border Litigation in Europe – The Brussels I Recast Regulation as a Panacea? (2015) 97, 105; Matteo M. Winkler in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 347, 358 f. 363 Vgl. Briggs [2013] LMCLQ 137, 141.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen gen als einzigen Regelungsgegenstand für das Unionsrecht reduzieren.364 Viertens wäre Abs. 4 ansonsten unverständlich, weil überflüssig. Im Gegenteil trägt Abs. 4 einen starken Umkehrschluss, dass jenseits der in ihm angezogenen Normen aus der Brüssel I-VO selber keine Prorogations- oder Derogationsverbote bestehen dürfen und europäisch anerkannt werden. Der Sache und dem Ergenis nach würde die Anwendung von Eingriffsnormen neue exorbitante Zuständigkeiten schaffen.365 76
Fünftens hat Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 nur einen eingeschränkten Verweisungsgegenstand, nämlich allein die materielle Nichtigkeit. „Substantive validity“ und „validité au fond“ machen den eingeschränkten Charakter des Anknüpfungsgegenstands noch deutlicher. Sie erlauben, zwischen validity und admissibility, zwischen validité und licéité zu unterscheiden.366 Die Erlaubtheit, die Statthaftigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen ist kein Verweisungsgegenstand, denn sie ist in Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 verordnungsautonom mit verdrängendem Anwendungsvorrang vor allen Verboten und Einschränkungen nationaler Rechte geregelt.367 Materielle Wirksamkeit und Statthaftigkeit lassen sich voneinander trennen,368 wenn man richtigerweise den Anknüpfungsgegenstand der materiellen Wirksamkeit eng versteht. Die Statthaftigkeit liegt auf einer vorgelagerten Stufe, bevor man überhaupt zu Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 gelangt. Lois de police gehören auf diese Stufe, auch wenn sie als Rechtsfolge für ihre Nichtbeachtung Unwirksamkeit anordnen.369
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Art. 8 lit. c HProrogÜbk 2005 behandelt den nationalen ordre public (zu dem man auch lois de police zählen sollte) getrennt von der materiellen Nichtigkeit, dem Gegenstand der Art. 6 lit. a; 5 Abs. 1 Halbs. 2 HProrogÜbk 2005. Unter Art. 8 HProrogÜbk 2005 hat das Gericht einen größeren Beurteilungsspielraum als unter Art. 25 Brüssel Ia-VO, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung wirksam ist.370 Obwohl es generelle Politik der EU ist, Art. 25 Brüssel Ia-VO soweit wie möglich an das HProrogÜbk 2005 anzulehnen, um keine Friktionen mit dem HProrogÜbk 2005 entstehen zu lassen, hat man den weiten Katalog des Art. 8 HProrogÜbk 2005 nicht übernommen.371 Der Umkehrschluss ist stark und tragend. Das HProrogÜbk 2005 enthält nur eine teilweise Lösung, während Art. 25 i.V.m. Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO darüber hinaus geht und stärker hin zu einer ausschließlichen KompetenzKompetenz des prorogierten Staates wie zu einer Bestandsgarantie für Gerichtsstandsvereinbarungen weist.372
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Hinzu kommt die Parallele zur Rom I-VO. Diese unterscheidet keineswegs nur zwischen formeller Wirksamkeit (Art. 11 Rom I-VO) und rechtsgeschäftlicher Wirksamkeit (Art. 10 Rom I-VO), so dass es kein tertium gäbe.373 Diesen beiden Kategorien gesellt sich vielmehr als dritte das Eingriffsrecht hinzu, wobei gleichgültig ist, ob man es als innerhalb oder außerhalb des „normalen“ kollisionsrechtlichen Anknüpfungssystems stehend verortet. Eingriffsrecht ist zuvörderst jenes des jeweiligen Forums. Ob und inwieweit ein Forumstaat dessen, also: seine eigenen politische Wertungen durchsetzen will, muss er selber entscheiden. Wenn er sich kraft supranationaler oder internationaler Bindung seiner diesbezüglichen Freiheit begibt (wie die EU-Mitgliedstaaten im Brüsseler System), so ist dies wiederum seine eigene Entscheidung, abstrakt getroffen, nämlich der Zusammenarbeit einen höheren rechtspolitischen Stellenwert einzuräumen. Sie nimmt den Anwendungswillen des jeweils forumeigenen Eingriffsrechts für die prozessuale Parteiautonomie zurück.374 364 Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 430. 365 Bureau/Muir Watt, Rev. crit. dip. 2017, 269, 276; Matteo M. Winkler in Mankowski (Hrsg.), Research Handbook on the Brussels Ibis Regulation (2020) 347, 359 f. 366 Siehe Francq, T.B.H. 2013, 307, 331; Francq in E. Guinchard 107, 135 f.; Beraudo, Clunet 140 (2013) 741, 750; Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1051, 1053; Nourissat, Mélanges Audit (2014) 567, 570 (letzterer mit schönem französischem Dreiklang licéité, validité, efficacité, natürlich angelehnt an liberté, fraternité, egalité). Dagegen Basedow, FS Ulrich Magnus (2014) 337, 342. 367 Siehe Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1051. 368 Entgegen Basedow, FS Ulrich Magnus (2014) 337, 342. 369 Siehe Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1053. Schwankend Francq, T.B.H. 2013, 307, 330, 331. 370 Pocar, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 471, 473. 371 Andere Wertung für Art. 8 lit. c HProrogÜbk 2005 bei Basedow, FS Ulrich Magnus (2014) 337, 348. 372 Vgl. Pocar, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 471, 473 f. 373 So aber Basedow, FS Ulrich Magnus (2014) 337, 342. 374 Siehe Cass., Rev. crit. dip. 108 (2009) 79, 80; Bureau/Muir Watt, Rev. crit. dip. 108 (2009) 1; Fohrer-Dedeurwaerder, RTDCom 2018, 1083, 1096 f.; vgl. auch Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 50.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Eingriffsnormen der lex fori prorogati über Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 zwingend anzuknüpfen, würde aus 79 der Sicht derogierter Gerichte fremde Eingriffsnormen wertiger machen als die forumeigenen. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO und erst recht der Umkehrschluss aus Art. 16 Rom II-VO, dass eine Sonderanknüpfung forumfremder Eingriffsnormen gleich welcher Provenienz im IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse nicht ausgesprochen wird, sprechen eine diametral entgegengesetzte Sprache. Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO trägt keine andere Wertung.375 Denn er führt zur Entscheidung durch das prima facie prorogierte Gericht und damit zur richtigen Verteilung der Eingriffsnormen. Forumfremde Eingriffsnormen wird das prima facie prorogierte Forum bei Verträgen nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO prüfen, soweit es nicht vorrangige Wertungen des Prozessrechts gibt. Wenn auch das derogierte Forum wegen Vorrang eines Derogationsverbote ausschaltenden unionsrechtlichen Gebots seine eigenen Eingriffsnormen nicht hätte anwenden dürfen, so ist dieser mangelnde Anwendungswille der Eingriffsnormen aus dem Staat des derogierten Forums unter Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO zu berücksichtigen und stellt Wertungskonsistenz her.376 5. Isolierter Derogationsvertrag Den sog. isolierten Derogationsvertrag, mit dem nur die objektiv gegebene Zuständigkeit eines oder mehrerer bestimmter Gerichte abbedungen wird, ohne dass gleichzeitig ein (ausschließlich) zuständiges Gericht gewählt wird, erfasst Art. 25 Brüssel Ia-VO direkt nicht, weil es an der Prorogationskomponente fehlt.377 Um eine einheitliche Beurteilung von Derogationseffekten und Vereinbarungen über Gerichtszuständigkeiten sicherzustellen, sollte man aber Art. 25 Brüssel Ia-VO analog anwenden.378 Dies beinhaltet insbesondere über Abs. 4 eine analoge Anwendung der Schutzregimes für typischerweise schwächere Parteien.379 Eine strenge Kontrolle ist schon deshalb angezeigt, um Missbrauch und darüber hinaus vollständigen Verzicht auf gerichtlichen Rechtsschutz zu verhindern.380
80
II. Abschließende Regelung der Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen durch Art. 25 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1, Abs. 4 Brüssel Ia-VO Art. 25 Brüssel Ia-VO regelt – in der Tradition des Art. 23 Brüssel I-VO381 – die Zulässigkeit und 81 Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen grundsätzlich umfassend und abschließend. Er bestimmt, worüber Parteien Gerichtsstandsvereinbarungen abschließen dürfen.382 Denn nur so ist eine europaweit einheitliche Handhabung möglich und den Rechtssicherheitsinteressen insbesondere des Handels genügt, der klare Orientierungsmarken benötigt. Gerichtsstandsvereinbarungen werden durch die Garantie, dass sie zu respektieren sind, zum Sicherungsinstrument gegen ex post-Opportunismus der jeweiligen Gegenpartei durch forum shopping.383 Der Handel bekommt ein Gestaltungsinstrument zur selbstbestimmten Interessenwahrnehmung, mit dessen Hilfe die Parteien besonders schnelle, besonders erfahrene oder besonders sachkundige Gerichte auswählen und so die Streitkos-
375 376 377 378
379 380 381 382 383
Anderer Ansicht Basedow, FS Ulrich Magnus (2014) 337, 342 f. Vgl. benachbart Basedow, FS Ulrich Magnus (2014) 337, 348 f. Zustimmend Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 81 (2016). Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 199, 509, 919; Eickhoff, Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage (1985) 150; Gothot/Holleaux, Nr. 165; Geimer/Schütze/S. Auer (1997) Art. 17 EuGVÜ Rz. 26; Mari, 584; unalex/Hausmann, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 43; Geimer, FS Gottwald (2014) 175, 178; Abendroth, 91; Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 31, 33; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 20. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 32 (2005); Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 31, 33. Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 15; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 38 f. Siehe nur östOGH, ZfRV 2001, 113; Cass., Rev. crit. dip. 96 (2007) 647, 648 m. Anm. B. Ancel; Gottwald, FS Henckel, 1995, 295, 303. Siehe nur Briggs, Agreements Rz. 7.90; Wurmnest, FS Ulrich Magnus (2014) 567, 569. Kieninger, JNPÖ 18 (1999) 372, 373; Mankowski in C. Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen (2002) 118, 139.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen ten im weiteren Sinne kontrollieren können.384 Da kein objektiver Zusammenhang zwischen Sachverhalt und gewähltem Forum notwendig ist, ist die Vereinbarung auch nicht auf ihre Angemessenheit oder auf die von einer Partei mit ihr verfolgten Ziele zu kontrollieren.385 Rechtlich wird durch eine liberale, prorogationsfreudige Regel Unsicherheit, wie sie als Folge einer allgemeinen Angemessenheitskontrolle eintreten würde, in jedem Einzelfall vermieden; dadurch werden die Kosten der Gesamttransaktion reduziert.386 Ergänzend mag die Förderung des Binnemarkts als öffentlich-konsequentialistische Rechtfertigung sehen.387 Zugleich wird es den Gerichten genommen, durch eine Beurteilung ex post Einkommen im Rechtsdienstleistungssektor zwischen den Volkswirtschaften zu verteilen.388 1. Prorogations- und Derogationsverbote a) Grundsätzliches 82
Die einzigen Ausnahmen sind die in der Brüssel Ia-VO selbst vorgesehenen oder zugelassenen besonderen Beschränkungen. Solche ausdrücklichen Beschränkungen finden sich in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsvertragssachen nach Art. 15; 19; 23 Brüssel Ia-VO. Auch die ausschließlichen Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel Ia-VO schließen ihrer Natur gemäß eine Zuständigkeitsvereinbarung aus.389 Das müssen Gerichte von Amts wegen beachten,390 weil Art. 24 Brüssel Ia-VO auch einer rügelosen Einlassung nach Art. 26 Brüssel Ia-VO entgegensteht. Vorsichtige Parteien tragen dem durch entsprechende Hinweise in ihren Gerichtsstandsvereinbarungen Rechnung.391 Außerdem können sich Prorogationsbeschränkungen aus internationalen Übereinkommen ergeben, welche der Brüssel Ia-VO nach Art. 71 Brüssel Ia-VO vorgehen und welchen der Forumstaat angehört.392 Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung derogiert sowohl dem allgemeinen Gerichtsstand des Art. 6 Brüssel Ia-VO als auch den besonderen Gerichtsständen der Art. 7; 8 Brüssel Ia-VO.393 Gerichtsstandsvereinbarungen erfassen auch negative Feststellungsklagen.394
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Prorogationsbeschränkungen des nationalen Rechts sind neben Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht anwendbar.395 Dies gilt für jegliche Form der Inhaltskontrolle, auch bei Gerichtsstandsabreden in AGB.396 Art. 25 Brüssel Ia-VO und die Brüssel Ia-VO insgesamt haben die Entscheidung schon getroffen, und 384 Mankowski in C. Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen (2002) 118, 139 im Anschluss an Whincop/Keyes, Policy and Pragmatism in the Conflict of Laws (2001) 41. 385 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA, EuGHE 1999 I 1597, 1656 Rz. 51; BGH, BB 2015, 1418, 1422 Rz. 43 m. Anm. Mankowski. 386 Mankowski in C. Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen (2002) 118, 139 f.; Mankowski, FS Hans-Bernd Schäfer (2008) 369, 370; E. Peiffer, 13. 387 So Mills, Party Autonomy in Private International Law (2018) 129. 388 Vgl. Davenport (1995) LQR 366, 369; Newton, 169. 389 Siehe nur OLG München v. 2.12.1987 – 21 U 5425/87, NJW-RR 1988, 1023. 390 Rb. Gent RW 2014-15, 1074, 1075; Laenens/Broeckx/Scheers/Tiriar, Handboek gerechtelijk recht (2012) 226 nr 479. 391 Beispiel bei Hohmeier, IHR 2014, 217, 224. 392 Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im Internationalen Privatrecht (1995) 288. 393 Siehe nur östOGH, ZfRV 1999, 191; östOGH, JBl 2001, 117, 120; Hoge Raad, NIPR 2000 Nr. 39 S. 108; Cassaz., Dir. mar. 104 (2002) 1297, 1301 f.; Hough v. P & O Containers Ltd. [1998] 2 Lloyd’s Rep. 318, 323 (Q.B.D., Rix J.); Siboti K/S v. BP France SA [2003] 2 Lloyd’s Rep. 364, 372 (Q.B.D., Gross J.); Trib. comm. Liège T.B.H. 1995, 395, 398 f.; Rb. ’s-Gravenhage NIPR 1997 Nr. 128 S. 183; Rb. Zutphen NIPR 2000 Nr. 218 S. 360; Rb. Rotterdam, NIPR 2005 Nr. 68 S. 111; Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2001, 898; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 15. 394 Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2009, 664, 665. 395 Siehe nur EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 51 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; OLG Stuttgart, EuZW 1991, 126 (zu § 98 Abs. 2 GWB a.F.); OLG München I, IPRspr. 2017 Nr. 51 S. 101; LG Darmstadt, NJW-RR 1994, 686; LG Karlsruhe v. 31.10.1995 – 12 O 492/95, NJW 1996, 1417, 1418; Aud. Prov. Cantabria AEDIPr 2001, 893, 894 f.; Provimi Ltd. v. Roche Products Ltd. [2003] 2 All ER (Comm) 683, 720 (Q.B.D., Aikens J.); Aud. Prov. Vizcaya AEDIPr 2004, 755, 756; Gott-
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das nationale Recht kann sie nicht mehr korrigieren. Wegen der eigenen Entscheidung der Brüssel IaVO erfolgt – jenseits von Art. 25 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 Brüssel Ia-VO – keine Verweisung auf nationales Recht. Art. 25 Brüssel Ia-VO verfolgt den doppelten Zweck, die Formerfordernisse zu vereinheitlichen und die Wirksamkeitsprüfung spezifisch der Pro- oder Derogation nach nationalem Recht auszuschließen.397 Dies trifft spezifische Prorogations- bzw. Derogationsverbote und Vorschriften, die de facto eine Prorogation erschweren, gleichermaßen.398 Es trifft aber auch liberalere Regelungen der nationalen Rechte. Eine Inhaltskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen nach einem nationalen Maßstab in § 307 BGB ist daher im Anwendungsbereich des Art. 25 Brüssel Ia-VO grundsätzlich unzulässig.399 Allerdings können Wertungen aus der KlauselRL wegen Art. 67 Brüssel Ia-VO vorgehen400 und sich über § 307 BGB Bahn brechen.401 Art. 25 Brüssel Ia-VO errichtet einen abschließenden Kodex und verdrängt für Zulässigkeit, Form und Wirkungen das nationale Recht.402
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Auch § 38 ZPO wird (ebenso wie die Parallelnormen anderer nationaler Rechte403) von Art. 25 Brüs- 85 sel Ia-VO in dessen Anwendungsbereich vollständig verdrängt, eine formfreie Prorogation ist dort auch Kaufleuten nicht erlaubt.404 Eine Kaufmannseigenschaft spielt für Art. 25 keine Rolle und ist unter Art. 25 Brüssel Ia-VO erst recht nicht erforderlich.405 Weder § 38 Abs. 2 und 3 ZPO noch § 29c ZPO sind neben Art. 25 Brüssel Ia-VO zu beachten.406 Ebenso wenig vermag sich § 40 ZPO durchzusetzen.407 Gerichtstandsvereinbarungen, die ihre Wirksamkeit davon abhängig machen, dass alle Beteiligten Kaufleute sind, sind zwar zulässig, werefn aber im europäschen Bereich eigene Probeme auf und schöpfen die Spielräume der Parteiautonomie nicht vollständig aus.408 b) Kartellrecht Prorogationsbeschränkungen bzw. Derogationsverbote können, soweit Art. 25 Brüssel Ia-VO reicht, 86 nicht aus nationalem Kartellrecht (z.B. § 130 Abs. 2 GWB) fließen.409 Kartellrechtliche Streitigkeiten zwischen Privaten sind grundsätzlich für Gerichtsstandsvereinbarungen offen, wenn diese weit, aber
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wald, FS Firsching (1985) 89, 105; Herbert Roth, IPRax 1992, 68; Briggs [2013] LMCLQ 137, 138 f.; Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 425. Lindacher, FS Schlosser (2005) 491, 496; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 67, 104 f. (2016). Briggs (2003) 74 BYIL 535, 539. A.A. Mülbert, ZZP 118 (2005) 313, 322. Siehe nur OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3128; LG Karlsruhe, NJW 1996, 141; Kröll, ZZP 113 (2000) 135, 149 f.; Saenger, FS Sandrock (2000) 807, 811 f.; Saenger, ZEuP 2000, 656, 668; E. Peiffer, 153; Mankowski, EWiR 2015, 623, 624; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 8.37; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 67 (2016). Eingehend Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 6 (A. Staudinger) sowie Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 106–109 (2016); A. Staudinger, RRa 2019, 245. Wie hier OLG Wien, RRa 2019, 236, 238 f.; s. auch OLG Bamberg v. 31.10.2018 – 8 U 73/18 Rz. 43. Umgekehrt Borges, RIW 2000, 933, 938; Donzallaz, AJP 2004, 1193, 1204. Pfeiffer, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 671, 672 f.; A. Staudinger, DB 2000, 2056, 2059; A. Staudinger, IPRax 2001, 183, 187 f.; Leible, RIW 2001, 422, 429 f.; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6392. A.A. Borges, RIW 2000, 933, 936 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 20; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 31. Siehe nur OLG Celle, NJW-RR 2010, 118; OLG Brandenburg, IPRspr. 2012 Nr. 191 S. 432. Für Spanien z.B. Aud. Prov. Pontevedra AEDIPr 2004, 737. Siehe nur BGH, NJW 1980, 2022; OLG München v. 11.2.1981 – 7 U 3886/80, NJW 1982, 1951; OLG Karlsruhe v. 30.12.1981 – 14 U 4/81, NJW 1982, 1950; OLG Celle v. 2.3.1984 – 15 U 78/83, RIW 1985, 571, 572; OLG Karlsruhe, ZMR 2007, 929 = IPRspr. 2006 Nr. 127 S. 286; Prinzing, IPRax 1990, 83, 84 m.w.N.; Bork in Stein/Jonas, ZPO, Bd. 1 (23. Aufl. 2014) § 38 ZPO Rz. 20; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 59. OLG Hamm, IPRspr. 2017 Nr. 269 S. 548. OLG Hamm, RIW 2000, 382; OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3128; B. Hess, IPRax 2018, 258. OLG Karlsruhe, ZMR 2007, 929 = IPRspr. 2006 Nr. 127 S. 286. Näher Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 107 (Mankowski). Ebenso Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 71 (2016).
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen trotzdem bestimmt genug formuliert sind.410 Dass eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wird, bevor Kartellschadensersatzansprüche entstehen und damit erst recht, bevor die Geschädigten von ihnen Kenntnis haben können, steht nicht entgegen;411 ebenso wenig dürfte 87
Ob eine bestimmte Gerichtsstandsvereinbarung weit genug ist, dass sie Kartellsachen erfasst, ist eine – soweit nicht autonom möglich412 und soweit keine Vorgaben aus der EuGH-Rechtsprechung abzuleiten sind413 – grundsätzlich nach deren Statut zu beantwortende Auslegungsfrage.414 Eine ausdrückliche Einbeziehung von Kartellstreitigkeiten ist bei der Formulierung der Gerichtsstandsvereinbarung anzuraten, um Klarheit über die diesbezügliche Reichweite zu schaffen, aber nicht zwingend notwendig.415
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Kartellrechtliche Ansprüche sind für Lieferanten oder Kunden, die vom Kartell geschädigt wurden, vertragsnah zu ihren von der Gegenseite manipulierten Vertragsbeziehungen.416 Insoweit können die Kunden nicht zu ihren Gunsten Überraschung wegen Verhältnisferne reklamieren.417 Allerdings wird ihnen das Bestehen eines Kartells i.S.v. Art. 101 AEUV bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung regelmäßig nicht bekannt sein.418 Ein interessanter Ansatz bestünde darin, einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S.v. Art. 102 AEUV darin zu sehen, dass ein Kartellant einem Kunden eine für ihn günstige Gerichtsstandsklausel aufzwingt.419
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Generell ist nicht danach zu differenzieren, ob Art. 101 oder Art. 102 AEUV in Rede steht.420 Soweit Ansprüche aus Art. 102 AEUV in Rede stehen, besteht jedenfalls keine Voraussetzung, dass die Kom410 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 Rz. 62 – Cartel Damages Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV; Cass., JCP G 2015.1322 m. Anm. Idot = Procédures 2015 comm. 358 m. Anm. Nourissat = CCC 2015 comm. 287 m. Anm. Decocq; Hof Amsterdam, WuW 2015, 1179, 113 f.; Basedow/C. Heinze, FS Wernhard Möschel (2011) 63, 81; Danov Jurisdiction and Judgments in Relation to EU Competition Law Claims (2011) 63–67; Wurmnest, EuZW 2012, 933, 935; Wurmnest, FS Ulrich Magnus (2014) 567, 569 f.; Mankowski, EWiR 2015, 687, 688; Negri, Int’l Lis 2015, 78, 83 f.; Decocq, CCC 2015 comm. 211; Harms/Sanner/Joh Schmidt, EuZW 2015, 584, 591; Idot, JCP G 2015, 2221; Havu, MJ 22 (2015), 879, 885; Vanleenhove, SEW 2016, 30, 32; Ciron, Resp civ. ass mars 2016, 11, 12 f.; W.-H. Roth, IPRax 2016, 318, 325 f.; Kleiner, Clunet 143 (2016) 931, 937 f.; Mathey, CCC 2017 comm. 222. Anderer Ansicht Tzakas, Die Haftung für Kartellrechtsverstöße im internationalen Rechtsverkehr (2011) 141–148 unter Berufen auf Wertungen aus EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 – Ingmar GB Ltd. vs. Eaton Leonard Technologies Ltd.; EuGH v. 23.3.2006 – C-465/04, ECLI:EU:C:2006:199 – Honyvem Informazioni Commerciali Srl vs. Mariella De Zotti zum einen und EuGH v. 1.6.1999 – C-126/97, ECLI:EU:C:1999:269 – Eco Swiss China Ltd. vs. Benetton International NV zum anderen. Skeptisch auch C. Heinze, AEDIPr 2014-2015, 79, 89–96; Treppoz, Rev. contrats 2016, 282, 284 f. Cass., CCC 2017 comm. 247 m. Anm. Mathey = Resp civ. ass 2018 comm. 38 m. Anm. Ciron legte die Frage, wann dies für unionsrechtliche Ansprüche aus Art. 101; 102 AEUV der Fall ist, dem EuGH vor (Rs. v. 24.10.2018 – C-595/17, IPRax 2019, 524); Vorinstanz CA Versailles, Procédures 2017 comm. 7 m. krit. Anm. Nourissat. 411 Entgegen GA Jääskinen, Schlussanträge v. 11.12.2014 – C-352/13, ECLI:EU:C:2014:2443 Rz. 130. 412 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 141–143. 413 Hess, FS Prütting (2018) 337, 339 f. unter Hinweis auf EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 Rz. 6 – Cartel Damages Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV. 414 Danov Jurisdiction and Judgments in Relation to EU Competition Law Claims (2011); Rodger in Lianos/Geradin (Hrsg.) Handbook on European Competition Law I: Enforcement and Procedure (2013) 467, 476; Pato, YbPIL 17 (2015/16) 491, 499 f. sowie Gaudemet-Tallon, D 2018, 2338, 2341. 415 Dahin aber M. Weller/Wäschle, RIW 2015, 603, 605; Harms/Sanner/Joh Schmidt, EuZW 2015, 584, 592; Geiss/ Daniel (2015) 36 ECLR 430, 435. 416 EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 Rz. 28 – Apple Sales International, Apple Inc. u. Apple Retail France SARL vs. MJA als Liquidator von eBizcuss.com; Dasser, FS Kren Kostkiewicz (2018) 21, 32 f.; Mankowski, JZ 2019, 141, 143; s. aber auch Sirakova/Westerhoven, IPRax 2019, 493, 495. 417 EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 Rz. 29 – Apple Sales International, Apple Inc. u. Apple Retail France SARL vs. MJA als Liquidator von eBizcuss.com; Mankowski, JZ 2019, 141, 143. 418 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 11.12.2014 – C-352/13, ECLI:EU:C:2014:2443 Rz. 111. 419 C. Heinze, AEDIPr 2014-2015, 79, 99 f.; Mankowski, JZ 2019, 141, 143; C. Krüger/Seegers, WuW 2019, 170, 172; s. auch Calvo Caravaca/Suderow, Cuad. Der. Trans. 11 (2) (2019) 439, 446. 420 Stammwitz, BB 2018, 3028; Wiegandt, EWiR 2019, 61, 62; Bosco Contrats Concurrence Consommation N° 1, janvier 2019, 31, 32; Mankowski, JZ 2019, 141, 143 sowie Gaudemet-Tallon, D 2018, 2338, 2340. A.A. Pfeiffer, LMK 2018, 412366; Moura Ramos, RLJ N° 4013, nov-dec 2018, 115, 123; Nourissat in Bourdeaux/Menjucq/ Nourissat JCP G 2019, 219, 222; Sirakova/Westerhoven, IPRax 2019, 493, 495.
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mission vorher einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV festgestellt hat.421 Private enforcement steht gleichrangig neben public enforcement.422 Auf der anderen Seite schadet eine vorherige behördliche Feststellung durch die Kommission natürlich nicht. Vielmehr kann der private Schadensersatzkläger sie sich zunutze machen. Die Gerichtsstandsklausel erfasst erst recht kartellrechtliche follow-on-Klagen, wenn sie kartellrechtliche Klagen generell abdeckt.423 Jede Gerichtsstandsvereinbarung über Kartellansprüche kann nur inter partes zwischen den Parteien genau dieser Vereinbarung gelten, nicht zu Lasten an der Vereinbarung nicht beteiligter Dritter (die auch keine Rechtsnachfolger ursprünglicher Parteien der Vereinbarung sind). Daher kann eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Kartellanten nicht zu Lasten ihrer Kunden geben, indem sie die Kunden zwingen würde, nur in dem benannten Gerichtsstand zu klagen.424
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Klauseln, die alle Ansprüche im Zusammenhang mit dem Vertrag abdecken, genügen inter partes für 91 die Einbeziehung von Kartellstreitigkeiten,425 Klauseln, die nur Ansprüche aus dem Vertrag abdecken, dagegen nicht;426 allgemeine Gerichtsstandsvereinbarungen jedenfalls sind nicht bestimmt genug.427 Darin liegt ein Kompromiss.428 Prorogierte Gerichte eines Mitgliedstaats sind im europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts aus Art. 67 Abs. 1 AEUV nicht per se weniger geeignet, Kartellschadensersatzklagen zu behandeln als die objektiv berufenen Gerichte eines anderen Staates.429 Das unionsrechtliche Gebot effektiver Durchsetzung von Kartellverboten ist aufgrund des zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährenden wechselseitigen Vertrauens gewahrt und steht nicht entgegen.430 Abgesehen vom Vorrang der unionsrechtlich induzierten Liberalität ist im europäischen Rahmen durch Art. 6 Abs. 3 Rom II-VO weitestgehend sichergestellt, dass zwingende Normen nicht durch Vereinbarung eines Gerichtsstands unterlaufen werden können, in dem mindere Maßstäbe zur Anwendung kämen.431 Die Frage nach Prorogationen im Kartelldeliktsrecht hat deutlich an Bedeutung gewonnen, seitdem das europäische Kartellrecht mit der VO (EG) Nr. 1/2003432 auf private enforcement, also auf Kartellrechtsdurchsetzung durch Private statt durch Behörden, setzt. Die RL 2014/104/EU fördert sogar den Rückgriff auf einvernehmliche Mechanismen der dispute resolution und betont damit die Legitimität auch von Parteiautonomie.433 Sie macht die unmittelbare Wirkung der Art. 101; 102 AEUV effektiver und entfernt von rein behördlicher Durchsetzung.434 421 EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 Rz. 33–36 – Apple Sales International, Apple Inc. u. Apple Retail France SARL vs. MJA als Liquidator von eBizcuss.com; GA Wahl, Schlussanträge v. 5.7.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:541 Rz. 83–89; Mankowski, JZ 2019, 141, 143. 422 Siehe nur Moura Ramos, RLJ N° 4013, nov-dec 2018, 115, 130. 423 GA Wahl, Schlussanträge v. 5.7.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:541 Rz. 87; Mankowski, EWiR 2015, 687, 688; Mankowski, JZ 2019, 141, 143; Stammwitz, BB 2018, 3028; Wiegandt, EWiR 2019, 61, 62; Moura Ramos, RLJ N° 4013, nov-dec 2018, 115, 129. 424 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 Rz. 64 – Cartel Damages Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV; Wurmnest, EuZW 2012, 933, 936; Musger, ÖBl 2015, 235, 237; Czernich/Geimer/ Kodek, Teil 2 A II 1 Rz. 12. 425 A.A. Hof Amsterdam, ECLI:NL:GHAMS:2015:3006; Rb. Rotterdam, ECLI:NL:RBROT:2016:4164. 426 Mankowski, EWiR 2015, 687, 688; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 23 sowie Geiss/Daniel (2015) 36 ECLR 430, 435. 427 Siehe GA Jääskinen, Schlussanträge v. 11.12.2014 – C-352/13, ECLI:EU:C:2014:2443 Rz. 129; Hof Amsterdam, WuW 2016, 1179, 1183; A. Stadler, JZ 2015, 1138, 1148. 428 Reydellet, RLDA 111 (2016) 37. 429 Harms/Sanner/Joh Schmidt, EuZW 2015, 584, 591; Mäsch, WuW 2016, 285, 290. 430 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 Rz. 63 – Cartel Damages Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV; GA Jääskinen, Schlussanträge v. 11.12.2014 – C-352/13, ECLI:EU:C:2014:2443 Rz. 116; Steinle/Wilske/M. Eckardt, SchiedsVZ 2015, 165, 168. 431 H. I. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht (2011) 216–218; Wurmnest, FS Ulrich Magnus, 2014, 567, 570 f. Vgl. auch Massing, Europäisches Internationales Kartelldeliktsrecht (2011) 368 f. 432 VO (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16.12.2002 zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. EG 2003 L 1/1. 433 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 11.12.2014 – C-352/13, ECLI:EU:C:2014:2443 Rz. 113. 434 Siehe EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 Rz. 35 – Apple Sales International, Apple Inc. u. Apple Retail France SARL vs. MJA als Liquidator von eBizcuss.com.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 93
Prorogationsbeschränkungen bzw. Derogationsverbote folgen weder aus nationalem zwingendem Vertragsrecht etwa für Handelsvertreter- oder Alleinvertriebsverträge435 noch für kleine und mittlere Unternehmen. Ebenso wenig vermögen sich nationale Verbote für Fernunterrichtsschutzverträge oder auf Grund besonderen Anlegerschutzes durchzusetzen.436 Für Klagen aus Masseforderungen gelten ebenfalls keine Besonderheiten.437 c) Transportrecht
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Im Seefrachtrecht ist danach zu differenzieren, ob Prorogationsverbote auf internationalen Übereinkommen beruhen und deshalb nach Art. 71 Brüssel Ia-VO Vorrang genießen, oder ob sie ohne völkerrechtliche Verpflichtung auf nationaler Entscheidung beruhen. Art III Abs. 8 Haager Regeln bzw. Visby-Regeln einschließlich nationaler Umsetzungen bricht sich so Bahn,438 außerdem – sofern ratifiziert – Art. 23 Hamburg-Regeln. Es verschlägt nicht, dass Haager und Visby-Regeln sich nicht direkt mit Gerichtsstandsklauseln befassen;439 vielmehr reicht aus, dass sich aus Haager und Visby-Regeln Konsequenzen für Gerichtsstandsklauseln ableiten lassen.440
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Eine Kontrolle an Hand rein nationalen Rechts ohne völkervertraglichen Hintergrund scheidet dagegen aus.441 Insoweit bricht sich der Anwendungsvorrang der Brüssel Ia-VO wie zuvor von EuGVVO, EuGVÜ und LugÜbk vor dem nationalen Recht Bahn.442 Aus deutscher Sicht besteht also nur eine Prorogationsbeschränkung auf Grund des deutschen Haager Regeln-Rechts, nicht aber auf Grund des deutschen Visby-Regeln-Rechts, denn die Bundesrepublik hat die Visby-Regeln nicht völkerrechtlich ratifiziert.443 Im europäischen Rahmen, den allein Art. 25 Brüssel Ia-VO mit seiner Voraussetzung der Prorogation auf ein mitgliedstaatliches Gericht anspricht, kommt die Beschränkung aus den Haager Regeln nicht zum Zug, denn alle Mitgliedstaaten wahren zumindest die Standards der Haager Regeln, wenn nicht höhere Standards.444
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Bei anderen Transportverträgen ist ebenfalls jeweils zu Fragen, ob sich ein Pro- oder Derigationsverbot aus einem nach Art. 71 Brüssel Ia-VO vorrangigen völkerrechtlichen Übereinkommen ergibt. Art. 31 CMR etwa gibt im internationalen Straßengüterverkehr einen ganz bestimmten Kreis von Gerichtsständen vor, und Art. 41 CMR verbietet eine Derogation. Art. 46 § 1 CIM; 57 § 1 CIV erlauben nur eine fakultative, aber keine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung. Art. 28 Abs. 1; 32 S. 1 WA enthält Gerichtsstandsregeln. Alle diese Normen genießen – nach Maßgabe der (wenngleich verfehlten, so doch praktisch zu beachtenden445) TNT/AXA-Rechtsprechung – gem. Art. 71 Abs. 1 Vorrang vor der Brüssel Ia-VO.446 Art. 33 MÜ genießt solchen Vorrang bereits über Art. 67.447 Art. 25 Abs. 1 CMNI ist keine direkte Gerichtsstandsregel, sondern wirft vergleichbare Fragen wie Art III Abs. 8 Haager Regeln448 nach einer indirekten Erfassung von Gerichtsstandsvereinbarungen auf, soweit Gerichtsstandsvereinbarungen wie Haftungsbeschränungen wirken.
435 Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 981 gegen Trib. com Bruxelles J. trib. 1976, 210 sowie Hof van Cass., Rev. crit. dip. jur belge 1981, 332, 343. 436 Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht (8. Aufl. 2015) Rz. 8.36. 437 Trib. Torino Riv. dir. int. priv. proc. 2009, 640, 644 f. 438 Mankowski, 288 f. 439 So aber Hof Antwerpen, ETR 2005, 704, 708; Weser, Jur comm. belge 1976, 666, 669; Verhoeven, Rev. belge dr. int. 1977, 397, 404; Kropholler in Max-Planck-Institut (Hrsg.), HdbIZVR I Kap. III Rz. 887; Zorbas, J. trib. 1982, 521, 522; Ekelmans, Cah. dr. eur. 1985, 426, 429 f.; Redmann, 177–178; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56, 67; Sparka, 156 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 79 (2016). 440 Mankowski, TranspR 1988, 410, 420; Mankowski, 288 f.; Stöve, 166. 441 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 51 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; Czernich/Geimer/Martiny, Teil A II 4 Rz. 15. 442 Mankowski, 286 f. mit umfangreichen Nachweisen. 443 Mankowski, 290–292. 444 Mankowski, 291Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht (8. Aufl. 2015) Rz. 8.40. 445 Art. 71 Brüssel Ia-VO Rz. 17–29 (Mankowski). 446 Czernich/Geimer/Martiny, Teil A II 4 Rz. 7–11. 447 Art. 67 Brüssel Ia-VO Rz. 8 (Mankowski). 448 Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 94 (Mankowski).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
2. Freie Wahl ohne Rechtfertigungszwang Das gewählte Gericht muss keine objektiven Bezüge zum Sachverhalt haben.449 Die Parteien können ein sog. „neutrales“ Gericht oder „neutrales Forum“ vereinbaren, dass in einem Staat liegt, in dem keine der Parteien ihren Sitz oder eine Niederlassung hat und zu dem aus Parteisicht Äquidistanz der Parteien besteht. Wer befürchtet, bei einem Auswärtsspiel450 im Staat des Vertragspartners als Forumausländer Opfer dortiger Einwohnerbevorzugung (forum bias)451 zu werden, mag zu dieser Gestaltung tendieren, sofern er nicht seinen eigenen Gerichtsstand durchsetzen kann.452 Würde die Wahl eines neutralen Gerichts nicht eröffnet, so drohte ein komplettes Abwandern wirtschaftsrechtlicher Streitigkeiten in die Schiedsgerichtsbarkeit.453 Trotzdem ist die Lösung mit einem neutralen Gericht eine teure Lösung, denn sie zwingt alle Parteien zum Auswärtsspiel außerhalb ihrer jeweils heimischen Sphäre, wobei keine Partei „Heimmannschaft“ ist.
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Die Parteien müssen kein rechtfertigendes besonderes Interesse an der Wahl gerade des prorogier- 98 ten Gerichts belegen.454 Sie haben Wahlfreiheit. Dass ein anerkennenswertes Interesse an einer Gerichtsstandsvereinbarung besteht, hat Art. 25 Brüssel Ia-VO bereits abstrakt durch seine bloße Existenz und die in ihm enthaltene Erlaubnis bekräftigt. Das prorogierte Gericht hat kein Ermessen, eine den Anforderungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO genügende Gerichtsstandsvereinbarung etwa auf dem Boden einer forum non conveniens-Lehre nicht zu respektieren.455 Keine Partei soll die Geirchtsstandsvereinbarung auf dieser Grundlage nachträglich unterminieren können.456 Es darf kein solches Einfallstor für ex post-Opportunismus geben. Erwägungen, ob das gewählte Gericht einen objektiven Bezug zum Sachverhalt aufweist, ob die Klausel im Prinzip angemessen ist oder welche Ausformung das materielle Haftungsrecht annimmt, verbieten sich daher grundsätzlich.457 3. Missbrauchskontrolle im Einzelfall? Für Ausnahmefälle stellt sich die Frage nach einer Missbrauchskontrolle. In den sensiblen Bereichen 99 mit Gefällekonstellationen, in denen eine starke Partei mit einer typischerweise schwächeren kontrahiert, findet eine institutionalisierte Missbrauchskontrolle durch Art. 15, 19 oder 23 Brüssel Ia-VO statt. Im Verbraucherbereich tritt bei Gerichtsstandsklauseln in AGB die Kontrolle nach den nationalen Umsetzungen von Anh. Nr. 1 lit. q KlauselRL hinzu,458 denn diese genießen nach Art. 67 Brüs449 Siehe nur EuGH v. 17.1.1980 – 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 Rz. 4 – Siegfried Zelger vs. Sebastiano Salinitri; EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 Rz. 34 – Mainschifffahrts-Genossenschaft eG (MSG) vs. Les Gravières Rhenanes SARL; EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 Rz. 28 – Francesco Benincasa vs. Dentalkit Srl; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 50 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; GA Wahl, Schlussanträge v. 5.7.2018 – C-595/17, ECLI: EU:C:2018:541 Rz. 36; BGH, BB 2015, 1418, 1422 Rz. 43 m. Anm. Mankowski; östOGH, ZfRV 2005, 69; E. Peiffer, 87; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 47; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 2; Czernich/Geimer/ Garber, Teil 2 A I Rz. 24; B. Hess, IPRax 2018, 258. 450 Zu den Nachteilen eines „Auswärtsspiels“ insbesondere für den Beklagten Mankowski in C. Ott/H.-B. Schäfer (Hrsg.), Vereinheitlichung und Diversität des Zivilrechts in transnationalen Wirtschaftsräumen (2002) 118, 121–123; Mankowski, IPRax 2006, 454. 451 Dazu Streit/Mangels, ORDO 47 (1996) 73, 80; Herbel in Schwenzer (Hrsg.), Schuldrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung an der Schwelle zum 21. Jahrhundert (1999) 1, 10. 452 Zur Motivlage eingehend F. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstands (1997) 50–62. 453 Droz, Nr. 206. 454 Siehe nur Rb. Rotterdam, S& S 2006 Nr. 56 S. 234; Czernich, wbl 2004, 458, 462 f. 455 Siehe nur Equitas Ltd. v. Allstate Insurance Co [2009] 1 All ER (Comm) 1137, 1154 [64] (Q.B.D., Beatson J.); Rb. Breda NIPR 2009 Nr. 39 S. 97; Coester-Waltjen, FS Tekinalp, 2003, 147, 151 f.; E. Peiffer, 88, 111; CoesterWaltjen, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 31, 34. 456 Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 31, 34. 457 ÖstOGH, ecolex 2008/117 S. 328; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 653 f. 458 EuGH v. 27.6.2000 – C-240/98, ECLI:EU:C:2000:346 – Océano Grupo Editorial SA vs. Rocío Quintero = DB 2000, 2056 m. Anm. A. Staudinger = JZ 2001, 245 m. Anm. Schwartze = ZEuP 2003, 141 m. Anm. Pfeiffer = EuLF 2000–01, 88 m. Anm. Augi/Baratella; dazu Hau, IPRax 2001, 96; Leible, RIW 2001, 422; Whittaker (2001) 117 LQRev 215; Withers [2002] LMCLQ 56; Donzallaz, AJP 2004, 1193; Leible/Röder, RIW 2007, 481; vgl. auch Aud. Prov. Madrid AEDIPr 2004, 751; grundlegend Pfeiffer, FS Schütze zum 65. Geb., 1999, 671.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen sel Ia-VO Vorrang vor Art. 25 Brüssel Ia-VO. Daneben wird etwa eine Missbrauchskontrolle bei Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung unter Zwang oder wirtschaftlichem Druck postuliert459 oder bei einseitiger Bevorzugung einer bestimmten Vertragsseite.460 Wer eine Missbrauchskontrolle befürwortet, muss zugleich dafür Sorge tragen, dass nicht durch diese Hintertür die spezifisch prozessrechtlichen Pro- oder Derogationsbeschränkungen des nationalen Rechts wieder wirksam werden. Ein solches Ergebnis darf nicht eintreten.461 Nicht weiter hilft zumindest im praktischen Ergebnis auch, zwischen der Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen und der Ausübbarkeit der aus ihnen fließenden Rechte unterscheiden wollen.462 Eine Missbrauchskontrolle könnte als spezifisch prozessrechtliches Institut also höchstens nach unionsrechtlichen Maßstäben erfolgen.463 100
Aus dem Wortlaut des Art. 25 Brüssel Ia-VO ergibt sich keine allgemeine Missbrauchskontrolle,464 wie sie etwa Art. 7 Abs. 2 SchwIPRG vorsieht.465 Die Missbrauchskontrolle ließe sich daher nur im Wege der Fortbildung des europäischen autonomen Rechts angemessen entwickeln.466 Es müsste sich um institutionelle Missbrauchsschranken handeln.467 Im deutschsprachigen Raum werden die Anforderungen an diejenigen angelehnt, denen §§ 1025 Abs. 2 ZPO a.F.; 138 BGB Schiedsvereinbarungen unterwarfen.468 Dies muss aber wie jedes Plädoyer für eine Missbrauchskontrolle den Umkehrschluss aus Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO überwinden, dass die Brüssel Ia-VO durchaus selber Sorge für Prorogationsbeschränkungen trägt, wo sie dies für angezeigt hält.469 Maßstäbe des nationalen Rechts tragen als solche auf der europäischen Ebene sowieso nicht.470
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Im Rahmen der Haager Arbeiten versuchte Art. 6 Abs. 3 Brüssel Ia-VO des nie in Kraft getretenen ersten Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen471 von 1965 eine Missbrauchsschranke zu etablieren, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung zustande gekommen sei „by an abuse of economic power or other unfair means.“ Diesen Faden greift Art. 8 lit. c HProrogÜbk 2005 wieder auf, indem einer Gerichtsstandsvereinbarung die Wirkung zu versagen sei, wenn „giving effect to the agreement would lead to a very serious injustice or would be manifestly contrary to the public policy of the State of the court seised.“ Dies gilt als eine der beiden Kernbestimmungen des Übereinkommens.472 Allerdings bietet dies kein klares Argument. Zwar mag unter den Delegationen bei der Haager Konferenz insoweit breite internationale Übereinstimmung bestanden haben. Jedoch enthält Art. 25 Brüssel Ia-VO einen entsprechenden Vorbehalt gerade nicht. Ein solcher Vorbehalt wurde weder 1968 festgeschrieben, als Art. 17 EuGVÜ entstand, noch wurde er anlässlich der diversen Bei-
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Eingehend A. Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 6; Pataut Mélanges Jacques Calais-Auloy (2014) 807. G. Roth, IPRax 1992, 67, 68; Staehelin, 191; Geimer/Schütze/S. Auer (1997) Art. 17 EuGVÜ Rz. 65; Kröll, ZZP 113 (2000) 135, 150 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 86 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 31; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6489; s. auch Aud. Prov. Madrid AEDIPr 2005, 612, 613. BGH v. 19.7.2012 – I ZR 40/11, IPRax 2013, 557 = GRUR 2013, 421 (allerdings AGB-Unterlassungsklage, keine Individualklage); U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 801; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 74; H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 833; s. auch Cass., D 2012, 2876 m. Anm. Martel. Siehe OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3128; H. Roth, IPRax 1992, 67, 69. Dafür aber Basedow, FS Ulrich Magnus (2014) 337, 344. Fricke in Beckmann/Matusche-Beckmann (Hrsg.), Versicherungsrechts-Handbuch (3. Aufl. 2015) § 3 Rz. 52. OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126, 3128; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 87; N. Horn, IPRax 2006, 2; Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664; Abendroth, 153; s. auch Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56. Die Vorschrift lautet: „Die Gerichtsstandsvereinbarung ist unwirksam, wenn einer Partei ein Gerichtsstand des schweizerischen Rechts missbräuchlich entzogen wird.“ Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 31 sowie Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 86 f. G. Roth, IPRax 1992, 67, 69. G. Roth, IPRax 1992, 67, 69; Staehelin, 191; Geimer/Schütze/S. Auer (1997) Art. 17 EuGVÜ Rz. 65; Kröll ZZP 113 (2000) 135, 150 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 86 f.; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6489. Ebenso Fricke in Beckmann/Matusche-Beckmann (Hrsg.), Versicherungsrechts-Handbuch (3. Aufl. 2015) § 3 Rz. 52. Ansicht E. Peiffer, 148 f. Vgl. Horn, IPRax 2006, 2, 3. Convention of 25 November 1965 on the Choice of Court. Draft Report Dogauchi/Hartley, Prel Doc 26 (Dec 2004) Nr. 116.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
trittsübereinkommen oder anlässlich der Transformation in Art. 25 Brüssel Ia-VO geschaffen.473 Das Beschränkungsprinzip war lange bekannt, und das Haager Vorbild stand vor Augen. Man ist ihm aber nicht gefolgt. Dies kann mit mindestens gleichem Gewicht einen Umkehrschluss tragen.474 Dieser Umkehrschluss würde zudem durch einen parallelen Umkehrschluss daraus gestützt, dass man auch dem Vorbild des Art. 7 Abs. 2 schwIPRG nicht gefolgt ist.475 Eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf Unionsrecht ist allerdings generell nicht er- 102 laubt.476 Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts,477 der gerade im Bereich des Unionsprivatrechts einschließlich des unionsrechtlichen Verfahrensrechts besondere Bedeutung zukommt.478 Aus dem Verbot des Rechtsmissbrauchs ergibt sich z.B., dass die nationalen Gerichte ein missbräuchliches Verhalten des Betroffenen auf der Grundlage objektiver Kriterien in Rechnung stellen können, um ihm gegebenenfalls die Berufung auf das einschlägige Unionsrecht zu versagen, sofern sie bei der Würdigung eines solchen Verhaltens die Ziele der fraglichen Bestimmung beachten.479 Indirekt mag man auch Art. 47 Abs. 2 GRC; 6 Abs. 1 S. 1 EMRK involviert sehen.480 Art. 1:201 Abs. 1 Principles of European Contract Law schlägt mit einem allgemeinen Gebot von 103 Treu und Glauben in eine benachbarte Kerbe, und Art. 4:109 Principles of European Contract Law gibt ein Anfechtungsrecht wegen wirtschaftlichen Drucks. Indes zeigt gerade dies den Weg, der bessere Alternative gegenüber der Verankerung eines ungeschriebenen Missbrauchsverbots in Art. 25 Brüssel Ia-VO ist: den wirtschaftlichen Druck als komplexere Frage des Zustandekommens anzusehen und die Frage der lex causae zu überantworten.481 Dies entspricht dem akzeptierten Grundsatz,482 dass für solche komplexeren Fragen Art. 25 Brüssel Ia-VO keine direkte Antwort zu entnehmen ist und man diese Lücke durch Rückgriff auf das anwendbare Recht füllen muss. Jedenfalls bleiben nicht zu überwindende Bedenken gegen eine generelle, in Art. 25 Brüssel Ia-VO selbst anzusiedelnde Missbrauchskontrolle: Zum einen hat der Umkehrschluss aus Art. 15, 16, 19, 23 Brüssel Ia-VO ganz erhebliches Gewicht.483 Die Brüssel Ia-VO setzt auf abstrakte Kontrolle in legislativer Abwägung, wenn sie generell eine Notwendigkeit für Kontrolle sieht. Ein einzelfallbezogener Missbrauchstatbestand würde dagegen konkret ansetzen müssen.484 Zum anderen eröffnet eine Miss-
473 Vgl. ansatzweise auch LG Mainz v. 13.9.2005 – 10 HK. O 112/04, WM 2005, 2319, 2323. 474 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 81 (2005); s. auch Freitag, FS Ulrich Magnus, 2014, 414, 429; Pfeiffer, ZZP 127 (2014) 409, 421; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 177; Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 31, 43 Fn. 99. 475 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 81 (2005). 476 Siehe EuGH v. 3.12.1974 – 33/74, ECLI:EU:C:1974:131 Rz. 13 – Johannes Henricus Maria van Binsbergen vs. Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Metaalnijverheid; EuGH v. 7.2.1979 – 115/78, ECLI:EU:C:1979: 31 Rz. 25 – J. Knoors vs. Staatssekretär für Wirtschaft; EuGH v. 10.1.1985 – 229/83, ECLI:EU:C:1985:1 Rz. 27 – Association des centres distributeurs Édouard Leclerc vs. Sàrl „Au blé vert“; EuGH v. 21.6.1988 – 39/86, ECLI:EU:C:1988:322 Rz. 43 – Sylvie Lair vs. Universität Hannover; EuGH v. 3.10.1990 – C-61/89, ECLI:EU: C:1990:343 Rz. 14 – Strafverfahren gegen Marc Gaston Bouchoucha; EuGH v. 3.2.1993 – C-148/91, ECLI: EU:C:1993:45 Rz. 12 – Vereniging Veronica Omroep Organisatie vs. Commissariaat voor de Media; EuGH v. 5.10.1994 – C-23/93, ECLI:EU:C:1994:362 Rz. 21 – TV10 SA vs. Commissariaat voor de Media; EuGH v. 2.5.1996 – C-206/94, ECLI:EU:C:1996:182 Rz. 24 – Brennet AG vs. Vittorio Paletta; EuGH v. 12.5.1998 – C-367/96, ECLI:EU:C:1998:222 Rz. 20 – Alexandros Kefalas vs. Elliniko Dimosio und Organismos Oikonomikis Anasygkrotisis Epicheiriseon AE (OAE). 477 Riesenhuber, System und Prinzipien des Europäischen Vertragsrechts (2003) 35; näher zum Verbot des Rechtsmissbrauchs im Unionsrecht Ranieri, ZEuP 2001, 165; Ottersbach, Rechtsmissbrauch bei den Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarkts (2001); Schmidt-Kessel, JbJZivRWiss 2000, 61; Schön, FS Wiedemann, 2002, 1271; Zimmermann, Das Rechtsmissbrauchsverbot im Recht der Europäischen Gemeinschaften (2002); Fleischer, JZ 2003, 865. 478 Heiderhoff, Europäisches Privatrecht (3. Aufl. 2012) 128. 479 EuGH v. 2.5.1996 – C-206/94, ECLI:EU:C:1996:182 Rz. 25 – Brennet AG vs. Vittorio Paletta. 480 H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 834. 481 Ähnlich wohl Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 82 (2005). Vgl. auch Abendroth, 158–161. 482 Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 144 (Mankowski). 483 Zustimmend Freitag, FS Ulrich Magnus (2014) 419, 425. A.A. Abendroth, 154. 484 H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 835 reklamiert dies sogar als Vorteil.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen brauchskontrolle den Gerichten Möglichkeiten zum ex post-Eingriff und läuft der Rechtssicherheit zuwider.485 105
Opportunistische Bevorzugung der jeweils im Forumstaat ansässigen Partei, forum bias, kann sich leichter Bahn brechen. Dies beeinträchtigt die institutionelle Gestaltungssicherheit486 der Gerichtsstandsabrede. Gerichte könnten ihre Abneigung insbesondere gegenüber Gerichtsstandsklauseln, die ihre eigene Zuständigkeit abbedingen,487 in das Gewand einer Missbrauchskontrolle kleiden. Art. 25 Brüssel Ia-VO dagegen lebt von Klarheit und darf sich jedenfalls nicht einer forum conveniens bzw. forum non conveniens-Lehre öffnen.488 Dem berechtigten Anliegen, dass Parteien sich nicht größere Liberalität erschleichen können, indem sie bei reinen Inlandssachverhalten unter das Dach der Brüssel Ia-VO zu flüchten versuchen,489 ist durch ein entsprechendes Verständnis des in der Brüssel Ia-VO selbst angelegten Internationalitätserfordernisses zu begegnen.490 4. Kein eigener persönlicher Anwendungsbereich
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Art. 25 Brüssel Ia-VO stellt an die Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung keinerlei persönliche Voraussetzungen. Er hat keinen persönlichen Anwendungsbereich. Alle Rechtssubjekte sind ihm im Ausgangspunkt gleichermaßen prorogationsbefugt. Prorogationsverbote kommen nur über gesonderte Normen mit eigenen Anordnungen ins Spiel. Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO sind diese Normen. Sie schränken die Pro- bzw. Derogationsmöglichkeiten gegen die in ihnen genannten, besonders geschützten Personengruppen ein. Art. 25 Brüssel Ia-VO aber stellt selber keine besonderen Anforderungen.
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Viele Gerichtsstandsklauseln deutscher Unternehmen orientieren sich aber an § 38 Abs. 1 ZPO. Sie wollen nach ihrem Text nur gelten, wenn beide Parteien Kaufleute oder öffentliche Unternehmen sind. Grundsätzlich können die Parteien persönlich beschränkte Gerichtsstandsvereinbarungen abschließen, und auch bedingte Gerichtsstandsvereinbarungen sind möglich. Beides ist von der prozessualen Parteiautonomie des Art. 25 Brüssel Ia-VO abgedeckt. Beides ist jeweils minus zur vollen, unbeschränkten Prorogation. Art. 25 Brüssel Ia-VO erlaubt diese und muss deshalb erst recht gestatten, wenn die Parteien weniger vereinbaren.
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Trotzdem werfen unbedacht aus dem internen deutschen Rechtsverkehr übernommene und an § 38 Abs. 1 ZPO ausgerichtete Gerichtsstandsklauseln im europäischen Rechtsverkehr Probleme auf. Zum einen verlangen sie, ernst genommen, die Kaufmannseigenschaft als Vorfrage anzuknüpfen. Art. 25 Brüssel Ia-VO beantwortet die Frage nach der Kaufmannseigenschaft nämlich nicht, weil es ihm auf diese Eigenschaft eben nicht ankommt. Daher ist ein Rückgriff auf das materielle Recht notwendig, über das IPR des jeweiligen Forums.491 Zum anderen wirken sie auf ausländische Gerichte komplex. Sie laufen Gefahr, als nicht hinreichend klar und bestimmt genug verworfen zu werden.492 5. Verhältnis von Gerichtsstandsvereinbarung und Hauptvertrag a) Unabhängigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung vom Hauptvertrag (Abs. 5)
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Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ist unabhängig von der Wirksamkeit eines eventuellen Hauptvertrages zu beurteilen, mag die Gerichtsstandsabrede formell auch als Teil jenes Vertrages erscheinen. Abs. 5 – entwickelt während der Verhandlungen und im Vorschlag noch nicht vorgesehen493 – schreibt dies nun in aller Deutlichkeit und unmissverständlich fest.494 Er kodifiziert die 485 486 487 488 489 490 491 492 493
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Ebenso LG Mainz v. 13.9.2005 – 10 HK. O 112/04, WM 2005, 2319, 2322. Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 1 (Mankowski). Dazu insbesondere Newton, 169–171. Droz, Nr. 207 f.; v. Hoffmann, AWD 1973, 57, 63; Piltz, NJW 1979, 1074; P. Huber, RIW 1993, 677; Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 181; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 81 (2005); N. Horn, IPRax 2006, 2, 3; H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 833. Siehe Samtleben, NJW 1974, 1593, 1596; Baumgärtel, FS Kegel, 1977, 285, 298; Jung, 55; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 89. Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 32 (Mankowski). Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 120 (Mankowski). Trib. comm. Paris Gaz Pal 13/14 août 2014, 25, 26. P. A. Nielsen (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 523.
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Kap. II: Zuständigkeit
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doctrine of separability495 (oder sprachlich genauer: die doctrine of severability496). Er kodifiziert gleichsam das Abstraktionsprinzip für Gerichtsstandsvereinbarungen. Zustandekommen und Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung sind unabhängig von Zustandekommen und Wirksamkeit des Hauptvertrages und gesondert von Zustandekommen und Wirksamkeit des Hauptvertrages zu beurteilen.497 Eine Gerichtsstandsvereinbarung behält also auch dann zuständigkeitsweisende Kraft, wenn der Hauptvertrag, auf den sie sich bezieht, unwirksam sein sollte.498 Die Zuständigkeitsprüfung erfolgt insoweit unabhängig von der Sachentscheidung (z.B. braucht man sich noch nicht um die Sittenwidrigkeit des Hauptvertrags zu scheren oder um die Vertretungsmacht der Vertragsschließenden für den Hauptvertrag499).500 Das entlatste die Zuständigkeitsprüfung und schneidet Verteidigungslinien ab.501 Die Gerichtsstandsvereinbarung ist theoretisch sogar isoliert denkbar und setzt die Existenz eines Hauptgeschäfts nicht notwendig voraus.502
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Die Eigenständigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung vermindert massiv das Potential, die Gerichtsstandsvereinbarung anzugreifen.503 Art. 3 lit. d HProrogÜbk 2005 bestätigt dies. Er diente als Vorbild für Abs. 5,504 der ihn buchstabengetreu kopiert.505 Er indiziert zugleich die internationale Akzeptanz der Lösung.506 Vorbild unter der Brüssel I-VO war die Benincasa-Entscheidung507 des EuGH.508
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Abs. 5 bringt daher sachlich keine Neuerung im Vergleich mit der Lage unter der Brüssel I-VO,509 sondern nur eine deklaratorische Klarstellung. Denn seine Sachaussage war bereits zu Art. 23 Brüssel I-VO eigentlich unangefochten und vom EuGH bestätigt,510 ohne dass es ein Pendant zum heutigen Abs. 5 gegeben hätte. Die ausdrückliche Klarstellung hat den Vorteil, direkt im Normtext zu stehen und damit auch Nicht-Experten und nur gelegentlich mit Art. 25 Brüssel Ia-VO befassten Rechtsanwendern deutlich vor Augen zu sein. Sie erledigt jeden Ansatz zu jeglichem Streit in diesem
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494 Siehe nur östOGH, ZfRV 2018, 132; KG v. 15.5.2018 – 7 U. 112/17 Rz. 17. 495 Siehe nur P. A. Nielsen (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 523; Francq in E. Guinchard 107, 125; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 114 (2016). 496 Korrekt Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 259; Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 38 f. 497 Siehe nur Silvestri, Riv. trim. dir. proc. civ. 2013, 677, 694; Rouchard-Joët, J. dr. eur. 2014, 2, 5; Michael Müller, EuZW 2016, 419, 422 (inhaltliche Querbezüge sind aber durch Abs. 5 nicht ausgeschlossen); Fohrer-Dedeurwaerder, RTDCom 2018, 1083, 1092 f. 498 KG v. 5.5.2018 – 7 U. 112/17; Tretthahn/Hiersche, ÖJZ 2014, 57, 61; de Maestri, Dir. comm. int. 2014, 607, 617. 499 östOGH, ÖJZ 2018, 959, 961 M. Anm. Rohrer und Hussmann; M. Lehmann, YbPIL 13 (2011) 507, 511. 500 Schulte-Hillen/Friedl, EWiR Art. 23 EuGVVO 1/05, 825, 826. 501 Vgl. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 117 (2016). 502 Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 31, 32. 503 Briggs, Agreements, Rz. 7.20; Francq in E. Guinchard 107, 125. 504 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 73; Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1052; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 54. 505 Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 57; Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 259. 506 P. A. Nielsen (2013) 50 C.M.L. Rev. 503, 523. 507 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 Rz. 28-32 – Francesco Benincasa vs. Dentalkit Srl = JZ 1998, 896 m. Anm. Mankowski. 508 E. Guinchard, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 319, 333; Francq in E. Guinchard 107, 125. 509 d’Avout, D 2013, 1014, 1022; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 73; Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1051; Gaudemet-Tallon/Kessedjian, Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 445; Markus, AJP 2014, 800, 811; Bowen, 2014 SLT art. 99, 103. 510 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 Rz. 28-32 – Francesco Benincasa vs. Dentalkit Srl = JZ 1998, 896 m. Anm. Mankowski; Cass., D 2010, 2333 m. Anm. d’Avout = Rev trim dr civ. 2010, 780 obs Fages = Clunet 138 (2011) 107 m. Anm. Chaille de Néré = Rev. contrats 2011, 223 obs Racine; Aud. Prov. Cádiz AEDIPr 2003, 813, 814; Aud. Prov. Cádiz AEDIPr 2003, 815, 816; Rb. Rotterdam, NIPR 2005 Nr. 68 S. 111; JP Morgan Europe Ltd. v. Primacom AG [2005] 2 Lloyd’s Rep. 665, 671 = [2005] 2 All ER (Comm) 764, 773 (Q.B.D., Cooke J.); Schulte-Hillen/Friedl, EWiR Art. 23 EuGVVO 1/05, 825, 826; Briggs [2013] LMCLQ 137, 139; vgl. allgemein Schlosser, Essays in Memory of Peter E. Nygh (2004) 305, 322 f.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Punkt. Außerdem sorgt sie hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit vom Schicksal des Hauptvertrags für eine Gleichwertigkeit von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen.511 113
Abs. 5 unterstreicht insbesondere, dass die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach den für sie selbst geltenden Normen und Maßstäben zu prüfen ist, nicht nach den für den Hauptvertrag geltenden. Das prozessuale Wirksamkeitsregime ist eigenständig und autonom, getrennt von jenem des Hauptvertrags. Vor allem gilt dies für die Formwirksamkeit, die sich nach Abs. 1 S. 3 richtet512 (selbst dann, wenn für den Hauptvertrag strengere Formvorschriften greifen513), und für die Statthaftigkeit, die sich aus Abs. 4 ergibt.514 Dagegen kann, wie Abs. 5 S. 2 nochmals besonders und unmissverständlich betont, die Unwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nicht auf eine Unwirksamkeit des Hauptvertrags gestützt werden. Unwirksamkeit meint hier jegliche Art von Unwirksamkeit im weiten, untechnischen Sinn, also mangelndes Zustandekommen, formelle Unwirksamkeit, materielle Unwirksamkeit, Geschäftsunfähigkeit, Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit.515
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Die Gerichtsstandsabrede erfasst auch Streitigkeiten über die Wirksamkeit jenes Vertrages, dessen Teil sie formell ist.516 Sie erlaubt, wenn sie selber wirksam ist, Streitigkeiten über die Wirksamkeit des Hauptvertrags im prorogierten Forum auszutragen.517 Ein mögliches negatives Ergebnis in der Hauptsache, dass der Hauptvertrag unwirksam sein könnte, nimmt der eben isoliert zu beurteilenden Gerichtsstandsvereinbarung nichts an deren eigener Wirksamkeit.518 Irrtümer, Drohung, Täuschung, Übervorteilung, Äquivalenzstörung oder Sittenwidrigkeit, die sich nur auf den Hauptvertrag beziehen, bleiben eben auf den Hauptvertrag beschränkt und wirken nicht auf die Gerichtsstandsvereinbarung über.519 Umgekehrt mag gerade de Zustimmung zur Gerichtsstandsvereinbarung durch eine Drohung oder Täuschung erlangt sein.520
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Dies schließt allerdings nicht stets und automatisch aus, dass Hauptvertrag und Gerichtsstandsvereinbarung je für sich betrachtet an demselben oder einem parallelen Mangel leiden.521 Bei solcher Fehleridentität oder Fehlerparallelität sind beide unwirksam, allerdings ohne dass es einen Nexus oder ein Junktim zwischen den beiden Unwirksamkeiten gäbe, die eben verschiedenen Gegenstände haben.522 Bei Fehleridentität oder Fehlerparallelität leiden eben sowohl der Hauptvertrag als auch die Gerichtsstandsvereinbarung jeweils für sich an einem Mangel und sich jeweils für sich fehlerhaft.
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Dass die Gerichtsstandsvereinbarung eine selbständige Abrede ist, hat Bedeutung auch für den maßgeblichen Zeitpunkt. Sie muss nicht gleichzeitig mit dem Hauptvertrag geschlossen sein,523 sondern kann vor oder nach dem Hauptvertrag geschlossen werden.524 Dass eine nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung möglich ist, sei es als isolierte Abrede, sei es zusammen mit anderen Abreden, bestätigen Art. 15 Nr. 1, 19 Nr. 1, 23 Nr. 1 Brüssel Ia-VO. Gerichtsstandsvereinbarungen vor Abschluss des Hauptvertrages sind denkbar als isolierte Vereinbarungen, im Rahmen von Vorverträgen oder
511 Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1051 sowie Bowen, 2014 SLT art. 99, 103. 512 Unalex Komm/Hausmann, Art. 23 EuGVVO Rz. 50; Dickinson/Lein/Garcimartín Álferez, Rz. 9.95. 513 Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 54 gegen Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 17. Vgl. auch Trib. Bologna Riv. dir. int. priv. proc. 2018, 1073, 1075. 514 Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 57. 515 Ähnlich Ratkovic´/Zgrabljic´ Rotar (2013) 9 JPrIL 245, 259 f. 516 Siehe nur EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 Rz. 22-32 – Francesco Benincasa vs. Dentalkit Srl; Cass., civ. Bull. civ. 2002 I Nr. 97 = JClP (G) 2002 II 10199 m. Anm. Guez; Cass. civ., Clunet 130 (2003) 146 obs Huet; Rb. Kh. Antwerpen J.P.A. 2000, 135; Gaudemet-Tallon/Kessedjian Rev. trim. dr. eur. 49 (2013) 435, 445. 517 KG v. 15.5.2018 – 7 U 112/17 Rz. 17; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 20. 518 Report Hartley/Dogauchi, Nr. 115; Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 57 f. 519 östOGH, ÖJZ 2018, 959, 961 m. Anm. Rohrer und Hussmann; Basler Komm LugÜ/B. Berger, Art. 23 LugÜ Rz. 56. 520 östOGH, ÖJZ 2018, 959, 961 m. Anm. Rohrer und Hussmann; A. K. Schnyder/Grolimund, Art. 23 LugÜ Rz. 56. 521 Report Hartley/Dogauchi, Nr. 115; Nuyts, Rev. crit. dip. 102 (2013) 1, 57 f. 522 Ebenso östOGH, ÖJZ 2018, 959, 961 m. Anm. Rohrer und Hussmann. 523 Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 672. 524 Zustimmend BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, WM 2019, 232 Rz. 30.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
über einen Letter of Intent, ein Memorandum of Agreement, ein Memorandum of Understanding oder ein sonstiges vorvertragliches Instrument, dem zumindest hinsichtlich der Gerichtsstandsabrede beide Parteien zugestimmt haben. Gerichtsstandsvereinbarungen müssen indes nicht notwendig mit einem Hauptvertrag zusammen in 117 einem formell einheitlichen Vertrag stehen. Vielmehr können sie auch isoliert erfolgen. Dies betrifft insbesondere Gerichtsstandsvereinbarungen über eine bereits entstandene Streitigkeit als zweite Art der Gerichtsstandsvereinbarung.525 In diesen Konstellationen kann Abs. 5 naturgemäß mangels Hauptvertrag keine Anwendung finden. Das materielle Ergebnis, dass die Gerichtsstandsvereinbarung unabhängig ist vom Schicksal eines materiellen Vertrags, ist aber dasselbe. Ob die Selbständigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung bei einer Beurkundung so weit geht, dass die 118 Beurkundung der Gerichtsstandsvereinbarung ein eigenständiger und gesondert gebührenpflichtiger Tatbestand ist, muss das anwendbare beurkundungsverfahresrecht besagen. Dafür ist Abs. 5 keine Aussage zu entnehmen. Im deutschen Notarkostenrecht fällt die Antwort verneinend aus, im Umkehrschluss aus § 111 Nr. 4 GNotKG, der nur die Rechtswhl zur eigenen gebührenrechtlichen Angelegenheit erhebt.526 b) Wechselwirkungen Die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung für vertragliche Ansprüche richtet sich prinzipiell, wenn kein abweichender Parteiwille ersichtlich ist, nach dem vom IPR des Forums berufenen Recht, im Prinzip demselben Recht, das auf den Vertrag anwendbar ist, dessen Teil die Gerichtsstandsabrede ist,527 nicht gem. Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 nach der lex fori prorogati.528 Eine Auslegung nach europäischautonomen Maßstäben wäre wünschenswert,529 jedoch lassen sich solche Maßstäbe kaum destillieren, gewinnen und konkretisieren. Die Auslegung ist im Prinzip eine Tatfrage,530 keine Rechtsfrage und obliegt dem Gericht.531 Grundsätzlich sind dabei alle vorgetragenen Aspekte zu berücksichtigen und wird keine strikte Trennlinie zum Hauptvertrag dergestalt gezogen, dass dieser prinzipiell nicht berücksichtigt werden dürfte.532 Abs. 5 steht dem nicht entgegen, weil es nicht um die Beurteilung der Wirksamkeit geht, sondern darum der Gerichtsstandsvereinbarung erst Konturen und einen sinnvollen Inhalt zu verleihen. Die Auslegung entscheidet auch über die Reichweite bezüglich nichtvertraglicher Ansprüche.533
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Allerdings sollte man auf das gesonderte Statut zur Ermittlung der Kaufmannseigenschaft zurückgreifen, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung sich selber auf die Geltung zwischen oder gegen Kauf-
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525 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 18.10.2012 – C-543/10, ECLI:EU:C:2012:637 Rz. 26. 526 J. Bormann/Diehn/Sommerfeldt/J. Bormann, GNotKG (2. Aufl. 2016) § 111 GNotKG Rz. 19; Wieczorek/ Schütze/M. Weller, Rz. 54. 527 BGH, IPRax 1999, 367, 369 m.w.N.; BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, WM 2019, 232 Rz. 25; BG v. 21.9.2017 – 4A_131/2017 E. 4.1; Rb. Rotterdam, NIPR 2007 Nr. 321 S. 439; Breitenbücher v. Wittke [2008] CSOH 145 [6] (Ct Sess, OH, Lord Brodie); Nursaw v. Dansk Jersey Eksport [2009] ILPr 263, 270 (Q.B.D., Bristol Registry, Judge Havelock-Allan QC); U. Magnus, FS Martiny (2014) 785, 795; Fountoulakis, IHR 2018, 61, 64. 528 Heinze, RabelsZ 75 (2011) 581, 586; Koppenol-Laforce, NIPR 2011, 452, 459; Fountoulakis, IHR 2018, 61, 62 f. A.A. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 112 (2016). 529 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 143. 530 EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 37 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 Rz. 31 – Francesco Benincasa vs. Dentalkit srl = JZ 1998, 896 m. Anm. Mankowski; BGH, IPRax 1999, 367 (dazu Dörner/A. Staudinger, IPRax 1999, 338); Bio-Medical Research Ltd. v. Delatex SA [2000] 4 IR 307, 317 (Irish S. C., Fennelly J.); Leo Laboratories Ltd. v. Crompton BV [2005] 2 ILRM 423, 432 = [2005] 2 IR 225, 239 (Irish S. C., Fennelly J.); Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 114; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 655. 531 Rb. den Haag NIPR 2014 Nr. 176 S. 315. 532 Deutsche Bank AG v. Asia Pacific Broadband Wireless Communications Inc [2008] 2 Lloyd’s Rep. 177, 183 (Q.B.D., Flaux J.). 533 Unten Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 358 (Mankowski).
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen leute beschränkt.534 Art. 25 Brüssel Ia-VO selber enthält aber keinerlei subjektiv-persönliche Beschränkung der Prorogationsfreiheit auf Kaufleute.535 6. Keine volle Kompetenz-Kompetenz des prorogierten Gerichts 121
Das Gericht, dessen Zuständigkeit vereinbart wurde, hat keine ausschließliche Kompetenz-Kompetenz;536 vielmehr können auch andere Gerichte über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung entscheiden, wenn sie trotz der abweichenden Abrede angerufen werden.537 Nur auf diesem Weg werden die Prorogationsverbote aus Art. 24 Brüssel Ia-VO oder Art. 15; 19; 23 Brüssel Ia-VO effektiv umgesetzt.538 Anderenfalls zöge eine Partei, die verbotswidrig die Klausel in den Vertrag „drückte“, erst einmal den Vorteil, die Gegenpartei zumindest für die Zuständigkeitsfrage zu einem Auswärtsspiel zwingen zu können.539 Außerdem drohten kostenträchtige Verfahrensmehrung und Verzögerungen.540
122
Bei Verfahrenskollisionen von Verfahren vor dem prorogierten und einem potentiell derogierten Gericht gewährt Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO dem Verfahren vor dem prorogierten Gerichten auch dann den Vorrang, wenn die Klage vor dem prorogierten Gericht später anhängig wurde und deshalb eigentlich nach allgemeinen Litispendenzregeln nachrangig wäre. Das litispendenzrechtliche Posterioritätsprinzip wird aber durch Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO durchbrochen.541 Vielmehr gilt das Prinzip der Vereinbarungspriorität.542 Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO greift auf der anderen Seite nicht für jede Gerichtsstandsvereinbarung, sondern setzt voraus, dass es sich um eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung handelt.543 Indes stellt Abs. 1 S. 2 die Vermutung auf, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung im Zweifel eine ausschließliche sein soll.
III. Form 123
Abs. 1 S. 3 stellt Anforderungen an die Form von Gerichtsstandsvereinbarungen auf. Insgesamt handelt es sich um vier disjunktive544 Tatbestände (wenn man Abs. 2 hinzunimmt, nominell fünf), von denen nur einer vorliegen muss, damit die Gerichtsstandsvereinbarung formgültig ist. Abs. 1 S. 3 verwirklicht ein abgestuftes, abschließendes545 System von Formvorschriften,546 das sich vom indivi534 A.A. BGH, IPRax 1999, 367, 369; Dörner/A. Staudinger, IPRax 1999, 338, 341 f. sowie Breitenbücher v. Wittke [2008] CSOH 145 [6] (Ct Sess, OH, Lord Brodie). 535 Cass. civ., JCP G 1997 IV 747; CA Versailles JClP E 2005, 540; LG Kleve v. 27.10.2015 – 4 O 119/15 Rz. 23, 33; Mourre/Lahlou, RDAI 2005, 509, 529; Fetsch, RNotZ 2007, 532, 542; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 22; Thorn, FS Karsten Schmidt, 2009, 1561, 1565. 536 Dafür indes, zumeist in angeblicher Verallgemeinerung eines Gedankens aus Art. 25 Abs. 3 bzw. Art. 17 Abs. 1 S. 3 EuGVÜ/LugÜ 1988, Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 242; Verschuur in Contributions in Honour of Jean George Sauveplanne (1984) 263, 268 f.; Geimer, FS Kralik, 1986, 179, 186 sowie Muir Watt, Rev. crit. dip. 93 (2004) 459, 463; zu Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ebenso Nourissat, Mélanges Audit (2014) 567, 574. 537 Mankowski, JZ 1998, 898, 900–902; Harris (1998) 23 ELRev 279, 284; Hüßtege in Thomas/Putzo Art. 23 EuGVVO Rz. 22. A.A. (Prorogation gilt im Zweifel auch für Streit über Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung) östOGH, ZfRV 2018, 132. 538 Mankowski, JZ 1998, 898, 901. 539 Newton, 256. 540 Mankowski, JZ 1998, 898, 901. 541 Eingehend zu dieser Norm Mankowski, RIW 2015, 17; Hilbig-Lugani, FS Schütze zum 80. Geb. (2014) 195; H. Wais, GPR 2015, 142; Kindler, FS Coester-Waltjen, 2015, 485; P. A. Nielsen in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 153; Thorn/ Paffhausen, Trierer FS Lindacher zum 80. Geb. (2017) 405, 414–429; C. Heinze/Steinrötter in Lazic´/Stuij (Hrsg.), Brussels Ibis Regulation – Changes and Challenges of the Renewed Procedural Scheme (2017) 1, 14–23. 542 H. Wais, GPR 2015, 142, 143. 543 Siehe nur M. Ahmed (2017) 28 Eur. Bus. L. Rev. 403, 421. 544 Vgl. Trib. Liège J. trib. 2014, 682, 683: alternative. 545 Dechamps, T.B.H. 2018, 7, 10.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
duellen zum immer generelleren bewegt. Strengere oder leichtere Formerfordernisse des nationalen Verfahrensrechts kommen nicht zur Anwendung, sondern werden ausschließend verdrängt.547 Dies gilt auch für den Grundsatz der Formfreiheit aus Art. 11 CISG, wenn die CISG auf den Hauptvertrag (aber eben wegen Abs. 5 nur auf den Hauptvertrag) anwendbar sein sollte.548 Abs. 1 S. 3 ist liberaler als viele nationale Regimes, z.B. Art. 5 Abs. 1 schwIPRG.549 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob der Form genügt ist, ist der Zeitpunkt der Klagerhebung.550 Eine ursprünglich der Form nicht genügende Vereinbarung kann also durch formgerechte Wiederholung oder Bestätigung zu Wirkungskraft erstarken, wobei der Sache nach die zweite, formgerechte Vereinbarung die relevante ist.551 Eine bei Abschluss formwirksame Vereinbarung genügt zudem allemal, denn ihre Formwirksamkeit wäre nur gefährdet, wenn später strengere Formanforderungen normiert würden und man außerdem den fundamentalen Gedanken des Vertrauensschutzes missachtete.552
124
Die Einhaltung der Form dient nicht nur Beweiszwecken, sondern ist Wirksamkeitsvoraussetzung.553 Die Einhaltung der Form vermeidet Streit und fördert die Rechtssicherheit554 wie die Prozessökonomie.555 Sie soll Streitigkeiten über Tatsachenfragen vermeiden.556 Die Form verhindert ein unbemerktes Einschleichen und Unterschieben von Gerichtsstandsklauseln.557 Keine Partei kann der anderen einseitig ohne Form oder Konsens ihre präferierte Gerichtstandswahl vorschreiben.558 Die rechtsgeschäftliche Wirksamkeit wird über die Form gesteuert.559 Abs. 1 S. 3 ist insoweit mehr als nur eine Formvorschrift.560
125
Eine keiner Form nach Abs. 1 S. 3 genügende Gerichtsstandsvereinbarung ist und bleibt in der unmittelbaren Rechtsfolge aber unwirksam wegen Formmangels oder eben: formunwirksam.561 Das be-
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546 M. Stürner, ZEuP 2012, 353, 355. 547 EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 Rz. 25 f. – Elefanten Schuh GmbH vs. Pierre Jacqmain; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 37 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; Cass., D 2008, 490; OLG Saarbrücken, TranspR 2007, 488, 489; Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2013, 1022; Rel. Porto Col. Jur. 2015, IV-191, IV-193 f.; Mankowski, LMK 2016, 380737; Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2018 Anm. 1 sub C. 548 BGH, BB 2015, 1418, 1422 Rz. 55 m. Anm. Mankowski. 549 T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 726. 550 östOGH, IHR 2007, 243, 248; OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182; OLG Koblenz, NJWRR 1988, 1335; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 92; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 139 (2016). A.A. Abendroth, 173. 551 Ebenso OLG Celle v. 24.9.2003 – 3 U 90/03, NJW-RR 2004, 575; Hau, IPRax 2005, 301, 304. 552 Näher Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 427 (Mankowski). 553 EuGH v. 14.12.1976 – 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 Rz. 7 – Estasis Salotti di Colzani Aimo u. Gianmario Colzani Snc vs. RÜWA Polstereimaschinen GmbH; EuGH v. 14.12.1976 – 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 Rz. 6 – Galeries Segoura SPRL vs. Fa Rahim Bonakdarian; EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 – Elefanten Schuh GmbH vs. Pierre Jacqmain; EuGH Gutachten 1/03: Zuständigkeit der Gemeinschaft für den Abschluss des neuen Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGHE 2006 I 1145 Rz. 153; Thode, jurisPR-PrivBauR 5/2012 Anm. 1 sub A; Dechamps, T.B.H. 2015, 35, 37. A.A. Kröll, IPRax 2002, 113, 115 f. 554 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 83 (2005). 555 Thode jurisPR-PrivBauR 11/2018 Anm. 1 sub C. 556 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVO Rz. 100; Kuert, AJP 2016, 1538, 1544. 557 EuGH v. 19.6.1984 – 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 Rz. 24 – Partenreederei MS „Tilly Russ“ u. Ernst Russ vs. SA Haven- en Vervoerbedrijf Nova u. SA Goeminne Hout; Bols Distilleries BV v. Superior Yacht Services [2007] 1 WLR 16, 20 (PC, opinion delivered by Lord Rodger of Earlsferry); östOGH, ZfRV 2007, 38, 39; O’Connor v. Masterwood (UK) Ltd. [2010] ILPr 330, 334 (Irish S. C., Fennelly J.); OLG Düsseldorf, RIW 1990, 579; OLG Düsseldorf, IHR 2012, 237; Deutsche Bank AG v. Asia Pacific Broadband Wireless Communications Inc [2008] 2 Lloyd’s Rep. 177, 180 (Q.B.D., Flaux J.); Calyon v. Wytwornia Sprzetu Komunikacynego PZL Swidnik SA [2009] 2 All ER (Comm) 603, 620 [79] (Q.B.D., Field J.); M. Stürner, ZEuP 2012, 353, 356 f. 558 Haftel, Rev. contrats 2018, 380. 559 Heidelberg Report/Pfeiffer, Rz. 325; Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 398, 404 sowie Kröll ZZP 113 (2000) 135, 144 f. 560 Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 398. 561 Siehe nur Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 91.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen gründet erhebliche Prozessrisiken.562 Es eröffnet vermeintlich prorogierten Gerichten die Chance, ihnen unliebsame Prozesse von sich zu weisen.563 Darin liegen wiederum Haftungsrisiken für die Berater, die für die Formunwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung verantwortlich sind.564 1. Schriftliche Vereinbarung (Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1) 127
Modellfall der Form ist die Schriftform nach Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1. Schriftlichkeit verlangt nicht allseitige eigenhändige Unterschrift der Parteien;565 § 126 Abs. 2 BGB gilt im Rahmen des Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1 nicht,566 ebenso wenig Art. 1341 Codice civile567 oder § 886 S. 1 ABGB.568 Schriftlichkeit verlangt vielmehr weniger und ist liberaler. Beidseitige Unterschrift verlangt sie gerade nicht. Nicht zu unterschreiben könnte sonst schnell als (zu) einfacher Weg missbraucht werden, um sich nachfolgend auf Formunwirksamkeit zu berufen, wenn der Vertrag sich unliebsam entwickelt und anfängt, Probleme zu bereiten.569
128
Es reicht, wenn die Identität der Beteiligten und die Authentizität, die Echtheit ihrer Erklärungen feststehen.570 Identifizierbarkeit genügt. Wertungsgleichklang mit Abs. 2 unterstützt dies.571 Die europäische Schriftform erfordert umso weniger und erst recht nicht die Unterschrift gerade eines ermächtigten (gesetzlichen oder gewillkürten) Vertreters.572 Trotzdem kann die fehlende Unterschrift einer Partei unter einem als zweiseitigem Vertrag konzipierten Papier indizieren, dass jene Partei nicht zugestimmt hat.573 Spätere Vertragsdurchführung (auch) durch diese Partei ist aber wieder ein starkes Kontraindiz.574
129
Umgekehrt sind Unterschriften seitens aller Beteiligten ein kaum zu überbietendes Indiz für die Einhaltung der Schriftlichkeit,575 ohne dass es auf eine tatsächliche Kenntnisnahme vom Unterschriebenen ankäme.576 Dies gilt auch bei einer von der Gegenpartei gegengezeichneten Auftragsbestätigung o.Ä.577 Eine Paraphe steht einer Unterschrift grundsätzlich gleich.578 Paraphen und Initialen genü562 563 564 565
566
567 568 569 570 571 572 573 574 575 576
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Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2018 Anm. 1 sub A. Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2018 Anm. 1 sub D. Vgl. Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2018 Anm. 1 sub D. Siehe nur BGH, NJW 1994, 2700; BGH v. 25.1.2017 – VIII ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 Rz. 28; östOGH, JBl 2001, 117, 119; östOGH, ÖJZ 2009, 561 m. Anm. K. Binder; BGE 131 III 398; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 76; Schacherreiter, öAnwBl. 2016, 75, 77; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 54. Unzutreffend Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 453, 454; OLG Karlsruhe, InVo 2007, 33, 38; OLG Karlsruhe, NJOZ 2009, 2282, 2284; LG Aachen, IHR 2011, 82, 83; LG Kleve, IPRspr. 2016 Nr. 256 S. 612. BGH, NJW 1994, 2700; BGH, NJW 2001, 1731; BGH, RIW 2004, 938, 939; BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, WM 2014, 534, 535; OLG Koblenz v. 1.3.2010 – 2 U 816/09, NJW-RR 2010, 1004; OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 10/12 Rz. 27; Mankowski, RIW 2015, 768 (768); Dostal, EuZW 2018, 944, 948; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 26. A.A. OLG Karlsruhe, OLGR Karlsruhe/Stuttgart 2009, 485; OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10 und wohl fälschlich OLG München v. 11.2.1981 – 7 U 3886/80, NJW 1982, 1951. Offen BGH, IHR 2011, 179. Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2008, 168, 171; s. auch BGH, IHR 2014, 171, 172. östOGH, JBl 2001, 117, 119; östOGH, ÖJZ 2009, 561 m. Anm. K. Binder. Mankowski, RIW 2015, 768 (768). BGH, NJW 2001, 1731; BGH v. 25.1.2017 – VIII ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 Rz. 29; OLG Koblenz v. 1.3.2010 – 2 U 816/09, NJW-RR 2010, 1004; OLG Saarbrücken, IPRax 2018, 61 Rz. 76; Abendroth, 103; Zarth, EWiR 2017, 287, 288. Zarth, EWiR 2017, 287, 288. So aber Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 453, 454. Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2005, 111, 113; Mankowski, RIW 2015, 768 f.; s. auch Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2006, 447, 449; Cassaz., Foro it. 2006 col. 3388, 3396; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2008, 505, 507 f. sowie BGH, RIW 2004, 938, 939; LG Landshut, IHR 2008, 184, 185. Siehe BGH v. 25.1.2017 – VIII ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 Rz. 32. Zustimmend BGH v. 25.1.2017 – VIII ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 Rz. 31; s. LAG Düsseldorf, BeckRS 2017, 110381 Rz. 34; Rb. Rotterdam, NIPR 2004 Nr. 272 S. 376; Rb. Rotterdam, NIPR 2009 Nr. 55 S. 116; Nourissat, Procédures avril 2010, 51. BGE 139 III 345, 349; BGH v. 25.1.2017 – VIII ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 Rz. 31; T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 739; Mankowski, RIW 2015, 768, 769; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 27.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
gen, wenn sie die Identifikation des mit ihnen Zeichnenden erlauben.579 Wer auf jeder Seite paraphiert, will in aller Regel nicht nur den Empfang quittieren, sondern inhaltlich zustimmen.580 Steht die Gerichtsstandsvereinbarung außergewöhnlicherweise erst unter den Unterschriften, so ist es Auslegungsfrage im Einzelfall, ob die Unterschriften sie mitabdecken sollen.581 Aus Beweisgründen ist den Parteien also dringend anzuraten, zu unterschreiben und dies erst räum- 130 lich nach der Gerichtsstandsklausel zu tun.582 Eine Unterschrift unter den Gesamtvertrag deckt auch die Gerichtsstandsklausel, eine Einzelparaphierung gerade dieser Klausel ist nicht erforderlich.583 Wird unterschrieben, so muss entweder die Vertragspartei selber unterschreiben oder eine Person, welche die Vertragspartei vertreten darf.584 Die Unterschrift eines Agierenden ohne hinreichende Vertretungsmacht taugt als Indiz für eine Zustimmung der betreffenden Vertragspartei nicht.585 In einer späteren Vertragsdurchführung durch diese Partei liegt aber eine Genehmigung der ursprünglich vollmachtlosen Vertretererklärung.586 Volle Schriftlichkeit verlangt textliche Fixierung587 seitens jeder Vertragspartei (die man aber nicht mit der Textform des § 126b BGB vermengen sollte588). Schriftliches Angebot und mündliche Annahme genügen nicht.589 Ein Wechsel von aufeinander bezüglichen Briefen, Fernschreiben und Telexen reicht für Schriftlichkeit dagegen aus,590 wobei eine pauschale Annahme genügt, wenn das Angebot erkennbar eine unmissverständliche Gerichtsstandsklausel enthält.591 Allerdings bedarf es auch einer schriftlichen Annahme.592
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Es schadet generell nicht, wenn jede Seite ein eigenes schriftliches Dokument in ihrem Namen aufsetzt593 und getrennte Schriftstücke vorliegen, z.B. bei einem briefwechsel oder einem Faxaustausch.594 Schriftlichkeit erfüllt auch die schriftliche Bezugnahme auf ein vorangegangenes schriftliches Angebot.595 Wenn eine Partei ein von der anderen Partei erstelltes Bestellformular ausfüllt und zurücksendet, reicht dies aus.596
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577 OLG Hamm v. 28.6.1994 – 19 U 179/93, RIW 1994, 877; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 104; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 90 (2005). 578 ÖstOGH, ZfRV 2009, 38, 40; OLG Stuttgart, RIW 2015, 762, 767; Mankowski, RIW 2015, 768, 769. 579 östOGH, ZfRV 2007, 38, 40; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 95; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 144 (2016). 580 OLG Köln v. 14.4.2013 – 16 U 106/12 [24]. 581 Siehe dazu Trib. Livorno [1990] ILPr 263 einerseits und LG Hamburg, RIW 1977, 424 m. Anm. U. Magnus andererseits. 582 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 146 (2016) sowie Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 91 (2005). 583 Cass. civ., Bull. civ. 2006 I n° 535 S. 476; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2009, 113, 115. 584 Zu Stellvertretungsfragen Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 50–52 (Mankowski). 585 Insoweit richtig Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 453, 454. 586 ÖstOGH, Zak 2013/147, 83. 587 BGH v. 25.1.2017 – VIII ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 Rz. 29. 588 Missverständlich daher BGH v. 25.1.2017 – VIII ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 Rz. 30. 589 Dostal, EuZW 2018, 944, 948. 590 ÖstOGH, ZfRV 1999, 150; östOGH, JBl 2001, 117, 119; BGH, IHR 2014, 171, 172; BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, WM 2014, 534, 535; OLG Karlsruhe, IPRspr. 1977 Nr. 122; OLG Koblenz v. 1.3.2010 – 2 U 816/09, NJW-RR 2010, 1004; OLG Hamm, IPRspr. 2011 Nr. 190 S. 501; 7E Communications Ltd. v. Vertex Antennentechnik GmbH [2007] 2 All ER (Comm) 799, 808 = [2007] ILPr 278, 288 (C.A., [xxx]c.t. judgm delivered by Sir Anthony Clarke MR); Samtleben, NJW 1974, 1590, 1592; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 33 m.w.N.; Abendroth, 103 f. 591 Samtleben, NJW 1974, 1590, 1592; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 33. 592 BGH, IPRax 2002, 124. A.A. Kröll, IPRax 2002, 113. 593 BGH, IHR 2014, 171, 172; 7E Communications Ltd. v. Vertex Antennentechnik GmbH [2007] 2 All ER (Comm) 799, 808 = [2007] ILPr 278, 288 (C.A., [xxx]c.t. judgm delivered by Sir Anthony Clarke MR). 594 BGH, NJW 2001, 1731, 1732; BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, WM 2014, 534, 535; OLG Karlsruhe, IPRspr. 2009 Nr. 169; OLG Hamm, IHR 2012, 216, 219; OLG Saarbrücken, NJOZ 2012, 923, 925; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 77. 595 Trib. comm. Liège T.B.H. 1995, 402, 406; Ingber, T.B.H. 1995, 408, 412–417. 596 Rb. Zwolle-Lelystad NIPR 2008 Nr. 318 S. 585. Anders aber BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, WM 2014, 534, 535 (Vollmachtsformular).
