BGB: Kommentar [15., neu bearbeitete Auflage] 9783504385422

Das renommierte Standardwerk zum BGB und seinen wichtigsten Nebengesetzen und praxisrelevanten Teilen des IPR. Wissensch

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German Pages 7194 [7201] Year 2017

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BGB: Kommentar [15., neu bearbeitete Auflage]
 9783504385422

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Erman Bürgerliches Gesetzbuch

Erman Bürgerliches Gesetzbuch Handkommentar mit AGG, EGBGB (Auszug), ErbbauRG, LPartG, ProdHaftG, VBVG, VersAusglG und WEG herausgegeben von

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Harm Peter Westermann Prof. Dr. Barbara Grunewald Rechtsanwalt Dr. Dr. h.c. Georg Maier-Reimer

I 15., neu bearbeitete Auflage

2017

Bearbeitet von Prof. Dr. Lutz Aderhold Prof. Dr. Christian Armbrüster Prof. Dr. Arnd Arnold Prof. Dr. Markus Artz Prof. Dr. Walter Bayer Prof. Dr. Dr. h.c. Detlev W. Belling Prof. Dr. Klaus Peter Berger Klaus-Peter Blank Dr. Lars Böttcher Prof. Dr. Petra Buck-Heeb Prof. Dr. Christine Budzikiewicz Dr. Marc Manuel Dickersbach Dr. Yves Döll Prof. Dr. Tim W. Dornis Dr. Frank Ebbing Prof. Dr. Ina Ebert Prof. Dr. Stefan Edenfeld Dr. Detlev Fischer Dr. Susanne Gescher Prof. Dr. Barbara Grunewald Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz Prof. Dr. Susanne Hähnchen Prof. Dr. Johannes Hager Eckart Hammermann Dr. Jörn Heinemann Prof. Dr. Gerhard Hohloch Dr. Claus-Henrik Horn Prof. Dr. Dagmar Kaiser Dr. Susanne Kappler Dr. Tobias Kappler Prof. Dr. Johann Kindl Prof. Dr. Nadine Klass Prof. Dr. Raphael Koch Prof. Dr. Kathrin Kroll-Ludwigs Prof. Dr. Jan Lieder

Dr. Arndt Lorenz Dr. Klaus Lützenkirchen Dr. Winfried Maier Dr. Dr. h.c. Georg Maier-Reimer Prof. Dr. Thomas Mayen Prof. Dr. Hans-Friedrich Müller Prof. Dr. Michael Nietsch Dr. Steffi Nobis Dr. Johannes Norpoth Dr. Henry Posselt Prof. Dr. Martin Rehborn Prof. Dr. Karl Riesenhuber Dr. Tobias Rodemann Prof. Dr. Anne Röthel Dr. Stefanie Roloff Prof. Dr. Andreas Roth Prof. Dr. Stefan Chr. Saar Prof. Dr. Ingo Saenger Wilhelm Sasse Prof. Dr. Stefan Schaub Prof. Dr. Ronald Schmid Prof. Dr. Jessica Schmidt Michael Schmidt Prof. Dr. Johanna Schmidt-Räntsch Prof. Dr. Kai Schulte-Bunert Hans Christian Schwenker Dr. Ulrich Simon Dr. Eberhard Wagner Dr. Frank Wenzel Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Harm Peter Westermann Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen Dr. Matthias Wiese Prof. Dr. Rüdiger Wilhelmi Prof. Dr. Dirk Zetzsche

Zitierempfehlung: Erman/Bearbeiter, BGB, 15. Aufl., § … Rn. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-47103-3 ©2017 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort zur 15. Auflage Praktische und wissenschaftliche Arbeiten am Bürgerlichen Recht zu unterstützen, wie es der hiermit in 15. Auflage vorgelegte Erman-Kommentar unternimmt, ist nicht mehr auf der Grundlage allein des BGB möglich, sondern muss neben den umfangreichen Änderungen des BGB die überaus zahlreichen und vielfältigen Entwicklungen der Materie durch gewichtige Nebengesetze und Europäische Rechtsakte berücksichtigen. Die aus dem Unionsrecht kommenden Neuerungen haben seit dem Erscheinen der 14. Auflage des Kommentars an Zahl und Gewicht nochmals zugenommen. Das hat die Ansprüche an die Autoren und den Verlag weiter erhöht, eine Herausforderung, der sich – was von Herausgeberseite dankend vermerkt wird – die bisherigen, ebenso wie die hinzugekommenen Autoren verantwortungsbewusst gestellt haben. Daher kann das Gesamtwerk mit einem leicht erhöhten Umfang im Wesentlichen nach dem Stand der Gesetzgebung zum 1. August 2017 vorgelegt werden. Berücksichtigt sind das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, das Gesetz zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes, im Familienrecht vor allem das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts, das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen und das Gesetz zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten, ferner die Einführung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld. Bei der Entscheidung über die Aufnahme von Änderungen in die Kommentierung wurde hingenommen, dass einige Bestimmungen erst in einer – allerdings überschaubaren – Zeit in Kraft treten werden. Zum Gesetz zur Umsetzung der 2. Zahlungsdiensterichtlinie ist geplant, nach dem Inkrafttreten online eine Erstkommentierung zur Verfügung zu stellen. Besonders hervorzuheben sind schließlich die zahlreichen, auch praktisch sehr wichtigen, ergänzenden und neuen Regeln (auch in Staatsverträgen) zum Internationalen Privatrecht, die im Kommentar voll berücksichtigt worden sind, darunter die Europäische Güterrechtsverordnung. Die mit einem Werk diesen Zuschnitts verbundenen Ansprüche an die fachliche Spezialisierung und Arbeitskraft der Autoren hat zu einer weiteren Vergrößerung des Bearbeiterkreises geführt. Neu eingetreten sind Herr Rechtsanwalt Dr. Matthias Wiese (Stiftungsrecht), Herr Professor Dr. Karl Riesenhuber (Arbeitsrecht und AGG), Herr Professor Dr. Michael Nietsch (§§ 491 ff. und 655a ff.), Frau Professor Dr. Susanne Hähnchen (Schenkungsrecht), Herr Richter am BGH a.D. Dr. Detlev Fischer (Maklerrecht), Herr Professor Dr. Dirk Zetzsche (Bürgschaft und Verwahrung), Herr Professor Dr. Kai Schulte-Bunert (Vormundschaftsrecht), Herr Dr. Henry Posselt (ebenfalls Vormundschaftsrecht). Herr RiOLG Wilhelm Sasse bearbeitet zusammen mit dem schon vorher beteiligten RiOLG Dr. Johannes Norpoth den Versorgungsausgleich, Herr RiOLG Dr. Tobias Rodemann erläutert zusammen mit Herrn Rechtsanwalt Hans Christian Schwenker das Werkvertragsrecht. Herr Professor Dr. Rüdiger Wilhelmi und Frau Professor Dr. Johanna Schmidt-Räntsch, die schon bisher als Autoren wichtiger Teile mitgewirkt hatten, haben jetzt auch die Verantwortung für so wichtige Abschnitte wie das Deliktsrecht (Professor Dr. Wilhelmi) und § 138 BGB (Professor Dr. Schmidt-Räntsch) übernommen. Ausgeschieden aus dem Bearbeiterkreis sind Frau Professor Dr. Elke Herrmann, die die Kommentierungen des Schenkungsrechts, der Bürgschaft und der Verwahrung geschrieben hatte, Herr Professor Dr. Olaf Werner, der für das Stiftungsrecht verantwortlich war; die neu eingetretenen Autoren entlasten dankenswerter Weise auch andere am Kommentar weiterhin mitarbeitende Autoren. Ausgeschieden ist ferner Herr Professor Dr. Gottfried Schiemann, dessen Kommentierung des Deliktsrechts Herr Professor Dr. Wilhelmi übernommen hat. Den Ausgeschiedenen gebührt für ihre umfangreiche, wissenschaftlich wie praktisch bedeutenden Beiträge der Dank des gesamten Mitarbeiterkreises und besonders der Herausgeber. Die letzteren freuen sich, bei dieser Gelegenheit einen ausdrücklichen Dank auch der umsichtigen und sachkundigen verlegerischen Betreuung durch Frau Sonja Behrens-Khaled aussprechen zu können. Dank gebührt auch Frau Rechtsanwältin Natalie Malcolm für die Erstellung des Stichwortverzeichnisses. Hinweise und Anregungen, die dazu beitragen, das hohe Niveau des Kommentars zu halten und weiter zu verbessern, können unter [email protected] direkt an den Verlag gerichtet werden. Köln und Tübingen, im August 2017 Barbara Grunewald

Georg Maier-Reimer

Harm Peter Westermann

VII

Vorwort zur 1. Auflage Im September 1948 brachten die drei Mitarbeiter an dem hier vorgelegten Kommentar, Landgerichtsdirektor Dr. Böhle-Stamschräder, Rechtsanwalt Groepper und Professor Dr. Westermann, als Band I von „Aschendorffs Juristische Handbücherei“ einen Kommentar des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuches heraus, dem Anfang 1949 noch eine Teillieferung des Rechts der Schuldverhältnisse (§§ 241–247, bearbeitet von Dr. BöhleStammschräder) folgte. Das Werk sollte, aufgeteilt auf die drei Herausgeber, in fünf Einzelbände die fünf Bücher des BGB umfassen. Die günstige Entwicklung der allgemeinen Verhältnisse machte es dann jedoch möglich, die Herstellung eines umfangreicheren, das BGB und seine wichtigsten Nebengesetze umfassenden Kommentars in einem allen technischen Anforderungen entsprechenden starken Dünndruckbande in Angriff zu nehmen. Das ließ es den Herausgebern und dem Verlag angebracht erscheinen, den Kreis der Mitarbeiter wesentlich zu erweitern. Nur dann konnte der Kommentar auch in der neuen Gestalt sein Ziel erreichen, dem lernenden und dem fertigen Juristen, dem Manne der Wissenschaft und dem Manne der Praxis wirklich zu dienen. Als neue Mitarbeiter wurden nur Juristen herangezogen, die wie die bisherigen Herausgeber mitten im Rechtsleben standen und daher wie sie besonders befähigt erschienen, das lebendige Recht darzustellen. Die starke anderweitige Belastung aller Mitarbeiter verbot es, die Anteile zu groß zu bemessen. Die Verteilung der Arbeitslast auf viele Schultern ermöglichte es zugleich, für besondere Gebiete bewährte Spezialisten als Mitarbeiter zu gewinnen. Diese Änderung des ursprünglichen Planes ließ eine einheitliche Leitung des Gesamtwerkes beim Aufbau des Mitarbeiterkreises und der Erstellung des Kommentars wünschenswert erscheinen, und so wandten sich Herausgeber und Verlag an mich mit der Bitte, als lehrender, forschender und im Richteramt praktisch tätiger und daher den verschiedenen Zielrichtungen des Kommentars verbundener Jurist diese Aufgabe zu übernehmen. Wir einigten uns auf folgende Richtlinien: Jeder Mitarbeiter liefert seinen Anteil unter eigener Verantwortung. Er stellt die Ergebnisse von Rechtsprechung und Rechtslehre dar und legt dabei besonderen Wert auf Zuverlässigkeit im Zitieren unter Beschränkung auf wirklich ergiebige, grundlegende oder zusammenfassende Belegstellen. Wo er Eigenes zu bieten hat, nimmt er ausführlicher Stellung. Dabei werden Widersprüche in den Auffassungen mehrerer Mitarbeiter entweder ausgeglichen oder offen vertreten. Zu den einzelnen Abschnitten und Unterabschnitten und zu wesentlicheren Vorschriften werden in Vorbemerkungen oder in den ersten Anmerkungen die Grundgedanken in besonders auch für den jungen Juristen gut faßlicher Form dargestellt, sodann erst werden die Einzelfragen behandelt, die sich im Rahmen oder im Randbereich der Vorschriften entwickelt haben. Zum Umfang des Kommentars stand fest: Er sollte möglichst inhaltsreich sein, jedoch den „einen Band“ nicht sprengen. Das führte zu zwei Folgerungen: Zur Verwendung von Abkürzungen und, unbeschadet ausgiebiger Kommentierung in allen Teilen, zur Bildung von Schwerpunkten in ausgesprochenen Kernmaterien, wie beispielsweise dem Recht der unerlaubten Handlungen. Besonders am Herzen lag dem Verlag und mir auch eine eindringende Darstellung der dem Dienstvertrag nahegelegenen Teile des Arbeitsrechts gerade im Rahmen eines Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Mit dem Fortschreiten der Zeit ergab sich die Frage: Soll das Werk noch vor der zu erwartenden Familienrechtsnovelle (Art. 3 Abs. 2 und Art. 117 Grundgesetz) herausgebracht werden? Das war zu bejahen. Nicht nur ist ungewiß, ob es dem Gesetzgeber möglich sein wird, die Frist des Art. 117 (31. März 1953) einzuhalten, sondern selbst wenn das gelingt, wird noch für einen beträchtlichen Zeitraum das jetzt geltende Recht theoretisch und praktisch Bedeutung behalten. Die Kommentierung des neuen Rechts kann für die erste Auflage des Kommentars einem Nachtrage vorbehalten bleiben, dessen schnelle Erstellung in die Wege geleitet ist. Ursprünglich hatte ich vor, mich an der Kommentierung selbst zu beteiligen. Sehr bald mußte ich jedoch einsehen, daß die Leitung des Gesamtwerkes mir neben meinen anderen Belastungen hierzu keine Zeit ließ. So ist es denn dazu gekommen, daß ich nur „multa“ zur Erstellung des Kommentars beizusteuern hatte, womit ich hoffe, zu meinem Teil den Mitarbeitern die Konzentration auf das „multum“ ermöglicht zu haben. Und die auf mich entfallende Arbeit hätte ich wiederum nicht ohne die dauernde wertvolle Mitwirkung des Mitherausgebers erledigen können. Seiner Arbeit ist auch das alphabetische Inhaltsverzeichnis zu verdanken. Ist es ohnehin Sitte, die Leserschaft eines juristischen Werkes um kritische Hinweise zu bitten, so rechtfertigt sich diese Bitte hier in besonderem Maße: denn bei allem Streben nach einheitlicher Linie ist es naturgemäß bei dem Neben- und Nacheinander-Entstehen des Werkes nicht möglich, gleich in der ersten Auflage alle Abweichungen zu beheben oder zur offenen Behandlung zu bringen, geschweige denn die wünschenswerte Verzahnung lückenlos herzustellen. Ist das auch bei einem Kommentar kein Verhängnis, so soll doch dieses Ziel eines völlig in sich geschlossenen Werkes auch über die erste Auflage hinaus weiter angestrebt werden. Köln, im November 1952

VIII

Prof. Dr. Walter Erman

Bearbeiterverzeichnis Dr. Lutz Aderhold Rechtsanwalt und Notar, Dortmund, Honorarprofessor an der Universität Münster

§§ 741–758, 1008–1011 BGB2.9986

Dr. Christian Armbrüster o. Professor, FU Berlin, Richter am KG a.D.

§§ 145–163 BGB; §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 8, 3–5, 19–23, 31–33 AGG

Dr. Arnd Arnold Dipl.-Volksw., o. Professor, Universität Trier

§§ 116–137, 139–144 BGB

Dr. Markus Artz o. Professor, Universität Bielefeld

§§ 256–274, 873–902, 925–928 BGB

Dr. Walter Bayer o. Professor, Universität Jena

§§ 929–936, 1030–1089, 2032–2063 BGB

Dr. Dr. h.c. Detlev W. Belling, M.C.L. o. Professor, Universität Potsdam

§§ 614–630 BGB; §§ 2 Abs. 1 Nr. 1–7, Abs. 2–4, 6–18, 24 AGG (mit Prof. Dr. Karl Riesenhuber)

Dr. Klaus Peter Berger, LL.M. o. Professor, Universität zu Köln

§§ 657–675 BGB

Klaus-Peter Blank Richter am OLG a.D., Frechen

§§ 1564–1568b BGB

Dr. Lars Böttcher Rechtsanwalt, Gotha

§§ 242, 313, 314, 420–432 BGB

Dr. Petra Buck-Heeb o. Professorin, Universität Hannover

§§ 362–386, 812–822 BGB

Dr. Christine Budzikiewicz o. Professorin, Universität Marburg

§§ 1363–1390 BGB

Dr. Marc Dickersbach Rechtsanwalt, Köln

Anh. zu § 535 BGB (Leasing), §§ 555a–555f, §§ 557–560, 581–597 BGB

Dr. Yves Döll Richter am LG, Bayreuth

§§ 1616–1698b BGB

Dr. Tim W. Dornis, JSM (Stanford University) Attorney-at-law (New York), o. Professor, Leuphana Universität Lüneburg

§§ 677–687 BGB

Dr. Frank Ebbing, LL.M. Rechtsanwalt, Erlangen

§§ 937–1007 BGB

Dr. Ina Ebert apl. Professorin (Universität Kiel), München

§§ 249–255 BGB

Dr. Stefan Edenfeld apl. Professor, Universität Münster

§§ 611–613a BGB

Dr. Detlev Fischer Richter am BGH a.D., Karlsruhe

§§ 652–655, 656 BGB

Dr. Susanne Gescher Rechtsanwältin, Münster

§§ 630a–630h BGB (mit Prof. Dr. Martin Rehborn)

Dr. Barbara Grunewald o. Professorin, Universität zu Köln

§§ 433–480 BGB

Dr. Dr. Herbert Grziwotz Notar, Regen, Honorarprofessor an der Universität Regensburg

§§ 311b, 311c, 1018–1029, 1090–1112 BGB; ErbbauRG; WEG

Dr. Susanne Hähnchen o. Professorin, Universität Bielefeld

§§ 516–534 BGB

Dr. Johannes Hager o. Professor, Universität München

§§ 286–304, 315–319 BGB

IX

Bearbeiterverzeichnis

Eckart Hammermann Vorsitzender Richter am OLG, Hamm

§§ 1589–1615n BGB

Dr. Jörn Heinemann, LL.M. Notar, Neumarkt i.d. OPf.

§§ 1408–1519 m. Anh. (WZG), §§ 1558–1563 BGB

Dr. Gerhard Hohloch em. o. Professor, Universität Freiburg, Richter am OLG i.R., Rechtsanwalt

Art. 3–48, 220, 236 EGBGB mit Anhang zu Art 12 EGBGB (Int GesR), EuGütVO, UnthProt, KSÜ, ESÜ, HKÜ, VO Rom I, VO Rom II, VO Rom III, EuErbrVO, HTestFÜbk (Auszug)

Dr. Claus-Henrik Horn Rechtsanwalt, Fachanwalt f. Erbrecht, Düsseldorf

§§ 1967–2031 BGB

Dr. Dagmar Kaiser o. Professorin, Universität Mainz

LPartG

Dr. Susanne Kappler Notarin, Arnstorf

§§ 2229–2302 BGB (mit Dr. Tobias Kappler)

Dr. Tobias Kappler Notar, Osterhofen, Lehrbeauftragter an der Universität Regensburg

§§ 2229–2302 BGB (mit Dr. Susanne Kappler)

Dr. Johann Kindl o. Professor, Universität Münster

§§ 311, 311a BGB

Dr. Nadine Klass, LL.M. (Wellington) o. Professorin, Universität Mannheim

Allg. Persönlichkeitsrecht (Anh. § 12 BGB)

Dr. Raphael Koch, LL.M. (Cambridge), EMBA o. Professor, Universität Augsburg

§§ 312–312k, 355–361, 481–487 BGB

Dr. Kathrin Kroll-Ludwigs, o. Professorin, Fachhochschule Aachen

Einl § 1297–§ 1302, 1353–1362 BGB

Dr. Jan Lieder, LL.M. (Harvard) o. Professor, Universität Freiburg, Richter am OLG Schleswig

Einl § 1922–§ 1941

Dr. Arndt Lorenz Stellv. Direktor des AG, Kerpen

§§ 854–872, 907–924 BGB

Dr. Klaus Lützenkirchen Rechtsanwalt, Köln

§§ 535–556b, 561–580a BGB

Dr. Winfried Maier Vors. Richter am OLG, München

§§ 1569–1586b BGB

Dr. Dr. h.c. Georg Maier-Reimer, LL.M. Rechtsanwalt, Köln

§§ 164–193 BGB

Prof. Dr. Thomas Mayen Rechtsanwalt, Bonn

§§ 89, 839, 839a BGB

Dr. Hans-Friedrich Müller, LL.M. o. Professor, Universität Trier, Richter am OLG Koblenz

Einl § 104–§ 113, §§ 759–764, 779 BGB

Dr. Michael Nietsch o. Professor, EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Wiesbaden

§§ 491–515, 655a–655e

Dr. Steffi Nobis Referentin Sächsisches Staatsministerium, Dresden

§§ 2087–2099, 2147–2196 BGB

Dr. Johannes Norpoth Richter am OLG, Hamm

§ 1587 BGB, VersAusglG (mit Wilhelm Sasse)

Dr. Henry Posselt Rechtsanwalt, Berlin

§§ 1835–1836e BGB, VBVG

X

Bearbeiterverzeichnis

Dr. Martin Rehborn Rechtsanwalt, Dortmund, Honorarprofessor der Universität zu Köln

§§ 630a–630h BGB (mit Dr. Susanne Gescher)

Dr. Karl Riesenhuber o. Professor, Ruhr-Universität Bochum, Richter am OLG, Hamm

§§ 614–630 BGB; §§ 2 Abs. 1 Nr. 1–7, Abs. 2–4, 6–18, 24 AGG (mit Prof. Dr. Dr. Belling)

Dr. Tobias Rodemann Richter am OLG, Düsseldorf

Vor § 631–Anh § 651 BGB (mit Hans Christian Schwenker)

Dr. Anne Röthel o. Professorin, Bucerius Law School, Hamburg

§§ 346–354, 414–418, 2303–2338 BGB

Dr. Stefanie Roloff, LL.M. (Univ. Cambridge) Richterin am BGH, Karlsruhe

§§ 305–310 BGB

Dr. Andreas Roth o. Professor, Universität Mainz

§§ 1303–1320, 1712–1717, 1896–1921 BGB

Dr. Stefan Chr. Saar o. Professor, Universität Potsdam

§§ 1741–1772 BGB

Dr. Ingo Saenger o. Professor, Universität Münster

Vor § 1–§ 14, §§ 241a, 488–512, 607–609, 655a–655e BGB

Wilhelm Sasse Vorsitzender Richter am OLG, Hamm

§ 1587 BGB, VersAusglG (mit Dr. Johannes Norpoth)

Prof. Dr. Stefan Schaub, LL.M. Rechtsanwalt, Düsseldorf

§§ 244–248, 336–345 BGB

Dr. Ronald Schmid Rechtsanwalt, Wiesbaden, Honorarprofessor an der TU Dresden und der TU Darmstadt

§§ 651a–651m BGB

Dr. Jessica Schmidt, LL.M. o. Professorin, Universität Bayreuth

Vor § 90–§ 103, Einl 1204–1296, 1942–1966 BGB

Michael Schmidt Rechtsanwalt, Berlin

Vor § 2064–§ 2086, Vor § 2100–§ 2146, Vor § 2197–§ 2228 BGB

Dr. Johanna Schmidt-Räntsch Richterin am BGH, Honorarprofessorin an der Humboldt-Universität zu Berlin

§§ 138, 194–218, 232–240 BGB; Art. 229 §§ 5–7, 12, 23 EGBGB

Dr. Kai Schulte-Bunert o. Professor, Fachhochschule für Rechtspflege Nordrhein-Westfalen, Bad Münstereifel

§§ 1773–1834, 1837–1895 BGB

Hans Christian Schwenker Rechtsanwalt, Hannover

Vor § 631–Anh § 651 BGB (mit Dr. Tobias Rodemann)

Dr. Ulrich Simon, LL.M. (Columbia) Notar, Bayreuth

§§ 2339–2385 BGB

Dr. Eberhard Wagner Rechtsanwalt, Karlsruhe

§§ 226–231, 387–397 BGB

Dr. Frank Wenzel Rechtsanwalt, Köln

§§ 1113–1203 BGB

Dr. Dr. h.c. mult. Harm Peter Westermann em. o. Professor, Universität Tübingen

§§ 21–79, Einl 241, 241, 243, 275–285, 320–335, 398–413, 705–740 BGB

Dr. Friedrich Graf von Westphalen Honorarprofessor an der Universität Bielefeld, Rechtsanwalt, Köln

§§ 598–606, 675a–676c, 701–704 BGB

XI

Bearbeiterverzeichnis

Dr. Matthias Wiese Rechtsanwalt und Notar, Dortmund, Lehrbeauftragter an der Universität Münster

§§ 80–88 BGB

Dr. Rüdiger Wilhelmi o. Professor, Universität Konstanz

§§ 780–811, Vor 823–838, 840–853, 903–906 BGB

Dr. Dirk Zetzsche, LL.M. (Toronto) o. Professor, Universität Luxemburg

§§ 688–700, 765–778 BGB

XII

Inhaltsverzeichnis Band I Seite

Vorwort zur 15. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Vorwort zur 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII Bearbeiterverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Buch 1. Allgemeiner Teil (§§ 1–240) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Abschnitt 1. Personen (§§ 1–89) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Natürliche Personen, Verbraucher, Unternehmer (§§ 1–14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zu § 12: Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Juristische Personen (§§ 21–89) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Vereine (§§ 21–79) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 21–54) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Eingetragene Vereine (§§ 55–79) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Stiftungen (§§ 80–88) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Juristische Personen des öffentlichen Rechts (§ 89) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 19 129 129 129 185 196 220

Abschnitt 2. Sachen und Tiere (§§ 90–103) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

223

Abschnitt 3. Rechtsgeschäfte (§§ 104–185) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Geschäftsfähigkeit (§§ 104–113) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Willenserklärung (§§ 116–144) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Vertrag (§§ 145–157) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 4. Bedingung und Zeitbestimmung (§§ 158–163) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 5. Vertretung und Vollmacht (§§ 164–181) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 6. Einwilligung und Genehmigung (§§ 182–185) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250 256 275 414 468 482 539

Abschnitt 4. Fristen, Termine (§§ 186–193) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

555

Abschnitt 5. Verjährung (§§ 194–218) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Gegenstand und Dauer der Verjährung (§§ 194–202) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zur Vorbemerkung vor § 194: Art 229 §§ 6, 12, 23 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung (§§ 203–213) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Rechtsfolgen der Verjährung (§§ 214–218) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

561 561 565 612 654

Abschnitt 6. Ausübung der Rechte, Selbstverteidigung, Selbsthilfe (§§ 226–231) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

662

Abschnitt 7. Sicherheitsleistung (§§ 232–240) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

683

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

691

Buch 2. Recht der Schuldverhältnisse (§§ 241–853) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zur Einleitung § 241: Art 229 §§ 5, 7 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

775 783

Abschnitt 1. Inhalt der Schuldverhältnisse (§§ 241–304) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786 Titel 1. Verpflichtung zur Leistung (§§ 241–292) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786 Titel 2. Verzug des Gläubigers (§§ 293–304) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1098 Abschnitt 2. Gestaltung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (§§ 305–310) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1114

XIII

Inhaltsverzeichnis Seite

Abschnitt 3. Schuldverhältnisse aus Verträgen (§§ 311–361) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Begründung, Inhalt und Beendigung (§§ 311–319) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Begründung (§§ 311–311c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Grundsätze bei Verbraucherverträgen und besondere Vertriebsformen (§§ 312–312k) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1. Anwendungsbereich und Grundsätze bei Verbraucherverträgen (§§ 312, 312a) . . . Kapitel 2. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge (§§ 312b–312h) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3. Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr (§§ 312i, 312j) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 4. Abweichende Vereinbarungen und Beweislast (§ 312k) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Anpassung und Beendigung von Verträgen (§§ 313–314) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 4. Einseitige Leistungsbestimmungsrechte (§§ 315–319) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Gegenseitiger Vertrag (§§ 320–326) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Versprechen der Leistung an einen Dritten (§§ 328–335) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 4. Draufgabe, Vertragsstrafe (§§ 336–345) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 5. Rücktritt; Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen (§§ 346–361) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Rücktritt (§§ 346–354) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen (§§ 355–361) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1251 1251 1251

1361 1395 1403 1405 1438 1461 1496 1522 1537 1537 1554

Abschnitt 4. Erlöschen der Schuldverhältnisse (§§ 362–397) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Erfüllung (§§ 362–371) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Hinterlegung (§§ 372–386) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Aufrechnung (§§ 387–396) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 4. Erlass (§ 397) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1591 1592 1611 1618 1668

1333 1333

Abschnitt 5. Übertragung einer Forderung (§§ 398–413) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1675 Abschnitt 6. Schuldübernahme (§§ 414–419) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1712 Abschnitt 7. Mehrheit von Schuldnern und Gläubigern (§§ 420–432) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1726 Abschnitt 8. Einzelne Schuldverhältnisse (§§ 433–853) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Kauf, Tausch (§§ 433–480) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 433–453) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Besondere Arten des Kaufs (§§ 454–473) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1. Kauf auf Probe (§§ 454–455) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Wiederkauf (§§ 456–462) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3. Vorkauf (§§ 463–473) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Verbrauchsgüterkauf (§§ 474–479) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 4. Tausch (§ 480) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Teilzeit-Wohnrechteverträge, Verträge über langfristige Urlaubsprodukte, Vermittlungsverträge und Tauschsystemverträge (§§ 481–487) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Darlehensvertrag; Finanzierungshilfen und Ratenlieferungsverträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (§§ 488–515) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Darlehensvertrag (§§ 488–505) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 488–490) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Besondere Vorschriften für Verbraucherdarlehensverträge (§§ 491–505) . . . . . . . . . . Untertitel 2. Finanzierungshilfen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (§§ 506–509) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Ratenlieferungsverträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (§ 510) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 4. Beratungsleistungen bei Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen (§ 511) . . . . . Untertitel 5. Unabdingbarkeit, Anwendung auf Existenzgründer (§§ 512–513) . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 6. Unentgeltliche Darlehensverträge und unentgeltliche Finanzierungshilfen zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher (§§ 514–515) . . . . . . . . . . . . . Titel 4. Schenkung (§§ 516–534) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 5. Mietvertrag, Pachtvertrag (§§ 535–597) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Allgemeine Vorschriften für Mietverhältnisse (§§ 535–548) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zu § 535: Leasing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Mietverhältnisse über Wohnraum (§§ 549–577a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV

1786 1786 1786 1894 1894 1896 1902 1915 1927 1928 1951 1951 1951 1991 2080 2104 2109 2113 2116 2119 2141 2150 2177 2257

Inhaltsverzeichnis Seite

Titel 6. Titel 7. Titel 8.

Titel 9.

Titel 10.

Titel 11. Titel 12.

Titel 13. Titel 14. Titel 15. Titel 16. Titel 17. Titel 18.

Kapitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 549–555) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1a. Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen (§§ 555a–555f) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Die Miete (§§ 556–561) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 1. Vereinbarungen über die Miete (§§ 556–556c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 1a. Vereinbarungen über die Miethöhe bei Mietbeginn in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten (§§ 556d–556g) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 2. Regelungen über die Miethöhe (§§ 557–561) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3. Pfandrecht des Vermieters (§§ 562–562d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 4. Wechsel der Vertragsparteien (§§ 563–567b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 5. Beendigung des Mietverhältnisses (§§ 568–576b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 568–572) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 2. Mietverhältnisse auf unbestimmte Zeit (§§ 573–574c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 3. Mietverhältnisse auf bestimmte Zeit (§§ 575–575a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 4. Werkwohnungen (§§ 576–576b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 6. Besonderheiten bei der Bildung von Wohnungseigentum an vermieteten Wohnungen (§§ 577–577a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Mietverhältnisse über andere Sachen (§§ 578–580a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 4. Pachtvertrag (§§ 581–584b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 5. Landpachtvertrag (§§ 585–597) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leihe (§§ 598–606) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachdarlehensvertrag (§§ 607–609) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dienstvertrag und ähnliche Verträge (§§ 611–630h) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Dienstvertrag (§§ 611–630) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Behandlungsvertrag (§§ 630a–630h) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkvertrag und ähnliche Verträge (§§ 631–651m) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Werkvertrag (§§ 631–650o) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 631–650) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Bauvertrag (§§ 650a–650h) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3. Verbraucherbauvertrag (§§ 650i–650n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 4. Unabdingbarkeit (§ 650o) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Architektenvertrag und Ingenieurvertrag (§§ 650p–650t) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Bauträgervertrag (§§ 650u–651) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 4. Reisevertrag (§§ 651a–651m) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mäklervertrag (§§ 652–656) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 652–655) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Vermittlung von Verbraucherdarlehensverträgen und entgeltlichen Finanzierungshilfen (§§ 655a–655e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Ehevermittlung (§ 656) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslobung (§§ 657–661a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftrag, Geschäftsbesorgungsvertrag und Zahlungsdienste (§§ 662–676c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Auftrag (§§ 662–674) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Geschäftsbesorgungsvertrag (§§ 675–675b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Zahlungsdienste (§§ 675c–676c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 675c–675e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Zahlungsdienstevertrag (§§ 675f–675i) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3. Erbringung und Nutzung von Zahlungsdiensten (§§ 675j–676c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 1. Autorisierung von Zahlungsvorgängen; Zahlungsauthentifizierungsinstrumente (§§ 675j–675m) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 2. Ausführung von Zahlungsvorgängen (§§ 675n–675t) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 3. Haftung (§§ 675u–676c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677–687) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwahrung (§§ 688–700) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einbringung von Sachen bei Gastwirten (§§ 701–704) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaft (§§ 705–740) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinschaft (§§ 741–758) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leibrente (§§ 759–761) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2257 2274 2285 2285 2328 2334 2365 2370 2385 2385 2393 2414 2418 2422 2426 2430 2443 2464 2475 2477 2477 2744 2795 2795 2801 2871 2887 2892 2892 2897 2899 2973 2985 3008 3017 3019 3028 3028 3066 3105 3105 3113 3168 3168 3184 3206 3244 3284 3293 3305 3460 3482

XV

Inhaltsverzeichnis Seite

Band II Titel 19. Titel 20. Titel 21. Titel 22. Titel 23. Titel 24. Titel 25. Titel 26. Titel 27.

Unvollkommene Verbindlichkeiten (§§ 762–764) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bürgschaft (§§ 765–778) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich (§ 779) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis (§§ 780–782) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anweisung (§§ 783–792) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schuldverschreibung auf den Inhaber (§§ 793–808) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorlegung von Sachen (§§ 809–811) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812–822) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unerlaubte Handlungen (§§ 823–853) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3485 3491 3526 3533 3543 3551 3566 3571 3658

Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ProdHaftG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3791 Buch 3. Sachenrecht (§§ 854–1296) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3805 Abschnitt 1. Besitz (§§ 854–872) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3805 Abschnitt 2. Allgemeine Vorschriften über Rechte an Grundstücken (§§ 873–902) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3828 Abschnitt 3. Eigentum (§§ 903–1011) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Inhalt des Eigentums (§§ 903–924) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Erwerb und Verlust des Eigentums an Grundstücken (§§ 925–928) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Erwerb und Verlust des Eigentums an beweglichen Sachen (§§ 929–984) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Übertragung (§§ 929–936) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zu §§ 929–931: Sicherungsübereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Ersitzung (§§ 937–945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Verbindung, Vermischung, Verarbeitung (§§ 946–952) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 4. Erwerb von Erzeugnissen und sonstigen Bestandteilen einer Sache (§§ 953–957) . Untertitel 5. Aneignung (§§ 958–964) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 6. Fund (§§ 965–984) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 4. Ansprüche aus dem Eigentum (§§ 985–1007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 5. Miteigentum (§§ 1008–1011) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3887 3887 3937 3954 3954 3963 3976 3983 4000 4007 4010 4021 4085

Gesetz über das Erbbaurecht (ErbbauRG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4091 Abschnitt 4. Dienstbarkeiten (§§ 1018–1093) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Grunddienstbarkeiten (§§ 1018–1029) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Nießbrauch (§§ 1030–1089) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Nießbrauch an Sachen (§§ 1030–1067) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Nießbrauch an Rechten (§§ 1068–1084) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Nießbrauch an einem Vermögen (§§ 1085–1089) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Beschränkte persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090–1093) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4129 4130 4148 4150 4168 4175 4178

Abschnitt 5. Vorkaufsrecht (§§ 1094–1104) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4188 Abschnitt 6. Reallasten (§§ 1105–1112) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4197 Abschnitt 7. Hypothek, Grundschuld, Rentenschuld (§§ 1113–1203) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Hypothek (§§ 1113–1190) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Grundschuld, Rentenschuld (§§ 1191–1203) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Grundschuld (§§ 1191–1198) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Rentenschuld (§§ 1199–1203) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4204 4206 4291 4291 4334

Abschnitt 8. Pfandrecht an beweglichen Sachen und an Rechten (§§ 1204–1296) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4336 Titel 1. Pfandrecht an beweglichen Sachen (§§ 1204–1259) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4338 Titel 2. Pfandrecht an Rechten (§§ 1273–1296) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4388

XVI

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Buch 4. Familienrecht (§§ 1297–1921) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4415 Abschnitt 1. Bürgerliche Ehe (§§ 1297–1588) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Verlöbnis (§§ 1297–1302) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Eingehung der Ehe (§§ 1303–1312) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Ehefähigkeit (§§ 1303–1305) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Eheverbote (§§ 1306–1308) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Ehefähigkeitszeugnis (§ 1309) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 4. Eheschließung (§§ 1310–1312) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Aufhebung der Ehe (§§ 1313–1318) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 4. Wiederverheiratung nach Todeserklärung (§§ 1319–1320) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 5. Wirkungen der Ehe im Allgemeinen (§§ 1353–1362) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 6. Eheliches Güterrecht (§§ 1363–1563) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Gesetzliches Güterrecht (§§ 1363–1390) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Vertragliches Güterrecht (§§ 1408–1519) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 1408–1413) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Gütertrennung (§ 1414) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3. Gütergemeinschaft (§§ 1415–1518) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 1415–1421) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 2. Verwaltung des Gesamtguts durch den Mann oder die Frau (§§ 1422–1449) . . . Unterkapitel 3. Gemeinschaftliche Verwaltung des Gesamtguts durch die Ehegatten (§§ 1450–1470) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 4. Auseinandersetzung des Gesamtguts (§§ 1471–1482) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkapitel 5. Fortgesetzte Gütergemeinschaft (§§ 1483–1518) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 4. Wahl-Zugewinngemeinschaft (§ 1519) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zu § 1519: Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Güterrechtsregister (§§ 1558–1563) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 7. Scheidung der Ehe (§§ 1564–1587) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Scheidungsgründe (§§ 1564–1568) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1a. Behandlung der Ehewohnung und der Haushaltsgegenstände anlässlich der Scheidung (§§ 1568a–1568b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Unterhalt des geschiedenen Ehegatten (§§ 1569–1586b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 1. Grundsatz (§ 1569) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2. Unterhaltsberechtigung (§§ 1570–1580) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3. Leistungsfähigkeit und Rangfolge (§§ 1581–1584) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 4. Gestaltung des Unterhaltsanspruchs (§§ 1585–1585c) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 5. Ende des Unterhaltsanspruchs (§§ 1586–1586b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Versorgungsausgleich (§ 1587) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4422 4422 4429 4430 4431 4434 4437 4443 4455 4456 4531 4532 4633 4633 4643 4646 4646 4653 4671 4681 4690 4707 4709 4721 4725 4728 4745 4770 4781 4782 4835 4842 4852 4857

Gesetz über den Versorgungsausgleich (VersAusglG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4867 Titel 8. Kirchliche Verpflichtungen (§ 1588) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5015 Abschnitt 2. Verwandtschaft (§§ 1589–1772) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 1589–1590) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Abstammung (§§ 1591–1600d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Unterhaltspflicht (§§ 1601–1615n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 1601–1615) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Besondere Vorschriften für das Kind und seine nicht miteinander verheirateten Eltern (§§ 1615a–1615n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 4. Rechtsverhältnis zwischen den Eltern und dem Kind im Allgemeinen (§§ 1616–1625) . . . . . . . . . . Titel 5. Elterliche Sorge (§§ 1626–1698b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 6. Beistandschaft (§§ 1712–1717) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5015 5016 5018 5081 5085 5195 5206 5232 5369

XVII

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Titel 7. Annahme als Kind (§§ 1741–1772) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5377 Untertitel 1. Annahme Minderjähriger (§§ 1741–1766) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5382 Untertitel 2. Annahme Volljähriger (§§ 1767–1772) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5430 Abschnitt 3. Vormundschaft, Rechtliche Betreuung, Pflegschaft (§§ 1773–1921) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Vormundschaft (§§ 1773–1895) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Begründung der Vormundschaft (§§ 1773–1792) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Führung der Vormundschaft (§§ 1793–1836e) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zu § 1836: Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Fürsorge und Aufsicht des Familiengerichts (§§ 1837–1847) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 4. Mitwirkung des Jugendamts (§ 1851) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 5. Befreite Vormundschaft (§§ 1852–1857a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 6. Beendigung der Vormundschaft (§§ 1882–1895) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Rechtliche Betreuung (§§ 1896–1908i) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Pflegschaft (§§ 1909–1921) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5441 5441 5441 5469 5558 5579 5590 5590 5593 5604 5705

Buch 5. Erbrecht (§§ 1922–2385) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5723 Abschnitt 1. Erbfolge (§§ 1922–1941) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5731 Abschnitt 2. Rechtliche Stellung des Erben (§§ 1942–2063) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Annahme und Ausschlagung der Erbschaft, Fürsorge des Nachlassgerichts (§§ 1942–1966) . . . . . Titel 2. Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten (§§ 1967–2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Nachlassverbindlichkeiten (§§ 1967–1969) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Aufgebot der Nachlassgläubiger (§§ 1970–1974) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 3. Beschränkung der Haftung des Erben (§§ 1975–1992) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 4. Inventarerrichtung, unbeschränkte Haftung des Erben (§§ 1993–2013) . . . . . . . . . . . Untertitel 5. Aufschiebende Einreden (§§ 2014–2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Erbschaftsanspruch (§§ 2018–2031) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 4. Mehrheit von Erben (§§ 2032–2063) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 1. Rechtsverhältnis der Erben untereinander (§§ 2032–2057a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untertitel 2. Rechtsverhältnis zwischen den Erben und den Nachlassgläubigern (§§ 2058–2063) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5767 5768 5806 5808 5815 5821 5843 5854 5856 5869 5870

Abschnitt 3. Testament (§§ 2064–2272) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 1. Allgemeine Vorschriften (§§ 2064–2086) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 2. Erbeinsetzung (§§ 2087–2099) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 3. Einsetzung eines Nacherben (§§ 2100–2146) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 4. Vermächtnis (§§ 2147–2191) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 5. Auflage (§§ 2192–2196) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 6. Testamentsvollstrecker (§§ 2197–2228) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 7. Errichtung und Aufhebung eines Testaments (§§ 2229–2263) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zu § 2233: Beurkundungsgesetz (Auszug) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Titel 8. Gemeinschaftliches Testament (§§ 2265–2272) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5916 5916 5955 5963 6005 6038 6042 6098 6106 6131

5909

Abschnitt 4. Erbvertrag (§§ 2274–2302) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6150 Abschnitt 5. Pflichtteil (§§ 2303–2338) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6182 Abschnitt 6. Erbunwürdigkeit (§§ 2339–2345) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6230 Abschnitt 7. Erbverzicht (§§ 2346–2352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6233 Abschnitt 8. Erbschein (§§ 2353–2370) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6243 Abschnitt 9. Erbschaftskauf (§§ 2371–2385) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6262

Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft (LPartG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6269

XVIII

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Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (WEG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6331 I. Teil.

Wohnungseigentum (§§ 1–30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschnitt. Begründung des Wohnungseigentums (§§ 2–9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschnitt. Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (§§ 10–19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abschnitt. Verwaltung (§§ 20–29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abschnitt. Wohnungserbbaurecht (§ 30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Teil. Dauerwohnrecht (§§ 31–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Teil. Verfahrensvorschriften (§§ 43–50) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Teil. Ergänzende Bestimmungen (§§ 61–64) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6331 6334 6351 6385 6424 6425 6432 6445

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6449 1. Teil.

Allgemeine Vorschriften (Art 1–49) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitel. Inkrafttreten. Vorbehalt für Landesrecht. Gesetzesbegriff (Art 1–2) . . . . 2. Kapitel. Internationales Privatrecht (Art 3–46d) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschnitt. Allgemeine Vorschriften (Art 3–6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschnitt. Recht der natürlichen Personen und der Rechtsgeschäfte (Art 7–12) . . . Anhang I zu Art 12: Vollmachtstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang II zu Art 12: Statut der juristischen Person und Gesellschaften (Internationales Gesellschaftsrecht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abschnitt. Familienrecht (Art 13–24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6449 6449 6449 6469 6513 6551 6551 6564

Europäische Güterrechtsverordnung (EuGütVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6607 VO Rom III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6625 Haager Unterhaltsprotokoll (UnthProt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6680 Anhang zu Art 24: Internationales Kindschaftsrecht – Staatsverträge und EU-Verordnungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6740 4. Abschnitt. Erbrecht (Art 25–26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6774 Haager Testamentsformübereinkommen (HTestfÜbk) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6779 Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbrVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6785 VO Rom I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6833 5. Abschnitt. Außervertragliche Schuldverhältnisse (Art 38–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6924 VO Rom II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Abschnitt. Sachenrecht (Art 43–46) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang zu Art 46: Internationales Enteignungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Abschnitt. Besondere Vorschriften zur Durchführung von Regelungen der Europäischen Union nach Artikel 3 Nr. 1 (Art 46a–46d) . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterabschnitt. Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Art 46a) . . . . . . . . . . 2. Unterabschnitt. Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Art 46b, 46c) . . . . . . 3. Unterabschnitt. Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 (Art 46d) . . . . . . . . . 3. Kapitel. Angleichung; Wahl eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen Namens (Art 47–49) . . . . . . . . . . . . . . . . 2. bis 4. Teil: nicht kommentiert 5. Teil. Übergangsvorschriften aus Anlass jüngerer Änderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Einführungsgesetzes (nur Art 220 kommentiert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Teil. Inkrafttreten und Übergangsrecht aus Anlass der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Einführungsgesetzes in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (nur Art 236 kommentiert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Teil: nicht kommentiert

6937 7002 7017 7018 7018 7018 7023 7024

7027 7030

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7033

XIX

Literaturverzeichnis Spezialliteratur zu einzelnen Normen- oder Themenkomplexen findet sich in den Schrifttumsverzeichnissen bei den jeweiligen Kommentierungen. APS

Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht

BankR-Hdb BaRo

Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch Bamberger/Roth (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Grundbuchordnung Handelsgesetzbuch GmbH-Gesetz Handbuch der Beweislast Baur/Stürner, Lehrbuch des Sachenrechts Beck-online Großkommentar Zivilrecht Beck’scher Online-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, hrsg. von Starck

Bauer/v Oefele Baumbach/Hopt Baumbach/Hueck Baumgärtel Baur BeckOGK BeckOK BK, BonnKomm Brox – Allg SchuldR – AT – Bes SchuldR – HandelsR Brox/Walker ErbR Brox/Walker ZwVR

Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht Brox/Walker, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht Brox/Henssler, Handelsrecht Brox/Walker, Erbrecht Zwangsvollstreckungsrecht

Conrad

Deutsche Rechtsgeschichte, 1954–1966

Damrau/Tanck Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring Demharter DErbRK Dethloff DLW Dodegge/Roth

Praxiskommentar Erbrecht Das neue Schuldrecht 2002 Grundbuchordnung Große-Wilde/Quart (Hrsg.), Deutscher Erbrechtskommentar Familienrecht Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Kofs, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht Systematischer Praxiskommentar Betreuungsrecht

EAS Enn/Lehmann Enn/Nipperdey Esser/Schmidt Esser/Schmidt/Weyers Esser/Weyers

Oetker/Preis (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Recht der Schuldverhältnisse Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts Schuldrecht, Allgemeiner Teil Schuldrecht, Band II, Besonderer Teil, Teilband 1 – Verträge Schuldrecht, Besonderer Teil

FA-FamR FAKomm-ErbR FAKomm-FamR FamRefK Fikentscher/Heinemann Flume AT

Gerhardt/v. Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht Frieser, Fachanwaltskommentar Erbrecht Weinreich/Klein, Fachanwalts-Kommentar für Familienrecht Familienrechtsreformkommentar, hrsg. von Bäumel ua Schuldrecht (Lehrbuch) Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, erster und zweiter Band

Gernhuber Gernhuber/Coester-Waltjen GK-BetrVG Gursky

Das Schuldverhältnis Lehrbuch des Familienrechts Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz Schuldrecht, Besonderer Teil

Habscheid HdBStR

Freiwillige Gerichtsbarkeit Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Heidelberger Kommentar Familienrecht Handkommentar Bürgerliches Gesetzbuch Däubler/Bertzbach (Hrsg.), Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Handkommentar

HeidKomm Hk Hk-AGG

XXI

Literaturverzeichnis

Hk-BetrR Hk-BUR Hk-ErbR HKK Hk-LPartR Hk-TzBfG Hk-VertriebsR HMR Huber Hübner HWK HzA Jauernig Jurgeleit Jürgens jurisPK KassKomm Keidel KK-AktG KK-ErbR KK-FamR

Jurgeleit (Hrsg.), Handkommentar Betreuungsrecht Heidelberger Kommentar zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht Damrau (Hrsg.), Handkommentar Erbrecht Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, hrsg. von Schmoekel/ Rückert/Zimmermann Bruns/Kemper (Hrsg.), Handkommentar Lebenspartnerschaftsrecht Teilzeit- und Befristungsgesetz Handkommentar Micklitz/Tonner (Hrsg.), Handkommentar Vertriebsrecht – Haustür-, Fernabsatzgeschäfte und elektronischer Rechtsverkehr Handbuch des gesamten Miet- und Raumrechts Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung. Einführung in das neue Recht Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar Leinemann (Hrsg.), Handbuch zum Arbeitsrecht Bürgerliches Gesetzbuch mit Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz Handkommentar Betreuungsrecht Betreuungsrecht juris PraxisKommentar BGB, hrsg. von Herberger/Martinek/ Rüßmann/Weth

Köhler KomRefVA

Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht FamFG-Kommentar Kölner Kommentar zum Aktiengesetz Frieser (Hrsg.), Kompaktkommentar Erbrecht (s. FAKomm-ErbR) Weinreich/Klein (Hrsg.), Kompaktkommentar Familienrecht (s. FAKomm-FamR) BGB, Allgemeiner Teil Bergner, Kommentar zum reformierten Versorgungsausgleich

Larenz AT Larenz BT Larenz/Canaris Leenen LK-StGB Looschelders Lorenz/Riehm Lutter/Hommelhoff Lützenkirchen

Lehrbuch des Schuldrechts, Band I: Allgemeiner Teil Lehrbuch des Schuldrechts, Band II: Besonderer Teil Das neue Schuldrecht BGB Allgemeiner Teil: Rechtsgeschäftslehre Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch Schuldrecht, AT; BT Lehrbuch zum neuen Schuldrecht GmbH-Gesetz Mietrecht, Kommentar

MD Medicus – AT – BürgR – SchuldR I – SchuldR II MüKo

Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar

MünchArbR

Medicus/Petersen, Allgemeiner Teil des BGB Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht Medicus/Lorenz, Schuldrecht I: Allgemeiner Teil Medicus/Lorenz, Schuldrecht II: Besonderer Teil Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Nebengesetzen, hrsg. von Rixecker/Säcker Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht

NK

NomosKommentar Bürgerliches Gesetzbuch, hrsg. von Dauner-Lieb/Heidel/Ring

Odersky Oechsler Oetker/Maultzsch

Nichtehelichengesetz Schuldrecht, Besonderer Teil. Vertragsrecht Vertragliche Schuldverhältnisse

Pal Pawlowski

Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch mit Nebengesetzen Allgemeiner Teil des BGB

XXII

Literaturverzeichnis

Planck Prölss/Martin Prütting Prütting/Helms PWW Rauscher RGRK Röhricht/Graf v. Westphalen/Haas Rolland Rosenberg/Schwab Rüthers/Stadler Schack Schaub Schlechtriem AT Schlechtriem BT Schleg Schleg/Vogels Schmidt-Futterer Schmidt-Räntsch Scholz Schulte-Bunert/Weinreich Schulze Schwab Serick Soergel SPV Staud

Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz, 3.–5. Aufl. 1905ff. Versicherungsvertragsgesetz Sachenrecht FamFG-Kommentar BGB Kommentar, hrsg. von Prütting/Wegen/Weinreich Familienrecht Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes, Kommentar, hrsg. von Mitgliedern des Bundesgerichtshofes Handelsgesetzbuch Kommentar zum 1. Eherechtsreformgesetz Zivilprozessrecht Allgemeiner Teil des BGB BGB – Allgemeiner Teil BGB Arbeitsrechts-Handbuch Schuldrecht, Allgemeiner Teil Schuldrecht, Besonderer Teil Schlegelberger, Kommentar zum HGB Erläuterungswerk zum BGB, hrsg. von Schlegelberger/Vogels Mietrecht Das neue Schuldrecht, 2002 GmbH-Gesetz, Kommentar FamFG-Kommentar Rechtsprechung zum Urheberrecht (Entscheidungssammlung) Handbuch des Scheidungsrechts Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Kommentar, begr. von Theodor Soergel Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis J. v. Staudinger’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, begr. von Julius v Staudinger

v Tuhr

Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, 1918

UBH Ulmer/Habersack/Löbbe

Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht GmbH-Gesetz, Kommentar

Vieweg/Werner

Sachenrecht

Weber Wendl/Staudigl Westermann Westermann/Gursky/Eickmann Westermann/Wertenbruch Wieacker WLP Wolf/Neuner Wolf/Wellenhofer Wolff/Raiser

Kreditsicherungsrecht Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis BGB-Sachenrecht Sachenrecht Handbuch der Personengesellschaften Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242, 1956 Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts Sachenrecht Sachenrecht, ein Lehrbuch

Zöller

Zivilprozessordnung, Kommentar

XXIII

Abkürzungsverzeichnis AA aA AAV AbfallR ABG ABGB abgedr AbgG Abk ABl abl ABM Abs abw AbzG AcP AdAnpG ADHGB AdoptG ADSp AdÜbAG AdÜbk AdVermiÄndG AdVermiG AdWirkG AE aE AEG AEntG AEntRL AEUV aF AFBG AFG AfkKR AfP AFRG AFWoG AG AGB AGBG AGBGB AGJ AGJ-Mitt AGJusG AGNB AgrarR AGZVG AHB AHKABl AiB AIZ AK AKB AkfDR AKG AkJb

Arbeitsrecht aktiv (Jahr, Seite) anderer Ansicht Arbeitsaufenthaltsverordnung; auch: Abbuchungsauftragsverfahren Zeitschrift für das Recht der Abfallwirtschaft Allgemeines Berggesetz für die preußischen Staaten Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich abgedruckt Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages Abkommen Amtsblatt ablehnend(e/er) Arbeitsbeschaffungsmaßnahme Absatz abweichend(e/er) Gesetz betreffend die Abzahlungsgeschäfte Archiv für die civilistische Praxis (Band, Seite) Gesetz zur Anpassung rechtlicher Vorschriften an das Adoptionsgesetz Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Gesetz über die Annahme als Kind und zur Änderung anderer Vorschriften Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen Adoptionsübereinkommens-Ausführungsgesetz Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption Gesetz zur Änderung des AdVermiG Gesetz über die Vermittlung der Annahme als Kind Gesetz über Wirkungen der Annahme als Kind nach ausländischem Recht Arbeitsrechtliche Entscheidungen am Ende Allgemeines Eisenbahngesetz; auch: Anerbengericht Arbeitnehmerentsendegesetz Arbeitnehmerentsenderichtlinie Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung Arbeitsförderungsgesetz, jetzt SGB III Archiv für katholisches Kirchenrecht (Band, Seite) Zeitschrift für Medien- und Kommunikationsrecht (bis 25.1994: Archiv für Presserecht) Arbeitsförderungsreformgesetz Gesetz über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen Amtsgericht; auch: Aktiengesellschaft (Jahr, Seite); auch: Arbeitgeber Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Ausführungsgesetz zum BGB Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft der Jugendämter Gesetz zur Ausführung bundesrechtlicher Justizgesetze Allgemeine Beförderungsbedingungen im Güternahverkehr Zeitschrift für das Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raumes (Jahr, Seite) ZVG-Ausführungsgesetz Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission in Deutschland Arbeitsrecht im Betrieb (Jahr, Seite) Allgemeine Immobilienzeitung (Jahr, Seite) Alternativkommentar Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung Akademie für Deutsches Recht Gesetz zur allgemeinen Regelung durch den Krieg und den Zusammenbruch des Deutschen Reiches entstandener Schäden Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht (Jahr, Seite) XXV

Abkürzungsverzeichnis

AktG AktO AkZ ALG AlleinE allg allgA allgM AllGO ALR Alt AltEinkG AltZertG AMbG AMG amtl AmtsBl AN ANBA ÄndG AnfG Anl Anm AnSVG AnVNG AnwBl AnwGH AnwZert MietR AO AöR AP ApG APR ArbEG (auch: ArbnErfG) ArbG ArbGG AR-Blattei ArbN ArbnErfG ArbPlSchG ArbR ArbRB ArbRGeg ArbRspr ArbSchG ArbStättV ArbuR ArbuSozPol ArbZG ArbZRVerbG ArchBürgR ArchPF Arg arg e Arge ArGV ARS ARSP XXVI

Aktiengesetz Aktenordnung Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (Jahr, Seite) Gesetz zur Alterssicherung der Landwirte Alleineigentum allgemein allgemeine Ansicht allgemeine Meinung Allgemeine Gebührenordnung für die wirtschaftsprüfenden sowie wirtschaftsund steuerberatenden Berufe Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 Alternative Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen Gesetz über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen Allgemeines Magnetschwebebahngesetz Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln amtlich Amtsblatt Arbeitnehmer Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit Änderungsgesetz(e) Gesetz betreffend die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens Anlage Anmerkung Anlegerschutzverbesserungsgesetz Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten Anwaltsblatt (Jahr, Seite) Anwaltsgerichtshof AnwaltZertifikat Mietrecht (Online-Informationsdienst) Abgabenordnung Archiv für öffentliches Recht (Band, Seite) Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts (Jahr, Nummer) Gesetz über das Apothekenwesen Allgemeines Persönlichkeitsrecht Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeitsgericht; auch: Arbeitgeber Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht-Blattei Arbeitnehmer Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeitsrecht Aktuell (Jahr, Seite) Arbeits-Rechts-Berater (Jahr, Seite) Arbeitsrecht der Gegenwart Rechtsprechung in Arbeitssachen (Band, Seite) Arbeitsschutzgesetz Arbeitsstättenverordnung Arbeit und Recht (Jahr, Seite) Arbeits- und Sozialpolitik (Jahr, Seite) Arbeitszeitgesetz Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen Archiv für bürgerliches Recht (Band, Seite) Archiv für das Post- und Fernmeldewesen (Jahr, Seite) Argument(e) argumentum e(x) Arbeitsgemeinschaft Arbeitsgenehmigungsverordnung Arbeitsrechtssammlung: Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts, der Landesarbeitsgerichte und Arbeitsgerichte, früher verlegt bei Bensheimer (Band, Seite) Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (Jahr, Seite)

Abkürzungsverzeichnis

ARST Art ArztR ASRG AStG AsylG AsylVfG AT AtG ATVK AufenthG AUG AÜG AUR AuR ausdr ausf AusfG ausl AuslG AusR AV AVAG AVAVG AVB AVB FernwärmeVO AVB WasserVO AVBELtV AVD AVG AVmEG AVmG AVO AWD AWG AWV Az B2B B2C BadRPrax BaFin BAföG BAG BAGLJÄ BAGRp BAKred BankA BAnz BÄO BArbBl BarwertV BAT BauFoSiG BauGB BauNVO

Arbeitsrecht in Stichworten (Band, Seite) Artikel Arztrecht, Zeitschrift für Rechts- und Vermögensfragen (Jahr, Seite) Gesetz zur Reform der agrarsozialen Sicherung Außensteuergesetz Asylgesetz Asylverfahrensgesetz Allgemeiner Teil Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz) Tarifvertrag über die zusätzliche Altersvorsorge der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes – Altersvorsorge-TV-Kommunal Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet Auslandsunterhaltsgesetz Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung Agrar- und Umweltrecht (Jahr, Seite) Arbeit und Recht (Jahr, Seite) ausdrücklich ausführlich Ausführungsgesetz ausländisch(e/er) Ausländergesetz Der Arzt und sein Recht Allgemeine Verfügung; auch: Arbeitsvermittlung; auch: Arbeitslosenversicherung Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Allgemeine Versicherungsbedingungen Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden Allgemeines Verbraucherdarlehen Angestelltenversicherungsgesetz Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens Altersvermögensgesetz Ausführungsverordnung Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (Jahr, Seite) Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftsverordnung Aktenzeichen business to business business to consumer Badische Rechtspraxis (Jahr, Seite) Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung Bundesarbeitsgericht; auch: Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (Band, Seite) Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter BAGReport (Jahr, Seite) Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen Bankarchiv, Zeitschrift für Bank- und Börsenwesen (Jahr, Seite) Bundesanzeiger Bundesärzteordnung Bundesarbeitsblatt Barwertverordnung Bundesangestelltentarifvertrag Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen Baugesetzbuch Baunutzungsverordnung

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

BauR BauRB BausparkG BayBO BayBS BayBSErgB BayBSFN BayBSVI BayBSVJu BayEG Bayer Bgm BayNotV BayObLG BayObLGRp BayObLGSt BayStrWG BayVBl BayVfGH BayVGH BayZ BB BBankG BBauBl BBergG BBesG BBG BBhv BBiG BDO BDSG BeamtStG BeamtVG BeckOGK BeckOK BeckRS BEEG BEG Begr Beil Bek BenshSlg ber BerDGesVöR BereitstellungsVO BeschFG Beschl beschr BeschSchG BesGR bestr BetrAV BetrAVG BetrG BetrKostUV BetrPrämDurchfG XXVIII

Baurecht, Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht (Jahr, Seite) Der Bau-Rechts-Berater (Jahr, Seite) Gesetz über Bausparkassen Bayerische Bauordnung Bereinigte Sammlung des bayerischen Landesrechts Bereinigte Sammlung des bayerischen Landesrechts, Ergänzungsband Fortführungsnachweis der BayBS Bereinigte Sammlung der Verwaltungsvorschriften des Bayerischen Staatsministeriums des Innern Bereinigte Sammlung der bayerischen Justizverwaltungsvorschriften Bayerisches Gesetz über die entschädigungspflichtige Enteignung Der Bayerische Bürgermeister (Jahr, Seite) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer (Jahr, Seite) Bayerisches Oberstes Landesgericht; auch: Entscheidungssammlung in Zivilsachen (Jahr, Seite) OLGReport BayObLG (bis Juni 2006; Jahr, Seite) Entscheidungssammlung in Strafsachen des BayObLG (Jahr, Seite) Bayerisches Straßen- und Wegegesetz Bayerische Verwaltungsblätter (Jahr, Seite) Bayerischer Verfassungsgerichtshof Bayerischer Verwaltungsgerichtshof; auch: Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (Band, Seite) Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern (Jahr, Seite) Der Betriebsberater (Jahr, Seite) Gesetz über die Deutsche Bundesbank Bundesbaublatt (Jahr, Seite) Bundesberggesetz Bundesbesoldungsgesetz Bundesbeamtengesetz Bundesbeihilfeverordnung Berufsbildungsgesetz Bundesdisziplinarordnung Bundesdatenschutzgesetz Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern Gesetz über die Versorgung der Beamten, Richter in Bund und Ländern Beck-Online Großkommentar Beck’scher Online-Kommentar Beck-Rechtsprechung Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung Begründung Beilage Bekanntmachung(en) Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts, der Landesarbeitsgerichte und Arbeitsgerichte, früher verlegt bei Bensheimer (Band, Seite) berichtigt Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (Band, Seite) Verordnung über die Bereitstellung von genossenschaftlich genutzten Bodenflächen zur Errichtung von Eigenheimen auf dem Lande (Gesetz der DDR) Beschäftigungsförderungsgesetz Beschluss beschränkt Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz Besoldungsgruppe bestritten Betriebliche Altersvorsorge (Jahr, Seite) Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betreuungsgericht Verordnung über die Umlage von Betriebskosten auf den Mieter Betriebsprämiendurchführungsgesetz

Abkürzungsverzeichnis

BetrR BetrSichVO BetrVG BeurkG BewG BezG BEZNG BfA BFDG BFH BFH/NV BG BGA BGB BGB-InfoV BGB-KE (auch: KE) BGBl BGE BGesBl BGG BGH BGH LM BGHR BGHRp BGHSt BhV BImSchG BinSchG BinSchPRG BJagdG BK, BonnKomm BKartA BKGG BKleingG BKR Bl BLG BlGBW Bln-Bbg BlStSozArbR BMA (auch: BMAS) BMBau BMG BMI BMJBBG BMJV BNatSchG BNichtrSchG BNotO BNV BodSchG BörsG BoSoG

Der Betriebsrat (Jahr, Seite) Betriebssicherheitsverordnung Betriebsverfassungsgesetz Beurkundungsgesetz Bewertungsgesetz Bezirksgericht Gesetz zur Zusammenführung und Neugliederung der Bundeseisenbahnen (Bundeseisenbahnneugliederungsgesetz) Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (seit 1.10.2005 Deutsche Rentenversicherung Bund) Bundesfreiwilligendienstgesetz Bundesfinanzhof; auch: Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs (Band, Seite) Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH Berufsgenossenschaft Bundesgesundheitsamt Bürgerliches Gesetzbuch Verordnung über Informations- und Nachweispflichten nach bürgerlichem Recht Konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfs des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgesundheitsblatt (Jahr, Seite) Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen Bundesgerichtshof; auch: Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Band, Seite) Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, hrsg. von Lindenmaier, Möhring ua BGH-Rechtsprechung, hrsg. von den Richtern des Bundesgerichtshofs BGHReport (Jahr, Seite) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (Band, Seite) Allgemeine Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen Bundes-Immissionsschutzgesetz Binnenschifffahrtsgesetz Gesetz betreffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschifffahrt Bundesjagdgesetz Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, hrsg. von Starck Bundeskartellamt Bundeskindergeldgesetz; auch: Berliner Kommentar zum Grundgesetz Bundeskleingartengesetz Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht (Jahr, Seite) Blatt Bundesleistungsgesetz Blätter für Grundstücks-, Bau- und Wohnungsrecht (Jahr, Seite) Berlin-Brandenburg Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht (Jahr, Seite) Bundesminister(ium) für Arbeit und Soziales Bundesminister(ium) für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Gesetz(e) über Maßnahmen auf dem Gebiete des Mietpreisrechts Bundesminister(ium) des Innern Gesetz über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz Bundesminister(ium) der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesnaturschutzgesetz Bundesnichtraucherschutzgesetz Bundesnotarordnung Bundesnebentätigkeitsverordnung Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten Börsengesetz Bodensonderungsgesetz

XXIX

Abkürzungsverzeichnis

BPatG BPersVG BPflV BPolBG BR BRAO BR-Drs BReg BRRG BruchteilsE BRüG BRVO BSchuWG BSchuWV BSG BSHG Bsp bspw BStBl BT BtÄndG BtBG BT-Drs BtE BtG BtPrax BTR BuB BUrlG BuW BUZ BV BVBl BVerfG BVerfGG BVersG BVersTG BVerwG BVFG BVormVG BVS BWGZ – Die Gemeinde BWNotZ BwpVerwG BzAR bzgl BZollBl BZRG CC CERD CIC cic CIM XXX

Bundespatentgericht; auch: Entscheidungen des Bundespatentgerichts (Band, Seite) Bundespersonalvertretungsgesetz Verordnung zur Regelung der Krankenhauspflegesätze Bundespolizeibeamtengesetz Bundesrat Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Bundesregierung Rahmengesetz zur Vereinheitlichung des Beamtenrechts Bruchteilseigentum Bundesrückerstattungsgesetz Bundesratsverordnung Bundesschuldenwesengesetz Verordnung zur Übertragung von Aufgaben nach dem Bundesschuldenwesengesetz Bundessozialgericht; auch: Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Band, Seite) Bundessozialhilfegesetz Beispiel beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestag; auch: Besonderer Teil Betreuungsrechtsänderungsgesetz Gesetz über die Wahrnehmung behördlicher Aufgaben bei der Betreuung Volljähriger Bundestagsdrucksache Betreuungsrechtliche Entscheidungen, hrsg. von Seitz-v. Gaessler (Jahr, Seite) Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige Betreuungsrechtliche Praxis (Jahr, Seite) Der Bauträger Bankrecht und Bankpraxis (Loseblattwerk) Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer Betrieb und Wirtschaft (Jahr, Seite) Berufsunfähigkeitszusatzversicherung Betriebsvereinbarung Bundesversorgungsblatt, Entscheidungssammlung (Band, Seite) Bundesverfassungsgericht; auch: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Band, Seite) Gesetz über das Bundesverfassungsgericht Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges Gesetz über die interne Teilung beamtenversorgungsrechtlicher Ansprüche von Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten im Versorgungsausgleich Bundesverwaltungsgericht; auch: Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Band, Seite) Bundesgesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge Berufsvormündervergütungsgesetz Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (früher: Treuhandanstalt) Verbandszeitschrift des Gemeindestags BW Baden-Württembergische Notarzeitung (Jahr, Seite) Gesetz über das Personal der Bundeswertpapierverwaltung Briefe zum Agrarrecht (Jahr, Seite) bezüglich Bundeszollblatt (Jahr, Seite) Bundeszentralregistergesetz Code Civil Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Codex Iuris Canonici culpa in contrahendo CIM Management (Jahr, Seite)

Abkürzungsverzeichnis

CISG CMR CR CRTD CuR D. DA DAG DAngVers DanzJZ DAR DArb DArbR DAVorm DAWR DB DBGrG DCFR DDevR DEMV Denkschr DepotG DepV DEuFamR DFG DFGT DGB dgl DGVZ DGWR dh DIJuf DiskE DiskTE Diss DiszH DJ DJT DJugHilfe DJZ DMR DNotI-Report DNotZ DNR DöD DOG DOK DokBerB DONot DöV DPA DR DRiG DrittelbG DRiZ DRpfl Drs DRspr DRV

Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr Computer und Recht (Jahr, Seite) Convention on Civil Liability for Damage Cause during Carriage of Dangerous Goods by Road, Rail and Inland Navigation Vessels Contracting und Recht (Vierteljahresschrift für das gesamte Recht des Energie-Contracting) Digesten Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden Deutsche Angestelltengewerkschaft Die Angestelltenversicherung (Jahr, Seite) Danziger Juristenzeitung (Jahr, Seite) Deutsches Autorecht (Jahr, Seite) Die Arbeit, Berlin (Ost), (Jahr, Seite) Deutsches Arbeitsrecht (Jahr, Seite) Der Amtsvormund (Jahr, Seite) Deutsche Außenwirtschafts-Rundschau (Jahr, Seite) Der Betrieb (Jahr, Seite) Gesetz über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft Draft Common Frame of Reference Deutsche Devisenrundschau (Jahr, Seite) Deutscher Einheits-Mietvertrag Denkschrift zum BGB Gesetz über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren Deponieverordnung Deutsches und Europäisches Familienrecht (Zeitschrift; eingestellt) Deutsche Freiwillige Gerichtsbarkeit (Jahr, Seite) Deutscher Familiengerichtstag Deutscher Gewerkschaftsbund dergleichen, desgleichen Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung (Jahr, Seite) Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) das heißt Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht Diskussionsentwurf Diskussions-Teilentwurf Dissertation Disziplinarhof Deutsche Justiz (Jahr, Seite) Deutscher Juristentag Deutsche Jugendhilfe (Jahr, Seite) Deutsche Juristenzeitung (Jahr, Seite) Deutsches Mietrecht (Jahr, Seite) Informationsdienst des Deutschen Notarinstituts Deutsche Notarzeitschrift (Jahr, Seite) Dauernutzungsrecht Der öffentliche Dienst, Ausgabe A (Jahr, Seite) Deutsches Obergericht für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet Die Ortskrankenkasse (Jahr, Seite) Dokumentarische Berichte aus dem Bundesverwaltungsgericht (Jahr, Seite) Dienstordnung für Notare Die öffentliche Verwaltung (Jahr, Seite) Deutsches Patentamt Deutsches Recht Wochenausgabe, ab 1.4.1939 vereinigt mit JW (Jahr, Seite) Deutsches Richtergesetz Gesetz über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat Deutsche Richterzeitung (Jahr, Seite) Deutsche Rechtspflege (Jahr, Seite) Drucksache Deutsche Rechtsprechung (Leitzahl, Blatt) Deutsche Rentenversicherung XXXI

Abkürzungsverzeichnis

DRWiss DRZ DSS DStR DStRE DStZ dt Dt Schied WE-Sachen DtZ DuD DüG DuR DV DVBl DVO DVR DVStB DWE DWohnArch DWR DWW DZWIR E eA EAEG EALG EAS EBE/BGH EEG EEK EEV EFG EFZG EG EGBGB EGGVG EGMR EGStGB EGV EGZGB EGZPO EGZVG EheNändG EheRG, 1. EheschlRG EheVO I

EheVO II

EhfG EHRV EHVfO XXXII

Deutsche Rechtswissenschaft (Jahr, Seite) Deutsche Rechtszeitschrift (1946 bis 1950), (Jahr, Seite) Deutsches Ständiges Schiedsgericht, Leipzig Deutsches Steuerrecht (Jahr, Seite) Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst Deutsche Steuer-Zeitung (Jahr, Seite) deutsch Deutsches Ständiges Schiedsgericht für Wohnungseigentumssachen Deutsch-deutsche Rechts-Zeitschrift (Jahr, Seite) Datenschutz und Datensicherheit (Jahr, Seite) Diskontsatz-Überleitungsgesetz Demokratie und Recht (Jahr, Seite) Deutsche Verwaltung, ab 4/1950 DVBl (Jahr, Seite) Deutsches Verwaltungsblatt (Jahr, Seite) Durchführungsverordnung Datenverarbeitung im Recht (Jahr, Seite) Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften Der Wohnungseigentümer (Jahr, Seite) Deutsches Wohnungs-Archiv (Jahr, Seite) Dauerwohnrecht Zeitschrift für deutsche Wohnungswirtschaft (Deutsche Wohnungswirtschaft), (Jahr, Seite) Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (Jahr, Seite) Entwurf (zum BGB); auch: Entscheidung(en) Einstweilige Anordnung Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz Oetker/Preis (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht Eildienst Bundesgerichtliche Entscheidungen (Jahr, Seite) Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien Entscheidungssammlung zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, früher: Entscheidungssammlung zur Entgeltfortzahlung an Arbeiter und Angestellte bei Krankheit, Kur- und Mutterschutz Einzugsermächtigungsverfahren Entscheidungen der Finanzgerichte (Jahr, Seite); auch: Eigentumsfristengesetz Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte; Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Band, Seite) Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung Einführungsgesetz zu dem Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Gesetz über Änderung des Ehenamens Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts VO (EG) Nr. 1347/2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten v. 29.5.2000, ABl EG 2000 Nr. L 160, 19 – „Brüssel II“ VO (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 v. 27.11.2003, ABl EG 2003 Nr. L 338, 1 – „Brüssel IIa“ Entwicklungshelfergesetz Erbhofrechtsverordnung Erbhofverfahrensordnung

Abkürzungsverzeichnis

EIBV EigenheimVO Einf EinhZeitG EinigungsV Einl einschl EinSiG einstw einstw Vfg EJIL EKG EmoG EMRK EMV EnEV entspr EnWG EnWZ ENZ ErbbauR ErbbauRG ErbBStG ErbGleichG ErbR ErbRÄndG ErbStB ErbStG ErbVerjRÄndG ErfK erg ERJuKoG Erl ERVGBG ESchG E-SchuldModG ESG ESJ EStB EStG ESÜ ESÜAG ESZB EU EuCML EuErbrVO

EÜG EuGH EuGRZ EuGütVO

Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung Eigenheimverordnung (DDR-Gesetz) Einführung Einheitszeitgesetz Einigungsvertrag Einleitung einschließlich Einlagensicherungsgesetz einstweilig(e/er) einstwillige Verfügung European Journal of International Law (Jahr, Seite) Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen Elektromobilitätsgesetz Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Einheitsmietvertrag für Baugeräte Energieeinsparverordnung entsprechend(e/er/es) Energiewirtschaftsgesetz Zeitschrift für das gesamte Recht der Energiewirtschaft (Jahr, Seite) Europäisches Nachlasszeugnis Erbbaurecht Gesetz über das Erbbaurecht Erbfolgebesteuerung (Informationsdienst) Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts Der Erbschaft-Steuer-Berater (Jahr, Seite) Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht ergänzend(e/er/es) Gesetz über elektronische Register und Justizkosten für Telekommunikation Erläuterung(en) Gesetz zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte im Grundbuchverfahren sowie zur Änderung weiterer grundbuch-, register- und kostenrechtlicher Vorschriften Embryonenschutzgesetz Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts Gesetz über die Sicherstellung der Versorgung von Erzeugnissen der Ernährungs- und Landwirtschaft sowie der Forst- und Holzwirtschaft Entscheidungssammlung für junge Juristen Der Ertrag-Steuer-Berater (Jahr, Seite) Einkommensteuergesetz Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen v. 13.1.2000, BGBl 2007 II, 324 Ausführungsgesetz zum ESÜ Europäisches System der Zentralbanken Europäische Union Journal of European Consumer and Market Law (Jahr, Seite) Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und Rates v. 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl EU L 201, 107 Gesetz über den Einfluss von Einigungsübungen der Streitkräfte auf Vertragsverhältnisse der Arbeitnehmer und Handelsvertreter sowie auf Beamtenverhältnisse Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift (Jahr, Seite) VO (EU) 2016/1103 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands v. 24.6.2016, ABl EU L 183/1

XXXIII

Abkürzungsverzeichnis

EuGVO EuGVÜ EuInsVO EuLF EuPartVO

EuR EuroEG EuroVO I EuroVO II EuSorgÜ EuUnthVO EUV EuVTVO EuZW EV eV EVO EVÜ EWiR EWR EzA EZB EzFamR FAErbR FAG FamFG FamFR FamG FamGB FamGKG FamNamÄndG FamNamRG FamRÄndG FamRB FamRBint FamRefK FamRZ FernAbsFinanzDL-RL FernAbsG FernUSG FeV FEVS FF XXXIV

VO (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 22.12.2000, ABl EG 2011 L 12, 1 Europäisches Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, ABl EU 2000 L 160, 1 The European Legal Forum (ZS) VO (EU) 2016/1104 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften v. 24.6.2016, ABl EU L 183/30 Europarecht (Jahr, Seite) Gesetz zur Einführung des Euro Verordnung (EG) Nr. 1103/97 des Rates v. 17.6.1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro, ABl EG Nr. L 162 v. 19.6.1997, 1 Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates v. 3.5.1998 über die Einführung des Euro, ABl EG Nr. L 139 v. 11.5.1998, 1 Europäisches Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses v. 20.5.1980, BGBl 1990 II, 220 VO (EG) Nr. 4/2000 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen v. 18.12.2008, ABl EU 2009 Nr. L 7, 1 Vertrag über die Europäische Union VO (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen v. 21.4.2004, ABl EG Nr. L 143, 15 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) Einwilligungsvorbehalt; Eventualvater eingetragener Verein Eisenbahn-Verkehrsordnung Europäisches Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 19.6.1980 Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäischer Wirtschaftsraum Arbeitsrechtliche Sofortinformation, Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Europäische Zentralbank Entscheidungssammlung zum Familienrecht Der Fachanwalt für Erbrecht – Beilage zur ZERB Gesetz über Fernmeldeanlagen Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Familienrecht und Familienverfahrensrecht (ZS) Familiengericht Familiengesetzbuch (DDR) Gesetz über Gerichtskosten in Familiensachen Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen Gesetz zur Neuordnung des Familiennamensrechts Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften Der Familien-Rechts-Berater (Jahr, Seite) Familien-Rechts-Berater international (Jahr, Seite) Familienrechtsreformkommentar, hrsg. von Bäumel ua Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (Jahr, Seite) Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen Fernabsatzgesetz Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht Fahrerlaubnisverordnung Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte (Band, Seite) Forum Familien- und Erbrecht (Jahr, Seite)

Abkürzungsverzeichnis

FG fG FGG FGG-RG FGO FGPrax FideiKommG FLF FluglärmG FlüHG FlurbG FoVo FPfZG FPR FR FreizügG/EU FRG FRKG FRUG frz FS FStrG FuR FVE FZulV FZV G G 131 GA GasGVV GastG GB GBA GBBerG GBl GBMaßnG GBO GbR GBV GE GebrMG GefStoffV gem GEMA GemE GemS GemSen GenDG GenG GenTG GeschmMG GesR GewA GewerkMh GewO

Finanzgericht; auch Festgabe freiwillige Gerichtsbarkeit Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Praxis der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Jahr, Seite) Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen Finanzierung, Leasing, Factoring (Jahr, Seite) Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm Flüchtlingshilfegesetz Flurbereinigungsgesetz Forderung & Vollstreckung (Jahr, Seite) Familienpflegezeitgesetz Familie, Partnerschaft, Recht (vereinigt mit NJWE-RR), (Jahr, Seite) Finanzrundschau (Jahr, Seite) Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern Fremdrentengesetz Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission französisch Festschrift Bundesfernstraßengesetz Familie und Recht, Zeitschrift für die anwaltliche und gerichtliche Praxis (Jahr, Seite) Sammlung Fremdenverkehrsrechtlicher Entscheidungen (Band, Nummer) Verordnung über die Zulassung von Fernmeldeeinrichtungen Fahrzeug-Zulassungsverordnung Gesetz Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen Goltdammer’s Archiv für Strafrecht (Jahr, Seite) Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Gas aus dem Niederdrucknetz Gaststättengesetz Grundbuch Grundbuchamt Grundbuchbereinigungsgesetz Gesetzblatt Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiete des Grundbuchwesens Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts Verordnung zur Durchführung der Grundbuchordnung (Grundbuchverfügung) Das Grundeigentum (Jahr, Seite) Gebrauchsmustergesetz Gefahrstoffverordnung gemäß Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte Gemeinschaftseigentum, Gemeinschaftseigentümer Gemeinsamer Senat Gemeinsamer Senat Gendiagnostikgesetz Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Gentechnikgesetz Gesetz betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen Gesellschaftsrecht; auch: GesundheitsRecht (Jahr, Seite) Gewerbearchiv (Jahr, Seite) Gewerkschaftliche Monatshefte (Jahr, Seite) Gewerbeordnung XXXV

Abkürzungsverzeichnis

GewSchG GG ggf ggü GI GK GKAR GK-BetrVG GKG GleichberG GlüStV GmbHG GmbHR GMBl GmS-OBG GNotKG GO GOA GoA GOÄ GoltdA GPR GRaiS GRCh grds GrdstVG GreifRecht GrEStG GROkathK GrS (auch: GS) GrSZ Gruch (auch: Gruchot) GrundMV GRUR GRUR-RR GRV GS GSiG GStB GüKG GuP GuR GuT GVBl GVG GVGA GVL GVVO GW GWB GwG GWR HA hA HaagEheschlAbk

XXXVI

Gewaltschutzgesetz Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls gegenüber Gerling Informationsbriefe (Jahr, Seite) Gemeinschaftskommentar Gesetz über das Kassenarztrecht Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz Gerichtskostengesetz Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau (Jahr, Seite) Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare Gemeinschaftsordnung Gebührenordnung für Architekten Geschäftsführung ohne Auftrag Gebührenordnung für Ärzte Archiv für Strafrecht und Strafprozeßrecht, begründet von Goltdammer (Band, Seite) Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht (Jahr, Seite) Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Charta der Grundrechte der Europäischen Union grundsätzlich Grundstückverkehrsgesetz Greifswalder Halbjahresschrift für Rechtswissenschaft (Jahr, Seite) Grunderwerbsteuergesetz Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse Großer Senat Großer Senat in Zivilsachen Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, begründet von Gruchot (Band, Seite) Verordnung über die Erhöhung der Grundmiete Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Jahr, Seite) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rechtsprechungs-Report Gesetzliche Rentenversicherung Gedächtnisschrift; auch: Preußische Gesetzsammlung (Jahr, Seite); auch: Großer Senat Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Gestaltende Steuerberatung (Jahr, Seite) Güterkraftverkehrsgesetz Gesundheit und Pflege (Jahr, Seite) Gesetz und Recht, Sammlung in Deutschland nach dem 8.5.1945 erlassener Rechtssätze mit Erläuterungen (Heft, Seite) Gewerbemiete und Teileigentum (Jahr, Seite) Gesetz- und Verordnungsblatt (Jahr, Seite) Gerichtsverfassungsgesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gesellschaft für die Verwertung von Leistungsschutzrechten Verordnung über den Verkehr mit Grundstücken Gemeinnütziges Wohnungswesen (Jahr, Seite) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates herrschende Ansicht Haager Abkommen zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze auf dem Gebiete der Eheschließung

Abkürzungsverzeichnis

HaagVormAbk HaftPflG HAG HAGändG HambGE HambVO HannRpfl HansGZ HansJVBl HansRZ HausbauV HausratsVO HausTWG Hdb (auch: …hdb) HEheGüAbk HeimG HeizkostenV HEZ HFR HGB hins HintG HintO Hinw HKÜ hL HLKO hM HMR HMR Rsp HOAI HöfeO Holdheim HRG HRP HRR HRRS Hrsg HRV Hs HStruktG HTestfÜbk HUhPflÜbk HUntVÜ 1973 HUP HuW HV HwO HypBG HzA HZvG i Erg IBR

Haager Abkommen zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige Haftpflichtgesetz Heimarbeitergesetz Gesetz zur Änderung des Heimarbeitsgesetzes und arbeitsrechtlicher Vorschriften Hamburgisches Grundeigentum (Jahr, Seite) Hamburger Verordnungsblatt (Jahr, Seite) Hannover’sche Rechtspflege (bis 1.7.1947), dann Niedersächsische Rechtspflege (Jahr, Seite) Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitung (Jahr, Seite) Hanseatisches Justizverwaltungsblatt (Jahr, Seite) s. HansGZ Hausbauverordnung Verordnung über die Behandlung der Ehewohnung und des Hausrats Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften Handbuch Haager Ehegüterrechtsabkommen Gesetz über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige Verordnung über die verbrauchsabhängige Abrechnung der Heiz- und Warmwasserkosten Höchstrichterliche Entscheidungen, Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der obersten Gerichte in Zivilsachen (Band, Seite) Humboldt Forum Recht (Internetzeitschrift v. Humboldt, Berlin) Handelsgesetzbuch hinsichtlich Hinterlegungsgesetz Hinterlegungsordnung Hinweis Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung v. 25.10.1980, BGBl 1990 II, 207 herrschende Lehre Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs herrschende Meinung Handbuch des gesamten Miet- und Raumrechts Rechtsprechungsbeilage zum Handbuch des gesamten Miet- und Raumrechts (Jahr, Seite) Honorarordnung für Architekten und Ingenieure Höfeordnung Monatszeitschrift für Handelsrecht und Bankwesen, begr. von Holdheim (Jahr, Seite) Hochschulrahmengesetz Handbuch der Rechtspraxis Höchstrichterliche Rechtsprechung (Jahr, Nummer) Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber Handelsregisterverordnung Halbsatz Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur Haager Testamentsformübereinkommen, BGBl 1965 II, 1145 Haager Übereinkommen über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht v. 2.10.1973 (BGBl 1986 II 837) Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen v. 2.10.1973, BGBl 1986 II 826 s. UnthProt Haus und Wohnung (Jahr, Seite) s. HausratsVO Handwerksordnung Hypothekenbankgesetz Leinemann (Hrsg.), Handbuch zum Arbeitsrecht Gesetz zur Neuregelung der Hüttenknappschaftlichen Zusatzversicherung im Saarland im Ergebnis Immobilien- und Baurecht (Jahr, Seite) XXXVII

Abkürzungsverzeichnis

IBRRS idF idR ieS IFLA IfSG iGgs iHd IHK IHR iHv ILR im Allg im Bes im Einz IMR inl insb InsO IntErbRVG intern IntFamRVG InvG InVo IPR IPRax IPRspr IRO iSd IStR iSv ITRB iÜ IVD iVm iwS IZRspr JA JAmt JArbSchG Jb JbArbR JBeitrO JbIntR JbJZivRWiss JBl jew JFDG JFG JG JGG JherJb JhJb JMBl JO JOR JöR JPrivIntL XXXVIII

Immobilien- und Baurecht, Rechtsprechung in der Fassung in der Regel im engen Sinne, im engeren Sinne Informationsdienst für Lastenausgleich, BVFG und anderes Kriegsfolgenrecht, Vermögensrückgabe und Entschädigung nach dem Einigungsvertrag Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen im Gegensatz in Höhe der, in Höhe des Industrie- und Handelskammer Internationales Handelsrecht (International Commercial Law), (Jahr, Seite) in Höhe von Interlokales Privatrecht im Allgemeinen im Besonderen im Einzelnen Immobilien- und Mietrecht (ZS) inländisch(e/er) insbesondere Insolvenzordnung Internationales Erbrechtsverfahrensgesetz international(e/er) Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts Investmentgesetz Insolvenz und Vollstreckung (Jahr, Seite) Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Jahr, Seite) Die Deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des IPR (Jahr, Seite) International Refugee Organization im Sinne der, des, dieser, dieses Internationales Steuerrecht (Jahr, Seite) im Sinne von Der IT-Rechtsberater (Jahr, Seite) im Übrigen Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag in Verbindung mit im weiteren Sinne Sammlung der deutschen Entscheidungen zum interzonalen Privatrecht Jugendamt; auch: Juristische Arbeitsblätter (Jahr, Seite) Das Jugendamt (Jahr, Seite) Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend Jahrbuch Jahrbuch des Arbeitsrechts Justizbeitreibungsordnung Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht (ab 3.1954 nur: für internationales Recht) Jahrbuch junger Zivilrechtswissenschaftler Justizblatt jeweils; jeweilig(e/er) Jugendfreiwilligendienstegesetz Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts (Band, Seite) Jugendgericht Jugendgerichtsgesetz Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Band, Seite) Jahrbuch für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Justizministerialblatt Journal Officiel (Jahr, Seite) Jahrbuch für Ostrecht (Jahr, Seite) Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Journal of Private International Law

Abkürzungsverzeichnis

JR jur Pers JURA JurA JurBüro jurisPK jurisPR jurisPR BKR jurisPR MietR JuS JuSchG Justiz JuV JVEG JW JWG JZ

Juristische Rundschau (Jahr, Seite) juristische Person(en) Juristische Ausbildung (Jahr, Seite) Juristische Analysen (Jahr, Seite) Das juristische Büro, früher: Das Büro (Jahr, Seite) Praxiskommentar zum BGB juris Praxisreport juris Praxisreport Bank- und Kapitalmarktrecht juris Praxisreport Mietrecht Juristische Schulung (Jahr, Seite) Jugendschutzgesetz Die Justiz, Amtsblatt des Justizministeriums Baden-Württemberg Justiz und Verwaltung (Jahr, Seite) Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) Jugendwohlfahrtsgesetz Juristenzeitung (Jahr, Seite)

K&R KAG KAGB KAGG Kap KartVO KAV KBG (EKD) KE

Kommunikation und Recht (Jahr, Seite) Kommunalabgabengesetz Kapitalanlagegesetzbuch Gesetz über die Kapitalanlagegesellschaften Kapitel Verordnung gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen Konzessionsabgabenverordnung Kirchenbeamtengesetz (Evangelische Kirche in Deutschland) Konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfs des Gesetzes des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts Kammergericht; auch: Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammergerichts (Jahr, Seite) Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts (Band, Seite) KGReport (Jahr, Seite) Der Krankenhausarzt (Jahr, Seite) Entscheidungen zum Krankenhausrecht (Loseblattsammlung) Gesetz über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen Krankenhausgesetz Kindschaftsrechtliche Praxis (Jahr, Seite) Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts Gesetz zur weiteren Verbesserung von Kinderrechten Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts kritische Justiz (Jahr, Seite) Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts Kommunal-Kassen-Zeitschrift (Jahr, Seite) Kölner Mietrecht Konkursordnung Kommentar/Kommentierung Kommunaljurist (ZS) Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse Kölner Steuerdialog (Jahr, Seite) Verordnung über die Kosten in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften Kontrollratsgesetz Kreditgeber kritisch kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Kreditnehmer Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen Kündigungsschutzgesetz Körperschaftsteuergesetz Kommunale Steuerzeitschrift (Jahr, Seite)

KG KGaA KGBl KGJ KGRp KHA KHE KHEntG KHG Kind-Prax KindRG KindRVerbG KindUG kJ KJHG KKZ KM KO Komm KommJur KonsG KÖSDI KostO KR KRG KrG krit KritV KrN KrW-/AbfG KSchG KStG KStZ

XXXIX

Abkürzungsverzeichnis

KSÜ

KTS KUG KuR KVBW KVO KWG KWVO LAG LAGE LAGRp LandbeschG LBesG LBG leibl LFGB LFGG LG LHintG Lit LJVerw LKRZ LKV LM LMK LNR LPachtG LPachtVG LPartEDiskrG LPartG LPartÜG LPG LPGG LS LSG LStDV LStrG LuftFzgG LuftVG LuftVZO LugÜ LwAnpG LWTG LwVG LZ m Anm MABl MaBV MÄG MAR MarkenG MB/KK MBl (auch: MinBl) MBliV XL

Haager Übereinkommen v. 19.10.1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (Haager Kinderschutzübereinkommen), BGBl II 2009, 602 Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen (Jahr, Seite) Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie Kirche und Recht (Jahr, Seite) Kommunaler Versorgungsverband Baden-Württemberg Kraftverkehrsordnung für den Güterfernverkehr mit Kraftfahrzeugen Gesetz über das Kreditwesen Kriegswirtschaftsverordnung Landesarbeitsgericht; auch: Gesetz über den Lastenausgleich Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte (Band, Seite) LAGReport Landbeschaffungsgesetz Landesbesoldungsgesetz Landesbeamtengesetz leiblich (e/er/es) Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Landesgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit (Baden-Württemberg) Landgericht Landeshinterlegungsgesetz Literatur Landesjustizverwaltung Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland (Jahr, Seite) Landes- und Kommunalverwaltung (Jahr, Seite) Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Kommentierte BGH-Rechtsprechung Lindenmaier-Möhring LexisNexis Recht Gesetz über das landwirtschaftliche Pachtwesen Gesetz über die Anzeige und Beanstandung von Landpachtverträgen Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft(en) Gesetz über die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Leitsatz Landessozialgericht Lohnsteuer-Durchführungsverordnung Landesstraßengesetz Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen Luftverkehrsgesetz Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung Lugano-Übereinkommen Landwirtschaftsanpassungsgesetz Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen Leipziger Zeitschrift (Jahr, Spalte) mit Anmerkung Ministerialamtsblatt Verordnung über die Pflichten der Makler, Darlehens- und Anlagenvermittler, Bauträger und Baubetreuer Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften Marktmissbrauchsverordnung Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung Ministerialblatt Ministerialblatt für die innere Verwaltung (Jahr, Seite)

Abkürzungsverzeichnis

MBO MBOÄ MDR MEA MecklZ MedR MessEG MHBeG MHG, MHRG Mietgericht MietNovG MietRB MiFID MiLoG MilReg MindNamÄndG MitbestErgG MitbestG MitE MitEer MittBankdL MittBayNot MittBl MittLVARheinpr MittRhNotK MM MMR MMV mN ModEnG MoMiG Mot MPG MRG MRRG MRVerbG MRVO MSA MüG MündelPfandBrVO MuSchG MuW mwN MwSt mWv Nachw NachwG NamÄndG nat Pers NAV NDAV NDBZ Nds

Musterbauordnung (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte Monatsschrift für Deutsches Recht (Jahr, Seite) Miteigentumsanteil(e) Mecklenburgische Zeitschrift für die Rechtspflege und Rechtswissenschaft (Band, Seite) Medizinrecht (Jahr, Seite) Mess- und Eichgesetz Gesetz zur Beschränkung der Haftung Minderjähriger Gesetz zur Regelung der Miethöhe Das Mietgericht (Jahr, Seite) Mietrechtsnovellierungsgesetz Der Miet-Rechts-Berater (Jahr, Seite) Finanzmarktrichtlinie Mindestlohngesetz Militärregierung Gesetz zur Ausführung des Art. 11 Abs. 1 des Rahmenübereinkommens des Europarats v. 1. Februar 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten Mitbestimmungsergänzungsgesetz Mitbestimmungsgesetz Miteigentum Miteigentümer Mitteilungen der Bank deutscher Länder Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer (Jahr, Seite) Mitteilungsblatt Mitteilungen der LVA Rheinprovinz Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer (Jahr, Seite) Mieter-Magazin (Jahr, Seite) MultiMedia und Recht (Jahr, Seite) Mustermietvertrag, hrsg. v. Bundesministerium für Justiz mit Nachweisen Modernisierungs- und Energieeinsparungsgesetz Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Motive zum Entwurf eines BGB Medizinproduktegesetz Militärregierungsgesetz Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts Mietrechtsverbesserungsgesetz Militärregierungsverordnung Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen v. 5.10.1961 (BGBl II 219) Mietrechtsüberleitungsgesetz Verordnung über die Mündelsicherheit der Pfandbriefe und verwandten Schuldverschreibungen Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter Markenschutz und Wettbewerb (Jahr, Seite) mit weiteren Nachweisen Mehrwertsteuer mit Wirkung vom Nachweis(e) Gesetz über den Nachweis der für ein Arbeitsverhältnis geltenden wesentlichen Bedingungen Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen natürliche Person(en) Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Gasversorgung in Niederdruck Neue Deutsche Beamtenzeitung (Jahr, Seite) Niedersachsen XLI

Abkürzungsverzeichnis

NdsRpfl NDV ne LG NEhelG nF NiemeyersZ Nipp(GS) NJ NJOZ NJW NJWE-FER NJWE-MietR NJWE-VHR NJWE-WettbR NJW-RR NL-BzAR NMV NordÖR NotBZ NotVO npoR nrkr NRW NStZ NSW NuR NVersZ NVwZ NVwZ-RR NWRettG NWVBl NZA NZA-RR NZBau NZFam NZG NZI NZM NZS NZV oÄ ÖBA OBG NRW OEEC OEG og OGH OGHSt OGHZ OHG ÖJZ OLG OLG-NL OLGRp OLG Rspr öOGH openJur OR OVGE XLII

Niedersächsische Rechtspflege (Jahr, Seite) Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (Jahr, Seite) nichteheliche Lebensgemeinschaft Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder neuer Fassung Niemeyers Zeitschrift (Jahr, Seite) Nipperdey, Arbeitsrecht (Gesetzessammlung) Neue Justiz (Jahr, Seite) Neue Juristische Online-Zeitschrift (Jahr, Seite) Neue Juristische Wochenschrift (Jahr, Seite) NJW-Entscheidungsdienst Familien- und Erbrecht (Jahr, Seite) NJW-Entscheidungsdienst Miet- und Wohnungsrecht (Jahr, Seite) NJW-Entscheidungsdienst Versicherungs- und Haftungsrecht (Jahr, Seite) NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht (Jahr, Seite) NJW-Rechtsprechungs-Report (Jahr, Seite) Neue Landwirtschaft – Briefe zum Agrarrecht (Jahr, Seite) Verordnung über die Ermittlung der zulässigen Miete für preisgebundene Wohnungen Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland (Jahr, Seite) Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis (Jahr, Seite) Notverordnung, auch: Verordnung über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis (DDR), (Jahr, Seite) Zeitschrift für das Recht der Non Profit Organisationen (Jahr, Seite) nicht rechtskräftig Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Strafrecht (Jahr, Seite) Nachschlagewerk Natur und Recht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Versicherung und Recht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport (Jahr, Seite) Rettungsgesetz Nordrhein-Westfalen Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht – Rechtsprechungsreport (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Familienrecht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Mietrecht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Sozialrecht (Jahr, Seite) Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht (Jahr, Seite) oder Ähnliches Österreichisches Bank-Archiv (Jahr, Seite) Ordnungsbehördengesetz Nordrhein Westfalen Organization for European Economic Cooperation Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten oben genannt Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Amtliche Sammlung der Entscheidungen des OGH in Strafsachen Amtliche Sammlung der Entscheidungen des OGH in Zivilsachen offene Handelsgesellschaft Österreichische Juristenzeitung (Jahr, Seite) Oberlandesgericht; auch (mit Ortsnamen u. Fundstelle): Entscheidungssammlungen OLG-Rechtsprechung neue Länder (Jahr, Seite) OLGReport (Jahr, Seite) OLG Rechtsprechung (ZS, 1991–2000) Oberster Gerichtshof in Wien Juristische Online-Datenbank Schweizerisches Obligationenrecht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte (Band, Seite)

Abkürzungsverzeichnis

PachtKG PAngV PaPkG PartGG PatRG PbefG PdZ PECL Pers PersR PersRat PersV PfandBG PfandlV PFB PfG (VELKD) PflegeArbbV PflegeZG PflR PflVersG pFV PGH PharmR PiG PKH PostG PostGebO PostStruktG PostUmwG Pr, pr PrAGBGB Preuß OVG PrGS NW PrKG PrKV ProdHaftG ProdSG ProstG ProstSchG Prot PStG PStRG PStV pVV r+s RA RabelsZ RABl RaeB RaeW RAG RAG-DDR RaGewB RaiB RAnwG RAnz RBBl

Pachtkreditgesetz Verordnung zur Regelung der Preisangaben Preisangaben- und Preisklauselgesetz Gesetz über Partnergesellschaften Angehöriger Freier Berufe Patientenrechtegesetz Personenbeförderungsgesetz Persönlichkeit(en)/Person(en) der Zeitgeschichte Principles of European Contract Law Person Der Personalrat (Jahr, Seite) Personalrat Die Personalvertretung (Jahr, Seite) Pfandbriefgesetz Pfandleiheverordnung Praxis Freiberufler-Beratung (Jahr, Seite) Pfarrergesetz (Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschland) Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche Gesetz über die Pflegezeit PflegeRecht (Jahr, Seite) Pflichtversicherungsgesetz positive Forderungsverletzung Produktionsgenossenschaft(en) des Handwerks Fachzeitschrift für das gesamte Arzneimittelrecht Partner im Gespräch, Schriftenreihe, hrsg. v. evangelischen Siedlungswerk in Deutschland e.V. Prozesskostenhilfe Postgesetz Postgebührenordnung Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost Gesetz zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft Preußen, preußisch Preußisches Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Preußisches Oberverwaltungsgericht; auch: amtliche Entscheidungssammlung (Band, Seite) Sammlung des in Nordrhein-Westfalen geltenden preußischen Rechts (1806–1945) Preisklauselgesetz Preisklauselverordnung Produkthaftungsgesetz Produktsicherheitsgesetz Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten Prostituiertenschutzgesetz Protokolle der Kommission für die II. Lesung des Entwurfs des BGB Personenstandsgesetz Gesetz zur Reform des Personenstandsrechts Personenstandsgesetzverordnung positive Vertragsverletzung Recht und Schaden (Jahr, Seite) Rechtsanwalt Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (Band, Seite) Reichsarbeitsblatt (Jahr, Teil, Seite) Recht am eigenen Bild Recht am eigenen Wort Reichsarbeitsgericht; auch Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts (Band, Seite) Rechtsanwendungsgesetz der DDR Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb Recht auf informationelle Selbstbestimmung Rechtsanwendungsgesetz DDR Deutscher Reichs-Anzeiger (Jahr, Seite) Reichsbesoldungsblatt (Jahr, Seite) XLIII

Abkürzungsverzeichnis

RBEG RBerG RBHaftG RdA RdbfJugH RdE RdErl RDG RdJB RdK RdL RdLH RdM RdTW RDV RE RechKredV Recht REE RefE REG RegBedVO RegBl RegE RegUnterhVO RegVBG REinhG RenoR RepG RErbhG Rev crit RFBl RFH RG RGBl RGGSSt RGGZ RGSt RheinZ Rh-Pf RiA RIW RJA RJM RJWG RKEG RKG RL RLG RM RMBl RMBliV Rn RNotZ

XLIV

Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz Rechtsberatungsgesetz Reichsbeamtenhaftungsgesetz Recht der Arbeit (Jahr, Seite) Rundbrief des Archivs deutscher Berufsvormünder, jetzt: Rundbrief des deutschen Jugendarchivs (Jahr, Spalte) Recht der Energiewirtschaft, früher: Recht der Elektrizitätswirtschaft (Jahr, Seite) Runderlass Rechtsdienstleistungsgesetz; auch Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen (ZS) Recht der Jugend und des Bildungswesens (Jahr, Seite) Das Recht des Kraftfahrers (jetzt DAR), (Jahr, Seite) Recht der Landwirtschaft (Jahr, Seite) Rechtsdienst der Lebenshilfe Recht der Medizin (Jahr, Seite) Recht der Transportwirtschaft (Jahr, Seite) Recht der Datenverarbeitung (Jahr, Seite) Rechtsentscheid in Wohnraummietsachen Kreditinstituts-Rechnungslegungsverordnung Das Recht (Jahr und Nummer der Entscheidung) Recht der Erneuerbaren Energien (Jahr, Seite) Referentenentwurf Rückerstattungsgesetz Regelbedarf-Verordnung Regierungsblatt Regierungsentwurf Verordnung zur Berechnung des Regelunterhalts (Regelunterhalt-Verordnung) Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts Reno-Report, Zeitschrift für Mitarbeiter der juristischen Berufe (Jahr, Seite) Reparationsschädengesetz Reichserbhofgesetz Revue critique de droit international privé (Jahr, Seite) Amtsblatt der Reichsfinanzverwaltung (Jahr, Seite) Reichsfinanzhof Reichsgericht; auch (mit Fundstelle): amtliche Sammlung der RG-Rechtsprechung in Zivilsachen (Band, Seite) Reichsgesetzblatt Reichsgericht, Großer Senat in Strafsachen Reichsgericht, Großer Senat in Zivilsachen Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (Band, Seite) Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozessrecht Rheinland-Pfalz Das Recht im Amt (Jahr, Seite) Recht der internationalen Wirtschaft (Jahr, Seite) Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts, zusammengestellt im Reichsjustizamt (1900–1923), (Band, Seite) Reichsminister der Justiz Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt Gesetz über die religiöse Kindererziehung Reichsknappschaftsgesetz Richtlinie(n) Gesetz über Sachleistungen für Reichsaufgaben Reichsminister(ium) Reichsministerialblatt, Zentralblatt für das Deutsche Reich (Jahr, Seite) Reichsministerialblatt für die innere Verwaltung Randnummer Rheinische Notarzeitschrift (Jahr, Seite)

Abkürzungsverzeichnis

ROHG RöV ROW Rpfleger RPflG RpflStud RPM RRa RRG RSiedlG Rspr Rspr RStBl RÜG rv RVA RVerwBl RVG Rvgl Hdwb RVI RVkBl RVO RzU RzW S s SaatVersSiG SachenRÄndG SachenRBerG SächsArch SächsOVG Jb SAE SaRegG SBl SchAZg ScheckG SchiedsG SchiffsRG SchKG SchlHA Schl-Holst SchlichtVerfVO SchRegO SchuldBG SchuldRÄndG SchuldRAnpG SchuldRModG SchVG SchwarzArbG SchwbG SeeArbG Sen SeuffA SeuffBl SG

Reichsoberhandelsgericht; auch (mit Fundstelle): amtliche Entscheidungssammlung (Band, Seite) Röntgenverordnung Recht in Ost und West, Zeitschrift für Rechtsvergleichung und interzonale Rechtsprobleme (Jahr, Seite) Der Deutsche Rechtspfleger (Jahr, Seite) Rechtspflegergesetz Rechtspfleger Studienheft Reichspostminister Reiserecht aktuell (Jahr, Seite) Rentenreformgesetz Reichssiedlungsgesetz Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts (aufgegangen in: Höchstrichterliche Rechtsprechung) Rechtsprechung Reichssteuerblatt (Jahr, Seite) Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung Die Rentenversicherung (Jahr, Seite) Reichsversicherungsamt Reichsverwaltungsblatt (Jahr, Seite) Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Rechtsvergleichendes Handwörterbuch Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR Reichsverkehrsblatt (Jahr, Seite) Reichsversicherungsordnung Rechtsprechung zum Urheberrecht Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht, Beilage zur NJW Satz; Seite siehe Gesetz zur Sicherung der Düngemittel- und Saatgutversorgung Gesetz zur Änderung sachenrechtlicher Bestimmungen im Beitrittsgebiet Sachenrechtsbereinigungsgesetz (= Art. 1 SachenRÄndG) Sächsisches Archiv für Rechtspflege (Band, Seite) Jahrbuch der Entscheidungen des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (Band, Seite) Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Jahr, Seite) Samenspenderregistergesetz Sammelblatt für Gesetze und Verordnungen des Bundes und der Länder (Jahr, Seite) Schiedsamtszeitung Scheckgesetz Schiedsgericht Gesetz über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken Schwangerschaftskonfliktgesetz Schleswig-Holsteinische Anzeigen (Jahr, Seite) Schleswig-Holstein Verordnung über das Verfahren der Schlichtungsstellen für Überweisungen Schiffsregisterordnung Schuldbuchgesetz Gesetz zur Änderung schuldrechtlicher Bestimmungen im Beitrittsgebiet Schuldrechtsanpassungsgesetz Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts Schuldverschreibungsgesetz Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft Seearbeitsgesetz Senat Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten (Band, Seite) Seufferts Blätter für Rechtsanwendung (Band, Seite) Sozialgericht; auch Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten XLV

Abkürzungsverzeichnis

SGb SGB I, III–XII

SGG SGleiG SHG SicherungsVO SigG SigV SJZ SK-StGB SMBl NW sog SoldatenG SoldGG SonderE SondernutzR SorgeRG SozSich SP SparkG SprAnG SpruchG SpuRt SPZ st Rspr StAG StAngRegG StAnz StAZ StB StBerG Stbg StBVV StGB StGH stillschw StM StPO str StrEG STREIT StrFO StromEsG StromGVV StUG StV StVG StVollzG StVZO SVertO SVG SVR SZRA XLVI

Die Sozialgerichtsbarkeit (Jahr, Seite) Sozialgesetzbuch – I Allgemeiner Teil, III Arbeitsförderung, IV Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung, V Gesetzliche Krankenversicherung, VI Gesetzliche Rentenversicherung, VII Gesetzliche Unfallversicherung, VIII Kinder- und Jugendhilfe, X Verwaltungsverfahren, XI Soziale Pflegeversicherung, XII Sozialhilfe Sozialgerichtsgesetz Gesetz zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr Gesetz zur Milderung dringender sozialer Notstände Verordnung über die Sicherung des Volkseigentums bei Baumaßnahmen von Betrieben auf vertraglich genutzten, nicht volkseigenen Grundstücken (DDR) Gesetz zur digitalen Signatur Verordnung zur digitalen Signatur Süddeutsche Juristenzeitung (Jahr, Seite; 1947 bis 1950: Spalte); auch: Schweizerische Juristen-Zeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Sammlung des bereinigten Ministerialblattes für das Land Nordrhein-Westfalen sogenannt(e/r) Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten Gesetz über die Gleichbehandlung von Soldatinnen und Soldaten Sondereigentum, Sondereigentümer Sondernutzungsrecht Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge Soziale Sicherheit, Zeitschrift für Sozialpolitik (Jahr, Seite) Schaden-Praxis (Jahr, Seite) Sparkassengesetz Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren Sport und Recht (Jahr, Seite) Schwerpunktzins ständige Rechtsprechung Staatsangehörigkeitsgesetz Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit Staatsanzeiger Das Standesamt (früher: Zeitschrift für Standesamtswesen), (Jahr, Seite) Der Steuerberater (Jahr, Seite) Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten Die Steuerberatung (Jahr, Seite) Steuerberatervergütungsverordnung Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof stillschweigend Staatsminister(ium) Strafprozessordnung streitig, strittig Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Feministische Rechtszeitschrift Strafverteidiger-Forum (Jahr, Seite) Gesetz über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus dem Niederspannungsnetz Stasi-Unterlagen-Gesetz Der Strafverteidiger (Jahr, Seite) Straßenverkehrsgesetz Strafvollzugsgesetz Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung Schifffahrtsrechtliche Verteilungsordnung Gesetz über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihrer Hinterbliebenen Blätter Straßenverkehrsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte

Abkürzungsverzeichnis

TDG TEHG TeilE TeilEer teilw TestG TFG TKG TKV TMG TPG TSG TV TVG TVöD Tz TzBfG TZW TzWrG

Teledienstgesetz Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz Teileigentum Teileigentümer teilweise Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen Transfusionsgesetz Telekommunikationsgesetz Telekommunikations-Kundenschutzverordnung Telemediengesetz Transplantationsgesetz Transsexuellengesetz Tarifvertrag Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Textziffer/-zahl Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge Die Teilzahlungswirtschaft (Jahr, Seite) Gesetz über die Veräußerung von Teilzeitnutzungsrechten an Wohngebäuden

ua UÄndG

unter anderem Gesetz zur Änderung unterhaltsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften Übereinkommen Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht (Band, Seite) umstritten Unionsmarkenverordnung Umwelthaftungsgesetz Umwandlungsgesetz United Nations (Vereinte Nationen) UN-Kinderrechtekonvention United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palestina-Flüchtlinge im Nahen Osten) unstreitig, unstrittig Gesetz zur vereinfachten Abänderung von Unterhaltsrenten Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (Haager Unterhaltsprotokoll) v. 23.11.2007 unzutreffend Umwelt und Planungsrecht (Jahr, Seite); auch: Unternehmenspersönlichkeitsrecht Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte Urheberpersönlichkeitsrecht Urteil Umsatzsteuergesetz unter Umständen Unterhaltsvorschussgesetz Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (Jahr, Seite) Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

Übk UFITA umstr UMV UmweltHG UmwG UN (auch: UNO) UN-KRK UNRWA unstr UntändG UnterhVG UnthProt unzutr UPR UrhG UrhPR Urt UStG uU UVG UVNG UVR UWG VAErstV VAG VAHRG VAStrRefG VaterKlG VAÜG VAwMG VBL VBlBW VBLS VBVG

Verordnung über die Erstattung von Aufwendungen der Träger der Rentenversicherung im Rahmen des Versorgungsausgleichs Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmen Gesetz zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich Gesetz zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs Gesetz zur Klärung der Vaterschaft Gesetz zur Überleitung des Versorgungsausgleichs auf das Beitrittsgebiet Gesetz über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des Versorgungsausgleichs Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Satzung der VBL Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz XLVII

Abkürzungsverzeichnis

VerBAV VerbrKrG VerbrKrRL VereinfNov VereinhG VereinRÄndG VereinsG VergGr VerglO VerfGH VerkBl VerkFlBerG VerkMitt VerkProspG VerleihungsG VerlG VermAnlG VermBG, 5. VermG VersA VersAusglG VersAusglKassG VersAusglMaßnG VerschÄndG VerschG VersKapAG VersN VersorgW VersR VerstV VertragsG VerwArch VerwBl VerwRspr VerwVermögen VG VGH vgl VgV vhw FWS VIB VIZ VKH VMBl VO VO Rom I VO Rom II VO Rom III VO Rom IVa VOB VOBl VormG XLVIII

Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparwesen Verbraucherkreditgesetz Verbraucherrechtekreditrichtlinie Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts Gesetz zur Erleichterung elektronischer Anmeldungen zum Vereinsregister und anderer vereinsrechtlicher Änderungen Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts Vergütungsgruppe Vergleichsordnung Verfassungsgerichtshof Verkehrsblatt (Jahr, Seite) Gesetz zur Bereinigung der Rechtsverhältnisse an Verkehrsflächen und anderen öffentlich genutzten privaten Grundstücken Verkehrsrechtliche Mitteilungen (Jahr, Seite) Verkaufsprospektgesetz Gesetz über die Verleihung von Nutzungsrechten an volkseigenen Grundstücken (DDR) Gesetz über das Verlagsrecht Vermögensanlagengesetz Fünftes Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen Versorgungsausgleich Gesetz über den Versorgungsausgleich Gesetz über die Versorgungsausgleichskasse Versorgungsausgleichsmaßnahmengesetz Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Verschollenheitsrechtes Verschollenheitsgesetz Versicherungskapitalanlagen-Bewertungsgesetz Der Versicherungsnehmer, Zeitschrift für die versicherungsnehmende Wirtschaft und den Straßenverkehr (Jahr, Seite) Versorgungswirtschaft (Jahr, Seite) Versicherungsrecht (Jahr, Seite) Versteigererverordnung Vertragsgesetz (DDR) Verwaltungsarchiv (Jahr, Seite) Verwaltungsblatt (Jahr, Seite) Verwaltungsrechtsprechung (Band, Seite) Verwaltungsvermögen Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge Zeitschrift vhw Forum Wohnen und Stadtentwicklung Vermögensanlagen-Informationsblatt Zeitschrift für Vermögens- und Investitionsrecht (Jahr, Seite) Verfahrenskostenhilfe Ministerialblatt des Bundesministers für Verteidigung Verordnung Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates v. 20.12.2010 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts s EuGütV Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Verordnungsblatt Vormundschaftsgericht

Abkürzungsverzeichnis

VR VRR VRRL VRRL-UG VRS VRV VSBG VSSR VStG VtrHiG VuR VVaG VVDStRL VVG VVRG VW VWG VwGO VwVfG VZOG WA WährG WahrnG Warneyer WarnJb WarnRsp WBVG WE WEer WEG WehrmPStVO WertpBG WertVO WEZ WF WG WGV WHG WHO WiB WiGBl WiKG, 1. WiRO WirtschZ WissZeitVG wistra WiStrG WiTrh WiVerw WKSchG, 2. WM WoBauÄndG WobauG II WoBindG WoFG WoFlV WoGenVermG WoGG

Verkehrsrechtliche Rundschau (Jahr, Seite) VerkehrsRechtsReport (ZS) Verbraucherrechte-Richtlinie Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung Verkehrsrechtssammlung (Band, Seite) Vereinsregisterverordnung Verbraucherstreitbeilegungsgesetz Vierteljahresschrift für Sozialrecht (Jahr, Seite) Vermögenssteuergesetz Gesetz über die richterliche Vertragshilfe Verbraucher und Recht (Jahr, Seite) Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (Band, Seite) Gesetz über den Versicherungsvertrag Gesetz zur Reform des Versicherungsvertragsrechts Versicherungswirtschaft (Jahr, Seite) Vereinigtes Wirtschaftsgebiet Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Vermögenszuordnungsgesetz Westdeutsche Arbeitsrechtsprechung (Jahr, Seite) Erstes Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens Urheberrechtswahrnehmungsgesetz Kommentar zum BGB, 1930 Jahrbuch der Entscheidungen (Jahr, Seite) Die Rechtsprechung des RG (Jahr und Nummer der Entscheidung) Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz Wohnungseigentum; auch: Wohnungseigentum (Jahr, Seite) Wohnungseigentümer Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht Personenstandsverordnung für die Wehrmacht Wertpapierbereinigungsgesetz Wertermittlungsverordnung Zeitschrift für Wohnungseigentumsrecht (Jahr, Seite) Wertermittlungsforum (Jahr, Seite) Wechselgesetz Verordnung über die Anlegung und Führung der Wohnungs- und Teileigentumsgrundbücher Wasserhaushaltsgesetz World Health Organisation (Weltgesundheitsorganisation) Wirtschaftsrechtliche Beratung (Jahr, Seite) Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Erstes Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Wirtschaft und Recht in Osteuropa (Jahr, Seite) Wirtschaftszeitung (Jahr, Nummer) Wissenschaftszeitvertragsgesetz Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (Jahr, Seite) Wirtschaftsstrafgesetz Der Wirtschaftstreuhänder (Jahr, Seite) Gewerbearchiv Zeitschrift für Wirtschaftsverwaltungsrecht (Jahr, Seite) Zweites Gesetz über den Kündigungsschutz für Mietverhältnisse über Wohnraum Wertpapiermitteilungen (Jahr, Seite) Gesetz zur Änderung des Wohnungsbindungsgesetzes und des Zweiten Wohnungsbaugesetzes 2. Wohnungsbaugesetz Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen Gesetz über die soziale Wohnraumförderung Wohnflächenverordnung Wohnungsgenossenschaftsvermögensgesetz Wohnungsgeldgesetz XLIX

Abkürzungsverzeichnis

WoGV WohnimmobilienrKrRL WohnRBewG WoModG WoVermRG WP WpDVerOV WPg WpHG WPO WpPG WpÜG WRP WRV WStG WuB WuM WürttJb WürttNotV WürttZ WuW WuW/E WZGA ZAG ZakDR ZaöRV ZAR ZAuftrag zB ZBB ZBergR ZBetrag ZBlFG ZBR ZDJustAmtm ZdLeister ZdNutzer ZdRahmenvertrag ZdRL ZDUG ZdVertrag ZdWBay ZEmpfänger ZErB ZEuP ZEuS ZEV ZfA ZfBR ZFE ZfF ZfgG ZfIR ZfJ ZfPW ZfRV ZfS L

Wohngeldverordnung Wohnimmobilienkreditrichtlinie Wohnraumbewirtschaftungsgesetz Gesetz zur Förderung der Modernisierung von Wohnungen, jetzt: Modernisierungs- und Energieeinsparungsgesetz Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung Wirtschaftsprüfer Wertpapierdienstleistungs-, Verhaltens- und Organisationsverordnung Die Wirtschaftsprüfung (Jahr, Seite) Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsprüferordnung Wertpapierprospektgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerb in Recht und Praxis (Jahr, Seite) Weimarer Rechtsverfassung Wehrstrafgesetz Wirtschafts- und Bankrecht (Jahr, Seite) Wohnungswirtschaft und Mietrecht (Jahr, Seite) Jahrbücher der württembergischen Rechtspflege (Jahr, Seite) Zeitschrift des Württembergischen Notarvereins (jetzt BWNotZ), (Jahr, Seite) Württembergische Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung (Jahr, Seite) Wirtschaft und Wettbewerb (Jahr, Seite) Wirtschaft und Wettbewerb (Entscheidungssammlung zum Kartellrecht) Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der französischen Republik über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft v. 4.2.2010 Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (Jahr, Seite) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Band, Seite) Zeitschrift für Ausländerrecht und Außenpolitik Zahlungsauftrag zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft (Jahr, Seite) Zeitschrift für Bergrecht (Jahr, Seite) Zahlungsbetrag Zentralblatt für die freiwillige Gerichtsbarkeit (Jahr, Seite) Zeitschrift für Beamtenrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift des Bundes Deutscher Justizamtmänner (1920–1931; Jahr, Seite) dann: Der Deutsche Rechtspfleger (Jahr, Seite) Zahlungsdienst(e)leister Zahlungsdienst(e)nutzer Zahlungsdiensterahmenvertrag Zahlungsdiensterichtlinie Zahlungsdiensterichtlinieumsetzungsgesetz Zahlungsdienst(e)vertrag Zeitung der Wohnungswirtschaft Bayern Zahlungsempfänger Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Europarechtliche Studien (Jahr, Seite) Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge (Jahr, Seite) Zeitschrift für Arbeitsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Deutsches und Internationales Bau- und Vergaberecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Familien- und Erbrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Familienforschung (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen (Band, Seite) Zeitschrift für Immobilienrecht (Jahr, Seite) Zentralblatt für Jugendrecht, früher: Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt (Jahr, Seite) Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft (Jahr, Seite) Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht (Jahr, Seite) Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung (Jahr, Seite)

Abkürzungsverzeichnis

ZfS (auch: ZfSch) ZG ZGB ZGE ZGR ZgS ZGS ZHR ZIAS ZInsO ZInstrument ZIP zit ZJBlBZ ZJS ZKG ZKJ ZKonto ZKredW ZLW ZMGR ZMR ZNER ZNotP ZNR ZOV ZPO ZPÜ ZRP ZS ZSEG ZSR ZSt ZStV ZStW zT ZTR ZUM ZUM-RD zust ZustErgG zutr ZVersWiss ZVG ZVglRWiss ZVK ZVOBl ZVorgang zw ZWE ZWH zzgl ZZP

Zeitschrift für Schadensrecht (Jahr, Seite) Zollgesetz Zivilgesetzbuch der DDR Zeitschrift für Geistiges Eigentum (Jahr, Seite) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (Jahr, Seite) Zeitschrift für Vertragsgestaltung, Schuld- und Haftungsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (Band, Seite) Zeitschrift für internationales und ausländisches Arbeits- und Sozialrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (Jahr, Seite) Zahlungsinstrument Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Jahr, Seite) zitiert Zentraljustizblatt für die Britische Zone (Jahr, Seite) Zeitschrift für das Juristische Studium Zahlungskontengesetz Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe Zahlungskonto Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (Jahr, Seite) Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen (Jahr, Seite) Zeitschrift für das gesamte Medizin- und Gesundheitsrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Miet- und Raumrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Neues Energierecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für die Notarpraxis (Jahr, Seite) Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte (Jahr, Seite) Zeitschrift für offene Vermögensfragen (Jahr, Seite) Zivilprozessordnung Zentralstelle für private Überspielungsrechte Zeitschrift für Rechtspolitik (Jahr, Seite) Zivilsenat Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen Zeitschrift für Schweizerisches Recht (Jahr, Seite) Zeitschrift zum Stiftungswesen (Jahr, Seite) Zeitschrift für Stiftungs- und Vereinswesen (Jahr, Seite) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (Band, Seite) zum Teil Zeitschrift für Tarifrecht (Jahr, Seite) Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (Jahr, Seite) Rechtsprechungsdienst der Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (Jahr, Seite) zustimmend Gesetz zur Ergänzung von Zuständigkeiten auf den Gebieten des Bürgerlichen Rechts, des Handelsrechts und des Strafrechts zutreffend Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft (Jahr, Seite) Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft (Jahr, Seite) Zusatzversorgungskasse Zentralverordnungsblatt der DDR Zahlungsvorgang zwischen Zeitschrift für Wohnungseigentum (Jahr, Seite) Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen (Jahr, Seite) zuzüglich Zeitschrift für Zivilprozess (Band, Seite)

LI

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)1 vom 18.8.1896 (RGBl, 195), in der Fassung der Bek vom 2.1.2002 (BGBl I, 42, 2909 und BGBl I 2003, 738), zuletzt geändert durch Art 1 des Gesetzes vom 20.7.2017 (BGBl I 2787)

Buch 1 Allgemeiner Teil Einleitung vor § 1 1. Der Allg Teil beschäftigt sich nicht mit der inhaltlichen Regelung einzelner Rechtsgeschäfte. Er stellt vielmehr 1 Regeln auf, welche für alle oder bestimmte Gruppen von Rechtsverhältnissen Bedeutung haben. Die drei wichtigsten Abschnitte des Allg Teils behandeln die Personen als Subjekte des Rechtslebens, die Sachen als Objekte des Rechtsverkehrs und das Rechtsgeschäft. In den §§ 13 und 14, die durch das Gesetz über Fernabsatzverträge aufgenommen wurden, begründet der Allg Teil ferner die früher nicht als generelles Institut bekannte Teilung der normativen Regelungen in solche, bei denen ein „Verbraucher“ einem „Unternehmer“, zumeist in der sozialen Rolle als Käufer, Besteller oder Kreditnehmer, gegenübersteht, weshalb hier „Verbraucherschutz“ betrieben wird, und solche, die für den sonstigen, aber immer noch „allg“ Rechtsverkehr zw Unternehmen oder Privaten untereinander sowie dann gelten, wenn ein „Verbraucher“ als Verkäufer, Unternehmer oder Kreditgeber auftritt. Diese Aufteilung des Privatrechts ist teilw, aber nicht allein durch EU-RL verursacht. 2. Die Bestimmungen des Allg Teils gelten für das gesamte bürgerliche Recht sowie für das Handelsrecht, soweit 2 nicht anderes ausdr bestimmt ist (Art 2 EGHGB). Einzelne Bestimmungen des Allg Teils haben als Rechtsgrundsätze Bedeutung über das Privatrecht hinaus, zB im Verfahrensrecht sowie im Verwaltungs- und im Steuerrecht.

Abschnitt 1 Personen Vorbemerkung vor § 1 1. Personen sind Rechtssubjekte, dh sie sind rechtsfähig. Rechtsfähigkeit ist allg die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (hM, s nur Wolf/Neuner AT § 11 Rn 1; Medicus AT Rn 1040; aM Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963 S 31ff, 43ff, wonach die Rechtsfähigkeit als Fähigkeit rechtserheblichen Verhal1 Amtl Hinw: Dieses Gesetz dient der Umsetzung folgender RL: 1. RL 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hins des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. EG Nr L 39 S. 40), 2. RL 77/187/EWG des Rates vom 14.2.1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. EG Nr L 61 S. 26), 3. RL 85/577/EWG des Rates vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. EG Nr L 372 S. 31), 4. RL 87/102/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. EG Nr L 42 S. 48), zuletzt geändert durch die RL 98/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 zur Änderung der RL 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit (ABl. EG Nr L 101 S. 17), 5. RL 90/314/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.6.1990 über Pauschalreisen (ABl. EG Nr L 158 S. 59), 6. RL 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. EG Nr L 95 S. 29), 7. RL 94/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien (ABl. EG Nr L 280 S. 82), 8. der RL 97/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.1.1997 über grenzüberschreitende Überweisungen (ABl. EG Nr L 43 S. 25), 9. RL 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. EG Nr L 144 S. 19), 10. Art 3–5 der RL 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- und Wertpapierlieferund -abrechnungssystemen vom 19.5.1998 (ABl. EG Nr L 166 S. 45), 11. RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr L 171 S. 12), 12. Art 10, 11 und 18 der RL 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insb des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („RL über den elektronischen Geschäftsverkehr“, ABl. EG Nr L 178 S. 1), 13. RL 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.6.2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. EG Nr L 200 S. 35).

Saenger

1

1

Vor § 1

Personen

tens bestimmt werden soll). Ein Teilabschnitt der Rechtsfähigkeit ist die Parteifähigkeit des Verfahrensrechts; dies ist die Fähigkeit, Träger prozessualer Rechte und Pflichten sein zu können. Zu unterscheiden sind natürliche und juristische Personen. Bei Begriffsgleichheit der Rechtsfähigkeit der nat und der jur Pers besteht zw diesen doch ein wesentlicher Unterschied. Die Rechtsfähigkeit der natürlichen Pers ist dem Gesetzgeber vorgegeben und Folge der Würde des Menschen (Art 1 GG, zur Frage der Rechtsfähigkeit von Robotern Schirmer JZ 2016, 660). Darin drückt sich konkret aus, dass die Person einer der höchsten Werte der Rechtsordnung ist (dazu H. Westermann, Person und Persönlichkeit als Wert im Zivilrecht, 1957). Dementsprechend ist die Rechtsfähigkeit der nat Pers unverzichtbar und weder durch Gesetz noch Richterspruch oder Verwaltungsakt entziehbar. Die Rechtsfähigkeit der juristischen Pers ist Ergebnis einer freien Entscheidung des Gesetzgebers, der sich dabei vor allem von Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten leiten lässt. Die jur Pers ist danach „Zweckschöpfung des Gesetzgebers“ (näher Vor § 21 Rn 2), deren Rechtsnatur ihre Beendigung durch Entziehung usw zulässt. Zu unterscheiden ist auch im Hinblick auf die Personenverbände zw Rechtsfähigkeit und eigener jur Persönlichkeit des Verbandes, deutlich bei der GbR (dazu Vor § 705 Rn 18). 2 2. Wer rechtsfähig ist, hat deswegen noch nicht die Fähigkeit zur Ausübung jeglicher Art von Rechten, auch nicht innerhalb des Privatrechts. So hat die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte den Verlust und die Unfähigkeit zur Bekleidung bestimmter Ämter zur Folge (§ 45 StGB); die Rechtsfähigkeit als solche wird dadurch nicht berührt. Ganz allg ist das Alter des Menschen in vielen Beziehungen rechtlich bedeutsam, ua für Geschäfts(§§ 104ff) und Deliktsfähigkeit (§ 828), Ehemündigkeit (§ 1303) und Testierfähigkeit (§ 2229; s Staud/Kannowski § 2 Rn 3–6; Übersicht über rechtl erhebl Altersstufen im ZivilR dort Rn 9). 2a 3. Das Geschlecht einer nat Pers ist vor allem im Ehe- und Familienrecht von Bedeutung, bei der Ehe zw Mann und Frau (Art 6 GG, §§ 1303ff, zur Exklusivität der Ehe BVerfG NJW 2002, 2543, 2547) ebenso wie bei der Lebenspartnerschaft von zwei Personen gleichen Geschlechts (§ 1 I LPartG). Vgl iÜ zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen Art 3 II GG und zum Verbot von Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts § 1 AGG sowie Art 157 AEUV. Aus Sicht des historischen Gesetzgebers erfolgte eine zeitlebens unveränderbare Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht allein nach körperlichen Geschlechtsmerkmalen, bei Intersexuellen (Zwittern) nach den überwiegenden äußeren Geschlechtsmerkmalen (dazu im Einz Staud/Kannowski Vor § 1 Rn 12). Dagegen ist nach heutigem wissenschaftlichem Erkenntnisstand für die Bestimmung der geschlechtlichen Zugehörigkeit neben den körperlichen Geschlechtsmerkmalen auch das seelische Empfinden maßgeblich. Die bei Geburt vorgenommene Zuordnung kann später berichtigt bzw geändert werden (BVerfG 49, 286 = NJW 1979, 595). Bei der Falscheinordnung von Intersexuellen erfolgt eine Berichtigung des Geburtenregisters nach § 47 PStG. Das Transsexuellengesetz (Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen v 10.9.1980, BGBl I 1654) eröffnet in §§ 1–7 zum einen die Möglichkeit der Vornamensänderung, die die Zugehörigkeit zu dem im Geburtseintrag genannten Geschlecht unberührt lässt („kleine Lösung“). Als „große Lösung“ sehen §§ 8–12 TSG auch die Feststellung einer neuen Geschlechtszugehörigkeit vor. Letzteres ändert nichts an der Identität des Menschen und seinen vom Geschlecht unabhängigen Rechtsbeziehungen, §§ 10–12 TSG (bspw Sorgerecht, Schleswig FamRZ 1990, 433). Indes kann nach einer entspr Entscheidung nach § 10 TSG die Ehe mit einer Person des früher gleichen und nun anderen Geschlechts eingegangen werden. Beide Möglichkeiten nach dem TSG setzen voraus, dass die betr Person sich seit mindestens drei Jahren wegen ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem Geschlecht zugehörig empfindet, dem sie der Geburtseintrag zuordnet, und dass das Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht mit hoher Wahrscheinlichkeit irreversibel ist (§§ 1 I, 8 I TSG). 2b Verschiedene Bestimmungen des TSG wurden vom BVerfG für nichtig bzw unanwendbar erklärt (im Einz Staud/ Kannowski Vor § 1 Rn 12f; BaRo/Bamberger Rn 72f). Hinzuweisen ist nur auf Folgendes: a) § 7 I Nr 3 TSG ist wegen Verstoßes gegen 2 I iVm Art 1 I GG unanwendbar (BVerfG 115, 1 = JZ 2006, 513). Nach dieser Vorschrift verliert eine transsexuelle Person, die (nur) die Änderung ihres Vornamens nach § 1 TSG (und nicht auch ihres Geschlechts) beantragt hat, den geänderten Vornamen bei der Eheschließung mit einer nach ihrem Empfinden gleichgeschlechtlichen Person. b) Für die Feststellung der Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht sind die weitergehenden Voraussetzungen nach § 8 I Nr 3 und Nr 4 TSG verfassungswidrig und daher unanwendbar (BVerfG 128, 109 = NJW 2011, 909, 910ff). Denn es ist mit Art 2 I, II iVm Art 1 I GG nicht vereinbar, zu verlangen, dass die Person dauernd fortpflanzungsunfähig ist (§ 8 I Nr 3 TSG) und sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist (§ 8 I Nr 4 TSG). Der Gesetzgeber ist aufgerufen, „in § 8 I TSG für die personenstandsrechtliche Anerkennung des empfundenen Geschlechts eines Transsexuellen spezifiziertere Voraussetzungen zum Nachweis der Ernsthaftigkeit des Bedürfnisses, im anderen Geschlecht zu leben, als in § 1 I TSG aufzustellen oder eine Gesamtüberarbeitung des Transsexuellenrechts vorzunehmen“ (BVerfG NJW 2011, 909, 914). Bis zu einer Neuregelung ist eine Änderung des Personenstands unabhängig von den verfassungswidrigen Voraussetzungen vorzunehmen und eine Aussetzung laufender Verfahren nicht angezeigt (BVerfG NJW 2012, 600, 601). 3 4. Die Person wird mit Bezug auf gewisse Ausstrahlungen durch konkrete Einzelvorschriften geschützt, so in Bezug auf den Namen in § 12. Adelsprädikat ist Teil des Namens (§ 12 Rn 9). Vor der Anerkennung eines APR durch BGH 13, 337, die verfassungsrechtlich geboten war, hatte die Rspr bereits für verschiedene spezielle Persönlichkeitsgüter einen Schutz über §§ 826, 1004 entwickelt, der sich heute, soweit nicht durch Sondergesetze geregelt, mehr auf Sondertatbestände des allg Persönlichkeitsschutzes stützt (näher im Anh § 12; insb zu den

2

Saenger

Natürliche Personen, Verbraucher, Unternehmer

§1

Wirkungen des Persönlichkeitsrechts über den Tod hinaus Anh § 12 Rn 69ff). Persönlichkeitsrechtliche Elemente bestehen bei den Rechtsverhältnissen des Leichnams (auch bei grds Anerkennung seiner Sachqualität, § 90 Rn 6). Es handelt sich um ein Grenzgebiet von Recht, Sittlichkeit und Sitte, bestimmt nach den Vorstellungen der herkömmlichen Ordnung, ohne dass eine Rückführung auf eindeutige gesetzliche Bestimmungen möglich oder erforderlich wäre. Für Art und Ort der Bestattung ist der ausdr kundgegebene oder aus den Umständen zu entnehmende Wille des Verstorbenen in erster Linie maßgebend (BGH FamRZ 1992, 657; KG ZEV 1998, 260). Beim Fehlen eines erkennbaren Willens entscheiden die nächsten Familienangehörigen und nicht diejenigen, welche die Kosten der Beerdigung zu tragen haben. Der Wille des überlebenden Ehegatten geht dem Willen der übrigen Angehörigen vor (RG 154, 273; HRR 1937, 1070). Die in einer Urnenhalle oder einem Urnenhain beigesetzten Aschenreste eines Verstorbenen genießen gleichen Anspruch auf pietätvolle Behandlung und Wahrung der Totenruhe wie ein in der Erde bestatteter Leichnam. Zur Frage der Obduktion Becker JR 1951, 328. Ob der Inhaber des Totensorgerechts die Leiche der Anatomie überlassen darf, ist str (vgl dazu Bieler JR 1976, 226; ausf u mit Übersicht über die Literatur und Rspr Zimmermann, Gesellschaft, Tod und medizinische Erkenntnis, NJW 1979, 569ff; Strätz, Zivilrechtliche Aspekte der Rechtsstellung des Toten unter besonderer Berücksichtigung der Transplantationen, 1971; dazu H. P. Westermann FamRZ 1973, 614ff).

Titel 1 Natürliche Personen, Verbraucher, Unternehmer

§1

Beginn der Rechtsfähigkeit

Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt. 1. Die Rechtsfähigkeit des Menschen und damit das Menschsein iSd Privatrechts beginnt mit der Vollendung der Geburt (anders im Strafrecht, wo der Beginn der Geburt entscheidet). Vollendet ist sie mit der Trennung des Kindes vom Mutterleib; Abnabelung nicht erforderlich (Mot I 20). Wesentlich ist, dass das Kind nach der Trennung gelebt hat; Lebensfähigkeit ist nicht erforderlich (LSG Nds NJW 1987, 2328). Den Lebensbegriff definiert das Gesetz nicht. § 31 PStV gibt Hinw, ist aber keine verbindliche Definition. Der Begriff des Lebens ist den medizinischen Erkenntnissen zu entnehmen. Kennzeichen ist die Herz- und Atmungstätigkeit, der Fluss der Gehirnströme (vgl dazu Wolf/Naujoks, Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit des Menschen, 1955, 18ff; Becker FamRZ 1968, 409 mit Nachw). Die Eintragung der Geburt in das Standesamtsregister beweist die Tatsache der lebenden Geburt, § 54 PStG; Gegenbeweis ist zulässig. 2. Die ungeborene Leibesfrucht ist als solche nicht rechtsfähig (vgl BSG FamRZ 1963, 232 mit Anm Fabricius), für den Fall der Geburt aber durch Sonderbestimmungen geschützt, §§ 844 II, 1777 II, 1923 II, 2043, 2108 I, 2178. Auch können ihr durch Vertrag zugunsten Dritter Rechte zugewandt werden, § 331 II; zur Wahrung ihrer späteren Rechte kann insoweit nach § 1912 ein Pfleger bestellt werden; Schleswig NJW 2000, 1271 nimmt für eine Klage auf Vaterschaftsfeststellung und Unterhalt durch einen vorgeburtlichen Beistand (§§ 1712, 1713) Rechts- und Parteifähigkeit eines nasciturus an. Verbreitet ist daher von einer beschränkten Rechtsfähigkeit des nasciturus die Rede (MüKo/Schmitt Rn 29; Staud/Kannowski Rn 15). Darüber hinaus ist die Bestellung eines Pflegers etwa zur Wahrung eines künftigen Unterhaltsanspruchs unzulässig (KGJ 22, 30). Auch gibt es keine Klage gegen die Leibesfrucht (Dresden DJZ 1903, 227). Dass die Leibesfrucht Schutzobjekt ist, so dass wegen schädigender Handlungen dem krank geborenen Kind Schadensersatzansprüche zustehen können, ist danach nicht zu bestreiten, näher § 823 Rn 22. Der Schutz setzt mit der Verschmelzung der Keimzellen ein. Dem steht nicht entgegen, dass nach § 218 StGB der Schwangerschaftsabbruch für die ganze Dauer der Schwangerschaft grds als Unrecht angesehen wird, das auch unter Strafe gestellt werden kann (BVerfG 39, 1, 44 = NJW 1975, 573, 576; NJW 1993, 1751). Zur Frage, ob das Dasein eines Kindes für seine Eltern eine Schadensquelle sein kann, sowie zu den Ansprüchen des geschädigt geborenen Kindes („wrongful life“) s Anh § 12 Rn 223; § 249 Rn 58ff; Rechtsprechungsübersicht bei Rehborn MDR 2001, 1001ff. 3. Der nicht erzeugten Nachkommenschaft können ebenfalls für den Fall der Geburt durch Vertrag zugunsten Dritter, § 331 II, durch Einsetzung als Nacherbe, §§ 2101, 2106 II, 2109 I 1, oder durch Vermächtnis, §§ 2162, 2178, Rechte zugewendet werden. Die Eintragung einer Hypothek für sie ist möglich (RG 61, 355; 65, 279). Die Rechte nimmt ein nach § 1913 bestellter Pfleger wahr. In § 1 konnte der Gesetzgeber zw der Erzeugung und der Vollendung der Geburt als maßgeblichem Zeitpunkt für den Beginn der Rechtsfähigkeit wählen. Die Entscheidung in § 1 ist in Praktikabilitätserwägungen (Beweisermöglichung) begründet; sie beruht nicht etwa darauf, dass der Gesetzgeber die Leibesfrucht schutzlos lassen wollte. 4. Die Rechtsfähigkeit des Menschen endet mit dem Tod. Sein Vermögen geht als Ganzes auf den oder die Erben über (§ 1922). Der Tod eines Menschen kann jedoch auch – unabhängig vom Erbrecht – das Entstehen selbständiger Forderungsrechte Dritter auslösen (§§ 844ff). Nach RG 167, 89 finden diese Vorschriften in gewissem Umfang beim Auftrag und bei der Geschäftsführung ohne Auftrag entspr Anwendung. Vom Ende der Rechtsfähigkeit mit dem Tode gibt es keine Ausnahme; alle bestehenden Rechte und Pflichten gehen auf den Erben über (daher zwingend überall im Erbrecht die Rückwirkung auf den Erbfall, um die Subjektlosigkeit von RechSaenger

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§1

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ten und Pflichten zu vermeiden). Neue Rechte und Pflichten können für den Verstorbenen nicht mehr entstehen; wird in seinem Namen gehandelt oder weist der Entstehungstatbestand sonst auf einen Verstorbenen hin, können uU die Rechtsverhältnisse in der Person des Erben entstehen (vgl zB für die nach dem Erbfall auf den Namen des Erblassers eingetragene Hypothek RG JW 1926, 1955). Wegen des Zugehens von Willenserklärungen nach dem Tod des Erklärenden s § 130 II, wegen Vertragsentstehung vgl § 153. Zum postmortalen Persönlichkeitsschutz Anh § 12 Rn 69ff. 5. Eine dem § 1 entspr gesetzliche Bestimmung des Todeszeitpunktes gibt es nicht. Der BGB-Gesetzgeber hielt den Todesbegriff und auch den Todeszeitpunkt für einen feststehenden medizinisch-biologischen Tatbestand, der unbesehen aus der medizinischen Wissenschaft in die Jurisprudenz übernommen werden könne. Die Fortschritte der Medizin haben dazu geführt, dass die Grenze zw Leben und Tod fließend geworden ist (sog Reanimation, Aufrechterhaltung des Blutkreislaufs und der Lungentätigkeit durch die Herz-Lungen-Maschine usw). Ohne einen feststellbaren Zeitpunkt des Todes ist aber in der Rechtspraxis nicht auszukommen: Der Todeszeitpunkt kann maßgebend sein für die Erbfolge (zB Unfalltod von Mann und Frau, der – wenn auch nur um Sekunden – überlebende Ehegatte beerbt den Vorverstorbenen, dann Anfall gem der Erbfolge nach dem zuletzt Verstorbenen). Bedeutsamer noch ist der Zeitpunkt des Todes, wenn es um die rechtliche Notwendigkeit oder Erlaubnis zum ärztlichen Handeln geht. So ist zB die Organentnahme zu Transplantationszwecken erst nach dem Tod des Spenders erlaubt; ferner endet die ärztliche Pflicht zur Lebenserhaltung auf jeden Fall mit dem Tod des Patienten. Nach dem TransplantationsG v 5.11.1997 (BGBl I 2631) muss vor Organentnahme der endgültige, irreversible Ausfall der Gehirnfunktionen des Spenders festgestellt sein, was nach dem jew letzten Stand der medizinischen Erkenntnis durch zwei unabhängige Ärzte erklärt worden sein muss, §§ 3 II Nr 2, 5 I 1 und 2 des Gesetzes. Wenn der endgültige irreversible Stillstand von Herz und Kreislauf vor mehr als drei Stunden eingetreten ist, genügt die Feststellung durch einen Arzt. Außerhalb der Frage nach der Organentnahme wurde früher von der hM ausschließlich auf den Eintritt des Gehirntodes abgestellt (Geilen FamRZ 1968, 121ff; Geilen JZ 1971, 41ff; Lang ZRP 1995, 547; Heun JZ 1996, 213ff; zu den Zweifeln hieran aber Wagner/Brocker ZRP 1996, 226; abl Rixen ZRP 1995, 461); inzwischen können auch insoweit die Maßstäbe des TransplantationsG übernommen werden (MüKo/Schmitt Rn 22; NK/Ring Rn 24f; s auch bereits Medicus AT Rn 1052; Schreiber JZ 1983, 593), was auch für die Feststellung des Todeszeitpunkts aus erbrechtlicher Sicht, die jedenfalls auf einer ärztlichen Feststellung beruht, herangezogen werden kann. 6. Die Todeserklärung hat auf die Rechtsfähigkeit keinen Einfluss. Sie begründet lediglich die Todesvermutung; Gegenbeweis ist zulässig, § 9 VerschG.

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Eintritt der Volljährigkeit

Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein. 1. § 2 ist durch Gesetz v 31.7.1974 (in Kraft getreten am 1.1.1975) geändert worden. Die Vorverlegung des Volljährigkeitsalters vom 21. auf das 18. Lebensjahr wurde als problematisch empfunden (s etwa Beitzke AcP 172, 240; Schwab AcP 172, 266). Da die Regelung wie alle diesbezüglichen Normen schematisch wirkt, muss mangelnder Erfahrung jugendlicher Rechtsinhaber im Umgang mit großen oder schwierig zu verwaltenden Vermögensgütern außerhalb der Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens durch vorsorgende Maßnahmen Rechnung getragen werden (zB lebzeitige Zuwendungen unter Befristung, Testamentsvollstreckung bei Zuwendungen von Todes wegen). Gefährliche oder lebenslang belastende Verträge, die sehr unerfahrene, aber volljährige Personen abgeschlossen haben, vor allem Bürgschaften, können im Einzelfall einer schweren wirtschaftlichen Überforderung als sittenwidrig angesehen werden, eingehend § 138 Rn 90, 47. 2. Das Alter eines Menschen ist im Privatrecht wichtig, ua für die Geschäftsfähigkeit (§§ 104ff), für die Deliktsfähigkeit (§ 828), für die Ehemündigkeit (§ 1303) und für die Testierfähigkeit (§ 2229 I). 3. Die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit tritt grds mit der Volljährigkeit ein (vgl § 106). Volljährig wird der Mensch mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Das Lebensalter wird nach § 187 II berechnet; der Geburtstag wird mitgerechnet (§ 187 II 2). Eine Verlängerung wie eine Verkürzung des Zustandes der Minderjährigkeit ist nicht zulässig. 4. Die Volljährigkeit hat außer der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit die Ehefähigkeit nach § 1303, die Beendigung der elterlichen Sorge nach § 1626 und der Vormundschaft nach §§ 1882, 1773 sowie die Fähigkeit zur Führung einer Vormundschaft (§ 1781 Nr 1) zur Folge. Der Volljährige, nicht auch der Minderjährige, kann ein Testament in ordentlicher Form durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichten (§ 2247 I, IV). Zur Testierfähigkeit s aber auch § 2229 III.