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 133
Dem modernen Verkehrsverständnis entsprechend genügt auch ein Austausch von Telefaxen.597 Man muss für Fax nicht auf Abs. 2 ausweichen.598 Telefax ist bei weitem Verständnis jedenfalls elektronisch,599 wenn es denn nicht Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1 unterstellen wollte. Verlangt ist für Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1 grundsätzlich eine körperliche Dokumentation.600 Verlangt ist beidseitige, nicht nur einseitige Verkörperung der Erklärungen beider Parteien.601 Das Fehlen einer Unterschrift unter einem Telefax kann indiziell schaden.602
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Gerichtsstandsvereinbarungen per Internet (insbesondere per E-Mail), bei denen die Möglichkeit einer Speicherung oder eines Ausdrucks besteht, genügen bei weiter, dynamischer Auslegung schon der Schriftform;603 indes hat Abs. 2 die Frage vollends entschärft.604 Abs. 2 erlaubt auf der anderen Seite keinen Umkehrschluss, dass bei nicht-elektronischen Abreden beiderseitige handschriftliche Unterzeichnung erforderlich wäre.605 Nicht ausreichend ist aber, wenn eine Seite ein Schriftstück als Erklärung nur für die Gegenseite aufsetzt, auch wenn die Gegenseite dieses Schriftstück unterzeichnet, denn es fehlt dann an der Gegenerklärung der aufsetzenden Partei.606
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Gerichtsstandsklauseln in AGB sind insbesondere im B2B-Verkehr möglich,607 wenn auch unter graduell strengeren Voraussetzungen, als sie manche nationale Rechte, namentlich das englische, kennen.608 Für die Einbeziehung beigefügter AGB mit einer Gerichtsstandsklausel ist unter Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1 (in autonomer Anwendung ohne Rückgriff auf das anwendbare materielle Recht609) ist erste Voraussetzung eine ausdrückliche Hinweisklausel im eigentlichen, von beiden Seiten konsentierten schriftlichen Vertragstext erforderlich,610 aber auch insoweit hinreichend.611 Nicht erforder597 ÖstOGH, JBl 2001, 117, 119; Hof ’s Hertogenbosch, NIPR 1997 Nr. 123 S. 176; OLG Stuttgart, RIW 2015, 762, 767; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 95. 598 Dahin aber Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2006, 1076, 1085. 599 Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 23 EuGVVO Rz. 5; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 29; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 140 (2005). 600 Siehe BGH, RIW 2004, 938, 939. 601 OLG Stuttgart, RIW 2015, 762, 767; Briggs, Agreements Rz. 7.42 f. 602 OLG Stuttgart, RIW 2015, 762, 767; Mankowski, RIW 2015, 768, 769. 603 Dafür – mit weiteren Argumenten aus der Entstehungsgeschichte des Art. 17 Abs. 1 S. 2 LugÜ 1988 – Mankowski, RabelsZ 63 (1999) 203, 218 f.; Kaufmann-Kohler in Boele-Woelki/Kessedjian (Hrsg.), Internet: Which Court Decides? Which Law Applies? (1998) 89, 130; Junker, RIW 1999, 809, 813; Boele-Woelki, BerDGesVR 39 (2000) 307, 322; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 116; Smyrek, IHR 2009, 269 sowie OLG Dresden, EuLF 2009, II-68, II-70 = IHR 2009, 266, 268; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 76; a.A. z.B. Tang (2005) 1 JPrIL 237, 243 f. 604 Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 34. Siehe als Beispiel KG v. 15.5.2018 – 7 U 112/17. 605 Abwegig OLG Karlsruhe, NJOZ 2009, 2282, 2284. 606 BGH, NJW 2001, 1731; BGH, IHR 2014, 171, 172; B. Berger in Basler Kommentar Art. 23 LugÜ Rz. 42. 607 Siehe nur LG Saarbrücken, IPRspr. 2016 Nr. 39 S. 84. 608 Merrett, [2018] Cambridge L.J. 472, 473 f. 609 Insoweit anders Rb. Arnhem, NIPR 2003 Nr. 49 S. 99 f. 610 Siehe nur EuGH v. 14.12.1976 – 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 Rz. 9, 12 – Estasis Salotti di Colzani Aimo u. Gianmario Colzani Snc vs. RÜWA Polstereimaschinen GmbH; EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C: 2016:525 Rz. 40 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services; EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C: 2018:173 Rz. 27 – Saey Home & Garden NV/SA vs. Lusavouga-Máquinas e Accessórios Industriais SA; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1988, 711, 713; östOGH, JBl 2000, 121; BayObLG v. 11.4.2001 – 4Z AR 29/01, NJW-RR 2002, 359; OLG Hamm v. 3.10.1979 – 20 U 98/79, RIW 1980, 662; OLG Saarbrücken, OLGR Koblenz/Saarbrücken/Zweibrücken 2004, 285; OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, CR 2010, 17, 18; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 78; Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2007 Nr. 39 S. 67; Rb. ’s-Gravenhage T.B.H. 1992, 902, 903; HG Zürich SZIER 1995, 35; Rb. Dordrecht NIPR 2005 Nr. 166 S. 229; Rb. Dordrecht NIPR 2008 Nr. 56 S. 97; LG Hamburg, RIW 1977, 424 m. Anm. U. Magnus; Haftel, Rev. contrats 2018, 380. 611 Siehe nur östOGH, ZfRV 2006, 70, 71; östOGH, ZfRV 2009, 38, 40; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2007, 759; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2008, 505; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 144, 145; 7E Communications Ltd. v. Vertex Antennentechnik GmbH [2007] 2 All ER (Comm) 799, 810 (C.A.); OLG Hamm, IPRspr. 2017 Nr. 244 S. 467; Standard Steamship Owners’ Protection and Indemnity Association (Bermuda) Ltd. v. GIE Vision Bail [2005] 1 All ER (Comm) 618, 631 (Q.B.D., Cooke J.); Polskie Ratownictwo Okretowe v. Rallo Vito & C SNC [2009] ILPr 922, 931 (Q.B.D., Hamblen J.); Rb. Rotterdam, NIPR 2003 Nr. 130 S. 223; Aud.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
lich ist, dass in dieser Hinweisklausel die Gerichtsstandsklausel ausdrücklich erwähnt oder hervorgehoben würde.612 Der Hinweis sollte an einer gut erkennbaren Stelle erfolgen und den Geltungsanspruch der AGB klar 136 zum Ausdruck bringen.613 Zeigt der Hinweis auf der Vorderseite auf die umseitig abgedruckten AGB, so genügt dies.614 Erst recht genügt ein unwidersprochen gebliebener Aufkleber auf den Geschäftspapieren mit der Gerichtsstandsklausel.615 Kleinstdruck schadet,616 ebenso unauffällige oder gar versteckte Positionierung.617 Außerdem muss der Hinweis mit dem Inhalt der AGB kongruent sein.618 Jegliche Unklarheiten gehen im Prinzip zu Lasten des Verwenders.619 Enthält nur die Annahmeerklärung der einen Partei einen Hinweis auf AGB, die Angebotserklärung der anderen Partei dagegen nicht, so reicht dies nicht, denn es fehlt schon am Konsens.620
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Der Schriftform ist nur genügt, wenn der Vertragspartner des AGB-Verwenders der Erklärung des 138 Verwenders, welche auf die AGB hinweist, schriftlich zustimmt.621 Wer bestätigt, AGB erhalten zu haben, die eine Gerichtsstandsklausel erhalten, muss vollen Beweis für eine spätere Behauptung führen, dass er die AGB in Wahrheit gar nicht erhalten habe622 (es sei denn, die Bestätigung würde an Regeln wie § 309 Nr. 12 lit. a BGB als Teil der lex causae scheitern). Nicht erforderlich ist, dass der Vertragspartner des AGB-Verwenders die AGB tatsächlich gelesen hat, bevor er (schriftlich) zustimmte.623 Kenntnisnahme ist nicht verlangt.624 Der Vertragspartner des AGB-Verwenders kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Gerichtsstandsklausel eine in einer Masse von Klauseln sei.625 Andererseits reicht es nicht, wenn die Hinweisklausel nur in der Vertragserklärung einer Vertragspartei enthalten ist, ohne dass die andere Vertragspartei dieser zugestimmt hätte.626 Nicht ausreichen soll auch ein beidseitig unterzeichnetes Besprechungsprotokoll, das auf AGB mit einer Gerichtsstandsvereinbarung verweist, wenn nicht auf ein ganz konkretes Schriftstück Bezug genommen wird.627
612
613 614 615 616 617 618 619 620 621 622 623 624 625 626 627
Prov. Alicante REDI 2014–2, 262; Álvarez González, REDI 2014–2, 263, 264 f. Strenger und differenzierend Lindacher, FS Schlosser (2005) 491, 497 f. Zweifelnd auch Rb. Utrecht NIPR 2009 Nr. 57 S. 118. EuGH v. 14.12.1976 – 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 Rz. 9 – Estasis Salotti di Colzani Aimo u. Gianmario Colzani Snc vs. RÜWA Polstereimaschinen GmbH; BGE 139 III 345, 349; OLG Dresden, RIW 1999, 968, 969; OLG Düsseldorf, RIW 2001, 63, 64; OLG Karlsruhe, RIW 2001, 621, 622; 7E Communications Ltd. v. Vertex Antennentechnik GmbH [2007] 2 All ER (Comm) 799, 810 (C.A.); Coys of Kensington Automobiles Ltd. v. Pugliese [2011] EWHC 655 (Qb), [2011] 2 All ER 664 [30] (Q.B.D., Ramsey J.); Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 86; Hohmeier, IHR 2014, 217, 221; Vanfraechem, Liber amicorum Erauw (2014) 249, 265; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 155 (2016). Entgegen Hof Antwerpen TBBR 2001, 494 m. abl. Anm. Laenens; Hof Antwerpen Limb Rechtsl 2014, 65 m. abl. Anm. Vanhelmont. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 94 (2005). BayObLG v. 11.4.2001 – 4Z AR 29/01, NJW-RR 2002, 359; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 157 (2016). OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, NJW-RR 1989, 1330, 1331; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 157 (2016). OLG Wien v. 1.6.2004 – 3 R 68/04y; Hohmeier, IHR 2014, 217, 221. östOGH, v. 25.11.2004 – 6 Ob 253/04 f.; Hohmeier, IHR 2014, 217, 221. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 103 (2005) sowie BGH, RIW 2003, 220. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 95 (2005); Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 158 (2016). Siehe nur Thode, jurisPR-PrivBauR 5/2012 Anm. 1. OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 78; Thode jurisPR-PrivBauR 5/2012 Anm. 1; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 109 f.; Schacherreiter, öAnwBl. 2016, 75, 77. OLG Stuttgart, RIW 2015, 762, 766. BGE 139 III 345, 349; L. Schreier, ZBJV 149 (2013) 887, 889. BGE 139 III 345, 349; Hohmeier, IHR 2014, 217, 221. Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 147, 148. OLG Saarbrücken, NJOZ 2012, 923, 925; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 78. OLG Köln, IPRspr. 2011 Nr. 215 S. 537 f.
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Die bloße Übergabe oder Beifügung von AGB oder der bloße AGB-Abdruck auf der Rückseite reichen dagegen allein für eine Einbeziehung nicht aus.628 Ebenso wenig genügt umgekehrt bei isolierter Betrachtung eine bloße Hinweisklausel ohne Beifügung und Übersendung der AGB.629 Es besteht auch kein Handelsbrauch, dass isolierte Hinweisklauseln genügen würden.630 Ein Hinweis auf angeblich rückseitig abgedruckte AGB, ohne dass tatsächlich ein Abdruck auf der Rückseite erfolgt wäre, reicht nicht.631 Grundsätzlich sind Hinweis und Kenntnisnahmemöglichkeit zu kumulieren.632 Indes vermag eine Rückfragemöglichkeit, auf die hin ausgehändigt würde, zumeist die originäre Aushändigung zu substituieren.633 Dies gilt erst recht bei branchenüblichen Standardbedingungen eines anerkannten Branchenverbandes, die jeder professionelle Branchenteilnehmer kennt.634
141
Ein Hinweis mit Angabe eines Links, unter welchem die AGB im Internet abgerufen werden können, mag im unternehmerischen Rechtsverkehr hinreichen;635 gegenüber Privatpersonen ist er jedenfalls problematisch.636 Orientiert man sich an den unter Art. 14 CISG geltenden Maßstäben, so läge generell eine Darreichungsobliegenheit des Verwenders637 nahe, die sich durch einen Link in einer individuellen E-Mail erfüllen ließe.638 Funktionell kann eine zumutbare Möglichkeit der Kenntnisnahme hinreichen.639 Anforderung von AGB per Fax hat insoweit Probleme, je mehr Faxgeräte unüblich werden,640 zumal Fax Kosten verursacht und einer Erkundigungsobliegenheit nahekommt.641
142
Hatte der Oblat die AGB vor Vertragsschluss, liegen sie ihm aber beim eigentlichen Vertragsschluss nicht mehr vor, so schadet dies ebenfalls nicht.642
143
Ob die Gegenpartei typischerweise nur national Rechtsgeschäfte abschließt und daher nicht mit einer internationalen Prorogation rechnete, ist unerheblich.643 AGB-Verwendung ist so weit verbreitet und auch international so üblich, dass man kaum einen Überraschungseffekt reklamieren könnte.644
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Die schlechte Lesbarkeit von AGB kann in Ausnahmefällen schaden.645 Jedoch schadet der übliche Kleindruck als solcher nicht.646 Besondere Hervorhebung durch Fettdruck, Farbe oder besondere 628 EuGH v. 14.12.1976 – 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 Rz. 9 – Estasis Salotti di Colzani Aimo u. Gianmario Colzani Snc vs. RÜWA Polstereimaschinen GmbH; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 13 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; BGE 131 III 398; östOGH, ZfRV 2006, 70, 71; OLG Hamm, IPRspr. 1977 Nr. 118; Rb. Rotterdam, NIPR 2006 Nr. 236 S. 351; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 158 (2016); Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 57; Dostal, EuZW 2018, 944, 949 f. 629 Hof ’s Hertogenbosch, NIPR 2001 Nr. 289 S. 480; Hof Arnhem-Leeuwarden, locatie Arnhem NIPR 2014 Nr. 269 S. 469; Rel. Porto Col. Jur. 1995 III 237, 239; Rb. Kh. Kortrijk T.B.H. 1992, 904, 905; Ekelmans T.B.H. 1991, 433, 435–437; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 116; Dostal, EuZW 2018, 944, 949; vgl. auch (für Fährticket) Rb. Rotterdam, NIPR 2006 Nr. 60 S. 94. 630 OLG Brandenburg, IPRspr. 2012 Nr. 191 S. 434. 631 Hof Gent RW 2016-17, 543, 544; Chester Hall Precision Engineering Ltd. v. Service Centres Aero France [2014] EWHC 2529 (Q.B.), [2014] ILPr 548 [9] (Q.B.D., Slade J.). 632 Rb. Amsterdam, S&S 2009 Nr. 127 S. 702 (unter Hinweis auf Art. 2:104 PECL); s. auch Rb. Rotterdam, S&S 2013 Nr. 85 S. 477. 633 OLG München, RIW 1987, 998; Saenger, ZZP 110 (1997) 477, 486. A.A. Abendroth, 113 f. m.w.N. 634 Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1984, 130; OLG Koblenz, NSW I-17.1.2 B-21; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 98 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 35. 635 BGE 139 III 345, 349; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 162 f. (2016); vgl. aber auch OLG Dresden, NJW-RR 2009, 1295, 1297; OLG Celle, IHR 201, 81. 636 Ebenso Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 165 (2016). 637 Dafür BGHZ 149, 113, 117 f.; CA Paris JClP (G) 1997 II 22772; Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2003 Nr. 192; LG Gießen, IHR 2003, 276, 277; LG Neubrandenburg, IHR 2006, 26, 27; Ventsch/Kluth, IHR 2003, 61, 62; Ferrari/Mankowksi, IntVertragsR (3. Aufl. 2018) Vor Art. 14 CISG Rz. 28 f. 638 Ferrari/Mankowksi, IntVertragsR (3. Aufl. 2018) Vor Art. 14 CISG Rz. 35. 639 BGE 139 III 345, 349. 640 BGE 139 III 345, 349. 641 BGE 139 III 345, 349; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 164 (2016). 642 ÖstOGH, RdW 1999, 413; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13 Rz. 79; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 8.69. 643 Tendenziell anders Rb. Rotterdam, NIPR 2003 Nr. 130 S. 223. 644 ÖstOGH, ZfRV 2009, 38, 40; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 163 (2016).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Schriftgröße ist nicht verlangt.647 Umgekehrt kann eine ungewöhnliche Platzierung (z.B. unterhalb der Unterschriften oder in der Fußzeile bei den Adressangaben) jedoch schaden.648 Nimmt der Oblat ein Angebot an, jedoch unter Hinweis auf seine AGB, in denen sich eine Gerichtsstandsklausel befindet, so besteht noch kein Konsens; dieser kommt erst durch Zustimmung des Offerenten zustande.649 Ebenso wenig besteht ein Konsens, wenn nur einseitig eine Mitteilung mit Verweis auf die AGB gemacht wird, die Gegenpartei sich dazu aber nicht mehr verhält.650 Erleichterungen können sich ergeben, wenn die Parteien miteinander in ständiger Geschäftsbeziehung stehen, so dass Abs. 1 S. 3 lit. b eingreifen kann. Die echte Schriftform ist indes gewahrt, wenn eine invitatio ad offerendum ausdrücklich auf mitübersandte AGB Bezug nimmt und ein darauf aufbauendes schriftliches Angebot schriftlich angenommen wird.651 Nimmt der Vertragstext auf das Angebot Bezug, das seinerseits wieder auf die AGB hinweist, so ist der Schriftform Genüge getan.652 Weist der Oblat auf seine AGB hin, ohne dass der Offerent antwortete, reicht dies nicht.653 Stimmt der Oblat dem Angebot ausdrücklich so zu, wie es der Offerent gemacht hat, so verschlägt gegenüber diesem vorrangig individuellen Bezug eine abweichende Gerichtsstandsklausel in den AGB des Oblaten nicht.654 Im Übrigen differenziert Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht nach der Person der Parteien, so dass keine erleichterte Konsensbildung über Gerichtsstandsklauseln in AGB unter Unternehmern anzunehmen ist.655
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Selbst die ausdrückliche Einbeziehung von AGB genügt Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1 nicht, wenn diese AGB noch auf ein anderes, nicht beigefügtes Standardklauselwerk weiterverweisen und erst in diesem Standardklauselwerk die Gerichtsstandsklausel steht656 (sog. Bedingungsketten657). Eine Ausnahme gilt bei Verweisung auf ein branchenübliches Standardklauselwerk, z.B. die ADSp. Eine Einbeziehung scheitert außerdem, wenn ein Aufdruck eine Gerichtsstandsvereinbarung will, die AGB dagegen eine Schiedsklausel enthalten.658 Anders mag es sich unter einer entsprechenden lex causae, die einen Vorrang von Individualvereinbarungen kennt, bei einem Konflikt zwischen einer individuellen Gerichtsstands- und einer formularmäßigen Schiedsabrede verhalten.
146
Ob der nötige Konsens für eine Gerichtsstandsvereinbarung aus AGB besteht, kann einen vertiefen- 147 den Blick auf die Abschlussgeschichte des gesamten Vertrages nötig machen. Besondere Beachtung verdient die Frage, ob kollidierende Gerichtsstandsklauseln in den Einkaufsbedingungen der einen und den Verkaufsbedingungen der anderen Partei auftreten. In diesem Fall besteht im Prinzip kein
645 OLG Hamburg, ZVertriebsR 2018, 336, 337; CA Paris Bull. transp 2019, 222, 223 f. = DMF 2019, 400, 403; Rb. Rotterdam, NIPR 2003 Nr. 130 S. 223; Rb. Utrecht NIPR 2009 Nr. 57 S. 118; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 20; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 101 (2005); Delebecque, DMF 2019, 405. 646 CA Amiens DMF 2013, 488, 490 m. Anm. Amoussou; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6441. 647 Cass. D 2008, 490; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 87. 648 ÖstOGH v. 30.3.2001 – 7 Ob 320/00k; Cass. ZVertriebsR 2016, 199; OLG Hamm v. 21.3.2011 – 32 Sbd 17/11; OLG Koblenz v. 10.9.2013 – 3 U 223/13 Rz. 37; OLG Hamburg, ZVertriebsR 2018, 336, 337 = IPRax 2019, 527, 532 f.; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 8.71; Cranshaw, jurisPR-IWR 5/2018 Anm. 3 sub C III; Claudia Mayer, IPRax 2019, 496, 500. 649 Unidare plc v. James Scott [1991] 2 IR 88 (Irish S. C.); Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 98. 650 Rb. Rotterdam, NIPR 2005 Nr. 365 S. 474; vgl. auch Hof Antwerpen J.P.A. 2001, 204, 214; OLG Karlsruhe, InVo 2007, 33, 38. 651 Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1997, 414, 416; HG Zürich SZIER 1995, 34; Trib. Lecco Riv. dir. int. priv. proc. 1998, 881, 882 sowie Hof ’s Hertogenbosch NIPR 1998 Nr. 126 S. 156; Rb. Utrecht NIPR 2000 Nr. 152 S. 239. 652 OLG Karlsruhe, Justiz 2002, 57; Hüßtege in Thomas/Putzo Art. 23 EuGVVO Rz. 8. 653 Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1997, 414, 416. 654 HG Zürich SZIER 1997, 369, 371; Volken, SZIER 1997, 372. 655 In diese Richtung aber Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2001, 892. 656 Siehe nur Rauscher, ZZP 104 (1991) 271, 288; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 100 (2005) sowie BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, IPRax 1997, 416 = NJW 1996, 1819. A.A. BGH, RIW 1987, 998, IPRax 1987, 307 m. Anm. Rehbinder, 289. Großzügiger als hier auch Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 174 f. (2016). 657 Begriff entlehnt aus Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 174 (2016). 658 Hof Leeuwarden Ned. Jur. 2003 Nr. 289 S. 2384.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Konsens,659 und es fehlt an einer Gerichtsstandsvereinbarung,660 es sei denn, eine der Parteien hätte den Willen zur Einbeziehung ihrer AGB aufgegeben und der Einbeziehung der AGB der anderen Partei zugestimmt.661 148
Eine Klausel, die nur in einem Entwurf zwischenzeitig enthalten war, reicht jedenfalls nicht.662 Sie hat auch keine anderweitige indizielle Bedeutung.663 Sofern eine einseitig eingeführte AGB-Klausel und ein spezieller Vorschlag der Gegenseite beim Gerichtsstand übereinstimmen, herrscht aber wiederum Konsens.664 Systematisch erlaubt die Feststellung, dass etwas ein bloßer Entwurf war und keinen Konsens begründete, aber keine Rückkoppelung auf die Einhaltung der Form.665
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Nimmt ein Vertrag Bezug auf die Bestimmungen eines anderen Vertrages, so kommt es auf die Fassung der Inbezugnahme an, ob damit auch die Gerichtsstandsklausel des verwiesenen Vertrages in den verweisenden Vertrag inkorporiert sein soll.666 Eine spezifische Inbezugnahme gerade der Dispute Resolution Clause reicht jedenfalls aus,667 sogar dann, wenn die Bezugnahme auf eine gar nicht existente Schiedsklausel erfolgt und ersichtlich die existente Gerichtsstandsvereinbarung gemeint ist.668 Findet – vorbehaltlich eines Widerspruchs zum verweisenden Vertrag und Selbstregelung in diesem – eine umfassende Verweisung auf einen anderen Vertrag statt, so wird dessen Gerichtsstandsklausel miterfasst.669 Nimmt der verweisende Vertrag dagegen nur bestimmte Ausschnitte des verwiesenen in Bezug, zu denen die Gerichtsstandsabrede nicht gehört (z.B. die Umschreibung des gedeckten Risikos in einem Erstversicherungsvertrag durch den Rückversicherungsvertrag), spricht dies gegen eine Inkorporation.670
150
Andererseits sollte man den Wortlaut von inkorporierenden Inbezugnahmen nicht zu eng und buchstabenlastig interpretieren. Nicht zu verlangen ist die spezifische Bezugnahme auch auf die AGB des anderen Vertrages, selbst wenn sich erst darin die Gerichtsstandsklausel findet.671 Vielmehr reicht für diesen Transfer ein Hinweis auf die AGB in dem verwiesenen Vertrag. Der verwiesene Vertrag kann sogar einer zwischen einer Partei des jetzigen Vertrages und einer anderen Partei oder ganz zwischen anderen Parteien sein.672 Gestaltet sich die Inkorporationsfrage komplexer, so kann ein Rückgriff auf das anwendbare materielle Recht angezeigt sein.673
659 Näher Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 65 (Mankowski). 660 Cass. com., JClP (E) 1998, 151; LG Gießen, IHR 2003, 276, 277; Rb’s Hertogenbosch NIPR 2009 Nr. 43 S. 100; Vzngr. Rb. Maastricht NIPR 2008 Nr. 62 S. 103; Vzngr. Rb. Zwolle-Lelystad NIPR 2008 Nr. 297 S. 552. Dies hindert aber nicht, dass der Hauptvertrag geschlossen sein kann, Schlechtriem, FG Herber (1999) 36, 46 f. 661 Siehe Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2003 Nr. 43 S. 91. 662 Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2003 Nr. 45 S. 96; Rb. Amsterdam, NIPR 2001 Nr. 210 S. 362; Rb. Arnhem NIPR 2004 Nr. 370 S. 494 f.; Mankowski, RIW 2015, 768, 769. 663 Rb. Arnhem NIPR 2004 Nr. 370 S. 494 f. 664 Rb’s Hertogenbosch NIPR 2009 Nr. 43 S. 100. 665 Mankowski, RIW 2015, 768, 769. 666 Siehe Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2000 Nr. 138 S. 226 f. Vgl. auch Standard Steamship Owners’ Protection and Indemnity Association (Bermuda) Ltd. v. GIE Vision Bail [2005] 1 All ER (Comm) 618, 631 (Q.B.D., Cooke J.). 667 Siboti K/S v. BP France SA [2003] EWHC 1278 (Comm), [2003] 2 Lloyd’s Rep. 364 [24] (Q.B.D., Gross J.); Caresse Navigation Ltd. v. Office nationale d’électricité (The „Channel Ranger“) [2013] EWHC 3081 (Comm), [2014] 1 Lloyd’s Rep. 337 [38]–[39] (Q.B.D., Males J.). 668 Y. M. Mars Tankers Ltd. v. Shield Petroleum (Nigeria) Ltd. [2012] EWHC 2652 (Comm) [30] (Q.B.D., Gloster J.); Caresse Navigation Ltd. v. Office nationale d’électricité (The „Channel Ranger“) [2013] EWHC 3081 (Comm), [2014] 1 Lloyd’s Rep. 337 [43]–[49] (Q.B.D., Males J.). 669 Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2013, 144, 146; s. auch Chester Hall Precision Engineering Ltd. v. Service Centres Aero France [2014] EWHC 2529 (Q.B.), [2014] ILPr 548 [5] (Q.B.D., Slade J.). 670 AIG Europe (UK) Ltd. v. The „Ethniki“ [1998] 4 All ER 301, 309 f. (Q.B.D., Colman J.); AIG Europe SA v. QBE International Insurance Ltd. [2001] 2 Lloyd’s Rep. 268, 273 f. (Q.B.D., Moore-Bick J.). 671 A.A. Rb. Rotterdam, NIPR 2005 Nr. 64 S. 106 (Verweisung von Cover Note auf Master Agreement im Versicherungsbereich). 672 Habas Sinai Ve Tibbi Gazlar Ithisal Endustri AS v. Somatel Sal [2010] EWHC 29 (Comm), [2010] 1 Lloyd’s Rp 661 (Q.B.D., Christopher Clarke J.); Caresse Navigation Ltd. v. Office nationale d’électricité (The „Channel Ranger“) [2013] EWHC 3081 (Comm), [2014] 1 Lloyd’s Rep. 337 [51]–[53] (Q.B.D., Males J.).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Das verwiesene Dokument muss dem Oblaten nicht unbedingt vorliegen, aber für diesen zumindest 151 erreichbar sein, sei es auch durch Nachfrage beim Offerenten.674 Maßstäbe aus UNIDROIT Principles oder CISG können hier als Orientierungsmarke hilfreich sein.675 Ein Konnossementsverhältnis mit seinen Bedingungen kann eine Charterparty ursprünglich nicht ausfüllen, wenn es erst wesentlich später als die Charterparty zustandegekommen ist.676 Bei Emissionsprospekten von Schuldverschreibungen, in denen eine Gerichtsstandsklausel steht, bedarf es einer Übernahme dieser Klausel in den eigentlichen Erwerbsvertrag oder einer ausdrücklichen Inbezugnahme des Emissionsprospekts im eigentlichen Erwerbsvertrag.677 Eine Gerichtsstandsklausel, die erstmals auf einer Rechnung (oder einem Lieferschein678) erscheint, kann grundsätzlich keine Gerichtsstandsvereinbarung nach Abs. 1 S. 3 lit. a begründen.679 Unter Abs. 1 S. 3 lit. a besteht kein sog. Fakturengerichtsstand.680 Unter Abs. 1 S. 3 lit. a besteht keine Widerspruchsobliegenheit gegen solche Klauseln,681 denn ein bloßer Nichtwiderspruch wäre nicht der geforderte positive Zustimmungsakt.682 Rechnungen kommen eben prinzipiell für eine Gerichtsstandsbegründung zu spät, denn sie folgen dem Vertragsschluss nach.683
152
Das gleiche gilt für Auftragsbestätigungen, in denen erstmals auf AGB mit einer Gerichtsstandsver- 153 einbarung hingewiesen wird: Auch sie kommen zu spät, denn auch sie folgen dem Vertragsschluss nach, ohne dass es zu einem Änderungsvertrag käme.684 Selbst wenn die Bezeichnung facto contrario wäre und die „Auftragsbestätigung“ als „Annahme“ zu werten ist, fehlt es am Konsens der Gegenpartei,685 sofern man die Auftragsbestätigung dann nicht sowieso als Gegenangebot einordnen muss. Anders verhält es sich aber wegen Abs. 1 S. 3 lit. b, wenn entsprechende Rechnungsformulare oder Bestätigungsschreiben in einer laufenden Geschäftsbeziehung immer verwendet wurden.686 Konsens kommt auch zustande, wenn der Empfänger den Rechnungsbedingungen ausdrücklich zustimmt.
673 Vgl. Siboti K/S v. BP France SA [2003] 2 Lloyd’s Rep. 364, 372–376 (Q.B.D., Gross J.) für Inkorporation der Jurisdiction Clause einer in Bezug genommenen Charter Party in ein Konnossement. 674 Vgl. Credit Suisse Financial Products v. Société Générale d’Entreprises [1997] CLC 168, 172 (C.A., per Saville L.J.); 7E Communications Ltd. v. Vertex Antennentechnik GmbH [2007] 2 All ER (Comm) 799, 807 f. = [2007] ILPr 278, 287 f. (C.A., ct. judgm. delivered by Sir Anthony Clarke MR). 675 Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 660. 676 Rb. Rotterdam, S&S 2013 Nr. 85 S. 477. 677 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 Rz. 29 – Profit Investment SIM SpA vs. Stefano Ossi u.a.; Michael Müller, EuZW 2016, 419, 420; Kleiner, Clunet 144 (2017) 591, 598–601. Vgl. auch Welling-Steffens, Ondernemingsrecht 2016/120, 595, 596; Maseda Rodríguez, AEDIPr 2016, 288. 678 Rb. Arnhem NIPR 2003 Nr. 49 S. 100. 679 EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 Rz. 28 f. – Saey Home & Garden NV/SA vs. LusavougaMáquinas e Accessórios Industriais SA; Fabig, BB 2018, 780. 680 Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1991, 1051; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2007, 759; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2018, 123, 124; CA Mons JLMB 1992, 881; CA Liège Rev gén dr civ. belge 2005, 123, 124; OLG Schleswig, IHR 2009, 243, 244; Hof Antwerpen, RW 2018, 302, 304; Trib. Milano Riv. dir. int. 1978, 843; Rb. Zutphen NIPR 1991 Nr. 240; Trib. comm. Liége R.D.C.B. 1988, 311; Rb. Kh. Hasselt RW 2000–1, 1244, 1247; Rb. Haarlem NIPR 2007 Nr. 145 S. 210; Rb. ’s-Gravenhage NIPR 2009 Nr. 40 S. 98; Ekelmans, T.B.H. 1991, 433, 437; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 98; Mankowski, EWiR 2018, 381, 382; Salger, IWRZ 2018, 131, 132; ablehnend auch für Abs. 1 S. 3 lit. c Rb. Arnhem NIPR 2005 Nr. 350 S. 460. A.A. Stöve, 178–180. 681 Sinay-Cytermann, Clunet 135 (2008) 1087, 1096; Mankowski, EWiR 2018, 381, 382. 682 Hof Amsterdam, NIPR 2008 Nr. 112 S. 193; Mankowski, BB 2015, 1425; Mankowski, EWiR 2018, 381, 382. 683 Fabig, BB 2018, 780; Mankowski, EWiR 2018, 381, 382. 684 EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 – Saey Home & Garden NV/SA vs. Lusavouga-Máquinas E. Accessórios Industriais SA; OLG Düsseldorf, IPRspr. 2004 Nr. 103; OLG Oldenburg, IPRspr. 2007 Nr. 158; OLG Celle, NJW-RR 2010, 118; OLG Brandenburg, IPRspr. 2012 Nr. 191 S. 433; Mankowski, EWiR 2018, 381, 382; Fabig, BB 2018, 780; Dostal, EuZW 2018, 944, 950. 685 OLG Hamm, IHR 2012, 216, 219. 686 Hof Arnhem-Leeuwarden, locatie Leeuwarden NIPR 2014 Nr. 164 S. 303. Vgl. auch EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 Rz. 30 – Saey Home & Garden NV/SA vs. Lusavouga-Máquinas e Accessórios Industriais SA. Im Ergebnis ebenso, jedoch zu Unrecht auf lit. a Var. 1 gestützt, Clare Taverns trading as Dirty Nelly’s v. Charles A Gill trading as Universal Business Systems [2000] 1 IR 286 (Irish HC, McGuinness J.).
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Daraus erwächst dann eine nachträgliche Gerichtsstandsabrede.687 Gleiches gilt bei einer Gerichtsstandsvereinbarung in einer Auftragsbestätigung und zustimmendem Agieren der Gegenpartei.688 2. Mündliche Vereinbarung mit schriftlicher Bestätigung (sog. halbe Schriftlichkeit) (Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 2) 154
Eine gewisse Formerleichterung gegenüber der strengen Schriftform schafft schon Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 2, indem dort eine mündliche Vereinbarung mit anschließender schriftlicher Bestätigung durch eine Partei, die sog. halbe Schriftlichkeit, der Schriftform gleichgestellt wird. Dies soll Handel beschleunigen, indem es den ersten Verbindlichkeit schaffenden Schritt erleichtert.689 Zu denken ist vor allem an Vertragsabschlüsse per Telefon, wie sie im grenzüberschreitenden Handel aller Elektronisierung zum Trotz immer noch gang und gäbe sind.
155
Die halbe Schriftlichkeit in exakt dieser Reihenfolge ist die einzige unter Abs. 1 S. 3 lit. a privilegierte Form eines Medienbruchs in der Kommunikation.690 Schon der „umgekehrte“ Fall (erst – einseitig – schriftlich, dann mündlich) ist nicht privilegiert.691 Eine mündliche Einigung allein reicht nicht, selbst wenn das Gespräch aufgezeichnet oder ein Protokoll angefertigt wurde.692 Sofern beide Parteien das Protokoll samt darin dokumentierter Gerichtsstandsvereinbarung abzeichnen, greift Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 2 bereits wieder.
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Vorausgesetzt ist unter Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 2 immer eine zumindest konkludente693 mündliche Einigung über die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts.694 Die konkludente Annahme eines schriftlichen Angebots genügt dem nicht.695 Ohne vorangegangene mündliche Einigung ist Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 2 nicht anwendbar. Ist unklar, ob eine Einigung vonstatten ging, reicht dies nicht für Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 2.696 Allerdings sollte man eine Gesamteinigung über einen umfassenderen Vertrag genügen lassen, auch wenn nicht nachweisbar ist, dass speziell über die Gerichtsstandsvereinbarung gesprochen wurde.697 Umgekehrt reicht eine nur partielle Einigung, welche die Gerichtsstandsvereinbarung nicht umfasst, nicht.698
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Die mündliche Einigung über den Haupt- oder Restvertrag entfaltet jedoch wegen Abs. 5 keine Indizwirkung, dass es auch eine mündliche Einigung gerade über die Gerichtsstandsabrede gegeben habe.699 Waren nur ganz andere Fragen als die Gerichtsstandsvereinbarung Gegenstand von Verhandlungen und Kommunikation, so fehlt es an einer mündlichen Einigung über den Gerichtsstand.700 Solange die Parteien miteinander noch in Verhandlungen über grundsätzliche Konditionen stehen, gibt es noch keine Einigung701 (es sei denn, es wäre ausnahmsweise schon vorab zu einer Teileinigung gerade über den Gerichtsstand gekommen).
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AGB mit einer Gerichtsstandsvereinbarung müssen dem Vertragspartner des Verwenders bei Vertragsschluss vorgelegen haben, damit die Gerichtsstandsklausel Gültigkeit erlangen kann.702 Die Ge687 688 689 690 691 692 693 694 695 696 697 698 699 700 701
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Mankowski, EWiR 2018, 381, 382. Vgl. Leo Laboratories Ltd. v. Crompton BV [2005] 2 ILRM 423, 433 (Irish S. C., per Fennelly J.). Merrett, [2018] Cambridge L.J. 472, 473. Mankowski, LMK 2018, 406706. Mankowski, LMK 2018, 406706. T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 738. OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U 86/95, IPRax 1997, 419 = EWS 1996, 365; OLG Saarbrücken, TranspR 2007, 488, 490 = IHR 2008, 55; LG Aachen, IHR 2011, 82, 83; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 103. Siehe nur Hoge Raad, NIPR 2000 Nr. 39 S. 109; OLG Stuttgart, NJOZ 2008, 2648, 2650; OLG Karlsruhe, NJOZ 2009, 2282, 2284; OLG Stuttgart, IHR 2011, 236 = IHR 2012, 38; LG Landshut, IHR 2008, 184, 185. Haß, IPRax 2000, 494, 495; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 23 EuGVVO Rz. 9; vgl. auch LG Berlin, IPRax 2000, 526, 527. Rb. Roermond NIPR 2009 Nr. 45 S. 101. Vgl. aber auch Bols Distilleries BV v. Superior Yact Services [2007] 1 WLR 16, 25 (PC, opinion delivered by Lord Rodger of Earlsferry). BGH, IHR 2004, 221; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 105. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 186 (2016). OLG Stuttgart, IHR 2011, 236 = IHR 2012, 38. OLG Stuttgart, IHR 2011, 236 = IHR 2012, 38.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
genpartei muss zumindest die Möglichkeit haben, die Gerichtsstandsklausel zu erkennen und zu kontrollieren.703 Der einseitige mündliche Verweis auf AGB reicht nicht, zumindest wenn nichts speziell über die Gerichtsstandsabrede gesagt wird.704 Wird die Gerichtsstandsabrede erstmals in dem Bestätigungsschreiben eingefügt (wird z.B. darin erstmals auf AGB mit einer Gerichtsstandsabrede verwiesen), so liegt mangels vorangegangener mündlicher Abrede über sie keine halbe Schriftlichkeit vor,705 sondern nur ein Angebot des „Bestätigenden“.706 Die Gerichtsstandsabrede kommt dann nur formgültig zustande, wenn der Empfänger des Bestätigungsschreibens schriftlich707 (auch per Fax oder Telex)708 zustimmt oder Abs. 1 S. 3 lit. c erfüllt ist, es sei denn, der AGB-Verwender hat während der Vertragsverhandlungen ausdrücklich auf die Gerichtsstandsklausel in seinen (nicht vorliegenden) AGB hingewiesen.709 Wird eine in einem schriftlichen Vertragsentwurf enthaltene Gerichtsstandsklausel nach Unterzeichnung durch die andere Partei abgeändert, so trägt der Ändernde die Beweislast dafür, dass die Abänderung einer vorangegangenen mündlichen Absprache entspricht.710 Diese Beweislast macht die halbe Schriftlichkeit wenig praktisch.711 Die schriftliche Bestätigung muss nicht von der Gegenpartei derjenigen Partei ausgehen, welche die Gerichtsstandsvereinbarung vorgeschlagen hat bzw. sich jetzt auf die Abrede beruft. Vielmehr reicht auch eine Bestätigung durch die vorschlagende bzw. die sich auf die Abrede berufende Partei aus.712 Der Fairness gegenüber der Gegenpartei ist genügt:713 Immerhin hat diese mündlich den Vertrag geschlossen, und sie verstieße gegen Treu und Glauben, wenn sie trotz fehlenden Widerspruchs gegen die Bestätigung nun anderes behauptete.714 Die Bestätigung muss sich nicht spezifisch oder ausschließlich auf die Gerichtsstandsabrede beziehen.715 Vielmehr genügt eine Bestätigung des Vertrages insgesamt.
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Zwischen Bestätigung und Abrede muss ein gewisser zeitlicher Zusammenhang bestehen, um späteren Überraschungseffekten zu begegnen.716 Die Bestätigung muss also innerhalb eines vernünftigen, den Umständen des jeweiligen Einzelfalls angemessenen Zeitraums nach dem Abschluss der mündlichen Vereinbarung erfolgen,717 ein Rückgriff auf das nationale Recht ist versperrt.718 Um eine Bestätigung zu sein, muss eine Bezugnahme auf die vorangegangene mündliche Einigung erfolgen.719 Was
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702 OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, NJW 1990, 652. Strenger Rb. Rotterdam, S&S 2008 Nr. 3 S. 11. 703 BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, IPRax 1997, 416 = NJW 1996, 1819; Saenger, ZEuP 2000, 656, 670; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 103. 704 Rb. Rotterdam, NIPR 2005 Nr. 63 S. 104. 705 EuGH v. 14.12.1976 – 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 Rz. 10 – Galeries Segoura SPRL vs. Fa Rahim Bonakdarian; BGH v. 25.3.1994 – 2 U 1537/92, NJW 1994, 2099; vgl. auch OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, CR 2010, 17, 18. Missverstanden von Rb. Dordrecht NIPR 2005 Nr. 166 S. 229. 706 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 190 (2016). 707 EuGH v. 14.12.1976 – 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 Rz. 8 – Galeries Segoura SPRL vs. Fa Rahim Bonakdarian; OLG Frankfurt, NJW 1977, 506. 708 ÖstOGH, JBl 2001, 117. 709 Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 878; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6445. 710 BGH, IPRspr. 1993 Nr. 137; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 113. 711 H. Schmidt, RIW 1992, 173, 176; Saenger, ZEuP 2000, 656, 670; Saenger, FS Sandrock, 2000, 807, 814; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 67. 712 EuGH v. 11.7.1985 – 221/84, ECLI:EU:C:1985:337 – F. Berghoefer GmbH & Co KG vs. ASA SA, EuGHE 1985, 2699, 2708 f. Rz. 15; EuGH v. 11.11.1986 – 313/85, ECLI:EU:C:1986:423 Rz. 9 – SpA Iveco Fiat vs. Van Hool NV; BGH v. 5.12.1985 – I ZR 55/82, NJW 1986, 2196; östOGH, ZfRV 2001/46; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2007, 1102, 1104 f.; Polskie Ratownictwo Okretowe v. Rallo Vito & C SNC [2009] ILPr 922, 933 (Q.B.D., Hamblen J.). 713 Ein partieller Wertungswiderspruch zu Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO lässt sich allerdings nicht verkennen; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 662. 714 EuGH v. 11.7.1985 – 221/84, ECLI:EU:C:1985:337 – F. Berghoefer GmbH & Co KG vs. ASA SA, EuGHE 1985, 2699, 2708 f. Rz. 15; vgl. auch Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2008, 168, 171 f. 715 A.A. bei Bestätigung durch den Begünstigten Rb. Dordrecht, NIPR 2005 Nr. 166 S. 230; Rb. Rotterdam, S&S 2008 Nr. 3 S. 11. 716 OLG Düsseldorf, IPRax 1999, 38; Hau, IPRax 1999, 24. 717 OLG Düsseldorf, IPRax 1999, 38; Hau, IPRax 1999, 24, 25; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 110; Abendroth, 105. 718 Hau, IPRax 1999, 24, 25. 719 Hof Amsterdam, NIPR 2008 Nr. 108 S. 187.
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729
Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen sich als erstmaliges Ansinnen geriert, kann dagegen keine Bestätigung sein. Auch eine Kombination von Vertragsausführung und nachfolgendem Schriftverkehr dürfte kaum eine hinreichende Bestätigung sein.720 161
Schriftlichkeit hat dieselbe Bedeutung wie in der ersten Variante von lit. a.721 Gefordert sind zuvörderst Reproduzierbarkeit und die Möglichkeit, die Erklärung zu verkörpern. Eine eigenhändige Unterschrift ist nicht verlangt.722 Abs. 2 ist miteinzubeziehen.723 Die schriftliche Bestätigung kann also auch per E-Mail erfolgen.724 Gefordert ist aber eine verkörperbare Dokumentation.725
162
Ein Widerspruch gegen eine Bestätigung schließt das Wahren der Form nicht aus, kann aber ein gewichtiges Indiz für das Fehlen einer vorangegangenen Einigung sein.726 Insoweit kommt das erste Element ins Spiel, die mündliche Einigung. Insoweit bleibt opportunistisches Handeln des Bestätigenden riskant, denn er bleibt mit dem Nachweis belastet, dass es jene mündliche Einigung gegeben habe.727 Weiterreichende Bedeutung sollte man einem Widerspruch nicht beilegen,728 denn Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 2 verlangt seinem Wortlaut nach nicht, dass die Bestätigung unwidersprochen geblieben sein müsste.729 Widerspruch kann nur binnen einer angemessenen Zeitspanne nach Erhalt der Bestätigung erhoben werden.730 In jedem Fall ist zu unterscheiden zwischen einem Widerspruch gegen eine Bestätigung und dem Bestreiten, dass es eine Bestätigung gegeben habe.731
163
AGB, welche der Gegenseite erst nach der Bestätigung übermittelt werden, begründen keine Gerichtsstandsabrede.732 Eine bloße Rechnung ist keine Bestätigung, selbst wenn sie ausdrücklich „Bestätigung“ benannt sein sollte.733 Zeitliche Grenze für eine Bestätigung ist zumindest das Erbringen der Leistung aus einem Vertrag; danach kann der Leistungsempfänger nicht mehr bestätigen.734 Eine Bestätigung und eine akzeptierte Rechnung können halbe Schriftlichkeit herbeiführen.735 § 305c Abs. 1 BGB oder andere Überraschungstatbestände sind nicht anwendbar, da sie vom abschließenden europäischen Regime verdrängt werden.736 Eine Mitteilung über andere Punkte als die Gerichtsstandsvereinbarung ist in keinem Fall eine Bestätigung unter Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 2.737 3. Entsprechung zu zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten (Abs. 1 S. 3 lit. b)
164
Zwischen Parteien eines Vertrages können sich besondere Gepflogenheiten entwickelt haben. Dies erkannte der EuGH bereits unter der Ausgangsfassung des EuGVÜ an.738 Abs. 1 S. 3 lit. b führt die720 721 722 723 724 725 726
727 728 729 730 731 732 733 734 735 736 737
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Entgegen Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2010, 147, 149. Ebenso Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 189 (2016). Polskie Ratownictwo Okretowe v. Rallo Vito & C SNC [2009] ILPr 922, 933 (Q.B.D., Hamblen J.). Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 65. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 109; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 117; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 107. Vgl. Rb. Rotterdam, NIPR 2007 Nr. 154 S. 219. Staehelin, 26; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 49; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 114; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 192 (2016); Abendroth, 105; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 66; vgl. EuGH v. 11.11.1986 – 313/85, ECLI:EU:C:1986:423 Rz. 9 – SpA Iveco Fiat vs. Van Hool NV; OLG Bamberg, NJW 1977, 505; Polskie Ratownictwo Okretowe v. Rallo Vito & C SNC [2009] ILPr 922, 933 (Q.B.D., Hamblen J.). Dies bezieht Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 115 (2005) nicht hinreichend ein. A.A. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 115 (2005). Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 49; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 66. EuGH v. 11.7.1985 – 221/84, ECLI:EU:C:1985:337 – F. Berghoefer GmbH & Co KG vs. ASA SA, EuGHE 1985, 2699, 2708 f. Rz. 15; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 106. Vgl. Rb. Arnhem, NIPR 1999 Nr. 286 S. 389. OLG Köln, IPRspr. 1991 Nr. 165; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6446. OLG Hamburg, IPRax 1985, 281 (Aufsatz Samtleben 261); Buchmann, K&R 2015, 474, 475; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 105. Staehelin, 52 m.w.N. Cass. civ., Bull. civ. 2007 I n° 83 = D 2007, 951 m. Anm. Chevrier = RTD com. 2008, 210 obs Delebecque. Das übersehen Buchmann, K&R 2015, 474, 475; Peschke, jurisPR-IWR 3/2015 Anm. 2 sub D; Vogl, EWiR 2016, 171, 172. Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 105.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
sen Ansatz fort.739 Gepflogenheiten gelten nicht allgemein (denn dann wären es Handelsbräuche), sondern nur individuell-konkret zwischen bestimmten Parteien.740 Grundvoraussetzung ist eine laufende Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien; Geschäftsbeziehungen zu Dritten genügen nicht, selbst wenn diese Dritte in einer Unternehmensgruppe mit der anderen Partei verbunden sind.741 Haben die Parteien ihre Geschäftsbeziehung in der Vergangenheit immer in Übereinstimmung mit diesen Gepflogenheiten abgewickelt, so verstieße diejenige Partei gegen Treu und Glauben, welche sich auf einmal bei einem bestimmten Geschäft nicht mehr an diese Gepflogenheiten gebunden fühlte.742 Sie verhielte sich selbstwidersprüchlich und beginge ein venire contra factum proprium.743 Maßgeblicher Zeitpunkt für das Bestehen einer Gepflogenheit ist nicht jener der Klagerhebung, sondern jener des konkret zu beurteilenden Vertragsschlusses.744 Gepflogenheiten müssen indes auf einer grundsätzlichen Einigung beruhen; sie ersetzen die strengere 165 Form der ganzen oder halben Schiftlichkeit,745 aber nicht die Einigung.746 Ein stillschweigender Konsens für eine Gerichtsstandsvereinbarung wird nicht durch bloße Vertragsdurchführung begründet,747 nicht durch Entgegennahme von Leistungen und nicht durch Schweigen.748 Gepflogenheiten können den Gebrauch bestimmter Kommunikationsmittel betreffen749 wie den Abschluss auf der Basis bestimmter Dokumente, die ihrerseits auf andere Dokumente weiterverweisen, in denen sich dann die Gerichtsstandsklausel findet.750 Auch eine bloß durch eine Seite erfolgende Unterschrift mag sich einbürgern.751 Vorausgesetzt sind eine länger dauernde Geschäftsbeziehung und eine gewisse, vertrauensbegründende Dauer der Gepflogenheit.752 Eine Partei, die sich auf die Ungültigkeit beriefe, würde eben gegen Treu und Glauben verstoßen, weil sie sich anders verhielte als konsistent in der Vergangenheit.753 Die Gepflogenheit muss zudem bei Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages bestanden haben.754 Ob eine Gepflogenheit besteht, ist eine Tatsachenfrage, die unabhängig vom anwendbaren Recht zu
738 EuGH v. 14.12.1976 – 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 Rz. 11 – Galeries Segoura Sprl vs. Rahim Bonakdarian; EuGH v. 19.6.1984 – 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 Rz. 18 – Partenreederei MS „Tilly Russ“ u. Ernst Russ vs. SA Haven- en Vervoerbedrijf Nova u. SA Goeminne Hout. 739 Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard-Bericht Nr. 26. 740 Zustimmend Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 200 (2016). 741 OLG Brandenburg, IPRspr. 2012 Nr. 191 S. 434; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 201 (2016). 742 EuGH v. 19.6.1984 – 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 Rz. 18 – Partenreederei MS „Tilly Russ“ u. Ernst Russ vs. SA Haven- en Vervoerbedrijf Nova u. SA Goeminne Hout; IP Metal Ltd. v. Route OZ SpA [1993] 2 Lloyd’s Rep. 60, 66 (Q.B.D., Waller J.); Lafrage Plasterboard Ltd. v. Fritz Peters & Co KG [2000] 2 Lloyd’s Rep. 689, 698, 699 (Q.B.D., Judge Browsher QC); SSQ Europe SA v. Johann & Backes OHG [2002] 1 Lloyd’s Rep. 465, 481 f. (Q.B.D., Judge Havelock-Allan QC); Sinay-Cytermann, Clunet 135 (2008) 1087, 1097. 743 Abendroth, 109. 744 Siehe nur OLG Karlsruhe, IPRspr. 2002 Nr. 131b; OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83, 84; Hau, IPRax 2005, 301, 304; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 73. 745 Fohrer-Dedeurwaerder, RTDCom 2018, 1083, 1089 betont mit Recht, dass über Abs. 1 S. 3 lit. b eine rein mündliche Prorogation möglich wird. 746 BGH, RIW 2004, 938, 939; BGH v. 11.12.2018 – KZR 66/17, GRUR 2019, 320 Rz. 16 – Hotelbuchungsplattform; LG Landshut, IHR 2008, 184, 186; Mankowski, RIW 2005, 561, 567. 747 Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2008, 505, 509 f. 748 Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2018 Anm. 1 sub C. 749 Standard Steamship Owners’ Protection and Indemnity Association (Bermuda) Ltd. v. GIE Vision Bail [2005] 1 All ER (Comm) 618, 632 (Q.B.D., Cooke J.); Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 204 (2016). 750 Standard Steamship Owners’ Protection and Indemnity Association (Bermuda) Ltd. v. GIE Vision Bail [2005] 1 All ER (Comm) 618, 631 (Q.B.D., Cooke J.). 751 Skeptisch insoweit Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2008, 505, 507 f. 752 Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 50; Fawcett/Harris/Bridge/Fawcett, International Sale of Goods in the Conflict of Laws (2005) Art. 23 EuGVVO Rz. 3.52 sowie Cass., Rev. crit. dip. 102 (2013) 725, 726 m. Anm. Bureau; Rb. ’s-Gravenhage NIPR 1997 Nr. 127 S. 182. 753 Briggs/Rees, Rz. 2.116; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 31. 754 Geimer/Schütze/S. Auer, (1997) Art. 17 EuGVÜ Rz. 114; Hau, IPRax 2005, 301, 304; a.A. LG Karlsruhe, RIW 2001, 702, 704.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen beantworten ist.755 Ein übergeordneter langfristiger Rahmenvertrag kann eine Gepflogenheit für die ausfüllenden Einzelverträge ausbilden.756 Bei mehrfachen Änderungen von AGB einer Partei, in denen sich die Gerichtsstandsklausel befindet, kann entscheidend sein, wie diese Änderungen der Gegenpartei kommunizert wurden und wie die Gegnpartei darauf reagiert, insbesondere ob sie sich damit einverstanden erklärt hat.757 167
Abs. 1 S. 3 lit. b kann frühestens erst für das zweite konkrete Geschäft im Rahmen einer Geschäftsbeziehung gelten.758 Das erste Geschäft kann allenfalls den Grundstein für die sich später bestätigende Gepflogenheit legen. Ein vorangegangenes Probegeschäft oder eine frühere Übersendung zur Prüfung oder Ansicht helfen nicht.759 Einmaliger Kontakt kann nicht Gegenstand einer Gepflogenheit sein.760 Mehrere Transaktionen gleicher oder zumindest vergleichbarer Art sind erforderlich.761 Dagegen kann sich etwa eine Gepflogenheit entwickelt haben, dass widersprechen muss, wer als Empfänger einer Offerte nicht einverstanden ist, da in der Vergangenheit Verträge immer auf Basis entsprechender Vertragsbedingungen abgeschlossen und durchgeführt wurden.762 Allerdings scheitert Abs. 1 S. 3 lit. b, wenn kein Nachweis früherer Transaktionen auf der Basis solcher AGB geführt werden kann.763
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Bloßes Schweigen ist aber kein Zustimmungssurrogat, wenn nie eine reale Möglichkeit zur Kenntnisnahme von den AGB der anderen Partei bestand.764 Ebenso kann es keine Gepflogenheit sein, wenn ein Beklagter in einem Gerichtsverfahren nur nicht widerspricht oder auf eine Zuständigkeitsrüge stillschweigend verzichten sollte;765 für solche Fälle gilt vielmehr Art. 26 Brüssel Ia-VO.
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Zudem muss die Gepflogenheit eine dauerhafte und permanente Übung sein.766 Ohne Beachtung gibt es keine Gepflogenheit.767 Eine missachtete „Gepflogenheit“ ist in Wahrheit gar keine Gepflogenheit. Die Parteien müssen die Gepflogenheit immer oder zumindest bei der überwiegenden Mehrzahl ihrer gleichgelagerten Kontakte einhalten. Es darf keine relevante Unterbrechung eintreten, dergestalt, dass man sagen könnte, die Parteien würden sich nun nicht mehr an die Übung halten. Regelmäßige Beachtung ist das Mindeste. Verhalten sich die Parteien je nach Belieben das eine Mal so, das nächste Mal aber wieder anders, so fehlt es an einer hinreichenden Übung. Einzelne Ausreißer in einer an sich erkennbaren Kette schaden aber nicht.
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Haben sich Gepflogenheiten nur zwischen einzelnen Handelnden auf den Seiten beteiligter Unternehmen herausgebildet, so ist die Übung auf solche Geschäfte begrenzt, an denen genau diese Handelnden mitwirken. Andere Handelnden kann das Bewusstsein der eben nicht für die Gesamtunternehmen geltenden Gepflogenheit nicht imputiert werden.
755 The „Kribi“ [2001] 1 Lloyd’s Rep. 76, 89 (Q.B.D., Aikens J.); vgl. auch Leo Laboratories Ltd. v. Crompton BV [2005] 2 ILRM 423, 432 = [2005] 2 IR 225, 235 (Irish S. C., Fennelly J.); O’Connor v. Masterwood (UK) Ltd. [2010] ILPr 330, 333(Irish S. C., Fennelly J.). 756 OLG Köln, IHR 2013, 68, 69 = GWR 2012, 537 m. Anm. Umbeck. 757 BGH v. 11.12.2018 – KZR 66/17, GRUR 2019, 320 Rz. 16 – Hotelbuchungsplattform. 758 OLG Dresden, EuLF 2009, II-68, II-70; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 202 (2016). Tendenziell strenger OLG Köln, RIW 1988, 557; OLG Karlsruhe, NJOZ 2009, 2282, 2285; CA Paris Rev. crit. dip. 81 (1992) 793; Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2007 Nr. 39 S. 67; Burgstaller, JBl 1998, 691, 692: einmalige vorherige Bestellung begründe noch keine laufende Geschäftsbeziehung. 759 Hoge Raad, NIPR 1999 Nr. 166 S. 227; Rb. Amsterdam, NIPR 2001 Nr. 211 S. 365. 760 Rb. Arnhem NIPR 2004 Nr. 260 S. 363; vgl. auch O’Connor v. Masterwood (UK) Ltd. [2010] ILPr 330, 334(Irish S. C., Fennelly J.); Oakley v. Ultra Vehicle Design Ltd. (in liquidation) [2005] ILPr 747, 763 (Ch. D., Manchester Registry, Lloyd J.). 761 Rb. Kh. Hasselt, RW 2007–8, 1047, 1048. 762 Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2006, 1076, 1085. 763 Rb. Kh. Hasselt RW 2007–8, 917, 918. 764 Vgl. Hof Arnhem-Leeuwarden, locatie Arnhem NIPR 2014 Nr. 269 S. 469. 765 Future New Developments Ltd. v. B & S Patente und Marken GmbH [2014] EWHC 1874 (IPEC) [15] (Ch. D., Judge Hacon). 766 Siehe nur OLG Karlsruhe, NJOZ 2009, 2282, 2285; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 50; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 203 (2016). 767 M. Stürner, ZEuP 2012, 353, 356.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Bedeutung hat Abs. 1 S. 3 lit. b insbesondere für die Einbeziehung von Gerichtsstandsklauseln in AGB, die über unwidersprochen gebliebene Rechnungen, Lieferscheine, Bestätigungen oder ähnliches (z.B. Konnossementsbedingungen768) eingeführt wurden.769 Die konkret-individuelle Vereinbarung von AGB mit einer Gerichtsstandsklausel kann ersetzt werden durch eine Art abstrakter Einbeziehung,770 wenn eine laufende Geschäftsbeziehung auf der Grundlage der AGB einer Partei stattfindet.771 Insoweit tritt individuell-konkretes Kennenmüssen an die Stelle aktueller Kenntnis.772 Dies gilt in besonderem Maße, wenn die Parteien einst über die AGB diskutiert haben und die AGB nachfolgend ohne Widerspruch akzeptiert wurden.773 Insoweit besteht also eine Widerspruchsobliegenheit für den jeweiligen AGB-Empfänger.774
171
Die laufende Geschäftsbeziehung und die ihr innewohnende Rahmenvereinbarung775 haben ihre Be- 172 deutung auch ohne vorangegangenen (mündlichen) Vertragsschluss.776 Insoweit gelten geringere Anforderungen als unter lit. a Var. 2,777 und es besteht keine Notwendigkeit zu einer isolierten Verständigung spezifisch über die Gerichtsstandsabrede.778 Das Geschäftsvolumen in seiner Summe vermittelt einen größeren Anreiz, sich mit Vertragsfragen und auch mit Gerichtsstandsklauseln auseinander zu setzen.779 An das Vorliegen einer laufenden Geschäftsbeziehung auf Basis der AGB einer Partei sind indes stren- 173 ge Anforderungen zu stellen: Die Geltung jener AGB muss in der Anfangsphase der Geschäftsbeziehung zumindest einmal ausdrücklich vereinbart worden sein,780 und die Parteien müssen sich in ihrer Praxis auch nach den AGB gerichtet haben.781 Insoweit, aber auch nur insoweit ist der Konsens gesondert festzustellen.782 Verlangt ist zudem eine gewisse Häufigkeit von Vertragsabschlüssen.783 Zwei Abschlüsse wären das theoretische Minimum, werden aber praktisch kaum Gewohnheiten begründen.784 Nichtwiderspruch gegen eine einzige Rechnung reicht nicht.785 Auch isolierte Geschäfte
768 Cassaz., Dir. mar. 104 (2002) 1297, 1299–1301 = Riv. dir. int. priv. proc. 2002, 152; vgl. auch Rb. Rotterdam, NIPR 2003 Nr. 215 S. 327. 769 Siehe nur CA Paris D 1997 IR 240; Hof Amsterdam, NIPR 1999 Nr. 169 S. 234; Hof Amsterdam, NIPR 2000 Nr. 298 S. 454; Hof Antwerpen Limb Rechtsl 2013, 215; Hof Arnhem-Leeuwarden, locatie Leeuwarden NIPR 2014 Nr. 164 S. 303; Hof Gent RW 2016-17, 543, 545; Rb. Utrecht NIPR 2000 Nr. 216 S. 358; Rb. Rotterdam, NIPR 2006 Nr. 236 S. 351; Rb. Antwerpen Rev gén dr civ. belge 2014, 85, 86; Huet, Clunet 126 (1999) 196, 200 sowie Cass. civ. Rev. crit. dip. 85 (1996) 731 m. Anm. Gaudemet-Tallon; Rb. Arnhem NIPR 2005 Nr. 351 S. 461; anders aber in einem konkreten Fall Rb. Arnhem NIPR 2005 Nr. 355 S. 465. 770 Ebenso Hau, IPRax 2005, 301, 302 f.; Mankowski, BB 2015, 1425. 771 CA Liège RCDB 1998, 393, 394 m. Anm. Boularbah; Hof Antwerpen, RW 2018, 302, 304. 772 LG Münster v. 17.10.1991 – 2 U 34/91, RIW 1992, 231; Kohler, IPRax 1991, 299, 301. 773 Cass., Rev. crit. dip. 101 (2012) 630 m. Anm. Bureau; Bureau, Rev. crit. dip. 102 (2013) 727, 729; vgl. auch Trib. Liège J. trib. 2014, 682, 683. 774 Hof Arnhem-Leeuwarden, locatie Leeuwarden NIPR 2014 Nr. 164 S. 303. 775 Hau, IPRax 2005, 301, 303. 776 EuGH v. 19.6.1984 – 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 Rz. 18 – Partenreederei MS „Tilly Russ“ u. Ernst Russ vs. SA Haven- en Vervoerbedrijf Nova u. SA Goeminne Hout; OLG Stuttgart v. 30.5.1978 – 11 S 2/78, RIW 1980, 366; OLG Celle, IPRax 1985, 286 (Duintjer Tebbens 262). Missverständlich BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, WM 1994, 1088; BGH, IPRax 2005, 338, 339. 777 OLG Köln, VersR 1999, 629, 641; M. Stadler, Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen Handel (2003) 124. 778 Hau, IPRax 2005, 301, 303 f. 779 Lindacher, FS Schlosser (2005) 491, 497. 780 Nachdrücklich insbesondere OLG Hamm, NJOZ 2006, 520, 522; OLG Köln, IPRspr. 2011 Nr. 215 S. 538; Hof Gent RW 2016-17, 543, 545; LG Aachen, IHR 2011, 82, 83; Hau, IPRax 2005, 301, 304; Mankowski, LMK 2005, 155248. 781 OLG Düsseldorf v. 8.2.1979 – 18 U 132/78, TranspR 1981, 26 = IPRspr. 1979 Nr. 156 A; OLG Zweibrücken, IPRspr. 1983 Nr. 142; OLG Köln, IPRspr. 2011 Nr. 215 S. 538; Mankowski, EWiR Art. 17 EuGVÜ 2/94, 985, 986; ähnlich ObG Basel-Land BJM 2001, 15, 22 f. 782 Strenger scheinbar Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 23 unter Hinweis auf östOGH, 7 Ob 38/01s. 783 OLG Celle, IPRax 1985, 286 m. Anm. Duintjer Tebbens, 262. 784 Siehe CA Paris Rev. crit. dip. 81 (1992) 793. 785 Hof Antwerpen, RW 2018, 302, 304.
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733
Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen im Abstand mehrerer Jahre reichen grundsätzlich im normalen Handelsverkehr ebenfalls nicht.786 Üblicherweise kurzfristig gehandelte Ware verlangt nach schnellerem Umsatz.787 Bei hochwertigen Investitionsgütern kann es sich aber anders verhalten.788 174
Eine zeitliche Mindestdauer der Geschäftsbeziehung ist nicht zu verlangen,789 Gewohnheiten können sich bei schnellen Wiederholungsgeschäften ebenso schnell entwickeln. Die AGB müssen im Lauf der Zeit nicht unverändert geblieben sein, aber zumindest die Gerichtstandsklausel muss gleich geblieben sein.790 Allerdings zerstört es eine Gepflogenheit, wenn später auf einen komplett anderen als den ursprünglichen Satz AGB Bezug genommen wird.791 Hat der Rechnungsschreiber nie auf seine nur rückseitig abgedruckten AGB hingewiesen, so verhilft auch die laufende Geschäftsverbindung nicht zur Wirksamkeit der Gerichtsstandsklausel, weil dann nicht gewährleistet ist, dass wenigstens einmal Konsens hinsichtlich dieser Klausel bestand.792 Der bloße Abdruck als solcher reicht in keinem Fall hin.793
175
Das Entstehen von Gepflogenheiten setzt nicht zwingend voraus, dass die Wiederholungsgeschäfte oder wiederholten Kontakte immer dieselbe Art oder dieselbe Kategorie von Leistungen betreffen müssten. Maßgebend ist vielmehr die Mehrzahl von Kontakten mit ihren individuell-konkreten Gemeinsamkeiten beim Vertragsabschluss. Es geht schließlich um den Vertragsabschluss, nicht um die Erfüllung. Deshalb ist grundsätzlich auch ein Erfordernis abzulehnen, dass über im Wesentlichen gleichartige Güter kontrahiert werden müsste.794
176
Abs. 1 S. 3 lit. b setzt nicht voraus, dass beide Beteiligten Unternehmer oder Kaufleute wären. Er ist nicht beschränkt auf den Geschäftsverkehr im engeren Sinne. Ein Beteiligter kann auch Verbraucher oder Privatmann sein.795 Mehrfacher Bezug von Waren oder Dienstleistungen durch einen Privaten von demselben Anbieter kann durchaus Gepflogenheiten entstehen lassen. Die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsabrede zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ist zudem immer an Art. 19 Brüssel Ia-VO zu messen. Dass alle Beteiligten keine Unternehmer, sondern Privatleute sind, dürfte sich kaum ergeben, weil es dann an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit von Wiederholungsgeschäften fehlt. 4. Entsprechung zu internationalem Handelsbrauch (Abs. 1 S. 3 lit. c) a) Handelsbrauch
177
Abs. 1 S. 3 lit. c lockert die Formstrenge des Abs. 1 S. 3 lit. a beträchtlich und kommt den Anforderungen des internationalen Handelsverkehrs an Leichtigkeit, Schnelligkeit und fehlenden Formalismus weit entgegen, indem er Gerichtsstandsvereinbarungen anerkennt, deren Form internationalen Handelsbräuchen entspricht. Er erleichtert den Nachweis einer Gerichtsstandsabrede erheblich und vermeidet Formalismus.796 Er kommt eingeschliffenen Pragmatismen und Abschlussgewohnheiten ganzer Branchen weit entgegen.797 Die Erleichterung der Form bedeutet aber nicht, dass kein Konsens bestehen müsste und gegebenenfalls nachzuweisen wäre.798 Ein behaupteter Handelsbrauch 786 787 788 789 790 791 792 793 794 795 796 797
734
Siehe Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1996, 302, 309; vgl. auch Rb. Arnhem NIPR 2006 Nr. 51 S. 82. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 124 (2005). Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 124 (2005). Vgl. aber LG Karlsruhe, RIW 2001, 702: ein Jahr bei Bauleistungen und Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 124 (2005): drei Monate als generelle Faustformel; s. auch Rb. Brussels RW 2000–01, 593. Siehe Rb. Kh. Hasselt RW 2000–01, 1244; Trib. comm. Veurne [2006] ILPr 336, 342. Hof Arnhem NIPR 2008 Nr. 297 S. 553. BGH v. 25.3.1994 – 2 U 1537/92, NJW 1994, 2099; OLG Hamburg v. 19.9.1984 – 5 U 56/84, RIW 1984, 916 = IPRax 1985, 281 m. Anm. Samtleben, 161; OLG Hamm, NJW 1990, 1012; Hof Arnhem NIPR 2007 Nr. 136 S. 199 sowie Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 208 (2016). BGH, IPRax 2005, 338, 339. A.A. Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 124 (2005). Trunk, Die Erweiterung des EuGVÜ-Systems am Vorabend des Europäischen Binnenmarktes (1991) 47; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 17 EuGVÜ Rz. 48; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 118. Siehe nur Rodríguez Benot, Los acuerdos de competencia judicial internacional en Derecho comunitario europeo (1994) 288; Estevez González, AEDIPr 2004, 732, 733. Mankowski, LMK 2018, 406706.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
darf nicht zum Allheilmittel werden, um eigene formale Versäumnisse gleichsam durch die Hintertür aus der Welt reden zu können.799 Der Begriff des Handelsbrauchs ist ein europäisch autonom zu verstehender Rechtsbegriff und nicht mit gleichlautenden Begriffen nationaler Rechte (z.B. § 346 HGB) zu vermengen.800 Ein Handelsbrauch besteht, wenn die in dem betreffenden Geschäftszweig tätigen Kaufleute bei Abschluss einer bestimmten Art von Verträgen allgemein und regelmäßig ein bestimmtes Verhalten befolgen.801 Generell branchenübergreifende, aber gerade in der konkreten Branche nicht geltende Bräuche reichen nicht aus; umgekehrt ist ein branchenübergreifender Charakter aber auch nicht erforderlich.802 Entscheidend ist die Branche, welcher der konkret betroffene Vertrag zuzuzählen ist.803 Ständige Übung in der Branche trägt die Vermutung einer Einigung.804
178
Abzustellen ist in jedem Fall auf faktische Gebräuchlichkeit.805 Die bloß subjektiv vermeinte Handelsgebräuchlichkeit, dass also eine Partei meint, ihr Verhalten entspreche einem (in Wahrheit jedoch gar nicht existierenden) Handelsbrauch, reicht nicht,806 sondern kann – nach entsprechender, unwidersprochener Erläuterung – allenfalls eine Gepflogenheit unter Abs. 1 S. 3 lit. b begründen.807
179
Der Handelsbrauch muss sich nicht spezifisch auf Gerichtsstandsklauseln beziehen, vielmehr reicht ein allgemein für Verträge in der betreffenden Branche bestehender Handelsbrauch aus.808 Anderenfalls hätte Abs. 1 S. 3 lit. c nämlich kaum Sinn, weil der Handelsverkehr Gerichtsstandsklauseln regelmäßig nur als „juristisches Anhängsel“ zu den für ihn eigentlich wichtigen und im Vordergrund stehenden materiellen Vertragsbestimmungen versteht und ihnen kaum jemals gesonderte Aufmerksamkeit zuwendet. Indes können Gerichtsstandsklauseln selbst in einer bestimmten Branche handelsgebräuchlich sein, wenn dort in aller Regel AGB zugrunde gelegt werden, in denen der Sitz des Verwenders (z.B. des Verfrachters im Seeverkehr) als Gerichtsstand ausbedungen wird.809
180
Eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Abs. 1 S. 3 lit. c setzt jedenfalls voraus, dass alle Parteien Teil- 181 nehmer im Handelsverkehr sind. Handelt eine Partei als Privatmann, so gilt Abs. 1 S. 3 lit. c nicht,810 unabhängig davon, ob ein Verbrauchervertrag i.S.v. Art. 17 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vorliegt oder nicht. Auf eine formelle Kaufmannseigenschaft nach irgendeinem Recht kommt es dagegen von Gesetzes wegen nicht an.811 Abs. 1 S. 3 lit. c verdankt seine heutige Fassung dem LugÜbk; er lehnt sich in seinen sachlichen Vo- 182 raussetzungen bewusst an Art. 9 Abs. 2 CISG an.812 Man kann heute auch Art. 1.9 Abs. 2 UNI798 799 800 801
802 803 804 805 806 807 808 809 810 811 812
Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 663. Mankowski, LMK 2018, 406706. Krümmel, IWRZ 2018, 232. EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 Rz. 23 – Mainschifffahrts-Genossenschaft eG (MSG) vs. Les Gravières Rhenanes SARL; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 26 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C: 2016:282 Rz. 44 – Profit Investment SIM SpA vs. Stefano Ossi u.a.; GA Bot, Schlussanträge v. 23.4.2015 – C-366/13, ECLI:EU:C:2015:274 Rz. 60; BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, IPRax 2019, 426 = WM 2018, 1332 Rz. 33. Kröll, ZZP 113 (2000) 135, 154; Krümmel, IWRZ 2018, 232. Vgl. Cassaz., Dir. mar. 110 (2008) 946, 967; Sinay-Cytermann, Clunet 135 (2008) 1087, 1099. GA Bot, Schlussanträge v. 23.4.2015 – C-366/13, ECLI:EU:C:2015:274 Rz. 61. OLG Hamburg, TranspR 1993, 26; OLG Celle, IPRax 1997, 418. Hubert Schmidt, RIW 1992, 173, 177; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 124; Geimer/ Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 131 (2005). Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 216 (2016). Zustimmend Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 120; Melcher, GPR 2017, 246, 248; im Ergebnis abweichend HG Zürich BlZürchRspr. 95 (1996) 298. OLG Celle, IPRax 1997, 418 m. Anm. Koch, 405; zu streng Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2000 Nr. 137 S. 224 f. Siehe nur Lopez di Gonzalo, Dir. mar. 110 (2008) 989, 990; Kleiner, Clunet 144 (2017) 591, 596. Siehe nur Cass. civ., JClP (G) 1997 IV 747; Huet, Clunet 125 (1998) 138, 139; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 213 (2016). Jenard/Möller-Bericht Nr. 58; Rb. Dordrecht NIPR 2005 Nr. 166 S. 229; Kohler, EuZW 1991, 305; Stöve, 62; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 663; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 116; Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 404.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen DROIT Principles hinzufügen.813 Dies ist insbesondere für den Begriff des Handelsbrauchs von Bedeutung; insoweit ist auch ein Rückgriff auf Literatur und Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 2 CISG möglich. Ein Handelsbrauch muss nicht im gesamten weltweiten Handel bestehen. Maßgeblich ist – funktionell als Referenzgruppe814 – vielmehr diejenige Branche, in der sich die Parteien mit ihrem Vertragsabschluss betätigen.815 183
Im Einzelfall kann die Abgrenzung der Branche durchaus Schwierigkeiten bereiten.816 Durch zu engen Branchenzuschnitt liefe der Rechtsanwender aber Gefahr, tatsächlich bestehende Zusammenhänge zu verkürzen. Eine atomisierende Untergliederung in miniaturhafte Teilbranchen hat in jedem Fall zu unterbleiben. Z.B. wäre es unzulässig, weil zu kleinteilig im Seeverkehr jeweils einzelne Branchen für einzelne Routen zu unterstellen.817 Dagegen wäre ein Branchenzuschnitt etwa nach Ostasienoder Westafrika-Verkehr oder nach der Nordatlantikrange wohl ebenso denkbar wie ein Zuschnitt von Branchen nach der Art der transportierten Güter (z.B. Rohöl hier, Benzin dort, Chemikalien hier, Getreide dort, Autos hier, Vieh dort). Bei letzterem müssten allerdings Container und General Cargo als Kategorien außer Betracht bleiben, da zu unspezifisch. Innerhalb des Kapitalmarkts existieren durchaus voneinander zu scheidende Felder und Sektoren mit je eigenen Usancen, z.B. OTC-Derivatehandel oder ABS Financing.818
184
Was innerhalb einer Branche üblich ist, ist nach abstrakten Maßstäben der Typisierung und Standardisierung zu beurteilen. Eine individuelle Interpretation bestehender Gebräuche durch die Parteien ist unerheblich. International ist eine ständige Übung dann, wenn sie sich speziell in grenzüberschreitenden Handelsbeziehungen herausgebildet hat oder sich bei Geschäften mit Auslandsbezügen – sei es auch nur lokal – durchgesetzt hat.819 Wichtig ist, dass der Brauch allgemeine Geltung hat, d.h. dass eine qualifizierte Mehrheit der betroffenen Verkehrskreise ihn praktiziert. Führt eine für die Branche bedeutsame Institution ein neues Standarddokument ein, so kann es allerdings einen gewissen zeitlichen Vorlauf erfordern, bis dieses handelsgebräuchlich ist.820 Eine kollisionsrechtliche Komponente, dass der Brauch im Sitzstaat mindestens einer Partei, vorzugsweise des Empfängers einer bestimmten Erklärung,821 oder unter dem auf den Vertrag anwendbaren materiellen Recht gelten müsste,822 lässt sich in Abs. 1 S. 3 lit. c nicht hineinlesen und stünde in Widerspruch zu dessen Konzeption.823 Erst recht muss der Handelsbrauch nicht in allen Mitgliedstaaten bestehen.824
185
Ob in der betroffenen Branche ein entsprechender Handelsbrauch besteht, ist eine vom Prozessgericht zu entscheidende Tatfrage.825 Für die Ermittlung vor deutschen Gerichten gilt § 293 ZPO 813 Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 404. 814 Michael Müller, EuZW 2016, 419, 424. 815 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 36 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; CA Paris Clunet 117 (1990) 153; CA Colmar Clunet 122 (1995) 152; Huet, Clunet 122 (1995) 154, 155. 816 Rauscher, IPRax 1992, 143, 145. 817 Trib. Sup. AEDIPr 2007, 981, 983; Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 405. Zu eng daher LG Hamburg, IPRspr. 2005 Nr. 107. 818 Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 406. 819 Kohler, Dir. comm. int. 1990, 617, 620; Stöve, 69 sowie GA Lenz, Schlussanträge v. 9.3.1994 – C-288/92, ECLI:EU:C:1994:86 Rz. 103. 820 Righetti, Dir. mar. 110 (2008) 950, 962; vgl. Cassaz., Dir. mar. 110 (2008) 946, 966 f. (für Verwendung von Lloyd’s Marine Policy MAR 91 im Jahre 1996). 821 So OLG Köln, NJW 1988, 2192; OLG Düsseldorf, RIW 1990, 579; Killias, 191. 822 So Rauscher, ZZP 104 (1991) 271, 292. 823 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 Rz. 23 – Mainschifffahrts-Genossenschaft eG (MSG) vs. Les Gravières Rhenanes SARL; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 25-27 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; GA Lenz, Schlussanträge v. 9.3.1994 – C-288/92, ECLI:EU:C:1994:86 Rz. 104; P. Huber, ZZP Int 2 (1997) 168, 173; Vlas, NILR 1999, 87, 101; Saenger, ZEuP 2000, 656, 673; Killias, Liber discipulorum Siehr (2001) 65, 71 f. sowie CA Rouen DMF 2005, 540, 542. 824 Siehe nur Cassaz., Dir. mar. 110 (2008) 946, 967. 825 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 Rz. 21 – Mainschifffahrts-Genossenschaft eG (MSG) vs. Les Gravières Rhenanes SARL; P. Huber, ZZP Int 2 (1997) 168, 173; auch OLG Celle, IPRax 1997, 418 (H. Koch 405).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
nicht,826 da es sich nicht um die Ermittlung von Rechtsnormen handelt. In Ausnahmefällen kann der Handelsbrauch sogar gerichtsbekannt sein, z.B. bei den ERA.827 Die Behauptungs- und Beweislast für einen Handelsbrauch und dessen Spezifikation trifft denjeni- 186 gen, der sich auf eine Gerichtsstandsvereinbarung kraft Handelsbrauchs beruft.828 In einem Prozess mit Beibringungsgrundsatz erfordert dies auch entsprechende Beweisanträge; eine amtswegige Prüfung mit Freibeweisverfahren ist darin auch in Deutschland und angesichts von § 293 ZPO nicht veranlasst.829 Publizität, belegt namentlich durch Vordrucke mit Gerichtsstandsklauseln, die Fachverbände und Fachorganisationen vorhalten, erleichtert den Nachweis, ist aber andererseits nicht notwendig.830 Sachverständigengutachten und Auskünften von einschlägigen Handelskammern sind nach Maßgabe des Beweisrechts des Forums ebenfalls taugliche Beweismittel.831 Die Vorlage fremder AGB mit gleichem Inhalt dagegen ist Beleg nur für den Inhalt, aber nicht für einen darauf angeblich gegründeten Einbeziehungsmodus.832 Die Anforderungen an den Nachweis und die Beweislast bergen ein erhebliches Risiko für denjenigen, der sich auf einen Hanelsbrauch berufen will; daher ist zu empfehlen, bei Vertragsschluss auf die sichere Seite zu gehen und die Schriftlichkeit nach Abs. 1 lit. a Var. 1 zu wahren.833
187
Dass vor Gericht Streitigkeiten entstehen und das Bestehen eines Handelsbrauchs bestritten wird, 188 schließt die objektive Existenz eines Handelsbrauchs allerdings nicht aus;834 schließlich kann der Bestreitende individuell-subjektiv unterdurchschnittliche Kenntnisse haben oder ex post opportunistisch handeln. Das nationale Recht kann keine eigenen Formanforderungen für Handelsbräuche aufstellen, da die Form in Art. 25 Brüssel Ia-VO selbst abschließend geregelt ist.835 b) Subjektives Moment Ein gewisses Korrektiv gegen rein objektives Überwirken stellt das subjektive Erfordernis dar, dass 189 die Parteien den Handelsbrauch kannten oder kennen mussten. Hier waltet ein gewisser Überrumpelungsschutz.836 Dieser wird allerdings wieder relativiert durch die Vermutung, dass in einem bestimmten Geschäftszweig tätige Teilnehmer am Handelsverkehr einen Handelsbrauch zumindest kennen müssen, wenn sie schon zuvor miteinander oder mit anderen Partnern Geschäftsbeziehungen pflegten oder ein bestimmtes Verhalten bei Vertragsabschluss in dieser Branche allgemein im Sinne einer ständigen Übung befolgt zu werden pflegt.837 Von einem sorgfältigen Kaufmann wird erwartet,
826 A.A. Vestmann, JZ 2003, 285; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 14. 827 Vgl. Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 404. 828 OLG Hamburg, IPRax 1997, 420 (Koch, 405); CA Paris Rev. crit. dip. 84 (1995) 573 m. Anm. Kessedjian; Hof Arnhem NIPR 1997 Nr. 371 S. 471; Hof ’s Hertogenbosch NIPR 1998 Nr. 125 S. 154; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 121; Mankowski, LMK 2018, 406706 sowie Thode, jurisPR-PrivBauR 11/2018 Anm. 1 sub C; H. Roth, IPRax 2019, 397, 399. 829 Entgegen BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, WM 2018, 1332 Rz. 34; Krümmel, IWRZ 2018, 232; H. Roth, IPRax 2019, 397, 398 Fn. 3. 830 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 28 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; Kröll, ZZP 113 (2000) 135, 155; Dickinson/Lein/Garcimartín Álferez, Rz. 9.52; Michael Müller, EuZW 2016, 419, 424; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 77. 831 BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, IPRax 2019, 426 = WM 2018, 1332 Rz. 35. 832 Mankowski, LMK 2018, 406706 gegen BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, IPRax 2019, 426 = WM 2018, 1332 Rz. 35. 833 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 219 (2016). 834 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 29 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA. 835 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 37 f. – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA. 836 Siehe GA Lenz, Schlussanträge v. 9.3.1994 – C-288/92, ECLI:EU:C:1994:86 Rz. 117; Mankowski, EWiR Art. 7 EuGVÜ 2/95, 577, 578. 837 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 Rz. 24 – Mainschifffahrts-Genossenschaft eG (MSG) vs. Les Gravières Rhenanes SARL; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 123; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 221 (2016); Melcher, GPR 2017, 246, 248.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen dass er die Spielregeln seiner Branche kennt.838 Vor diesen Spielregeln darf man die Augen nicht verschließen. Kennenmüssen erfordert nicht, dass der Handelsbrauch formell veröffentlicht sein müsste.839 Erfolgt der Vertragsschluss durch einen Vertreter, ist dessen Wissen dem Prinzipal nach Maßgabe des Vollmachtsstatuts zuzurechnen.840 190
Geschäftszweig und Branche lassen sich dabei unter sachlichen wie unter räumlichen Kriterien konkretisieren.841 Bei bloß regionalen Bräuchen kommt es auf die Vertrautheit der Parteien an, die zu vermuten ist, wenn die Parteien im Verbreitungsgebiet lokal ansässig sind842 oder soweit die Parteien sich auf dem entsprechenden regionalen Markt betätigen.
191
Das subjektive Moment ist ein faktisches Moment, für dessen Konkretisierung – soweit erforderlich – im Obersatz europäisch-autonome Maßstäbe anzulegen sind, ohne dass eine Verweisung auf ein nationales Recht erfolgen würde.843 Insbesondere ist das Recht des Ortes, an welchem diejenige Partei, deren Kenntnis oder Kennenmüssen in Rede steht und gegen die die Abrede geltend gemacht wird, ihre konkret vertragsbetreuende Niederlassung, ihre Hauptniederlassung oder ihren Sitz hat, nicht ausschlaggebend.844 Eine solche Verweisung stünde in nicht zu überbrückendem Widerspruch dazu, dass bei der Internationalität des Handelsbrauchs845 die Ansässigkeit der Parteien und deren Sitzrechte unbeachtlich sind.846 Einer besonderen Integration des Handelsbrauchs in einen konkreten Vertrag bedarf es nicht.847 Dies widerspräche Abs. 5848 ebenso wie dem Ausreichen eines Kennenmüssens. c) Beispiele
192
Unter Abs. 1 S. 3 lit. c kann das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben eine Gerichtsstandsvereinbarung begründen.849 Dies dürfte jedenfalls zu bejahen sein, wenn die Parteien ihren Sitz in Staaten haben, die unwidersprochene kaufmännischen Bestätigungsschreiben konstitutive Wirkung beimessen, oder in Branchen tätig sind, in denen Bestätigungsschreiben solche Wirkung haben.850 Dabei ist auch die Willenseinigung zu vermuten, wenn ein formwahrender Handelsbrauch erfüllt ist.851 Die Vermutung dürfte allerdings widerleglich sein.852
838 GA Léger, Schlussanträge v. 22.9.1998 – C-159/97, ECLI:EU:C:1998:423 Rz. 146; Killias, Liber discipulorum Siehr (2001) 65, 73 f. 839 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 27 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 123. 840 LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW 1992, 227, 230 sowie Standard Steamship Owners’ Protection and Indemnity Association (Bermuda) Ltd. v. GIE Vision Bail [2005] 1 All ER (Comm) 618, 633 f. (Q.B.D., Cooke J.). 841 Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 664 f. 842 Vgl. Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 58. 843 Newton, 273 f. 844 Tendenziell anders OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, RIW 1988, 555; OLG Hamburg, IPRspr. 1992 Nr. 194; LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW 1992, 227. 845 Siehe Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 119 m.w.N. 846 Vgl. EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 Rz. 23 – Mainschifffahrts-Genossenschaft eG (MSG) vs. Les Gravières Rhenanes SARL; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 25-27 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA. 847 Melcher, GPR 2017, 246, 249. Tendenziell anders Jungermann, 140; Fasching/Konecny/Simotta, Art. 23 EuGVVO Rz. 198, 200, 204; Sänger/Dörner, Art. 25 EuGVVO Rz. 35. 848 Melcher, GPR 2017, 246, 249. 849 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 Rz. 25 – Mainschifffahrts-Genossenschaft eG (MSG) vs. Les Gravières Rhenanes SARL; BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37/94, NJW-RR 1998, 755; OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, RIW 1988, 555; OLG Hamburg, IPRax 1997, 420; LG Münster, RIW 1992, 230; Rb. Zutphen NIPR 1998 Nr. 110 S. 127; KantonsG Zürich, ZGGVP 2003, 208; Stöve, 121–148; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 8.97 f.; Krümmel, IWRZ 2018, 232 sowie Rb. und Hof ’s-Gravenhage, NIPR 2006 Nr. 44 S. 73 bzw. 74. Übersehen von LG Augsburg, IPRspr. 2010 Nr. 189 S. 476. 850 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 125. 851 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 Rz. 17-20 – Mainschifffahrts-Genossenschaft eG (MSG) vs. Les Gravières Rhenanes SARL; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 19 f. – Trasporti
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Schweigen auf Lieferscheine oder Rechnungen, also Akte erst in der Abwicklungs- und Erfüllungsphase eines Vertrages, genügen keinem Handelsbrauch.853 Des Weiteren besteht kein Handelsbrauch hinsichtlich der Einbeziehung nicht beigefügter AGB, auf die erstmals in einem Bestätigungsschreiben verwiesen wird.854 Wenn die Parteien sich vor dem kaufmännischen Bestätigungsschreiben bereits mündlich über die Gerichtsstandsabrede verständigt hatten, so ist das kaufmännische bestätigungsschreiben bereits ein Fall halber Schriftlichkeit unter Abs. 1 S. 3 Var. 2.855
193
Im Verhältnis zwischen konnossementsmäßigem Verfrachter und erstem Konnossementsberechtig- 194 tem (dies kann je nach rechtlicher Ausgestaltung des Konnossements gemäß dessen Inhalt und gemäß dem Konnossementsstatut auch der benannte Empfänger sein) entsprechen Gerichtsstandsklauseln in Konnossementen, obwohl der Konnossementsberechtigte in aller Regel weder unterschrieben noch sonst ausdrücklich zugestimmt hat,856 den Anforderungen des Abs. 1 S. 3 lit. c.857 Wer auf dem internationalen Schifffahrtsmarkt kontrahiert, dem wird normativ unterstellt, dass er dessen Gebräuche kennt.858 Dies gilt auch für Banken, an deren Order Konnossemente ausgestellt werden oder die Dokumente für von ihnen ausgegebene Dokumentenakkreditive aufnehmen.859 Die Zustimmung wird quasi fingiert.860 Weitere Voraussetzung ist allerdings, dass die Gerichtsstandsklausel auf dem Konnossementsformular abgedruckt ist.861 Auch Gerichtsstandsvereinbarungen in elektronischen Konnossementen sind inzwischen – bei immer weiter fortschreitender Elektronisierung des Seefrachtverkehrs862
852 853 854 855 856 857
858 859 860 861 862
Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; OLG Saarbrücken, NJOZ 2012, 923, 927; Girsberger, IPRax 2000, 87, 89; Saenger, ZEuP 2000, 666, 671. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 101; Kubis, IPRax 1999, 10, 12. BGH v. 25.2.2004 – VIII ZR 119/03, WM 2004, 2230 = NJW-RR 2004, 1292; ObG Basel-Land BJM 2001, 15, 23 f.; KantonsG Zug, IHR 2005, 119, 121; Staehelin, 122 f.; Fountoulakis, IHR 2005, 122, 124. Tendenziell a.A. Vanfraechem, Liber amicorum Erauw (2014) 249, 263. OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, OLGR Oldenburg 2008, 694, 697; OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, CR 2010, 17, 19. Mankowski, IHR 2018, 265, 266. Dies kann trotzdem im romanischen Raum geschehen. Beispiele: Aud. Prov. Cantabria AEDIPr 2001, 893, 894; Trib. Genova Dir. mar. 106 (2004) 1513, 1516 f. Siehe nur BGHZ 171, 141, 148; Cassaz., Foro it. 2006 I col. 1181, 1183 m. zust. Anm. di Virgilio = Dir. mar. 108 (2006) 154; Cassaz., Dir. mar. 2016, 729 m. zust. Anm. F. Berlingieri; Trib. Sup. AEDIPr 2007, 981, 982 f.; Cass., DMF 2009, 700 m. Anm. Delebecque = Rev. crit. dip. 98 (200) 524 m. Anm. Jault-Seseke; Cass., DMF 2013, 681 m. zust. Anm. Renard; Cass., DMF 2013, 712, 714 m. zust. Anm. Renard; OLG Hamburg v. 30.7.1992 – 6 U 7/92, TranspR 1993, 25, 27; OLG Köln, TranspR 1999, 454, 456; OLG Stuttgart, TranspR 2004, 406, 407; OLG Bremen, RdTW 2014, 227, 231; App. Firenze Dir. mar. 92 (1990) 80; CA Rennes DMF 1993, 298, 300; App. Genova Dir. mar. 96 (1994) 808; CA Paris DMF 2001, 684; CA Aix DMF 2010, 786 m. Anm. Delebecque/Renard; CA Paris FMF 2013, 446 m. Anm. Cachard; CA Amiens DMF 2013, 488, 491 m. Anm. Amoussou; CA Versailles DMF 2018, 728, 731 m. Anm. Delebecque; Rel. Lisboa Col. Jur. 1998 III 106; The „Sidney Express“ [1988] 2 Lloyd’s Rep. 257, 259 (Q.B.D., Sheen J.); SSQ Europe SA v. Johann & Backes OHG [2002] 1 Lloyd’s Rep. 465, 481 (Q.B.D., Judge Havelock-Allan QC); Trib. Livorno Dir. mar. 99 (1997) 170; Rb. Rotterdam, NIPR 2000 Nr. 208 S. 346; Rb. Rotterdam, NIPR 1999 Nr. 292 S. 398; Trib. Ravenna Dir. mar. 102 (2000) 248; Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2001, 896, 897; Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2001, 932, 933 f. m. Anm. García Gutiérrez; Aud. Prov. Pontevedra AEDIPr 2004, 737, 738; Aud. Prov. Vizcaya AEDIPr 2004, 744, 745 f.; Aud. Prov. Cantabria AEDIPr 2004, 748 f.; Aud. Prov. Madrid REDI 2005, 336; Aud. Prov. Barcelona REDI 2005, 337, 338; Aud. Prov. Cádiz AEDIPr 2005, 610, 611; Aud. Prov. Valenvia AEDIPr 2005, 611, 612; Aud. Prov. Madrid AEDIPr 2005, 613 f.; Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2005, 614, 615; Trib. Napoli Dir. mar. 110 (2008) 554 m. zust. m. Anm. Vaccari; Trib. Ravenna Dir. mar. 110 (2008) 995, 998 f.; Trib. Salerno Dir. mar. 110 (2008) 1000, 1001 f.; Trib. Milano Dir. mar. 110 (2008) 1003, 1004 f.; Trib. Ravenna Riv. dir. int. priv. proc. 20126, 127; Bonassies DMF 2008, 1017, 1019. Skeptischer indes Trib. Genova Dir. mar. 105 (2003) 539. Girsberger, IPRax 2000, 87, 89. Cass., DMF 2013, 712, 713 f. m. zust. Anm. Renard. Rossini, Dir. mar. 110 (2008) 995, 997. OLG Köln, TranspR 1999, 454, 456. Siehe nur Cass., DMF 2013, 317 m. Anm. Cachard; Goldby, Electronic Documents in Maritime Trade (2013).
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen – Handelsbrauch.863 Unterschreibt der Berechtigte ausnahmsweise ein ausgedrucktes Konnossement, so greift sogar Abs. 1 S. 3 lit. a.864 195
Ebenfalls im Seehandelsverkehr hat sich ein Modus des Vertragsschlusses eingebürgert, bei dem schlicht auf „B/L“ oder „B/N“ verwiesen und die weitere Ausfüllung des Vertragsinhalts einem späteren Konnossement oder einer späteren Booking Note, einem späteren Rider to Booking Note oder einem späteren Fixture überlassen wird. Eine solche Booking Note (usw) enthält dann ihrerseits die Konnossementsbedingungen mit der Gerichtsstandsklausel. Auch dies dürfte schon handelsgebräuchlich sein.865 Dass AGB mit Gerichtsstandsklauseln auf der Rückseite von Rechnungen im gesamten Transportgewerbe handelsgebräuchlich seien und eine Gerichtsstandsvereinbarung begründen könnten,866 verkennt dagegen, dass insoweit der Zeitpunkt zu spät liegt. Die Bezugnahme auf „Conline“ dagegen ist kein Handelsbrauch, sondern allenfalls ein Versuch, AGB aus einem gebräuchlichen Formular einzubeziehen.867 Im Transportgewerbe allgemein soll es gebräuchlich und bekannt sein, dass Gerichtsstandsklauseln verwendet werden.868
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Als sonstige Beispiele, bei denen eine Gerichtsstandsvereinbarung kraft Handelsbrauchs bejaht wurde, wurden bewertet: die Einbeziehung einer Gerichtsstandsklausel durch eine Maklerschlussnote im internationalen Versicherungsverkehr,869 Kontrahieren mit einem P & I Club (weil diese nur auf Grundlage einer Zuständigkeit Londoner Gerichte agieren sollen870) oder die Gerichtsstandsklauseln in den Versteigerungsbedingungen der großen Auktionshäuser im internationalen Kunsthandel871 (letzteres ist allerdings zweifelsbehaftet, weil Einlieferer wie Ersteigerer häufig keine Wiederholungshandelnden sind und daher nicht notwendig hinreichend branchenkundig im Versteigerungsmetier872). Im Versicherungsgeschäft ist jedoch fraglich, inwieweit Lloyd’s Policy Slips hinreichen.873 Ein internationaler Handelsbrauch, der eine Bezugnahme auf Gerichtsstandsklauseln in AGB auf Auftragsbestätigungen rechtfertigen würde, ist nicht ersichtlich.874 5. Elektronische Form (Abs. 2)
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Abs. 2 stellt eine elektronische Form, die dauerhaft reproduzierbar ist, der Schriftform gleich.875 Abs. 2 enthebt der Mühe und Unsicherheit, richterrechtlich elektronische Formen Schritt für Schritt akzeptieren zu müssen.876 Er ist eine willkommene Verdeutlichung.877 Die Formulierung ist bewusst funktional ausgerichtet und technologieneutral. Sie bewahrt sich die nötige Offenheit für zukünftige technische Entwicklungen und legt nur Basisanforderungen fest. Sie enthält sich einer abschließenden Aufzählung,878 die doch nur den Stand bei Verabschiedung der jeweils gültigen Fassung der VO erfassen könnte.
863 Renard DMF 2013, 714, 715. 864 Trib. Sup. REDI 2007, 276 m. zust. Anm. Garau Sobrino. 865 Cass. com. v. 19.11.2013 – n° 12–24668; Caroyol, Gaz Pal N s 71 à 72, 12/13 mars 2014, 22; Kronke, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 397, 405. 866 So CA Versailles Rev dr transp Mai 2010 S. 21 m. Anm. Staes. 867 Siehe Rb. Rotterdam, S&S 2013 Nr. 85 S. 477. 868 Hof Arnhem-Leeuwarden, locatie Arnhem NIPR 2014 Nr. 269 S. 469. 869 Pres. Rb. Haarlem S&S 1992 Nr. 124; skeptisch aber Rb. Rotterdam, NIPR 2005 Nr. 64 S. 106. 870 Standard Steamship Owners’ Protection and Indemnity Association (Bermuda) Ltd. v. GIE Vision Bail [2005] 1 All ER (Comm) 618 (Q.B.D., Cooke J.). 871 Rb. Amsterdam, NIPR 1994 Nr. 159 sowie im Ergebnis auch Azzi, Dr & patr 273 (2017) 36, 37. 872 Mankowski, EWiR Art. 17 EuGVÜ 1/96, 739, 740. 873 Cassaz., Assicurazioni 2008 II/2 40, 58 f. Vgl. Rb. Amsterdam, S&S 2018 Nr. 36 S. 19 zu Versicherungszertifikat einer Warenversicherung und Open Cover. 874 OLG Karlsruhe, OLGR Karlsruhe/Stuttgart 2006, 714, 718; OLG Karlsruhe, NJOZ 2009, 2282, 2285; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 226 (2016). 875 Anwendungsbeispiel: Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2010, 147, 149. 876 Farah/Yilmaz-Vastardis in Stone/Farah (Hrsg.), Research Handbook on EU Private International Law (2015) 23, 34. 877 Vanfraechem, Liber amicorum Erauw (2014) 249, 254. 878 Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 661.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Gefordert ist nur die Möglichkeit zur dauerhaften Reproduktion.879 Dagegen ist nicht erforderlich, dass eine dauerhafte Reproduktion wirklich erfolgt wäre.880 Die Ausdruckmöglichkeit reicht, ein physischer Ausdruck ist nicht nötig.881 Ebenso wenig ist eine real erfolgende Abspeicherung als .txt- oder gar als .pdf-Dokument erforderlich.882 Umgekehrt genügt eine Übermittlungsform, die keine Möglichkeit zur dauerhaften Aufzeichnung eröffnet, Abs. 2 nicht.883
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Dauerhaftigkeit ist nicht mit Ewigkeit gleichzusetzen, denn gerade Speichermedien für elektronische 199 Kommunikation befinden sich in ständiger Fortentwicklung und unterliegen sogar Disruptionen nach einigen Jahren, so dass ab Ablauf einer mittelfristigen Zeitspanne niemand mehr die Abrufbarkeit des Speichermediums garantieren könnte (z.B. erlauben die Magnetstreifen der bis Mitte der 2000er absolut gebräuchlichen 3,5"-Disketten heute keinen Abruf mehr, selbst wenn man überhaupt noch einen Computer mit passendem Laufwerk fände). Abrufbarkeit zu einem beliebigen Zeitpunkt,884 mag dieser auch zwanzig Jahre später liegen, zu garantieren wäre häufig technisch unmöglich, jedenfalls aber mit potentiell prohibitiven Kosten verbunden. Dem Begriff der Dauerhaftigkeit wohnt schon terminologisch eine Relativierung auf „eine gewisse Dauer“, ohne dass sich eine feste Untergrenze in Jahren oder Monaten beziffern ließe.885 Funktioneller Bezugsrahmen sollte die Speicherbarkeit für die übliche Abwicklungsdauer des ins Auge gefassten Rechtsgeschäfts zzgl. eines Zuschlags für nachfolgende Streitigkeiten sein. Ins Auge gefasst ist bei Abs. 2 zuvörderst die Kommunikation per E-Mail.886 Dauerhafte Reproduzierbarkeit gewährleistet bei diesen die Möglichkeit zur elektronischen Abspeicherung in die eigene mailbox,887 auf einen USB-Stick,888 auf eine Festplatte889 oder in einer Cloud890 oder über einen Filehosting-Dienst (z.B. Dropbox oder SwitchDrive)891 wie zum physischen Ausdruck auf Papier.892 Ausreichend ist jedenfalls, dass sich die Gerichtsstandsvereinbarung in einem Anhang zur E-Mail findet.893 AGB-Versendung per E-Mail-attachment genügt.894 Ob AGB, Vertragsentwürfe oder Vertragserklärungen eingescannt, als Datei in einer Textverarbeitungssoftware oder in sonstiger Weise übermittelt werden, ist unerheblich, weil gleichermaßen erfasst. Auch elektronische Bezugnahmen auf elektronische Dokumente, wie sie in einzelnen Branchen üblich sind,895 genügen in aller Regel.
879 Siehe nur T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 731; Francq/ Dechamps, J. trib. 2016, 121, 124; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 229 (2016). 880 EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 Rz. 33 – Jaouad El Majdoub vs. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH. 881 EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 Rz. 33 f. – Jaouad El Majdoub vs. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 131; Mankowski, LMK 2015, 369738; Wurmnest, EuZW 2015, 567, 568; Vogl, EWiR 2016, 171, 172. 882 Siehe Wurmnest, EuZW 2015, 567, 568. 883 BGH v. 11.12.2018 – KZR 66/17, GRUR 2019, 320 Rz. 15 – Hotelbuchungsplattform; T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 731; Axel Birk, GRUR-Prax. 2019, 125. 884 Dahin Schrammen, Grenzüberschreitende Verträge im Internet – Internationale Gerichtszuständigkeit und anwendbares Recht (2005) 120; Schnyder/Killias, Art. 23 LugÜ Rz. 135; T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 731. 885 Siehe B. Koch, ÖBA 2018, 655. 886 Begründung der Kommission, BR-Drucks. 534/99, 19; BGH, IHR 2014, 56; OLG Dresden, EuLF 2009, II-68, II-70; CA Luxembourg Pas lux 2017, 414, 417; Newton, 277; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 29; Layton/Mercer, Rz. 20.100; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 130. 887 T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 735. 888 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 129. 889 Handig, RdW 2001, 736; T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 735. 890 T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 735. 891 T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 735. 892 Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 41; Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 23 EuGVVO Rz. 5. 893 OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 10/12 [29]. 894 BGE 139 III 345; Unseld, BB 2015, 2832 (am Beispiel von Nomination Letters oder Admission Letters); Vogl, EWiR 2016, 171, 172; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 230 (2016); Lupoi, Riv. trim. dir. proc. civ. 2018, 509, 511. 895 Etwa im Seehandel; umfassend Goldby, Electronic Documents in Maritime Trade (2013).
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 201
Eine qualifizierte elektronische Signatur entsprechend den Maßstäben der SignaturRL896 ist nicht verlangt.897 § 126a BGB ist hier sowieso nicht anwendbar.898 Erst recht verlangt die europäische elektronische Form keine handschriftliche Unterzeichnung.899 Der Verschlüsselungsgrad der E-Mail ist für Abs. 2 unerheblich,900 hat aber praktisch unter Beweisaspekten Bedeutung.901 Der elektronische Geschäftsverkehr soll erleichtert und nicht durch Formanforderungen, die nur mit Aufwand und Mühewaltung zu erfüllen wären, erschwert werden.902 In der Praxis übliche Verfahren sollen im Prinzip positiv sanktioniert und honoriert werden.903 Unnötige formale Hürden im B2B-ec-commerce soll es nicht geben.904 Es obwaltet ein favor zugunsten des e-commerce905 (dessen rechtspolitische Berechtigung heute eigentlich kritisch zu hinterfragen wäre).
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Die (strengen) Anforderungen, die für einen dauerhaften Datenträger zu stellen wären,906 ursprünglich aus Art. 5 Abs. 1 FernabsatzRL 97/7/EG, heute aus Art. 2 Nr. 10 VerbraucherrechteRL 2011/83/EU, sind nicht auf Abs. 2 zu übertragen, denn das dort verfolgte spezifische Ziel des Verbraucherschutzes besteht bei Abs. 2 so nicht907 und wird über Art. 19 Brüssel Ia-VO bei Gerichtsstandsklauseln anders verwirklicht.908
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Eine Weiterleitung über Dritte ist ebenfalls unproblematisch.909 AGB-Abrufbarkeit über einen separaten Hyperlink schadet nicht per se.910 Die Notwendigkeit, dass der Empfänger aktiv anklickt oder einen Link öffnet, wird mit dem Öffnen eines Couverts bei einem traditionellen Papier-Brief verglichen.911
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Auf der anderen Seite ist eine Erklärung als Text in Schriftzeichen notwendig; Telefongespräche oder Videokonferenzen reichen nicht.912 Websites genügen nicht.913 Sie sind Momentaufnahmen und erfüllen nicht das für dauerhafte Reproduzierbarkeit essentielle Kriterium, dass sie dem Zugriff des Erklärenden entzogen sind.914 Insbesondere gilt dies nicht für click wrap agreements (oder Click Wrapping, auch Enter-Verträge genannt915) per Anklicken, Haken oder sonstiger Zustimmung auf 896 Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABl. EG 2000 L 13/12. 897 Siehe nur BGH, IHR 2014, 56 [4]; OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 10/12 [28]; Dasser/Oberhammer/Killias, Art. 23 LugÜ Rz. 135, 138; Basler Komm/B. Berger, Art. 23 LugÜ Rz. 47; Hohmeier, IHR 2014, 217, 220; Maseda Rodríguez, REDI 2015-2, 193, 194; Wurmnest, EuZW 2015, 567, 568. 898 OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 10/12 [28]. 899 BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, WM 2014, 534, 535; Zarth, EWiR 2017, 287, 288. 900 Wurmnest, EuZW 2016, 567, 568. 901 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 143 (2005). 902 OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 10/12 [28]. 903 Francq/Dechamps, J. trib. 2016, 121, 124. 904 Vogl, EWiR 2016, 171, 172. 905 Penasa, Int’l Lis 2016, 5, 6. 906 Siehe EuGH v. 5.7.2012 – C-49/11, ECLI:EU:C:2012:419 – Content Services Ltd. vs. Bundesarbeitskammer. 907 EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 Rz. 38 – Jaouad El Majdoub vs. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH; Maseda Rodríguez, REDI 2015-2, 193, 195; Unseld, BB 2015, 2832; Orejudo Prieto de Los Mozos, AEDIPr 2014-2015, 939, 941; Francq/Dechamps, J. trib. 2016, 121, 125; Vogl, EWiR 2016, 171 f.; Dechamps, T.B.H. 2018, 7, 15. Siehe aber auch Strikwerda, Ned. Jur. 2016 Nr. 76 S. 843, 844. 908 Siehe Orejudo Prieto de Los Mozos AEDIPr 2014-2015, 939, 941; Francq/Dechamps, J. trib. 2016, 121, 125. 909 OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 10/12 [31]. 910 Lejeune, ITRB 2015, 203, 204; Peschke, jurisPR-IWR 3/2015 Anm. 2 sub C. Skeptisch aber Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 23 EuGVVO Rz. 88. 911 ÖstOGH, ÖBA 2018, 647, 649 f. m. Anm. B. Koch (wenn auch zur VerbraucherrechteRL). 912 Beraudo, Clunet 128 (2001) 1033, 1064; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 131. 913 Zustimmend Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 131. Ebenso EFTA-GH v. 27.1.2010 – E-4/09 – Rz. 63 – Inconsult Anstalt/Finanzmarktaufsicht = VersR 2010, 793 m. Anm. Reiff = CR 2010, 262 m. Anm. Schirmbacher (zur RL 2002/92/EG); östOGH, ÖJZ 2018, 1014, 1015–1017 m. Anm. Zankl = ÖBA 2018, 650, 653 m. Anm. B. Koch (zur ZahlungsdiensteRL). Siehe auch CA Dijon BTL 2019, 381. Entgegen Begründung der Kommission, BR-Drucks. 534/99, 19. Vgl. auch Junker, RIW 1999, 809, 813; im Ergebnis wie hier Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 41 sowie Hüßtege in Thomas/Putzo Art. 25 EuGVVO Rz. 8. 914 Mankowski, CR 2001, 30; Mankowski, CR 2001, 404 m.w.N.; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 131. 915 Mankowski, LMK 2015, 369738; Wurmnest, EuZW 2015, 567, 568.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
einem elektronischen Formular.916 Clickthrough-Techniken, also Zwangsführungen über AGB mit notwendigem „Durchklicken“ oder Checkboxes917, sollen nur eine Dokumentation der Kenntnisnahme gewährleisten (die Person des Erklärenden zu identifizieren kann ein zusätzliches Zwischenproblem sein918), erhöhen aber die Reproduzierbarkeit nicht.919 Eine reale Ausdruckmöglichkeit besteht nicht, zumindest nicht zuverlässig,920 insbesondere bei mobilen Endgeräten oder bei Zwischenschaltung von Clouds.921 Technisch ist die Zustimmung beim Click Wrap grundsätzlich nur in den Log-Files für die Website des Anbieters gespeichert, aber nicht beim Erklärenden.922 Hinzu kommen erhebliche Mühen und großer Aufwand für Beweisführung und Dokumentation, wenn man Websites zuließe, gegebenenfalls sogar über ihrerseits zu dokumentierende Dienstleistungen Dritter.923 Der Erklärende kann sich nicht einmal auf Web Archives verlassen, z.B. weil diese nicht JavaScript nicht erfassen mögen924 (umsichtige Betreiber weisen dies ausdrücklich aus925).
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Screenshots helfen allerdings ab, wenn sich auf ihnen die Gerichtsstandsklausel wiederfinden lässt.926 AGB-Verwender behelfen sich zu ihrer eigenen Absicherung mit nachlaufenden Bestätigungs-mails, ausnahmsweise auch mit eigenen Pop-Up-Fenstern für die AGB samt Gerichtsstandsklausel.927
206
In keinem Fall kann die bloße Benutzung einer Website oder der Abruf einer online angebotenen Leistung allein ohne ausdrückliche Erklärung des Einverständnisses mit den Nutzungsbedingungen, die ihrerseits eine Gerichtsstandsklausel enthalten, reichen, selbst wenn der Anbieter eine solche Benutzung oder einen solchen Leistungsabruf einseitig als Konsenserklärung der Gegenpartei festlegen zu versuchen sollte.928
207
Elektronische Vereinbarungen können in Ausnahmefällen spezifische Probleme aufwerfen. Dies gilt etwa, wenn Software-Probleme auftreten und der Empfänger das elektronische Dokument, in welchem die elektronische Gerichtsstandsabrede enthalten ist, nicht richtig oder nicht vollständig öffnen kann.929 Besondere Konsensfragen können auch dann auftreten, wenn der Empfänger spezielle Vorkehrungen treffen muss. Dies gilt insbesondere, sofern elektronische AGB mit der Gerichtsstandsklausel sich erst nach dem Download von entgeltlich zu erwerbender Software öffnen lassen.930
208
916 AG Geldern v. 20.4.2011 – 4 C 33/11, NJW-RR 2011, 1503; AG Bremen, RRa 2014, 95, 96; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 23 EuGVVO Rz. 88; Mankowski, LMK 2015, 369738; Francq/Dechamps, J. trib. 2016, 121, 123 f. sowie Penasa, Int’l Lis 2016, 5, 6. A.A. allerdings EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 Rz. 39 – Jaouad El Majdoub vs. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH; Cassaz., Giur. It. 2018, 1875; Buchmann, K&R 2015, 474, 475; Peschke, jurisPR-IWR 3/2015 Anm. 2 sub C; Unseld, BB 2015, 2832; Orejudo Prieto de Los Mozos, AEDIPr 2014-2015, 939, 940 f.; Strikwerda, Ned. Jur. 2016 Nr. 76 S. 843, 844; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 233 (2016) (mit Ausnahme in Rz. 234, wenn ein Programmierfehler der Website eine Reproduktion unmöglich macht); Irti, Giur. It. 2018, 1876, 1877 f. Skeptisch Dickinson/Ungerer, [2016] L.M.C.L.Q. 15, 18 f. 917 T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 740. 918 Francq/Dechamps, J. trib. 2016, 121, 124. 919 Anders Hohmeier, IHR 2014, 217, 220 sowie Unseld, BB 2015, 2832. 920 Mankowski, LMK 2015, 369738. A.A. Cassaz., Giur. It. 2018, 1875, 1876. 921 Dickinson/Ungerer [2016] L.M.C.L.Q. 15, 18. 922 Mankowski, LMK 2015, 369738. 923 Näher Hohmeier, IHR 2014, 217, 222. 924 Ramona Ang v. Reliantco Investments Ltd. [2019] EWHC 879 (Comm) [78], [2019] 3 WLR 161 (Q.B.D., Andrew Baker J.). 925 Ramona Ang v. Reliantco Investments Ltd. [2019] EWHC 879 (Comm) [78], [2019] 3 WLR 161 (Q.B.D., Andrew Baker J.). 926 Entgegen Peschke, jurisPR-IWR 3/2015 Anm. 2 sub C; T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 736; Vogl, EWiR 2016, 171, 172. 927 T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 736. 928 Lejeune, ITRB 2015, 203; Francq/Dechamps, J. trib. 2016, 121, 123 sowie Dickinson/Ungerer, [2016] L.M.C.L.Q. 15, 19 gegen Ryanair Ltd. v. Billigflüge.de GmbH and Ticket Point Reisebüros [2015] IESC 15 (Sup Ct Ireland). 929 Tang, (2005) 1 JPrIL 237, 245; Lupoi, Riv. trim. dir. proc. civ. 2018, 509, 512. 930 Tang, (2005) 1 JPrIL 237, 251 f.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Schon die Notwendigkeit, kostenlos zur Verfügung stehende Software zu installieren, um jene elektronischen AGB öffnen und lesen zu können, wird in der Regel eine Barriere darstellen. 209
Dauerhafte Reproduzierbarkeit meint Reproduzierbarkeit in Schriftzeichen. Die Möglichkeit zur technischen Aufzeichnung schlechthin reicht nicht aus. Anrufe kann man auf einen Anrufbeantworter aufnehmen und die Bänder des Anrufbeantworters archivieren. Trotzdem reicht dies nicht hin, weil keine visuelle, sondern nur eine akustische Reproduktion erfolgen würde. Bei Voice over IP kann es sich dann anders verhalten, wenn Sprachsoftware beim Empfänger es erlauben sollte, gesprochene Sprache in Schriftzeichen zu verwandeln.931 Voice over IP könnte man wegen der Übermittlung über das Internet und dortige elektronische Signale zwar auch generell als elektronische Übermittlung ansehen; indes würde dies ein vergleichsweise extensives Verständnis voraussetzen.
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SMS, Tweets, Facebook Posts, Instant Messages (z.B. Skype, Yahoo! oder Google+ Hangouts) oder WhatsApp-Mitteilungen932 erscheinen zwar in Schriftzeichen im Display des jeweiligen Endgerätes, sei es ein Smartphone, ein Handy oder ein Palm. Jedoch ist dies zunächst nur eine Momentaufnahme. Dauerhafte Reproduzierbarkeit wäre damit allein im Prinzip nicht genügend gewährleistet.933 Darüber hinaus werden SMS aber im Speicher des mobilen Endgeräts abgelegt und können von dort wieder abgerufen werden. In der Regel erfolgt sogar eine automatische Speicherung unter Rubriken wie „Unterhaltung“ oder „Posteingang“, und die Speicherung bleibt bis zu einer Löschung aufrechterhalten. Außerdem erlauben moderne Endgeräte einen Anschluss an traditionelle Computer samt Synchronisierung, die eine dauerhafte Speicherung im Computer wie bei einer klassischen E-Mail ermöglicht. Eine weitere Speicherungsmöglichkeit besteht durch Screenshot von einer SMS oder WhatsApp-Mitteilung über Foto-Modus, Ablage in den Foto-Ordner und anschließender Synchronisierung mit einem PC.934
211
Jedenfalls soweit mobile Endgeräte mit Druckern verbunden werden können (sei es durch direkten Anschluss, sei es mittelbar über ein stationäres Gerät, insbesondere einen PC oder ein Notebook), ist eine Reproduktionsmöglichkeit sicher zu bejahen.935 Jedwedes Erfordernis, eigene Apps oder sonstige Tools extra zu beschaffen oder zu laden, um speichern zu können,936 wäre aber wegen des damit verbundenen Aufwands an Zeit, Mühe und gegebenenfalls sogar Kosten wieder problematisch.
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MMS sind Bildnachrichten und enthalten in der Regel keinen Text. Als Kommunikationsmedium für Gerichtsstandsvereinbarungen kommen sie daher ebenso wenig ernsthaft in Betracht wie Instagram oder SnapShot. Bild- oder Tonaufzeichnnungen von Videokonferenzen oder Skype-Kommunikation beziehen sich ebenfalls nicht auf Schriftzeichen und fallen deshalb nicht unter Abs. 2.937
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Nicht besagt ist, ob die Möglichkeit zur Reproduktion ihrerseits rechtmäßig sein muss. Um Konsistenz innerhalb der Rechtsordnung zu wahren, sollte man dies indes fordern. Mangels eigener Rechtmäßigkeitsmaßstäbe aus Abs. 2 hat ein Rückgriff auf das Recht am jeweiligen Empfangsort der elektronischen Mitteilung zu erfolgen. Gemeint ist nicht das Vertrags-, sondern das Datenschutzrecht, in der EU also die DSGVO samt den nationalen Ausführungsvorschriften der Mitgliedstaaten. Typischerweise wird im Übersenden einer elektronischen Mitteilung aber zugleich eine Einwilligung des Absendenden darein, dass diese Mitteilung gespeichert werden könnte, liegen. Soweit das anwendbare Datenschutzrecht Speicherung mit Zustimmung des Erklärenden verlangt, wäre die Rechtmäßigkeit gewahrt.
931 Strenger Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 229 (2016). 932 Katalog bei T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 729, 737. 933 Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 41; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 131 sowie Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 33. 934 T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 737. 935 T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 737; Czernich/Geimer/ Garber, Teil 2 A I Rz. 70. 936 Vgl. T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 737. 937 Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 23 EuGVVO Rz. 87 (mit rechtspolitischer Kritik); Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 70.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
IV. Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung 1. Konsensfragen Abs. 1 S. 3 stellt zwar vordergründig nur Formerfordernisse auf.938 Die Form dient dabei jedoch als 214 Indiz für einen Konsens.939 Ist die Form erfüllt, so ist zu vermuten, dass Konsens vorliegt.940 Die Einhaltung der Form soll gewährleisten, dass der Gerichtsstandsvereinbarung das Einverständnis aller Parteien zugrunde liegt941 und dass diese Einigung tatsächlich feststeht.942 Gerichtsstandsklauseln sollen nicht einseitig, von der Gegenpatei unbemerkt untergeschoben werden können.943 Die Form ist ein Seriositätssignal für eine Einigung über die wichtige Frage des Gerichtsstands.944 An diesem Nexus zwischen Form und Konsens hat der Übergang zur Brüssel Ia-VO nichts geändert.945 Anderenfalls hätte es deutlicher Vermerke in den Materialien bedurft, dass man eine fundamentale Abkehr von einer seit Jahrzehnten gefestigten Basis wirklich gewollt hätte. Beispielsfälle, in denen der Form im Prinzip genügt ist, aber keine bindende, konsentierte Abrede vorliegt, können ein unverbindliches schriftliches Memorandum und eine ausdrücklich selber in ihrem Text nach einer Unterschrift verlangende, aber nicht unterschriebene Vertragsurkunde sein.946 Umgekehrt kann es auch einen Nachweis tatsächlicher Zustimmung jenseits der Form geben947 (was aber praktisch kaum helfen würde, weil es ja nicht von der Einhaltung der Form, sei es dann auch als eigenständiger Voraussetzung, befreien würde).
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Generell sollte man sich aus Gründen der einheitlichen Anwendung bemühen, den Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung so weit wie möglich als autonomes Konzept (jenseits des kleinsten gemeinsamen Nenners der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und mit einer Kombination objektiver wie
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938 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 Rz. 33 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services. 939 Siehe nur EuGH v. 14.12.1976 – 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 Rz. 7 – Estasis Salotti di Colzani Aimo u. Gianmario Colzani Snc vs. RÜWA Polstereimaschinen GmbH; EuGH v. 14.12.1976 – 25/76, ECLI:EU:C:1976: 178 Rz. 6 – Galeries Segoura SPRL vs. Fa Rahim Bonakdarian; EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C: 2016:525 Rz. 32, 36 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services; OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, CR 2010, 17, 18; Calyon v. Wytwornia Sprzetu Komunikacynego PZL Swidnik SA [2009] 2 All ER (Comm) 603, 608 [12] (Q.B.D., Field J.); Rb. Rotterdam, S&S 2018 Nr. 73 S. 363. 940 OLG Hamm, IPRax 2007, 125; Freitag, FS Ulrich Magnus, 2014, 419, 424 f.; Dostal, EuZW 2018, 944, 947. Leichte Zweifel bei Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb., 2017, 31, 37. 941 Siehe nur EuGH v. 14.12.1976 – 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 Rz. 9 – Estasis Salotti di Colzani Aimo u. Gianmario Colzani Snc vs. RÜWA Polstereimaschinen GmbH; EuGH v. 6.5.1980 – 784/79, ECLI:EU:C:1980: 123 Rz. 5 – Porta-Leasing GmbH vs. Prestige International SA; EuGH v. 11.7.1985 – 221/84, ECLI:EU:C: 1985:337 Rz. 3 – F. Berghoefer GmbH & Co KG vs. ASA SA; EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C: 2000:606 Rz. 13 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV; OLG Düsseldorf, IHR 2012, 237. 942 EuGH v. 6.5.1980 – 784/79, ECLI:EU:C:1980:123 Rz. 5 – Porta-Leasing GmbH vs. Prestige International SA; EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 Rz. 29 – Jaouad El Majdoub vs. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH; EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 Rz. 37 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services; BGH v. 30.3.2006 – VII ZR 249/04, NJW 2006, 1672; BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, WM 2019, 232 Rz. 30; OLG Düsseldorf, IHR 2012, 237; Trib. Liège, J. trib. 2014, 682, 683. 943 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 Rz. 19 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 Rz. 36 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services; GA Bot Schlussanträge v. 23.4.2015 – C-366/13, ECLI:EU:C:2015:274 Rz. 43. 944 Siehe The „Flag Evi“ [2016] EWHC 1317 (Comm) [63], [2017] 1 Lloyd’s Rep. 467 (Q.B.D., Judge Cockerill QC). 945 EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 Rz. 19 – Jaouad El Majdoub vs. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH; Dickinson/Ungerer, [2016] L.M.C.L.Q. 15, 17 sowie Francq/Dechamps, J. trib. 2016, 121, 126. Tendenziell anders M. Weller, FS Schütze zum 80. Geb., 2014, 705, 710. 946 Antonio Gramsci Shipping Corp v. Aivars Lembergs [2013] EWCA Civ 730, [2013] 4 All ER 157, [2013] ILPr 604, 616 [39] (C.A., per Beatson L.J.) im Anschluss an Fentiman, International Commercial Litigation (2010) Rz. 2.40 sowie Kuert, AJP 2016, 1538, 1545. 947 Peschke, jurisPR-IWR 3/2015 Anm. 2 sub C.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen subjektiver Momente)948 zu konstruieren949 und parallel zum Vertragsbegriff des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zu verstehen.950 In diesem Umfang regelt Art. 25 Brüssel Ia-VO also auch Konsensfragen, indem er Grundbedingungen des materiellen Tatbestands definiert.951 217
Insoweit952 ist Konsens ein europäisches Konzept.953 Konsens ist auch bei lit. c erforderlich.954 Ist die Form gewahrt, so dürfte im Übrigen der Nachweis einer fehlenden Einigung kaum je gelingen,955 auch wenn es sich systematisch um zwei Erfordernisse handelt.956 Art. 25 Brüssel Ia-VO verlangt das wirkliche, reale, tatsächliche Bestehen einer Willenseinigung über die Gerichtsstandsabrede.957 Deshalb kann man in der bloßen Erfüllung von Verpflichtungen entsprechend einem angetragenen Vertrag grundsätzlich noch keine Annahme sehen.958 Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO gilt in einem Streit um eine Gerichtsstandsvereinbarung nie kraft Unionsrechts direkt, weil ein solcher Streit unter die ausdrückliche Ausnahme für Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen in Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO fällt.959
218
Andererseits verlangt Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht das Vorliegen eines Vertrages i.S.v. Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO.960 Denn letzterer wäre ein Vertrag über Substanz, der verpflichtungsbegründend wirkt, während die Gerichtsstandsvereinbarung nur prozessuale Wirkung hat. Gerichtsstandsvereinbarungen wären anderenfalls nicht z.B. über deliktische Sachverhalte möglich. Damit würde ihr Gestaltungspotential unnötig und ohne überzeugende Rechtfertigung eingeschränkt. Vielmehr heißt Konsens im Ausgangspunkt privatautonome und freiwillige Selbstbindung durch Akzeptieren der Gerichtsstandsvereinbarung.961 Gemeint ist nicht nur ausdrückliche Zustimmung, vielmehr reicht Zustimmung auch in anderen Modi.962 Wer ein „unterschriebener Auftrag“ betiteltes Dokument unterschreibt, kann
948 Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles Ltd. v. Haldex Brake Products GmbH [2008] ILPr 326, 335, 337 (Ch. D., Lewison J.); Antonio Gramsci Shipping Corp v. Aivars Lembergs [2013] EWCA Civ 730, [2013] 4 All ER 157, [2013] ILPr 604, 616 f. [42] (C.A., per Beatson L.J.); Karré-Abermann, ZEuP 1994, 142, 145; Merrett (2009) 58 ICLQ 545, 556. 949 EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit, EuGHE 1992 I 1745, 1774 Rz. 14; EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 Rz. 21 m.w.N. – Refcomp SpA vs. Axa Corporate Solutions Assurance SA; EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 Rz. 29 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services; Melcher, GPR 2017, 246, 247. 950 EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 13-15 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; Karré-Abermann, ZEuP 1994, 142, 143; Newton, 252; Melcher, GPR 2017, 246, 247. 951 Siehe Hof ’s Hertogenbosch NIPR 2007 Nr. 39 S. 67; Joint Stock Company „Aeroflot Russian Airlines“ v. Berezovsky [2012] EWHC 1610 (Ch.), [2013] 1 Lloyd’s Rep. 345 [62] (ChD, Floyd J.); Rauscher, ZZP 104 (1991) 271, 279; Saenger, ZZP 110 (1997) 477, 484; Lindacher, FS Schlosser, 2005, 491, 496 sowie Rb. Rotterdam, NIPR 2014 Nr. 185 S. 325; Briggs, Agreements Rz. 7.29–7.36; vgl. aber auch Mohs, 30 f. 952 Spellenberg, IPRax 2010, 466, 467 f.; Freitag, FS Ulrich Magnus, 2014, 419, 424 weisen darauf hin, dass versteckter Dissens, Scherzerklärung und Scheingeschäft normative Konzepte sind, die sich kaum dem Tatsachenbereich zuordnen lassen. 953 Nursaw v. Dansk Jersey Eksport [2009] ILPr 263, 269 (Q.B.D., Bristol Registry, Judge Havelock-Allan QC). 954 Cassaz., Assicurazioni 2008 II/2 40, 56. 955 Kröll, ZZP 113 (2000) 135, 146. 956 Siehe nur Dickinson/Ungerer, [2016] L.M.C.L.Q. 15, 17. 957 Siehe nur OLG Düsseldorf, IHR 2012, 237; Rb. Amsterdam, S&S 2018 Nr. 36 S. 195 f.; Queirolo in Queirolo/ Heiderhoff (Hrsg.), Party Autonomy in European Private (and) International Law I (2015) 83, 95. Briggs [2012] L.M.C.L.Q. 364, 376 f. versucht sich an dem originellen Konzept eines unilateral agreement einer prospektiven Streitpartei. Das ist weder mit dem Fortsinn von Vereinbarung (in allen Sprachen) noch mit der auf Konsens mehrerer aufbauenden Struktur zu vereinbaren. Wer sich einseitig unterwerfen will, mag dies tun, indem er eine nur einseitig bindende Gerichtsstandsvereinbarung anbietet oder indem er sich unter Art. 26 Brüssel Ia-VO auf einen Prozess rügelos einlässt. 958 Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2008, 505, 509 f. 959 GA Szpunar, Schlussanträge v. 7.4.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 26; Mankowski, LMK 2016, 380737; Backhaus, jurisPR-HaGesR 5/2017 Anm. 4 sub C. 960 Anders wohl Cass. com., Rev. crit. dip. 89 (2000) 224; Dresser UK Ltd. v. Falcongate Freight Management Ltd. (The „Duke of Yare“) [1992] 1 Q.B. 502, 511 (C.A., per Bingham L.J.); Implants International Ltd. v. Stratec Medical [1999] 2 All ER (Comm) 933, 938 (Ch. D., McGonigal J.); Newton, 252 f.; wie hier Gebauer, IPRax 2001, 471, 472. 961 Briggs, Agreements Rz. 7.36–7.38 sowie Briggs, [2012] L.M.C.L.Q. 364, 376. 962 Cass., Rev. crit. dip. 101 (2012) 430, 434.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
sich von dem dadurch indizierten Konsens auch dann nicht lösen, wenn der vermittelnde Makler sich auf seine Seite stellt und ein Verständnis entgegen dieser Überschrift behauptet.963 Kein Konsens liegt vor, wenn eine Partei die ihr von der anderen Partei angesonnene Gerichtsstandsabrede ablehnt,964 sei es ausdrücklich, sei es konkludent. Rumpfvereinbarungen mit Gerichtsstandsvereinbarung reichen,965 ebenso Vorstadien vor einem eigentlichen Vertrag, z.B. Letter of Intent, Term Sheet, Memorandum of Understanding,966 wenn sie allseitig konsentiert sind. Verhandeln Parteien und enthalten alle hin- und hergewechselten Entwürfe oder Vorschläge dieselbe Gerichtsstandsklausel, so besteht Konsens;967 der Wechsel von Entwürfen mit nicht überstimmenden Gerichtsstandsklauseln begründet dagegen keinen Konsens.968 Auf Bezeichnungen kommt es nicht an; auch ein unterschriebenes Verhandlungsprotokoll, in dem eine Absprache über den Gerichtsstand dokumentiert ist, kann ausreichen.969
219
So weit er reicht, verdrängt Art. 25 Brüssel Ia-VO die Tatbestände des nationalen Vertragsrechts für das Zustandekommen von Vereinbarungen970 und realisiert ein gemeinschaftsautonomes Konzept.971 Dies umfasst prinzipiell auch die AGB-rechtliche Dimension.972 Daher ist eine Einbeziehungskontrolle von Gerichtsstandsklauseln in AGB nach §§ 305; 305c Abs. 1 BGB (bei deutschem Vertragsstatut) ausgeschlossen.973 Misstrauen gegenüber Gerichtsstandsvereinbarungen, wie es das nationale Recht des Forums pflegen mag, darf europäisch nicht durchschlagen.974
220
Zu prüfen, ob die Gerichtsstandsklausel so klein, so schlecht oder so unsauber gedruckt ist, dass man 221 sie effektiv nicht mehr lesen kann, dürfte dagegen als Tatfrage dem Richter erlaubt und Teil des verordnungsautonomen Konzepts sein.975 Da Konsens verlangt ist, muss auch für die Einbeziehung von AGB das Bestehen, zumindest die Möglichkeit von Konsens geprüft werden können. Denn die Zustimmung der Gegenpartei ist notwendige Voraussetzung für jede Einbeziehung von AGB.976 Deshalb müssen AGB mit einer Gerichtsstandsklausel spätestens bei Vertragsschluss vorliegen,977 damit es Konsens für jene Klausel geben kann. Den Verwender von AGB trifft im Prinzip eine Beibringungsobliegenheit; leichte Abrufbarkeit von 222 AGB im Internet genügt dem nicht automatisch.978 Es mag etwa konkret Erreichbarkeits- und Zu-
963 964 965 966 967 968 969 970 971 972 973
974 975
976 977 978
OLG Köln v. 14.4.2013 – 16 U 106/12 Rz. 24. Breitenbücher v. Wittke [2008] CSOH 145 [5] (Ct Sess, OH, Lord Brodie). östOGH, JBl 2003, 519. Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 34. KG v. 15.5.2018 – 7 U 112/17 Rz. 15. Hof Amsterdam, NIPR 2018 Nr. 308 S. 676. Queirolo in Queirolo/Heiderhoff (Hrsg.), Party Autonomy in European Private (and) International Law I (2015) 83, 97. Rauscher, ZZP 104 (1991) 271, 279; Gottwald, FS Henckel, 1995, 295, 302, 304; Saenger, ZZP 110 (1997) 477, 484; Kröll, ZZP 113 (2000) 135, 144; Lindacher, FS Schlosser, 2005, 491, 496; Gebauer, FS v. Hoffmann, 2011, 577, 578. Merrett, (2009) 58 ICLQ 545, 557 f.; Gebauer, FS v. Hoffmann, 2011, 577, 578 f. Siehe nur Lindacher, FS Schlosser, 2005, 491, 496. BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, IPRax 1997, 416 = NJW 1996, 1819, 1820; OLG München, WM 1989, 605; LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW 1992, 227, 229; GA Lenz Schlussanträge v. 8.3.1994 – C-288/92, ECLI:EU:C:1994:86 Rz. 124; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 8.37; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 103 (2016). Nourissat, Procédures décembre 2016, 24. Siehe Cass. civ., Rev. crit. dip. 85 (1996) 731, 732; Cass. com., Rev. crit. dip. 85 (1996) 732, 733 m. Anm. Gaudemet-Tallon; CA Grenoble Rev. crit. dip. 86 (1997) 756, 759; Kahn, Clunet 117 (1990) 626, 630; Sinay-Cytermann, Rev. crit. dip. 86 (1997) 762, 765 f.; Schack, Rz. 472; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 87; Czernich/ Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 52. OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, OLGR Oldenburg 2008, 694, 696; OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, CR 2010, 17, 18. ÖstOGH, ecolex 2008/117 S. 328. ÖstOGH, ecolex 2008/117 S. 328; OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, OLGR Oldenburg 2008, 694, 696; OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, CR 2010, 17, 18.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen gangsprobleme geben (die allerdings die Gegenpartei nachweisen müsste, während dem Betreiber ein Gegenbeweis z.B. über Traffic-Nachweise gemäß Google Analytics offenstünde979). 223
Die Gegenpartei kann sich jedenfalls nicht auf subjektive Unkenntnis von dem Inhalt zur Verfügung gestellter AGB berufen.980 Wird eine Gerichtsstandsklausel in einer Fußzeile unterhalb des eigentlichen Vertragstextes versteckt, wo typischerweise nur pesönliche Angaben über eine Partei zu erwarten sind (Adresse, Kontaktdaten), so genügt dies nicht.981
224
Konsens erfordert einen deutlichen Akt der Zustimmung von jedem Beteiligten.982 Die Willensübereinstimmung muss deutlich zum Ausdruck kommen, da der prorogierte Gerichtsstand eine Abweichung vom gesetzlichen Zuständigkeitsregime ist.983 Ein bloßer Nichtwiderspruch ist grundsätzlich keine Zustimmung.984 Allerdings kann unter Umständen, ohne dass weitere Erklärungen gewechselt worden wären, eine Ausführung des Vertrages indirekt Zustimmung zu den Bedingungen der Gegenseite signalisieren.985
225
Bloße Wissenserklärungen genügen ebenfalls grundsätzlich nicht.986 Insbesondere begründet eine Erklärung, dass man den von der Gegenseite stammenden Vorschlag einer Gerichtsstandsvereinbarung zur Kenntnis genommen habe, noch keinen hinreichenden Zustimmungsakt.987 Eine bloße Eingangsbestätigung ist keine inhaltliche Zustimmung.988 Anders verhält es sich, wenn ein weiterer, paralleler Vertrag existiert. Dann geht es nicht um Wissenserklärungen, sondern dieser Vertrag kann als Indiz für Konsens dienen.989
226
Ausreichend ist, dass gegenwärtig ein grundsätzlich bindender Konsens vorliegt. Einseitig ausübbare Optionsrechte einer Partei heben dies bis zu ihrer Ausübung nicht auf.990 Sie stören ebenso wenig wie auflösende Bedingungen. Aufschiebende Bedingungen dagegen lassen die Gerichtsstandsvereinbarung noch nicht wirksam werden, soweit die Wirksamkeit vom Bedingungseintritt abhängt. Die Grundbindung an die bedingte Abrede aber beeinträchtigen sie nicht.991 Maßgeblicher Zeitpunkt ist grundsätzlich jener, zu welchem die bedingte Abrede getroffen wird. Ist einer Gerichtsstandsvereinbarung die Vereinbarung eines ADR-Verfahrens vorgelagert (z.B. als Mediation-Litigation oder MedLit Clause), so wird die Gerichtsstandsabrede wirksam, sobald das ADR-Verfahren durchlaufen oder die entsprechende Abrede aufgehoben ist.
979 Ramona Ang v. Reliantco Investments Ltd. [2019] EWHC 879 (Comm) [78], [2019] 3 WLR 161 (Q.B.D., Andrew Baker J.). 980 Rb. Arnhem NIPR 2006 Nr. 314 S. 462; Ramona Ang v. Reliantco Investments Ltd. [2019] EWHC 879 (Comm) [81], [2019] 3 WLR 161 (Q.B.D., Andrew Baker J.). 981 ÖstOGH, RdW 2001/678; östOGH, RdW 2003/79; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 52. 982 Siehe nur Hof Amsterdam, NIPR 2008 Nr. 108 S. 187; Hof Amsterdam, NIPR 2008 Nr. 112 S. 193; Rb.’s-Gravenhage NIPR 2009 Nr. 40 S. 98. 983 Siehe nur EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 Rz. 15 – Mainschifffahrts-Genossenschaft eG (MSG) vs. Les Gravières Rhenanes SARLm.w.N.; EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 Rz. 29 – Jaouad El Majdoub vs. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH; EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16, ECLI:EU:C: 2017:497 Rz. 34 – Georgios Leventis u. Nikolas Vafeias vs. Malcon Navigation Co Ltd. u. Brave Bulk Transport Ltd.; EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 Rz. 25 – Saey Home & Garden NV/SA vs. Lusavouga-Máquinas e Accessórios Industriais SA; GA Szpunar v. 7.4.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 33; Rb. ’s-Gravenhage, NIPR 2008 Nr. 58 S. 99. 984 Hof Amsterdam, NIPR 2008 Nr. 112 S. 193; Hof Amsterdam, NIPR 2018 Nr. 308 S. 676; Mankowski, BB 2015, 1425. 985 Rb. Leeuwarden NIPR 2009 Nr. 44 S. 101. 986 Mankowski, RIW 2005, 561, 567; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 34. 987 BGH, RIW 2004, 938, 939; Mankowski, RIW 2005, 561, 567. 988 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 95. 989 OLG Saarbrücken, TranspR 2007, 488, 490. 990 Vgl. Siboti K/S v. BP France SA [2003] 2 Lloyd’s Rep. 364, 367 (Q.B.D., Gross J.): Jurisdiction Clause mit Optionsrecht für Arbitration. 991 Rb. Zutphen NIPR 2003 Nr. 216 S. 328 sieht hingegen einen Widerspruch zu einem Gebot einer deutlichen und eindeutigen Gerichtsstandsabrede.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Eine Klage im forum prorogatum indiziert ausnahmsweise dann keine Zustimmung der klagenden Partei, wenn mit der Klage die Feststellung begehrt wird, gerade mangels Konsenses nicht an die Gerichtsstandsvereinbarung gebunden zu sein.992
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Ein wichtiges Problem ist das sog. Sprachrisiko: Eine Partei legt AGB in einer bestimmten Sprache, zumeist ihrer eigenen Muttersprache, vor, die eine Gerichtsstandsklausel enthalten. Die Gegenpartei ist dieser Sprache nicht mächtig, widerspricht aber auch nicht. Unterschreibt die Gegenpartei eine Annahmeerklärung, die auf die AGB hinweist, so genügt dies für einen Konsens.993 Das Sprachrisiko trägt danach einseitig der Gegner des AGB-Verwenders.994 Wenn er den Umstand für wichtig hält, dass er die AGB nicht versteht, dann soll er sie zurückweisen. Sein Schweigen indiziert Zustimmung. Er verstieße gegen Treu und Glauben, wenn er nachträglich geltend machte, der Gerichtsstandsklausel nicht zugestimmt zu haben.995
228
Allerdings ist Mindestvoraussetzung dafür, dass der Gegner des AGB-Verwenders zumindest den Hinweis auf die AGB verstehen konnte, dieser also in der Verhandlungs- oder in der Vertragssprache abgesetzt war.996 Wer die Sprache des Hauptvertrages nicht versteht, sich aber auf den Vertrag einlässt, ohne zu protestieren, muss das von ihm selber begründete Risiko internalisieren.997 Gleiches gilt, wenn der AGB-Verwender eine Übersetzung in die Vertrags- oder Verhandlungssprache oder gar in die Muttersprache der Gegenpartei anbietet, die Gegenpartei dies aber nicht annimmt.998
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Die AGB selbst müssen nicht in der Sprache des Hauptvertrages gehalten sein; Fremdsprachlichkeit allein ist kein Unwirksamkeitsgrund999 und beeinträchtigt auch nicht die (sich allein nach optischen Kriterien beurteilende) Lesbarkeit der Klausel.1000 Indes ist bei Auseinanderfallen von Verhandlungsund Vertragssprache ein Hinweis in der Verhandlungssprache angezeigt, dass der Vertrag anderssprachige Klauseln enthält.1001
230
Auch im internationalen Handelsverkehr sollte man indes mit einer Annahme, dass Englisch immer als verständlich zu gelten habe,1002 zurückhaltend sein.1003 Auf der anderen Seite stört nicht automatisch, wenn Nichtmuttersprachler Fehler in sprachlichen Ausdruck in einer Fremdsprache begehen
231
992 Andromeda Marine SA v. OW Bunker & Trading A/S [2006] ILPr 739, 750 (Q.B.D., Morison J.). 993 OLG Hamm, IPRax 1991, 325 (zustimmend BGH v. 31.10.1989 – VIII ZR 330/88, IPRax 1991, 326); OLG Hamm v. 28.6.1994 – 19 U 179/93, NJW-RR 1995, 188, 189 = RIW 1994, 877; OLG Hamm, ZIP 2005, 2336; OLG Hamm, NJOZ 2006, 520, 522; OLG Köln v. 24.4.2013 – I-16 U 10/12 [25]; Saenger, ZEuP 2000, 656, 669; Saenger, FS Sandrock, 2000, 807, 813; offen BGH, EuZW 1992, 517 m. Anm. Geimer; s. auch OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96 BSch, VersR 1999, 639; OLG Köln, InVo 2006, 491, 492. Vgl. aber auch Trib. comm. Paris Gaz Pal 13/14 août 2014, 25, 26: deutschsprachige AGB-Gerichtsstandsklausel gegenüber des Deutschen nicht mächtigem französischem Empfänger nicht vereinbart. 994 Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 660. A.A. CA Paris Gaz.Pal. 1986 I somm 46; CA Grenoble Clunet 125 (1998) 125; Rb. Kh. Hasselt RW 2007–8, 1047, 1048; Huet, Clunet 125 (1998) 139, 141. 995 OLG Hamm v. 28.6.1994 – 19 U 179/93, NJW-RR 1995, 188, 189; OLG Hamm v. 6.12.2005 – 19 U 120/05, OLGR Hamm 2006, 327, 329; OLG Hamm, ZVertriebsR 2015, 325, 327; Mankowski, EWiR Art. 17 EuGVÜ 3/94, 1189, 1190; Saenger, ZZP 110 (1997) 477, 487. 996 ÖstOGH, RdW 1999, 723; östOGH, IHR 2009, 126, 127; GA Lenz v. 8.3.1994 – C-288/92, ECLI:EU:C: 1994:86 Rz. 124; C. Kohler, IPRax 1991, 299, 301; Spellenberg, IPRax 2010, 466, 469; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 93; Hohmeier, IHR 2014, 217, 222; Abendroth, 119, 151; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 86; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 172 (2016); s. auch OLG Hamm, IHR 2006, 84, 85. 997 Mankowski, EWiR 2015, 623, 624 sowie OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 10/12 Rz. 25. 998 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 99 (2005); Fasching/Konecny/Simotta, Art. 23 EuGVVO Rz. 155; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 62. 999 Cass., Bull. civ. 2008 I n° 177 = JClP (G) 2008 II 10092 m. Anm. Boismain; OLG Köln, InVo 2006, 491, 492; vgl. Deumier, Rev. contrats 2008, 900, 905–907. 1000 Spellenberg, IPRax 2010, 464, 465, 467; Abendroth, 117. 1001 östOGH, IHR 2009, 126; Hohmeier, IHR 2014, 217, 223. 1002 Dafür Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 20; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 99 (2005); Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 173 (2016). 1003 Vgl. Mankowski, VuR 2001, 359, 363; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 86.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen und etwa kein perfektes Queen’s oder Oxford English zu Papier bringen, solange hinreichend klar erkennbar ist, was gewollt ist.1004 232
Die richtige Verteilung von Übersetzungsnotwendigkeiten besteht im Ausgangspunkt darin, diese Last denjenigen tragen zu lassen, der sich verständlich machen will, es sei denn, die Gegenpartei hätte ihm entsprechende eigene Kompetenz hinsichtlich der benutzten Sprache signalisiert.1005 Vorschriften eines nationalen Rechts, welche die Verwendung einer bestimmten (Landes-)Sprache vorschreiben, sind als nationales Prorogationshindernis immer unbeachtlich.1006
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Im internationalen Geschäftsverkehr sind Unternehmensgruppen und Unternehmensverbünde von Unternehmen mit sehr ähnlich klingenden Namen, die sich z.T. nur durch die Rechtsformzusätze (X GmbH, X GmbH & Co KG oder Y Ltd., Y GmbH, Y sarl), Ländernamen als Ergänzung (Z Deutschland GmbH, Z Österreich GmbH) oder ein „International“ (Q GmbH, Q International GmbH) unterscheiden, ein häufiges Phänomen. Relativität von Vereinbarungen führt dazu, dass im Ausgangspunkt eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zwischen den ihr benannten Parteien besteht. Wer dies ist, ist durch Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung1007 und des Hauptvertrages zu klären.1008 Eine Erklärungszurechnung findet prinzipiell nur über Stellvertretung statt. Ein Zurechnungsdurchgriff innerhalb einer Unternehmensgruppe, sei es auf eine Mutter-, eine Großmutter- oder eine Schwester-, ausnahmsweise selbst eine Tochtergesellschaft, findet keine ausdrückliche Grundlage in Art. 25 Brüssel Ia-VO.1009
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Bei Mehrparteienvereinbarungen, die über die klassische Zweierstruktur hinaus drei oder mehr Parteien vereinen, sei es mehrere auf einer Vertragsseite (z.B. zwei Käufer oder drei Verkäufer), seien es jeweils mehrere auf beiden Vertragsseiten (z.B. zwei Käufer und zwei Verkäufer), seien es gar mehr als zwei Vertragsseiten (z.B. bei Forschungsverbünden oder Ringvereinbarungen), muss jede Partei zustimmen, damit die Vereinbarung insgesamt zustandekommt. Soweit sie zustandekommt, sind alle Beteiligten gleichwertige Parteien und keine Dritten. Es handelt sich dann nicht um eine „normale“ zwei-, sondern um eine mehrseitige Gerichtsstandsvereinbarung. Jede Partei ist an ihre eigene Zustimmungserklärung gebunden und deren direkten Wirkungen ausgesetzt. Fehlt es am Konsens einer Partei, so können allenfalls Vereinbarungen zwischen den anderen vorliegen, sei es als eine Gesamtvereinbarung, sei es als koordinierte bi- oder multilaterale Vereinbarungen zwischen einzelnen Beteiligten. Quasi-Unteilbarkeit der Zusammenhänge mag ein auslegungsleitendes Merkmal dafür sein, wen die Vereinbarung erfassen und wessen Konsens erforderlich sein kann.1010
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Für Schriftlichkeit im Sinne von Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1 muss jede Parteie eine schriftliche Erklärung abgegeben haben. Ebenso müssen für Abs. 1 S. 3 lit. c alle Parteien die subjektiven Erfordernisse erfüllen und muss die Gepflogenheiten des Abs. 1 S. 3 lit. b zwischen allen Parteien bestehen.
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Von echten Mehrparteienvereinbarungen zu unterscheiden sind wiederum Verträge, bei denen sich mehrere wirtschaftlich Beteiligte auf einer Vertragsseite zu einem Zweckverbund oder einer ad hocGesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit zusammenschließen. Vertragspartei ist dann nicht der einzelne wirtschaftliche Interessierte oder Betroffene, sondern nur jener Verbund. Allerdings setzt dies als Vorfrage voraus, dass der Verbund wirksam gegründet ist und insbesondere etwaige konstitutive Eintragungserfordernisse erfüllt. Welche Anforderungen bestehen, muss in Antwort auf diese Vorfrage das auf jenen Verbund anwendbare Statut besagen. Wer für jenen Zweckverbund nach außen gegenüber der anderen Vertragsseite die Zustimung zur Gerichtsstandsvereinbarung erklären darf, ist eine ebenfalls nach dem Gesellschaftsstatut zu beantwortende Vorfrage nach der organschaftlichen Vertretung des Zweckverbunds.
1004 1005 1006 1007 1008 1009
CA Amiens DMF 2013, 488, 490. Eingehend Mankowski, VuR 2001, 359, 363 f. EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 Rz. 27 – Elefanten Schuh GmbH vs. Pierre Jacqmain. Dazu sogleich Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 242 (Mankowski). Siehe Rb. Rotterdam, NIPR 2014 Nr. 185 S. 325. Siehe Antonio Gramsci Shipping Corp v. Aivars Lembergs [2013] EWCA Civ 730, [2013] 4 All ER 157, [2013] ILPr 604, 617–622 [44]–[70] (C.A., per Beatson L.J.). 1010 Vgl. Cass., Rev. crit. dip. 2019, 470, 471 note Gaudemet-Tallon.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
2. Rückgriff auf das anwendbare materielle Recht für komplexere Fragen a) Grundsatz Für schwierigere Fragen des Vertragsrechts lassen sich Art. 25 Brüssel Ia-VO jenseits des Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 selbst bei größtem Bemühen keine Antworten entnehmen, seien es verordnungsautonome Antworten, seien es Antworten durch Verweisung auf die lex fori prorogati. Insoweit ist deshalb ein Rückgriff auf das Vertragsstatut, das nach dem IPR des Forums auf den Vertrag anwendbaren materiellen Recht, genauer: ein Rückgriff auf das nach dem IPR des Forums für die betreffende Frage maßgebliche materielle Recht notwendig.1011 (Anwendbares materielles Recht kann auch die CISG sein, wenn der Forumstaat Vertragsstaat der CISG ist und der Anwendungsbereich der CISG eröffnet ist.1012) Methodisch kann man dies als Kooperation zwischen europäischem und nationalem Recht, als moderne Manifestation einer depéçage einordnen.1013 Art. 25 Brüssel Ia-VO ist eine Sachnorm aus dem Zuständigkeitsrecht, und soweit er Lücken lässt, springt das anwendbare materielle Recht ein.1014 Selbstgenügsamkeit (auto-suffisance) des Art. 25 Brüssel Ia-VO ist der Grundsatz, aber er gilt nicht absolut.1015 Einen Umkehrschluss aus Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 zu ziehen, dass alle andere Aspekte außer der materiellen Nichtigkeit aus der Brüssel Ia-VO selber zu beantworten wären,1016 scheitert am Fehler geeigneter Maßstäben für die gesuchten Antworten.
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Allerdings ist immer zu beachten, welche Gegenstände Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 unterfallen und deshalb qua unionsrechtlicher Verweisung der lex fori prorogati samit ihrem IPR unterliegen. Diese Gegenstände sind aus dem Vertragsstatut gleichsam herausgeschnitten. Dem Vertragsstatut entzogen sind daher alle Fragen, die zur materiellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung gehören. Dies betrifft die Willensmängel (Irrtum, Täuschung, Drohung usw) und die Widerruflichkeit.1017
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Das Vertragsstatut regelt dagegen weiterhin z.B. die Verlängerung befristeter Verträge1018 (die man 239 funktional einem Neuabschluss zu gleichen Konditionen gleichstellen kann1019); die Wirksamkeit von Mehrparteienabreden (insbesondere in Gesellschaftsverträgen)1020 und Fragen der Rechtsnachfolge in Verträge.1021 Es beantwortet aber auch die Fragen, wer eigentlich Partei der Vereinbarung ist,1022 und erfasst sämtliche anderen vertraglichen Drittbeziehungen, z.B. ob ein Vertrag zugunsten Dritter statthaft ist.1023
1011 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 Rz. 25 – Francesco Benincasa vs. Dentalkit Srl; BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, WM 2019, 232 Rz. 30; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 114; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 670 f.; Mankowski, WuB 2019, 152; Cranshaw, jurisPR-IWR 2/2019 Anm. 2 sub C III; weiter gehend Fawcett/J. Harris/M. Bridge/Fawcett, International Sale of Goods in the Conflict of Laws (2005) Rz. 3.25. 1012 Siehe nur LG Hamburg, IPR 2018, 17. 1013 Crawford/Carruthers (2014) 63 ICLQ 1, 16. 1014 Cachard, DMF 2014, 625, 629. 1015 H. Born, J. trib. 1995, 353, 357; Vanfraechem, Liber amicorum Erauw (2014) 249, 258 mit Fn. 23. 1016 Dafür Commerzbank AG v. Liquimar Tankers Management Inc [2017] EWHC 161 (Comm) [53], [2017] 1 WLR 3497 (Q.B.D., Cranston J.). 1017 Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 60–64 (Mankowski). 1018 EuGH v. 11.11.1986 – 313/85, ECLI:EU:C:1986:423 Rz. 7 f. – SpA Iveco Fiat vs. Van Hool NV; BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, WM 2019, 232 Rz. 30; Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 122; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 177 f. (2016); Kräft, GWR 2019, 91; Mankowski, WuB 2019, 152; Sattler, IWRZ 2019, 138. Kritisch dazu Jayme, IPRax 1989, 361; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 99. 1019 Cranshaw, jurisPR-IWR 2/2019 Anm. 2 sub C III. 1020 EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 19, 21 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; östOGH, ÖJZ ÖJZ 2017, 973 m. Anm. Wilfinger = ÖBA 2018, 50 m. Anm. Schacherreiter = VbR 2017, 190 m. Anm. Oberhammer. 1021 EuGH v. 19.6.1984 – 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 Rz. 24 – Partenreederei MS „Tilly Russ“ u. Ernst Russ vs. SA Haven- en Vervoerbedrijf Nova u. SA Goeminne Hout; EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C: 2000:606 Rz. 20 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV; Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461, 477; Melcher, GPR 2017, 246, 250 f. 1022 OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, NJW-RR 1989, 1330, 1332; OLG Saarbrücken v. 2.10.1991 – 5 U 21/91, IPRax 1992, 165 = NJW 1992, 987, 988; Mankowski, 244. 1023 Mankowski, IPRax 1996, 427, 430.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 240
Das Vertragsstatut gibt schließlich Maß für die Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle anderer Vertragsklauseln, selbst wenn diese Einfluss auf die Gerichtsstandsvereinbarung haben; z.B. ist eine Kenntnisnahmeklausel, die Konsens für den Gesamtvertrag indiziert, unter deutschem Vertragsstatut weiterhin an § 309 Nr. 12 lit. b BGB zu messen.1024 Ob Gesamt- oder bloße Teilnichtigkeit greift, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung unwirksame Teilaspekte jenseits des von Art. 25 Brüssel Ia-VO erfassten Bereichs enthält (z.B. eine nach der lex fori prorogati unzulässige Prorogation der sachlichen oder funktionellen Zuständigkeit), muss das Vertragsstatut gleichermaßen beantworten.1025
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Bei Tarifverträgen richtet sich die personelle Reichweite nach dem Statut des Tarifvertrages, Statthaftigkeit und Wirkungen einer Allgemeinverbindlicherklärung dagegen nach dem Recht des jeweiligen Erlassstaates.1026
242
Dagegen ist die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung nicht von vornherein und vollen Umfangs dem Vertragsstatut überantwortet,1027 sondern nur, soweit Art. 25 Brüssel Ia-VO selbst keine Maßstäbe enthält und auch keine unbestimmten Rechtsbegriffe (z.B. Bestimmtheit des Rechtsverhältnisses). Aus Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO; 1 Abs. 2 lit. d EVÜ lässt sich nicht schließen, dass solche Fragen aus dem Vertragsstatut schlechterdings ausgeklammert wären.1028 Ein Rückgriff auf ein Hauptvertragsstatut scheitert jedenfalls, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung für nicht-vertragliche Gegenstände jenseits jeglicher vertraglicher Abrede zur Sache in Rede steht, weil es dann an einem Hauptvertrag fehlt. Dagegen ist das Hauptvertragsstatut zur Antwort auf die Frage berufen, wer denn Partei des Vertrags und in der Folge der Gerichtsstandsvereinbarung sein soll,1029 jedenfalls wenn sich dies nicht durch Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung ermitteln lässt.
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Unter Umständen kann die Gerichtsstandsklausel den konkreten Fall gerade nicht erfassen, z.B. wenn jemand seine eigenen Verkaufs-AGB verwendet, darin immer auf sich als Verkäufer Bezug nimmt, konkret aber Käufer ist.1030 Aus kontinentaler Sicht ist es kein wirkliches Problem, „court“ (auch) als „jurisdiction“ zu verstehen.1031 b) Rechtsnachfolger
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Der Rechtsnachfolger nach einer Partei einer Gerichtsstandsabrede ist seinerseits an die Gerichtsstandsabrede gebunden, wenn diese zwischen den ursprünglichen Parteien wirksam war und er nach dem anwendbaren nationalen Recht in die Position seines Rechtsvorgängers eingerückt ist1032 (es sei 1024 Mankowski, EWiR Art. 17 EuGVÜ 1/96, 739, 740 gegen BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, IPRax 1997, 416 = NJW 1996, 1819, 1820. 1025 BG v. 21.9.2017 – 4A_131/2017 E 4.1.1. Im Zweifel wird dem hypothetischen Parteiwillen Teilnichtigkeit im Ergebnis wohl besser entsprechen als Gesamtnichtigkeit; BG v. 21.9.2017 – 4A_131/2017 E 4.1.2; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 149 f.; Basler Komm/B. Berger, Art. 23 LugÜ Rz. 34. 1026 Näher Mankowski, NZA 2009, 584, 587–589. 1027 So aber BGH, IPRax 1999, 367, 369 m.w.N.; Rb. Rotterdam, NIPR 2007 Nr. 321 S. 439; Breitenbücher v. Wittke [2008] CSOH 145 [6] (Ct Sess, OH, Lord Brodie); Nursaw v. Dansk Jersey Eksport [2009] ILPr 263, 270 (Q.B.D., Bristol Registry, Judge Havelock-Allan QC); Kuert, AJP 2016, 1538, 1545–1547. 1028 A.A. Rb. Rotterdam, NIPR 2007 Nr. 321 S. 439. 1029 Antonio Gramsci Shipping Corp v. Oleg Stepanovs [2011] EWHC 333, [2011] 1 Lloyd’s Rep. 647, [2012] 1 All ER (Comm) 293 [31]–[45] (Q.B.D., Burton J.); Antonio Gramsci Shipping Corp v. Aivars Lembergs [2012] EWHC 1887 (Comm) [59] (Q.B.D., Teare J.); vorsichtiger Cachard, DMF 2014, 625, 630. 1030 Rb. Rotterdam, NIPR 2009 Nr. 53 S. 114. 1031 So im Ergebnis Nursaw v. Dansk Jersey Eksport [2009] ILPr 263, 271 (Q.B.D., Bristol Registry, Judge Havelock-Allan QC). 1032 EuGH v. 19.6.1984 – 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 – Partenreederei MS „Tilly Russ“ u. Ernst Russ vs. SA Haven- en Vervoerbedrijf Nova u. SA Goeminne Hout, EuGHE 1984, 2417, 2433 Rz. 24; EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV, EuGHE 2000 I 9337, 9373 Rz. 20; EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 Rz. 31 f. – Profit Investment SIM SpA vs. Stefano Ossi u.a.; BGH v. 26.3.2019 – XI ZR 228/17, ZIP 2019, 1160 Rz. 31; Cassaz., Foro it. 2006 col. 3388, 3397; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2006, 1076, 1086 f.; östOGH, ZfRV 2007, 192; östOGH, JBl 2008, 389, 390 f.; Cass., D 2008, 2790 m. Anm. Gallmeister = D 2009, 200 m. Anm. Jault-Seseke = JCP 2008 II 10187 m. Anm. d’Avout; Cass. v. 16.12.2008 – n° 07–18.834, JCP 2009 II 10060 m. Anm. Kenfack = D 2009, 89 m. Anm. Delpech = D 2009, 972 m. Anm. Kenfack; Cass. v. 16.12.2008 – n° 08–10.460, JClP 2009 II 10060; Cass., DMF
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
denn, die ursprünglichen Parteien hätten ausdrücklich die Geltung der Gerichtsstandsvereinbarung für ihre Rechtsnachfolger ausgeschlossen1033). Weder muss der Rechtsnachfolger ausdrücklich seine eigene Zustimmung zur Gerichtsstandsvereinbarung erklären, noch muss er überhaupt aktuelle Kenntnis von der Gerichtsstandsabrede haben1034 oder hätte diese kennen müssen.1035 Dies gilt z.B. für Sub-Unternehmer und Unterfrachtführer, soweit sie in die Rechte und Pflichten ih- 245 res Vormanns in der Kette eintreten.1036 Gewichtige Anwendungsfelder sind aber vor allem Konnossemente1037 und abgetretene Darlehensforderungen1038 oder Abtretungen von Entgeltansprüchen aus Warenlieferungs-, Dienstleistungs- oder Nutzungsüberlassungsverträgen.1039 Bei einer Abtretung von Forderungen bestimmt sich das auf die Rechtsnachfolge anwendbare Recht nach Art. 14 Rom I-VO.1040 Es darf grundsätzlich nicht sein, dass durch einfache Abtretung eine ursprünglich wirksame Gerichtsstandsvereinbarung automatisch unterginge.1041 Rechtsverfolgungsgesellschaften, die nach echten Zessionsmodellen arbeiten, sind deshalb in aller Regel gebunden.1042 Die Grundsätze gelten generell auch bei Surrogation und cessio legis.1043 Welches Recht anwendbar ist, bestimmt sich dann nach Art. 15 Rom I-VO, ausnahmsweise (bei Gerichtsstandsvereinbarung über eine außervertragliche Forderung) nach 19 Rom II-VO. Dagegen gelten sie nicht bei Erlöschen der mit einer Gerichtsstandsveeinbarung belasteten Ansprüche vor einer Übertragung und erst recht nicht für Bereicherungsansprüche zur Rückabwicklung.1044
246
Je nach Ausgestaltung des auf die potentielle Rechtsnachfolge anwendbaren Sachrechts kann auch ein Pfandgläubiger Rechtsnachfolger des Verpfänders sein, sei es auch erst mit Eintritt in die Pfandverwertung.1045
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Der Nachweis, dass der angebliche Rechtsvorgänger zugestimmt hat, ist erforderlich.1046 Für Internationalität und weitere Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO geben die Ursprungsabrede und die Ursprungsparteien maß.1047 Alternativ zu dem Weg über die Rechtsnachfolge ist der Dritte gebunden, wenn er selber der Gerichtsstandsvereinbarung zugestimmt hat.1048 Insoweit wird er jedoch nicht derivativ, sondern originär Partei der Abrede: volenti non fit iniuria.
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1033 1034 1035 1036 1037 1038 1039 1040 1041 1042 1043 1044 1045 1046 1047 1048
025, 444, 447 m. Anm. Sana-Chaillé de Néré; Hof ’s-Gravenhage, S&S 2008 Nr. 115 S. 552; OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83, 84; CA Paris DMF 2015, 329, 330 m. Anm. Amoussou; Aud. Prov. Cantabria AEDIPr 2001, 893, 895; Siboti K/S v. BP France SA [2003] 2 Lloyd’s Rep. 364, 373 (Q.B.D., Gross J.); Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles Ltd. v. Haldex Brake Products GmbH [2008] ILPr 326, 337 (Ch. D., Lewison J.); Vzngr. Rb. Arnhem NIPR 2008 Nr. 53 S. 94; Rb. Amsterdam, NIPR 2018 Nr. 320 S. 685 f. Saenger/H. Dörner, Rz. 38; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 96. Siehe nur EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA, EuGHE 1999 I 1597, 1654 Rz. 42; östOGH, SZ 2007/91; Glencore International AG v. Metro Trading International Inc [1999] 2 Lloyd’s Rep. 632, 646 (Q.B.D., Moore-Bick J.). Michael Müller, EuZW 2016, 419, 422; Melcher, GPR 2017, 246, 251 f. Missverständlich insoweit EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 Rz. 37 – Profit Investment SIM SpA vs. Stefano Ossi u.a. Takahashi [2001] L.M.C.L.Q. 107, 113. Eingehend Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 324–334 (Mankowski). Beispiel im Einstieg: CA Versailles DMF 2018, 728, 731 f. m. Anm. Delebecque. Cass., Rev. crit. dip. 92 (2003) 231; Cassaz., Foro it. 2006 Sp. 3388; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 671 Fn. 26. Siehe nur KG v. 15.5.2018 – 7 U 112/17 Rz. 16; Zöller/Geimer, Rz. 51. CA Versailles DMF 2018, 728, 731 f. m. Anm. Delebecque rekurriert nur auf Art. 3 Rom I-VO und beachtet den Zessionskontext nicht genug. Mäsch, WuW 2016, 285, 291. A. Stadler, JZ 2015, 1138, 1149. Cass., Rev. crit. dip. 102 (2013) 725, 727; Bureau, Rev. crit. dip. 102 (2013) 727, 729 f.; Melcher, GPR 2017, 246, 250. BGH v. 26.3.2019 – XI ZR 228/17, ZIP 2019, 1160 Rz. 31. Rb. Amsterdam, NIPR 2018 Nr. 320 S. 685 f. (bejaht für openbare pandhouder nach niederländischem Recht). CA Rouen DMF 2005, 540, 542. Mankowski, NZA 2009, 584, 586 f. CA Rouen DMF 2005, 540, 543; Garow Sobrino, REDI 2005, 339, 341; Malan, DMF 2006, 3, 8 f.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 249
Derivate sind eigenständige Produkte und haben nichts mit Rechtsnachfolge in Positionen an den Ausgangsgrößen, seien diese Waren oder Forderungen, zu tun. Bezugnahmen auf Bedingungen von Ausgangsforderung sind als mögliche Inkorporationen dortiger Gerichtsstandsvereinbarungen zu prüfen. c) Vertretungsaspekte und Geschäftsfähigkeit
250
Vertretungsaspekte regelt Art. 25 Brüssel Ia-VO ebenfalls nicht selber in der Sache. Unter Art. 23 Brüssel I-VO war ergänzend auf das anwendbare materielle Recht zurückzugreifen, indes nicht auf das Vertrags-, sondern das Vollmachtsstatut, angeknüpt über das IPR des jeweils angerufenen Forums.1049 Stellvertretung als Wirksamkeitsaspekt gehört unter der Brüssel Ia-VO zur materiellen Nichtigkeit und unterliegt deshalb über Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 der lex for prorogati einschließlich ihres IPR.1050 Ist ein Forum in Deutschland prorogiert, so das Vollmachtsstatut nach Art. 8 EGBGB anzuknüpfen. Liegt nach dem Vollmachtsstatut Vertretung ohne Vertretungsmacht vor, so wird der Prinzipal nicht an die Gerichtsstandsvereinbarung gebunden.1051
251
Die Geschäftsfähigkeit schließlich als ein weiterer in Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht geregelter Aspekt1052 unterliegt nach Art. 7 EGBGB dem Recht des Staates, welchem die betreffende Person angehört. Vor einem ausländischen Forum gibt die dortige Kollisionsnorm für das Geschäftsfähigkeitsstatut dafür Maß, welches Sachrecht die Frage beantworten soll. Eine generelle Verweisung auf die lex fori, wie ihn Art. 8 lit. b HProrogÜbk 2005 für die subjektive Fähigkeit, Gerichtsstandsvereinbarungen einzugehen, ausspricht, kommt nicht in Betracht, weil er sich über die differenzierenden Qualifikationsentscheidungen des IPR hinwegsetzen würde. d) Vertrag zugunsten Dritter
252
Maßstäbe für die Bindung Dritter an die Gerichtsstandsvereinbarung lassen sich Art. 25 Brüssel IaVO ebenfalls nicht entnehmen. Ob und inwieweit Dritte gebunden sind, muss daher prinzipiell das auf die jeweilige Drittbeziehung anwendbare Recht entscheiden.1053 Das Vertragsstatut kann insoweit nur dann zum Zuge kommen, wenn der Dritte gerade in den Vertrag einbezogen wird, also insbesondere beim Vertrag zugunsten Dritter. Beim Vertrag zugunsten Dritter ist der Dritte in der Regel für sein eigenes subjektives Recht gebunden. Denn sein Recht erwächst nur aus der Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien, und der Dritte kann dieses subjektive Recht grundsätzlich nur so erwerben, wie die Vertragsparteien es ausgestaltet haben.1054 Im Zweifel gilt zudem aus der Sicht des begünstigten Dritten: besser ein subjektives Recht mit Belastungen oder mit Kautelen, wie und wo es durchzusetzen ist, als gar kein subjektives Recht.1055
253
Wenn der Dritte die Dinge anders bewertet und ihm Kautelen oder Belastungen den Rechtserwerb unattraktiv erscheinen lassen, möge das Vertragsstatut ihn schützen und ihm ein Recht zum Wider1049 Siehe nur östOGH, ZfRV 2001, 113, 114; OLG Schleswig, IHR 2009, 243, 244; HG Zürich SZIER 1996, 101 m. zust. m. Anm. Volken; Kubis, IPRax 1999, 10, 12. Vgl. auch Rb. Rotterdam, NIPR 2004 Nr. 155 S. 250 f. Siehe aber auch Deutsche Bank AG v. Asia Pacific Broadband Wireless Communications Inc [2008] EWCA 1081 (C.A., per Longmore L.J.); Merrett (2009) 58 ICLQ 545, 561–564. 1050 Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 45–55 m.w.N. (Mankowski). 1051 Deutsche Bank AG v. Asia Pacific Broadband Wireless Communications Inc [2008] 2 Lloyd’s Rep. 177, 183 f. (Q.B.D., Flaux J.). 1052 ÖstOGH, ZfRV 2001, 113, 114. 1053 Entgegen Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles Ltd. v. Haldex Brake Products GmbH [2008] ILPr 326, 338 (Ch. D., Lewison J.) und Melcher, GPR 2017, 246, 252 f. (für – unionsautonome? – Differenzierung nach der Schutzbedürftigkeit des Dritten hinsichtlich Belastungen). 1054 Mankowski, IPRax 1996, 427, 431; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 65; Heiss in Reichert-Facilides/ Schnyder (Hrsg.), Versicherungsrecht in Europa – Kernperspektiven am Ende des 20. Jahrhunderts (2000) 105, 142; Heiss, IPRax 2005, 497; Joseph, Rz. 7.34; Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 15 Brussels Ibis Regulation Rz. 14. 1055 Mankowski, IPRax 1996, 427, 431; Heiss in Reichert-Facilides/Schnyder (Hrsg.), Versicherungsrecht in Europa – Kernperspektiven am Ende des 20. Jahrhunderts (2000) 105, 142; Heiss, IPRax 2005, 497; Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 15 Brussels Ibis Regulation Rz. 14; Mankowski, TranspR 2018, 221, 229.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
spruch gegen den Rechtserwerb geben (wie es z.B. § 333 BGB tut).1056 Die Bindung des Drittbegünstigten greift sogar bei einer nachträglichen Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Vertragsparteien, wenn und soweit der Dritte die entsprechende Modifikation seines dann ja schon erworbenen Rechts ablehnen kann.1057 Eine passive Bindung des Dritten jenseits seiner eigenen Ansprüche kann es dagegen nicht geben.1058 Umgekehrt ist der Versprechende natürlich auch im Verhältnis zum Dritten an die von ihm selbst konsentierte Gerichtsstandsabrede gebunden.1059 Keine Bindung tritt gegen den Versicherten bei einer Versicherung auf fremde Rechnung auch hinsichtlich dessen eigener Ansprüche ein, soweit Art. 9 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO als derogationsfeste Sonderregel von Gesetzes wegen ein forum actoris zu seinen Gunsten schafft.1060 Die Derogationsfestigkeit bestimmt sich dabei nach Maßgabe des Art. 13 Nr. 3 und 4 Brüssel Ia-VO.1061 Soweit Gerichtsstände zwingend sind, sind sie dies auch zugunsten des begünstigten Dritten.1062 Mit dem Systemwechsel im Internationalen Versicherungsprozessrecht, indem die Brüssel I-VO und die Brüssel Ia-VO Versicherten- neben Versicherungsnehmerschutz stellen, wird dies gerade für den Versicherten deutlich.1063
254
An eine Gerichtsstandsvereinbarung im Versicherungsvertrag zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer ist umso weniger der nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO direktklageberechtigte Geschädigte gebunden.1064 Art. 15; 16 Brüssel Ia-VO lassen nur begrenzt Möglichkeiten zur Progation zu und sind, wie Abs. 4 nochmals unterstreicht, zwingend zu beachten.
255
e) Schuldübernahme und Vertragsübernahme Ob der Schuldübernehmer an eine Gerichtsstandsklausel für die übernommene Schuld gebunden 256 ist, beurteilt sich ebenfalls nach dem maßgeblichen materiellen Recht. Bei der privativen Schuldübernahme und der auf diese (sowie auf Zession auf den Gläubigerseiten) aufbauenden Vertragsübernahme folgt dies bereits daraus, dass es sich um eine Rechtsnachfolgekonstruktion handelt und daher die Grundsätze1065 für die Bindung des Rechtsnachfolgers nach einem gebundenen Vorgänger gelten.1066 Bei der kumulativen Schuldübernahme, dem Schuldbeitritt, tritt keine Rechtsnachfolge ein;1067 vielmehr tritt der neue Schuldner neben den alten Schuldner, nicht an dessen Stelle. Rechtlich bestimmt sich die Bindung nach dem für den Schuldbeitritt maßgeblichen Recht.1068 Für den Schuldbeitritt als solchen, d.h. im Verhältnis Gläubiger – zweiter Schuldner, ist das Recht der übernommenen Forderung ausschlaggebend.1069 Im Übrigen tritt der Schuldübernehmer in Kenntnis der übernommenen
1056 1057 1058 1059 1060 1061 1062 1063 1064 1065 1066 1067 1068 1069
Mankowski, IPRax 1996, 427, 432. Strenger wohl Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 15 Brussels Ibis Regulation Rz. 14. Geimer, NJW 1985, 533, 534; Heiss, IPRax 2005, 497. Siehe nur Briggs, Agreements Rz. 7.53. EuGH v. 12.5.2005 – C-112/03, ECLI:EU:C:2005:280 – Société financière et industrielle du Peloux vs. Axa Belgium, EuGHE 2005 I 3707, 3743 f. Rz. 38–40; Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 15 Rz. 15. EuGH v. 12.5.2005 – C-112/03, ECLI:EU:C:2005:280 – Société financière et industrielle du Peloux vs. Axa Belgium, EuGHE 2005 I 3707, 3743 f. Rz. 38–40; Heiss, IPRax 2005, 497, 498; Magnus/Mankowski/Heiss, Art. 15 Brussels Ibis Regulation Rz. 16. Heiss, IPRax 2005, 497, 498. Heiss, IPRax 2005, 497, 499. EuGH v. 13.7.2017 – C-368/16, ECLI:EU:C:2017:546 Rz. 33–42 – Assens Havn vs. Navigators Management (UK) Ltd.; Lüttringhaus, LMK 2017, 395598; Mankowski, IPRax 2018, 233, 236–238; Dominelli, Dir. mar. 2018, 389, 395–397. Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 244–249 (Mankowski). östOGH, SZ 2007/91; Thode jurisPR-PrivBauR 2/2011 Anm. 1 sub C; M. Weller, IPRax 2013, 501, 504; Melcher, GPR 2017, 246, 250 sowie Mäsch, WuW 2016, 285, 291. östOGH, SZ 2005/128; östOGH, SZ 2007/91; Melcher, GPR 2017, 246, 250. Rb. Kh. Antwerpen ETR 2005, 657, 664. Siehe nur OLG Koblenz v. 10.10.1991 – 5 U 795/90, RIW 1992, 491; vBar, IPRax 1991, 198; Girsberger, ZVglRWiss 88 (1989) 31, 36 f.; Fischer, IPRax 1989, 215, 217 sowie BGE 111 II 276, 278.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Forderung bei. Regelmäßig wird darin eine privatautonome Zustimmung und konsensuale Selbstbindung an die Gerichtsstandsabrede liegen.1070 f) Stellvertreter 258
Ein Vertreter ist von seinem Prinzipal personen- und positionsverschieden.1071 Sie sind deshalb nicht ihrerseits selber durch eine Gerichtsstandsvereinbarung ihres Prinzipals gebunden.1072 Ihr Prinzipal wird ihnen nicht zugerechnet. Organpersonen etwa werden ihren Gesellschaften zugerechnet – aber nicht umgekehrt.1073 Wer Vertreter ist, mag neben seinem Fungieren als Vertreter (also im Namen des Prinzipals) zugleich auch im eigenen Namen für sich selber auftreten. Das ist aber praktisch nicht die Regel. Wer ausnahmsweise eine Doppelrolle als Vertreter eines anderen und als Eigenpartei will, der muss dies deutlich machen.1074 g) Insolvenzverwalter
259
Die Bindung eines Insolvenzverwalters an eine vom Insolvenzschuldner geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung richtet sich nach dem Insolvenzstatut, in Ansehung von Art. 7 EuInsVO 2015 bzw. Art. 4 EuInsVO 2000 also nach der lex fori concursus.1075 Insolvenzverwalter sind nach den meisten Insolvenzsachrechten keine echten Rechtsnachfolger des Insolvenzschuldners in dessen Rechtsinhaberschaften. Nach deutschem Insolvenzrecht z.B. bleibt der Insolvenzschuldner nomineller Rechtsinhaber, sondern verliert „nur“ seine Verfügungsbefugnis an den Insolvenzverwalter. Es findet eine Devestitur statt. Für dieses Grundcharakteristikum ist es ohne Belang, ob man für die Figur des Insolvenzverwalters der Organ- oder der Amtstheorie folgt. Nach angelsächsischen Insolvenzrechten geht die Devestitur dagegen so weit, dass der insolvency practitioner oder liquidator zum receiver oder trustee des Insolvenzschuldners wird. Mit Blick auf eine Bindung des Insolvenzverwalters an Gerichtsstandsvereinbarungen des Insolvenzschuldners wird alles dies jedoch überlagert von der fundamentalen Unterscheidung, ob eine Insolvenzsache oder insolvenzrechtliche Annexsache vorliegt oder nicht.1076
260
Eine eigene Prorogation oder Derogation internationaler Zuständigkeit durch Gerichtsstandsvereinbarung ist in echten Insolvenzsachen (also Gesamtvollstreckungsverfahren, echten Kollektivverfahren) nicht möglich.1077 Es fehlt schon an einem kompetenten Vereinbarungspartner, welcher gegenüber dem Schuldner die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger zu repräsentieren befugt wäre.1078 Vereinbarungen mit einzelnen Gläubigern vermöchten keinen Einfluss auf die Zuständigkeit für das Gesamtvollstreckungsverfahren zu haben und in keiner Weise andere Gläubiger zu binden. Die Insolvenz realisiert indes auch übergeordnete Interessen: Sie ist das geordnete Verfahren, um gescheiterte Teilnehmer aus dem Markt auszuscheiden. Damit würde kollidieren, wenn man die Zuständigkeit per Vereinbarung dem betroffenen Markt entziehen könnte.1079 1070 Vgl. vWerder, TranspR 2005, 112, 113; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 37. A.A. im Ergebnis östOGH, JBl 2008, 389, 391. 1071 Mankowski, LMK 2017, 393972. 1072 EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 Rz. 36–38 – Georgios Leventis u. Nikolas Vafeias vs. Malcon Navigation Co Ltd. u. Brave Bulk Transport Ltd.; Mankowski, LMK 2017, 393972; Campuzano Diáz, Cuad. Der. Trans. 10 (1) (2018) 551, 559 f. sowie Schlosser, IPRax 2018, 22. 1073 EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 Rz. 36–38 – Georgios Leventis u. Nikolas Vafeias vs. Malcon Navigation Co Ltd. u. Brave Bulk Transport Ltd.; Mankowski, LMK 2017, 393972 sowie Cranshaw, jurisPR-HaGesR 2/2018 Anm. 3 sub C I. 1074 Mankowski, LMK 2017, 393972. 1075 Schütze, SchiedsVZ 2014, 274, 277. 1076 Siehe auch Melcher, GPR 2017, 246, 250. 1077 LG Gießen, BeckRS 2014, 10148; Kolmann, Kooperationsmodelle im Internationalen Insolvenzrecht, 2001, S. 136; Vogler, S. 92; Mankowski, ZIP 2010, 1376, 1377; Mankowski in Mankowski/Michael Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO 2015, 2016, Art. 3 EuInsVO Rz. 10; Gottwald/Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch (5. Aufl. 2015) § 130 Rz. 18; Geimer, IZPR Rz. 3463; Karsten Schmidt/Brinkmann, InsO (19. Aufl. 2016) Art. 3 EuInsVO Rz. 3 sowie Knof/Mock, ZIP 2006, 189. 1078 Geimer, IZPR Rz. 3463.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Art. 3 EuInsVO 2015 begründet ausschließliche Zuständigkeiten. Ausschließliche Zuständigkeiten be- 261 stehen auch für insolvenzrechtliche Annexsachen, die Art. 6 EuInsVO 2015 ebenfalls in die Gerichtsstände des Art. 3 EuInsVO 2015 zieht. Für insolvenzrechtliche Annexsachen gelten Gerichtsstandsvereinbarungen, welche der Insolvenzschuldner abgeschlossen hat, daher nicht fort.1080 Zu den Annexsachen gehören zuvörderst Insolvenzanfechtungsklagen.1081 Art. 6 EuInsVO 2015 verfolgt dieselben Maßstäbe für die Abgrenzung zwischen Insolvenzsachen und normalen Zivilsachen wie Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel I-VO.1082 Keine insolvenzrechtliche Annexsachen, sondern normale Zivilsachen sind ausweislich ErwGr. (35) EuInsVO 2015 insbesondere alle Aktivprozesse des Insolvenzverwalters, mit denen Ansprüche des Insolvenzschuldners namentlich aus Geschäften vor Insolvenzeröffnung geltend gemacht werden.1083 Hier geht es nicht um die Allseitigkeit der insolvenzrechtlichen Haftungsordnung.1084 Verfahren auf Kreditrückzahlung, denen die Ausübung eines insolvenzbedingten Kündigungsrechts seitens des Kreditgebers zugrunde liegt, sind ebenfalls Zivilsachen und nicht etwa ausgenommen, weil es sich bei ihnen um die Durchsetzung von Insolvenzverbindlichkeiten handeln würde.1085 ErwGr. (35) S. 3 EuInsVO 2015 betont ausdrücklich, dass sich Klagen wegen der Erfüllung von Verpflichtungen aus einem Vertrag, der vom Schuldner vor Eröffnung des Verfahrens abgeschlossen wurde, nicht unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren ableiten.
262
h) Bindung weiterer Dritter Es ist aber jeweils spezifisch zu qualifizieren, welcher Art die einschlägige Drittbeziehung ist, und 263 dann spezifisch das Statut genau dieser Drittbeziehung zu ermitteln. So hat das Statut der Vertretung ohne Vertretungsmacht zu entscheiden, ob die Gerichtsstandsvereinbarung den falsus procurator bindet.1086 Im Ergebnis wird Zustimmung des Dritten zur Gerichtsstandsvereinbarung im Zweifel nach dem jeweils maßgeblichen Recht eine Bindung tragen, auch soweit es um Mithaftung des Dritten und deren Geltendmachung in einem für den Dritter ungünstigen Gerichtsstand geht.1087
1079 Mankowski, ZIP 2010, 1376, 1377; Mankowski in Mankowski/Michael Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO 2015, 2016, Art. 3 EuInsVO Rz. 10. 1080 Siehe Melcher, GPR 2017, 246, 250; Czernich/Geimer/Geroldinger, Teil 2 A II 1 Rz. 7, 18 sowie unter der EuInsVO 2000 M. Stürner, IPRax 2005, 416; M. Stürner, GPR 2013, 305, 309. 1081 Vgl. auch LG Hamburg, RdTW 2018, 229, 231 f., das diese Zusammenhänge übersieht und stattdessen auf fehlende Parteiidentität im Verhältnis zum ursprünglichen Grundgeschäft rekurriert. 1082 Zu diesen Maßstäben Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 91–94 (Mankowski); Mankowski/M. Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015 (2016), Art. 6 EuInsVO 2015 Rz. 9–26a. 1083 Siehe nur BGH v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, ZIP 2015, 2331 = NZI 2016, 93 m. zust. Anm. Mankowski; Norges Hoyesterett [1998] ILPr 83, 95 (per Stang Lund J.); Cass. com., D 2005, 1553 m. Anm. Lienhard; OLG Koblenz, ZIP 1989, 1328; OLG Düsseldorf v. 30.11.1992 – 1 W 46/92, ZIP 1993, 1019; CA Paris Rev. crit. dip. 69 (1980) 121; CA Paris Rev sociétés 1980, 555 m. Anm. de Bottini; App. Milano Riv. dir. int. priv. proc. 1987, 803; Ashurst v. Pollard [2001] 2 WLR 722, 728 (C.A., per J. Parker L.J.), [2001] ILPr 74, 78 (ChD, Jacob J.); LG Mainz v. 30.9.1988 – 11 HO 3/86, WM 1989, 1053; Re Hayward (deceased) [1997] Ch. 45, 54 = [1997] 1 All ER 32, 41 f. (Ch.D., Rattee J.); QRS I Aps v. Flemming Frandsen [1999] ILPr 432, 440 (Q.B.D., Sullivan J.); UBS AG v. Omni Holding AG (in liquidation) [2000] 1 WLR 916, 922 (ChD, Rimer J.); Oakley v. Ultra Vehicle Design Ltd. (in liquidation) [2005] ILPr 747, 761 (Ch.D., Manchester Registry, Lloyd J.); R v. R and S [2008] 2 FLR 474, 485 (FD, Bodey J.); Mankowski, EWiR Art. 4 EuInsVO 1/12, 51, 52; Mankowski in Mankowski/Michael Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO 2015, 2016, Art. 3 EuInsVO Rz. 13; Kindler/ Wendtland, RIW 2018, 245, 247. 1084 Oberhammer, ZInsO 2004, 761, 766; Mankowski in Mankowski/Michael Müller/Jessica Schmidt, EuInsVO 2015, 2016, Art. 3 EuInsVO Rz. 13. Vgl. auch BGH, SchiedsVZ 2018, 127 m. Anm. Buntenbroich/Kaul (dazu Tintelnot, EWiR 2017, 729) gegen OLG Hamburg, SchiedsVZ 2017, 212 m. zust. Anm. Rollin: Insolvenzverwalter ist für Aktivprozess an eine vom Insolvenzschuldner geschlossene Schiedsabrede gebunden. Zum Komplex Insolvenzverwalter und Schiedsabreden H. Prütting, FS Görg, 2010, 371; Heese, KTS 2017, 167 (rechtsvergleichend); K. Schmidt, FS Prütting, 2018, 889. 1085 Entgegen Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2000, 759, 761 f. 1086 Im Ansatz ähnlich M. Weller, IPRax 2006, 444, 447–449 sowie OLG Koblenz, IPRax 2006, 468, 471. 1087 Vgl. im Ergebnis OLG Koblenz, IHR 2005, 169, 171 = NJOZ 2004, 3346, 3348; Rauscher, IPRax 1992, 143, 146; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6507; Geimer, IZPR Rz. 1731a.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 264
Generell sind Haftungsschuldner durch eine Gerichtsstandsabrede mit dem Hauptschuldner, für dessen Schuldner sie haften, jedenfalls dann nicht gebunden, wenn die Haftung auf einem eigenen rechtsgeschäftlichen Grund beruht.1088 Dies gilt für akzessorische wie nicht-akzessorische Haftungsschuldner, also z.B. für Bürgen oder Garantiegeber, gleichermaßen, ebenso für Versicherer z.B. von bei einem Transport beschädigten Waren oder Haftpflichtversicherer.1089 Der Haftungsgrund ist selbständig, und auch bei eventuellem Bestehen einer Gesamtschuld zwischen Haupt- und Haftungsschuld nach dem dafür maßgeblichen Recht1090 ist grundsätzlich bloße Einzelwirkung der Gerichtsstandsabrede im Hauptvertrag anzunehmen.1091
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Steht auf der einen Vertragsseite eine Unternehmensgruppe, so ist es eine Auslegungsfrage, welche Unternehmen der Gruppe Vertragspartei und damit gebunden sein sollen.1092 Schließt die Muttergesellschaft ab, so ist zu ermitteln, inwieweit dies auch für die Töchter verbindlich sein soll.1093 Allerdings muss die Mutter Vertretungsmacht haben, um die Töchter binden zu können, wenn sie allein agiert und keine eigenen Repräsentanten der Töchter auftreten. Umgekehrt bindet ein Abschluss durch eine Tochter ebenfalls nicht automatisch die Mutter mit, d.h. neben der Tochter.1094
266
Die Gerichtsstandsvereinbarung wirkt grundsätzlich nicht zugleich gegen die Gesellschafter einer vertragsschließenden Gesellschaft.1095 Rechtsfähige Gesellschaften sind im Ausgangspunkt eigenständige, von ihren Gesellschaftern verschiedene Rechtspersönlichkeiten. In besonderem Maße gilt dies für juristische Personen. Es gilt aber auch bei anderen Gesellschaftsformen mit beschränkt haftenden Gesellschaftern (wie der KG) im Verhältnis zu diesen Gesellschaftern, wenn diese Gesellschafter mit Erbringung ihrer Einlage plus Nachschusspflichten im Innenverhältnis zur Gesellschaft das ihnen vom Gesellschaftsstatut Angesonnene getan und damit ein Haftungsprivileg erlangt haben.1096 Selbst innerhalb eines Konzerns erfasst eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen einem abhängigen Unternehmen und einem seiner Gläubiger ncht automatisch das herrschende Unternehmen als Zweitschuldner.1097
267
Die Gerichtsstandsvereinbarung kann aber dann gelten, wenn die Gesellschafter nach dem auf das Gesellschaftsverhältnis anwendbaren Recht einer akzessorischen Gesellschafter-Außenhaftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft unterliegen.1098 Dann treten sie auch nach außen gleichsam in die Schuhe der Gesellschaft und neben die Gesellschaft. Die Akzessorietät greift dann auch in zuständigkeitsrechtlicher Hinsicht.1099 Indem sie Gesellschafter geworden sind und sich damit der akzessorischen Mithaftung unterworfen haben, haben sich die Gesellschafter mittelbar auch dem Handeln der geschäftsführenden Organe für die Gesellschaft unterworfen.1100 Das Fehlen eines eigenständigen, zweiten, gleichsam zurechnungsunterbrechenden Vertrags direkt zwischen Haftungsschuldner und Gläubiger unterscheidet diesen Fall von jenem der Bürgschaft.
1088 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 61 (2005). 1089 Aud. Prov. Cantabria AEDIPr 2004, 748, 749. 1090 Zur Frage, welches Recht insoweit anwendbar ist, Letzgus, RabelsZ 3 (1929) 837, 853; M. Keller, SchwJZ 1960, 65, 66; M. Keller, SchwJZ 1975, 305, 312; Stoll, FS Müller-Freienfels, 1986, 631, 646 f.; H. Koch, ZHR 152 (1988) 537, 555; Mankowski, IPRax 1998, 122, 124 m.w.N. 1091 Ebenso Schlosser, IPRax 2018, 22. 1092 Vgl. Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles Ltd. v. Haldex Brake Products GmbH [2008] ILPr 326, 337 f. (Ch. D., Lewison J.). 1093 Zustimmend Sakka, Der Konzern im Kompetenzrecht der EuGVVO (2019) 166. 1094 Hof Amsterdam, NIPR 2008 Nr. 108 S. 187. 1095 Cachard, DMF 2014, 625, 632 f.; Mankowski, LMK 2017, 393972. Insoweit entgegen Antonio Gramsci Shipping Corp v. Oleg Stepanovs [2011] EWHC 333, [2011] 1 Lloyd’s Rep. 647, [2012] 1 All ER (Comm) 293 (Q.B.D., Burton J.). 1096 Lindacher, FS Klamaris, 2016, II 459, 467. 1097 Sakka, Der Konzern im Kompetenzrecht der EuGVVO (2019) 167 m.w.N. 1098 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (8. Aufl. 2020) Rz. 1723; Lindacher, FS Klamaris, 2016, II 459, 466 f. m.w.N.; Mankowski, LMK 2017, 393972; vgl. Antonio Gramsci Shipping Corp v. Oleg Stepanovs [2011] EWHC 333 [60]–[64], [2011] 1 Lloyd’s Rep. 647, [2012] 1 All ER (Comm) 293 (Q.B.D., Burton J.). 1099 Mankowski, LMK 2017, 393972. 1100 Lindacher, FS Klamaris, 2016, II 459, 467.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
i) Mehrheit von Gerichtsstandsvereinbarungen Insbesondere in komplexeren Vertragsgeflechten und im Rahmen von Gesamttransaktionen kann es 268 vorkommen, dass mehrere Gerichtsstandsvereinbarungen existieren. Das kann sich gerade im internationalen Handelsverkehr häufig ergeben, indem jede Partei AGB verwendet und darin eine Gerichtsstandsklausel zugunsten der Gerichte an ihrem jeweiligen Sitz vorsieht.1101 Dieser Konstellation tut nur ErwGr. 22 Unterabs. 2 Erwähnung, allerdings im spezifischen Kontext des Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, während Art. 25 Brüssel Ia-VO selber dazu schweigt, wie eine etwaige Konkurrenz aufzulösen sein könnte. ErwGr. (22) Unterabs. 2 S. 1 Var. 1, S. 2 sieht vor, dass bei widerstreitenden ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen nicht Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO, sondern die allgemeine Litispendenzregel des Art. 29 Brüssel Ia-VO zum Zuge kommen soll.1102 Allerdings setzt er seinerseits voraus, dass die Parteien überhaupt mehrere einander widersprechende Gerichtsstandsvereinbarungen geschlossen haben. Mindestanforderungen muss sein, dass jede der betroffenen Gerichtsstandsvereinbarungen isoliert gesehen einer Form nach Abs. 1 S. 3, Abs. 2 genügt.1103 Haben alle Gerichtsstandsvereinbarungen denselben Inhalt (bezeichnen sie also alle dasselbe Gericht mit derselben Qualität), so ergibt sich bereits auf dieser ersten Stufe Konkordanz, nicht Konkurrenz. Haben die Gerichtsstandsvereinbarungen unterschiedliche Ausrichtungen, so ist im zweiten Schritt durch Auslegung der einzelnen Gerichtsstandsvereinbarung nach ihrem jeweiligen Statut zu ermitteln, für welche Gegenstände die jeweilige Gerichtsstandsvereinbarung überhaupt sachliche Anwendung heischt.
269
Heischen die verschiedenen Gerichtsstandsvereinbarungen danach Anwendung auf unterschiedliche, voneinander abgrenzbare Gegenstände, so besteht keine Konkurrenz. Interessengerechte Statuten der Gerichtsstandsvereinbarungen werden versuchen, eine wechselseitige Abgrenzung der Gerichtsstandsvereinbarungen zueinander herzustellen, sachliche Überlappungen zu vermeiden und damit echten Konkurrenzlagen auszuweichen („mutually exclusive construction“).1104 Indes wird sich ein solches Auslegungsergebnis nicht immer erzielen lassen. Es ist jedenfalls nicht auf Biegen und Brechen zu erzwingen.1105
270
Überschneiden sich die Gerichtsstandsvereinbarungen sachlich, so kann nach Maßgabe ihrer Statuten Spezialität die Auflösung für eine Konkurrenzlage bieten. Z.B. geht eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem Ausführungsvertrag einer Gerichtsstandsvereinbarung in einem Rahmenvertrag kraft Spezialität vor. Konflikte zwischen mehreren Gerichtsstandsvereinbarungen in verschiedenen Teilverträgen sind letztlich danach aufzulösen, welches Resultat verständige Parteien gewollt hätten.1106 Den Parteien ist zu unterstellen, dass sie vernünftig und geschäftsmäßig handeln und deshalb widersprüchliche Resultate vermeiden wollen.1107 Im Zweifel sollten die Bedingungen der zentralen Verträge vorgehen,1108 wenn nicht z.B. in einer abweichenden Prorogation für einen Ausführungsvertrag ei-
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1101 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 14; Thorn, JbItalR 25 (2012) 61, 81; Hilbig-Lugani, FS Rolf A. Schütze zum 80. Geb. (2014) 195, 203; Thorn/Paffhausen in Trierer FS Walter F. Lindacher, 2017, 405, 428. 1102 v. Hein, RIW 2013, 97, 105; Tretthahn/Hiersche, ÖJZ 2014, 57, 60; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 8; Baatz [2014] L.M.C.L.Q. 159, 172; Hilbig-Lugani, FS Rolf A. Schütze zum 80. Geb., 2014, 195, 203; Mankowski, RIW 2015, 17, 23; Thorn/Paffhausen in Trierer FS Walter F. Lindacher, 2017, 405, 428. 1103 Thorn/Paffhausen in Trierer FS Walter F. Lindacher, 2017, 405, 428. 1104 Deutsche Bank AG v. Comune di Savona [2018] EWCA Civ 1740 [30], [2018] 4 WLR 151 (C.A., per Longmore L.J.); Anthony Kennedy [2019] L.M.C.L.Q. 16, 21. 1105 Deutsche Bank AG v. Comune di Savona [2018] EWCA Civ 1740 [31], [2018] 4 WLR 151 (C.A., per Longmore L.J.); Anthony Kennedy [2019] L.M.C.L.Q. 16, 21. 1106 UBS AG v. HSH Nordbank AG [2009] EWCA Civ 585, [2009] 2 Lloyd’s Rep. 272, 285 [85] (C.A., per Lord Collins of Mapesbury); BNP Paribas SA v. Trattamento Rifiuti Metropolitani SpA [2018] EWHC 1670 (Comm) [28], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 171 (Q.B.D., R Knowles J.). 1107 UBS AG v. HSH Nordbank AG [2009] EWCA Civ 585, [2009] 2 Lloyd’s Rep. 272, 286 [95] (C.A., per Lord Collins of Mapesbury); Sebastian Holdings Inc v. Deutsche Bank AG [2010] EWCA Civ 998 [40], [2011] 1 Lloyd’s Rep. 106 (C.A., per Thomas L.J.); Trust Risk Group SpA v. Amtrust Europe Ltd. [2015] EWCA Civ 437 [47]–[49], [2015] 2 Lloyd’s Rep. 154 (C.A., per Beatson L.J.). 1108 UBS AG v. HSH Nordbank AG [2009] EWCA Civ 585, [2009] 2 Lloyd’s Rep. 272, 286 [95] (C.A., per Lord Collins of Mapesbury).