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Wohnsitz; Begründung und Aufhebung

(1) Wer sich an einem Orte ständig niederlässt, begründet an diesem Orte seinen Wohnsitz. (2) Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen. (3) Der Wohnsitz wird aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben. 1. Wohnsitz ist ein Zustandsverhältnis, welches durch die Verknüpfung der Lenkung und Leitung der Angelegenheiten einer Person mit einem Ort hergestellt wird (RG 67, 193). Vielfach bezeichnet man im Anschluss an die in dieser Entscheidung gegebene Definition den Wohnsitz als „Mittelpunkt des gesamten Lebens einer Person“. Diese Begriffsbestimmung dürfte nicht zutreffen, weil sie begrifflich den nach § 7 II zugelassenen doppelten Wohnsitz ausschließt. Sie verkennt auch, dass ein Wohnsitz noch dann vorliegen kann, wenn aus dem Gesamtkreis der Lebensbeziehungen ein bestimmt begrenzter, wesentlicher Teil ausgesondert wird und seine laufende Erledigung an einem anderen Ort findet (s den Fall Hamm FamRZ 1989, 1331). Näher liegt es daher, den Wohnsitz als den „räumlichen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse einer Person“ zu kennzeichnen (so Soergel/Fahse Rn 2; MüKo/Schmitt Rn 9; vgl auch BVerwG 28, 193 = NJW 1968, 1059; Staud/Kannowski Vorbem zu §§ 7-11 Rn 7). Der Wohnsitzbegriff des bürgerlichen Rechts (§ 7) ist maßgebend auch für § 7 BVersG (BSG NJW 1957, 728), für § 11 LAG (BVerwG NJW 1955, 1044) und für §§ 1, 2 BVFG (BVerwG NJW 1957, 1488; BVerwG v 19.6.2013 – 5 B 87/12; erg vgl BVerwG NJW 1960, 835; 1960, 1922; MDR 1960, 346), ferner für § 2 V BKGG (BSG NJW 1968, 719). Daran ist auch der Begriff des ständigen Wohnsitzes iSv § 5 I BAföG angelehnt (OVG Lüneburg 20.6.2013 – 4 LC 240/11), ohne dass es anders als in § 7 auf einen Willen zur ständigen Niederlassung ankommt (OVG Münster 27.8.2012 – 12 B 822/12). Der im Wehrpflichtgesetz an verschiedenen Stellen mit einheitlichem Sinngehalt verwendete Begriff des ständigen Aufenthalts entspricht weitgehend dem Wohnsitzbegriff des § 7 (BVerwG NJW 1968, 859, 1059; vgl auch BayObLG NJW 1968, 513, 515; Celle NJW 1967, 1670). Der ständige Aufenthalt muss sich jedoch nicht unbedingt in einer politischen Gemeinde befinden (MüKo/Schmitt Rn 15); er ist auch nicht mit dem dienstlichen Wohnsitz des Soldaten zu verwechseln (vgl zu diesem VG Stuttgart NJW 1969, 858, aber auch VG Arnsberg NJW 1969, 1317 sowie § 9). Zum Wohnsitzbegriff des Steuerrechts vgl § 8 AO. Der Begriff baut auf der bisherigen Rspr auf, folglich ist das tatsächliche Innehaben der den Wohnsitz bestimmenden Wohnung entscheidend. 2. Die Wohnsitzbegründung kann auf dem Willen einer Person (gewillkürter Wohnsitz, §§ 7, 8) oder auf gesetzlichen Vorschriften (gesetzlicher Wohnsitz, §§ 9, 11) beruhen. Der gewillkürte Wohnsitz wird nach § 7 durch ständige Niederlassung begründet, die mit dem Willen erfolgt, den gewählten Ort zum Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen. Begründung ist kein Rechtsgeschäft, weil nicht der Rechtserfolg des Wohnsitzes gewollt sein muss, sondern geschäftsähnliche Handlung (BGH 7, 104; ebenso noch Larenz/Wolf AT9 § 7 Rn 14ff; für Realakt mit verselbständigtem Willensmoment dagegen Flume AT § 9, 2a und ähnl Wolf/Neuner AT § 14 Rn 6). Jedenfalls sind die für Rechtsgeschäfte geltenden Vorschriften entspr anwendbar (MüKo/Schmitt Rn 18), so dass Wohnsitzbegründung und -aufgabe durch Stellvertreter (etwa BVerwG NJW 1959, 1053; BGH NJW-RR 1988, 387) oder durch vorläufigen Vormund (BayObLG NJW 1984, 886) erfolgen kann, nicht aber durch Pfleger, zu dessen Aufgabenkreis die Aufenthaltsbestimmung gehört (BayObLG FamRZ 1990, 647). Zur Frage, inwieweit Wohnsitz und Aufenthaltsbestimmung von der Personensorge nach dem Betreuungsgesetz umfasst sind, s Klüsener/Rausch NJW 1993, 617, s auch § 8 Rn 2. 3. Niederlassung iSd § 7 ist der tatsächliche Aufenthalt an einem bestimmten, frei gewählten Ort mit dem Willen (auch konkludent zum Ausdruck gebracht, BGH NJW 2006, 1808), diesen zum Mittelpunkt (Schwerpunkt) der persönlichen Existenz zu machen; Strafhaft reicht daher nicht aus (BGH NJW-RR 1996, 1217). Nicht erforderlich ist, dass der Ort zum Mittelpunkt der gesamten Lebensverhältnisse gemacht wird, doch ist Verweilen für längere Zeit erforderlich (BGH NJW 1983, 2771), nicht notwendig Festlegung für immer (Köln NJW 1972, 394). Es kommt nicht darauf an, ob eine eigene Wohnung benutzt wird; Unterkunft zusammen mit anderen reicht aus (BGH NJW 1984, 971; BVerwG FamRZ 1963, 441; NJW 1986, 674). Verlässt eine Frau unter Abmeldung ihre Ehewohnung und zieht sie, ohne dies von vornherein auf einen überschaubaren Zeitpunkt zu beschränken, in ein Frauenhaus, so begründet sie regelmäßig einen Wohnsitz (Karlsruhe NJW-RR 1995, 1220; Nürnberg NJW-RR 1997, 514), nicht so bei einem unter drei Wochen liegenden Aufenthalt (BGH NJW 1994, 1224); zum Wohnsitz von Kindern in diesen Fällen § 11 Rn 4. Das der Benutzung zugrunde liegende Rechtsverhältnis ist ohne Bedeutung (Celle NdsRpfl 1949, 213). In Betracht kommt auch die Wohnsitzbegründung durch nicht nur vorübergehendes oder urlaubsbedingtes Beziehen eines Hotelzimmers (MüKo/Schmitt Rn 20; heute eher ungewöhnliche Umstände lagen der Entscheidung BGH LM NR 1 zu § 24 BWGöD zugrunde). Hausangestellte oder Kellner begründen an ihrem Tätigkeitsort regelmäßig keinen Wohnsitz (Köln JMBl NW 1960, 188f). Bei Studenten kommt es auf die Intensität bestehen bleibender Bindung an den Heimatort an, ferner auf Lebensalter und berufliche Perspektiven; danach kann nicht regelmäßig Wohnsitzbegründung am Studienort verneint werden (im Grundsatz gegen Wohnsitz am Studienort BVerfG NJW 1990, 2193, 2194; BVerwG JR 1961, 113; Hamm FamRZ 1989, 1331; MüKo/Schmitt Rn 27; Ausnahmen sind aber möglich, wenn der Hochschulort für längere Zeit zum Mittelpunkt aller Lebensverhältnisse gemacht wird). Der einen Wohnsitz Begründende muss (abgesehen vom Fall der Vertretung) hinfort persönlich anwesend sein wollen (BVerwG FamRZ 1963, 441). Wer an einem Ort nur seine Familie unterbringt, selbst aber fernbleibt, begründet dort keinen Wohnsitz; ebenso wenig derjenige, der einen Ort nur zum Mittelpunkt seiner beruflichen Beziehungen macht. Die Weiterführung eines Betriebes reicht aus. Saenger

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4. Maßgeblich ist die ständige Niederlassung. Ständig ist nicht gleichbedeutend mit endgültig oder unabänderlich. Ausgeschaltet wird dadurch zunächst der von vornherein auf kurze Zeit bemessene Aufenthalt. Studienaufenthalt, vorübergehender Aufenthalt in einer Heil- und Pflegeanstalt, Beziehen eines Wochenendhauses zu nur vorübergehendem Freizeitaufenthalt sind idR nicht als ständige Niederlassung am Aufenthaltsort anzusehen (RG 152, 60). So ist zB der Aufenthalt in einem Erziehungsheim im Rahmen der Fürsorgeerziehung seiner Natur nach vorübergehend (Düsseldorf NJW-RR 1991, 1419, LG Duisburg FamRZ 1968, 85: zeitbedingte Umstände können eine besondere Beurteilung rechtfertigen); zur Strafhaft Rn 5. Die polizeiliche Anmeldung, das Fehlen einer solchen oder die Unterlassung einer Abmeldung können Rückschlüsse auf den Wohnsitz zulassen, sind aber nicht entscheidend (vgl BVerfG NJW 1990, 2193, 2194; BGH NJW-RR 1990, 506; NJW 1983, 2771; BayObLG FamRZ 1989, 526; NJW 1984, 291; Karlsruhe Rpfleger 1957, 308, 309). Zur Fortdauer des Wohnsitzes bedarf es nicht – wie zu seiner Begründung – des Zusammentreffens einer tatsächlichen Niederlassung mit dem Wohnsitzwillen (Karlsruhe Rpfleger 1957, 308 mw Hinw). Ist der Aufenthaltswechsel bereits vollzogen, genügt für die Aufhebung des Wohnsitzes ein darauf gerichteter Wille (BayObLG FamRZ 1984, 886). 5. Die Aufhebung des Wohnsitzes erfordert die beabsichtigte Aufgabe der tatsächlichen Niederlassung, die allerdings anhand des gesamten Verhaltens für einen mit den Umständen vertrauten Beobachter erkennbar sein muss (BGH NJW 1988, 713f). Vorübergehende (auch längere) Abwesenheit hebt allein den Wohnsitz nicht auf (BayObLG OLG 12, 238f). Wer das Staatsgebiet in der Annahme verlassen hat, er tue dies nur vorübergehend, dem fehlt im Zweifel der Wille, den Wohnsitz aufzugeben (BVerwG MDR 1969, 872). Wer sich an einen anderen Ort begibt, um von dort aus auszuwandern, will idR den bisherigen Wohnsitz nicht aufgeben, sondern ihn – jedenfalls bis zum tatsächlichen Antritt der Reise – beibehalten (BayObLG 1964, 109). Antritt dauernder Strafhaft bedeutet nicht schon Aufgabe des bisherigen Wohnsitzes (BayObLG 1901, 762, anders Karlsruhe Rpfleger 1970, 202). Mit der Wohnsitzaufgabe braucht nicht die Begründung eines neuen Wohnsitzes verbunden zu sein. Andererseits setzt die Begründung eines neuen Wohnsitzes die Aufgabe des bisherigen nicht voraus, § 7 II. 6. Mehrfacher Wohnsitz ist gesetzlich zulässig (Abs II) und gegeben, wenn die Wohnsitzvoraussetzungen für mehrere Orte gleichzeitig zutreffen (vgl BGH MDR 1962, 380). So ist doppelter Wohnsitz bei jemandem anzunehmen, der sich im Sommer auf seinem Landgut und im Winter in der Stadt aufhält und an beiden Orten ständige Wohnungen hat; ebenso bei einem Arzt, welcher im Sommer in einem Badeort und im Winter in einer Stadt wohnt und praktiziert. In diesen Fällen sind stets gleichzeitig beide Orte und nicht etwa abwechselnd der eine oder der andere Wohnsitz. Grds ist jedoch davon auszugehen, dass eine Person nur einen Wohnsitz hat, zum Doppelwohnsitz eines Kindes nach Trennung der Eltern § 11 Rn 4. Doppelter Wohnsitz liegt idR nicht vor, wenn die Niederlassung an dem einen Ort lediglich einen bestimmten abgesonderten Bereich der Lebensverhältnisse betrifft (BGH MDR 1962, 380); besonders dann nicht, wenn die Niederlassung an diesem einen Ort ausschließlich gewerblichen oder dienstlichen Zwecken dient, ohne dass damit eine eingerichtete Wohnung verbunden ist (RG 30, 349; Karlsruhe OLG 13, 307; s auch BAG DB 1985, 2693 für Montagearbeiter [im Zusammenhang mit dem arbeitsrechtlichen Begriff der „Wohnung“] sowie BVerwG NJW 1986, 674 zu dreimonatiger beruflicher Tätigkeit). „Pendler“, die an einem längerfristigen Arbeitsort für die Wochentage eine Wohnung unterhalten, können also einen doppelten Wohnsitz haben. Soll mehrfacher Wohnsitz mit der Wirkung angenommen werden, dass die Person an beiden Orten als Angehöriger der Gemeinde zur Zahlung bestimmter Steuern herangezogen werden kann, müssen die Voraussetzungen für diese Fälle als Ausnahmefälle mit aller Deutlichkeit erwiesen werden (Celle NdsRpfl 1949, 213). Bei einem Wohnsitzwechsel, der sich allmählich – in Teilabschnitten – vollzieht und über einen längeren Zeitraum erstreckt (dazu BVerwG DÖV 1962, 870 und FamRZ 1963, 441), kann für eine gewisse Zeit ein doppelter Wohnsitz bestehen. 7. Das Recht, den Wohnsitz frei zu bestimmen, ist verfassungsrechtlich gesichert (Art 11 I GG) und unverzichtbar. Vertragliche Beschränkungen sind grds nichtig. Doch ist die Verpflichtung, einen bestimmten Wohnsitz aufzugeben, uU zulässig), etwa im Rahmen eines gültigen Rückkehrverbots nach Praxistausch (MüKo/Schmitt Rn 34). 8. Zu unterscheiden vom Wohnsitz des § 7 sind der bloße Aufenthalt (dazu BayObLG 57, 313), der gewöhnliche Aufenthalt des § 122 FamFG, der steuerliche und devisenrechtliche Wohnsitz (dazu Staud/Kannowski Vorbem zu §§ 7-11 Rn 10; BayObLG 58, 103 – auch zu § 11), der dienstliche Wohnsitz iSd Besoldungsrechts bei Beamten (BayObLG 57, 193) und die gewerbliche Niederlassung. 9. Ort iSd § 7 ist nicht der Platz der Wohnung, sondern die kleinste örtliche, dh räumliche Verwaltungseinheit, zu der dieser Platz gehört; bei Teilung einer solchen in mehrere Gerichtsbezirke der Gerichtsbezirk (RG 67, 195). Hat jemand innerhalb dieses Bezirks mehrere selbständige Wohnungen, hat er nur einen Wohnsitz. 10. Der Wohnsitz ist in vielfacher Hinsicht rechtlich bedeutsam. Er bestimmt ua den allg Gerichtsstand (§ 13 ZPO), die Zuständigkeit für Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), die Zuständigkeit für das Aufgebotsverfahren nach § 15 VerschG (dazu KG NJW 1958, 104), die Zuständigkeit des Standesamts für die Eheschließung (§ 12 PStG); zur Zuständigkeit für Insolvenzverfahren s §§ 2, 3 InsO. Zum Erfüllungsort für Verpflichtungen s § 269. Nach Änderung des § 25 I StAG hat ein inl Wohnsitz keinen Einfluss mehr auf den Verlust der deutschen nach Erwerb einer ausl Staatsangehörigkeit. Im öffentlichen Recht hat der Wohnsitz Bedeutung ua für das Wahlrecht (dazu BVerfG NJW 1956, 905f) und die Ge-

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meindeangehörigkeit; im Verkehrsrecht für die Erteilung der Fahrerlaubnis nach § 68 II StVZO (dazu OVG Münster NJW 1958, 1605). 11. Die §§ 7ff beziehen sich nur auf nat Pers. Dem Wohnsitz der nat Pers entspricht der Sitz der jur Pers, das ist der Ort, an welchem die Verwaltung geführt wird, § 24.

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Wohnsitz nicht voll Geschäftsfähiger

Wer geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, kann ohne den Willen seines gesetzlichen Vertreters einen Wohnsitz weder begründen noch aufheben. 1. Die Regelung folgt aus der Rechtsnatur der Wohnsitzbegründung und Aufhebung als einer geschäftsähnlichen Handlung (vgl § 7 Rn 4). Allerdings muss die Parallele zw geschäftsähnlicher und rechtsgeschäftlicher Handlung hier insofern eingeschränkt werden, als die Wohnsitzbegründung durch einen Geschäftsunfähigen, wenn er den tatsächlichen Willen zeigt und durchführt, sich an einem bestimmten Ort ständig niederzulassen, nicht schlechthin nichtig und genehmigungspflichtig ist. Vielmehr kann der Geschäftsunfähige, wenn der gesetzliche Vertreter zustimmt, insoweit voll wirksam handeln. Wenn der gesetzliche Vertreter handelt, müssen die tatsächlichen Voraussetzungen in der Person des Vertretenen erfüllt sein; auf den Willen des Vertretenen kommt es nicht an. Gegen die Regelung des Abs I unter rechtspolitischen Gesichtspunkten Jürgens ZRP 1993, 129. Auf einen Betreuten ist die Regelung nur anwendbar, wenn er geschäftsunfähig ist, zu den Rechten des Betreuers Rn 2. § 8 gilt entspr für die Aufgabe eines Wohnsitzes (MüKo/Schmitt Rn 10). 2. Die gesetzliche Vertretung bestimmt sich nach Maßgabe der familienrechtlichen Vorschriften. Der Wohnsitz des Geschäftsunfähigen braucht nicht identisch zu sein mit dem Ort, an dem sein Vermögen verwaltet wird. Auch kann für ein minderjähriges Kind ein vom Wohnsitz des gesetzlichen Vertreters verschiedener Wohnsitz begründet werden (KG DR 1939, 247; Näheres bei § 11). Beim Wohnsitzwechsel gilt dasselbe; die Zustimmung eines später bestellten Pflegers wirkt nach § 184 I auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Ortsveränderung zurück (BayObLG FamRZ 1959, 372; 81, 400f; aM Schwoerer NJW 1962, 2038, 2040). Ein Betreuer mit dem Wirkungskreis „Aufenthaltsbestimmung“ kann den Betreuten auch bei Aufhebung und Begründung eines Wohnsitzes vertreten (BayObLG NJW-RR 1993, 460). Ist der Betreute geschäftsfähig, entscheidet er selbst, Zustimmung des Betreuers nur im Falle des § 1903 (MüKo/Schmitt Rn 2). 3. Der Begründungswille des Vertreters bedarf keiner ausdr Erklärung, sondern kann aus den Umständen folgen (BGH 7, 104 betreffend Wohnsitzänderung eines Kindes); vgl erg die Erl zu § 11. Endgültige Unterbringung eines Geisteskranken in eine Heil- und Pflegeanstalt lässt idR auf den Willen schließen, den Ort der Anstalt zum Wohnsitz des Kranken zu machen (Karlsruhe Rpfleger 1970, 202). Im Verfahren über die Zuständigkeit im Entmündigungsverfahren war selbst bei Zweifeln die Geschäftsfähigkeit bei der (Begründung oder) Aufgabe des Wohnsitzes zu unterstellen (BGH NJW-RR 1988, 387); ebenso für die Bestimmung des zuständigen Nachlassgerichts BayObLG FamRZ 1990, 301 (LS). 4. § 8 schließt doppelten Wohnsitz nicht aus (Rostock OLG 32, 329); doch müssen beide Wohnsitze auf dem Willen des gesetzlichen Vertreters beruhen. 5. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen (BGBl I 2017, 2429) wurde die Ausnahmeregelung des § 1303 II aufgehoben und ist eine Eheschließung von Minderjährigen künftig nicht mehr möglich. In der Folge wurde auch der frühere Abs II über die Wohnsitzwahl minderjähriger Ehegatten entbehrlich und aufgehoben.

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Wohnsitz eines Soldaten

(1) Ein Soldat hat seinen Wohnsitz am Standort. Als Wohnsitz eines Soldaten, der im Inland keinen Standort hat, gilt der letzte inländische Standort. (2) Diese Vorschriften finden keine Anwendung auf Soldaten, die nur aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten oder die nicht selbständig einen Wohnsitz begründen können. 1 1. Die jetzige Fassung hat § 9 durch § 68 SoldatenG v 19.3.1956 (BGBl I 114) erhalten. 2. Nach § 9 haben Soldaten unter bestimmten Voraussetzungen einen gesetzlichen Wohnsitz. Unter Berücksich- 1a tigung der Begriffsbestimmung des Soldaten in § 1 I 1 SoldatenG bezieht sich § 9 auf Personen, die aufgrund freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis stehen und selbständig einen Wohnsitz begründen können. Ärzte, Beamte, Reservisten mit Dienstgrad iSd § 1 II SoldatenG sowie Zivilangestellte der Bundeswehr sind keine Soldaten iSd SoldatenG, so dass auf sie § 9 nicht anwendbar ist. 3. Gesetzlicher Wohnsitz iSd § 9 ist der Standort des Soldaten. Das ist grds der Ort, wo der Wehrdienst von ihm 2 im Allg geleistet wird; idR also der Garnisonsort des Truppenteils, dem der Soldat angehört. Bei Teilnahme an kurzfristigen Übungen außerhalb des Garnisonsorts des Truppenteils erfolgt kein Wechsel des gesetzlichen Wohnsitzes. Im Falle eines langfristigen Kommandos hat der Soldat seinen gesetzlichen Wohnsitz idR am Ort des Kommandos (Dresden SeuffA 69 Nr 209; RG JW 1938, 234); anders bei vorübergehender Abkommandierung (MüKo/ Schmitt Rn 8). Soldaten, die keinem Truppenteil angehören, haben unter den Voraussetzungen des § 9 ihren gesetzlichen Wohnsitz grds an dem Ort, wo sich ihre militärische Dienststelle befindet. Hat der Soldat im Inland

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keinen Standort, so bestimmt sich der gesetzliche Wohnsitz des § 9 nach dem letzten inl Standort des Soldaten (Abs I S 2). 4. Die Regelung des § 9 ist zwingend; doch kann der Soldat neben dem gesetzlichen Wohnsitz des § 9 einen weiteren gewillkürten Wohnsitz haben (RG 126, 8; LVG Oldenburg MDR 1958, 875; BVerwG MDR 1960, 1041 [auch zu § 1 I 2, 3 BVFG]; OVG Münster v 27.8.2012 – 12 B 822/12); für die Besoldung s § 15 II BBesG.

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Wohnsitz des Kindes

Ein minderjähriges Kind teilt den Wohnsitz der Eltern; es teilt nicht den Wohnsitz eines Elternteils, dem das Recht fehlt, für die Person des Kindes zu sorgen. Steht keinem Elternteil das Recht zu, für die Person des Kindes zu sorgen, so teilt das Kind den Wohnsitz desjenigen, dem dieses Recht zusteht. Das Kind behält den Wohnsitz, bis es ihn rechtsgültig aufhebt. 1. § 11 gilt einheitlich für eheliche und nichteheliche Kinder. Der Text ist insofern irreführend, als er zunächst einseitig auf den Wohnsitz der Eltern abzustellen scheint, während in Wirklichkeit Wohnsitz und Personensorge zusammen den Wohnsitz des Kindes bestimmen. Diese Regelung beruht im Wesentlichen darauf, dass das Recht, den Wohnsitz des Kindes zu bestimmen, Ausfluss des Rechts zur Personensorge ist. IÜ ist davon auszugehen, dass in aller Regel das Recht zur Personensorge beiden Eltern, und zwar zu gleichem Recht zusteht. 2. Der Wohnsitz des ehelichen Kindes ist automatisch durch den gemeinsamen Wohnsitz der Eltern, denen die Personensorge zusteht, bestimmt; auf den tatsächlichen Aufenthalt des Kindes kommt es nicht an (vgl aber Rn 5). Die automatische Wohnsitzbegründung ist aufgrund des S 2 Folge des Rechts der Personensorge, die mindestens einem der Elternteile zustehen muss. Bei doppeltem Wohnsitz der Eltern hat das Kind ebenfalls doppelten Wohnsitz. Hat nur einer der Elternteile doppelten Wohnsitz, ist anzunehmen, dass auch das Kind doppelten Wohnsitz hat (ebenso MüKo/Schmitt Rn 5). Lebt nur noch ein Elternteil, ist dessen Wohnsitz maßgebend. Geben beide Elternteile den Wohnsitz auf, ohne einen neuen zu begründen, wird auch das Kind wohnsitzlos (aA BGH 48, 228, 236f; BaRo/Bamberger Rn 7, wonach das Kind den bisherigen Wohnsitz der Eltern behält). 3. Bei unterschiedlichem Wohnsitz der Eltern trifft § 11 eine Regelung nur für den Fall, dass nur einem Elternteil die Personensorge zusteht, was für den Fall des Getrenntlebens zutrifft. Das Kind teilt in diesem Fall den Wohnsitz des zur Personensorge berechtigten Elternteils, wiederum ohne Rücksicht auf seinen tatsächlichen Aufenthalt. Aus welchem Grunde der andere Elternteil das Recht der Personensorge verloren hat (Entziehung, Entscheidung nach der Scheidung), ist gleichgültig. Maßgebend ist das Recht zur Personensorge, die tatsächliche Ausübung ist gleichgültig. 4. Für den Fall des verschiedenen Wohnsitzes von (auch getrennt lebenden) Eltern, denen beiden das Recht zur Personensorge zusteht, trifft § 11 keine Regelung. Entspr den zum früheren Rechtszustand entwickelten Grundsätzen hat das Kind am Wohnsitz jedes Elternteils einen Wohnsitz (für Doppelwohnsitz des Kindes getrennt lebender Eltern BGH NJW-RR 1992, 258; 1993, 130; Naumburg JMBl ST 1999, 115; für ein Kind einer während des Getrenntlebens in einem Frauenhaus wohnenden Ehefrau ebenso BGH NJW-RR 1993, 4; so auch für Begründung eines neuen Wohnsitzes allein durch einen Elternteil Karlsruhe FamRZ 2009, 1768, FamRZ 1969, 657, Köln MDR 1971, 581; s auch Staud/Kannowski Rn 6f und zur vormundschaftsgerichtlichen Zuständigkeit BayObLG FamRZ 1989, 526; zu Haupt- und Nebenwohnsitz nach Einwohnermelderegister OVG Sachsen NJW 2006, 1306). Haben sich allerdings die Eltern bei der Trennung ausdr oder stillschw geeinigt, dass das Kind auf Dauer bei einem von ihnen bleiben soll, hat es nur dort seinen Wohnsitz (BGH NJW-RR 1992, 578; Koblenz NJW 1983, 201; Düsseldorf FamRZ 1978, 621; KG KGRp 1999, 131). Ein bestehender Wohnsitz des Kindes wird durch den Tod eines Elternteils nicht automatisch aufgehoben (Hamm OLG 1971, 243). Es behält ihn nach S 3. Demgegenüber setzt § 11 S 1 Hs 2 das Vorhandensein eines nicht (mehr) personensorgeberechtigten Elternteils voraus. Ein nach der Trennung der Eltern geborenes Kind hat demgemäß idR vom Zeitpunkt der Geburt an einen von beiden Eltern abgeleiteten Doppelwohnsitz (KG NJW 1964, 1577; Karlsruhe NJW 1963, 1252; Nürnberg FamRZ 1961, 450). 5. Da § 11 jedoch nicht zwingend ist, können die Eltern oder der Elternteil, dem das Recht zusteht, für die Person des Kindes zu sorgen, gem §§ 7, 8 für das Kind einen Wohnsitz begründen und aufheben oder einer vom Kinde vorgenommenen Wohnsitzbegründung (Wohnsitzaufhebung) zustimmen, ohne dass damit notwendig eine Aufgabe des bisherigen Wohnsitzes verbunden ist (BayObLG FamRZ 1989, 526, 527). Begründung und Zustimmung bedürfen auch insoweit keiner ausdr Erklärung, können sich vielmehr aus den Umständen ergeben (BGH 7, 104, 109ff; BGH FamRZ 1958, 179; Köln NJW 1972, 590; Koblenz FamRZ 1983, 201). Allerdings ändert sich, wenn Eltern getrennt leben, nicht allein dadurch, dass sich das Kind (zeitweilig) bei einem Elternteil mit Duldung des anderen Elternteils aufhält, etwas an dem von beiden Eltern abgeleiteten Wohnsitz des Kindes. Es bedarf in diesen Fällen eines über die Duldung hinausgehenden Anhalts (Karlsruhe NJW 1961, 271; aA Brandenburg FamRZ 2009, 768, welches einen Duldungszeitraum von zwei Jahren ausreichen lässt). Ein solcher weiterer Anhalt wird aber möglicherweise als gegeben angesehen werden können, wenn der Vater, der die Unter8

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bringung des Kindes bei der Mutter duldet, die Ehelichkeit des Kindes bestreitet und die Sorge für das Kind vollständig der Mutter überlässt (so Stuttgart HEZ 3, 1, wo darauf hingewiesen wird, dass sich daraus uU die Unzuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Vaters für dessen Ehelichkeitsanfechtungsklage ergibt). Begründet eine Witwe aus Anlass ihrer Wiederverheiratung einen neuen Wohnsitz, lässt sie aber ihr Kind am bisherigen Wohnsitz zurück, ohne sich weiter darum zu kümmern, so dass dieses eigenmächtig Entschließungen fasst, ist uU anzunehmen, dass das Kind mit Willen der Mutter einen von deren Wohnsitz unabhängigen eigenen Wohnsitz hat (Düsseldorf MDR 1957, 607). 6. Nach S 2 teilt das Kind, wenn keinem Elternteil die Personensorge zusteht, den Wohnsitz desjenigen, dem dieses Recht zusteht (Vormund oder Pfleger), auch wenn es tatsächlich bei den Eltern wohnt. Haben die beiden nicht personensorgeberechtigten Eltern nicht denselben Wohnsitz, behält das Kind nach S 3 den Wohnsitz, den es hatte, bevor auch der zweite Elternteil das Recht, für die Person des Kindes zu sorgen, verlor, und zwar so lange, bis der Vormund oder Pfleger (§ 8) oder, nach erreichter Volljährigkeit, das Kind selbst diesen Wohnsitz rechtsgültig aufhebt (vgl Maßfeller DNotZ 1957, 363). 7. Das Recht, für die Person eines Kindes, dessen Eltern nicht verheiratet sind, zu sorgen, steht der Mutter zu, wenn die Eltern keine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben haben (§ 1626a III). Dementsprechend teilt das nichteheliche Kind den Wohnsitz der Mutter. Für nichteheliche Kinder kann in gleicher Weise wie für eheliche Kinder in Anwendung der §§ 7, 8 ein von der gesetzlichen Regelung des § 11 abw Wohnsitz bestimmt werden. Zur Rechtslage in Fällen, in denen der Wohnsitz der Mutter für den maßgeblichen Zeitpunkt nicht festzustellen ist, vgl Köln JMBl NW 1960, 188ff. 8. Ein an Kindes statt angenommenes Kind erlangt ebenfalls die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden (§ 1754); es teilt daher den Wohnsitz des Annehmenden. Auch hier sind abw Regelungen nach §§ 7, 8 zulässig. Bei Findelkindern bestimmt der gem §§ 1773 II, 1774 zu benennende Vormund den Wohnsitz (vgl § 1800). Wird später der wirkliche Familienstand ermittelt, tritt ohne Rückwirkung der gesetzliche Wohnsitz des § 11 ein (Staud/Kannowski Rn 4). Das Kind behält in allen Fällen des § 11 – auch nach erreichter Volljährigkeit – den abgeleiteten Wohnsitz des § 11, bis es ihn rechtsgültig aufgibt, S 3. Das gilt auch für den willkürlich vom gesetzlichen Vertreter begründeten Wohnsitz. Begründet das Kind keinen eigenen Wohnsitz, nimmt es nach wie vor an dem Wohnsitzwechsel der Person teil, von der es seinen Wohnsitz ableitet (Karlsruhe JZ 1955, 341). Doch ist zu beachten, dass die eigene Wohnsitzbegründung durch das Kind nicht ausdr erklärt zu werden braucht. Selbst durch Beibehaltung des bisherigen Wohnsitzes kann stillschw ein eigener Wohnsitz begründet werden (RGRK/Krüger-Nieland Rn 10).

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Namensrecht

Wird das Recht zum Gebrauch eines Namens dem Berechtigten von einem anderen bestritten oder wird das Interesse des Berechtigten dadurch verletzt, dass ein anderer unbefugt den gleichen Namen gebraucht, so kann der Berechtigte von dem anderen Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann er auf Unterlassung klagen. Schrifttum: Bücking, Namens- und Kennzeichenrecht im Internet (Domain-Recht), 1998; Klippel, Der zivilrechtliche Schutz des Namens, 1985 (dazu Luig FamRZ 1989, 1148); Koos, Der Name als Immaterialgut, GRUR 2004, 808; Nägele, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Internet-Domains, WRP 2002, 138; Schmitt-Gaedke/Arz, Der Namensschutz politischer Parteien, NJW 2013, 2729; Trentmann, Die ungeklärte Rechtslage bei Altberichten in Online-Archiven, MMR 2016, 731.

I. Name. 1. Der Name ist ein sprachliches Merkmal zur ständigen Bezeichnung einer Person oder eines Unter- 1 nehmens zwecks Unterscheidung von anderen Personen und Unternehmen (RG 91, 352; 137, 215). Er dient darüber hinaus als individualisierende Kennzeichnung des Namensträgers (vgl Siebert NJW 1958, 1370; Hefermehl FS Hueck, 1959, 520f; BVerfG NJW 2004, 1155; JZ 1982, 798; BGH 25, 163, 168; NJW 1959, 525). Der Name hilft bereits dem Kind, seine Identität zu entwickeln und ggü anderen zum Ausdruck zu bringen (BVerfG NJW 2004, 1155; zum Familiennamen als Identitätsmerkmal aus psychologischer Sicht Salzgeber/Stadler/Eisenhauer FPR 2002, 133). Das Recht am Namen ist – soweit es das Privatsphären- und Identitätsinteresse von Einzelpersonen schützt – ein 2 dem Privatrecht angehörendes absolutes Persönlichkeitsrecht (BGH 8, 318, 319, 322; 24, 78; 32, 103, 119; NJW 2000, 2195, BVerfG 97, 391, 399; StAZ 2001, 207; NJW 2004, 1155; Staud/Habermann Rn 19) und als solches durch Art 1 I, 2 I GG garantiert. Es ist jedoch, soweit es sich um die Bezeichnung (Benennung) eines Unternehmens handelt und dessen Identitätsinteresse im Wettbewerb schützt, immaterielles Güterrecht (Staud/Habermann Rn 19; dort auch zum Wesen des Namensrechts einer jur Pers, bei der es sich nicht um ein Unternehmen handelt). § 12 regelt den Schutz des Namens. Erwerb, Änderung und Verlust des Namens sind in anderen Vorschriften insb des Familienrechts geregelt. Zu Begriff und Schutz des Namens im internationalen Privatrecht vgl J.F. Baur AcP 167, 535. Zur Bildung von Vereinsnamen § 57 Rn 2. 2. Für den Erwerb des Namens gilt Folgendes: Das Kind erlangt mit der Geburt den Familiennamen der Eltern 3 (§ 1616). Führen die Eltern keinen Ehenamen und steht ihnen die Sorge für das Kind gemeinsam zu, so bestimmen sie gem § 1617 I den zu diesem Zeitpunkt vom Vater oder der Mutter geführten Namen zum Geburtsnamen des Kindes. Steht ihnen die Sorge nicht gemeinsam zu, sondern nur einem der Eltern, erhält das Kind als Geburtsnamen dessen Namen (§ 1617a I), doch kann der sorgeberechtigte Elternteil dem Kind den Namen des Saenger

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Personen

anderen Elternteils erteilen (§ 1617a II). Zur Neubestimmung des Namens bei nachträglicher gemeinsamer Sorge unter Namensänderung der Eltern s § 1617c. Änderung auch möglich durch Einbenennung gem § 1618. Der Ausschluss des Doppelnamens für ein Kind ist verfassungsgemäß (BVerfG NJW 2002, 1256). Durch Adoption erhält das Kind den Namen des Adoptierenden (näher § 1757 I). Vor- und Zuname eines Findelkindes bestimmt nach § 24 II PStG die Verwaltungsbehörde. Zum Ehenamen vgl § 1355. 3. Ist der Familienname zweifelhaft, so kann nach § 8 G v 8.1.1938 (RGBl I 10) der Name von Amts wegen festgestellt werden (zu den dabei anzuwendenden Kriterien BVerwG NJW 1982, 299). 4. Den Vornamen eines Kindes bestimmt der personensorgeberechtigte gesetzliche Vertreter oder nach §§ 24, 25 PStG die Behörde. Das Wahlrecht des Personensorgeberechtigten ist dabei nur dadurch beschränkt, dass das Kindeswohl nicht verletzt werden darf (BVerfG NJW 2005, 1414) und willkürliche, ganz ungewöhnliche und zur Kennzeichnung ungeeignete Bezeichnungen ausgeschlossen sind (BGH 29, 256, 259). Eine Kindeswohlgefährdung wird nicht bereits dadurch begründet, dass das Kind, welches den Familiennamen eines Elternteils trägt, den Nachnamen des anderen Elternteils als weiteren Vornamen erhält („Lütke“, BGH NJW 2008, 2500). Jungen dürfen mit Ausnahme des Beivornamens Maria keine weiblichen Vornamen erhalten (BGH 30, 132). Ausl Vornamen, die das Geschlecht nicht erkennen lassen, hat BGH 73, 239 zugelassen, wenn der Junge einen weiteren eindeutig männlichen Vornamen erhält. Darüber hinaus hat KG MDR 1991, 54 einen im Heimatland der Eltern bekannten (weiblichen) Namen, der in Deutschland das Geschlecht des Kindes nicht erkennen lässt, bei Vorliegen sachlicher Gründe anerkannt, ohne dieses Erfordernis ebenso Frankfurt MDR 1995, 606. So mag sich auch der abstrus begründete Name „Bastian Samandu“ (BayObLG NJW 1984, 1362 m Anm Gernhuber), kaum aber noch die Stigmatisierung durch den Namen „Philipp Pumuckl“ (Zweibrücken NJW 1984, 1360) rechtfertigen lassen (zu der Großzügigkeit der Gerichte in der Zulassung ungewöhnlicher Namen Dörner StAZ 1980, 170ff). In diesem Bereich muss das Interesse des Kindes stärker berücksichtigt werden (zweifelhaft daher die Annahme von Bremen NJW-RR 1996, 1029f, ein in Südafrika rechtmäßig erworbener Vorname „Frieden mit Gott allein durch Jesus Christus“ müsse ins deutsche Personenstandsbuch eingetragen werden). Die Eintragung in das Geburtsregister (§§ 21, 22 PStG) hat zur Folge, dass die Berechtigten die von ihnen gewählten Vornamen des Kindes nicht mehr ändern können. Die Frage, ob bei mehreren Vornamen einer von ihnen (durch Unterstreichung im Geburtsbuch) als Rufname gekennzeichnet werden darf (dazu BGH 30, 136; KG FamRZ 1964, 516; Kraft NJW 1963, 237), ist für § 12 ohne Bedeutung, weil der Rufname iÜ jedenfalls rechtlich keine Sonderbehandlung vor den anderen Vornamen erfährt (BGH 30, 136). Auch wenn bei der Vornamensgebung ein Vorname als Rufname bezeichnet wird, ist dadurch nicht ausgeschlossen, dass der Namensträger später einen anderen ihm rechtmäßig zukommenden Vornamen als Rufnamen gebraucht (BGH 30, 137). Die unzulässige Namensgebung wird durch die Eintragung in das Geburtsregister nicht wirksam (BGH 29, 257, die Entscheidung betrifft den Fall, dass entspr einem Landesbrauch einem Kind der Zuname eines Vorfahren als Vorname gegeben wird). 5. Änderungen des Vor- und Zunamens, auch ihr Widerruf, erfolgen nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (Namensänderungsgesetz – NamÄndG) v 5.1.1938 (RGBl I 9), zuletzt geändert durch Art 54 G v 17.12.2008 (BGBl I 2586); dazu DVO v 7.1.1938 (RGBl I 12), zuletzt geändert durch Art 4 L G v 7.8.2013 (BGBl I 3154), ferner Allg Verwaltungsvorschrift zum NamÄndG v 11.8.1980. Eine bei der Einbürgerung vorgenommene Eindeutschung des Familiennamens kann im Einzelfall eine Namensänderung sein (BayObLG NJW-RR 1987, 965). Ändert die Verwaltungsbehörde einen Namen unter Abweichung von den zwingenden gesetzlichen Vorschriften, verletzt sie die Rechtsposition eines legitimen Namensträgers, der sich privatrechtlich gegen die unbefugte Namensführung durch einen anderen wehren könnte; dagegen ist Klage im Verwaltungsstreitverfahren möglich (HessVGH DÖV 1957, 222). Zur Klagebefugnis anderer Namensträger vgl BVerfG MDR 1960, 250; von Familienangehörigen OVG Münster, MDR 1970, 174; nach Scheidung Klage bzgl des Namens des Kindes (vgl VGH Mannheim NJW 1970, 1205). Im Verfahren zur Änderung des Vornamens eines minderjährigen Kindes muss im Namen des Kindes geklagt werden (BVerwG NJW 1988, 2400). Nach § 3 I NamÄndG setzt eine Namensänderung das Vorliegen eines wichtigen Grundes voraus (weil die Führung des überkommenen Namens die grds verbindliche Regel ist; vgl OVG Lüneburg FamRZ 1958, 418). Anzunehmen ist ein wichtiger Grund nur, wenn auch ein schutzwürdiges Interesse an der Namensänderung besteht. In den Scheidungshalbwaisen- und Stiefkinderfällen kommen als wichtiger Grund das Vorhandensein von Halb- und Stiefgeschwistern in der neuen Familie oder das dringliche Bedürfnis des Stiefkindes nach Namensgleichheit in Betracht (BVerwG 100, 148 = NJW 2002, 2406; VGH BadWürtt FamRZ 2001, 365). Allg liegt bei fehlender Einwilligung des anderen Elternteils ein wichtiger Grund nicht schon vor, wenn die Namensänderung für das Wohl des Kindes förderlich ist, sondern nur, wenn sie für das Kindswohl erforderlich ist (BVerwG 100, 148 = NJW 2002, 2406 m Anm Wittinger NJW 2002, 2371: s OVG Münster, NJW 2001, 2565; OVG Lüneburg NJW 2000, 3151; zur Änderung der Rspr des BVerwG vgl insb BVerwG 95, 21 = NJW 1994, 1425; 97, 207). Das Interesse des Kindes an Namenskontinuität mit dem damit verbundenen Persönlichkeitsprozess wird durch die verschärfte Rspr gestärkt (Wittinger NJW 2002, 2371, 2373). 6. Das frühere Adelsprädikat gilt als Teil des Namens (Art 109 III WRV); eine Adelsbezeichnung darf danach nicht mehr verliehen werden. Vor dem 14.8.1919 erworbene Adelsprädikate bleiben als Namensbestandteile bestehen (RG 103, 190), doch gilt dies nicht, wenn die Adelsbezeichnung bis zum Inkrafttreten der WRV etwa zwei 10

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Generationen im Rechtsverkehr nicht mehr geführt worden war (KG StAZ 1999, 38; Düsseldorf FamRZ 1997, 1479; Hamm FGPrax 2007, 120, einheitliche Handhabung über mindestens eine Generation). Eine Adelsbezeichnung, die beim Inkrafttreten der WRV nur einem vor den anderen Familienangehörigen bevorrechtigten Mitglied einer Adelsfamilie zustand (Primogenituradel), ist mit dessen Tod erloschen (OVG Münster DÖV 1963, 345, BVerwG 23, 344f). Adelsbezeichnungen, die zum Ehenamen der Eltern gehören, gehören auch zum Geburtsnamen des Kindes, bei weiblichen Personen in weiblicher Form („Edle“ nach „Ritter und Edler“), Düsseldorf FamRZ 1994, 1554. Transsexuelle führen die Adelsbezeichnung nach einer Vornamensänderung in einer dem neuen Vornamen entspr Form (BayObLG NJW-RR 2003, 289). Zum Übergang des Adelsprädikats auf Adoptivkinder RG 114, 389; OVG Lüneburg NJW 1956, 1172; zu Missbräuchen hierbei BGH NJW 1997, 47. Für eine Änderung des Namens durch Hinzufügung des Adelsprädikats sind die Vorschriften des NamÄndG maßgebend (BVerwG MDR 1959, 693 betr Adelsverleihung durch einen auswärtigen Souverän); zurückhaltend nach Aberkennung eines Adelsprädikats im früheren Heimatstaat (auch eines Vorfahren) OVG Münster NWVBl 2001, 33; Bayer VGH München VGHE 42, 7; bei seit Generationen nicht mehr geführten Adelsnamen ebenso BVerwG NJW 1997, 1594; Festhaltung OVG Hamburg DVBl 2006, 720. II. Schutzbereich. 1. § 12 schützt nach seinem Wortlaut nur den Namen (Vor- und Zunamen) einer nat Pers. 10 Das Anwendungsgebiet der Vorschrift reicht aber schon bei nat Pers weiter. Bei Änderung des Geburtsnamens durch Eheschließung bleibt der Geburtsname geschützt (RG JW 25, 363). Die Vorschrift erfasst darüber hinaus Namen und Bezeichnungen, welche innerhalb des Verkehrs, für den sie bestimmt sind, dieselbe Funktion ausüben wie der nach öffentlichem Recht zu führende Name für den allg bürgerlichen Verkehr. Ein Pseudonym (vom bürgerlichen Namen verschiedener Wahlname, der der Kennzeichnung innerhalb des Verkehrs dient, für den er bestimmt ist – etwa bei Künstlern, Schriftstellern, Sportlern) genießt wie ein bürgerlicher Name den Schutz aus § 12, wobei lediglich str ist, ob dies mit der Erlangung von Verkehrsgeltung (BGH NJW 2003, 2978; i Erg zust Heyers JR 2006, 94; BGH 30, 7, 9; Düsseldorf GRUR-RR 2013, 384, 385; MüKo/Säcker Rn 11) oder schon vorher gilt (Fabricius JR 1975, 16). Im Gegensatz zum Pseudonym liegt der Sinn eines Inkognito gerade darin, die handelnde Person zu verschleiern (Soergel/Heinrich Rn 123), so dass ein Schutz nicht in Betracht kommt. § 12 schützt auch den Vornamen als Teil eines Künstlernamens (BGH 30, 9; München NJW 1960, 869), den gekürzten Namen (KG JW 1921, 348), nicht dagegen eine bloße Berufsbezeichnung oder einen akademischen Grad. Ein Spitzname, wenn er vom Namensträger gebraucht wird, kann durch eine unbefugte markenmäßige Verwertung beeinträchtigt werden (Hamburg GRUR-RR 2001, 308). § 12 und das APR können daher einen Anspruch auf Unterlassung des Vertriebs von mit dem Namen versehenen Gegenständen begründen (BGH 81, 75; NJW 1990, 1106 – Boris Becker), was für einen Vornamen auch in Alleinstellung ohne den Familiennamen gelten kann, wenn schon sein alleiniger Gebrauch beim Publikum die Erinnerung an einen bestimmten Träger weckt (BGH NJW 1983, 1184 – Uwe; München WRP 2013, 1257; für den Schutz des Nachnamens in Alleinstellung: Düsseldorf GRUR-RR 2013, 384, 386). Zum „Gebrauchmachen“ in solchen Fällen s Rn 22ff, zu Internet-Adressen Rn 15. Schließlich können auch Kennzeichen dem Schutz des § 12 unterfallen, wenn sie Namensfunktion besitzen (Pal/Ellenberger Rn 10; Hamm 23.10.2013 – 14 U 17/139: Sonnenblume als Objekt des Namensschutzes der Partei „Die Grünen“). 2. Das Recht eines Ausländers auf seinen Namen ist in Deutschland in gleicher Weise nach § 12 geschützt wie 11 das Recht des Inländers (BGH 8, 319f = JZ 1958, 728 m w Hinw; BGH 39, 233f; NJW 1968, 349; MDR 1969, 549); ebenso für den Firmenschutz ausl Unternehmen bei dauernder Geschäftstätigkeit in Deutschland (BGH NJW 1980, 522). Zu den besonderen Problemen, die sich aus dem Zusammentreffen von Firmenbezeichnungen aus den früher getrennten deutschen Staaten nach der Wiedervereinigung ergeben, s BGH DZWIR 1996, 23 – Altenburger Spielkarten m Anm Michalski, 69; s auch Stuttgart BB 1993, 382. Grds beanspruchen die vor der Wiedervereinigung bestehenden Kennzeichen- und Firmenrechte heute Geltung im gesamten Bundesgebiet (BGH WRP 1997, 751). 3. § 12 bezieht sich außer auf nat Pers auch auf jur Pers, die als einheitliche Rechtssubjekte im Rechtsleben an- 12 erkannt sind (RG 74, 115; 100, 182; BGH 14, 155, 120, 103), desgl auf die unter einem bestimmten Namen zusammengefassten und im Rechtsleben auftretenden Personenvereinigungen, welche das Gesetz den jur Pers ganz oder teilw gleichstellt (zur Namensnutzung in Unternehmensgruppen, auch aus steuerlicher Perspektive Greil/ Wargowske IStR 2017, 12). Das sind die OHG (KG JW 1928, 367; RG 114, 93), die KG und der nicht rechtsfähige Verein (RG 78, 102; LG Hamburg NJW 1959, 1927); diese Praxis muss nach der sonstigen Entwicklung (Vor § 705 Rn 18ff) wohl auch auf den Namen der GbR ausgedehnt werden (ebenso MüKo/Säcker Rn 20; Staud/Habermann Rn 76f). Namensschutz genießen auch eine politische Partei als solche (BGH 79, 265; Frankfurt NJW 1972, 793 m Anm Lent; als selbstverständlich voraussetzend auch Hamm v 23.10.2013 – 14 U 17/139; LG Hannover NJW 1994, 1356 für die „Statt“-Partei, wobei Grundlage eines Schutzes auch §§ 2, 4 PartG sein können; ausf zum Namensschutz politischer Parteien Schmitt-Gaedke/Arz NJW 2013, 2729) sowie eine Gewerkschaft (BGH 43, 245 = JZ 1965, 524 mit Anm v Münch; vgl Rn 19). Zum Namensschutz von politischen Wählervereinigungen BGH MDR 2012, 727 – Freie Wähler. Die Persönlichkeitsrechte des Gründers einer jur Pers, die seinen Namen trägt, leben in der jur Pers aber nicht in der Weise fort, dass sie aus dem Recht des Gründers die Beeinträchtigung seines Namens hindern könnte (Koblenz HEZ 1, 260 = DRZ 1948, 175 m Anm Nipperdey); umgekehrt steht das postmortale Persönlichkeitsrecht der Verwendung des Namens einer verstorbenen Person der Zeitgeschichte für die Bezeichnung einer neutralen, nicht kommerziellen Einrichtung nicht entgegen (Hamm NJW 2002, 609). Bedenken hins namensmäßig wirkender Unternehmensbezeichnungen bei Tilmann GRUR 1981, 621. NamensSaenger

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schutz genießen auch jur Pers des öffentlichen Rechts (BGH NJW 1963, 2267; BGH 119, 237; BVerwG 44, 353) ebenso die katholische Kirche für die Bezeichnung ihr zugehöriger Einrichtungen als „römisch-katholisch“ und „katholisch“ (BGH 124, 173 = NJW 1994, 245); dies ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG NJW 1994, 2346). Werden jedoch dem allg Sprachgebrauch dienende Wörter wie „katholisch“ als Sachaussage zur näheren Beschreibung eigener Tätigkeiten und Erzeugnisse verwendet, gewährt das Namensrecht hiergegen keine Ansprüche (BGH NJW 2005, 978 m Anm Renck 1470). Da jede Firma gleichzeitig ein Unternehmen benennt, genießt auch jede Firma, sofern sie unterscheidungskräftig ist und der Inhaber sich ihrer befugterweise bedient, den Schutz des § 12 (BGH NJW 1954, 1681; LM 16 zu § 12); das gilt auch für durch Gesellschaftsvertrag gegründete, aber noch nicht eingetragene GmbH (BGH NJW 1993, 459 m Kurzkomm Demhardter EWiR § 12 BGB 2/93). Bei jur Pers des Handelsrechts sowie GmbH & Co KG bedeutet dies allerdings nicht, dass ein Gesellschafter, dessen Name Bestandteil der Firma ist, beim Übergang des Handelsgeschäfts der Mitübertragung der Firma zustimmen müsste (BGH 85, 223; Düsseldorf NJW 1980, 1284; Riegger BB 1983, 786); anders bei Familien-Personengesellschaft bzgl des ausscheidenden vollhaftenden Gesellschafters, der denselben Namen wie der Gründer trägt, sofern in der Gesellschaft kein anderer Träger des Familiennamens als persönlich Haftender verbleibt (Hamm ZIP 1983, 1199; BGH 92, 79 in Anwendung des § 24 II HGB). Wenn jedoch ein den Familiennamen tragender Erbe, der in die Fortführung der Firma eingewilligt hat, später aus der Gesellschaft ausscheidet, kann er nicht erneut über die Berechtigung der Gesellschaft zur Firmenfortführung entscheiden (BGH ZIP 1987, 778). Eine Erklärung des aus einer KG ausscheidenden Gesellschafters gem § 24 II HGB deckt nicht ohne Weiteres die Gründung einer GmbH, deren Firma den Namen des Ausgeschiedenen benutzt, durch die KG (Hamm BB 1991, 86). Nicht unbedenklich unter diesen Umständen die von der Rspr (Hamm ZIP 1981, 1356; Frankfurt ZIP 1982, 334; BGH ZIP 1983, 193) zugelassene Befugnis des Insolvenzverwalters zur Veräußerung einer GmbH & Co KG sowie Komplementär-GmbH mit der den Familiennamen eines Gesellschafters enthaltenden Firma. 4. Auch Namensteile, Firmenbestandteile, aus einem Namen abgeleitete Kürzungen sowie besondere Geschäftsbezeichnungen können Namensschutz nach § 12 genießen, wenn sie Unterscheidungskraft (individualisierende Wirkung) haben und nicht nur die gattungsmäßige Zugehörigkeit des Unternehmens kennzeichnen (RG 171, 30, 32f; 171, 147, 154; BGH 4, 169; 11, 215; 43, 245; 21, 69; 21, 89; NJW 1970, 12; LM 16 zu § 12; NJW 1959, 2209 – Verwendung eines frei gewählten, nicht eingetragenen Firmenbestandteils als Firmenschlagwort beim Einzelkaufmann; dazu Harmsen MDR 1960, 281). Dabei schützt die Rspr Bezeichnungen wie „Commerzbank“ wegen ihrer hohen Verkehrsgeltung auch bei nur mittelbarer Branchennähe des Verletzers (BGH WM 1988, 429f; 1989, 1584; Hamburg WM 1991, 648; Frankfurt WM 1991, 651; anders aber München WM 1993, 38 zum Verhältnis zur Baubranche); ähnlich zur Verletzung des Namensrechts einer GmbH durch Benutzung eines Firmenbestandteils als Warenzeichen BGH MDR 1969, 449. Branchennähe des Verletzers ist auch ggü einer berühmten Marke nicht gegeben, wenn sich der Verletzer auf einem entlegenen oder eng begrenzten Marktsegment betätigt (Frankfurt WM 1994, 1259 – Boss; München MDR 1995, 817 – fast food und T-Shirts). Zur Verwechslungsgefahr zw einem Firmenkennwort und einem Warenzeichen Hamm ZIP 1981, 1320 – Volksbank; Frankfurt GRUR 1989, 288 – „help“ bei übereinstimmenden Familiennamen in der Firma; BGH NJW 1993, 2236 bei Unterscheidung lediglich durch Vornamen; Frankfurt DZWIR 1993, 166 – Ferrari. Zu den Anforderungen für die Behandlung bloßer Buchstabenzusammenstellungen als Name s BGH 43, 245, 252; NJW-RR 2009, 327 – „HM & A“ lässt bei Artikulierbarkeit und Akzeptanz im Geschäftsverkehr namensrechtlichen Schutz gem §§ 17, 18 HGB zu; Frankfurt OLG 1989, 108 – DBB; zur Schutzfähigkeit einer Buchstabenkombination als Bestandteil eines Vereinsnamens Düsseldorf MMR 2012, 563. Gleiches gilt für Firmenschlagworte und besondere Geschäftsbezeichnungen, die weder gleichzeitig Bestandteil des ungekürzten Firmennamens sind noch eigentümlichen und unterscheidenden Charakter haben, wenn sie Verkehrsgeltung in dem Sinne erworben haben, dass jedenfalls ein nicht unbeträchtlicher Teil des Verkehrs sie als Hinw auf ein bestimmtes Unternehmen und damit als dessen Namen (nicht nur als Kennzeichnung der Herkunft bestimmter Waren) ansieht (BGH 15, 107, 109f = JZ 1955, 332 mit Anm Bußmann; 21, 89; LM 22 zu § 12; 43, 245, 252); allerdings muss die Bezeichnung einen ausreichenden Grad an individualisierender Gestaltung aufweisen (Bremen WRP 1999, 215), so dass ein bloß produktbeschreibender Firmenbestandteil ohne Verkehrsgeltung nicht genügt (BGH NJW 2005, 1503 – Literaturhaus; GRUR 2009, 317 – Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V.; München CR 1999, 595); zurückhaltend für den Fall, dass ein gattungsmäßig bezeichnetes Produkt nur von einem einzigen Unternehmen am Ort geführt wird, BGH NJW-RR 1990, 1192. Betriebsteile sind schutzwürdig iSd § 12, wenn sie abgrenzbar und abgegrenzt sind (KG NJW 1988, 2892, 2893). Auch Gebäudenamen können im Einzelfall schutzwürdig sein (BGH NJW 1988, 2892, 2893 – Hotel „Esplanade“). Zum Schutz eines Namensteiles eines Vereins vgl BGH NJW 1970, 1270 sowie Bremen MDR 1984, 842 – Gattungsbezeichnung „Graue Panther“ im Vereinsnamen kann durch Verkehrsgeltung eine den Benutzer individualisierende Namensfunktion erlangen. 5. Ein Namensschutz nach § 12 ist auch für die Domainadresse im Internet möglich (BGH NJW 2002, 2031 – shell.de; NJW 2002, 2096 – vossius.de; NJW 2003, 2978 – maxem.de, bestätigt durch BVerfG NJW 2007, 671; BGH NJW 2005, 1196 – mho.de; NJW 2007, 682 – solingen.info). Für diese kann auch wettbewerbsrechtlicher Schutz unter den Gesichtspunkten des § 4 UWG und der §§ 5, 15 MarkenG in Anspruch genommen werden (dazu BGH NJW 2002, 2031 – shell.de; zu „Tippfehler-Domains“ BGH NJW 2014, 1534 – wetteronlin.de). Freilich kann die Verwendung einer Domainadresse auch ihrerseits als wettbewerbswidrige Handlung angegriffen werden, allerdings nicht generell, sondern nur, wenn darin eine irreführende Alleinstellungsbehauptung liegt 12

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§ 12

(BGH 148, 1 – Mitwohnzentrale; dazu auch Renck WRP 2000, 264; Jäger-Lenz CR 2001, 780; BGH NJW 2003, 504f – www.presserecht.de; hierzu Hansen ZGS 2003, 213ff). Auch kann die Verwendung einer Internet-Domain, die nicht lediglich beschreibender Natur ist (dazu LG München MMR 2001, 545), sondern einen fremden Namen benutzt, hierdurch gegen § 12 verstoßen (LG Berlin MMR 2001, 630 – TOTAL FINA 11 Deutschland; s auch LG Hannover NJW-RR 2001, 1620 für die Nutzung der Internet-Adresse „verteidigungsministerium.de“ für Anleitungen zur Wehrdienstverweigerung; ferner KG NJW-RR 2013, 1452, 1453 zur Verwendung der Domain „berlin.com“); zum Schutz einer Unternehmens-Domain Ullrich WM 2001, 1129. Allerdings geht der markenrechtliche Schutz in seinem Anwendungsbereich dem Namensschutz aus § 12 vor (BGH NJW 2002, 2031 – shell.de; NJW 2002, 2096 – vossius.de; NJW 2005, 1196 – mho.de). Demnach findet § 12 grds keine Anwendung, wenn beide Parteien im geschäftlichen Verkehr handeln (anders aber wenn wegen Branchenferne kein markenrechtlicher Schutz gegeben ist, BGH NJW 2005, 1196 – mho.de). Der Namensschutz aus § 12 bleibt aber insoweit neben dem Kennzeichenschutz anwendbar, als die Löschung der Domain begehrt wird (BGH MDR 2012, 330 – Basler HaarKosmetik; Hamm MMR 2013, 791, 793, m Anm Albrecht; Frankfurt WRP 2017, 240; vgl auch BGH GRUR 2016, 810, 811 – profitbricks.es). Die private Verwendung einer Internet-Domain kann Namensrechte verletzen, weil aufgrund der Einmaligkeit jeder second level-Domain unter einer top level-Domain (zu diesem Verhältnis bereits Köln NJW-RR 1999, 622; MüKo/Heine Rn 228ff) dem Namensträger die Möglichkeit genommen wird, InternetNutzer auf einfache Weise über sein Unternehmen zu informieren. Dabei weist ein Unternehmen mit regionalem Wirkungskreis mit seinem Internetauftritt nicht notwendig darauf hin, dass es nunmehr bundesweit agieren möchte (BGH NJW 2005, 1198 – soco.de). Im geschäftlichen Verkehr kann der Verletzer durch eine Unterwerfungserklärung, die die Wiederholungsgefahr beseitigt, eine weitere Inanspruchnahme abwenden (BGH WRP 1996, 199). Gegen die Verwendung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs greift der Namensschutz allerdings nur insoweit, als davon geschäftliche Beeinträchtigungen zu besorgen sind, wie es bei der Nutzung, und zwar schon durch die Registrierung (für die markenrechtliche Lage anders Karlsruhe MMR 2002, 118; Frankfurt MMR 2010, 831) des geschützten Namens als Domainname geschieht (BGH NJW 2002, 2031 – shell.de; NJW 2003, 2978 – maxem.de; LG Köln GRUR-RS 2016, 14565 – fc.de; zur Benutzung im geschäftlichen Verkehr BGH GRUR 2016, 810 – profitbricks.es). Dies gilt jedoch nicht, wenn das Namensrecht des Berechtigten erst nach der Registrierung durch den Nichtberechtigten entsteht (BGH NJW 2008, 3716 – afilias.de), ferner nicht, wenn der Berechtigte infolge einer eigenen Registrierung nicht schutzwürdig ist (Köln GRUR-RR 2010, 477 – dsds-news.de m Anm Gründig-Schnelle GRUR-Prax 2010, 220). Wenn auch grds unter Gleichnamigen vom Prioritätsprinzip (hierzu BGH NJW 2005, 1196 – mho.de) auszugehen ist, muss bei überragender Bekanntheit eines der Namen uU eine Person gleichen Namens trotz früherer Registrierung weichen. Ein besonders kennzeichnungskräftiger Vorname kann jedoch einem Nachnamen vorgehen (BGH NJW 2009, 1756 – raule.de). Zur Wahrung der Priorität genügt die Domainregistrierung durch einen Treuhänder in eigenem Namen, wenn Gleichnamige einfach und zuverlässig überprüfen können, dass die Registrierung im Auftrag eines anderen erfolgt ist (BGH NJW 2007, 2633 – grundke.de; fortgeführt durch BGH GRUR 2016, 1093 – grit-lehmann.de). Ähnlich kann ein inl Unternehmen beanspruchen, in dem Deutschland zugeordneten Teil des Internet mit einer seinem Kennzeichen entspr Domain aufzutreten und muss sich nicht auf andere, nicht allein Deutschland zugeordnete Domains verweisen lassen (Düsseldorf WRP 1999, 343). Wenn die Domainadresse namensmäßig zusammengesetzt ist, kommt ihr nicht nur Registrierungs-, sondern auch Kennzeichnungsfunktion zu, so dass gegen eine Namensanmaßung wie gegen eine Namensleugnung aus § 12 vorgegangen werden kann (München GRUR 2000, 519 – rollsroyce.de; s auch Düsseldorf aaO; Hamburg AfP 2001, 219; Hamm MMR 2016, 691 – polizei-jugend-schutz.de), ohne dass sich der Verletzer auf § 23 MarkenG berufen kann (zu den Zusammenhängen Nägele WRP 2002, 238ff). Auch bei Gleichnamigkeit hat der die Kennzeichnungskraft einer fremden Marke für seinen Auftritt im Internet Nutzende das Erforderliche und Zumutbare zu tun, um Verwechslungen zu vermeiden (Hamburg aaO). Die für die Namensfunktion erforderliche Individualisierungskraft kann auch einer Gattungsbezeichnung zukommen (BGH 148, 1 – Mitwohnzentrale; Übersicht über die Rspr bei Ernst MMR 2001, 368), jedoch nicht der Bezeichnung eines Vereins als „Literaturhaus“ (BGH NJW 2005, 1503; s ferner KG NJOZ 2013, 1294 zur mangelnden Unterscheidungskraft der Bezeichnung „Palästinensische Ärzte- und Apothekervereinigung Deutschland eV“; aA München NJW 2002, 611); anders für die Verwendung eines Pseudonyms LG Düsseldorf ITRB 2002, 4; weitergehend für die Bezeichnung „Herstellerkatalog“ LG Stuttgart MMR 2001, 768, wobei die Verwendung in der Domain Namens- und Kennzeichnungsschutz begründet (so auch die Verwendung einer bekannten Biermarke in der Domain einer Textilfabrik, Hamm MMR 2001, 749; anders für ein englischsprachiges Firmenschlagwort Köln MMR 2002, 125). In der Registrierung eines Gattungsbegriffs als Domainnamen liegt idR keine sittenwidrige Schädigung nach § 826. Dies gilt auch, wenn es naheliegt, dass ein Unternehmen diesen Domainnamen für seinen Internetauftritt verwenden könnte (BGH NJW 2005, 2315 – weltonline.de). Die Bezeichnung „Deutschland“ in einer Domain genügt, um die Bundesrepublik zu kennzeichnen (LG Berlin MMR 2001, 57). Geschützt ist auch das Namensrecht von Gebietskörperschaften vor unberechtigter Benutzung als Domain (BGH NJW 2006, 146 – segnitz.de; NJW 2007, 682 – solingen.info). Zur Benutzung von Gebietsbezeichnungen in Domainadressen vgl auch Schmittmann K&R 1999, 510; Jäger K&R 2000, 304; München CR 2002, 56 m Anm Hoeren EWiR 2001, 847. Auch bei der Nutzung und dem Schutz von Internet-Adressen müssen die Voraussetzungen der Rechtswidrigkeit vorliegen (Rn 26) und bei der Bestimmung der Rechtsfolgen stellen sich besondere Fragen hins der Störer-Eigenschaft (Rn 34). Zur Übertragung von Domain-Namensrechten Schließ ZVM 1999, 307; zur Übertragbarkeit und Pfändbarkeit BGH NJW 2005, 3353; LG Düsseldorf CR 2001, 468; Lwowski-Dahm WM 2001, 1135; weitergehend zur Drittschuldnereigenschaft der DENIC Stadler MMR 2007, 71. Saenger

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6. Warenbezeichnungen (zur Unterscheidung eigener von fremder Ware) genießen als solche keinen Namensschutz, somit auch nicht der Titel einer Sendefolge eines Senders (BGM MDR 1995, 1962; krit zum verbreitet bejahten Titelschutz für Softwareprodukte Zahrnt BB 1996, 1570). Anderes gilt jedoch für eine Bezeichnung, die zunächst nur als Warenkennzeichnung diente, vom Verkehr aber nach gewisser Zeit als Bezeichnung des Unternehmens selbst gewertet und von dem Unternehmen als besondere Geschäftsbezeichnung übernommen wird (dazu BGH NJW 1956, 1713; s auch BGH NJW 1983, 1184 – „Uwe“). Zahlen haben regelmäßig keine Namensfunktion (BGH 8, 389 betreffend eine Telefonnummer). Doch kann in besonders gelagerten Fällen auch eine Zahl als Unternehmensbezeichnung mit überragender Verkehrsgeltung namensrechtlich nach § 12 geschützt sein (etwa „4711“, BGH MDR 1990, 793; dazu Hefermehl FS Hueck, 1959, 526; zu Vanity-Rufnummern, also der Buchstabenwahl, vgl MüKo/Säcker Rn 33). Bildzeichen und bloße Farbkombinationen haben ebenfalls grds keine Namensfunktion. Anderes gilt möglicherweise für Bildzeichen, die auch durch Worte ausgedrückt werden können (RG 171, 147 – Salamander; BGH GRUR 1957, 281 – Karo-As; GRUR 1957, 287 – Zwillingszeichen eines unter diesem Zeichen bekannten Unternehmens der Schneidwarenindustrie; GRUR 1958, 393 – Ankerzeichen; weitergehend erkennt BGH NJW 1994, 2820 für das Deutsche Rote Kreuz das Wahrzeichen in entspr Anwendung des § 12 als schutzfähig an). Wer einen Namen aus beschreibenden Bestandteilen gebildet hat, die einer besonderen Kennzeichnungskraft ermangeln, kann Ansprüche aus § 12 nur geltend machen, wenn sein Name Unterscheidungskraft gewonnen hat und nach allg Verkehrsauffassung für ihn gleichsam zum Begriff geworden ist (BGH LM 3 zu § 12). 7. Als Bezeichnungen von Körperschaften des öffentlichen Rechts sind auch Orts-, Kreis- und Ländernamen nach § 12 geschützt (BGH NJW 1963, 2267; zum Schutz geographischer Zeichenbestandteile von Rundfunkanstalten Karlsruhe NJW-RR 1989, 167; 1993, 620 – Südwestfunk). Führt eine Gebietskörperschaft, die die Eigenschaft einer „Stadt“ hat oder „Landeshauptstadt“ ist, neben der rein geographischen Bezeichnung den Zusatz „Stadt“ bzw „Landeshauptstadt“, gilt iSd § 12 die Gesamtbezeichnung (geographische Bezeichnung und Zusatz) als Name der Stadt (vgl Düsseldorf DB 1963, 1391); Gleiches gilt für „Universitätsstadt“. Selbständigen Namensschutz genießt regelmäßig aber als Teil des Namens auch die rein geographische Bezeichnung ohne den Zusatz, sofern sie nur für sich allein geeignet ist, auf die konkrete Gebietskörperschaft als jur Pers des öffentlichen Rechts hinzuweisen und sie von anderen Personen gleicher Art deutlich zu unterscheiden (BGH NJW 1963, 2267; KG NJW-RR 2013, 1452, 1453: Namensrechte der Gebietskörperschaft Berlin; KG GRUR-RR 2013, 490, 492: Namensrechte des Staates Aserbaidschan als Gebietskörperschaft). Geschützt sind ggf auch Bezeichnungen wie Stadttheater, Stadtapotheke, Kreisblatt, so dass einem Privatmann für seinen Betrieb der Gebrauch dieser Bezeichnungen untersagt werden kann (RG 101, 169ff; JW 1927, 117). Nicht hierher gehören Bezeichnungen, bei denen jede Beziehung zur politischen Körperschaft fehlt, wie Stadtkeller, Ratskeller, Stadtkapelle, evtl auch Stadtküchen (RG 101, 171). Namensschutz genießen Gebietskörperschaften auch im Verhältnis zu anderen Trägern hoheitlicher Gewalt oder Körperschaften, die nach Verwaltungsgrundsätzen öffentlichen Aufgaben dienen. Dabei findet ein öffentlich-rechtl Namensschutz analog § 12 statt, wenn der Name unbefugt bestr wird (so zum Anspruch einer Gemeinde, bei der Bahnhofsbezeichnung nicht einen unrichtigen Gemeindenamen zu verwenden (BVerwG NJW 1974, 1207; OVG Lüneburg DVBl 1971, 515; Pappermann JuS 1976, 305, 307). Wenn der das Namensrecht Bestreitende hoheitlich handelt, ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben, in dessen Rahmen dann anstelle des § 12 der allg Ordnungsgrundsatz der Richtigkeit, Bestimmtheit und Klarheit des Verwaltungshandelns tritt (BVerwG aaO). Zur Behandlung der Namen von Gebietskörperschaften in Internet-Domains Rn 15. 8. Als neben dem Namensrecht bestehendes selbständiges Persönlichkeitsrecht ist kraft Gewohnheit das Recht auf den Gebrauch eines Wappens anerkannt; es gelten die zu § 12 entwickelten Grundsätze entspr (vgl NK/Koos Rn 118ff; Soergel/Heinrich Rn 154, 155). Auch das Wappen einer Gemeinde ist durch § 12 geschützt (BGH NJW-RR 2002, 1401f; Schleswig SchlHA 1972, 168). Ebenso genießt das Signum einer politischen Partei den Schutz des § 12; wird es auf einem zur Propaganda gegen sie bestimmten Plakat in einer Weise verwandt, die das Plakat im ersten Anschein als eines dieser Partei erscheinen lässt, kann die Partei aufgrund ihres Namensrechts dagegen vorgehen (Karlsruhe NJW 1972, 1810). Auch die Benennung eines Gebäudes oder eines Landguts ist namensrechtlich schutzwürdig, wenn ein objektiv berechtigtes Interesse an der Benennung besteht und die Bezeichnung im Zeitpunkt der Benutzungsaufnahme im allg Sprachgebrauch des maßgeblichen Verkehrs üblich war (BGH GRUR 2012, 534 – Landgut Borsig; BGH MMR 2016, 616 – Landgut A. Borsig; zum Namensschutz von Gebäuden schon BGH MDR 1976, 998 – Sternhaus). 9. In zeitlicher Hinsicht endet das Namensrecht mit dem Tod seines Trägers (BGH NJW 2007, 648; aA Schack JZ 1990, 41; näher dazu Sack WRP 1982, 615), genießt aber gem § 823 I bei Eingriffen in das APR postmortalen Schutz. In der Verwendung des Familiennamens eines Verstorbenen unter Hinzufügung seines Vornamens kann aber ein Gebrauch des Namens der Witwe (oder anderer naher Angehöriger) liegen (BGH 8, 318; Stuttgart NJW-RR 1997, 603). Angehörige eines im Kriege Vermissten können jedoch weder aus dem Gesichtspunkt des § 12 noch unter Berufung auf ein APR verhindern, dass der Name des Vermissten in eine von dessen Heimatgemeinde öffentlich aufzustellende Ehrengedenktafel aufgenommen wird und die Familienangehörigen anderer, vom gleichen Schicksal betroffener Soldaten sich Nachbildungen dieser Tafel anfertigen lassen (BGH NJW 1959, 525, s aber auch Rn 12); ebenso im Grundsatz auch, wenn der Betrieb aufgelöst wird und der Name zum Gebäudenamen geworden ist (BGH NJW 1988, 2892 – Hotel „Esplanade“). III. Verletzungshandlung. 1. Für ein Bestreiten genügt die Vornahme von Handlungen, die zu dem Namensrecht im Widerspruch stehen, zB Beilegung eines anderen Namens. Nicht erforderlich ist ein Bestreiten ggü dem 14

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§ 12

Berechtigten selbst; ausreichend ist das Bestreiten ggü einem Dritten oder einer Behörde. Das Bestreiten muss, da die Klage aus § 12 auf Beseitigung der Beeinträchtigung geht, derart sein, dass sie zu einer Beeinträchtigung führt, Staud/Habermann Rn 263. 2. Unbefugter Namensgebrauch durch einen anderen liegt vor, wenn der Name des berechtigten Namensträgers 21 (ganz, teilw oder mit geringen Abweichungen oder Ergänzungen; vgl RG JW 1938, 858; BGH 8, 320; LM 21 zu § 12) von einem anderen, dem der Name nicht zukommt, als sein (Unterscheidungs-)Merkmal benutzt (RG 91, 350, 352) und hierdurch das Interesse des Berechtigten verletzt wird. a) Ein Namensgebrauch liegt nicht schon bei der Verwendung eines Firmenaufklebers auf einem Kfz vor (Hamm 22 NJW-RR 1988, 1384), auch nicht bei Einkleidung mit einer veränderten Markenware seitens einer Privatperson (BGH NJW 1998, 2045). Allg geht es dabei nicht um Verhalten im geschäftlichen Wettbewerb. Da § 12 den Namen auch als individualisierende Kennzeichnung versteht (vgl Rn 1), kann eine Verletzung des Namensrechts vorliegen, wenn der berechtigte Namensträger dadurch, dass ein anderer seinen Namen gebraucht, in Beziehung zu bestimmten Einrichtungen, Gütern oder Erzeugnissen gebracht wird, mit denen er nichts zu tun hat (BGH NJW 1963, 2267; 1980, 280; LG Düsseldorf 10.4.2013 – 2a O 235/12). Entspr gilt bei Benutzung des Namens einer Gebietskörperschaft in Anzeigen, wenn der falsche Eindruck einer erteilten Verwendungserlaubnis entsteht (BGH GRUR 2006, 957 – Stadt Geldern). Die Voraussetzungen des § 12 können also gegeben sein, wenn jemand unbefugt den Namen eines anderen zur Bezeichnung seines Geschäfts (BGH LM 22 zu § 12 – Etablissementbezeichnung), zur Kennzeichnung seiner Waren oder als Warenzeichen (RG 74, 308, 311 – Zeppelin; RG 100, 186 – Gervais; BGH LM 21 zu § 12 – Lego; BGH BB 1969, 1410) oder auf Schildern (RG 108, 232) verwendet. Es genügt möglicherweise auch, dass in schriftstellerischen Erzeugnissen einer vom Schriftsteller frei erfundenen Person der Name einer anderen Person (ganz oder gekürzt) beigelegt und der Eindruck erweckt wird, die dargestellte Person sei mit dem Träger dieses Namens identisch (RG HRR 38, 1583; Staud/Habermann Rn 281). Auch die Registrierung einer Domain ist Namensgebrauch (BGH NJW 2002, 2031 – shell.de), ebenso das Einstellen eines natürlichen Namens als Metablog in den Quellcode einer Website (München NJW-RR 2012, 947). Hingegen stellt ein sog „framing“, also das Einbinden einer fremden Internetadresse über einen Link, der zum Öffnen der Seite auf der eigenen Seite eines Domain-Inhabers führt, jedenfalls dann keinen unzulässigen Namensgebrauch dar, wenn auf die Quelle ausdr hingewiesen wird (Celle NJW-RR 2012, 1325, 1326). Auch in der Anmeldung einer Wortmarke kann eine unbefugte Namensanmaßung zu sehen sein, wenn hierdurch eine Zuordnungsverwirrung ausgelöst wird (Düsseldorf GRUR-RR 2013, 384). § 12 ist jedoch nicht anwendbar, wenn es sich nicht um eine fingierte Person handelt und ohne Erweckung ei- 23 nes Identitätsirrtums von dem berechtigten Namensträger oder über ihn etwas Unrichtiges ausgesagt wird (Staud/Habermann Rn 281, 346; Hubmann JZ 1957, 521, 525; BGH NJW 1959, 525). Auch kommt eine unbefugte Benutzung nur in Betracht, wenn der Name selbst genannt wird, wobei der Eindruck genügt, als habe der Namensträger die Benutzung gestattet (BGH MDR 1995, 170). Dagegen gewährt LG München NJW-RR 2002, 617 Namensschutz auch, wenn die betreffende Person, ohne dass ihr Name ausdr genannt wird, von einem Teil des Adressatenkreises aus den Umständen identifiziert werden kann. Keinen unbefugten Gebrauch eines fremden Namens macht der Kunsthändler, der ein gefälschtes Kunstwerk mit dem Namen eines berühmten Künstlers anbietet; gegen § 12 verstößt der Fälscher (BGH NJW 1988, 339, 340). Auch genügt für § 12 nicht, dass im Zusammenhang mit einer Werbung der Name eines anderen genannt wird, wenn die Art des Hinw auf die Person die Annahme ausschließt, die angepriesenen Leistungen oder Erzeugnisse seien dem Genannten zuzurechnen oder sollten unter seinem Namen in Erscheinung treten (BGH 30, 7; NJW 1983, 1185 – Uwe). Der Verkehr muss außerhalb der bloßen Namensgleichheit Anlass haben, eine Beziehung zw dem Gebrauchenden und dem wahren Namensträger herzustellen. Der Schutz des § 12 wird nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass ein verwendeter Nachname häufig vorkommt, auch wenn die Häufigkeit ein Kriterium für den Schutzumfang der Namensbezeichnung darstellt (BGH NJW 2008, 2923 – Hansen-Bau). Zum unbefugten Namensgebrauch durch einen Namensdoppelgänger s Pietzko AfP 1988, 209, 212f, zur Doppelgängerwerbung in satirischer Form LG Düsseldorf AfP 2002, 64. Das Unbefugte eines konkreten Gebrauchs ist nicht so leicht festzustellen wie die Verwechslungsgefahr bei Gebrauch fremder Kennzeichen im wirtschaftlichen Wettbewerb. So kann Namensschutz bei Gefahr einer Identitätsverwirrung durch den Namensgebrauch eingreifen, doch wird bei „unernstem“ Gebrauch gelegentlich (so bei Scherzartikel mit dem Wort „Lusthansa“ Frankfurt NJW 1982, 648; anders bei T-Shirts Karlsruhe NJW-RR 1986, 585) eine Namensanmaßung verneint, auch ist uU das Grundrecht der Meinungsfreiheit zu beachten (s BGH 143, 199 mit Anm Kübler JZ 2000, 622; BVerfG NJW 1998, 1386; BGH ZIP 1993, 1801). Neben dem Verstoß gegen § 12 kann es sich stets auch um einen Eingriff ins Persönlichkeitsrecht handeln. Der Schutz des mit dem Namen verbundenen Identitätsinteresses wird in diesem Zusammenhang häufig zu weit zurückgedrängt, indem die Wirkung satirisch verfremdeter Verwendungen unterschätzt oder mit Rücksicht auf falsch verstandene Äußerungsfreiheit vernachlässigt wird (BGH NJW 1984, 1956 – Marlboro – Mordoro; zust aber Hubmann JZ 1984, 942). Str, ob es für Verstoß gegen § 12 genügt, wenn einer Person oder Sache der Name eines anderen beigelegt wird, um diesen lächerlich zu machen oder als Konkurrenten auszuschalten (dafür RG HRR 1939, 566; anders Staud/Habermann Rn 284ff). Stets hat eine Interessenabwägung stattzufinden; zu den dabei berücksichtigungsfähigen Belangen Rn 27. Zum Entfallen des Schutzes bei Gestattung des Namensgebrauchs s auch Rn 32. Der durch die Gestattung Berechtigte erwirbt zwar nicht die Priorität der Kennzeichnung seines Vertragspartners, kann sich aber (in entspr Anwendung des § 986 I 2) gegen den Angriff eines Dritten auf diese berufen (BGH MDR 1993, 1071; Stuttgart ZIP 1994, 1553). Saenger