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen ne bewusste Sperre gegen eine Anwendung der Gerichtsstandsvereinbarung aus dem überwölbenden Rahmenvertrag liegt.1109 Dies gilt umso mehr, wenn die zentralen Verträge auf Standardformularen beruhen, die in dem betreffenden Markt gebräuchlich sind, so dass sie Orientierungswirkung auch für andere Verträge anderer Parteien haben.1110 Auch eine in einem bestimmten Vertrag getroffene Gerichtsstandsvereinbarung wird einer Gerichtsstandsvereinbarung in einem anderen Vertrag, welchen der erste Vertrag in Bezug nimmt, vorgehen. Denn die Bezugnahme wird nur lückenfüllenden Charakter haben und nicht greifen, wenn der Bezug nehmende Vertrag selber eine Regelung trifft. Ebenso wird in aller Regel eine individuell vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung einer AGB-Gerichtsstandsvereinbarung vorgehen. 272
Posteriorität kann ebenfalls eine Lösung bieten: Die spätere Gerichtsstandsvereinbarung geht dann der früheren vor, weil anzunehmen ist, dass die Parteien sie in Kenntnis der früheren und in bewusster Abweichung von der früheren vereinbart haben. Allerdings ist mit einer solchen Annahme bei AGB-Gerichtsstandsvereinbarungen doch Zurückhaltung geboten. Bei echten sukzessiven Gerichtsstandsvereinbarungen kollidieren nicht etwa mehrere Gerichtsstandsvereinbarungen, sondern es gilt zu einem bestimmten Zeitpunkt nur jeweils eine bestimmte Gerichtsstandsvereinbarung, auch wenn sie eine frühere Abrede geändert hat oder später selber geändert wird.1111 ErwGr. (22) Unterabs. 2 S. 1 Var. 1 Brüssel Ia-VO kann man aber die in sich sinnvolle und wertvolle Aussage entnehmen, dass es dem prorogationswidrig Klagenden nichts nützen soll, wenn er seinerseits behauptet, das Forum seiner Klage sei prorogiert.1112
273
Löst sich die echte, nicht durch schlussendliches Nachgeben einer Partei gelöste Kollision mehrerer Gerichtsstandsvereinbarungen im Wege eines Stichentscheids, indem es am Konsens fehlt, so ist überhaupt keine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen. Beharrt jede Partei auf ihrer eigenen (AGB-)Gerichtsstandsklausel, ohne jener der anderen Partei zuzustimmen, so fehlt es eben am Konsens. Es liegen dann nicht mehrere Gerichtsstandsvereinbarungen vor, sondern in Wahrheit keine. Man steht nicht vor der Aufgabe, der einen Gerichtsstandsvereinbarung den Vorrang vor der anderen zuzugestehen, man steht nicht vor einer Art non liquet in dieser Hinsicht, sondern es fehlt eben dann an jeder Gerichtsstandsvereinbarung. Bei kollidierenden Gerichtsstandsklauseln kann man keine von ihnen schützen, die nicht zustande gekommen ist.1113 Zwei divergierende ausschließliche Zuständigkeiten von gleicher Wertigkeit kann es bei gleichem Entstehungsgrund nicht geben.1114
274
Keine Hilfe zur Auflösung der Konkurrenz vermag jedenfalls Abs. 1 S. 2 zu bieten. Denn er würde für jede einzelne Gerichtsstandsvereinbarung die Vermutung aufstellen, dass sie eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung ist. Dann würden bei echten Konkurrenz eben zwei verschiedene Ausschließlichkeitsansprüche miteinander konkurrieren. Vorher ist indes die Konkurrenzlage kraft sachlicher Überschneidung festzustellen. Daher ist sauber zwischen „sachlich ausschließlich“ einerseits und „ausschließlicher Zuständigkeit“ andererseits zu unterscheiden.1115
275
Besondere Komplexität besteht, wenn unterschiedliche Parteien im Rahmen einer Gesamttransaktion an den verschiedenen Verträgen mit den verschiedenen Gerichtsstandsvereinbarungen beteiligt sind und die Gerichtsstandsvereinbarungen verschiedene Gerichte prorogieren. Eine Vermutung, dass im Zweifel ein einheitlicher, konzentrierender Gerichtsstand für alle Teile der Gesamttransaktion gewollt sei, lässt sich dann kaum aufstellen. Vielmehr erscheint der Umkehrschluss stärker: Wenn alle an der Gesamttransaktion Beteiligten denn einen einheitlichen Gerichtsstand gewollt hätten, hätten sie diesen vereinbart. Gerichtsstandsvereinbarungen zu Lasten Dritter, die nicht zugestimmt haben, darf es nicht geben.1116 Auch eine drittbegünstigende Konstruktion von Gerichtsstandsvereinbarungen sollte 1109 OLG München, BeckRS 2016, 18800. 1110 Mit Blick auf das ISDA Master Agreement Lomas v. JFB Firth Rixson [2011] 2 BCLC 120 [53] (Ch. D., M. Briggs J.); BNP Paribas SA v. Trattamento Rifiuti Metropolitani SpA [2018] EWHC 1670 (Comm) [44], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 171 (Q.B.D., R. Knowles J.). 1111 Mankowski, RIW 2015, 17, 23. 1112 Mankowski, RIW 2015, 17, 23 sowie C. Heinze, RabelsZ 75 (2011) 581, 588 f.; v. Hein, RIW 2013, 97, 104 f. 1113 Mankowski, RIW 2015, 17, 23 sowie C. Heinze, RabelsZ 75 (2011) 581, 590. 1114 Leandro, Giusto proc civ. 2013, 583, 599; Mankowski, RIW 2015, 17, 23. 1115 In dieselbe Richtung Anthony Kennedy, [2019] L.M.C.L.Q. 16, 23 f. 1116 Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 383 (Mankowski) m.w.N.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Ausnahme, nicht Regel sein.1117 Schon bei einem verbundenen Geschäft kann sich die Gerichtsstandsvereinbarung nicht vom finanzierten Geschäft auf das finanzierende erstrecken oder umgekehrt.1118 3. Bestimmtheitserfordernis a) Bestimmtes Rechtsverhältnis Abs. 1 S. 1 verlangt, dass sich die Gerichtsstandsvereinbarung auf eine bereits entstandene oder eine künftige, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit bezieht. Dieses Bestimmtheitserfordernis soll die Geltung der Gerichtsstandsabrede auf Streitigkeiten aus jenem Verhältnis beschränken, anlässlich dessen die Gerichtsstandsabrede getroffen wurde und mit dem sie ersichtlich in Zusammenhang steht1119 (z.B. auf das Mitgliedschaftsverhältnis bei einer Gerichtsstandsklausel in einer Gesellschaftssatzung, wodurch Drittgeschäfte der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern nicht erfasst sind1120). Es soll Überraschungen verhindern, indem eine Gerichtsstandsvereinbarung auch Rechtsstreigkeiten erfasste, die ihren Ursprung in einer anderen Beziehung haben als derjenigen, anlässlich der die Gerichtsstandsvereinbarung ursprünglich geschlossen wurde.1121
276
Außerdem soll es verhindern, dass eine stärkere Partei einer schwächeren Gegenpartei auch für noch nicht vorauszuahnende künftige Verträge oder Verhältnisse eine Gerichtsstandsabrede aufzwingt und dass einseitige Überraschungseffekte auftreten.1122 Ausführungs- und Folgegeschäfte zu einem Vertrag mit einer Gerichtsstandsvereinbarung können Problemfälle sein.1123
277
Bloß verbundene Geschäfte, seien sie akzessorisch oder nicht, (z.B. Darlehen oder Bürgschaften) 278 sind regelmäßig nicht abgedeckt, weil sie selbständigen Charakter haben.1124 Indes dürften die ausfüllenden Einzelverträge unter einem Rahmenvertrag regelmäßig von der Gerichtsstandsvereinbarung des Rahmenvertrages erfasst sein, wenn diese für alle Verträge oder Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien Geltung heischt und wenn es keine abweichenden Gerichtsstandsklauseln in den betroffenen Ausfüllungsverträgen gibt.1125 Dies gilt jedenfalls bei einem inneren Zusammenhang zwischen Rahmen- und Einzelvertrag, wie er sich z.B. durch Erzielen von gemittelteten Durchschnittspreisen aus mehreren Lieferungen heraus ergibt.1126 Umgekehrt entfaltet eine Gerichtsstandsvereinbarung nur in einem Ausführungsvertrag Wirkung weder für den Rahmenvertrag noch für andere Ausfüllungsverträge.1127 Sofern verschiedene Verträge im Geflecht mit Rahmenvertrag und Ausführungsver1117 1118 1119 1120 1121
1122
1123 1124 1125 1126 1127
Mankowski, LMK 2019, 419005. Mankowski, LMK 2019, 419005. EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 31 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit. ÖstOGH, ÖJZ 2017, 973 m. Anm. Wilfinger = ÖBA 2018, 50 m. Anm. Schacherreiter = VbR 2017, 190 m. Anm. Oberhammer. EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 Rz. 68 m.w.N. – Cartel Damages Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV; EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 Rz. 22 – Apple Sales International, Apple Inc. U. Apple Retail France SARL vs. MJA als Liquidator von eBizcuss.com. EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 31 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 Rz. 6 – Cartel Damages Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV; GA Wahl, Schlussanträge v. 5.7.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:541 Rz. 31; OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, WM 1989, 602, 604; Rb. Zutphen NIPR 2000 Nr. 218 S. 360; Mankowski, RIW 2015, 768, 769; M. Ulmer, WuB 2016, 128, 129; Abendroth, 177 m.w.N. Siehe Rb. Zutphen, NIPR 2000 Nr. 218 S. 360. Cassaz., Riv. dir. proc. 2008, 1141; Villata, Riv. dir. proc. 2008, 1142, 1150 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 125 (2016); Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 43. OLG Oldenburg, IPRax 1999, 458, 459 f.; Kindler/Hunecke, IPRax 1999, 435, 436; Villata, Riv. dir. proc. 2008, 1141, 1151 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 242 (2016); Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 43; Cebrián Salvat, AEDIPr 2017, 333, 343 f. OLG Köln, IHR 2013, 68, 69. Ebenso OLG Bamberg, IHR 2013, 253, 255 m. Anm. Smyrek = OLG Bamberg v. 24.4.2013 – 3 U 198/12, IPRax 2015, 154; Wais, IPRax 2015, 127, 128; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 243 (2016); Cebrián Salvat, AEDIPr 2017, 333, 344 f.; Salger, IZWR 2018, 131, 132; Fabig, BB 2018, 780; Dostal, EuZW 2018, 944, 952.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen trägen verschiedene Gerichtsstandsvereinbarungen enthalten, bleibt es grundsätzlich bei diesen Gerichtsstandsvereinbarungen,1128 obwohl dies natürlich Konfliktpotential birgt.1129 279
Generell ist durch Auslegung zu ermitteln, auf welche Rechtsverhältnisse sich eine Vereinbarung konkret beziehen soll,1130 und das Auslegungsergebnis ist dann darauf zu prüfen, ob es hinreichend bestimmt ist.1131 Die Auslegung obliegt dem nationalen Rechtsanwender.1132 Catch-all clauses, wonach alle gegenwärtigen und zukünftigen Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien von der Gerichtsstandsabrede erfasst sein sollen, sind regelmäßig als zu unbestimmt zu erachten.1133 Keine Partei soll die Möglichkeit haben, eine so umfassende und generelle Gerichtsstandsklausel einzuführen.1134 Vertragsketten fehlt es an der hinreichenden Bestimmtheit,1135 weil die Folgeglieder downstream wie upstream bei Abschluss des einen Vertrags noch zukünftig sind und weil häufig gar nicht feststeht, wer weiterer Abnehmer oder Zulieferer sein wird. Auch dass eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem späteren Vertrag gleichermaßen für einen früheren, aber anders gelagerten Vertrag zwischen denselben Parteien gelten soll, ist nicht anzunehmen.1136
280
Auf der anderen Seite sind keine zu strengen Anforderungen an die Bestimmtheit der erfassten Rechtsverhältnisse zu stellen.1137 Insbesondere muss das Rechtsverhältnis zum Zeitpunkt der Gerichtsstandsvereinbarung nicht bereits bestehen; möglich (und in der Praxis sehr häufig) sind auch Gerichtsstandsvereinbarungen über erst zukünftig zu begründende Rechtsverhältnisse.1138 Die Praxis des Geschäftsverkehrs zeigt eine deutliche Neigung zu weiten Gerichtsstandsklauseln, um für möglichst alle, zumindest alle zusammenhängenden Ansprüche eine Gerichtsstandskonzentration zu erzielen. Ein strenges Verständnis des Bestimmtheitsheitserfordernisses würde mit der kommerziellen Realität kollidieren und unnötige Probleme produzieren. Geboten ist eine nicht-formalistische Handhabung. Streitigkeiten um die Gültigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen sind misslich, und Unsicherheit liefe den gerade mit Art. 25 Brüssel Ia-VO verfolgten Zielen zuwider. Das Bestimmtheitsgebot für Gerichtsstandsvereinbarungen erzeugt keine überspannten und überzogenen Anforderungen; Pragmatismus und Rücksicht auf übliche Gestaltungen haben ihren berechtigten Platz.1139
281
Das Bestimmtheitserfordernis ist insbesondere nicht dahin zu verstehen, dass es die Aufzählung jeder einzelnen erfassten Verpflichtung verlangte und damit Formulierungen verböte, die eine Mehrzahl von Rechtsverhältnissen erfassen.1140 Hinreichend bestimmt sind jedenfalls Formulierungen wie z.B. „all claims and disputes arising under, or in connection with, this contract“.1141 Allerdings kann sich, angloamerikanischer Vertragspraxis folgend, durchaus empfehlen, die Gerichtsstandsklausel wortrei1128 1129 1130 1131 1132
1133 1134 1135 1136 1137 1138 1139 1140 1141
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Näher Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 271–275 (Mankowski). Cebrián Salvat, AEDIPr 2017, 333, 345 f. Näher Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 276–282 (Mankowski). Siehe BGH v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, NJW 1994, 51; OLG München, RIW 1999, 621; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 6. Siehe nur EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 Rz. 67 m.w.N., IPRax 2016, 362 – Cartel Damages Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV; EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI: EU:C:2018:854 Rz. 21 – Apple Sales International, Apple Inc. u. Apple Retail France SARL vs. MJA als Liquidator von eBizcuss.com. OLG Stuttgart, RIW 2015, 762, 767; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 66; Mankowski, RIW 2015, 768, 770; M. Ulmer, WuB 2016, 128, 129; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 241 (2016). Schacherreiter, ÖBA 2018, 54, 56. GA Jääskinen, Schlussanträge v. 18.10.2012 – C-543/10, ECLI:EU:C:2012:637 Rz. 44. Deutsche Bank AG London Branch v. Petromena [2015] EWCA Civ 226 [85], [2015] 1 WLR 4225 (C.A., per Longmore L.J.). Ebenso OLG Bamberg, IHR 2013, 253, 255 = OLG Bamberg v. 24.4.2013 – 3 U 198/12, IPRax 2015, 154; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 238 (2016). Queirolo, YbPIL 15 (2013/14) 113, 121. Mankowski, LMK 2016, 380737. Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 68; Mankowski, RIW 2015, 768, 769; M. Ulmer, WuB 2016, 128, 129 sowie OLG Oldenburg, IPRax 1999, 458, 459 f.; Kindler/Huneke, IPRax 1999, 435, 436; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 158. Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2001, 892, 893; Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2001, 896, 897; Schlosser/Hess/ Schlosser, Rz. 12; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 67 (2005); Mankowski, RIW 2015, 768, 769; M. Ulmer, WuB 2016, 128, 129.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
cher zu formulieren und jedenfalls erfasste Bereiche zu benennen.1142 Ein Herunterbrechen in möglichst viele, möglichst umfassend alles Gemeinte im Detaul aufzählende Untertermini würde indes der Begreifbarkeit der Klausel nicht gut tun1143 und drohte mit AGB-rechtlichen Transparenzgeboten in Konflikt zu geraten. Die Frage nach der sachlichen Reichweite wird sich in einem Rechtsstreit regelmäßig dahin stellen, ob der konkret streitgegenständliche Klaganspruch erfasst ist. Die Frage kann sich aus Sicht französischer Gerichte z.B. schon bei Ansprüchen wegen rupture brutal entsprechend Art. 442-6-1-5 C comm. stellen.1144
282
b) Bestimmtes Gericht Ein Bestimmtheitserfordernis besteht auch für die Bezeichnung des gewählten Gerichts. Auch inso- 283 weit sind die Anforderungen nicht zu überspannen. Normalfall ist die genaue Bezeichnung eines bestimmten Gerichts samt Gerichtsort (z.B. „Landgericht Hamburg“, „Tribunal de commerce1145 de Nanterre“ oder „High Court of Justice London“), zu welcher die Parteien jedenfalls befugt sind.1146 Gegebenenfalls muss das Gericht aus einer missglückten Bezeichnung („High Court of Spain“) das Gewollte durch Auslegung gewinnen.1147 Das prorogierte Gericht muss aber nicht unbedingt durch Benennung bezeichnet sein.1148 Bestimmtheit heißt Bestimmbarkeit und nicht Sicherheit.1149 Es reicht auch, wenn sich das gewählte Gericht anhand des gesamten Vertrages, der Umstände bei Vertragsschluss oder unter Zuhilfenahme des auf den Vertrag anwendbaren materiellen Rechts auf der Basis hinreichend genauer objektiver Kriterien bestimmen lässt1150 (z.B. „die Gerichte am Erfüllungsort“1151). Art. 25 Brüssel Ia-VO beruht auf dem Respekt vor dem Willen der Parteien, und diesem Willen ist deshalb so weit wie irgend möglich nachzukommen.1152 Aus Art. 31 Abs. 3 Brüssel Ia-VO ergeben sich keine über Art. 25 Brüssel Ia-VO hinausgehenden Bestimmtheitsanforderungen.1153 Wird die Zuständigkeit der Gerichte am Sitz oder an „der“ Niederlassung einer Partei prorogiert, so können Auslegungsfragen aufgeworfen sein. Insbesondere „place of business“ statt „principal place of business“ oder „seat“ kann problematisch sein. Wird der „Geschäftssitz“ in Bezug genommen, so ist nicht eindeutig, ob damit der Satzungs- oder der Verwaltungssitz gemeint ist.1154 Im Zweifel dürfte wegen der leichteren Erkennbarkeit der Satzungssitz gemeint sein.
284
Durch Auslegung ist auch zu ermitteln, ob dies den jeweils bei Klagerhebung aktuellen oder den bei Abschluss der Abrede bestehenden Sitz1155 der betreffenden Partei meint. Im Zweifel dürfte die Verweisung ebenso dynamisch sein, wie sie es beim gesetzlichen allgemeinen Gerichtsstand wäre. Be-
285
1142 Mankowski, RIW 2015, 768, 769. Beispiel: „toda reclamación o controversia contra el transportista resultante de este conocimiento de embarque, incluyendo los procedimientos instados por terceros o los que involucren varios demandados“; Aud. Prov. Cantabria AEDIPr 2001, 893, 894. 1143 Mankowski, RIW 2015, 768, 769. 1144 Cass. com. v. 20.3.2012 – n° 11–11570; Trib. comm. Paris, Gaz Pal 13/14 août 2014, 25, 26. 1145 „Internationales Handelsgericht Brüssel“ meint die Rechtbank van koophandel Brussels; OLG Celle, IHR 2004, 125. 1146 Siehe nur British Sugar plc v. Fratelli Babbini di Lionello Babbini & Co SAS [2005] 1 Lloyd’s Rep. 332, 342, [2005] 1 All ER 55, 72 (Q.B.D., Judge Richard Seymour QC). 1147 Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2013, 1022, 1023; Hess, IPRax 2018, 258. 1148 OLG Celle v. 24.9.2003 – 3 U 90/03, NJW-RR 2004, 575; Rb. Rotterdam, S&S 2015 Nr. 126 S. 771; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 71. 1149 Kleiner, Clunet 143 (2016) 931 (931 f.); Abendroth, 179. 1150 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 Rz. 15 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV; EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 Rz. 43 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services; östOGH, ZfRV 2005, 69; Rb. Rotterdam, S&S 2015 Nr. 126 S. 771; Delebecque, DMF 2001, 191; Mankowski, LMK 2016, 380737. 1151 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 246 (2016). 1152 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 Rz. 14 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV; Mankowski, LMK 2016, 380737. 1153 Hohmeier, IHR 2014, 217, 224; Mankowski, LMK 2016, 380737. 1154 Mäsch, IHR 2014, 253, 254. 1155 Dafür J. Weber, ZVglRWiss 107 (2008), 193, 200.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen zweckt ist ersichtlich, das Zentrum der betreffenden Partei zum Forum zu erheben, und eine Partei hat sich ein Heimspiel erkontrahiert. Dies würde aufgestört, wenn man statisch auf den Vertragsabschluss abstellte. Ein Sitzwechsel nach Abschluss der Abrede ist also beachtlich, ändert aber nichts an der Bestimmbarkeit des Forums. Allerdings birgt er die Gefahr, dass der vereinbarte Gerichtsstand einer effektiven Rechtsdurchsetzung sogar im Wege steht.1156 286
Parteien können versuchen, den Tat- oder Schadensort eines zukünftigen Delikts und darüber das forum prorogatum zu bestimmen (z.B. „every jurisdiction where damage is inflicted on [X]“1157). Damit droht man aber, die Ausfüllungsfragen aus Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zu importieren.1158 Grundsätzlich sind solche Klauseln aber zu akzeptieren,1159 weil man sonst Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO attestieren würde, nicht mit dem Vorhersehbarkeitsgebot des ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO konform zu gehen.
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Eine Vereinbarung, dass „jedes zuständige Gericht“ angerufen werden könne, geht sogar noch weiter. Sie wäre, wenn man sie denn halten wollte, durch die gesamte objektive Zuständigkeitsordnung der Brüssel Ia-VO auszufüllen1160 (minus Art. 24 Brüssel Ia-VO, denn wenn dieser einschlägig ist, gibt es kraft Abs. 4 überhaupt keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung). Abgesehen davon, dass dies kaum den Parteiinteressen entsprechen dürfte, wäre eben gerade keine Konkretisierungsarbeit geleistet, dass man aus der Abrede selber – sei es auch gegebenenfalls durch Auslegung – ein prorogiertes Gericht oder deren mehrere gewinnen könnte.
288
Die Gerichtsstandsabrede ist auch dann noch hinreichend bestimmt, wenn nur die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines bestimmten Staates ausbedungen wird, ohne zugleich eine Regelung über die örtliche Zuständigkeit zu treffen.1161 Das gleiche gilt, wenn etwa das „tribunal compétent en France“ prorogiert wird.1162 Über die örtliche Zuständigkeit muss dann das nationale Verfahrensrecht des prorogierten Staates befinden, wobei gegebenenfalls auch dessen örtliche Ersatzzuständigkeit zum Zuge kommen kann.1163 Probleme bereitet diese Variante insbesondere, wenn die Parteien bewusst die Gerichte eines neutralen Staates, zu welchem der Sachverhalt keinen objektiven Bezug aufweist, gewählt haben.1164 Die Ausfüllungsoption, dem Kläger ein Wahlrecht für die örtliche Zuständigkeit zuzugestehen,1165 ist jedenfalls bedenklich.1166
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Wenn es erlaubt, die Zuständigkeit der Gerichte eines bestimmten Staates (z.B. der deutschen Gerichte) zu vereinbaren, muss es erst recht erlaubt sein, die Zuständigkeit der Gerichte einer bestimmten Stadt (z.B. der Hamburger Gericht) oder eines bestimmten Gerichtssprengels zu vereinbaren; denn dies ist eine um eine Stufe konkretere Vereinbarung und muss deshalb erst recht hinreichend bestimmt und damit erlaubt sein.1167 Zur – bereits für sich ausreichenden – Vereinbarung der interna1156 Mäsch, IHR 2014, 253, 254 (der allerdings zu Unrecht Sitzverlegungen in die Karibik und auf die Kanalinseln als Beispiele nennt; beides ist von Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht mehr erfasst, weil das über den Sitz bezeichnete Gericht nicht mehr im relevanten Gebiet eines Mitgliedstaats läge). 1157 Beispiel angelehnt an die Gerichtsstandsklausel aus Cass., D 2015, 811 = JCP G 2015, 600 m. Anm. d’Avout. 1158 Cobussen, NIPR 2017, 22, 31. 1159 Abendroth, WM 2017, 1786, 1791. 1160 H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 830. 1161 Siehe nur BG v. 21.9.2017 – 4A_131/2017 E 4.3.4.1; CA Amiens DMF 2013, 488, 490; Aud. Prov. Pontevedra AEDIPr 2004, 737, 739; Amoussou, DMF 2013, 491, 492 f.; Mankowski, LMK 2016, 380737. 1162 A.A. CA Paris DMF 2019, 407, 410. 1163 GA Capotorti, Schlussanträge v. 12.10.1978 – 23/78, ECLI:EU:C:1978:183 Rz. 2; GA Szpunar, Schlussanträge v. 7.4.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 44; ÖstOGH, IPRax 2004, 261, 263; OLG Bremen, RdTW 2014, 227, 231; HG Zürich SZIER 1997, 360, 361; Kohler, IPRax 1983, 265, 268; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 145; Layton/Mercer, Rz. 20.051 f.; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 76 (2005); Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 72; Mankowski, LMK 2016, 380737 A.A. Geimer/Schütze/G. Müller, (1977) Art. 17 EuGVÜ Anm. IV 1: Unwirksamkeit der Vereinbarung. 1164 Mankowski, LMK 2016, 380737. 1165 Dafür HG Zürich SZIER 1997, 360, 361; Killias, 112–115; Volken, SZIER 1997, 362, 364. 1166 Mankowski, LMK 2016, 380737. 1167 Mankowski, LMK 2016, 380737; Backhaus, jurisPR-HaGesR 5/2017 Anm. 4 sub C; im Ergebnis ebenso EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 Rz. 46 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
tionalen Zuständigkeit tritt dann noch die Vereinbarung der örtlichen Zuständigkeit hinzu. Nur die „innerörtliche“, die sachliche und die funktionelle Zuständigkeit deckt die Vereinbarung nicht ab. Insoweit muss eine Lückenfüllung erfolgen, die aber bewährten Grundsätzen folgen kann.1168 Parteien einer Gerichtsstandsvereinbarung sind nicht gezwungen, immer genau das ins Auge gefasste Gericht zu benennen. Die Ortsbezeichnung reicht. Anderenfalls drohten Fehleinschätzungen bei der funktionalen oder der sachlichen Zuständigkeiten Gerichtsstandsvereinbarungen ebenso zu gefährden wie etwaige Ungenauigkeiten, Vergröberungen oder sprachliche Transformationsprobleme durch dann nötig werdende Übersetzungen spezifischer Rechtsbegriffe und Gerichtsbezeichnungen.1169 Praktiker sind aber gut beraten, wenn sie den vereinbarten Gerichtsstand von vornherein möglichst präzise und genau fixieren, um Auslegungsfragen präventiv zuvorzukommen.1170 Den Parteien ist auch gestattet, mehrere bestimmt bezeichnete Gerichte mit gleichem Rang zu wählen, also sie alle zu potentiell prorogierten Gerichten zu erheben, unter denen der Kläger dann bei Klagerhebung seine Auswahl treffen darf.1171 Dies gilt sowohl dann, wenn die Gerichte in demselben Staat liegen (dann greift Abs. 1 S. 1 Var. 1 sogar direkt), als auch dann, wenn die Gerichte in verschiedenen Staaten liegen.
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Problematisch wird es, wenn sprachlich Gerichtsstands- und Rechtswahl miteinander so vermengt werden, dass unklar wird, ob überhaupt eine Gerichtsstandsvereinbarung gewollt ist.1172
291
Dem Bestimmtheitserfordernis genügen sog. reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen („Gerichts- 292 stand ist der Sitz des jeweiligen Klägers“ bzw. „des jeweiligen Beklagten“).1173 Hier sind die prorogierten Gerichte zwar nur alternativ, aber hinreichend eindeutig bestimmbar. Die Parteien hätten funktionell genauso gut zwei separate Abreden treffen können, deren Gegenstand jeweils nur Ansprüche gegen jeweils eine der Parteien wären.1174 Ausreichend ist auch die Prorogation der Gerichte am Erfüllungsort1175 oder im Löschhafen (port of discharge).1176 Aus dem Singular „eines Mitgliedstaats“ und dem Fehlen einer Doppelung nach dem Vorbild von 293 „eines Gerichts oder der Gerichte“ ist nicht zu schließen, dass die Vereinbarung einer alternativen Zuständigkeit mehrerer Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten unzulässig wäre; vielmehr besteht auch insoweit Parteiautonomie.1177 Jeder einzelne vereinbarte Gerichtsstand muss freilich für sich dem Bestimmtheitsgebot genügen. Nicht ausreichend ist dagegen, wenn die Bestimmung des Gerichtsstands ohne nähere Einschränkung („jedes Gericht“) im Belieben des jeweiligen Klägers steht.1178 Eine Klausel, welche einer Partei das Recht gibt, das letztlich zuständige Gericht zu benennen, genügt in keinem Fall, weil sie ein Optionsrecht begründet, aber eben gerade kein Gericht wirklich benennt.1179 Dies gilt auch für die Variante, 1168 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 Rz. 48 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services; GA Szpunar, Schlussanträge v. 7.4.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:224 Rz. 44; Mankowski, LMK 2016, 380737. 1169 Mankowski, LMK 2016, 380737. 1170 Backhaus, jurisPR-HaGesR 5/2017 Anm. 4 sub D. 1171 OLG Hamm, IPRax 2007, 125, 127; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 247 (2016). 1172 Siehe Sherdley v. Nordea Life and Pension SA [2012] EWCA Civ 88, [2012] 2 All ER Comm 725 [27] (C.A., per Rix L.J.) angesichts von „Any legal proceedings in connection with the Contract shall be subject to the competent Courts and Tribunals in compliance with the applicable Spanish law.“ 1173 EuGH v. 9.11.1978 – 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 Rz. 5 f. – Nikolaus Meeth vs. Fa Glacetal; BGH, NJW 1979, 2477; OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934; Hof Amsterdam, NIPR 2018 Nr. 308 S. 675; LG Frankfurt/M., RIW 1986, 453; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 112; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 653; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 71. A.A. LG Wiesbaden, IPRspr. 1978 Nr. 146. 1174 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 74 (2005). 1175 OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6483 f. 1176 Rb. Rotterdam, NIPR 2005 Nr. 172 S. 236. 1177 Fentiman, International Commercial Litigation (2. Aufl. 2015) Rz. 2.144; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 33; H. Wais RabelsZ 81 (2017) 815, 826 f. 1178 CA Paris Clunet 117 (1990) 151 obs Huet; CA Rouen DMF 2001, 336; LG Braunschweig, AWD 1974, 346; Rb. Rotterdam, S&S 2015 Nr. 126 S. 771; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 72; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 71. A.A. wohl H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 830. 1179 CA Rouen DMF 2001, 336; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 248 (2016).
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294
Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen dass der Kläger außer einem oder mehreren ausdrücklich bezeichneten Gerichten auch noch andere nicht näher konkretisierte Gerichte anrufen kann,1180 es sei denn, diese Formulierung soll nur deutlich machen, dass der ausbedungene Gerichtsstand kein ausschließlicher Gerichtsstand sein soll. Eine Partei das Recht zu geben, außer dem eigentlichen vereinbarten Gericht noch weitere, näher bezeichnete Gerichte anzurufen, ist dagegen hinreichend bestimmt und nimmt der eigentlichen Vereinbarung jeden Ausschließlichkeitscharakter.1181 295
Zu unbestimmt, weil sie kein Gericht genau bezeichnet, ist jedenfalls eine Klausel, die alternativ „the courts of the Ship’s Flag State“ oder „the court mutually agreed by the parties“ berufen will.1182
V. Besondere Fallgruppen 1. Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbraucher-, Arbeits- und Versicherungsverträgen (Abs. 4; Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO) 296
Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbraucher-, Arbeits- oder Versicherungsverträgen sind nur ausnahmsweise statthaft. Die dort geltenden strengen Voraussetzungen definieren Art. 15; 19; 23. Abs. 4 Brüssel Ia-VO hat keine eigenständige Bedeutung und ist eine bloße deklaratorische Hinweisnorm,1183 damit derjenige Rechtsanwender, welcher als erste Norm seiner Zuständigkeitsprüfung auf Art. 25 Brüssel Ia-VO stößt, das betreffende Sonderregime findet und beachtet.1184 Hinsichtlich der persönlichen Anwendungsvoraussetzungen des Art. 17 Brüssel Ia-VO können Gerichtsstandsklauseln in Gesellschaftssatzungen1185 besonderen Überlegungsbedarf auslösen.1186 Anders als Art. 25 Brüssel IaVO erfassen die aus Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO folgenden Derogationsverbote auch Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten drittstaatlicher Gerichte.1187 Richtigerweise sollte man Abs. 4 i.V.m. Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO entsprechend anwenden, wenn zwei Parteien aus Vertragsstaaten des LugÜbk 2007, die keine Mitgliedstaaten sind, die Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte vereinbaren. Denn Art. 23 Abs. 5 LugÜbk 2007 enthält eine Schwesterregel zu Abs. 4, und anderenfalls würde eine Lücke zwischen zwei Regimes entstehen, die gleichermaßen Schutzregimes gegen deren Abbedingung bewahren wollen.1188
297
Abs. 4 hat einen einzigen unmittelbaren Aussagegehalt: Art. 25 Brüssel Ia-VO weicht den Derogationsverboten aus Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO. Er interveniert nicht und modifiziert nicht deren Voraussetzungen. Er besagt nicht etwa, dass die Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO vorliegen müssten, damit Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO Anwendung finden können. Er beschränkt Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO nicht auf Fälle des Art. 25 Brüssel Ia-VO. Dies hat Bedeutung für Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträge, in denen die ausschließliche Zuständigkeit eines drittstaatlichen Gerichts vereinbart wird. Während Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO in diesen Fällen nicht anwendbar ist, weil nicht die Zuständigkeit eines Gerichts in einem Mitgliedstaat vereinbart wird, können die Derogationsverbote aus Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO zur Anwendung kommen, soweit sie dies selber heischen. Anderenfalls würde der prozessuale Schutz der schwächeren Parteien gerade in jenen Fällen aufgegeben, in denen dieser seiner am meisten bedürfen.1189 Auf der anderen Seite weicht Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht Verboten oder Einschränkungen, die nationale Rechte für Verbraucherverträge aufstellen.1190
1180 1181 1182 1183 1184 1185 1186 1187 1188 1189
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OLG Köln, IPRspr. 1991 Nr. 146; LG Braunschweig, AWD 1974, 346. Rb. Rotterdam, S&S 2016 Nr. 20 S. 130. Rb. Rotterdam, NIPR 2002 Nr. 212 S. 362; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 71. OLG Bamberg v. 31.10.2018 – 8 U 73/18 Rz. 41. Vgl. Merinson v. Yukos International UK BV [2019] EWCA Civ 830 [20], [2019] 2 All ER (Comm) 644 (C.A., per Gross L.J.): „qualification“. Mankowski, RIW 1997, 990, 991; R. Huber, Rz. 152. Dazu allgemein Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 182–184 (Mankowski). Näher Mülbert, ZZP 118 (2005) 313, 327–335; Oberhammer, ecolex 2017, 314, 316–318 sowie Heindler, IPRax 2019, 103, 104 (Gesellschaftssatzung sei schon kein Vertrag). Näher Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21 (Mankowski) und Gsell, FS Dagmar Coester-Waltjen, 2015, 403. Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 53. Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
2. Gerichtsstandsvereinbarungen in trust-Bedingungen (Abs. 3) Abs. 3 erweitert Abs. 1 für Streitigkeiten, welche das Innenverhältnis eines trust vorzüglich des eng- 298 lischen oder irischen Rechts,1191 aber zunehmend auch kontinentaler Rechtsordnungen betreffen.1192 Hintergrund ist die quasi-korporative Struktur eines trust. Trusts müssen zudem nicht im Konsens aller Beteiligten begründet werden, sondern können auch durch einseitiges Rechtsgeschäft ihres Gründers entstehen.1193 Dies macht die Sonderregelung notwendig.1194 Der settlor, der trust-Errichter, soll eine Möglichkeit zur privatautonomen Gestaltung und Festschreibung haben.1195 Der trustee ist gebunden. Falls er mit der Gerichtsstandsfestlegung nicht einverstanden ist, kann er das Amt als trustee ablehnen oder, sofern er es angenommen hat, niederlegen; indem r weiterhin trustee bleibt, stimmt er implizit zu.1196 Entsprechendes gilt für die Bindung von protectors, appointors, guardians oder vergleichbaren Personen.1197 Die Bindung knüpft an die Position an; daher sind auch sukzessive oder im Wege der Rechtsnachfolge nachrückende trustees und beneficiaries gebunden.1198 Abs. 3 bindet auch bestimmte Dritte (nämlich die beneficiaries, die trust-Begünstigten) und erklärt die für die Fälle des Abs. 1 erforderliche materielle Willenseinigung für entbehrlich.1199 Der Begünstigte erwirbt seine Stellung nur unter den Bedingungen, wie die trust-Begründung sie festlegt.1200 Ohne diese Drittbindung wäre Abs. 4 eine kaum sinnvolle und eigentlich überflüssige Regelung.1201
299
Dagegen sind andere Dritte an die Gerichtsstandsfestlegung nicht gebunden. Im Außenverhältnis ent- 300 faltet sie keine Bindungswirkung gegenüber Dritten und ist nur für Personen aus der Struktur des Trust bindend.1202 Abs. 3 steht unter dem Vorbehalt des Abs. 4 und weicht den Prorogationsverboten aus Art. 15; 19; 23 Brüssel Ia-VO.1203 Gleichermaßen gilt Abs. 5. Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung beurteilt sich unabhängig davon, ob der Trust als solcher wirksam ist.1204 Zu prüfen ist nur, ob Trust-Bedingungen vorliegen.1205 Stellt sich heraus, dass in Wahrheit kein Trust besteht, so scheitert die Klage gegen ein Trust-Organ in der Begründetheit.1206 Rechtsfürsorgende Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf sog. construction oder direction summonses, beantragt vom trustee, fallen nicht unter Abs. 3, da es sich bei ihnen nicht um Klagen gegen den settlor, den trustee oder einen beneficiary handelt.1207
301
Die Gerichtsstandsbestimmung muss sich in schriftlich niedergelegten Trust-Bedingungen befinden. Verlangt ist also Schriftlichkeit. Dies ist ein europäisch autonomes Formerfordernis.1208 Daher findet
302
1190 EuGH v. 14.2.2019 – C-630/17, ECLI:EU:C:2019:123 Rz. 82–84 – Anica Milivojevic´ vs. Raiffeisenbank St. Stefan-Jagersberg-Wolfsberg eGen. 1191 Zu Definition und Phänomenbeschreibung Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR; Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 166 f. 1192 Siehe nur R. Huber, Rz. 148 f. m.w.N. 1193 Siehe nur Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 167. 1194 Schlosser-Bericht Nr. 178. 1195 Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 17 EuGVÜ Rz. 29; Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 23 EuGVVO Rz. 17; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 129; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 52 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 29. 1196 Harris, Essays in Honour of Sir Peter North (2002) 187, 207. 1197 R. Huber, Rz. 150. A.A. Stieger, Der Schweizer Treuhänder 1992, 202, 205. 1198 Hayton, Rec. des Cours 366 (2013) 9, 50. 1199 Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 29; J. Harris, Essays in Honour of Sir Peter North (2002) 187, 208. A.A. Parker/Mellows/Oakley, Modern Law of Trusts (7. Aufl. 1998) 749. 1200 Harris, Essays in Honour of Sir Peter North (2002) 187, 208. 1201 Schlosser-Bericht Nr. 178; J. Harris, Essays in Honour of Sir Peter North (2002) 187, 208. 1202 Checa Martínez, El trust angloamericano en el derecho español (1998) 47; Layton/Mercer, Rz. 20/106; R. Huber, Rz. 149 m.w.N. 1203 R. Huber, Rz. 152. 1204 R. Huber, Rz. 174. 1205 Berti, FG zum Schweizerischen Juristentag 2004 (2004) 223, 236 f. 1206 R. Huber, Rz. 174 sowie Berti, FG zum Schweizerischen Juristentag 2004 (2004) 223, 237. 1207 Gassmann in Handkommentar zum Schweizer Privatrecht – Internationales Privatrecht (2. Aufl. 2010) Art. 149b schwIPRG Rz. 8; R. Huber, Rz. 151. 1208 R. Huber, Rz. 169; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 170.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen kein Rückgriff auf das auf die Errichtung des Trust anwendbare materielle Recht (das Trusterrichtungsstatut) statt.1209 Ebenso wenig finden Abs. 1 S. 3 lit. a-c Anwendung auf Trusts Anwendung,1210 zumal lit. b und c sachlich nicht passen können.1211 303
Zwar enthält Abs. 3 weder eine Parallele zu Abs. 1 S. 2 noch eine ausdrückliche Gestattung nicht-ausschließlicher Gerichtsstandsbestimmungen.1212 Trotzdem sind diese zuzulassen.1213 Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO stellt für Litispendenzzwecke eine Gerichtsstandsbestimmung in Trust-Bedingungen einer mehrseitig konsentierten Gerichtsstandsvereinbarung zwar nicht ausdrücklich gleich. Dies sollte man allerdings als Übersehen und Redaktionsversehen werten, nicht als Basis für einen strengen Umkehrschluss.1214
304
Abs. 3 kommt nur zur Anwendung, soweit die Brüssel Ia-VO sachlich anwendbar ist. Daher gilt Abs. 3 wegen Art. 1 Abs. 2 lit. f Brüssel Ia-VO nicht im erbrechtlichen Bereich1215 für trusts von Todes wegen einschließlich testamentary trusts.1216
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Abs. 3 setzt einen rechtsgeschäftlich errichteten Trust voraus. Von Gesetzes oder Rechts wegen entstehende Trusts erfasst er nicht. Daher greift er nicht für resulting trusts1217 oder constructive trusts1218.1219
306
Als Form verlangt Abs. 3 explizit Schriftlichkeit. Dies stellt dieselben Anforderungen wie unter Abs. 1 S. 3 lit. a Var. 1. Erleichterungsformen werden aus Abs. 1 S. 3 nicht transferiert. Vielmehr spricht der Kontrast zu Abs. 1 S. 3 dafür, dass sie nicht zugelassen sein sollen. Sogar erschwerend ist für schritliche Gerichtsstandsvereinbarungen in Trust-Bedingungen zusätzlich verlangt, dass sie in der Trusturkunde selber stehen müssen, also in der Errichtungsurkunde des Trust (trust instrument, acte constitutif). Bei strengem Verständnis scheint eine nachträgliche Vereinbarung ausgeschlossen.1220 Sie dürfte aber trotzdem möglich sein, wenn sich die Gerichtsstandsvereinbarung schriftlich in einer Ergänzungssatzung als weiterem Konstitutivakt findet.
307
Ob dann, wenn die Gerichtsstandsklausel der Trusturkunde nur die internationale Zuständigkeit festlegt, der jeweilige Kläger die Wahl hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit hat, ist durch Auslegung der Gerichtsstandsklausel nach dem Truststatut zu ermitteln.1221
308
Abs. 3 reagiert auf eine ganz spezifische Gestaltungskategorie. Daher taugt er nicht als Analogiegrundlage und kann nicht entsprechend auf andere einseitige Rechtsgeschäfte mit Gerichtsstandsvereinbarungen Anwendung finden.1222 3. Gerichtsstandsklauseln in Gesellschaftsverträgen und -satzungen
309
Eine Gerichtsstandsklausel in einer schriftlichen Gesellschaftssatzung genügt den Anforderungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO.1223 Dass Art. 25 Brüssel Ia-VO ihr keine eigene Erwähnung und umso we1209 1210 1211 1212 1213 1214 1215
1216 1217 1218 1219 1220 1221 1222
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A.A. Layton/Mercer, Rz. 20.104. Dafür aber Killias, 212 Fn. 242. R. Huber, Rz. 171. Daraus will Hofri-Winogradow (2017) 13 JPrIL 519, 524 f. ableiten, dass sie grundsätzlich nicht ausschließlich seien. Bucher/Guillaume, Art. 149b schwIPRG Rz. 14; R. Huber, Rz. 182; T. M. Mayer, AJP 2017, 299, 308. Dahin aber Hayton, RdC 366 (2013) 9, 50. Zr Differenzierung zwischen erbrechtlichen und nicht erbrechtlichen Sachen bei testamentary trusts Weingart, Anerkennung von Trusts und trustrechtlichen Entscheidungen im internationalen Verhältnis, unter besonderer Berücksichtigung schweizerischen Erb- und Familienrechts (2010) Rz. 542–544; T. M. Mayer, AJP 2017, 299, 305 f.; Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 175 (Mankowski). Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 169. Zum Institut des resulting trust unter englischem Recht Hudson, Equity and Trusts (8. Aufl. 2015) 499–545. Zum Institut des constructive trust unter englischem Recht Hudson, Equity and Trusts (8. Aufl. 2015) 546–650. Layton/Mercer, Rz. 20.106. R. Huber, Rz. 163; T. M. Mayer, AJP 2017, 299, 308. T. M. Mayer, AJP 2017, 299, 308. Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 169.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
niger einne eigenen Absatz widmet, schadet nicht.1224 Sie bindet jedenfalls die ursprünglichen Gesellschafter1225 und die Rechtsnachfolger der ursprünglichen Gesellschafter, die erst später eintreten.1226 Gebunden sind selbst jene Gesellschafter, die ihr ursprünglich nicht zugestimmt oder sogar ausdrücklich gegen ihre Aufnahme gestimmt hatten.1227 Wer im Einzelnen opponiert, aber das Gesamtpaket Satzung letztlich doch gutheißt, akzeptiert nolens volens auch die einzeln nicht sympathischen Teile. Er stellt die gemeinsame Zweckverfolgung in der Gesellschaft höher.1228 Die nötige Kenntnisnahmemöglichkeit gewährleistet entweder die Hinterlegung der Gesellschaftssatzung am Gesellschaftssitz oder eine Aufnahme in ein öffentliches Register.1229 Das eigentliche Problem ist bei Gesellschaftssatzungen die Ausdehnung des Vereinbarungsbegriffs und das Überlagern der klassischen vertragsrechtlichen Konsensdoktrin durch korporationsrechtliche Aspekte.1230 Originär Beitretende wissen, dass sie der Satzung unterworfen sind und stimmen mit ihrem Beitritt implizit zu.1231 Derivative Erwerber werden nach den Grundsätzen der Rechtsnachfolge gebunden, ohne dass sie persönlich der Satzung zustimmen würden.
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Die Prorogation durch Gesellschaftssatzung hat indes den überragenden Vorteil, eine Zuständigkeitskonzentration am Sitz der Gesellschaft zu bewirken und eine wünschenswerte Gestaltungsmöglichkeit zu eröffnen.1232 So führt man den Gedanken des Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO auf der rechtsgeschäftlichen Ebene fort und überspielt das Fehlen eines gesetzlichen Gerichtsstands der Mitgliedschaft in der Brüssel Ia-VO.1233 Man erreicht formelle Gleichbehandlung aller Gesellschafter.1234 Indirekte Unterstützung erfährt diese Linie auch durch Abs. 3.1235
311
Obwohl Bedenken aus dem Mehrheitsprinzip wegen einer faktischen Oktroyierung durch Gesellschaftsorgane oder Mehrheitsgesellschafter und einer korrespondierend fehlenden Einflussnahmemöglichkeit zumal von Einzelaktionären bestehen können,1236 gibt es aber keinen eigenen Schutzmechanismus1237 und findet keine Analogie zu Abs. 3 statt (nicht einmal bei asymmetrischen Klauseln, die einseitig der Gesellschaft zugute kommen1238). Inwieweit Art. 19 Brüssel Ia-VO im Verhältnis zu in privater Kapazität agierenden Gesellschaftern zum Zuge kommen kann, hängt davon ab,
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1223 Siehe nur EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 22-29 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 Rz. 31 – Refcomp SpA vs. Axa Corporate Solutions Assurance; östOGH, ZFR 2018, 284 m. Anm. Schacherreiter und in extenso Pereira Dias 265–472. Für eine Analogie zu Art. 25 Brüssel Ia-VO allerdings Heindler, IPRax 2018, 103, 104. 1224 Oberhammer, ecolex 2017, 314, 315. 1225 Siehe nur Joint Stock Company „Aeroflot Russian Airlines“ v. Berezovsky [2012] EWHC 1610 (Ch.), [2013] 1 Lloyd’s Rep. 345 [60] (ChD, Floyd J.); Michael Müller, EuZW 2016, 419, 422. 1226 Siehe nur Schacherreiter, ZFR 2018, 285; van Dongen, Ondernemingsrecht 2018, 562, 564 f. 1227 EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 18 f. – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; H. Koch, IPRax 1993, 19, 20; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 133 (2016); Schacherreiter, ZFR 2018, 285 f. 1228 EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 19 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit. 1229 EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 28 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; Michael Müller, EuZW 2016, 419, 422; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 180, 183 (2016); Schacherreiter, ZFR 2018, 285 f. 1230 H. Koch, IPRax 1993, 19, 20. 1231 Vgl. EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 27 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; Dechamps, T.B.H. 2018, 7, 17. 1232 Geimer, EWiR Art. 17 EuGVÜ 1/89, 885, 886; Geimer, EWiR Art. 17 EuGVÜ 1/92, 353, 354; Geimer, EWiR Art. 17 EuGVÜ 2/92, 989, 990; Polak (1993) 30 CMLR 406, 413; H. Koch, IPRax 1993, 19, 20; Klinke, ZGR 1993, 1, 39; Schnichels/Dietze, EuZW 1994, 366, 370; Mormann, AG 2011, 10, 13; Oberhammer, ecolex 2017, 314, 317 f.; Wilfinger, RdW 2017, 414, 418; Wilfinger, ÖJZ 2017, 976; Heindler, IPRax 2018, 103, 104 (Letzterer für eine Analogie zu Art. 25 Brüssel Ia-VO als Umsetzung). 1233 Zustimmend Mülbert, ZZP 118 (2005) 313, 354. 1234 Mülbert, ZZP 118 (2005) 313, 315 f.; Heindler, IPRax 2018, 103, 104. 1235 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 54 (2005). 1236 Näher Szotkowski, 98 Minn L Rev 1980 (2014) sowie Pereira Dias, 337–353. 1237 Insoweit progressiver Heindler, IPRax 2018, 103, 104; vgl. auch G. Bachmann, IPRax 2007, 77, 81; Wilfinger, RdW 2017, 414, 416. 1238 Vgl. Pereira Dias, 373–381. Zu möglichen Grenzen aus Rechtsmissbrauch und Gesetzesumgehung aber Pereira Dias, 381–411, 422–444.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen ob man bereit ist, Art. 17 Brüssel Ia-VO insoweit teleologisch zu reduzieren.1239 Normen nationaler Rechte wie z.B. § 23 Abs. 5 AktG können neben Art. 25 Brüssel Ia-VO grundsätzlich keine Anwendung finden.1240 Wollte man Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 anwenden, so würde dies auf der sachrechtlichen Ebene der lex fori prorogati für Gerichtsstandsbestimmungen in Satzungen von – aus der Sicht des vom IPR der lex fori prorogati berufenen Rechts – ausländischen Gesellschaften Substitutionsprobleme hervorrufen.1241 313
Wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes ist jeweils durch Auslegung zu klären, inwieweit die Gerichtsstandsabrede auch Klagen der Gesellschafter gegen die Gesellschaft oder Streitigkeiten der Gesellschafter in gerade dieser Funktion untereinander erfasst.1242 Ersterem Zweck genügt z.B. eine Klausel für Streitigkeiten eines Gesellschafters „mit der Gesellschaft oder deren Organen“.1243 Gerichtsstandsklauseln, die alle Streitigkeiten „aus diesem Gesellschaftsvertrag und aus dem durch diesen Vertrag begründeten Gesellschaftsverhältnis“ erfassen, sind grundsätzlich weit genug, um alle denkbaren Streitigkeiten zu erfassen. Allerdings ist zu beachten, dass stärker dem Wortlaut eines Textes verhaftete Gerichte z.B. in Irland sie enger auslegen könnten, als deutsche Gerichte dies tun würden.
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Deliktische Streitigkeiten einzelner Gesellschafter mit der Gesellschaft wegen Verletzung von Mitgliedsrechten sind von Klauseln miterfasst, die sich auf Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis beziehen.1244 Indes hat ein Gesellschafter aus dem Mitgliedschaftsverhältnis kein subjektives Recht auf eine positive Wertentwicklung seines Gesellschaftsanteils. Anlegerspezifische Ansprüche aus Kapitalmarktrecht, z.B. wegen Verletzung wertpapierhandelsrechtlicher Mitteilungspflichten an den Kapitalmarkt, sind „gesellschafterfremd“ und auch bei entsprechend weiter, aber bestimmter Fassung von Gerichtsstandsklauseln in Satzungen nicht erfasst.1245 Eine Gerichtsstandsklausel ist zu weit, wenn sie sich über das Gesellschafts- und Mitgliedschaftsverhältnis hinaus Streitigkeiten mit den Inhabern oder Verpflichteten der Finanzinstrumente erstreckt, die sich auf Anteile der Gesellschaft beziehen.1246
315
Drittgeschäfte der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern sind von üblichen Gerichtsstandsklauseln in Gesellschaftssatzungen nicht erfasst,1247 vorbehaltlich ausdrücklicher Einbeziehung. Soweit die Gesellschafter z.B. als Darlehensgeber jenseits ihrer Mitgliedschaft Gläubiger der Gesellschaft sind, greifen solche Klauseln jedoch nicht, es sei denn, es fände eine spezifisch mitgliedschaftliche Überlagerung nach dem Gesellschaftsstatut statt, die jene Beziehungen doch in das Mitgliedschaftsverhältnis einbezöge.1248
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Rechtsgeschäfte über Sacheinlagen von Gesellschaftern sind aber Erfüllung der Einlagepflichten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis und keine eigentlichen Drittgeschäfte. Sie sind daher gemeinhin von Satzungsgerichtsstandsklauseln erfasst, die auf Streitigkeiten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis erstreckt sind.
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Jedenfalls ist immer dem spezifisch prozessrechtlichen Bestimmtheitsgebot zu genügen, nicht gesellschaftsrechtlichen Anforderungen des Gesellschaftsstatuts, denn insoweit regelt Art. 25 Brüssel IaVO selbst und verweist nicht.1249
1239 1240 1241 1242 1243 1244 1245 1246
1247 1248 1249
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Dafür Wilfinger, RdW 2017, 414, 418 f.; Wilfinger, ÖJZ 2017, 976. Siehe Pereira Dias, 267–275, 360–373. Siehe Pereira Dias, 335–337. EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 30-37 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; Karré-Abermann, ZEuP 1994, 142, 150; Mülbert, ZZP 118 (2005) 313, 342 f. BGHZ 123, 349; OLG Koblenz v. 31.7.1992 – 6 U 1946/87, RIW 1993, 141. Mülbert, ZZP 118 (2005) 313, 343 f. Schacherreiter, ÖBA 2018, 54, 57. A.A. Heindler, IPRax 2018, 103, 104. EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 25 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; östOGH, ZFR 2018, 284; Mankowski, EWiR 2018, 31, 32; Schacherreiter, ZFR 2018, 285, 286; vgl. auch östOGH, ÖJZ 2017, 973 m. Anm. Wilfinger = ÖBA 2018, 50 m. Anm. Schacherreiter = VbR 2017, 190 m. Anm. Oberhammer. A.A. Oberhammer, ecolex 2017, 314, 315 f. ÖstOGH, ÖJZ 2017, 973 m. Anm. Wilfinger = ÖBA 2018, 50 m. Anm. Schacherreiter = VbR 2017, 190 m. Anm. Oberhammer. Ähnlich Mülbert, ZZP 118 (2005) 313, 345 f. Mülbert, ZZP 118 (2005) 313, 339 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Für Satzungsänderungen durch Einfügen einer Gerichtsstandsvereinbarung, also für nachträgliche 318 Satzungsänderungen, gilt grundsätzlich nichts anderes als für originäre Gerichtsstandsklauseln:1250 Die gesellschaftsrechtliche Willensbildung muss ordnungsgemäß erfolgen, und alle Gesellschafter sind gebunden, ohne dass eine individuelle Zustimmung des einzelnen Gesellschafters erforderlich wäre.1251 Insoweit setzt sich der besondere korporative Mechanismus gegen Vertragsrecht und individuelle Willensbindung durch. Dies gilt auch für weitere Gesellschaftsorganisationsdokumente, z.B. By-Laws, neben der Gesellschaftssatzung.1252 Bedarf es nach dem Gesellschaftsstatut namentlich bei nichtkorporierten Gesellschaften der Einstim- 319 migkeit und gilt nicht das Mehrheitsprinzip, so verhindern Opposition oder Nichtzustimmung auch nur eines Gesellschafters bereits das Zustandekommen der Gerichtsstandsklausel in der Gesellschaftssatzung.1253 4. Gerichtsstandsklauseln in Anleihebedingungen Anleihen weisen die Besonderheit auf, dass sie rechtstatsählich nicht zwischen Anlegern und Emittenten verhandelt werden. Vielmehr entwickelt der Emittent sie einseitig und stellt sie. Anleihen sind ihrer Anlage nach Massenprodukte und nicht für individuelle Ausgestaltung geeignet, sollen nicht massive Ungleichbehandlungsprobleme zwischen den Gläubigern ausbrechen.
320
Fraglich ist, ob die Form der Abs. 1 S. 3 lit. a-c gewahrt ist. Anleihen werden typischerweise in Global- oder Sammelurkunden verbrieft und diese hinterlegt, so dass der Text hinreichend fixiert ist.1254 Anleger erhalten weder die Globalurkunde noch Kopien der Globalurkunden ausgehändigt, sondern müssen sich über die Anleihebedingungen aus dem Emissionsprospekt und im WWW abrufbare Bedingungen informieren. Darüber besteht immerhin eine Kenntnisnahmemöglichkeit.1255 Eine Kenntnisnahmemöglichkeit zu verlangen1256 könnte sich immerhin auf das Vorhersehbarkeitsposulat des ErwGr. 15 Brüssel Ia-VO und zuvor des ErwGr. 11 Brüssel I-VO stützen.1257
321
Bei Erwerb auf dem Sekundärmarkt für Kapitalanlageprodukte zeigen Emissionen die für sie notorischen mehrstufigen Abläufe. Sie sind dann eine besondere Herausforderung für Konsensregeln zum Vertragsabschluss. Weshalb Dritterwerber auf dem Sekundärmarkt an Prospektklauseln gebunden sein sollen, bedarf eines Transmissionsriemens aus dem Gedanken der Rechtsnachfolge.1258 Dazu gibt es keine realistische Alternative.1259 Eine Haftungsklage aus der erworbenen Schuldverschreibung als Finanzprodukt ist nicht mit einer Direktklage in einer Kette von Warenverträgen zu vergleichen, da die Schuldverschreibung Emittent und Erwerber einander vertraglich verbindet.1260
322
Allerdings wirft der notwendige Rekurs auf die Rechtsnachfolge Folgefragen auf:1261 Erstens, war der Ersterwerber an die Gerichtsstandsvereinbarung wirksam gebunden? Zweitens, welches ist das auf die
323
1250 Mülbert, ZZP 118 (2005) 313, 351–355. 1251 A.A. für nachträgliche Schiedsklauseln z.B. Bork ZHR 157 (1993) 48, 62; H. Schmidt, BB 2001, 1857, 1861; Zöller/Geimer, § 1066 ZPO Rz. 7. 1252 Schotel, NIPR 2019, 350, 354. 1253 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 134 (2016). 1254 Thole, WM 2014, 1205, 1207. 1255 M. Müller, EuZW 2016, 419, 422; vgl. auch EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 Rz. 36 – Profit Investment SIM SpA vs. Stefano Ossi u.a. Strenger wohl (in einem B2B-Fall im Seefrachtverkehr) CA Paris Bull. transp 2019, 222, 224 = DMF 2019, 400, 403 f. 1256 Dahin EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 Rz. 36 – Profit Investment SIM SpA vs. Stefano Ossi u.a. 1257 M. Müller, EuZW 2016, 419, 423. 1258 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 Rz. 35–37 – Profit Investment SIM SpA vs. Stefano Ossi u.a.; Mankowski, EWiR 2016, 547, 548; Antón Juárez, Cuad. Der. Trans. 8 (2) (2016) 349, 358; Melcher, GPR 2017, 246, 249; s. auch Dechamps, T.B.H. 2018, 7, 12 f. 1259 Siehe aber den rein negativen Versuch von GA Bot, Schlussanträge v. 23.4.2015 – C-366/13, ECLI:EU:C: 2015:274 Rz. 50–56. 1260 M. Müller, EuZW 2016, 419, 421, 422. 1261 Mankowski, EWiR 2016, 547, 548.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Rechtsnachfolge anwendbare Recht? Drittens, liegt nach dem Statut einer potentiellen Rechtsnachfolge wirklich Rechtsnachfolge vor? Damit gewinnt man indes ein relativ klares, jedenfalls ein gut strukturiertes Frageprogramm.1262 5. Gerichtsstandsklauseln in Konnossementen 324
Besondere Bedeutung haben Gerichtsstandsklauseln in Konnossementen.1263 Im Verhältnis zwischen konnossementsmäßigem Verfrachter und erstem Konnossementsberechtigtem entsprechen sie, obwohl der Konnossementsberechtigte in aller Regel weder unterschrieben noch sonst ausdrücklich zugestimmt hat, den Anforderungen des Abs. 1 S. 3 lit. c.1264 Dies gilt auch für eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem Rektakonnossement, das im Namen auf die akkreditivstellende Bank lautet.1265 Gerichtsstandsklauseln in sea waybills sind entsprechend zu behandeln.1266
325
Weit verbreitet ist die Ansicht, Abs. 1 S. 3 lit. c rechtfertige die automatische Geltung der Gerichtsstandsklausel auch gegenüber späteren Konnossementsinhabern.1267 Diese Ansicht vermag aber nicht zu erklären, weshalb man sich über allgemeine Grundsätze der Bindung an rechtsgeschäftliche Erklärungen hinwegsetzen und weder einen eigenen Zustimmungsakt jenes späteren Inhabers noch eine Rechtsnachfolge verlangen sollte.1268 Alle drei Buchstaben des Abs. 1 S. 3 befassen sich über die Form hinaus nur mit Konsensfragen1269 im Verhältnis der ursprünglich Beteiligten zueinander; spezifisch für den letzten Buchstaben erhellt dies aus den subjektiven Anforderungen des Kennens oder Kennenmüssens.1270 Es ist nichts dafür ersichtlich, warum ausgerechnet lit. c darüber weit ausgreifend auch auf Drittbeziehungen zugeschnitten wäre.1271
326
Der richtige Weg führt vielmehr, wenn der Empfänger echter Dritter ist, über den Weg der Rechtsnachfolge:1272 Erstens muss die Klausel im Verhältnis der ursprünglichen Parteien des Konnosse-
1262 Mankowski, EWiR 2016, 547, 548 sowie Strikwerda, ned Jur 2016 Nr. 468 S. 6205, 6207. 1263 Die nachfolgenden Ausführungen gelten aber nicht für mindere Formen wie z.B. Seefrachtbriefe oder Forwarder’s Bills of Lading; Rb. Kh. Antwerpen ETR 2005, 687, 696. 1264 Oben Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 194 (Mankowski). 1265 CA Aix DMF 2010, 786, 788 f. m. Anm. Delebecque und Renard. Vgl. auch Cass., ETR 2014, 694, 699 f.: Im Konnossement genannter Versicherer des Versenders könne sich als Vertragspartei auf die Gerichtsstandsabrede berufen. 1266 CA Rouen DMF 2019, 791 note Piette; Trib. Genova Dir. Mar. 2016, 177; Frondoni, Dir. Mar. 2016, 179, 185. 1267 Z.B. BGHZ 171, 141, 149; Cassaz., Rev. Scapel 2013, 107, 108; OLG Stuttgart, TranspR 2004, 408, 410; LG Stuttgart, TranspR 2004, 406, 407 f.; Kropholler/Pfeifer, FS Nagel, 1987, 157, 165 f.; Stöve, 169–171; Samtleben, RabelsZ 59 (1995) 670, 707; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 122; Nagel/Gottwald, § 3 Rz. 151; Herber, TranspR 2004, 410, 412; Yildiz, Rev. Scapel 2013, 111, 114 -116; Legros, Clunet 142 (2015) 136, 139 f. A.A. aber ausdrücklich Hof Antwerpen, J.P.A. 2008, 112, 128. 1268 Mankowski, 254 f., 279 f.; Mankowski, ZZP 108 (1995) 272, 279; Mankowski, EWiR 2016, 547, 548 sowie Mohs, 45; s. auch M. Müller, EuZW 2016, 419, 423. 1269 Siehe besonders betont für lit. c Cassaz., Dir. mar. 110 (2008) 946, 965. 1270 Mankowski, ZZP 108 (1995) 272, 278 sowie Rinoldi, Dir. comm. int. 1989, 407, 412. 1271 Mankowski, ZZP 108 (1995) 272, 278 sowie Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 74 (1985) 391, 396. 1272 EuGH v. 19.6.1984 – 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 Rz. 24 f. – Partenreederei MS „Tilly Russ“ u. Ernst Russ vs. SA Haven- en Vervoerbedrijf Nova u. SA Goeminne Hout; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C: 1999:142 Rz. 41 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 Rz. 23 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV; Cass. v. 16.12.2008 – n° 07–18.834, JClP (G) 2009 II 10060; Cass. v. 16.12.2008 – n° 08–10.460, JClP (G) 2009 II 10060; Cass., DMF 2017, 1012, 1020 m. Anm. Delebecque; The „Duke of Yare“ [1992] 2 All ER 450, 457 (C.A., per Bingham L.J.); Hof ’s-Gravenhage, NIPR 2000 Nr. 134 S. 219 f.; Hof Antwerpen, RW 2009–2010, 1604, 1607; CA Aix-en-Provence, DMF 2008, 632; CA Aix-en-Provence, DMF 2014, 440, 443 m. Anm. Lecat; Rb. Kh. Brugge ETR 1992, 103, 105; Rb. Kh. Antwerpen ETR 2002, 442, 447; Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2002, 637, 638; Aud. Prov. Pontevedra AEDIPr 2004, 749, 750; LG Bremen, TranspR 2014, 199, 200; Rapport Lecaroz, Rev. Scapel 2013, 108, 111; Mankowski, 249; Mohs 45; Sonnabend, Der Einziehungsprozess nach Forderungspfändung im internationalen Rechtsverkehr (2007) 143; Garau Sobrino, REDI 2007, 277, 279; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 36; vgl. auch BGHZ 171, 141, 150.
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Kap. II: Zuständigkeit
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mentsverhältnisses zueinander wirksam vereinbart sein. Zweitens muss der spätere Konnossementsinhaber Rechtsnachfolger des ersten Berechtigten sein. Die Rechtsnachfolge beurteilt sich nach dem nationalen Recht, das auf den jeweiligen Übertragungsvorgang anwendbar ist. Es ist nicht Sache des nationalen Rechts festzustellen, ob der Dritte kraft Handelsbrauchs nach Abs. 1 S. 3 lit. c an die Gerichtsstandsklausel gebunden ist.1273 Das nationale Recht wird nur nach der Rechtsnachfolge gefragt. Es wird nicht nach prozessualen Formfragen gefragt. Die Existenz eines Handelsbrauchs, der sich über die Grundsätze der Rechtsnachfolge hinwegsetzen würde, ist zudem nicht zuzugestehen, schon weil dies mit der Rechtslage in vielen Staaten konfligieren würde.1274 Der im Konnossement angegebene Empfänger ist jedoch nicht notwendig Dritter in dem gemeinten Sinn. Vielmehr kann und wird der benannte Empfänger in aller Regel nach Maßgabe des Konnossementsstatuts1275 begünstigter Dritter aus dem Konnossement (bzw. dem Konnossementsbegebungsvertrag) sein. Als begünstigter Dritter ist er aber an die Gerichtsstandsklausel gebunden.1276 Ebenso ist er erst recht gebunden, wenn bereits der Ablader im Ausgangshafen bevollmächtigt in seinem Namen gehandelt hat. Der erste Konnossementsberechtigte ist in beiden Fällen Beteiligter des ursprünglichen Konnossementsverhältnisses. Für ihn ist eine Rechtsnachfolgekonstruktion nicht notwendig.1277 Dies ist auch dann nicht der Fall, wenn der Empfänger nach dem Konnossementsstatut dem Konnossementsverhältnis beitritt, denn dann ist er als Beitretender wie eine Ursprungspartei gebunden.1278 Zu Normen wie § 656 Abs. 1 HGB besteht daher kein Widerspruch.1279
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Nicht zu verlangen ist entgegen einer verfehlten, aber inzwischen aufgegebenen1280 Sonderentwicklung in der französischen Rechtsprechung1281 immer1282 eine ausdrückliche Zustimmung des Drittberechtigten, damit dieser gebunden wäre. Ein solches Erfordernis würde den Grundcharakter des Konnossements, dessen Handelbarkeit und dessen Funktion zutiefst stören.1283 Es entspringt abzulehnender Protektion für die nationale französische Importwirtschaft.1284 Es steht in diametralem Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des EuGH.1285 Ein Schwenk in der französischen Recht-
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1273 So aber Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 67. 1274 Contaldi, Riv. dir. int. priv. proc. 1999, 889, 911. 1275 Für dessen Maßgeblichkeit s. nur Rb. Rotterdam, S&S 2001 Nr. 63 S. 292; Mankowski, IPRax 1996, 427, 430 sowie Jiménez Blanco, El contrato internacional a favor de tercero (2002) 115 f., 209–218. 1276 Mankowski, IPRax 1996, 427; Rabe, TranspR 2000, 389, 394; Jiménez Blanco, REDI 1998 (2) 210, 212; Jiménez Blanco, El contrato internacional a favor de tercero (2002) 114 f.; vgl. auch Cassaz., Dir. mar. 104 (2002) 241, 245. 1277 Mankowski, 249; Rèmond-Gouilloud, DMF 1995, 339, 348; Delebecque, DMF 2000, 12, 14 f.; Rabe, TranspR 2000, 389, 392 f., 395. 1278 Brüssel Ia-VO Art. 25 EuGVVO Rz. 256. 1279 Dies übersieht Rabe, TranspR 2000, 389, 391 f. 1280 Richtig Cass. v. 16.12.2008 – n° 07–18.834, JClP (G) 2009 II 10060; Cass. v. 16.12.2008 – n° 08–10.460, JClP (G) 2009 II 10060; Cass., Rev. Scapel 2013, 107, 108; Cass., Clunet 142 (2015) 134 m. Anm. Legros; Cass., DMF 2015, 444 m. Anm. Sana-Chaillé de Néré; CA Paris DMF 2015, 329 mAm Amoussou; s. zuvor schon Cass., Rev. crit. dip. 92 (2003) 285 m. Anm. Lagarde = Clunet 131 (2004) 197 m. Anm. Huet = JCP G 2004, 841 m. Anm. Sinay-Cytermann; CA Rouen DMF 2006, 27 m. Anm. Delebecque. Zur Entwicklung Yildiz, Rev. Scapel 2013, 111, 112–114 mit umfangreichen Nachweisen. 1281 Cass. com., Rev. crit. dip. 81 (1992) 703, 705; Cass. com., Rev. crit. dip. 84 (1995) 610; Cass. com., Rev. crit. dip. 84 (1995) 611 („Westfield“); Cass. com., DMF 1995, 357 („Isla de la Plata“) m. abl. Anm. Tassel; Cass. com., Clunet 123 (1996) 141; Cass. com., DMF 1996, 393 („Nagasaki“); CA Caen, DMF 1997, 714 m. Anm. Rèmond-Gouilloud; CA Paris DMF 2001, 684 m. Anm. Nicholas. 1282 Vorbildlich aber CA Aix-en-Provence, DMF 2008, 632: Zuerst ausdrückliche eigene Zustimmung verneint, dann mögliche Bindung kraft Rechtsnachfolge geprüft. 1283 Siehe nur Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 74 (1985) 385, 395; Newton, 211; vgl. auch Aud. Prov., Vizcaya AEDIPr 2004, 755, 756. 1284 Newton, 219. 1285 EuGH v. 19.6.1984 – 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 Rz. 24 f. – Partenreederei MS „Tilly Russ“ u. Ernst Russ vs. SA Haven- en Vervoerbedrijf Nova u. SA Goeminne Hout; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C: 1999:142 Rz. 41 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 Rz. 23 – Coreck Maritime GmbH/Handelsveem BV.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen sprechung1286 führt auf die Linie des EuGH zurück und ist im Interesse des Handelsverkehrs sehr zu begrüßen, da er der Rechtssicherheit förderlich ist und nationale Sonderwege beendet.1287 329
Welches Recht die Frage nach der Rechtsnachfolge des späteren Konnossementsinhabers nach dem ersten Konnossementsberechtigten beherrscht, besagt die Brüssel Ia-VO nicht.1288 Die Übertragbarkeit von Recht und Bindung liegt außerhalb ihrer Reichweite.1289 Vielmehr erfolgt eine Verweisung auf das nach dem IPR des Forums anwendbare Recht. Zur Auswahl stehen die lex fori,1290 das Recht des Konnossementsausstellungsortes,1291 das Recht eines Indossamentsortes,1292 das Konnossementsstatut1293 oder ein eigenes Rechtsnachfolgestatut. Richtig ist es, ein eigenes Rechtsnachfolgestatut zu bilden.1294
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Bei Order- und Inhaberkonnossementen, bei denen das Recht aus dem Papier dem Recht am Papier folgt, ist die lex cartae sitae zum jeweiligen Übertragungszeitpunkt für den einzelnen Übertragungsvorgang maßgeblich.1295 Im Indossamentsfall stimmt dies mit der lex loci indossamenti überein.
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Bei Namenskonnessementen (straight bills of lading) gelten keine wertpapierrechtlichen Besonderheiten; die Übertragung von Ansprüchen ist eine Abtretung von Forderungen und unterliegt Art. 14 Rom I-VO.1296 Bei Namens- oder Rektakonnossementen ist das jeweilige Zessionsstatut maßgebend. Nach herrschender Auffassung zumindest in Deutschland ist Zessionsstatut nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO das Statut der zedierten Forderung. Eine weitere Auffassung will auf das Recht am Wohnsitz bzw. Sitz des Schuldners der zedierten Forderung abstellen. Richtigerweise ist Zessionsstatut dagegen das Zessionsgrundstatut des Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO.1297 Wenn das anwendbare Recht keine Rechtsnachfolge, sondern entweder keine Bindung oder einen Beitritt sieht (so etwa das belgische Recht1298), scheitert die Bindung qua Rechtsnachfolge.1299 Stimmt ein Kommissionär der Konnossementsgerichtsstandsklausel des Verfrachters zu, so bindet dies nicht ohne weiteres den Kommittenten.1300
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Eine besondere Konstellation betrifft den tatsächlichen Empfänger, der auch nicht im Konnossement ausgewiesen ist. Sofern er nicht qua Rechtsnachfolge in das Konnossementsverhältnis eingetreten ist und sofern er auch keine dem aktuellen Konnossemensberechtigten zuzurechnende Hilfsperson ist, gibt es keinen vertrags- oder wertpapierrechtlichen Modus, um ihn an die Gerichtsstandsklausel des Konnossements zu binden.1301 Sollte er allerdings dem Verfrachter einen Reversschein aussstellen und dieser Reversschein seinerseits eine Gerichtsstandsklausel enthalten, so ist er an diese Gerichtsstandsklausel gebunden.
1286 Cass. v. 16.12.2008 – n° 07–18.834, JClP (G) 2009 II 10060 = D 2009, 89 m. Anm. Delpech = D 2009, 972 m. Anm. Kenfack; Cass. v. 16.12.2008 – n° 08–10.460, JClP (G) 2009 II 10060. 1287 Kenfack, JClP (G) 2009 II 10060. 1288 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 Rz. 30 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV. 1289 Siehe nur Contaldi, Riv. dir. int. priv. proc. 1999, 889, 891. 1290 Dafür Bonassies, DMF 1985, 89, 93; Grégoire, R.D.C.B. 1985, 391, 398; Haß, EuZW 1999, 444 f. 1291 Dafür Libouton, RCJB 1990, 129, 160; Ancel, Riv. dir. int. priv. proc. 1991, 263, 292. 1292 Dafür van Ryn/Heenen, Principes de droit commerciale Bd. 42 (1988) 581 Fn. 1. 1293 Dafür Schultsz, Ned. Jur. 1984 Nr. 735 S. 2625; Linke, RIW 1985, 1, 7; Bischoff, Clunet 112 (1985) 159, 164; Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 81 (1992) 705, 706; Delebecque, DMF 2000, 12, 15; Delebecque, DMF 2001, 191, 194; Garow Sobrino, REDI 2005, 339, 341 f. sowie Cass. civ., DMF 2001, 994; CA Aix-en-Provence DMF 2014, 440, 443 note Lecat; Hof Antwerpen J.P.A. 1986, 133, 138. 1294 Mankowski, 262; Carbone, Lo spazio giudiziario europeo (2. Aufl. 1997) 150. 1295 Mankowski, 263; Mankowski, FS Herber, 1999, 147, 172. 1296 Cachard (2018) 24 JIML 389, 391 f. 1297 Eingehend Mankowski, FS Herber, 1999, 147, 177–184 mit umfangreichen Nachweisen. 1298 Art. 91 Zeewet. 1299 Hof van Cass., RABG 2011, 836, 847 m. Anm. van Doninck/Volders; Rb. Kh. Antwerpen, ETR 2005, 657, 664; Hof Antwerpen, ETR 2005, 704, 712–714 m. Anm. Verguts; Hof Antwerpen, RW 2009–2010, 1604, 1608 m. zust. m. Anm. Samyn; Jafferali, T.B.H. 2013, 357, 370; Dechamps, T.B.H. 2015, 35, 38. 1300 Delebecque, DMF 2014, 114, 116 sowie Cass., DMF 2014, 113, 114. 1301 Cass. v. 27.9.2017 – n° 15-25927; Legros, Petites Affiches n° 155, 3 août 2018, 7 f.
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In der Rechtspraxis enthalten Konnossemente in der Regel Gerichtsstandsklauseln, welche die Ge- 333 richte am Sitz des Verfrachters (carrier’s principal place of business) für zuständig erklären. Die Person des Verfrachters festzustellen kann indes Schwierigkeiten bereiten, wenn gleichzeitig eine sog. Identity of Carrier-Klausel enthalten ist. Für die Antwort auf die Frage, ob diese Klausel wirksam und wer Verfrachter ist, muss man auf das auf das Konnossement anwendbare materielle Recht zurückgreifen und danach eine rechtsgeschäftliche Kontrolle jener Klausel vornehmen.1302 Bei einem Widerspruch zwischen einer ausdrücklichen namentlichen Verfrachterbenennung und einer Identity of Carrier Clause sollte man – nach Maßgabe des Konnossementsstatuts – der individuellen Benennung den Vorrang geben1303 und die auf die Hauptniederlassung des Verfrachters abstellende Gerichtsstandsklausel nicht an Perplexität scheitern lassen.1304 Zu weit geht es, die Gerichtsstandsklausel außer Acht zu lassen, weil sich der principal place of business nicht einfach feststellen lasse.1305 Dem Bestimmtheitsgrundsatz ist genügt, da die herangezogenen objektiven Momente hinreichend klar sind, um einen Schluss zu erlauben.1306 Seefrachtbriefe sind keine Konnossemente. Trotzdem gilt für die Bindung des Empfängers an die in einem Seefrachtbrief enthaltene Gerichtsstandsklausel nichts anders als für den Empfänger beim Konnossement: Er ist gebunden, wenn er nach dem Statut des Seefrachtbriefs berechtigter Dritter aus einem Vertrag zugunsten Dritter ist oder nach Maßgabe des anwendbaren Rechts Rechtsnachfolger des ersten Berechtigten geworden ist oder wenn er sich qua eigener Willensentscheidung selber der Gerichtsstandsklausel unterworfen hat.1307
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6. Aufhebung oder Änderung einer Gerichtsstandsvereinbarung Den Parteien steht es frei, eine zwischen ihnen getroffene Gerichtsstandsvereinbarung wieder aufzuheben oder abzuändern.1308 Gerichtsstandsvereinbarungen sind Ausfluss der prozessualen Parteiautonomie, und den Parteien steht es – wie unter Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO bei der Rechtswahl im IPR – frei, ob und, wenn ja, wie sie von der ihnen eingeräumten Freiheit Gebrauch machen.1309 Sie können daher über ihre eigene Abrede verfügen. Staatliche Interessen stehen nicht entgegen.1310 Aufhebung oder Änderung sind jederzeit möglich.1311 Es gibt keine Zeitgrenze. Selbst seit Jahren, ja Jahrzehnten bestehende Gerichtsstandsvereinbarungen können die Parteien im Konsens aufheben oder ändern.
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Die Aufhebung bedarf als actus contrarius vel negativus grundsätzlich der Form des Art. 25 Brüssel Ia-VO. Denn auch insoweit bestehen Publizitätsinteressen, und die Rückgängigmachung sollte denselben Maßstäben genügen wie der positive Ausspruch. Allerdings ist nicht genau die Form einzuhalten, die zuvor für die aufzuhebende Gerichtsstandsabrede gewählt wurde, sondern es reicht eine Form des Art. 25 Brüssel Ia-VO. Im Prozess wird einer Gerichtsstandsabrede im Ergebnis formlos derogiert, indem eine Partei abredewidrig in einem eigentlich derogierten Forum klagt und der Beklagte keine Zuständigkeitsrüge erhebt.1312 Indes ist dies keine echte Aufhebung der Gerichtsstandsverein-
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1302 Mankowski, RabelsZ 58 (1994) 772, 774; Mankowski, 245; zustimmend BGHZ 171, 141, 146 f.; s. Hof ’sGravenhage, NIPR 2000 Nr. 134 S. 219; Nicolas, DMF 1997, 706, 713 sowie Hof ’s-Gravenhage, NIPR 1998 Nr. 124 S. 152 f. Strenger (keine Bindung durch Vertrag zu Lasten des ohne sein Zutun als Verfrachter bestimmten Dritten) Rb. Rotterdam, ETR 2014, 530, 539–541. 1303 So unter deutschem Recht BGH v. 22.1.1990 – II ZR 15/89, TranspR 1990, 163; BGH v. 4.2.1991 – II ZR 52/90, NJW 1991, 1420; Mankowski, TranspR 1991, 253 m.w.N. 1304 So aber Rb. Rotterdam, S&S 1996 Nr. 113 S. 405 f.; Rb. Rotterdam, S&S 2002 Nr. 73 S. 301; Rb. Amsterdam, S&S 2001 Nr. 26 S. 95; vgl. auch Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2000, 506, 507. 1305 So aber Hof ’s-Gravenhage, ETR 1998, 263, 265 f.; Rb. Rotterdam, S&S 1996 Nr. 111 S. 402 f.; Rb. Rotterdam, S&S 1996 Nr. 112 S. 404. 1306 Hof ’s-Gravenhage, S&S 2008 Nr. 115 S. 552. 1307 vWerder, TranspR 2005, 112, 113. 1308 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 127; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 672 f. 1309 Siehe nur Nourissat, Procédures mai 2016, 17, 18. 1310 Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 939. 1311 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 154. 1312 Siehe EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 Rz. 10 f. – Elefanten Schuh GmbH vs. Pierre Jacqmain; LG Frankfurt/M. v. 12.5.1993 – 3/2 O 97/92, RIW 1993, 933; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 128.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen barung im rechtsgeschäftlichen Sinn, sondern geht auf den insoweit bestehenden Vorrang des Art. 26 Brüssel Ia-VO vor Art. 25 Brüssel Ia-VO zurück. 336
Die Parteien können einseitige Widerrufs-, Rücktritts- oder Kündigungsrechte einer oder mehrerer Parteien hinsichtlich der Gerichtsstandsabrede vereinbaren. Auch insoweit wird ihre Parteiautonomie respektiert. In einer solchen Vereinbarung sind die Parteien grundsätzlich auch frei, Voraussetzungen und Fristen für die Ausübung eines vereinbarten Lösungsrechts zu definieren.
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Eine Änderung ist ihrerseits wieder eine Gerichtsstandsvereinbarung. Sie nimmt Einfluss auf den Gerichtsstand und vollzieht sich parteiautonom. Am Augenfälligsten ist dies, wenn die Parteien sich darauf verständigen, den ursprünglich gewählten Gerichtsstand jetzt durch einen anderen zu ersetzen (also z.B. statt des High Court in London das LG Hamburg für zuständig zu erklären). Daher muss eine Änderung materiell wie formell den Anforderungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO genügen.1313 Sie muss Mindestanforderungen an Bestimmtheit und rechtsgeschäftliche Klarheit genügen.1314 Sie unterliegt auch den Einschränkungen der Vereinbarungsfreiheit aus Art. 15, 16, 19, 23 Brüssel Ia-VO.1315
VI. Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung 1. Grundsätzlich ausschließlicher Gerichtsstand 338
Unter Art. 25 Brüssel Ia-VO ist ein vereinbarter Gerichtsstand grundsätzlich ein ausschließlicher Gerichtsstand,1316 d.h. dass allen objektiv begründeten Zuständigkeiten derogiert ist.1317 Abs. 1 S. 2 stellt dies ausdrücklich klar,1318 um Missverständnissen bei common law-Juristen zu begegnen1319 und den prinzipalen Zweck einer Gerichtsstandsvereinbarung sicherzustellen, das Streitforum eindeutig zu machen.1320 Dies läuft parallel zu Art. 3 lit. b HProrogÜbk 2005.1321 Jedes andere mitgliedstaatliche Gericht als das prorogierte muss sich für unzuständig erklären, wenn es die ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung für wirksam hält,1322 und (vorbehaltlich Abs. 4) die Derogation jedweder objektiv begründeter Zuständigkeit anerkennen. Gerichtsstandsvereinbarungen wollen grundsätzlich Konzentration nd so mittelbar die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen in konkurrierenden Fora bannen.1323
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Abs. 1 S. 2 stellt eine widerlegliche Vermutung und Zweifelsregel auf. Die unionseinheitsrechtliche Regelung setzt eine klare und Rechtssicherheit fördernde Marke.1324 Die Parteien brauchen das Wort „ausschließlich“ nicht zu verwenden, damit die vereinbarte Zuständigkeit eine ausschließliche ist.1325 Es ist nicht etwa automatisch und per se aus dem Fehlen eines „ausschließlich“ im Wortlaut der Vereinbarung zu schließen, dass die Gerichtsstandsvereinbarung keine ausschließliche wäre.1326 Im Ge1313 Ebenso wohl Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 63 (2005). 1314 Vgl. Sherdley v. Nordea Life and Pension SA [2012] EWCA Civ 88, [2012] 2 All ER Comm 725 [52], [54] (C.A., per Rix L.J.). 1315 Sherdley v. Nordea Life and Pension SA [2012] EWCA Civ 88, [2012] 2 All ER Comm 725 [57] (C.A., per Rix L.J.). 1316 Siehe nur EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 Rz. 24 – Jaouad El Majdoub vs. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH; EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 Rz. 28 – Höszig Kft vs. Asthom Power Thermal Services. 1317 Siehe nur Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2007, 181, 183; Trib. Liège J. trib. 2014, 682, 683. 1318 Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 654 f. sieht in Abs. 1 S. 2 allerdings eine eigene Quelle von Missverständnissen. Die Rechtspraxis bestätigt dies nicht. Abs. 1 S. 2 hat noch nie Anlass zu echten Problemen gegeben. 1319 Nachgerade erleichtert Re Vietnam Shipbuilding Industry Group [2013] EWHC 2476 (Ch.) [15], [2014] 1 BCLC 400 (Ch. D., David Richards J.) (aber immer noch unter absicherndem Hinweis auf die Autorität: Divey/Morris/Collins, Rz. 12–242). 1320 Droz/Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 90 (2001) 601, 641; Basler Komm/B. Berger Art. 23 LugÜ Rz. 61; Hohmeier, IHR 2014, 217, 223. 1321 Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 20. 1322 Siehe nur Aud. Prov. Madrid, AEDIPr 2013, 1036, 1038. 1323 Gaudemet-Tallon, Rev. crit. dip. 2019, 471, 472. 1324 E. Peiffer, 187. 1325 Layton/Mercer, Rz. 20.060; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 147.
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genteil wird es typischerweise dem zu unterstellenden Willen und Interesse der Paretein entsprechen, one shop stop adjudication zu vereinbaren, denn Rechtsstreitigkeiten sind teuer, zeitaufwendig und eine Distraktion von dem, was die Parteien eigentlich machen wollen.1327 Die Parteien können allerdings etwas anderes als einen ausschließlichen Gerichtsstand vereinbaren. 340 Auch dies ergibt sich unmissverständlich aus Abs. 1 S. 2.1328 Die Parteien können ausdrücklich vereinbaren, dass der prorogierte Gerichtsstand nur ein zusätzlicher, fakultativer oder optionaler Gerichtsstand sein soll oder dass nur einzelne objektiv begründete Zuständigkeiten abbedungen sein sollen.1329 Der Unterschied zu einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung liegt im Fehlen einer vollen Ausschlusswirkung.1330 Die Parteien können auch eine Zuständigkeitsspaltung zwischen den einzelnen Ansprüchen vorsehen; das ist aber eben im Zweifel nicht, sondern nur bei besonderen Anhaltspunkten anzunehmen.1331 Vereinbaren die Parteien expressis verbis eine „ausschließliche“ Zuständigkeit, so sind sie beim Wort zu nehmen, ebenso umgekehrt, wenn sie expressis verbis einen „nicht ausschließlichen“ Gerichtsstand vereinbaren.1332 Eine Formulierung, wonach eine oder jede Partei das Recht hat, ein bestimmtes Gericht anzurufen, spricht ebenfalls gegen eine ausschließliche Vereinbarung,1333 ebenso eine „other jurisdiction acceptance clause“.1334 Ansonsten mag es auf Nuancen der Fomulierung ankommen (insbesondere des Verbs), inwieweit auch versprochen wird, anderer Gerichte als die vereinbarten nicht anzurufen.1335 Allerdings muss der Wortlaut der Vereinbarung insgesamt klar und bestimmt genug sein, um die Vermutung des Abs. 1 S. 2 zu widerlegen.1336 Die Darlegungs- und Beweislast trifft die Partei, die entgegen der Vermutung eine lediglich fakultative Vereinbarung behauptet.1337
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Die Parteien können auch gestufte Gerichtsstandsvereinbarungen treffen. Des Weiteren können die Parteien vorsehen, dass mehrere Gerichte zur Wahl des Klägers unter Ausschluss aller anderen Gerichte zuständig sein sollen.1338 Parteiautonomie trägt dies, und dem positiven Gebot, nur in einem vereinbarten Forum zu klagen, lässt sich Genüge tun.1339 ErwGr. 22 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ist nicht einschlägig, da es keinen Konflikt zwischen meheren gerichtsstandsvereinbarungen gibt, sondern nur eine einzige Abrede.1340
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1326 Rb. Amsterdam, NIPR 2014 Nr. 174 S. 313. 1327 A. Briggs, Rz. 4.40; Hess, § 6 Rz. 142; E. Peiffer, 187; Elsner, StudZR 2019, 36, 47. 1328 Begrüßt z.B. von Trib. Liège J. trib. 2014, 682, 683; North (2002) 55 C.L.P. 395, 409; Behr in Bottke/Möllers/ Schmidt (Hrsg.), Recht in Europa (2003) 43, 49; Watté/Nuyts/Boularbah, J. trib. dr eur 2002, 167 n° 16; eingehend Fawcett [2001] L.M.C.L.Q. 234. 1329 EuGH v. 9.11.1978 – 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 Rz. 5 – Nikolaus Meeth vs. Fa Glacetal; OLG München v. 29.1.1980 – 25 U 3274/79, RIW 1982, 281; Insured Financial Structures Ltd. v. Electrocieplownia Tychy SA [2003] 2 WLR 656 (C.A.); Kurz v. Stella Musical VeranstaltungsGmbH [1992] Ch. 196, 203 (Ch. D., Hoffmann J.) = RIW 1992, 140 m. zust. Anm. Ebert-Weidenfeller; IP Metal Ltd. v. Route OZ SpA [1993] 2 Lloyd’s Rep. 60, 67 (Q.B.D., Waller J.); Gamlestaden plc v. Casa de Suecia SA [1994] 1 Lloyd’s Rep. 433 (Q.B.D., Potter J.); Hough v. P & O Containers Ltd. [1998] 2 Lloyd’s Rep. 318, 323 (Q.B.D., Rix J.); Lafi Office and International Business SL v. Meriden Animal Health Ltd. [2000] 2 Lloyd’s Rep. 51, 59 (Q.B.D., Judge Symons QC); Rb. Rotterdam, NIPR 2006 Nr. 63 S. 100; Rb. Rotterdam, NIPR 2009 Nr. 46 S. 103; Aud. Prov. Barcelona REDI 2009, 195 m. zust. Anm. Andreeva Andreeva; LG Kleve, IPRspr. 2016 Nr. 256 S. 612 f.; Draguiev, J. Int. Arb. 31 (2014) 19, 37. 1330 Keyes/B. A. Marshall, (2015) 11 JPrIL 345, 363; Merrett (2018) 14 JPrIL 38, 43 f. 1331 OLG München I, IPRspr. 2017 Nr. 51 S. 102. 1332 Merrett, (2018) 14 JPrIL 38, 45. 1333 Fasching/Konecny/Simotta, Art. 23 EuGVVO Rz. 59; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 35; Musielak/ Voit/A. Stadler, Rz. 2. 1334 Deutsche Bank AG v. Sebastian Holding [2009] EWHC 3069 (Comm) (Q.B.D., Burton J.); Merrett, (2018) 14 JPrIL 38, 46. 1335 BNP Baribas SA v. Anchorage Capital Europe LLP [2013] EWHV 3073 (Comm) [87]–[88] (Q.B.D., Males J.); Merrett (2018) 14 JPrIL 38, 46 f. 1336 OLG Stuttgart, IPRspr. 2010 Nr. 184a S. 458; Reithmann/Martiny/Hausmann, Rz. 6505; M. Lehmann/ A. Grimm, ZEuP 2013, 891, 893; Mankowski, ZMR 2019, 565, 569. 1337 OLG Hamm, IPRspr. 2017 Nr. 244 S. 468; E. Peiffer, 183. 1338 A.A. Keyes/B. A. Marshall, (2015) 11 JPrIL 345, 357 f. 1339 A.A. Keyes/B. A. Marshall, (2015) 11 JPrIL 345, 355 f. 1340 Zu kompliziert Keyes/B. A. Marshall, (2015) 11 JPrIL 345, 358–360.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 343
Halbseitig zwingende oder einseitig ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen, auch asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen genannt1341 oder One-Way Jurisdiction Clauses,1342 sind statthaft. Die Parteien können sie als Ausfluss ihrer prozessualen Autonomie vereinbaren.1343 Die Cour de Cassation hat dies in ihrer Rothschild-Entscheidung1344 ursprünglich anders gesehen, jene Linie aber – insbesondere in den nicht minder berühmt gewordenen Entscheidungen ICH/Crédit Suisse1345 und Apple/eBizcuss.com,1346 jedenfalls1347 aber in der affaire Diemme1348 – revidiert und revoziert.1349 Rothschild hatte keinerlei präzedentielle Bedeutung mehr, wenn es sie denn jemals gehabt haben sollte.1350 Die Orthodoxie hatte sich mit Recht durchgesetzt.1351 Aus dem Fehlen einer expliziten und spezifischen Erlaubnis kann man eben nicht auf ein Verbot schließen.1352
344
Allerdings scheint es im Finanzgewerbe für das Frankreich-Geschäft Anpassungen gegeben zu haben,1353 während die englischen Gerichte bei einer aufrechterhaltenden Linie blieben1354 und dadurch die praktischen Konsequenzen von Rothschild verminderten.1355 Mit der zweiten Entscheidung Crédit Suisse/ICH1356 und in der affaire Dexia1357 hat die Cour de Cassation zudem wieder 1341 Z.B. M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 891; Eichel, GPR 2014, 159, 161. Zu deren Behandlung in einzelnen nationalen Internationalverfahrensrechten s. die Beiträge in Keyes (Hrsg.), Optional Choice of Court Agreements in Private International Law (2019). 1342 Beale/Clayson [2013] JIBL 463. 1343 Siehe nur GA Wahl, Schlussanträge v. 5.7.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:541 Rz. 37; Cass., Rev. crit. dip. 2017, 483 m. Anm. Bureau; Cassaz. v. 11.4.2012 – n 5705; Hof ’s-Hertogenbosch ECLI:NL:GHSHE: 2013:4274; Hof Arnhem-Leeuwarden NIPR 2016, 200; CA Luxembourg Pas lux 2017, 195, 199 f.; Peiraios Polymeles No. 954/2016; Trib. arr Luxembourg 29.1.2014 – nos 127/14 u. 128/14; Commerzbank AG v. Liquimar Tankers Management Inc [2017] EWHC 161 (Comm) [79]–[81], [2017] 1 WLR 3497 (Q.B.D., Cranston J.); Perella Weinberg Partners UK LLP u. Perella Weinberg Partners (Europe) LP v. Coderes SA [2016] EWHC 1182 (Comm) (Q.B.D., Walker J.); Fentiman (2013) 72 Cambridge L.J. 24; Beale/Clayson [2013] JIBL 463; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 254 f. (2016); vgl. auch Mauritius Commercial Bank Ltd. v. Hestia Holdings Ltd. [2013] EWHC 1328 (Comm) [36], [2013] 2 Lloyd’s Rep. 131 (Q.B.D., Popplewell J.) (kein Brüssel I-Fall). A.A. Cass., Rev. crit. dip. 102 (2013) 256, 258 – Rothschild m. Anm. Bureau = Bull. civ. 2012 I n° 176 = D 2012, 2876 m. Anm. Martel = JClP 2013, 105 m. Anm. Degos/Akchoti = JCP E 2012 N° 41 m. Anm. Cornut = Clunet 140 (2013) 175 m. Anm. Brière = Rev. contrats 2013, 565 m. Anm. J Klein = ZEuP 2013, 890 m. Anm. M. Lehmann/A. Grimm; ebenso BulgOGH v. 2.9.2011 – Nr. 71 in Handelssache 1193/2010 (zitiert nach Cuniberti, Bulgarian Court Strikes Down One-Way Jurisdiction Clause, conflictoflaws.net 13.11.2012; M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 891) sowie für asymmetrische Schiedsklausel ObSchGH RSFR 19.6.2012 – N A40-49223/11-112-401 Russkaya Telephonnaya Kompaniya/Sony Ericsson Mobile Communications Rus LLC (zitiert nach L. D. Miller, 51 Texas Int’l L J 321, 330–332 [2016]). 1344 Cass., Rev. crit. dip. 2013, 256, 258 (affaire Rothschild) m. Anm. Bureau = Bull. civ. 2012 I n° 176 = D 2012, 2876 m. Anm. Martel = JClP (G) 2013, 105 m. Anm. Degos = JClP (E) 2012 N° 41 m. Anm. Cornut = Clunet 140 (2013) 175 m. Anm. Brière = ZEuP 2013, 890 m. Anm. M. Lehmann/A. Grimm; dazu P. Ancel/Cuniberti, J. trib. lux 2013, 7; Fentiman (2013) 72 Cambridge L.J. 24. 1345 Cass., JCP G 2015, 995 m. Anm. d’Avout; B. A. Marshall, ZEuP 2016, 515. 1346 Cass., D 2015, 811 = JCP G 2015, 600 m. Anm. d’Avout; Cass., D 2015, 2082 = JCP G 2015, 1123 m. Anm. Mailhé = Petites affiches N° 234, 24 novembre 205, 8 m. Anm. V. Legrand = Clunet 143 (2016) 929 m. Anm. Kleiner; weitere Nachweise bei Usunier, RTDCiv 2015, 844. 1347 An der Tragweite von eBizcuss.com noch zweifelnd Ciron, Resp civ. ass mars 2016, 11 f. 1348 Cass., Rev. crit. dip. 2017, 483 m. Anm. Bureau; dazu auch Lelouvier in Attal Rev. jur. Comm. 2017, 581, 586 f. Vgl. vorher schon Cass., ECLI:FR:CCASS:2015:C101053; dazu Dupoirier/Bouvard, Gaz Pal Nos 315 à 318, 11–14 novembre 2015, 19. 1349 Dasser, FS Kren Kostkiewicz, 2018, 21, 28 f. sowie M. Ahmed, (2017) 28 Eur. Bus. L. Rev. 403, 405, 410; Nourissat in Bourdeaux/Menjucq/Nourissat JCP E N° 40, 4 octobre 2018, 28, 33. Zurückhaltender Abendroth, WM 2017, 1786, 1787. 1350 Cobussen, NIPR 2017, 22, 28. 1351 Nourissat in Bourdeaux/Menjucq/Nourissat JCP G 2018, 1665, 1670. 1352 Reydellet, RLDA 106 (2015) 52, 54. 1353 Siehe Racine, Mélanges Bertrand Ancel (2018) 1323, 1342–1346. 1354 Mauritius Commercial Bank Ltd. v. Hestia Holdings Ltd. [2013] EWHC 1328 (Comm) (Q.B.D., Popplewell J.); Barclays Bank plc v. Ente nazionale di Previdenza ed Assistenza die Mecii e degli Odontoiatri [2015] EWHC 2857 (Comm) [124], [2015] 2 Lloyd’s Rep. 257 (Q.B.D., Blair J.). 1355 Garvey [2016] BJIBFL 6, 8. 1356 Cass., Clunet 145 (2018), 1166 m. Anm. M.-É. Ancel/Marion.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
keine Sympathie für einseitige Bevorzugungen einer Partei gezeigt.1358 Die französische Rechtsprechung scheint inzwischen zu divergieren, je nachdem, welche Kammer der Cour de Cassation entscheidet (Chambre commerciale liberal, Chambre Première civil restriktiv); allerdings scheint es bei einigen Klauseluntertypen doch Übereinstimmungen zu geben.1359 Klar ist dieses Bild aber nicht und keine Werbung für das französische Gerichtswesen.1360 Eine Partei hat bei einer asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung nur den vereinbarten Gerichtsstand (bzw. die vereinbarten Gerichtsstände1361) für Klagen, die anderen Parteien dagegen neben diesem weitere Möglichkeiten. Hinsichtlich der jeweiligen aktiven Rechtsverfolgung ist die Vereinbarung für die eine Partei exklusiv, für die anderen Parteien nicht exklusiv.1362 Nr. 38.1 des Multicurrency Term and Revolving Facilities Agreement der Loan Market Association z.B.1363 lautet: „(a) The courts of […] have exclusive jurisdiction to settle any dispute arising out of, or in connection with, this Agreement (including a dispute relating to the existence, validity or termination of this Agreement) (a ‚Dispute‘) […] (c) This Clause 38.1. is for the benefit of the Finance Parties only. As a result, no Finance Party shall be prevented from taking proceedings relating to a Dispute in any other court with jurisdiction.“ Ein anderes Beispiel bietet folgende Klausel: „Disputes between Bank and Client shall be subject to the exclusive jurisdiction of the courts of Luxemburg, though Bank reserves the right to bring proceedings before the courts of Client’s domicile, or before any other court which would have jurisdiction apart from this agreement.“1364
345
Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen sind zu einem beliebten Gestaltungsinstrument gerade im kommerziellen Geschäftsverkehr geworden,1365 insbesondere in der Finanzbranche.1366 Im Kreditwesen dienen sie Banken dazu, sicherzustellen, dass diese Banken immer am Sitz des Schuldners klagen können, aber auch – sofern sich ein passender Gerichtsstand finden lässt1367 – dort, wo das Vermögen des Schuldners ist, und dadurch das Kreditausfallrisiko zu minimieren, wodurch sich wieder die Bereitschaft zur Kreditvergabe erhöht.1368 Die Klausel dient dazu, sicherzustellen, dass die vereinbarten Gerichtsstände für die Bank nur fakultativ sind.1369 Sie ist Instrument des Durchsetzungsrisikomanagements.1370
346
Ob eine Partei eine ihr durch eine solche Vereinbarung eröffnete Option wahrnimmt, liegt ganz bei 347 dieser Partei. Sie kann dies tun, aber sie muss es nicht. Die Klausel will ihr gerade die Option an die Hand geben, auf dass sie ganz nach ihrem freien Willen verfahren kann. Die andere Partei hat dem zugestimmt. Die alternativ eröffneten Optionen sind entweder durch Vereinbarung ausgefüllt oder beziehen sich auf objektive Gerichtsstände aus dem europäischen System. ErwGr. 15 S. 1 Brüssel IaVO sieht deren hohe Vorsehbarkeit als ein Ziel der Brüssel Ia-VO. Daher kann man optionalen Gerichtsstandsvereinbarungen weder per se einen Mangel an Bestimmtheit vorwerfen1371 noch mangelnde Vorhersehbarkeit der Gerichtsstandsoptionen.1372 Optionen haben immer und notwendig 1357 1358 1359 1360 1361 1362 1363 1364 1365 1366 1367 1368 1369 1370 1371 1372
Cass., Clunet 145 (2018), 1167 m. Anm. M.-É. Ancel/Marion. M.-É Ancel/Marion, Clunet 145 (2018), 1168, 1169. M.-É Ancel/Marion, Clunet 145 (2018), 1168, 1172 f. M.-É Ancel/Marion, Clunet 145 (2018), 1168, 1176; vgl. auch Mailhé, Rev. dr. int. dr. comp. 2019, 431. H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 818 mit Beispiel aus LG Ulm v. 31.7.2014 – 4 O 66/13. Usunier, RTDCiv 2015, 844 (844). Ein anderes Beispiel aus dem Kreditwesen bietet LG Mainz v. 13.9.2005 – 10 HK. O 112/04, WM 2005, 2319 im Primacom-Fall. Zitiert nach Briggs [2013] L.M.C.L.Q. 137 (137; dort Fn. 3 der berechtigte Hinweis, dass die Bank in Luxemburg ansässig war und die Klausel deshalb weniger banklastig war, als es zunächst den Anschein hatte). Draguiev, J. Int. Arb. 31 (2014) 19, 44; Briggs [2014] L.M.C.L.Q. 132, 133. Beale/Clayson [2013] JIBL 463. H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 819. Fentiman (2013) 72 Cambridge L.J. 24; M. Ahmed (2017) 28 Eur. Bus. L. Rev. 403, 407. H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 818: Die begünstigte Partei darf vor allen zuständigen Gerichten klagen. Keyes/B. A. Marshall (2015) 11 JPrIL 345, 364. Freitag, FS Ulrich Magnus, 2014, 419, 420 f. So aber Cass., Rev. crit. dip. 102 (2013) 256, 258 – Rothschild m. Anm. Bureau = Bull. civ. 2012 I n° 176 = D 2012, 2876 m. Anm. Martel = LPA novembre 2012 S. 3 m. Anm. Mahinga = Rev Lamy dr civ. novembre 2012 S. 12 m. Anm. Le Gallou = JClP (G) 2013, 105 m. Anm. Degos = JClP (E) 2012.1065 m. Anm. Cornut = Clunet 140 (2013) 175 m. Anm. Brière = ZEuP 2013, 890 m. Anm. M. Lehmann/A. Grimm.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen etwas Potestatives, deshalb kann man ihnen die ihnen notwendig innewohnende Potestativität nicht zum Vorwurf machen.1373 Im Gegenteil drohte ein nach Ausmaß und Maßstäben konturierungsbedürftiges Element objektiver Bestimmbarkeit seinerseits Unsicherheit zu erzeugen.1374 348
Optionen unter Hinweis auf nationales Recht (z.B. Art. 1174 Code civil1375 oder ein allgemeines Prinzip, dass Vereinbarungen keinen caractère potestatif haben1376 und eine Partei nicht exzessiv begünstigen sollten1377) für unwirksam zu erklären geht schon methodisch nicht an, weil insoweit gar nicht auf nationales Recht verwiesen ist, sondern Art. 25 Brüssel Ia-VO die Statthaftigkeit selber klärt.1378 Art. 15 Nr. 2; 19 Nr. 2; 23 Nr. 2 Brüssel Ia-VO kennen bereits ex lege Konstellationen, in denen eine Partei durch eine Gerichtsstandsvereinbarung einseitig begünstigt wird und zusätzliche Optionen erhält; dann muss dies auch durch die Vereinbarung für sich möglich sein.1379 Obendrein liegt gar keine volle Bedingtheit vor; vielmehr sind für jede Partei ihre jeweiligen Optionen klar.1380 Auch Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO steht der Wirksamkeit einer asymmetrischen Klausel nicht entgegen.1381
349
Eine asymmetrische Klausel kombiniert einen ausschließlichen und einen zusätzlichen Gerichtsstand; beide Elemente sind für sich betrachtet erlaubt, und ihre Kombination beruht auf Autonomie.1382 Der Vorhersehbarkeit ist Genüge getan, denn auch eine optionale Prorogation muss dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen, auch wenn sie das letztendliche, hinreichend bestimmte Forum nicht abschließend festlegt.1383 Art. 25 Brüssel Ia-VO hat keinen anderen, eigenständigen Zweck1384 außer Rechts- und Gestaltungssicherheit herzustellen, und dem ist genügt.1385 Dies gilt für asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen nicht nur im Grundsatz und im Ausgangspunkt, sondern auch für alle ihre konkreten Ausgestaltungen, ohne dass einzelne von diesen in stärkerem Umfang bedroht wären als andere.1386 Eine Differenzierung nach Zuschnitt von Parteien oder Vertragsinhalt ist nicht veranlasst.1387 Abs. 1 S. 2 findet bei asymmetrischen Klauseln keine Anwendung.1388 Die Anerkennung
1373 Siehe Briggs [2013] L.M.C.L.Q. 137, 140 sowie Racine, Mélanges Bertrand Ancel (2018) 1323, 1327–1331; M.-É Ancel/Marion, Clunet 145 (2018), 1168, 1172 gegen Cass., Rev. crit. dip. 102 (2013) 256, 258 m. Anm. Bureau; BulgOGH v. 2.9.2011 – Nr. 71 in Handelssache 1193/2010 (zitiert nach Cuniberti, Bulgarian Court Strikes Down One-Way Jurisdiction Clause, conflictoflaws.net 13.11.2012; M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 891). Vgl. auch Martel, D 2012, 2876; Delebecque, RTDcom 2013, 383. 1374 M.-É Ancel/Marion, Clunet 145 (2018), 1168, 1175. 1375 Die Norm ist auf Leistungsverpflichtungen zugeschnitten und passt für Gerichtsstandsvereinbarungen nicht; M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 891, 895 sowie Niggemann, IPRax 2014, 194, 197. 1376 Zum näheren Verständnis Ghestin, Mélanges Weill (1983) 243; Valory, La potestativité dans les relations contractuelles (1999); Latina, Essai sur la condition en droit des contrats (2009) 214 ff.; Najjar, RTDciv 2012, 601; Freitag, FS Ulrich Magnus, 2014, 419, 421. 1377 Vgl. M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 891, 892 f. 1378 Bureau, Rev. crit. dip. 102 (2013) 259, 263; M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 891, 892; Freitag, FS Ulrich Magnus, 2014, 419, 423; Reithmann/Martiny/Hausmann, Internationales Vertragsrecht (8. Aufl. 2015) Rz. 8.117; Mankowski in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 97, 117; Cobussen, NIPR 2017, 22, 27 f.; Abendroth, WM 2017, 1786, 1789. 1379 M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 891, 900; vgl. auch Delebecque, RTDcom 2013, 383. 1380 Usunier, RTDCiv 2015, 844 (844). 1381 Perella Weinberg Partners UK LLP u. Perella Weinberg Partners (Europe) LP v. Coderes SA [2016] EWHC 1182 (Comm) [17] (Q.B.D., Walker J.); H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 851–855. Zur Anwendbarkeit des Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO bei asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen näher Abendroth, WM 2017, 1786, 1791 f.; M. Ahmed (2017) 28 Eur. Bus. L. Rev. 403, 421–424. 1382 M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 891, 899. 1383 Ähnlich M. Lehmann/A. Grimm, ZEuP 2013, 891, 901; B. A. Marshall, ZEuP 2016, 515, 519 f.; Racine, Mélanges Bertrand Ancel (2018) 1323, 1327–1331. 1384 Wie ihn Cass., Rev. crit. dip. 102 (2013) 256, 258 m. Anm. Bureau behauptet, ohne auszuführen, worin er denn liegen sollte. 1385 Bureau, Rev. crit. dip. 102 (2013) 259, 264. 1386 Für eine einzelfallbezogen-konkrete Missbrauchskontrolle dagegen H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 833–840. 1387 Entgegen Draguiev, J. Int. Arb. 31 (2014) 19, 45 sowie ansatzweise B. A. Marshall, ZEuP 2016, 515, 522 f. 1388 Hohmeier, IHR 2014, 217, 223.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
asymmetrischer Klauseln verschließt eine nicht wünschenswerte Möglichkeit zu taktischer Prozessführung und forum shopping.1389 Ungleichgewichte bei den Optionen der einzelnen Parteien in asymmetrischen Klauseln sind hinzunehmen. Eine Inhaltskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarung kennt Art. 25 Brüssel Ia-VO grundsätzlich nicht, jedenfalls nicht jenseits der Art. 15; 16; 19; 23 Brüssel Ia-VO. Das Eingreifen einer Kontrolle ist abhängig vom Zuschnitt der schwächeren Partei und deren Subsumierbarkeit unter bestimmte Kategorien.1390 Wer nicht in eine dieser Kategorien fällt, muss sein Glück in Verhandlungsmacht oder Verhandlungsgeschick suchen. Die Möglichkeit der Ablehnung verhindert insoweit kategorische Unfairness des Ergebnisses.1391 Es gibt keine Grundbedingung, dass ein Vertrag jenseits der Schutzregimes ausgewogen sein müsste.1392 Asymmetrische Klauseln reflektieren ungleiche Verhandlungsmacht der Parteien.1393 Noch einen Schritt weiter gehen optionale asymmetrische Schiedsklauseln, welche einer Partei einseitig das Recht geben, vor ein Schiedsgericht statt vor ein staatliches Gericht zu ziehen.1394
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Die Parteien können Streitentscheidung vor staatlichen Gerichten mit ADR kombinieren und eine Arb-Lit Clause vereinbaren1395 (wobei Abs. 1 S. 2 einen ausschließlichen Gerichtsstand beim vereinbarten staatlichen Gericht vermutet, wenn die vorgehende Stufe der Schiedsvereinbarung erst einmal passiert ist1396) oder eine Conciliation-Litigation Clause (Conc-Lit) oder eine Mediation-Litigation Clause (Med-Lit). Denkbar sind auch die umgekehrte Reihenfolge und damit eine [xxx]Lit-Arb Clause.1397 Jenseits von Art. 25 Brüssel Ia-VO und der Regulierung jedes [xxx]Lit-Teils enthält sich die Brüssel Ia-VO jeder eigenen Stellungnahme dazu, insbesondere aber jedweden Verbots.1398
351
Zwar prinzipiell statthaft, aber praktisch kaum je interessengerecht sind eine Teilung von Streitgegenständen und eine dysfunktionale Zuweisung von Teilgegenständen an verschiedene Streibeilegungsmechanismen.1399 Begegnen innerhalb eines Vertragsgeflechts mehrere inhaltlich einander widersprechende Dispute Resolution Clauses, so gilt Spezialitätsvorrang: Die Klausel in einem einzelnen Vertrag hat für diesen Vertrag Vorrang vor einer Klausel für die Gesamtbeziehung.1400
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Art. 25 Brüssel Ia-VO bleibt insgesamt seinem Prinzip treu, auf die Autonomie der Parteien abzustellen.1401 Durch Auslegung ist zu ermitteln, ob und, wenn ja, welche Optionen die Parteien offenhalten wollen. Sofern auf einen „allgemeinen Gerichtsstand“ abgestellt wird, sind damit nicht besondere Gerichtsstände aus Art. 7; 8 Brüssel Ia-VO offengehalten.1402
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Abs. 1 S. 2 trifft eine klare Aussage. Er ersetzt zugleich Art. 17 Abs. 5 EuGVÜ 1996; 17 Abs. 4 LugÜbk 1988.1403 Dieser Norm zufolge sollte eine Gerichtsstandsvereinbarung der begünstigten Partei keinen Gerichtsstand nehmen, sondern nur eine zusätzliche Option eröffnen, wenn sie allein zugunsten einer Partei getroffen ist. Derogativeffekt entfaltet eine solche Abrede also nur gegen eine Partei. Sie hinkt gleichsam, indem sie gegenüber den Parteien ungleiche Wirkungen entfaltet.1404 Aus Art. 17 Abs. 5 EuGVÜ 1996; 17 Abs. 4 LugÜbk 1988 entstand Unsicherheit.1405 Eine Gerichtsstandsverein-
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1389 1390 1391 1392 1393 1394 1395 1396 1397 1398 1399 1400 1401 1402 1403 1404 1405
Bureau, Rev. crit. dip. 2017, 484. d’Avout, JCP G 2015, 995, 997; Usunier, RTDCiv 2015, 844, 847 f. M. Ahmed (2017) 28 Eur. Bus. L. Rev. 403, 417. d’Avout, JCP G 2015, 995, 998; Usunier, RTDCiv 2015, 844, 848. Draguiev, J. Int. Arb. 31 (2014) 19, 26; L. D. Miller, 51 Texas Int’l L J 321, 324 (2016). López de Argumedo Piñeiro/Balsameda, Rev Club Español Arb. 19 (2014) 55, 56; L. D. Miller, 51 Texas Int’l L J 321, 323 f. (2016). CA Montpellier Gaz Pal 2014, 1863 m. Anm. Bensaude; Beraudo, Clunet 140 (2013) 741, 747. Übersehen von Beraudo, Clunet 140 (2013) 741, 747. Garnett (2013) 9 JPrIL 361, 363 f. Mankowski in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 97, 115 f. sowie Briggs, Agreements Rz. 4.53–4.58. Garnett (2013) 9 JPrIL 361, 365. Cass., Gaz Pal 2014, 1869 m. Anm. Bensaude. Boccafoschi, 107. Unverständlicherweise zweifelnd Rb. Rotterdam, NIPR 2009 Nr. 46 S. 103. Briggs [2013] L.M.C.L.Q. 137, 139. ZivG Basel-Stadt BJM 1998, 211, 214; Killias, 220 f. Besonders kritisch C. Kohler, IPRax 1986, 340.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen barung nur zugunsten einer Partei liegt im Zweifel nicht schon dann vor, wenn sie die Gerichte am Sitz einer Partei für zuständig erklärt.1406 355
Richtigerweise sollte man Art. 17 Abs. 5 EuGVÜ 1996; 17 Abs. 4 LugÜbk 1988 als nur deklaratorisches Aufzeigen einer weiteren Möglichkeit, die in der Autonomie der Parteien liegt, werten und ihm keine besondere inhaltliche Regelung (über das Erfordernis einer ausdrücklichen Begünstigung in der Sache hinaus)1407 zu entnehmen versuchen.1408 Die Zulässigkeit nur einseitig, d.h. nur einer Partei bindender Gerichtsstandsvereinbarungen ist so selbstverständlich, dass es der expliziten Zulassung durch Art. 17 Abs. 5 EuGVÜ 1996; 17 Abs. 4 LugÜ 1988 nicht mehr bedurfte.1409 Ein Umkehrschluss aus der Nichtübernahme von Art. 17 Abs. 5 EuGVÜ 1996; 17 Abs. 4 LugÜ 1988 ist nicht zu ziehen.1410 Im Gegenteil spricht die evolutive Entwicklung vom EuGVÜ zur Brüssel Ia-VO dafür, dass alles, was bereits unter dem EuGVÜ erlaubt war (seit Art. 17 Abs. 3 EuGVÜ 1968) und nicht nachher ausdrücklich zurückgenommen wurde, weiterhin erlaubt sein soll.1411
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So genannte reziproke Gerichtsstandsvereinbarungen („Gerichtsstand ist der Sitz des jeweiligen Klägers“ bzw. „des jeweiligen Beklagten“)1412 können zwar auch allein zusätzliche Gerichtsstände begründen,1413 werden jedoch bei Fehlen einer entsprechenden Formulierung typischerweise ausschließliche Gerichtsstände begründen.1414 Außerdem kann bei ihnen unter Umständen Abs. 4 einschlägig sein. Möglich ist auch die Vereinbarung der Zuständigkeit mehrerer Gerichte zur Auswahl dessen, der eine Klage erheben will. Entsprechende Abreden müssen aber nicht ausdrücklich getroffen sein, sondern können sich auch durch Auslegung konkludent aus dem gesamten zwischen den Parteien bestehenden Verhältnis ergeben, wenn hinreichend sichere und dokumentierte Grundlagen dafür bestehen.1415
357
Wie Art. 3 lit. c HProrogÜbk 2005 trifft Abs. 1 S. 2 eine eigene Aussage zur Ausschließlichkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen. Es erfolgt keine Verweisung auf die lex fori. Abs. 1 S. 2 macht zugleich klar, dass der sachliche Anwendungsbereich des Art. 25 Brüssel Ia-VO sich keineswegs – wie jener des HProrogÜbk 2005 ausweislich dessen Art. 1 Abs. 1 Brüssel Ia-VO – auf ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen beschränkt, sondern alle Gerichtsstandsvereinbarungen, ausschließliche wie fakultative, optionale oder bedingte, erfasst. 2. Sachliche Reichweite einer Gerichtsstandsvereinbarung a) Erfasste Ansprüche
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Die sachliche Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung, insbesondere ob sie nur vertragliche oder auch konkurrierende nicht-vertragliche Anspruchsgrundlagen erfassen soll, ist durch Auslegung zu ermitteln,1416 die sich idealiter nach europäisch-autonomen Maßstäben richtet.1417 Einen Grundsatz 1406 EuGH v. 24.6.1986 – 22/85, ECLI:EU:C:1986:255 – Rudolf Anterist vs. Crédit Lyonnais, EuGHE 1986, 1951, 1963 Rz. 16; CA Luxembourg Pas lux 2017, 414, 418. 1407 EuGH v. 24.6.1986 – 22/85, ECLI:EU:C:1986:255 – Rudolf Anterist vs. Crédit Lyonnais, EuGHE 1986, 1951, 1962 f. Rz. 15. 1408 ZivG Basel-Stadt, BJM 1998, 211, 215; C. Kohler, IPRax 1986, 340, 345; Killias, 226 f. 1409 Pocar-Bericht Nr. 106; Freitag, FS Ulrich Magnus, 2014, 419, 423 sowie Commerzbank AG v. Liquimar Tankers Management Inc [2017] EWHC 161 (Comm) [80], [2017] 1 WLR 3497 (Q.B.D., Cranston J.); Niggemann, IPRax 2014, 194, 198 f.; d’Avout, JCP G 2015, 995, 997; Usunier, RTDCiv 2015, 844, 846; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 148; Cobussen, NIPR 2017, 22, 32. 1410 Beale/Clayson [2013] JIBL 463 f.; Freitag, FS Ulrich Magnus, 2014, 419, 423; Abendroth, WM 2017, 1786, 1790. Entgegen Le Gallou, Rev Lamy dr civ. novembre 2012 S. 12; Berlioz, Rev. jur. Comm. novembre-décembre 2012 S. 21 f. 1411 Freitag, FS Ulrich Magnus, 2014, 419, 423; Reydellet, RLDA 106 (2015) 52, 54; H. Wais, RabelsZ 81 (2017) 815, 825. 1412 Dazu Schnyder, RabelsZ 47 (1983) 340. 1413 Siehe OLG München, IPRax 1985, 342; Jayme/Haack, IPRax 1985, 323. 1414 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 147; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 253 (2016). 1415 Teilweise abweichend Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 92. 1416 Vzngr. Rb. Maastricht NIPR 2008 Nr. 62 S. 103. 1417 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 143.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
der engen Auslegung von Gerichtsstandsvereinbarungen gibt es nicht.1418 Aus ErwGr. 11 Brüssel IaVO ergibt sich nichts anderes. Die Vertragsfreiheit der Parteien ist ein Gerichtsstandsvereinbarungen eigenes Moment. Es trägt seine Rechtfertigung in sich. Der Parteiwille wird zur tragenden Maxime. Die objektive Anknüpfung ist gerade durchbrochen. Daher geht es auch nicht an, Rechtsprechungslinien zu Art. 5 Brüssel I-VO (heute Art. 7 Brüssel Ia-VO) auf Art. 25 Brüssel Ia-VO zu übertragen und daraus einen Ausnahmecharakter der Gerichtsstandsvereinbarung als Institut abzuleiten.1419 Eng und streng auszulegen sind nur die Tatbestandsmerkmale der Formvorschriften in Abs. 1 S. 3.1420 Die Auslegung richtet sich als Tatfrage nach den Maßstäben des jeweils angerufenen Gerichts.1421 Dieses kann sich indes einer Verweisung auf das anwendbare materielle Recht bedienen.1422 In dessen Rahmen kann wiederum der Parteiwille eine entscheidende Rolle spielen.1423 Dabei ist auch zu berücksichtigen, inwieweit insbesondere eine außervertragliche Streitigkeit im Vorstellungsbild der Parteien lag und diesen daher ein entsprechender Regelungswille zu unterstellen ist.1424 Denkbare Alternativen als Statut der Auslegung wären die lex fori derogati1425 oder die lex fori proro- 359 gati.1426. Bei mehreren derogierten Gerichtsständen, wie sie sich bei Deliktsansprüchen aus Art. 4 Brüssel Ia-VO zum einen und Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zum anderen leicht ergeben können, würde eine Anwendung der lex fori derogati die Auslegung indes stark belasten, entweder durch Kumulation mit drohenden Widersprüchen oder durch Unsicherheiten wegen drohender Unterschiedlichkeit bei Entscheidung in verschiedenen Foren.1427 Die Anwendung der lex fori prorogati würde immerhin mit Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 parallel laufen.1428 Allerdings kann sie bei Einbindung der Gerichtsstandsvereinbarung in einen Vertrag zu unerwünschten Divergenzen zwischen Vertragsstatut und Recht des prorogierten Gerichtsstands führen.1429 Auf das Recht des Forums samt seinem IPR abzustellen, führt innerhalb Europas wegen des vereinheitlichten europäischen Kollisionsrechts der Rom I- und der Rom II-VO zu Entscheidungsgleichklang wenigstens für vertragliche und außervertragliche schuldrechtliche Gegenstände.1430
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Eine Auslegung nach den materiell-rechtlichen Regeln der lex fori1431 vertrüge sich dagegen kaum mit Art. 12 Abs. 1 lit. a Rom I-VO, zuvor Art. 10 Abs. 1 lit. a EVÜ (= Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB). Tendenziell sollte man den Parteien einen Willen zur Zuständigkeitskonzentration und zur Erfassung möglichst viele Ansprüche unterstellen.1432 Die Abgrenzung zwischen dem Zustandekommen der
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1418 British Sugar plc v. Fratelli Babbini di Lionello Babbini & Co SAS [2005] 1 Lloyd’s Rep. 332, 342, [2005] 1 All ER 55, 72 (Q.B.D., Judge Richard Seymour QC); Wurmnest, FS Ulrich Magnus, 2014, 567, 572; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 142. A.A. Vischer, FS Jayme, 2004, 993, 995; GA Jääskinen, Schlussanträge v. 18.10.2012 – C-543/10, ECLI:EU:C:2012:637 Rz. 51. 1419 So aber GA Jääskinen, Schlussanträge v. 18.10.2012 – C-543/10, ECLI:EU:C:2012:637 Rz. 51. 1420 Wurmnest, FS Ulrich Magnus, 2014, 567, 572 unter Hinweis auf EuGH v. 14.12.1976 – 24/76, ECLI:EU:C: 1976:177 Rz. 7 – Estasis Salotti di Colzani Aimo u. Gianmario Colzani Snc vs. RÜWA Polstereimaschinen GmbH; EuGH v. 14.12.1976 – 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 Rz. 6 – Galeries Segoura SPRL vs. Fa Rahim Bonakdarian. 1421 EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 Rz. 37 – Powell Duffryn plc vs. Wolfgang Petereit; EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 Rz. 31 – Francesco Benincasa vs. Dentalkit srl = JZ 1998, 896 m. Anm. Mankowski; BGH, IPRax 1999, 367 (dazu Dörner/A. Staudinger, IPRax 1999, 338); BioMedical Research Ltd. v. Delatex SA [2000] 4 IR 307, 317 (Irish S. C., Fennelly J.); Leo Laboratories Ltd. v. Crompton BV [2005] 2 ILRM 423, 432 = [2005] 2 IR 225, 239 (Irish S. C., Fennelly J.); Gebauer/Wiedmann/ Gebauer, Kap. 26 Rz. 114; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 655. 1422 Vgl. Provimi Ltd. v. Roche Products Ltd. [2003] 2 All ER (Comm) 683, 722, 730 (Q.B.D., Aikens J.); Aud. Prov. Pontevedra Span. Yb Int L XIII (2007) 263, 264; Bulst, EBOR 4 (2003) 623, 644; Vischer, FS Jayme, 2004, 993, 994; Heinze, RabelsZ 75 (2011) 581, 586; Wurmnest, FS Ulrich Magnus, 2014, 567, 574. 1423 Provimi Ltd. v. Roche Products Ltd. [2003] 2 All ER (Comm) 683, 722 (Q.B.D., Aikens J.). 1424 HG Zürich BlZürchRspr. 102 (2003) Nr. 66 S. 261; Mourre/Lahlou, RDAI 2005, 509, 529. 1425 Dafür Schack, Rz. 519. 1426 Dahin Mäsch, IPRax 2005, 509, 514. 1427 Wurmnest, FS Ulrich Magnus, 2014, 567, 573. 1428 Vgl. Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 655. 1429 Wurmnest, FS Ulrich Magnus, 2014, 567, 573 f. 1430 Wurmnest, FS Ulrich Magnus, 2014, 567, 574 sowie Abendroth, 185. 1431 Dahin Mäsch, IPRax 2005, 509, 514. 1432 Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 147 (2005).
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Gerichtsstandsvereinbarung (das soweit wie möglich nach Art. 25 Brüssel Ia-VO selber und autonomen Maßstäben zu beantworten ist) und der durch Auslegung zu ermittelnden Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung (die sich gegebenenfalls nach nationalem Recht richtet) ist schwierig.1433 Generell gilt die Maxime: Sobald es komplexer wird, reichen die aus Art. 25 Brüssel Ia-VO zu entwickelnden autonomen Maßstäbe nicht mehr aus, um zufriedenstellende Begründungen für Antworten zu liefern; dann sollte ein Rückgriff auf nationales Recht erlaubt sein. Für die Auslegung anwendbares Recht ist das auf den Gesamtvertrag anwendbare materielle Recht. 362
Nach deutschem Verständnis sind konkurrierende, insbesondere deliktische Anspruchsgrundlagen im Zweifel miterfasst,1434 jedenfalls soweit zwischen vertraglichen und deliktischen Anspruchsgrundlagen ein hinreichend enger Zusammenhang besteht.1435 Die nötige Vorhersehbarkeit ist dann gewahrt.1436 Selbst kartellrechtliche Ansprüche wären nach dem (relativ weiten) deutschen Verständnis erfasst,1437 ohne dass es auf eine Differenzierung danach ankäme,1438 inwieweit diese über reine Vertragsverletzungen hinausgehen.1439
363
Dies gilt auch für Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung und aus culpa in contrahendo.1440 Dass insoweit ein Vertrag das dominierende Element sein kann, hat der EU-Gesetzgeber in Art. 10 Abs. 1; 12 Abs. 1 Rom II-VO für das IPR durch entsprechende akzessorische Anknüpfung an das Statut des herrschenden Vertrags anerkannt. Für das einbeziehende Verständnis streitet bei deliktischen Ansprüchen ebenfalls eine Parallelwertung zum IPR, denn dort wird Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO regelmäßig zu einer akzessorischen Anknüpfung des Delikts- an das Vertragsstatut führen. Gemeinhin wird der Wille der Parteien auch dahin gehen, ihre Rechtsstreigkeiten möglichst konzentriert vor nur einem Gericht auszutragen, unabhängig von der Qualifikation der Anspruchsgrundlage. Gerichtsstandsvereinbarungen bieten ihnen die Möglichkeit, das Fehlen einer objektiven Annexkompetenz unter Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO und Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO durch parteiautonome Gestaltung auszugleichen.
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Auch nach englischem und irischem Verständnis streitet eine Orientierung am Horizont vernünftiger Kaufleute dahin, zumal eine separate Deliktsklage unökonomisch wäre und Zusammenhänge zu zerreißen drohte.1441 Kautelarjuristen sollten aber für eine entsprechend weite Formulierung der Gerichtsstandsklausel Sorge tragen, die auf der anderen Seite dem Bestimmtheitsgebot noch Genüge tut. Hinreichend klare und eindeutige Formulierungen sind gefragt.1442 Den Anforderungen für eine Einbeziehung deliktischer Ansprüche genügt z.B. eine Gerichtsstandsvereinbarung für „any controversy arising out or in connection with this Agreement“.1443 Haben die Parteien vor schlussendlichem Abschluss eines Vertrags bereits miteinander eine Rechtsbeziehung gepflegt, der Ansprüche aus Delikt 1433 Briggs, (2003) 74 BYIL 535, 537 f. 1434 OLG Stuttgart, EuZW 1991, 326 (dazu Roth, IPRax 1992, 67); OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894, 895; KG, AfP 1998, 74, 76; vFalkenhausen, RIW 1983, 420, 421 f.; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 38; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 122; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 151; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 98 m.w.N. sowie BGH, NJW 1965, 300; BAG, NJW 1970, 2180, 2181; OLG Stuttgart v. 8.11.2007 – 7 U 104/07, MDR 2008, 709. Siehe aber auch RG, JW 1918, 263; OLG Stuttgart, BB 1974, 1270; OLG Hamburg v. 12.2.1981 – 6 U 150/80, RIW 1982, 669 bei fraudulösem Verhalten einer Partei. 1435 OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901. 1436 GA Wahl, Schlussanträge v. 5.7.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:541 Rz. 35. 1437 OLG Stuttgart, EuZW 1991, 326 (dazu Roth, IPRax 1992, 67); KG, AfP 1998, 74, 76. 1438 Überzeugende Begründung bei Wurmnest, FS Ulrich Magnus, 2014, 567, 581. 1439 Für eine solche Differenzierung aber Vischer, FS Jayme, 2004, 993, 998; vgl. auch H. I. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht (2011) 226. 1440 OLG München, RIW 1989, 802; OLG Brandenburg, BeckRS 2014, 04896; LG Berlin, IPRax 2005, 261 m. Anm. Jayme; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 151; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 257 (2016); Hess, FS Prütting, 2018, 337, 340 f. 1441 Continental Bank NA v. Aeakos Compania Naviera SA [1994] 1 WLR 588, 592 f. (C.A., per Steyn L.J.); Leo Laboratories Ltd. v. Crompton BV [2005] 2 ILRM 423, 434 f. = [2005] 2 IR 225, 239 (Irish S. C., Fennelly J.); Clare Taverns trading as Durty Nelly’s v. Charles A Gill trading as Universal Business Systems [2000] 1 IR 286, 299 (Irish HC, McGuinness J.). 1442 Mankowski, RIW 2005, 561, 567. 1443 Rb. Rotterdam, NIPR 2013 Nr. 108 S. 159; M. Weller, WM 2013, 1681, 1682 sowie Airbus SA v. Generali Italia SpA [2019] EWCA Civ 805, [2019] 4 All ER 745 [58] (g) (C.A., per Males L.J.).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
oder culpa in contrahendo entstammen könnten, so liegt die Annahme nahe, dass eine weit formulierte Gerichtsstandsvereinbarung im Vertrag auch Ansprüche aus der Phase vor Vertragsschluss abdecken soll.1444 Eine Differenzierung danach, ob gesetzliche Ansprüche aus der Rechtsordnung der lex contractus oder aus einer anderen Rechtsordnung stammen, sollte man nicht vornehmen.1445 Wer ganz sicher gehen will, sollte eine erweiterte Fassung wählen, die außervertragliche Ansprüche expressis verbis einbezieht.1446 Eine zwingende zeitliche Eingrenzung, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung für deliktische Ansprü- 365 che erst nach deren Entstehung getroffen werden dürfte, ist aus Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht ersichtlich.1447 Zukünftige Delikte müssen vielmehr jedenfalls hinreichend bestimmbar sein.1448 Denkbar ist auch eine sachlich begrenzte Gerichtsstandsvereinbarung nur für Ansprüche, die sich aus Vertragsverhandlungen zwischen den Partein unabhängig vom positiven Ausgang dieser Verhandlung ergeben. Entsprechende Abrede sind insbesondere über Memoranda of Agreement, wenigstens insoweit konsentierte Letters of Intent oder andere Vereinbarungen speziell zur Strukturierung einer Verhandlungsphase denkbar. Eine eigene Gerichtsstandsvereinbarung für Ansprüche aus culpa in contrahendo ist eine bei komplexen Verhandlungen durchaus vorkommende Gestaltung. Ist einer Partei die Möglichkeit eines bestimmten Deliktskomplexes nicht bekannt, so kann kein Konsens jener Partei zu einer Gerichtsstandsvereinbarung über ebendiesen Komplex angenommen werden.1449 Ein Beispiel wären kartellrechtliche Schadensersatzansprüche des Abnehmers gegen seinen Verkäufer, der Mitglied eines Kartells ist, von welchem der Abnehmer bei Abschluss des Vertrags mit der Gerichtsstandsvereinbarung nichts weiß.1450 Dies gilt umso mehr, je weiter die betroffenen Vertriebsstufen voneinander entfernt liegen.1451
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Eine Maxime, dass grundsätzlich eine weite und großzügige Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung obwalten sollte,1452 ginge dagegen recht weit, zumal sie in gleichem Maße auf Kosten der objektiven Gerichtsstände ginge. One-stop-shop und one-stop-adjucation,1453 Entscheidung eines Gesamtkomplexes durch ein und dasselbe Gericht samt Verhindern einer Fragmentierung sind Desiderata und mögliche Leitmotive für die Vorstellungsbilder rationaler Akteure. Auch sie haben aber ihre Grenzen.1454
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Auslegung muss ebenfalls ergeben, inwieweit die Gerichtsstandsvereinbarung auch eine eventuelle Rückabwicklung des Hauptvertrages erfassen soll. Nach deutschem Verständnis ist dies ebenfalls im Zweifel zu bejahen, selbst wenn die Klausel ihrem Wortlaut nach nur „für alle Ansprüche aus diesem Vertrag“ gelten soll.1455 Klauseln, die sich auf die Vertragserfüllung beziehen, die Vertragsbeendigung nicht erfassen zu lassen1456 wäre sehr eng und in der Regel wenig interessengerecht.1457 Eine Klausel,
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1444 LG Düsseldorf, IPRspr. 2012 Nr. 178 S. 406. 1445 Vgl. aber auch Ryanair Ltd. v. Esso Italiana Srl [2013] EWCA Civ 1450, [2015] 1 All ER (Comm) 152 [42]–[49] (C.A., per Rix L.J.). 1446 Airbus SA v. Generali Italia SpA [2019] EWCA Civ 805, [2019] 4 All ER 745 [58] (g) (C.A., per Males L.J.). 1447 A.A. Vischer in Goldsmith (Hrsg.), The Regulation of Forum Selection (1997) 73; Goldsmith, FS Jayme, 2004, 993, 996. 1448 Vgl. OLG Hamburg v. 12.2.1981 – 6 U 150/80, RIW 1982, 669 f. 1449 Vischer, FS Jayme, 2004, 993, 998. 1450 H. I. Maier, Marktortanknüpfung im internationalen Kartelldeliktsrecht (2011) 226. 1451 Czernich/Geimer/Kodek, Teil 2 A II 2 Rz. 8. 1452 Dafür UBS AG v. HSH Nordbank AG [2009] EWCA Civ 585, [2009] 2 Lloyd’s Rep. 272, 285 [82] (C.A., per Lord Collins of Mapesbury) unter Hinweis auf Donohue v. Armco Inc. [2002] 1 All ER (Comm) 97 [14] (H.L.). 1453 Fili Shipping Co Ltd. v. Premium Nafta Products Ltd. („Fiona Trust“) [2007] UKHL 40 [6], [2007] Bus LR 1719 (HL, per Lord Hoffmann). 1454 Deutsche Bank AG London Branch v. Petromena [2015] EWCA Civ 226 [84], [2015] 1 WLR 4225 (C.A., per Longmore L.J.); ASA Microsoft Mobile Oy (Ltd.) v. Sony Europe Ltd. [2017] EWHC 374 (Ch.) [45] (Ch. D., Marcus Smith J.). 1455 Gottwald, FS Henckel, 1995, 295, 303; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 39; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 259 (2016). 1456 So Cass. com., Rev. crit. dip. 86 (1997) 736, 737 m. Anm. Gaudemet-Tallon = [1998] ILPr 189, 191. 1457 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 39.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen die sich auf „alle Ansprüche und Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Durchführung dieses Vertrages“ erstreckt, dürfte jedenfalls weit genug sein, alle denkbaren vertraglichen Streitigkeiten samt konkurrierender nicht-vertraglicher Ansprüche zu umfassen. Diese bewusst weite Formulierung verhindert eine Umgehung einer engeren Verfassung durch sog. Reframing,1458 indem Klagen auf außervertragliche Grundlagen, nicht auf Vertrag gestützt würden.1459 369
Gerichtsstandsvereinbarungen in ausfüllenden Einzelgeschäften unter einem Rahmenvertrag erfassen im Zweifel nur diese und färben nicht auf den Rahmenvertrag ab.1460 Bei einer Erneuerung des Rahmenvertrages dürfte allerdings eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung über Abs. 1 S. 3 lit. b auch für den neuen Rahmenvertrag anzunehmen sein, wenn die Gerichtsstandsvereinbarungen in den Einzelgeschäften immer nur zu ein und demselben Gerichtsstand geführt haben. Erst recht haben Gerichtsstandsvereinbarungen in den vermittelten Geschäften oder den Ausführungsgeschäften keinen Einfluss auf die Zuständigkeit für einen Vertragshändler- oder Handelsvertretervertrag.1461
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Generell gilt: Eine Klausel läuft schnell Gefahr, wörtlich verstanden zu werden. Dies kann insbesondere bei Klauseln in Verträgen misslich sein, die ihrerseits im Zusammenhang mit anderen Verträgen, mit konkurrierenden Ansprüchen oder mit komplexeren Strukturen stehen. Im Zweifel neigen ausländische Gerichte dann dazu, sich eng an den Wortlaut zu halten und den Worten ihre enge, wortsinnverhaftete Bedeutung beizulegen.1462 Wer dies vermeiden will, sollte entsprechend weitere Formulierungen wählen.
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Insbesondere bei komplexen Vertragsgeflechten aus einer Vielzahl miteinander in Verbindung stehender, aber nicht notwendig miteinander verflochtener Verträge ist zudem Sorge zu tragen, dass nicht mehrere in verschiedene Richtungen weisende Gerichtsstandsvereinbarungen in verschiedenen Teilverträgen eine sinnvolle Zuordnung erschweren.1463 Die Auslegung, welche Gerichtsstandsvereinbarung welchen Aspekt der Gesamttransaktion erfassen soll, muss sich nach den vernünftigerweise zu unterstellenden Intentionen der Parteien richten.1464
372
Vorrang hat jedenfalls der Versuch einer quasi-qualifikatorischen Abschichtung, wie weit die einzelnen Gerichtsstandsvereinbarungen überhaupt jeweils reichen wollen und ob sie wirklich miteinander kollidieren oder nicht doch sachlich nebeneinander operieren.1465
373
Die Parteien können die Reichweite einer Gerichtsstandsvereinbarung auch beschränken. Sie können ihr in negativer Ausgrenzung einzelne Ansprüche aus einer Rechtsbeziehung ausdrücklich entziehen. Sie können sie aber genauso gut in positiver Eingrenzung auf einzelne Ansprüche beschränken.1466 Dies ist zu beachten.1467 Es ist insbesondere bei sog. geteilten Gerichtsstandsvereinbarungen zu beachten, die vorsehen, dass für eine bestimmte Forderung ein bestimmter Gerichtsstand, für eine andere Forderung aber ein anderer Gerichtsstand bestehen soll.1468 1458 Perhorresziert von Microsoft Mobile Oy (Ltd.) v. Sony Europe Ltd. [2017] EWHC 374 (Ch.) [72] (Ch. D., Marcus Smith J.). 1459 Dasser, FS Kren Kostkiewicz, 2018, 21, 30. 1460 CA Paris [2000] ILPr 597, 599; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 39. 1461 Hoge Raad, [1992] ILPr 379; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 42a. 1462 Beispiel Rb. Rotterdam, NIPR 2005 Nr. 66 S. 109: „disputes under B/L“ soll Ansprüche aus Frachtvertrag nicht erfassen. 1463 Vgl. als Beispielsproblemfälle UBS AG v. HSH Nordbank AG [2008] ILPr 693 (Q.B.D., Walker J.), [2009] EWCA Civ 585, [2009] 2 Lloyd’s Rep. 272, 285 (C.A., per Lord Collins of Mapesbury); Satayam Computer Services Ltd. v. Upaid Systems Ltd. [2008] EWCA Civ 487, [2008] 2 All ER (Comm) 465 [93] (C.A., per Lawrence Collins L.J.); ACP Capital Ltd. v. IFR Capital plc [2008] ILPr 719 (Q.B.D., Beatson J.); dazu Lawrence [2008] 9 JIBFL 475 sowie Bruneau JClP (G) 2010, 816. 1464 Satyam Computer Services Ltd. v. Upaid Systems Ltd. [200]2 All ER (Comm) 465 [93] (C.A., per Collins L.J.); UBS AG v. HSH Nordbank AG [2009] EWCA Civ 585, [2009] 2 Lloyd’s Rep. 272, 285 [83] (C.A., per Lord Collins of Mapesbury). 1465 Monde Petroleum SA v. Westernzagroz Ltd. [2015] EWHC 67 (Comm) [35], [36], [2015] 1 Lloyd’s Rep. 330 (Q.B.D., Popplewell J.); Deutsche Bank AG v. Commune di Savona [2017] EWHC 1013 (Comm) [54] (Q.B.D., Judge Waksman QC); BNP Paribas SA v. Trattamento Rifiuti Metropolitani SpA [2018] EWHC 1670 (Comm) [39], [2018] 2 Lloyd’s Rep. 171 (Q.B.D., R Knowles J.); Hess, FS Prütting, 2018, 337, 343. 1466 OLG Stuttgart, RIW 2015, 762, 767: Eine Gerichtsstandsklausel in einem allgemeinen Kontoeröffnungsvertrag erfasst nicht cum-ex-Geschäfte.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Ist eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem Versicherungs-, Verbraucher- oder Arbeitsvertrag unwirksam, weil sie nicht unter einen der Erlaubnistatbestände aus Art. 15; 16; 19; 23 Brüssel Ia-VO fällt, so gilt dies für die Klausel in ihrer Gesamtheit und für alle von ihr sachlich erfassten Ansprüche. Eine teleologische Reduktion, dass die Klausel nur für die vertraglichen, aber nicht für die außervertraglichen Ansprüche unwirksam wäre, scheitert an der Wertung des Art. 6 Abs. 1 KlauselRL.1469
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Kein Gegenstand einer Gerichtsstandsabrede können Insolvenzanfechtungsansprüche sein.1470 Denn für sie gilt nicht das Regime der Brüssel Ia-VO, sondern kraft insolvenzrechtlicher Qualifikation jenes der EuInsVO 2015. Die (ausschließliche1471) Zuständigkeit aus Art. 6 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 aber ist rein objektiv und derogationsfest. Dies erstreckt sich auch auf die Zuständigkeit für negative Feststellungsklagen auf Nichtbestehen von Insolvenzanfechtungsansprüchen.1472
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b) Widerklage Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann sich auch auf eine Widerklage erstrecken und für diese eine 376 Zuständigkeit am prorogierten Forum mitbegründen.1473 Sie kann andererseits dem Widerklagegerichtsstand derogieren und den Beklagten zwingen, seine Forderung ausschließlich im prorogierten Forum geltend zu machen. Im Zweifel ist eine solche Wirkung anzunehmen,1474 weil anderenfalls die mit einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung üblicherweise gewollte Konzentrationswirkung für die betroffenen Ansprüche nicht erzielt würde.1475 Ist den Parteien nachher doch mehr an Prozessökonomie oder umfassender Klärung ihrer Streitigkeit in einem Verfahren gelegen, so hat der Kläger es in der Hand, durch rügelose Einlassung auf die Widerklage die Derogationswirkung der Gerichtsstandsabrede zu überspielen.1476 c) Einstweiliger Rechtsschutz Eine Gerichtsstandsvereinbarung für eine klagweise Geltendmachung bestimmter Ansprüche kann 377 auch Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes erfassen, welche der Sicherung dieser Ansprüche dienen. Daher kann sie auch im Eilverfahren Wirkung entfalten und eine Zuständigkeit des prorogierten Gerichts auch für Eilmaßnahmen begründen.1477 Dazu darf sie sich aber nicht darauf beschränken, eine Abrede für Hauptverfahren zu treffen; gefordert ist zumindest eine Vereinbarung, die Geltung für alle Streitigkeiten verlangt. Die Auslegung muss berücksichtigen, dass im Eilverfahren Schnelligkeit und Effizienz des Rechtsschutzes ein anderes Gewicht haben als im Hauptverfahren; der 1467 Sebastian Holdings Inc v. Deutsche Bank AG [2010] EWCA Civ 998 [42], [49], [2011] 1 Lloyd’s Rep. 106 (C.A., per Thomas L.J.); Credit Suisse First Boston (Europe) Ltd. v. MLC Bermuda Ltd. [1999] 1 Lloyd’s Rep. 767, 777 (Q.B.D., Rix J.). 1468 Hof Gent, T.B.H. 2006, 984, 986; Pertegás, T.B.H. 2006, 987, 988 f.; Hess, FS Prütting, 2018, 337, 343. 1469 M. Weller, WM 2013, 1681, 1682. 1470 LandesG Innsbruck, ecolex 2014, 789. 1471 GA Wahl, Schlussanträge v. 28.6.2018 – C-296/17, ECLI:EU:C:2018:515 Rz. 66; Prager/C. Keller, NZI 2013, 57, 59; P. Schulz, EuZW 2015, 596, 598; Norkus, ERA-Forum 2015, 197, 207; Wedemann, IPRax 2015, 505, 508; Mankowski in Mankowski/M. Müller/J. Schmidt, EuInsVO 2015 (2016) Art. 6 EuInsVO 2015 Rz. 27; Mankowski, NZI 2018, 996 f.; J. Schmidt, ZInsO 2018, 2629, 2631 sowie Thole, ZIP 2012, 605, 609; Thole, ZEuP 2014, 39, 60. A.A. Bork, FS Siegfried Beck, 2016, 49, 61; Bork/van Zwieten/Ringe, European Insolvency Regulation (2016) Art. 6 EIR Rz. 35. 1472 LandesG Innsbruck, ecolex 2014, 789. 1473 Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 17 EuGVÜ Rz. 86; Saenger, ZZP 110 (1997) 477, 496; Gebauer/ Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 123; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 155 sowie für konnexe Widerklagen Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 264 (2016). 1474 ÖstOGH, ZfRV 2000, 76; Hof Amsterdam, Ned. Jur. 1989 Nr. 233; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 98; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 40; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 155; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 111. A.A. Saenger, ZZP 110 (1997) 477, 496. 1475 A.A. für nicht konnexe Widerklagen Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 265 (2016). 1476 Saenger, ZZP 110 (1997) 477, 496. 1477 LG Dortmund, WuW 2018, 640 Rz. 66; Garber, Einstweiliger Rechtsschutz nach der EuGVVO (2011) 193 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 261 (2016); Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 117 f. sowie LG Dortmund v. 30.5.2018 – 8 O 10/18 Kart Rz. 62, 66 (insoweit nicht in ZVertriebsR 2018, 233).
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Gläubigerschutz kann insbesondere dagegen sprechen, dass einer Eilzuständigkeit in einem Staat, wo der Gegner vollstreckungsfähiges Vermögen hat, derogiert ist.1478 Im Zweifel soll das prorogierte Gericht die Kompetenz haben, Eilmaßnahmen zu erlassen.1479 Eine eigene Prorogation nur für Eilmaßnahmen erscheint ebenfalls denkbar.1480 378 Zweifelssätze lassen sich für die Derogationswirkung dagegen kaum aufstellen.1481 Denn es ist zu beachten, dass Art. 35 Brüssel Ia-VO für die Gerichtsstände des Eilverfahrens auf das nationale Recht verweist. Es ist Sache des nationalen Rechts, die Auslegung zu leiten,1482 ob seinen Gerichtsständen für das Eilverfahren derogiert wird und derogiert werden kann.1483 Hat das nationale Recht seine Gerichtsstände zwingend ausgestaltet, so kommt eine Derogation nicht in Betracht.1484 § 802 ZPO erfasst bei wörtlichem Verständnis auch die internationale Zuständigkeit für das Eilverfahren in Deutschland.1485 Indes hat er als Normalfall die eigentlichen Zwangsvollstreckungsverfahren und deren Rechtsbehelfsverfahren im Auge, und die Eilverfahren sind im Achten Buch der ZPO systematisch nicht richtig eingeordnet. Beides spricht gegen eine wörtliche Anwendung auf Eilverfahren.1486 Zumindest erscheint aber eine mittelbare Abbedingung insoweit denkbar, als im Rahmen des § 919 Var. 1 ZPO derogierte Hauptsachegerichtsstände nicht beachtet werden können.1487 3. Aufrechnungsausschluss Durch Auslegung sind auch weitere Wirkungen einer Gerichtsstandsabrede zu ermitteln. Insbesondere kann eine Gerichtsstandsvereinbarung auch ein Verbot enthalten, die Aufrechnung mit einem vor ein anderes Gericht gehörenden Anspruch zu erklären.1488 Dies ist ein rechtsgeschäftlicher materieller Bedeutungsgehalt, der deutlich von der prozessualen Wirkung der Gerichtsstandsvereinbarung zu trennen ist,1489 denn die Aufrechnungsbeschränkung richtete sich auch gegen eine außerprozessuale Aufrechnung. Die Auslegung muss klären, ob eine Beschränkung der Aufrechnung auf bestimmte Modalitäten gewollt ist.1490 380 Die Auslegungsmaßstäbe dafür sind dem auf die Aufrechnung anzuwendenden materiellen Recht zu entnehmen,1491 sofern das IPR des Forums – wie das europäische IPR in Art. 17 Rom I-VO – Auf379
1478 Eilers, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im europäischen Zivilrechtsverkehr (1991) 36; Schack, Art. 23 EuGVVO Rz. 417. 1479 CA Orléans Rev. crit. dip. 92 (2003) 326, 329 m. Anm. Audit = Clunet 131 (2004) 203 m. Anm. Huet; LG Dortmund v. 30.5.2018 – 8 O 10/18 Kart Rz. 67 (insoweit nicht in ZVertriebsR 2018, 233); Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 156 (2005); Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 28; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 152; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 120 sowie Vzngr. Rb. Arnhem NIPR 2004 Nr. 46 S. 102. 1480 Bandel, Einstweiliger Rechtsschutz im Schiedsverfahren (2000) 329 f.; Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 117 f. 1481 Entgegen BGE 125 III 451, 453; LG Dortmund v. 30.5.2018 – 8 O 10/18 Kart, WuW 2018, 640 Rz. 67; Geimer, WM 1975, 910, 912; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 196; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 103; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 262 f. (2016). Wie hier Kaye, 1088 f.; Gronstedt, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz (1994) 45 f.; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 157 (2005). 1482 Vgl. Vzngr. Rb. Zutphen NIPR 2004 Nr. 382 S. 506; LG Dortmund v. 30.5.2018 – 8 = 10/18 Kart Rz. 67. Anders Bandel, Einstweiliger Rechtsschutz im Schiedsverfahren (2000) 331–334: Art. 24 EuGVÜ (heute Art. 35 Brüssel Ia-VO) auch hier als unionsautonome Grenze. 1483 BGE 125 III 451, 454. 1484 Anders Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 192: Art. 25 Brüssel Ia-VO insoweit als Einschränkung des Art. 35 Brüssel Ia-VO. 1485 Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 104. 1486 H. Koch in Schlosser (Hrsg.), Materielles Recht und Prozessrecht und die Auswirkungen im Recht der Zwangsvollstreckung (1992) 171, 180; Schack, Rz. 417 f. 1487 OLG Stuttgart, RIW 2001, 228; Gronstedt, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz (1994) 44; Schack, Rz. 418. 1488 Eingehend dazu Badelt, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-spanischen Rechtsverkehrs (2005) 195–309 mit umfangreichen Nachweisen. Tendenziell anders aber Fasching/Konecny/Simotta, Art. 23 EuGVO Rz. 63; A. Burgstaller/Neumayr/Geroldinger/Schmaranzer/A. Burgstaller/Neumayr, Art. 23 EuGVVO Rz. 63 (2002); Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 114. 1489 Leipold, ZZP 107 (1994) 216, 217, 224; Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 378; Gebauer, IPRax 1998, 79 f.; a.A. Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 157.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
rechnung und Aufrechnungsbeschränkungen materiell-rechtlich qualifiziert.1492 Aufrechnungsstatut ist nach Art. 17 Rom I-VO (sowie nach Art. 6 EuInsVO 2000; 9 EuInsVO 2015) das Statut der Passivforderung, d.h. derjenigen Forderung, gegen die aufgerechnet wird bzw. der die Aufrechnung entgegengehalten wird. Dies gilt auch für ein eventuelles Konnexitätserfordernis.1493 In jedem Fall kann der Aufrechnungsgegner durch rügeloses Eintreten auf die Aufrechnung über Art. 26 Brüssel Ia-VO sowohl die Gerichtsstandsvereinbarung als auch die damit verbundene Ausschlusswirkung überspielen.1494
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Die Grundsätze der Waffengleichheit und der Prozessökonomie können unter deutschem materiel- 382 lem Recht dagegen sprechen, einer Gerichtsstandsvereinbarung eine die Aufrechnung beschränkende Wirkung zu entnehmen.1495 Gar eine wegweisende Vermutung, dass unter deutschem Recht aus der Gerichtsstandsvereinbarung im Zweifel ein Aufrechnungsverbot abzuleiten sei,1496 stößt sich an der Vielzahl möglicher Motive hinter der Gerichtsstandsvereinbarung.1497 Jedenfalls erscheint eine einzelfallabhängige Auslegung unter Berücksichtigung der konkreten Interessenlage vorzugswürdig.1498 Lässt sich der Aufrechnungsgegner trotz eigentlich bestehendem Aufrechnungsverbot auf die Aufrechnung ein, so kann darin eine stillschweigende Aufhebungsvereinbarung jedenfalls für das Aufrechnungsverbot liegen.1499 Vorausschauende Vertragsparteien sind jedenfalls gut beraten, wenn sie ein Aufrechnungsverbot explizit aufstellen.1500 4. Wirkungen gegenüber Dritten a) Grundsatz: Relativität, keine Drittwirkung Als Vereinbarung wirkt die Gerichtsstandsabrede grundsätzlich nur im Verhältnis der Parteien zueinander.1501 Gerichtsstandsvereinbarungen sind eben Vereinbarungen und beruhen auf Konsens als ihrer Legitimationsgrundlage.1502 Wer ihr nicht zugestimmt hat, ist nicht gebunden.1503 An ihnen
1490 EuGH v. 9.11.1978 – 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 Rz. 8 – Nikolaus Meeth vs. Fa Glacetal; BGH, NJW 1979, 2478; LG Berlin, IPRax 1998, 97, 99; vFalkenhausen, RIW 1982, 387, 388; Gottwald, IPRax 1986, 10, 12; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 269 (2016). 1491 BGH, NJW 1979, 2478; Mansel, ZZP 109 (1996) 61, 75; P.-A. Brand, IPRax 2019, 294, 295. A.A. Gebauer, IPRax 1998, 79, 81; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 124: Statut der Aktivforderung. 1492 Mankowski, ZZP 109 (1996) 376, 378; Gebauer, IPRax 1998, 79, 81 sowie Rauscher, RIW 1985, 887, 888. 1493 EuGH v. 7.3.1985 – 48/84, ECLI:EU:C:1985:105 Rz. 22 – Hannelore Sommer vs. Spitzley Exploitation SA; Rauscher, RIW 1985, 887, 888; Gottwald, IPRax 1986, 10. 1494 EuGH v. 7.3.1985 – 48/84, ECLI:EU:C:1985:105 Rz. 19-21 – Hannelore Sommer vs. Spitzley Exploitation SA; P.-A. Brand, IPRax 2019, 294, 295 f.; s. auch J. Mohamed, ZZP Int 22 (2017) 255, 265 f. 1495 LG Berlin, IPRax 1998, 97, 99 m.w.N.; Gebauer, IPRax 1998, 79, 82; J. Mohamed, ZZP Int 22 (2017) 255, 261 sowie Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1998) 194–199. 1496 Dafür namentlich BGH, NJW 1979, 2477 f. m.w.N.; OLG Hamm, RIW 1999, 787 f. 1497 Siehe OLG Hamburg, AWD 1973, 101 f.; LG Berlin v. 19.3.1996 – 102 O 261/95, RIW 1996, 960, 963; Busse, MDR 2001, 729, 732. 1498 OLG München, NJOZ 2017, 796; J. Mohamed, ZZP Int 22 (2017) 255, 264. 1499 Vgl. OLG Koblenz, IPRspr. 1999 Nr. 109 S. 268. 1500 A. Schreiber, NJ 2017, 81, 82. 1501 Siehe nur EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 Rz. 64 – Cartel Damages Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA vs. Akzo Nobel NV; EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 Rz. 35 – Georgios Leventis u. Nikolas Vafeias vs. Malcon Navigation Co Ltd. u. Brave Bulk Transport Ltd.; EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 Rz. 22 – Apple Sales International, Apple Inc. u. Apple Retail France SARL vs. MJA als Liquidator von eBizcuss.com; BGH v. 26.3.2019 – XI ZR 228/17, ZIP 2019, 1160 Rz. 30; Antón Juárez, Cuad. Der. Trans. 8 (2) (2016) 349, 356; Lüttringhaus, LMK 2017, 395598; Mankowski, IPRax 2018, 233, 234; Dominelli, Dir. mar. 2018, 389, 395–397; Sakka, Der Konzern im Kompetenzrecht der EuGVVO (2019) 164. 1502 Siehe nur EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 Rz. 26 – Jaouad El Majdoub vs. CarsOnTheWeb.Deutschland GmbH; EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 Rz. 24 – Profit Investment SIM SpA vs. Stefano Ossi u.a. 1503 EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 Rz. 37 – Georgios Leventis u. Nikolas Vafeias vs. Malcon Navigation Co Ltd. u. Brave Bulk Transport Ltd.; AMT Futures Ltd. v. Marzillier, Dr Meier & Dr Guntner
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen nicht Beteiligte binden Gerichtsstandsvereinbarungen grundsätzlich nicht; umgekehrt können sich an ihnen nicht Beteiligte gemeinhin nicht auf sie berufen. Es gilt die Maxime Pacta inter alios acta aliis nec nocent nec prosunt.1504 Vor allem gibt es keine Bindung zu Lasten Dritter.1505 384
Insbesondere wirkt eine Gerichtsstandsabrede bei mehreren Streitgenossen (Mitklägern oder Mitbeklagten) nur für und gegen diejenigen, die sie abgeschlossen haben.1506 Eine Differenzierung nach einfacher oder notwendiger Streitgenossenschaft nach Maßgabe der nationalen Prozessrechte wäre in Art. 25 Brüssel Ia-VO kaum seriös zu verankern.1507 Die Relativität von Gerichtsstandsabreden schließt z.B. aus, dass sie bei Gläubigeranfechtungsklagen greifen können.1508
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Erst recht kann eine Gerichtsstandsklausel in AGB keine Wirkung gegenüber Dritten entfalten, wenn sie ersichtlich nur auf eine Relativbeziehung mit dem direkten Vertragspartner zugeschnitten ist.1509 Z.B. gilt die Gerichtsstandsklausel aus einem Bankvertrag nicht für interne Streitigkeiten zwischen den Co-Kontoinhabern.1510 b) Vertrag zugunsten Dritter
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In besonderen Konstellationen (also keineswegs immer oder auch nur regelhaft1511) kann eine Gerichtsstandsvereinbarung indes auch Wirkung für oder gegen Dritte entfalten: Der begünstigte Dritte aus einem Vertrag zugunsten Dritter kann sich auf eine Gerichtsstandsvereinbarung berufen.1512 Dabei muss im Verhältnis zum Dritten dieser selber weder konsentiert noch die Form gewahrt haben.1513 Andererseits muss er diese Gerichtsstandsabrede auch gegen sich gelten lassen, weil er die Forderung nur in der Gestalt erhalten hat, wie sie begründet wurde, unter Einschluss aller Einschränkungen, denen ihre Durchsetzung unterliegt.1514
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Anders gestaltet sich die Lage indes beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte,1515 der funktionell mindestens deliktsnah ist und bei dem man sich ernsthaft die Frage stellen kann, ob er vertraglich1516 oder nicht-vertraglich1517 zu qualifizieren ist.
1504 1505 1506
1507 1508 1509 1510 1511 1512
1513 1514 1515 1516 1517
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Rechtsanwaltsgesellschaft mbH [2017] UKSC 13 [33], [2018] AC 439, [2017] 2 WLR 853 (S. C., per Lord Hodge JSC). Mankowski, LMK 2017, 393972; Mankowski, IPRax 2018, 233, 234; Mankowski, TranspR 2018, 221, 228. Sie nur OGH, ÖJZ 2017, 973. OLG München I, IPRspr. 2017 Nr. 51 S. 105 f.; O’Malley/Layton, Rz. 17.80; Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 8 EuGVVO Rz. 7; Yessiou-Faltsi, FS Geimer zum 65. Geb., 2002, 1547, 1556 f.; vgl. auch Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2001, 898, 899; Aud. Prov. Barcelona AEDIPr 2001, 932, 934; García Gutiérrez, AEDIPr 2001, 935, 936–938. Vgl. aber Yessiou-Faltsi, FS Geimer zum 65. Geb., 2002, 1547, 1558 f., 1567. Mankowski, EWiR 2018, 701, 702; Dostal, IHR 2019, 89, 93. Rb. Rotterdam, NIPR 2004 Nr. 157 S. 253. Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 2014, 633, 634 f. Bollée, D 2013, 1110, 1111. EuGH v. 14.7.1983 – 201/82, ECLI:EU:C:1983:217 – Gerling Konzern Speziale Kreditversicherungs-AG vs. Amministrazione del tesoro dello Stato, EuGHE 1983, 2503, 2515–2517 Rz. 14–19; U. Hübner, IPRax 1984, 237; Geimer, NJW 1985, 533; Gebauer, FS Schütze zum 80. Geb., 2014, 95, 105. Am Beispiel einer sea waybill mit Gerichtsstandsklausel und sog. Himalaya Clause, welche die Bedingungen zugunsten von Stauern und Umschlagunternehmen erstreckte, Trib. Genova Dir. Mar. 2016, 177; Frondoni, Dir. Mar. 2016, 179, 185 f. EuGH v. 14.7.1983 – 201/82, ECLI:EU:C:1983:217 – Gerling Konzern Speziale Kreditversicherungs-AG vs. Amministrazione del tesoro dello Stato, EuGHE 1983, 2503, 2516 f. Rz. 14, 19. CA Aix-en-Provence VersR Auslandsbeilage 1995, 57; Mankowski, IPRax 1996, 427, 431; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 127 (2016); Mankowski, TranspR 2018, 221, 229; Sakka, Der Konzern im Kompetenzrecht der EuGVVO (2019) 165. Gebauer, FS Schütze zum 80. Geb., 2014, 95, 105 f. Dafür z.B. Knöfel in NomosKommentar BGB, Bd. 6: Rom-Verordnungen (3. Aufl. 2019) Art. 1 Rom II-VO Rz. 4; Spellenberg in MünchKomm/BGB, Bd. 11 (8. Aufl. 2020) Art. 12 Rom I-VO Rz. 63. Dafür insbesondere Dutta, IPRax 2009, 293, 294 f.; von Hein in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 1 Rom I-VO Rz. 10 sowie Martiny, FS Ulrich Magnus, 2014, 483, 492.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
c) Rechtsnachfolger Ebenso kann sich der Rechtsnachfolger einer Partei in eine Forderung, die einer Gerichtsstandsabrede unterliegt, auf diese berufen und ist ihr andererseits unterworfen; die Rechtsnachfolge selbst richtet sich nach dem anwendbaren materiellen Recht.1518 Dies gilt auch für Erben und sonstige Gesamtrechtsnachfolger1519 (z.B. Gesellschaften, auf vershcmolzen wird1520). Vorausgesetzt ist jeweils, dass die Gerichtsstandsabrede im Verhältnis der Vertragsparteien zueinander wirksam und formgerecht zustande gekommen ist.1521 Für das subjektive Moment in Abs. 1 S. 3 lit. c kommt es nur auf Kenntnis oder Kennenmüssen seitens der ursprünglichen Parteien an.1522
387
d) Bürgschaft Für die Bindung wie für die Begünstigung des Dritten kommt es in den genannten Konstellationen nicht darauf an, dass er eine eigene Zustimmungserklärung abgegeben hätte. Die Gerichtsstandsabrede des Hauptvertrages wirkt auf eine sichernde Bürgschaft jedoch nicht automatisch über.1523 Wollen die Parteien Gleichlauf, so müssen sie eine parallele Gerichtsstandsabrede auch in die Bürgschaft aufnehmen.1524 Ebenso wenig kann umgekehrt eine Gerichtsstandsvereinbarung aus der Bürgschaft für den Hauptvertrag gelten.1525
388
e) Direktansprüche in Vertragsketten Für Direktansprüche in Vertragsketten, wie sie prominent insbesondere1526 das französische Recht 389 kennt, gelten Gerichtsstandsvereinbarungen nur dann,1527 wenn die Beteiligten ihnen zugestimmt haben oder nach dem anwendbaren nationalen Recht an sie gebunden sind.1528 Statut des Direktanspruchs ist nicht die Kumulation aller Vertragsstatute,1529 sondern vorzugsweise das Statut desjenigen Vertrages, an welchem der Beklagte beteiligt ist.1530 Besteht keine solche Bindung, so ist die Gerichtsstandsvereinbarung für die Kettenglieder, die an ihr nicht beteiligt sind, unverbindlich.1531 1518 EuGH v. 19.6.1984 – 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 Rz. 24 f. – Partenreederei MS „Tilly Russ“ u. Ernst Russ vs. SA Haven- en Vervoerbedrijf Nova u. SA Goeminne Hout EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C: 1999:142 Rz. 41 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA; EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 Rz. 23 – Coreck Maritime GmbH vs. Handelsveem BV; Gebauer, FS Schütze zum 80. Geb., 2014, 95, 104 f. 1519 Zustimmend Melcher, GPR 2017, 246, 250. Ebenso Fetsch, ZEV 2005, 425, 426 f.; Abendroth, 191 f.; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 37. 1520 Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 37. 1521 EuGH v. 14.7.1983 – 201/82, ECLI:EU:C:1983:217 Rz. 20 – Gerling Konzern Speziale KreditversicherungsAG vs. Amministrazione del tesoro dello Stato; EuGH v. 19.6.1984 – 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 Rz. 26 – Partenreederei MS „Tilly Russ“ u. Ernst Russ vs. SA Haven- en Vervoerbedrijf Nova u. SA Goeminne Hout; U. Hübner, IPRax 1984, 237. 1522 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 – Trasporti Castelletti Spedizioni Internazionali SpA vs. Hugo Trumpy SpA, EuGHE 1999 I 1597, 1654 Rz. 42. 1523 Rb. Rotterdam, NIPR 2001 Nr. 56 S. 122 f. 1524 Beispiel: Rb. Arnhem NIPR 2001 Nr. 291 S. 484. 1525 Rb. Rotterdam, S&S 2015 Nr. 126 S. 771. 1526 Vgl. aber auch GA Jääskinen, Schlussanträge v. 18.10.2012 – C-543/10, ECLI:EU:C:2012:637 Rz. 24. 1527 Strenger Cass., Bull. civ. 1994 IV n° 292 = Rev. crit. dip. 84 (1995) 721 m. Anm. Sinay-Cytermann; Cass., Rev. crit. dip. 89 (2000) 224 m. Anm. Leclerc; Cass., JurisData n° 2009–047412; Cass., JurisData n° 2009–048701. 1528 Cass., Clunet 142 (2015) 1168 note Mathieu = [2015] ILPr 722, 724; Laazouzi, Rev. contrats 2014, 434, 437; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 162; eingehend Beaumart, Haftung in Absatzketten im französischen Recht und im europäischen Zuständigkeitsrecht (1999) 148 ff.; Gebauer, IPRax 2001, 471, 474–477; Gebauer, FS Martiny, 2014, 325, 329–338; außerdem. 1529 Bauerreis, Rev. crit. dip. 89 (2000) 331, 349 f. gegen Leclerc, Clunet 122 (1995) 267, 310 f. 1530 Bauerreis, Das französische Rechtsinstitut der action directe und seine Bedeutung in internationalen Vertragsketten, 2001, S. 292 ff.; Gebauer, IPRax 2001, 471, 475 m.w.N.; Gebauer, FS Martiny, 2014, 325, 33. 1531 Siehe nur EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 Rz. 41 – Refcomp SpA vs. Axa Corporate Solutions Assurance SA = Rev. crit. dip. 102 (2013) 710 m. Anm. Bureau; Cass., JClP (G) 2013, 2004 m. Anm.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 390
Es gilt eine strikte Relativität der Bindung an Verträge und in diesen stehende etwaige Gerichtsstandsvereinbarungen.1532 Jede Gerichtsstandsvereinbarung wirkt vertraglich nur für den Vertrag, in dem sie vereinbart ist. Sie erstreckt sich nicht automatisch auf höhere oder niedrigere Glieder der Vertragskette. Wenn sich andere Glieder der Vertragskette in einem anderen Vertrag auf sie beziehen, so liegt darin eine eigene Gerichtsstandsvereinbarung für jenen anderen Vertrag. Jene anderen Kettenglieder unterwerfen sich dann inhaltlich aufgrund ihres eigenen Willens und ihres eigenen Konsenses der in Bezug genommenen Gerichtsstandsvereinbarung. Das spätere Kettenglied stimmt nicht implizit und quasi-automatisch per Zuschreibung zu.1533 Die Gerichtsstandsvereinbarung überträgt sich auf es nicht automatisch.1534 Sie haftet nicht akzessorisch dem in der Kette übertragenen Eigentum an Ware an (zumal eine solche Vorstellung nur auf der Basis des Konsensual-, nicht aber auf jener des Abstraktionsprinzips Gültigkeit beanspruchen könnte, denn sie setzt voraus, dass Verträge das Eigentum übertragen).
391
Eine vertragliche Qualifikation des Direktanspruchs vermag sich darüber zumal im europäischen Rahmen nicht hinwegzusetzen.1535 Ein Direktanspruch ist nicht mit einem ex lege auferlegten Sekundäranspruch zu vergleichen,1536 weil er keine lückenfüllende Funktion innerhalb des Vertragsverhältnisses hat und weil er notwendig mindestens drei Parteien berührt. Typischerweise findet in einer Vertragskette keine Rechtsnachfolge eines späteren Erwerbers in ein voranstehendes Vertragsverhältnis statt.1537
392
Auch rechtsvergleichend fehlt es in der Mehrzahl der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen an einer vertraglichen Qualifikation von Direktansprüchen.1538 Ein umfassender Rekurs auf nationales Recht findet für die Bindungsfrage sowieso nicht statt.1539 Allerdings ist Wertungskonsistenz verlangt,1540 denn die Bindung des Dritten an die Gerichtsstandsvereinbarung wäre Kehrseite der materiellen Berechtigung, deren prozessuale Ramifikationen gesucht werden.1541 Für die Vertragskette lässt sich aus der Lösung bei Konnossementen wenig gewinnen, weil es um ganz verschiedene Fragen geht.1542 Beim Konnossement steht eine mögliche Rechtsnachfolge in Rede, beim Direktanspruch eine eigene originäre Berechtigung des Dritten.1543 Unterschiedliche Lösungen für unterschiedliche Fragen widersprechen einander nicht.1544
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Der materielle Direktanspruch besteht nach Maßgabe des Drittwirkungsstatuts zwischen dem Dritten als Gläubiger und dem Schuldner. Ob die Gerichtsstandsvereinbarung auch in dieser Beziehung gilt, ist die zu beantwortende Frage.1545 Wenn sich der Dritte auf den Direktanspruch beruft, der letztlich
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1535 1536 1537 1538 1539 1540 1541 1542 1543 1544 1545
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Nourissat; Cass., CCC décembre 2013, 17 m. Anm. Leveneur; Cass., JCP 2015, 709 m. Anm. Mailhé; Trib. comm. Liège T.B.H. 1995, 395; Cass., Rev. crit. dip. 89 (2000) 224 m. Anm. Leclerc. Guet, JClP (G) 2013, 883, 886; Gebauer, FS Martiny, 2014, 325, 329. Clavel Clunet 140 (2013) 1206, 1208 f. So aber für eine Schiedsvereinbarung Cass., Rev. crit. dip. 96 (2007) 798 m. Anm. Jault-Seseke = JClP (G) 2007 II 10118 m. Anm. Golhen = D 2007, 2077 m. Anm. Bollée = Rev. arb. 2007, 785 m. Anm. El Adhab = Clunet 134 (2007) 968 m. Anm. Legros; Cass., D. 2010, 2829 m. Anm. Delpech = JClP (G) 2010, 1307. Zur daraus resultierenden unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Typen von Dispute Resolution Clauses Akchoti JClP (G) 2013, 1729 = JClP (E) 2013.696 = JClP (E) N° 39, 26 septembre 2013, 10, 11. Anderer Ansicht Gebauer, IPRax 2001, 471, 474 f.; M. Weller, IPRax 2013, 501, 504 f. So aber M. Weller, IPRax 2013, 501, 505. EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 Rz. 37 – Refcomp SpA vs. Axa Corporate Solutions Assurance SA. EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 Rz. 38 – Refcomp SpA vs. Axa Corporate Solutions Assurance SA. Clavel, Clunet 140 (2013) 1206, 1210 f. Anderer Ansicht Bollée, D 2013, 1110, 1111, 1112. Gebauer, FS Martiny, 2014, 325, 329 f. Zu Friktionen zwischen europäischer und internrechtlicher Lösung in Frankreich Attal, JClP (E) 2013.1332 = JClP (E) N° 23, 6 juin 2013, 37, 38–40; Golhen, JClP (E) 2013.1620 = JClP (E) N° 46, 14 novembre 2013, 38, 39 f. Gebauer, FS Martiny, 2014, 325, 331 f. Siehe EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 Rz. 3 – Refcomp SpA vs. Axa Corporate Solutions Assurance SA; Bollée, D 2013, 1110, 1112; Moebus, EuZW 2013, 329, 330. GA Jääskinen, Schlussanträge v. 18.10.2012 – C-543/10, ECLI:EU:C:2012:637 Rz. 54 f. Siehe aber Oró Martínez, REDI 2013–2, 288, 289. Gebauer, FS Martiny, 2014, 325, 332 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
auf dem urspünglichen Kettenglied beruht, so kann er dies nur unter den betreffenden Bedingungen.1546 Für den Schuldner wäre dies vorhersehbar genug.1547 Eine deliktische Qualifikation muss zudem beantworten, wie sie die aus ihr zu ziehenden Konsequenzen eingrenzt.1548 Dagegen kommt eine verordnungsautonome materielle Regel zur Sachfrage ohne Verweis auf das nationale Recht mangels greifbarer Maßstäbe nicht in Betracht.1549 Das Europäische Parlament1550 war mit einem solchen Vorstoß nicht erfolgreich. Argument für die Auslegung ist daher nicht der Vorstoß,1551 sondern dessen Erfolglosigkeit. Eine erklärte eigene Zustimmung bindet den späteren Erwerber allerdings immer an die Gerichts- 394 standsvereinbarung,1552 denn er konsentiert damit. Dies ist ein alternativer Weg zur Bindung über Rechtsnachfolge.1553 Bei ganz strenger Betrachtung ist die Zustimmung des Dritten nur einseitig und findet keine „Gegenzustimmung“ bei den Partnern der ursprünglichen Gerichtsstandsvereinbarung; sie ist aber trotzdem ein Konsensakt freiwilliger Selbstbindung,1554 und die anderen weisen ihn nicht zurück.1555 Er tritt der Gerichtsstandsvereinbarung gleichsam bei, die dadurch gleichsam dreiseitig wird.1556 Eine Willenseinigung im Sinne eines allseitigen Konsenses besteht nur für die ursprüngliche Gerichtsstandsvereinbarung.1557 Den Dritten mag zu seiner Zustimmung namentlich motivieren, dass es so möglich werden kann, die ganze Kette vor einem Gericht zu verhandeln,1558 ohne dass Interventionsklagen oder Streitverkündungen nötig wären. Für die Zustimmung des Dritten gelten die Formanforderungen des Abs. 1 S. 3 entsprechend.1559 Der Wegfall des Erfordernisses, dass mindestens eine Partei ihren Wohnsitz in der EU haben muss, bewirkt keine materiellen Veränderungen im Übergang zu Art. 25 Brüssel Ia-VO,1560 denn jenes hatte Bedeutung nur für die Ursprungsparteien, nicht für die Bindung im Verhältnis zum Dritten.
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f) Vertraglicher Beförderer, ausführender Beförderer und Kunde im Transportrecht Ein mit dem vertraglichen Hauptbeförderer nicht personenidentischer ausführender Beförderer wird 396 mit dem Kunden (im Personenebförderungsrecht: dem Passagier) nicht in vertraglichem Kontakt im herkömmlichen Sinne stehen. Ein Vertragsdokument zwischen diesen beiden Parteien wird es kaum je geben. Freilich könnte man daran denken, dass sich eine Gerichtsstandsklausel aus dem Hauptbeförderungsvertrag zwischen Hauptbeförderer und Passagier persönlich auch auf den ausführenden Beförderer erstrecken kann. Grundvoraussetzung dafür ist eine entsprechend weite Formulierung, sozusagen eine Himalaya Clause in der Gerichtsstandsabrede.1561 Dabei sind zwei Konstruktionen vorstellbar:1562 zum einen, dass sich der ausführende Beförderer als begünstigter Dritter aus einer Gerichtsstandsvereinbarung (auch) zugunsten Dritter auf die Gerichtsstandsvereinbarung berufen kann; 1546 1547 1548 1549 1550 1551 1552 1553 1554 1555 1556 1557 1558 1559 1560 1561 1562
Gebauer, FS Martiny, 2014, 325, 334. Attal, JClP (E) 2013.1332 = JClP (E) N° 23, 6 juin 2013, 37, 40. Gebauer, FS Martiny, 2014, 325, 339–342. Anderer Ansicht GA Jääskinen, Schlussanträge v. 18.10.2012 – C-543/10, ECLI:EU:C:2012:637 Rz. 31–38. Vgl. auch Piacitelli-Guedj, JClP (E) N° 3, 16 janvier 45 S. 45, 46 f. Entschließung 2009/2140(INI) ErwGr. O u. Rz. 13. So aber GA Jääskinen, Schlussanträge v. 18.10.2012 – C-543/10, ECLI:EU:C:2012:637 Rz. 38. EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 Rz. 41 – Refcomp SpA vs. Axa Corporate Solutions Assurance SA; Clavel, Clunet 140 (2013) 1206, 1211 f.; Piacitelli-Guedj, JClP (E) N° 3, 16 janvier 2013 S. 45, 47 f.; Francq in E. Guinchard 107, 139; Mankowski, IPRax 2018, 233, 234; Dominelli, Dir. mar. 2018, 389, 400. Michael Müller, EuZW 2016, 419, 421; Mankowski, IPRax 2018, 233, 234 sowie EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 Rz. 31 – Profit Investment SIM SpA vs. Stefano Ossi u.a. Clavel, Clunet 140 (2013) 1206, 1212; Delebecque, RTDcom 2013, 384 („acceptation“). Siehe Mankowski, IPRax 2018, 233, 234. Michael Müller, EuZW 2016, 419, 421. Siehe Bollée, D 2013, 1110 f. Clavel, Clunet 140 (2013) 1206, 1212. Cass., JClP (G) 2013, 2004; Nourissat, JClP (G) 2013, 2003, 2005. Entgegen Guet, JClP (G) 2013, 883, 886; Idot, Europe 2013 comm. 194; Nourissat, JClP (G) 2013, 2003, 2006. Mankowski, TranspR 2018, 221, 228. Mankowski, TranspR 2018, 221, 228.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen zum anderen, dass der vertragliche Hauptbeförderer eine eigenständige Gerichtsstandsvereinbarung als Vertreter im Namen des ausführenden Beförderers abschließt. Letzteres wird allerdings problematisch, wenn zum Zeitpunkt des Hauptvertragsabschlusses Person und Name etwaiger ausführender Beförderer noch gar nicht feststehen. 397
Dass im Prinzip eine Gerichtsstandsvereinbarung für die Kettenglieder, die an ihr nicht beteiligt sind, unverbindlich ist,1563 gilt hier nicht: Der Kunde ist an der Gerichtsstandsvereinbarung beteiligt, und der ausführende Beförderer stimmt dem Handeln des vertraglichen Beförderers mit Wirkung für und gegen ihn, den ausführenden Beförderer, zu.1564 Bei wirksamer Vertretung durch den Hauptbeförderer wiederum ist gerade der ausführende Beförderer Partei der Gerichtsstandsabrede, soweit sie ihn betrifft, nicht der Hauptbeförderer.1565 g) Streitverkündungen
398
Art. 25 Brüssel Ia-VO gilt nicht für die Derogation von Streitverkündungen nach Art des deutschen Rechts, insoweit ist vielmehr das nationale Recht des jeweils angerufenen Gerichts maßgeblich.1566 Denn Streitverkündungen sind keine Klagen, da sie nicht zu einer formellen Entscheidung gegen den Streitverkündeten führen. Nach deutschem Verfahrensrecht setzt eine Streitverkündung keine Gerichtspflichtigkeit des Streitverkündeten und damit auch keine Zuständigkeit des Gerichts voraus, so dass gar keine Derogationswirkung in Rede steht.1567 Dagegen ist dem besonderen Gerichtsstand für Interventionsklagen nach Art der romanischen Prozessrechte unter Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO derogiert.1568 „Waffengleichheit“ bricht sich an der Verschiedenheit in der Konstruktion.1569 5. Vorrang bei Litispendenz nach Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO
399
Eine der großen Schwachstellen der Brüssel I-VO war der zu schwache Schutz, den sie Gerichtsstandsvereinbarungen gegen deren Missachtung zukommen ließ.1570 Wer prorogationswidrig vor einem eigentlich derogierten Forum klagte, setzte erst einmal die Agenda und genoß einen taktischen Vorteil. Er feuerte einen Torpedo ab und brachte die Hoffnungen der anderen Partei zum Sinken. Damit unterminierte er die Verlässlichkeit der Gerichtsstandsabrede und raubte die Planungssicherheit, die eine Gerichtsstandsvereinbarung herstellen soll.1571 Gerichtsstandsvereinbarungen waren institutionell entwertet. Abhilfe hätte geboten, einer Gerichtsstandsvereinbarung Vorrang auch gegenüber den Litispendenzregeln der Art. 27, 28 Brüssel I-VO einzuräumen und einer Klage in einem Gerichtsstand, der bei Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung derogiert wäre, auch dann die Sperrwirkung gegenüber einer Klage im vereinbarten Gerichtsstand zu versagen, wenn sie früher erhoben wurde.1572 1563 Siehe nur EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62, ECLI:EU:2013:62 Rz. 41 – Refcomp SpA vs. Axa Corporate Solutions Assurance SA, Rev. crit. dip. 102 (2013) 710 note Bureau; Cass., JCP G 2013, 2004 note Nourissat; Cass., Contrats Concurrence Consommation décembre 2013, 17 note Leveneur; Trib. comm. Liège T.B.H. 1995, 395; Cass., Rev. crit. dip. 89 (2000) 224 note Leclerc. 1564 Mankowski, TranspR 2018, 221, 229. 1565 Der Hauptbeförderer agiert im eigenen Namen, soweit er die Gerichtsstandsabrede für sich abschließt, und in zweiter Kapazität in fremdem Namen, soweit er sie für ausführende Beförderer als deren Vertreter abschließt. 1566 Mansel, ZZP 109 (1996) 61, 75; Mansel in Bajons/Mayr/Zeiler (Hrsg.), Die Übereinkommen von Brüssel und Lugano (1997) 177, 197; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 102; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 36; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Kap. 26 Rz. 125; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 159; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 272 (2016); Czernich/Geimer/Garber, Teil 2 A I Rz. 116. A.A. v. Hoffmann/ Hau, RIW 1997, 89, 91 f.; Kraft, Grenzüberschreitende Streitverkündung und Third Party Notice (1997) 107–112. 1567 Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 25 EuGVVO Rz. 76; Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 102; a.A. v. Hoffmann/Hau, RIW 1997, 89, 91 f. 1568 Cass. civ., Rev. crit. dip. 72 (1983) 658 m. Anm. Lagarde; Trib. comm. Liège R.D.C.B. 1995, 395 m. Anm. Ingber; Hough v. P & O Containers Ltd. [1998] 2 All ER 978, 986–988 (Q.B.D., Rix J.); Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 271 (2016). 1569 Entgegen v. Hoffmann/Hau, RIW 1997, 89, 92; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 36. 1570 Eingehend insbesondere Tang, NILR 2012, 321, 325–351. 1571 GA Léger, Schlussanträge v. 9.9.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:436 Rz. 57–71.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Dogmatisch und gesetzestechnisch ließ sich ein solcher Vorrang der ausschließlichen Gerichtsstände indes schlechthin nicht begründen,1573 so sehr er auch zu begrüßen war.1574 Für einen Vorrang der Art. 27, 28 Brüssel I-VO ließen sich jedoch drei Gründe ins Feld führen: Ers- 400 tens können die Parteien ihre Gerichtsstandsabrede nachträglich fallen lassen, und der vor einem ursprünglich derogierten Forum Verklagte kann durch rügelose Einlassung einen Gerichtsstand nach Art. 26 Brüssel Ia-VO gegen sich begründen lassen.1575 Allerdings ist die bloße Möglichkeit der rügelosen Einlassung nur ein schwaches Argument, da eine rügelose Einlassung eher unwahrscheinlich ist.1576 Wenn er sich rügelos einlassen sollte, hat der Beklagte aber die Möglichkeit, im Wege der Widerklage über Art. 6 Nr. 3 Brüssel I-VO seine Ansprüche im Gegenangriff zu Gehör zu bringen.1577 Zweitens können Bestehen oder Wirksamkeit der Gerichtsstandsabrede in Zweifel stehen. Darüber zu entscheiden besteht keine exklusive Kompetenz-Kompetenz des in der Abrede benannten Gerichts. Vielmehr kann jedes angerufene Gericht inzident darüber entscheiden, also auch das früher angerufene.1578 Der Primat der Parteiautonomie ist letzlich nicht so stark, dass er dies zu überspielen vermöchte,1579 ebenso das Interesse des Beklagten im abredewidrigen Forum.1580 Drittens schützt Art. 25 Brüssel I-VO durch amtswegige Unzuständigkeiterklärung nur die Gerichtsstände des Art. 22 Brüssel I-VO, nicht aber Art. 23 Brüssel I-VO; dies begründet einen Umkehrschluss.1581 Dem skizzierten Missstand will die Brüssel Ia-VO abhelfen. Sie hat zu einer deutlichen Änderung der 401 Litispendenzregeln geführt. Ziel der Änderung ist es, (zumindest ausschließliche) Gerichtsstandsvereinbarungen zu schützen und ihnen Vorrang vor dem Prioritätsprinzip in der Litispendenz zu verschaffen. Mittel dazu ist Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO.1582 Eine Klage im forum prorogatum genießt in Durchbrechung des Prioritätspinzips selbst dann Vorrang vor einer Klage in einem forum derogatum, wenn sie später erhoben wird. Über die Gültigkeit der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung soll nur das forum prorogatum entscheiden dürfen. Jedes forum derogatum hat einer positiven Entscheidung des forum derogatum Folge zu leisten und sich selber dann für unzuständig zu erklären. Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO realisiert ein Prinzip der ausschließlichen Kompetenz-Kompetenz.1583 Wer sich gebunden hat, nur vor einem bestimmten Gericht zu klagen, darf eben nicht vor anderen Gerichten klagen, und die anderen Gerichte müssen abwarten, ob das potentiell bestimmte 1572 Insbesondere Continental Bank NA v. Aeakos Compania Naviera SA [1994] 2 All ER 540 (C.A.); The „Angelic Grace“ [1995] 1 Lloyd’s Rep. 87 (C.A.); Denby v. Hellenic Mediterranean Lines Co Ltd. [1994] 1 Lloyd’s Rep. 320 (Q.B.D., Rix J.); Toepfer International GmbH v. Molino Boschi srl [1996] 1 Lloyd’s Rep. 510 (Q.B.D., Mance J.); Lexmar Corp v. Nordisk Skibsrederforening [1997] 1 Lloyd’s Rep. 289 (Q.B.D., Colman J.); Glencore International AG v. Metro Trading International, Inc [1999] 2 Lloyd’s Rep. 632 (Q.B.D., Moore-Bick J.); OT Africa Line Ltd. v. Hijazy [2001] 1 Lloyd’s Rep. 76 (Q.B.D., Aikens J.). 1573 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 Rz. 47–54 – Erich Gasser GmbH vs. MISAT Srl; Briggs [1994] Lloyd’s MCLQ 158; Bell, (1994) 110 LQRev 206; Hau, IPRax 1996, 44, 46 f.; C. Thiele, RIW 2004, 285, 287; Mankowski, Art. 23 EuGVÜ 1/04, 439, 440; Grothe, IPRax 2004, 205, 206–210; Layton/Mercer, Rz. 20.004; Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels I Regulation (2. Aufl. 2012) Art. 23 Brussels I Regulation Rz. 16. 1574 Hartley (1994) 19 ELRev 548; Rogerson (1994) 53 Cambridge L.J. 241; Mankowski, EWiR Art. 23 EuGVÜ 2/97, 977, 978; Mankowski, RIW 2004, 481, 497; Peel [1998] L.M.C.L.Q. 182; Fentiman (2005) 42 CMLR 241, 249, 253 f. 1575 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 – Erich Gasser GmbH vs. MISAT Srl, EuGHE 2003 I 14693, 14740 Art. 23 EuGVVO Rz. 49. 1576 Otte, ZZP Int 8 (2003) 521, 524 f. 1577 BGH, NJW 1997, 870, 872; OLG Stuttgart, IPRax 2002, 125, 127; Taschner, EWS 2004, 494, 497. 1578 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 Rz. 51 – Erich Gasser GmbH vs. MISAT Srl. 1579 Grothe, IPRax 2004, 205, 207. 1580 Vgl. Fentiman, (2005) 42 CMLR 241, 253 f. 1581 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 Rz. 52 – Erich Gasser GmbH vs. MISAT Srl. 1582 Zu dieser Norm eingehend Mankowski, RIW 2015, 17; Hilbig-Lugani, FS Schütze zum 80. Geb., 2014, 195; H. Wais, GPR 2015, 142; Kindler, FS Coester-Waltjen, 2015, 485; P. A. Nielsen in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 153; Thorn/ Paffhausen in Trierer FS Lindacher zum 80. Geb., 2017, 405, 414–429; C. Heinze/Steinrötter in: Lazic´/Stuij (Hrsg.), Brussels Ibis Regulation – Changes and Challenges of the Renewed Procedural Scheme (2017) 1, 14–23. 1583 P. A. Nielsen, Nordic J Int L 83 (2014) 61, 66.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Gericht eine solche Bindung bejaht. Erst wenn das in der Gerichtsstandsvereinbarung benannte Gericht seine Zuständigkeit verneint hat, dürfen andere Gerichte zum Zuge kommen. Dann ist eben eine Bindung, nur vor einem bestimmten Gericht zu klagen, verneint. 402
ErwGr. 22 Brüssel Ia-VO unterstreicht die Zielsetzung: „(22) Um allerdings die Wirksamkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen zu verbessern und missbräuchliche Prozesstaktiken zu vermeiden, ist es erforderlich, eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtshängigkeitsregel vorzusehen, um eine befriedigende Regelung in einem Sonderfall zu erreichen, in dem es zu Parallelverfahren kommen kann. Dabei handelt es sich um den Fall, dass ein Verfahren bei einem Gericht, das nicht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart wurde, anhängig gemacht wird und später das vereinbarte Gericht wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien angerufen wird. In einem solchen Fall muss das zuerst angerufene Gericht das Verfahren aussetzen, sobald das vereinbarte Gericht angerufen wurde, und zwar so lange, bis das letztere Gericht erklärt, dass es gemäß der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nicht zuständig ist. Hierdurch soll in einem solchen Fall sichergestellt werden, dass das vereinbarte Gericht vorrangig über die Gültigkeit der Vereinbarung und darüber entscheidet, inwieweit die Vereinbarung auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit Anwendung findet. Das vereinbarte Gericht sollte das Verfahren unabhängig davon fortsetzen können, ob das nicht vereinbarte Gericht bereits entschieden hat, das Verfahren auszusetzen. Diese Ausnahmeregelung sollte nicht für Fälle gelten, in denen die Parteien widersprüchliche ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen geschlossen haben oder in denen ein in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbartes Gericht zuerst angerufen wurde. In solchen Fällen sollte die allgemeine Rechtshängigkeitsregel dieser Verordnung Anwendung finden.“
403
Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO und ErwGr. 22 Brüssel Ia-VO sind die gesetzliche Abkehr von der Gasser-Entscheidung1584 des EuGH.1585 Sie durchbrechen den Vertrauensgrundsatz und das Dogma von der Gleichwertigkeit der Zivilrechtspflege in den Mitgliedstaaten.1586 Sie sollen Torpedoklagen,1587 die ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen zuwider erhoben werden, den Boden entziehen.1588 Sie sollen strategisch1589 denkenden und agierenden Beklagten einen großen Strich durch deren taktische Überlegungen machen.1590 6. Schadensersatz wegen Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen?