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Eine Gewerkschaft, deren Namensabkürzung Verkehrsgeltung erlangt hat, kann in ihrem Interesse dadurch verletzt werden, dass sie durch den Gebrauch derselben Namensabkürzung seitens einer politischen Partei zu dieser in Beziehung gebracht wird. Eine politische Partei genießt namensrechtlich zumindest dann keine Vorzugsstellung, wenn sie bereits im Gründungsstadium wegen der Wahl der Namensabkürzung verwarnt worden ist (BGH 43, 245 = JZ 1965, 524 m Anm v Münch). Darüber hinaus will LG Bremen NJW 1989, 1864 allein dem Adjektiv „republikanisch“ im Namen einer politischen Partei ebenso wie dem Begriff „demokratisch“ keine Unterscheidungskraft zubilligen. Unbefugter Namensgebrauch kann auch vorliegen bei der Bezeichnung eines anderen mit dem Namen eines Dritten; so wenn eine Mutter, die mit dem Erzeuger des Kindes nicht verheiratet ist oder war, das Kind unter dem Namen des Erzeugers auftreten lässt und damit den Schein der Zugehörigkeit zu dessen Familie erweckt (RG 108, 233); wenn ein Ehemann seine Freundin allg als seine Ehefrau bezeichnet oder mit dem Namen seiner Ehefrau in das Fremdenbuch eines Hotels einträgt (Soergel/Heinrich Rn 174; aA RG 108, 233). b) Der Begriff „unbefugt“ in § 12 besagt dasselbe wie das Wort „widerrechtlich“ in § 229. Widerrechtlich ist die Reservierung und Nutzung in Behinderungsabsicht (Domain-Grabbing, OGH Wien K&R 2002, 52; Karlsruhe MMR 2002, 118), desgl die Reservierung einer Domain in der Absicht, von dem Namensträger ein Entgelt für die Freigabe zu verlangen (Frankfurt MMR 2001, 696; Hamburg WRP 2010, 298; ebenso BGH NJW 2009, 2388 – ahd.d“, freilich nur bei Behinderungsabsicht). Der Gebrauch eines fremden Namens kann nach Art 5 GG gerechtfertigt sein (so BGH NJW 1980, 280 für die Wiedergabe eines namensrechtlich geschützten Emblems einer Zeitung am Kopf eines Artikels in einer anderen Zeitung, der sich mit einem Aufsatz in der das Emblem führenden Zeitung auseinandersetzt). Unbefugt kann der Gebrauch des Namens eines anderen auch dann sein, wenn rein namensrechtlich keine Bedenken bestehen würden, der Name aber im geschäftlichen Verkehr benutzt wird und Verwechslungen mit einem Gleichnamigen zu besorgen sind (dazu Siebert BB 1959, 643f, vgl auch BGH NJW 1968, 349, s aber auch BGH NJW 1983, 1184 – Uwe; ferner zum Wirkungsbereich eines Domaininhabers BGH NJW 2005, 1198 – soco.de); dies gilt auch bei Rufausbeutung des Namens eines berühmten Herstellers (selbst bei Unterschiedlichkeit der Vornamen) in einer ganz anderen Branche (Frankfurt DZWir 1993, 166 – Ferrari). Bei Gleichnamigen muss uU derjenige, der den Namen später erworben hat, seinem Firmennamen einen unterscheidungskräftigen Zusatz anfügen (vgl Siebert aaO); zur Rechtslage bei Domainadressen Rn 15. Möglicherweise ist aber auch dem älteren Benutzer des Namens zumutbar, seinerseits zur Eindämmung der Verwechslungsgefahr beizutragen (vgl Hefermehl FS Hueck, 532); jedenfalls kann nicht immer von einer Nachrangigkeit der zeitlich später aufgekommenen Bezeichnung ausgegangen werden (Köln NJW 1984, 1358 – Farina; BGH ZIP 1991, 465 für langjährige Duldung der Bezeichnung „Johanniter“ für ein alkoholisches Getränk). Bei frei gewählten Buchstabenabkürzungen als „Namen“ kommt es darauf an, ob die Verkehrsgeltung bereits bestand, als der Gegner eine verwechslungsfähige Bezeichnung wählte (BGH 43, 245, 255). Die Verhältnisse können auch so liegen, dass sämtliche Gleichnamigen die Pflicht zur Abgrenzung durch Zusätze haben (BGH NJW 1954, 1681; BGH 14, 155, 159; GRUR 1960, 33, 36; DB 1985, 1935). Vielfach lässt sich jedoch bei Gleichnamigen auch durch Zusätze die Verwechslungsgefahr nicht ganz beseitigen; ein gewisser Rest wird daher uU in Kauf genommen werden müssen (RG 170, 270; BGH 4, 105; Siebert aaO; Hefermehl aaO). Auch außerhalb des geschäftlichen Verkehrs kann sich in ganz besonders gelagerten Fällen aus § 12 mit Rücksicht auf eine Verwechslungsgefahr die Pflicht zur Zurückhaltung bei dem Gebrauch des eigenen vollen Namens ergeben (BGH 29, 256, 263f). Neue Unternehmen müssen bei der Wahl des Firmennamens auch auf bestehende abgekürzte Bezeichnungen und Firmenschlagworte, soweit diese den Schutz des § 12 genießen (vgl Rn 14, 15), Rücksicht nehmen, und selbst dann, wenn es sich um ein dem gewöhnlichen Sprachschatz entnommenes alltägliches Wort handelt, Abstand wahren, um eine Verwechslungsgefahr auszuschalten (BGH NJW-RR 1988, 95). Kein Namensmissbrauch liegt beim Gebrauch eines ursprünglichen Familiennamens vor, der zur Beschaffenheitsangabe geworden ist (RG 69, 310; 100, 187), sowie beim Gebrauch eines Namens zur Bezeichnung einer typischen Figur ohne Beziehung zu einem bestimmten Menschen (KG JW 1921, 1551). c) Als Interesse des Berechtigten genügt idR jedes verständliche persönliche und vermögensrechtliche Interesse, auch das ideelle und das Affektionsinteresse (RG 74, 311; 114, 93; BGH 8, 322f; 43, 245, 255; NJW 1965, 861; WM 1985, 95; Sack WRP 1984, 521; Hefermehl FS Hueck, 553). Bei der Frage der Verletzung eines Interesses ist danach nicht nur auf die im Gebiet des Wettbewerbsrechts maßgebliche Verwechslungsgefahr abzustellen. Es reicht aus, dass der berechtigte Namensträger durch den unbefugten Gebrauch des Namens (oder der Abkürzung) seitens des anderen mit diesem anderen in irgendeine Beziehung gebracht wird, etwa falscher Schein einer Familienzugehörigkeit, der allerdings nicht entsteht, wenn bei den angesprochenen Verkehrskreisen Assoziationen an einen anderen Träger des nur mit normaler Kennzeichnungskraft ausgestatteten Namens nicht geweckt werden (München MDR 1996, 1033 – v Frankenberg). Auch kommt der Schutz nicht allen Familienangehörigen dieses Namens zugute (BGH 43, 245, 254). Die Schutzwürdigkeit kann richtig nur beurteilt werden, wenn auch entgegengesetzte Belange Berücksichtigung finden und beim Widerstreit abgewogen wird, welches Interesse größere Beachtung verdient und daher vorgehen muss (RG JW 1939, 153, 154; BGH LM 21 zu § 12). Düsseldorf NJW-RR 1990, 293 hat eine Verletzung des Namensrechts und des APR verneint, wenn bei der Lieferung von Waren auf den Frachtbriefen wahrheitswidrig der Firmenname eines Dritten als Absender angegeben wird, um aus Furcht vor dem Boykott arabischer Länder Lieferungen nach Israel nicht in Erscheinung treten zu lassen – kaum analogiefähige Ausnahmesituation. Für die Frage, ob berechtigte Interessen eines Namensträgers dadurch verletzt sind, dass ein anderer unbefugt den gleichen Namen gebraucht, ist die Priorität von entscheidender Be16

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Natürliche Personen, Verbraucher, Unternehmer

§ 12

deutung (vgl BGH NJW-RR 1988, 95, wonach der „Jüngere“ alles ihm Mögliche gegen die Verwechslungsgefahr tun muss); zur längeren Nichtbeanstandung s Rn 35. Ist der Tätigkeitsbereich des Unternehmens, um dessen Namensschutz es sich handelt, auf einen bestimmten Wirtschaftsraum beschränkt und daher auch die Kennzeichnungskraft seiner Bezeichnung raumgebunden, geht die Schutzwirkung des § 12 nicht über diesen Raum hinaus (BGH LM 16, 17 zu § 12 – Gaststättenbezeichnung). Anderes gilt jedoch, wenn das Unternehmen darauf angelegt ist, nach Art eines Filialbetriebes Gaststätten in den verschiedensten, über das gesamte Bundesgebiet verstreut liegenden Plätzen zu betreiben, und den Umständen nach mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass es diese Absicht verwirklichen wird (BGH LM 16 zu § 12 – Tabu – Wirtschaftsbetriebe; einschränkend BGH DZWIR 1994, 243). Auf § 12 wird seit BGH 28, 328 auch der Rechtsschutz berühmter Marken (mit Namensfunktion) gegen Verwässerungsgefahr gestützt. Es handelt sich dabei um den Schutz eines über die Abnehmerkreise hinaus allg bekannten Kennzeichens (mit Namensfunktion) gegen Beeinträchtigung der auf der Einmaligkeit beruhenden starken Werbewirkung. Schutzwürdigkeit wird in solchen Fällen auch angenommen, wenn wegen völliger Branchenverschiedenheit die Gefahr einer Täuschung des Publikums an und für sich ausscheidet, durch die Benutzung gleicher oder ähnlicher Zeichen aber in die Alleinstellung des bekannten Kennzeichens eingebrochen wird (BGH 19, 23, 27; vgl auch 15, 107 = JZ 1955, 332 m Anm Bußmann = JR 1955, 219 m Anm Reimer; NJW 1956, 1713 – Meisterbrand; NJW 1966, 343 – Kupferberg; Hamburg WRP 1986, 409 – Underberg “; BGH WM 1988, 429; 1989, 1584; Hamburg WM 1991, 648; Frankfurt WM 1991, 651 – Commerzbank; zu „shell“ und „rollsroyce“ als Domainadresse vgl Rn 15). Zu berücksichtigen ist auch, ob das die Unternehmenskennzeichnung tragende Unternehmen im Bereich des anderen Unternehmens mit der neuen, ähnlichen Bezeichnung tätig werden könnte (BGH WM 1988, 429, 431). Voraussetzung ist, dass im Publikum mit dem Markenzeichen eine allg Wertschätzung und Verkehrsgeltung verbunden ist, dies trifft nach Hamburg DB 1973, 326 zu, wenn ein Name ca 70–80 % der Bevölkerung als Kennzeichen der bestimmten Ware bekannt ist. Dieser Sonderschutz kann einer Marke jedoch nicht schon zugebilligt werden, wenn sie „auf dem Wege“ zur Berühmtheit ist (BGH 19, 23, 27f; LM 20 zu § 12). Er darf nur mit großer Vorsicht und nur in besonders gelagerten Ausnahmetatbeständen gewährt werden (BGH 28, 328; BGH MDR 1960, 901). Die Veränderung des Aussehens eines warenzeichenrechtlich geschützten Gegenstandes durch einen privaten Eigentümer ist zeichen- und namensrechtlich frei (Köln NJW 1995, 1759 – Rolex). Einem geschiedenen Ehegatten steht gegen die Führung des Namens durch den früheren Partner die Klage nach § 12 wegen § 1355 V nicht mehr zu. Beide Ehegatten können den Ehenamen weiterführen und haben jeder für sich die Rechte aus § 12 bei unerlaubter Führung des Namens. Dass der Geburtsname weiterhin geschützt ist, ergibt sich aus dem unter Rn 10 Gesagten. Da die Ausübung des Wahlrechts nach § 1355 IV, die zum Verlust des Ehenamens für den Wählenden führt, einen freien Entschluss des Betroffenen darstellt, ist anzunehmen, dass der frühere Ehegatte auch für den früheren Ehenamen keine Schutzrechte mehr hat. In ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen, in denen der frühere Ehegatte trotz der Wahlausübung nach außen noch durch den früheren Ehenamen gekennzeichnet ist, lässt sich eine Fortwirkung des Namensschutzes als Ausfluss des APR vertreten. Der Träger eines weit verbreiteten Namens hat idR kein schutzwürdiges Interesse, einem anderen den Gebrauch dieses Namens zu untersagen (RG 100, 187). Doch kann ein solches vorliegen, wenn durch das unbefugte Benutzen des Namens aufgrund bestimmter Umstände der Eindruck erweckt wird, der andere gehöre zur Familie eines bestimmten berechtigten Namensträgers. Personen, welche im öffentlichen Leben stehen oder in Kunst und Wissenschaft ein allg Interesse wachrufen (Personen der Zeitgeschichte), müssen sich eine gewisse Einschränkung des Namensrechts gefallen lassen. Entspr den natürlichen Bedingungen sozialen und geschichtlichen Lebens ist ein gewisses Anrecht der Allgemeinheit an der freien Darstellung und Abbildung solcher Personen einzuräumen (dazu RG 74, 311f). IV. Dispositionsmöglichkeiten. Das Namensrecht ist nicht übertragbar (krit Forkel GRUR 1988, 491). Zulässig ist jedoch die vertragliche Einräumung der Befugnis zur Benutzung des Namens (RG JW 1927, 117; Karlsruhe BB 1991, 92 – Universität Heidelberg), ferner auch der Verzicht auf das Recht aus § 12 (RG 74, 312). Es darf aber keine Täuschung der Allgemeinheit die Folge sein; zur gleichen Rechtslage beim Warenzeichen vgl BGH 1, 241, 246; auch § 37 HGB kann ein Hindernis bilden. Zur Übertragbarkeit und Pfändbarkeit der Rechte aus einer Domainadresse s Rn 15. Es ist auch möglich, dass nach Ausscheiden eines Mitglieds einer (Anwalts-)Sozietät diese seinen Namen im Briefkopf weiterführt, dies auch dann, wenn der Ausgeschiedene in einer anderen Sozietät seine Tätigkeit fortsetzt (München NJW-RR 93, 621 m Kurzkomm Ring EWiR § 12 BGB 3/93; ebenso BGH NJW 2002, 2093ff). Bei entgeltlicher Veräußerung eines Erwerbsgeschäfts sind eine solche Gestattung und ein weitgehender Verzicht idR anzunehmen, wenn das Geschäft im Ganzen übernommen wird, s dazu die Nachw in Rn 13. Zur Vereinbarung der Benutzung einer Firmenbezeichnung s BGH 60, 208; GRUR 1970, 531; DB 1985, 1934, wo besonders hervorgehoben wird, dass der Rechtsgedanke des § 25 HGB nicht entgegensteht; einschränkend beim Kauf eines Geschäftsbetriebs aber BGH NJW 1996, 1672. Der Benutzungsberechtigte erlangt durch die Befugnis kein eigenes Recht, die Führung des Namens zu untersagen. Doch kann er berechtigt sein, selbständig als Prozesspartei aufzutreten und in den im Vertrag bestimmten Grenzen die Rechte aus dem Namen, wenn auch nicht als eigene, geltend zu machen (RG 87, 150; Frankfurt NJW 1952, 793 m Anm Lent). Auch kann derjenige, der aufgrund Lizenz des Namensträgers dessen Namen in Gebrauch nimmt und dafür Verkehrsgeltung erlangt, ggü einem späteren Lizenznehmer das frühere Recht durchsetzen (Zweibrücken OLG 1980, 31; s auch Forkel NJW 1983, 1764). Der durch eine Gestattung Berechtigte erwirbt zwar nicht die Priorität der KennzeichSaenger

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§ 12

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Personen

nung seines Vertragspartners, kann sich aber (in entspr Anwendung des § 986 I 2) gegen den Angriff eines Dritten auf diese berufen (BGH MDR 1993, 1071; Stuttgart ZIP 1994, 1553). Innerhalb eines Konzerns kann die Registrierung von Domainnamen für die Konzernunternehmen zentral durch eine Holding oder eine Verwaltungsgesellschaft erfolgen; die Holdinggesellschaft, die die Unternehmenskennzeichnung einer Tochtergesellschaft mit deren Zustimmung als Domainname registrieren lässt, ist im Streit um den Domainnamen als Berechtigte anzusehen (BGH NJW 2006, 146, 147 – segnitz.de). Zum Sonderfall der gestatteten Verwendung eines Namensaufdrucks auf Waren ohne Herkunftsbeweisfunktion BGH NJW 1993, 918 m Anm Schricker EWiR § 12 BGB 1/93. V. Rechtsfolgen der Verletzung. 1. Der Anspruch aus § 12 geht nach S 1 auf Beseitigung der Beeinträchtigung, also etwa auf Entfernung des Namens auf dem Ladenschild, auf Löschung des Warenzeichens (RG 117, 221), auf öffentlichen Widerruf oder Berichtigung in öffentlichen Anzeigen usw. Handelt es sich (etwa bei Gleichnamigen) um Beseitigung der Verwechslungsgefahr, muss grds demjenigen, gegen den sich der Beseitigungsanspruch richtet, überlassen bleiben, darüber zu entscheiden, durch welche Namensgestaltung er der Verwechslungsgefahr begegnen will (BGH LM 19 zu § 12). Bei Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen gibt S 2 einen Anspruch auf Unterlassung künftiger Namensanmaßung. Dies wird idR anzunehmen sein, wenn die Namensanmaßung bereits eine Beeinträchtigung zur Folge gehabt hat und dennoch fortgesetzt wird (Staud/Habermann Rn 352). Zur Unterlassungsklage gegen einen Gewerbetreibenden, der Erzeugnisse eines Dritten unter einer als rechtlich unzulässig beanstandeten Herstellerfirma in den Verkehr bringt (BGH LM 15 zu § 12). Bei unbefugter Verwendung des Namens als Domainadresse steht dem berechtigten ggü dem nichtberechtigten Inhaber ein Anspruch auf Löschung, aber nicht auf Überschreibung zu (BGH NJW 2002, 2031 – shell.de; krit zum Löschungsanspruch Boecker GRUR 2007, 370). Der in Anspruch Genommene muss nach allg, auch zu § 1004 anerkannten Regeln Störer sein. Dies ist in Bezug auf die DENIC, welche die Registrierung von Domainnamen vornimmt, im Grundsatz zu verneinen. Denn diese ist grds nicht zur Prüfung verpflichtet, ob der angewendete Domainname Rechte Dritter verletzt (BGH 148, 13 = NJW 2001, 3265 – ambiente.de; BGH NJW 2004, 1793 – kurt-biedenkopf.de; anders für Internet-Provider LG Köln CR 2001, 622 wegen des Kausalbeitrags des Vermittlers). Zwar hat der BGH hervorgehoben, die DENIC brauche in der Phase der Erstregistrierung auch auf eindeutige Verstöße nicht zu achten (BGH NJW 2004, 1793 – kurt-biedenkopf.de; krit Schieferdecker, Die Haftung der Domainvergabestelle, 2003, 209f). Bereits zuvor hatte das Gericht aber eingeräumt, eine Prüfungspflicht und im Verletzungsfall Störereigenschaft für die Zukunft könne zu bejahen sein, wenn die DENIC von einem Dritten auf eine offenkundige und ihr ohne Weiteres feststellbare Rechtsverletzung aufmerksam gemacht werde (BGH 148, 13 = NJW 2001, 3265 – ambiente.de; ähnlich LG Hamburg MMR 2009, 708, das bei top level-Domains eine Störerhaftung der DENIC annimmt, wenn der Verstoß offenkundig und für den Sachbearbeiter ohne weitere Nachforschungen erkennbar war). Eine so offenkundige Namensrechtsverletzung liegt jedenfalls vor, wenn es sich bei dem Namen um die offizielle Bezeichnung der für die Verwaltung eines Regierungsbezirks zuständigen Behörde handelt und der beanstandete Domainname von einem in Panama ansässigen Unternehmen registriert worden ist (BGH MDR 2012, 793 – regierung-oberfranken.de). Auch derjenige, der sich von einem ausl Anmelder eines Domainnamens ggü der DENIC als administrativer Ansprechpartner (Admin-C) benennen und registrieren lässt, haftet nur dann als Störer, wenn ihn aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls eine besondere Prüfungspflicht trifft (BGH MDR 2012, 296 = GRUR 2012, 304 – Basler Haar-Kosmetik). Für die Entgegennahme von Anzeigenaufträgen in Telekommunikationsteilnehmerverzeichnissen besteht eine Prüfungspflicht; wegen des Gebots der raschen Entscheidung beschränkt sich die Prüfungspflicht auf grobe und unschwer erkennbare Rechtsverstöße (BGH GRUR 2006, 429 Rn 13 – Schlank-Kapseln; MMR 2006, 672 – Stadt Geldern). Zur Störerhaftung von eBay bei Verletzung von Namensrechten durch registrierte Benutzer vgl BGH NJW 2008, 3714. 2. Der Anspruch aus § 12 kann durch längeres Nichtgeltendmachen verwirkt werden, doch muss in der verspäteten Geltendmachung ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegen. Der bloße Zeitablauf ist insoweit aber nicht ausreichend. Ein Verstoß gegen Treu und Glauben kann aber anzunehmen sein, wenn der unbefugte Namensträger mit einer Duldung des Namensgebrauchs rechnen konnte und sich während der langen Untätigkeit des berechtigten Namensträgers einen wertvollen Besitzstand geschaffen hat, welcher nunmehr zerstört werden würde (vgl dazu RG 167, 190; BGH 21, 78ff; NJW 1966, 343, 346; GRUR 1975, 69; GRUR 1981, 60 m Anm Schulze zur Wiesche; BGH ZIP 1991, 465). Der Verwirkungseinwand kann versagen, wenn der ältere berechtigte Namensträger rechtzeitig widersprochen hat (BGH BB 1957, 727) oder wenn der Verletzer durch zusätzliche wettbewerbliche Maßnahmen die ursprünglich beschränkte Wirkung des Verstoßes fortlaufend verstärkt hat (BGH LM 19 zu § 12). VI. Verhältnis zu anderen Ansprüchen. 1. Das Namensrecht wird als „sonstiges Recht“ von der Bestimmung des § 823 I erfasst. Schuldhafte Verletzung verpflichtet demnach zum Schadensersatz. Hierzu und zum Persönlichkeitsrecht § 823 Rn 40, 48; zur Erstattung des Verletzergewinns auf der Grundlage eines Bereicherungsanspruchs § 818 Rn 18f, Anh § 12 Rn 321. 2. Zum Namensrecht des § 12 im Verhältnis zum Firmen- und Warenzeichenrecht (insb also zu § 37 II HGB; § 4 UWG; §§ 15, 16, 24, 25, 31 WZG aF, 16 UWG aF, heute §§ 5, 15 MarkenG) vgl Siebert BB 1959, 641ff; Hefermehl FS Hueck, 519ff; MüKo/Säcker Rn 188ff; Nägele GRUR 2007, 1007. Die Annahme (Naumburg ZIP 1995, 2110), die Führung der Firma einer anderen GmbH führe zur Rechtsscheinshaftung in deren Insolvenz, erscheint bedenklich. Der zeichenrechtliche Schutz der §§ 5, 15 MarkenG geht in seinem Anwendungsbereich grds 18

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

Anh § 12

dem Namensschutz des § 12 vor (s. Rn 15; BGH NJW 2002, 2031, 2033 – shell.de; NJW 2002, 2096 – vossius.de; NJW 2005, 1996 – mho.de; aA NK/Koos Rn 16). VII. Prozessuales. 1. Neben § 12 ist für eine Feststellungsklage, welche das Namensrecht zum Gegenstand hat, 38 kein Raum (Staud/Habermann Rn 266). Das Recht zur Führung eines bestimmten Familiennamens kann jedoch unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe des § 8 NamÄndG (vgl Rn 7f) auf Antrag (oder von Amts wegen) im Verwaltungswege festgestellt werden. 2. Zur vorbeugenden Unterlassungsklage und der Klage auf Wiederherstellung (Widerrufsklage) bei Verlet- 39 zung immaterieller Rechtsgüter, insb bei Ehrverletzung, welche in Verfolgung der den §§ 12, 823, 862, 1004 zugrunde liegenden Rechtsgedanken entwickelt worden sind, vgl Anh § 12 Rn 279ff, 292ff; § 249 Rn 10–12; dazu BGH NJW 1954, 1931; LG Frankenthal NJW 1955, 263 (mitwirkendes Verschulden des Verletzten). Zur Abgrenzung der sich unmittelbar aus § 12 ergebenden Ansprüche (Rn 33) ggü dem Herstellungsanspruch Rötelmann NJW 1954, 1222.

Anhang zu § 12 Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht A. Begriff und verfassungsrechtliche Verankerung des APR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Zivilrechtliches APR und die Verfassung . . . . .

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II. Schutz vor ungewollten Indiskretionen und ungewollter Publizität . . . . . . . . . . . . . .

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III. Schutz der selbstbestimmten und unverfälschten Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193

IV. Schutz vor kommerzieller Verwertung . . . . . .

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B. Entstehungsgeschichte und Entwicklung des APR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Schutz vor Belästigungen . . . . . . . . . . . . .

I. Persönlichkeitsschutz im BGB . . . . . . . . . .

8

VI. APR und Freiheitsschutz . . . . . . . . . . . . .

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II. Anerkennung eines APR in der Leserbrief-Entscheidung und seine Weiterentwicklung . . . . .

9

C. Struktur und dogmatische Herleitung des APR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

H. Berechtigte (Gegen-)Interessen und Rechtfertigungsgründe – Vorgaben für die Güterund Interessenabwägung . . . . . . . . . . . .

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10

I. Rechtswidrigkeit und Rechtfertigungsgründe . .

228

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II. Rechtfertigende Einwilligung . . . . . . . . . . .

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I. Legitimation des APR . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtscharakter des APR . . . . . . . . . . . . .

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III. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Inhalt und Schutzbereiche des APR . . . . . . .

12

I. Das APR und die besonderen Persönlichkeitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV. Kommunikationsfreiheiten und APR, insb Ehrenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12

V. Kunstfreiheit und APR . . . . . . . . . . . . . .

259

II. Die ideellen und kommerziellen Bestandteile des APR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Systematisierungsversuche der Rspr . . . . . . .

17

IV. Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Träger des APR . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . II. Persönlichkeitsrechtsschutz für Personenvereinigungen: Vom Persönlichkeits- zum Imageschutz .

VI. Wissenschaftsfreiheit und APR . . . . . . . . . .

266

VII. Indemnitätsschutz . . . . . . . . . . . . . . . .

269

VIII. Äußerungen in privaten Vertrauensbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

270

51

IX. Äußerungen in gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

51

I. Das Internationale Privatrecht des APR . . . .

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57

J. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278

III. Postmortaler Persönlichkeitsrechtsschutz . . . .

69

I. Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . .

278

IV. Aktivlegitimation: Individuelle Betroffenheit . .

84

II. Unterlassungsanspruch . . . . . . . . . . . . . .

279

F. Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . .

85

III. Berichtigungsanspruch (Widerrufsanspruch) . .

292

I. Störereigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

II. Behaupten und Verbreiten . . . . . . . . . . . .

86

G. Einzelne Schutzbereiche des zivilrechtlichen APR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

I. Ehrenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

IV. Gegendarstellungsanspruch . . . . . . . . . . .

300

V. Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . . . .

306

VI. Geldentschädigungsanspruch . . . . . . . . . .

313

VII. Bereicherungsanspruch . . . . . . . . . . . . . .

321

Schrifttum: Ahrens, Die Verwertung persönlichkeitsrechtlicher Positionen, 2002; Amelung, Der Schutz der Privatheit im Zivilrecht, 2002; Balthasar, Der Schutz der Privatsphäre im Zivilrecht, 2006; v Bar, Empfiehlt es sich, die Voraussetzungen der Haftung für unerlaubte Handlungen mit Rücksicht auf die gewandelte Rechtswirklichkeit und die Entwicklungen in Rechtsprechung und Lehre neu zu ordnen?, in Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, hrsg v Bundesminister

Saenger/Klass

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Anh § 12

Personen

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ner, Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel, NJW 1988, 993; Wittreck, Persönlichkeitsbild und Kunstfreiheit, AfP 2009, 6; Wortmann, Die Vererblichkeit vermögenswerter Bestandteile des Persönlichkeitsrechts, 2005.

A. Begriff und verfassungsrechtliche Verankerung des APR. I. Begriff. Den Begriff des allg Persönlichkeitsrechts (APR) allgemeingültig zu definieren, bereitet erhebliche Schwierigkeiten. So wie die Persönlichkeit nicht abschließend umschrieben werden kann, so lässt sich auch der Gehalt des Rechts, das ihrem Schutz dient, nicht absolut und universal beschreiben. Den bisherigen Definitionsversuchen in Lit und Rspr fehlt jedenfalls bislang die für einen Rechtsbegriff nötige Klarheit und Präzision. Schon Hubmann, 137ff, 155, wies frühzeitig darauf hin, dass der Versuch einer positiven inhaltlichen Bestimmung des Persönlichkeitsrechts am „geheimnisvollen Wesen der Persönlichkeit“ scheitern muss. Man könne daher den Inhalt des Persönlichkeitsrechts lediglich dahin umschreiben, dass es die wertvollen persönlichen Interessen umfasst, also die Personenwerte, die nicht durch die Verkehrsauffassung und Kulturanschauung verselbständigt und durch die Rechtsordnung zu selbständigen Rechten ausgebildet wurden. Der BGH, der das APR in seiner Leserbrief-Entscheidung (BGH 13, 334 – Leserbrief) als „sonstiges Recht“ iSd § 823 I anerkannt hat (vgl hierzu Erman/Ehmann12 Rn 1), definiert es als „das Recht des Einzelnen auf Achtung seiner Menschenwürde und auf Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit, das sich nicht nur gegen den Staat und seine Organe richtet, sondern auch im Privatrechtsverkehr gegen jedermann gilt“ (BGH 24, 72, 76 – Krankenkassenpapiere). Mit dieser Definition bringt der BGH deutlich die zwei maßgeblichen Funktionen des APR zum Ausdruck: Zum einen die statische Funktion – die Achtung der Menschenwürde – und zum anderen die dynamische Funktion – die Entfaltung der Persönlichkeit –, welche den Persönlichkeitsrechtsschutz maßgeblich prägen. II. Zivilrechtliches APR und die Verfassung. Der BGH schuf das APR in seiner Leitentscheidung (BGH 13, 334 – Leserbrief) unter Berufung auf Art 2 I iVm Art 1 I GG. Das Gericht kreierte hierbei im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung ein verfassungsrechtliches Institut, um dieses sogleich im Wege der Drittwirkung zur Anwendung zu bringen (Wanckel, 88). Erst später leitete das BVerfG aus der allg Handlungsfreiheit des Art 2 I GG zahlreiche Selbstbestimmungsrechte ab, welche in der Eppler-Entscheidung (BVerfG 54, 148, 153 – Eppler; einschränkend BVerfG NJW 2000, 1021 – CvM) als „verfassungsrechtliches allgemeines Persönlichkeitsrecht“ dem wortgleichen „bürgerlich-rechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht“ vorangestellt wurden (Erman/Ehmann12 Rn 91ff; Baston-Vogt, 120). 1. Die durch Schutzpflichten vermittelte Drittwirkung des verfassungsrechtlichen APR. Die Grundrechte, insb Art 2 I und Art 1 I GG, haben maßgeblichen Einfluss auf das bürgerlich-rechtliche APR. Allerdings sind sie historisch, inhaltlich und mit Blick auf ihre Reichweite auf das Verhältnis Staat-Bürger zugeschnitten und tragen gerade nicht der Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit des Privatrechts sowie dem Umstand Rechnung, dass sich im Konfliktfall stets zwei Grundrechtsträger gegenüberstehen. Eine unmittelbare Drittwirkung ist folglich angesichts der damit zwangsläufig verbundenen Freiheitsbeschränkungen und Reglementierungen abzulehnen. Daher besteht auch weitgehend Einigkeit in der Lit, dass die allg Handlungsfreiheit nicht über das zivilrechtliche APR zum sonstigen Recht iSd § 823 I gemacht werden darf (Ehmann AcP 188, 307f; Baston-Vogt, 125 mwN), andernfalls würde jede die Freiheit und Interessen anderer beeinträchtigende Handlung zu einem rechtfertigungsbedürftigen Delikt (zutr Baston-Vogt, 128). Will man die Eigenständigkeit des Privatrechts wahren, können und dürfen verfassungsrechtliche und zivilrechtliche Rechtswidrigkeit nicht identisch sein (Maunz/Dürig Art 1 III Rn 129). Die Grundrechte liefern jedoch Vorgaben für den Privatrechtsverkehr. Sowohl der Privatrechtsgesetzgeber als auch der Privatrechtsrichter, die ihrerseits beide unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind (Art 1 III GG), müssen ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht nachkommen und die grundrechtlichen Werte im Zivilrecht umsetzen (Canaris AcP 184, 201, 212; Hager JZ 1994, 373, 374; BVerfG 81, 242 – Handelsvertreter). Daher sind die Gerichte nicht nur zur Rechtsanwendung des zivilrechtlichen APR berufen, sondern auch zur Rechtsgestaltung (Rechtsfortbildung), sofern es die Wertungen des verfassungsrechtlichen APR erfordern. Privatrechtsgesetzgeber und Privatrechtsrichter haben hierbei jedoch einen erheblichen Beurteilungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum, weshalb es insb im Ermessen des Gesetzgebers steht, auf welche Art und Weise und mit welchen Mitteln (Straf-, Verwaltungs- oder Zivilrecht) den bestehenden verfassungsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen wird. Das gesetzgeberische Handeln muss sich jedoch stets am Grundsatz der Effektivität orientieren. Entscheidend ist i Erg, dass die Gesamtheit der dem jew Rechtsgut dienenden Normen effizienten Schutz gewährleistet (Hermes NJW 1990, 1764, 1765f; sowie Hager JZ 1994, 373, 378) und das Untermaßverbot nicht verletzt wird (ganz hM, vgl statt vieler Canaris AcP 184, 201, 228; Zöllner RDV 1985, 3, 8ff; Jarass NJW 1989, 857, 861). 2. Das Verhältnis zw zivilrechtlichem und verfassungsrechtlichem APR. Das zivilrechtliche APR soll die Grundbedingungen für die Selbstverwirklichung einer Person ggü den kollidierenden Freiheiten und Interessen Dritter sichern und dadurch die Grundentscheidungen der Verfassung in das Zivilrecht transportieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Zivilrichter Verfassungsrecht anzuwenden hätte, vielmehr muss er das Privatrecht unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben gestalten. Das zivilrechtliche APR ist daher nicht mit dem verfassungsrechtlichen APR (Art 2 I iVm Art 1 I GG) identisch (so auch BVerfG NJW 2006, 3409 – Blauer Engel II, hierzu auch Helle AfP 2010, 531, 531f; kritisch Staud/Hager § 823 C 4), denn das zivilrechtliche APR ist ein sonstiges Recht iSv § 823 I, das auf den Schutz von Privatrechtsverhältnissen zugeschnitten sowie maßgeblich durch die im Fall von Persönlichkeitsrechtsverletzungen gegebene Zweiseitigkeit der Rechtsverhältnisse geprägt ist und lediglich im Wege der durch die Schutzpflichten vermittelten Drittwirkung vom verfassungsrechtlichen APR beeinflusst wird. Zu trennen ist das zivilrechtliche APR zudem von der allg Handlungsfreiheit Klass

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(Jarass NJW 1989, 857; Baston-Vogt, 119f). Der rechtliche Unterschied zw zivilrechtlichem und verfassungsrechtlichem APR tritt im positiven Recht insb im Schutz der Ehre (Rn 94ff), der kommerziellen Interessen und im postmortalen Persönlichkeitsrechtsschutz (nur einfach-rechtlicher Schutz, ausf Rn 206 sowie Rn 72ff) in Erscheinung. Aufgrund der fehlenden Deckungsgleichheit ist es auch möglich, dass das zivilrechtliche APR mehr Schutz vermittelt als das verfassungsrechtliche APR (so auch Helle AfP 2010, 531, 532). 3. Maßgebliche Abwägungsgrundsätze. Die meisten durch das zivilrechtliche APR geschützten Interessen (die kommerziellen Bestandteile sollen nach BGH, NJW 2007, 689 – Lafontaine nur einfach-rechtlichen Schutz genießen, vgl Rn 206) sind verfassungsrechtlich abgesichert. Jedoch trifft dies auch auf die in Konfliktsituationen betroffenen „typischen Gegeninteressen“ zu, die zumeist einen Schutz durch die in Art 5 GG verankerten Kommunikationsfreiheiten, die Kunstfreiheit oder andere grundrechtlich geschützte Werte (Art 12, 14 GG ua) erfahren. Die beteiligten Interessen müssen daher im Wege der praktischen Konkordanz in Ausgleich gebracht werden (vgl BVerfG 7, 198, 215 – Lüth; 17, 306, 313; 65, 1, 44 – Volkszählung, 83, 130, 143 – Mutzenbacher ua). Dies bedeutet, dass die sich prinzipiell gleichwertig gegenüberstehenden Verfassungswerte (BGH 24, 72, 80 – Krankenkassenpapiere) in einem konfliktlösenden Abwägungsprozess zu einer möglichst optimalen Wirksamkeit gebracht werden müssen, Erman/Ehmann12 Rn 14. Einer Abwägung bedarf es jedoch nicht, sofern die unantastbare Menschenwürde tangiert ist, denn sie ist mit keinem Grundrecht abwägungsfähig (grundlegend Dürig AöR 81 (1956), 117). Stehen den in den Grundrechten zu verortenden Interessen und Freiheiten nur „einfach-rechtlich“ geschützte Rechtspositionen ggü, müssen letztere aufgrund des dann geltenden Verdrängungsprinzips zurücktreten (vgl BVerfG 7, 198 – Lüth; BGH NJW 2007, 689, 689 – Lafontaine; dazu auch Ehmann AfP 2007, 81ff; ebenso BGH ZUM 2013, 132, 136 Rn 29f, 38 – Playboy am Sonntag). Zu typischen Abwägungs- und Vorzugsregeln im Verhältnis APR und Kommunikationsfreiheiten, insb Meinungsfreiheit vgl Rn 249ff. 4. Grundrechtsschutz und Verfassungsbeschwerde: Die Intensität der verfassungsgerichtlichen Überprüfung. a) Grundregel: Die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts. In den meisten str Persönlichkeitsrechtsfällen kann die unterlegene Partei nach Erschöpfung des Rechtsweges (im Fall einer einstw Vfg muss grds auch der Rechtsweg in der Hauptsache erschöpft sein, BVerfG AfP 2006, 550; NJW 2007, 2685; ebenso muss die Anhörungsrüge gem § 321a ZPO zuvor erhoben worden sein, BVerfG NJW 2007, 3054 – Presseschau) gem Art 93 I Nr 4a GG iVm § 90 BVerfGG Verfassungsbeschwerde mit der Begründung erheben, durch die öffentliche Gewalt in Form der Gerichtsbarkeit in ihren Grundrechten verletzt worden zu sein (s Erman/Ehmann12 Rn 15f). Die Verfassungsbeschwerde bedarf gem § 93a BVerfGG der Annahme zur Entscheidung, die abgelehnt werden kann, wenn ihr keine grds verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt (zB BVerfG NJW 2001, 2957 – Kaisen). Nach der sog „Heck’schen Formel“ (hierzu Hähnlein NJW 1996, 3134) soll allerdings nur die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts die Verfassungswidrigkeit begründen können, hierzu heißt es in BVerfG NJW 1964, 1715, 1716 – Künstliche Bräunung: „Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestands, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das BVerfG entzogen; nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das BVerfG auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen (vgl BVerfG 1, 418, 420). Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft ist; der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen.“ Zudem sei das BVerfG nicht befugt „seine eigene Wertung des Einzelfalls nach Art eines Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen Richters zu setzen“ (BVerfG 30, 173, 197 – Mephisto). Ebenfalls könne es einer zivilgerichtlichen Entscheidung „nicht schon dann entgegentreten, wenn es bei der Beurteilung der widerstreitenden Grundrechtspositionen lediglich die Akzente anders gesetzt und daher selbst anders entschieden hätte“ (vgl BVerfG 42, 143, 148; 120, 180, 210 sowie zuletzt ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi). Das Argumentationsmuster der Heck’schen Formel wurde oft wiederholt, teils bestätigt (zB in BVerfG NJW 1991, 1475) und teils eingeschränkt; vgl BVerfG 42, 143, 148; 43, 130, 138; 82, 43, 52 – Strauß-Transparent; 85, 1, 14 – Kritische Bayer-Aktionäre; 94, 1, 9; NJW 1997, 386 – Werkszeitungen; NJW 1998, 2889; JZ 1998, 352; NJW 2000, 1021 – CvM; ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi; s auch Erman/Ehmann12 Rn 15f. b) Ausnahmen. Das BVerfG beanspruchte jedoch in späteren Entscheidungen (insb 85, 1, 14 – Kritische BayerAktionäre; ähnlich auch NJW 1992, 2013 – Nazi; NJW 1994, 2943 – Soldaten sind Mörder III; 54, 129, 135 – Kunstkritik ua) entgegen den Grundsätzen der Heck’schen Formel ebenfalls die Kompetenz zur Prüfung, ob eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil vorliegt, ob der Sinngehalt der Äußerung richtig erkannt ist, ob die Äußerung „eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage“ betrifft, und ob eine Schmähkritik vorliegt. Denn die Bedeutung der Grundrechte werde verkannt, wenn die Gerichte eine Äußerung unzutr als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik einstufen, mit der Folge, dass sie nicht in dem Maße am Schutz durch das GG teilnehmen wie Äußerungen, die als Werturteile ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (BVerfG 82, 43, 51 – Strauß-Transparent; 82, 272, 281; 85, 1, 14 – Kritische Bayer-Aktionäre; 94, 1, 8f NJW 1992, 2013 – Nazi; NJW 1993, 1845 – Prinzessin Erna v Sachsen; BayObLG NJW 1995, 2501, 2502; vgl ferner BVerfG 61, 1, 10 – NPD Europas). Die verfassungsgerichtliche Kontrolle erstreckt sich mithin auch auf die für den Grundrechtsschutz weichenstellende Deutung der im Streit stehenden Äußerung (BVerfG NJW 2010, 3501 – Gen-Milch). Vor dem Hintergrund dieser Entscheidungen wurde der Vorwurf laut, das BVerfG habe sich nicht bloß zur Superrevisions-, sondern gar zur Superberufungsinstanz aufgeschwungen (vgl Isensee JZ 1996, 1090; Starck JZ 1996, 1033; Erman/Ehmann12 Rn 17). In Reaktion auf die Kritik stellte das BVerfG jedoch 22

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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fest (94, 1, 9): „Dagegen ist es nicht Sache des BVerfG, den jew Rechtsstreit, der trotz des grundrechtlichen Einflusses seine Eigenart als Zivil- oder Strafverfahren nicht verliert, selbst zu entscheiden“; ebenso BVerfG NJW 2000, 1021 – CvM; NJW 2006, 3266, 3267 – KZ-Arzt: „Das BVerfG überprüft nur, ob diese (die Fachgerichte) den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben“; anders aber BVerfG NJW 2002, 3315 (Rüge der unzureichenden Beweiserhebung und/oder Beweiswürdigung). B. Entstehungsgeschichte und Entwicklung des APR. I. Persönlichkeitsschutz im BGB. Das Erfordernis der 8 Anerkennung eines umfassenden Persönlichkeitsschutzes wurde schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkt in der Lit thematisiert, und es wurde die Forderung laut, ein APR in das Zivilrecht zu integrieren (v Gierke, Deutsches Privatrecht Bd I, 702ff sowie Kohler, 129). Der erste Entwurf des BGB sah dann zwar auch in § 704 II einen Schutz der Ehre vor, dieser scheiterte jedoch aufgrund von Unstimmigkeiten, wenn auch nicht hins des Ehrenschutzes selbst (§ 704 II des Entwurfs wurde daher in den Beratungen der zweiten Kommission gestrichen; vgl hierzu Mugdan, Materialien zum BGB Bd H, 1077). Und auch in den Beratungen des Reichstages waren die Bemühungen, einen privatrechtlichen Schutz der Ehre zu erreichen, nicht von Erfolg gekrönt (Coing JZ 1958, 558, 559). Eine Übereinkunft war letztlich nicht zu erzielen, weil zu unterschiedliche Positionen hins der konkreten Ausgestaltung des Rechtsschutzes, der Wahl der einzusetzenden Rechtsmittel sowie der anzudrohenden Rechtsfolgen bestanden. In der Folgezeit beschränkte sich der Schutz der Persönlichkeit daher lediglich auf bestimmte Persönlichkeitsgüter, wie zB auf den Namensschutz in § 12 oder den Schutz des § 823 für Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit; die Forderung nach einem Schutz der Gesamtpersönlichkeit blieb jedoch unerfüllt (Coing JZ 1958, 558, 559). Das Reichsgericht hielt sich zwar formal an die Vorgabe des BGB und vertrat den Standpunkt, ein allg subjektives Persönlichkeitsrecht sei dem geltenden bürgerlichen Recht fremd, es gebe nur besondere, gesetzlich geregelte Persönlichkeitsrechte. Gleichwohl wurde der Persönlichkeit oftmals häufig gerade durch die Rspr des RG Schutz verliehen, denn das Gericht versuchte über eine extensive Auslegung der Generalklausel des § 826 und der gesetzlich geregelten besonderen Persönlichkeitsrechte zu befriedigenden Ergebnissen zu gelangen (vgl bspw RG 72, 175ff). Daneben wurde auch über § 823 II auf die strafrechtlichen Schutznormen zurückgegriffen, sodass zumindest ein fragmentarischer Schutz gegeben war (Coing JZ 1947, 641, 641ff; JZ 1958, 558, 559). Erst nach der Ära des Nationalsozialismus entflammte in der Rechtswissenschaft erneut die Diskussion über eine Regelung des Persönlichkeitsschutzes. Vor allem vor dem Hintergrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre war man bemüht, Wert und Bedeutung der Person im Zivilrecht neu zu bestimmen (vgl Hubmann, 1967). Aber auch die Verfassungen der Länder und insb das neu geschaffene GG, in dem die Verfasser die Würde des Menschen und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit besonders betonten, übten einen starken Einfluss aus. II. Anerkennung eines APR in der Leserbrief-Entscheidung und seine Weiterentwicklung. Als Vollender des 9 privatrechtlichen Persönlichkeitsschutzes ist jedoch der BGH anzusehen, denn dieser erkannte in seiner bahnbrechenden Leserbrief-Entscheidung v 25.5.1954 (BGH 13, 334) in Abkehr von der bisherigen Rspr erstmals ein von jedermann zu achtendes Persönlichkeitsrecht an: „Nachdem nunmehr das Grundgesetz das Recht des Menschen auf Achtung seiner Würde (Art 1 GG) und das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit auch als privates, von jedermann zu achtendes Recht anerkennt, soweit dieses Recht nicht die Rechte anderer verletzt oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt (Art 2 GG), muss das allgemeine Persönlichkeitsrecht als ein verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht angesehen werden“. Indem der BGH das APR als sonstiges Recht iSv § 823 I anerkannte, eröffnete er den Gerichten die Möglichkeit, die Gesamtpersönlichkeit vor rechtswidrigen und schuldhaften Verletzungen umfassend zu schützen. Die Jurisprudenz reagierte auf dieses Urt größtenteils euphorisch; Dürig bspw sah in der Anerkennung des APR den „fraglos kühnsten und im Prinzip den gelungenste(n) Wurf des Privatrechts während der letzten Jahre“ (Maunz/Dürig Art 1 I Rn 38). Es wurde jedoch auch Kritik laut, insb mit Blick auf die Unbestimmtheit des Rechts (vgl Hubmann, 6ff, Fn 12 mwN). Der BGH wiederholte und bekräftigte seine Auffassung jedoch in weiteren Entscheidungen. Zudem gewährte er im Jahr 1958 trotz des in § 253 aufgezählten Enumerativprinzips in einem weiteren Fall Geldersatz für Nichtvermögensschäden (BGH 26, 349 – Herrenreiter) und verstärkte dadurch den persönlichkeitsrechtlichen Schutz erheblich. Diese Konstruktion gab der BGH später allerdings auf, mittlerweile leitet er den Anspruch auf Geldentschädigung für immaterielle Schäden direkt aus dem Grundgesetz (Art 2 I iVm Art 1 I GG) her, denn aus diesem ergebe sich unmittelbar die Notwendigkeit, das Prinzip des § 253 zu durchbrechen und bei besonders schweren Fällen Ersatz zu leisten (st Rspr seit BGH 35, 363, 367 – Ginseng). Das BVerfG billigte wenig später ausdr sowohl die Rspr des BGH zum APR als auch zur Zuerkennung eines Ausgleichs für Nichtvermögensschäden (BVerfG 34, 269, 281f – Soraya). Trotz verschiedener Versuche, das APR gesetzlich zu normieren (Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des zivilrechtlichen Persönlichkeits- und Ehrenschutzes, 1959 – hierzu Kochel JZ 1959, 513; Weitnauer, DB 1959, 45, 46ff; RefE eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensrechtlicher Vorschriften, 1967 – hierzu Kübler JZ 1968, 542, 542f; zu weiteren Vorstößen insb des DJT s Baston-Vogt, 170ff mwN), ist es bis heute nicht zu einer umfassenden Kodifikation des Persönlichkeitsrechtsschutzes gekommen. C. Struktur und dogmatische Herleitung des APR. I. Legitimation des APR. Das APR legitimiert sich aus der 10 Anerkennung der Gesamtpersönlichkeit als verfassungsrechtlich zu schützendes Rechtsgut und somit letztlich aus der Schutzgebotsfunktion der Art 2 I und 1 I GG (Baston-Vogt, 15; Wenzel/Burkhardt Rn 5.7; Canaris JuS 1989, 161, 169; AcP 184, 201, 231; MüKo/Rixecker Rn 2; BVerfG 35, 202, 221 – Lebach). Art 2 I und 1 I GG haben die Aufgabe, die Würde des Menschen, seine engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Klass

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Grundbedingungen zu gewährleisten. Sie schützen mithin jenen inneren Persönlichkeitsbereich, der stets nur der freien und eigenverantwortlichen Selbstbestimmung des Einzelnen untersteht. Das Gebot, diesen Bereich zu achten, richtet sich dabei nicht nur gegen den Staat, sondern gegen jedermann, weshalb die Persönlichkeit auch zivilrechtlich umfassend zu schützen ist (vgl auch BGH 13, 334, 338 – Leserbrief). II. Rechtscharakter des APR. Der BGH schuf mit dem APR kein fest umrissenes Recht, vielmehr schuf er eine Rechtsfigur generalklauselartigen Charakters (BGH 13, 333, 338 – Leserbrief; zur Anerkennung bestimmter Fallgruppen s Rn 24, 26ff), die der Umsetzung grundrechtlicher Werte diente und dient (Baston-Vogt, 85; krit und für die Ausprägung einzelner besonderer Persönlichkeitsrechte plädierend: Larenz NJW 1955, 523f; Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, 8ff). Aus diesem Grund war und ist der Charakter dieses Rechts bis heute umstritten. Der BGH erkennt das APR in st Rspr als sonstiges Recht iSd § 823 I an (seit BGH 13, 334, 338 – Leserbrief). Dies wird jedoch zT kritisiert, insb wird es abgelehnt, einem derart konturenlosen Konstrukt den Charakter eines subjektiven Rechts zuzubilligen (vgl zum Meinungsstreit Baston-Vogt, 85f). Trotz aller Kritik und Konturenlosigkeit bleibt jedoch festzuhalten, dass ein subjektives Recht, wie Baston-Vogt treffend feststellt, „zum Schutz der Persönlichkeit geradezu prädestiniert“ ist (aaO, 87, Fn 367 mwN), denn ein solches ermöglicht dem Einzelnen individuellen Schutz und verleiht ihm die Befugnis und Macht zur aktiven Durchsetzung seiner Interessen. Zudem hat das Rechtsgut der Persönlichkeit keinen statischen Charakter, vielmehr ist der Schutz auf Dynamik angelegt und stark vom Individuum abhängig. Persönlichkeitsschutz muss daher mehr sein als passiver Integritätsschutz (Klass, Rechtliche Grenzen des Realitätsfernsehens, 2003, 241 mwN). Der Schutz durch eine Generalklausel bietet zudem die Möglichkeit, schnell und flexibel auf neue Gefährdungspotentiale zu reagieren, während eine Tatbestandsbildung im Wege der Analogie meist schwerfälligeren Schutz bietet. Das APR ist ein Rahmenrecht, was bedeutet, dass die Rechtswidrigkeit nicht wie bei den klassischen Gütern und Rechten des § 823 I durch einen Eingriff indiziert ist, sondern erst aufgrund einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung festgestellt werden kann (BGH 13, 334, 338 – Leserbrief; 24, 72, 80 – Krankenkassenpapiere; 31, 308, 312 – Abgeordneten-Bestechung; NJW 1966, 1617, 1619 – Höllenfeuer; 50, 133, 143 – Mephisto ua; Wenzel/ Burkhardt Rn 5.12). Allerdings werden immer wieder neue Versuche unternommen, die Abwägung zu verdrängen und die Rechtswidrigkeit stattdessen aus der Tatbestandsmäßigkeit abzuleiten (ausf Rn 25). D. Inhalt und Schutzbereiche des APR. I. Das APR und die besonderen Persönlichkeitsrechte. 1. Verhältnis zw APR und besonderen Persönlichkeitsrechten. Als besondere Persönlichkeitsrechte werden allg diejenigen Rechte bezeichnet, die schon vor Anerkennung des APR gesetzlich normiert wurden und mithin im Gegensatz zum APR nicht auf richterlicher Rechtsfortbildung beruhen, wie bspw das Namensrecht, § 12, und das Recht am eigenen Bild, §§ 22ff KUG (Götting/Schertz/Seitz § 11 Rn 1; vgl ausf Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte, 37ff). Uneinigkeit herrscht hins ihres Verhältnisses zum APR. Der BGH geht davon aus, dass es sich um spezielle Ausprägungen des APR handelt, die nach dessen Anerkennung zu integralen Bestandteilen wurden (BGH NJW-RR 1987, 231 – Nena: Klassifizierung des Rechts am eigenen Bild als „Ausschnitt, eine besondere Erscheinungsform des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“; NJW 2005, 215, 217). Ein bestehender Spezialschutz entfaltet daher keine Sperrwirkung, denn er soll das APR stärken und keinesfalls schwächen (Götting/Schertz/Seitz § 11 Rn 9: Wortlaut bildet keine starre Grenze; differenzierend Baston-Vogt, 112f). 2. Die besonderen Persönlichkeitsrechte. a) Recht am eigenen Bild. Das Recht am eigenen Bild wurde lange vor Anerkennung des APR (als Reaktion auf RG 45, 170 – Bismarcks Leiche) mit dem KUG v 9.1.1907 eingeführt. Zweck des Gesetzes ist es, Personen vor der Verbreitung und öffentlichen Zurschaustellung ihrer Bildnisse zu schützen. Zuwiderhandlungen können zivil-, aber auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (§ 33 KUG). Das Recht am eigenen Bild (RaeB, ausf Rn 167ff) ist als sog besonderes Persönlichkeitsrecht zu qualifizieren und wird durch das APR ergänzt (hierzu Rn 167, 143, 145). b) Namensrecht. Der Name ist die sprachliche Kennzeichnung einer Person. Er dient zum einen als Unterscheidungs- sowie Zuordnungsmerkmal (BGH NJW 1959, 525 – Ehrengedenktafel; BVerfG NJW 1988, 1577) und hat Ordnungsfunktion (BVerfG NJW 1988, 1577; hierzu ausf § 12), zum anderen ist er aber auch Ausdruck von Identität und Individualität. Das Namensrecht ist ein absolutes Recht (BGH 8, 318, 321 – Pazifist; GRUR 2006, 957) und kann – soweit es dem Schutz der Persönlichkeitssphäre des Einzelnen dient – als besonderes Persönlichkeitsrecht (vgl Rn 12) angesehen werden (BGH 17, 209, 214; 143, 214, 218 – Marlene Dietrich). Die Benutzung eines Namens in einer Veröffentlichung oder der eigenmächtige namentliche Hinw auf eine Person bspw in einer Werbeanzeige verletzt nicht das Namensrecht; insofern wird jedoch erg Schutz über das APR gewährt (BGH 30, 7 – Caterina Valente: Nennung in einer Werbeanzeige, ohne dass unbefugter Namensgebrauch nach § 12 vorliegt). Das Namensrecht, das den Schutz von Künstlernamen einschließt (BGH 30, 7, 9 – Caterina Valente), erlischt mit dem Tod des Namensträgers (BGH NJW 2007, 684 – kinski-klaus.de; vgl auch BGH 8, 318, 324 – Pazifist; 107, 384, 390 – Emil Nolde; BVerfG NJW 2001, 2957 – Kaisen). Dennoch entsteht hier keine Schutzlücke, denn ein postmortaler Schutz soll insoweit bestehen bleiben, als durch die Verwendung des Namens nach dem Tod das postmortale APR des Verstorbenen verletzt wird (BGH NJW 2007, 684 – kinskiklaus.de, s Rn 74). Zur Problematik der Verletzung von Firmennamen s Rn 64. c) Urheberpersönlichkeitsrecht (UrhPR). Die ideellen Interessen des Urhebers eines Werkes werden durch das UrhPR geschützt, welches ebenfalls als besondere Erscheinungsform des APR verstanden werden kann (BGH GRUR 1971, 525 – Petite Jacqueline; Dreier/Schulze vor § 12 UrhG Rn 5) und diesem als Spezialregelung vorgeht, soweit sein Anwendungsbereich reicht. Das UrhPR schützt die geistigen und persönlichen Beziehungen des Urhebers zu seinem Werk und ist damit klar werkbezogen. Vom UrhPR ieS werden folgende zentrale 24

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Rechte umfasst: das Veröffentlichungsrecht (§ 12 UrhG), das Recht auf Anerkennung der Urheberschaft (§ 13 UrhG) sowie das Recht, Entstellungen oder Beeinträchtigungen des Werkes zu verbieten (§ 14 UrhG). Daneben finden sich im UrhG noch eine Vielzahl von Regelungen, die einen starken persönlichkeitsrechtlichen Kern aufweisen und als UrhPR iwS verstanden werden können (bspw die Befugnisse der §§ 25, 29 I, 34, 39, 42, 62, 63 und 113ff UrhG). Soweit kein konkreter Werkbezug besteht, ist der Urheber zudem erg durch das APR geschützt, bspw vor Herabwürdigungen und Erniedrigungen im Kontext seines urheberrechtlichen Schaffens, aber auch, sofern dem Schöpfer Werke untergeschoben werden, die er nicht geschaffen hat (BGH 107, 384, 390 – Emil Nolde). Das UrhPR wirkt grds über den Tod des Urhebers hinaus, es ist vererblich (§ 28 UrhG) und endet erst mit Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist, dh 70 Jahre post mortem (§ 64 UrhG). Der Urheber selbst muss bei seinem Werkschaffen das APR anderer Personen beachten, wenn er bspw auf Biografien zurückgreift, Bildnisse erschafft oder sog „Schlüsselromane“ verfasst (vgl insofern BVerfG NJW 2008, 39 – Esra; ausf hierzu Rn 132ff). II. Die ideellen und kommerziellen Bestandteile des APR. Das APR wurde v BGH zunächst vor dem Hinter- 16 grund der Gefährdung rein ideeller Interessen (Ehrenschutz, Schutz der Privatsphäre und der persönlichen Identität etc) entwickelt (vgl BGH 13, 334 – Leserbrief). Aber schon frühzeitig (BGH 20, 345 – Dahlke; 26, 349 – Herrenreiter; 50, 133, 137 – Mephisto) zeichnete sich ab, dass das APR auch dem Schutz kommerzieller Interessen zu dienen bestimmt ist. Die Entwicklung dieses „kommerziellen APR“ fand ihren bisherigen Höhepunkt mit BGH 143, 214 – Marlene Dietrich: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine besonderen Erscheinungsformen wie das Recht am eigenen Bild und das Namensrecht dienen dem Schutz nicht nur ideeller, sondern auch kommerzieller Interessen der Persönlichkeit“ (LS). Der BGH erkennt mit dieser Entscheidung „vermögenswerte Ausschließlichkeitsrechte“ zum Schutz der kommerziellen Interessen an (vgl hierzu Rn 201ff). Diese Bestandteile sind – anders als die ideellen Bestandteile des APR, welche unauflöslich an die Person ihres Trägers gebunden sind – übertragbar und vererbbar (Rn 74, 201ff). Die Erben als Träger der postmortalen Bestandteile können nach Rspr des BGH (NJW 2007, 684 – kinski-klaus.de) zudem bis zum Ablauf von zehn Jahren alle Verletzungen der vermögenswerten Bestandteile als Schadensersatzanspruch im eigenen Namen geltend machen, allerdings sind stets die ausdr oder mutmaßlichen Interessen des Verstorbenen zu berücksichtigen, wodurch eine zu starke Marktgängigkeit und Kommerzialisierung des APR verhindert werden soll (vgl auch BVerfG NJW 2000, 1023 – CvM: „Der verfassungsrechtliche Privatsphärenschutz aus Art 2 I iVm Art 1 I GG ist nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet“). Nach BGH NJW 2007, 689, 691 – Lafontaine (allerdings mit recht knappem Verweis auf die Urteilsgründe in BVerfG NJW 2006, 3409 – Blauer Engel II, die explizit nur die postmortalen vermögenswerten Bestandteile betreffen: „Das Grundgesetz gebietet einen postmortalen Schutz der Persönlichkeit gegen Angriffe auf die Menschenwürde. Einen Schutz vor einer kommerziellen Ausbeutung, die nicht mit einer Menschenwürdeverletzung verbunden ist, kennt das Grundgesetz im Bereich des postmortalen Schutzes nicht“; auch, wenn zugegebenermaßen eine generelle Beschränkung zumindest anklingt) erfahren die vermögenswerten Bestandteile des APR jedoch keinen grundrechtlichen Schutz, sondern sind nur einfach-rechtlich geschützt, weshalb sie im Konflikt mit verfassungsrechtlich geschützten Interessen und Freiheiten aufgrund des Verdrängungsprinzips zurücktreten müssen. III. Systematisierungsversuche der Rspr. 1. Sphärentheorie. a) Schutzbereiche der Sphären. Schon in der Le- 17 serbrief-Entscheidung verwandte der BGH den Begriff der Sphäre („Geheimsphäre“ 13, 334, 339). In späteren Entscheidungen findet sich dann die Unterscheidung zw der Sozial- bzw Individualsphäre, der Privatsphäre und der Geheim- sowie Intimsphäre (zu den Sphären s auch Rn 122ff; zur Dogmatik der Sphärentheorie Epping/Hillgruber Art 2 GG Rn 37f). Während in der Privat- und Sozialsphäre Eingriffe in einem abgestuften Maß, je nach Bedeutung der in einer Einzelfallabwägung zu prüfenden Interessen, möglich sein sollen, wird im Bereich der Intimsphäre, da der Person am nächsten zugeordnet, ein absoluter unantastbarer Schutz gewährt (BVerfG 35, 202 – Lebach; NJW 2000, 2189 – Ehebruch; BGHSt 57, 71: Unverwertbarkeit eines in einem Kfz mittels akustischer Überwachung aufgezeichneten Selbstgesprächs eines Beschuldigten). Die einzelnen Sphären sind jedoch nicht strikt voneinander zu trennen, sondern überlappen sich im Einzelfall (Rn 23), weshalb es nicht selten ist, dass die von den Gerichten etablierten Fallgruppen zugleich mehrere Sphären berühren (Rn 23; krit diesbzgl auch Staud/Kannowski, Vor § 1 Rn 25; Baston-Vogt, 191ff; Martini JA 2009, 839, 844). Der Bereich der Intimsphäre (hierzu BVerfG 6, 389, 432 sowie ausf Rn 122ff) umfasst dabei die innere Gedan- 18 ken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen, wie vertraulichen oder tagebuchartigen Aufzeichnungen und Briefen (BVerfG 80, 367 – Tagebuch; BGHSt 19, 325) sowie Vorgänge aus dem Sexualbereich, insb das Gebiet des Geschlechtlichen (BVerfG 119, 1 – Esra; 6, 389 – Homosexuelle; BVerfG NJW 2011, 909: zum Verstoß des § 8 TSG gegen das APR; jedoch können auch geschlechtliche Handlungen einen starken „Sozialbezug“ aufweisen, BGH GRUR 2012, 422, 422 – Pornodarsteller; zur Bedeutung des Vorverhaltens in diesem Kontext s Rn 121; BayObLGSt 1978, 152, 156 – Prostituierte; BVerfG NJW 2009, 3357 – Fußballspieler: Berichterstattung über Vergewaltigung; BGH NJW 2013, 1681 – Kachelmann: „Äußerungen über sexuelle Vorlieben, die im Rahmen einer nichtöffentlichen Einlassung im Strafverfahren getätigt werden, unterliegen bei einer prominenten Person, die einer Sexualstraftat angeklagt wird, nicht dem absolut geschützten Kernbereich des Persönlichkeitsrechts“; vgl Köln ZUM-RD 2012, 206, 209 – Berichterstattung über sexuelle Verhaltensweisen einer angeklagten Person; KG ZUM 2011, 570, 571: Belange eines außerehelich gezeugten Kindes; zum Sozialbezug beruflicher Verfehlungen Frenz ZUM 2012, 282) und sonstige Belange, die von Natur aus einen Anspruch auf Geheimhaltung und Diskretion beanspruchen, zB der Gesundheitszustand (abl insoweit Maunz/Dürig/Di Fabio Klass

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Art 2 GG Rn 158, einschränkend auch BGH NJW 2012, 3645: Erkrankung einer bekannten Entertainerin = Privatsphäre); München AfP 2016, 274: Details über Gesundheitszustand eines ehemaligen Rennfahrers, aber auch Darstellungen des nackten Körpers (Hamburg AfP 2012, 473; LG Hamburg ZUM-RD 2009, 610; Dresden ZUM 2010, 597 – Werbung für Welterbe; LG Düsseldorf ZUM-RD 2012, 407). Grds kann die Persönlichkeit in diesem Bereich für alle Lebensvorgänge Schutz beanspruchen, die zur Wahrung und Entwicklung von Identität und Individualität vor Einblicken und dem Einwirken der Öffentlichkeit abgeschirmt werden müssen (BGH NJW 1981, 1366 – Der Aufmacher II). Unerheblich ist dabei auch, ob die geschilderten Vorgänge wahr oder unwahr sind, da sie „wegen Berührung des Kernbereichs der Persönlichkeit überhaupt nicht in die Öffentlichkeit gehören“ (BGH ZUM 2008, 683; Karlsruhe ZUM 2012, 490, 492). Dem Bereich der Geheimsphäre/Vertraulichkeitsphäre (s hierzu auch Rn 125) unterfällt zunächst alles, was der Einzelne durch besondere Maßnahmen vor der Kenntnisnahme durch Dritte bewahren möchte (BVerfG 54, 148 – Eppler; NJW 1972, 1123). Geschützt wird in diesem Bereich also primär die ungenehmigte Kenntnisnahme oder Veröffentlichung privater Kommunikation (BGH ZUM-RD 2015, 83, 86 – Verwendung rechtwidrig erlangter Informationen: Schutz des Interesses daran, dass der Inhalt privater E-Mails nicht an die Öffentlichkeit gelangt; LG Köln ZUM-RD 2009, 349, 351 – Veröffentlichung fremder persönlicher E-Mails auf einer Homepage; Stuttgart ZUM-RD 2011, 617 (BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde verworfen); Köln AfP 2012, 66; KG ZUM 2011, 570, 571: Privatsphärenschutz, Missachtung des Geheimhaltungswillens verstärkt Eingriff in das APR). Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse werden dabei grds nicht erfasst. Sie fallen unter Art 12 bzw Art 14 GG. Anderes gilt jedoch, wenn sie einen personalen Bezug aufweisen (BVerfG 113, 29, 46f). Der Bereich der Privatsphäre (s hierzu ausf Rn 126ff) hingegen umfasst zum einen die familiären Verhältnisse und Verbindungen des Einzelnen (Auseinandersetzungen innerhalb der Familie, Eheprobleme, Scheidungsabsichten etc). Zum anderen wird von der Privatsphäre auch das Leben im häuslichen Bereich (Wohnung, umfriedetes Grundstück, jedenfalls sofern es dem Nutzer die Möglichkeit gibt, frei von öffentlicher Beobachtung zu sein, BGH NJW 2004, 762 – Luftbildaufnahme; KG NJW 2005, 2320; LG Köln ZUM-RD 2013, 146 – Hotelterrasse) geschützt. Unter Beachtung der Vorgaben des EGMR (NJW 2004, 2647 – CvH/Deutschland I) erkannte das BVerfG (NJW 2008, 1793, 1797 – CvH IV) zudem ausdr einen Schutzanspruch des Persönlichkeitsrechts auch außerhalb der Voraussetzungen einer örtlichen Abgeschiedenheit (BVerfG NJW 2000, 1021, 1022ff – CvM, vgl hierzu auch Erman/Klass14 Rn 39) an, bspw wenn die Medienberichterstattung den Betroffenen in Momenten der Entspannung oder des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Berufs und Alltags erfasst. In diesem Kontext stellte das Gericht fest, dass es keine verfassungsrechtliche Gewährleistung gebe, Personen von zeitgeschichtlichem Interesse „bei Aufenthalten außerhalb einer Situation räumlicher Abgeschiedenheit stets und ohne Beschränkung für die Zwecke medialer Verwertung“ zu fotografieren (BVerfG NJW 2008, 1793, 1797 – CvH IV). Der Privatsphärenschutz gewährt dem Einzelnen – wenn auch in schwächerer Form – mithin ebenfalls einen autonomen Bereich eigener Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität unter Ausschluss der Öffentlichkeit entfalten kann. Zu einer Verstärkung des Privatsphärenschutzes durch Art 6 I und II GG kommt es im Bereich der Berichterstattung über Kinder und Jugendliche (BGH AfP 2014, 325, 326 – Kindschaftsverhältnis: denn deren Persönlichkeitsentfaltung kann empfindlicher gestört werden) sowie in Fällen, die die spezifisch elterliche Hinwendung zu diesen zum Gegenstand haben (BVerfG NJW 2000, 1021, 1026 – CvM; NJW 2005, 1857 – Carolines Tochter; BGH NJW 2005, 215 – Alexandra von Hannover; NJW 2010, 1454 – Sohn von Franz Beckenbauer; ZUM 2010, 262, 263 – Tochter von Franz Beckenbauer; GRUR 2013, 1065 – Eisprinzessin Alexandra; Hamburg AfP 2013, 149: Interesse, nicht als das Kind einer prominenten Person geoutet zu werden, überwiegt Interesse der Öffentlichkeit an dieser Information; zurückhaltender mit Blick auf ein bewusstes Hinwenden zur Öffentlichkeit allerdings BVerfG NJW 2012, 1500, 1502 – Ochsenknecht-Söhne: Es gibt keine Regelvermutung, wonach das APR eines Minderjährigen grds Vorrang vor der Meinungsfreiheit habe, vielmehr sei stets eine Abwägung vorzunehmen; BGH ZUM 2014,139 – Tochter von Günther J; ZUM-RD 2016, 292 – „Möchtegernüberspringerin“: Recht auf ungestörte kindgemäße Entwicklung; s hierzu auch Stender-Vorwachs GRUR-Prax 2012, 286; Schertz NJW 2013, 721, 725 sowie Rn 183). Die Sozialsphäre (s ausf hierzu Rn 127) hingegen schützt den Menschen in seinen Beziehungen zur Umwelt und seinem beruflichen, wirtschaftlichen oder sonstigen öffentlichen Wirken (BGH ZUM-RD 2015, 151, 152 – Promi-Friseur: Erwähnung als Arbeitgeber fällt in den Bereich der Sozialsphäre). Sie umfasst den Bereich des menschlichen Lebens, von dem jedermann Kenntnis nehmen kann und evtl auch soll (zum Bezug von Adresse und Abbildung eines Wohnhauses zur sozialen Realität LG Köln MMR 2010, 278 – Stadt-Bilderbuch; KG MMR 2011, 414; Hamburg AfP 2012, 165; LG Berlin ZUM-RD 2011, 418, 419 – Street View: Das bloße Aufnehmen von Häuserzeilen oder Straßenzügen verletzt weder das APR noch das Recht am eigenen Bild. Zur Zulässigkeit von Geodatendiensten s Rn 171f). Berichte aus dem Bereich der Sozialsphäre sind aufgrund des schwachen Persönlichkeitsbezugs meist zulässig (BVerfG NJW 2016, 3362; NJW 2006, 3406 – Uschi-Glas-Rivalin; BGH NJW 2012, 771, 772 – Berichterstattung über Parteizugehörigkeit eines Vereinsvorstandes; NJW 2012, 763, 765 – INKA Story; GRUR 2005, 612; LG Hamburg ZUM-RD 2012, 98, 98f; s hierzu Rn 117ff). Eine Ausnahme besteht lediglich dann, wenn eine schwerwiegende Auswirkung auf das Ansehen und die Persönlichkeitsentfaltung des Betroffenen zu befürchten ist, die außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht, BVerfG AfP 2010, 465, 466 – personalisierte Darstellungsweise (zur Prangerwirkung s Rn 127), BVerfG GRUR 2010, 544, 545 – Zitat aus Anwaltsschreiben. 26

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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b) Bedeutung der Sphärenbildung. Ausgehend von der Idee eines unterschiedlich starken Persönlichkeitsschut- 23 zes in Abhängigkeit von der jew betroffenen Sphäre, gliederte sich die Prüfung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung in den Anfangsjahren zunächst in folgende Schritte: Erstens war festzustellen, ob ein Eingriff in eine schützenswerte Sphäre festzustellen war, und zweitens musste geprüft werden, ob hierfür eine Rechtfertigung vorlag. Aufgrund der existierenden Abgrenzungsschwierigkeiten sowie der fließenden Übergänge zw den einzelnen Sphären gingen die Gerichte aber zunehmend dazu über, sofort eine einzelfallbezogene Interessenabwägung vorzunehmen, im Rahmen derer die betroffene Sphäre allenfalls noch bei der Gewichtung der Interessen Bedeutung erlangte (so auch Halfmeier, 62). Unumstritten ist jedenfalls, dass die Ausbildung der einzelnen Sphären keinen hinreichend begrifflich klaren Unrechtstatbestand bildet. Vielmehr konnte und kann die Rechtswidrigkeit der Verletzung des APR (Erfolgsunrecht) erst im Zusammenwirken mit dem Verhaltensunrecht festgestellt werden (Erman/Ehmann12 Rn 7). Die Sphärentheorie ist folglich für sich allein unbrauchbar zur Bestimmung des Unrechtstatbestands einer Persönlichkeitsrechtsverletzung (Erman/Ehmann12 Rn 30ff; Hoeren/Sieber/Helle, Multimedia-Recht Teil 8.1. Rn 54; Ehmann, FS 50 Jahre BGH, 623; Baston-Vogt, 184ff). Ebenfalls führt auch die Unterordnung unter eine von der Rspr anerkannte Fallgruppe oder die Zuordnung zu einem anerkannten Schutzbereich (vgl hierzu Rn 24, 94ff) nicht zur Indikation der Rechtswidrigkeit, sie kann jedoch im Einzelfall eine Vermutungswirkung haben (zB Eingriff in das Recht am geschriebenen oder gesprochenen Wort etc). Eine umfassende Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall bleibt jedoch mit Ausnahme jener Konstellationen, welche die Menschenwürde als unantastbares Gut tangieren, unumgänglich (anders Erman/Ehmann12 Rn 7, der eine Abwägung nur dann für erforderlich hält, soweit die Zurechnung der Tathandlung zu einem Schutzbereich und einer Untergruppe die Vermutung der Rechtswidrigkeit der APR-Verletzung noch nicht hinreichend zu begründen vermag). 2. Fallgruppenbildung: Strukturierung des Fallrechts. Zwar betont der BGH immer wieder, dass sich der In- 24 halt des Persönlichkeitsrechts nicht abschließend festlegen lasse (vgl BGH 24, 72, 78 – Krankenkassenpapiere), zugleich versucht das Gericht jedoch eine Systematisierung durch Fallgruppen zu erreichen. Dies führt zwar zu einer gewissen Übersichtlichkeit, gibt jedoch keinen Aufschluss über den genauen Schutzumfang, denn es handelt sich hierbei nur um strukturiertes Fallrecht. Das BVerfG hat in der Eppler-Entscheidung (54, 148, 154) ebenfalls acht Ausprägungen zusammengefasst, die bisher von der Rspr anerkannt wurden. Dabei handelt es sich um die Intim-, Privat- und Geheimsphäre, die persönliche Ehre, das Verfügungsrecht über die eigene Person, das Recht am eigenen Bild und am gesprochenen Wort sowie das Recht, von der Unterschiebung nicht getaner Äußerungen verschont zu bleiben. Diese Ausformungen müssen entspr beachtet werden, wenn es sich um gerichtliche Entscheidungen über kollidierende Interessen nach den Vorschriften des Privatrechts handelt. Später fügte das BVerfG im sog Volkszählungsurteil (65, 1) das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinzu, welches aufgrund eines real existierenden Schutzbedürfnisses auch als Bestandteil des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts anzusehen ist (str; bejahend BGH AfP 2014, 325, 326 – Kindschaftsverhältnis; BGH NJW 1991, 1532, 1533 – Bekanntgabe des Notfallarztes; krit BGH GRUR 2011, 261 – Party-Prinzessin; vgl hierzu ausf Rn 128f). In seinem Urt v 27.2.2008 (NJW 2008, 822) begründete das BVerfG zudem ein Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (Recht auf private Datensphäre; hierzu Kutscha NJW 2008, 1042ff; Roßnagel/Schnabel NJW 2008, 3534ff), das Systeme erfasst, die allein oder aufgrund technischer Vernetzung personenbezogene Daten eines Einzelnen enthalten können und bei denen ein Zugriff auf das jew System einen Einblick in die Lebensgestaltung des Nutzers ermöglicht, wie bspw Laptops, Mobiltelefone, Navigationsgeräte uÄ. 3. Normative Leitung durch Systematisierung? Offener Tatbestand vs Indikation der Rechtswidrigkeit. Das 25 BVerfG (66, 116, 138 – Wallraff) fordert für Persönlichkeitsrechtsverletzungen eine normative Leitung der Rspr, die von der Notwendigkeit einer Einzelfallabwägung befreit. Maßgebliche Funktion einer solchen Schutzbereichsbildung ist vor allem die Konkretisierung und bessere Handhabbarmachung des APR, dessen Grenzen aufgrund seines Charakters als Rahmenrecht nicht fest umrissen sind. Hierfür wäre es jedoch erforderlich, eine überschaubare Zahl von klar definierten Schutzbereichen als Unrechtstatbestände zu bilden, die zum einen alle wesentlichen Gefährdungskonstellationen erfassen und bei deren Einschlägigkeit zum anderen die Vermutung der Rechtswidrigkeit der Eingriffshandlungen begründet werden kann (s hierzu auch Erman/Ehmann12 Rn 4). Im Interesse der Gebote der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit erscheint eine solche Forderung durchaus angemessen, wenn nicht gar notwendig; die bisherigen Versuche in Lit (Baston-Vogt, 152ff) und Rspr (BVerfG 54, 148, 154 – Eppler) führen jedoch die Grenzen der Umsetzbarkeit deutlich vor Augen, denn jede Schutzbereichsbildung muss zwangsläufig nicht nur das APR als geschütztes Rechtsgut (Erfolgsunrecht), sondern zugleich auch die unterschiedlichen gegenläufigen Freiheiten und Interessen des Störers einbeziehen und zumindest in den Untergruppen auch die Form der Eingriffshandlung und sonstige Umstände mitberücksichtigen (vgl hierzu Ehmann, FS 50 Jahre BGH, 626f). Nur auf diese Weise kann unabhängig vom konkreten Einzelfall für die allg gebildeten Unrechtstatbestände ein allg Urt über die Rechtswidrigkeit der Eingriffshandlung gebildet werden. Eindeutigkeit lässt sich dabei angesichts des umfassenden Schutzbereichs und der Vielfältigkeit möglicher Gegeninteressen jedoch nicht erzielen. Allerdings kann die Bildung von Fallgruppen zu einer größeren Überschaubarkeit führen und je nach Konkretisierungsgrad auch eine Vermutungswirkung mit Blick auf die vorzunehmende Güter- und Interessenabwägung in sich tragen.