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Gerichtsstandsvereinbarungen würden abgesichert, und ihre Einhaltung würde sanktioniert, wenn man Schadensersatz wegen Verletzung von Gerichtsstandsklauseln zugunsten eines bestimmten Gerichts zuspricht, sofern eine Partei entgegen der Gerichtsstandsvereinbarung doch im Ausland klagt.1591 Die Haftungssanktion würde einen wünschenswerten Abschreckungseffekt entfalten und in 1584 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 – Erich Gasser GmbH vs. MISAT Srl; dem folgend z.B. Norbrook Laboratories Ltd. v. Axince SAS [2013] NIQB 62, [2014] ILPr 379 [28] (High Ct. NI, Q.B.D., Weatherup J.). 1585 Siehe nur Francq, T.B.H. 2013, 307, 331; Penasa, Int’l Lis 2013, 117, 119; Deumier/Laazouzi/Treppoz, Rev. contrats 2013, 1037, 1054 f.; Leandro, Giusto proc civ. 2013, 583, 597; Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 73; Cadet Clunet 140 (2013) 765, 781, 782; Carbone, Dir. comm. int. 2013, 651, 657; Hartley, Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 95, 98 f.; Silvestri, Riv. trim. dir. proc. civ. 2013, 677, 694; Geimer, FS Delle Karth, 2013, 319, 331; Rouchard-Joët, J. dr. eur. 2014, 2, 4; Zilinsky, NIPR 2014, 3, 7 f.; Herranz Ballesteros, (2014) 10 JPrIL 291, 305. 1586 Kindler, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb., 2017, 321, 322. 1587 Zu Begriff und Wirkung ausführlich Marinello, Die Torpedoklage (2012). 1588 Simotta, Int. J. Proced. L. 3 (2013) 58, 74; Suderow, Cuad. Der. Trans. 5 (1) (2013) 184, 191 f.; Hartley Essays in Honour of Michael Bogdan (2013) 95, 101; Freitag, FS Ulrich Magnus, 2014, 419, 430. 1589 Hier verstanden im ökonomischen Sinn. 1590 Francq, T.B.H. 2013, 307, 331. 1591 Siehe Trib. Sup. Aranzadi 2009, 542, 544; Starlight Shipping Co v. Allianz Marine & Aviation Versicherungs AG (The „Alexandros T“) [2014] UKSC 13, [2014] 1 All ER 590 (S. C.); Donohue v. Armco, Inc [2002] 1 All ER 749 = [2002] 1 All ER (Comm) 97 = [2002] 1 Lloyd’s Rep. 425 (HL); Union Discount Co Ltd. v. Zoller [2002] 1 WLR 1517 (C.A.); A/S D/S Svendborg v. Akar [2003] EWHC 797 (Comm) (Q.B.D., Judge Julian Flaux QC); The „Alexandros T“ [2014] EWHC 3068 (Comm), [2014] 2 Lloyd’s Rep. 579 (Q.B.D., Flaux J.);
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ihrem Ansatz vom Bruch einer einmal eingegangenen Gerichtsstandsvereinbarung abhalten.1592 Allerdings steht dies nur bei ausschließlichen, nicht bei fakultativen Gerichtsstandsvereinbarungen in Rede.1593 Fünf Kandidaten für das anwendbare Recht sind denkbar: erstens eine deliktische Qualifikation;1594 405 zweitens die lex causae des Hauptvertrages;1595 drittens die lex causae, das materielle Statut, der Gerichtsstandsvereinbarung;1596 viertens die lex fori prorogati;1597 fünftens generell die lex fori.1598 Vorzuziehen ist jedenfalls eine vertragliche Qualifikation,1599 denn eine Gerichtsstandsvereinbarung ist im Ausgangspunkt ein Vertrag, und sanktioniert würde eine vereinbarte Pflicht, Klagen vor anderen Gerichten als dem prorogierten zu unterlassen.1600 Allerdings kann dies wieder auf fundamentale Konzeptionsprobleme in der Abgrenzung zwischen materiellem Vertrag und Prozessvereinbarung stoßen.1601 Es ist eine Frage der Auslegung, ob die Gerichtsstandsvereinbarung selber einen ausschließlichen Gerichtsstand für diese Unterlassungspflicht und aus ihr resultierende Schadensersatzansprüche begründen will. Bei hinreichend weiter Fassung ist dies in der Regel zu bejahen. Anderenfalls richtet sich die internationale Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO. In Betracht kommen dann zuvörderst das forum contractus aus Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO und der allgemeine Gerichtsstand aus Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Denkbar ist auch der Niederlassungsgerichtsstand aus Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO. Das Deliktsforum aus Art. 7 Nr. 3 Brüssel Ia-VO zu eröffnen1602 müsste die sehr hohe Hürde überwinden, dass ja gerade der Bruch einer vertraglichen Vereinbarung reklamiert wird, sei es auch eines Prozessvertrages.
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Rationale Kläger werden Vorteile und Nachteile einer Klage in einem forum derogatum gegeneinan- 407 der abwägen. Sie werden Wahrscheinlichkeit und Folgen eines möglichen Prozessverlustes, weil das forum derogatum die Gerichtsstandsvereinbarung achtet, als Nachteile einbeziehen. Insbesondere gilt dies für Kosten infolge Prozessverlustes. Die drohende Kostenlast verliert jedoch merklich an Gewicht, wenn das Prozessrecht des forum derogatum jede Partei ihre Kosten selber tragen lässt (also überhaupt keine Überwälzung vom Gewinner auf den Unterlegenen vornimmt) oder nur partiell vom Sieger auf den Unterlegenen umwälzt.1603 Dagegen stehen die Chancen auf eine für den Kläger günstige Entscheidung oder einen für den Kläger günstigen Vergleich.1604
1592 1593 1594 1595 1596 1597 1598 1599 1600 1601 1602 1603 1604
Ambrose (2003) 52 ICLQ 401, 414 f.; Sandrock, Stockholm Arbitration Report 2003:1, 219; Sandrock, IDR 2004, 106; Sandrock, RIW 2004, 809; Sandrock, FS Schlosser, 2005, 821, 831 f.; Tan/Yeo [2003] L.M.C.L.Q. 435; Chee Ho Tham [2004] L.M.C.L.Q. 46; Leitzen, GRUR-Int. 2004, 1010, 1015; Merrett (2006) 55 ICLQ 315; Michaelson/Blanke (2008) 74 Arb. 12, 18–23; Álvarez González, REDI 2008–1, 223; Álvarez González, IPRax 2009, 529; Cuniberti/Requejo Isidro, AEDIPR 2009, 249; Cuniberti/Requejo Isidro, ERA-Forum 2010, 7; Briggs, YbPIL 12 (2010) 311, 323 f. sowie Spickhoff, FS Deutsch, 1999, 327. Briggs, YbPIL 12 (2010) 311, 323–324; Antomo, 499 f. et passim. Takahashi, YbPIL 10 (2008) 57, 59; M. Ahmed (2017) 28 Eur. Bus. L. Rev. 403, 406. Dafür Chee Ho Tham, [2004] Lloyd’s MCLQ 46, 66 sowie allgemein für Schadensersatzansprüche bei abus de for Cornut, Clunet 134 (2007) 27, 37; C. Paulus, RIW 2006, 258, 259 f. Dahin O. Sandrock, FS Schlosser, 2005, 821, 835 f.; Fentiman, [2006] JIBFL 304, 305 f. Dafür Briggs, ZSR 124 (2005) II 231, 257 f. (258 Fn. 84 für England identifiziert als lex contractus); Tan 40 Texas Int’l L.J. 623, 626 Fn. 9 (2005) sowie Schack, RabelsZ 58 (1994) 40, 55. Dafür Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten (1989) 70; Jasper, Forum Shopping in England und Deutschland (1990) 127; Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA (2001) 97 f.; Gebauer, FS Kaissis, 2012, 267, 282 f. Dafür Jochen Schröder, FS Kegel zum 75 Geb., 1987, 523, 533; Jegher, Abwehrmaßnahmen gegen ausländische Prozesse (2003) 130 f.; Takahashi, YbPIL 10 (2008) 57, 71 f.; dahin wohl auch Schlosser, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 111, 120 f. Zu den Alternativen Delikt, ungerechtfertigte Bereicherung und (in England) equity M. Ahmed, 104–126. Gebauer, FS Kaissis, 2012, 267, 278 f. M. Ahmed, 98–101. Diskutiert, aber letztlich verworfen von AMT Futures Ltd. v. Marzillier, Dr Meier & Dr Guntner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH [2017] UKSC 13 [26]–[35], [2018] AC 439, [2017] 2 WLR 853 (S. C., per Lord Hodge JSC); zur Suche nach dem Tatort M. Ahmed, 152–158; Antomo, ZEuP 2018, 261, 269–272. E. Peiffer, 516 f. E. Peiffer, 516 f.
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Schadensersatz hilft letztendlich nicht in den Fällen, in denen kleine Unternehmen wegen der schlechten Zahlungsmoral ihrer Kunden, die sich in negative Feststellungsklagen vor langsamen Foren geflüchtet haben, insolvent werden.1605 Die „Verletzung“ nicht-exklusiver Gerichtsstandsklauseln kann jedenfalls keinen Schadensersatz nach sich ziehen.1606 Der Abschreckungseffekt von Schadensersatzmöglichkeiten leidet auch, sofern Torpedo-Opfer für sie ungünstige Vergleiche imTorpedoverfahren schließen.
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Schadensersatz wegen Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung durch Klage vor einem „falschen“ Forum steht jedoch primär vor einem Statthaftigkeitsproblem. Ähnlich wie die anti-suit injunction soll er Gerichtsstandsvereinbarungen sankionieren und beeinträchtigt über steuernde Anreize für die Parteien die Auswahl zwischen Gerichten.1607 Die anti-suit injunction ist unzulässig.1608 Rechtliche Steuerungsanreize, nicht vor bestimmten Gerichten zu klagen, sind potentiell inkriminiert. Mit dem Schadensersatzanspruch wäre ein Verdikt über die Unzuständigkeit des abredewidrig angerufenen Gerichts verbunden.1609
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Wenn das abredewidrig angerufene Gericht sich selber für unzuständig erklärt, weil eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt, entsteht indes kein Konflikt.1610 Mit Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel IaVO ist ein Wechsel in der Litispendenz vom reinen zeitlichen Vorrang der früher erhobenen Klage hin zu einem Vorrang der Klage vor dem prima facie prorogierten Gericht eingetreten. Ausurteilen von Schadensersatz ist ein nachlaufender Rechtsbehelf, ein ex post remedy,1611 und könnte deshalb warten, bis über den in Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO vorgesehenen Mechanismus und eine Entscheidung des prima facie prorogierten Gerichts feststeht, ob die Gerichtsstandsvereinbarung wirksam ist oder nicht.1612 Der Schadenersatzprozess wäre eine Verfahrensverdoppelung, wobei allerdings die vorderhand bestehende Ineffizienz gegen den Abschreckungseffekt und dessen mittelbaren Nutzen abzuwägen wäre.1613 Er würde das Ergebnis des Erstprozesses revidieren, wenn über den Schadensersatzanspruch als Schaden alle Vorteile des abredewidrigen Klägers aus dem Erstprozess wieder zurpückgefordert werden könnten.1614
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Ein Sekundäranspruch hätte grundsätzlich damit zu kämpfen, dass ihm ein durchsetzbarer Primäranspruch fehlen würde.1615 Einem Ansatz, eine eigenständige Nebenpflicht auf Unterlassung einer abredewidrigen Klage anzunehmen,1616 wäre der Makel der zweckgerichteten Ausweichkonstruktion auf die Stirn geschrieben. Eher technische Detailunterschiede oder eine angebliche größere Flexibilität vermöchten dem Schadensersatzanspruch kein anderes Schicksal zu verschaffen als der unstatthaften anti-suit injunction.1617
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Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO steht jedenfalls nicht direkt entgegen, denn die Anerkennung würde wegen Missachtung einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht gehindert,1618 und der Schadensersatz1605 Baatz, [2004] L.M.C.L.Q. 25, 28; Mankowski, RIW 2004, 481, 497. 1606 Merrett, (2006) 55 ICLQ 315, 316 f. 1607 Takahashi, YbPIL 10 (2008) 57, 82 f. will den Zusammenhang zwischen Unterlassung (Primäranspruch) und Schadensersatz lockern. 1608 Eingehend Vor. Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 47–52 und spezifisch z.B. Abendroth, 200 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 286–289 (2016). 1609 Dutta/C. Heinze, ZEuP 2005, 428, 461; Ishfaq Ahmed [2014] JIBFL 705, 708 sowie Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 298 f. (2016). 1610 Sánchez Fernández, YbPIL 12 (2010) 377, 386–388; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 301–306 (2016). 1611 Antomo, 500. 1612 Vgl. ähnlich Antomo, 500 sowie Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 307 (2016) sowie unter der Brüssel I-VO Sánchez Fernández, YbPIL 12 (2010) 377, 390. 1613 Ambrose (2003) 52 ICLQ 401, 415 f.; Antomo, 498 f. 1614 M. Ahmed, 145. 1615 Mankowski, IPRax 2009, 23, 30; Grolimund, AJP 2009, 961, 964 f.; im Ergebnis ähnlich Peel in: de VareillesSommières (Hrsg.), Forum Shopping in the European Judicial Area (2007) 1, 15 f.; Fentiman, in: de Vareilles-Sommières (Hrsg.), Forum Shopping in the European Judicial Area (2007) 27, 43 f.; Nuyts, in: de Vareilles-Sommières (Hrsg.), Forum Shopping in the European Judicial Area (2007) 55, 57; Knight (2008) 4 JPrIL 503, 509; M. Ahmed, 147–149, 200–205; Abendroth, 203. 1616 Dafür Gebauer, FS Kaissis, 2012, 267, 278 f. 1617 Vgl. aber auch die Überlegungen bei M. Ahmed, 180–182.
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anspruch bewegt sich auf einer anderen Ebene.1619 Anerkennung und Schadensersatzurteil würden einander auch nicht ausschließen, da die Abredewidrigkeit der Anrufung eines derogierten Forums nicht als solche Streitgegenstand ist. Die Prioritätsregel liegt an anderer Stelle, und es bleibt der Bruch des vertraglichen Versprechens.1620 Trotzdem steht im Raum, ob nicht vorrangig auf die Rechtsbehelfe zu vertrauen ist, die vor dem abredewidrig angerufenen Gericht gegen Rechtsmissbrauch zur Verfügung stehen.1621 Jedenfalls drohte bei einer Zuständigerklärung des forum derogatum oder gar bei einer stattgebenden Entscheidung des forum derogatum in der Sache eine Kollision mit dem Verbot, die von diesem bejahte Zuständigkeit eines anderen Gerichts nachzuprüfen.1622 Kollidieren abredewidrige Klage im forum derogatum und Schadensersatzklage beide noch im Verfahrensstatdium vor jedweder Entscheidung, so ist der Konflikt über Art. 30 Brüssel Ia-VO zu lösen.1623 Billigt man einen Schadensersatzanspruch zu, so kommen folgende Schadenspositionen in Betracht:1624 die Kosten des Beklagten für die Rechtsverteidigung vor dem nicht vereinbarten Gericht,1625 also namentlich die Kosten einer anwaltlichen Vertretung (insbesondere die Kosten der eigenen Anwälte, die tatsächlich angefallen sind, unabhängig davon, ob das Verfahren durch eine Sachentscheidung, eine Prozessentscheidung oder auf sonstige Weise beendet wird1626), eigene Reisekosten und eventuell die Kosten eines Korrespondenzanwalts;1627 auferlegte Kosten des abredewidrigen Verfahrens;1628 Verzögerungsschäden, weil die abredewidrig erhobene Klage zumal vor einem langsamen Gericht (also nach der Art des „klassischen“ Italian torpedo) die Durchsetzung eigener Rechte des Beklagten verzögert;1629 Zinsschäden, weil der Beklagte seine Rechtsverfolgung vorfinanzieren muss;1630 Differenzbeträge aus einem Vergleich, welchen der Beklagte infolge des Drucks abgeschlossen hat, welcher von der Klage vor dem abredewidrig angerufenen Gericht ausgeht.
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Bei den Verfahrenskosten ist ein Abgleich mit den Wertungen des Kostenerstattungsrechts aus dem 414 Recht des forum derogatum zu versuchen.1631 Insoweit spielt auch hinein, ob prozessuale Kostenerstattungsansprüche wegen Obsiegens mit materiell-rechtlichen Kostenerstattungsansprüchen konkurrieren dürfen oder ob das Bestehen eines prozessrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs den Schaden entfallen lässt oder gar im forum derogatum als res iudicata sperrt.1632 Kosten für seine Verteidigung können dem Gläubiger als abredewidrig Verklagtem selbst dann entstanden sein, wenn das forum derogatum nach Art. 31 Abs. 3 Brüssel Ia-VO letztlich abweist, nachdem das forum prorogatum die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung festgestellt hat. Dies ist der Fall, wenn die lex fori derogati strenge Präklusionsregeln enthält und eine hilfsweise Verteidigung zur Sache bereits im ersten Vorbringen verlangt, will der Beklagte nicht präkludiert sein.1633 Denkbar ist auch, dass das
1618 1619 1620 1621 1622 1623 1624 1625
1626 1627 1628 1629 1630 1631 1632 1633
Sánchez Fernández, YbPIL 12 (2010) 377, 381. Vorsichtiger M. Ahmed, 130 f. Ähnlich Gebauer, FS Kaissis, 2012, 267, 279; s. aber auch Takahashi, YbPIL 10 (2008) 57, 75–77. Merrett, (2006) 55 ICLQ 315, 322 f. Briggs, The Conflict of Laws (2002) 89; Dutta/C. Heinze, ZEuP 2005, 428, 458 sowie Balthasar/Richers, RIW 2009, 351, 356. AMT Futures Ltd. v. Marzillier, Dr Meier & Dr Guntner Rechtsanwaltsgesellschaft mbH [2017] UKSC 13 [36], [2018] AC 439, [2017] 2 WLR 853 (S. C., per Lord Hodge JSC). Joseph, Rz. 14.18 f. Mankowski, IPRax 2009, 23, 28 f.; Takahashi, YbPIL 10 (2008) 57, 84 f. Union Discount Co Ltd. v. Zoller [2002] 1 WLR 1517, 1527 (C.A., [xxx]c.t. judgm per Schiemann L.J.); National Westminster Bank plc v. Rabobank Nederland [2007] EWHC 1056 (Comm) [439] (Q.B.D., Colman J.); Joseph Rz. 14.04; Fentiman [2006] JIBFL 304, 306. Obiter auch Donohue v. Armco, Inc [2002] 1 All ER 749, 757, 760, [2002] 1 All ER (Comm) 97, [2002] 1 Lloyd’s Rep. 425 (HL, per Lords Bingham of Cornhill und Hobhouse); Jegher, Abwehrmaßnahmen gegen ausländische Prozesse (2003) 201. Siehe Schlosser, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 111, 119 f. Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA (2001) 96; Sandrock, FS Peter Schlosser, 2005, 821, 835. BGH, RIW 2020, 64, 70 Rn. 60; Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA (2001) 96; Mankowski, RIW 2020, 70 71. Siehe Pfeiffer, Liber amicorum (2007) 77, 79. Vgl. RGZ, 145, 296, 300; OLG Hamburg, JW 1931, 1822 f. Mankowski, IPRax 2009, 23, 33; Abendroth, 204. Siehe Takahashi, YbPIL 10 (2008) 57, 72 f.; Briggs, Agreements Rz. 8.68; M. Ahmed, 201 f. Sánchez Fernández, YbPIL 12 (2010) 377, 396.
Mankowski
799
Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Kostenrecht des forum derogatum Kostenerstattung institutionell nicht kennt.1634 Ein Bedenken ist, dass das Gericht des Schadensersatzprozesses sich entgegen dem Dogma von der Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Justizsysteme über die Kostenentscheidung des in der Hauptsache wegen Unzuständigkeit abweisenden forum derogatum hinwegzusetzen scheint.1635 415
Zu überlegen ist des Weiteren, inwieweit die gerichtlichen wie außergerichtlichen Kosten, wie sie bei einer Klage vor dem prorogierten Gericht angefallen wären, als Sowieso-Kosten einen Abzugsposten bilden oder ob es sich insoweit bloß um einen hypothetischen Alternativverlauf handelt.1636 Vor dem forum derogatum zugesprochene Kostenerstattung abzuziehen1637 würde einem Konzept, in dem prozessualer Kostenerstattungsanspruch und materieller Kostenerstattungs- oder Schadensersatzanspruch miteinander konkurrieren sollten, widersprechen und die gewollte Sanktions- und Abschreckungswirkung abschwächen.1638
416
Wenn der abredewidrig vor einem eigentlich derogierten Gericht Verklagte von jenem Gericht in der Sache verurteilt wird,1639 ließe sich eine Schadensposition formulieren als Differenzbeträge zwischen der Summe, zu welcher der Beklagte vom abredewidrig angerufenen Forum verurteilt wurde, und der Summe, zu der er bei einem hypothetischen Prozess vor dem forum prorogatum verurteilt worden wäre.1640 Allerdings hat dies konzeptionell Probleme, wenn man hypothetisch durchspielen müsste, wie es sich bei einer Klage vor dem vereinbarten Gericht verhalten hätte und welche Entscheidung das vereinbarte Gericht gefällt hätte.1641 Bereits bei prozessrechtlichen Kostenerstattungen wäre dies schwierig,1642 allemal wenn es im Ermessen des Gerichts liegt, ob es eine Kostenerstattung anordnet. Ein weiterer Punkt wäre eine etwaige Schadensminderungspflicht nach Maßgabe des auf den Schadensersatzanspruch anwendbaren Rechts.1643
417
Die Brüssel Ia-VO hat sich des gesamten Komplexes nicht ausdrücklich angenommen. Zeitgleich mit Anregungen insbesondere aus der Wissenschaft1644 war die Frage zwar noch Gegenstand des Kommissionsberichts und des Grünbuchs1645, kam aber im Vorschlag nicht mehr vor. Auch in der heißen Phase der Genese des Art. 25 Brüssel Ia-VO war Schadensersatz wegen Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung kein Thema. Art. 25 Brüssel Ia-VO schweigt in diesem Punkt genauso wie zuvor Art. 23 Brüssel I-VO. Weder öffnet er ausdrücklich die Tür, noch schlägt er die Tür zu. Er lässt vielmehr offen.1646 De regulatione lata ist die Statthaftigkeit vertraglicher Behelfe damit weiterhin zweifelhaft.1647 Allenfalls kann man Art. 31 Abs. 2–4 Brüssel Ia-VO eine Tendenz zum besseren Schutz von Gerichtsstandsvereinbarungen entnehmen.1648 Andererseits stellen gerade Art. 31 Abs. 2–4 1634 1635 1636 1637 1638 1639 1640 1641
1642 1643 1644
1645 1646 1647
800
M. Ahmed, 201. M. Ahmed, 201. Mankowski, IPRax 2009, 23, 29. Stacher, Die Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung (2007) Nr. 278. Mankowski, IPRax 2009, 23, 29; Joseph, Art. 23 EuGVVO Rz. 14.05, 14.07. Vgl. Peel [1998] L.M.C.L.Q. 182, 208 f. sowie Köster, Haftung wegen Forum Shopping in den USA (2001) 96. Jegher, Abwehrmaßnahmen gegen ausländische Prozesse (2003) 201; Tan, 40 Texas Int’l L.J. 623, 632, 657 (2005); Joseph, Rz. 14.11; s. auch Fentiman [2006] JIBFL 304, 308 Fn. 15; Takahashi, YbPIL 10 (2008) 57, 73 f. Dazu Mankowski, IPRax 2009, 23, 29; Peel, [1998] L.M.C.L.Q. 182, 208 f.; Gross [2005] L.M.C.L.Q. 10, 25; Merrett, (2006) 55 ICLQ 315, 319 f. jeweils unter Hinweis auf Tracomin v. Sudan Oil Seeds (No. 2) [1983] 1 WLR 1026, 1036 f., [1983] 3 All ER 140 (C.A., per Sir John Donaldson MR) sowie The „Angelic Grace“ [1995] 1 Lloyd’s Rep. 87 (C.A.); Schlosser, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 111, 120 f. Takahashi, YbPIL 10 (2008) 57, 85. Takahashi, YbPIL 10 (2008) 57, 86 f. Zur seinerzeitigen Diskussion insbesondere Pfeiffer, Liber amicorum Lindacher (2007) 77; Briggs, Agreements Rz. 8.01 ff.; Knight (2008) 4 JPrIL 501; Mankowski, IPRax 2009, 23; Byford/Sarwar [2009] IntALR 29; Takahashi, YbPIL 10 (2008) 57; Takahashi, YbPIL 11 (2009) 73; Fentiman, International Commercial Litigation (1. Aufl. 2010) Rz. 2.91–2.107; Sánchez Fernández, YbPIL 12 (2010) 377; Gebauer, FS Kaissis, 2012, 267. Grünbuch KOM (2009) 175, S. 5. Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 13; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 285. Vor. Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 55–63 (Mankowski); Mankowski, IPRax 2009, 23. Vgl. aber auch z.B. E. Peiffer, 494 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Brüssel Ia-VO ein spezifisches Instrumentarium auf und erwähnen Schadensersatzansprüche nirgends. Es wäre jedenfalls wünschenswert gewesen, dass eine ausdrückliche Zulassung von liquidated damages und Vertragsstrafen erfolgt wäre, um Gerichtsstandsvereinbarungen abzusichern und mit Sanktionen gegen ihre Verletzung zu schützen; dies hätte genau dem rechtspolitischen Ziel entsprochen, die prozessuale Parteiautonomie zu fördern.1649 Allerdings werden dagegen kompetenzielle Bedenken ins Feld geführt, dass die EU mit einer solchen Zulassung über Titel IV des AEUV hinausginge und in das allgemeine Vertrag- und das allgemeine Prozessrecht eingriffe.1650
418
Vertragliche Behelfe gegen eine Missachtung von Gerichtsstandsvereinbarungen zuzulassen würde 419 qua Abschreckungseffekt Schutz und Stärke von Gerichtsstandsvereinbarungen eklatant verbessern.1651 Jede ausdrückliche Klarstellung in diese Richtung wäre ausgesprochen willkommen und sehr zu begrüßen.1652 Sie sollte explizit vertragliche Behelfe wie Schadensersatzpauschalierungen oder Vertragsstrafen gutheißen. Natürlich wäre wiederum Voraussetzung, dass die verletzte Gerichtsstandsvereinbarung ihrerseits wirksam ist. Gleichermaßen sollte man vertragsrechtlichen Schadensersatz auf ex lege-Grundlage zulassen. Deutschrechtliche Unterscheidungen zwischen Verpflichtungs- und Verfügungswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung stehen dem jedenfalls nicht im Weg und lassen sich spätestens durch zweckorientierte Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung ausräumen.1653 7. Vereinbarung materieller Kostenerstattungsansprüche für die Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen Das Gleiche wie für vertragliche Schadensersatzansprüche zur Absicherung von Gerichtsstandsvereinbarungen gilt im Prinzip für Kostenerstattungsabreden, denen zufolge die Kosten immer (d.h. auch im Fall des späteren Obsiegens) zu tragen hat, wer entgegen einer Gerichtsstandsvereinbarung klagt.1654
420
Bei solchen Abreden mit ihrem spezifischen Gewand wäre allerdings zuerst zu klären, inwieweit ih- 421 nen nicht das prozessuale Kostenerstattungsrecht Grenzen zieht, d.h. inwieweit eine Kostenentscheidung des forum derogatum abschließenden Charakter beansprucht. Dem könnte man über eine schuldvertragliche Qualifikation entgehen.1655 Eine prozessuale Qualifikation samt Zuordnung zu Art. 25 Brüssel Ia-VO ist mit der letzten Konsequenz nicht möglich, weil Art. 25 Brüssel Ia-VO so weit nicht reicht und für diese Fragen gerade keine Antworten parat hält.1656 Eine materielle Kollision mit dem europäischen System ergibt sich, soweit der Kostenerstattungsanspruch kraft Abrede unabhängig vom Ausgang des abredewidrig angestrengten Verfahrens und selbst für den Fall des Obsiegens des abredewidrig Klagenden bestehen soll.1657 Soweit der Anspruch nur für den Fall bestehen soll, dass der abredewidrig Klagende unterliegt, schwinden dagegen die Bedenken.1658 Insoweit wird nur die eh innerprozessuale Abschreckungswirkung verstärkt (die allerdings ihrerseits von der Ausgestaltung prozessualer Kostenerstattungspflichten durch das Recht des abredewidrig angerufenen Forums abhängt).1659
1648 Dafür Antomo, ZEuP 2018, 261, 276. 1649 Mankowski, 2010 IACPIL 1, 15 f.; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 13; Antomo, 497 f. 1650 Dickinson, Brussels I Review – Choice of Court Agreements (11.6.2009) http://conflictoflaws.net/2009/brus sels-i-review-choice-of-court-agreements; M. Ahmed, 210. 1651 Siehe insbesondere Briggs, Agreements Rz. 8.01 ff. 1652 Mankowski, 2010 IACPIL 1, 15 f.; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 13; E. Peiffer, 513 f.; Antomo 497 f. 1653 Eingehend Gebauer, FS Kaissis, 2012, 267, 268–275. 1654 Skizziert von T. Pfeiffer, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 77, 80. 1655 Dafür T. Pfeiffer, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 77, 81, 82. 1656 T. Pfeiffer, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 77, 81. 1657 T. Pfeiffer, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 77, 82; Mankowski, IPRax 2009, 23, 33. 1658 T. Pfeiffer, Liber amicorum Walter F. Lindacher (2007) 77, 83; Mankowski, IPRax 2009, 23, 33; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 310 (2016). 1659 Mankowski, IPRax 2009, 23, 33.
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801
Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen 8. Vereinbarung von Vertragsstrafen für die Verletzung von Gerichtsstandsvereinbarungen 422
Am weitesten geht die Vereinbarung einer Vertragsstrafe für den Fall, dass jemand Klage an einem als am vereinbarten Gerichtsstand erhebt. Die Strafhöhe steht ex ante fest. Berechnungsprobleme sind ausgeschlossen, und es kann kein Unsicherheit stiftender Streit um verschiedene Schadenspositionen entstehen. Zudem kann eine Vertragsstrafe von vornherein pönale Momente einbeziehen. Sie kann bewusst so hoch gewählt sein, dass sie eine stärkere Abschreckungswirkung entfaltet.1660
423
Anwendbares Recht des Vertragsstrafeversprechens ist trotz des Bezugs zur Gerichtsstandsvereinbarung das Statut, die lex causae, des Hauptvertrages; diese lex causae besagt, unter welchen Voraussetzungen und bis zu welcher Höhe Vertragsstrafeversprechen statthaft sind.1661 Wenn die lex causae Vertragsstrafeversprechen nur in engen Grenzen zulässt, sind diese Grenzen zu beachten. Bei Vertragsstrafeversprechen in AGB sind die für eine AGB-Inhaltskontrolle maßgeblichen Regeln ebenfalls der lex causae des Hauptvertrages zu entnehmen.1662
424
Die Vereinbarkeit eines absichernden Vertragsstrafeversprechens mit dem europäischen System ist tendenziell zu bejahen.1663 Vertragsstrafeversprechen sind keine Sekundäransprüche im eigentlichen Sinn und daher nicht von einem Primäranspruch abhängig.1664 Mit Schadensersatzansprüchen teilen sie allerdings die verfolgten Zwecke. Vertragsstrafen sind indes eigenständiger und deshalb weniger infiziert vom Schicksal des Unterlassungsanspruchs. Das Vertragsstrafeversprechen nähert sich einer Garantieabrede.1665 Die schärfste Absicherung ist am ehesten statthaft, da sie am eigenständigsten ist und sich am wenigsten an die Gerichtsstandsvereinbarung selbst anlehnt.1666 Dies gilt umso mehr, wenn es sich um allgemein formulierte Vertragsstrafeversprechen handelt, die sich auf alle oder mehrere Vertragsabreden beziehen und eine Vertragsstrafe verwirkt sein lassen, wenn eine Vertragsklausel nicht beachtet wird.1667 Vorschläge, die Zulässigkeit eeiner Vertragsstrafe ausdrücklich zu normieren,1668 hat der europäische Gesetzgeber nicht aufgegriffen. 9. Standardisierte Musterklauseln?
425
Eine relativ neue Idee im Novellierungsprozess hin zur Brüssel Ia-VO ging dahin, eine standardisierte Gerichtsstandsvereinbarung einzuführen.1669 Die einheitliche Gestalt soll die Anerkennung von Gerichtsstandsvereinbarungen voranbringen, indem legislative Anerkennung Misstrauen gegenüber Gestaltungen durch private verkleinert. Hauptzweck wäre die normative Garantie, dass jedenfalls eine so gestaltete Gerichtsstandsvereinbarung jeglicher inhaltlichen Überprüfung standhalten würde. Dies würde eine Vermutung zugunsten der inhaltlichen Wirksamkeit der Klausel begründen. Eine Standard-Gerichtsstandsvereinbarung dürfte jedoch nur eine zusätzliche Option sein1670 und dürfte nichts verdrängen.1671 Das Hauptproblem würde sich jedoch beim Konsens stellen, insbesondere wenn die Standard-Klausel in AGB enthalten ist, die kein unmittelbarer Bestandteil des Vertragsdokuments sind.1672
VII. Intertemporale Fragen 426
Verträge können oft schon lange bestehen, bevor es zu einem gerichtlichen Streit kommt. Daher können der Zeitpunkt, zu dem eine Gerichtsstandsvereinbarung zustande kommt, und der Zeitpunkt, zu 1660 1661 1662 1663 1664 1665 1666 1667 1668 1669 1670 1671 1672
802
Mankowski, IPRax 2009, 23, 33. Mankowski, IPRax 2009, 23, 33. Mankowski, IPRax 2009, 23, 33. Mankowski, IPRax 2009, 23, 33 f.; Grolimund, AJP 2009, 691, 695. Mankowski, IPRax 2009, 23, 34. Vgl. K. Schmidt, FS Heinrichs, 1998, 529, 534–538. Mankowski, IPRax 2009, 23, 34. Mankowski, IPRax 2009, 23, 34. Insbesondere E. Peiffer, 519. Grünbuch (2009) 175, S. 5 f.; Heidelberg Report/M. Weller, Rz. 396–399. Anders Heidelberg Report/M. Weller, Rz. 396. Mankowski, 2010 IACPIL 1, 16; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 14. Mankowski, 2010 IACPIL 1, 16; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 14.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
welchem sie erstmals effektive Wirkung entfaltet, weit auseinander fallen. Für Konsens und Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung kann nur der Abschlusszeitpunkt maßgeblich sein.1673 Ob für die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung im Übrigen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses1674 oder auf jenen der erstmaligen Klagerhebung1675 abzustellen ist, erlangt besondere Bedeutung, wenn in der Zwischenzeit eine neue Fassung des europäischen Zuständigkeitsregimes in Kraft getreten ist.1676 Dabei ist zu differenzieren: Genügt eine Gerichtsstandsvereinbarung im Moment der Klagerhebung den Anforderungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO, so ist sie für den Streit in jedem Fall wirksam.1677 Sollte sie dagegen ursprünglich unter autonomem Recht oder der älteren Fassung des Art. 23 Brüssel I-VO wirksam gewesen sein, bei Klagerhebung jedoch nicht mehr den Anforderungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO in seiner neuen Fassung genügen, so greift Vertrauensschutz, und die Gerichtsstandsvereinbarung ist im Ergebnis ebenfalls wirksam.1678 Die neu eingeführte Kollisionsnorm für die materielle Nichtigkeit aus Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 nimmt Teil an der intertemporalen Anwendbarkeit des Art. 25 Brüssel Ia-VO insgesamt. Man kann sie nicht weiter zurück erstrecken, auch nicht indem man das von ihr berufene Recht danach befragt, welchen Zeitpunkt es für den relevanten halte.1679
427
Die Gerichtsstandsvereinbarung nur als eine Zuständigkeitsoption zu betrachten, die erst bei Klageer- 428 hebung Wirkungen entfaltete,1680 wäre viel zu stark auf die richterliche Perspektive fixiert und würde Steuerungs-, Planungs-, Gestaltungs- und Anreizfunktion der Gerichtsstandsvereinbarung zu wenig berücksichtigen. Man beeinträchtigte die Sicherheit, welche die Gerichtsstandsvereinbarung herzustellen bezweckt. Die Prorogation ist ein Faktor, welchen der potentielle Kläger bereits in sein Kalkül einbeziehen muss, ob er überhaupt eine Klage erheben will und, wenn ja, wo. Ob die nötige Internationalität vorliegt oder ob ein reiner Inlandsfall vorliegt, in dem Art. 25 nicht anwendbar ist, beurteilt sich nach den Verhältnissen bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung,1681 nicht nach jenen bei Klagerhebung.1682 Eine Durchbrechung erleidet dieser Grundsatz in den Fällen der Art. 15 Nr. 3, 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO, in denen ausnahmsweise auch Wohnsitzverlegungen nach Abschluss zu berücksichtigen sind.
429
Im Gegensatz zu Art. 23 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO lässt Abs. 1 S. 1 das Erfordernis entfallen, dass eine Partei ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben müsste. Damit kann sich für den Prorogationseffekt nicht mehr die Frage stellen, ob es für das Vorliegen eines Wohnsitzes auf den Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung oder auf den Zeitpunkt der Klagerhebung ankommt.1683 Jedoch kann der Wohnsitz der Parteien unter Abs. 4 relevant werden. Denn Art. 15, 19, 23 Brüssel Ia-VO sind grundsätzlich nur anwendbar, wenn Art. 10, 17, 20 Brüssel Ia-VO die Anwendbarkeit des jeweiligen Schutzregimes eröffnen. Räumlich-persönlich sind die Schutzregimes aber prinzipiell nur anwendbar, wenn der jeweilige Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat. Art. 10 Abs. 17 Abs. 2, 20
430
1673 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 23 EuGVVO Rz. 28; Geimer/Schütze/S. Auer, Art. 23 EuGVVO Rz. 36 (2005); Hüßtege in Thomas/Putzo Art. 25 EuGVVO Rz. 19. 1674 Dafür Gothot/Holleaux, Clunet 98 (1971) 764, 775; Bork in Stein/Jonas § 38 ZPO Rz. 24; Calvo Caravaca in Calvo Caravaca, Art. 17 EuGVÜ Anm. 5. 1675 Dafür EuGH v. 13.11.1979 – 25/79, ECLI:EU:C:1979:255 Rz. 6 f. – Sanicentral GmbH vs. René Collin; Cassaz., Riv. dir. int. priv. proc. 1992, 327; CA Versailles JClP (G) 1991 II 21672 m. Anm. Martin-Serf; Rb. Breda WPNR 1981, 771; Trib. Milano Riv. dir. int. priv. proc. 1988, 745; Droz, Nr. 190; Benecke, 86; Samtleben, RabelsZ 59 (1995) 670, 703 f.; Schack, Rz. 465; Danelzik, 140 f. 1676 Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Formwirksamkeit Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 87 (Mankowski). 1677 EuGH v. 13.11.1979 – 25/79, ECLI:EU:C:1979:255 Rz. 6 f. – Sanicentral GmbH vs. René Collin; LG Bochum, RIW 2000, 382, 384. 1678 Trunk, IPRax 1996, 251 sowie Kropholler/von Hein, Art. 23 EuGVVO Rz. 11; Mayr, RabelsZ 69 (2005) 558, 565; Magnus/Mankowski/Magnus, Brussels I Regulation (2. Aufl. 2012) Art. 23 Brussels I Regulation Rz. 63; vgl. auch Saenger, ZZP 110 (1997) 477, 481 f.; a.A. BGE 124 III 436, 441 f.; LG München I, IPRax 1996, 267; Benecke, 86; Schack, Art. 23 EuGVVO Rz. 465. 1679 A.A. Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 5 9. 1680 So EuGH v. 13.11.1979 – 25/79, ECLI:EU:C:1979:255 Rz. 6 – Sanicentral GmbH vs. Réné Collin; östOGH, ZfRV 2005, 69; östOGH, ZfRV 2007, 192. 1681 Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 23 EuGVVO Rz. 13; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 64. 1682 A.A. östOGH, IHR 2007, 243, 248. 1683 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 61.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Abs. 2 Brüssel Ia-VO erweitern dabei den Wohnsitzbegriff, indem sie für nicht in den Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat einem Wohnsitz in einem Mitgliedstaat gleichstellen. Noch darüber hinaus gehen Art. 18 Abs. 1 Var. 2; 21 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO. Dies alles gilt es für den Derogationaspekt von Gerichtsstandsvereinbarungen zu beachten.1684 Welcher Zeitpunkt für die Wohnsitzbestimmung ausschlaggebend ist, richtet sich nach dem jeweiligen Schutzregime.1685
VIII. Verhältnis zum Haager Gerichtsstandsvereinbarungsübereinkommen nach dessen Inkrafttreten 431
Nachdem das Haager Gerichtsstandsvereinbarungsübereinkommen (Hague Convention on Choice of Court Agreements – HProrogÜbk 2005)1686 vom 30.6.2005 völkerrechtlich am 1.10.2015 in Kraft getreten ist,1687 wird dessen Konkurrenzverhältnis zu Art. 25 Brüssel Ia-VO von Bedeutung. Die EU hat das HProrogÜbk 2005 genehmigt.1688 Prinzipiell hätte das HProrogÜbk 2005 als das speziellere Übereinkommen Vorrang nach dem Spezialitätsgrundsatz als allgemeiner Rangkollisionsnorm. Art. 71 Brüssel Ia-VO ist nicht einschlägig, denn Art. 71 Brüssel Ia-VO befasst sich nur mit Altübereinkommen der Mitgliedstaaten, nicht aber mit Neuübereinkommen der EU.1689 Durch die Genehmigung seitens der EU ist das HProrogÜbk 2005 aber gem. Art. 216 Abs. 2 AEUV Unionsrecht geworden1690 und genießt im nächsten Schritt prinzipiellen Vorrang vor der Brüssel Ia-VO gem. Art. 67 Brüssel IaVO.1691 Die Mitgliedstaaten sind über die ausschließliche Außenkompetenz der EU gebunden.1692 Man muss also das aus der Sicht der Brüssel Ia-VO prinzipiell vorrangige Spezialübereinkommen nach dessen Regelung möglicher Konkurrenzen befragen.1693
432
Diese Fragen stellen sich real ab dem Inkrafttreten des HProrogÜbk 2005 am 1.10.2015 für ab diesem Zeitpunkt geschlossene Gerichtsstandsvereinbarungen.1694 Nach der Genehmigung durch die EU galt das HProrogÜbk 2005 zunächst nur im Verhältnis zwischen der EU und Mexiko.1695 Später kamen 1684 Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 63. 1685 Siehe aber Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 63. 1686 Hague Convention on Choice of Court Agreements of 30 June 2005, ABl. EU 2014 L 353/7; abrufbar unter http://www.hcch.net; zu dem Übereinkommen Rühl, IPRax 2005, 410; Teitz, 53 Am. J. Comp. L. 543 (2005); Talpis/Krnjevic, 13 Sw. J. L. & Trade in the Americas 1 (2006); Luginbühl/Wollgast, GRUR-Int. 2006, 208; Fricke, VersR 2006, 476; A. Schulz, (2005) 12 ILSA J. Int. & Comp. L. 433; A. Schulz, YbPIL 7 (2005) 1; A. Schulz, (2006) 2 JPrIL 243; A. Schulz, Eur. J. Leg. Reform 8 (2006) 77; A. Bucher, SZIER 2006, 29; Adler/ Crimaldi Zarychta, 27 Nw. J. Int’l L. & Bus. 1 (2006); Talpis/Krnjevis, 13 Sw J Int’l L & Trade in the Americas 1 (2006); Nanda, 42 Texas Int’l L.J. 773 (2007); C. Thiele in Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein (Hrsg.), Conflict of Laws in a Globalized World (2007) 63; Brand/Herrup, The 2005 Hague Convention on Choice of Court Agreements (2008); B. Audit in Mélanges en l’honneur de Hélène Gaudemet-Tallon (2008) 171; R. Wagner, RabelsZ 73 (2009) 100; Eichel, RIW 2009, 289; Beaumont (2009) 5 JPrIL 125; Garnett (2009) 5 JPrIL 161; Spiegelman (2009) 83 Australian L.J. 386; Forrest (2009) 5 JPrIL 491; Svantesson, (2009) 5 JPrIL 517; Brand, Belgrade L. Rev. 57 (2009) No. 3, 23; Usunier, Rev. crit. dip. 99 (2010) 37; Eichel, GPR 2014, 159; P. Huber, FS Gottwald, 2014, 283; Geimer, FS Isaak Meier, 2015, 185; Ragno in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Crossborder Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 225; M. Ahmed, 235–252; Garimella/Socksripaisarnkit (2017) 57 Indian J Int L 309. sowie Kessedjian, FS Peter Schlosser, 2005, 367. 1687 Die Genehmigungsurkunde der EU wurde am 11.6.2015 hinterlegt. 1688 Beschluss 2014/887/EU des Rates vom 4.12.2014 über die Genehmigung – im Namen der Europäischen Union – des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005, ABl. EU 2014 L 353/1. 1689 Näher Art. 71 Brüssel Ia-VO Rz. 5. 1690 Siehe nur Hartley, 22 f.; M. Ahmed/Beaumont (2017) 13 JPrIL 386, 402. 1691 Cerqueira, Rev. crit. dip. 2016, 285, 294. 1692 A. Schulz in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 110, 133. 1693 Näher Art. 71 Brüssel Ia-VO Rz. 7. 1694 Siehe LG Kleve v. 27.10.2015 – 4 O 119/15 Rz. 42; Antomo, NJW 2015, 2919, 2920; Frensing-Deutschmann, jurisPR-IWR 5/2016 Anm. 3 sub D. 1695 Eichel, GPR 2014, 159 (159).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Singapur (zum 1.10.2016), Montenegro (zum 1.8.2018) und Dänemark (zum 1.9.2018) hinzu. Gezeichnet, aber bisher weder genehmigt noch durch Beitritt sanktioniert wurde das Übereinkommen auch durch die VR China (12.9.2017),1696 die Ukraine (21.3.2016) und die USA (29.1.2009).1697 Weitere Beitrittsinteressenten sollen Argentinien, Australien, Costa Rica, Kanada und Neuseeland sein.1698 Diese Staaten haben bisher aber nicht einmal gezeichnet. Die meisten Staaten denken nicht an einen Beitritt, z.B. die Schweiz.1699 Die aktuelle Bedeutung des HProrogÜbk 2005 ist daher gering.1700 Dem HProrogÜbk 2005 wird trotzdem ein Potential zugeschrieben, das Drittstaatengeschäft EU-ansässiger Unternehmen zu fördern.1701 Nach dem Vollzug des Brexit könnte das Vereinigte Königreich ein Beitrittskandidat sein, jedenfalls soweit es die Urteilsfreizügigkeit mit den kontinentaleuropäischen Staaten nicht über das LugÜbk 2007 herstellen kann.1702 Das HProrogÜbk 2005 ist grundsätzlich nur auf ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen an- 433 wendbar.1703 Indes stellt Art. 3 lit. b HProrogÜbk 2005 eine sehr weitgehende, über Abs. 1 S. 2 noch hinausgreifende1704 Vermutung (besser: Zuschreibung1705) zugunsten der Ausschließlichkeit auf: Ausschließlichkeit wird vermutet, solange die Parteien nicht ausudrücklich Nichtausschließlichkeit vereinbart haben. Selbst auf fakultative Gerichtsstandsvereinbarungen ist das HProrogÜbk 2005 dann noch anwendbar, wenn alle involvierten Vertragsstaaten eine entsprechende Erklärung gem. Art. 24 HProrogÜbk 2005 abgegeben haben. Keine Überschneidung mit der Brüssel Ia-VO besteht, soweit eine der Ausnahmen aus Art. 2 Abs. 1, 434 Abs. 2 HProrogÜbk 2005 eingreift, insbesondere für Verbraucher- oder Arbeitssachen,1706 aber auch für Transport-, See- und Kartellsachen.1707 Das HProrogÜbk 2005 enthält aber keine Ausnahme von Versicherungssachen, so dass in diesem schutzrelevanten Bereich Überschneidungen bestehen können.1708 Allerdings werden diese durch die Erklärung nach Art. 21 HProrogÜbk 2005, welche die EU anlässlich ihrer Genehmigung abgegeben hat,1709 sehr weitgehend moderiert.1710 Das HProrogÜbk 2005 regelt das Konkurrenzverhältnis in Art. 26 Abs. 6 lit. a HProrogÜbk 2005,1711 einer nach langen Verhandlungen erzielten Kompromissvorschrift.1712 Paradoxerweise ist er seitens 1696 1697 1698 1699 1700 1701 1702
1703
1704 1705 1706 1707 1708 1709 1710 1711 1712
Näher Putz, IZWR 2018, 166. https://www.hcch.net/en/instruments/conventions/status-table/?cid=98. P. A. Nielsen, Essays in honour of Hans van Loon (2013) 409, 410. T. Lorenz/Müller-Chen, FG Schweizerischer Juristentag 2015 in St. Gallen (2015) 725, 734 unter Bezug auf eine Auskunft des (schweizerischen) Bundesamts für Justiz, Fachbereich Internationales Privatrecht, vom 25.1.2015. Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb., 2017, 31, 43. M. Ahmed/Beaumont (2017) 13 JPrIL 386, 408. Siehe Commercial Bar Association, Brexit Reports, Conflict of Laws Subgroup (2017) 20 f. http://www.com bar.com/news/combar-brexit-papers; I. Ahmed/Dinsmore [2017] JIBFL 476, 477 f.; Sonnentag, Die Konsequenzen des Brexits für das Internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht (2017) 89–91; Dickinson, ZEuP 2017, 539, 560–562; G. Rühl (2018) 67 ICLQ 99, 127 f. Skeptischer M. Ahmed, 257–260. Beaumont, (2009) 5 JPrIL 125, 134; Usunier, Rev. crit. dip. 99 (2010) 37, 44; Czernich, wbl 2012, 209, 311; Hartley, Rz. 7.40; Eichel, GPR 2014, 159, 161; Pfeiffer, ZZP 127 (2014) 409, 418; DuBose, ZEuS 2015, 441, 462; Ragno in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 225, 243–246; Keyes/B. A. Marshall, (2015) 11 JPrIL 345, 349; M. Ahmed, (2017) 28 Eur. Bus. L. Rev. 403, 405. Czernich/Geimer/Eichel, Teil II C Rz. 40. Geimer, FS Isaak Meier, 2015, 185, 191: autoritative Hineininterpretation, „deemed statt presumed“. Siehe nur DuBose, ZEuS 2015, 441, 462; Ragno in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 225, 236; Campuzano Diáz, 90–93. Hartley, Rz. 4.51–4.53. Hartley, Rz. 6.54; DuBose, ZEuS 2015, 441, 463; Ragno in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 225, 237. Anh. I Beschluss 2014/887/EU des Rates vom 4.12.2014 über die Genehmigung – im Namen der Europäischen Union – des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005, ABl. EU 2014 L 353/5. Geimer, FS Isaak Meier, 2015, 185, 191; Lazic´/Stuij in Lazic´/Stuij (Hrsg.), Brussels Ibis Regulation – Changes and Challenges of the Renewed Procedural Scheme (2017) 119, 132. Siehe nur Antomo, NJW 2015, 2919, 2920; Friesen, jurisPR-IWR 3/2016 Anm. 1 sub D. Vlas, Essays in honour of Frans van der Velde (2006), 85, 94 mit 91.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen der damaligen EG großzügig und tendenziell zu Lasten des heutigen Art. 25 Brüssel Ia-VO ausgefallen, weil die Delegationen der EU-Mitgliedstaaten bestrebt waren, die auch ihnen unliebsamen Auswirkungen der Gasser-Entscheidung einzugrenzen und Gerichtsstandsklauseln zu stärken.1713 Art. 26 Abs. 6 lit. a HProrogÜbk 2005 lautet: „(6) This Convention shall not affect the application of the rules of a Regional Economic Integration Organisation that is a Party to this Convention, whether adopted before or after this Convention a) where none of the parties is resident in a Contracting State that is not a Member State of the Regional Economic Integration Organisation.“ 436
Art. 29; 30 HProrogÜbk 2005 befassen sich nur mit den Beitrittsmöglichkeiten, die eine Organisation zur regionalen Wirtschaftsintegration und deren Mitgliedstaaten haben; sie steuern nichts zur Konkurrenzfrage bei, auch nicht über die Internationalitätsdefinition in Art. 1 Abs. 2 HProrogÜbk 2005 und den Auslegungsregeln für das Verständnis des Begriffes „Vertragsstaat“ in Art. 29 Abs. 4; 30 Abs. 2 HProrogÜbk 2005 zum Trotz.
Die Regelung in Art. 26 Abs. 6 HProrogÜbk 2005 ist textlich dank einer dreifachen Verneinung recht kompliziert. Sie bezweckt eine territoriale Anwendungseinschränkung.1714 Ihre Vorgeschichte1715 zeigt deutlich, wie umstritten der Punkt war: Noch zu Art. 25 Abs. 4 Draft Convention existierten nicht weniger als drei mögliche Alternativen.1716 Beleg für die Komplexität der Materie und der Regelung ist der Umfang des Erläuternde Berichts: Art. 26 Abs. 6 HProrogÜbk 2005 allein nimmt in ihm1717 sechs Spalten und zwanzig Absätze ein.1718 Aus der jetzigen Regelung in Art. 26 Abs. 6 HProrogÜbk 2005 ergibt sich eine Aufspaltung in folgende Fallgruppen: 438 1. Die Parteien vereinbaren einen Gerichtsstand in einem Vertragsstaat des HProrogÜbk 2005, der kein Mitgliedstaat der EU ist. Dann gilt immer das HProrogÜbk 2005, unabhängig davon, wo die Parteien ansässig sind. Dies gilt selbst dann, wenn alle Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung in der EU ansässig sind, aber die Zuständigkeit eines Gerichts in einem Nicht-EU-Staat vereinbaren, der HProrogÜbk 2005-Vertragsstaat ist.1719 Denn Art. 25 Brüssel Ia-VO will nicht angewendet sein, und es besteht kein echter Konflikt zwischen Art. 25 Brüssel Ia-VO und dem HProrogÜbk 2005.1720 In diesem Fall nimmt sich das HProrogÜbk 2005 auch nicht selber zurück, wie insbesondere sein Art. 6 belegt.1721 Ansatzpunkt dafür sind die Eingangsworte des Art. 26 Abs. 6 HProrogÜbk 2005 „shall not affect the application“. Denn sie setzen voraus, dass das andere Instrument selbst Anwendung heischt. Will das andere Instrument selber gar nicht angewendet sein, so kann dessen Anwendung auch vom HProrogÜbk 2005 nicht behindert werden. So herrscht auch Kontinuität mit Art. 25 Abs. 4 lit. a Draft Hague Convention, der allerdings deutlicher war, indem er als zusätzliche Voraussetzung verlangte, dass das vereinbarte Gericht in einem Mitgliedstaat der Organisation zur regionalen Wirtschaftsintegration liegen müsste.1722 439 2. Alle Parteien der Gerichtsstandsvereinbarung sind in der EU ansässig (d.h. haben ihre jeweiligen Wohnsitze nur in der EU1723) und vereinbaren die Zuständigkeit eines Gerichts in einem EUStaat. Dann gilt Art. 25 Brüssel Ia-VO.1724 Allerdings ist jeweils wegen Art. 6 Abs. 2 HProrogÜbk 437
1713 A. Schulz in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 110, 131. 1714 Pfeiffer, ZZP 127 (2014) 409, 418. 1715 Eingehend Draft Report Dogauchi/Hartley, Prel Doc No. 26 (Dec 2004) Nr. 227–231. 1716 Eingehend Draft Report Dogauchi/Hartley, Prel Doc No. 26 (Dec 2004) Nr. 231. 1717 Report Dogauchi/Hartley, Prel Doc No. 26 (Dec 2004) Nr. 291–310. 1718 Garau Sabrino, ZVglRWiss 117 (2018), 24, 27. 1719 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 40 (2016); Coester-Waltjen, FS Geimer zum 80. Geb., 2017, 31, 43. 1720 Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 8. 1721 DuBose, ZEuS 2015, 441, 464. 1722 Dazu Report Dogauchi/Hartley, Nr. 267. 1723 Liegt bei Mehrfachwohnsitzen ein Wohnsitz in einem Vertragsstaat des HPrororogÜbk 2005, der kein Mitgliedstaat der EU ist, so soll das HProrogÜbk 2005 gelten; Hartley, Rz. 6.51; Dickinson/Lein/Garcimartín Álferez, Rz. 9.26; Ragno in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 225, 247 fn 106.
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Kap. II: Zuständigkeit
3.
4.
5.
6.
Art. 25 Brüssel Ia-VO
2005 darauf zu achten, in welchem Umfang eines der Merkmale des Art. 63 Brüssel Ia-VO außerhalb der EU belegen ist.1725 Eine Partei ist in der EU ansässig, die andere in einem Staat, der weder EU-Mitgliedstaat noch Vertragsstaat des HProrogÜbk 2005 ist; sie vereinbaren die Zuständigkeit eines Gerichts in einem EU-Staat. Dann gilt wiederum Art. 25 Brüssel Ia-VO.1726 Eine Partei ist in der EU ansässig, die andere in einem Staat, der zwar nicht EU-Mitgliedstaat, aber Vertragsstaat des HProrogÜbk 2005 ist, oder aber beide Parteien sind in Vertragsstaaten des HProrogÜbk 2005 außerhalb der EU ansässig; vereinbart wird die Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts. Beide Male gilt das HProrogÜbk 2005.1727 Insoweit wird der Anwendungsanspruch des Art. 25 Brüssel I-VO zurückgenommen.1728 Das HProrogÜbk 2005 ist unabhängig davon anwendbar, ob der vereinbarte Gerichtsstand innerhalb oder außerhalb der EU liegt.1729 Alle Parteien sind nicht in der EU ansässig, sondern in Drittstaaten, die keine Vertragsstaaten des HProrogÜbk 2005 sind. Sie vereinbaren die Zuständigkeit eines Gerichts in einem EU-Staat. Dann gilt Art. 25 Brüssel Ia-VO.1730 Prorogiert wird die Zuständigkeit eines Gerichts in einem Staat, der weder Mitgliedstaat der Brüssel Ia-VO noch Vertragsstaat des HProrogÜbk 2005 ist. Dann gilt weder Art. 25 Brüssel Ia-VO noch das HProrogÜbk 2005.1731
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Besondere Beachtung verdient noch die Konstellation, dass die Brüssel Ia-VO ein besonderes Dero- 444 gationsverbot aufstellt. Ein Konflikt zwischen dem HProrogÜbk 2005 und Art. 17 oder Art. 23 Brüssel Ia-VO kann allerdings nicht auftreten, da Verbraucherverträge durch Art. 4 Abs. 1 lit. a HProrogÜbk 2005 und Arbeitsverträge durch Art. 4 Abs. 1 lit. b HProrogÜbk 2005 vom sachlich-persönlichen Anwendungsbereich des HProrogÜbk 2005 ausgenommen sind. Eine Kollision kann aber im Bereich der Versicherungsverträge bei Art. 15 Brüssel Ia-VO auftreten.1732 Für die Prorogationskomponente gilt dann Art. 7 HProrogÜbk 2005, für die Derogationskomponente indes nicht Art. 8 HProrogÜbk 2005, sondern bei Beurteilung durch ein Gericht im EU-Raum Art. 15 Brüssel Ia-VO. Soweit das in einem HProrogÜbk 2005-Vertragsstaat außerhalb der EU belegene forum prorogatum durchentscheidet, haben hingegen auch europäische Gerichte die dann ergehende Entscheidung anzuerkennen. Art. 25 Brüssel Ia-VO verliert also im Prinzip an Terrain, wenn eine Partei in einem Mitgliedstaat ansässig ist, die andere aber in einem Vertragsstaat des HProrogÜbk 2005, der kein Mitgliedstaat ist.1733 1724 R. Wagner, RabelsZ 73 (2009) 100, 138; Francq in E. Guinchard 107, 122; DuBose ZEuS 2015, 441, 464; Geimer, FS Isaak Meier, 2015, 185, 202 f.; Fallon/Francq, J. trib. 2016, 169, 173 mit Fn. 39; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 38 (2016); Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 10; Garau Sabrino, ZVglRWiss 117 (2018), 24, 26; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 8. 1725 Vgl. R. Wagner, RabelsZ 73 (2009) 100, 138. 1726 Hartley, Rz. 6.57; Francq in E. Guinchard 107, 122; Ragno in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 225, 247 f.; Fallon/Francq, J. trib. 2016, 169, 173 mit Fn. 39; Cerqueira, Rev. crit. dip. 2016, 285, 294; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 45 (2016). 1727 Francq, T.B.H. 2013, 307, 319; Hartley, Rz. 6.60; Keyes/B. A. Marshall (2015) 11 JPrIL 345, 349; Geimer, FS Isaak Meier, 2015, 185, 203; Cerqueira, Rev. crit. dip. 2016, 285, 294; A. Schulz in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 110, 131; C. P. Moore/Jedrey/K. Rodgers (2016) 37 Bus. L. Rev. 2, 5; M. Ahmed/Beaumont (2017) 13 JPrIL 386, 404; Garau Sabrino, ZVglRWiss 117 (2018), 24, 26; Putz, IZWR 2018, 166, 168. 1728 Draft Report Dogauchi/Hartley, Prel Doc No. 26 (Dec 2004) Nr. 228; Kreuzer, RabelsZ 70 (2006) 1, 39; C. Thiele, in: Gottschalk/Michaels/Rühl/von Hein (Hrsg.), Conflict of Laws in a Globalized World (2007) 63, 73; R. Wagner, RabelsZ 73 (2009) 100, 137 f.; Magnus/Mankowski/Magnus, Rz. 10. 1729 R. Wagner, RabelsZ 73 (2009) 100, 137 f. 1730 Eichel, GPR 2014, 159, 163; Francq in E. Guinchard 107, 122; Ragno in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 225, 248; Fallon/Francq, J. trib. 2016, 169, 173 mit fn 39. 1731 DuBose, ZEuS 2015, 441, 464; Geimer, FS Isaak Meier, 2015, 185, 189. Unzutreffend Garau Sabrino, ZVglRWiss 117 (2018), 24, 26. 1732 Ebenso R. Wagner, RabelsZ 73 (2009) 100, 137. 1733 Fallon/Francq, J. trib. 2016, 169, 173.
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Art. 25 Brüssel Ia-VO Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen Art. 25 Brüssel Ia-VO ist im Grundsatz nur dann anwendbar, wenn keine Partei in einem Vertragsstaat des HProrogÜbk 2005 außerhalb der EU ansässig ist.1734 Insoweit muss man doch wieder darauf achten, wo die Parteien ansässig sind, obwohl Abs. 1 S. 1 isoliert betrachtet gerade nicht mehr auf die Wohnsitze der Parteien abstellt.1735 446
Dass ausgerechnet Dänemark zum 1.9.2018 Vertragsstaat des HProrogÜbk 2005 geworden ist, erfordert Zusatzüberlegungen. Denn Dänemark ist Mitgliedstaat der EU, aber kein Mitgliedstaat der Brüssel Ia-VO, jedoch dem Brüssel Ia-System verbunden durch das bilaterale EU-Dänemark-Abkommen zur Übernahme der Brüssel I-VO sowie nachfolgend ihrer Änderungen (also auch der Brüssel IaVO), letzteres durch einseitige Akte Dänemarks.1736 Dänemark ist also Mitglied der Regional Economic Integration Organisation (REIO) EU, aber deren Gerichtsstandsregeln (die Brüssel Ia-VO) gelten für es nicht direkt, sondern nur auf dem Umweg und auf der Grundlage des bilateralen Abkommens, das aber seinerseits wieder, da von der EU geschlossen, Teil des Unionsrechts ist. Formell lässt sich das Abkommen also unter die „rules of a Regional Economic Integration Organisation that is a Party to this Convention“ einordnen. Inhaltlich würde dies ebenfalls naheliegen, weil das Abkommen inhaltlich ja zum Brüssel I/Ia-System gehört. Dänemark hat bei seinem Beitritt zum HProrogÜbk 2005 nur eine Erklärung nach Art. 21 HProrogÜbk 2005 abgegeben und bestimmte Versicherungsverträge ausgegrenzt, sich aber nicht zu Art. 26 Abs. 6 HProrogÜbk 2005 verhalten.
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Im Gegenteil wollte Dänemark mit seinem Beitritt dem Vorbild der EU folgen. Es wollte damit seinen Verpflichtungen gegenüber der EU, deren Schritte nachzuvollziehen, gerade aus dem EU-DänemarkAbkommen nachkommen. Dies steht nicht in Kontrast dazu, dass ErwGr. 9 des Genehmigungsbeschlusses des Rates1737 ausdrücklich betont, dass Dänemark durch die Ratifikation seitens der EU nicht gebunden ist. Letztlich sollte Dänemark für die Zwecke des Art. 26 Abs. 6 HProrogÜbk 2005 wie ein Mitgliedstaat der Brüssel Ia-VO behandelt werden.1738
448
Zu anti-suit injunctions, d.h. gerichtlichen Verboten, entgegen einer Gerichtsstandsvereinbarung in einem forum derogatum zu klagen, verhält sich das HProrogÜbk 2005 direkt nicht. Sofern es antisuit injunctions indirekt doch erlauben oder ermöglichen sollte, könnte sich – in Anlehnung an die zu Art. 71 ergangene TNT/AXA-Rechtsprechung1739 – die Frage stellen, inwieweit dem das EU-Primärrecht entgegenstehen könnte.1740 Dem EuGH zufolge darf die Anwendung von Übereinkommen für besonderer Rechtsgebiete nicht diejenigen Prinzipien gefährden, die in den ErwGr. 6, 11, 12 und 15–17 Brüssel I-VO niedergelegt sind, und zwar der freie Verkehr von Entscheidungen, die Vorhersehbarkeit der Zuständigkeit mitgliedstaatlicher Gerichte, Rechtssicherheit für die Bürger, eine geordnete Rechtspflege, das Vermeiden von Parallelverfahren und gegenseitiges Vertrauen in die Justiz der Mitgliedstaaten.1741 Denn diese Ziele werden als raison d’être der Brüssel I-VO betrachtet.1742
1734 A. Schulz in von Hein/G. Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016) 110, 131. 1735 Francq in E. Guinchard 107, 123; Fallon/Francq, J. trib. 2016, 169, 173. 1736 Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 68 Brüssel Ia-VO Rz. 2. 1737 Beschluss 2014/887/EU des Rates vom 4.12.2014 über die Genehmigung – im Namen der Europäischen Union – des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.6.2005, ABl. EU 2014 L 353/1. 1738 Ragno in Ferrari/Ragno (Hrsg.), Cross-border Litigation in Europe: the Brussels I Recast Regulation as a panacea? (Padova 2015) 225, 233. 1739 EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08, ECLI:EU:C:2010:243 Rz. 49 – TNT Express Nederland BV vs. AXA Versicherung AG; EuGH v. 19.12.2013 – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 Rz. 36 – Nipponkoa Insurance Co (Europe) Ltd. vs. Inter-Zuid Transport BV; EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 38 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB. 1740 M. Ahmed/Beaumont (2017) 13 JPrIL 386, 404 f. 1741 EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08, ECLI:EU:C:2010:243 Rz. 49 – TNT Express Nederland BV vs. AXA Versicherung AG; EuGH v. 19.12.2013 – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 Rz. 36 – Nipponkoa Insurance Co (Europe) Ltd. vs. Inter-Zuid Transport BV; EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 Rz. 38 – Nickel & Goeldner Spedition GmbH vs. „Kintra“ UAB. 1742 EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08, ECLI:EU:C:2010:243 Rz. 50 – TNT Express Nederland BV vs. AXA Versicherung AG.
808
Mankowski
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 25 Brüssel Ia-VO
Das HProrogÜbk 2005 enthält keine eigenen Litispendenzregeln. Insoweit besteht also kein Konkurrenzverhältnis mit der Brüssel Ia-VO. Vielmehr kommt Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO neben dem HProrogÜbk 2005 zum Zuge, weil Art. 26 HProrogÜbk 2005 nicht generell verdrängt und für die gesamte Materie ausschließt, sondern nur Vorrang vor wirklich konkurrierenden Regelungen beansprucht.1743 Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO betreffen indes nur Litispendenzkonflikte zwischen Verfahren vor Mitgliedstaaten, so dass sie aus sich selbst heraus nur zur Anwendung kommen, wenn Erstgericht und forum prorogatum in Mitgliedstaaten liegen.1744 Liegt eines von beiden in einem Drittstaat, mag dieser auch Vertragsstaat des HProrogÜbk 2005 sein, so kommen – nicht prorogationsspezifisch – Art. 33, 34 Brüssel Ia-VO zum Zuge.
449
IX. Abweichungen unter Art. 23 LugÜbk 2007 Art. 23 LugÜbk 2007 spiegelt den Stand wider, den Art. 23 Brüssel I-VO erreicht hatte. In ihm finden 450 sich die Neuerungen noch nicht, welche der Reformprozess von der Brüssel I- zur Brüssel Ia-VO mit sich gebracht hat. Dies betrifft folgende Punkte:1745 – Art. 23 Abs. 1 S. 1 LugÜbk 2007 verlangt, dass mindestens eine Partei der Gerichtsstandsverein- 451 barung ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat. Auf die Parteirolle im späteren Verfahren kommt es nicht an, weil diese bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung gar nicht absehbar war. Der Wohnsitz des Klägers in einem Vertragsstaat reicht aus; es ist nicht verlangt, dass gerade der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Vertragsstaat haben müsste.1746 Bei Mehrparteienvereinbarungen reicht es, wenn eine Partei ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat hat.1747 – Art. 23 Abs. 3 LugÜbk 2007 weist bei Prorogation eines vertragsstaatlichen Gerichts durch Dritt- 452 staater die ausschließliche Kompetenz zur Entscheidung über die Wirksamkeit der Prorogation dem prorogierten Gericht zu. Andere Gerichte in Vertragsstaaten dürfen nicht entscheiden, bevor sich das prorogierte Gericht nicht rechtskärftig für unzuständig erklärt hat. – Es gibt keine Verweisung auf die lex fori prorogati für die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung. Ein Pendant zu Art. 25 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 Brüssel Ia-VO besteht nicht. Vielmehr richten sich Fragen der materiellen Wirksamkeit mangels übereinkommensautonomer Regelung in Art. 23 LugÜbk 2007 selber qua Lückenfüllung nach dem Statut des Vertrages. Methodisch wäre auch denkbar, die Lücke übereinkommensautonom durch Analogie zu Art. 25 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 Brüssel Ia-VO zu füllen.1748 Das LugÜbk 2007 enthält keine Parallele zu Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Es gibt also keine Norm, auf die sich direkt eine Umkehrung der Priorität zugunsten des prorogierten Gerichts stützen ließe. Vielmehr gilt vorderhand ein striktes zeitliches Prioritätsprinzip. Jedoch ist aus der Sache heraus eine Analogie zu Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu befürworten.1749 Der Kampf gegen Torpedo-Klagen ist auch unter dem LugÜbk 2007 ein berechtigtes Anliegen.
453
Das Prinzip der Trennung zwischen Hauptvertrag und Gerichtsstandsvereinbarung ist in Art. 23 LugÜbk 2007 zwar nicht ausdrücklich festgeschrieben wie in Art. 25 Abs. 5 Brüssel Ia-VO; es ist aber trotzdem anerkannt.1750
454
Das Rechtshängigkeitssystem der Art. 27, 28 LugÜbk 2007 vermittelt leider dieselben starken Fehl- 455 anreize wie jenes der Art. 27, 28 Brüssel I-VO. Es belohnt denjenigen, der sich über eine Gerichtsstandsvereinbarung hinwegsetzt und abredewidrig vor einem forum derogatum klagt. Diese Fehl1743 1744 1745 1746 1747 1748 1749 1750
P. A. Nielsen, Essays in Honour of Hans van Loon (2013) 409, 416; Eichel, GPR 2014, 159, 163. Eichel, GPR 2014, 159, 163. Siehe nur Vanfraechem, Liber amicorum Erauw (2014) 249, 256–259. BGE 143 III 558 3.3; LAG Düsseldorf, BeckRS 2017, 110381 Rz. 33. Siehe nur Hartley, Liber amicorum Ole Lando (2012) 197, 205. Dafür Ries, RIW 2019, 32, 36. Art. 31 Brüssel Ia-VO Rz. 20 (Leible); Hartley (2013) 125 LQ Rev 309, 313; Ries, RIW 2019, 32, 35. östOGH, ÖJZ 2018, 959, 960 m. Anm. Rohrer und Hussmann unter Hinweis auf EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 – Francesco Benincasa vs. Dentalkit Srl, EuGHE 1997 I 3767, 3798 f. Rz. 28–32 = JZ 1998, 896 m. Anm. Mankowski.
Mankowski
809
Art. 26 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung anreize gilt es zu beseitigen.1751 Die Abhilfe ist eindeutig: ein unbedingter Vorrang für Gerichtsstandsvereinbarungen vor dem zweiten Gericht.1752 Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO verwirklicht dies. Im LugÜbk 2007 hat er noch keine Parallele.1753 Auch der Nachfolger zu Art. 23 LugÜbk 2007 sollte de conventione ferenda sachlichen Vorrang gegenüber den heutigen Art. 27, 28 LugÜbk 2007 erhalten, indem das forum prorogatum zuständig wird, zuerst die Gerichtsstandsvereinbarung zu beurteilen und sodann in der Sache zu entscheiden, wenn es die Gerichtsstandsvereinbarung als wirksam bewertet, selbst wenn es erst als zweites Gericht angerufen wurde. Das gewählte Gericht sollte das Privileg erhalten, insoweit zu entscheiden, auch wenn ein anderes Gericht zuerst angerufen wurde.1754
Artikel 26 [Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung] (1) Sofern das Gericht eines Mitgliedstaats nicht bereits nach anderen Vorschriften dieser Verordnung zuständig ist, wird es zuständig, wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahren einlässt. Dies gilt nicht, wenn der Beklagte sich einlässt, um den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen oder wenn ein anderes Gericht aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig ist. (2) In Streitigkeiten nach den Abschnitten 3, 4 oder 5, in denen der Beklagte Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter eines Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist, stellt das Gericht, bevor es sich nach Absatz 1 für zuständig erklärt, sicher, dass der Beklagte über sein Recht, die Unzuständigkeit des Gerichts geltend zu machen, und über die Folgen der Einlassung oder Nichteinlassung auf das Verfahren belehrt wird. I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . III. 1. 2. 3. IV. 1. 2. 3. 4.
Stillschweigende Prorogation (Abs. 1 S. 1) Einlassung auf das Verfahren . . . . . . . . . Art. 26 und Schutzgerichtsstände . . . . . . . Art. 26 und Gerichtsstandsabreden . . . . . . Ausschluss der stillschweigenden Prorogation (Abs. 1 S. 2) . . . . . . . . . . . Zuständigkeitsrüge . . . . . . . . . . . . . . . Hilfsweise Einlassung und hilfsweise Rüge . Präklusion der Rüge . . . . . . . . . . . . . . Ausschluss der Rüge nach Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 4 4 11 12 13 13 15 16
5. Ausschließliche Zuständigkeit . . . . . . . . . V. Belehrung der schwächeren Partei (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . 2. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Belehrungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kein Rückgriff auf rein nationales Recht . . a) Alte Rechtslage unter der Brüssel I-VO . b) Rechtslage unter der Brüssel Ia-VO . . . 4. Hinweispflicht aus der RL über missbräuchliche Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Alte Rechtslage unter der Brüssel I-VO . b) Rechtslage unter der Brüssel Ia-VO . . .
21 22 22 24 28 28 31 32 32 33
20a
I. Überblick 1
Das Gericht ist unter den Voraussetzungen des Art. 27 Brüssel Ia-VO und Art. 28 Abs. 11 Brüssel IaVO verpflichtet, die Zuständigkeit ex officio zu kontrollieren. In allen übrigen Fallgestaltungen ob1751 Vorsichtiger Heidelberg Report/M. Weller, Rz. 388–395, vgl. aber auch dort Rz. 401. 1752 Grünbuch KOM (2009) 175, S. 5; Mankowski, IGKK/IACPIL 1 (2010) 1, 13 f.; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 11 f. 1753 Rechberger, FS Isaak Meier, 2015, 545, 547. 1754 Mankowski, IGKK/IACPIL 1 (2010) 1, 13 f.; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010) 1, 12. 1 Der EuGH stellte insofern fest, dass Art. 26 Abs. 1 Brüssel I-VO (entspricht Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) nur dann Anwendung findet, wenn sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht aus der Verordnung selbst ergibt. Folglich scheidet eine Prüfung dieser Vorschrift im Falle einer rügelosen Einlassung des Beklagten aus: EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 470 Rz. 35 = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf 1101 f.; dazu Mankowski, RIW 2010, 667 ff.; Staudinger, IPRax 2011, 548 ff.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 26 Brüssel Ia-VO
liegt es dem Beklagten, den Mangel der Zuständigkeit zu rügen. Nach Abs. 1 S. 1 wird ein Zuständigkeitsfehler2 dadurch geheilt, dass sich der Beklagte vor dem mitgliedstaatlichen Gericht „auf das Verfahren“ einlässt. Dies scheidet nach Abs. 1 S. 2 aus, wenn die Einlassung nur erfolgt, um diesen Mangel geltend zu machen. Ebenso wenig kommt eine zuständigkeitsbegründende Wirkung nach Abs. 1 S. 2 in Betracht, wenn eine anderweitige ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Brüssel Ia-VO besteht. Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sowie Art. 24 Brüssel I-VO entsprechen abgesehen von kleineren redaktionellen Änderungen3 der Vorläuferbestimmung in Art. 18 EuGVÜ. Im Rahmen der Reform der Brüssel I-VO wurde der Abs. 2 neu eingefügt, welcher den Schutz der schwächeren Partei der Abschnitte 3, 4 und 5 komplettiert und jene vor dem Verlust der Schutzgerichtsstände durch eine ungewollte rügelose Einlassung bewahren soll.
II. Anwendungsbereich Art. 26 Brüssel Ia-VO gelangt zur Anwendung, sofern der sachliche Regelungsbereich der Harmonisierungsmaßnahme nach Art. 1 Brüssel Ia-VO betroffen ist und die Klageerhebung intertemporal gem. Art. 66 dem Sekundärrechtsakt unterfällt. Abs. 1 S. 1 bedarf einer Einschränkung im Wege systematischer Interpretation.4 Im Hinblick auf den hinsichtlich des Abs. 1 wortgleichen Art. 24 Brüssel I-VO war umstritten, welche räumlich-persönlichen Anforderungen zu erfüllen waren. Einer Ansicht nach fand Art. 24 Brüssel I-VO selbst dann Anwendung, wenn beide Parteien in Drittstaaten beheimatet waren.5 Teils sollte in Anlehnung an Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 Brüssel I-VO der Beklagte,6 teils entsprechend dem Art. 23 Abs. 1 Brüssel I-VO Kläger oder Beklagter in einem Mitgliedstaat beheimatet sein.7 Plausibler erschien die letztgenannte Auffassung, da angesichts der Zusammenfassung von Art. 23 Brüssel I-VO und Art. 24 Brüssel I-VO im Abschnitt 7 unter der gemeinsamen Überschrift „Vereinbarung über die Zuständigkeit“ die rügelose Einlassung als stillschweigende Zuständigkeitsvereinbarung8 zu werten war.9 Demzufolge galten die im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 Brüs-
2 Art. 26 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO setzt nach seinem Wortlaut voraus, dass der Spruchkörper nicht bereits nach anderen Vorschriften der Verordnung zuständig ist. Siehe zu der Vorgängervorschrift Art. 24 S. 1 Brüssel I-VO auch EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 469 Rz. 21 = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf 1101 f.; dazu Mankowski, RIW 2010, 667 ff.; Staudinger, IPRax 2011, 548 ff. 3 Lediglich in einigen Sprachfassungen – so auch in der deutschen – wurde nach dem Vorbild der französischen Formulierung verdeutlicht, dass die Rüge der Unzuständigkeit durch die Verhandlung zur Hauptsache nicht unwirksam wird, sofern sie zum gleichen Zeitpunkt erfolgt; vgl. Begründung des Kommissionsentwurfs zur Brüssel I-VO, KOM (1999) 348, 20 f. = BR-Drucks. 534/99, 19 f.; s. hierzu Kohler in Gottwald (Hrsg.), Revision des EuGVÜ 1, 22 f. 4 Zur früheren Rechtslage abw.: Gothot/Holleaux, JDI 1971, 747, 765, 775. 5 Hess, § 6 Rz. 148; Magnus/Mankowski/Calvo Caravaca/Carrascosa González, Rz. 31 m.w.N. 6 Siehe etwa zur früheren Rechtslage unter dem EuGVÜ: Habscheid, ZfRV 1973, 262, 266; Piltz, NJW 1979, 1071, 1072; Samtleben, NJW 1974, 1590, 1594; Schulte-Beckhausen 121 ff.; beachte auch den Auslegungsbericht von Jenard zu Art. 18 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 38. 7 Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 130; Hk-ZPO/Dörner, (5. Aufl.) Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 4; Musielak/Voit/Stadler, (11. Aufl. 2014), Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 1; Schack, Rz. 550; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 26 Rz. 1. 8 Nachfolgend wird der Ansatz der h.M. zugrunde gelegt, die eine rügelose Einlassung als „stillschweigende Prorogation“ behandelt. Sie stützt sich dabei gleichermaßen auf den Bericht von Jenard wie die Rechtsprechung des Gerichtshofs (vgl. EuGH, NJW 1985, 2893; Dörner/Staudinger, IPRax 1999, 338, 339; Hess, § 6 Rz. 148; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 3 Fn. 6). Die rügelose Einlassung wird hiernach als besonderer Anwendungsfall der ausdrücklichen Zuständigkeitsvereinbarung angesehen. Der strukturelle Unterschied besteht allein darin, dass kein ausdrücklicher, sondern ein stillschweigender Vertrag geschlossen wird. Eine wirksame rügelose Einlassung erfordert keinen entsprechenden Willen des Beklagten. Sie tritt vielmehr unabhängig davon kraft der Brüssel I-VO ein. Eine Anfechtung wegen Irrtums scheidet demzufolge aus. Diese Ausführungen lassen sich ebenso auf die Brüssel Ia-VO übertragen. 9 Ebenso: EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290, IPRax 2011, 580 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 469 Rz. 20 ff. = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf, 1101 f.
Staudinger
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2
Art. 26 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung sel I-VO und Art. 3 Abs. 1 Brüssel I-VO spezielleren Anwendungsvoraussetzungen des Art. 23 Brüssel I-VO ebenso für Art. 24 Brüssel I-VO. 3
Für Art. 26 Brüssel Ia-VO gilt nunmehr Folgendes: Erfasst werden allein Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug. Dies folgt aus der Ermächtigungsgrundlage in Art. 67 Abs. 4, Art. 81 Abs. 2 lit. a, c, e AEUV (ex Art. 61 lit. c, Art. 65 EGV)10 und dem Gebot der primärrechtskonformen Auslegung. Große Teile des Schrifttums sowie der Judikatur bejahten einen Mitgliedsstaatenbezug als ungeschriebenes Tatbestandserfordernis des EuGVÜ bzw. der Brüssel I-VO.11 Diesen Gemeinschaftsbezug als Anwendungsschranke übertrug der BGH12 auf die stillschweigende Prorogation in Art. 18 EuGVÜ. Unter Bezugnahme hierauf hat sich mittlerweile auch der OGH13 bei der Interpretation der Parallelbestimmungen in Art. 1714 und 18 LugÜbk 198815 den Vertretern der Reduktionstheorie angeschlossen.16 Eine solche Auslegung des Art. 24 Brüssel I-VO ist im Lichte der vom Gerichtshof erlassenen Entscheidungen in den Rechtssachen Group Josi17 und Owusu18 abzulehnen.19 Diese Urteile lassen sich von ihrer ratio decidendi auf die Brüssel Ia-VO übertragen. Überdies folgt nunmehr aus dem Wortlaut in Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO sowie dem ErwGr. 13 S. 1 Brüssel Ia-VO, dass Verfahren der Harmonisierungsmaßnahme unterliegen, wenn zwischen ihnen und „dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten“ ein Anknüpfungspunkt besteht. Folglich greift Art. 26 Brüssel Ia-VO selbst dann ein, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Drittstaat hat. Eine eindeutige Klarstellung folgt 10 Siehe auch Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 1, 9a und 10 zu Art. 65 EGV sowie zur sachlichen Erweiterung der Unionskompetenz infolge Art. 81 AEUV des am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrags von Lissabon (Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007 zur Änderung des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU 2007 C 306/1 ff.; zu den konsolidierten Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), ABl. EU 2008 C 115/1 ff. s. etwa: Bergmann, DÖV 2008, 305 ff.; Hatje/Kindt, NJW 2008, 1761 ff.; Lengauer, ZfRV 2008, 4 ff.; Oppermann, DVBl. 2008, 473 ff.; Pache/Rösch, NVwZ 2008, 473 ff.; Pernice, EuZW 2008, 65; Streinz, ZG 2008, 105 ff.; Terhechte, EuR 2008, 143 ff.; beachte auch das Lissabon – Urteil des BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, NJW 2009, 2267 ff.; zum gescheiterten Verfassungsvertrag und den Perspektiven der Gemeinschaft: Mayer, JZ 2007, 593 ff.; Rabe, NJW 2007, 3153 ff.; Richter, EuZW 2007, 631 ff.; Schubert/ Schwithal, NJ 2008, 337 ff.; Weber, EuZW 2008, 7 ff.; vgl. auch Vedder/Wolff/von Heinegg, Europäischer Verfassungsvertrag (2007). 11 Vgl. hierzu die Angaben zum Streitstand bei Gebauer, ZEuP 2001, 949, 950 f. 12 BGHZ 134, 127, 133 = IPRax 1999, 367, 369 = LMK § 38 ZPO Nr. 32 m. Anm. Geimer = EWiR 1997, 95 f. m. Anm. Grunsky = ZZP 1997, 353 ff. m. Anm. Pfeiffer = JR 1997, 371 ff. m. Anm. Probst = WiB 1997, 494 ff. m. Anm. Ralle; krit. hierzu Dörner/Staudinger, IPRax 1999, 338, 339 f. 13 ÖstOGH, JBl 1998, 726, 727 ff.; der östOGH beruft sich auch auf die italienische Judikatur; krit. zu jener Entscheidung: Burgstaller, JBl 1998, 691, 693 ff.; hierzu auch Jayme/Kohler, IPRax 1998, 417, 418. 14 Zur schwedischen Judikatur, die sich ebenfalls für das Erfordernis eines Gemeinschaftsbezuges ausgesprochen hat, s. die Angaben und Kritik bei Pålsson, IPRax 1999, 52, 54, 56. 15 Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988, BGBl. 1994 II 2660 ff.; der Text ist abgedruckt bei Jayme/ Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht (17. Aufl. 2014) Nr. 152; hierzu sowie zum revidierten LugÜbk 2007 s. Staudinger in Rauscher, EuZPR/EuIPR (2011), Einf. LugÜbk 2007 Rz. 1 ff. 16 Der BGH scheint nunmehr von dieser Anwendungsschranke im Lichte der jüngeren Judikatur des EuGH Abstand zu nehmen; s. zum EuGVÜ: BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 17/03, NJW-RR 2005, 1593, 1594. 17 EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 – Group Josi vs. Universal General Insurance, EuGHE 2000 I 5925 ff. = EuLF (D) 2000/2001, 49 = IPRax 2000, 520 ff. m. Anm. Staudinger, 483 ff. = ZEuP 2001, 943 ff. m. Anm. Gebauer, 949 ff.; Jayme/Kohler, IPRax 2000, 454, 459; Koch, NVersZ 2001, 60 ff.; Schack, Rz. 322; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 14; Hausmann, EuLF (D) 2000/2001, 40, 44; Zöller/Geimer, (22. Aufl. 2001) Anh. I Art. 2 EuGVÜ Rz. 1, Art. 17 EuGVÜ Rz. 5. 18 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Owusu vs. Jackson u.a., EuGHE 2005 I 1383 ff. = IPRax 2005, 244 ff. m. Anm. Heinze/Dutta 224 ff. = JZ 2005, 887 ff. m. Anm. Bruns, 890 ff.; vgl. auch die Entscheidungsrezensionen von; McEleavy, ICLQ 2005, 973 ff.; Rauscher/Fehre, ZEuP 2006, 463 ff.; weitere Nachweise bei Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 487. 19 So auch die Deutung der Entscheidung Group vs. Josi (EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399) von Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Überblick Rz. 10; Geimer/Schütze/Pörnbacher, Einl. Brüssel I-VO Rz. 24; Kropholler/von Hein, vor Art. 2 Brüssel I-VO Rz. 8; Mayr, RabelsZ 69 (2005), 481; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 26, 169; Hüßtege in Thomas/Putzo (36. Aufl. 2015), Vorb. Art. 1 Rz. 21; Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481; kritisch äußerte sich Schack, Rz. 240 f.
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Staudinger
Kap. II: Zuständigkeit
Art. 26 Brüssel Ia-VO
nach der Reform aus Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, wonach es auf den Wohnsitz der Parteien einer Prorogationsabrede nicht mehr ankommt. Die Argumentation hinsichtlich des Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO wirft jedoch die Frage auf, ob drittstaatliche Parteien überhaupt vom Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO erfasst sind. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ist die Zuständigkeit der Gerichte bei Beklagten, die keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben, nach dem nationalen Recht zu bestimmen, es sei denn, es handelt sich um einen Fall der Art. 18 Abs. 1, Art. 21 Abs. 2 Brüssel Ia-VO sowie Art. 24 und 25 Brüssel Ia-VO. Misslicherweise fehlt der Art. 26 in dieser Aufzählung. Allerdings stellt die rügelose Einlassung einen Unterfall der stillschweigenden Gerichtsstandsvereinbarung dar.20 Aufgrund dessen waren auch schon unter dem Regime der Brüssel I-VO bei der rügelosen Einlassung die Voraussetzungen nach Art. 23 Brüssel I-VO trotz des Wortlautes von Art. 4 Abs. 1 Brüssel I-VO in Bezug zu nehmen. Die letztgenannte Norm war hinsichtlich ihrer Rückausnahmen noch restriktiver gefasst als der jetzige Art. 6 Abs. 1. Art. 26 Brüssel Ia-VO erfordert demnach nur das Verfahren vor einem mitgliedstaatlichen Gericht unabhängig vom Wohnsitz der Parteien.21 Mithin kann eine rügelose Einlassung von Drittstaatlern die Zuständigkeit einer mitgliedstaatlichen Justiz begründen. Ausgehend von dieser konkreten Vorschrift als Beispiel für den Sekundärrechtsakt ist ein Mitgliedstaatenbezug nicht mehr als conditio sine qua non anzusehen.22 Sofern ein Spruchkörper kraft Art. 26 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO zuständig ist, verbietet sich eine Korrektur nach Maßgabe der forum-non-conveniens-Doktrin. Ihr hat der Gerichtshof in einer Entscheidung zum EuGVÜ eine klare Absage erteilt.23 Diese Judikatur lässt sich ohne weiteres auf die Brüssel I-VO bzw. Brüssel Ia-VO übertragen.
III. Stillschweigende Prorogation (Abs. 1 S. 1) 1. Einlassung auf das Verfahren Abs. 1 S. 1 erfordert eine Einlassung des Beklagten auf das Verfahren. Geboten ist eine autonome 4 Auslegung dieser Begriffe.24 So liegt eine Einlassung nicht bereits in dem bloßen Unterlassen einer schriftlichen Stellungnahme zu der Frage des Vorliegens oder Nichtvorliegens der internationalen Zuständigkeit, wenn der Beklagte dazu vom Gericht aufgefordert wurde.25 Ausgenommen bleiben ferner Handlungen des Beklagten, die der eigentlichen Verteidigung vorgelagert und nicht unmittelbar auf Abweisung der Klage gerichtet sind. Dies betrifft etwa die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft i.S.d. § 276 Abs. 1 ZPO.26 Anhand der Einzelfallumstände ist zu bestimmen, inwieweit dies ebenso für einen Widerspruch oder Einspruch27 gilt. Da Abs. 1 S. 1 anders als § 39 ZPO keine Einlassung auf die Hauptsache voraussetzt, vermögen auch Einwände bzw. Einreden, die das Verfahren betreffen, ei-
20 Siehe dazu Rz. 2. 21 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 4; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 1; Geimer/Schütze/E. Pfeiffer/M. Pfeiffer, Rz. 8; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1. 22 Allgemein hierzu Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 20. 23 Siehe EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 – Owusu vs. Jackson u.a., EuGHE 2005 I 1383 ff. = IPRax 2005, 244 ff. m. Anm. Heinze/Dutta 224 ff. = JZ 2005, 887 ff. m. Anm. Bruns 890 ff.; vgl. auch die Entscheidungsrezensionen von; McEleavy, ICLQ 2005, 973 ff.; Rauscher/Fehre, ZEuP 2006, 463 ff.; weitere Nachweise bei Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 487. Zur Ablehnung der internationalen Zuständigkeit durch USamerikanische Gerichte unter Rückgriff auf dieses Institut: Brock/Lach, VersR 2008, 870; Kitzmüller/Pirsching, ZfRV 2007, 147 ff.; Mack, IPRax 2007, 464; Mankowski, EWiR 2007, 275 f. 24 OLG Braunschweig v. 10.6.2020 – 3 W 6/18 Rz. 69; OLG Koblenz, IPRax 2001, 334, 336; LG Kiel, IPRax 2009, 164, 165 m. Anm. Bachmann, 140 ff.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 17; Kropholler/von Hein, Rz. 7; Magnus/Mankowski/Calvo Caravaca/Carrascosa González, Rz. 10; s. auch östOGH, ZfRV 2000, 197. 25 EuGH v. 11.4.2019 – C-464/18 – ZX vs. Ryanair DAC, RRa 2019, 164, 167 = NJW-RR 2019, 684, 686; dazu Anm. Mankowski, EWiR 2019, 447. 26 BAG, RIW 2010, 232, 234; KG, BeckRS 2019, 4464; LG Frankfurt/M. v. 15.5.1990 – 3/11 O 158/89, EuZW 1990, 581 m. Anm. Mittelstaedt 582; Dostal, EuZW 2018, 983; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 132; Hess, § 6 Rz. 149; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 5; a.A. Aladyev, IWRZ 2017, 207, 210. 27 Beim Einspruch gegen ein Versäumnisurteil im deutschen Recht ist § 340 Abs. 3 S. 1 ZPO zu beachten; zu weitgehend daher Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3.
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Art. 26 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung ne Zuständigkeit zu begründen.28 Auch die Klageerwiderung im schriftlichen Vorverfahren nach § 276 Abs. 1 ZPO genügt für eine wirksame Einlassung.29 Dies gilt ebenso dann, wenn der Beklagte auf die Rüge der Zuständigkeit a priori verzichtet hat.30 Der Zuständigkeitsmangel wird gleichermaßen durch eine ausdrückliche Unterwerfung geheilt. Diese ist – wenn auch nicht ausdrücklich im Tatbestand aufgeführt – von Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO erfasst. Denn durch ein solches Verhalten beruft sich der Beklagte nicht auf die fehlende Zuständigkeit.31 Abzustellen ist allein darauf, ob sich der Beklagte objektiv ohne Rüge auf das Verfahren einlässt; ein die Rechtsfolgen einschließender rechtsgeschäftlicher Wille ist demgegenüber nicht erforderlich.32 Bleibt der Beklagte jedoch untätig, liegt in dessen Passivität keine – auch nicht konkludente – Unterwerfung.33 5
Der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten unterliegt die Frage, welche allgemeinen Wirksamkeitserfordernisse eine Einlassung erfüllen muss. Dies betrifft etwa den Anwaltszwang nach § 78 ZPO.
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Umstritten ist, ob sich der Beklagte bereits dann i.S.d. Abs. 1 S. 1 auf das Verfahren einlässt, wenn er an einem Gütetermin nach § 278 Abs. 2 S. 1 ZPO teilnimmt. Nach Ansicht von Schulte-Beckhausen,34 die sich in ihrer Untersuchung zur Vorläuferbestimmung im EuGVÜ allerdings auf Stellungnahmen in der Lehre bzw. Judikatur zu § 39 ZPO stützt, sind Gütetermine der eigentlichen Verhandlung vorgelagert und dienen der einvernehmlichen Streitbeilegung. Einlassungen des Beklagten in diesem Verfahrensstadium könnten daher keine Zuständigkeit nach Art. 18 S. 1 EuGVÜ begründen. Dies gelte entsprechend für Äußerungen in Vergleichsverhandlungen. Sie dienten zwar der Streitbeendigung, bezweckten indes nicht, das Gericht zu einer Entscheidung über den Rechtsstreit zu bewegen. Mit einem vor dem Spruchkörper geschlossenen Vergleich beendeten die Verfahrensbeteiligten den Rechtsstreit vielmehr nach ihrem Willen, während das Gericht lediglich als Beurkundungsstelle fungiere.
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Gegen diesen Ansatz spricht zunächst der Wortlaut, da Abs. 1 S. 1 gerade nicht voraussetzt, dass sich der Beklagte auf die „Hauptsache“, sondern ganz allgemein auf das „Verfahren“ einlässt. Dieser Begriff ist gemeinschaftsrechtlich autonom zu bestimmen,35 so dass der Qualifikation etwa nach § 39 ZPO keine Aussagekraft zukommt. Die Systematik zu Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO legt es vielmehr nah, dass sich der Begriff des „Verfahrens“ ebenfalls auf Termine wie die Güteverhandlung in § 278 Abs. 2 S. 1 ZPO erstreckt, die der eigentlichen Hauptverhandlung vorgelagert sind. Nach Art. 59 Brüssel IaVO genießen vollstreckbare Vergleiche Titelfreizügigkeit. Eine Legaldefinition des gerichtlichen Vergleichs findet sich in Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO „Vergleich, der von einem Gericht eines Mitgliedstaats gebilligt oder vor einem Gericht eines Mitgliedstaats im Laufe eines Verfahrens geschlossen worden ist“. Dies gilt nicht nur für einen Vergleichsabschluss im Güteverfahren nach § 54 Abs. 3 ArbGG, sondern auch für den schriftsätzlichen Prozessvergleich nach § 278 Abs. 6 S. 1 ZPO.36 Wenn aber der Begriff des „Verfahrens“ in Art. 2 lit. b Brüssel Ia-VO bereits Güteverhandlungen alleinig einbezieht, wäre es widersprüchlich, denselben Ausdruck in S. 1 restriktiver zu interpretieren. Eine autonome37 sowie auf die VO bezogene systematische Auslegung des Begriffes „Verfahren“ führt somit dazu, dass 28 BAG, RIW 2010, 232, 234. Etwa der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit; zum Einwand der res iudicata: Sandrock, ZVglRWiss 1979, 178 Fn. 3a; s. ferner OLG Koblenz v. 30.11.1990 – 2 U 1072/89, RIW 1991, 63; vgl. auch Magnus/Mankowski/Calvo Caravaca/Carrascosa González, Rz. 11. 29 OLG Braunschweig v. 10.6.2020 – 3 W 6/18 Rz. 69. 30 Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 14. 31 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 3. 32 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 4; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 5; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1. 33 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 28; Leible/Sommer, IPRax 2006, 568, 568; auch östOGH, EuLF 2006 II-84. 34 Schulte-Beckhausen 172 f. 35 OLG Koblenz, IPRax 2001, 334, 336; LG Kiel, IPRax 2009, 164, 165 m. Anm. Bachmann, 140 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 7; s. auch östOGH, ZfRV 2000, 197. 36 Art. 59 Rz. 7; Hk-ZPO/Dörner, Art. 59 Rz. 2; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 59 Rz. 2. 37 Keine Bedeutung erlangt daher die Tatsache, dass der Gütetermin in § 278 Abs. 2 S. 1 ZPO – abweichend vom arbeitsgerichtlichen Verfahren – nicht in die mündliche Verhandlung eingebettet, sondern strikt von ihr zu trennen ist.