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4. Systematisierung anerkannter Ausprägungen des zivilrechtlichen APR. Angesichts des bisher konkretisierten Fallrechts sowie des aktuell bestehenden Schutzbedürfnisses erscheint folgende Systematisierung des Persönlichkeitsrechtsschutzes angebracht: a) Recht der persönlichen Ehre (Rn 94ff). b) Schutz vor ungewollten Indiskretionen und ungewollter Publizität (Rn 117ff), der ua folgende Fallgruppen/Schutzbereiche umfasst: Diskretionsschutz durch Sphärenschutz (Intim- und Geheimsphäre; Privatsphäre und Sozialsphäre, Rn 122ff), Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Rn 128f), Schutz des geschriebenen Worts (Rn 130), Schutz des gesprochenen Worts (Rn 131), Verfügungsrecht über die Darstellung des eigenen Lebensbilds (Rn 132ff), Schutz vor der Herstellung von Bildaufnahmen (Rn 143ff), Anonymitätsschutz im Kontext der Kriminalberichterstattung (Rn 146ff), Schutz vor der unberechtigten Verbreitung und öffentlichen Zurschaustellung von Bildnissen (Recht am eigenen Bild, Rn 167ff). c) Schutz der selbstbestimmten und unverfälschten Darstellung (Rn 193ff), der ua folgende Fallgruppen/ Schutzbereiche umfasst: Schutz vor erfundenen Interviews (Rn 195), Schutz vor der Wiedergabe unrichtiger Zitate und der Unterschiebung nicht getaner Äußerungen (Rn 196), Schutz vor der fälschlichen Zuschreibung von Mitgliedschaften (Rn 197), Schutz gegen Veränderungen von Bild und Stimme (Rn 198), Schutz gegen Verfälschungen des Lebensbildes (Rn 199). d) Schutz vor kommerzieller Verwertung (Rn 201ff), der ua folgende Fallgruppen/Schutzbereiche umfasst: Schutz gegen die ungenehmigte Verwendung von Stimme und Namen (Rn 207f) sowie Schutz vor der unberechtigten Verbreitung und öffentlichen Zurschaustellung von Bildnissen zu kommerziellen Zwecken (Rn 209, 184). e) Schutz vor Belästigungen (Rn 216ff). f) Freiheitsschutz (Rn 223ff). Zum (Grund-)Recht auf informationelle Selbstbestimmung in eigenen Angelegenheiten, insb zu den durch das BVerfG kreierten (Grund-)Rechten auf informationelle, sexuelle, individuelle und wirtschaftliche Selbstbestimmung und den im Wege der durch Schutzpflichten vermittelten Drittwirkung abgeleiteten Rechten auf Kenntnis der eigenen Abstammung, auf Beschäftigung und Weiterbeschäftigung ua s Erman/Ehmann12 Rn 273ff. IV. Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention Schrifttum: Bartnik, Caroline à la francaise – ein Vorbild für Deutschland, AfP 2004, 489; Dörr, EMRK: Recht auf Achtung des Privatlebens, Freiheit der Meinungsäußerung, JuS 2012, 1046; Engels/Jürgens, Auswirkungen der EGMR-Rechtsprechung zum Privatsphärenschutz, NJW 2007, 2517; Frenz, Konkretisierte Abwägung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz, NJW 2012, 1039; Gersdorf, Caroline-Urteil des EGMR: Bedrohung der nationalen Medienordnung AfP 2005, 221; Halfmeier, Privatleben und Pressefreiheit: Rechtsvereinheitlichung par ordre de Strasbourg, AfP 2004, 417; Heldrich, Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, NJW 2004, 2634; Klass, Der Schutz der Privatsphäre durch den EGMR im Rahmen von Medienberichterstattungen, ZUM 2014, 261; Klass, Zu den Grenzen der Berichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens – Die Urteilsserie des BGH v 6.3.2007 im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR, AfP 2007, 517; Mann, Auswirkungen der Caroline-Entscheidung des EGMR auf die forensische Praxis, NJW 2004, 3220; Müller, Persönlichkeitsrecht und Medienfreiheit auf der „europäischen Waagschale“ – Hoffnung auf den deutschen „Mittelweg“, ZRP 2011, 93; Ohly, Harmonisierung des Persönlichkeitsrechts durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte? – Rechtsvergleichende Anmerkungen zum Urteil in der Sache Hannover/Deutschland, GRURInt 2004, 902; Stürner, Caroline-Urteil des EGMR – Rückkehr zum richtigen Maß, AfP 2005, 213.

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1. Persönlichkeitsrechtsschutz in der EMRK. Der Schutz der Persönlichkeit und des Privatlebens wird nicht nur über das GG, sondern auch durch die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v 4.11.1950 (BGBl 1952, II, 686, 953, mit Änderungen, abgedr in Sartorius II, Nr 130) gewährleistet. Diese bestimmt in Art 8: „Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.“ 2. Relevanz der EMRK und Rechtswirkung von Urteilen des EGMR. Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der von der BRD ratifiziert wurde und dem daher gem Art 59 II GG der Rang eines einfachen Gesetzes zukommt. Die Konvention ist mithin kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, der Konventionstext und seine Auslegung durch den EGMR dienen nach BVerfG NJW 2004, 3407, 3408 – Görgülü-Beschl (dazu Klein JZ 2004, 1171; Stark JZ 2005, 72; ferner KG NJW 2005, 605; dazu Gersdorf AfP 2005, 221, 226; Stürner AfP 2005, 213, 217; zuletzt BGH NJW 1972, 431 m krit Anm Helle AfP 2007, 192) jedoch auf der verfassungsrechtlichen Ebene als Auslegungshilfen (BVerfG NJW 2008, 1793, 1797 – CvH IV). Entscheidungen des EGMR können folglich nicht unberücksichtigt bleiben, weshalb sowohl eine fehlende Auseinandersetzung wie auch eine schematische Anwendung gegen Grundrechte iVm mit dem Rechtsstaatsprinzip verstößt. Daher sind letztlich alle Organe des Staates einschl der Gerichte verpflichtet, die Urt des EGMR zu berücksichtigen. Eine Pflicht, den völkerrechtlichen Vorgaben nachzukommen, besteht nach Ansicht des BVerfG jedoch nur, wenn diese nicht in Widerspruch zu tragenden Prinzipien des dt Verfassungsrechts stehen. Einer konventionskonformen Auslegung ist mithin nur insofern der Vorrang zu geben, als dies im Rahmen geltender Auslegungs- und Abwägungsmaßstäbe möglich ist. Anderes gelte aber, wenn dadurch gegen eindeutig entgegenstehendes nationales Gesetzesrecht oder gegen Verfassungsrecht verstoßen wird (BVerfG NJW 2004, 3407, 3411 – Görgülü-Beschl). Jedenfalls bestehe auch für die bei der Auslegung der dt Grundrechte bedeutsamen Vorgaben der EMRK ein eigenständiger Beurteilungsspielraum der nationalen Gerichte (BVerfG NJW 2008, 1793, 1797 – CvH IV mit Verweis auf EGMR NJW 2009, 971, 974 Rn 77ff – Dickson/Vereinigtes Königreich). Zur Bedeutung und Bindungswirkung 28

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der EMRK in der innerstaatlichen Rspr Deutschlands und Frankreichs ausf Mellech, Die Rezeption der EMRK sowie der Urteile des EGMR in der französischen und dt Rspr, 2012. 3. Schutz des Privat- und Familienlebens durch Art 8 EMRK. Nach Art 8 EMRK hat jedermann Anspruch auf 35 Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Begriff des „Privatlebens“ beschränkt sich dabei nicht auf einen „inneren Bereich“, in dem eine Person ihr eigenes persönliches Leben so führen kann, wie sie es möchte. Unmittelbar geschützt ist vielmehr auch das Recht des Einzelnen, seine Persönlichkeit in den Beziehungen zu seinen Mitmenschen ohne Einmischung von außen zu entwickeln (EGMR NJW 1993, 718 – Niemitz/Deutschland), weshalb es auch einen „Bereich wechselseitiger Beziehungen“ zw dem Einzelnen und Dritten gibt, der selbst dann zum geschützten Bereich des Privatlebens gehört, wenn er in den öffentlichen Raum hineinreicht. Daher kann bspw auch die Veröffentlichung von Fotos, die im öffentlichen Raum entstanden sind, in das Privatleben einer Person eingreifen (EGMR NJW 2012, 1053 Rn 95 – CvH/Deutschland II). Berufliche und geschäftliche Tätigkeiten fallen ebenfalls darunter (EGMR NJOZ 2009, 4606, 4609 – Kyriakides/Zypern). Auch wenn sich der Begriff des Privatlebens nach Ansicht des EGMR einer erschöpfenden Definition entzieht, betont das Gericht doch stets, dass er jedenfalls weit zu verstehen ist. Vom Schutzbereich des Art 8 EMRK sind daher jedenfalls Elemente der persönlichen Identität einer Person wie ihr Name oder das Recht am eigenen Bild, die körperliche, geistige sowie die moralische und psychische Integrität (EGMR NJW 2012, 1053 Rn 95f – CvH/Deutschland II; NJW 2004, 2647, 2648 – CvH/Deutschland I; NJOZ 2009, 4606, 4609 – Kyriakides/Zypern), aber auch die geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung einer Person umfasst. Zudem fallen unter den Begriff der Privatsphäre auch persönliche Informationen, von denen der Einzelne erwarten kann, dass sie nicht ohne seine Einwilligung veröffentlicht werden (EGMR GRUR 2012, 741 Rn 83 – Axel Springer/Deutschland). Mit Blick auf das Recht am eigenen Bild weist der EGMR zudem auf die besondere Bedeutung des Art 8 EMRK in diesem Kontext hin, da Bilder oftmals sehr persönliche und intime Informationen über eine Person enthalten und nicht selten unter ständiger Belästigung oder gar Verfolgung entstehen (EGMR NJW 2012, 1053 Rn 102 – CvH/Deutschland II mwN). Anerkannt ist zudem ein Schutz der Ehre und des guten Rufs (EGMR AfP 2014, 430, 431f – Lavric/Rumänien; NJW-RR 2010, 1483, 1485 – A./Norwegen mwN; NJW-RR 2008, 1218, 1219 – Pfeifer/Österreich; 4.10.2007 – 12148/03 Rn 38 – Sanchez Cardenas/Norwegen bzgl der Ehre), wobei sich der Betroffene nicht über eine Verletzung seines guten Rufs beschweren kann, wenn die eingetretene Verletzung vorhersehbare Folge seines Handelns ist (zB Folge einer Straftat, s EGMR GRUR 2012, 741 Rn 83 – Axel Springer/Deutschland). Die Konventionsstaaten müssen daher grds ihrer Schutzpflicht nach Art 8 EMRK nachkommen und einen gerechten Ausgleich zw dem Recht auf Schutz des guten Rufs auf der einen Seite und dem in Art 10 EMRK garantierten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung auf der anderen Seite herstellen (EGMR NJW-RR 2008, 1218, 1219 – Pfeifer/Österreich; zur Kasuistik Rn 37). 4. Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit, Art 10 EMRK. Art 10 EMRK schützt die Meinungs- und Presse- 36 freiheit, denen auf der Ebene des Konventionsrechts ebenfalls eine herausgehobene Position zukommt. Sie sind sowohl wesentliche Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft und wesentliche Bedingungen für den Fortschritt einer Gesellschaft als auch für die Entwicklung jedes Individuums, weshalb Art 10 EMRK Tatsachen- und Meinungsäußerungen (Werturteile) umfassend und ohne Rücksicht auf den Inhalt der geäußerten Meinung schützt (EGMR NJW 1999, 1315, 1316 – Fressoz u Roire/Frankreich; NJW 1987, 2143, 2144 – Lingens; NJW 2006, 591f – Karhuvaara und Iltalehti/Finnland). Die Garantie des Art 10 EMRK gilt daher – vorbehaltlich Abs II – nicht nur für Nachrichten oder Ideen, die ein positives Echo haben – oder, die als unschädlich angesehen werden können, sondern auch für solche, die provozieren, schockieren oder stören (NJW 2012, 1053 Rn 101 – CvH/ Deutschland II; 7.12.1976 – 5493/72 – Handyside/Vereinigtes Königreich; NJW 1987, 2143, 2144 – Lingens); ebenso umfasst die Meinungsfreiheit auch die Veröffentlichung von Fotos (EGMR NJW 2012, 1053 Rn 103 – CvH/Deutschland II mwN). Auch die Art der Verbreitung ist unerheblich – umfasst werden alle Kommunikationsformen, also insb die Verbreitung durch Presse, Funk und Fernsehen sowie durch Bücher und in Vorträgen (Meyer-Ladewig Art 10 EMRK Rn 5). Die Freiheit der Meinungsäußerung unterliegt Einschränkungen, welche jedoch grds eng auszulegen sind und deren Notwendigkeit nachgewiesen werden muss (EGMR NJW 2012, 1053 Rn 101 – CvH/Deutschland II). Das Gewicht, welches der Pressefreiheit im Einzelfall zukommt, hängt zudem maßgeblich davon ab, ob es sich um eine Berichterstattung über Tatsachen handelt, die einen „Beitrag zu einer Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft leisten und Personen des politischen Lebens betreffen“, oder ob es sich um eine Berichterstattung über Einzelheiten und Aspekte des Privatlebens einer Persönlichkeit handelt, die keine derartigen Aufgaben wahrnimmt (EGMR NJW 2004, 2647 – CvH/Deutschland I). Ein Eingriff in die nach Art 10 EMRK geschützten Kommunikationsfreiheiten ist nach Ansicht des EGMR in einer demokratischen Gesellschaft nur „notwendig“ iSv Art 10 II EMRK, wenn er einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht, verhältnismäßig zu dem verfolgten berechtigten Ziel ist, und wenn die Gründe, mit denen die Behörden und Gerichte ihn rechtfertigen, stichhaltig und ausreichend sind. Die Staaten haben insoweit einen gewissen Ermessensspielraum, doch entscheidet letztlich der Gerichtshof, ob die genannten Voraussetzungen gegeben sind (EGMR NJW-RR 2010, 1487 – Egeland und Hanseid/Norwegen). Wird mit der Presseveröffentlichung ein berechtigtes Ziel verfolgt, das in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist (so EGMR NJW 2004, 2653 – Perna/Italien), gebührt der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit idR der Vorrang. Ein Eingriff in Art 10 EMRK ist bspw nicht gerechtfertigt, wenn Journalisten ihre Rolle als „öffentliche Wachhunde“ in Übereinstimmung mit ihrem Berufsethos wahrnehmen und ihre verletzenden Tatsachenbehauptungen sorgfältig überprüfen (EGMR NJW 2006, 1645 – Das blinde Auge der Polizei); zudem weist das Gericht stets darauf hin, dass die Klass

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Grenzen zulässiger Kritik bei Privatpersonen enger sind als bei Polizeibeamten sowie bei Politikern (vgl EGMR AfP 2014, 430, 432 – Lavric/Rumänien, NJOZ 2009, 2203, 2208 sowie NJW 1987, 2143, 2144 – Lingens). Besondere Bedeutung misst der EGMR auch der Presse als „public watchdog“ bei, welche grds die Pflicht habe, über alle Fragen von öffentlichem Interesse zu unterrichten. Er betont in diesem Kontext daher, dass es nicht Aufgabe der Gerichte sei, an Stelle der Presseorgane über die „anzuwendende Art der Berichterstattung“ zu urteilen (EGMR NJW 2012, 1053 Rn 102 – CvH/Deutschland II mwN). 5. Die Entscheidung Caroline v Hannover gegen Deutschland I als Triebfeder deutscher Rechtsprechungsänderungen. a) Verstoß gegen Art 8 EMRK. Im Jahr 2004 entschied der EGMR auf der Grundlage von Art 8, 10 EMRK (NJW 2004, 2647 – CvH/Deutschland I), dass die Interpretation und Auslegung der Vorschriften zum Schutz am eigenen Bild (§§ 22, 23 KUG) durch die dt Gerichte (speziell von BGH NJW 1996, 1128 und BVerfG NJW 2000, 1021 – CvM) – wonach Aufnahmen von absoluten Personen der Zeitgeschichte (PdZ), die diese auf öffentlichen Plätzen zeigen, im Grunde zulässig sind (BVerfG NJW 2000, 1021, 1023 – CvM) – Prominenten, die kein politisches Amt bekleiden, keinen ausreichenden Schutz ihrer Privatsphäre bieten. Der Begriff der absoluten PdZ in seiner Auslegung und Anwendung durch die dt Gerichte wurde daher als unvereinbar mit Art 8 und Art 10 EMRK betrachtet. Nach Ansicht des EGMR verstießen dt Gerichte gegen geltendes Konventionsrecht, indem sie es für zulässig erklärten, dass Bilder von CvH (vormals: CvM), die sie an „nicht abgeschiedenen Orten“ in „Szenen ihres Alltagslebens“ zeigten, also „bei Tätigkeiten rein privater Art“, ohne ihre Einwilligung verbreitet werden durften. Dies verletze Art 8 EMRK, denn jede Person, auch dann, wenn sie in der Öffentlichkeit bekannt ist und sich die Medien für sie interessieren, könne eine „berechtigte Erwartung“ auf Schutz und Achtung ihres Privatlebens haben (EGMR NJW 2004, 2647, 2650 – CvH/Deutschland I). Zu den Urteilsgründen im Einz vgl Erman/Klass14 Rn. 39. b) Reaktion des BGH. In mehreren Urt v 6.3.2007 (NJW 2007, 1981 – Ernst August v Hannover) modifizierte der BGH daraufhin seinen bisherigen Maßstab und legte ein abgestuftes Schutzkonzept an, welches in noch stärkerem Maße sowohl der abgebildeten Person als auch den von den Medien wahrgenommenen Informationsinteressen Rechnung trägt. Hierdurch relativierte das Gericht zugleich die absolute PdZ (hierzu ausf Klass AfP 2007, 517; zur Figur der absoluten PdZ s ausf Rn 176). Auch bei dieser Gruppe von Personen dürfe nicht außer Betracht bleiben, ob die Veröffentlichung und Berichterstattung einen Informationswert enthalte oder nur die Neugier befriedige. Daher sei stets zu prüfen, ob der konkreten Abbildung an sich eine Information über ein zeitgeschichtliches Ereignis zu entnehmen ist, oder ob die Abbildung an sich einen Beitrag zu einer Diskussion von allg Interesse leistet. Allerdings müsse mit Blick auf den erforderlichen Informationswert ebenfalls die dazugehörige Wortberichterstattung in die Beurteilung einfließen (s hierzu auch Rn 180). Zudem zeigte der BGH ganz in der Manier des BVerfG eine Präferenz für ein weites Verständnis der Kommunikationsfreiheiten, indem er betont, dass die Presse selbst nach publizistischen Kriterien entscheiden dürfe, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält und was nicht. c) Urt des BVerfG v 26.2.2008. Die Abkehr des BGH von früheren Maßstäben und der damit verbundene Verzicht auf die Rechtsfigur der absoluten PdZ wurde sodann auch vom BVerfG (NJW 2008, 1793, 1797 – CvH IV) akzeptiert und für mit dem GG vereinbar erklärt. Unter Beachtung der Entsch des EGMR (NJW 2004, 2647 – CvH/Deutschland I) differenziert das BVerfG nunmehr zw Politikern (politicians), Personen des öffentlichen Lebens (public figures) sowie gewöhnlichen Privatpersonen (ordinary persons) und stellt klar, dass die Zuordnung einer Person zur Gruppe der Personen des öffentlichen Lebens die Möglichkeit eröffnet, bei einem öffentlichen Informationsinteresse an dem Bericht Bilder dieser Person zu veröffentlichen, selbst dann, wenn sie dem Bereich des öffentlichen Alltagslebens entstammen. Dies sei schon vor dem Hintergrund der öffentlichen Kontrolle auch des privaten Gebarens einflussreicher Personen aus Wirtschaft, Kultur oder Medien erforderlich (BVerfG NJW 2008, 1793, 1800 – CvH IV unter Verweis auf EGMR 1.3.2007 – 510/04 – Tønsbergs Blad ua/Norwegen; EGMR 14.12.2006 – 10520/02 Rn 35ff – Verlagsgruppe News-GmbH/Österreich; 14.6.2005 – 14991/02 – Minelli/Schweiz). Zudem sei in diesem Fall auch der Einsatz kontextfremder oder kontextneutraler Aufnahmen möglich, denn dies könne dazu beitragen, dass belästigende Auswirkungen für die betroffenen Personen vermieden werden, die einträten, wäre eine Bebilderung nur mit im Kontext des Geschehens gefertigten Aufnahmen zulässig (BVerfG NJW 2008, 1793, 1797 – CvH IV; zuletzt auch BGH NJW 2010, 3025, 3027 – Charlotte Casiraghi). d) Fazit: Der BGH als Diener zweier Herren. Festgehalten werden kann, dass die in der Entscheidung CvH/ Deutschland I angelegten Maßstäbe und Grundsätze des EGMR Eingang in das dt System des Persönlichkeitsrechtsschutzes gefunden haben. Jedoch wurden sie nicht eins zu eins übertragen, sondern in einer modifizierten und am dt Grundrechtsverständnis orientierten Form (s hierzu Rn 34). Die Gerichte haben sich insb von den Kategorien der absoluten und relativen PdZ verabschiedet. Zwar verwenden sie noch den Begriff des Zeitgeschehens, jedoch wird dieser einzelfallbezogen und nicht schematisch angewandt. Eine Bildberichterstattung über eine Person des öffentlichen Lebens ist nach der modifizierten Rspr nur noch zulässig, wenn eine ernsthafte und sachorientierte Erörterung einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse erfolgt. Wird lediglich die reine Neugier der Leserschaft befriedigt und bietet auch die Wortberichterstattung keinen Nachrichtenwert, der zu einer die Allgemeinheit interessierenden Sachdebatte Anlass geben könnte, ist die Meinungsäußerungsfreiheit eng auszulegen (BGH NJW 2013, 793, 796 – Playboy am Sonntag) und verstößt die Veröffentlichung des Bildnisses idR gegen § 22 KUG (vgl hierzu ausf Rn 180f). Zur Bewertung der Entscheidung CvH/Deutschland s Erman/Klass14 Rn 40. Zur Kasuistik s Rn 180b. 30

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e) Reaktion des EGMR CvH/Deutschland II. Der EGMR akzeptierte die von BGH und BVerfG vorgenommene differenzierte Abwägung und stellte fest, dass die dt Gerichte ihren grds bestehenden Ermessensspielraum nicht überschritten hätten, weshalb Art 8 EMRK i Erg nicht verletzt sei (NJW 2012, 1053). Insofern akzeptierte er die vom BGH auf der Basis seines abgestuften Schutzkonzepts vorgenommene Bewertung der Bilder und damit die von den dt Gerichten postulierte Prämisse, wonach der Schutz der Privatsphäre umso mehr zurückzutreten habe, je größer der Informationswert der konkreten Berichterstattung (unter Einbeziehung der Wortberichterstattung, s hierzu Rn 180) ist. Mit Blick auf seine eigene Überwachungspflicht stellte der EGMR fest, dass es nicht seine Aufgabe sei, sich an die Stelle der staatlichen Gerichte zu setzen, er vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände zu prüfen habe, ob die von ihnen im Rahmen ihres Ermessensspielraums getroffenen Entscheidungen mit den Vorschriften der EMRK vereinbar sind. Haben die staatlichen Gerichte ihre Entscheidung unter Beachtung der Rspr des EGMR getroffen, müsse es gewichtige Gründe für eine Abänderung geben (EGMR NJW 2012, 1053 Rn 105f – CvH/Deutschland II mwN). f) Wortveröffentlichungen und Herstellen von Bildnissen. Über Wortveröffentlichungen trifft der EGMR in NJW 2004, 2647 – CvH/Deutschland I keine Entscheidung, und es wäre auch verfehlt, die zur Bildveröffentlichung entwickelten Grundsätze einfach auf die Wortberichterstattungen zu erstrecken (so auch Erman/Ehmann12 Rn 17h; BGH NJW 2007, 1981 – Ernst August v Hannover; zur notwendigen Differenzierung zw Wort- und Bildberichterstattung vgl auch BVerfG ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi; NJW 2012, 1500 – Ochsenknecht-Söhne; EGMR NJOZ 2012, 335 – Naomi Campbell). Gleichwohl wird die Wortberichterstattung durch die vom EGMR aufgestellten Maßstäbe zur Abwägung von Persönlichkeitsrechtsschutz und Meinungsäußerungs- sowie Informationsbeschaffungsfreiheit im Kontext der Bildberichterstattung zumindest beeinflusst. Mit Blick auf die Herstellung von Bildern stellt der EGMR fest, dass im Einzelfall ein Veröffentlichungsverbot in Betracht kommt, sofern die Herstellung in übermäßig belästigender Art und Weise erfolgte. Diesen Aspekt greift auch das BVerfG NJW 2008, 1793, 1797 – CvH IV auf und unterstreicht, dass das beharrliche Nachstellen oder das Ausnutzen von Heimlichkeit bei der Gewichtung der Persönlichkeitsbelange zu beachten ist. 6. Zentrale Grundsätze für die Interessenabwägung nach der Rechtsprechung des EGMR: Folgende Grundsätze für die Interessenabwägung zw Art 8 und Art 10 EMRK sind nach der aktuellen Rspr des EGMR mithin zu beachten: (1) Der Beitrag muss zur Diskussion über eine Frage von allg Interesse beitragen. Hierbei ist kein enger Maßstab anzuwenden, insb ist das öffentliche Interesse nicht nur dann zu bejahen, wenn es sich um politische Fragen, Verfehlungen oder um die Berichterstattung über Straftaten handelt (EGMR NJOZ 2012, 330, 333 – Wizerkaniuk/Polen; NJOZ 2009, 2203, 2208 – Le Pen; NJW 2006, 591 Rn 45 – Karhuvaara und Iltalehti/Finnland); vielmehr können bspw auch Sport- und Kunstereignisse das öffentliche Interesse begründen (EGMR – 13258/09 – Lillo-Stenberg and Saether/Norway). Nicht ausreichend ist es jedoch, wenn die Veröffentlichung lediglich dem Zweck dient, die Neugier des Publikums zu befriedigen. Verneint wurde das öffentliche Interesse bzgl finanzieller Schwierigkeiten eines berühmten Sängers (EGMR – 13258/09 – Lillo-Stenberg and Saether/Norway), vermuteter Eheprobleme eines Präsidenten, gesundheitlicher Probleme sowie Details aus dem Sexualleben (EGMR – 73579/10 – Ruusunen/Finnland). (2) Bekanntheitsgrad, Rolle und Funktion des Betroffenen sowie Gegenstand des Berichts müssen Berücksichtigung finden. Handelt es sich um Politiker oder sonstige Personen des öffentlichen Lebens (public figures), müssen diese weitergehende Beschränkungen ihrer Privatsphäre hinnehmen als Personen, die bisher nicht in der Öffentlichkeit standen (EGMR – 45543/04 – Somesan and Butiuc/Romania) und kein Amt ausüben, denn mit Blick auf sog „public figures“ nimmt die Presse ihre wesentliche Rolle als „Wachhund“ in der demokratischen Gesellschaft wahr und trägt dazu bei, Ideen und Informationen zu Fragen allg Interesses zu vermitteln (vgl EGMR EuGRZ 1995, 16 Rn 59 – Observer u Guardian/Vereinigtes Königreich). (3) Das Vorverhalten des Betroffenen und mögliche frühere Veröffentlichungen sind in die Bewertung einzubeziehen (EGMR NJW 2004, 2647 – CvH/Deutschland I). Hat der Betroffene sein Privatleben ggü der Presse schon zuvor geöffnet, ist die „berechtigte Erwartung“, dass seine Privatsphäre wirksam geschützt werde, „reduziert“ (EGMR GRUR 2012, 741 – Axel Springer/Deutschland). Allerdings führt die Tatsache, dass der Betroffene bereits mit der Presse zusammengearbeitet hat, nicht zu einer vollständigen Versagung von Schutz (EGMR – 13258/09 – Lillo-Stenberg and Saether/Norway; NJW 2012, 1053 – CvH/Deutschland II). (4) Inhalt (Art und Weise der Darstellung), Form (Ausmaß der Verbreitung) und Folgen der Veröffentlichung sind zu bewerten. Relevant ist daher, ob die Veröffentlichung eine negative Wirkung hat, die Reputation schädigt oder es sich um grundlose oder abschätzige Behauptungen handelt. Maßgeblich ist zudem, ob es sich um ein Foto oder eine Wortberichterstattung handelt, welches Medium genutzt wurde und welche Reichweite es hat (EGMR NJW 2012, 1053 – CvH/Deutschland II). (5) Von Bedeutung ist zudem, wie die Fotos entstanden sind (Zusammenhang und Begleitumstände der Aufnahme). So sind im Abwägungsprozess zugunsten des Schutzes des Privatlebens auch Belästigungen (durch Paparazzi) und sonstige Umstände, unter denen die veröffentlichten Fotos gemacht wurden, und die von den Betroffenen oft als Verfolgung empfunden werden, zu berücksichtigen. Relevanz kann zudem erlangen, wo die Aufnahmen entstanden sind, vgl EGMR GRUR 2012, 741 – Axel Springer/Deutschland: spektakulärer Ort der Festnahme (Bierzelt des Münchener Oktoberfests), ob sie ohne Kenntnis des Betroffenen oder sogar mit illegalen Mitteln aufgenommen wurden (EGMR NJW 2012, 1053 – CvH/Deutschland II). Klass

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(6) Im Fall einer Berichterstattung ist ferner relevant, wie die Information erlangt wurde und welches Vertrauen die Presse in die Richtigkeit der Information haben konnte. Wurde die Identität bspw schon vor der Berichterstattung von der Staatsanwaltschaft und damit von einer öffentlichen, privilegierten Quelle offengelegt, besteht nach Ansicht des EGMR idR eine ausreichende Tatsachengrundlage, EGMR GRUR 2012, 741 – Axel Springer/Deutschland. 49a (7) Steht ein Eingriff in Art 10 EMRK im Raum, muss auch die Schwere der verhängten Sanktion bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs Berücksichtigung finden. 49b Auch die Prüfung des Informationsgehalts von Fotos unter Berücksichtigung des Begleitartikels wird vom EGMR nicht beanstandet. Sollte der Begleittext nur als Vorwand für die Veröffentlichung der Bilder dienen, bestehe die Möglichkeit, in Verfahren vor den nationalen Gerichten derartige Alibi-Zusammenhänge zu beanstanden (EGMR NJW 2012, 1053 Rn 119 – CvH/Deutschland II). 50 7. Kasuistik zum Spannungsverhältnis zw Art 8 und Art 10 EMRK: EGMR 30.8.2016 – 55442/12 – Medipress Sociedade Journalìstica Lda/Portugal: zur Zulässigkeit scharfer und polemischer Kritik am Premierminister; 17.3.2016 – 16313/10 – Kahn/Deutschland: Veröffentlichung von Bildern der Kinder eines prominenten Fußballers; 15.3.2016 – 52205/11 – Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH & Co KG/Deutschland: satirische Fotomontage mit dem damaligen Deutsche Telekom-CEO Ron Sommer; 8.3.2016 – 25721/04 – Rusu/Rumänien: keine Richtigstellung eines Berichts über einen flüchtigen, landesweit gesuchten Verdächtigten; 8.12.2015 – 51/06 – Caragea/Rumänien: Anzeige gegen Journalisten wegen übler Nachrede; 24.11.2015 – 72966/13 – Wlodzimierz Kucharczyk/Polen: Zulässigkeit eines negativen Postings auf einem Anwaltsbewertungsportal; 10.11.2015 – 40454/07 – Couderc and Hachette Filipacchi Associés/Frankreich: Berichterstattung über nicht-eheliches Kind von Fürst Albert; 17.9.2015 – 14464/11 – Langner/Deutschland: falscher Vorwurf der Rechtsbeugung; 23.6.2015 – 32297/10 – Niskasaari und Otavamedia Oy/Finnland: üble Nachrede; NJW 2016, 1563 – Morice/Frankreich: Kritik eines Anwalts an ErmittlungsrichterInnen ggü der Presse; 16.4.2015 – 14134/07 – Armellini ua/Österreich: Verurteilung aufgrund eines unrichtigen Vorwurfs der Bestechlichkeit; 12.3.2015 – 25790/11 – Almeida Leitao Bento Fernandes/Portugal: Diffamierung einer Familie in literarischem Werk; 19.2.2015 – 53495/09 – Dieter Bohlen/Deutschland: humorvolle Zigarettenwerbung; ebenso NJW 2016, 781 – Ernst August v Hannover/Deutschland; 13.1.2015 – 34447/05 – Marian Maciejewski: Verurteilung eines Zeitungsjournalisten wegen übler Nachrede; NJW 2016, 1373 – Łozowska/Polen: Verurteilung einer Zeitungsjournalistin wegen übler Nachrede im Zusammenhang mit einem Artikel über eine frühere Richterin; NJW 2016, 785 – Kieser und Tralau-Kleinert/Deutschland: Vorwurf von „Arisierungsprofit“ bei Käufen von Liegenschaften; 21.10.2014 – 54125/10 – Erla Hlynsdottir/Island: Verurteilung einer Journalistin wegen eines Berichts über den Verdacht des sexuellen Missbrauchs; 14.10.2014 – 48723/07 – Stankiewicz ua/Polen: Zeitungsbericht über korrupte Praktiken eines hohen Beamten des Gesundheitsministeriums; NJW 2015, 1501 – Axel Springer AG/Deutschland II: Zeitungsbericht über Beweggründe des ehemaligen Bundeskanzlers im Kontext angesetzter Neuwahlen; 16.1.2014 – 13258/09 – Lillo-Stenberg und Saether/Norwegen: Veröffentlichung von Hochzeitsfotos einer Schauspielerin und eines Rockmusikers; AfP 2014, 430 – Lavric/Rumänien: Bezeichnung einer Staatsanwältin als „Fälscherin und Trickserin“; 3.12.2013 – 64520/10 – Ungváry und Irodalom Kft/Ungarn: üble Nachrede; 19.11.2013 – 45543/04 – Somesan und Butiuc/Rumänien: Berichterstattung über Affäre eines Journalisten; AfP 2014, 46 – Delfi AS/Estland: beleidigende Äußerungen in Internetforum gegen Betreiber eines Fährunternehmens; NJW 2014, 1645 – CvH/Deutschland III: Veröffentlichung eines Fotos der Beschwerdeführerin zur Illustration eines Presseartikels über die von ihr vermietete Villa; AfP 2014, 517 – Wegrzynowski und Smolczewski/Polen: Antrag auf Löschung eines ehrverletzenden Artikels aus Internetarchiv einer Zeitung; 8.1.2013 – 40238/02 – Bucur und Toma/Rumänien: Mitschnitte von Telefongesprächen mehrerer Journalisten; 4.12.2012 – 6490/07 – Rothe/Österreich: Veröffentlichung von im privaten Rahmen aufgenommener Fotos im Kontext einer Berichterstattung über homosexuelle Beziehungen in Priesterseminar; NJW 2013, 768 – Standard Verlags GmbH/Österreich (Nr 3): identifizierende Berichterstattung über Kärntner HypoSkandal; 4.5.2010 – 38059/07 – Effecten Spiegel AG/Deutschland: Verbot der Verbreitung bestimmter Teile eines im Effecten-Spiegel veröffentlichten Artikels; 2.11.2010 – 41723 – Gillberg/Schweden: Herausgabe von persönlichen Daten im Rahmen eines Forschungsprojekts; 21.9.2010 – 34147/06 – Polanco Torres und Movilla Polanco/ Spanien: Berichterstattung über vermutete Schwarzgeld-Geschäfte der Frau des Präsidenten; NJW-RR 2010, 1487 – Egeland und Hanseid/Norwegen: Veröffentlichung des Fotos einer verwirrten und wegen Mordes verurteilten Frau nach Verlassen des Gerichts; NJW-RR 2010, 1483 – A/Norwegen: Presseberichterstattung über aus Sicherungsverwahrung entlassenen Mörder; NJW-RR 2010, 213 – Bykov/Russland: geheimes Abhören zum Nachweis eines Mordkomplotts; NJW 2010, 2111 – Iordachi ua/Moldau: Abhören von Telefongesprächen eines Rechtsanwalts; 22.3.2016 – 70434/12 – Sousa Goucha/Portugal: Strafverfolgung gegen Mitwirkende einer Late-Night Talkshow wegen Beleidigung; NJW 2012, 1053 – CvH/Deutschland II: Veröffentlichung von Bildnissen, die Caroline und Ernst August v Hannover im Skiurlaub zeigen, und die im Kontext einer Berichterstattung über die schwere Krankheit des inzwischen verstorbenen Staatsoberhaupts von Monaco verbreitet wurden (s hierzu auch BGH NJW 2007, 1977; BVerfG NJW 2008, 1793); GRUR 2012, 741 – Axel Springer/Deutschland: Veröffentlichung eines Berichts über strafrechtliche Verfehlungen (Kokainfund) eines dt Fernsehserienstars; NJOZ 2012, 335 – MGN Limited/Vereinigtes Königreich: Verurteilung zu Schadensersatz und Erstattung eines hohen Erfolgshonorars wegen Pressebericht – Naomi Campbell; NJOZ 2012, 330 – Wizerkaniuk/Polen: Verurteilung wegen Veröffentlichung eines Interviews ohne Zustimmung des Interviewten; NJW-RR 2012, 1069 Avram ua/Moldau: heimliche Filmaufnahmen in der Sauna und ihre Ausstrahlung im Fernsehen; NJW 2012, 747 – Mosley/Vereinig49

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tes Königreich: keine Verpflichtung der Medien zu einer Vorabinformation über geplante Veröffentlichungen; MR 2012, 171 – Krone Verlag GmbH/Österreich: Veröffentlichung von Fotos Minderjähriger vor Gericht; Veröffentlichung eines anonymen Leserbriefes, 10.10.2013 – 26547/07 – Print Zeitungsverlag GmbH/Österreich; NJW 2014, 137 – Peta/Deutschland: Kampagne und Plakataktion mit Bildern von KZ-Insassen und Schlachttieren als Verletzung der Menschenwürde; NJW 2011, 3353 – Hoffer und Annen/Deutschland: Beleidigung eines Abtreibungsarztes, Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht im historischen und sozialen Zusammenhang; NJW 2012, 1197 – Bruno Gollnisch/Frankreich: Uni-Lehrverbot für den Vizepräsidenten des Front National wegen Leugnung des Holocaust; NJOZ 2013, 378 – Aksu/Türkei: wissenschaftliche Veröffentlichung kein Angriff auf Identität der Roma/Zigeuner: besondere Sorgfalt bei Lexikondefinitionen; NJW 2013, 771 – Kurier Zeitungsverlag und Druckerei GmbH/Österreich: Preisgabe der Identität eines minderjährigen Opfers sexuellen Missbrauchs; 7.1.2014 – 21666/09 und 37986/09 – Ringier Axel Springer/Slovakia: namentliche Berichterstattungen der Zeitung „Novy Cas“ über Unfallverursacher und über Betrugsverdacht; 9.10.2012 – 42811/06 – Alkaya/Türkei: Privatsphärenschutz für die Adresse einer berühmten Schauspielerin; 31.7.2012 – 36662/04 – Draksas/Litauen; MMR-Aktuell 2012, 337782: Veröffentlichung eines abgehörten Telefonats; 3.4.2012 – 43206/07 – Kaperzynski/ Polen: Nichtveröffentlichung einer Gegendarstellung; NJW-RR 2010, 1483 – A/Norwegen; NJW 2010, 751 – Standard Verlags GmbH/Österreich: Berichterstattung über das Privatleben eines Politikers; NJOZ 2009, 2203, 2208 – Le Pen: Veröffentlichung eines Buches über einen Politiker („Chef einer Bande von Totschlägern“); 14.1.2014 – 69939/10 – Ojala and Etukeno Oy/Finland und 73579/10 – Ruusunen/Finland: Buch über die Beziehung zu einem Politiker, „Kiss and Tell“-Journalismus; NJW 2006, 591 – Karhuvaara und Iltalehti/Finnland: Bericht über die Verurteilung des Ehemanns einer Politikerin; NJW 2004, 2647 – CvH/Deutschland I: Verbreitung von Bildnissen Prominenter; NJW 1987, 2143, 2144 – Lingens: Meinungskampf zw Journalisten und Politiker; NVwZ 2007, 313: Verunglimpfung Atatürks; NVwZ 2007, 314: Beschimpfung des Islams; NJW 2006, 1645, 1649 – Das blinde Auge der Polizei: Beleidigung eines Polizisten; 1.3.2007 – 510/04 – Tønsbergs Blad ua/Norwegen: Veröffentlichung von Name, Bildnis und Foto des Grundstücks eines Unternehmers; 14.6.2005 – 14991/02 – Minelli/Schweiz: Bericht über Rechtsanwalt und Journalist; 14.12.2006 – 10520/02 Rn 35ff – Verlagsgruppe News-GmbH/Österreich: Veröffentlichung von Bildern im Kontext eines Berichts über einen Steuerhinterziehungsprozess. E. Träger des APR. I. Natürliche Personen. 1. Grundregel. Träger des APR ist jede nat Pers (BaRo/Bamberger 51 § 12 Rn 124), nicht hingegen die virtuelle Persönlichkeit (Geis/Geis CR 2007, 721, 724; Klickermann MMR 2007, 766, 769; s auch Meyer, 179f: allerding kann eine Verletzung im Einzelfall auf die dahinterstehende Person „durchschlagen“). Der Schutz besteht unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Rasse, geistigen Fähigkeiten oder dgl. Geschützt sind mithin auch Personen, die sich ihrer Persönlichkeit nicht bewusst sind oder bestimmte Eingriffe nicht als Verletzung empfinden (BGH 120, 29, 35; LG Berlin GRUR 1974, 415; MüKo/Rixecker Rn 28; Staud/ Hager § 823 C 19). Die persönlichkeitsrechtlichen Interessen von Kindern erfahren gar eine Schutzverstärkung durch Art 6 I, II GG (BVerfG NJW 2000, 1021, 1026 – CvM; NJW 2005, 1857 – Carolines Tochter; BGH NJW 2005, 215 – Alexandra von Hannover; NJW 2010, 1454 – Sohn von Franz Beckenbauer; GRUR 2013, 1065, 1067 – Eisprinzessin Alexandra). Auch der nasciturus wird, sofern er verletzt werden kann, durch das APR geschützt (Staud/Hager § 823 Rn 303; Pal/Sprau § 823 Rn 88; zur Menschenwürde von Embryonen Taupitz GRUR 2012, 1), wobei der Schadensersatzanspruch erst mit Vollendung der Geburt entsteht. 2. Sonderproblem: Kollektivbezeichnungen. a) Grundsatz. Kollektive sind keine eigenständigen Träger des 52 APR (MüKo/Rixecker Rn 29), allerdings kann das APR tangiert sein, wenn der Einzelne als Teil eines Kollektivs (Anwälte, Polizisten, Soldaten) betroffen ist, insb wenn die Äußerungen an rassische, körperliche, ethnische oder geistige Merkmale anknüpfen, aus denen die Minderwertigkeit des Kollektivs und damit zugleich jedes einzelnen Angehörigen abgeleitet wird (BVerfG NJW 1995, 3303, 3307 – Soldaten sind Mörder IV). Nach früherer Rspr des BGH, welcher insofern weitgehend die für den strafrechtlichen Ehrenschutz entwickelten Grundsätze heranzog (im Grundsatz anerkannt auch in BVerfG NJW 2006, 3769 – Babycaust), führte die Beleidigung einer ganzen Gruppe dann zu einer Verletzung der individuellen Persönlichkeitsrechte einer Person, wenn sich die vom Äußernden bezeichnete Personengruppe aufgrund bestimmter Merkmale so deutlich von der Allgemeinheit oder anderen Bevölkerungsteilen abhob, dass der Kreis der betroffenen Personen klar erkennbar und begrenzt war (BGH 75, 160, 163; BGHSt 11, 207, 208 mwN). Zumindest in der Theorie musste mithin feststellbar sein, welche Personen zu der genannten Gruppe gehörten und wodurch sie sich von anderen unterschieden (BayObLG NJW 1953, 554 – Patentanwälte) – der Angreifer musste die konkreten Personen jedoch nicht kennen (BGH NJW 1989, 1365). Ebenfalls keine Rolle spielte, welches konkrete Abgrenzungsmerkmal dabei einschlägig war – die Abgrenzung konnte auf dem sozialen Status, einem ethnischen Merkmal, Weltanschauungen, gesetzlichen Normen oÄ beruhen. In der jüngeren Zeit sind Rspr und Lit jedoch deutlich zurückhaltender (Karlsruhe ZUM-RD 2007, 411; LG Karlsruhe NJW-RR 2008, 63, 64; Damm/Rehbock Rn 394; Arzt JZ 1989, 647). Folgende Kriterien zeichnen sich dabei ab: Der Kreis möglicher Betroffener muss zahlenmäßig begrenzt sein, weshalb die Abgrenzbarkeit umso eher verneint wird, je größer die Gruppe ist und je mehr Fluktuation mit Blick auf ihre Mitglieder vorliegt, denn in diesen Fällen „verliert sich die Beleidigung in der Unbestimmtheit“ (Karlsruhe ZUM-RD 2007, 411; Brändel in Götting/Schertz/Seitz, § 38 Rn 3; Damm/Rehbock Rn 394). Eine Verletzung des APR ist daher idR nur in jenen Fällen zu bejahen, in denen der Einzelne (allenfalls eine kleinere Gruppe) erkennbar Ziel des Angriffs ist, wenn es dem Angreifer also um eine persönliche Diffamierung und nicht um eine allg Kritik an bestimmten Zuständen oder der sozialen Funktion einer bestimmten Gruppe geht (MüKo/ Rixecker Rn 29; Staud/Hager § 823 C 21ff, insb; Karlsruhe ZUM-RD 2007, 411). Ausnahmen sind allenfalls bei Klass

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besonders kleinen und zahlenmäßig stark beschränkten Gruppen denkbar. Eine Verletzung einzelner Personen ist zudem ausgeschlossen, wenn an Merkmale angeknüpft wird, die offenkundig nicht auf alle Mitglieder des Kollektivs zutreffen (MüKo/Rixecker Rn 29). Insgesamt ist die Kasuistik jedoch nach wie vor uneinheitlich. b) Kasuistik. Verletzung bejaht (allg zum Ehrenschutz s Rn 94ff; speziell zur Schmähkritik s Rn 254ff): BGHSt 11, 207; BGH 75, 160; BVerfG NJW 90, 241 – Auschwitzlüge: Die in Deutschland lebenden Juden, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen waren, sind kollektiv beleidigungsfähig, da das ihnen vom Nationalsozialismus auferlegte Schicksal sie zu einer Einheit verbinde, die sie aus der Allgemeinheit hervortreten lasse (bei der Rspr zur Beleidigung von Juden handelt es sich jedoch um eine Ausnahme, die in dieser Form nicht verallgemeinert werden kann; dazu auch Huster NJW 1996, 487). Frankfurt NJW 1977, 1353: Beleidigungsfähigkeit „der Polizei“, sofern die der Beleidigung zugrunde liegenden Vorwürfe erkennen lassen, dass nur eine in einen bestimmten Geschehensablauf verwickelte, also örtlich und persönlich abgrenzbare Gruppe von Polizisten gemeint ist (s jüngst zur Beleidigungsfähigkeit der Polizei Karlsruhe 19.7.2012 – 1 (8) Ss 64/12-AK 40/12; Jäger JA 2013; 232; Zöller ZJS 2013, 102; Klas/Blatt HRRS 2012, 388). BGH NJW 1989, 1365: Beleidigungsfähigkeit der aktiven Soldaten der Bundeswehr. Verletzung verneint: BVerfG NJW 2015, 2022: keine Beleidigung durch Tragen eines Ansteckers mit der Aufschrift „FCK CPS“ sowie BVerfG 16.1.2017 – 1 BvR 1593-16 und BVerfG AfP 2017, 44: Aufdruck „ACAB („all cops are bastards“); BayObLG NJW 1953, 554 – Patentanwälte. Düsseldorf (St) NJW 1981, 1522: „die Polizei“ als solche – in ihrer Gesamtheit und als Inbegriff aller polizeilichen Einrichtungen in Bund und Ländern (keine beleidigungsfähige Personengesamtheit). Nürnberg 1.10.2012 – 1 St OLG Ss 211/2012: straflose Kollektivbeleidigung der Polizei durch Tragen eines T-Shirts mit Aufdruck „all cops are bastards“ auf einem Volksfest. LG Darmstadt NJW 1990, 1997f: keine Beleidigungsfähigkeit älterer Damen durch den Ausdruck „Altweibersommer“; aber auch Frauen (LG Hamburg NJW 1980, 56), Katholiken, Protestanten und Akademiker sind nicht kollektiv beleidigungsfähig (vgl hierzu BGH NJW 1989, 1365 sowie NJW 1980, 56, 57); ebenso wenig (mehr als 40 000) niedergelassene Ärzte, die durch „Streik“ ihre Patienten „in Geiselhaft“ nehmen (Karlsruhe NJW-RR 2007, 1342). BVerfG NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder IV: keine Beleidigungsfähigkeit, sofern alle Soldaten der Welt angesprochen werden, allerdings soll die Gruppe der (aktiven) Soldaten der Bundeswehr eine überschaubare Gruppe sein, sodass eine auf sie bezogene Äußerung auch den Einzelnen kränken kann, wenn sie an ein Merkmal anknüpft, das ersichtlich oder zumindest typischerweise auf alle Mitglieder des Kollektivs zutrifft – der Vorwurf sei jedoch nicht, dass alle Soldaten der Welt einen Menschen iSd § 211 StGB getötet haben, sondern, dass alle Soldaten ein mörderisches Handwerk betreiben. c) Der Schutz von Personenvereinigungen. Zudem kann sich im Einzelfall auch eine Personenvereinigung auf den Schutz durch das APR berufen (zum APR von Personenvereinigungen Rn 57ff). d) Abgeleitete Betroffenheit. Gegen eine verletzende Berichterstattung kann jedoch nicht vorgehen, wer nur mittelbar belastet ist (BGH NJW 1980, 1790): Anspruchsberechtigt ist stets nur der unmittelbar Betroffene. Beeinträchtigungen einzelner Familienmitglieder betreffen weder andere Familienmitglieder noch die Familie als solche, mögen sie auch als kränkend empfunden werden. Keine Beleidigung der Ehefrau liegt daher vor, sofern behauptet wird, der Ehemann habe mit einer anderen Frau die Ehe gebrochen, BGH NJW 1970, 1599. Ebenfalls ist keine Beleidigung des Vaters gegeben aufgrund der Behauptung, seine Söhne seien homosexuell, BGH NJW 1969, 1110. Wenn wegen eines schweren Verbrechens der Familienname des Täters in der Zeitung genannt wird, ist dies keine Beleidigung und idR auch keine Persönlichkeitsrechtsverletzung des Bruders des Täters (BGH NJW 1980, 1790). Eine Beleidigung des Vaters (Verdächtigung als Mörder) soll grds auch nicht die Ehre der Tochter (BGH GRUR 1974, 797, 880 – Fiete Schulze) verletzen. Unklar ist jedoch, ob es eine eigenständige Familienehre gibt (Erman/Ehmann12 Rn 325 spricht sich angesichts der Anerkennung eines APR für Personenvereinigungen für einen solchen Schutz aus; BGH NJW 1951, 531 verneint eine eigenständige Familienehre; offengelassen allerdings in BGH NJW 1969, 1110: die Familie C. führe ein sittlich verfehltes Leben sowie in BGH NJW 1970, 1599). Nach BGH NJW 1970, 1599 qualifizieren sich aber selbst bei Anerkennung einer Familienehre nur solche herabsetzenden Äußerungen als deren Verletzung, die sich gegen sie als eine eigenständige Gemeinschaftsehre richten; ein Anspruch der zu diesem Kreis gehörenden Personen auf eine Geldentschädigung ist jedenfalls ausgeschlossen (BGH GRUR 1974, 797, 880 – Fiete Schulze). II. Persönlichkeitsrechtsschutz für Personenvereinigungen: Vom Persönlichkeits- zum Imageschutz Schrifttum: Born, Gen-Milch und Goodwill – Äußerungsrechtlicher Schutz durch das Unternehmenspersönlichkeitsrecht, AfP 2005, 110; Brauer, Das Persönlichkeitsrecht der juristischen Person, 1962; Cronemeyer, Das Unternehmenspersönlichkeitsrecht in der gerichtlichen Praxis, AfP 2014, 111; Fellner, Persönlichkeitsschutz juristischer Personen, 2007; Gostomzyk, Äußerungsrechtliche Grenzen des Unternehmenspersönlichkeitsrechts – Die Gen-Milch-Entscheidung des BGH NJW 2008, 2082; Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, Persönlichkeitsschutz juristischer Personen des Privatrechts in verfassungsrechtlicher Sicht, 1989; Klippel, Der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz von Verbänden, JZ 1988, 625; Koreng, Das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ als Element des gewerblichen Reputationsschutzes, GRUR 2010, 1065; Leßmann, Persönlichkeitsschutz juristischer Personen, AcP 170 (1970), 266; Lilienfeld-Toal, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht juristischer Personen des Zivilrechts, 2003; Meissner, Persönlichkeitsschutz juristischer Personen im deutschen und US-amerikanischen Recht, eine rechtsvergleichende Untersuchung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts juristischer Personen, 1998; Quante, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht juristischer Personen, 1999; Wronka, Das Persönlichkeitsrecht juristischer Personen, 1972; Ziegelmayer, Die Reputation als Rechtsgut, GRUR 2012, 761.

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1. Persönlichkeitsrechtsschutz für Personenvereinigungen. Jur Pers des Privatrechts (zur Beurteilung jur Pers des öffentlichen Rechts vgl Rn 67), nicht rechtsfähige Vereine (BGH NJW 1971, 1655; NJW 1974, 1762 – Deutschland-Stiftung; LG Hamburg 19.2.2010 – 325 O 316/09) sowie Personengesellschaften (BGH NJW 1980, 2807), die einen Namen (Firma) führen, denen Rechte zugeordnet werden und die rechtliche Pflichten begründen können, genießen nach überwiegender Ansicht in der Rspr (BGH ZUM 2015, 244, 246 – Hochleistungsmagneten; NJW 2008, 2110, 2112 – Gen Milch; NJW 2009, 3580 – unsaubere Geschäfte; NJW 2011, 155, 156; NJW 1984, 1956, 1957 – Mordoro; NJW 1975, 1882, 1883 – Geist von Oberzell; BVerwG NVwZ 2008, 1371, 1372; Hamm 9.12.2013 – 6 W 56/13; Brandenburg ZUM-RD 2011, 169, 170; Hamburg NJW 2009, 1510, 1511 – Contergan; Frankfurt NJW 1982, 648 – Lusthansa; LG Hamburg ZUM-RD 2003, 48, 49 – Bundeskanzleramt; LG Hamburg NJW-RR 2006, 844, 845 – Vereinspersönlichkeitsrecht; LG Köln BeckRS 2013, 08478 – OnlinePortal) Schutz durch das APR, wobei der konkrete Umfang durch das Wesen der jur Pers, ihre satzungsmäßigen Funktionen sowie durch ihren sozialen Geltungsanspruch beschränkt wird. Diese inhaltliche und thematische Begrenzung (sog Funktionsschutz) wird von den Gerichten in folgender Formel zusammengefasst: „Eine Ausdehnung der Schutzwirkung dieses Rechts über natürliche Pers hinaus auf juristische Pers ist nur insoweit gerechtfertigt, als sie aus ihrem Wesen als Zweckschöpfung des Rechts und ihren Funktionen dieses Rechtsschutzes bedürfen. Das ist insbesondere der Fall, wenn sie in ihrem sozialen Geltungsbereich als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen betroffen werden“ (BGH NJW 1994, 1281, 1282 – Jahresabschluss; NJW 1986, 2951, 2951f – BMW Bumms Mal Wieder; NJW 1975, 1882, 1884 – Geist von Oberzell). Das BVerfG hat bisher allerdings die Frage nach einer möglichen verfassungsrechtlichen Anerkennung (s hierzu Rn 59) eines UPR unbeantwortet gelassen (s BVerfG NJW 2010, 3501, 3502 – Gen-Milch). In der Literatur ist die Anerkennung eines APR für Personenvereinigungen ebenfalls nicht unumstritten (zust: Erman/Ehmann12 Rn 290; BaRo/Bamberger § 12 Rn 124, 131f; Pal/Sprau § 823 Rn 92; Born AfP 2005, 110, 111; Wegner in Götting/Schertz/ Seitz, § 32 Rn 173; Brändel in Götting/Schertz/Seitz, § 39 Rn 1; krit: Kau, 42ff; Brauer, 40; Quante, 130; Raue AfP 2009, 1, 5; Jarass NJW 1989, 857, 860; MüKo/Rixecker Rn 22; Lettl WRP 2005, 1045, 1050; Schramm GRUR 1972, 348, 351; Koreng GRUR 2010, 1065, 1068ff, der das UPR für eine falsa demonstratio hält; s auch Ziegelmayer GRUR 2012, 761, 762, der ein UPR ablehnt, aber einen Reputationsschutz in Art 2 I, 12 I, 19 III GG verorten will). Der Schutz des APR soll zudem auch politischen Parteien zugutekommen (Erman/Ehmann12 Rn 290; BaRo/ Bamberger § 12 Rn 98; Pal/Sprau § 823 Rn 92; München NJW 1996, 2515; LG Mainz NJW 2001, 761, 762 – NPDBoykott). 2. Schutzumfang und dogmatische Herleitung. Der genaue Schutzumfang sowie die dogmatische Herleitung eines solchen APR von Personenvereinigungen (oft auch schlagwortartig als Unternehmenspersönlichkeitsrecht, „UPR“ bezeichnet, Hamburg NJW 2009, 1510 – Contergan; LG Köln NJOZ 2010, 1233; auch BGH NJW 2008, 2110, 2112 – Gen-Milch spricht vom „Persönlichkeitsrecht des Unternehmens“) sind jedoch unklar (so auch Staud/Weick § 12 Rn C 30: unscharf und verschwommen, sowie Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, 502). Mit Blick auf die Schutzgewährleistung wird zum einen betont, dass jedenfalls rein ideelle Belange bei Personenvereinigungen, insb bei Wirtschaftsunternehmen, zurücktreten müssten und erst dann Bedeutung erlangen könnten, wenn sie sich in einem geschäftlichen Interesse niederschlagen (Frankfurt NJW 1982, 648 – Lusthansa). Zum anderen ist weitgehend anerkannt, dass der soziale Geltungs- und Achtungsanspruch der Personenvereinigungen als Arbeitgeber oder Wirtschaftsunternehmen und damit insb die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit von Unternehmen geschützt ist (BGH NJW 1994, 1281, 1282 – Jahresabschluss). Auffällig ist zudem, dass die Gerichte sehr oft „zweifüßig“ agieren und zugleich das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb heranziehen, vgl bspw BGH ZUM 2015, 244, 246 – Hochleistungsmagneten sowie Rn 61. a) Kein Schutz durch verfassungsrechtliches APR. Es ist jedoch durchaus fragwürdig, ob das APR mit Blick auf seine enge Verflechtung mit der Menschenwürde und der nach Art 2 I GG geschützten persönlichen Lebenssphäre überhaupt auf Personenvereinigungen übertragbar ist, insb ist unklar, ob ein verfassungsrechtlich abgesicherter Schutz durch das APR angezeigt ist (erneut offengelassen in BVerfG NJW 2010, 3501, 3502 – GenMilch). Dies erscheint insb vor dem Hintergrund dogmatisch bedenklich, dass das APR seine Berechtigung zu gleichen Teilen aus der verfassungsrechtlich geschützten Menschenwürde und damit aus Art 1 I GG sowie aus Art 2 I GG zieht (krit insofern auch Raue AfP 2009, 1; Schramm GRUR 1972, 348, 351; Maunz/Dürig/Di Fabio Art 2 GG Rn 224; Born AfP 2005, 110, 111). Mit der Menschenwürde jedenfalls hat die Betätigung von Unternehmen nichts zu tun (so auch Raue AfP 2009, 1, 5 mit Blick auf die Unternehmensdarstellung). Letztlich scheint eine Berufung auf das verfassungsrechtlich geschützte APR auch schon mit Blick auf Art 19 III GG zu scheitern, denn ein solchermaßen aus beiden Normen gespeistes Recht (Maunz/Dürig/Di Fabio Art 2 GG Rn 224: das APR erhält gerade aufgrund seiner „Bereichsüberschneidung mit Art 1 I GG konkrete Konturen und hebt sich hierdurch qualitativ von der allgemeinen Handlungsfreiheit ab“) ist seinem Wesen nach nicht auf Personenvereinigungen anwendbar. Jur Pers können nicht Träger der Menschenwürde sein, denn diese bezieht sich ausschließlich auf Angehörige der menschlichen Gattung (Maunz/Dürig/Herdegen Art 1 I GG Rn 72; Jarass NJW 1989, 857, 860; das BVerfG lässt diese Frage ausdr offen: NJW 1994, 1784 sowie NJW 2010, 3501, 3502 – GenMilch; unklar auch BVerfG NJW 2007, 2464, 2471: Es lasse sich nicht allg angeben, ob das APR seinem Wesen nach auf jur Pers anwendbar ist; dies sei differenziert zu betrachten). I Erg spricht daher viel dafür, einen Schutz durch das verfassungsrechtliche APR zu verneinen. b) Schutz von Personenvereinigungen durch zivilrechtliches APR. Einfacher, wenn auch nicht vollends überzeugend zu konstruieren, ist ein persönlichkeitsrechtlicher Schutz von jur Pers über das zivilrechtliche APR, Klass

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denn wie schon aus anderen Bereichen des APR (zB postmortaler Schutz kommerzieller Aspekte, hierzu ausf Rn 74) anerkannt, können die Zivilgerichte umfassenderen Schutz gewähren (BVerfG NJW 2006, 3409, 3410 – Blauer Engel II, s hierzu auch Helle AfP 2010, 531, 532), insb auch in Fällen, in denen eine Berufung auf Art 1 I GG scheitert (so auch Jarass NJW 1989, 857, 860). Jedoch würde ein solches zivilrechtliches APR dann zwangsläufig einen geringeren Schutz aufweisen, Brandenburg ZUM-RD 2011, 169, 170, da die verfassungsrechtliche Verstärkung durch die Menschenwürde fehlt (BVerfG NJW 2005, 883; Hamburg NJW 2009, 1510, 1513; Gostomzyk NJW 2008, 2082, 2084). Allenfalls könnten Art 2 I GG (allg Handlungsfreiheit) bzw Art 12 GG der Position im Einzelfall Gewicht verleihen (LG Köln NJOZ 2010, 1233, 1234; Degenhart PharmR 2010, 261, 263; für eine Verortung in Art 2 I iVm 12 I GG plädiert auch Koreng GRUR 2010, 1065, 1070). Grds ist jedoch zu beachten, dass die Teilnahme von Unternehmen am Marktgeschehen, aber auch die Tätigkeit von Vereinen und Parteien in der Öffentlichkeit und im Bereich der Sozialsphäre stattfindet, sodass hier auch insofern ein deutlich schwächerer Schutz bestehen würde, insb besteht typischerweise kein Privatsphärenschutz. Letztlich kann aber auch auf zivilrechtlicher Ebene vor dem Hintergrund, dass sich sowohl der Tätigkeitskreis als auch die schützenswerten Interessen nat Pers stark von jenen jur Pers unterscheiden, eine pauschale Übertragung der für den Persönlichkeitsschutz nat Pers entwickelten Grundsätze nicht stattfinden (so auch Leßmann AcP 170, 266, 267). Jur Pers sind wesensmäßig von dem personenrechtlichen Bereich, soweit dieser nat Pers in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen bzw die Entfaltung der geistig-sittlichen Individualität einzelner Menschen betrifft, ausgeschlossen (BGH GRUR 1976, 379, 380f – KSB). Unternehmen selbst haben keine Persönlichkeit (ähnlich auch MüKo/Rixecker Rn 30) – bei jur Pers findet sich allenfalls „ein blasser Anklang“ (Jarass NJW 1989, 857, 860) dessen, was Persönlichkeit bei nat Pers bedeutet. Aus dogmatischer Sicht sprechen daher insgesamt die überwiegenden Gründe gegen einen Schutz durch das APR, wie es von der Rspr in Umsetzung der Schutzgebotsfunktion der Grundrechte entwickelt wurde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Personenvereinigungen in den bisher über das APR geschützten Konstellationen schutzlos bleiben sollen – jedoch muss der Schutz im Interesse eines auch in der Zukunft starken APR und auch vor dem Hintergrund der Gefahr der Verwässerung der Begrifflichkeiten auf tragfähigere Füße gestellt werden. Der Begriff des UPR sollte daher aufgegeben werden, ähnlich auch Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, 507 sowie Helle AfP 189, 697 (699); Kau, Vom Persönlichkeitsschutz zum Funktionsschutz, 101 (insb Fn 34). Stattdessen sollte man dazu übergehen, die bisher anerkannten einzelnen Schutzbereiche konkret zu benennen. Ein Recht generalklauselartiger Weite wie das APR, das offen und unbestimmt ist, weil dies auch auf das Rechtsgut (Persönlichkeit) zutrifft, dessen Schutz es dient, ist im Bereich des Unternehmensschutzes jedenfalls insb auch vor dem Hintergrund existierender Verhaltensnormen des Delikts-, des Kennzeichen- und Wettbewerbsrechts nicht erforderlich (s auch Koreng GRUR 2010, 1065, 1069f: ein Rückgriff auf ein eigenständiges UPR für wirtschaftliche Unternehmen sei vollständig entbehrlich; einschränkend, insb vor dem Hintergrund der erhöhten Gefährdungspotentiale für die Reputation eines Unternehmens im Bereich Social Media Ziegelmayer GRUR 2012, 761, 762f). Hierfür spricht auch die Tatsache, dass die Rechtsordnung bislang stets mit Blick auf Wesen und Gehalt des betroffenen Schutzbereichs des APR entscheidet, ob dieses auch auf Unternehmen übertragbar ist (so auch Brauer, 65). Zudem beschränkt sich der Schutz in der Praxis bislang primär auf den Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, welche als Teil der allg Handlungsfreiheit geschützt wird (BVerfG NJW 1994, 1784 – Jahresabschluss, mit Blick auf das zivilrechtliche APR; Hamburg 18.11.2008 – 6 W 50/08; LG Mainz NJW 2001, 761, 762 – NPD-Boykott; mit Blick auf politische Parteien). Darüber hinaus lassen sich zumindest mit Blick auf den Unternehmensschutz keine wesentlichen Unterschiede zum Recht am Gewerbebetrieb erkennen – der Schutzzweck scheint nahezu identisch (zumindest überschneidend) zu sein (s hierzu sowie zu bestehenden kleineren Schutzlücken Hamm 9.12.2013 – 6 W 56/13 sowie die Entscheidung BGH ZUM 2015, 244, 246f – Hochleistungsmagneten, in welcher neben der Betroffenheit des UPR (Schutz des sozialen Geltungsanspruchs) auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art 12 iVm Art 19 III GG) als einschlägig angesehen wird: Betroffen ist insofern zudem das „Interesse der Klägerin daran, dass ihre wirtschaftliche Stellung nicht durch inhaltlich unrichtige Informationen oder Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind, geschwächt wird und andere Marktteilnehmer deshalb von Geschäften mit ihr abgehalten werden“). Jedenfalls verwenden die Gerichte beide Rechtsinstitute unter der einschränkenden Voraussetzung des betriebsbezogenen Eingriffs (Born AfP 2005, 110, 112; Köln NJW-RR 2007, 698, 701 – Gen-Milch). Nicht zuletzt ist der Schutz von Personenvereinigungen über das APR auch subsidiär zu einem im Einzelfall bestehenden spezialgesetzlichen Schutz, zB nach dem MarkenG oder dem UWG (Köln NJW-RR 2007, 698, 701 – Gen-Milch). Unternehmen sollen mithin nicht schutzlos gestellt werden – auch sofern es um ihren sozialen Geltungsanspruch geht –, allerdings gibt es dogmatisch bessere Wege, um den insb mit Blick auf die zahlreichen neuen Gefährdungspotentiale im Web 2.0 durchaus erforderlichen Image- bzw Reputationsschutz zu garantieren, als auf das APR zu rekurrieren und es in einer „entkernten“ Form anzuwenden. 3. Anerkannte Schutzbereiche. Trotz fehlender dogmatischer Begründung haben die Gerichte in der Vergangenheit verschiedene Schutzbereiche anerkannt. a) Recht am gesprochenen Wort. Nach überwiegender Ansicht (BVerfG NJW 2002, 3619, 3622; NJW 2007, 2464, 2471; BAG NJW 2010, 104, 106; Brändel in Götting/Schertz/ Seitz, § 39 Rn 3; abl: MüKo/Rixecker Rn 30: jur Pers sprechen kein Wort) können sich jur Pers auf das durch das APR geschützte Recht am gesprochenen Wort als Ausprägung des APR berufen (s hierzu Rn 62, 131). Dem stehe auch die dogmatische Fundierung in Art 1 GG nicht entgegen, da der Schutz dieses Rechts nicht von einem besonderen personalen Kommunikationsinhalt abhänge, vielmehr soll sichergestellt werden, dass sich die Betei36

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ligten in der Kommunikation eigenbestimmt und situationsangemessen verhalten können (BVerfG NJW 2002, 3619, 3622). Jur und nat Pers befänden sich mithin in einer vergleichbaren grundrechtstypischen Gefährdungslage (BVerfG NJW 2002, 3619, 3622; BAG NJW 2010, 104, 106). b) Recht am eigenen Bild. Ob für jur Per auch ein Recht am eigenen Bild (s dazu Rn 167ff) anzuerkennen ist, hat das BVerfG offengelassen (NJW 2005, 883), der BGH scheint jedenfalls einen Schutz des Emblems zu gewähren, sofern das Unternehmen durch die unberechtigte Nutzung in seinem sozialen Geltungsanspruch als Wirtschaftsunternehmen betroffen ist (BGH NJW 1986, 2951, 2951f – BMW Bumms Mal Wieder). Die bildliche Aufnahme einer Betriebsstätte genießt keinen verfassungsrechtlich gewährleisteten Persönlichkeitsrechtsschutz (Brändel in Götting/Schertz/Seitz, § 39 Rn 3). Das UPR gewährt nach Stuttgart AfP 2015, 450, jedoch Schutz, wenn es sich um heimliche Filmaufnahmen in einer Sphäre handelt, die dem Hausrecht des Unternehmens unterliegt. Im Rahmen dieser Fallgruppe zeigt sich erneut die Ungeeignetheit personaler Rechte zum Schutz von Personenvereinigungen – denn zu klären, was das einem Bildnis einer nat Pers vergleichbare Bild eines Unternehmens sein soll, erscheint äußerst problematisch; auch Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, 508, betont, dass der Schutz der natürlichen Rechtsgüter Bildnis oder Stimme denknotwendig eine nat Pers als Rechtsträger voraussetze. c) Schutz vor unbefugter Namensnutzung. Die unbefugte Verwendung des Namens einer Personenvereinigung, insb zu Werbezwecken, kann deren „Persönlichkeitsrecht“ verletzen (BGH NJW 1981, 2402; Düsseldorf NJW-RR 1990, 293, 293f; Erman/Ehmann12 Rn 297; zum Namensschutz einer Universität nach § 12 s Karlsruhe GRUR 1986, 479, 480f – Universitätsspiegel). Wird der Name oder das Emblem auf einem Scherzartikel verwandt, kann neben dem Namensschutz auch der Schutz des wirtschaftlichen Rufs (s hierzu Rn 65) betroffen sein – allerdings werden die Grenzen hier recht weit gezogen (BGH NJW 1986, 2951, 2952 – BMW Bumms Mal Wieder; Frankfurt NJW 1982, 648 – Lusthansa; BGH NJW 1984, 1956, 1957 – Mordoro; Hamburg NJW-RR 1999, 1060, 1062 – Bild Dir keine Meinung), denn rein ideelle Interessen können bei Wirtschaftsunternehmen nicht ausgemacht werden, weshalb sie bei einer satirisch-spöttischen Anspielung auf ihren Namen nur dann rechtlichen Schutz beanspruchen können, wenn die Darstellung nach Inhalt und Form geeignet ist, die jur Per in ihrem Ansehen als Wirtschaftsunternehmen oder Arbeitgeber vor der Öffentlichkeit – und damit geschäftsoder betriebsbezogen – herabzusetzen (Frankfurt NJW 1982, 648 – Lusthansa). d) Schutz des wirtschaftlichen Rufs („wirtschaftliche Ehre“). aa) Ehrenschutz für jur Personen? Ebenfalls als Teil des „UPR“ soll die „wirtschaftliche Ehre“ geschützt sein (BGH ZUM 2015, 244, 246 – Hochleistungsmagneten: Betroffen ist der durch Art 2 I iVm Art 19 III GG, Art 8 I EMRK gewährleistete soziale Geltungsanspruch der Klägerin als Wirtschaftsunternehmen, welcher Schutz vor Beeinträchtigungen des unternehmerischen Ansehens in der Öffentlichkeit bietet; BGH NJW 2009, 1872, 1873 – Fraport; NJW 2009, 3580 – Unsaubere Geschäfte; BVerwG NVwZ 2008, 1371, 1372; Brandenburg ZUM-RD 2011, 169, 170; Bamberg NJOZ 2005, 1475, 1476 mit Blick auf einen Idealverein; Erman/Ehmann12 Rn 293). Gesichert werden soll damit das wirtschaftliche Ansehen jur Pers und mithin ihr guter Ruf, welcher sowohl durch Tatsachenbehauptungen als auch durch Werturteile verletzt werden kann (zur Abgrenzung s Rn 98ff, insb 101). Zwar wird Ehrenschutz schon weitgehend durch vorrangig anwendbare Spezialregelungen wie § 823 II iVm § 185 StGB sowie durch § 824 (aber kein Schutz vor abwertenden Meinungsäußerungen, BGH ZUM 2015, 244, 247) und lauterkeitsrechtliche Normen, insb § 4 Nr 7 UWG (Schmähkritik) gewährleistet, allerdings wird ein darüber hinausgehender, mit Blick auf den Aufgaben- und Funktionsbereich begrenzter zivilrechtlicher Ehrenschutz als Ausfluss des sog UPR für erforderlich gehalten (Kort NJW 2006, 1098, 1099f; aA Koreng GRUR 2010, 1065, 1069). Diesem komme insofern eine Auffangfunktion zu (Verunglimpfung bekannter Marken in Fällen fehlender markenmäßiger Benutzung, zB in Form von Markenparodien, öffentlicher Kritik an Waren und Unternehmen, Boykottaufrufen sowie Veröffentlichungen krit Warentestergebnisse außerhalb von Wettbewerbsverhältnissen). Nicht überzeugend dargelegt und begründet wird jedoch, inwiefern jur Pers überhaupt in der eigenen Ehre – die ja primär als der Achtungsanspruch des Menschen vor sich selbst (innere Ehre) verstanden wird – verletzt werden können, zumal sich der Ehrbegriff in dieser Form aus der Menschenwürde ableitet, die jedoch auf Personenvereinigungen nicht anwendbar ist (Maunz/Dürig/Herdegen Art 1 I GG Rn 72; Jarass NJW 1989, 857, 860). Eine Beeinträchtigung kommt insofern allenfalls nur mit Blick auf die „äußere Ehre“ verstanden als Anrecht auf Wahrung des Geltungsanspruchs innerhalb der Gesellschaft („guter Ruf“) in Betracht; ähnlich auch Peifer, Individualität im Zivilrecht, 2001, 515; Ziegelmayer GRUR 2012, 761, 763f, der sich für einen Reputationsschutz von Unternehmen ausspricht. Jedoch fehlen auch hier klare dogmatische Grenzziehungen. Inhaltlich geht es in diesen Fällen jedenfalls um den Schutz des etablierten Images eines Produkts oder Unternehmens – und mithin um Image- und nicht Ehrenschutz. bb) Anerkannte Schutzbereiche im Einzelnen. Im Rahmen der Fallgruppe des „wirtschaftlichen Ehrenschutzes“ sollen sich jur Pers gegen unwahre Tatsachenbehauptungen zur Wehr setzen können, soweit diese eine gewisse Eingriffsschwelle überschreiten. Denn die jur Pers hat ein Interesse daran, dass „ihre wirtschaftliche Stellung nicht durch inhaltlich unrichtige Informationen oder Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen oder herabsetzend formuliert sind, geschwächt wird und andere Marktteilnehmer deshalb von Geschäften mit ihr abgehalten werden“ (BGH ZUM 2015, 244, 246). Werturteile, insb in Form von Gewerbekritik, müssen sich Unternehmen jedoch idR gefallen lassen, selbst wenn sie überzogen, plakativ oder polemisch sind (so auch Gostomzyk NJW 2008, 2082, 2084; BGH NJW 2009, 3580, 3581f – Unsaubere Geschäfte; Dresden BeckRS 2011, 27291: Äußerung, die Zustände in einem Unternehmen „grenzen an Sklavenarbeit“, ist unternehmensbezogene MeinungsKlass

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äußerung, nicht Schmähkritik; Köln ZUM 2012, 493 – Restaurantkritik); erst wenn die gezielte Herabsetzung im Vordergrund steht, sei eine Grenze erreicht (BGH NJW 1984, 1956, 1957 – Mordoro; bejaht bspw vom LG Hamburg GRUR 2000, 514, 515 – Deutsche Pest). Zudem ist auch Schmähkritik im Kontext unternehmensbezogener Äußerungen unzulässig (Wanckel in Götting/Schertz/Seitz, § 19 Rn 49; Höch in Götting/Schertz/Seitz, § 21 Rn 21; LG Hamburg GRUR 2000, 514, 515 – Deutsche Pest; Frankfurt NJW 1990, 2002 – Restaurantkritik: „wie eine Portion Pinscherkot“ in den Teller „hineingeschissen“), jedoch ist in den meisten Fällen aufgrund eines oftmals bestehenden Wettbewerbsverhältnisses ohnehin § 4 Nr 7 UWG einschlägig (BGH NJW 1987, 1082: Bejahung der Wettbewerbsabsicht bei einer Restaurantkritik). Verbraucheraufklärung sowie generelle Produkt- oder Branchenkritik sind idR mangels eines betriebsbezogenen Eingriffs zulässig (vgl hierzu die Gen-Milch-Entscheidungen BVerfG NJW 2010, 3501; BGH NJW 2008, 2110 – Gen-Milch; Born AfP 2005, 110, 114). Zulässig ist auch die der Wahrheit entspr Berichterstattung über eine intensive Abmahntätigkeit einer Kanzlei, Köln ZUM-RD 2011, 411 – insofern liegt keine das UPR beeinträchtigende Äußerung vor. Wird zum Boykott gegen ein Unternehmen aufgerufen, ist dieser in erster Linie nach § 4 Nr 10 UWG zu beurteilen, ein Schutz durch das APR in Form des UPR soll jedoch neben dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als Auffangtatbestand außerhalb von Wettbewerbsverhältnissen zur Anwendung gelangen (Born AfP 2005, 110, 115; LG Mainz NJW 2001, 761, 762 – NPD Boykott: Schmähung der Marke und des Unternehmens; Frankfurt NJW 1990, 2002 – Restaurantkritik). Aussagen über die persönlichen Verhältnisse einzelner Unternehmensmitarbeiter, die in exponierter Stellung tätig sind, zB als Vorstand, Aufsichtsrat oder Gesellschafter, sollen das Persönlichkeitsrecht des Unternehmens hingegen unberührt lassen, da es an einem betriebsbezogenen Eingriff mangele (Damm/Rehbock Rn 446; vgl auch BGH NJW 2009, 3580, 3582 – Unsaubere Geschäfte, zur Grenze der zulässigen Kritik ggü Führungskräften). cc) Ehrenschutz für jur Pers des öffentlichen Rechts. Neben privaten Personenvereinigungen sollen auch jur Pers des öffentlichen Rechts zivilrechtlichen Ehrenschutz beanspruchen können, sofern ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt wird (BGH NJW 1983, 1183 – Unterlassungsklage Bundesanstalt für Arbeit; Düsseldorf BeckRS 2007, 06187; LG Rostock BeckRS 2012, 23188) – allerdings soll der Schutz in diesem Fall nicht dem APR, sondern allenfalls § 185 StGB iVm § 823 II entspringen (Heller/Goldbeck ZUM 2007, 628, 635; vgl insofern auch BGH NJW 2009, 915, 916). Zudem darf die Schutzgewährung nicht dazu führen, sachliche Kritik an der öffentlichen Verwaltung und ihren Amtsträgern zu verhindern (BGH NJW 2008, 2262, 2265), vielmehr soll ein Mindestmaß an öffentlicher Anerkennung gewährleistet werden, das erforderlich ist, damit die öffentliche Stelle oder Einrichtung ihre Funktion erfüllen kann und das „unerlässliche Vertrauen in die Integrität öffentlicher Stellen nicht infrage gestellt wird“ (BGH NJW 2009, 915, 916). 4. Besonderheiten im Sanktionensystem: Kein Anspruch auf Ersatz von Nichtvermögensschäden. Die Verletzung des APR einer Personenvereinigung kann Ansprüche auf Unterlassung, Widerruf, Gegendarstellung und Schadensersatz auslösen. Str ist jedoch, ob auch ein Anspruch auf Ersatz von Nichtvermögensschäden besteht. Im Grundsatz befürwortend EGMR, NJW 2006, 591, 594 – Karhuvaara und Iltalehti/Finnland (Anspruch einer Handelsgesellschaft auf Ersatz des Nichtvermögensschadens unter bestimmten Voraussetzungen), jedoch im konkreten Fall abl; BGH NJW 1981, 675, 676 – Scientology: unzulässige Berichterstattung über eine Weltanschauungsgemeinschaft. Zu Recht abl, insb da der im Persönlichkeitsrechtsschutz anerkannte Geldentschädigungsanspruch unmittelbar aus Art 2 I iVm Art 1 I GG abgeleitet wird und mit einer Geldentschädigung nicht der Personen- oder Kapitalgesellschaft Genugtuung verschafft wird, sondern allenfalls den in ihr verbundenen nat Pers: Brändel in Götting/Schertz/Seitz, § 39 Rn 10; MüKo/Rixecker Rn 30; Ricker NJW 1990, 2097, 2099; aber auch BGH NJW 1980, 2807, 2810 – Medizin Syndikat I). III. Postmortaler Persönlichkeitsrechtsschutz Schrifttum: Ahrens, Postmortales Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit: Anmerkung zum BGH-Urt v 16.9.2008 – VI ZR 244/07, JZ 2009, 214; Beuthien, Persönlichkeitsgüterschutz vor und nach dem Tode, 2002; Gregoritza, Die Kommerzialisierung von Persönlichkeitsrechten Verstorbener, 2003; Helle, Dissonanzen des postmortalen Persönlichkeitsrechts, AfP 2015, 216; Hillgruber, Das Vor- und Nachleben von Rechtssubjekten, JZ 1997, 975; 26; Jung, Die Vererblichkeit des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, 2005; Kühnl, Zum Fortbestehen des Geheimnisschutzes nach dem Tode des Patienten, JA 1995, 328; Luther, Postmortaler Schutz nichtvermögenswerter Persönlichkeitsrechte, 2009; Schack, Das Persönlichkeitsrecht der Urheber und ausübenden Künstler nach dem Tode, GRUR 1985, 352; Schönberger, Postmortaler Persönlichkeitsschutz, Diss 2011; Schulze Wessel, Die Vermarktung Verstorbener, 2001 (dazu Bspr von Müller AfP 2002, 182); Seifert, Postmortaler Schutz des Persönlichkeitsrechts und Schadensersatz, NJW 1999, 1889; Wortmann, Die Vererblichkeit vermögensrechtlicher Bestandteile des Persönlichkeitsrechts, 2005.