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bereits die Teilnahme an einem Gütetermin zuständigkeitsbegründende Wirkung nach Abs. 1 S. 1 entfalten kann.38 Jedenfalls muss spätestens in dem Abschluss eines Prozessvergleichs innerhalb dieses Verfahrensabschnitts eine rügelose Einlassung liegen. Lässt sich der Beklagte wirksam auf das (Güte-)Verfahren ein, ohne den Mangel der internationalen 8 und örtlichen Zuständigkeit zu rügen, wird das Gericht gem. Abs. 1 S. 1 zweifelsohne international zuständig.39 Nach herrschender Auffassung40 soll dies aber ebenso stets für die örtliche Zuständigkeit gelten. Diese Ansicht verdient nur dann Zustimmung, wenn der Sekundärrechtsakt die örtliche Zuständigkeit unmittelbar festlegt.41 Sofern diese demgegenüber der nationalen Regelungsautonomie unterfällt, ist nach der jeweiligen lex fori festzustellen, ob hiernach auch die örtliche Zuständigkeit durch rügelose Einlassung begründet wird. Im Hinblick auf den Erlass einstweiliger Maßnahmen findet Art. 26 Brüssel Ia-VO keine Anwendung.42 Vielmehr verbleibt es insofern bei den Voraussetzungen des Art. 35 Brüssel Ia-VO.43
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Art. 26 Brüssel Ia-VO gilt tatbestandlich ebenso für die rügelose Einlassung des Klägers etwa im Falle 10 einer Widerklage und erstreckt sich auch auf die Aufrechnung.44 Bei mehreren Streitgegenständen sind nach Ansicht der Literatur die Voraussetzung einer rügelosen Einlassung für jeden einzelnen Anspruch zu prüfen.45 Zu bedenken ist indes, dass Art. 26 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO allein eine Einlassung auf das Verfahren als solches erfordert und jedenfalls eine autonome Auslegung dieser Zuständigkeitsregel geboten ist. Dies wirft die Frage auf, ob sich damit nicht der Rückgriff auf divergierende nationale Prozessrechte zur Bestimmung und Abgrenzung des Streitgegenstands verbietet und vielmehr in Anlehnung an die Grundsätze des Art. 29 Brüssel Ia-VO ein autonomes Begriffsverständnis vorzugswürdig erscheint. Demgegenüber erstrecke sich nach Auffassung des LG Kiel die rügelose Einlassung nicht nur auf bereits rechtshängige Streitgegenstände, sondern ebenfalls Klageerweiterungen und -änderungen, sofern dies nach dem jeweiligen nationalen Prozessrecht zulässig sei und die zu erhebenden Zuständigkeitsrügen auf den gleichen rechtlichen und tatsächlichen Überlegungen basierten.46 Lässt sich ein Streitgenosse rügelos auf das Verfahren ein, heilt dies nicht gleichermaßen einen etwaigen Zuständigkeitsmangel gegenüber den anderen Streitgenossen.47
38 Demgegenüber einschränkend für das Verfahren vor ArbG: BAG v. 2.7.2008 – 10 AZR 355/07, NZA 2008, 1084, 1086 m. krit. Anm. Mankowski, AP Nr. 1 zu Verordnung Nr. 44/2001/EG; insoweit zustimmend Temming, EuZA 2009, 413, 415 f.; ebenso BAG, RIW 2010, 232, 234. 39 Dies gilt nicht, wenn Art. 24 Brüssel Ia-VO einschlägig ist. 40 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 31; Schulte-Beckhausen, 142 f.; Zöller/Geimer, Rz. 1; s. auch BGH v. 17.3.2015 – VI ZR 11/14, VersR 2015, 1531, 1532 f. Rz. 20. 41 In diesem Fall kann der Beklagte auch allein die fehlende örtliche Zuständigkeit rügen, so dass die Gerichte des betreffenden Mitgliedstaats nach Art. 26 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO international zuständig sind. Ferner kann Art. 26 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO isoliert auf die örtliche Zuständigkeit zur Anwendung gelangen, wenn die Gerichte eines bestimmten Mitgliedstaates zwar international, der betreffende Spruchkörper nach den Vorschriften des Sekundärrechtsakts aber örtlich unzuständig ist. Hier wirkt sich die rügelose Einlassung nach Art. 26 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO allein im Hinblick auf die fehlende örtliche Zuständigkeit aus. 42 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 6. 43 EuGH v. 27.4.1999 – C-99/96, ECLI:EU:C:1999:202 – Mietz vs. Intership Yachting Sneek BV, EuGHE 1999 I 2277, 2317 Rz. 52; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 131; Spellenberg/Leible, ZZPInt 1999, 221, 231; Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 58 ff.; s. auch Geimer/Schütze, EuZVR Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 39. 44 EuGH v. 7.3.1985 – 48/84, ECLI:EU:C:1985:105, IPRax 1986, 27 – Spitzley vs. Sommer, EuGHE 1985, 787, 798 Rz. 19 f.; OLG Koblenz v. 27.2.1987 – 2 U 1481/82, IPRax 1987, 381 = RIW 1987, 629, 630; BGH v. 4.2.1993 – VII ZR 179/91, IPRax 1994, 114 f. m. Anm. Geimer, 82 ff.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 5, 37 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 18; Magnus/Mankowski/Calvo Caravaca/Carrascosa González, Rz. 26; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 3; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 8. 45 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 19; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 8. 46 LG Kiel, IPRax 2009, 164, 166; zust. Bachmann, IPRax 2009, 140, 142; s. aber auch zur fehlenden Erstreckung einer rügelosen Einlassung auf ein weiteres Verfahren: LG Kiel v. 30.1.2008 – 14 O 90/05, NZG 2008, 346, 347. 47 Geimer/Schütze, EuZVR Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 9.
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Nach nahezu einhelliger Ansicht48 entfaltet Art. 26 Brüssel Ia-VO eine zuständigkeitsbegründende Wirkung in Versicherungs-,49, 50 Verbraucher- und Arbeitssachen. Dies mag rechtspolitisch auf Be48 Zum Streitstand unter der Brüssel I-VO umfassend: Heinig, 580 ff.; wie hier östOGH, ZfRV 2003, 190; OLG Koblenz, IPRax 2001, 334 m. Anm. Mankowski, 310 (Mankowski will dies jedoch aus Gründen des Verbraucherschutzes allein dann gelten lassen, wenn der Verbraucher in der Rolle des Klägers handelt; so auch Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 131); Hk-ZPO/Dörner, Art. 26 Rz. 2; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 36 ff.; Zöller/Geimer, Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 3; Staudinger/Hausmann, (2002) Anh. II zu Art. 27–37 EGBGB Rz. 115; Heinig 597; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 16; Schulte-Beckhausen 113; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Staudinger, Handbuch der Europäischen Rechtspraxis § 22 Rz. 189; Wagner in Stein/Jonas, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 38; abweichend Collins 69, 76; de Bra 203 f.; Magnus/Mankowski/Nielsen, Art. 19 Rz. 15; Richter, RIW 2006, 578; hierzu BGH, RIW 2005, 776 ff.; OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 935 f. 49 So auch EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290, IPRax 2011, 580 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 470 Rz. 26 = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf 1101 f. 50 Demzufolge erfährt der Versicherungsnehmer auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit weniger Schutz als im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit nach Maßgabe des deutschen Zivilprozessrechts (Sperlich/ Wolf, VersR 2010, 1101, 1102). Nach § 40 Abs. 2 S. 2 ZPO kann nämlich selbst eine rügelose Einlassung des Versicherungsnehmers nicht den neuen Schutzgerichtsstand in § 215 VVG außer Kraft setzen. § 215 VVG trägt der Schutzwürdigkeit von Versicherungsnehmern dadurch Rechnung, dass diese ausschließlich an ihrem Wohnsitz verklagt werden können. Bei Klagen des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag gegen den Versicherer, Versicherungsvertreter, -makler und -berater besitzt der Versicherungsnehmer demgegenüber ein Wahlrecht und kann sogar am eigenen Wohnsitzgerichtsstand prozessieren. Problematisch ist jedoch, ob sich juristische Personen als Versicherungsnehmer auf § 215 Abs. 1 und 2 VVG stützen können, oder bei einem Aktiv- bzw. Passivprozess hingegen die allgemeinen Regeln (§§ 12 ff. ZPO) die örtliche (und internationale) Zuständigkeit vorgeben (Doppelfunktionalität) sowie § 33 Abs. 2 ZPO eingreift. Einer direkten Anwendung steht der Wortlaut der Norm entgegen. Der Wohnsitz i.S.d. § 215 Abs. 1 S. 1 VVG ist aufgrund unterschiedlicher Anknüpfungsmomente (vgl. §§ 13 und 17 ZPO) nicht mit dem Sitz einer juristischen Person gleichzusetzen (VersHB/Staudinger, § 41 Rz. 300). Es verbleibt damit lediglich der Ausweg über eine Analogie (VersHB/ Staudinger, § 41 Rz. 300; ebenso Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG Rz. 11; im Ausgangspunkt: LG Fulda v. 11.5.2012 – 4 O 144/12, VersR 2013, 481 und LG Hamburg v. 3.1.2012 – 401 HKO 60/11, VersR 2013, 482, die im Ergebnis eine Rechtsfortbildung jedoch ablehnen). Das Argument, § 215 VVG beschränke sich auf den Verbraucherschutz (in diese Richtung tendierend LG Fulda, VersR 2013, 481), steht einer Rechtsfortbildung nicht entgegen; denn Wortlaut und Gesetzgebungsgeschichte stützen dieses Verständnis nicht (MünchKommVVG/Looschelders, VVG § 215 Rz. 10; VersHB/Staudinger, § 41 Rz. 300). Eine bewusste Regelungslücke liegt mithin nicht vor. Für ihre Planwidrigkeit lässt sich ins Feld führen, dass sich der Gesetzgeber bei § 215 Abs. 1 VVG möglicherweise ungenau an § 29c ZPO orientiert hat (Looschelders/Heinig, JR 2008, 265 [267]; Looschelders/Pohlmann/Wolf, § 215 VVG Rz. 5). Ebenso ist denkbar, dass die Legislative sich an Vorgaben der Brüssel I-VO (bzw. bi- respektive multilateralen Verträgen) ausrichtete. Sie verweisen zwar bei natürlichen wie auch juristischen Personen gleichermaßen auf den Wohnsitz (vgl. etwa Art. 9 Abs. 1 Brüssel I-VO, nunmehr Art. 11 Abs. 1), konkretisieren ihn allerdings mittels einer Entsprechungsregel (s. bspw Art. 60 Abs. 1 Brüssel I-VO, deckt sich mit Art. 63 Abs. 1) (VersHB/Staudinger, § 41 Rz. 300; Staudinger, JR 2012, 47 [48]). Demzufolge erscheint zweifelhaft, dass der Wortlaut eindeutig dem Willen des Gesetzgebers entspricht; insbesondere, weil die Vorläuferbestimmung zu § 215 VVG (§ 48 a.F.) juristische Personen erfasste (MünchKommVVG/Looschelders, § 215 VVG Rz. 9; VersHB/Staudinger, § 41 Rz. 300). Lehnte man im Ergebnis eine Rechtsfortbildung ab, unterstellte man der Legislative, dass sie von der älteren Rechtslage zum Nachteil des Versicherungsnehmers habe abrücken wollen (MünchKommVVG/Looschelders, § 215 VVG Rz. 9; VersHB/ Staudinger, § 41 Rz. 300). Diesbezüglich fehlt eine Aussage in der entsprechenden Begründung. Überdies gilt in systematischer Hinsicht anzumerken, dass andere Vorschriften des VVG, welche ebenso den Versicherungsnehmer schützen (vgl. §§ 6, 7 und 8), gleichermaßen juristische Personen einbeziehen, was ebenso gegen eine planvolle Unvollständigkeit spricht. Die notwendige Vergleichbarkeit der Interessenlage lässt sich mit den zuvor genannten Bestimmungen des VVG (§§ 6, 7 und 8) belegen. Ferner drohte ein Wertungswiderspruch, wenn sich mangels Rechtsfortbildung die Ein-Mann-GmbH nicht auf § 215 Abs. 1 und 2 VVG berufen könnte, wohl aber der Einzelkaufmann. Lediglich die abweichende Unternehmensform rechtfertigt aber keine Ungleichbehandlung. Denn eine fehlende Schutzbedürftigkeit resultiert schließlich nicht zwangsläufig aus der Einordnung als juristische Person. Mit der (wohl) herrschenden Auffassung (LG Saarbrücken, BeckRS 2014, 14200; MünchKommVVG/Looschelders, § 215 VVG Rz. 9 ff.; VersHB/Staudinger, § 41 Rz. 300; Wandt/Gal, GS M. Wolf, 2011, 579 [581]; Looschelders/Pohlmann/Wolf, VVG § 215 Rz. 5) ist daher eine Einbeziehung juristi-
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denken stoßen,51 steht indes im Einklang mit dem Wortlaut der Vorschrift. Abs. 1 S. 2 (Art. 18 S. 2 EuGVÜ/LugÜbk 1988) sieht allein für den Fall eine Ausnahme vor, wenn ein anderes Gericht nach Art. 24 Brüssel Ia-VO ausschließlich zuständig ist.52 Für die Zulässigkeit einer stillschweigenden Prorogation lässt sich ferner die Wertung in Art. 15 Nr. 1 und 19 Nr. 1 Brüssel Ia-VO anführen. Hiernach ist eine abweichende Gerichtsstandsvereinbarung zulässig, „sobald die Parteien über einen bestimmten Punkt uneins sind und ein gerichtliches Verfahren unmittelbar oder in Kürze bevorsteht“.53 Dann muss es aber ebenso möglich sein, innerhalb eines bereits rechtshängigen Verfahrens stillschweigend die Zuständigkeit des Gerichts zu begründen.54 Der Wortlaut der novellierten Belehrungspflicht des Abs. 2 lässt keinen Zweifel daran, dass eine rügelose Einlassung auch zu Lasten einer wirtschaftlich schwächeren Partei Wirkung entfaltet.55 Die Möglichkeit der stillschweigenden Prorogation in Versicherungs- und Verbrauchersachen erlangt Bedeutung im Rahmen des Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel IaVO.56 Folgerichtig bleibt für die dort verankerte Nichtanerkennung einer Entscheidung aufgrund eines Verstoßes etwa gegen die Vorschriften des Abschnitts 3 von Kapitel II kein Raum, wenn sich der beklagte Versicherungsnehmer trotz Belehrung auf das Verfahren einlässt. Denn die Brüssel Ia-VO gewährleistet zwar den Schutz von tendenziell schwächeren Parteien, ohne ihnen diesen jedoch gegen ihren Willen aufzuzwingen.57
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scher Personen in den § 215 Abs. 1 S. 1 und 2 VVG qua Analogie zu befürworten (für eine direkte Anwendbarkeit sogar: Römer/Langheid/Rixecker, § 215 VVG Rz. 2; eine direkte sowie analoge Anwendung hingegen ablehnend: LG Fulda, VersR 2013, 481; LG Hamburg, VersR 2013, 482; Halm/Engelbrecht/Krahe/Krahe/Prütting, 2 Kapitel Rz. 12; Hk-VVG/Muschner, § 215 VVG Rz. 3, 9 f.; Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG Rz. 12; FAKomm-VersR/Krahe, § 215 VVG Rz. 7 f.; Marlow/Spuhl/Spuhl Rz. 1489; offen gelassen hingegen von: LG Cottbus, BeckRS 2011, 27578). Entscheidend ist damit der Verwaltungssitz der juristischen Person. Der vermeintlichen Gefahr eines überzogenen Schutzes dieser Rechtssubjekte durch § 215 Abs. 1 VVG analog beugt überdies § 210 Abs. 1 VVG vor (VersHB/Staudinger, § 41 Rz. 300). Eine Personengesellschaft (bspw GbR i.S.d. §§ 705 ff. BGB), die weder natürliche noch juristische Person ist, kann ebenfalls die Position eines Versicherungsnehmers einnehmen, sofern sie durch ihre Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet und damit Rechts- und Parteifähigkeit erlangt (BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056; zur Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft: BGH v. 2.6.2005 – V ZB 32/05, NJW 2005, 2061). Es erscheint geboten, ebenso Personengesellschaften (damit auch der OHG [§§ 105 ff. HGB] und KG [§§ 161 ff. HGB]) den Schutzgerichtsstand aus § 215 Abs. 1 VVG im Wege der Analogie zu eröffnen (Bruck/ Möller/Brand, § 215 VVG Rz. 12; MünchKommVVG/Looschelders, § 215 VVG Rz. 14; VersHB/Staudinger, § 41 Rz. 299; Looschelders/Pohlmann/Wolf, § 215 VVG Rz. 5; a.A. Prölss/Martin/Klimke, § 215 VVG Rz. 12; HkVVG/Muschner, § 215 VVG Rz. 3, 9). Eine Personengesellschaft verfügt über keinen Wohn-, sondern nur über einen Verwaltungssitz (in diesem Sinne Hüßtege in Thomas/Putzo, § 17 ZPO Rz. 1). Folglich ist dann für § 215 Abs. 1 VVG in entsprechender Anwendung der Sitz entscheidend. Eine Klarstellung von Seiten des Gesetzgebers, wonach in Anlehnung an andere Vorschriften die Gerichte am Wohnsitz oder Sitz des Versicherungsnehmers zuständig sind, bleibt wünschenswert; hierzu Fricke, VersR 2009, 15, 16 f.; Looschelders/Heinig, JR 2008, 265, 266 f.; a.A. Grote/Schneider, BB 2007, 2689, 2701; Marlow/Spuhl, Das Neue VVG kompakt (4. Aufl. 2010), 644 f.; zum bisherigen Gerichtsstand der Agentur in § 48 VVG a.F.: Fricke, VersR 2001, 925 ff. Vgl. auch Schütze, ZZP 90 (1977) 67, 76 Fn. 67: „erstaunliche Regelung“; Art. 153 EG (s. nunmehr Art. 12 und 169 AEUV; beachte hierzu die Angaben in Fn. 10), wonach die Gemeinschaft ein hohes Verbraucherschutzniveau fördert, sowie die insoweit einschränkende EuGH-Judikatur zu gemischten Verträgen (hierzu Art. 17 Rz. 3) aufführend Richter, RIW 2006, 578, 579. Ebenso den Ausnahmecharakter von S. 2 und die Notwendigkeit einer engen Auslegung betonend: EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 469 Rz. 22 ff. = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf 1101 f. Abweichend Mankowski, IPRax 2001, 310, 311; Richter, RIW 2006, 578, 579 f. (die Vorschrift sei lediglich deklaratorisch). Jenard-Bericht zu Art. 12 EuGVÜ, ABl. EG 1979 C 59/1, 33. Siehe aber auch noch hinsichtlich des Art. 24 Brüssel I-VO Magnus/Mankowski/Nielsen, Art. 19 Rz. 15; Mankowski, IPRax 2001, 310, 312 f. (für rügelose Einlassung genüge Passivität, zudem sei keine Form vorgeschrieben, die wie bei der Gerichtsstandsvereinbarung auch eine Warnfunktion erfülle). So nun auch Mankowski, RIW 2014, 625, 628; s. zur Belehrungspflicht ausführlich Rz. 22 ff. Leible in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rz. 75 f. EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290, IPRax 2011, 580 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 470 Rz. 27 ff. = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf 1101 f.
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Art. 26 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung 3. Art. 26 und Gerichtsstandsabreden 12
Nach ständiger Judikatur des Gerichtshofs58 geht die rügelose Einlassung nach Art. 26 Brüssel Ia-VO einer Gerichtsstandsabrede59 gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO vor.60 Der Sekundärrechtsgeber normiert in Abs. 1 S. 2 abschließend die Schranken einer stillschweigenden Prorogation. Während er Art. 24 Brüssel Ia-VO ausdrücklich benennt, fehlt ein Hinweis auf Art. 25 Brüssel Ia-VO. Die Möglichkeit, eine im Vorfeld getroffene Prorogation mit Hilfe des Art. 26 Brüssel Ia-VO zu überwinden, verletzt ebenso wenig die Interessen desjenigen Staates, in dem das vereinbarte Gericht liegt. Es ist schließlich kein Grund ersichtlich, weshalb man den Parteien einerseits eine Prorogationsfreiheit einräumen, ihnen andererseits aber die Befugnis absprechen sollte, eine einmal getroffene Entscheidung zu revidieren. Die Parteien können mithin eine vereinbarte (ausschließliche) Zuständigkeit eines Mitgliedstaates wieder dadurch aufheben, dass die eine Seite nicht am forum prorogatum klagt und die andere sich (ausdrücklich oder konkludent) der internationalen Zuständigkeit des Gerichtsstaates unterwirft. Sofern Art. 26 Brüssel Ia-VO eine Zuständigkeitsvereinbarung überspielt, entfällt auch das möglicherweise61 in dieser Abrede liegende Aufrechnungsverbot.62
IV. Ausschluss der stillschweigenden Prorogation (Abs. 1 S. 2) 1. Zuständigkeitsrüge 13
Eine stillschweigende Prorogation kommt nicht in Betracht, wenn der Beklagte ausdrücklich oder konkludent die internationale Zuständigkeit63 bestreitet.64 In der Rüge der örtlichen kann eine solche der internationalen Zuständigkeit mit enthalten sein.65 Dies ist allerdings anhand der Einzelfallumstände zu prüfen.66 Allein die Tatsache, dass die Brüssel Ia-VO – in weit größerem Maße67 als das EuGVÜ – auch die örtliche Zuständigkeit festlegt, vermag ebenso wenig einen Automatismus zu begründen wie der Gedanke der Praktikabilität.68 Der Beklagte lässt sich demzufolge auf das Verfahren
58 EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148, IPRax 1982, 234 – Elefanten Schuh vs. Pierre Jacqmain, EuGHE 1981, 1671 ff.; EuGH v. 7.3.1985 – 48/84, ECLI:EU:C:1985:105, IPRax 1986, 27 – Spitzley vs. Sommer, EuGHE 1985, 787 ff. 59 Bei Prorogationen gewinnt künftig das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (ABl. EU 2009 L 133/1 ff.; nachfolgend HProrogÜbk 2005; beachte auch den Entwurf der Bundesregierung zur Umsetzung in deutsches Recht, BT-Drucks. 18/2846) an Bedeutung, nachdem der Rat dem Vorschlag der Kommmission (KOM (2014) 46) gefolgt ist und das HProrogÜbk 2005 ab dem 1.10.2015 zwischen der EU und Mexiko Anwendung findet. Das Verhältnis zwischen der Brüssel Ia-VO lässt sich aus dem Art. 26 Abs. 6 HProrogÜbk 2005 entnehmen. Vom Anwendungsbereich des HProrogÜbk 2005 ausgenommen sind nach Art. 2 Abs. 1 lit. a, b Verbraucher- und Arbeitsverträge; s. dazu auch Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 70; Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 431 ff. 60 Vgl. statt aller: Dostal, EuZW 2018, 983; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 9; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 131; Heinig, 571; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 1; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 17. 61 Siehe hierzu Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 124 (noch zu Art. 24 Brüssel I-VO); Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 379 ff. 62 OLG Koblenz, EWiR 2000, 235 m. Anm. Theis 235; Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 131; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 18; unklar Schulte-Beckhausen 179 f. 63 Stellungnahmen zur Zulässigkeit der Klage sind dagegen nicht ausreichend: LG Kiel, IPRax 2009, 164, 165. 64 Die entsprechende Zuständigkeitsrüge ohne hilfsweise Einlassung zur Sache stellt keinen Widerspruch i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b EG-VollstrTitelVO dar: Kropholler/von Hein, Art. 3 EUVTVO Rz. 5; Pichler, GPR 2008, 99, 100; zu diesem Rechtsakt s. Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 6a sowie die Ausführungen von Pabst in Rauscher, EuZPR/ EuIPR (2021 sowie Vorauflage 2015), EG-VollstrTitelVO. 65 BGH, RIW 2005, 776, 777 m.w.N. zum Streitstand = IPRax 2006, 594 ff. m. Anm. Leible/Sommer, 568 ff.; LG Frankfurt/M. v. 12.5.1993 – 3/2 O 97/92, EWS 1994, 403, 404; OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 935; Bachmann, IPRax 2009, 140, 142; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 4; Schütze, ZZP 90 (1977) 67, 73 f.; s. auch oben Rz. 8. 66 Vgl. etwa BGH v. 17.10.2007 – XII ZR 146/05, NJW-RR 2008, 156 sowie östOGH, EuLF 2006 II-84. In besonders gelagerten Einzelfällen mag die Rüge als missbräuchlich erscheinen; hierzu Heinig, 606. 67 Siehe Art. 18 Abs. 1 2. Fall Brüssel Ia-VO. 68 Siehe auch Leible/Sommer, IPRax 2006, 568, 569; so aber Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3.
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Kap. II: Zuständigkeit
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ein, wenn er lediglich die örtliche, nicht zugleich die internationale Zuständigkeit rügt und sich nicht nur vorsorglich zur Sache äußert.69 Einer konkludenten Rüge gleichzustellen ist der Verweis auf eine Schiedsgerichtsvereinbarung70 (Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO)71 sowie der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit. Denn damit bringt der Beklagte zum Ausdruck, dass es dem staatlichen Spruchkörper auch an der Zuständigkeit für das betreffende Verfahren fehlt. Die Rüge der sachlichen Zuständigkeit genügt hingegen nicht.72
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2. Hilfsweise Einlassung und hilfsweise Rüge Eine lediglich hilfsweise Einlassung begründet keine Zuständigkeit kraft stillschweigender Prorogati- 15 on.73 Dies folgt zweifelsfrei aus der Textfassung des Abs. 1 S. 2. Ebenso wenig schadet es dem Beklagten, wenn er rechtzeitig die mangelnde Zuständigkeit geltend macht und hilfsweise die Widerklage für den Fall erhebt, dass der Spruchkörper sich entgegen der Rüge für zuständig hält.74 Auch im umgekehrten Fall, dass der Beklagte die Zuständigkeitsrüge lediglich hilfsweise gegenüber anderen Verteidigungsmitteln erklärt, genügt bereits diese hilfsweise Rüge. Es ist für Kläger und Gericht ausreichend erkennbar, dass der Beklagte sich gegen die Zuständigkeit des Gerichts wendet.75 3. Präklusion der Rüge Umstritten ist, bis zu welchem Zeitpunkt der Beklagte die Einrede der Unzuständigkeit erheben muss.76 Bezüglich der sekundärrechtlichen Schranken ist dabei auf das innerstaatliche Verfahrensrecht abzustellen.77 Dieses bestimmt, in welchem Verhalten des Beklagten sein erstes maßgebliches Verteidigungsvorbringen liegt. Eine Rüge der internationalen Zuständigkeit nach dieser Zäsur genügt nicht.78
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Nach Auffassung des IX. Zivilsenats79 kann der Beklagte die fehlende internationale Zuständigkeit 17 noch bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung geltend machen, sofern sie aus den Regeln des 69 70 71 72 73
74 75 76 77
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OLG Frankfurt, NJW-RR 2005, 935; vgl. auch Rz. 14. Die Schiedsgerichtsvereinbarungen haben in ErwGr. 12 Brüssel Ia-VO eine Stärkung erhalten. Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 8; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3. Abweichend wohl Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3. BGH v. 16.10.2008 – III ZR 253/07, NJW 2009, 148, 149; BGH v. 17.10.2007 – XII ZR 146/05, NJW-RR 2008, 156; EuZW 2006, 318, 319; OLG Oldenburg, IHR 2008, 112, 119; OLG Köln, IHR 2007, 164, 165; Geimer/ Schütze, EuZVR Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 46; Hk-ZPO/Dörner, Art. 26 Rz. 6; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 11; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 4; vgl. zum EuGVÜ: EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C: 1981:148, IPRax 1982, 234 – Elefanten Schuh vs. Pierre Jacqmain, EuGHE 1981, 1671, 1685 Rz. 14; EuGH v. 22.10.1981 – 27/81, ECLI:EU:C:1981:243, IPRax 1982, 238 – Rohr vs. Ossberger, EuGHE 1981, 2431, 2439, Rz. 7; EuGH v. 31.3.1982 – 25/81, ECLI:EU:C:1982:116, IPRax 1983, 77 – C. H. W. vs. G. J. H., EuGHE 1982, 1189, 1204 Rz. 13; EuGH v. 14.7.1983 – 201/82, ECLI:EU:C:1983:217, IPRax 1984, 259 – Gerling Konzern vs. Amministrazione del tesoro, EuGHE 1983, 2503, 2517 Rz. 21; BGH, RIW 2005, 776, 777 = IPRax 2006, 594 m. Anm. Leible/Sommer 568 ff.; IPRax 2001, 331, 331 m. Anm. Pulkowski 306 ff. Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 12; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2; s. die Darstellung des Streitstandes bei Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 51. EuGH v. 13.7.2017 – C-433/16 – Bayerische Motoren Werke AG vs. Acacia Srl, IPRax 2018, 198, 200 Rz. 36. Siehe umfassend zum Streit Koechel, IPRax 2018, 165 ff. EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148, IPRax 1982, 234 – Elefanten Schuh vs. Pierre Jacqmain, EuGHE 1981, 1671, 1686 Rz. 16; LG Kiel, IPRax 2009, 164, 165 m. Anm. Bachmann, 140 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 15; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 5; Schack, Rz. 553; s. auch östOGH, JBl 1998, 518 m. abl. Anm. König; Czernich/Kodek/Mayr/Wallner-Friedl, Art. 26 EuGVVO 2012 Rz. 18. EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148, IPRax 1982, 234 – Elefanten Schuh vs. Pierre Jacqmain, EuGHE 1981, 1671, 1686 Rz. 16; s. die Angaben bei Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 15 Fn. 49. Nach der jüngsten Entscheidung EuGH v. 13.7.2017 – C-433/16 – Bayerische Motoren Werke AG vs. Acacia Srl, IPRax 2018, 198, 200 Rz. 33 ff. genügt für die Rechtzeitigkeit der Rüge bereits, dass sie gleichzeitig mit der ersten Verteidigungshandlung erhoben wird. Siehe dazu auch Koechel, IPRax 2018, 165 ff. BGHZ 134, 127 ff. = LMK § 38 ZPO Nr. 32 m. Anm. Geimer = EWiR 1997, 95 f. m. Anm. Grunsky = ZZP 1997, 353 ff. m. Anm. Pfeiffer = JR 1997, 371 ff. m. Anm. Probst = WiB 1997, 494 ff. m. Anm. Ralle.
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Art. 26 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung reinen nationalen Rechts abgeleitet wird.80 Dies gelte selbst dann, wenn eine Klageerwiderungsfrist nach §§ 275 Abs. 1 S. 1, 276 Abs. 1 S. 2 ZPO (a.F.) gesetzt wurde und mittlerweile verstrichen ist, da § 39 ZPO – zumindest im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit81 – Vorrang vor den Präklusionsvorschriften der §§ 282 Abs. 3 S. 2, 296 Abs. 3 ZPO (a.F.) genieße. Im Einklang mit dem Wortlaut des § 39 S. 1 ZPO (analog) solle damit vermieden werden, dass eine bloße Untätigkeit des Beklagten die Zuständigkeit des Gerichts begründet. Der verklagte Ausländer – so der BGH82 – braucht sich vor einem international unzuständigen Gericht nicht zur Sache einzulassen. Im Falle fehlender Belehrung nach §§ 39 S. 2, 504 ZPO (analog) könne der Beklagte demzufolge die mangelnde internationale Zuständigkeit bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem AG rügen. 18
Abweichend von der zu § 39 ZPO vertretenen Linie des IX. Zivilsenats in drittstaatlichen Sachverhalten soll es nach Ansicht des OLG Frankfurt83 demgegenüber unter der Ägide des EuGVÜ nicht genügen, wenn der Beklagte den Zuständigkeitsmangel zu Beginn der ersten mündlichen Verhandlung84 rügt. Vielmehr lasse sich der Beklagte bereits dann rügelos auf das Verfahren ein, wenn er in einer schriftlichen Klageerwiderung nach §§ 275, 277 ZPO zu einem anderen Aspekt als der internationalen Zuständigkeit Stellung beziehe. Dieser Ansicht haben sich sowohl der VI. Zivilsenat85 hinsichtlich des LugÜbk als auch der XI. Zivilsenat86 in Bezug auf die Brüssel I-VO angeschlossen. Beide Entscheidungen überzeugen im Ergebnis jedoch nicht, wie nachfolgend ausgeführt wird. Der Auffassung des OLG Celle zufolge, soll eine rügelose Einlassung i.S.v. Art. 24 Brüssel I-VO (entspricht Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) darüber hinaus auch dann vorliegen, wenn eine schriftliche Zuständigkeitsrüge erst im Anschluss an einen ersten Schriftsatz nachgeholt wird.87
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Aus Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO folgt, dass der Beklagte nicht gezwungen ist, vor einem international unzuständigen Gericht zu erscheinen, um dort die mangelnde Zuständigkeit geltend zu machen. Erst recht kann ihm nach der lex fori nicht auferlegt werden, bereits vor Beginn der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich die Unzuständigkeit zu rügen, wenn ihm eine Frist zur Klageerwiderung gesetzt worden ist. Es trifft ihn insoweit keine Prozessförderungspflicht. Beruft sich somit der Beklagte zu Beginn der mündlichen Verhandlung88 erstmalig auf das Fehlen der internationalen Zuständigkeit, so kann sein Vorbringen nicht als verspätet zurückgewiesen werden. Entsprechendes gilt für den Fall, dass der Beklagte sich vor der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich zur Sache äußert und im Verhandlungstermin nicht erscheint.89 Die Präklusionsvorschriften in §§ 282 Abs. 3 S. 2, 296 Abs. 3 ZPO werden durch die Art. 26 und Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO verdrängt.90 Die vom XI. Zivilsenat91 vorgenommene Differenzierung hinsichtlich der rügelosen Einlassung nach nationalen Prozessvorschriften bei inländischen sowie drittstaatlichen Sachverhalten auf der einen und nach dem EuGVÜ, (rev) LugÜ und der Brüssel I-VO bzw. Brüssel Ia-VO auf der anderen Seite vermag nicht zu 80 Ablehnend Geimer, Rz. 1417. 81 Diese Privilegierung der internationalen Zuständigkeit ist nicht recht nachvollziehbar: s. die Kritik von Dörner/Staudinger, IPRax 1999, 338, 340; Grunsky, EWiR 1997, 95, 96; die Entscheidung kritisiert etwa auch Linke/ Hau, Rz. 10.3; zu diesem Urteil ebenfalls Ralle, WiB 1997, 494 ff. 82 BGHZ 134, 127, 136. 83 OLG Frankfurt, IPRax 2000, 525 m. krit. Anm. Kulms, 488, 493; ebenso im Zusammenhang mit Gewinnzusagen OLG Rostock v. 14.10.2005 – 8 U 84/04, NJW-RR 2006, 209, 210; s. bereits OLG Hamm, RIW 1999, 540; offen lassend LAG Frankfurt/M., IPRax 2008, 131, 133 m. Anm. Eichenhofer, 109 ff.; zust. Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 15; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 7; Musielak/Voit/Stadler, Rz. 3; Schack, Rz. 553; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 6. 84 So aber wohl Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 132; Leipold, IPRax 1982, 222, 224. 85 BGH v. 31.5.2011 – VI ZR 154/10, IPRax 2013, 168 = NJW 2011, 2809, 2812 Rz. 35. 86 BGH v. 19.5.2015 – XI ZR 27/14. 87 OLG Celle, IPRspr. 2008, 431 ff.; ähnlich Czernich/Kodek/Mayr/Wallner-Friedl, Art. 26 EuGVVO 2012 Rz. 21; s. auch LG Kiel, IPRax 2009, 164, 165 m. Anm. Bachmann, 140 ff. 88 Zum der eigentlichen streitigen mündlichen Verhandlung vorgelagerten Gütetermin s. Rz. 6 f. 89 OLG Celle v. 26.3.2008 – 3 U 238/07. 90 Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 15; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 7; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 26 Rz. 6; zum EuGVÜ: OLG Köln, NJW 1988, 218; LG Frankfurt/M. v. 12.5.1993 – 3/2 O 97/92, RIW 1993, 933 f.; Heß, JZ 1998, 1021, 1023 Fn. 41; Pfeiffer, ZZP 1997, 370 f.; Schulte-Beckhausen 191 ff.; abweichend Schack, Rz. 553; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 296 ZPO Rz. 157. 91 BGH v. 19.5.2015 – XI ZR 27/14.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 26 Brüssel Ia-VO
überzeugen. Der EuGH stellt in seiner Elefanten Schuh-Entscheidung92 sowie dem jüngeren, diese bekräftigenden Urteil in der Rechtssache BMW/Acacia93 auf das erste Verteidigungsvorbringen nach dem innerstaatlichen Prozessrecht ab, wonach die Rüge wenigstens gleichzeitig mit jenem erklärt werden müsse. Folglich ist in beiden Konstellationen hinsichtlich des Zeitpunktes der rügelosen Einlassung zur Begründung der internationalen Zuständigkeit das nationale Zivilverfahrensrecht ausschlaggebend. Dieselben Vorschriften in den verschiedenen räumlichen Fallgestaltungen aber unterschiedlich anzuwenden, stößt auf Bedenken. Ansonsten müssten die Beklagten je nach einschlägiger Rechtsquelle früher oder später ihrer Prozessförderungspflicht nachkommen. Gerade mit Blick auf den neu eingefügten Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO lässt sich diese Judikatur zumindest nicht auf die Brüssel Ia-VO übertragen. Denn bei schutzwürdigen Beklagten i.S.d. Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO sind die Richter vielmehr gehalten, sich erst dann für international zuständig zu erklären, wenn sie dem Belehrungserfordernis nachgekommen sind. Fehlt es in der schriftlichen Aufforderung zur Klageerwiderung an der gebotenen Information, darf eine Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit am Beginn der mündlichen Verhandlung nach nationalem Prozessrecht nicht ausgeschlossen werden. Dies folgt aus dem mit Anwendungsvorrang ausgestalteten Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Die hier vertretene Lösung steht auch im Einklang mit dem Grundsatz der Mündlichkeit des deutschen Zivilprozesses. Bejaht der erstinstanzliche Spruchkörper – entgegen der rechtzeitig vorgebrachten Rüge – seine Zu- 20 ständigkeit und erlässt eine Entscheidung zu Lasten des Beklagten, ist es ihm anheim gestellt, Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelfe nach Maßgabe der jeweiligen lex fori einzulegen. In diesem Fall muss der Beklagte auch in der zweiten Instanz den Zuständigkeitsmangel geltend machen, da andernfalls im Verzicht auf die Wiederholung der Rüge eine stillschweigende Prorogation liegt.94 Voraussetzung ist allerdings, dass die internationale Zuständigkeit in der Rechtsmittelinstanz überhaupt kontrollfähig ist.95 Hat sich indes der Beklagte rügelos i.S.d. Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO eingelassen, kann selbst bei ihrer unterstellten Überprüfbarkeit in der Berufungsinstanz keine Klageabweisung dadurch erreicht werden, dass jener nun erstmals eine Rüge erhebt.96 Ob in dem richterlichen Hinweis in der zweiten Instanz auf die fehlende internationale Zuständigkeit ein Verstoß gegen das Gebot der Neutralität liegt, kann insofern dahinstehen. Denn jedenfalls sieht das vorrangige und abschließende Modell der rügelosen Einlassung nach Art. 26 Brüssel Ia-VO eine derartige Korrektur im Rechtsmittelverfahren nicht vor. Die Ausführungen sind von der Konstellation zu trennen, in welcher ein Verstoß gegen die europäisch verankerte Belehrungspflicht des Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO vorliegt.97 4. Ausschluss der Rüge nach Treu und Glauben Nach einer Entscheidung des OLG Karlsruhe98 kann die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit nach dem Prinzip von Treu und Glauben ausgeschlossen sein. In der Rechtssache hatte der schweizerische Beklagte zunächst ein selbstständiges Beweisverfahren vor einem deutschen Gericht betrieben, um im anschließenden Prozess dessen mangelnde Zuständigkeit zu rügen. Dieses Vorgehen wurde vom OLG nicht gebilligt: Das Erheben der Rüge stelle widersprüchliches Verhalten dar und verstoße damit gegen den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben, der auch bei der Anwendung des LugÜbk 2007 zu beachten sei. Daher sei das Verfahren so zu behandeln, als hätte der Beklagte sich rügelos eingelassen nach Art. 24 S. 1 LugÜbk 2007. Dem ist zuzustimmen. Da Art. 24 S. 1 LugÜbk 2007 inhaltsgleich ist mit Art. 26 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO, lässt sich ein Ausschluss der Rüge nach Treu und Glauben auf diese Vorschrift übertragen. 92 EuGH v. 24.6.1981 – 150/80, ECLI:EU:C:1981:148, IPRax 1982, 234 – Elefanten Schuh vs. Pierre Jacqmain, EuGHE 1981, 1671, 1685 Rz. 15 ff. 93 EuGH v. 13.7.2017 – C-433/16 – Bayerische Motoren Werke AG vs. Acacia Srl, IPRax 2018, 198, 200 Rz. 33 ff. 94 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 7; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 6; Zöller/Geimer, Rz. 4; zu Art. 18 LugÜbk 1988 BGH v. 27.6.2007 – X ZR 15/05, NJW 2007, 3501, 3502 f. 95 Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 13; Geimer/Schütze, EuZVR Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 53; zur Kontrolle der internationalen Zuständigkeit s. Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 52 ff. 96 Unzutreffend daher LG Lübeck, RRa 2011, 46 ff. 97 Dazu Rz. 24 ff. 98 OLG Karlsruhe, BeckRS 2018, 33367.
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Art. 26 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung 5. Ausschließliche Zuständigkeit 21
Nach Maßgabe des Art. 26 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO unterliegt die stillschweigende Prorogation der gem. Art. 27 Brüssel Ia-VO von Amts wegen zu prüfenden Schranke des Art. 24 Brüssel Ia-VO.99 So wie Zuständigkeitsvereinbarungen nach Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO keine rechtliche Wirkung entfalten, scheidet damit eine stillschweigende Prorogation aus, wenn Gerichte100 eines anderen Mitgliedstaates ausschließlich zuständig sind.
V. Belehrung der schwächeren Partei (Abs. 2) 1. Tatbestandliche Voraussetzungen 22
Vor der Reform wurde diskutiert, ob und inwieweit eine schwächere Partei in der Beklagtenrolle des Schutzes bedurfte. Nach der herrschenden Ansicht war zumindest eine freiwillige Belehrung durch den Richter möglich.101 Nach den Ausführungen des EuGH102 zur amtswegigen Prüfung der bewussten Einlassung durch den Beklagten fußte eine freiwillige Belehrung nicht auf nationalem, sondern autonomem Recht der Brüssel I-VO.103 Demnach stand es jedem mitgliedstaatlichen Spruchkörper frei, sich unter Rückgriff auf die Regelungszwecke der Abschnitte 3 bis 5 von Kapitel II zu vergewissern, inwieweit etwa ein Versicherungsnehmer die Tragweite seiner Einlassung erkannte. Für eine darüber hinausgehende Pflicht bedurfte es jedoch einer Regelung in der Brüssel I-VO. Durch die Schaffung des Abs. 2 ist die Legislative noch über die Ausführungen des EuGH hinausgegangen.104 Das Gericht hat nach dem neu eingefügten Abs. 2 sicherzustellen, dass die schwächere Partei einer Versicherungs-, Verbraucher- oder Arbeitssache über die Möglichkeit einer Zuständigkeitsrüge sowie deren Folgen belehrt wird. Demnach trifft das Gericht gegenüber der schwächeren beklagten Partei eine Belehrungspflicht.105 Bei dem situativen Anwendungsbereich ist zunächst zu fragen, ob ein Richter im Rahmen von Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nur das hypothetische oder aber das reale Vorliegen der Voraussetzungen der Abschnitte 3, 4 oder 5 zu prüfen hat. Die zuvor genannten Abschnitte sollen die schwächere Partei durch besondere Zuständigkeitsvorschriften privilegieren.106 Sie sehen Ausnahmen vom Grundsatz des Beklagtenwohnsitzes vor. Ebenso erweist sich die Belehrungspflicht als ein Sonderfall. Demzufolge sind gleichermaßen Schutzgerichtsstände107 als auch das Belehrungserfordernis 99 Vgl. OLG Frankfurt v. 1.8.2007 – 7 U 146/06, NJW-RR 2008, 663. 100 Da Art. 24 Brüssel Ia-VO allein die internationale Zuständigkeit bestimmt, ist die Formulierung „Gericht“ irreführend, da sie zugleich auf die örtliche Zuständigkeit hindeutet. 101 So auch Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 17; Schulte-Beckhausen, 229. 102 EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 470 Rz. 32 = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf 1101 f.; dazu Mankowski, RIW 2010, 667 ff.; Staudinger, IPRax 2011, 548 ff. 103 Siehe dazu Staudinger, IPRax 2011, 548, 551. 104 Auch in der Vorauflage wurde bereits in Art. 24 Rz. 18 für eine Belehrungspflicht plädiert; s. ebenfalls SchulteBeckhausen 229; Heinig, 603 f. 105 So ebenfalls Alio, NJW 2014, 2395, 2399 f.; auch andere Sprachfassungen (etwa die französische [„{…} la juridiction s’assure que le défendeur est informé de son droit {…}“ ins Deutsche übersetzt „Das Gericht stellt sicher, dass der Beklagte über sein Recht {…} informiert ist.“] oder griechische [„{…} to dikastrio {…} enasvakfei ti o emaclemor emgler|hgke cia to dikayl tou {…}“ ins Deutsche übersetzt „Das Gericht {…} gewährleistet, dass der Beklagte über sein Recht {…} belehrt wurde.“]) des Art. 26 Abs. 2, legen das Verständnis nahe, dass das Gericht die jeweilige Kenntnis des Beklagten zu ermitteln hat und selbst verpflichtet ist, den Beklagten zu belehren oder von vornherein selbst belehren muss; s. hierzu Mankowski, RIW 2014, 625, 629. 106 ErwGr. 18 Brüssel Ia-VO. 107 So für die Schutzgerichtsstände des Abschnitt 4 EuGH v. 19.1.1993 – C-89/91, ECLI:EU:C:1993:15, IPRax 1995, 92 – Shearson vs. TVB Treuhandgesellschaft, EuGHE 1993 I 139, 186 Rz. 13; EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 – Benincasa vs. Dentalkit, EuGHE 1997 I 3767, 3794 f. Rz. 13–16; EuGH v. 11.7.2002 – C-96/00, ECLI:EU:C:2002:436 – Rudolf Gabriel, EuGHE 2002 I 6367, 6399 Rz. 37; EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 – Engler vs. Janus Versand GmbH, EuGHE 2005 I 481, 515 f. Rz. 42 f.; EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 471 Rz. 32; EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 – Renate Ilsinger vs. Martin Dreschers als Insolvenzverwalter im Konkurs der Schlank & Schick GmbH, EuZW 2009, 489, 490 Rz. 47.
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Art. 26 Brüssel Ia-VO
restriktiv auszulegen. Daher sollte eine derartige Pflicht nur angenommen werden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der in Bezug genommenen Abschnitte 3 bis 5 in persönlicher108, sachlicher und situativer Hinsicht tatsächlich erfüllt sind.109 Ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht110 durch die Belehrung eines Richters etwa in Deutschland am LG111 ist aufgrund des Anwendungsvorrangs nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV112 der Brüssel IaVO und der dort verankerten Pflicht zu verneinen. Dies gilt umso mehr, als die Brüssel Ia-VO gerade zu einem fairen Verfahren führen und Informationsasymmetrien vorbeugen soll. Geht man von einer Belehrungs- und nicht allein von einer Überprüfungspflicht aus, dann sind die Grenzen des nationalen Fragerechts nicht tangiert.113 Die Art und Weise der Belehrung gibt der europäische Gesetzgeber hingegen nicht vor.114 Der Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO impliziert jedoch, dass das Gericht für das inhaltliche Verständnis des Beklagten Sorge tragen muss. In einer mündlichen Verhandlung umfasst die Fürsorgepflicht daher wohl auch die Übersetzung der Belehrung in die Sprache des Beklagten. Erfolgt eine solche schriftlich, sind hinsichtlich der förmlichen Zustellung an die Sprachvoraussetzungen des Art. 8 EuZustVO zu beachten.115 Weitere Fragen können sich hinsichtlich der Belehrung im schriftlichen Verfahren i.S.d. § 276 ZPO und einer etwaigen Säumnis der schwächeren Partei ergeben. Ob die allgemeine Säumnis als rügelose Einlassung qualifiziert werden kann oder nicht116, soll im vorliegenden Zusammenhang offen bleiben. Jedenfalls ist es mit Sinn und Zweck von Art. 26 Abs. 2 Brüssel IaVO unvereinbar, wenn es sich bei der beklagten Partei um einen Schutzadressaten nach der zuvor genannten Bestimmung handelt und der Erlass eines Versäumnisurteils laut § 331 Abs. 3 ZPO gegen sie droht. Um die Effektivität von Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO sicherzustellen, muss ein Richter daher die schwächere beklagte Partei möglichst frühzeitig und in schriftlicher Form belehren, §§ 139 Abs. 3, 4 S. 1 ZPO. Sofern die Forderung gegen einen Schutzadressaten tituliert wird, verbleiben ihm für den Fall der unterbliebenen Belehrung die in Rz. 24 ff. genannten Reaktionsmöglichkeiten. Auch im nationalen Prozessrecht muss ein Hinweis i.S.d. § 504 ZPO vor der Verhandlung zur Hauptsache erteilt 108 Im Kontext des Art. 31 Abs. 4 Brüssel Ia-VO geht Hohmeier ebenfalls davon aus, dass die Voraussetzungen des Art. 17 Brüssel Ia-VO zumindest in persönlicher Hinsicht für die Anwendbarkeit des Art. 31 Abs. 4 Brüssel Ia-VO erfüllt sein müssen (IHR 2014, 217, 225). Nach OLG Braunschweig v. 10.6.2020 – 3 W 6/18 Rz. 71 gehören zur geschützten Personengruppe nicht Aktionäre, die gegen die Gesellschaft klagen. 109 Anders Mankowski, der sich gegen das Vorliegen der situativen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO ausspricht, da ansonsten Verbraucher aus Drittstaaten nicht dem besonderen Schutz unterliegen würden (RIW 2014, 625, 628). Da die rügelose Einlassung als eine stillschweigende Gerichtsstandsvereinbarung zu werten ist, kann sich auch bei einem drittstaatlichen Verbraucher die Zuständigkeit des Spruchkörpers aus Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ergeben. Die Belehrungspflicht des Richters greift indes nur bei mitgliedstaatlichen Verbrauchern, wenn man das Vorliegen der situativen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO verlangt. Hinsichtlich eines Konsumenten aus einem Drittstaat kann jedoch die Hinweispflicht aus der RL über missbräuchliche Klauseln einschlägig sein, s. dazu Rz. 32. 110 Das Neutralitätsgebot ergibt sich aus § 139 ZPO; hinsichtlich einer freiwilligen Belehrung im Rahmen des Art. 24 Brüssel Ia-VO am LG wurde teilweise ein Konflikt mit der Neutralitätspflicht des Richters gesehen, s. dazu Sperlich/Wolf, VersR 2010, 1101, 1102. 111 Nach § 504 ZPO trifft die Belehrungspflicht nur den Richter am AG. 112 Mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages (beachte die Angaben in Fn. 10) am 1.12.2009 ist Art. 249 EGV durch Art. 288 AEUV ersetzt worden. 113 Diese Frage wird aufgeworfen bei Mankowski, RIW 2014, 625, 628. 114 Im Entwurf der Kommission (KOM (2010) 748 end) hatte diese in Art. 24 VO-E noch das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück vorgesehen. Demnach war die Pflicht dem Kläger auferlegt und das Gericht hatte, bevor es sich infolge der rügelosen Einlassung für zuständig erklärte, sicherzustellen, dass der Beklagte entsprechend belehrt worden war. Bereits der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss sprach sich in seiner Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ für eine Neuformulierung der Vorschrift aus, und zwar aufgrund von Ungewissheiten und einem großen Ermessensspielraum hinsichtlich der Norm in den jeweiligen Mitgliedstaaten (ABl. EU 2011 C 218/78, 81 Nr. 4.7, 4.7.1). Von dem Vorschlag der Kommission ist der europäische Gesetzgeber letztendlich abgerückt und hat das Gericht in die Pflicht genommen (s. dazu auch Mankowski, RIW 2014, 625, 629). 115 So Mankowski, RIW 2014, 625, 628. 116 Der Ansicht, dass Säumnis nicht zur rügelosen Einlassung führt, ist Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 28 Brüssel Ia-VO Rz. 1.
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Art. 26 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung werden und kann mündlich oder bereits schriftlich als vorbereitende Maßnahme laut § 273 Abs. 1 ZPO erfolgen.117 23
Zudem unterscheidet der supranationale Gesetzgeber nicht zwischen Beklagten mit oder ohne anwaltliche(r) Vertretung. Es stellt sich die Frage, ob das Gericht in Konstellationen, in denen Anwaltszwang herrscht118 oder der Beklagte einen Anwalt freiwillig hinzuzieht, davon ausgehen kann, dass der Prozessbevollmächtigte seinen Mandanten belehrt hat. Infolge seines Hinweises würde das Informationsdefizit ausgeglichen, so dass es an dem Schutzbedürfnis der beklagten Partei fehlte.119 Mangels Differenzierung innerhalb des Sekundärrechtsaktes wird das Gericht aber auch bei anwaltlich vertretenen Beklagten belehren müssen. Anders als bei der freiwilligen Belehrungsmöglichkeit unter dem Regime der Brüssel I-VO verbietet sich methodisch eine teleologische Reduktion.120
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Bislang ungeklärt ist die Konstellation, in welcher eine schwache Partei vertragliche Ansprüche abtritt oder diese per cessio legis auf eine andere natürliche oder juristische Person übergehen. Sollte die ursprünglich starke Partei eine negative Feststellungsklage121 erheben, stellt sich die Frage, ob das Gericht auch in dieser Fallgestaltung eine Belehrungspflicht gegenüber dem Zessionar trifft. Sinn und Zweck des Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ist es, die schwächere Partei vor dem unbewussten Verlust ihres besonderen Schutzgerichtsstandes zu bewahren. Dies legt den Schluss nahe, sich zunächst die Grundsätze zu vergegenwärtigen, wenn der Abtretungsempfänger122 selbst prozessiert. Dabei ist im Ausgangsfall123 bspw bei einer Klage des Sozialversicherers zu prüfen, ob auf seiner Seite ein hinreichendes Schutzbedürfnis anzuerkennen ist, um am forum actoris nach Art. 26 Abs. 2, Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO prozessieren zu dürfen. Vorliegend geht es zwar um das Belehrungserfordernis, allerdings lässt sich der vom EuGH bei der Zession entwickelte Filter der konkret-individuellen Schutzwürdigkeit124 übertragen. Zu beachten bleibt insofern, dass es sich bei den Abschnitten 3 bis 5 sowie Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO um Ausnahmeregelungen handelt, weshalb eine restriktive Auslegung geboten erscheint. Eine Belehrungspflicht sämtlichen Zessionaren gegenüber anzunehmen, wäre demzufolge mit der Systematik unvereinbar und stünde auch im Widerspruch zur Ratio des Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Ein solches Erfordernis allen Anspruchsempfängern gegenüber abzulehnen, wäre indes gleichermaßen methodisch verfehlt. Vielmehr ist auch bei enger Auslegung nach Sinn und Zweck davon auszugehen, dass einem Sozial- oder Vollkaskoversicherer als Legalzessionar sowie nach rechtsgeschäftlicher Abtretung einem Inkasso- bzw. Factoringunternehmen oder Werkstätten das Schutzbedürfnis in der Rolle als beklagte Partei fehlt. Dieses müsste allerdings einem Erben als natürliche Person zugesprochen werden, so dass er nach Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO vom Gericht zu belehren ist. Abweichendes gilt wiederum für den Staat, die Kirche oder eine Stiftung in der Rolle als Erbe.125 117 MünchKomm/ZPO/Deppenkemper, § 504 ZPO Rz. 7 f. 118 Die jeweilige lex fori regelt, ob und inwieweit eine anwaltliche Vertretung zulässig oder gar vorgeschrieben ist. Vor deutschen Landgerichten ergibt sich der Anwaltszwang aus § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO. 119 So auch schon zur freiwilligen Belehrung im Rahmen des Art. 24 Brüssel I-VO Mankowski, RIW 2010, 667, 671; Staudinger, IPRax 2011, 548, 551. 120 Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit der Entscheidung des EuGH (v. 4.6.2015 – C-497/13, ECLI:EU: C:2015:357 – Faber) im Rahmen der Verbrauchsgüterkauf-RL. Demnach hat ein Gericht auf materiell-rechtlicher Ebene von Amts wegen zu prüfen, ob die Verbrauchereigenschaft des Käufers vorliegt, unabhängig davon, ob sich dieser ausdrücklich darauf beruft und ob er anwaltlich vertreten wird. 121 Siehe zur negativen Feststellungsklage gegen einen Zessionar auch Art. 14 Brüssel Ia-VO Rz. 1a. 122 Bezüglich der prozessualen Spezialregeln für Verbrauchersachen entschied der EuGH etwa, dass sich ein Verbraucherschutzverband, der zedierte Rechte des Verbrauchers einklagt, nicht auf die Art. 15 ff. Brüssel I-VO berufen kann: EuGH v. 19.1.1993 – C-89/91, ECLI:EU:C:1993:15, IPRax 1995, 92 – Shearson Lehman Hutton Inc. vs. TVB Treuhandgesellschaft für Vermögensverwaltung und Beteiligungen mbH, EuGHE 1993 I 139 ff. = NJW 1993, 1251 f. Das gelte auch dann, wenn er zugunsten des Konsumenten eine Verbandsklage erhebt: EuGH v. 1.10.2002 – C-167/00, ECLI:EU:C:2002:555 – Verein für Konsumenteninformation vs. K H Henkel, EuGHE 2002 I 8111, 8138 Rz. 33 f. = IPRax 2003, 341, 343; vgl. hierzu Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 2. 123 EuGH v. 17.9.2009 – C-347/08, ECLI:EU:C:2009:561, IPRax 2011, 255 – Vorarlberger Gebietskrankenkasse vs. WVG-Schwäbische Allgemeine AG, EuZW 2009, 855 ff. 124 Dazu Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 17 ff. 125 Dazu Art. 13 Brüssel Ia-VO Rz. 23.
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2. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Belehrungspflicht Fraglich erscheint, welche Auswirkungen ein Verstoß gegen die europäisch verankerte Belehrungs- 24 pflicht zeitigt.126 Mangels abweichender Angaben in Art. 26 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO ist die Zuständigkeit des Gerichts zunächst begründet.127 Sinn und Zweck des Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO streiten jedoch dafür, das Belehrungserfordernis nicht zu unterlaufen. Weiterhin ist festzustellen, dass nach der Auslegungsmaxime des effet utile die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts sichergestellt werden soll. Dieser Grundsatz findet sich nicht im Sekundärrechtsakt selbst, sondern im Primärrecht in Art. 4 Abs. 3 EUV. Ebenfalls lässt sich das Recht auf ein faires Verfahren gem. Art. 47 Abs. 2 EU-GR Charta128 anführen. Daher sind mögliche Sanktionen in den Blick zu nehmen. Die vorherigen Argumente sprechen auch dafür, die Schlechterfüllung einzubeziehen.129 Der schwächeren Partei bleibt auf supranationaler Ebene unter Rückgriff auf die VO die Möglichkeit, bei dem Gericht des ersuchten Mitgliedstaates130 einen Antrag auf die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung nach Art. 45 Abs. 1 lit. e Zif i Brüssel Ia-VO zu stellen.131 Nach Abs. 3 darf in diesem Fall ausnahmsweise die Zuständigkeit des Ursprungsgerichts überprüft werden. Die Belehrungspflicht des Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO fällt allerdings weder in die von Art. 45 Abs. 1 lit. e Zif i Brüssel Ia-VO aufgeführten Abschnitte 3 bis 5 des Kapitel II, noch nehmen die entsprechenden Normen darauf Bezug. Der Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO flankiert jedoch das Schutzsystem der Abschnitte 3 bis 5 und ist erforderlich, um die Privilegierung der schwächeren Partei zu gewährleisten. Deshalb erscheint es vorzugswürdig, im Wege einer teleologischen Auslegung einen Versagungsantrag auf Art. 45 Abs. 1 lit. e Zif i Brüssel Ia-VO zu stützen.
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Bei Mitgliedsstaaten, deren Gerichtsbarkeit einen Instanzenzug vorsieht, sollte im Rahmen des Er- 26 kenntnisverfahrens im Ursprungsmitgliedsstaat bereits der Verstoß gegen Art. 26 Abs. 2 Brüssel IaVO geltend gemacht werden. Aus deutschem Blickwinkel ließe sich die Berufung nicht auf die nationalen Vorschriften, sondern Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO stützen. Der Ausschluss des § 513 Abs. 2 ZPO, wonach sich eine Zuständigkeitskontrolle verbietet, gilt nicht für die internationale Zuständigkeit, da jene ein höheres Gewicht hat, indem von ihr auch die Anwendung des Internationalen Privatrechts abhängt.132 Diese Lösung hat den Vorzug, dass die Verletzung der europäischen Hinweispflicht auf nationaler Ebene nicht perpetuiert, der schwächeren Partei schnellstmöglichst Schutz geboten und die Prozessökonomie gewahrt werden. Weiterhin kann ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch133 gegen den Ursprungsstaat wegen 27 judikativen Unrechts aufgrund des Unterlassens einer europäisch verankerten Belehrungspflicht angedacht werden.134 Das Richterspruchprivileg gem. § 839 Abs. 2 BGB erscheint als Haftungsbeschränkung ohnehin nicht mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht vereinbar zu sein. Das subjektive Recht des Beklagten besteht in der Belehrung durch das Gericht. Zwar ist ein Schadensersatz sonst auf einen qualifizierten Richtlinienverstoß zurückzuführen, jedoch liegt im vorliegenden Fall ein Verstoß gegen eine in der Verordnung vorgeschriebene Belehrungspflicht der schwächeren Partei 126 Für die Einordnung des Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO als sanktionslose Ordnungsvorschrift: Czernich/Kodek/ Mayr/Wallner-Friedl, EuGVVO 2012 Rz. 8. Dieselbe Frage nach den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die richterliche Belehrungspflicht stellt sich außerdem i.R.d. Art. 8 Abs. 2 EuGüVO. Dazu MünchKommFamFG/ Mayer, Art. 8 EuGüVO Rz. 15 f.; Staudinger/Steinrötter, JuS 2015, 1 ff. 127 Nach a.A. kommt es zu einer wirksamen Einlassung und damit Begründung der Gerichtszuständigkeit lediglich bei vorheriger Belehrung. Gegen ein Sachurteil des unzuständigen Gerichts müsse der Beklagte Rechtsmittel einlegen, Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 14; Zöller/Geimer, Rz. 13. 128 Charta der Grundrechte der Europäischen Union in der am 12.12.2007 unterzeichneten und am 1.12.2009 in Kraft getretenen Fassung (ABl. EU 2012 C 326/391 ff.). 129 So auch Mankowski, RIW 2014, 625, 629. 130 Siehe hierzu Legaldefinition in Art. 2 lit. e Brüssel Ia-VO. 131 Dieser Auffassung ist ebenso von Hein, RIW 2013, 97, 109; a.A. Pohl, IPRax 2013, 109, 111 Fn. 29. Sie tendiert dazu, dass der EuGH diesen Versagungsgrund eng auslegen wird; Röß, NJW 2018, 3745, 3749. 132 BGH v. 16.12.2003 – XI ZR 474/02, NJW 2004, 1456, 1457; OLG Koblenz v. 5.5.2014 – 3 U 1335/13; s. auch Einl. Brüssel Ia-VO Rz. 52. 133 Es ist umstritten, ob dieser Anspruch auf das nationale oder EU-Recht zurückzuführen ist, s. dazu Kischel, EuR 2005, 441 ff. 134 In diese Richtung tendierend auch Mankowski, RIW 2014, 625, 629.
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Art. 26 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung vor. Der Anweisungsbefehl der Brüssel Ia-VO ist insoweit eindeutig. Den Richter trifft bei Verfahren, welche ab dem 10.1.2015135 eingeleitet werden, in bestimmten Konstellationen die Pflicht zur Belehrung nach Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO. Wird eine solche unterlassen, entstehen in der Folge beispielsweise höhere Gerichts- oder Anwaltskosten des Beklagten, welche als kausaler Schaden geltend gemacht werden können. Hat der Verletzte es jedoch vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen, ein für ihn zumutbares Rechtsmittel einzulegen, welches den Eintritt des Schadens verhindert hätte, kann er keinen Ersatz verlangen.136 Daneben ist verstärkend Art. 6 Abs. 1 EUV i.V.m. Art. 38 Grundrechte Charta137 sowie nach einem Beitritt der EU zu der EMRK noch ein Verstoß gegen den fair trialGrundsatz des Art. 6 EMRK anzuführen. 3. Kein Rückgriff auf rein nationales Recht a) Alte Rechtslage unter der Brüssel I-VO 28
Die Regelungen eines Sekundärrechtsaktes genießen nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV138 Anwendungsvorrang vor den nationalen Vorschriften über die stillschweigende Prorogation.139 Die Reichweite dieses Vorrangs war hinsichtlich der Brüssel I-VO umstritten und ist weiterhin für das rev LugÜbk bis zu seiner Anpassung von Bedeutung.
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Einige Stimmen in der Literatur sahen in der Vorgängervorschrift des Art. 24 Brüssel I-VO eine lediglich bruchstückhafte Regelung, die einer Anwendung nationaler Vorschriften nur insoweit entgegenstehe, als dies den Zielen der Harmonisierungsmaßnahme widerspreche.140
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Ein Rückgriff auf § 504 ZPO141 erschien indes im Anwendungsbereich der Brüssel I-VO methodisch fragwürdig. Die herrschende Ansicht142 ging zutreffend davon aus, Art. 24 Brüssel I-VO versperre den Rückgriff auf die §§ 39, 40 ZPO, so dass insbesondere die in §§ 39 S. 2, 504 ZPO verankerte Hinweispflicht keine Anwendung finden konnte. Ein Richter durfte allerdings nach der Rechtsprechung des EuGH143 den Beklagten „freiwillig“ belehren.144 Diese ergab sich aus dem autonomen Recht der Brüssel I-VO sowie dem Sinn und Zweck der Schutzgerichtsstände. Unterließ das Gericht einen solchen Hinweis, verblieb es gleichwohl bei der von S. 1 angeordneten zuständigkeitsbegründenden Wirkung, losgelöst davon, dass aus nationalem Blickwinkel ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht
135 Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO. Siehe dazu Hk-BGB/Staudinger, § 839 Rz. 36 m.w.N. 136 Siehe zur Anwendbarkeit des § 839 Abs. 3 BGB beim unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch EuGH v. 24.3.2009 – C-445/06, ECLI:EU:C:2009:178 – Danske Slagterier vs. Deutschland, NVwZ 2009, 771, 775 Rz. 58 ff. 137 Siehe im weiteren Kontext zur Auslegung der RL über missbräuchliche Klauseln i.V.m. Art. 38 und 47 Grundrechte-Charta im Hinblick auf den Streitbeitritt einer Verbrauchervereinigung EuGH v. 27.2.2014 – C-470/12 – Pohotovost’ vs. Miroslav Vasˇuta, BeckRS 2014, 80462. 138 Mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages (beachte die Angaben in Fn. 10) am 1.12.2009 ist Art. 249 EGV durch Art. 288 AEUV ersetzt worden. 139 Art. 18 EuGVÜ genießt ebenfalls Vorrang vor den nationalen Bestimmungen. 140 So zu Art. 18 EuGVÜ: Leipold, IPRax 1982, 224. 141 So aber vertreten von Lenenbach, RabelsZ 62 (1998), 162, 171; Linke/Hau, Rz. 6.33 (für eine entsprechende Anwendung). 142 Gebauer/Wiedmann/Gebauer, Rz. 131; Geimer, Rz. 1417; Heinig, 566; Kropholler/von Hein, Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 5; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 5; Schack, Rz. 550; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 1 (in Bezug auf § 39 ZPO); zum EuGVÜ: Schulte-Beckhausen, 228 f.; j zu Art. 18 LugÜbk 1988 BGH v. 27.6.2007 – X ZR 15/05, NJW 2007, 3501, 3502; im Zusammenhang mit Gewinnzusagen s. OLG Rostock v. 14.10.2005 – 8 U 84/04, NJW-RR 2006, 209, 210. 143 EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 470 Rz. 32 = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf 1101 f.; dazu Mankowski, RIW 2010, 667 ff.; Staudinger, IPRax 2011, 548 ff. 144 Die Rechtsprechung des EuGH zur Freiwilligkeit der Belehrung im Bezug auf die Brüssel I-VO ist auf das rev LugÜbk übertragbar, da aus den teils angepassten Protokollen zum LugÜbk 2007 folgt, dass die Gerichte in den Signatarstaaten des LugÜbk 2007 bei der Anwendung und Auslegung des Übereinkommens u.a. den Grundsätzen gebührend Rechnung tragen müssen, die in Entscheidungen zur Brüssel I-VO durch den EuGH entwickelt worden sind.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 26 Brüssel Ia-VO
vorlag. Diese Rechtsprechung hat weiterhin für das rev LugÜbk Bedeutung, da der Gerichtshof mit dem Schutzzweck der Brüssel I-VO argumentiert. b) Rechtslage unter der Brüssel Ia-VO Infolge der Reform ist zwar eine eindeutige Regelung zur Hinweispflicht in Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia- 31 VO enthalten. Streitig bleibt indes weiterhin, ob im Anwendungsbereich der Norm ein Rückgriff auf die Belehrungspflicht nach § 504 ZPO möglich ist, sollte der Beklagte nicht zu dem von Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO geschützten Adressatenkreis gehören. Einige Stimmen in der Literatur sprechen sich für eine – jedenfalls analoge – Anwendung des § 504 ZPO nicht nur auf ein Fehlen der örtlichen oder sachlichen, sondern auch der internationalen Gerichtszuständigkeit aus.145 Auch nicht vom Tatbestand des Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO erfasste Personen seien im Falle der Prozessführung in einem fremden Land schutzwürdig.146 Die Gesetzgebungshistorie spreche ebenfalls für eine Absicht des europäischen Gesetzgebers, nationale Belehrungspflichten nicht durch Art. 26 Abs. 2 Brüssel IaVO einzuschränken.147 Die Brüssel Ia-VO regele im Schwerpunkt die gerichtliche Zuständigkeit und keine verfahrensrechtlichen Fragen, so dass sich ein lediglich fragmentarischer Charakter ergebe, der den Rückgriff auf nationales Verfahrensrecht nicht versperre.148 Dem kann nicht gefolgt werden.149 Da infolge der Reform Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nunmehr eine eindeutige Regelung der Hinweispflicht enthält, kann das Argument, die Brüssel Ia-VO betreffe nur die Zuständigkeit und nicht das Verfahren, nicht überzeugen. Ebenso würde nach einer solchen Betrachtungsweise der mit der VO angestrebte Zweck verfehlt, innerhalb des Binnenmarkts eine übereinstimmende Zuständigkeitsordnung zu schaffen. In diesem Zusammenhang ist das nach ErwGr. 15 S. 1 Brüssel Ia-VO erklärte Ziel des Rechtsakts zu beachten, einen Zuständigkeitskatalog zu schaffen, aus dem sich eben auch für Beklagte ihre Gerichtspflichtigkeit in hohem Maße als vorhersehbar ableiten lässt. Ferner trifft Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO die klare Entscheidung, gerade nur den dort genannten schwächeren Parteien den Schutz einer gesonderten Belehrung zukommen zu lassen, während andere Personen als weniger schutzwürdig eingestuft werden. Um diese genannten ausdifferenzierten Zielsetzungen und Entscheidungen des europäischen Gesetzgebers nicht zu unterlaufen, ist Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO als abschließende Regelung einzustufen. Wegen des Vorrangs des Sekundärrechtsakts gegenüber dem nationalen Recht ist daher der Rückgriff auf §§ 39 S. 2, 504 ZPO versperrt. Hinzu kommt, dass sich aus der RL über missbräuchliche Klauseln eine Hinweispflicht ergeben kann, welche Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO flankiert (hierzu unter 4.) Allerdings unterliegt natürlich auch die Klausel-RL tatbestandlichen Einschränkungen, so dass sie nicht in jedem Fall zur Anwendung kommen kann. Zur Illustration mag die Direktklage nach Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO eines deutschen Geschädigten aus einem Verkehrsunfall in Italien gegen einen italienischen Fahrer und Halter zusammen mit dessen Haftpflichtversicherer an einem deutschen Gericht dienen.150 Hinsichtlich einer isolierten Klage gegen die Haftpflichtversicherung ergibt sich die internationale und örtliche Zuständigkeit am Wohnsitzforum des Geschädigten aus Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO. Allerdings ist ein Prozess gegen den Fahrer und Halter nur gem. Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO am Wohnsitz des Beklagten in Italien möglich. Der Deliktsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ist nicht zielführend, da weder Handlungs- noch Erfolgsort in Deutschland am Wohnsitz des Geschädigten liegen.151 Auch kann der Geschädigte angesichts des ausdrücklichen Wortlauts von Art. 10 Brüssel Ia145 Musielak/Voit/Wittschier § 504 ZPO Rz. 2; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 9; MünchKomm/ZPO/Deppenkemper, § 504 Rz. 4; Patzina in MünchKomm/ZPO, § 39 Rz. 15; Mankowski, RIW 2016, 245, 247; Berger in Stein/ Jonas, § 504 Rz. 5; Röß, NJW 2018, 3745, 3748. 146 Röß, NJW 2018, 3745, 3748. 147 Röß, NJW 2018, 3745, 3748 f. 148 Patzina in MünchKomm/ZPO, § 39 Rz. 15; Röß, NJW 2018, 3745, 3748 f. 149 Ebenso Geimer/Schütze/E. Pfeiffer/M. Pfeiffer, Rz. 11; Linke/Hau, Rz. 6.33. 150 Siehe zu solch einer Konstellation AG Köln, DAR 2014, 470, dazu auch Staudinger, DAR 2014, 486; BGH, RIW 2015, 377 ff. sowie Vorinstanz LG Dortmund v. 18.6.2014 – 4 S 110/13, BeckRS 2014, 12972. 151 Der Handlungs- und Erfolgsort liegt am Unfallort in Italien. Aufgrund der Eingangsformulierung „Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat ver-
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Art. 26 Brüssel Ia-VO Zuständigkeit infolge rügeloser Einlassung VO nicht auf der Grundlage des Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO gegen den Fahrer und Halter und seine Haftpflichtversicherung gemeinsam klagen.152 Die Zuständigkeit eines deutschen AG wäre folglich bezüglich der Anspruchsdurchsetzung gegen den beklagten Fahrer und Halter nicht gegeben. Jene kann jedoch in Folge einer rügelosen Einlassung nach Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO begründet werden. Eine Belehrung des Fahrers und Halters nach Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ist ausgeschlossen, da er in dieser Konstellation nicht dem Schutz des Abschnitts für Versicherungssachen unterfällt. Ebenfalls verbietet sich ein Rückgriff auf die nationalen Vorschriften, wie § 504 ZPO. Gleichermaßen gelangt das Schutzinstrument der Hinweispflicht aus der RL über missbräuchliche Klauseln infolge einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts nicht zur Anwendung. Denn es mangelt an einer vertraglichen Bindung zwischen dem Geschädigten und dem Fahrer und Halter. Darüber hinaus fehlt es an einer Verbraucher- bzw. Unternehmereigenschaft der Beteiligten.153 4. Hinweispflicht aus der RL über missbräuchliche Klauseln a) Alte Rechtslage unter der Brüssel I-VO 32
Von der Belehrungspflicht nach Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu trennen war eine mögliche Hinweispflicht aus der RL über missbräuchliche Klauseln154, die in der Vergangenheit neben der Brüssel I-VO zur Anwendung gelangte.155 Allein eine solche Hinweis- als verlängerte Amtsprüfungspflicht vermochte die Effektivität der zuvor genannten Harmonisierungsmaßnahme zu sichern.156 Einfallstor für den richtlinienrechtlich abgeleiteten Hinweis war im deutschen Recht § 504 bzw. § 139 Abs. 3 ZPO. Diese Vorschriften gelangten damit auch im Rahmen des Art. 24 S. 1 Brüssel I-VO zur Anwendung, allerdings nur als Hülle für die gemeinschaftsrechtlich begründete, amtswegige und vor der rügelosen Einlassung angesiedelten Hinweispflicht. Diese beschränkte sich allerdings auf den Anwendungsbereich der Klausel-RL, so dass stets eine individual- oder vorformulierte Gerichtsstandsklausel vorliegen musste und laut ihrem ErwGr. 10 Klausel-RL Arbeitsverträge ebenso ausgenommen waren wie Versicherungssachen, sofern der Versicherungsnehmer nicht als Verbraucher agierte. Letzterem stand es frei, sich ungeachtet der Missbräuchlichkeit der Formularabrede auf das Gerichtsverfahren rügelos einzulassen.
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klagt werden“, kommt Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO im vorliegenden Fall als Option neben Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO (Italien) bei einer Klage vor einem italienischen Gericht ohnehin nicht in Betracht. Siehe dazu BGH, RIW 2015, 377 ff. Nach Ansicht des BGH kann die internationale Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO nur auf den Wohnsitzgerichtsstand des „Ankerbeklagten“ i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO und nicht auf eine Zuständigkeit in Versicherungssachen gestützt werden. Dies überzeugt in Anbetracht des Wortlauts, systematischen Zusammenhangs sowie im Lichte von Sinn und Zweck des Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO. In Anbetracht dessen sowie vor dem Hintergrund der bisherigen Judikatur des EuGH bestand für die Revisionsinstanz auch keine Vorlagepflicht laut Art. 267 Abs. 3 AEUV. Die ratio der Entscheidung des VI. Zivilsenats lässt sich auf Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO übertragen. Zudem kann nach Auffassung des BGH die Klage gegen den Fahrer durch Teilurteil nach § 301 ZPO als unzulässig abgewiesen werden, wenn es an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte ihm gegenüber fehlt. Siehe jüngst ebenso OLG Brandenburg v. 18.2.2016 – 12 U 118/15, IPRax 2018, 409 ff. m. Anm. Staudinger/Friesen, 366 ff. Auch diese Entscheidung erging noch zu Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO, lässt sich aber wegen Textidentität auf Art. 8 Nr. 1 Brüssel Ia-VO übertragen (vgl. ErwGr. 34 Brüssel Ia-VO). Siehe zur Hinweispflicht aus der RL über missbräuchliche Klauseln Rz. 32 f. RL 93/13/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4.1993, ABl. EG 1993 L 95/29 ff.; zuletzt geändert durch Art. 32 ÄndRL 2011/83/EU vom 25.10.2011, ABl. EU 2011 L 304/64 ff. Hierzu s. ausführlich Altauflage Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 17; sowie Art. 19 Rz. 6; eingehend Staudinger, Der Prozessvergleich und andere Formen konsensualer Streitbeilegung (unveröffentlicht); Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Staudinger, Handbuch der Europäischen Rechtspraxis § 22 Rz. 177; s. auch Hk-ZPO/Dörner (6. Aufl. 2015), Art. 24 Brüssel I-VO Rz. 6; Heinig, 598 ff. Ebenso für einen Sachverhalt ohne grenzüberschreitende Bezüge und somit außerhalb des Anwendungsbereichs der Brüssel I-/Ia-VO: EuGH v. 4.6.2009 – C-243/08, ECLI:EU:C:2009:350 – Pannon GSM Zrt vs. Erzsébet Sustikné Györfi, NJW 2009, 2367, 2368 m. zust. Anm. ebenfalls in Bezug auf Art. 24 Brüssel Ia-VO Pfeiffer, 2369; Heinig, EuZW 2009, 885 ff. und Mayer, GPR 2009, 220, 223; s. in diesem Zusammenhang EuGH v. 21.11.2002 – C-473/00, ECLI:EU:C:2002:705 – Cofidis SA vs. Jean-Louis Fredout, EuGHE 2002 I 10875 ff. Beachte auch jüngst BGH v. 15.5.2014 – III ZR 368/13, VersR 2014, 838, 842.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 26 Brüssel Ia-VO
Auch durch die EuGH Judikatur157 zur freiwilligen Belehrung, welche sich zwar nicht auf die RL jedoch auf die Brüssel I-VO als europäischen Sekundärrechtsakt bezog, blieb dieser Ansatz nicht versperrt. Vielmehr stellte der Gerichtshof fest, dass selbst ein „freiwilliges“ Belehrungserfordernis auf europarechtlichen Grundlagen basieren musste. Da sich die Hinweispflicht jedoch aus der RL ableitete, war dieses Erfordernis gewahrt. Folglich hatte eine dahingehende Pflicht ebenso für einen deutschen Richter gegenüber einem schwächeren beklagten Verbraucher im Anwendungsbereich des rev LugÜbk Bedeutung. b) Rechtslage unter der Brüssel Ia-VO Die Brüssel Ia-VO regelt in ihrem Kapitel 6 das Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten. Die RL 33 über missbräuchliche Klauseln wird dort nicht genannt. Es gibt ferner keine explizite Konkurrenzregel innerhalb der Verordnung. Der RL stehen ebenso wenig die auf Unionsebene zu beachtenden allgemeinen Grundsätze lex posterior und lex specialis entgegen. Um dem Missbrauch der Gestaltungsmacht zu begegnen, ist vielmehr in der Gesamtschau von einem Nebeneinander der Schutzinstrumente158 auszugehen. Dafür spricht auch Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, welcher die materielle Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen der lex fori des prorogierten Gerichts unterstellt.159 Ausweislich ErwGr. 20 Brüssel Ia-VO handelt es sich um einen Gesamtverweis auf das mitgliedstaatliche Recht des Gerichts unter Einschluss des dortigen Internationalen Privatrechts. Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO schließt jedoch Gerichtsstandsvereinbarungen vom Anwendungsbereich der Rom I-VO aus. Aus dem Zusammenspiel der Brüssel Ia- und Rom I-VO wird man, um die Rechtssicherheit innerhalb des Binnenmarktes sicherzustellen, im Wege der harmonischen Auslegung160 die Art. 3 ff. Rom I-VO zumindest analog heranziehen.161 Gelangt der Richter zu einem mitgliedstaatlichen Recht, so muss auch die RL als Kontrollmaßstab infolge einer richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts herangezogen werden. Dies gilt umso mehr im Lichte der Rechtssache Amazon162, deren Aussagegehalt sich auch auf Gerichtsstandsvereinbarungen übertragen lässt.163 Im Rahmen der RL findet ex officio eine Prüfung von Gerichtsstandsabreden statt, um sicherzustellen, dass unwirksame Klauseln keine Rechtsfolgen entfalten.164 Kontrolliert der Richter von Amts wegen in Folge der Klageerhebung eines Unternehmers die internationale Zuständigkeit und begründet Letztgenannter diese mit einer missbräuchlichen Klausel, dann droht, dass sich der Verbraucher auf der Grundlage der Abrede auf das Verfahren rügelos zur Hauptsache einlässt. Wird der Verbraucher nicht an seinem Wohnsitz verklagt und die abweichende Gerichtszuständigkeit auf diese Vereinbarung gestützt, bleibt der Richter gezwungen, den Konsumenten über die Tatsache der fehlenden internationalen Zuständigkeit im Vorfeld einer stillschweigenden Prorogation zu belehren. Eine solche amtswegige Kontrolle kann sich sowohl nach Maßgabe der Brüssel Ia-VO als auch der Klausel-RL ergeben. Im Hinblick auf verbraucherrechtliche Konstellationen, in denen sich die beiden Sekundärrechtsakte überschneiden, bedarf es keines Rückgriffs auf die zuvor genannte Harmonisierungsmaßnahme, da durch die unmittelbare Belehrungspflicht aus Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO kein Schutzdefizit mehr gegeben ist. Die Hinweispflicht wird mangels horizontaler Direktwirkung165 nicht unmittelbar aus 157 EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as, Vienna Insurance Group vs. Michal Bilas, RIW 2010, 468, 470 Rz. 35 = VersR 2010, 1099 ff. m. Anm. Sperlich/Wolf 1101 f.; dazu Mankowski, RIW 2010, 667 ff.; Staudinger, IPRax 2011, 548 ff.; s. dazu auch schon Rz. 22. 158 Auch die Entscheidung des EuGH v. 22.4.1999 – C-423–97, NZM 1999, 580 ff. lässt sich wohl dahin verallgemeinern, dass im Grundsatz von einer parallelen Geltung der Verbraucherschutz-RL auszugehen ist. 159 Siehe auch von Hein, RIW 2013, 97, 105. 160 ErwGr. 7 Rom I-VO i.V.m. Art. 80 Brüssel Ia-VO. 161 Ebenfalls von Hein, RIW 2013, 97, 105. 162 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15 – Verein für Konsumenteninformation vs. Amazon EU Sàrl, IPRax 2017, 483 = NJW 2016, 2727; beachte hierzu eingehend und m.w.N. Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 6. 163 Siehe ausführlich Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 6 f. 164 EuGH, EuZW 2009, 852 ff.; EuZW 2011, 27 ff. 165 Siehe zur Ablehnung einer unmittelbaren Anwendung von RL im Horizontalverhältnis in der Rechtsprechung des EuGH Mörsdorf, EuR 2009, 219.
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Art. 27 Brüssel Ia-VO Erklärung der Unzuständigkeit in Fällen des Art. 24 der RL entnommen, sondern es erfordert eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Vorschriften. Deshalb kann aufgrund des Anwendungsvorranges nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV166 nicht mehr direkt auf die Schutzmechanismen der RL über missbräuchliche Klauseln zurückgegriffen werden, sondern nur, wenn die Belehrungspflicht des Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nicht eingreift und keine Sperrwirkung entfaltet oder die VO auf das nationale Recht verweist. Um die Belehrungspflicht aus Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu bejahen, müssen – ausgehend von einem restriktiven Verständnis – die persönlichen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen der Abschnitte 3, 4 oder 5 vorliegen.167 Nun ist aber bereits der Verbraucherbegriff im Internationalen Zivilverfahrens- und Privatrecht im Lichte der Rs. Gruber168 sowie jüngst Schrems169 restriktiver ausgestaltet als im Europäischen Privatrecht i.S.d. Verbraucherrechte-RL170.171 In sachlicher Hinsicht bleiben etwa laut Art. 17 Abs. 3 Brüssel Ia-VO Beförderungsverträge, auf welchen Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO abstellt, ausgenommen. Diese unterfallen gleichwohl der Klausel-RL. Der Anwendungsbereich der mittelbaren Hinweispflicht aus der RL verlangt in situativer Hinsicht überdies kein Ausrichten. In einer solchen Fallgestaltung ist demzufolge ein Rückgriff auf das nationale Recht als Hülle für den richtlinienrechtlich abgeleiteten Hinweis möglich. Allerdings knüpft diese Pflicht immer an das Vorliegen einer missbräuchlichen Gerichtsstandsklausel an. Eine solche ist jedoch nicht Voraussetzung für das Belehrungserfordernis in Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, welcher insofern einen umfänglicheren Schutz gewährt.
Abschnitt 8 Prüfung der Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens
Artikel 27 [Erklärung der Unzuständigkeit in Fällen des Art. 24] Das Gericht eines Mitgliedstaats hat sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn es wegen einer Streitigkeit angerufen wird, für die das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig ist. Schrifttum: Arenas García, El control de officio de la competencia judicial internacional (1996), zitiert: Arenas García; Franzina, Il coordinamento fra lex fori e norme uniformi nell’accertamento del titolo di giurisdizione secondo il Regolamento (CE) n 44/2001, Riv. dir. int. 2004, 345; Geimer, Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit, WM 1986, 117; Grunsky, Rechtsfolgen des Fehlens der internationalen Zuständigkeit nach dem EuGVÜ, FS Hilmar Fenge (1996) 63; Mansi, Il giudice italiano e le controversie europee: dalla Convenzione di Bruxelles del 1968 alla Convenzione di Lugano del 1988 ed al Regolamento (CE) n 44/2001: competenza giurisdizionale, riconoscimento ed esecuzione delle decisioni (2004); M. Peiffer, Schutz und Obliegenheiten des Beklagten in der EuGVVO – Vertrauen ist gut, Verfahrensteilnahme ist besser, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 491; Schoibl, Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens nach dem Brüsseler und dem Luganer Übereinkommen, FS Rolf A Schütze zum 65. Geb. (1999) 777; Schoibl, Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit nach Europäischem Verfahrensrecht in Zivil- und Handelssachen, ZZPInt 10 (2005) 123. 166 Mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages (beachte die Angaben in Fn. 10) am 1.12.2009 ist Art. 249 EGV durch Art. 288 AEUV ersetzt worden. 167 Dazu Rz. 22. Anders Mankowski, der sich gegen das Vorliegen der situativen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO ausspricht, da ansonsten Verbraucher aus Drittstaaten nicht dem besonderen Schutz unterliegen würden (RIW 2014, 625, 628). 168 EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 458 ff. = EuZW 2005, 241 ff. m. Anm. Reich, 244 f. = IPRax 2005, 537 ff. m. Anm. Mankowski, 503 ff. 169 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 306 Rz. 32; s. dazu auch schon Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 13a. 170 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU Nr. L 304/64 ff. 171 Siehe zu dieser Divergenz Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 3.
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Art. 27 Brüssel Ia-VO Erklärung der Unzuständigkeit in Fällen des Art. 24 der RL entnommen, sondern es erfordert eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Vorschriften. Deshalb kann aufgrund des Anwendungsvorranges nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV166 nicht mehr direkt auf die Schutzmechanismen der RL über missbräuchliche Klauseln zurückgegriffen werden, sondern nur, wenn die Belehrungspflicht des Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO nicht eingreift und keine Sperrwirkung entfaltet oder die VO auf das nationale Recht verweist. Um die Belehrungspflicht aus Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu bejahen, müssen – ausgehend von einem restriktiven Verständnis – die persönlichen, sachlichen und räumlichen Voraussetzungen der Abschnitte 3, 4 oder 5 vorliegen.167 Nun ist aber bereits der Verbraucherbegriff im Internationalen Zivilverfahrens- und Privatrecht im Lichte der Rs. Gruber168 sowie jüngst Schrems169 restriktiver ausgestaltet als im Europäischen Privatrecht i.S.d. Verbraucherrechte-RL170.171 In sachlicher Hinsicht bleiben etwa laut Art. 17 Abs. 3 Brüssel Ia-VO Beförderungsverträge, auf welchen Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO abstellt, ausgenommen. Diese unterfallen gleichwohl der Klausel-RL. Der Anwendungsbereich der mittelbaren Hinweispflicht aus der RL verlangt in situativer Hinsicht überdies kein Ausrichten. In einer solchen Fallgestaltung ist demzufolge ein Rückgriff auf das nationale Recht als Hülle für den richtlinienrechtlich abgeleiteten Hinweis möglich. Allerdings knüpft diese Pflicht immer an das Vorliegen einer missbräuchlichen Gerichtsstandsklausel an. Eine solche ist jedoch nicht Voraussetzung für das Belehrungserfordernis in Art. 26 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, welcher insofern einen umfänglicheren Schutz gewährt.
Abschnitt 8 Prüfung der Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens
Artikel 27 [Erklärung der Unzuständigkeit in Fällen des Art. 24] Das Gericht eines Mitgliedstaats hat sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn es wegen einer Streitigkeit angerufen wird, für die das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig ist. Schrifttum: Arenas García, El control de officio de la competencia judicial internacional (1996), zitiert: Arenas García; Franzina, Il coordinamento fra lex fori e norme uniformi nell’accertamento del titolo di giurisdizione secondo il Regolamento (CE) n 44/2001, Riv. dir. int. 2004, 345; Geimer, Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit, WM 1986, 117; Grunsky, Rechtsfolgen des Fehlens der internationalen Zuständigkeit nach dem EuGVÜ, FS Hilmar Fenge (1996) 63; Mansi, Il giudice italiano e le controversie europee: dalla Convenzione di Bruxelles del 1968 alla Convenzione di Lugano del 1988 ed al Regolamento (CE) n 44/2001: competenza giurisdizionale, riconoscimento ed esecuzione delle decisioni (2004); M. Peiffer, Schutz und Obliegenheiten des Beklagten in der EuGVVO – Vertrauen ist gut, Verfahrensteilnahme ist besser, FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 491; Schoibl, Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens nach dem Brüsseler und dem Luganer Übereinkommen, FS Rolf A Schütze zum 65. Geb. (1999) 777; Schoibl, Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit nach Europäischem Verfahrensrecht in Zivil- und Handelssachen, ZZPInt 10 (2005) 123. 166 Mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages (beachte die Angaben in Fn. 10) am 1.12.2009 ist Art. 249 EGV durch Art. 288 AEUV ersetzt worden. 167 Dazu Rz. 22. Anders Mankowski, der sich gegen das Vorliegen der situativen Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO ausspricht, da ansonsten Verbraucher aus Drittstaaten nicht dem besonderen Schutz unterliegen würden (RIW 2014, 625, 628). 168 EuGH v. 20.1.2005 – C-464/01, ECLI:EU:C:2005:32 – Gruber vs. BayWa AG, EuGHE 2005 I 439, 458 ff. = EuZW 2005, 241 ff. m. Anm. Reich, 244 f. = IPRax 2005, 537 ff. m. Anm. Mankowski, 503 ff. 169 EuGH v. 25.1.2018 – C-498/16, ECLI:EU:C:2018:37 – Maximilian Schrems vs. Facebook Ireland Limited, WRP 2018, 304, 306 Rz. 32; s. dazu auch schon Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 13a. 170 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU Nr. L 304/64 ff. 171 Siehe zu dieser Divergenz Art. 17 Brüssel Ia-VO Rz. 3.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 27 Brüssel Ia-VO
I. Allgemeines Art. 27 Brüssel Ia-VO schreibt Art. 19 EuGVÜ und Art. 25 Brüssel I-VO ohne sachliche Veränderung 1 fort. Wenn Anhaltspunkte für eine ausschließliche Zuständigkeit eines Gerichts in einem anderen Vertragsstaat nach Art. 24 Brüssel Ia-VO bestehen, hat das angerufene Gericht zunächst sowohl seine eigene internationale Zuständigkeit als auch die mögliche Zuständigkeit jenes anderen Gerichts nach Art. 24 Brüssel Ia-VO von Amts wegen zu prüfen.1 Stellt es positiv fest, dass ein anderes Gericht nach Art. 24 Brüssel Ia-VO zuständig ist, so hat es sich selbst von Amts wegen für unzuständig zu erklären.2 Dies gilt nicht, wenn es selbst ebenfalls nach Art. 24 Brüssel Ia-VO zuständig ist.3 Es gilt auch nicht, wenn der Streitpunkt, hinsichtlich dessen das andere Gericht nach Art. 24 Brüssel Ia-VO zuständig wäre, im konkreten Verfahren nur eine Vorfrage darstellt.4 Andere Zuständigkeiten als jene nach Art. 24 Brüssel Ia-VO gehören nicht zum Prüfungsauftrag des Art. 27 Brüssel Ia-VO, auch wenn jene Zuständigkeiten wie die aus Art. 25 Brüssel Ia-VO oder aus den Schutzregimes ebenfalls grundsätzlich ausschließlich sind.5 Art. 27 schützt die Spitze der objektiven Zuständigkeitsordnung, nicht den Beklagten.6 Art. 27 Brüssel Ia-VO unterstreicht und schützt den Exklusivitätsanspruch der objektiven ausschließlichen Gerichtsstände.7 Art. 27 Brüssel Ia-VO ist Komplementärnorm zu Art. 24 Brüssel Ia-VO und Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO: Kann eine Zuständigkeit durch rügelose Einlassung begründet werden, also jenseits des Art. 24 Brüssel Ia-VO samt Art. 26 Abs. 1 S. 2 Var. 2 Brüssel IaVO, so ist eine Abweisung von Amts wegen ausgeschlossen; lässt sich der Beklagte jenseits des Art. 24 nicht ein, so greift Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.8 Art. 24 Brüssel Ia-VO dagegen ist ausweislich Art. 25 Abs. 4 a.E. Brüssel Ia-VO; Art. 26 Abs. 1 S. 2 Var. 2 Brüssel Ia-VO jeder Parteidisposition entzogen und gleichsam prozessualer ordre public.9 Art. 27 Brüssel Ia-VO ist in allen Instanzen und in jeder Verfahrensphase10 zu beachten. Er bindet die Gerichte aller Instanzen von Amts wegen.11 Er verdrängt wegen des Anwendungsvorrangs der Brüssel Ia-VO nationale Vorschriften, die eine Prüfung der internationalen Zuständigkeit in der Revisions- oder Kassationsinstanz ausschließen oder eine solche Prüfung von einer Rüge der Parteien abhängig machen.12 Umso mehr verdrängt er nationale Regeln, die eine Prüfung der internationalen Zuständigkeit in höheren Instanzen schlechterdings ausschließen wollen.13 Die Verletzung des Art. 27 1 BGH, NJW 1990, 318; Cass., JCP G 2017, 1198 = JCP G 2017.693 = Clunet 145 (2018) 134 m. Anm. Parisot. 2 Cass., JCP G 2017, 1198 = JCP G 2017.693 = Clunet 145 (2018) 134 m. Anm. Parisot; Grunsky, FS Fenge (1996) 63, 64. 3 Zustimmend Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 6. 4 Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 19 EuGVÜ Rz. 3; Torremans [1998] Edinburgh LRev 337, 343; Fawcett/Torremans, Intellectual Property and Private International Law (1999) 204; Bukow, Verletzungsklagen aus gewerblichen Schutzrechten (2003) 234–241; Geimer/Schütze/Försterling, Art. 25 EuGVVO Rz. 3 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 25 EuGVVO Rz. 1; Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 25 LugÜ Rz. 5; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 6 (2016); s. auch Jenard-Bericht 39. 5 Art. 27 Brüssel Ia-VO Rz. 4 (Mankowski); außerdem z.B. Geimer/Schütze/Försterling, Art. 25 EuGVVO Rz. 5 (2005); Kropholler/von Hein, Art. 25 EuGVVO Rz. 1; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 5 (2016) sowie EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 – Erich Gasser GmbH vs. MISAT Srl, EuGHE 2003 I 14693, 14741 Rz. 52. 6 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 2 (2016); M. Peiffer, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 491, 495 f. 7 Koza Ltd. v. Mustafa Akçil [2019] UKSC 40 [25], [2019] 1 WLR 4630 (S. C., per Lord Sales JSC). 8 Stein/Jonas/G Wagner, Art. 25 EuGVVO Rz. 6. 9 Jenard-Bericht, ABl. EWG 1979 C 59/38 Art. 19 EuGVÜ Anm.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 2 (2016). 10 Siehe nur Geimer/Schütze, IntUrtAnerk I/1 324; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 2; Matscher, FS Schlosser (2005) 561, 573; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 25 EuGVVO Rz. 7. 11 OLG Düsseldorf, IHR 2003, 181; Aud. Prov. Madrid AEDIPr 2000, 768, 769; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 11 (2016); vgl. TS, AEDIPr 2001, 925, 927. 12 EuGH v. 15.11.1983 – 288/82, ECLI:EU:C:1983:326 – Ferdinand Duijnstee vs. Lodewijk Goderbauer, EuGHE 1983, 3663, 3674 f. Rz. 13–15; BGHZ 109, 27, 31; A-G Vlas, Ned. Jur. 2019 Nr. 99 S. 1681, 1689; Redactionale aantekening, Ned. Jur. 2019 Nr. 100 S. 1696, 1697; Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 25 LugÜ Rz. 6. 13 Koza Ltd. v. Mustafa Akçil [2019] UKSC 40 [25], [2019] 1 WLR 4630 (S. C., per Lord Sales JSC); Geimer/ Schütze/Geimer, EuZVR Art. 25 EuGVVO Rz. 5.
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Art. 27 Brüssel Ia-VO Erklärung der Unzuständigkeit in Fällen des Art. 24 Brüssel Ia-VO gibt einen Berufungs-, Beschwerde-, Revisions- oder Kassationsgrund nach nationalem Recht ab und ist den dort ausdrücklich normierten Aufhebungsgründen gleichgestellt.14 Die materielle Rechtskraft heilt indes, ohne eine perpetuatio fori zu begründen.15 Weitere Sanktion ist die Nichtanerkennung einer unter Verletzung des Art. 27 Brüssel Ia-VO und damit des Art. 24 Brüssel IaVO ergangenen Entscheidung in den anderen Mitgliedstaaten nach Art. 45 Abs. 1 lit. e ii Brüssel IaVO).