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1. Verfassungsrechtlicher postmortaler Persönlichkeitsrechtsschutz. a) Grundlage des Schutzes. Der Schutz der Persönlichkeit eines Menschen endet nicht plötzlich mit dem Tod, vielmehr wird der allg Achtungsanspruch, der jedem Menschen kraft seines Personenseins zusteht, sowie der sittliche, personale und soziale Geltungsanspruch, den eine Person durch ihre Leistungen erworben hat, auch nach dem Tod geschützt (BVerfG 30, 173, 194 – Mephisto; NJW 1993, 1462 – Heinrich Böll; NJW 2001, 2957, 2958f – Kaisen; ZUM 2008, 323, 324 – Ehrensache; BGH 15, 249, 259 – Cosima Wagner; 50, 133, 136ff – Mephisto; NJW 1996, 593, 594 – Willy Brandt; 143, 214 – Marlene Dietrich; ZUM 2006, 211; NJW 2007, 684 – kinski-klaus.de; Karlsruhe 25.3.2011 – 14 U 158/09; Maunz/Dürig/Herdegen Art 1 GG I Rn 57; MüKo/Leipold § 1922 Rn 101, ausf hierzu Staud/Hager § 823 C 34ff). Rechtsgrundlage dieses Schutzes ist Art 1 I GG, nicht jedoch Art 2 I GG, da dieser die Existenz einer wenigstens potenziell und zukünftig handlungsfähigen Person voraussetzt (BVerfG ZUM 2008, 323, 324 – Ehrensache). Postmortaler Persönlichkeitsrechtsschutz auf der Basis von Art 1 I GG wird mithin in erster Linie gewährt, um den 38

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Einzelnen auch nach seinem Tod vor einer Ausgrenzung, Verächtlichmachung, Verspottung, Erniedrigung oder Herabwürdigung zu verschonen (BVerfG NJW 2001, 2957 – Kaisen, m Anm Zacharias NJW 2001, 2950). Die Gewährung eines solchen postmortalen Schutzes erscheint aber auch erforderlich, um das APR zu Lebzeiten abzusichern, denn müsste der Einzelne befürchten, dass seine Würde und seine Person nach dem Tod schutzlos gestellt ist, könnte ihn dies schon zu Lebzeiten in seiner Persönlichkeitsentfaltung beeinträchtigen (BGH 50, 133, 138f – Mephisto, sowie Staud/Hager § 823 C 35 mwN, der zudem eine Analogie zu § 22 S 3 KUG zieht). b) Schutzumfang. Allerdings ist der postmortale Schutz der Persönlichkeit nicht identisch mit der Schutzwirkung des verfassungsrechtlichen APR zu Lebzeiten, denn eine solche Annahme liefe auf eine Gleichsetzung der Menschenwürde mit dem APR hinaus, welche der normativen Bedeutung der Menschenwürdeverbürgung nicht gerecht würde (BVerfG NJW 2001, 594 – Willy Brandt). Der Verstorbene genießt daher einen reduzierten und mit zunehmendem Zeitablauf abnehmenden Schutz. Der maßgebliche Grund hierfür liegt darin, dass die Menschenwürde nicht mit der Meinungsfreiheit oder einem anderen Grundrecht abwägungsfähig ist, der Schutz also nicht im Zuge einer Güterabwägung relativiert werden kann, während es im Fall eines Konflikts zw dem APR und der Meinungsfreiheit regelmäßig zu einer Abwägung kommt (BVerfG NJW 2001, 2957, 2959 – Kaisen). Es genügt daher nicht, wenn der geltend gemachte „Eingriff“ die Menschenwürde nur „berührt“, vielmehr muss eine „Verletzung“ der Menschenwürde zu konstatieren sein, welche wiederum vor dem Hintergrund, dass sämtliche Grundrechte Konkretisierungen der Menschenwürde sind, nur nach sorgfältiger Begründung angenommen werden darf (BVerfG NJW 1995, 3303, 3304 – Soldaten sind Mörder IV). Der Schutzbereich des Art 1 I GG kann postmortal nicht größer sein als er es prämortal ist, die Verletzung postmortaler Persönlichkeitsrechte unterliegt mithin denselben verfassungsrechtlichen Vorgaben wie die Verletzung der Menschenwürde zu Lebzeiten. Zudem nimmt auch das praktisch bestehende Schutzbedürfnis mit zunehmendem Zeitablauf und dem Verblassen der Erinnerungen an den Verstorbenen ab. Die dogmatische Fundierung des postmortalen Schutzes führt daher letztlich dazu, dass die Gewährung verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutzes nach dem Tod „nur“ der Absicherung ideeller Interessen des Verstorbenen dient. Primär geschützt werden mithin der allg Achtungsanspruch, der dem Menschen kraft seines Personenseins zusteht, sowie der sittliche, personale und soziale Geltungswert, den die Person durch ihre eigene Leistung erworben hat (BVerfG ZUM 2008, 323, 324 – Ehrensache; VGH München NVwZ-RR 2010, 630 – Meiser-Straße; BayVfGH NVwZ-RR 2013, 1 – Meiser-Straße: aber kein Schutz vor einer sachlichen, nicht entehrenden Diskussion über Bedeutung und Lebensleistung einer in herausgehobener Position tätig gewesenen Person). Kommerzielle Interessen werden hingegen verfassungsrechtlich nicht geschützt, es sei denn, dass sie gleichzeitig mit einer Menschenwürdeverletzung verbunden sind (BVerfG NJW 2006, 3409, 3410 – Blauer Engel II). Dies ist jedoch nur der Fall, wenn Persönlichkeitsbestandteile eines Verstorbenen so ausgenutzt werden, dass sein Achtungsanspruch beeinträchtigt wird, etwa durch eine erniedrigende oder entstellende Werbung. Die kommerzielle Ausbeutung der Persönlichkeit jenseits dieser Konstellationen tastet die Menschenwürde hingegen regelmäßig nicht an, da eine solche Werbung unter den heutigen sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Anerkennung des unfreiwilligen Werbeträgers nicht schmälert. Das insofern allenfalls betroffene Selbstbestimmungsrecht über die kommerzielle Nutzung und der hierdurch betroffene Aspekt der Persönlichkeitsentfaltung unterliegen jedoch nicht der verfassungsrechtlichen Menschenwürdegarantie (BVerfG NJW 2006, 3409, 3410 – Blauer Engel II). Allerdings bestehen gegen die bürgerlich-rechtliche Anerkennung eines postmortalen Persönlichkeitsrechtsschutzes und damit gegen die Anerkennung vererblicher vermögenswerter Bestandteile auf der Ebene des Zivilrechts keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG NJW 2006, 3409, 3410 – Blauer Engel II). Gesetzgeber und Zivilgerichte sind nicht gehindert, den Schutz der Persönlichkeit weiter auszubauen als dies verfassungsrechtlich geboten ist, denn verfassungsrechtliches und zivilrechtliches APR sind nicht identisch (s hierzu Rn 4). 2. Zivilrechtlicher Schutz des postmortalen APR. a) Unterscheidung zw ideellen und kommerziellen Bestandteilen. Der BGH (143, 214 – Marlene Dietrich) unterscheidet im zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutz zw dem Schutz ideeller Interessen und dem Schutz kommerzieller Interessen durch die „vermögenswerten Bestandteile“ des APR, zB Recht am eigenen Bild, am Namen oder an der Stimme (BGH 143, 214, 220; Hamburg NJW 1990, 1995 – Heinz Erhardt); s hierzu auch Rn 167ff, 201ff. Geschützt ist mithin auch die freie Entscheidung des Einzelnen, ob und unter welchen Voraussetzungen sein Bildnis, sein Name oder sonstige ihn kennzeichnende Persönlichkeitsmerkmale im geschäftlichen Interesse genutzt werden dürfen. Mit Blick auf den postmortalen Schutz kommt der Unterscheidung zw ideellen und kommerziellen Bestandteilen erhebliche Bedeutung zu. b) Postmortaler Schutz der kommerziellen Bestandteile. Nach BGH 143, 214 – Marlene Dietrich sind die vermögenswerten Bestandteile des zivilrechtlichen APR – anders als die dem Schutz ideeller Interessen dienenden höchstpersönlichen Bestandteile – vererblich, mit der Konsequenz, dass bei einer Verletzung dieser Bestandteile des APR ihren neuen Trägern (den Erben) neben Abwehransprüchen auch Schadensersatzansprüche zustehen. Der Erbe als Inhaber der „vermögenswerten Bestandteile“ des APR hat mithin im Fall einer unbefugten Nutzung grds dieselben Ansprüche wie der lebende Träger des APR (BGH NJW 2000, 2201 – Blauer Engel; NJW 2002, 2317 – Marlene II). Dies ist erforderlich, um einen wirksamen Schutz des Persönlichkeitsrechts des Verstorbenen ggü der unbefugten kommerziellen Nutzung seines Lebensbildes sicherzustellen, denn zum einen nützen bloße Abwehransprüche nichts, wenn die Rechtsverletzung bereits abgeschlossen ist, zum anderen erscheint es unbillig, den durch die Leistung des Verstorbenen geschaffenen und in seinen Persönlichkeitsmerkmalen verkörperten Vermögenswert dem ungehinderten Zugriff Dritter preiszugeben, statt ihn den Erben und Angehörigen des Klass

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Verstorbenen zukommen zu lassen. Anerkannt ist daher ein „vermögenswertes Ausschließlichkeitsrecht“, dessen vorsätzliche Verletzung in der Person des Erben einen Bereicherungsanspruch auf angemessene Vergütung (Rn 321) und nach BGH 143, 214, 232 – Marlene Dietrich im Fall fahrlässiger Verletzung auch einen Schadensersatzanspruch im Wege der Lizenzanalogie (Rn 310) begründet; zur Berechnung des Schadens wird zudem ein Auskunftsanspruch (Rn 278) zuerkannt (BGH aaO). Da im Einzelfall aber auch ein Schutz des Verstorbenen gegen seinen Erben erforderlich sein kann, darf die kommerzielle Nutzung der vermögenswerten Bestandteile den mutmaßlichen Interessen des Verstorbenen nicht zuwiderlaufen; zudem dürfen keine nachwirkenden Grundrechte verletzt werden (BGH aaO; NJW 2007, 684, 685 – kinski-klaus.de; krit Götting NJW 2001, 586; Beuthien, 86). Mit der Befugnis des Erben, gegen eine unbefugte Verwendung von Persönlichkeitsmerkmalen einzuschreiten, ist mithin kein uneingeschränktes positives Nutzungsrecht verbunden (BGH 143, 214, 232 – Marlene Dietrich). Allerdings muss die Vermarktung der „vermögenswerten Bestandteile“ nicht schon durch den Verstorbenen eingeleitet worden sein (so Ullmann WRP 2002, 1052), die Nutzung vermarktungsfähiger Persönlichkeitsmerkmale (zB Bild, Name, Stimme etc) kann sich vielmehr auch erst nach dem Tod ergeben (Erman/Ehmann12 Rn 306; Beuthien, 87). Berührt die wirtschaftliche Verwertung auch die ideellen Interessen und damit Befugnisse, die den Angehörigen (§ 22 S 3, 4 KUG) oder sonstigen Wahrnehmungsberechtigten zustehen, kann sie nur mit Einwilligung (ausf Rn 229ff) dieser Personen erfolgen (BGH 143, 214, 232 – Marlene Dietrich). Darüber hinaus ist es den Erben ebenfalls nicht erlaubt, die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Leben und Wirken des Verstorbenen zu kontrollieren oder zu steuern (BGH NJW 2007, 684, 685 – kinski-klaus.de). Der Schutz der postmortalen kommerziellen Interessen findet seine Grenze mithin – ebenso wie der Schutz vermögenswerter Bestandteile lebender Personen – an den Rechten anderer, insb der Kunstfreiheit sowie der Freiheit der Meinungsäußerung (BGH NJW 2007, 684, 685 – kinski-klaus.de: die Gewinnerzielungsabsicht allein begründet jedoch noch keine Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung des postmortalen Persönlichkeitsrechts; ebenso BGH ZUM 2012, 474, 477 – Bildveröffentlichung einer Unfalltoten). Allerdings ist der Schutz der vermögenswerten Bestandteile zeitlich befristet und endet nach BGH (NJW 2007, 684 – kinski-klaus.de) in entspr Anwendung der Schutzfrist des § 22 S 3 KUG bereits 10 Jahre nach dem Tod. Diese starre Grenze von 10 Jahren wird zu Recht überwiegend krit gesehen (Brändel in Götting/Schertz/Seitz, § 37 Rn 45ff; Beuthien in Götting/Schertz/Seitz § 17 Rn 43), denn eine derart kurze Frist trägt den aktuellen Bedürfnissen sowie dem „digitalen Langzeitgedächtnis“ (Götting/Schertz/Seitz § 2 Rn 36) der ubiquitären Medienwelt nicht ausreichend Rechnung. Es erscheint unangemessen, dass die individuellen Persönlichkeitsmerkmale einer Person und ihr zu Lebzeiten (meist durch Leistung) aufgebautes Image und ihr Publizitätswert schon nach einer Frist von 10 Jahren jedermann zur freien Verfügung stehen und mithin zum Allgemeingut werden sollen. Ob die in der Lit in Anlehnung an das Urheberrecht vorgeschlagene Frist von 70 Jahren post mortem angemessen ist, oder ob eine Frist von 30 oder 50 Jahren den Bedürfnissen der Beteiligten am besten gerecht wird, kann hier dahinstehen (vgl zur Diskussion Wortmann, 306ff; Jung AfP 2005, 317, 322f; Wenzel/Burkhardt Rn 5.122; Reber GRURInt 2007, 492, 493) – der Rückgriff auf § 22 S 3 KUG jedenfalls ist nicht zwingend, da die Wertungen des Bildnisschutzes als ein besonderes Persönlichkeitsrecht durch die Entwicklung des APR längst überwunden sind (Götting/Schertz/Seitz, § 2 Rn 36). c) Postmortaler Schutz der ideellen Bestandteile. Die ideellen Bestandteile des APR sind „unauflöslich an die Person ihres Trägers gebunden und als höchstpersönliche Rechte unverzichtbar und unveräußerlich, also nicht übertragbar und nicht vererblich“ (BGH 143, 214, 220 – Marlene Dietrich). Sie müssen daher nach dem Tod des Betroffenen entspr §§ 189, 194 II StGB, 22 KUG durch von ihm zu Lebzeiten ernannte Bevollmächtigte, sog Wahrnehmungsberechtigte, oder durch seine Angehörigen iSv § 22 S 3, 4 KUG wahrgenommen werden (BGH 15, 249, 259 – Cosima Wagner; 50, 133, 137 – Mephisto; 107, 384, 389 – Emil Nolde; 143, 214, 224 – Marlene Dietrich; dazu Beuthien, 84). Diesen stehen zur Wahrung des Lebensbilds des Verstorbenen jedoch lediglich Abwehransprüche, nicht aber Geldentschädigungsansprüche zu – die Berechtigten sind mithin auf die Geltendmachung von Unterlassungs- und Beseitigungs- (Widerrufs-) Ansprüchen beschränkt, denn ein Verstorbener kann keinen durch eine Geldzahlung auszugleichenden Schaden erleiden (BGH 143, 214, 224 – Marlene Dietrich). Diese Beschränkung stößt jedoch zT auf Kritik – so wird argumentiert, dass dem Präventionsgedanken bei der Sanktion von Verletzungen des postmortalen Persönlichkeitsrechts größeres Gewicht beigemessen werden müsse, da die Medien die fehlende Sanktionsmöglichkeit andernfalls als einen „Freibrief für Rechtsverletzungen“ missverstehen könnten (Brändel in Götting/Schertz/Seitz, § 37 Rn 36; ähnlich Schmelz ZUM 2006, 214; auch München GRUR-RR 2002, 341 – Nacktfotos, will der Erbin von Marlene Dietrich eine Geldentschädigung wg Veröffentlichung von Nacktfotos gewähren, da nur so der aus Art 1 I GG resultierende Schutzauftrag zu verwirklichen sei). Diesem Ansatz hat der BGH (ZUM 2006, 211 – Mordkommission Köln; BGH GRUR 2014, 702 – Berichterstattung über trauernden Entertainer) jedoch eine klare Absage erteilt und festgestellt, dass eine Verletzung von ideellen Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts eine Geldentschädigung nur zu Lebzeiten des Trägers rechtfertigen kann; Angehörigen und Wahrnehmungsberechtigten daher lediglich Abwehr-, aber keine Schadensersatzansprüche zustehen. Alles andere wäre „systemwidrig“, da mit den maßgeblichen Funktionen eines Geldentschädigungsanspruchs – Genugtuung des Opfers und Ausgleich für die erlittene Beeinträchtigung – nicht zu vereinbaren und zudem geeignet, der Kommerzialisierung des Persönlichkeitsrechts im nicht kommerziellen Bereich Vorschub zu leisten. Auch der Gedanke der Prävention könne zu keinem anderen Ergebnis führen, da dieser allein nicht in der Lage sei, die Gewährung einer Geldentschädigung nach dem Tod einer Person zu tragen (BGH aaO). Ideeller Persönlichkeitsrechtsschutz unterliegt keiner festen zeitlichen Schranke (München AfP 2001, 68 – NSKriegsverbrecher; Frankfurt ZUM 2009, 952, 954 – Romy Schneider). Maßgeblich ist insofern der Einzelfall, 40

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wobei es darauf ankommen soll, welche Intensität die Beeinträchtigung aufweist, welche Bekanntheit der Betroffene hat bzw welche Bedeutung dem durch sein künstlerisches Schaffen geprägten Persönlichkeitsbild zukommt. Jedenfalls schwindet das Schutzbedürfnis in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorbenen und seine Lebensleistung verblassen und das Interesse an einer Nichtverfälschung des Persönlichkeitsbildes abnimmt, denn Schutzgut ist das Lebensbild und der Würdeanspruch einer in der Erinnerung der Lebenden noch präsenten Persönlichkeit (vgl BGH 107, 384, 392f – Emil Nolde, für den auch rund drei Jahrzehnte nach seinem Tod noch das Bestehen eines Schutzbedürfnisses bejaht wurde; krit dazu Schack JZ 1990, 40f). Die Zeiträume, für die postmortaler Persönlichkeitsschutz gewährt wird, können mithin unterschiedlich lang ausfallen (Frankfurt ZUM 2009, 952, 954 – Romy Schneider). S auch LG Dessau-Roßlau GRUR-RS 2014, 04821, das sich an der Schutzfrist von § 64 UrhG orientiert. d) Postmortaler Persönlichkeitsrechtsschutz Minderjähriger. Die zu Lebzeiten stattfindende Verstärkung des Persönlichkeitsrechtsschutzes von Kindern und Jugendlichen durch Art 6 I, II GG findet ihren maßgeblichen Grund in dem Bedürfnis, Minderjährigen eine ungestörte Persönlichkeitsentwicklung zu gewährleisten. Dieses Schutzbedürfnis ist im Bereich des postmortalen Schutzes nach Ansicht der Rspr ohne Belang (BGH NJW 2009, 751, 752 – Ehrensache; Hamm ZUM 2010, 453, 455; krit hierzu Staud/Hager § 823 C 34a). Zur Frage der Verfügungsgewalt über den digitalen Nachlass einer 14-Jährigen und der Vererbbarkeit von Nutzerkonten sozialer Netzwerke s LG Berlin ZEV 2016, 189, 192, welches eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts dann ausschließt, wenn der Erbe zugleich Sorgeberechtigter war und bereits zu Lebzeiten als Sachwalter über das Persönlichkeitsrecht des Kindes verfügte. 3. Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Angehörigen. Von der Frage nach dem postmortalen Schutz des Verstorbenen zu trennen sind Konstellationen, in denen bspw durch schwere Verunglimpfungen eines Verstorbenen die Persönlichkeitsrechte naher Angehöriger verletzt werden (vgl BGH GRUR 1974, 794 – Todesgift; LG Heilbronn ZUM 2002, 160: Schadensersatzansprüche der Eltern wegen eines Berichts über ihren verstorbenen Sohn – hirnloser Säufer; ähnlich Jena NJW-RR 2005, 1566; LG Hamburg AfP 2007, 382; BGH ZUM 2006, 211, 212f – Mordkommission Köln, verneint eine Persönlichkeitsrechtsverletzung eines Mannes, dessen geistesgestörte Schwester von einem Kamerateam gefilmt wurde, kurz nachdem sie die 80-jährige Mutter erschlagen hatte und zudem Bilder der teils entkleideten Leiche aufgenommen und ausgestrahlt wurden). Jedoch führt die Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts eines Verstorbenen nicht per se dazu, dass die Würde der Angehörigen verletzt wird und diesen ein Anspruch auf Geldentschädigung zuzugestehen ist – erforderlich ist vielmehr, dass das Persönlichkeitsrecht der Angehörigen unmittelbar tangiert wird (Staud/Hager § 823 C 36: „eigenständig und individuell“). Hierfür genügt nicht, dass sich der Dritte wegen seiner engen Beziehung zum Betroffenen durch die Berichterstattung „persönlich“ betroffen fühlt; ebenso wenig ist es ausreichend, dass Leser oder Zuschauer den beanstandeten Bericht über eine Straftat zum Anlass nehmen, Angehörige anzufeinden oder zu belästigen. Bloße Reflexwirkungen bleiben mithin schutzlos (BGH ZUM 2006, 211, 214 – Mordkommission Köln; ZUM 2012, 474, 476 – Ansprüche bei Persönlichkeitsrechtsverletzung wegen Bildveröffentlichung einer Unfalltoten; OVG Berlin-Brandenburg AfP 2010, 621). 4. Kein postmortaler Schutz des Namensrechts. Das Namensrecht – das den Schutz von Künstlernamen einschließt – soll nach BGH NJW 2007, 684 – kinski-klaus.de mit dem Tod des Namensträgers erlöschen. Der Betroffene ist jedoch nach dem Tod nicht schutzlos gestellt, vielmehr soll ein postmortaler Schutz insoweit bestehen bleiben, als durch die Verwendung des Namens nach dem Tod das postmortale APR des Verstorbenen verletzt wird. Zur postmortalen Nutzung des Namens einer Person und möglichen markenrechtlichen Implikationen s BPatG GRUR-RS 2013, 06657 – Willi Ostermann; 11.6.2012 – 27 W (pat) 533/12 – Adolf Loos Preis; GRUR 2012, 1148 – Robert Enke. Zur zulässigen Verwendung personenbezogener Daten eines Verstorbenen in einer virtuellen Todesanzeige s LG Saarbrücken NJW 2014, 1395. 5. Hinterlassenschaft von Briefen und Tagebüchern. Das Recht des Verstorbenen, über die Veröffentlichung und Nichtveröffentlichung von (vertraulichen) Briefen und Tagebüchern zu entscheiden, geht auf die nächsten Angehörigen oder diejenigen über, die der Urheber vor seinem Tod ausdr bestimmt hat (BGH 15, 249 – Cosima Wagner; Wiese, FS Herschel, 1982, 483, 492; Schack GRUR 1985, 355). Zur Herausgabe von Stasi-Akten nach dem Tod des Betroffenen s Roß LKV 2015, 59. 6. Weitere gesetzliche Regelungen zum Schutz des Verstorbenen. Neben dem postmortalen Persönlichkeitsrechtsschutz existieren weitere Regelungen, die dem Schutz des geistigen Weiterlebens einer Person dienen. Nach § 189 StGB bspw ist die Verunglimpfung des Andenkens eines Verstorbenen strafbar; umstr ist jedoch, ob damit die Ehre des Verstorbenen oder das Pietätsempfinden der Hinterbliebenen geschützt wird. Grds vererblich ist das Vermögen einer Person, das im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben übergeht (§ 1922). Ebenfalls vererblich sind die Urheberrechte (§ 28 I UrhG). Der Urheber kann durch letztwillige Verfügung die Ausübung der Urheberrechte einem Testamentsvollstrecker übertragen (§ 28 II UrhG) – allerdings erlöschen sie 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers (§ 64 UrhG); kein postmortaler Schmerzensgeldanspruch für Erben des Urhebers, s Düsseldorf GRUR-RR 2013, 278. Das Recht am eigenen Bild geht auf die nächsten Angehörigen über und erlischt 10 Jahre nach dem Tod (§ 22 S 3 und 4 KUG), dazu Hamburg AfP 2005, 76. 7. Schutz des Körpers und seiner Teile nach dem Tod. Auch die physische Integrität des Leichnams wird von der Rechtsordnung geschützt (zum Verbot unbefugter Organentnahme LG Bonn JZ 1971, 56, 58; s auch Staud/ Hager § 823 C 44 zum Schutz durch das TPG; zu den Rechtsfolgen der Nichtbeteiligung des Patienten an der Klass

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kommerziellen Nutzung seiner Körpersubstanzen Taupitz AcP 191, 201; zur Vernichtung deponierten Spermas BGH NJW 1994, 127; Taupitz NJW 1995, 745; zur Zulässigkeit von Leichenversuchen Pluisch/Heifer NJW 1994, 2377; zur Exhumierung eines Verstorbenen zwecks Vaterschaftsfeststellung s BGH NJW 2014, 3786; München NJW-RR 2000, 1603 sowie die Entsch des EGMR (15.5.2006 – 1338/03): Exhumierung zum Zweck der Probenentnahme stellt keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens iSd Art 8 I EMRK dar; zur Wegnahme von Zahngold, welches als künstliches Körperteil ebenso vom besonderen Persönlichkeitsrecht am Körper wie die natürlichen Körperteile umfasst wird, BGH NStZ 2016, 92, 93; s München NJW-RR 2000, 1603). Erman/Ehmann12 Rn 302 begreift die Leiche als „Rückstand der Persönlichkeit“, weshalb sich eine Einordnung als Sache vor dem Hintergrund der Menschenwürdeverbürgung verbiete (zur Frage, ob von Lebenden oder Toten abgetrennte Körperteile „Sachen“ sind oder das „Sacheigentum“ vom APR überlagert wird, s BGH NJW 1994, 127) und sich zudem Art und Ort der Bestattung im Rahmen der öffentlichen Ordnung (dazu BGH NJW 1959, 525 – Ehrengedenktafel) nach dem Willen des Verstorbenen (RG 100, 173; Hubmann, 342 mwN) richten sollen. Jedoch können sich die nächsten Angehörigen einvernehmlich über den Willen des Verstorbenen hinwegsetzen (Schack JZ 1989, 610); findet sich keine ausdr Bestimmung des Erblassers, hat das Bestimmungsrecht des Ehegatten grds Vorrang vor dem der Verwandten, Schleswig NJW-RR 1987, 72; Frankfurt NJW-RR 1989, 1159. Auch für eine Obduktion, eine Sektion oder die Freigabe der Leiche an die Anatomie ist im Grundsatz der Wille des Verstorbenen maßgeblich, allerdings wird auch hier den nächsten Angehörigen ein Widerrufsrecht zugebilligt (Erman/Ehmann12 Rn 302; Schack JZ 1989, 610 mwN; München NJW 1976, 1805). Organtransplantationen bedürfen nach §§ 3, 4 TPG grds der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verstorbenen oder des nächsten Angehörigen, sofern der Verstorbene nicht widersprochen hatte. Zur Frage, ob die Darbietung eines Körpers in der Ausstellung „Körperwelten“ gegen Bestattungsgesetze und/oder die Menschenwürde des Einzelnen verstoßen, s VGH München NJW 2003, 1618 – Körperwelten; dazu Ahrens GRUR 2003, 850; vgl zudem hins der Zuordenbarkeit der Einwilligung der Verstorbenen zu den Exponaten OVG Berlin-Brandenburg LKV 2016, 139 – Ausstellung menschlicher Plastinate. IV. Aktivlegitimation: Individuelle Betroffenheit. Voraussetzung, um sich gegen einen Angriff auf das APR zur Wehr setzen zu können, ist individuelle Betroffenheit. Hierbei ist erforderlich, dass die konkrete Person erkennbar und identifizierbar ist. Erkennbarkeit ist unstr gegeben, wenn eine Person mit Namen genannt oder ihr Bild gezeigt wird (zum Namen als Identifikationsmittel Lüthy, 75ff; LG Köln ZUM 2012, 900, 902). Diese Merkmale sind meistens eindeutig und identifizieren den Betroffenen zweifelsfrei. Eine Identifikation ist aber auch ohne Namensnennung möglich, wenn bspw Merkmale wie der Berufsstand, der konkrete Wohnort, der Arbeitgeber, besondere Herkunftsmerkmale oder Wohnverhältnisse, besondere Positionen auf kommunaler Ebene, in Vereinen und Verbänden oder sonstige die Person charakterisierende Details genannt werden (BGH 143, 199 – Schleimerschmarotzerpack: Beschreibung der Tätigkeit im Straßenbauamt und als Vorsitzende eines Vereins; NJW 1981, 1366, 1367 – Der Aufmacher II; Frankfurt ZUM 1992, 361, 363; Hamm, NJW-RR 1993, 735; Saarbrücken NJW-RR 2010, 346; Brandenburg 25.11.2013 – 1 U 5/13: Position des Vorstandvorsitzenden; LG Köln 18.1.2012 – 28 O 846/11). Zur Erkennbarkeit in einem Kunstwerk Karlsruhe ZUM 2012, 490, 491; BGH ZUM 2005, 735; BVerfG ZUM 2007, 829 – Esra: Erkennbarkeit in einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis bzw in der näheren persönlichen Umgebung ist ausreichend. Eine individuelle Betroffenheit kann selbst dann zu bejahen sein, wenn die Person nicht im Mittelpunkt der Berichterstattung steht und/oder ein Rückschluss nur durch die sich äußernde Person möglich ist (München NJW 1986, 1260, 1261; einschränkend LG Berlin AfP 2013, 71 (Nachfahre des Hauses Hohenzollern): bloße Reflexwirkungen bleiben schutzlos. Allerdings kann ein Chefredakteur von den Ruf „seines“ Magazins beeinträchtigenden Äußerungen betroffen sein (BGH NJW 2010, 760, 762f). Nach Karlsruhe ZUM 2012, 490 steht im Fall eines unzulässigen Angriffs auf die Geschlechtsehre der Frau zudem auch dem Ehemann ein eigener Unterlassungsanspruch zu. F. Passivlegitimation. I. Störereigenschaft. Die Frage der Verantwortlichkeit und mithin die Bestimmung der Person oder Stelle, die als Adressat persönlichkeitsrechtlicher Ansprüche in Betracht kommt, weil ihr die Berührung des Schutzbereichs des APR zugerechnet werden kann, ist von besonderer praktischer Relevanz. Störer iSd § 1004 ist insofern ohne Rücksicht darauf, dass ihn ein Verschulden trifft, jeder, der die Störung herbeigeführt hat oder dessen Verhalten eine Beeinträchtigung befürchten lässt (BGH NJW 2016, 56, 59; NJW 1986, 2503, 2504 – Ostkontakte). Erfasst wird dabei „sowohl der unmittelbare Störer, der durch sein Verhalten selbst die Beeinträchtigung adäquat kausal verursacht hat, als auch der mittelbare Störer, der in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat“, wobei die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügt, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung der Handlung hatte (BGH NJW 2016, 56, 59). Insoweit kommen im Bereich der Medienberichterstattung eine Vielzahl von Personen in Betracht: der Autor eines Beitrags (BGH 39, 124, 129 – Fernsehansagerin; 66, 182, 188 – Panorama); der journalistisch tätig gewordene sowie der verantwortliche Redakteur (Staud/Hager § 823 C 52; 54; BGH NJW 1974, 1762 – Deutschland-Stiftung; 1977, 626 – Editorial; BGH 75, 160); der Moderator einer Rundfunksendung (BGH 66, 182, 188 – Panorama); der Verleger (BGH 3, 270, 275 – Constanze I; 14, 163, 174 – Constanze II; 39, 124, 125 – Fernsehansagerin; GRUR 1974, 797 – Fiete Schulze; Köln NJW-RR 2001, 1196); der Herausgeber (BGH GRUR 1974, 794, 797 – Fiete Schulze; NJW 1980, 994 – Wahlkampfillustrierte); der Chefredakteur (Köln AfP 1985, 293, 295) aber auch Informanten als mittelbare Täter, Gehilfen oder Anstifter (BGH NJW 1964, 1181 – Weizenkeimöl; NJW 1967, 675 – Spezialsalz; 50, 1 – Pelzversand; NJW 1973, 1460 – Kollo-Schlager). Zudem haftet auch 42

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der Verbreiter einer Äußerung (zB Inhaber von Vertriebsstellen und Buchhandlungen, hierzu ausf Rn 86ff), sofern er sich diese zu eigen macht (ausf Rn 89). Störer ist aber auch der Betreiber einer Internetplattform (BGH NJW 2007, 2558; ZUM-RD 2012, 82; ZUM 2012, 566; LG Köln ZUM 2012, 900, 902; vgl zu den speziellen Haftungsfragen im Internet, insb zur Verantwortlichkeit von Betreibern von Bewertungsportalen, Meinungsforen und zur Verantwortlichkeit von Suchmaschinen Rn 89a ff. II. Behaupten und Verbreiten. 1. Grundsätze der Verbreiterhaftung. Im Rahmen der Medienberichterstattung 86 werden oftmals Meinungen Dritter verwendet oder es werden Drittaussagen weitergegeben. Sich und andere auch über Stellungnahmen Dritter zu informieren, ist dabei Teil des durch Art 5 I 1 GG geschützten meinungsbildenden Diskussionsprozesses. Eine Wiedergabe ist daher selbst dann von der Meinungsfreiheit geschützt, wenn die fremde Äußerung weder kommentiert noch auf andere Weise in eine Stellungnahme eingebaut ist (BVerfG NJW-RR 2010, 470 – Presseschau). Die §§ 186, 187 StGB sowie § 824 knüpfen insoweit an das Behaupten und Verbreiten unwahrer Tatsachenbehauptungen dieselben Rechtsfolgen, dh, dass sich eine Äußerung prinzipiell zurechnen lassen muss, wer sie aufgestellt und damit behauptet oder wer sie verbreitet hat. Das bedeutet, dass selbst der Verbreiter einer Aussage als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann (BGH NJW 1993, 525, 526 – Ketten-Mafia). Ergibt sich dies für die genannten Tatbestände der §§ 186, 187 StGB und § 824 schon aus dem Wortlaut der jew Norm, so ist die sog Verbreiterhaftung iÜ allg anerkannt (Damm/ Rehbock Rn 646ff mwN), denn auch in der bloßen Verbreitung einer unzulässigen Aussage kann eine erhebliche Beeinträchtigung des Betroffenen liegen; so kann die persönliche und wirtschaftliche Ehre durch das weitere Verbreiten ebenso verletzt werden wie durch das erstmalige Aufstellen (BVerfG 71, 206, 216 – Anklageschriftveröffentlichung; BGH 31, 308 – Abgeordneten-Bestechung; NJW 1993, 525 – Ketten-Mafia). Und auch die Wiedergabe einer Fremdäußerung „zwischen den Zeilen“, welche sich der Äußernde zu eigen macht, verunglimpft ebenso wie die Äußerung selbst (Köln NJW 1979, 1562 – Buback-Nachruf). Verbreiter ist grds jeder, der an der Verbreitung einer Behauptung mitwirkt (so ist zB auch in der Einfuhr/dem Vertrieb einer Zeitschrift ein Verbreiten zu sehen; das Ausmaß des Tatbeitrags ist dabei unerheblich; der Betroffene muss jedoch die Möglichkeit haben, den Vertrieb der Schriften zu stoppen, BGH NJW 1976, 799, 800 – Alleinimporteur). Grds ist zw intellektuellem und technischem Verbreiter zu differenzieren (BGH NJW 1976, 799, 800 – Allein- 87 importeur; NJW 1986, 2503, 2504 – Ostkontakte). Während der intellektuelle Verbreiter zu der von ihm verbreiteten Behauptung eine gedankliche bzw intellektuelle Beziehung hat, ist der technische Verbreiter lediglich (technisch) mit dem Verbreitungsvorgang befasst (zB Zeitungsausträger, die Deutsche Post und die in den Vertrieb des Produktes eingebundenen Akteure wie bspw Buchhändler und Kioskbesitzer). Da der technische Verbreiter keinerlei gedankliche Verbindung mit dem Inhalt der Äußerung hat (Wenzel/Burkhardt Rn 10.186), ist sein Agieren meist gerechtfertigt oder schuldlos (Erman/Ehmann12 Rn 44). Aber auch, wenn der technische Verbreiter, den idR keine Nachprüfungspflicht trifft, nicht mit Schadensersatzpflichten rechnen muss – jedenfalls solange ihm die Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit seines Handelns weder bekannt sind noch bekannt sein müssten –, kann er dennoch als Störer zur Unterlassung (§ 1004) verpflichtet sein. Zur Verbreiterhaftung von Bibliotheken Wenzel/Burkhardt Rn 10.225; zur Weitergabe eines Drehbuchs Hamburg NJW-RR 2007, 1268, 1269 – Contergan: die Aufnahme von Äußerungen in ein Drehbuch begründet keine Erstbegehungsgefahr, da dieses nicht zur Verbreitung bestimmt, sondern nur als Arbeitsgrundlage gedacht ist. Bei Sachverhalten im Internet ist eine klare Trennung zw intellektuellem und technischem Verbreiter oft kaum möglich (Soehring/Hoene Presserecht § 16 Rn 17e); zur Verantwortlichkeit des Betreibers eines Internetforums exemplarisch BGH NJW 2007, 2558: Verantwortlichkeit neben dem Ersteller des Beitrags. S zur Haftung im Internet ausf Rn 89a ff. 2. Einschränkungen der Verbreiterhaftung. Allerdings erfährt der Grundsatz der Verbreiterhaftung (insb im 88 Bereich des Rundfunks) diverse Einschränkungen. So tritt bspw das Medium als Veranlasser oder Verbreiter zurück, wenn das Verbreiten Teil der Dokumentation des Meinungsstandes ist (BGH 66, 182 – Panorama; NJW 1996, 1131, 1132 – Lohnkiller; Köln NJW 1993, 1486, 1487 – Lindenstraße; LG Rostock AfP 2012, 492; Wenzel/ Burkhardt Rn 10.187; einschränkend LG Hamburg NJW 1998, 3650, hierzu Waldenberger AfP 1998, 373). Dies ist der Fall, wenn Erklärungen und Stellungnahmen unterschiedlicher Personen und verschiedener Seiten zusammen- und gegenübergestellt werden, alle Aspekte gleichermaßen Berücksichtigung finden, die Streitteile annähernd gleichwertig zu Wort kommen und das Medium nur als Forum, als sog „Markt der Meinungen“ fungiert, bspw wenn eine Sendung Vertretern der Wissenschaft die Möglichkeit gibt, eigenständige Äußerungen zu ihrem Fachgebiet wiederzugeben (BGH NJW 1970, 187, 189 – Hormocenta). Jedoch müssen Fernseh- und Rundfunkanstalten auch bei der Dokumentation des Meinungsstands im Interesse der Objektivität der Sendungen prüfen, ob die Erkenntnisquellen zuverlässig und umfassend sind. Jedenfalls ist bei der Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen, welche auf eine unzureichende Prüfung zurückzuführen sind, die Wahrnehmung berechtigter Interessen ausgeschlossen (BGH NJW 1966, 2010, 2011 – Teppichkehrmaschine). Inwieweit sich ein Moderator bei Live-Sendungen von Äußerungen seiner „Gäste“ distanzieren oder diese unterbrechen muss, ist eine Frage des Einzelfalls (Wenzel/Burkhardt Rn 4.106). Eine ausdr Distanzierung ist jedenfalls nicht stets notwendig, da für den Zuschauer idR erkennbar ist, dass keine Identifizierung stattfindet (vgl aber Hamburg AfP 2006, 564 – Verbreiterhaftung bei Presseinterview; vgl zur Privilegierung von Interviews im Rahmen der Verbreiterhaftung auch Mensching/Waschatz AfP 2009, 441). Für Zeitungsinterviews gilt Entspr (Hamburg AfP 1983, 412). So trifft den Verleger einer Zeitung (FAZ) beim Abdruck eines Interviews einer „Sachkundigen“ (Alice Schwarzer) nur eine eingeschränkte Prüfungspflicht hins einer ehrverletzenden Tatsachenbehauptung; ein Klass

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Zueigenmachen liegt aufgrund des Abdrucks jedenfalls nicht vor (München AfP 2007, 229 m Anm Rehbock). Anderes gilt, wenn die Kundgabe der Missachtung unter dem Deckmantel der Kunstform des Fernsehspiels geschieht (Köln NJW 1993, 1486, 1487 – Lindenstraße). 89 3. Behaupten durch Zueigenmachen. Eine Behauptung liegt vor, wenn die Darstellung eines bestimmten Tatbestands als eigene Feststellung oder Überzeugung zu verstehen ist (Wenzel/Burkhardt Rn 4.88; Damm/Rehbock Rn 635; Soehring/Hoene, Presserecht § 16 Rn 3). Ein Behaupten ist aber auch dann zu bejahen, wenn sich die Meinung zu eigen gemacht wird (Erman/Ehmann12 Rn 45; Staud/Hager § 823 C 52; Damm/Rehbock Rn 635). Ein solches „Zueigenmachen“ liegt vor, wenn man sich derart mit der Fremdäußerung identifiziert, dass diese als eigene Äußerung erscheint (BGH NJW 2014, 2029, 2031 Rn 19 – Sachsensumpf; ZUM 2012, 566; GRUR 2013, 312, 313; BGH 66, 182 – Panorama;), insb wenn es an einer eigenen und ernsthaften Distanzierung des Erklärenden fehlt (BVerfG NJW 2004, 590, 591; BGH ZUM 2012, 566; NJW 1997, 233, 235 – Gynäkologe; NJW 1996, 1131, 1132 – Lohnkiller; Saarbrücken NJW 1997, 1376, 1377 – Rotlichtfürst; Naumburg ZUM-RD 2006, 286, 287; LG Köln 16.3.2011 – 28 O 503/10). Die Distanzierung darf allerdings nicht nur zum Schein geschehen oder die Berufung auf einen anderen oder ein Gerücht nur als Vorwand dienen, um eine beleidigende Behauptung weiterzuverbreiten (zu den Kriterien für eine ausreichende Distanzierung LG Düsseldorf AfP 1999, 518). Zudem setzt eine wirksame Distanzierung idR voraus, dass der unwahren Behauptung die Gegenansicht gegenübergestellt wird (BGH GRUR 1997, 233, 235 – Gynäkologe; NJW 1996, 1131 – Lohnkiller; Hamburg NJW-RR 1993, 734 – Stasi-Verdacht; LG Hamburg AfP 1993, 678, 679 – López; Wenzel/Burkhardt Rn 4.110); nicht ausreichend ist daher bspw der Hinw, dass eine veröffentlichte IM-Namensliste nicht vollständig fehlerfrei ist und die Liste nicht ohne diese Bemerkung verwendet werden darf (BGH GRUR 1994, 913 – Namensliste; ähnlich auch NJW 1993, 525, 526 – Ketten-Mafia). Hier ist zu beachten, dass an Gerüchten und Vermutungen aus zweifelhafter Quelle meist schon kein Informationsinteresse besteht (Saarbrücken NJW 1997, 1376, 1378; Wenzel/Burkhardt Rn 10.209; Gounalakis AfP 1998, 10, 20f; LG Hamburg AfP 2017, 83: Verbreitung eines unzutreffenden Gerüchts auf Basis von Informationen aus Facebook-Profil). Selbst wenn sich aus einem Bericht ergibt, dass die darin enthaltenen Behauptungen unwahr und unberechtigt sind, dürfen nach LG München I ZUM 1998, 576, 577 m Anm Schneider böswillige Verleumdungen nicht in reißerischer Aufmachung und detailliert in der Bild-Zeitung verbreitet werden. Zudem kann auch im Aufwerfen von Fragen und der Äußerung eines Verdachts ein verdecktes Verbreiten ehrenrühriger Tatsachen liegen (BGH NJW 1978, 2151 – Fehlmeldungen; NJW 1980, 2801 – Medizin-Syndikat III; Hamburg ZUM 1996, 685f; Stuttgart 8.2.2017 – 4 U 166/16 – Panama Papers; Wenzel/Burkhardt Rn 4.97 mwN); auch darf etwas Fragwürdiges nicht als Verlässliches geäußert werden (Hamburg NJW-RR 1993, 734 – Stasi-Verdacht). Selbst der Anstoß, einer bestimmten Frage nachzugehen, kann im Einzelfall als ein Verbreiten angesehen werden (BGH NJW 1978, 2151 – Fehlmeldungen). Nicht erforderlich für ein Zueigenmachen ist eine ausdr Billigung, vielmehr reicht es aus, wenn dem Leser eine solche Billigung „zw den Zeilen“ vermittelt wird. Ein Zueigenmachen kann daher bspw in einer Anmoderation liegen, wenn sich der Moderator auf im Rahmen eines Hörfunkberichts aufgestellte Tatsachenbehauptungen bezieht (BGH NJW 1985, 1621, 1622 – Türkenflug I); ebenfalls kann die dramaturgische Einbindung der Äußerung in eine eigene krit Stellungnahme der Autoren (BGH 66, 182 – Panorama) zu einem Zueigenmachen führen; ebenso die Einbindung eines Zitats, um dadurch eigene Aussagen zu unterstreichen (BVerfG NJW 2004, 590, 591). Ein Zueigenmachen ist idR auch zu bejahen, wenn die Fremdäußerung zur alleinigen Grundlage des Beitrags gemacht wird (BGH NJW 1997, 233, 235 – Gynäkologe) oder die Fremdäußerung (insb ein Zitat) geradezu unterstrichen wird (BGH NJW 1996, 1131, 1132 – Lohnkiller). Keine ausreichende Distanzierung liegt auch vor, wenn der Äußernde einen Verdacht durch die Art der Darstellung – trotz formaler Vorbehalte – zu einer mit Sicherheit bzw hohen Wahrscheinlichkeit zutr Nachricht verfestigt (München NJW-RR 1996, 1493, 1494 – Focus). Ein Zueigenmachen kann auch durch die Wahl der Schlagzeile erfolgen (Saarbrücken NJW 1997, 1376, 1377 – Rotlichtfürst; ebenso LG Oldenburg NJW-RR 1995, 1427, 1428 – Anzeigenblatt), oder wenn es dem Äußernden nur darum geht, jemanden abzuwerten (Bezeichnung als „allergrößte Pfeife“, LG Oldenburg aaO); s auch LG Köln AfP 2016, 280: Die bloße Bezugnahme/Zustimmung zu einer Äußerung, die als bekannt vorausgesetzt und nicht erneut wiedergeben wird, stellt kein Zueigenmachen dar. 89a Haftung im Internet. Bzgl der Haftung für originär eigene Inhalte gilt in der virtuellen Welt grds nichts anderes als in der realen Welt: Derjenige, der im Internet originär eigene Inhalte verbreitet, haftet vollumfänglich. Schwierigkeiten ergeben sich bei Internet-Sachverhalten allerdings hins der Qualifikation, welche Inhalte originär eigene sind. 89b Haftungsprivilegierung im Internet. Der Aspekt der Verantwortlichkeit weist im Internet besondere Probleme auf. Die Frage, wer für im Internet verfügbare, das APR verletzende Inhalte haftet, regelt weitgehend das TMG v 26.2.2007 (BGBl I 179). Es enthält ein abgestuftes Modell der Verantwortlichkeit (§§ 7–10 TMG) für rechtswidrige Informationen im Internet, wobei die Verantwortlichkeit des einzelnen Providers umso größer ist, je näher der Diensteanbieter den konkreten Inhalten steht (Hilgendorf/Frank/Valerius, Computer- und Internetstrafrecht Rn 293ff; vgl auch Spindler/Schuster/Hoffmann §§ 7–10 TMG). Während ein Content-Provider (wer eigene Informationen zur Nutzung bereithält, § 7 I TMG) nach allg Gesetzen voll verantwortlich ist, haftet der Host-Provider (wer fremde Informationen für Nutzer speichert), dann nicht, wenn er keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information hat, § 10 S 1 Nr 1 TMG, bzw unverzüglich nach Kenntniserlangung tätig wird, um die Informationen zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, § 10 S 1 Nr 2 TMG; der AccessProvider, dessen Tätigkeit sich auf die rein technischen Vorgänge des Datentransfers beziehen, ist grds nicht ver44

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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antwortlich (§§ 8f TMG). S jedoch BGH GRUR 2016, 268: Nachrangige Pflicht, den Zugang zu Internetseiten zu sperren, die urheberrechtlich geschützte Werke rechtswidrig öffentlich zugänglich machen, sofern zuvor der entsprechende Webseiten-Betreiber und Host-Provider in Anspruch genommen wurden. Der Access-Provider verfolgt ein von der Rechtsordnung gebilligtes und hins der Rechtsverletzung Dritter neutrales Geschäftsmodell (BGH GRUR 2016, 268, 278 Rn 83). Etwaige Umgehungsmöglichkeiten stehen der Zumutbarkeit einer Sperrung nicht entgegen (BGH GRUR 2016, 268, 274 Rn 48; vgl dazu auch EuGH GRUR 2014, 468 – kino.to m Anm Marly und Hamburg GRUR-RR 2014, 140 – 3dl.am). Das TMG begründet dabei keine Haftung – diese richtet sich nach den allg strafrechtlichen und zivilrechtlichen Voraussetzungen; die Regelungen des TMG fungieren vielmehr wie ein Filter, der sich privilegierend vor eine mögliche Haftung schiebt (Leupold/Glossner Müchener Anwaltshdb IT-Recht Teil 2 Rn 138). Nach st Rspr des VI. Zivilsenats finden die Privilegierungen allerdings keine Anwendung auf Unterlassungsansprüche aus Störerhaftung (NJW 2012, 148, 150 – Blog-Eintrag sowie NJW 2012, 2345 – RSS-Feed); zur uU entstehenden Divergenz zur unter Einfluss der EuGH-Judikatur bestehenden Rspr des I. Zivilsenats (vgl bspw BGH NJW 2015, 3443, 3445 – Hotelbewertungsportal) s Paal NJW 2016, 2081, 2083 sowie Krüger ZUM 2016, 335; s auch Spindler MMR 2011, 703 zu den europarechtlichen Rahmenbedingungen der Störerhaftung im Internet nach EuGH in Sachen L’Oréal/eBay, GRUR 2011, 1025. Zur Störerhaftung im Internet im Fall von Persönlichkeitsrechtsverletzungen s Rn 89c. Haftung für zu eigen gemachte Inhalte im Internet. Macht sich ein Internetanbieter fremde Inhalte zu eigen, 89c haftet er nach den allg Vorschriften, also bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen (Verschulden) auch auf Schadensersatz oder Geldentschädigung (vgl BGH MMR 2010, 556 – marions-kochbuch.de; vgl auch GRUR 2016, 209, 211 – Akupunktur). Voraussetzung für ein Zueigenmachen ist auch hier eine mehr oder weniger aktive Einbeziehung des fremden Inhalts in den eigenen Aussagekontext, dh für einen verständigen Durchschnittsnutzer muss auf der Basis einer Gesamtbetrachtung eine erkennbare und zurechenbare Identifizierung mit den Aussagen erfolgen oder es muss die inhaltliche Verantwortung übernommen werden. Dabei kann eine inhaltlich-redaktionelle Kontrolle auf Vollständigkeit und Richtigkeit oder die Einbindung in das eigene redaktionelle Angebot der von Dritten hochgeladenen fremden Inhalte für ein Zueigenmachen sprechen (BGH ZUM 2015, 893, 895 Rn 25 – Hotelbewertungsportal; MMR 2010, 556, 557 Rn 25f – marions-kochbuch.de). Nicht ausreichend ist allerdings weder die Ermittlung von Durchschnittswerten noch ein vorgeschalteter Filter, um etwa Formalbeleidigungen und Eigenwerbung auszuschließen (BGH ZUM 2015, 893, 896 Rn 28 – Hotelbewertungsportal). Werden rechtswidrige Inhalte zwar vom Verfasser gelöscht, aber von Dritten weiterverbreitet, ist dies dem Verfasser des Ursprungsbeitrags ebenfalls zuzurechnen, da es für das Internet typisch ist, dass Inhalte von Dritten verlinkt bzw. kopiert werden (BGH NJW 2016, 56, 60 Rn 37; vgl auch NJW 2015, 1246, 1248 Rn 21 – RSS-Feed). Das selbständige Dazwischentreten Dritter unterbricht den Zurechnungszusammenhang daher nicht (BGH NJW 2016, 56, 60 Rn 37; vgl auch NJW 2015, 1246, 1248 Rn 21 – RSS-Feed). Da eine originäre Löschung vom Verfasser jedoch in diesem Fall nicht verlangt werden kann (BGH NJW 2016, 56, 60 Rn 38), richtet sich der Anspruch lediglich darauf, dass er im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren auf eine Löschung hinwirkt (BGH NJW 2016, 56, 60 Rn 37, 40). Dies führt letztlich zu einer Entlastung des Verletzten und etwaiger Portalbetreiber und stellt die Täterhaftung stärker in den Fokus (Peifer NJW 2016, 23, 25). Vgl auch die Entscheidung des EGMR MMR 2014, 35 – Delfi m Anm Milstein, in welcher dieser die Verurteilung eines Nachrichtenportals, welches Beiträge erst nach Hinweis des Betroffenen löschte, nicht als Verstoß gegen Art 10 EMRK wertete, da der Betreiber drastische Reaktionen hätte erwarten müssen und er technisch in der Lage war, bestimmte Begrifflichkeiten herauszufiltern. Bei der bloßen Veröffentlichung von Forenbeiträgen geht es idR nicht um die Wiedergabe der Meinung des 89d Betreibers, weshalb ihm derartige Äußerungen nicht als eigene zuzurechnen sind (Hamburg MMR 2009, 479, in Abgrenzung zu Hamburg MMR 2008, 781 – chefkoch.de; vgl aber auch EGMR MMR 2014, 35 – Delfi m Anm Milstein zur Verurteilung eines Host-Providers als Täter). Kein Zueigenmachen daher auch beim kontextlosen Einstellen von Wikileaks-Dokumenten in das Online-Archiv einer Zeitung, Köln 19.11.2013 – 15 U 53/13 oder der Anwendung eines automatischen Wortfilters sowie der statistischen Auswertung von Weiterempfehlungsraten, BGH ZUM 2015, 893. Wird ein Hyperlink auf eine Homepage gesetzt, welche das APR verletzende Inhalte enthält, kommt eine Haf- 89e tung des Linksetzers nach allg Regeln in Betracht; das TMG regelt die Frage der Verantwortlichkeit für Hyperlinks nicht (BGH GRUR 2016, 209, 211 Rn 12 – Akupunktur; Hamm NJW-RR 2004, 919, 922 – Lisa Loch; Spindler NJW 2002, 924; BVerfG MMR 2009, 459 hat die Frage mit Blick auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Hyperlinks offengelassen; zur Haftung bei Verletzungen des Rechts am eigenen Bild durch Hyperlinks s Petershagen NJW 2011, 705); eine Haftung kommt dabei nicht stets, aber dann in Betracht, wenn der Benutzer des Links den ehrverletzenden Inhalt kennt und sich den Inhalt der Seite des anderen Anbieters zu eigen macht (Hamm NJW-RR 2004, 919, 922 – Lisa Loch; LG Hamburg MMR 2012, 554; Staud/Hager § 823 C 62c; zu den Anforderungen an eine ernsthafte Distanzierung BGH 132, 13; zu den Prüfungspflichten Köln CR 2009, 191, 193 – Online-Archiv; keine Haftung für Link auf Wikipedia-Inhalte, LG Hamburg MMR 2008, 550, Funktionsweise von Wikipedia ist der eines Forums vergleichbar; zum Zueigenmachen eines verlinkten Inhalts durch Einbetten in einen Blog LG Hamburg MMR 2012, 554, nrkr, anhängig Hamburg 7 U 51/12). Von Bedeutung kann ferner sein, ob es sich um einen sog Deeplink handelt, der direkt zu der verletzenden Aussage führt, oder ob der Link nur auf eine zunächst unbedenkliche Startseite führt, von der sich der Nutzer selbst bis zu der in Frage stehenden Aussage „durchklicken“ muss (vgl BGH GRUR 2016, 209, 211 Rn 19 – Akupunktur). Zu PersönlichKlass

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keitsrechtsverletzungen durch Backlinks s LG Amberg CR 2012, 825; iÜ keine Übertragbarkeit der Rspr, wonach das „Verlinken“ zu einem Zueigenmachen des verlinkten Beitrages führen kann, auf die Facebook-Funktion „Teilen“, Frankfurt aM ZUM-RD 2016, 225, da dieser keine über die Verbreitung des Postings hinausgehende Bedeutung beizumessen ist. 89f Bei Internetgästebüchern besteht nach der Rspr eine Kontrollpflicht des Betreibers, deren Verletzung zu einem „Zueigenmachen“ führen kann, jedenfalls dann, wenn mit Einträgen ehrverletzenden Inhalts gerechnet werden musste (LG Düsseldorf MMR 2003, 61; ebenso LG Trier MMR 2002, 694, 695; aA hins eines Internetforums offensichtlich LG Köln MMR 2003, 601, 602 m Anm Gercke; s außerdem BGH MMR 2010, 556 – marions-kochbuch). Auch die erkennbare redaktionelle Bearbeitung von Fremdinhalten ist geeignet, ein Zueigenmachen zu begründen, wenn die Inhalte bspw vor ihrer Freischaltung auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft werden oder wenn der inhaltlich Verantwortliche sich umfassende Nutzungsrechte an den fremden Inhalten einräumen lässt und Dritten anbietet, diese Inhalte kommerziell zu nutzen (BGH MMR 2010, 556 – marions-kochbuch.de; VG Hamburg ZUM-RD 2013, 92, 98f; zweifelhafte Anwendung dieser Grundsätze in LG Hamburg MMR 2010, 833, nrkr). 90 Die Störerhaftung im Internet. Besondere Bedeutung erlangt in Internetkonstellationen die aus den allgemeinzivilrechtlichen Vorschriften §§ 862, 1004 entwickelte Störerhaftung, da sie „ohne subjektiven Verschuldensvorwurf eine objektive Verkehrspflichtenhaftung erzeugt, die nur negatorisch, nicht aber schadensersatzbegründend wirkt“ (Peifer AfP 2015, 193, 196) und insofern den Besonderheiten des Mediums Internet Rechnung trägt. Um eine Ausuferung der Störerhaftung auf Dritte zu vermeiden, verlangt die Rspr jedoch die Verletzung zumutbarer Prüfungspflichten, deren Umfang einzelfallabhängig ist und sich nach der Funktion und Aufgabenstellung des potenziellen Störers richtet (BGH GRUR 2011, 1038, 1039). Zur Ergänzung der Grundsätze der Störerhaftung durch spezifische Verkehrspflichten s BGH NJW 2009, 1960 – Halzband: Verkehrspflicht zur Vermeidung des Missbrauchs von eBay-Zugangsdaten sowie Frankfurt ZUM 2016, 875: Haftung für die missbräuchliche Nutzung eines Facebook-Accounts für persönlichkeitsrechtliche Postings. 90a Bewertungsportale, Meinungsforen und Online-Archive und die Störerhaftung. Allerdings trifft die Betreiber von Bewertungsportalen oder sonstigen Angeboten mit Bewertungsmöglichkeit grds keine Vorab-Prüfpflicht (BGH MMR 2016, 418 – Ärztebewertung III; ZUM 2015, 893 – Hotelbewertungsportal; LG Frankfurt aM BeckRS 2015, 08984 Rn 28). Erst ab Kenntnis des Rechtsverstoßes (BGH MMR 2016, 418 – Ärztebewertung III) bzw im Rahmen des nachträglichen Beanstandungsverfahrens nach Vorbild des BGH (ZUM-RD 2012, 82, 85) greifen die Grundsätze der Störerhaftung ein (BGH ZUM 2015, 893; Stuttgart MMR 2014, 203 – Hühnerstall; KG ZUM-RD 2013, 374, zum uneinheitlichen Störerbegriff des BGH s Staud/Hager § 823 C 62e). Die Verantwortlichkeit eines entspr Host-Providers tritt daher ein, wenn er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt (BGH MMR 2016, 418, 420 Rn 23 – Ärztebewertung III; Düsseldorf NJW-RR 2016, 656, 658 Rn 35 – sanego.de; LG Frankfurt aM BeckRS 2015, 08984 Rn 28). Die Bestimmung, welchen Überprüfungsaufwand ein Host-Provider betreiben muss, erfordert dabei nach Ansicht des BGH MMR 2016, 418 grds eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte, wobei nicht nur dem Gewicht der Rechtsverletzung sowie den Erkenntnismöglichkeiten des Providers Bedeutung zukommt, sondern auch Funktion und Aufgabenstellung des Dienstes zu berücksichtigen sind. Ist der Host-Provider mit einem von dem Betroffenen vorgenommenen, hinreichend konkret gefassten Hinweis konfrontiert, aufgrund dessen ein Verstoß unschwer bejaht werden kann, ist eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag Verantwortlichen erforderlich (BGH MMR 2016, 418 – Ärztebewertung III bzgl Prüfpflichten im Fall des behaupteten fehlenden Behandlungskontaktes; ZUM-RD 2012, 82, 84f Rn 25ff – Blog-Eintrag). Um die Persönlichkeitsrechte der Bewerteten hinreichend zu wahren, ist es daher erforderlich, dass der Portalbetreiber eine gewissenhafte – nicht lediglich „formale“ – Prüfung der Beanstandung vornimmt (BGH MMR 2016, 418, 421 Rn 40, 42 – Ärztebewertung III). Der Portalbetreiber ist dahingehend darlegungsverpflichtet (LG Frankfurt aM BeckRS 2015, 08984 Rn 30). Dh er muss ggf aufzeigen, ob und wie mit dem Bewertenden in Kontakt getreten wurde (LG Frankfurt aM BeckRS 2015, 08984 Rn 30). Liegt eine Stellungnahme vor, ist der Portalbetreiber zur Weiterleitung von Informationen verpflichtet, sofern dies keinen Verstoß gegen § 12 I TMG darstellen würde (BGH MMR 2016, 418, 421 Rn 43 – Ärztebewertung III; krit mit Blick auf die praktische Umsetzbarkeit Paal NJW 2016, 2081, 2082f.). Auch wenn die Etablierung gesteigerter Prüfpflichten mit Blick auf den Schutz des APR grds zu begrüßen ist, muss das Übertragen komplexer, grundrechtsrelevanter Abwägungsprozesse auf private Unternehmen, wie auch im Bereich des Rechts auf Vergessenwerden (EuGH MMR 2014, 455 m Anm Sörup – Google Spain) durchaus krit betrachtet werden. Prüfpflichten der Anbieter von Bildportalen im Internet bestehen ebenfalls nur insoweit, als Rechtsverstöße erkennbar sind (BGH NJW 2011, 753). Auch hier wird es also auf die Beanstandung und Darlegung des Betroffenen ankommen. Wer als Host-Provider die Infrastruktur für die von einzelnen Internetusern erstellten Beiträge in Online-Enzyklopädien wie Wikipedia bereithält, ist ebenfalls erst nach Eingang eines konkreten Hinweises auf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zur Prüfung verpflichtet (Stuttgart NJW-RR 2014, 423; LG Tübingen ZUM-RD 2013, 345, 348; LG Schweinfurt BeckRS 2012, 25162; LG Köln MMR 2008, 768). Gleiches gilt für denjenigen, der ein nicht moderiertes Meinungsforum bereithält, auch er fungiert lediglich als Host-Provider und kann sich auf die Haftungsprivilegierung des § 10 S 1 TMG berufen (Koblenz MMR 2008, 54, 55; Düsseldorf CR 2006, 482, 483; zur Haftungsprivilegierung durch die E-Commerce-RL für Internetforen, s EuGH MMR 2011, 596 m Anm Hoeren); zudem setzt auch hier die Störerhaftung die Verletzung zumutbarer Prüfpflichten voraus, welche grds erst 46

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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durch Kenntnis der Persönlichkeitsrechtsverletzung begründet werden (so bzgl der Haftung eines Host-Providers eines Blogs BGH ZUM-RD 2012, 82; bzgl der Haftung der Online-Enzyklopädie Wikipedia als Host-Provider Stuttgart NJW-RR 2014, 423). Der BGH schlägt zudem auch hier ein besonderes Verfahren zwischen HostProvider, Beitragsersteller und Betroffenem bei der Beanstandung von Inhalten in Blogs vor (grundlegend zur Haftung in Blogs Ladeur/Gostomzyk NJW 2012, 710), durch welches sich der Host-Provider von einer Haftung befreien kann: Zunächst muss der Provider die Beanstandung an den Beitragsersteller weiterleiten und auf Antwort warten; erklärt sich der Ersteller nicht, muss der Beitrag gelöscht werden; gibt der Ersteller eine begründete Stellungnahme ab, sind vom Betroffenen substantiierte Darlegungen zum Verletzungssachverhalt zu erfragen; unterbleibt dies, besteht keine Löschungspflicht (BGH ZUM-RD 2012, 82, 85 – Blog-Eintrag). Dies gilt nach Ansicht des LG Köln auch für den Domain-Registrar (AfP 2015, 356). S auch Anm Bertermann MMR 2015, 523, 524 mit deutlicher Kritik an der Gleichstellung, da der Domain-Registrar die Domain nur vollständig dekonnektieren könne und keinen Zugriff auf einzelne Inhalte habe, aaO 525. Er sei deshalb – soweit man eine Störerhaftung überhaupt bejahen wolle – eher mit einem Access-Provider zu vergleichen, aaO 525 aE. Vgl auch KG ZUM-RD 2015, 216. Auch der Betreiber eines Online-Archivs ist nicht zur ständigen anlassfreien Überprüfung der Beiträge auf Rechtmäßigkeit verpflichtet (Hamburg MMR 2015, 770, 772 Rn 17 m Anm Verweyen/ Ruf). Es bedarf vielmehr auch hier eines qualifizierten Hinweises des Betroffenen (Hamburg MMR 2015, 770, 772 Rn 17; krit hierzu Holznagel/Hartmann MMR 2016, 228, 232 sowie Sajuntz GRUR-Prax 2016, 280, 283). Haftung von Suchmaschinenbetreibern. Auch Suchmaschinenbetreiber sind nicht verpflichtet, die von ihnen 90b in einer Suchanfrage verlinkten Inhalte generell auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu untersuchen (Hamburg MMR 2010, 141; Nürnberg MMR 2009, 131). Wenn der Betreiber aber auf einen Verletzungssachverhalt hingewiesen wurde, muss er diesen zunächst prüfen und bei offensichtlichen Fällen eine sofortige Löschung vornehmen; unterlässt er dies, haftet er als Störer (München ZUM-RD 2015, 666; Nürnberg MMR 2009, 131). Daneben können Suchmaschinenbetreiber auch verpflichtet werden, die Verknüpfung des Namens eines Betroffenen mit einem bestimmten Suchergebnis aufzuheben; sog De-Listung (vgl EuGH MMR 2014, 455 m Anm Sörup – Google Spain). Dies folgt der Annahme, dass die Tätigkeit von Suchmaschinen die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten erheblich beeinträchtigen kann (EuGH MMR 2014, 455, 458 Rn 38, 463 Rn 97 m Anm Sörup – Google Spain). Zur Störereigenschaft von Suchmaschinenbetreibern s auch LG Heidelberg MMR 2015, 348, 349 Rn 38, 350 Rn 42: Die Verantwortlichkeit sei nicht anders zu beurteilen als bei ergänzenden Suchvorschlägen, allerdings setze die Störerhaftung auch hier die Verletzung einer Prüfpflicht voraus. Eine generelle Pflicht, die Ergebnislisten auf mögliche Rechtsverletzungen vorab zu überprüfen, besteht jedoch nicht, denn andernfalls könnte der Betrieb von Suchmaschinen über Gebühr erschwert werden (LG Heidelberg MMR 2015, 348, 350 Rn 46). Eine Prüfpflicht entsteht erst, wenn Kenntnis von der Rechtsverletzung besteht (LG Heidelberg MMR 2015, 348, 350 Rn 46). Besonderheiten ergeben sich bei sog Snippets, kurzen Textausschnitten, die im Suchergebnis angezeigt werden und bei denen es sich um fragmentarische Auszüge der von der Suchmaschine gefundenen Seiten handelt. Diese automatisch erstellten Fragmente können für sich genommen oder im Kontext persönlichkeitsbeeinträchtigend sein (Staud/Hager § 823 C 62c, da möglicherweise unvollständige Tatsachenbehauptungen), weshalb sich die Frage stellt, ob ein möglicherweise persönlichkeitsrechtsverletzender Inhalt dem Suchmaschinenbetreiber zuzurechnen ist (so München ZUM-RD 2015, 666; KG ZUM-RD 2010, 224). Nicht selten wird eine Haftung des Suchmaschinenbetreibers jedoch unter Hinweis auf die offensichtliche Unvollständigkeit und erkennbar automatische Erstellung eines Snippets abgelehnt (Hamburg MMR 2010, 490; KG MMR 2012, 129; Stuttgart MMR 2009, 190 sowie München MMR 2012, 108, zumeist mit der Begründung, dass Nutzer einem Snippet keine eigene Aussagekraft beimessen und kein Zueigenmachen vorliegt; anders KG MMR 2006, 817, einen Unterlassungsanspruch bejahend, weil eine Schauspielerin mit dem Begriff „nackt“ in Verbindung gebracht wurde; vgl auch LG Mönchengladbach ZUM-RD 2014, 46, keine Haftung eines Suchmaschinenbetreibers als Störer aufgrund bloßen Generierens und Bereitstellens von Suchergebnissen). Haftung für automatisiert erstellte Suchergänzungsvorschläge. Automatisch generierte Suchergänzungsvor- 90c schläge können ebenfalls im Einzelfall das APR verletzen, insb wenn die Suggestionen keinen Wahrheitsgehalt haben und offensichtlich rufschädigend sowie ehrverletzend sind, denn in diesen Fällen können sie zu einer epidemieartigen Verbreitung von Gerüchten und zu einer erheblichen Denunziation des Betroffenen führen (s hierzu Klass ZUM 2013, 553, 554). Bzgl der Google-Autocomplete-Funktion entschied der BGH (ZUM 2013, 550; s hierzu auch Anm Peifer/Becker GRUR 2013, 751; Staud/Hager § 823 C 62c) daher, dass Google als Suchmaschinenbetreiber zwar nicht verpflichtet ist, die automatisiert erstellten Suchvorschläge im Vorfeld mittels einer Filtersoftware auf eventuelle Rechtsverletzungen hin zu überprüfen – jedoch treffe den Suchmaschinenbetreiber eine Prüfpflicht, wenn er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt, insb müsse er in einem solchen Fall Vorkehrungen treffen, um derartige Verletzungen künftig zu verhindern. Das Gericht hebt hervor, dass mögliche Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts Google unmittelbar zuzurechnen sind, da das Unternehmen mittels eines Computerprogramms das Nutzerverhalten ausgewertet und dem Nutzer entspr Vorschläge unterbreitet hat. Das Gericht weist insb darauf hin, dass die Tätigkeit von Google in dieser Konstellation eben „nicht nur rein technischer, automatischer und passiver Art“ und nicht nur „auf die Bereitstellung von Informationen für den Zugriff durch Dritte beschränkt ist“ (Rn 26); abl zuvor LG Köln 19.10.2011 – 28 O 116/11 sowie Köln ZUM 2012, 987 m Anm Seitz, 994, mit dem Argument, dass den Suchergänzungsvorschlägen kein eigener Aussagegehalt beizumessen sei. S in diesem Zusammenhang auch Hamburg ZUM-RD 2011, 670; zur Verbreitung Klass

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von Gerüchten Härting K&R 2012, 633; Meyer K&R 2013, 221; zum Schutz von Suchmaschinenergebnissen durch die Meinungsfreiheit Milstein/Lippold NVwZ 2013, 182. Zu einem möglichen Haftungsausschluss durch Disclaimer Seitz in Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht Teil 8 Rn 29. 90d Störerhaftung von entfernteren Vermittlern oder sonstigen Beteiligten. Neben den og Akteuren im Internet ist im Einzelfall auch eine Störerhaftung von entfernteren Vermittlern oder sonstigen Beteiligten denkbar; s zur Haftung des Betreibers eines Usenet-Dienstes Hamburg MMR 2009, 631 und 405; zur Haftung des Inhabers eines WLAN-Anschlusses BGH NJW 2013, 1441 – Morpheus; NJW 2010, 2061 – Sommer unseres Lebens; Wrage GRUR-Prax 2016, 175 – Generalanwalt zur Haftung des Anbieters eines offenen WLAN. Abzuwarten bleibt, ob das 2. Gesetz zur Änderung des Telemediengesetzes (BGBl I 2016, 1766) – am 27.7.2016 in Kraft getreten – in dieser Hinsicht für Rechtssicherheit sorgen kann (krit insofern Conraths/Peintinger GRUR-Prax 2016, 297). 90e Das „datenschutzrechtliche Dilemma“: Das Internet birgt neben den „klassischen“ Gefährdungspotentialen, die aufgrund der Speicherung und Verwendung der eingegebenen Daten für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entstehen, erhebliche Gefahren für das Persönlichkeitsrecht, insb weil der sorglose Umgang mit Daten, Informationen und Bildern in der digitalen Welt auch Dritte schädigt und insb die Anonymität des Netzes – nach BGH MMR 2015, 106, 109 Rn 41, und BGH MMR 2009, 608, 612 Rn 38 – spickmich.de ist die anonyme Nutzung dem Internet „immanent“ – geradezu ein „Nährboden für Persönlichkeitsrechtsverletzungen“ zu sein scheint, da sie ganz offensichtlich zu einem Absinken von Hemmschwellen führt (ausf zum Schutz anonymer Meinungsäußerungen Rn 103a). Dies führt zu einem Dilemma, denn während Datenschützer eine verstärkte Anonymität im Netz fordern, müssen Äußerungen und Handlungen vor dem Hintergrund des Persönlichkeitsschutzes zurechenbar bleiben (vgl Kühling NJW 2015, 447, 448). Auch ist die Erkennbarkeit des Gegenübers sowie der Austausch identitätsstiftender Informationen für eine funktionierende Kommunikation essentiell (s Heckmann Vorgänge Nr 184, 2008, 20, 28; zum Schutz von anonymen Meinungskundgaben s Rn 103a sowie Rn 245). Das Recht muss daher einen gerechten und angemessenen Ausgleich zw der Anonymität der Nutzung auf der einen und der Verbindlichkeit in der Netz-Kommunikation auf der anderen Seite herstellen. Problematisch ist insofern insb das Fehlen eines Auskunftsanspruchs auf Herausgabe der für die Portalnutzung erforderlichen Anmeldedaten, welcher nach geltendem Recht an § 12 II TMG scheitert (BGH MMR 2014, 704, 705 Rn 9 – Ärztebewertung II). Dem Portalbetreiber ist die Erfüllung eines Auskunftsanspruchs rechtlich unmöglich, da es an einer datenschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlage fehlt (BGH MMR 2014, 704, 705 Rn 9 – Ärztebewertung II). Dies ist äußerst unbefriedigend. Der Gesetzgeber sollte daher, wie bereits vom BGH (MMR 2014, 704 – Ärztebewertung II) „gefordert“ und vom BR vorgeschlagen (BR-Empfehlung 440/1/15, 9f), § 14 II TMG um einen Auskunftsanspruch für Persönlichkeitsrechtsverletzungen erweitern. Im Gesetzgebungsverfahren zur Änderungen des TMG (s oben Rn 90d) wurde die Problematik auch aufgegriffen (vgl exemplarisch BT Plenarprotokoll 18/173, 17062), aber hat letztlich keinen Eingang in das Änderungsgesetz gefunden. Vielmehr hat der BT in seiner Beschlussfassung die BReg aufgefordert, bis Ende 2016 „Art und Umfang von Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Verletzungen des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der letzten zwei Jahre durch Inhalte unterhalb der Strafbarkeitsschwelle auf Plattformen im Internet“ empirisch zu erheben (vgl BT-Drs 18/8645, 5). Zudem sollte auch über Registrierungspflichten, zumindest bei gefahrgeneigten Diensten nachgedacht werden. Eine auf das Innenverhältnis beschränkte Identifizierungspflicht würde nicht nur der wirksamen Durchsetzung von Persönlichkeitsrechtsverletzungen und dem Gedanken der Waffengleichheit zuträglich sein, vielmehr wäre sie auch nach Stellungnahme der Art 29-Datenschutzgruppe ebenfalls mit Art 6 I lit c DatenschutzRL vereinbar (WP 01189/09/DE 163, S 13); so auch Lauber-Rönsberg MMR 2014, 10, 12. 91 Die schlichte Veröffentlichung eines Zitats, mit dem sich der Äußernde erkennbar nicht identifiziert, ist hingegen kein haftungsrechtlicher Tatbeitrag (Celle AfP 2015, 438; KG AfP 2001, 65; BVerfG NJW 2004, 590, 591); ebenso weist die Verwendung von Anführungszeichen deutlich auf die Äußerung eines Dritten hin (BVerfG NJW 2004, 590, 591, ebenso LG Stuttgart NJW-RR 2001, 834, 835; Köln 14.2.2012 – 15 U 131/11). Nach Hamburg NJW-RR 1993, 734 – Stasi-Verdacht soll jedoch die Darstellung als erkennbares Zitat nicht zur Distanzierung ausreichen, da Zitate regelmäßig die Aufgabe haben, eine eigene Darstellung zu belegen; zudem müsse einer Behauptung stets die Gegenansicht gegenübergestellt werden, sodass keine Parteilichkeit zu erkennen ist – unzumutbar sei bei der Vielzahl der Äußerungen und des erheblichen öffentlichen Informationsinteresses aber bspw die Prüfung/Recherche, ob die in der Stasi-Akte wiedergegebenen Äußerungen richtig sind (vgl hierzu auch Rn 151). Im Rahmen eines Interviews, das sich durch eine typische Frage-Antwort-Situation auszeichnet, ist der Fragende nicht gehalten, sich von den Antworten zu distanzieren. Ein Zueigenmachen liegt in diesen Konstellationen ausnahmsweise nur dann vor, wenn eine fremde Äußerung so in den Gedankengang eingefügt wird, dass die gesamte Äußerung als eigene erscheint oder der Fragende Tatsachenbehauptungen in den Raum stellt und die Antworten des Interviewten nur noch als Beleg für deren Richtigkeit dienen (BGH NJW 2010, 760, 761). Auch die bloße Wiedergabe einer Beschimpfung eines anderen (Biermann über Diestel in der Bild-Zeitung) ist noch kein Zueigenmachen, KG AfP 2001, 65; s zu beleidigenden Suchmaschinenvorschlägen uÄ Rn 90b. Die anonyme Verbreitung eines verleumderischen ausl Zeitungsartikels kann grds nicht durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt werden (BGH NJW 1966, 1213, 1215 – Luxemburger Verleger); sie kann jedoch durch das Informationsinteresse daran, dass eine solche Behauptung (insb durch oder über eine bekannte Persönlichkeit) aufgestellt wurde oder als Gerücht existiert, gerechtfertigt werden (Erman/Ehmann12 Rn 45; BGH ZUM-RD 2011, 290 – AnyDVD; vgl auch Brandenburg NJW-RR 2002, 1269: Wer ein ehrenrühriges Gerücht ohne hinreichende Distanzierung per E-Mail verbreitet, haftet für den Inhalt). In derartigen Konstellatio48

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nen muss sich der Verbreiter jedoch von der Behauptung distanzieren (BGH NJW 1997, 233 – Gynäkologe; NJW 1996, 1131 – Lohnkiller; NJW 1970, 187 – Hormocenta; NJW 1966, 2010 – Teppichkehrmaschine; 31, 308 – Abgeordneten-Bestechung; Frömming, FS Engelschall, 1996, 47, 60). Grds dürfen jedoch die Anforderungen an eine ausreichende Distanzierung im Interesse der Meinungsfreiheit nicht zu hoch gesetzt werden. So ist es bspw nicht mit der Aufgabe der Presse vereinbar, dass sich Journalisten regelmäßig und förmlich vom Inhalt eines Zitats distanzieren müssen, welches Dritte beleidigen bzw provozieren oder ihren Ruf schädigen kann (EGMR NJW 2006, 1645, 1648 – Das blinde Auge der Polizei). 4. Verantwortlichkeit für Anzeigen und Leserbriefe. Der Verleger einer Publikation ist nicht nur für den redaktionellen, sondern auch für den Anzeigenteil verantwortlich, weshalb ihn bestimmte Sorgfaltspflichten treffen (zur Haftung der Presse für Wettbewerbsverstöße in gewerblichen Anzeigen BGH GRUR 1973, 203 – Badische Rundschau; Wenzel/Burkhardt Rn 10.216). So ist er bspw gehalten, durch adäquate Schutzmaßnahmen die Veröffentlichung von Falschmeldungen, die Persönlichkeitseingriffe beinhalten, soweit wie möglich zu verhindern (Saarbrücken NJW 1978, 2395 – Verlobungsanzeige; BGH NJW 1972, 1658, 1659 – Baumaschinen). Allerdings besteht keine umfassende Prüfungspflicht, sondern nur dann, wenn der Inhalt der Anzeige erkennbar eine Verletzung geschützter Rechtsgüter darstellt, oder wenn eine Anzeige aus sonstigen Gründen auffällig erscheint (BGH NJW 1972, 1658, 1659 – Baumaschinen: „Verkaufe wegen Geschäftsaufgabe sämtliche Baumaschinen und Baugeräte Fa. K. Sch.“; Koblenz AfP 1989, 753 – Sexanzeigen: „Mache tabulos alles“; Saarbrücken NJW 1978, 2395, 2396 – Verlobungsanzeige: erhöhte Vorsicht bei Familienanzeigen, da besondere Missbrauchsgefahr). Eine völlige Freizeichnung für den Inhalt von Anzeigen ist jedenfalls nicht möglich (zur Haftung des Verlags für fehlerhafte Anzeigen Hecker AfP 1993, 717). Gleiches gilt für den Inhalt von Leserbriefen. Auch hier greift der pauschale Verweis darauf, dass keine Haftung übernommen werde, jedenfalls dann nicht durch, wenn es sich um Leserbriefe mit ehrverletzendem oder kreditgefährdendem Inhalt handelt und keine ausreichende Distanzierung erfolgt (Erman/Ehmann12 Rn 47; Celle AfP 2002, 506). Insb darf die Distanzierung nicht lediglich formal abgegeben werden, um dann bspw aus einem Leserbrief stammende ehrverletzende Äußerungen wiederzugeben (wie bspw die Äußerung, eine Fernsehansagerin sehe aus wie eine ausgemolkene Ziege, BGH 39, 124 – Fernsehansagerin). Allerdings dürfen die Nachprüfungspflichten angesichts der zu bewältigenden Masse und des oftmals bestehenden Zeitdrucks nicht überspannt werden (zutr Wenzel/Burkhardt Rn 10.213 mwN). 5. Rechtsfolgen. Ein Verbreiter kann grds als Störer zur Unterlassung (§ 1004) verpflichtet sein. Auf ein etwaiges Verschulden kommt es mit Blick auf den Unterlassungsanspruch nicht an (BGH NJW 1976, 799, 800 – Alleinimporteur; ZUM 2013, 550; Staud/Hager § 823 C 51), dieses erlangt jedoch bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen sowie von Ansprüchen auf Geldentschädigung Relevanz. Passivlegitimiert ist in erster Linie die Person, die die Persönlichkeitsrechtsverletzung begangen hat. Können mehrere Verantwortliche ausgemacht werden, kann Klage (mit Blick auf den jew Tatbeitrag) gegen jeden Einzelnen von ihnen erhoben werden. Für Verrichtungsgehilfen bzw Organe wird nach §§ 831, 31 gehaftet (BGH 3, 270, 275 – Constanze I). Handelt es sich bei dem Verantwortlichen um einen Beamten, haftet der Staat (OVG Rh-Pf NJW 1987, 1660), jedenfalls sofern nicht bloß eine persönliche Erklärung abgegeben wurde (BGH 34, 99 – Sportanlagenbau; Erman/Ehmann12 Rn 326; s hierzu VGH Baden-Württemberg AfP 1991, 669: wertendes Urt eines Professors). Äußert sich ein Anwalt auf Anweisung seines Mandanten zur Sache, ist die Erklärung dem Mandanten zuzurechnen (KG NJW 1997, 2390 – Presseerklärung; Staud/Hager § 823 C 51). Verbreitet jemand eine fremde Äußerung – ohne sich diese zu eigen zu machen – kann nur das Abrücken von der gemachten Äußerung, nicht aber ein Widerruf verlangt werden. Anderes gilt, wenn sich der Verbreiter mit der Äußerung des Dritten identifiziert, sodass diese als eigene erscheint (BGH 66, 182 – Panorama). 6. Äußerungsformen. Äußerungsdelikte werden idR verbal begangen (durch Behaupten und Verbreiten, s Rn 86ff). Sie können aber auch durch wortersetzende Gesten (zB Tippen an die Stirn, Düsseldorf NJW 1960, 1072; Stinkefinger, BayObLG NJW 2000, 1584; oder „Scheibenwischer“), bildlich bspw durch eine Zeichnung oder Karikatur und selbst durch das Aufstellen sog Frustzwerge, die ehrverletzend und beleidigend gestikulieren (AG Grünstadt NJW 1995, 889), oder das Abspielen eines Videobandes (Stuttgart NJW-RR 2004, 619, 622) begangen werden. Ebenfalls kommen bestimmte Arten von Tätlichkeiten in Betracht (BGH NStZ-RR 2009, 172 – Anspucken). Grds muss die Äußerung jedoch an andere gerichtet (vgl LG Regensburg NJW 2008, 1094, 1095 – Vogel zeigen) und „in den Verkehr gebracht“ worden sein. Das Selbstgespräch oder der in den Papierkorb geworfene Brief ist noch keine (vorsätzliche) Äußerung – zivilrechtlich kann jedoch uU eine fahrlässige Äußerung vorliegen (Erman/Ehmann12 Rn 44). G. Einzelne Schutzbereiche des zivilrechtlichen APR. I. Ehrenschutz. 1. Rechtsgrundlagen. Der Schutz der Ehre ist ein traditioneller Grundpfeiler des Persönlichkeitsrechtsschutzes (Baston-Vogt, 411; Hubmann 1967, 288ff; BGH 39, 124 – Fernsehansagerin; zur persönlichen Ehre als Bestandteil des verfassungsrechtlichen APR BVerfG 54, 208, 217f – Heinrich Böll; BGH 54, 148, 154 – Eppler; zum grundrechtlichen Schutz der Ehre im Internetzeitalter Glaser NVwZ 2012, 1432). Seit Anerkennung des APR sind auch fahrlässige Ehrverletzungen in den Schutzbereich des § 823 I einbezogen – der Ehrschutz nach § 823 II iVm §§ 185ff StGB ist daneben unberührt geblieben (BGH 95, 212, 214 – Wehrmachtsoffizier; Helle, 28f). Die iSd § 185 StGB geschützte Ehre ist lediglich ein Aspekt der Personenwürde, der nicht mit dem vom APR umfassten Bereich identisch ist (BGH NJW 1989, 3028). Bei Vorliegen einer Beleidigung iSd § 185 StGB kann zugleich eine Verletzung des APR angenommen werden (Köln NJW-RR 2012, 1187, 1188 – Winkeladvokat). Darüber hinaus schützt § 824 vor Beeinträchtigungen der „wirtschaftlichen Wertschätzung“ (MüKo/Rixecker Rn 94; BGH NJW 1985, 1621, 1622f – TürkeiKlass

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flug). Ungeachtet der Tatsache, dass bis heute keine eigenständige zivilrechtliche Definition des Ehrbegriffs existiert (Baston-Vogt, 414), vielmehr nach wie vor idR auf den umstr strafrechtlichen Ehrbegriff (zu dessen Unzulänglichkeiten Tenckhoff JuS 1988, 199 mit einer Aufzählung 60 verschiedener Ehrbegriffe; Otto NJW 2006, 575) zurückgegriffen wird, ist anerkannt, dass der zivilrechtliche Ehrenschutz der Sicherung eines jeden Menschen auf Achtung seiner mit der Menschenwürde eng verbundenen „inneren Ehre“ sowie seiner „äußeren Ehre“, verstanden als das Anrecht auf Wahrung seines sozialen Geltungsanspruchs innerhalb der Gesellschaft, dient (Baston-Vogt, 419; Tettinger JZ 1983, 317, 319; Klass, Rechtliche Grenzen des Realitätsfernsehens, 2003, 290f; MüKo/Rixecker Rn 95 nennen in diesem Kontext den Ruf, das Ansehen einer Person in den Augen anderer, den sozialen Geltungsanspruch sowie die äußere Ehre als vor der Missachtung geschützte Bereiche). 2. Umfang. a) Innere Ehre. Eine Beeinträchtigung der inneren Ehre ist stets dann gegeben, wenn eine Verletzung der Menschenwürde zu konstatieren ist, denn die Anerkennung eines Menschen in seiner Personenwürde durch andere ist unverzichtbare Bedingung seiner Existenz. Zudem ist die innere Ehre auch dann betroffen, wenn eine Person in ihrem Ehr- oder Selbstgefühl (Ehrbewusstsein) verletzt oder zu einem Verhalten gezwungen wird, das ihrem Gewissen, ihren moralischen oder religiösen Überzeugungen widerspricht (Baston-Vogt, 420f; Tettinger JZ 1983, 317, 319; Siebrecht JuS 2001, 337; grundlegend BGHSt 11, 67). Zum insofern maßgeblichen normativ-faktischen Ehrbegriff Rn 97. b) Äußere Ehre. Unter der äußeren Ehre wird das Ansehen des jew Rechtsträgers im Urt seiner Mitmenschen, sein Wert in den Augen der anderen und damit letztlich seine soziale Geltung innerhalb der Gemeinschaft verstanden. Schutzgut ist mithin der „gute Ruf“ (Tettinger JZ 1983, 317, 319; Siebrecht JuS 2001, 337; BVerfG NJW 1989, 3269, s auch BVerfG AfP 2010, 560, 561 – Deutschland Archiv, wonach das APR selbst vor Äußerungen schützt, die – ohne ieS ehrverletzend zu sein – geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken). Dieser soziale Achtungsanspruch kommt dem Einzelnen nicht schon kraft seines Menschseins zu, sondern wird durch Leistung, soziales Verhalten und Charakter geprägt, weshalb der Schutzumfang im Laufe der Zeit Veränderungen unterliegen kann (nach Tettinger JZ 1983, 317, 319 erfährt der rechtschaffende und moralisch integre Bürger mithin stärkeren Schutz als der notorische Rechtsbrecher und jener, der anerkannten sittlichen Grundnormen und Werten gleichgültig gegenübersteht). Verletzt werden kann der Achtungsanspruch durch Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen (zur Unterscheidung Rn 98, insb 101). Tatsachenbehauptungen, die der Wahrheit entsprechen, verletzen die Ehre grds nicht, jedoch kann eine Verletzung des APR aus anderen Gründen gegeben sein (s insb Rn 117ff zum Schutz des Einzelnen vor ungewollten Indiskretionen und ungewollter Publizität). Meinungsäußerungen sind im Grundsatz nach Art 5 I GG frei, verletzen die Ehre jedoch, sofern die Menschenwürde tangiert ist, es sich um eine Schmähkritik (Rn 254ff) oder eine Formalbeleidigung (Rn 258) handelt (hierzu im Einz Rn 254ff). c) Der normativ-faktische Ehrbegriff. Ein guter Ruf (äußere Ehre) kann verdient oder unverdient (sog falscher guter Ruf) sein; ein Ehrgefühl (innere Ehre) kann übersteigert oder zu gering ausgeprägt sein. Die unrichtige Beurteilung kann ihren Grund dabei in der Zugrundelegung unrichtiger tatsächlicher Voraussetzungen finden oder auf einer falschen Bewertung beruhen. I Erg bleibt nach überwiegender Ansicht der faktische Ruf jedoch ungeschützt – vielmehr erfährt nur der verdiente gute Ruf Schutz (Baston-Vogt, 419; Tettinger JZ 1983, 317, 319; Brosette, Wert der Wahrheit, 113; Wenzel/Burkhardt Rn 5.159/5.174; BVerfG NJW 1989, 3269f), denn niemand kann mehr Achtung beanspruchen als er tatsächlich verdient (Ehrschutz muss mehr sein als reiner Fassadenschutz, Baston-Vogt, 416), weshalb das Rechtsgut „Ehre“ nicht durch wahre Behauptungen verletzt werden kann (zur Verletzung anderer Aspekte des APR, zB der schützenswerten Privat- und Intimsphäre, s Rn 122ff, zum Schutz vor ungewollter Indiskretion s Rn 117ff). Ehrverletzungen können mithin nicht damit begründet werden, dass der selbst definierte soziale Geltungsanspruch missachtet oder verletzt worden sei (BVerfG NJW 1989, 3269). Der angemessene Geltungswert muss vielmehr rechtlich (normativ) festgestellt werden. 3. Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen. a) Definitionen und Kriterium der Abgrenzbarkeit. Im Rahmen des Ehrenschutzes ist zw Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen zu differenzieren, da diese unterschiedlichen Schutz erfahren (s BVerfG NJW 2013, 217). Meinungen sind grds durch einen subjektiven Bezug zw dem sich Äußernden und der Aussage geprägt, es handelt sich meist um Beurteilungen von Tatsachen und Vorgängen sowie deren Bewertung. Nach BVerfG 61, 1, 8 – NPD Europas sind Meinungen durch „das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung“ geprägt; auf den Wert, die Richtigkeit, die Vernünftigkeit der Äußerung kommt es nicht an (vgl auch BGH NJW 1982, 2246, 2247 – Klinikdirektoren; NJW 1998, 3047 – Stolpe). Auch Suchmaschinenergebnisse können Meinungsäußerungen nach Art 5 I 1 Hs 1 GG und Art 10 I 1 EMRK sein (Milstein/Lippold NVwZ 2013, 182, 185). Für die Einordnung als Tatsachenbehauptung ist hingegen wesentlich, ob die Äußerung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BGH NJW 1998, 3047 – Stolpe; NJW 1996, 1131, 1133 – Lohnkiller; NJW 1997, 233, 235 – Gynäkologe); Tatsachenbehauptungen sind mithin Äußerungen, die etwas Bestehendes beinhalten oder etwas Geschehenes schildern – ihr Inhalt ist beweisbar, wobei Internetäußerungen grds gleich zu behandeln sind. Diese objektive Beziehung zw Aussage und Realität, die dem Empfänger die Distanz erschwert, führt zu einem anderen Gefährdungspotential und rechtfertigt damit letztlich die unterschiedliche Behandlung durch die Rspr. b) Funktion der Unterscheidung. Die Unterscheidung zw APR-relevanten ehrenrührigen Tatsachen und (Un-)Werturteilen ist im Hinblick auf die Rechtsfolgen relevant; so können Widerruf (Rn 292ff) und Gegendarstellung (Rn 300ff) nur mit Blick auf Tatsachenbehauptungen verlangt werden (BVerfG NJW 2002, 356 – Gy50

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si). Ungeklärt bleiben kann die Einordnung daher letztlich nur, wenn die rechtliche Beurteilung als Tatsachenbehauptung oder als Meinung dieselben Rechtsfolgen hat, BVerfG AfP 2006, 550; 31.1.2017 – 1 BvR 2454/16. Zu beachten ist zudem, dass die Meinungsäußerungsfreiheit des Art 5 I GG zwar auch Tatsachenbehauptungen erfasst, weil und soweit diese Voraussetzung für das Bilden einer Meinung sind oder in Fällen, in denen sie mit Werturteilen verbunden sind (BVerfG 90, 1, 15 – Weltkriegsschuldfrage/jugendgefährdende Schriften; 61, 1, 8 – NPD Europas; NJW 2004, 1942; AfP 2000, 272); nicht umfasst ist jedoch die Behauptung oder Verbreitung bewusst unrichtiger Tatsachen (Rn 100; ausf zum Schutzumfang Rn 244ff). Hat der Äußernde die Unwahrheit nicht erkannt, muss er sorgfältig recherchiert haben. Ehmann (in Erman12 Rn 30) weist zu Recht darauf hin, dass die Unterscheidung erkenntnistheoretisch zwar problematisch ist, weil schlechthin keine Tatsachenbehauptung völlig wertfrei ist, dass jedoch derjenige, der die Abgrenzung scheut, das gesamte Rechtsfolgensystem neu ordnen müsse (vgl insoweit auch Grimm NJW 1995, 1697). c) Schutz durch Art 5 I GG. Art 5 GG schützt die Freiheit der Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung 100 (hierzu ausf Rn 244ff). Primäres Schutzgut ist mithin die „Meinung“, welche geprägt ist durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens (BVerfG 61, 1, 8 – NPD Europas; 85, 1, 14 – Kritische BayerAktionäre). Tatsachenbehauptungen fallen, auch wenn sie keine Meinungsäußerungen darstellen, wegen ihrer geistigen Wirkung unter den Schutz des Art 5 I GG, „weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen“ sind (BVerfG 90, 1, 15 – Weltkriegsschuldfrage/jugendgefährdende Schriften; 61, 1, 8 – NPD Europas; NJW 2004, 1942; NJW 1999, 3326, 3328 – Stasi-Gehaltsliste; AfP 2000, 272). Keinen Schutz erfahren jedoch bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen sowie falsche Zitate (BVerfG AfP 2004, 48; 54, 208, 219 – Heinrich Böll; 85, 1, 14 – Kritische Bayer-Aktionäre; NJW 2004, 354; NJW 2003, 1855; NJW 1999, 1322 – Scientology/ Helnwein; BGH NJW 1997, 2679, 2681 – Die Besten I, zum Schutz vor der Wiedergabe unrichtiger Zitate s auch Rn 196), denn diese können nichts zum Meinungsbildungsprozess beitragen. Eine unrichtige Information ist unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit auch dann kein schützenswertes Gut, wenn sie in einem satirischen Kontext eingebunden ist, Hamburg, ZUM 2016, 626. Als bewusst unwahr sollen auch bewusst unvollständige Angaben gewertet werden, die beim Leser einen falschen Eindruck erwecken (Rn 104), BGH NJW 2000, 653, 656; München AfP 2001, 63; zudem dürfen auch günstige Tatsachen nicht verschwiegen werden, wenn dadurch eine Fehlbeurteilung des Betroffenen beim Publikum verursacht wird, BGH NJW 2006, 601, 603 – Schwangerschaftsabbruch II. Irrtümlich unwahre Tatsachenbehauptungen sollen jedoch unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen, weil sonst der Kommunikationsprozess verkümmern würde (Grimm NJW 1995, 1697 mwN; vgl auch Seyfahrt NJW 1999, 1287). d) Abgrenzung im Einzelnen. aa) Kriterium der Beweisbarkeit. Primäres Abgrenzungsmerkmal soll nach der 101 Rspr die Beweisbarkeit sein. Maßgeblich ist mithin, ob die Äußerung einer Überprüfung ihrer Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BGH NJW 1998, 3047 – Stolpe; NJW 1997, 233, 235 – Gynäkologe; NJW 1996, 1131, 1133 – Lohnkiller; NJW 1994, 2614, 2615 – Pleite gehen; vgl auch EGMR NJW 2006, 1645, 1648 Rn 76 – Das blinde Auge der Polizei: „Das Erfordernis, ein Werturteil zu beweisen, lässt sich nicht erfüllen und verletzt schon für sich das Recht auf freie Meinungsäußerung.“). Die Abgrenzung zw Tatsachenbehauptungen und Werturteilen ist im konkreten Einzelfall nicht selten sehr schwierig, weil beide Äußerungsformen oftmals miteinander verbunden werden und erst im Zusammenspiel den Sinn einer Äußerung ausmachen oder weil Fälle vorliegen, in denen Tatsachenbehauptungen in Werturteilen oder Fragen versteckt (zu verdeckten Behauptungen Rn 103) werden, der sich Äußernde juristische Begrifflichkeiten verwendet (Rn 108) oder ein Verdacht (Rn 105) bzw eine sachverständige Wertung geäußert wird (Rn 109). Ob der Tatrichter rechtlich einwandfrei zw Tatsachenbehauptungen und Werturteilen unterschieden hat, unterliegt der revisionsrechtlichen Nachprüfung (BVerfG 82, 272, 281 – Zwangsdemokrat; NJW 2012, 3712, 3713; BGH NJW 1996, 1131, 1133 – Lohnkiller). bb) Schwerpunktsuche im Einzelfall am Maßstab eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. 102 Nach der Rspr des BVerfG (NJW 1993, 1845 – Prinzessin Erna von Sachsen) ist der Begriff der Meinung im Interesse eines effektiven Grundrechtsschutzes weit zu verstehen; bei gemischten Äußerungen soll es darauf ankommen, ob der Schwerpunkt eher im Tatsächlichen oder in der Bewertung liegt (BVerfG 90, 241, 248 – Auschwitzlüge; 85, 1, 15 – Kritische Bayer-Aktionäre; 61, 1, 9 – NPD Europas). Nicht zulässig ist es daher, Sätze oder Satzteile aus einer komplexen Äußerung herauszulösen und als unrichtige Tatsachenbehauptungen zu untersagen, wenn die Äußerung nach ihrem – zu würdigenden – Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen kann (BGH NJW 2009, 1872, 1873 – Fraport; NJW 2009, 3580 – unsaubere Geschäfte). Substanzarme oder substanzlose Behauptungen werden im Zweifel auch als (freie) Meinungsäußerungen betrachtet (BVerfG 61, 1, 9 – NPD Europas; NJW 2010, 3501, 3502 – Gen-Milch; BGH NJW 2008, 2110, 2111f – Gen-Milch; NJW 1966, 1617, 1618 – Höllenfeuer; zur grds Abgrenzung auch BGH NJW 1996, 1131; BGH NJW 2009, 3580, 3582 – unsaubere Geschäfte). Zudem kann sich auch eine Äußerung, die auf Werturteilen beruht, als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird, so BGH NJW 1982, 2246, 2248 – Klinikdirektoren; NJW 1996, 1131 – Lohnkiller; Köln AfP 2003, 267. Vgl insoweit auch die Entscheidung BGH NJW 1993, 525, 526 – Ketten-Mafia, in welcher einer Äußerung, die für sich betrachtet als subjektives Werturteil eingeordnet werden konnte, i Erg die Qualität einer Tatsachenbehauptung bescheinigt wurde, da der schlagwortartigen Verwendung des Begriffs in der Überschrift ein Text folgte, welcher die Äußerung durch das Behaupten konkreter und einem Beweis zugänglicher Vorgänge inhaltlich ausfüllte. Primär ist daher im Wege der AusKlass

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legung zu klären, was Inhalt der Äußerung und wie diese einzuordnen ist. Hierbei muss grds auf den Empfängerhorizont geachtet werden, zudem sind der sprachliche Kontext (die Formulierung allein liefert allerdings idR kein entscheidendes Abgrenzungskriterium, BVerfG NJW 1995, 3303, 3305 – Soldaten sind Mörder IV) sowie sonstige Begleitumstände bei der Sinnermittlung heranzuziehen. Es besteht daher grds kein Anlass, Äußerungen, die im Zusammenhang wahrgenommen werden und so einen Sinn ergeben, in nicht aufeinander bezogene Einzelangaben zu teilen (Karlsruhe ZUM 2016, 53, 54: Schockgeständnis; Karlsruhe ZUM 2015, 400, 403). Ziel der Auslegung muss es sein, den objektiven Sinn einer Äußerung festzustellen, weshalb weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch die Wahrnehmung des Betroffenen maßgeblich sind – vielmehr muss die Sichtweise eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums (BGH NJW 1998, 3047 – Stolpe; LG München I AfP 2015, 181: „Freundin“ als gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptung; Seyfarth NJW 1999, 1287; Wenzel/Burkhardt Rn 4.4f; BVerfG NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder IV), dh eines unbefangenen Durchschnittshörers oder Durchschnittslesers (BGH NJW 1987, 2225 – Chemiegift; NJW 1996, 1131, 1132 – Lohnkiller) zugrunde gelegt werden. Ausgefüllt wird dieser Maßstab aber letztlich durch das Verständnis des erkennenden Gerichts, welches oftmals funktional mit Blick auf die Rechtsfolgen unterscheidet (Erman/Ehmann12 Rn 33; in Fällen von Widerruf, Rn 292 und Gegendarstellung, Rn 300 neigt die Rspr etwa eher zur Annahme einer Tatsachenbehauptung, während iÜ im Interesse eines effektiven Grundrechtsschutzes im Zweifel für die Meinungsfreiheit entschieden wird). Aufgrund der zT schwierigen Differenzierung zw Tatsachenbehauptungen und Werturteilen und der im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung ist die Rspr zT widersprüchlich (vgl bspw BGH NJW 1993, 930 – illegal; Hamm NJW-RR 1996, 538 – belogen und betrogen). cc) Verdeckte Aussagen. Bei der Sinnermittlung ebenfalls zu beachten – wenn auch mit Blick auf den durch Art 5 I GG geschützten freien Kommunikationsprozess mit einer gewissen Zurückhaltung (BGH NJW 1980, 2801, 2805 – Medizin-Syndikat III; NJW 1987, 2225, 2227 – Chemiegift; AG München ZUM-RD 2013, 213, 215) – sind „verdeckte Behauptungen“, bei denen ein Tatsachenkern in ein Werturteil eingebettet ist (BGH AfP 1994, 295, 297; NJW 1987, 2225, 2227 – Chemiegift). Hierbei ist zu unterscheiden zw der Mitteilung von Fakten, aus denen der Empfänger der Aussage eigene Schlüsse ziehen kann und soll, und der eigentlichen „verdeckten Aussage“ des Mitteilenden, mit der dieser eine zusätzliche Sachaussage macht oder sie dem Adressaten zumindest als unabweisliche Schlussfolgerung nahelegt (BGH AfP 1994, 295, 297; NJW 1980, 2801, 2803 – Medizin-Syndikat III). Nur in letzterem Fall liegt eine „verdeckte Aussage“ vor, die einer „offenen Aussage“ gleichgestellt werden kann. Zur Kasuistik s Staud/Hager § 823 C 69. Anonyme Meinungsäußerungen (s hierzu auch Rn 245) sind nach bisheriger Rspr ebenfalls vom Schutzbereich des Art 5 I GG umfasst (BVerfG 95, 28; vgl auch BGH NJW 2009, 2888, 2892f – spick-mich: „Eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art 5 I 1 GG nicht vereinbar. Die Verpflichtung sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde nicht nur im schulischen Bereich, die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern.“). Ähnlich auch Hamm ZUM-RD 2011, 684; Hamburg CR 2012, 183, 185 – Anonyme Bewertung in einem Hotelbewertungsportal: Urlaubermeinungen, Bewertungen und Kommentare sind vom Schutz der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit erfasst, auch wenn diese anonym erfolgen; Frankfurt NJW 2012, 2896, 2897 – Anonyme Arztbewertung. Es ist allerdings fraglich, ob anonyme Meinungsäußerungen einen identischen Schutz erfahren sollten. Anonyme Meinungsäußerungen bringen ein geringeres Maß an Authentizität und Glaubhaftigkeit (so auch Maunz/Dürig/Grabenwarter Art 5 GG Rn 86; BVerfG ZUM 1998, 561, 563) mit sich und sind weniger geeignet, gemeinschaftliche Kommunikationsprozesse anzustoßen, da ihre Wirkkraft geringer ist und sich kein Kommunikationspartner ausmachen lässt. Dies sollte im Rahmen der Abwägung dazu führen, dass anonyme Äußerungen jedenfalls jenseits von Unter- bzw Überordnungsverhältnissen und Situationen, in denen eine spezifische Gefahr der Selbstzensur oder von Repressalien besteht, einen geringeren Schutz erfahren. Zu einer schwächeren Gewichtung anonymer Meinungsäußerungen im Rahmen der Interessenabwägung auch Kühling NJW 2015, 447, 448 der darüber hinaus zu Recht auf das höhere Missbrauchspotential und die damit verbundene höhere Gefährdungslage für das APR verweist; Bernreuther AfP 2011, 218; Greve/Schärdel MMR 2008, 644, 648f; Wiese JZ 2011, 608, 612ff.; ähnlich auch Ziegelmayer GRUR 2012, 761, 765. Zum Spannungsverhältnis zw dem datenschutzrechtlichen Postulat der anonymen bzw pseudonymen Meinungskundgabe und dem APR s auch Rn 90e. dd) Unvollständige Berichterstattung. Eine bewusst unvollständige Äußerung wird vom BGH wie eine unwahre Tatsachenbehauptung bewertet (NJW 2000, 656 – Schmiergeld; NJW 2006, 601, 603 – Schwangerschaftsabbruch II), sie ist unzulässig (so Staud/Hager § 823 C 70: die Regeln der Verdachtsberichterstattung gelten entspr), zumindest dann, wenn durch das Verschweigen dieser Tatsache beim unbefangenen Durchschnittsleser ein falscher Anschein entstehen kann (vgl auch BVerfG GRUR 2010, 544, 545: „Werden dem Leser Tatsachen mitgeteilt, aus denen er erkennbar eigene wertende Schlussfolgerungen ziehen soll, so dürfen dabei keine wesentlichen Umstände verschwiegen werden, die geeignet sind, den Vorgang in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.“). ee) Verdachtsäußerungen/Äußerungen über innere Tatsachen. Äußerungen eines Verdachts, Motivs oder von Absichten und Einstellungen eines Dritten können unabhängig von der gewählten Art der Formulierung als Tatsachenbehauptungen verstanden werden, insb sofern Gegenstand der Äußerung ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten des Dritten ist und die Klärung seiner Motivlage anhand äußerer Indiztatsachen möglich erscheint 52

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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(BVerfG NJW 2007, 2686, 2688; s KG Berlin 9.3.2015 – 10 U 123/14 – wissentlich „falsch informiert“: Behauptung einer inneren Tatsache; BGH NJW 1951, 352); s auch zur Verdachtsberichterstattung Rn 148ff. Zum Verdacht über „unsaubere Geschäfte“ BGH NJW 2009, 3580. ff) Fragen. Im Grundsatz treffen Fragen keine Aussage, sondern sind auf Antworten gerichtet und können da- 106 her nicht mit den Kategorien wahr oder unwahr, richtig oder falsch bewertet werden, weshalb sie weder als Werturteile noch als Tatsachenbehauptungen klassifiziert werden können. Echte Fragen bilden vielmehr eine eigene semantische Kategorie (BVerfG NJW 1992, 1442, 1443 – Altenheim; dazu Grimm NJW 1995, 1700; Erman/Ehmann12 Rn 36; Staud/Hager § 823 C 76a; BGH NJW 2004, 1034 – Bild-Schlagzeile), die jedoch ebenfalls dem Schutzbereich des Art 5 I GG unterfällt. Allerdings ist nicht jeder in Frageform gekleidete Satz als Frage zu betrachten. Fragesätze oder Teile davon, die nicht auf Antworten gerichtet oder für solche offen sind (insb rhetorische Fragen), bilden vielmehr Aussagen (BGH NJW 2004, 1034, 1035 – Bild-Schlagzeile „Udo im Bett mit Caroline? In einem Playboy-Interview antwortet er eindeutig zweideutig“: Vermittlung eines tatsächlichen Eindrucks, daher Äußerung mit einem tatsächlichen Substrat; s auch LG München I AfP 2014, 173: „Ehebruch und Unfalldrama“ – „Was hat er damit zu tun?“ sowie München 31.7.2014 – 18 U 308/14 Pre), die sich entweder als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung darstellen und rechtlich wie solche zu behandeln sind (BVerfG NJW 1992, 1442, 1443 – Altenheim; ebenso BVerfG NJW 2003, 660), weshalb vom Ergebnis der Zuordnung ebenfalls das Maß des Grundrechtsschutzes abhängt. Für die Unterscheidung zw echten und rhetorischen Fragen kommt es letztlich darauf an, ob der Kontext, die Begleitumstände (BGH NJW 2004, 1034, 1035 – BildSchlagzeile) sowie die konkrete Formulierung (beachte: ein hoher Konkretisierungsgrad einer Frage allein reicht für sich genommen nicht aus, um diese als rhetorisch auszuweisen, BVerfG NJW 1992, 1442, 1444 – Altenheim) erkennen lassen, dass der Fragesatz auf eine noch nicht feststehende Antwort zielt, oder ob der Fragende den Zweck seiner Äußerung bereits mit dem Stellen der Frage erreicht hat (BVerfG NJW 1992, 1442, 1444 – Altenheim; ZUM 2014, 580 – Sterbedrama). Im Zweifel ist im Interesse eines effektiven Grundrechtsschutzes von einem weiten Fragebegriff auszugehen (BVerfG NJW 2003, 660, 661; ZUM 2014, 580 – Sterbedrama). Mit Blick auf den Rechtsschutz ist festzustellen, dass echte Fragen nicht gegendarstellungsfähig sind (BGH ZUM 2014, 580, 581; Zweibrücken, ZUM-RD 2015, 551, 554). IÜ gilt, dass es sich um eine Äußerung mit so viel tatsächlichem Gehalt handeln muss, dass dieser einer Richtigstellung zugänglich ist (BGH NJW 2004, 1034, 1035 – Bild-Schlagzeile). Bei Fragen auf Titelseiten kann die Gegendarstellung nur begründet sein, wenn die Formulierung nicht nur als Neugier erweckende Aufmacherfrage verstanden, sondern mit hinreichender Deutlichkeit als Tatsachenbehauptung qualifiziert werden kann (BVerfG ZUM 2014, 580 – Sterbedrama). gg) Testberichte, Produktkritik und sonstige Bewertungen. Bei einem Testbericht kann es sich grds sowohl um 107 Meinungsäußerungen (Wertungen) als auch um Tatsachenbehauptungen handeln (BGH NJW 1976, 620, 621 – Warentest II mwN). Grds setzt die zutreffende Einordnung der Äußerung eine kontextbezogene Erfassung ihres Sinns voraus (BGH ZUM 2015, 244, 246; München ZUM-RD 2015, 312, 313). Die zusammenfassenden Ergebnisse vergleichender Warentests (insb die Vergabe plakativer Noten, zB „gut“) sind jedoch idR als Werturteile anzusehen (BGH NJW 1976, 620 – Warentest II; ebenso BGH NJW 1987, 2222 – DIN-Normen: Veröffentlichungen von Ergebnissen vergleichender Warentests, die nicht Wettbewerbszwecken, sondern allein der Verbraucheraufklärung dienen, sind idR wertende Meinungsäußerungen; vgl auch BGH NJW 1989, 1923 – Warentest V, in welcher der BGH ausnahmsweise in einem vergleichenden Warentest eine Tatsachenbehauptung gesehen hat, „soweit die Aussagen auch bei voller Berücksichtigung ihres Wertungsbezuges zum Testergebnis als solches zu qualifizieren sind und vom Leser der Testzeitschrift maßgeblich mit zur Bildung seines eigenen Qualitätsurteils über das Produkt herangezogen werden“; dem folgend München AfP 2015, 48); entspr gilt für Vergleichstests von Versicherungspolicen oder anderen Finanzprodukten (Frankfurt GRUR 2003, 85 – FINANZtest). Kommt den tatsächlichen Feststellungen aber bspw eigenständige Bedeutung zu, weil der Durchschnittsleser die Mitteilung als Aussage über nachprüfbare Fakten versteht und diese zur Grundlage seines eigenen Urteils macht (München AfP 2015, 48), kann auch eine Tatsachenbehauptung vorliegen. Beruhen die Werturteile auf mitgeteilten Tatsachenbehauptungen und spiegelt ein Werturteil eine zugrunde liegende tatsächliche Feststellung derart wider, dass beide zusammen „stehen und fallen“ (München ZUM-RD 2015, 594, 595), kann nicht nur Unterlassung der unwahren Tatsachenbehauptung, sondern auch der darauf beruhenden Werturteile verlangt werden. S hierzu auch BGH NJW 1989, 1923 – Warentest IV; zu den Grenzen der rechtlichen Überprüfung eines Warentests (allerdings nicht bzgl APR) München AfP 2015, 48: „Es kann durchaus sein, dass ein Testbericht je nach seinem schwerpunktmäßigen Inhalt und der Verselbstständigung seiner zugrunde gelegten Umstände – jedenfalls überwiegend – rechtlich als tatsächliche Behauptung zu behandeln ist“ sowie Düsseldorf GRUR-RR 2012, 297: „Testurteile stellen dann Meinungsäußerungen und keine Tatsachenbehauptung dar, wenn eine Anknüpfungstatsache für ein Testergebnis von einer Wertungsfrage abhängig ist“. Auch wenn im gewerblichen Bereich idR dem tatsächlichen Kern einer Äußerung stärkeres Gewicht beigelegt wird (Erman/Ehmann12 Rn 37), kann man festhalten, dass die Grenze zulässiger Kritik im Einzelfall recht weit zugunsten der Meinungsäußerung gezogen wird (BGH NJW 2002, 1192: auch scharfe und überzogene Kritik an gewerblichen Leistungen ist möglich; BGH ZUM 2015, 244, 247 – Hochleistungsmagneten: „Scharlatanerieprodukt“, „Betrug“, „groß angelegter Schwindel“; zur unlauteren Herabsetzung von Mitwettbewerbern Frankfurt GRUR-RR 2012, 392; zum Persönlichkeitsrechtsschutz wirtschaftlich tätiger Unternehmen Rn 57ff). hh) Verwendung rechtlicher Begriffe. Die Verwendung rechtlicher Begrifflichkeiten und Kategorien sowie die 108 Einstufung eines Vorgangs als strafrechtlich relevanter Tatbestand stellt idR eine subjektive Äußerung und daKlass

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mit eine Meinungsäußerung (persönliche Rechtsauffassung) und keine Tatsachenbehauptung dar (Karlsruhe ZUM 2015, 400, 404: Vorwurf, Parteimitglied der AfD sei „Betrüger“ und „Rechtsbrecher“: nach Sinn und systematischem Kontext handelt es sich um „eine das beanstandete Geschehen zusammenfassende bewertende Stellungnahme“). BVerfG NJW 1992, 1439, 1441f; BGH NJW 2009, 1872, 1874 – Fraport: Vorwurf der „Korruption“; NJW 2005, 279, 282: enthält eine Äußerung einen rechtlichen Fachbegriff, „Vertragsstrafe“, spricht dies für eine Rechtsauffassung/Meinungsäußerung; LG Köln NJW 1988, 2894, 2897: „Die Bezeichnung des Klägers als ‚Schreibtischtäter‘ ist weder direkt noch nur sinngemäß eine, als wahr oder unwahr feststellbare Tatsachenbehauptung iSd Beteiligung oder Mitwirkung des Klägers am Tod des Pianisten K“; LG Berlin ZUM-RD 2014, 32, 34, „Erpressung“); die Bezeichnung als Dieb oder Betrüger ist nur im Ausnahmefall, insb bei Schilderung konkreter Begebenheiten als Tatsachenbehauptung zu klassifizieren, BGH NJW 1982, 2246, 2248 – Klinikdirektoren: Tatsachenmitteilung liegt vor, „wenn und soweit das Urt nicht als Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind“; BGH NJW-RR 1999, 1251: Unterlassungsanspruch bei Bestechungsvorwurf, da Tatsachenkern bejaht; NJW 1993, 930, 931 zum Vorwurf der Illegalität als Tatsachenbehauptung; zur Beurteilung eines Geldwäsche- und Veruntreuungsvorwurfs auch BVerfG NJW 2012, 1643, 1644; BGH ZUM 2013, 550, 551: Mit der Verwendung des Begriffs „Betrug“ wird zumindest ein sittlich vorwerfbares Übervorteilen impliziert, was ihm einen hinreichend konkreten Aussagegehalt verleiht; zum Begriff des „Betrugs“ auch BGH NJW 2002, 1192; Hamburg AfP 1992, 364: Unterschlagung als Tatsachenbehauptung; Celle AfP 2002, 508 stuft den Vorwurf „Prozessbetrug“ als Tatsachenbehauptung ein, sofern er mit Tatsachen belegt wird, die dem Beweis zugänglich sind; nach BGH NJW 2002, 1192, 1193 soll ein Betrugsvorwurf Meinungsäußerung und nicht Schmähkritik sein, da im alltagssprachlichen Sinne verwandt. Ähnlich auch BGH ZUM 2015, 244, 247 – Hochleistungsmagneten: zugleich Missbilligung des geschäftlichen Verhaltens und damit subjektive Wertung; „Betrug“ wird erkennbar nicht im fachspezifischen, sondern im alltagssprachlichen Sinn gebraucht, weshalb Leser darunter nicht die Verwirklichung eines rechtlich präzisen Straftatbestands, sondern den weiter gefassten Vorwurf der Verbrauchertäuschung versteht. Zur unzulässigen Schmähkritik Koblenz 25.3.2013 – 3 W 178/13: „Amts-, Rechtsmissbrauch“, „Skrupellosigkeit“ etc. 109 ii) Gutachten von Sachverständigen. Sachverständigengutachten können sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Werturteile enthalten; gutachterliche Tätigkeit ist jedoch zuvorderst geprägt durch subjektive Wahrnehmung und Wiedergabe des daraus gewonnenen Urt; idR ist der Schluss, den der Sachverständige aus seinem Gutachten zieht, daher ein Werturteil und nicht die Behauptung einer Tatsache, denn es liegt im Wesen des Gutachtens, dass es auf der Grundlage bestimmter Verfahrensweisen zu einem Urt kommen will, das, selbst wenn es äußerlich als Tatsachenbehauptung formuliert worden ist, auf Wertungen beruht (BGH NJW 1978, 751, 752 – Graphologisches Gutachten; NJW 1999, 2736f – Verdachtsdiagnose; LG Köln NJOZ 2009, 4788, 4791 – Psychotherapeutische Diagnose; LG Köln 25.2.2013 – 24 O 374/12; BGH NJW 1989, 774 – Ärztliche Diagnose ist Bewertung und nicht Behauptung einer Tatsache; KG ZUM-RD 2011, 666, 667; LG Köln NJOZ 2009, 4788). Ausnahmen können im Fall der leichtfertigen Erteilung eines unrichtigen Attestes bestehen (BGH NJW 1989, 2941, 2942 – Attest Nervenarzt), oder wenn „die der Schlussfolgerung vorausgehende methodische Untersuchung oder die zum Ergebnis führende Anwendung spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten nur vorgetäuscht oder grob leichtfertig vorgenommen worden ist“ (BGH NJW 1978, 751 – Graphologisches Gutachten; vgl des Weiteren BGH NJW 1989, 774 – Ärztliche Diagnose; NJW 1989, 2941 – Attest Nervenarzt; NJW 1999, 2736 – Verdachtsdiagnose). Die einem Sachverständigengutachten zugrunde liegenden tatsächlichen Voraussetzungen sind idR jedoch Tatsachenbehauptungen und damit grds einer gerichtlichen Prüfung zugänglich (BGH NJW 1966, 647, 648 – Reichstagsbrand: kein absoluter Schutz wissenschaftlicher Veröffentlichungen vor negatorischen Ansprüchen – der Beklagte musste die Behauptung widerrufen, der Kläger habe den Reichstag angezündet; vgl auch BVerfG NJW 1998, 1391 – Rechte Professoren: Eine in Anführungszeichen gesetzte Übersetzung ist mangels eines Interpretationsvorbehalts Tatsachenbehauptung). Grds nicht geschützt ist zudem die Aufstellung unwahrer Tatsachenbehauptungen (vgl Rn 100). Zur Haftung gerichtlicher Sachverständiger nach § 839a s ausf Rn 274. Ebenfalls sind durch Zahlen repräsentierte Bonitätsprüfungen keine Tatsachenbehauptungen, denn sie geben nur die Meinung desjenigen wieder, welcher die Bonität der Firma prüft (BGH AfP 2011, 259). Auch hier gilt jedoch, dass die Beurteilung unrichtig ist, wenn die tatsächliche Grundlage unwahr ist. 110 4. Deutung einer Äußerung: Bestimmung des Erklärungsinhalts. Die Entscheidung, ob eine Aussage zulässig oder als Ehrverletzung verboten ist, setzt neben der Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung die Feststellung ihres Inhalts voraus. Dies erfolgt im Wege der Auslegung/Deutung der Aussage. Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Hierbei ist weder das subjektive Verständnis des sich Äußernden noch das des Betroffenen ausschlaggebend, vielmehr ist der Sinn maßgeblich, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG NJW 1995, 3303, 3305 – Soldaten sind Mörder IV; AfP 2010, 142, 143 – Ausländerkritisches Plakat; BGH ZUM 2013, 550, 551; Köln NJW-RR 2012, 1187, 1188 – Winkeladvokat). Ausnahmen bestehen insoweit nur bzgl Zitaten, denn dem Zitierten darf nichts unterstellt werden, was er nicht sagen wollte (so BVerfG 54, 208 – Heinrich Böll; zu angeblichem Falschzitat BVerfG NJW 2013, 774); zudem gelten auch spezielle Auslegungsmaßstäbe in Fällen sog Schlüsselromane (BVerfG NJW 2008, 39 – Esra; hierzu auch Rn 134). Bei der Ermittlung des konkreten Erklärungsinhalts einer Äußerung ist grds vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Jedoch legt dieser den Sinn nicht abschließend fest (BVerfG NJW 1995, 3303, 3305 – Soldaten sind Mörder IV). Einzubeziehen sind ebenso der 54

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sprachliche Kontext sowie die Begleitumstände der Äußerung (BVerfG NJW 2013, 217, 218: zum Gesamtzusammenhang bei mehrdeutigen Äußerungen); zur Feststellung des Aussagegehalts von Internetäußerungen Seitz in Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht Teil 8 Rn 14ff. Keinesfalls darf eine isolierte Betrachtung einzelner Äußerungsteile erfolgen; dies gilt auch für Artikelüberschriften, die nicht eine in sich abgeschlossene und aus sich heraus interpretierbare Tatsachenbehauptung enthalten, sondern den Leser mehr oder weniger plakativ zur Detaildarstellung im Text lenken wollen, Hamburg, ZUM-RD 2015, 591, 593. Die Inhaltsbestimmung im Wege der Auslegung ist zwar grds Sache des Tatrichters, und eine falsche Auslegung verletzt nicht notwendig spezifisches Verfassungsrecht (BVerfG NJW 1964, 1715 – Künstliche Bräunung) – allerdings beansprucht das BVerfG entgegen der Heck’schen Formel (hierzu Rn 6) idR die Kompetenz zur Auslegung/Deutung einer Äußerung, da diese für den Grundrechtsschutz weichenstellend ist und insoweit begangene Fehler regelmäßig eine intensive Grundrechtsbeeinträchtigung darstellen (BVerfG 43, 130, 136f – Flugblatt; aktuell: BVerfG NJW 2010, 3501 – Gen-Milch; krit hierzu Ossenbühl ZUM 1999, 505, 511f). 5. Beurteilung mehrdeutiger Äußerungen. a) Mehrdeutigkeit. Mehrdeutige Äußerungen sind Äußerungen, 111 deren Inhalt auch nach einer Auslegung durch ein Gericht noch mehrdeutig ist, deren Aussagegehalt mithin nicht durch eine Interpretation des Gesagten eindeutig festgelegt werden kann. b) Variantenlehre. Im Grundsatz ist in diesen Fällen eine in der Lit als „Variantenlehre“ (seit Seitz NJW 1996, 112 1518, 1519) bezeichnete spezielle Auslegungsmethode des BVerfG heranzuziehen (BVerfG 82, 43, 52 – StraußTransparent; aktuell: BVerfG ZUM 2014, 965, 966; krit hierzu Starck JZ 1996, 1033, 1037; Helle AfP 2006, 110, 111). Danach ist die Meinungsfreiheit verletzt, wenn ein Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zu einer Verurteilung führende Bedeutung zugrunde legt, ohne vorher mit schlüssigen Gründen Deutungen ausgeschlossen zu haben, welche die Sanktion nicht zu rechtfertigen vermögen. In Fällen, in denen die gewählten Formulierungen oder die Umstände der Äußerung eine nicht das Persönlichkeitsrecht verletzende Deutung zulassen, verstößt nach Ansicht des BVerfG ein Strafurteil oder ein die Verurteilung zum Schadensersatz, zum Widerruf oder zur Berichtigung aussprechendes zivilgerichtliches Urt gegen Art 5 I 1 GG (st Rspr seit BVerfG 82, 43, 52 – Strauß-Transparent; keine Anwendung findet die Variantenlehre jedoch seit BVerfG NJW 2006, 207 – IM-Sekretär/Stolpe auf Unterlassungsansprüche, hierzu Rn 113; anders noch BVerfG 82, 272, 280f – Zwangsdemokrat; 85, 1, 13f – Kritische Bayer-Aktionäre; erstreckt wurde die Variantenlehre jedoch auf den Bereich des Wettbewerbsrechts, BVerfG 102, 347, 367 – Benetton I und 107, 275, 282 – Benetton II). Bei mehreren Deutungsvarianten ist mithin diejenige zugrunde zu legen, die dem sich Äußernden am günstigsten ist und eine Verurteilung vermeidet, es sei denn, diese günstigere Deutung ist sehr fernliegend oder kann unter Angabe besonderer Gründe ausgeschlossen werden. Helle AfP 2006, 110, 111 fasst die Methode anschaulich mit drei Komponenten zusammen: (1) Zunächst besteht ein Begründungszwang, wonach alle möglichen Deutungen (mit Ausnahme entfernt liegender) zu prüfen und, wenn sie der rechtlichen Beurteilung nicht zugrunde gelegt werden sollen, mit qualifizierten Gründen auszuschließen sind; (2) danach kommt das Günstigkeitsprinzip zum Tragen, wonach unter den Deutungen, die nicht (überzeugend) ausgeschlossen werden können, diejenige zugrunde zu legen ist, die dem Äußerer am günstigsten ist; (3) zuletzt ist das Eindeutigkeitsprinzip zu beachten, wonach es grds nur eine Deutung geben darf, die als rechtlich relevant zu betrachten ist. Diese Herangehensweise soll nach Ansicht des BVerfG negative Auswirkungen auf die generelle Ausübung des Grundrechts der Meinungsfreiheit und mithin einen Einschüchterungseffekt auf die freie Rede, die freie Information sowie die freie Meinungsbildung verhindern, denn müsste der Äußerungswillige selbst wg fernliegender oder unhaltbarer Deutungen seiner Äußerungen Sanktionen befürchten, würde die Bereitschaft, sich zu äußern, abnehmen (BVerfG 94, 1, 9 – DGHS). c) Ausnahme im Bereich von Unterlassungsansprüchen: Die „Stolpe-Doktrin“. Eine wichtige Ausnahme be- 113 steht jedoch seit der Entscheidung BVerfG NJW 2006, 207 – IM-Sekretär/Stolpe (ihr folgend bspw Stuttgart ZUM 2015, 1009; krit hingegen bzgl verdeckter Äußerungen LG Hamburg AfP 2011, 394; s auch Düsseldorf ZUM-RD 2014, 628; grds zu den Konsequenzen und einer Beurteilung dieser Rspr Mann AfP 2011, 326; Gomille JZ 2012, 769; Specht/Müller-Riemenschneider NJW 2015, 727) im Rahmen der Prüfung von Unterlassungsansprüchen – hier soll nunmehr statt der Variantenlehre die „Stolpe-Doktrin“ zum Einsatz kommen (anders noch BVerfG 82, 272, 280f – Zwangsdemokrat; 85, 1, 13f – Kritische Bayer-Aktionäre). Danach sollen bei der vorzunehmenden Abwägung alle nicht entfernt liegenden Deutungsvarianten, die das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigen, zugrunde gelegt werden mit der Konsequenz, dass im Rahmen von Unterlassungsansprüchen von der für den sich Äußernden ungünstigeren Deutungsvariante auszugehen ist. Das Gericht stützt diese Differenzierung auf den Gedanken, dass ein Unterlassungsanspruch im Gegensatz zu den anderen zivilrechtlichen Ansprüchen oder strafrechtlichen Sanktionen nicht Vergangenes bestraft, sondern zukunftsgerichtet ist. Der Äußernde habe stets die Möglichkeit, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zugrunde zu legen ist (BVerfG NJW 2006, 207 – IM-Sekretär/Stolpe). Sei der Äußernde nicht bereit, der Aussage einen eindeutigen Inhalt zu geben, bestehe kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund, von einer Verurteilung zum Unterlassen nur deshalb abzusehen, weil die Äußerung mehrere Deutungsvarianten zulässt, darunter auch solche, die zu keiner oder nur einer geringeren Persönlichkeitsrechtsverletzung führe. Hiervon sei auch kein Einschüchterungseffekt zu erwarten, da der Äußernde eine auf Unterlassung zielende Verurteilung des Zivilgerichts vermeiden könne, wenn er eine ernsthafte und inhaltlich ausreichende Erklärung abgebe, die mehrdeutige Äußerung nicht oder nur mit geeigneten Klarstellungen zu wiederholen (s Stuttgart ZUM 2015, 1009, 1011: Wiederholungsgefahr entfällt, Klass

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wenn eine nicht nur entfernt liegende Deutungsvariante gegenüber dem Betroffenen klargestellt wird, s hierzu auch Schippan ZUM 2015, 974). Das Selbstbestimmungsrecht des sich Äußernden bleibe gewahrt, da er sein Anliegen in freier Selbstbestimmung in einer das APR nicht verletzenden Art und Weise weiterverfolgen könne. Das BVerfG führte diese Rspr im Babycaust-Urt (NJW 2006, 3769, 3773) fort, indem es sie auch auf Werturteile übertrug – mithin kommt es nicht darauf an, ob es sich bei der mehrdeutigen Äußerung um eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung handelt. Nach BVerfG NJW 2010, 3501, 3502 – Gen-Milch fehlt es jedoch an einer konkreten, einen Unterlassungsanspruch begründenden Tatsachenbehauptung, wenn die Äußerung in einem Maße vieldeutig erscheint, dass sie nicht als eigenständige Behauptung eines bestimmten Sachverhalts verstanden, sondern ohne Weiteres als in tatsächlicher Hinsicht unvollständig und ergänzungsbedürftig erkannt werden kann (zB Verwendung von Slogans und schlagwortartigen Äußerungen). In einem solchen Fall stehe die Meinungsfreiheit, die auch das Recht umfasse, aufmerksamkeitserregende Zuspitzungen und polemisierende Pointierungen zu verwenden, einer Untersagung der Äußerung wegen ihrer Mehrdeutigkeit entgegen. Zum Interpretationsvorbehalt bei der Wiedergabe mehrdeutiger Äußerungen BVerfG NJW 2013, 774: Zu berücksichtigen sind Süffisanz der Darstellung, Mittel der verkürzenden oder ironisch pointierten Zusammenfassung. Keine Anwendung soll die Stolpe-Rspr jedoch im Fall von Gegendarstellungsansprüchen des Presserechts finden, da dies erhebliche Risiken für die Presseberichterstattung mit sich bringen würde und i Erg nicht mit der Pressefreiheit zu vereinbaren sei (BVerfG ZUM 2008, 325 – Spiegel; zum Rechtsschutz gegen verdeckte oder mehrdeutige Aussagen Sedelmeier AfP 2012, 451). Mit Blick auf einen möglichen Hemmungseffekt muss nach Ansicht des BVerfG zudem sichergestellt sein, dass für die Klarstellung und damit für die Abwendung der Unterlassungsverpflichtung ein einfacher Weg eröffnet ist, denn auf die Ausübung der Meinungsfreiheit wären nachteilige Wirkungen zu erwarten, wenn eine hohe Kostenlast auf den zukäme, der eine mehrdeutige Äußerung getroffen hat, auch wenn er nach Erkennen der Mehrdeutigkeit und des persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalts einer Deutungsalternative eine Klarstellung vorgenommen hat (BVerfG ZUM 2008, 325, 327 – Spiegel). Das BVerfG scheint damit einen Kostenerstattungsanspruch im Fall einer Abmahnung abzulehnen, wenn der Äußernde seine Aussage unverzüglich klarstellt (Mann AfP 2008, 6, 13). Die Reaktionen auf das Stolpe- und das Babycaust-Urt waren gespalten, s hierzu Helle AfP 2006, 110; Hochhuth NJW 2006, 189, 191; Erman/Ehmann12 Rn 41; Mann AfP 2008, 6, 9; Gas AfP 2006, 428, 430; Teubel AfP 2006, 20, 21; Erman/Klass14 Rn 115; Specht/ Müller-Riemenschneider NJW 2015, 727. 6. Das Recht der persönlichen Ehre als Schranke der Kommunikationsfreiheiten (dazu ausf Rn 244ff, insb 248). Einstweilen frei. II. Schutz vor ungewollten Indiskretionen und ungewollter Publizität. 1. Indiskretionsschutz. Der Schutz vor Indiskretionen hat in der dt Rspr zum APR eine lange Tradition – schon früh stellten die Gerichte fest, dass der Persönlichkeit Schutz vor unberechtigter Informationsveröffentlichung gewährt werden müsse (BGH 24, 200 – Spätheimkehrer; 36, 77 – Waffenhandel). Ausgangspunkt der Schutzgewährung war dabei zunächst die Überlegung, dass sich das Leben in unterschiedlichen Sphären vollzieht, weshalb auch der Schutz der Persönlichkeit je nach betroffener Sphäre unterschiedlich stark ausgeprägt sein müsse. Später wurde der Indiskretionsschutz maßgeblich aus dem Selbstbestimmungsgedanken hergeleitet (BVerfG 35, 202 – Lebach), und es wurde anerkannt, dass jedem Einzelnen ein autonomer Bereich privater Lebensgestaltung gewährt werden müsse, in welchem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Hierzu gehöre auch das Recht, für sich zu sein, sich selber zu gehören und den Einblick durch andere auszuschließen. Zwar hat das BVerfG diesen Ansatz in jüngerer Zeit relativiert, in dem es feststellte, dass das APR dem Einzelnen keinen Anspruch gibt, nur so dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder gesehen werden möchte (BVerfG NJW 2000, 1021, 1022 – CvM), gleichwohl zeigt eine Analyse der Rspr, dass ein Schutz gegen die Verbreitung wahrer Tatsachen im Sinne eines Schutzes gegen ungewollte Diskretionen als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts anerkannt ist. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen absoluten Schutz – vielmehr muss das betroffene APR stets mit konfligierenden Rechten Dritter oder anderen Verfassungsgütern in Ausgleich gebracht werden. Die von der Rspr entwickelten Schutzsphären (Intimsphäre, Geheimsphäre, Privatsphäre und Sozialsphäre, vgl hierzu Rn 122ff) dienen dabei in jüngster Zeit meist nur auf der Ebene der Güter- und Interessenabwägung als Orientierungspunkte und tragen eine gewisse Vermutungswirkung für oder gegen die Zulässigkeit einer Veröffentlichung von Informationen in sich. S auch BVerfG ZUM-RD 2016, 630 – Öffentliche Verbreitung unwahrer Tatsachen in Internetportal. 2. Recht, in gewählter Anonymität zu verbleiben. Neben dem Indiskretionsschutz, der die inhaltliche Komponente einer ungewollten Informationsveröffentlichung betrifft, hat der Einzelne auch ein Recht darauf, selbst darüber zu bestimmen, ob er als Person mit seinem Namen (LG Berlin ZUM 2005, 406, 407; zur Veröffentlichung des Namens einer Privatperson auf der Gegnerliste einer Kanzlei LG Essen ZUM 2013, 411; dazu Schmitt-Gaedke/ Arz WRP 2012, 1492), seinem Bild oder in sonstiger identifizierbarer Weise in die Öffentlichkeit treten und so seine bestehende Anonymität aufheben will (BGH NJW-RR 2007, 619, 620 mwN; ferner GRUR 1965, 256, 258 – Gretna Green; GRUR 1974, 794, 795 – Todesgift; LG Berlin AfP 1997, 938, 939 – Scientology-Anwalt; KG NJW 1989, 397, 398 – Buchpassage; LG Berlin AfP 2010, 290, 291 – Hochzeit; KG AfP 2010, 376, 378 – Stasi-Vergangenheit; befürwortend auch Wanckel in Götting/Schertz/Seitz, § 19 Rn 40ff; Prinz/Peters Medienrecht Rn 102ff; zurückhaltend BVerfG ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi: Ob es ein Recht gibt, nicht gegen seinen Willen 56

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zum Objekt bestimmter medialer, die selbst gewählte Öffentlichkeit verbreiternde Erörterung gemacht zu werden, ist jedoch fraglich; abl München AfP 2011, 275 zur Namensnennung eines ehemaligen IM unter www. stasi-… .de; einschränkend BGH GRUR 2014, 200, 201f – Tochter von Günther J.: „So kann sich auf das Recht, gegen seinen Willen nicht zum Objekt einer öffentlichen Berichterstattung gemacht zu werden, jedenfalls nicht derjenige Grundrechtsträger berufen, der sich in freier Entscheidung der Medienöffentlichkeit aussetzt“; dies bestätigend BVerfG ZUM 2016, 983; s zum Recht auf Namensanonymität auch das Urt des österr OGH ZUM-RD 2012, 652). Grds beinhaltet das Recht, in gewählter Anonymität zu bleiben und die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen, wobei es nicht darauf ankommt, ob der mitzuteilende Umstand den Tatsachen entspricht, weil das Persönlichkeitsrecht auch eine solche Mitteilung der Disposition der betroffenen Person unterstellt (BGH GRUR 1965, 256, 258 – Gretna Green; LG Berlin ZUM 2005, 406, 407; LG Berlin AfP 2010, 290, 291 – Hochzeit). Insb im Kontext von Berichterstattungen über familiäre Auseinandersetzungen und Verhältnisse habe der Einzelne ein Recht darauf, nicht in das Licht der Öffentlichkeit gezogen zu werden (BGH GRUR 1965, 256, 258 – Gretna Green). Eine rechtswidrige Verletzung der Person liegt nur dann nicht vor, wenn für die Mitteilung über die Person ein berechtigtes Interesse besteht, das dem Schutz des Persönlichkeitsrechtes vorgeht (KG MMR 2009, 478 – Gerichtsverfahren; LG Berlin ZUM 2005, 406, 407 – Schauspielerkind). Zudem wird das Recht des Einzelnen, anonym zu bleiben, ebenfalls im Bereich der Verdachtsberichterstattung (hierzu Rn 148ff) weitgehend anerkannt – Eingriffe sind hier nur insoweit möglich, als ein überwiegendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht (ausf hierzu BVerfG 35, 202, 231f – Lebach). Auch aus dem Interesse an bestimmten zeitgeschichtlichen oder aktuellen Ereignissen kann daher nicht stets das Recht abgeleitet werden, die betroffenen Personen aus ihrer Anonymität herauszuheben (BGH NJW 1966, 2353, 2355 – Vor unser eigenen Tür). Nicht zu verwechseln ist diese Fallgruppe des APR mit dem im Bereich des Datenschutzes diskutierten Recht auf anonyme Kommunikation (s hierzu Rn 245) bzw anonyme Nutzung informationstechnischer Systeme (zum Recht auf Anonymität im Internet Brunst, Anonymität im Internet – rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen, 2009), welches insb vor dem Hintergrund existierender Zurechenbarkeitsdefizite im Fall von Persönlichkeitsrechtsverletzungen äußerst problematisch ist. Zum Spannungsverhältnis zw Persönlichkeitsrecht und Datenschutz im Internet s auch Rn 90e. Der Anonymitätsschutz, der seine Grundlage im Recht auf informationelle Selbstbestimmung findet (LG Ber- 119 lin AfP 2010, 290, 291 – Hochzeit), gilt jedoch nicht absolut, sondern muss Einschränkungen insb im Interesse des öffentlichen Informationsinteresses sowie sonstiger Gemeinwohlinteressen hinnehmen (BGH AfP 2014, 325, 326 – Kindschaftsverhältnis; ein diensthabender Notfallarzt muss daher bspw die Veröffentlichung seines Namens, seiner Dienstadresse und seiner dienstlichen Telefonnummer in der Lokalpresse tolerieren, selbst wenn seine Erreichbarkeit über die Rettungsleitstelle organisatorisch sichergestellt ist, BGH NJW 1991, 1532, 1533f – Bekanntgabe des Notfallarztes; Bericht über Parteizugehörigkeit muss hingenommen werden BGH NJW 2012, 771 – Babyklappen; s zur namentlichen Berichterstattung über das Privatleben eines Politikers BGH ZUM-RD 2012, 130 – INKA Story; zur namentlichen Nennung der Tochter eines Moderators bei vorheriger Bekanntheit BGH BeckRS 2013, 20409 – Tochter von Günther J.; zur Veröffentlichung einer E-Mail trotz Identifikation Braunschweig ZUM 2013, 78; zur Mitteilung über ein Zwangsversteigerungsverfahren München ZWE 2011, 260; s auch KG MMR 2009, 478 – Gerichtsverfahren). Umfang und Reichweite des Anonymitätsschutzes hängen zudem von den subjektiven Einstellungen, dem konkreten (Vor-)Verhalten der betroffenen Person, vom Kontext der konkreten Berichterstattung sowie von der im Einzelfall betroffenen Sphäre ab (Wanckel in Götting/ Schertz/Seitz, § 19 Rn 40ff). Zudem können nach Ansicht des BGH auch anderweitige Vorveröffentlichungen den Anonymitätsschutz aufheben (BGH AfP 2014, 325, 326 – Kindschaftsverhältnis. Zu Recht kritisch insb mit Blick auf das Prinzip „einmal öffentlich, für immer öffentlich“ Gounalakis LMK 2014, 359831: Begründung macht „Wiedergewinnung des Persönlichkeitsschutzes faktisch unmöglich“). Namensnennungen, die den Bereich der Sozialsphäre betreffen (insb Namensnennungen im beruflichen Umfeld; vgl BVerfG AfP 2010, 465, 466 – personalisierte Darstellungsweise; BGH NJW 2009, 2888 – spickmich.de, die berufliche Tätigkeit des Lehrers betreffend; BGH NJW 1991, 1532, 1533f – Bekanntgabe des Notfallarztes; BGH ZUM-RD 2015, 151, 152 – Promi-Friseur) sind daher eher zulässig als die Offenlegung der Identität im Bereich der Privatsphäre. Nach BVerfG NJW 2016, 3362 wird die Schwelle zur Persönlichkeitsrechtsverletzung im Bereich der Sozialsphäre bspw erst dann überschritten, wenn ein Persönlichkeitsschaden zu befürchten ist, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Allerdings berühren Berichte unter Namensnennung die persönliche Sphäre des Betroffenen sehr viel stärker als eine anonymisierte Berichterstattung über persönliche Belange (BGH NJW 1980, 1790, 1791), weshalb stets geprüft werden sollte, ob ein anerkennenswertes Informationsinteresse nur mit Blick auf den konkreten Vorgang oder auch gerade an der Person und der damit verbundenen namentlichen Nennung besteht (Hamburg NJW-RR 1991, 98 – Intime Beziehungen). Unzulässig ist eine Namensnennung jedenfalls immer dann, wenn mit ihr eine Stigmatisierung, Prangerwirkung (vgl hierzu auch Rn 127) oder soziale Ausgrenzung verbunden ist (BVerfG NJW 2012, 3712, 3713 – rechtsextremer Anwalt; GRUR 2010, 544, 545 – Zitat aus Anwaltsschreiben; AfP 2000, 445, 447 – Stasi-Listen, dazu Libertus ZUM 2010, 221; Köln ZUM-RD 2015, 462, 466). Nach BVerfG (AfP 2010, 465, 466 – Personalisierte Darstellungsweise) muss jedoch bei der Würdigung der möglichen Prangerwirkung beachtet werden, dass die Wahl der personalisierten Darstellungsweise Teil der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit ist (s hierzu auch BVerfG NJW 2012, 1500, 1501 – Ochsenknecht-Söhne: „Die Presse kann (jedoch) nicht grds auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden“; vgl auch BVerfG ZUM-RD 2011, 147, 150: „Es bleibt daher im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, welches Gewicht den durch die Anprangerung ausgelösten Rechtsbeeinträchtigungen im Klass

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Verhältnis zu der Einbuße an Meinungsfreiheit zukommt, die ein Verbot personalisierter Darstellungsweise mit sich bringen würde.“; vgl auch München AfP 2013, 154, 155 – Bühnenprogramm), denn derartige Veröffentlichungen können aufgrund gesellschaftlicher Einschätzungs- und Verhaltensmechanismen einen „Entzug der sozialen Anerkennung, eine soziale Isolierung und eine grundlegende Verunsicherung und Selbstentwertung des Betroffenen“ in zahlreichen Lebensbereichen zur Folge haben, wodurch die freie und ungestörte Entwicklung der Persönlichkeit nachhaltig erschwert wird (BVerfG 97, 391, 403 – Missbrauch). 120 3. Allgemeine Kriterien für die Schutzbereichsbestimmung sowie für die Güter- und Interessenabwägung. a) Besondere Wirkkraft und potenzierte Öffentlichkeit der Massenmedien. Bei der im Rahmen des Indiskretions- und Anonymitätsschutzes vorzunehmenden Güter- und Interessenabwägung, aber auch bei der Schutzbereichsbestimmung ist zudem maßgeblich, ob die jew Information im privaten Freundes- oder Familienkreis, im Verein, im Unternehmen oder in sonstigen geschlossenen Systemen offenbart und durch einzelne Personen verbreitet wird, oder ob sich dafür eines Massenmediums bedient wird, dessen Reichweite und Wirkkraft mit der einer persönlichen Weitergabe in Nichts zu vergleichen ist (ähnlich auch BGH NJW 1981, 1366, 1367 – Der Aufmacher II; Hamburg AfP 1992, 376, 377; SpuRt 2010, 159). Persönliche Indiskretionen in der Familie, im Freundeskreis und am Arbeitsplatz sind zu tolerieren, weil der Einzelne nicht zurückgezogen und ohne soziale Kontakte leben kann. Die Informationsweitergabe in den Massenmedien hat jedoch eine andere Qualität, denn die Öffentlichkeit der Medien ist eine für den Einzelnen nicht einschätzbare und damit eine anonyme Größe, da der Betroffene nicht weiß, wer den Bericht gesehen hat und wem ggü eventuell eine Erklärung, Rechtfertigung oder Entschuldigung angebracht ist. Auch ist zu beachten, dass sich der Einzelne heutzutage in unterschiedlichsten Rollen bewegt und unterschiedlichste fragmentarische Beziehungsgeflechte bestehen, weshalb ihm meist daran gelegen ist, dass Informationen über die eigene Person und das eigene Leben mit Blick auf die jew einzunehmende Rolle gefiltert werden. Informationsveröffentlichungen in den Medien laufen diesem Interesse strikt entgegen, denn eine adressatenbezogene Steuerung ist hier nicht möglich (vgl hierzu Klass, Realitätsfernsehen, 2003, 310ff). Die erhebliche Breitenwirkung der Medien darf daher nicht nur bei der Feststellung der Schwere des Eingriffs Bedeutung erlangen, sondern muss schon im Rahmen der Schutzbereichsbestimmung sowie im Rahmen der Abwägung Gewicht erhalten. 121 b) Vorverhalten. Maßgeblich für die konkrete Reichweite des Indiskretionsschutzes ist zudem das Vorverhalten der betroffenen Person, denn niemand kann sich auf Diskretionsschutz hins solcher Aspekte berufen, die er selbst der Öffentlichkeit preisgegeben hat (EGMR NJW 2012, 1053, 1056 – CvH/Deutschland II: Allerdings ist die Tatsache, dass „der Betroffene bei früheren Gelegenheiten mit der Presse zusammengearbeitet hat“, allein kein Grund „ihm jeden Schutz vor der Veröffentlichung von Fotos zu nehmen“; BVerfG ZUM-RD 2009, 574 – Kannibale von Rotenburg; BGH GRUR 2012, 422, 424 – Pornodarsteller; zurückhaltender Dresden ZUM-RD 2012, 275, 278; vgl auch BGH ZUM-RD 2007, 397, 400 – Lebensgefährtin von Grönemeyer; krit hierzu Klass ZUM 2007, 818, 826f; s auch Köln AfP 2017, 70 – Dating-Coach). 121a Wer sich in freier Entscheidung der Medienöffentlichkeit aussetzt, indem er bspw Veranstaltungen besucht, die erkennbar auf ein so großes Interesse von Teilen der Öffentlichkeit stoßen, dass mit einer Berichterstattung durch die Medien gerechnet werden muss, kann sich daher nicht auf ein entspr Selbstbestimmungsrecht über die mediale Darstellung berufen, denn es kann keine umfassende Verfügungsbefugnis über die Darstellung der eigenen Person iS einer ausschließlichen Herrschaft des Grundrechtsträgers auch über den Umgang der Öffentlichkeit mit denjenigen Aussagen oder Verhaltensweisen geben, deren er sich öffentlich entäußert hat (BVerfG ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi). Ein Schutz entfällt daher jedenfalls in dem Maße, in dem sich jemand damit einverstanden zeigt, dass bestimmte Angelegenheiten und Informationen öffentlich gemacht werden, denn die berechtigte Erwartung, dass die Öffentlichkeit bestimmte Umstände und Angelegenheiten nicht zur Kenntnis nimmt, muss konsequent zum Ausdruck gebracht werden (BVerfG NJW 2000, 1021, 1023; AfP 2006, 448, 452; BGH GRUR 2005, 76, 78). Allerdings unterliegt die selbstbestimmte Öffnung der Privatsphäre einer gewissen Zweckbindung, was bedeutet, dass im Einzelfall sorgfältig zu prüfen ist, ob auch mit Blick auf die konkrete Berichterstattung eine Öffnung angenommen werden kann (so auch Wanckel in Götting/Schertz/ Seitz, § 19 Rn 26). Denn grds entfällt der Diskretionsschutz nur bzgl der konkret geöffneten Teile der Privatsphäre; eine Öffnung der Privatsphäre führt jedenfalls nicht zu einer generellen Verwirkung des Privatsphärenschutzes, BGH GRUR 2012, 422, 424 – Pornodarsteller; vgl auch KG ZUM-RD 2012, 260, 262 sowie BGH VI ZR 102/12 [Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen]; München AfP 2013, 154 – Bühnenprogramm (keine Öffnung der Intimsphäre durch öffentliche Auftritte mit neuer Freundin); LG Berlin ZUM-RD 2016, 303: aus dem Umstand, dass sich eine Person zu ihrem aktuellen Beziehungsstand äußert, kann nicht auf eine Selbstöffnung hins allerkünftigen Beziehungen geschlossen werden. Keine Selbstöffnung liegt daher vor, wenn durch die Berichterstattung ein neuer, eigenständiger Bereich der Privatsphäre betroffen ist, s auch KG ZUM-RD 2011, 333; LG Köln AfP 2012, 584; ZUM-RD 2013, 146, 148. Ebenfalls ist zu beachten, ob sich der Einzelne nur unter Druck, bspw aufgrund vorangegangener Berichterstattungen oder durch das Informationsverhalten Dritter, der öffentlichen Diskussion privater Sachverhalte stellt und Details preisgibt, die er grds lieber für sich behalten hätte (BGH GRUR 2005, 76, 78). Ein verringerter Schutz soll zudem dann gelten, wenn bereits bekannte Informationen verbreitet werden – dies selbst dann, wenn „die vorhergehenden Veröffentlichungen teilw gegen den Willen der Klägerin bzw den Willen der für sie verantwortlichen sorgeberechtigten Eltern erfolgt wären“, s BeckRS 2013, 20409 – Tochter von Günther J.; zu Recht krit hier Gounalakis LMK 2014, 359831.