II. Anwendungsbereich 3
Im räumlich-persönlichen Anwendungsbereich folgt Art. 27 Brüssel Ia-VO dem Art. 24 Brüssel IaVO, ist also immer dann anwendbar, wenn ein in Art. 24 Brüssel Ia-VO genanntes Zuständigkeitsmoment im EU-Gebiet liegt.16 Ob der Beklagte seinen Wohnsitz im EU-Gebiet hat oder nicht, ist dagegen unerheblich.17 Ein Zuständigkeitsmoment des Art. 24 Brüssel Ia-VO in einem Drittstaat löst Art. 27 Brüssel Ia-VO nicht aus.18 Vorausgesetzt ist allerdings, dass eine Zuständigkeit nach Art. 24 Brüssel Ia-VO im EU-Gebiet für den Klaganspruch, nicht nur für eine Vorfrage besteht.19 Art. 28 Brüssel Ia-VO erlaubt hier direkt keine Aussetzung,20 wenn und soweit es an einem Verfahren im Gerichtsstand des Art. 24 Brüssel Ia-VO (noch) fehlt. Auch eine analoge Anwendung des Art. 28 Brüssel Ia-VO versuchte nur zu kaschieren, dass man eine eigentlich nicht passende Vorschrift anwenden wollte und im Kern nur eine gesetzestechnische Einkleidung für ein sinnvolles Ergebnis sucht.
III. Entscheidung von Amts wegen 4
Im Gegensatz zu Art. 28 Brüssel Ia-VO setzt Art. 27 Brüssel Ia-VO keinerlei Einlassung oder Einlassungsmöglichkeit für den Beklagten voraus.21 Nach Art. 27 Brüssel Ia-VO kann das Gericht bereits nach Eingang der Klage entscheiden, ohne dass weitere Verfahrensschritte erfolgt sind.22 Dies folgt daraus, dass im Bereich des Art. 26 Brüssel Ia-VO ausweislich Art. 26 S. 2 Var. 2 Brüssel Ia-VO kein Gerichtsstand der rügelosen Einlassung möglich ist.23 Eine Heilung anfänglicher Unzuständigkeit durch rügelose Einlassung ist im Umfeld der ausschließlichen Gerichtsstände nach Art. 24 Brüssel IaVO – und nur bei diesen – nicht möglich.24 Sofern eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 25 Brüssel Ia-VO vereinbart ist, ist Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, nicht Art. 27 Brüssel Ia-VO anwendbar, denn eine Derogation kann durch rügelose Einlassung des Beklagten überholt werden.25 Art. 27 Brüssel Ia-VO schützt durch amtswegige Unzuständigkeitserklärung eben nur und ausschließlich die Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel Ia-VO, nicht aber Art. 25 Brüssel Ia-VO; dies begründet einen Umkehrschluss.26 Das Bestehen einer Gerichtsstandsvereinbarung darf das Gericht daher nicht von Amts 14 Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 3; Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 9. 15 Matscher, FS Schlosser (2005) 561, 573. 16 Kropholler/von Hein, Art. 25 EuGVVO Rz. 1; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 5 sowie Aud. Prov. Girona AEDIPr 2002, 670, 671 m. Anm. Gardeñes Santiago. 17 Geimer/Schütze/Försterling, Art. 25 EuGVVO Rz. 2 (2005). 18 Eingehend Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 7. 19 Jenard-Bericht Zu Art. 27 EuGVÜ; Schoibl, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 777, 784; Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 5. 20 Tendenziell anders Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 19 EuGVÜ Rz. 3; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 1. 21 ÖstOGH, ZfRV 2000/22 = wobl 2001/17; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2; Stein/Jonas/G Wagner, Art. 25 EuGVVO Rz. 12. 22 Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 2. 23 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 2; vgl. auch Aud. Prov. Madrid, AEDIPr 2000, 768, 769 f. 24 Coester-Waltjen, FS Heldrich (2005) 549, 553 sowie Simotta, FS Beys (2003) 1515, 1519. 25 Kropholler/von Hein, Art. 26 EuGVVO Rz. 1. 26 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 Rz. 52 – Erich Gasser GmbH vs. MISAT Srl; Pataut, RCDIP 99 (2010) 575, 585; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 25 EuGVVO Rz. 2; Mankowski, LMK 2016, 378249; Chalas, RCDIP 2016, 684, 690 f.; Lorente Martínez, Cuad. Der. Trans. 9 (1) (2017) 444, 447. Unzutreffend daher BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, WM 2014, 534.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 27 Brüssel Ia-VO
wegen prüfen;27 auch Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO steht unter dem Vorbehalt von Art. 26 Brüssel IaVO.28 Nicht geschützt werden des Weiteren Schiedsabreden29 und zum anderen die Zuständigkeiten aus den Schutzregimes der Art. 9–21 Brüssel Ia-VO.30 Eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Brüssel Ia-VO setzt sich auch gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des angerufenen Forums durch, denn nach Art. 25 Abs. 4 Var. 2 Brüssel Ia-VO sind die ausschließlichen Gerichtsstände derogationsfest.31 Die Derogationsfestigkeit der objektiven ausschließlichen Gerichtsstände gegenüber ausdrücklichen wie stillschweigenden Gerichtsstandsvereinbarungen aus öffentlichen Interessen ist Hintergrund für Art. 25. Brüssel Ia-VO32 Auf der anderen Seite verlängert Art. 27 f. Brüssel Ia-VO ür den kontradiktorischen Prozess unter 5 beiderseitiger Beteiligung den Art. 24 Brüssel Ia-VO33 und hält mittelbar den Beklagten zur wachsamen Wahrung seiner eigenen Zuständigkeitsinteressen an: Lässt der Beklagte sich ein, so hilft das Gericht ihm jenseits des Art. 24 Brüssel Ia-VO nicht. Art. 27 Brüssel Ia-VO ist kein Instrument, um Art. 24 Brüssel Ia-VO zu entwerten und dem Beklagten Schutz aufzudrängen, den dieser vielleicht gar nicht haben will. Der Beklagte soll, wenn er denn den Streit lieber jetzt ausfechten will, die Option haben, sich rügelos einlassen zu können. Jenseits von Art. 27 Brüssel Ia-VO muss das angerufene Gericht das Zuständigkeitsregime der Brüssel Ia-VO in dessen Gesamtheit beachten, und dies umfasst auch Art. 24 Brüssel Ia-VO. Eine amtswegige Unzuständigerklärung darf bei rügeloser Einlassung grundsätzlich nicht erfolgen, soweit man sich außerhalb des Art. 24 Brüssel Ia-VO bewegt. Eine Ausnahme gilt allerdings, wenn besondere Wertungen der Schutzregimes zugunsten schwächerer Parteien eingreifen, die Art. 24 Brüssel Ia-VO gegen die schwächere Partei nicht anwendbar machen.34 Die Prüfung von Amts wegen erstreckt sich nur auf die Rechtsfrage. Art. 27 Brüssel Ia-VO verpflichtet 6 das Gericht nicht, von Amts wegen zu ermitteln, ob Tatsachen bestehen, welche für eine ausländische Zuständigkeit nach Art. 24 Brüssel Ia-VO sprechen.35 Ob das Gericht die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen selber ermitteln muss oder darf, bestimmt sich vielmehr nach dem nationalen Verfahrensrecht des Gerichts.36 Gilt im nationalen Recht der Beibringungsgrundsatz, so bleibt es dabei.37 Dann trifft die an einer Anwendung des Art. 27 Brüssel Ia-VO interessierte Partei die Beweislast.38 Art. 27 Brüssel Ia-VO überspielt dies nicht. Das nationale Verfahrensrecht entscheidet auch darüber, welche Anregungen das Gericht den Parteien im Hinblick auf deren Sachvortrag zu zuständigkeitsbegründenden Tatsachen geben darf und wo das Neutralitätsgebot dem Gericht insoweit Grenzen zieht. Allerdings ist das Gericht nicht an Rechtsaussagen und Wertungen der Parteien gebunden, mögen diese auch von allen Parteien gemeinsam vorgetragen werden oder mögen auch alle Parteien darin übereinstimmen.39 Dass Art. 24 Brüssel Ia-VO einen ausschließlichen Gerichtsstand andernorts begründe, kann man nicht zugestehen. Ebenso wenig kann umgekehrt der Beklagte durch Nichtrüge einen Gerichtsstand nach Art. 24 Brüssel Ia-VO vor dem jetzigen Prozessgericht im Widerstreit mit 27 Mankowski, LMK 2016, 378249; Chalas, RCDIP 2016, 684, 690 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 5 (2016). 28 Koechel, GPR 2016, 204, 205. 29 Fasching/Konecny/Schoibl, Art. 25 EuGVVO Rz. 23; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 25 EuGVVO Rz. 2. 30 Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 25 EuGVVO Rz. 2. 31 Voiulloz, RJV1994, 337, 339; Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 25 LugÜ Rz. 13. 32 Bericht Jenard, S. 38; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 25 EuGVVO Rz. 1. 33 Beraudo, Clunet 128 (2001) 1033, 1065. 34 Dazu Mankowski, IPRax 2001, 310. 35 Siehe nur Basler Komm/Mabillard, Art. 26 LugÜ Rz. 34; Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 25 LugÜ Rz. 9; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 8 (2016); M. Peiffer, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 491, 496. 36 Schlosser-Bericht Nr. 22; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 25 EuGVVO Rz. 6; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 2; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 25 EuGVVO Rz. 10; Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 10. 37 Ebenso Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 9 (2016). 38 Schlosser-Bericht Nr. 22; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 25 EuGVVO Rz. 7; Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 25 LugÜ Rz. 10; Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 11. 39 Schlosser-Bericht Nr. 22; Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 10 f. sowie Mansi, Il giudice italiano e le controversie europee: dalla Convenzione di Bruxelles del 1968 alla Convenzione di Lugano del 1988 ed al Regolamento (CE) n 44/2001: competenza giurisdizionale, riconoscimento ed esecuzione delle decisioni (2004) 289; Wieczorek/Schütze/M. Weller, Rz. 4.
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Art. 27 Brüssel Ia-VO Erklärung der Unzuständigkeit in Fällen des Art. 24 Art. 24 Brüssel Ia-VO und dem diesen schützenden Art. 27 Brüssel Ia-VO begründen.40 Erst recht darf das Gericht nicht allein auf Grund klägerischer Behauptungen entscheiden, ob ein ausschließlicher Gerichtsstand nach Art. 24 Brüssel Ia-VO besteht.41 Der klägerische Vortrag gilt kraft europäischer Wertung insoweit selbst bei Säumnis des Beklagten nicht als zugestanden.42 Die Grenzziehung zwischen Rechts- und Tatsachenfragen kann trotzdem im Einzelfall Probleme bereiten.43 Sofern es zu einem echten Konflikt zwischen dem effet utile, einer effektiven Anwendung, des Art. 27 Brüssel IaVO einerseits und nationalem Verfahrensrecht andererseits kommen sollte, muss Art. 27 Brüssel IaVO vorgehen.44 8
Letzter maßgeblicher Zeitpunkt für die Tatsachenfeststellung ist nicht die Anhängigkeit der Klage, sondern in Deutschland der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung; anderenfalls könnte man zu dem unbefriedigenden Resultat gelangen, dass sich das angerufene Gericht zugunsten eines anderen Gerichts für unzuständig erklären müsste, obwohl jenes andere Gericht in der Zwischenzeit seit Anhängigkeit der Klage seine ausschließliche Zuständigkeit verloren hat.45 Allerdings trifft das Gericht die Verpflichtung aus Art. 27 Brüssel Ia-VO von Anbeginn an, und es darf nicht darauf warten, ob der Beklagte sich einlässt.46 Daher kann eine Abweisung auch geschehen, ohne dass eine mündliche Verhandlung zwingend stattgefunden haben müsste. Die Verpflichtung zur eigenen Unzuständigkeit besteht sowohl dann, wenn das nach Art. 24 Brüssel Ia-VO zuständige Gericht früher, als auch dann, wenn es später, als auch dann, wenn es zum Entscheidungszeitpunkt noch gar nicht angerufen war.47
IV. Unzuständigerklärung 9
Das entgegen Art. 24 Brüssel Ia-VO angerufene Gericht kann nur sich selber für unzuständig erklären. Diese Verpflichtung besteht kraft Art. 27 Brüssel Ia-VO als vorrangigem Unionsrecht und überspielt das nationale Recht.48 Das Instrument dafür stellt indes das nationale Prozessrecht,49 in Deutschland die Klagabweisung wegen Unzulässigkeit durch Prozessurteil.50 Das Gericht kann aber den Rechtsstreit nicht an das nach Art. 24 Brüssel Ia-VO zuständige Gericht eines anderen Vertragsstaates verweisen.51 Eine grenzüberschreitende Verweisung ist auch unter der Brüssel Ia-VO nicht möglich.52 Dies beruht auf Souveränitätserwägungen: Kein Staat gesteht einem anderen Staat zu, dass die eigenen Gerichte von dessen Gerichten gebunden werden könnten.53 Hinzu kommen Probleme etwa bei Rechtshängigkeit und Kosten.54 Art. 27 Brüssel Ia-VO durchbricht diese Regel nicht. Man kann ergänzend einen stützenden Schluss aus Art. 15 Abs. 1 lit. b, Abs. 5 Brüssel IIa-VO; Art. 19 Abs. 3 S. 2 Brüssel IIa-VO ziehen: Selbst dort geht man nicht bis zu einer vollen Verweisung, welche 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52
53 54
Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 13. Jayme/Kohler, IPRax 1993, 357, 366; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 25 EuGVVO Rz. 9. M. Peiffer, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 491, 496. Arenas García, 152; Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 18. Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 21. Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 36. Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 6. Lelouvier in Attal Rev. jur. Comm. 2017, 581, 583. Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 12. Schoibl, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 777, 787; Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 25 LugÜ Rz. 14; Geimer/ Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 12 (2016). Grunsky, FS Fenge (1996) 63, 64. OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, WM 2000, 2192; M. Weller, IPRax 2000, 202, 203; Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR Art. 25 EuGVVO Rz. 11; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 4; Geimer/Schütze/Försterling, Art. 25 EuGVVO Rz. 14 (2005). Siehe nur OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182, 2183; OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, WM 2000, 2192; OLG Koblenz, VuR 2001, 257, 258 m. Anm. Mankowski; Rüßmann, IPRax 1996, 402; Kindler/Haneke, IPRax 1999, 435, 437; McGuire, ZfRV 2005, 83, 84; Kropholler/von Hein, Art. 25 EuGVVO Rz. 2; Mankowski, NZI 2006, 487, 488; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 13 (2016). A.A. Trib. comm. Bruxelles, RW 1977–78, 1701, 1704; Burgstaller/Neumayr, Rz. 2003, 242. Siehe nur Grunsky, FS Fenge (1996) 63, 65. Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 25 EuGVVO Rz. 13.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 28 Brüssel Ia-VO
das verwiesene Gericht binden würde, sondern nur zu einer Art Transfer insbesondere auf neuen Parteiantrag.55 § 281 ZPO findet auch im Fall des Art. 27 Brüssel Ia-VO weder direkte noch analoge Anwendung. Für den Kläger kann dies unschöne Konsequenzen bei den Kosten, bei der Verjährung und hinsichtlich eines möglichen negativen Kompetenzkonflikts haben.56 Im Umkehrschluss ergibt sich aus Art. 27 Brüssel Ia-VO wie aus Art. 28 Brüssel Ia-VO, dass das Gericht sich nur dann sofort von Amts wegen für unzuständig zu erklären hat, wenn Art. 24 Brüssel Ia-VO verletzt zu werden droht, und nicht in anderen Fällen.57 Dies gilt insbesondere für eine Unzuständigerklärung a limine, d.h. vor jeder Zustellung oder jedem Zustellungsversuch an den Beklagten.58 Geschützt wird nur Art. 24 Brüssel Ia-VO und kein anderes Gerichtsstandsregime, sei es auch (halb-)zwingender Natur wie jene aus dem Dritten bis Fünften Abschnitt, den Art. 10–23 Brüssel Ia-VO.59 Ist das angerufene Gericht ausnahmsweise selber ebenfalls nach Art. 24 Brüssel Ia-VO ausschließlich zuständig, so ist der Konflikt zwischen den ausschließlichen Jurisdiktionsansprüchen über Art. 31 Abs. 1 Brüssel Ia-VO aufzulösen.60
Artikel 28 [Erklärung der Unzuständigkeit von Amts wegen in sonstigen Fällen] (1) Lässt sich der Beklagte, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat und der vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats verklagt wird, auf das Verfahren nicht ein, so hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht nach dieser Verordnung begründet ist. (2) Das Gericht hat das Verfahren so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, dass es dem Beklagten möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind. (3) An die Stelle von Absatz 2 tritt Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken)1, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach der genannten Verordnung von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu übermitteln war. (4) Ist die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 nicht anwendbar, so gilt Artikel 15 des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach dem genannten Übereinkommen im Ausland zu übermitteln war. I. Schutz des Beklagten nach Abs. 1 . . . . . . . 1 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2. Zuständigkeitsbegründende Tatsachen . . . . . 10
3. Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 II. Aussetzung bis zur Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks . . . . . . . . . 16
55 Mankowski, NZI 2006, 487, 488; vgl. (wenn auch im Detail anders) McGuire, ZfRV 2005, 83, 84. 56 Grunsky, FS Fenge (1996) 63, 66–68. 57 Fucik, ÖRZ 1996, 241, 242; Kodek, ZZP Int 4 (1999) 125, 143; Lorente Martínez, Cuad. Der. Trans. 9 (1) (2017) 444, 447. 58 Kodek, ZZP Int 4 (1999) 125, 143. 59 Siehe die Vorlagefrage 1 des Okresní Soud v. Cheb vom 23.3.2009 zur C-111/09, ABl. EU 2009 C 141/26 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as u. Vienna Insurance Group vs. Michal Bílas. 60 Geimer/Schütze/Försterling, Art. 25 EuGVVO Rz. 15 (2005); Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 14 (2016). 1 ABl. L 324 vom 10.1.2007, S. 79.
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Art. 28 Brüssel Ia-VO Erklärung der Unzuständigkeit von Amts wegen in sonstigen Fällen 1. Grundsätzliches und Rechtsfolgen . . . . . . . 16 2. Zustellungsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3. Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes . . 31
Schrifttum: Bambust/Kruger, Artikel 19 Betekening-Vo en Artikel 26 EEX-Vo: een juridisch practicum, RW 2003–4, 1435; Niklas Brüggemann, Die Anerkennung prorogationswidriger Urteile im Europäischen und US-amerikanischen Zivilprozessrecht (2019); Franzina, La garanzia dell’osservanza delle norme sulla competenza giurisdizionale nella proposta di revisione del regolamento „Bruxelles I“, Cuad der trans 3 (1) (2011) 144; Haubold, Internationale Zuständigkeit nach CMR und EuGVÜ/LugÜ, IPRax 2000, 91; Hertz, Proof of Jurisdiction under the Brussels I Regulation, in A Tribute to Joseph M. Lookofsky (Copenhagen 2015) 187; Hoffmann-Novotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren (2010); Knoepfler, Reflexions sur la théorie des faits doublement pertinents, AJP 1998, 78; Kodek, Österreichisches Mahnverfahren, ausländische Beklagte und das EuGVÜ, ZZP Int 4 (1999) 125; Koechel, Zur (rügelosen) Einlassung des Abwesenheitskurators, IPRax 2015, 303; Mankowski, Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen auf dem Prüfstand der internationalen Zuständigkeit, IPRax 2006, 454; Mankowski, Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatbestände des Internationalen Verbraucherprozess- und Verbrauchervertragsrechts, IPRax 2009, 474; Metzler, Mahnverfahren und Lugano-Übereinkommen, RZ 1997, 265; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2002); Pataut, Notifications internationales et Règlement „Bruxelles I“, in Mélanges Hélène Gaudemet-Tallon (2008) 377; Max Peiffer, Schutz und Obliegenheiten des Beklagten in der EuGVVO – Vertrauen ist gut, Verfahrensteilnahme ist besser, in FS Reinhold Geimer zum 80. Geb. (2017) 491; Schoibl, Die Prüfung der internationalen Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens nach dem Brüsseler und dem Luganer Übereinkommen, in FS Rolf A Schütze zum 65. Geb. (1999) 777; Schlosser, Unzulässige Diskriminierung nach Bestehen oder Fehlen eines EG-Wohnsitzes im europäischen Zivilprozessrecht, in FS Andreas Heldrich (2005) 1007; Ekkehard Schumann, Internationale Zuständigkeit: Besonderheiten, Wahlfeststellung, doppelrelevante Tatsachen, in FS Heinrich Nagel (1987) 402; Simotta, Wann darf von einem österreichischen Gericht die Klage a limine wegen internationaler Unzuständigkeit zurückgewiesen werden?, in FS Kostas E. Beys (2003) 1515; Simotta, Mahnverfahren und a limine-Zurückweisung wegen internationaler Unzuständigkeit, in GS Halûk Konuralp (2009) II 507; Spellenberg, Schutz der Verteidigungsrechte und Zuständigkeit nach EuGVO und EheGVO, in FS Peter Gottwald (2014) 607.
I. Schutz des Beklagten nach Abs. 1 1. Grundsätzliches 1
Art. 28 Brüssel Ia-VO soll den Beklagten vor übermäßigem Aufwand bei der Verteidigung gegen Klagen vor (unzuständigen) ausländischen Gerichten schützen. Der Beklagte soll nicht gezwungen sein, im Ausland aktiv werden zu müssen, nur um die Zuständigkeit zu rügen.2 Art. 28 Brüssel Ia-VO bildet im Zusammenspiel mit Art. 27 Brüssel Ia-VO einen einheitlichen europäischen Mindeststandard an Beklagtenschutz zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens.3 Er enthält Mechanismen zum Schutz prozessualer Rechte des Beklagten.4 Er greift notwendig im Erkenntnisverfahren vor Erlass einer Entscheidung in der Sache,5 aber erst nach Rechtshängigkeit.6 Die Zuständigkeitsprüfung im Erststaat rechtfertigt den Verzicht auf eine Nachprüfung der indirekten internationalen Zuständigkeit, der sog. Anerkennungszuständigkeit, durch den Zweitstaat, selbst wenn die Entscheidung eine Versäumnisentscheidung ist.7 Zugleich mildert er die Härte, dass es kein Recht darauf gibt, nicht in einem anderen Mitgliedstaat als dem eigenen Wohnsitzstaat verklagt zu werden.8
2 Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 20 EuGVÜ Rz. 1; Geimer/Schütze/Safferling, Art. 20 EuGVÜ Rz. 1 (1997); Haubold, IPRax 2000, 91, 94 f. m.w.N.; Dißars, TranspR 2001, 387, 389; Koechel, IPRax 2015, 303, 304; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 1 (2016). 3 Schoibl, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 777, 780; Basler Komm/Mabillard, Art. 26 Rz. 2; Mankowski, EWiR 2019, 447, 448. 4 EuGH v. 21.6.2012 – C-514/10, ECLI:EU:C:2012:367 Rz. 29, 32 – Wolf Naturprodukte GmbH vs. SEWAR spol s r.o.; GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 2.2.2012 in der RS C-514/10, ECLI:EU:C:2012:54 Rz. 43. 5 Thomale, IPRax 2014, 239, 240. 6 ÖstOGH, ZVR 2019, 404, 405. 7 Bericht Jenard ABl. EWG 1979 C 59/46; N. Brüggemann, 63 f. 8 Althammer/Löhnig, ZZP Int 9 (2004) 23, 24; N. Brüggemann, 62.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 28 Brüssel Ia-VO
Art. 28 Brüssel Ia-VO setzt ohne sachliche Änderung Art. 20 EuGVÜ und Art. 26 Brüssel I-VO fort. 1a Er greift in allen Instanzen9 und ist seinerseits von Amts wegen zu beachten.10 Er bezweckt, den Beklagten insoweit zu schützen, als dass Säumnis den Beklagten nicht rechtlos stellen soll und der Beklagte eben nicht nur allein deshalb aktiv werden muss, um nicht gerichtspflichtig zu werden.11 Der Beklagte soll sich insoweit den Aufwand der Verteidigung vor einem unzuständigen Gericht ersparen können.12 Das ist prozessökonomisch sinnvoll.13 Der untätige Beklagte soll Schutz davor genießen, dass das Zuständigkeitsregime der Brüssel Ia-VO unterlaufen wird.14 Nichteinlassung verhindert in jedem Fall eine Anwendung des Art. 26 Brüssel Ia-VO.15 Eine Einlassung durch einen Abwesenheitskurator anstelle des Beklagten ausreichen zu lassen, könnte mit dem effet utile des Art. 28 Brüssel IaVO konfligieren, weil die Norm dann mittelbar durch nationales Recht beeinträchtigt sein könnte.16 Säumnis wird nicht als rügelose Einlassung bewertet.17 Art. 28 Brüssel Ia-VO schützt aber auch den Beklagten, der nur die Zuständigkeitsrüge erhebt und sich nicht zur Sache einlässt; dies gebietet die Wertungsparallelität mit Art. 26 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO. In einem deutschen Prozess sind alle Fälle der Beklagtensäumnis erfasst, sowohl das Ausbleiben (§ 331 Abs. 1 ZPO) als auch das Nichtverhandeln (§ 333 ZPO) in der mündlichen Verhandlung und die Nichtanzeige der Verteidigungsbereitschaft im schriftlichen Vorverfahren (§ 331 Abs. 3 ZPO).18
1b
Umgekehrt kann der Beklagte durch rügelose Einlassung die ursprünglich fehlende Unzuständigkeit 2 heilen, jedenfalls soweit nicht die ausschließlichen Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel Ia-VO (und in deren Gefolge Art. 27 Brüssel Ia-VO) oder besondere Wertungen aus den Schutzregimes zugunsten schwächerer Parteien19 eingreifen.20 Bei rügeloser Einlassung des Beklagten scheidet eine Anwendung des Art. 28 Brüssel Ia-VO konsequenterweise aus; abzuweisen wegen Unzuständigkeit ist bei Einlassung jenseits des Art. 27 Brüssel Ia-VO nur auf Rüge, nicht mehr von Amts wegen.21 Rügelose Einlassung und Art. 26 Brüssel Ia-VO sind einander wechselseitig ausschließende Komplementärtatbestände.22 Der Begriff der Einlassung ist in Art. 28 Brüssel Ia-VO dementsprechend derselbe wie in Art. 26 Brüssel Ia-VO.23 Abs. 1 verwirklicht indes zugleich, wenn auch in geringerem Umfang, Klägerschutz.24 Denn er ga- 3 rantiert dem Kläger, dass ein Verfahren durchgeführt wird, wenn ein Gerichtsstand besteht.25 Der Beklagte kann dem Kläger bestehende Gerichtsstände nicht einfach dadurch nehmen, dass er sich nicht einlässt und säumig bleibt. Der Beklagte darf es nicht in der Hand haben, durch bloßes Nichterscheinen oder Nichtverhandeln zur Sache ihm missliebige Gerichtsstände auszuschalten.26 Die „Flucht in die Säumnis“ darf nicht zur Erfolgsstrategie für den Beklagten werden. Pure Obstruktion darf keinen 9 Cass. civ., Bull. civ. 2005 I nº 471 S. 397; OLG Düsseldorf, IHR 2003, 181; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 15 (2016). 10 Siehe nur Vzngr. Rb. ’s-Gravenhage, NIPR 2005 Nr. 168 S. 232; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 2 (2016). 11 Siehe nur Haubold, IPRax 2000, 91, 95; Dißars, TranspR 2001, 387, 389; Reithmann/Martiny/Mankowski, Internationales Vertragsrecht6 (2004) Rz. 1424; Geimer/Schütze/Försterling, Art. 26 EuGVVO Rz. 2 (2005); Stein/ Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 1; N. Brüggemann, 64. 12 Geimer/Schütze/Försterling, Art. 26 EuGVVO Rz. 2 (2005); N. Brüggemann, 64. 13 Koechel, IPRax 2015, 303, 304. 14 Siehe nur Grothe, FS Schirmer (2005) 151, 153. 15 OLG Dresden, IPRax 2000, 121, 124. 16 Koechel, IPRax 2015, 303, 304. 17 Siehe nur Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 26 LugÜ Rz. 3. 18 Geimer/Schütze/Försterling, Art. 26 EuGVVO Rz. 7 (2005). 19 Dazu Mankowski, IPRax 2001, 310. 20 Coester-Waltjen, FS Heldrich (2005) 549, 553 sowie Simotta, FS Beys (2003) 1515, 1519. 21 Geimer/Schütze/Försterling, Rz. 8 (2005). 22 Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 8; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 9 (2016). 23 Dazu näher Art. 26 Brüssel Ia-VO Rz. 4–10 (A. Staudinger). 24 Entgegen Bericht Jenard, ABl. EWG 1979 C 59/39; M. Peiffer, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 491, 495. 25 Zustimmend Basler Komm/Mabillard, Art. 26 Rz. 3. 26 OLG Hamm, TranspR 2001, 397, 399; OLG Schleswig, TranspR 2002, 76; OLG Karlsruhe, TranspR 2002, 344, 345 = NJW-RR 2002, 1722, 1723; OLG Hamburg, TranspR 2003, 23, 24 f.; OLG München, TranspR 2003, 155, 156; Reithmann/Martiny/Mankowski (Fn. 5) Rz. 1424; Mankowski, RIW 2005, 561, 565.
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Art. 28 Brüssel Ia-VO Erklärung der Unzuständigkeit von Amts wegen in sonstigen Fällen Erfolg haben. Die Disposition über das zuständige Gericht darf nicht beim Beklagten liegen, weil ansonsten der Kläger nicht ex ante zuverlässig beurteilen könnte, wo er klagen soll.27 Abs. 1 garantiert dem Kläger, dass ein Verfahren durchgeführt wird, wenn er einen Gerichtsstand hat.28 Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, den Beklagten auf die Zuständigkeitsordnung der Brüssel Ia-VO hinzuweisen.29 Indem Abs. 2–4 die Zustellung an den Beklagten verlangt, werden zugleich im Ansatz gute Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das rechtliche Gehör des Beklagten gewahrt wird und dass die Anerkennung oder Vollstreckung einer später ergehenden Entscheidung in anderen Mitgliedstaaten nicht an Art. 45 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO scheitert.30 4
Eine auf Abs. 1 gestützte Entscheidung ergeht durch Endurteil, allerdings erscheint auch ein Zwischenurteil denkbar.31 Auszusprechende Rechtsfolge ist in Deutschland in jedem Fall die Klageabweisung als unzulässig durch Prozessurteil.32 Allerdings ist mit Blick auf die Möglichkeit einer Gerichtsstandsbegründung durch rügelose Einlassung nach Art. 24 zuvor grundsätzlich die Klage zuzustellen; dem Beklagten ist eine Chance zur Einlassung zu geben, wie sich aus Abs. 2–4 ableiten lässt.33 Eine Klagabweisung a limine, weil das Gericht von Anfang an meint, nicht zuständig zu sein, stünde damit in Widerspruch.34
5
Eine Verletzung von Abs. 1 macht das ergehende Urteil nicht ipso iure unwirksam.35 Eine Verletzung von Abs. 1 muss der Beklagte vielmehr mit den Rechtsbehelfen des nationalen Prozessrechts im Erststaat angreifen.36 Eingetretene Rechtskraft heilt den Verstoß aus der Sicht des Erststaates.37 Abs. 1 durchbricht die Rechtskraft grundsätzlich nicht.38 Er gebietet keine institutionalisierte Nachprüfungsmöglichkeit unter Eingriff in das nationale Rechtsbehelfssystem.39
6
Eine unter Verstoß gegen Abs. 1 ergehende Entscheidung ist im Prinzip in den anderen Mitgliedstaaten anerkennungsfähig.40 Art. 45 Abs. 3 S. 1 Brüssel Ia-VO steht ihrer Anerkennung jedenfalls nicht entgegen. Art. 28 Brüssel Ia-VO hat keinen Eingang in den Katalog der Anerkennungsversagungsgründe aus Art. 45 Brüssel Ia-VO gefunden.41 Missachtung der Zuständigkeitsordnung der VO schlägt nur (aber immerhin) in den von Art. 45 Abs. 1 lit. e Brüssel Ia-VO gezogenen Grenzen durch. Darüber hinaus ist – wie bei einer Verletzung von Abs. 2–4 – im Zweitstaat zu prüfen, ob eine relevante Verletzung des rechtlichen Gehörs den Anerkennungsversagungsgrund des Art. 45 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO begründet. Für den Beklagten wäre es jedenfalls eine riskante Strategie, auf eine zuverlässige Klärung der Zuständigkeitsfrage im Erststaat zu setzen und sich nicht einzulassen.42 Mittelbar trifft ihn die prozessuale Last, in dem Fall Rechtsmittel im Erststaat einzulegen, dass das Gericht entgegen Abs. 1 entscheidet, obwohl es an der internationalen Zuständigkeit der erststaatlichen Gerichte fehlt.43
7
Hinsichtlich des internationalen Anwendungsbereichs setzt Abs. 1 grundsätzlich den Wohnsitz des Beklagten in einem Mitgliedstaat und Klage vor einem Forum in einem anderen Mitgliedstaat vo27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43
Vogl, EWiR Art. 57 EuGVÜ 1/04, 1219, 1220; Mankowski, RIW 2005, 561, 565. Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 26 LugÜ Rz. 3. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 26 EuGVVO Rz. 7. Donzallaz, Rz. 1200 f.; Basler Komm/Mabillard, Art. 26 Rz. 5. Geimer, WM 1986, 117, 120. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 26 EuGVVO Rz. 2; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 3. Vgl. Schoibl, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 777, 796. ÖstOGH, SZ 71/206; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 1; vgl. eingehend Simotta, FS Beys (2003) 1515. Siehe nur Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 20. Geimer, WM 1976, 830, 837; Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 20 EuGVÜ Rz. 11; Geimer/Schütze/ Geimer, EuZVR Art. 26 EuGVVO Rz. 13; Geimer/Schütze/Försterling, Art. 26 EuGVVO Rz. 16 (2005). Czernich, ÖRZ 1997, 189, 190; Kodek, ZZP Int 4 (1999) 125, 156 f.; a.A. Metzler, ÖRZ 1997, 265, 267. Kodek, ZZP Int 4 (1999) 125, 157 f. Siehe Kodek, ZZP Int 4 (1999) 125, 160 (vgl. aber 165–168). OLG Hamburg, IPRspr. 1992 Nr. 230b; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 3 (unter Hinweis auf eine Entscheidung der Cass. civ. vom 11.4.1995); Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 26 LugÜ Rz. 10; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 7; N. Brüggemann, 66. Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 20. Schlosser, Rz. 3; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 3. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 26 EuGVVO Rz. 13.
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raus.44 Richtigerweise ist Abs. 1 immer anzuwenden, wenn ein Beklagter mit Sitz im Ausland verklagt wird und Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel Ia-VO berufen werden.45 Denn dies nimmt die Wertung des Art. 5 Brüssel Ia-VO auf. Allerdings gelten Ausnahmen für Art. 24 Brüssel Ia-VO und Art. 25 Brüssel Ia-VO, die ja auch in Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO gesondert vorbehalten sind, weil sie eigene, geringere Anforderungen an die internationale Anwendbarkeit stellen. Abs. 1 setzt zwingend Beziehungen zu mehreren Vertragsstaaten voraus.46 Innerstaatlichen Schutz in 8 dessen Wohnsitzstaat gewährt er dem Beklagten nicht; Abs. 1 kommt nicht zur Anwendung, wenn der Beklagte in seinem Wohnsitzstaat verklagt wird.47 Dann besteht für den Beklagten nämlich keine Notwendigkeit, sich in einem aus seiner Sicht ausländischen Staat verteidigen zu müssen und ein prozessuales Auswärtsspiel gewärtigen zu müssen. Wird der Beklagte in seinem Wohnsitzstaat verklagt, so hat er vielmehr ein prozessuales Heimspiel, vor dem man ihn nicht besonders schützen muss. Außerdem greift der Schutz des Abs. 1 nur, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat; Beklagte mit Wohnsitz in einem Drittstaat schützt er nicht,48 insoweit abgestimmt auf Art. 4–6 Brüssel Ia-VO.49 Diskriminierungsargumente stehen dem ebenso stark oder wenig entgegen wie Art. 4 Brüssel Ia-VO oder Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.50 Es ist immer genau zu prüfen, ob der Beklagte einen Wohnsitz im EU-Ausland hat, selbst wenn z.B. in einem Mahnantrag nur ein Inlandswohnsitz angegeben ist.51 In Abgrenzung zu Art. 27 Brüssel Ia-VO schützt Abs. 1 die Gerichtsstände jenseits der objektiven aus- 9 schließlichen Gerichtsstände des Art. 24 Brüssel Ia-VO, also auch die Schutzregimes und vereinbarte Zuständigkeiten nach Art. 25 Brüssel Ia-VO.52 Abs. 1 erfasst auch die von Art. 71 Abs. 1 Brüssel IaVO verwiesenen Zuständigkeitstatbestände aus Spezialabkommen.53 Anderenfalls hätte es der Beklagte in der Hand, durch Nichterscheinen oder Nichtverhandeln zur Sache ihm missliebige Gerichtsstände des Spezialabkommens auszuschalten.54 Dem von Abs. 1 bezweckten Schutz des Beklagten, dass Säumnis ihn nicht rechtlos stellen soll und er nicht nur deshalb aktiv werden muss, um nicht gerichtspflichtig zu werden, genügt die Prüfung der CMR-Gerichtsstände allemal.55 Dagegen findet Abs. 1 keine Anwendung zum Schutz von Schiedsabreden, zum einen wegen Art. 1 Abs. 2 lit. d Brüssel Ia-VO, zum anderen deshalb, weil eine erfolgreiche Schiedsabrede den Ausschluss jeglicher staatlicher Gerichtsbarkeit reklamieren würde.56
44 Siehe nur EuGH v. 21.6.2012 – C-514/10, ECLI:EU:C:2012:367 Rz. 30 – Wolf Naturprodukte GmbH vs. SEWAR spol s r.o.; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 2; Spellenberg, FS Gottwald (2014) 607, 615. 45 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 26 EuGVVO Rz. 4. 46 Coester-Waltjen, FS Nakamura (1996) 89, 108. 47 Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 20 EuGVÜ Rz. 2; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 2; Geimer/ Schütze/Försterling, Art. 26 EuGVVO Rz. 5 (2005); Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 8 (2016). 48 Siehe nur Gothot/Holleaux, Clunet 98 (1971) 747, 769; Droz, Nr. 285; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 26 EuGVVO Rz. 17; Kodek, ZZP Int 4 (1999) 125, 149; Kropholler/von Hein, Art. 26 EuGVVO Rz. 6; Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 12 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 9 (2016); N. Brüggemann, 66. 49 Schlosser, FS Heldrich (2005) 1007, 1012; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 3. 50 Strenger Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 12. 51 OLG Stuttgart, IPRspr. 2010 Nr. 184a S. 458; OLG Brandenburg, BeckRS 2014, 04896; S. Simotta, FS Beys (2003) 1515, 1526 f., 1543 (unter Hinweis auf die Konstellation in östOGH, ZfRV 2000, 197); N. Brüggemann, 64 f.; außerdem Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 26 LugÜ Rz. 8. 52 Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 4; s. BGH, IHR 2014, 171; OLG Stuttgart, IPRspr. 2010 Nr. 184a S. 458. 53 EuGH v. 28.10.2004 – C-148/03, ECLI:EU:C:2004:677 Rz. 17-20 – Nürnberger Allgemeine Versicherungs-AG vs. Portbridge Transport International BV; BGH, TranspR 2003, 302, 303; OLG Hamm, TranspR 2001, 397, 399; OLG Schleswig, TranspR 2002, 76; OLG Nürnberg, TranspR 2002, 402; OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 – 9 U 204/01, NJW-RR 2002, 1722, 1723; OLG Hamburg, TranspR 2003, 23, 24; Haubold, IPRax 2000, 91; Dißars, TranspR 2001, 387, 389; Heuer, TranspR 2002, 221, 222 f.; Herber, TranspR 2003, 19, 20; s. auch Rb. Rotterdam, NIPR 2001 Nr. 141 S. 275. 54 OLG Hamm, TranspR 2001, 397, 399; OLG Schleswig, TranspR 2002, 76; OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 – 9 U 204/01, NJW-RR 2002, 1722, 1723; OLG Hamburg, TranspR 2003, 23, 24 f. 55 Haubold, IPRax 2000, 91, 95; Dißars, TranspR 2001, 387, 389; Reithmann/Martiny/Mankowski, (Fn. 43) Rz. 1424. 56 Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 6.
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Art. 28 Brüssel Ia-VO Erklärung der Unzuständigkeit von Amts wegen in sonstigen Fällen 2. Zuständigkeitsbegründende Tatsachen 10
Für die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen gilt vor deutschen Gerichten weiterhin der Beibringungsgrundsatz samt etwaiger Hinweispflicht aus § 139 Abs. 2 ZPO;57 aus Abs. 1 oder sonstigem Unionsrecht folgt kein Amtsermittlungsgrundsatz.58 Daher muss der Kläger vor deutschen Gerichten die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen schlüssig darlegen und beibringen59 (z.B. für eine angeblich zuständigkeitsbegründende Gerichtsstandsvereinbarung60). Abs. 1 zieht der Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen, wenn man sie überhaupt anerkennen will,61 für den Fall der Beklagtensäumnis eine klare Grenze.62 Sie würde auch anderenfalls entgegen ihrer eigenen beklagtenfreundlichen Prämisse den Beklagten benachteiligen.63 Namentlich sind für Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO der Handlungs- oder Erfolgsort des Delikts und für Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO der Erfüllungsort der vertraglichen Verpflichtung festzustellen.64
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Das Gericht ist an die Angaben des Klägers nicht gebunden.65 Es darf sich auf die Angaben in der Klagschrift nicht ungeprüft verlassen.66 Es darf den Vortrag des Klägers nicht für wahr unterstellen.67 Verdachtsmomenten, dass die Zuständigkeit doch fehlen könnte, hat es aufzugreifen, soweit sich diese aus der Klagschrift ergeben und deren tatsächliche Prüfung nicht in eine Amtsermittlung der Tatsachen ausartet.68 Abs. 1 verhindert, dass im Fall der Säumnis des Beklagten die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen, mit denen dieser die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründen will, als zugestanden geltend dürften.69 § 331 Abs. 1 S. 2 ZPO ist daher insoweit gemeinschaftsrechtskonform zu reduzieren.70 Ein vorausgegangenes ausländisches Prozessurteil, das ein inländisches Gericht für zuständig hält, bindet das inländische Gericht nach Maßgabe der Anerkennungsregeln.71
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Unabhängig davon, wie die möglicherweise zuständigkeitsbegründenden Tatsachen zur Kenntnis des Gerichts gelangt sind, muss das Gericht von deren Vorliegen überzeugt sein, um einen Gerichtsstand bejahen zu können.72 Hat das Gericht solche Überzeugung (noch) nicht erlangt, so hat es nach Maßgabe seines nationalen Prozessrechts entweder einen entsprechenden Hinweis (in Deutschland nach § 139 Abs. 3 ZPO) zu erteilen73 oder Nachforschungen anzustellen. Es muss selbstständig und eigenständig prüfen.74 Erlässt ein deutsches Gericht ein Versäumnisurteil nach § 313b ZPO, so ist 57 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 12 (2016). 58 Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 11; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1 (unter Hinweis auf die wohl entgegenstehende Entscheidung östOGH v. 15.1.2002 – 5 Ob 312/01w); Hertz in A Tribute to Joseph M. Lookofsky (Copenhagen 2015) 187, 188; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 11 (2016); N. Brüggemann, 65. 59 Wieczorek/Schütze/Hausmann (1994) Art. 20 EuGVÜ Rz. 5; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 5; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 16; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 5. 60 N. Brüggemann, 65. 61 Näher Vor. Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 8 f. (Mankowski); Schumann, FS Heinrich Nagel (1987) 402; Knoepfler, AJP 1998, 78; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2002); Mankowski, IPRax 2006, 454; Hoffmann-Novotny, Doppelrelevante Tatsachen in Zivilprozess und Schiedsverfahren (2010). 62 Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2002) 215; Mankowski, IPRax 2006, 454. Anderer Ansicht Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 14 f.; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 14 (2016). 63 Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2002) 214; Mankowski, IPRax 2006, 454. 64 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 1. 65 ÖstOGH v. 15.1.2002 – 5 Ob 312/01w; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 2. 66 Klauser, JN-ZPO II: Europäisches Zivilprozessrecht (2003) Art. 26 EuGVVO Rz. 2; Schlosser, FS Heldrich (2005) 1007, 1012. 67 Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 13. 68 Ähnlich, aber weiter gehend Schlosser, FS Heldrich (2005) 1007, 1014 f. 69 Grunsky, JZ 1973, 641, 645; von Hoffmann, AWD 1973, 57, 63; Ost, Doppelrelevante Tatsachen im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2002) 166; Kropholler/von Hein, Art. 25 EuGVO Rz. 5; Schack, Rz. 386; Czernich/ Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 3; Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 26 EuGVVO Rz. 9. 70 Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 26 EuGVVO Rz. 9. 71 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 5; Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 7. 72 Schlosser-Bericht Nr. 22; Geimer/Schütze/Safferling, Art. 20 EuGVÜ Rz. 4 (1997). 73 Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 5; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 12 (2016).
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 28 Brüssel Ia-VO
dieses gem. § 30 AVAG zu ergänzen, wenn der Kläger einen entsprechenden Antrag stellt.75 Sieht das Gericht seine eigenen Zuständigkeit gegeben, sei es auch aus Art. 26 Brüssel Ia-VO, so kann es nicht nach Art. 28 Brüssel Ia-VO abweisen.76 3. Prüfungsumfang Die Prüfungspflicht nach Abs. 1 bezieht sich auf die gesetzlichen Zuständigkeiten nach Art. 4–23 13 Brüssel Ia-VO. Dies schließt insbesondere die besonderen Gerichtsstände aus Art. 7 Brüssel Ia-VO und Art. 8 Brüssel Ia-VO ein.77 Hinzu kommen die über Art. 71 Brüssel Ia-VO in die VO gleichsam integrierten Gerichtsständen aus Spezialübereinkommen.78 Eine Prüfung des Art. 24 Brüssel Ia-VO obliegt dem Gericht mit den strengeren Anforderungen des Art. 27 Brüssel Ia-VO, der Abs. 1 als lex specialis vorgeht.79 Gerichtsstandsvereinbarungen und die daraus folgende Prorogation oder Derogation müssen die 14 Parteien vorbringen. Das Gericht ist in keinem Fall gehalten, von sich aus nachzuforschen, ob denn eine Gerichtsstandsvereinbarung vorliegen könnte.80 Nur soweit es Anhaltspunkte dafür hat (etwa weil der Kläger einen Vertrag vorlegt, in dem sich eine dem Forum derogierende Gerichtsstandsklausel findet), darf das Gericht von sich aus Art. 25 Brüssel Ia-VO miteinbeziehen. Darin liegt keine Durchbrechung des Art. 25 Brüssel Ia-VO.81 Anders als die objektiven Gerichtsstände beruht der prorogierte Gerichtsstand allein auf Parteiwillen. Sein Schutz korrespondierte auch nicht mit dem bei Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO gerade nicht bestehenden Erfordernis des Beklagtenwohnsitzes in der EU.82 Eine böswillige Missachtung von Gerichtsstandsabreden durch den Kläger muss man ansonsten mit anderen Mitteln bekämpfen, auch wenn bereits die Notwendigkeit, eine Rüge erheben zu müssen, für den beklagten Anwaltskosten mit sich bringen kann.83 Eine beklagtengünstige, weil die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts derogierende Gerichtsstandsvereinbarung wird durch Beklagtensäumnis faktisch sehr weitgehend zur Disposition des Klägers gestellt.84 Ob die Klage eine Schiedsvereinbarung zwischen Kläger und Beklagtem verletzt, hat das Gericht nicht nach Abs. 1 zu prüfen;85 vielmehr ergibt sich eine diesbezügliche Prüfungspflicht des Gerichts in Vertragsstaaten des UNÜ nur aus Art II (3) UNÜ.86 Art II (3) UNÜ genießt seinerseits nach Art. 73 Abs. 2 Brüssel Ia-VO Vorrang vor der Brüssel Ia-VO.
74 Geimer, FS Kaissis, 2012, 287, 297. 75 Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 6. 76 EuGH v. 20.5.2010 – C-111/09, ECLI:EU:C:2010:290 – Cˇeská podnikatelská pojisˇt’ovna as u. Vienna Insurance Group vs. Michal Bílas Rz. 35. 77 Siehe nur Lupoi, Riv. trim. dir. proc. civ. 1998, 967, 976. 78 EuGH v. 28.10.2004 – C-148/03, ECLI:EU:C:2004:677 – Nürnberger Allgemeine Versicherungs-AG vs. Portbridge Transport International BV, EuGHE 2004 I 10327, 10336 Rz. 17–20; BGH, TranspR 2003, 302, 303; OLG Hamm, TranspR 2001, 397, 399; OLG Schleswig, TranspR 2002, 76; OLG Nürnberg, TranspR 2002, 402; OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 – 9 U 204/01, NJW-RR 2002, 1722, 1723; OLG Hamburg, TranspR 2003, 23, 24; Haubold, IPRax 2000, 91; Gottwald in MünchKomm/ZPO Art. 57 EuGVÜ Rz. 5; Dißars, TranspR 2001, 387, 389; Heuer, TranspR 2002, 221, 222 f.; Herber, TranspR 2003, 19, 20; Reithmann/Martiny/Mankowski, Internationales Vertragsrecht6 (2004) Rz. 1424; Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 5; s. auch Rb. Rotterdam, NIPR 2001 Nr. 141 S. 275; näher Art. 71 Brüssel Ia-VO Rz. 15. 79 Wieczorek/Schütze/Hausmann, (1994) Art. 20 EuGVÜ Rz. 3; Geimer/Schütze/Försterling, Art. 26 EuGVVO Rz. 6 (2005). 80 Schlosser-Bericht Nr. 191; Geimer/Schütze/Safferling (1997) Art. 20 EuGVÜ Rz. 5; Magnus/Mankowski/ Queirolo, Rz. 5. 81 Vgl. aber Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 12 f. 82 Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 14. 83 Kritisch Schlosser, FS Heldrich, 2005, 1007, 1012. 84 N. Brüggemann, 65 (mit deutlicher rechtspolitischer Kritik 67–69) sowie OLG Karlsruhe, BecKRS 2005, 08333; AP Algeciras, unalex ES-305; AP Lugo unalex ES-422. Siehe auch (zur EuMahnVO) EuGH v. 22.10.2015 – C-245/14, ECLI:EU:C:2015:715 Rz. 21 – Thomas Cook Belgium NV vs. Thurner Hotel GmbH; GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 2.7.2015 in der Rs. C-245/14 ECLI:EU:C:2015:442 Rz. 33. 85 Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 4. 86 Beraudo J. Int. Arb. 18 (2001) 13, 20 f. (2001).
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II. Aussetzung bis zur Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks 1. Grundsätzliches und Rechtsfolgen 16
Die Pflicht zur Klagabweisung nach Abs. 1 greift nur, wenn der Beklagte sich trotz ordnungsgemäßer Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nicht eingelassen hat. Ist dann keine Zuständigkeit unter der Brüssel Ia-VO gegeben, so hat sich das Gericht in der von seiner lex fori vorgesehenen Form, in Deutschland also durch unechtes oder kontradiktorisches Versäumnisurteil nach § 331 Abs. 2, 3 ZPO, für unzuständig zu erklären und die Klage durch dieses Prozessurteil abzuweisen.87 Eine grenzüberschreitende Verweisung an ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat ist nicht möglich.88
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Lässt der Beklagte sich nicht ein, sieht das Gericht aber eine Zuständigkeit unter der Brüssel Ia-VO gegeben, so kann ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten (in Deutschland wiederum nach § 331 ZPO) ergehen, wenn der Klägervortrag zu den anderen Punkten als der Zuständigkeit schlüssig ist.89
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Lässt der Beklagte sich dagegen nicht ein, weil ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück noch nicht zugestellt ist, so wäre Klagabweisung die falsche Folge. Sie wäre vorschnell und würde das Gericht bei letzter Konsequenz häufig zwingen, das Verfahren in dem frühen Stadium vor Zustellung zu beenden. Dies wäre nicht sinnvoll und vom Schutzzweck her problematisch, da das rechtliche Gehör des Beklagten ja noch gewahrt werden kann. Zustellung wahrt eben die fundamentalen Verfahrensgrundrechte des Beklagten.90 Darauf reagieren Abs. 2–4. Sie sind für das Ausgangsverfahren ein Mechanismus, der präventiv vor Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beklagten schützen soll.91 Sie mildern die Rechtsfolge dahingehend ab, dass zunächst nur auszusetzen ist, bis feststeht, dass der Beklagte das verfahrenseinleitende oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig empfangen konnte, dass er sich verteidigen konnte oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen sind. Die Aussetzung ist dann eine Verfahrensunterbrechung sui generis92 (zweckbedingt von geringerer Länge als jene des Art. 29 Brüssel Ia-VO93). Zuerst ist zu fragen, warum der Beklagte sich nicht eingelassen hat, dann ist gegebenenfalls das Gesamtverfahren einschließlich der Entscheidung über die Zuständigkeit auszusetzen.94 Dies korrespondiert dem Beklagtenschutz auch insofern besser, als dem Beklagten die Möglichkeit bewahrt wird, durch eigenen Sach- und Rechtsvortrag die Entscheidung über die Zuständigkeit noch zu beeinflussen.95
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Allerdings ist auch eine alternative Sichtweise zum Verhältnis zwischen Abs. 1 und Abs. 2 denkbar. So könnte man Abs. 1 als logisch vorrangig ansehen und sich auf eine Zustellungsprüfung erst einlassen, wenn man die eigene Zuständigkeit bejaht hat.96 Gesetzestechnischer Einbruchspunkt ist jeweils die Rechtsfolge des Aussetzens in Abs. 2–4, die man je nach vertretener Auffassung auf das Gesamtverfahren einschließlich einer Zwischenentscheidung über die Zuständigkeit oder nur auf das Verfahren zur Sache nach erfolgter Zuständigkeitsentscheidung beziehen kann.97 Quelle der Unklarheit ist letztlich die unterschiedliche Herkunft der verschiedenen Absätze: Abs. 1 stammt aus dem italienischen, die Idee zu Abs. 2–4 dagegen aus dem niederländischen Recht,98 und das Verhältnis beider
87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98
Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 17; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 12 (2016). Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 16 (2016). Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 18. Siehe nur Pataut, Mélanges Gaudemet-Tallon (2008) 377, 378. M. Peiffer, FS Geimer zum 80. Geb. (2017) 491, 493. Schoibl, FS Schütze zum 65. Geb. (1999) 777, 801; Matscher, FS Schlosser (2005) 561, 573. Stein/Jonas/G. Wagner, Art. 26 EuGVVO Rz. 30. Rb. Kh. Kortrijk v. 6.11.2003 – 04279/03; Rb. Kh. Kortrijk v. 4.12.2003 – 03888/03, beide zitiert nach Bambust/ Kruger, RW 2003–4, 1435, 1438. Bambust/Kruger, RW 2003–4, 1435, 1438. So wohl Rb. Kh. Hasselt v. 12.9.2001 – 01/02216; Rb. Kh. Hasselt v. 15.5.2002, T.B.H. 2002, 595; Rb. Arnhem v. 2.12.2003 – 1047775/KG, ZA 03–656, die unveröffentlichten Entscheidungen zitiert nach Bambust/Kruger, RW 2003-4, 1435, 1438. A.A. Spellenberg, FS Gottwald (2014) 607, 615. Bambust/Kruger, RW 2003–4, 1435, 1437 f. Jenard-Bericht 39 f.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 28 Brüssel Ia-VO
zueinander wird nirgends ausdrücklich klargestellt.99 Die Prozessökonomie jedenfalls ist als Entscheidungskriterium zwischen den beiden Ansichten kaum tauglich, da sie von beiden gewahrt wird.100 Abs. 2–4 sind nur begrenzt Parallelvorschrift zu Art. 45 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO,101 denn letzterer 20 schützt nur den Beklagten, während Abs. 2–4 auch dem Kläger zugute kommen, zu dessen Lasten eine Klagabweisung ginge und für den eine bloße Aussetzung nebst eventuellem erneutem Zustellungsversuch günstiger ist. Dies würde dem Justizgewährungsanspruch des Klägers zuwiderlaufen.102 Mit Art. 45 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO teilen Abs. 2–4 die technischen Grundanforderungen, aber nicht die Ausschließlichkeit der Schlagrichtung. Abs. 2–4 entsprechen einer klugen und ausgewogenen Vorgehensweise.103 Sie sollen dem Beklagten das rechtliche Gehör schon im Verfahren sichern und nicht erst nachlaufend bei der Vollstreckung.104 Abs. 2–4 binden jedenfalls nach der VO zuständige Gerichte,105 richtigerweise aber auch über Art. 6 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nach nationalem Recht zuständige, soweit die verwiesenen Zustellungsvorschriften in Rechtsverkehr mit Drittstaaten passen und anwendbar sind.106 Ob ein erneuter Zustellungsversuch unternommen werden darf, ist zweistufig zu prüfen: zum ersten 21 (und vorrangig) nach den Heilungsvorschriften des einschlägigen Zustellungsregimes, insoweit als Heilung der ursprünglich versuchten Zustellung, zum zweiten nach dem nationalen Verfahrensrecht des Forums. Wenn die ursprünglich nicht gelungene Zustellung nach dem Zustellungsregime nicht geheilt werden kann, bliebe immer noch ein eigenständiger zweiter Versuch, soweit das nationale Verfahrensrecht diesen zulässt und nicht strikt auf Klagabweisung wegen Initialmangels des Verfahrens beharrt. Klagabweisung nebst sofortiger Wiedereinreichung einer identischen Klage bei fortbestehendem Interesse des Klägers wäre eine teure und mit der Prozessökonomie kaum in Einklang stehende Lösung. Anders als Abs. 1 enthalten Abs. 2–4 keine Differenzierung nach dem Wohnsitz des Beklagten.107 Nirgends wiederholen sie, dass der Beklagte in einem anderen Mitgliedstaat als dem Forumstaat ansässig sein müsse, und sie importieren auch nicht das entsprechende Erfordernis des Abs. 1 im Wege der Bezugnahme. Dies ist sinnvoll, denn Abs. 1 muss sich abgrenzen gegenüber dem Gerichtsstand der rügelosen Einlassung aus Art. 26 Brüssel Ia-VO. In seinem Wohnsitzstaat ist der Beklagte aber prinzipiell vorbehaltlich Art. 26 Brüssel Ia-VO gerichtspflichtig. Eine Differenzierung nach Ansässigkeit in einem Mitgliedstaat oder in einem Nichtmitgliedstaat aber würde weder mit Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zusammenpassen noch damit, dass Abs. 4 ausdrücklich auf das HZÜ abstellt. Zudem würde eine Differenzierung eine Diskrepanz gegenüber Art. 45 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO aufwerfen, der nicht nach dem Wohnsitz des Beklagten differenziert.
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Im Übrigen kommt es für Abs. 2–4 insgesamt nicht darauf an, ob eine Zustellung gerade im Wohn- 23 sitzstaat des Beklagten erfolgt. Staat des Zustellungsortes kann auch ein anderer Staat als der Wohnsitzstaat des Beklagten sein, wenn und soweit das anwendbare Zustellungsregime dies erlaubt. Abs. 2–4 gelten nur für die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, nicht aber für die Zustellung anderer Schriftstücke.108
99 Bambust/Kruger, RW 2003–4, 1435, 1437. 100 Bambust/Kruger, RW 2003–4, 1435, 1438. 101 A.A. Mansi, Il giudice italiano e le controversie europee: dalla Convenzione di Bruxelles del 1968 alla Convenzione di Lugano del 1988 ed al Regolamento (CE) n 44/2001: competenza giurisdizionale, riconoscimento ed esecuzione delle decisioni (2004) 292; Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 21. 102 Spellenberg, FS Gottwald (2014) 607 (607). 103 Aud. Prov. Zaragoza, Span. YB IntL XIII (2007), 280, 281. 104 Spellenberg, FS Gottwald (2014) 607 (607). 105 EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner, EuGHE 2011, I-11543 Rz. 52; EuGH v. 15.3.2012 – C-292/10, ECLI:EU:C:2012:142 – G. vs. Cornelius de Visser Rz. 45 f. 106 Vgl. Geimer/Schütze/Geimer, EuZVR Art. 26 EuGVVO Rz. 18. A.A. Spellenberg, FS Gottwald (2014) 607, 608 f. 107 Siehe Spellenberg, FS Gottwald (2014) 607, 616. 108 Kropholler/von Hein, Art. 26 EuGVVO Rz. 10 unter Bezugnahme auf die Denkschrift der Bundesregierung zum HZÜ, BT-Drucks. 7/4892, 48.
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Art. 28 Brüssel Ia-VO Erklärung der Unzuständigkeit von Amts wegen in sonstigen Fällen 2. Zustellungsregimes 24
Die „Invasion“ des Zuständigkeitsrechts in das Zustellungsrecht ist limitiert und erfasst insbesondere die Modi der Zustellung.109 Hinsichtlich der Zustellung muss die Brüssel Ia-VO sich an die dafür einschlägigen Regelungen anlehnen und daher Rücksicht auf die verschiedenen Zustellungsregimes und deren Rangfolge nehmen. Die differenzierenden Abs. 2–4 tragen dem Rechnung. Die praktische Prüfungsreihenfolge lautet: Abs. 3 vor Abs. 4 vor Abs. 2.110 Die EG-ZustVO ist moderner und etabliert ein einfacheres Verfahren als ihre Vorgänger.111 Nach ihrem Art. 20 Abs. 1 Brüssel Ia-VO beansprucht sie expressis verbis Vorrang vor dem HZÜ. Das HZÜ wiederum ist gegenüber dem nationalen Recht vorrangig.
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Praktisch steht Abs. 3 ganz im Vordergrund.112 Denn die EG-ZustVO gilt wie die Brüssel Ia-VO in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks, in Dänemark materiell kraft Erstreckungsübereinkommens seit dem 1.7.2007. Der Wohnsitz des Beklagten in einem Mitgliedstaat führt also in aller Regel dazu, dass die Zustellungsregeln der EG-ZustVO einschlägig sind, weil eine Zustellung in einem Mitgliedstaat der EG-ZustVO in Rede steht. Damit wird Art. 19 EG-ZustVO113 zur dominierenden Zustellungsregel unter Abs. 2–4. In Deutschland sind ergänzend §§ 1067–1071 ZPO zu beachten.
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Die EG-ZustVO bedingt eine Binnendifferenzierung zwischen Beklagten mit Wohnsitz in der EU und Beklagten mit Wohnsitz außerhalb der EU.114 Insoweit könnten sich menschenrechtliche Bedenken aus Art. 6 EMRK gegenüber der Gesamtregelung ergeben, wenn und soweit bei Beklagten mit Wohnsitz außerhalb der EU keine Aussetzungsverpflichtung aus Abs. 2 bestehen sollte.115
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Abs. 4 nimmt Art. 15 HZÜ116 in Bezug. Dieser bringt für deutsche Gerichte keine wesentliche Änderung, weil das deutsche Zustellungsrecht samt § 274 Abs. 2, 3 ZPO; § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO den entsprechenden Standard bereits beinhaltet. Seine Funktion erfüllt er vielmehr mit Blick auf andere Rechtsordnungen, indem z.B. in Deutschland ansässige Beklagte gegen eine „Zustellung“ per remise au parquet (Fiktion einer Auslands- durch Inlandszustellung) nach französischem Recht geschützt werden.117 Art. 15 Abs. 1 HZÜ verlangt die richterliche Feststellung der Zustellung, i.d.R. mittels Zustellungszeugnis der ersuchten Stelle. Die nach Art. 15 Abs. 2 HZÜ mögliche Erklärung, um unzumutbare Verfahrensverzögerungen zu vermeiden, haben Belgien, Deutschland, Dänemark, Estland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, Portugal, die Slowakei, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern abgegeben.118 Art IV Abs. 1 Prot. EuGVÜ verweist für die Zustellung ebenfalls auf das HZÜ. In Art IV Abs. 2 Prot. EuGVÜ wird die Zustellung durch Gerichtsvollzieher als weitere Zustellungsform eröffnet. Gegen diese hat die Bundesrepublik jedoch zulässigen Widerspruch eingelegt.119
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Indes ist dies alles wegen des Vorrangs der EG-ZustVO nahezu bedeutungslos geworden. Inhaltlich allerdings schreibt Art. 19 EG-ZustVO den Art. 15 HZÜ sehr weitgehend fort.120 Abs. 4 gilt der Sache nach nur im Verhältnis zu Dänemark, welches der EG-ZustVO nicht angehört, wohl aber dem HZÜ.121 Außerdem gilt der inhaltsgleiche Art. 20 Abs. 3 LugÜbk 1988 im Verhältnis zu Norwegen, Polen und der Schweiz.122 Erfolgt die Zustellung ausnahmsweise trotz Beklagtenwohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat in einem Drittstaat, der Vertragsstaat des HZÜ ist, so gilt Abs. 4 auch dann.123 109 Pataut, Mélanges Gaudemet-Tallon (2008) 377, 379. 110 Ebenso Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Art. 26 EuGVVO Rz. 11. 111 Pataut, Mélanges Gaudemet-Tallon (2008) 377, 381, bewertet Art. 28 Brüssel Ia-VO deshalb als über weite Strecken überholt. 112 Siehe nur Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 21 (2016). 113 Dazu die Kommentierung zu EG-ZustVO Art. 19 EG-ZustVO (Heiderhoff). 114 Kritisch deshalb Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 28–31. 115 Franzina, Riv. dir. int. 2004, 345, 376; Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 31. 116 Zu diesem z.B. Reichart, Liber amicorum Siehr (2000) 163. 117 Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht (6. Aufl. 1998) Art. 20 EuGVÜ Rz. 6. 118 BGBl. 1980 II 907, 1987 II 613, 1990 II 1650. 119 BGBl. 1972 II 773; 1995 II 221, zur Begründung dafür Denkschrift der Bundesregierung BT-Drucks. VI/1973, 45 f. 120 ErwGr. 5 EG-ZustVO; Bericht zum Europäischen Zustellungsübereinkommen ABl. EG 1997 C 261/36; Kropholler/von Hein, Art. 26 EuGVVO Rz. 13; Schlosser/Hess/Schlosser, Art. 19 EuZVO Rz. 1. 121 Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5; Czernich/Kodek/Mayr/Czernich, Rz. 13.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 28 Brüssel Ia-VO
In letzter Linie schützt Abs. 2 als eine Art Übergangsvorschrift124 den Beklagten vor dem schnellen 29 Erlass eines Versäumnisurteils. Er setzt als Auffangvorschrift125 Minimalstandards.126 Er verpflichtet das Gericht im Verhältnis zu einem Staat, welcher kein Mitgliedstaat der EG-ZustVO ist und dem HZÜ (noch) nicht beigetreten ist, das Verfahren auszusetzen, bis feststeht, dass der Beklagte auf Grund Zustellung eine Chance hatte, sich zu verteidigen. Einen eigenen Zustellungsmodus gebietet Abs. 2 nicht127 und deckt sämtliche Zustellungsarten der nationalen Rechte ab.128 Abs. 2 rekurriert auf materielle, aus der Wahrung des rechtlichen Gehörs abgeleitete Maßstäbe.129 Für die Rechtzeitigkeit kommt es auf den Zugang, nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme seitens des Beklagten an.130 Die Rechtzeitigkeit der Zustellung ist Tatfrage, welche der Richter im Rahmen eines eigenen Beurteilungsspielraums zu beantworten hat.131 Entscheidend ist, ob der Beklagte wirklich genügend Zeit hatte, um seine Verteidigung gegen die Klage vorzubereiten.132 Abs. 2 galt – als Art. 20 Abs. 2 LugÜbk 1988 – der Sache nach bis zum 1.5.2011 noch im Verhältnis zu Island,133 da ja gleichzeitig Wohnsitz des Beklagten im Brüssel Ia- oder LugÜbk-Gebiet Anwendungsvoraussetzung ist, zum einen und bei ausnahmsweiser Zustellung in einen Drittstaat, welcher dem HZÜ nicht angehört, zum anderen und bei Zustellung im Forumstaat selbst zum dritten.
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Abs. 2 ist Ausfluss und besonderer Niederschlag eines übergeordneten Prinzips. Das Prinzip will verhindern, dass die Rechte des Beklagten auf eine effektive Verteidigung, also die Menschenrechte auf ein faires Verfahren und rechtliches Gehör, übermäßig beeinträchtigt werden.134 Abs. 2 ist dahin zu verstehen, dass ein nach der Brüssel Ia-VO zuständiges Gericht das Verfahren in dem Fall, dass nicht festgestellt wurde, dass es dem Beklagten nicht möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück zu empfangen, nur dann ordnungsgemäß fortsetzen kann, wenn alle möglichen Maßnahmen ergriffen wurden, um den Beklagten eine effektive Verteidigung zu ermöglichen.135 Zu diesem Zweck muss sich das angerufene Gericht vergewissern, dass alle Nachforschungen, welche der Sorgfaltsgrundsatz und Treu und Glauben gebieten, vorgenommen worden sind, um den Beklagten ausfindig zu machen.136
30
3. Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Abs. 2–4 sollen der Sache nach nicht für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gelten.137 Solange die Denilauler-Rechtsprechung des EuGH Bestand hat, sind ex parte, d.h. in einem einseitigen Verfahren ohne Beteiligung des Beklagten oder Antragsgegner ergangene Eilmaßnahmen keine Entscheidungen i.S.v. Art. 2 lit. a und schon deshalb kein taugliches Objekt für Anerkennung und Voll-
122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137
Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5. Hüßtege in Thomas/Putzo Rz. 8. Jenard-Bericht Zu Art. 20 EuGVÜ; Kropholler/von Hein, Art. 26 EuGVVO Rz. 5. Siehe nur Basler Komm/Mabillard, Art. 26 LugÜ Rz. 50; Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 26 LugÜ Rz. 15, 36. Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 26 LugÜ Rz. 36. Dasser/Oberhammer/Naegeli, Art. 26 LugÜ Rz. 36. Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 30 (2016). Zustimmend Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 29 (2016). Jenard-Bericht ABl. EWG 1979 C 59/40 Zu Art. 20 EuGVÜ; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 33 (2016). Jenard-Bericht ABl. EWG 1979 C 59/40 Zu Art. 20 EuGVÜ. Jenard-Bericht ABl. EWG 1979 C 59/40 Zu Art. 20 EuGVÜ; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 34 (2016). Kropholler/von Hein, Art. 26 EuGVVO Rz. 8. EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 Rz. 52 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner. EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 Rz. 52 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner. EuGH v. 17.11.2011 – C-327/10, ECLI:EU:C:2011:745 Rz. 52 – Hypotecˇní banka a.s. vs. Udo Mike Lindner; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 36 (2016). Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 27.
Mankowski
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Art. 29 Brüssel Ia-VO Konkurrierende Rechtshängigkeit streckbarerklärung in anderen Staaten als dem Erlassstaat.138 Eine solche Sichtweise vernachlässigt allerdings den Schutz des Beklagten in genau jenem Staat, für welchen er Durchsetzung und Vollzug der Eilmaßnahme am meisten zu fürchten hätte: im Erlassstaat. Dies tut Eilrechtsschutz freilich schon konzeptionell, soweit er Überraschungseffekte zulässt und fördert. Unter Art. 15 Abs. 2 HZÜ haben Vertragsstaaten die Möglichkeit, Eilverfahren per Erklärung auszunehmen. Von dieser Möglichkeit haben die oben139 genannten Staaten Gebrauch gemacht,140 also die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten. Insoweit ist die Rechtslage bei Anwendbarkeit des HZÜ eindeutig.
Abschnitt 9 Anhängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren
Artikel 29 [Konkurrierende Rechtshängigkeit] (1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht unbeschadet des Artikels 31 Absatz 2 das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. (2) In den in Absatz 1 genannten Fällen teilt das angerufene Gericht auf Antrag eines anderen angerufenen Gerichts diesem unverzüglich mit, wann es gemäß Artikel 32 angerufen wurde. (3) Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorrangige staatsvertragliche Regelungen . . 2. Gemeinsame Anwendungsvoraussetzungen der Art. 29 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Regelungsbedürfnis des Art. 29 . . . . . . . .
1 2 4 9
II. Klage durch dieselben Parteien . . . . . . . 10 III. Klagen wegen desselben Anspruchs . . . . 13 IV. Feststellung des zuerst angerufenen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
V. Ausschließliche Zuständigkeit des Zweitgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Keine weiteren Voraussetzungen . . . . . 1. Anerkennungsprognose . . . . . . . . . . . 2. Prüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts 3. Anti-suit injunctions . . . . . . . . . . . . . 4. Prozessverschleppung . . . . . . . . . . . .
. . . . . .
27 29 29 30 31 35
VII. Aussetzung und Klageabweisung . . . . . . 38 VIII. Abweichungen zum LugÜbk 2007 . . . . . . 43
Schrifttum: Albrecht, Die Streitsache im deutschen und englischen Zivilverfahren, 2013; Althammer, Streitgegenstand und Interesse, 2012; Althammer, Unvereinbare Entscheidungen, drohende Rechtsverwirrung und Zweifel an der Kernpunkttheorie – Webfehler im Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO?, Geimer/ Schütze (Hrsg.), FS Kaissis (2012) 23; Althammer, Arglistiges Klägerverhalten im Europäischen Zuständigkeitsrecht (EuGVVO) – Bedarf für ein allgemeines Missbrauchsverbot?, GS Halúk Konuralp Bd. I (2009) 103; lthammer/Löhnig, Zwischen Realität und Utopie: Der Vertrauensgrundsatz in der Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Zivilprozessrecht, ZZPInt 2004, 23; Ambrose, Can anti-suit-injunctions survive European Community law?, ICLQ 52 (2003) 401; Andrews, Abuse of process and obstructive tactics under the Brussels jurisdictional system: Unresolved problems for the European authorities Erich Gasser GmbH v. MISATsrl Case C-116/02 (9 December 2003) and Turner v. Grovit Case C-159/02 (27 April 2004), GPR 2005, 8; Bäumer, Die ausländische Rechtshängigkeit und ihre Auswirkungen auf das internationale Zivilverfahrensrecht (1999); Barnert, Positive Kompetenzkonflikte im internationalen Zivilprozeßrecht – Zum Verhältnis zwischen Art. 21 EuGVÜ und Art. 31 CMR, ZZP 118 (2005) 81; Bernheim, Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren nach dem Lugano-Übereinkommen, SJZ 1994, 133; Berti, Gedanken zur Klageerhebung vor schweizerischen Gerichten nach 138 EuGH v. 21.5.1980 – 125/79, ECLI:EU:C:1980:130 Rz. 17 – Bernard Denilauler vs. SNC Couchet Frères; EuGH v. 14.10.2004 – C-39/02 – Mærsk Olie & Gas A/S vs. Firma M. de Haan en W. de Boer, EuGHE 2004 I 9657, 9702 Rz. 50 = Rev. crit. dip. 94 (2005) 118, 126 m. Anm. Pataut. 139 Art. 28 Brüssel Ia-VO Rz. 12 (Mankowski). 140 Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 43.
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Art. 29 Brüssel Ia-VO Konkurrierende Rechtshängigkeit streckbarerklärung in anderen Staaten als dem Erlassstaat.138 Eine solche Sichtweise vernachlässigt allerdings den Schutz des Beklagten in genau jenem Staat, für welchen er Durchsetzung und Vollzug der Eilmaßnahme am meisten zu fürchten hätte: im Erlassstaat. Dies tut Eilrechtsschutz freilich schon konzeptionell, soweit er Überraschungseffekte zulässt und fördert. Unter Art. 15 Abs. 2 HZÜ haben Vertragsstaaten die Möglichkeit, Eilverfahren per Erklärung auszunehmen. Von dieser Möglichkeit haben die oben139 genannten Staaten Gebrauch gemacht,140 also die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten. Insoweit ist die Rechtslage bei Anwendbarkeit des HZÜ eindeutig.
Abschnitt 9 Anhängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren
Artikel 29 [Konkurrierende Rechtshängigkeit] (1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das später angerufene Gericht unbeschadet des Artikels 31 Absatz 2 das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. (2) In den in Absatz 1 genannten Fällen teilt das angerufene Gericht auf Antrag eines anderen angerufenen Gerichts diesem unverzüglich mit, wann es gemäß Artikel 32 angerufen wurde. (3) Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorrangige staatsvertragliche Regelungen . . 2. Gemeinsame Anwendungsvoraussetzungen der Art. 29 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Regelungsbedürfnis des Art. 29 . . . . . . . .
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II. Klage durch dieselben Parteien . . . . . . . 10 III. Klagen wegen desselben Anspruchs . . . . 13 IV. Feststellung des zuerst angerufenen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
V. Ausschließliche Zuständigkeit des Zweitgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Keine weiteren Voraussetzungen . . . . . 1. Anerkennungsprognose . . . . . . . . . . . 2. Prüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts 3. Anti-suit injunctions . . . . . . . . . . . . . 4. Prozessverschleppung . . . . . . . . . . . .
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VII. Aussetzung und Klageabweisung . . . . . . 38 VIII. Abweichungen zum LugÜbk 2007 . . . . . . 43
Schrifttum: Albrecht, Die Streitsache im deutschen und englischen Zivilverfahren, 2013; Althammer, Streitgegenstand und Interesse, 2012; Althammer, Unvereinbare Entscheidungen, drohende Rechtsverwirrung und Zweifel an der Kernpunkttheorie – Webfehler im Kommissionsvorschlag für eine Neufassung der Brüssel I-VO?, Geimer/ Schütze (Hrsg.), FS Kaissis (2012) 23; Althammer, Arglistiges Klägerverhalten im Europäischen Zuständigkeitsrecht (EuGVVO) – Bedarf für ein allgemeines Missbrauchsverbot?, GS Halúk Konuralp Bd. I (2009) 103; lthammer/Löhnig, Zwischen Realität und Utopie: Der Vertrauensgrundsatz in der Rechtsprechung des EuGH zum europäischen Zivilprozessrecht, ZZPInt 2004, 23; Ambrose, Can anti-suit-injunctions survive European Community law?, ICLQ 52 (2003) 401; Andrews, Abuse of process and obstructive tactics under the Brussels jurisdictional system: Unresolved problems for the European authorities Erich Gasser GmbH v. MISATsrl Case C-116/02 (9 December 2003) and Turner v. Grovit Case C-159/02 (27 April 2004), GPR 2005, 8; Bäumer, Die ausländische Rechtshängigkeit und ihre Auswirkungen auf das internationale Zivilverfahrensrecht (1999); Barnert, Positive Kompetenzkonflikte im internationalen Zivilprozeßrecht – Zum Verhältnis zwischen Art. 21 EuGVÜ und Art. 31 CMR, ZZP 118 (2005) 81; Bernheim, Rechtshängigkeit und im Zusammenhang stehende Verfahren nach dem Lugano-Übereinkommen, SJZ 1994, 133; Berti, Gedanken zur Klageerhebung vor schweizerischen Gerichten nach 138 EuGH v. 21.5.1980 – 125/79, ECLI:EU:C:1980:130 Rz. 17 – Bernard Denilauler vs. SNC Couchet Frères; EuGH v. 14.10.2004 – C-39/02 – Mærsk Olie & Gas A/S vs. Firma M. de Haan en W. de Boer, EuGHE 2004 I 9657, 9702 Rz. 50 = Rev. crit. dip. 94 (2005) 118, 126 m. Anm. Pataut. 139 Art. 28 Brüssel Ia-VO Rz. 12 (Mankowski). 140 Magnus/Mankowski/Queirolo, Rz. 43.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 29 Brüssel Ia-VO
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Zur Praxis der Rechtshängigkeitsregel im europäischen Zivilprozessrecht, EuLF 2003, 289; Stafyla, Die Rechtshängigkeit des EuGVÜ nach der Rechtsprechung des EuGH und der englischen, französischen und deutschen Gerichte (1998); Strebinger Internationale Rechtshängigkeit: der weite Streitgegenstandsbegriff des EuGH in Art. 21 EuGVÜ, Reaktionen der internationalen Lehre und Auswirkungen auf das österreichische Zivilprozessrecht (Diss. Wien 1999); Stumpe, Torpedo-Klagen im Gewand obligatorischer Schlichtungsverfahren – Zur Auslegung des Art. 27 EuGVVO, IPRax 2008, 22; Taschner, Ausnahmen von der Rechtshängigkeitssperre nach Art. 27 Abs. 1 EuGVO?, EWS 2004, 494; Thiele, Anderweitige Rechtshängigkeit im Europäischen Zivilprozessrecht – Rechtssicherheit vor Einzelfallgerechtigkeit, RIW 2004, 285; Thode, Windhunde und Torpedos. Anderweitige Rechtshängigkeit im europäischen Zivilprozess, BauR 2005, 1533; Tiefenthaler, Streithängigkeit, Präjudizialität und Konnexität im ausländischen Verfahren – Der Einfluß des im Ausland anhängigen Verfahrens auf ein inländisches Parallelverfahren vor und nach dem Beitritt Österreichs zum EuGVÜ (1996); Tiefenthaler, Die Streitanhängigkeit nach Art. 21 Lugano-Übereinkommen, ZfRV 1997, 67; Tsikrikas, Einige Gedanken über die „autonome“ Bestimmung des Streit- und Urteilsgegenstandes im europäischen Zivilprozessrecht, in: FS Dieter Leipold (2009) 351; Vogel, Der Eintritt der Rechtshängigkeit nach Art. 21 und 22 des Lugano-Übereinkommens, SJZ 1994, 301; Walker, Die Streitgegenstandslehre und die Rechtsprechung des EuGH – nationales Recht unter gemeineuropäischem Einfluß, ZZP 111 (1998), 429; Walter, Lis alibi pendens und forum non conveniens: Von der Konfrontation über die Koordination zur Kooperation, in:
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 29 Brüssel Ia-VO
FS Ekkehard Schumann (2001) 559; Walter, Lis Alibi Pendens and Forum Non Conveniens: From Confrontation via Co-ordination to Collaboration, Eur. J. L. Reform 4 (2002) 69; Weber, Rechtshängigkeit und Drittstaatenbezug im Spiegel der EuGVVO. Zum Beschluss des Irish Supreme Court in der Rs. Goshawk Dedicated Limited/Life Receivables Ireland Limited, RIW 2009, 620; Wernecke, Die Einheitlichkeit des europäischen und des nationalen Begriffs vom Streitgegenstand (2003); Wittibschlager, Rechtshängigkeit in internationalen Verhältnissen (1994); Wolf, Einheitliche Urteilsgeltung im EuGVÜ, in: FS Karl Heinz Schwab (1990) 561; Zeuner, Zum Verhältnis zwischen internationaler Rechtshängigkeit nach Art. 21 EuGVÜ und Rechtshängigkeit nach den Regeln der ZPO, in: FS Gerhard Lüke (1997) 1003; Zeuner, Rechtskraft und ihr Verhältnis zur Rechtshängigkeit im Rahmen des europäischen Zivilprozessrechts, in: FS Konstantinos Kerameus (2009) 1587.
I. Allgemeines Die Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO treffen Regelungen für den Fall, dass in Staaten Klagen wegen derselben 1 Sache erhoben werden oder die erhobenen Klagen in sonstigem Zusammenhang stehen. Betrafen EuGVÜ und die bisherige Fassung der Brüssel I-VO nur derartige Klagen vor Gerichten der Vertragsbzw. Mitgliedstaaten, enthält die Neufassung der Brüssel I-VO auch Regelungen über entsprechende Verfahren, die in Drittstaaten anhängig sind. In mitgliedstaatlichen Konstellationen ist der Mechanismus weitgehend gleich geblieben: Das zuletzt angerufene Gericht muss das Verfahren aussetzen und sich für unzuständig erklären (Art. 29, 31 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) bzw. kann eine solche Entscheidung nach seinem Ermessen treffen (Art. 30 Brüssel Ia-VO), wenn das zuerst angerufene Gericht zuständig und daher allein entscheidungsbefugt ist (Prioritätsgrundsatz).1 Eine Ausnahme vom Prioritätsgrundsatz findet sich in Art. 31 Abs. 2 f. Brüssel Ia-VO für Gerichtsstandsvereinbarungen (näher dort und unten Rz. 27). In Drittstaatenkonstellationen haben die Gerichte in der EU hingegen immer Ermessen bezüglich der Aussetzungsentscheidung und auch dies nur unter bestimmten Voraussetzungen (Art. 33 f. Brüssel Ia-VO). Insgesamt dient der 9. Abschnitt der Vermeidung widersprechender Entscheidungen im Interesse der Sicherstellung einer geordneten Rechtspflege in der Union, vgl. auch ErwGr. 21 Brüssel Ia-VO.2 Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO dienen außerdem den Parteiinteressen, indem sie Verfahren verhindern und dadurch den Parteien Zeit, Aufwand und Kosten ersparen.3 „Begünstigt“ sind schließlich auch die Gerichte. Eine Verfahrensverdoppelung wird vermieden. Zudem lässt sich durch die Aussetzung des Verfahrens und die Unzuständigkeitserklärung verhindern, dass ausländische Urteile nach Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO wegen Unvereinbarkeit mit einer Entscheidung, die zwischen denselben Parteien in dem Staat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist, nicht anerkannt werden.4 Die bloß falsche Anwendung der Litispendenzvor-
1 Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 1; Kropholler/von Hein, vor Art. 27 a.F. Rz. 1; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 6; Zöller/Geimer, Rz. 5; Czernich/Kodek/Mayr/Wallner-Friedl, Rz. 6; Hess, EuZPR § 6 Rz. 152. 2 Czernich/Kodek/Mayr/Wallner-Friedl, Rz. 1; Kropholler/von Hein, vor Art. 27 a.F. Rz. 1; Dauses/Ludwigs/Kreuzer/Wagner/Reder, Kap. Q III Rz. 59; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, Rz. 1; Magnus/Mankowski/Fentiman, Intr. Art. 29–30 Rz. 1, 11; entsprechend zu Art. 21 und 22 EuGVÜ Jenard-Bericht, 41; EuGH v. 8.12.1987 – 144/86, ECLI:EU:C:1987:528 – Gubisch Maschinenfabrik vs. Palumbo, EuGHE 1987, 4861 Rz. 8; v. 27.6.1991 – C-351/89, ECLI:EU:C:1991:279 – Overseas Union Insurance vs. New Hampshire Insurance, EuGHE 1991 I 3317 Rz. 16; C-406/92 – Tatry vs. Maciej Rataj, EuGHE 1995 I 5439 Rz. 32; v. 19.5.1998 – C-351/96, ECLI:EU: C:1998:242 – Drouot vs. CMI, EuGHE 1998 I 3075 Rz. 17; entsprechend zu Art. 27 LugÜbk 2007 Dasser/Oberhammer/Dasser, Art. 27 LugÜbk Rz. 4; allgemein zur Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit Schack, IZVR Rz. 833 ff. 3 In diesem Sinne auch Schack, IZVR Rz. 833. 4 Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 1; Magnus/Mankowski/Fentiman, Rz. 1; speziell in Bezug auf Art. 27 Brüssel I-VO (21 EuGVÜ) EuGH v. 8.12.1987 – 144/86, ECLI:EU:C:1987:528 – Gubisch Maschinenfabrik vs. Palumbo, EuGHE 1987, 4861 Rz. 18 m. Bspr. Schack, IPRax 1989, 139 (140); v. 19.5.1998 – C-351/96, ECLI:EU:C: 1998:242 – Drouot vs. CMI, EuGHE 1998 I 3075 Rz. 17 m. Bspr. Rauscher, IPRax 1999, 80 (81); EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 – Gasser vs. MISAT, EuGHE 2003 I 14693 Rz. 41 = Rev. crit. dip. 2004, 444 m. Anm. Muir Watt = EWiR 2004, 439 (Mankowski) = GPR 2003–2004, 159 (McGuire) = ZZPInt 2003, 510 m. Anm. Otte = EWS 2004, 494 m. Bspr. Taschner = IPRax 2004, 243 m. Bspr. Grothe, 205 = RIW 2004, 289 m. Bspr. Thiele, 285; C-39/02 – Mærsk Olie & Gas vs. de Haan en de Boer, EuGHE 2004 I 9657 Rz. 31 = Rev. crit. dip. 2005, 118 m. Anm. Pataut = IPRax 2006, 262 m. Bspr. Smeele, 229.
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Art. 29 Brüssel Ia-VO Konkurrierende Rechtshängigkeit schriften begründet demgegenüber keinen Anerkennungsversagungsgrund nach Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO.5 1. Vorrangige staatsvertragliche Regelungen 2
Gemäß Art. 71 Abs. 1 Brüssel Ia-VO bleiben von der Brüssel I-VO Übereinkommen unberührt, denen die Mitgliedstaaten angehören und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung oder die Vollstreckung von Entscheidungen regeln (zu vorrangigen Abkommen mit Drittstaaten s. Art. 33 Rz. 3). Zu beachten ist insb. die Rechtshängigkeitssperre des Art. 31 Abs. 2 CMR.6 Eine vergleichbare Vorschrift findet sich weder in der alten Fassung des CIV noch der des CIM,7 wohl aber in der überarbeiteten Fassung dieser Übereinkommen (Art. 46 § 2 CIM und Art. 57 § 2 CIV).8 Dem Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr9 ist eine solche Regelung hingegen unbekannt, ebenso dem Montrealer Übereinkommens vom 28.5.1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr.10
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Im Hinblick auf die Auslegung internationaler Abkommen hat der EuGH allerdings eine wichtige Einschränkung vorgenommen.11 Die Bestimmungen des CMR seien nur anzuwenden, wenn sie die Ziele des freien Entscheidungsverkehrs und des gegenseitigen Vertrauens in die Justiz „unter mindestens ebenso günstigen Bedingungen […] erreichen wie bei Anwendung der [Brüssel I-VO]“.12 Daraus folge für Art. 71 Brüssel Ia-VO, dass internationale Übereinkommen nicht so ausgelegt werden dürfen, dass sie die Ziele und Grundsätze der Brüssel I-VO nicht unter „mindestens ebenso günstigen Bedingungen“ gewährleisten.13 Konkret für Art. 31 Abs. 2 CMR ergebe sich daraus, dass die Vorschrift nicht dahingehend verstanden werden darf, dass eine negative Feststellungsklage (oder ein entsprechendes -urteil) in einem Mitgliedstaat nicht denselben Anspruch betrifft wie eine Leistungsklage zwischen denselben Parteien bezogen auf denselben Schaden in einem anderen Mitgliedstaat.14 Mit anderen Worten kann eine frühere negative Feststellungsklage auch im Bereich des CMR eine spätere Leistungsklage sperren (zum Verhältnis von negativer Feststellungsklage und Leistungsklage unter der Brüssel Ia-VO Rz. 17 f.). Die gegenteilige Rechtsprechung des BGH15 zum CMR ist damit hinfällig.
5 EuGH v. 16.1.2019 – C-386/17, ECLI:EU:C:2019:24 – Liberato vs. Grigorescu, NJW 2019, 1129. 6 Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR), BGBl. 1961 II 1119; vgl. zu Art. 31 Abs. 2 CMR auch BGHZ 157, 66 = EWiR 2004, 225 (Joost); BGH, IPRax 2006, 257 = EWiR 2004, 227 (Henssler/Müller); Rb. Rotterdam, TranspR 2006, 476; Barnert, ZZP 118 (2005) 81; v. Huizen, EJCCL 2009, 14 f.; Otte, TranspR 2004, 347, Rauscher, LMK 2004, 75; Riemer, Forum-Shopping mittels negativer Feststellungsklage im Geltungsbereich von ZPO, EuGVVO und CMR (2006) 133 ff.; Shariatmadari, TranspR 2006, 105. 7 Anhänge A bzw. B des „Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9.5.1980“ (BGBl. 1985 II 144) i.d.F. des Protokolls vom 9.12.1990 (BGBl. 1992 II 1182). 8 BGBl. 2002 II 2149. 9 BGBl. 1958 II 312. 10 BGBl. 2004 II 458. 11 EuGH v. 19.12.2013 – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 – Nipponkoa Insurance Co. (Europe) vs. Inter-Zuid Transport, BV RIW 2014, 141 = EuZW 2014, 220 m. Anm. Antomo; dazu Hartenstein, TranspR 2014, 61; Mankowski, TranspR 2014, 129. 12 EuGH v. 19.12.2013 – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 Rz. 38 – Nipponkoa Insurance Co. (Europe) vs. InterZuid Transport BV; so bereits (zu Art. 31 Abs. 3 CMR) EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08, ECLI:EU:C:2010:243 – TNT Express Nederland BV vs. AXA Versicherung AG, EuGHE 2010 I-4107 Rz. 55 = EuZW 2010, 517 = NJW 2010, 1736. 13 EuGH v. 19.12.2013 – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 Rz. 39 – Nipponkoa Insurance Co. (Europe) vs. InterZuid Transport BV. 14 EuGH v. 19.12.2013 – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 Rz. 49 – Nipponkoa Insurance Co. (Europe) vs. InterZuid Transport BV. 15 BGHZ 157, 66; anders allerdings bereits zuvor andere Höchstgerichte der CMR-Mitgliedstaaten, s. Mankowski, TranspR 2014, 129, 133 m.w.N.
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Kap. II: Zuständigkeit
Art. 29 Brüssel Ia-VO
2. Gemeinsame Anwendungsvoraussetzungen der Art. 29 ff. Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO setzen die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Brüssel Ia-VO voraus 4 (Art. 1 Brüssel Ia-VO). In räumlicher Hinsicht erfassen Art. 29 und 30 Brüssel Ia-VO Klagen, die vor Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten erhoben wurden, während Art. 33 und 34 Brüssel Ia-VO Klagen betroffen, die einerseits in einem Drittstaat, andererseits später in einem Mitgliedstaat erhoben wurden. Bei Klagen vor den Gerichten ein und desselben Mitgliedstaats ist allein das nationale Prozessrecht maßgeblich. In Deutschland gilt § 261 III Nr. 1 ZPO.16 Unerheblich für die Anwendbarkeit der Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO ist es, ob sich die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte aus nationalen oder staatsvertraglichen Vorschriften oder aus der Brüssel Ia-VO ergibt.17 Eine Einschränkung in persönlicher Hinsicht macht die Verordnung nicht. Die Anwendung der Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO ist insb. nicht davon abhängig, dass die Parteien ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat haben.18
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Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO setzen weiter voraus, dass Klagen erhoben wurden. Der deutsche Wortlaut 6 differenziert zwar sprachlich zwischen „Klagen“ (Art. 29 Brüssel Ia-VO) und „Verfahren“ (Art. 30 ff. Brüssel Ia-VO). Diese Abweichung von Art. 27 ff. Brüssel Ia-VO a.F. scheint aber keine Veränderungen in der Bedeutung nach sich zu ziehen. Zum ersten differenziert etwa der englische Wortlaut gerade umgekehrt zwischen „proceedings“ (Art. 29 Brüssel Ia-VO) und „actions“ (Art. 30, 31 Brüssel IaVO) und findet sich eine entsprechende Unterscheidung überhaupt nicht im französischen Text („demandes“). Zum zweiten kam es schon nach bisheriger Rechtslage trotz des Wortlauts „Klagen“ nicht darauf an, ob ein Gericht im Wege der Klage mit einer Sache angegangen oder aufgrund sonstiger Bestimmungen mit der Sache befasst wurde.19 Sofern eine Prozesshandlung nach dem Recht eines Mitgliedstaats eine Rechtshängigkeit begründet, kann sie bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch zur Anwendung der Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO führen.20 So ordnet der EuGH z.B. auch den Antrag auf Errichtung eines Haftungsbeschränkungsfonds als Klage ein, sofern daraufhin ein Verfahren bei einem mitgliedstaatlichen Gericht betrieben wird.21 Bei Schlichtungs- und sonstigen ADRVerfahren ist zu differenzieren (s. Art. 32 Rz. 5a).22 Da Art. 29 Brüssel Ia-VO nur von „Klagen“ spricht, soll die Vorschrift der gleichzeitigen Beantragung einstweiliger Maßnahmen in verschiedenen Mitgliedstaaten nicht entgegenstehen.23 Das kann dann freilich die grenzüberschreitende An-
16 Ausf. dazu m.w.N. Otto, Die subjektiven Grenzen der Rechtshängigkeitssperre im deutschen und europäischen Zivilprozessrecht (2007) 51 ff. 17 EuGH v. 27.6.1991 – C-351/89, ECLI:EU:C:1991:279 – Overseas Union Insurance vs. New Hampshire Insurance, EuGHE 1991 I 3317 Rz. 14; LG Düsseldorf, GRUR-Int. 2008, 757; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 2; Czernich/Kodek/Mayr/Wallner-Friedl, Rz. 3; Gaudemet-Tallon (2015) Nr. 324; Schack, IZVR Rz. 846. 18 EuGH v. 27.6.1991 – C-351/89, ECLI:EU:C:1991:279 – Overseas Union Insurance vs. New Hampshire Insurance, EuGHE 1991 I 3317 Rz. 13; EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 – Gasser vs. MISAT EuGHE 2003 I 14693 Rz. 41; EuGH v. 14.10.2004 – C-39/02 – Mærsk Olie & Gas vs. de Haan en de Boer, EuGHE 2004 I 9657 Rz. 31; Kropholler/von Hein, vor Art. 27 a.F. Rz. 2; Gottwald in MünchKomm/ZPO Rz. 2; Czernich/Kodek/Mayr/Wallner-Friedl, Rz. 3. 19 BGH, IPRax 1987, 315 m. Bspr. Jayme, 295; Mansel, IPRax 1990, 216 (Anm. zu LG Frankfurt/M. v. 22.2.1988 – 2/21 O 185/86, IPRax 1990, 234). 20 Für die Streitverkündung nach italienischem Recht LG Frankfurt/M., IPRax 1990, 235 m. Bspr. Mansel, 214; OLG Frankfurt/M., IPRspr. 1989 Nr. 210b. 21 EuGH v. 14.10.2004 – C-39/02 – Mærsk Olie & Gas vs. de Haan en de Boer, EuGHE 2004 I 9687 Rz. 34. 22 Ablehend aber ArbG Mannheim, IPRax 2008, 37 m. abl. Bspr. Stumpe, 22; s. indes High Court, Chancery Division EuLF 2014, 121. 23 Kropholler/von Hein, Art. 27 a.F. Rz. 14; Schlosser/Hess/Schlosser, Rz. 5; Stadler, JZ 1999, 1099; Wannenmacher, Einstweilige Maßnahmen im Anwendungsbereich von Art. 31 EuGVVO in Frankreich und Deutschland. Eine Betrachtung ausgesuchter Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im internationalen Zivilverfahrensrecht; gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung (2007) 269 ff.; krit. zum entsprechenden Art. 27 LugÜbk 2007 Dasser/Oberhammer/Dasser, Art. 27 LugÜbk Rz. 24 f.; a.A. LG Kleve IPRspr. 2000 Nr. 144a; Hess/Zhou, IPRax 2007, 187; differenzierend Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Immaterialgüterrecht (2008) 261 ff.
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Art. 29 Brüssel Ia-VO Konkurrierende Rechtshängigkeit erkennung und Vollstreckung erschweren, da Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO zu beachten ist (s. auch Art. 2 lit. a Brüssel Ia-VO).24 7
Kein Fall von Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO ist außerdem die Schiedshängigkeit. Ob und inwieweit ein früher eingeleitetes Schiedsverfahren eine nachgängige Klage vor staatlichen Gerichten sperrt, regelt das autonome oder staatsvertragliche Recht des Gerichtsstaats.25 Ebenso wenig sind umgekehrt Schiedsgerichte aufgrund von Art. 29 ff. Brüssel Ia-VO gehalten, prioritäre Verfahren vor staatlichen Gerichten zu beac