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4. Diskretionsschutz durch Sphärenschutz. a) Informationen aus der Intimsphäre (s auch Rn 18). Grds kann die Persönlichkeit für alle Lebensvorgänge Schutz beanspruchen, die zur Wahrung und Entwicklung von Identität und Individualität vor Einblicken und dem Einwirken der Öffentlichkeit abgeschirmt werden müssen (BVerfG 79, 256, 268; FamRZ 2010, 1621: Nichteintragung der Elternschaft in ein Personenstandsdokument ist jedoch kein Eingriff in die Intimsphäre; BGH NJW 1981, 1366 – Der Aufmacher II). Lebensvorgänge, die hierbei einen absoluten, weil im Bereich des Menschenwürdeschutzes angesiedelten, und damit unantastbaren Schutz erfahren, werden gemeinhin unter dem Begriff der Intimsphäre zusammengefasst. Diese umfasst ganz allg die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen, Vorgänge aus dem Sexualbereich und sonstige Belange, die von Natur aus einen Anspruch auf Geheimhaltung und Diskretion beanspruchen (s Rn 18f). Darstellungen und Erörterungen, die den Intimbereich betreffen, sind grds nur mit Einwilligung (s hierzu ausf Rn 229ff) des Betroffenen zulässig. Der Bereich der Intimsphäre umfasst mithin den letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit und schafft die im Einzelfall erforderliche Distanz zu Mitmenschen (BVerfG NJW 1957, 865, 867f; BayObLGSt 1978, 152, 156 – Prostituierte). Für die Frage, ob ein Sachverhalt diesem absolut geschützten Kernbereich zugeordnet werden kann, ist daher in erster Linie maßgeblich, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlicher Art ist und in welcher Art und Weise er die Belange der Gemeinschaft berührt (BGHSt 57, 71: Unverwertbarkeit eines heimlich mitgeschnittenen Selbstgesprächs eines Beschuldigten, s hierzu Warg NStZ 2012, 237; anders noch BVerfG 80, 367: Verwertbarkeit tagebuchartiger Aufzeichnungen, s zu der insoweit vorgenommenen „Relativität der Sphärentheorie“ auch Maunz/Dürig/Di Fabio Art 2 GG Rn 161; BVerfG NJW 2009, 3357, 3359 – Berichterstattung über Vergewaltigung; 89, 69, 82f – Cannabis). Nach überwiegender Ansicht gehört dem besonders geschützten Kernbereich der Intimsphäre insb das Sexualleben an (BVerfG NJW 2009, 3357, 3359 – Berichterstattung über Vergewaltigung; NJW 1997, 1769; LG Hamburg MMR 2015, 61 – Sex-Fotos), nicht jedoch das Küssen in der Öffentlichkeit, Köln NJW-RR 2014, 1069, 1071. Geschützt wird die Freiheit, die eigenen Ausdrucksformen der Sexualität für sich zu behalten und unbehelligt zu erleben (unzulässig ist daher bspw die Berichterstattung über das Outing eines homosexuellen Mannes, LG München I 21.7.2005 – 7 O 4742/05). Allerdings ist selbst das Gebiet des „Geschlechtlichen“ dem (staatlichen) Zugriff nicht vollends entzogen. Weist die Handlung einen starken Sozialbezug auf, kann im Einzelfall doch eine Abwägung mit entgegenstehenden Interessen erforderlich werden (BVerfG NJW 1957, 865, 867f; NJW 2009, 3357, 3359: Berichterstattung über eine Vergewaltigung – wobei auch die Beziehung des Täters zu seinem Opfer dann nicht zur absolut geschützten Intimsphäre gehört; BayObLGSt 1978, 152, 156: geschlechtliche Handlungen mit einer Prostituierten; ähnlich auch BGH NJW 2013, 1681, 1682 – Kachelmann: Äußerungen im Strafverfahren über sexuelle Vorlieben gehören nicht dem absolut geschützten Kernbereich des APR an; KG NJW-RR 2010, 622 – HIV-Infektion: Mitteilung des Tatvorwurfs, eine mit HIV-infizierte Betroffene habe ungeschützten Geschlechtsverkehr mit anderen Personen gehabt, berührt lediglich die Privatsphäre). Hier wird deutlich, dass mit Blick auf den Aspekt der Sexualität (aber auch mit Blick auf den Bereich der Berichterstattung über Krankheiten, vgl BGH NJW 2009, 754) durchaus Überschneidungen (BVerfG NJW 2000, 1021, 1022 – CvM) mit dem Bereich der Privatsphäre (vgl Rn 126) bestehen. So sind detailarme Berichte sexueller Begebenheiten nicht per se verboten (vgl BGH NJW 1999, 2893 – Ehebruch; BVerfG NJW 2000, 2189; ebenso nicht über Krankheiten, vgl BGH NJW 2009, 754; NJW 2012, 3645 – Comedy-Darstellerin). Neben Darstellungen von sexuellen Vorgängen fallen in den Schutzbereich der Intimsphäre insb Aufnahmen und Abbildungen des nackten Körpers einer Person (BGH NJW 1985, 1617ff – Nacktaufnahme; Dresden ZUM 2010, 597 – Werbung für Welterbe/Nacktdarstellung auf einem Gemälde; Hamburg AfP 2013, 65; Zweibrücken 21.2.2013 – 4 U 123/12; LG Hamburg ZUM-RD 2009, 610; LG Düsseldorf ZUM-RD 2012, 407; OVG Münster ZUM-RD 2013, 348) sowie Berichterstattungen, die den Bereich der Gesundheit betreffen, insb Berichte über Krankheiten (nach KG NJW-RR 2010, 622 soll die bloße Mitteilung einer Erkrankung – hier mögliche HIV-Infektion – noch keine Verletzung der Intimsphäre darstellen; zur Zulässigkeit der Berichterstattung über die Erkrankung einer Entertainerin ohne aktuellen Anlass BGH NJW 2012, 3645 – Comedy-Darstellerin; krit hierzu Schertz NJW 2013, 721, 726; s auch EGMR NJW 2012, 1053, 1057f; krit dazu Frenz NJW 2012, 1039, 1040) und Verletzungen. Die Intimsphäre erfährt dabei nicht nur im Bereich der Medienberichterstattung absoluten Schutz, vielmehr billigen die Gerichte dem Einzelnen auch mit Blick auf künstlerische Werke einen unantastbaren Bereich des Indiskretionsschutzes zu. Ist dieser betroffen, liegt idR auch die im Spannungsverhältnis zur Kunstfreiheit erforderliche schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung vor (BVerfG NJW 2008, 39 – Esra; Karlsruhe ZUM 2012, 490). In der Entscheidung Esra sahen BGH (NJW 2005, 2844 – Esra I; NJW 2008, 2587 – Esra II) und BVerfG (NJW 2008, 39, 40 – Esra) bspw die Schilderung intimer Begebenheiten, die Mitteilung eines Abtreibungsversuchs und Details über den Gesundheitszustand des Kindes der betroffenen Protagonistin als schwerwiegende Verletzungen des APR an, welche nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden konnten. Unerheblich ist auch, ob die geschilderten Vorgänge wahr oder unwahr sind, da sie „wegen Berührung des Kernbereichs der Persönlichkeit überhaupt nicht in die Öffentlichkeit gehören“ (BGH ZUM 2008, 683; Karlsruhe ZUM 2012, 490, 492). b) Informationen aus dem Bereich der Geheimsphäre/Vertraulichkeitssphäre. Im Rahmen des Indiskretionsschutzes genießt der Einzelne auch Geheimnisschutz (BVerfG 54, 148 – Eppler; NJW 1972, 1123). Dem Schutz der „Geheimsphäre“ unterfällt dabei alles, was der Einzelne durch besondere Maßnahmen vor der Kenntnisnahme durch Dritte bewahren möchte, insb erfährt die ungenehmigte Veröffentlichung oder Kenntnisnahme privater Kommunikation Schutz. Kennzeichnend für den Geheimnisschutz, der sich in der dt Rechtsordnung in Klass

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vielfältiger Art und Weise niederschlägt (zB §§ 201, 201a StGB; § 17 UWG ua), ist primär der Geheimhaltungswille des Betroffenen. Schutz erfahren daher insb persönliche Aufzeichnungen und Notizen, Krankenunterlagen (BGH NJW 1957, 1146, 1147; zum Einsichtsrecht des Patienten in die Krankenunterlagen BGH NJW 2014, 298; zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Patienten bei Weitergabe seiner Krankendaten an die Krankenkassen Harks NZS 2013, 247, 249f); Ehescheidungsakten (BVerfG 27, 344, 350f); Informationen, die die Vermögens- und Einkommensverhältnisse betreffen, aber auch geschäftliche Unterlagen, soweit sie nicht dem Bereich des öffentlichen Wirkens eines Unternehmens zugeordnet werden können oder müssen (zur Veröffentlichung von E-Mails Köln AfP 2012, 66; KG ZUM 2011, 570; zur Offenbarung wirtschaftlicher Schwierigkeiten einer Person Brandenburg NJW-RR 2013, 415: Das Wirken eines Menschen im Berufs- und Erwerbsleben vollzieht sich nicht in der Geheimsphäre) sowie private E-Mails (BGH ZUM-RD 2015, 83, 86 – Verwendung rechtwidrig erlangter Informationen). Die Art bzw Form der Aufzeichnung ist dabei unerheblich (LG Köln ZUM-RD 2009, 349, 351 – Veröffentlichung fremder persönlicher E-Mails auf Homepage). Allerdings bestehen auch hier Überschneidungen sowohl mit dem Bereich der Intim- als auch der Privatsphäre (vgl zur Abgrenzung Wanckel in Götting/Schertz/Seitz, § 19 Rn 35). 126 c) Informationen aus der Privatsphäre. Die Privatsphäre entfaltet Schutz in thematischer wie auch in räumlicher Hinsicht. aa) Der thematische Schutzbereich. Nach der Rspr des BVerfG (NJW 2000, 1021, 1022 – CvM) umfasst der Privatsphärenschutz in thematischer Hinsicht alle „Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als ‚privat‘ eingestuft werden, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst“. Dies sei etwa der Fall bei der Auseinandersetzung mit sich selbst in Tagebüchern, bei vertraulicher Kommunikation unter Eheleuten, im Bereich der Sexualität, bei sozial abweichendem Verhalten oder bei Krankheiten (BGH NJW 2009, 754 – Ernst August v Hannover: Die eigene Erkrankung gehört auch bei einer Person des öffentlichen Interesses grds zur Privatsphäre), auch das Vorliegen einer Schwangerschaft ist eine rein private und höchstpersönliche Angelegenheit (Köln ZUM 2016, 443, 444). Während Ausnahmen bisher nur mit Blick auf einen besonderen Personenkreis wie bspw wichtige Politiker, Wirtschaftsführer oder Staatsoberhäupter gemacht wurden, erweiterten BGH und BVerfG den Kreis nunmehr auch auf sonstige PdZ, an denen ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit besteht (s hierzu Jahn GRUR-Prax 2012, 512; Mäsch JuS 2013, 650, 652, spricht insoweit von B-Promis; BGH NJW 2012, 3645, 3647 – Comedy-Darstellerin; BVerfG NJW 2012, 756 sowie EGMR NJW 2012, 1053 – CvH/Deutschland II: Einordnung des Gesundheitszustandes des Fürsten Rainier III. von Monaco und das Verhalten der Familienmitglieder während seiner Erkrankung als zeitgeschichtlich relevantes Ereignis durch die dt Gerichte ist angemessen; krit dazu Lehr GRUR 2012, 745; Schertz NJW 2013, 721, 727; Köln AfP 2016, 289: Krankenhausbesuch der Ehefrau eines ehemaligen Rennfahrers nach dessen Skiunfall). Insoweit bestehen durchaus Überschneidungen mit dem Bereich der Intimsphäre, vgl Rn 122ff. Vom Schutzbereich umfasst werden zudem Informationen über familiäre Verhältnisse und Verbindungen des Einzelnen (Familienstreitigkeiten, Hochzeits- und Scheidungsabsichten, s hierzu Hamburg AfP 2016, 546: Hochzeit eines bekannten Politikers), aber auch Glaubensfragen (Trauer, Religionsausübung), Bekenntnisse, Überzeugungen und Informationen über finanzielle Fragen (Eigentumsfragen, Einkommen etc), Trauerfeierlichkeiten (LG Frankfurt/O. ZUM-RD 2014, 701). Im Einzelfall kann auch die Mitgliedschaft in einer weltanschaulich-religiösen Gemeinschaft der Privatsphäre zuzuordnen sein – jedenfalls dann, wenn der Betroffene nicht von sich aus mit der Mitgliedschaft und deren Lehren in die Öffentlichkeit getreten ist (BGH NJW 2012, 771, 772 – Babyklappen). Zur Berichterstattung über private Angelegenheiten BGH NJW 2012, 763, 764f – INKA Story; zur unterschiedlichen Reichweite des Persönlichkeitsrechtsschutzes bei Wort- und Bildberichterstattungen BGH NJW 2011, 744. 126a bb) Der räumliche Schutzbereich. Darüber hinaus erstreckt sich der Schutz der Privatsphäre auch auf einen räumlichen Bereich, in dem der Einzelne zu sich kommen, sich entspannen oder auch sich gehen lassen kann (EGMR ZUM 2012, 551, 554 – CvH/Deutschland II; BVerfG NJW 2000, 1021, 1022 – CvM; 27, 1; BGH GRUR 2008, 1024, 1026f – Shopping mit der Putzfrau auf Mallorca). Geschützt ist insofern in erster Linie der häusliche Bereich, die eigenen vier Wände (Wohnungen, Privathäuser, Gärten); erfasst werden aber auch temporär genutzte Räumlichkeiten wie Hotelzimmer und Ferienwohnungen (BGH GRUR 2004, 438, 439; ZUM 2013, 132, 135 – Playboy am Sonntag, Jacht in öffentlich einsehbarem Hafen; LG Köln ZUM-RD 2013, 146, Hotelterrasse; der Balkon kann nicht zum häuslichen Bereich gehören, KG NJOZ 2008, 168, 171f); zum Schutz von Angaben zur unmittelbaren Wohnumgebung s AG Charlottenburg 5.12.2013 – 205 C 252/13). Derartige Rückzugsbereiche sind nach der Rspr des BVerfG erforderlich, da der Einzelne psychisch überfordert würde, müsste er permanent darauf achten, wie er auf andere wirkt und ob er sich richtig verhält. Auch im Rahmen eines Aufenthalts in einer Justizvollzugsanstalt muss ein privater Rückzugsbereich gewährleistet sein (Köln ZUM 2012, 703, 704; LG Köln ZUM-RD 2012, 40, 42f). Ein derartiges Schutzbedürfnis besteht nach BVerfG NJW 2000, 1021, 1022 – CvM auch bei Personen, die aufgrund ihres Rangs oder Ansehens, ihres Amts oder Einflusses, ihrer Fähigkeiten oder Taten besondere öffentliche Beachtung finden, denn eine Person, die gewollt oder ungewollt zur Person des öffentlichen Lebens geworden ist, verliert nicht grds ihr Anrecht auf eine Privatsphäre, die den Blicken der Öffentlichkeit entzogen bleibt. Daher muss ein Prominenter es auch nicht hinnehmen, wenn Luftbildaufnahmen seines Wohnhauses unter Überwindung bestehender Hindernisse (Flugzeuge, Teleobjektive etc) angefertigt und diese kommerziell verwendet werden (BGH GRUR 2004, 438, 440; vgl auch BVerfG NJW 2006, 2836, 2837; zur besonderen Gewichtung der Heimlichkeit und der Ausnutzung technischer Mittel bei der Aufnahme von nahegelegenem Hochhaus im Rahmen der Abwägung Köln ZUM 2012, 703, 705; ZUM-RD 2012, 60

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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675, 678f: Trotz öffentlichen Interesses an einer prominenten Person darf nicht jedes Detail aus dem Leben der Person ausspioniert und veröffentlicht werden; LG Köln ZUM-RD 2012, 40 sowie Rn 171). Geschützt sind aber nicht nur Abbildungen, sondern auch die Wohnadresse, weshalb deren Veröffentlichung sowie die Angabe von Wegbeschreibungen zum Auffinden eines Wohnhauses vom Schutzbereich der Privatsphäre erfasst werden. Der Schutz der Privatsphäre eines umfriedeten Grundstücks entfällt auch nicht etwa dadurch, dass zufällig vorbeikommende Passanten Grundstücksteile einsehen können (BGH GRUR 2004, 438, 439). Der Rückzugsbereich einer Person darf nicht an den Hausmauern oder Grundstücksgrenzen enden – der Einzelne muss vielmehr die Möglichkeit haben, sich auch in der „freien, gleichwohl abgeschiedenen Natur oder an Örtlichkeiten, die von der breiten Öffentlichkeit deutlich abgeschieden sind, in einer von öffentlicher Beobachtung freien Weise zu bewegen“ (BVerfG NJW 2000, 1021, 1022 – CvM). Dies muss nach Ansicht des BVerfG insb ggü solchen Aufnahmetechniken gelten, die die räumliche Abgeschiedenheit überwinden, ohne dass der Betroffene dies bemerken kann. Wo die Grenzen der geschützten Privatsphäre außerhalb des Hauses verlaufen, lasse sich jedoch nicht generell und abstrakt festlegen, sondern müsse vielmehr aufgrund der jew Beschaffenheit des Orts bestimmt werden, den der Betroffene aufsucht. Entscheidend sei, ob der Einzelne eine Situation vorfindet oder schafft, in der er „begründetermaßen und somit auch für Dritte erkennbar davon ausgehen darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein“. Ob diese Voraussetzungen der Abgeschiedenheit erfüllt sind, könne und müsse dabei situativ beurteilt werden. Der EGMR übte an dem Kriterium der örtlichen Abgeschiedenheit Kritik (s hierzu ausf Rn 39), weshalb BGH (NJW 2007, 1981 – Ernst August v Hannover) und BVerfG (NJW 2008, 1793 – CvH, IV) den räumlichen Schutzbereich in den jüngsten Entscheidungen noch weiter fassten: So sei für die vorzunehmende Interessenabwägung ua von Belang, ob der Betroffene typischerweise die berechtigte Erwartung haben durfte, nicht in den Medien abgebildet zu werden, etwa weil er sich in einer durch räumliche Privatheit geprägten Situation, insb einem besonders geschützten Raum, aufhält (vgl BVerfG NJW 2000, 1021 – CvM); zudem muss nach Köln NJW-RR 2014, 1069, 1070 auch in der Öffentlichkeit (hier Diskothek) nicht damit gerechnet werden, dass von Dritten (Leser-Reportern) gemachte Fotos über einen „beschränkten Umfang (Verbreitung über Twitter/Facebook) hinaus in bundesweit verbreitetem Presseorgan verfügbar gemacht werden. Dem Schutzanspruch des Persönlichkeitsrechts könne zudem „auch außerhalb der Voraussetzungen einer örtlichen Abgeschiedenheit ein erhöhtes Gewicht zukommen, so wenn die Medienberichterstattung den Betroffenen in Momenten der Entspannung oder des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Berufs und Alltags erfasst“ (BVerfG NJW 2008, 1793, 1797 – CvH, IV; LG Köln ZUM-RD 2013, 668). d) Informationen aus dem Bereich der Sozialsphäre. Unter die Sozialsphäre wird der Bereich des mensch- 127 lichen Lebens gefasst, von dem jedermann Kenntnis nehmen kann und evtl auch Kenntnis nehmen soll. Geschützt wird die Eigenart des Menschen in seiner Beziehung zur Umwelt, sein berufliches, wirtschaftliches oder sonstiges öffentliches Wirken und mithin all jene Aspekte menschlichen Handelns, welche der Öffentlichkeit zugewandt sind (vgl BVerfG ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi: zur Sozialsphäre zählen auch Verhaltensweisen, die auf Veranstaltungen gezeigt werden, welche erkennbar an die Öffentlichkeit gerichtet waren und in diese ausstrahlten, zB eine Aids-Gala; ebenfalls fällt die anonyme Bewertung von Lehrern durch ihre Schüler in einem Onlineportal in den Bereich der Sozialsphäre, BGH NJW 2009, 2888 – spickmich.de; sowie Informationen zur beruflichen Betätigung s BGH ZUM-RD 2015, 151, 152 – Promi-Friseur: Nennung als Arbeitgeber im Kontext einer Verdachtsberichterstattung über angestellten Geschäftsführer; Düsseldorf ZUM-RD 2014, 628; LG Berlin ZUM-RD 2014, 32). Das kommerzielle Mitwirken in einem Pornofilm ist der Sozialsphäre zuzurechnen, BGH GRUR 2012, 422 – Pornodarsteller. Zur Einordnung der Zugehörigkeit zu einer politischen Vereinigung in die Sozialsphäre BGH NJW 2012, 771 – Babyklappen. Aufgrund des geringen Persönlichkeitsbezugs sind wahre Berichte aus dem Bereich der Sozialsphäre idR zulässig, LG Hamburg ZUM-RD 2012, 98, wobei im Einzelfall auch hier ein Interesse an Diskretion und Anonymität bestehen kann (s hierzu Rn 22 und 117ff; krit zur Sphäreneinordnung in Internet Glaser NVwZ 2012, 1432, 1435: Die schematische Trennung von Privat- und Sozialsphäre wird der Realität der Kommunikation im Internet nicht gerecht; vgl auch Spindler in Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages 2012, F 41f; Bruns AfP 2011, 421, 426; zum Persönlichkeitsschutz im Internet Peifer JZ 2012, 851; Ohly AfP 2011, 428; Heckmann NJW 2012, 2631). Zudem kann selbst die Äußerung einer wahren Tatsache aus dem Bereich der Sozialsphäre das APR verletzen, wenn eine schwerwiegende Auswirkung auf das Ansehen und die Persönlichkeitsentfaltung des Betroffenen zu befürchten ist, die außer Verhältnis zum Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht, BVerfG NJW 2016, 3362; LG Hamburg ZUM-RD 2012, 98 (Prangerwirkung; zum „virtuellen Pranger“ Celle MMR 2008, 180; Wieczorek AfP 2012, 14; ebenfalls im Fall einer sozialen Ausgrenzung oder Stigmatisierung, verneinend im konkreten Fall BGH ZUM-RD 2015, 151, 152 – Promi-Friseur), dies ist insb dann der Fall, wenn „eine Einzelperson aus der Vielzahl derjenigen, die das vom Äußernden kritisierte Verhalten gezeigt haben, herausgehoben wird, um die Kritik des als negativ bewerteten Geschehens durch Personalisierung zu verdeutlichen“ (BVerfG GRUR 2010, 544, 545 – Zitat aus Anwaltsschreiben; AfP 2010, 465, 466 – Personalisierte Darstellung; BGH GRUR 1994, 913 – Namensliste; LG Köln ZUM 2011, 84 – Veröffentlichung eines Gerichtsurteils im Internet, Cyberstalking). Zur Problematik der Abgrenzung zw privater und öffentlicher Kommunikation in sozialen Netzwerken Ohly AfP 2011, 428, 429. Zum Anonymitätsschutz vgl Rn 119. 5. Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches 128 von Art 2 I und Art 1 I GG umfasst ist und vom BVerfG (65, 1, 43 – Volkszählungsurteil) im Jahr 1983 anerkannt wurde, gewährt dem Einzelnen die Befugnis, grds selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner Klass

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persönlichen Daten zu bestimmen. Zunächst nur für das Verhältnis Bürger-Staat bedeutsam, wurde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung später aufgrund ähnlicher Gefahrenlagen vereinzelt zu Recht auch in das Zivilrecht übernommen (BGH AfP 2014, 325, 326 – Kindschaftsverhältnis; ZUM-RD 2015, 83, 86 – Verwendung rechtwidrig erlangter Informationen: Schutz des Interesses daran, dass der Inhalt privater E-Mails nicht an die Öffentlichkeit gelangt; NJW 1991, 1532ff – Notfallarzt, wenn auch noch in Kombination mit dem Sphärenmodell; AfP 1994, 306, 307 – Stasi-Liste III; s ferner Hamburg AfP 1992, 376, 377; München AfP 1997, 636, 637; Naumburg DtZ 1994, 73, 74 – Stasi-Listen I; BAG NJW 1990, 2272, 2273), denn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weist auch auf der bürgerlich-rechtlichen Ebene dem Schutzbedürfnis des Einzelnen einen entspr hohen Rang ggü Eingriffen zu, welche ihn gegen seinen Willen für die Öffentlichkeit „verfügbar“ machen (BGH NJW 1991, 1532ff – Notfallarzt; AfP 1994, 306, 307 – Stasi-Liste III, einschränkend BVerfG AfP 2000, 445, 447 – Stasi-Liste IV; BVerfG 78, 77, 84 – Entmündigung; BVerfGK 17, 469: Eingriff durch Anfertigung von Bildaufnahmen mittels einer Identifizierungskamera). Das APR umfasst nämlich auch das Recht, für sich zu sein, sich selbst zu gehören und andere von Einblicken oder einem Eindringen auszuschließen (BGH NJW 1991, 1532ff – Notfallarzt; LG Berlin NJW 1997, 1155). Es gewährt dem Einzelnen jedoch kein unbeschränktes dingliches Herrschaftsrecht über seine Informationen (BGH ZUM 2014, 139 – Tochter von Günther J.). Seit der Anerkennung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auf der Ebene des Zivilrechts ist eine gewisse Abkehr vom reinen Sphärendenken zu verzeichnen, denn es wird nicht mehr primär danach unterschieden, welche Schutzintensität eine bestimmte Sphäre hat, sondern danach, ob die konkrete Veröffentlichung dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zuwiderläuft; der Gedanke des subjektiven Geheimhaltungswillens tritt mithin in den Vordergrund. 129 Die Übernahme eines solchen Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Rahmen des zivilrechtlichen Diskretionsschutzes stößt jedoch auch auf Kritik (Brossette, Der Wert der Wahrheit, 237; Halfmeier AfP 2000, 449; krit auch BGH GRUR 2011, 261 – Party-Prinzessin: ein von dem Kommunikationsinhalt unabhängiger Schutz ist im Bereich der Textberichterstattung aber nur unter dem Gesichtspunkt des Rechts am gesprochenen Wort anerkannt), weil seine Anerkennung letztlich einem Informationsverbot mit Erlaubnisvorbehalt gleichkomme; und auch das BVerfG hat eine gewisse Korrektur vorgenommen (BVerfG AfP 2000, 445, 447 – Stasi-Liste IV; GRUR 2010, 544, 545) und festgestellt, dass ein zivilrechtliches Verbot wahrer Informationen nur in bestimmten Ausnahmesituationen in Betracht kommt, bspw wenn die Folgen der Darstellung für die Persönlichkeitsentfaltung schwerwiegend sind, zu einer Stigmatisierung führen und insoweit Schutzbedürfnisse überwiegen, oder auch, wenn die Aussagen die Intim-, Privat- oder Vertraulichkeitssphäre betreffen und nicht durch ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit gerechtfertigt sind (Halfmeier AfP 2000, 449 sieht darin eine Absage an ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf der Ebene des Zivilrechts). Insb habe der Einzelne kein Recht darauf, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist (BVerfG GRUR 2010, 544, 545 – Zitat aus Anwaltsschreiben; 82, 236, 239; AfP 2010, 465, 466 – Personalisierte Darstellungsweise; AfP 2010, 560, 561 – Deutschland Archiv). Dies mag zwar richtig sein, dennoch sprechen i Erg die besseren Gründe für die Anerkennung eines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch im Zivilrecht, denn zum einen bestehen erhebliche Gefährdungspotentiale mit Blick auf die unbefugte Verwendung privater Daten gerade auch von privater Seite, zum anderen kann die Spannungslage zw Individuum und Gesellschaft im Wege der Abwägung gelöst werden – so muss der Einzelne Beschränkungen seines Rechts hinnehmen, wenn hinreichende Gründe des Gemeinwohls dies erfordern (ähnlich auch Wenzel AfP 1997, 939, 940; Prinz/Peters Medienrecht Rn 122; Soehring/Hoene, Presserecht § 19 Rn 22f; Wanckel, FS Engelschall, 1996, 265; s in diesem Kontext auch Rn 117ff: Schutz vor ungewollten Indiskretionen). 130 6. Schutz des geschriebenen Wortes. Bestandteil eines Rechts auf Selbstdarstellung und Selbstbestimmung ist auch das Bestimmungsrecht über die Weitergabe und Veröffentlichung schriftlicher Aufzeichnungen, das der BGH schon in der „Leserbrief“-Entscheidung aus dem Jahr 1954 (BGH 13, 334, 338f – Leserbrief; s auch BVerfG NJW 1991, 2339, 2339f – Chefarztbrief; GRUR 2010, 544, 545 – Zitat aus Anwaltsschreiben; Hamm NJW-RR 1995, 1114, 1115 – Liebesbriefe; zur Verletzung des urheberrechtlichen Erstveröffentlichungsrechts nach § 12 UrhG s auch KG NJW 1995, 3392) anerkannte. Danach steht grds allein dem Verfasser einer Aufzeichnung die Befugnis zu, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form er seine Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich macht. Insb eine veränderte oder gekürzte Wiedergabe von Aufzeichnungen, die als sprachliche Festlegung eines bestimmten Gedankeninhalts Ausfluss der Persönlichkeit des Verfassers sind, trägt stets die Gefahr in sich, dass ein falsches Persönlichkeitsbild von diesem vermittelt wird. Auch wenn das Gericht davon ausgeht, dass derartige Handlungen Eingriffe in die geschützte Geheim- bzw Eigensphäre des Einzelnen darstellen, so nimmt es doch bei näherer Betrachtung i Erg einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen insb deshalb an, weil sein Recht auf Selbstbestimmung und Selbstdarstellung im Hinblick auf die Verwendung und Veröffentlichung seiner schriftlichen Aufzeichnungen missachtet wurde (so auch Wellbrock Persönlichkeitsschutz und Kommunikationsfreiheit, 1982, 29; anders allerdings in BGH 15, 249 – Cosima Wagner: hier stand der vertrauliche Charakter der Aufzeichnungen im Vordergrund). 131 7. Schutz des gesprochenen Wortes. Nach der Rspr des BVerfG und des BGH ist ein vom Kommunikationsinhalt unabhängiger Schutz unter dem Gesichtspunkt des Rechts am gesprochenen Wort anerkannt (BVerfG 54, 148, 154f – Eppler; 106, 28, 41 – Mithörvorrichtung; BGH NJW-RR 2010, 1289, 1292 – Telefoninhalt; vgl auch LG Berlin MMR 2014, 563, zur Rechtswidrigkeit einer AGB-Klausel über Gesprächsaufzeichnung). Er garantiert die Selbstbestimmung über die unmittelbare Zugänglichkeit der Kommunikation, wie bspw über die Herstel62

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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lung einer Tonbandaufnahme oder die Zulassung eines Dritten zu einem Gespräch (BVerfG ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi; 54, 148, 154f – Eppler; 106, 28, 41 – Mithörvorrichtung) und gewährt dem Einzelnen mithin die Befugnis, selbst zu bestimmen, ob seine Worte einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Kreis von Leuten oder der breiten Öffentlichkeit zugänglich sein sollen (BVerfG 54, 148, 154 – Eppler; vgl auch BGH NJW 1958, 1344 – Tonband; Karlsruhe NJW-RR 2003, 410 – Anti-Aggressionstraining; Düsseldorf ZUMRD 2012, 137, 144: zur Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 I Nr 1 StGB sowie des Rechts am eigenen Wort durch eine verdeckte Aufnahme eines Interviews). Das BVerfG geht dabei von folgender Überlegung aus: Wort und Stimme eines Menschen sind auf einem Tonträger von ihm losgelöst und in einer verfügbaren Gestalt verselbständigt. Das Recht am gesprochenen Wort schützt mithin nicht die Privatsphäre, sondern „die Selbstbestimmung über die unmittelbare Zugänglichkeit der Kommunikation“ (BVerfG ZUM-RD 2010, 657, 661 – Charlotte Casiraghi; BGH NJW-RR 2010, 1289, 1292 – Telefoninhalt). Dürften Dritte über das gesprochene Wort nach Belieben verfügen, würde die Unantastbarkeit der Persönlichkeit erheblich geschmälert und die Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation erheblich beeinträchtigt (BVerfG 34, 238 – Tonbandaufnahme; s zum Wahrnehmungs- und Fixierungsschutz auch BGH 73, 120 – Kohl/Biedenkopf). Daher ist für das Anfertigen und Abspielen einer Aufnahme des gesprochenen Wortes grds die Einwilligung (s hierzu ausf Rn 229ff) des Betroffenen einzuholen (BVerfG 34, 238 – Tonbandaufnahme; BGH NJW 1982, 277). Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn die Anfertigung der heimlichen Aufnahme zur Feststellung der Identität eines anonymen Anrufers oder zur Feststellung erpresserischer Drohungen erforderlich ist, bspw im Fall eines auf andere Weise nicht abwehrbaren Angriffs auf die berufliche Existenz (BVerfG 106, 28, 49f; BGH NJW-RR 2010, 1289, 1292 – Telefoninhalt). Ein absolutes Veröffentlichungsverbot besteht im Fall des vertraulich gesprochenen Wortes nur dann, wenn die Intimsphäre betroffen ist, iÜ ist eine Gesamtabwägung unter sorgfältiger Würdigung der involvierten Interessen vorzunehmen (LG Köln AfP 2014, 545 – Kohl-Protokolle). Ob das nichtöffentlich gesprochene Wort nur dem relativ geschützten Bereich des APR angehört oder ob der absolut geschützte Kernbereich betroffen ist, ist dabei unter Abwägung aller Gesamtumstände (Äußerungssituation, Eindimensionalität des Gesprächs, Identität der Äußerung mit den inneren Gedanken, die Unbewusstheit der Äußerung im Selbstgespräch) festzustellen (BGH NJW 2012, 945, 945f – Selbstgespräch); s hierzu auch Rn 18f. 8. Verfügungsrecht über die Darstellung des eigenen Lebensbildes. a) Kontext Kommunikationsfreiheiten. 132 Das APR sichert jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Dazu gehört auch das Recht, in diesem Bereich „für sich zu sein“, „sich selbst zu gehören“ und ein Eindringen oder einen Einblick durch andere auszuschließen. Hiervon umfasst ist auch das Verfügungsrecht über die Darstellung der Person. Dieses Recht gewährt jedermann die Befugnis, grds selbst und allein zu bestimmen, ob und inwieweit andere sein Lebensbild im Ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen (BVerfG NJW 1973, 1226, 1227 – Lebach I; NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; München 25.5.2010 – 18 U 1604/10 – Katzenhexe; LG Koblenz NJW 2007, 695, 695 – Gäfgen, hierzu v Becker NJW 2007, 662 sowie KG AfP 2010, 376 – Stasi-Vergangenheit; ähnlich Mann in Spindler/Schuster, § 823 Rn 35; Gleiches gelte für das Lebensbild eines Verstorbenen, BGH NJW 1990, 1986, 1988 – Emil Nolde; LG Berlin GRUR 1980, 187, 188 – Der eiserne Gustav). Allerdings steht nicht der gesamte Bereich privaten Lebens unter einem absoluten Schutz – tritt der Einzelne in Kommunikation mit anderen, wirkt er auf diese ein oder berührt er Gemeinschaftsbelange, können sich Einschränkungen seines ausschließlichen Bestimmungsrechts ergeben. Insb das Informationsinteresse der Allgemeinheit, aber auch Belange Dritter können hier im Einzelfall Bedeutung erlangen (BVerfG NJW 1973, 1226, 1227 – Lebach I; BGH NJW 1981, 1366 – Der Aufmacher II); deutlich insoweit BVerfG ZUM-RD 2010, 657, 661f – Charlotte Casiraghi sowie BGH GRUR 2012, 422, 423f: Das APR gewährt seinem Träger allerdings nicht das Recht, nur so dargestellt zu werden, wie es seinem Selbstbild entspricht oder es im selbst gefällt; insb gewährt es „keine umfassende Verfügungsbefugnis über die Darstellung der eigenen Person im Sinne einer ausschließlichen Herrschaft des Grundrechtsträgers über den Umgang der Öffentlichkeit mit denjenigen Aussagen oder Verhaltensweisen, deren er sich … öffentlich entäußert hat.“ Auch der Straftäter hat daher bspw keinen Anspruch darauf, in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr mit der Tat konfrontiert zu werden (BVerfG NJW 2000, 1859, 1860 – Lebach II; BGH ZUM 2013, 399, 400f), denn wer den Rechtsfrieden bricht, muss grds auch dulden, dass das von ihm selbst durch seine Tat erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit in einer nach dem Prinzip freier Kommunikation lebenden Gesellschaft auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird, wobei der Umfang und die Intensität der erlaubten Berichterstattung von den Umständen des Einzelfalls, wie bspw der Bedeutung der Tat für die Öffentlichkeit, abhängt (zu den Grundsätzen der Kriminalberichterstattung Rn 146ff). b) Kontext Kunstfreiheit. Ein Werk, ob Roman, Film, Theaterstück oder Drehbuch, dessen wesentliche Grund- 133 lage die Darstellung einer wirklich existierenden Person ist, muss als ein Kunstwerk angesehen werden (zur Kunstfreiheit Rn 259ff), wenn der Anspruch des Autors deutlich wird, diese Wirklichkeit künstlerisch zu gestalten (BGH 50, 133 – Mephisto; Frankfurt ZUM 2009, 952, 954 – Romy Schneider; LG Frankfurt ZUM 2009, 308, 309 – Ende einer Nacht m Anm Becker und Ladeur; ähnlich BVerfG NJW 2008, 39, 40 – Esra; Hamburg ZUM 2005, 79 – Das Ende des Kanzlers; LG Münster NJW-RR 2003, 692, 693 – Wilsberg und der tote Professor; zum Fehlen eines erkennbar künstlerisch-literarischen Gestaltungswillens Karlsruhe NJW-RR 2012, 820, 822). Aus der Anerkennung als Kunstwerk folgt die Pflicht, eine kunstspezifische Betrachtung anzulegen (BVerfG NJW 2008, 39, 42 – Esra; ZUM 2008, 323 – Ehrensache; Frankfurt ZUM 2008, 793, 794 – Kannibale von Rotenburg; ZUM 2009, 952, 955 – Romy Schneider), weshalb sich der Einzelne i Erg nicht in gleichem Maße auf ein VerKlass

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fügungsrecht über die Darstellung des eigenen Lebensbildes berufen kann. Dies bedeutet, dass die Spannungslage zw dem Schutz des APR und der Kunstfreiheit nicht allein auf die Wirkungen eines Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abheben kann, sondern auch kunstspezifischen, ästhetischen Gesichtspunkten Rechnung tragen muss. Zur Einzelfallabwägung zw Kunstfreiheit und APR s auch Rn 262. aa) Vermutung für die Fiktionalität. Nach BVerfG NJW 2008, 39, 42 – Esra verlangt die Gewährleistung der Kunstfreiheit, den Leser eines literarischen Werks für mündig zu halten, dieses von einer Meinungsäußerung zu unterscheiden und zw der Schilderung tatsächlicher Gegebenheiten und einer fiktiven Erzählung zu differenzieren. Vor diesem Hintergrund ist ein literarisches Werk zunächst als Fiktion anzusehen, das keinen Faktizitätsanspruch erhebt (s auch BVerfG NJW 2009, 751 – Ehrensache; Frankfurt ZUM 2009, 952, 954 – Romy Schneider). Dies gilt selbst dann, wenn hinter den Roman- oder Filmfiguren real existierende Personen als Urbilder erkennbar sind (BVerfG NJW 2008, 39, 42 – Esra; Frankfurt ZUM 2009, 952, 955 – Romy Schneider; Karlsruhe ZUM 2012, 490 – Internetveröffentlichung in Romanform; LG Köln NJW-RR 2011, 1492; LG Frankfurt ZUM 2009, 308, 310 – Ende einer Nacht m Anm Becker und Ladeur; Lenski NVwZ 2008, 281, 282; zum Theaterstück BVerfG ZUM 2008, 323 – Ehrensache; Hamm ZUM 2010, 453; zum Film LG Köln ZUM 2009, 324, 330 – Baader Meinhof Komplex, s hierzu auch Luther AfP 2009, 215; Riedel, Vermutung des Künstlerischen, 2011; Neumeyer, Person-Fiktion-Recht, Verletzungen des Persönlichkeitsrechts durch Werke der fiktionalen Kunst, 2010; Loschelder GRUR 2013, 14), denn Kennzeichen für ein künstlerisches Werk (insb ein literarisches Werk, das an reale Geschehnisse anknüpft) ist, dass eine Vermengung von tatsächlichen und fiktiven Schilderungen erfolgt (BVerfG NJW 2008, 39, 42 – Esra; ZUM 2008, 323 – Ehrensache; BGH NJW 2009, 751, 753 – Ehrensache; LG Frankfurt ZUM 2009, 308, 310 – Ende einer Nacht m Anm Becker und Ladeur). Diese Fiktionalitätsvermutung, die nicht nur für Romane Geltung beansprucht, liegt bei anderen Kunstgattungen sogar noch klarer auf der Hand – so wird sich bspw bei einem Theaterstück der Zuschauer allein wegen der räumlichen Gegebenheiten idR bewusst machen, ein Schauspiel zu beobachten und nicht mit der Realität konfrontiert zu werden (Köln GRUR-RR 2009, 324, 326 – Ehrensache). Anders liegt der Fall bei biographischen Werken – hier ist die Vermutung der Fiktionalität regelmäßig als widerlegt anzusehen, da die dargestellten Ereignisse als tatsächlich geschehen gelten (LG Frankfurt ZUM 2009, 308, 310 – Ende einer Nacht m Anm Becker und Ladeur). bb) Kein Recht, nicht zur Vorlage einer Romanfigur zu werden. Da sich die Kunstfreiheit typischerweise an der Lebenswirklichkeit orientiert, reale Vorbilder nutzt, sich mit diesen im Rahmen des Werks auseinandersetzt und so Wirklichkeit künstlerisch gestaltet, kann es nach BVerfG NJW 2008, 39, 42 – Esra kein parallel zum Recht am eigenen Bild verstandenes Recht am eigenen Lebensbild geben, wenn dies als Recht verstanden würde, nicht zum Vorbild einer Romanfigur zu werden. Dies könne jedoch nur gelten, wenn es sich bei der in Rede stehenden Publikation tatsächlich um Literatur handelt, die für den Leser erkennbar keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Ein fälschlicherweise als Roman etikettierter bloßer Sachbericht käme daher nicht in den Schutz einer kunstspezifischen Betrachtung (s hierzu Karlsruhe ZUM 2012, 490 – keine kunstspezifische Betrachtung mangels künstlerischer Gestaltung bei Internetveröffentlichung von Indiskretionen in „Romanform“, die ersichtlich darauf abzielten, Geldzahlungen zu erpressen). cc) Erkennbarkeitsmaßstab. Während das BVerfG in der Mephisto-Entscheidung (GRUR 1971, 461, 465) noch darauf abstellte, ob ein nicht unbedeutender Leserkreis das Urbild erkenne, akzeptiert es im Interesse auch nicht prominenter Betroffener in der Esra-Entscheidung (NJW 2008, 39, 41) den vom BGH angelegten Maßstab einer Erkennbarkeit durch einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis, denn gerade die Erkennbarkeit einer Person durch deren näheren Bekanntenkreis kann für diese besonders nachteilig sein. Allerdings kann nicht allein die Möglichkeit der Entschlüsselung zur Annahme einer Erkennbarkeit der als Vorbild dienenden Person ausreichen, vielmehr muss sich die Identifizierung jedenfalls für den mit den Umständen vertrauten Leser aufdrängen, was regelmäßig eine hohe Kumulation von Identifizierungsmerkmalen voraussetzt (BVerfG aaO; Karlsruhe ZUM 2012, 490 – Internetveröffentlichung in Romanform). dd) Bewertung im Einzelfall. (1) Allgemeines Persönlichkeitsrecht. Bei der Frage, ob ein Kunstwerk das APR beeinträchtigt, kommt es auf den Aussagegehalt dieses Werkes an; bei der Interpretation sind, wie gezeigt, die Besonderheiten der künstlerischen Ausdrucksform zu berücksichtigen. Grds hat im Einzelfall eine Abwägung stattzufinden, die sowohl dem APR als auch der Kunstfreiheit gerecht wird. Angesichts der Bedeutung der Kunstfreiheit ist jedoch anerkannt, dass eine geringfügige Beeinträchtigung oder die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des APR nicht ausreichen, um die Kunstfreiheit einzuschränken (zu Einschränkungen bei der Gewährung von Geldentschädigungsansprüchen im Zsh mit fiktionalen Werken s Rn 316). Lässt sich jedoch eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zweifelsfrei feststellen, so kann diese auch nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden (BVerfG NJW 2008, 39, 42 – Esra; 67, 213, 228 – Anachronistischer Zug; München AfP 2013, 154). Die Schwere der Beeinträchtigung des APR hängt dabei zum einen davon ab, in welchem Maß der Künstler es dem Rezipienten nahelegt, den Inhalt seines Werks auf wirkliche Personen zu beziehen, zum anderen ist aber auch die Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, wenn der Rezipient diesen Bezug herstellt, ausschlaggebend. Grds gilt nach wie vor die im Mephisto-Urt (BVerfG GRUR 1971, 461, 466) geprägte Urbild-Abbild-Formel: Je stärker der Autor eine Romanfigur von ihrem Urbild löst und zu einer Kunstfigur verselbständigt, umso mehr wird ihm eine kunstspezifische Betrachtung zugutekommen. Es kommt mithin entscheidend darauf an, ob sich das Abbild von seinem Urbild durch die künstlerische Gestaltung des Stoffes und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Romans so verselbständigt und in der Darstellung künstlerisch transzendiert, dass das Individuelle, Persönlich-Intime 64

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der Figur als genügend objektiviert erscheint (BVerfG NJW 2008, 39, 42 – Esra; GRUR 1971, 461, 466 – Mephisto; Frankfurt ZUM 2009, 952 – Romy Schneider; LG Münster NJW-RR 2003, 692, 693 – Wilsberg und der tote Professor; LG Koblenz NJW 2007, 695 – Gäfgen; LG Köln NJW-RR 2011, 1492, 1494). Keine Persönlichkeitsrechtsverletzung liegt daher idR vor, wenn die namentlich genannte Person nur als Kunstfigur oder Abbildung eines bestimmten Typs dargestellt und beschrieben wird (LG Berlin GRUR 1980, 187, 188 – Der eiserne Gustav). Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt jedoch die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung die besonders geschützten Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen. Keinesfalls darf auf eine Verletzung des APR jedoch bereits aufgrund der Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und der Angabe bestimmter negativer Züge der Figur andererseits geschlossen werden (BVerfG NJW 2008, 39, 43 – Esra; ZUM 2008, 323 – Ehrensache). Insb hat der Einzelne auch kein Recht darauf, nicht negativ dargestellt zu werden (Frankfurt ZUM 2009, 952, 956 – Romy Schneider) oder nur so dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder von anderen gesehen werden möchte (BVerfG NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; Köln NJW-RR 2006, 126; VG Sigmaringen NJW 2001, 628, 629). Auch eine wertneutrale Tatsachenbehauptung führt nicht zu einer Verzeichnung des Lebensbildes des Betroffenen (Köln NJW-RR 2006, 126, 127). Im Einzelfall kann selbst die Wiedergabe von Details aus dem Intimleben zulässig sein – nämlich dann, wenn die Informationen der breiten Öffentlichkeit bereits bekannt und aktuell bewusst sind und/oder der Betroffene die Öffentlichkeit gesucht und bspw namentlich sowohl an einem Buchprojekt sowie einer Fernsehsendung über seine Tat mitgewirkt hat (BVerfG ZUM-RD 2009, 574, 575 – Kannibale von Rotenburg; anders noch Frankfurt ZUM 2008, 793, 796 – Kannibale von Rotenburg). Voraussetzung für die Beeinträchtigung der Intimsphäre (vgl auch Rn 122) durch ein literarisches Werk ist vielmehr, dass sich durch den Text die naheliegende Frage stellt, „ob sich die geschilderten Handlungen als Berichte über tatsächliche Ereignisse begreifen lassen, bspw deshalb, weil es sich um eine aus vom Autor unmittelbar Erlebtem stammende, realistische und detaillierte Erzählung entsprechender Geschehnisse und die genaue Schilderung intimster Details einer Frau handele, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar ist“ (BVerfG ZUM 2008, 323 – Ehrensache; NJW 2008, 39, 46 – Esra). Dies bedeute keine „Tabuisierung des Sexuellen“, denn die Schilderung von Intimbeziehungen bleibe unbenommen, wenn dem Leser nicht nahegelegt wird, sie auf bestimmte Personen zu beziehen (BVerfG NJW 2008, 39, 44 – Esra). (2) Postmortales Allgemeines Persönlichkeitsrecht. Auch über den Tod hinaus bleibt der sittliche, personale und soziale Geltungswert erhalten, den der Verstorbene zu Lebzeiten erworben hat; daher wird er auch nach seinem Tod gegen schwerwiegende Entstellungen seines Lebensbildes geschützt (BVerfG GRUR 1971, 461 – Mephisto; Köln GRUR-RR 2009, 324, 326 – Ehrensache). Die Schutzwirkungen des verfassungsrechtlichen postmortalen APR sind jedoch nicht mit denen identisch, die sich aus Art 2 I GG iVm Art 1 I GG für lebende Personen ergeben (BVerfG ZUM 2008, 323 – Ehrensache, vgl zum postmortalen APR ausf Rn 69ff). ee) Fazit. Die neue Linie des BVerfG, insb die Vermutungswirkung für die Fiktionalität in Kombination mit der Absage an ein Verfügungsrecht über die eigene Person im Bereich künstlerischer Werke, stärkt die Kunstfreiheit ggü dem APR enorm. Sie weist jedoch Schwächen auf. Zum einen kann die Auffassung, Romane hätten nichts mit der Wirklichkeit zu tun und sie könnten per se nicht beleidigen (LG Münster NJW-RR 2003, 692, 695 – Wilsberg und der tote Professor), nicht überzeugen, denn wie Grimm (ZRP 2008, 29, 30) zu Recht feststellt, macht der Roman die Wirklichkeit nur mit der Sprache der Kunst sichtbar. Zum anderen ist aus Sicht des Persönlichkeitsrechtsschutzes nicht überzeugend, dass eine ausreichende Verfremdung trotz Erkennbarkeit aufgrund des Hinzufügens negativer Attribute, Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften bejaht werden kann, denn diese Betrachtungsweise führt dazu, dass allein der Betroffene das Risiko der Fehlinterpretation trägt. Zudem ist nicht einsichtig, dass die Zunahme an eigentlichen Verletzungen des APR letztlich zu ihrer Rechtfertigung führen soll (so auch MüKo/Rixecker Rn 213). Darüber hinaus neigen Zuschauer und Leser dazu, insb im Bereich von realitätsnahen bzw halbdokumentarischen Formaten, wie bspw dem Dokumentarspiel, aber auch bei autobiografischen Romanen, eine realistische Darstellung mit der Wirklichkeit zu verwechseln und die Interpretation des Geschehens als richtige, objektive Bewertung zu übernehmen. Hinzu kommt, dass insb das Dokumentarspiel auch bei noch so enger Anlehnung an die Wirklichkeit nicht ohne dichterisches Beiwerk auskommen kann, ohne dass der Zuschauer dies immer erkennen könnte (BVerfG NJW 1973, 1226, 1230 – Lebach I; LG Koblenz NJW 2007, 695, 697 – Gäfgen). Wird das Lebensbild einer erkennbaren Person bewusst durch frei erfundene Zitate grundlegend negativ entstellt und ist die negative Verfremdung nicht aufgrund ihrer Darstellung oder Übertreibung als solche zu erkennen, muss sich die Kunstfreiheit Einschränkungen im Interesse des Persönlichkeitsrechtsschutzes gefallen lassen (so auch BGH NJW 1958, 1773, 1777 – Mephisto). Neben diesen Aspekten erscheinen auch die Auswirkungen der Versagung eines Rechts, nicht zum (erkennbaren) Gegenstand eines Romans zu werden, auf das alltägliche Miteinander und damit das APR von Personen, die Künstlern nahestehen, bedenklich, denn es entsteht der Eindruck, deren Lebensdaten würden in gewisser Weise „gemeinfrei“ – was es zu verhindern gilt (ähnlich auch MüKo/Rixecker Rn 213). Jede andere Beurteilung trägt die Gefahr eines Hemmungseffekts im Umgang mit Künstlern und damit einen möglichen Verzicht auf Persönlichkeitsrechte in sich. Will sich ein Künstler von realen Personen und tatsächlichen Ereignissen inspirieren lassen, ist ihm zuzumuten, so viel Phantasie aufzubringen, dass die Person für andere nicht erkennbar ist (das Bestehen einer Entschlüsselungsmöglichkeit bleibt ja ohnehin unbeachtlich). Wird in identifizierender Art Klass

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und Weise dargestellt, ist die Person also ohne Weiteres erkennbar, soll sie es vielleicht sogar sein und wird ihr Leben und ihre Persönlichkeit „ausgebeutet“, muss das Dargestellte auch der Wahrheit entsprechen (ähnlich auch Seitz ZRP 2005, 141: „Die großen Künstler sind kreativ genug, um Dinge zu erfinden. Nur die Ausbeuter unter den Künstlern haben nicht genug Phantasie oder sie sind zu faul, sich etwas einfallen zu lassen.“). Einer eindeutig erkennbar beschriebenen Person muss daher das Recht zustehen, sich dagegen zur Wehr zu setzen, dass ihr negative Attribute angedichtet werden oder sie (auch jenseits sexueller Schilderungen) mit sonstigen tatsächlich in dieser Weise nicht erlebten Lebensdetails in Verbindung gebracht wird. 9. Schutz vor der Herstellung von Bildaufnahmen. a) Kein Schutz durch das KUG. Die Herstellung eines Bildnisses fällt nicht unter §§ 22ff KUG, da diese nicht die Anfertigung, sondern lediglich die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung eines Bildnisses zum Gegenstand haben (ausf dazu Rn 167ff); auch kommt angesichts der Strafbewehrung in § 33 KUG keine analoge Anwendung in Betracht. Schutz gegen die ungenehmigte Herstellung bieten jedoch zum einen § 201a StGB zum anderen das APR (BGH GRUR 1957, 494, 497 – Spätheimkehrer; GRUR 1967, 205, 208 – Vor unserer eigenen Tür; Schertz AfP 2005, 421, 423). Zum zivilrechtlichen Bildnisschutz im Vorfeld von Weitergabe und Veröffentlichung s Golla/Herbort GRUR 2015, 648. b) Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs, § 201a StGB. § 201a StGB, der dem Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs dient, sieht vor, dass jeder, der von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder überträgt und dadurch deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft wird. Aus einer Verletzung des § 201a StGB können zudem Ansprüche auf Schadensersatz aus § 823 II folgen, MüKo/Rixecker Rn 5. Schutz gegen Aufnahmen in der Öffentlichkeit bietet die Norm jedoch nicht, Ernst NJW 2004, 1277, 1278. c) Schutz durch das APR. Inwieweit das bloße Anfertigen eines Bildnisses vom Schutz des APR umfasst wird, ist nicht völlig geklärt. Weitgehend Einigkeit besteht dahingehend, dass jedenfalls die unbefugte Aufnahme eines Bildnisses aus dem Bereich der Intimsphäre bzw Aufnahmen, welche die Menschenwürde des Einzelnen verletzen, das APR verletzt (KG NJW-RR 2007, 1196, 1198 – Paparazzo; LG München I NJW 2004, 617 – Nacktaufnahmen: Abbildung des nackten Körpers als besonders schwerer Eingriff; OVG Münster ZUM-RD 2013, 348, 350). Gleiches gilt in Fällen der Bildniserschleichung (zB Einsatz versteckter Kameras oder Paparazzi-Überwachungen; vgl hierzu Schertz AfP 2005, 421, 422f), also immer dann, wenn die Festlegung der äußeren Erscheinung einer Person heimlich, dh ohne Wissen und gegen ihren Willen sowie in der Absicht vorgenommen wird, das Bild der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Ernst NJW 2004, 1277, 1278; Frankfurt GRUR 1958, 508, 509 – Verbrecherbraut). Nur in Einzelfällen kann eine Bildniserschleichung im Interesse der Allgemeinheit zulässig sein (verneint: BGH GRUR 1957, 494, 497 – Spätheimkehrer; GRUR 1967, 205, 208 – Vor unserer eigenen Tür). Aber auch darüber hinausgehend wurde vereinzelt im Herstellen von Bildnissen, bspw durch Kameraüberwachung und Videoaufzeichnungen (BGH NJW 1995, 1955 – Videoüberwachung; NZM 2010, 373; LG München I ZWE 2012, 233; AG Tempelhof-Kreuzberg 1.3.2012 – 25 C 84/12), ein Eingriff in das APR bejaht, sog vorbeugender Bildnisschutz (BVerfG NJW 2000, 1021, 1022 – CvM; KG NJW-RR 2007, 1196, 1198 – Paparazzo), selbst dann, wenn keine Verbreitungsabsicht bestand (BGH NJW 1995, 1955, 1956 – Videoüberwachung). Nach KG NJW-RR 2007, 1196, 1198 – Paparazzo ist bspw die Anfertigung eines Fotos durch Journalisten jedenfalls dann unzulässig, wenn auch eine Verbreitung desselben in jedem nur denkbaren Kontext unzulässig wäre, oder wenn die Aufnahme so überraschend ist, dass sich der Betroffene nicht mehr darauf einstellen kann. Grds gilt jedoch, dass der Schutz keinesfalls weiter reichen darf als derjenige gegen eine Veröffentlichung, weshalb die von §§ 23f KUG geschützten Informationsinteressen analog zu berücksichtigen sind (Wandtke/Bullinger/Fricke § 22 KUG Rn 9; Dreier/Schulze § 22 KUG Rn 12). Ob im Einzelfall ein rechtswidriger Eingriff anzunehmen ist oder ein berechtigtes Interesse für die Bildaufnahme vorliegt (bspw kann ein schützenswertes Interesse bei Bildaufnahmen zu Beweiszwecken bestehen), ist unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und durch Vornahme einer die (verfassungs-)rechtlich geschützten Positionen der Beteiligten berücksichtigenden Güterund Interessenabwägung zu ermitteln. Ungeklärt ist ebenfalls, ob und inwieweit die permanente Verfolgung, bspw durch Paparazzi, eine Verletzung des APR darstellt (Ausfluss des Rechts, in Ruhe gelassen zu werden) bzw ob diese Art der Belästigung durch das GewSchG erfasst wird (hierzu ausf Walter ZUM 2002, 886, die sich i Erg für eine Einbeziehung „lästiger, nicht zu tolerierender Presseobservation“ ausspricht). Der BGH weist jedenfalls in seiner neueren Rspr darauf hin, dass es eine erhebliche Einschränkung des APR darstellen würde, wenn sich eine Person des öffentlichen Interesses nicht unbefangen in der Öffentlichkeit bewegen könnte, weil sie auch bei privaten Gelegenheiten jederzeit widerspruchslos fotografiert und mit solchen Fotos zum Gegenstand der Berichterstattung gemacht werden dürfte (BGH GRUR 2009, 665, 666 – Lebensgefährte von Sabine Christiansen); und auch BVerfG (NJW 2008, 1793) sowie BGH (NJW 2010, 3025 – Charlotte Casiraghi II: erhöhtes Schutzbedürfnis im Bereich der Bildberichterstattung) betonen ähnlich wie der EGMR (NJW 2004, 2647 – CvH/ Deutschland I), dass im Abwägungsprozess zugunsten des Schutzes des Privatlebens ebenfalls die Belästigungen (durch Paparazzi) und sonstige Umstände (bspw Ausnutzen von Heimlichkeit, beharrliches Nachstellen) berücksichtigt werden müssen, unter denen die veröffentlichten Fotos gemacht wurden (vgl auch BGH ZUM 2013, 132, 135 sowie EGMR NJW 2012, 1053 – CvH/Deutschland II). 10. Schutz der Anonymität im Kontext der Kriminalitätsberichterstattung. a) Allgemeine Grundsätze der Kriminalitätsberichterstattung. aa) Die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Zunächst ist festzustellen, dass die Gewährleistung der Menschenwürde auch für Personen gilt, die einer Straftat verdächtigt werden (BGH 24, 66

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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72 – Krankenkassenpapiere). Tatverdächtige und Beschuldigte sind daher grds Beteiligte und nicht Gegenstand eines Strafverfahrens, weshalb die Persönlichkeit der Betroffenen nicht – jedenfalls nicht über die bereits bestehenden gesetzlichen Beschränkungen hinaus – für die Verbrechensbekämpfung aufgeopfert werden darf (BGH NJW 1954, 649 – Lügendetektor). bb) Die Unschuldsvermutung. Bis zur rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung nach Art 6 147 EMRK (Begriff des „Angeklagten“ ist nicht rechtstechnisch zu verstehen, auch der Angeschuldigte/Beschuldigte wird erfasst), welche zwar als strafprozessuales Grundrecht keine unmittelbare, wohl aber mittelbare Drittwirkung hat (Bornkamm NStZ 1983, 102, 104) und insofern auch auf das APR ausstrahlt, welches der Berichterstattung über Strafverfahren im Einzelfall Grenzen setzen kann (s hierzu Trüg NJW 2011, 1040). Die Unschuldsvermutung führt jedoch nur dann zu einer Einschränkung der Medienberichterstattung, wenn die maßgeblichen Grundsätze der Verdachts- und Strafberichterstattung sowie die insofern bestehenden Sorgfaltspflichten nicht eingehalten wurden (BGH NJW 2000, 1036, 1037: Einhaltung der Grenzen zulässiger Verdachtsberichterstattung; ebenso Dresden 3.5.2012 – 4 U 1883/11; s auch BGH GRUR 2014, 693 – Sächsische Korruptionsaffäre; Köln 14.2.2012 – 15 U 132/11; Dresden NJW 2004, 1181, 1182; Köln NJW 1987, 2682, 2683; LG Köln GRUR-RR 2010, 491 – Kachelmann; LG Berlin AfP 2008, 216; Müller NJW 2007, 1617, 1618). S zur Unschuldsvermutung auch EGMR NJW 2016, 3225 – Cleve/Germany; NJW 2015, 37 – Karaman/Deutschland sowie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens bei feindseliger Pressekampagne EGMR NJW 2016, 3147 – Abdulla Ali/Vereinigtes Königreich. b) Verdachtsberichterstattung/Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren. aa) Allg Grundsätze der 148 Verdachtsberichterstattung (s hierzu auch Rn 105). Die Berichterstattung über den Verdacht einer Straftat gehört zum Zeitgeschehen (BVerfG 35, 202 – Lebach; NJW 2009, 350, 351 – Holzklotzfall; NJW 1993, 1463; BGH 143, 199, 201ff – Schleimerschmarotzerpack; NJW 2013, 1681, 1682; ZUM 2013, 399, 400 – Apollonia-Prozess; GRUR 2013, 94, 97 – Gazprom-Manager; Dresden NJW 2004, 1181, 1182; LG Berlin AfP 2008, 530; LG Köln GRUR-RR 2010, 491 – Kachelmann; Müller NJW 2007, 1617, 1618). Den Medien kommt insoweit die Aufgabe zu, die Öffentlichkeit über Straftaten und ihre Umstände umfassend zu informieren. Dies resultiert zum einen aus der Informationsfreiheit, Art 5 I 1 Hs 2 GG, und zum anderen aus dem legitimen demokratischen Bedürfnis nach Kontrolle der für die Sicherheit und Ordnung zuständigen Staatsorgane und Behörden (Braunschweig NJW 1975, 651, 652). Vor diesem Hintergrund darf die Presse insb der Aktualität wg auch Informationen verbreiten, an deren Zuverlässigkeit Zweifel bestehen (Anfangsverdacht), da sie sonst ihre durch Art 5 I GG verfassungsmäßig gewährleisteten Aufgaben nicht erfüllen kann (BGH 143, 199, 203 – Schleimerschmarotzerpack; NJW 1977, 1288 – Abgeordneten-Bestechung). Dies gilt in besonderem Maße dann, wenn schon entspr Verdächtigungen in die Öffentlichkeit gedrungen sind. Jedoch muss ein Mindestbestand an Beweistatsachen zusammengetragen werden, die der Information den erforderlichen Öffentlichkeitswert verschaffen (BGH ZUM-RD 2013, 323, 327; NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordneten-Bestechung; 143, 199, 201ff – Schleimerschmarotzerpack; Köln 14.2.2012 – 15 U 132/11; Düsseldorf 22.6.2011 – I-15 U 17/08; Hamburg ZUM 2010, 606, 607; KG ZUM 2008, 58, 58 – RütliSchule; LG Köln GRUR-RR 2010, 491 – Kachelmann; LG Köln 10.6.2015 – 28 O 564/14; hins der Namensnennung s LG Köln 20.4.2016 – 28 O 412/15; s hierzu auch Molle ZUM 2010, 331, 333; Lehr NStZ 2009, 409, 412 und NJW 2013, 728, 730; Gounalakis NJW 2012, 1473, 1475; Neuling HRRS 2006, 94, 98); zudem muss stets mitgeteilt werden, dass die Behauptungen noch nicht hinreichend nachgewiesen sind, Karlsruhe NJW-RR 2003, 688, 690; Gleiches gilt für entlastende Gesichtspunkte, damit der Leser sich selbst ein zutr Urt bilden kann (BGH NJW 2000, 656, 657 – Schmiergeld; Molle ZUM 2010, 331, 333; Hohmann NJW 2009, 881, 882). Nicht zuletzt soll – abgesehen von Fällen dringenden Tatverdachts (Celle NJW 2004, 1461 – Pressekonferenz; einschränkend insoweit Trüg NJW 2011, 1040: nur bei absoluten PdZ und sofern hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit) – bei bloßem Anfangsverdacht auch eine identifizierende Namensnennung unterbleiben (Gounalakis NJW 2012, 1473, 1475). Darüber hinaus muss die Berichterstattung den Erkenntnisstand der Ermittlungsbehörden zutr wiedergeben 149 und den Hinw enthalten, dass dem Verdacht mit pressemäßigen Mitteln nicht rechtzeitig auf den Grund zu kommen war (auch ein Boulevard-Blatt darf die Dinge nicht verzerrt darstellen, Düsseldorf NJW 1980, 599, 600f), wobei erhöhte Anforderungen an die publizistische Sorgfaltspflicht hins Wahrheit, Inhalt und Herkunft eines Verdachts bestehen (zur Pflicht, überholte Altmeldungen über einen Verdacht im Internet zu aktualisieren vgl Düsseldorf GRUR-RR 2011, 21; BGH GRUR 2013, 94, 97 – Gazprom-Manager). Die Sorgfaltspflichten sind umso höher, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird bzw je schwerer der Verdacht wiegt (BGH 143, 199, 201ff – Schleimerschmarotzerpack; NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordneten-Bestechung; NJW-RR 1988, 733, 734; ZUM-RD 2013, 323, 327; Hamburg ZUM 2010, 606, 607; München NJW-RR 1996, 1493, 1494 – Focus; NJW-RR 2002, 186; Dresden NJW 2004, 1181, 1182; LG Köln GRUR-RR 2010, 491 – Kachelmann; Lehr NStZ 2009, 409, 412; Hohmann NJW 2009, 881, 882; Müller NJW 2007, 1617). Wird offenbar, dass die Wahrheit sich nicht erweisen lässt, ist es zumutbar, kenntlich zu machen, dass verbreitete Behauptungen durch das Ergebnis eigenen Nachforschungen nicht gedeckt sind oder kontrovers beurteilt werden (BVerfG GRUR-Prax 2016, 412 – Doping-Vorwurf). Allerdings darf sich die Presse idR nach einer kritischen Prüfung auf die Wahrheit einer Behauptung verlassen, wenn diese aus einer sog privilegierten Quelle herrührt, die keine Zweifel an ihrer Richtigkeit aufkommen lässt (namhafte Nachrichtenagenturen, amtl Auskünfte, vgl bspw BGH ZUM-RD 2013, 323, 327: hierzu ausf Rn 163, 165; aber keine privilegierte Quelle bei Äußerungsexzess, so Widmaier/Lehr Rn 25). Des Weiteren ist grds eine StellungKlass

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Personen

nahme des Betroffenen einzuholen (BGH 143, 199, 201ff – Schleimerschmarotzerpack; KG AfP 2007, 576 – Rütli-Schule; LG Köln GRUR-RR 2010, 491 – Kachelmann; Lehr NStZ 2009, 409, 412; Hohmann NJW 2009, 881, 882) – nicht erforderlich ist dies jedoch, wenn der mutmaßliche Täter erklärt hat, sich grundsätzlich nicht äußern zu wollen, Köln ZUM 2012, 337 – Verdachtsberichterstattung über Vergewaltigungsprozess. Ein bloßes Interview-Angebot ist insofern nicht ausreichend (BGH NJW-RR 1988, 733, 734; Hamburg ZUM 2010, 606, 607; Dresden NJW 2004, 1181, 1182; Molle ZUM 2010, 331, 333); vielmehr ist erforderlich, dass dem Betroffenen substantiiert der den Verdacht begründende Sachverhalt zur Stellungnahme vorgelegt wird. Erfolgt eine Entgegnung, so muss diese in die Berichterstattung aufgenommen werden (Widmaier/Lehr Rn 28). Grds muss jedoch in jedem Einzelfall eine Abwägung der involvierten Interessen stattfinden. Dabei sind der Umstand und das Maß des Unerwiesenseins der Behauptungen, die Schwere des Eingriffs, die Stellung und das Verhalten des Betroffenen in der Öffentlichkeit und der Stand des Ermittlungsverfahrens zu berücksichtigen (Strafanzeige allein hat idR kaum Aussagekraft; je weiter das Ermittlungsverfahren vorangeschritten ist, desto eher geht das Informationsinteresse dem Geheimhaltungsinteresse vor, Dresden NJW 2004, 1181, 1182; BVerfG NJW 2007, 2686, 2687). Die Grenzen der Berichterstattung sind dabei umso enger, je größer das Risiko ist, dass sich die Beschuldigung als unwahr erweisen könnte (BGH NJW 1977, 1288, 1289 – Abgeordneten-Bestechung; 143, 199, 201ff – Schleimerschmarotzerpack; Dresden NJW 2004, 1181, 1182; München NJW-RR 1996, 1493, 1494 – Focus; Frankfurt NJW-RR 1996, 1490, 1491 – Monika Haas; Müller NJW 2007, 1617) und je schwerer und nachhaltiger das Ansehen des Betroffenen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird. Bei der Beurteilung, ob ein öffentliches Interesse besteht, ist jedoch maßgeblich das Selbstbestimmungsrecht der Presse zu beachten, welches das Recht umfasst, den Gegenstand der Berichterstattung frei zu wählen (BVerfG NJW-RR 2010, 1195). 150 Die konkrete Darstellung darf keine Vorverurteilung enthalten, also durch eine präjudizierende Darstellung den unzutr Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen strafbaren Handlungen bereits überführt (BGH 143, 199, 201ff – Schleimerschmarotzerpack; Frankfurt NJW-RR 1990, 989, 990; Hamburg ZUM 2010, 606, 607; München NJW-RR 2002, 186; Dresden NJW 2004, 1181, 1182; Braunschweig NJW 1975, 651, 652; Brandenburg NJW 1995, 886, 888; Hohmann NJW 2009, 881, 882). Ebenfalls dürfen keine Details aus der Ermittlungsakte preisgegeben werden, die zu einer Stigmatisierung des Verdächtigen führen könnten, da die Rehabilitation im Fall eines Freispruchs erheblich gefährdet ist, denn Ermittlungsakten erwecken typischerweise den Anschein, dass ein erhebliches Maß an Authentizität vorliegt (Ratio des § 353d Nr 3 StGB; LG Köln GRURRR 2010, 491 – Kachelmann). Die bis zur Verurteilung geltende Unschuldsvermutung legt der Presse daher angesichts der Prangerwirkung einer solchen Mitteilung besondere Zurückhaltung auf (München NJW-RR 1996, 1493, 1494 – Focus; Braunschweig NJW 1975, 651, 652; Köln 14.2.2012 – 15 U 131/11; LG Berlin NJW-RR 2003, 552; AfP 2008, 530; LG Köln GRUR-RR 2010, 491 – Kachelmann; Müller NJW 2007, 1617, 1618). 151 Unzulässig ist ebenfalls eine auf Sensation ausgehende, bewusst einseitige oder verfälschende Darstellung (München NJW-RR 2002, 186 mwN; LG Köln ZUM-RD 2013, 143, 144; ZUM-RD 2013, 402; Köln ZUM-RD 2016, 30 – Kachelmann). Äußerungen Dritter, insb auch Zitate (vgl hierzu auch Rn 90), dürfen im Kontext einer Verdachtsberichterstattung verbreitet werden, sofern an ihrer Verbreitung ein öffentliches Interesse besteht (Frankfurt NJW-RR 1996, 1490, 1492 – Monika Haas), für den Rezipienten deutlich ist, dass das verbreitete Zitat bzw die verbreitete Einschätzung nur ein Element eines ansonsten als offen dargestellten Verdachts ist (Hamburg ZUM 2010, 606, 607) und der Durchschnittsrezipient erkennen kann, dass es sich um eine Fremdäußerung handelt. Weitere ausdr Distanzierungen sind nicht erforderlich (München NJW-RR 1996, 1487, 1489; 1996, 1493, 1494 – Focus). Verfestigt sich jedoch der mitgeteilte Verdacht durch die Art der Darstellung zu einer mit Sicherheit oder großer Wahrscheinlichkeit zutr Nachricht, so wird – trotz formaler Vorbehalte – keine fremde Mitteilung verbreitet, sondern eine eigene Tatsachenbehauptung aufgestellt (München NJW-RR 1996, 1493, 1494 – Focus). Wurden die Sorgfaltsanforderungen eingehalten, genießt die aktuelle Berichterstattung idR Vorrang; stellt sich später die Unwahrheit der Äußerung heraus, ist diese als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, sodass weder Widerruf noch Schadensersatz in Betracht kommen (BVerfG NJW 1993, 1463; BGH 143, 199, 201ff – Schleimerschmarotzerpack; Braunschweig NJW 1975, 651, 652; Dresden NJW 2004, 1181, 1182; LG Berlin AfP 2008, 530; LG Köln GRUR-RR 2010, 491 – Kachelmann; ZUM-RD 2013, 143, 145; Molle ZUM 2010, 331, 334; Neuling HRRS 2006, 94, 98; Müller NJW 2007, 1617, 1618; Hohmann NJW 2009, 881, 882); eine zulässige Erstveröffentlichung begründet keine Wiederholungsgefahr (Molle ZUM 2010, 311, 334). 152 bb) Namensnennung des mutmaßlichen Täters im Rahmen eines Verdachts/Ermittlungsverfahrens. Dem allg Informationsinteresse der Öffentlichkeit wird idR auch ohne Namensnennung entsprochen (Frankfurt NJW-RR 1990, 989, 990; Bornkamm NStZ 1983, 102, 106), weshalb eine identifizierende Berichterstattung grds nur bei Fällen schwerer Kriminalität und bei Straftaten, die die Öffentlichkeit besonders berühren, in Betracht kommt (Braunschweig NJW 1975, 651, 652; Rostock AfP 2015, 350; Karlsruhe AfP 2015, 173, 176; Brandenburg NJW-RR 2003, 919, 920; München NJW-RR 2002, 404; Müller NJW 2007, 1617, 1618; LG Hamburg AfP 2010, 185, 186 – Ochsenknecht Söhne). Die Frage, ob es sich um einen Fall schwerer Kriminalität handelt, ist nicht abschließend durch die abstrakte Betrachtung des Strafrahmens der Delikte und ihre Einteilung in die Deliktskategorien Vergehen und Verbrechen determiniert, sondern ist auch von den Informationsinteressen der Öffentlichkeit abhängig; ein Fall schwerer Kriminalität kann daher auch dann bejaht werden, wenn mit erheblichen Freiheitsstrafen zu rechnen ist (Karlsruhe AfP 2015, 173, 176. Allerdings ist zu beachten, dass die Gefahr einer Stigmatisierung (BVerfG NJW 2009, 350, 352 – Holzklotz) des nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten gerade bei Taten schwerer Kriminalität sehr hoch ist. Ob und inwieweit die Namensnennung oder eine sonstige 68

Klass

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

Anh § 12

Identifizierung des Täters zulässig ist, kann jedoch stets nur durch Interessenabwägung im Einzelfall entschieden werden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Berichterstattung über eine Straftat unter Namensnennung, Abbildung oder Darstellung des Täters regelmäßig eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Täters darstellt, weil sein Fehlverhalten öffentlich bekannt gemacht und er in den Augen des Publikums negativ qualifiziert wird (BVerfG 35, 202 – Lebach; NJW 1993, 1463). Im Rahmen der Abwägung sind insb zu beachten: die Schwere und die Art der Tat (LG Berlin AfP 1999, 524 – Schweres Sexualdelikt; KG AfP 2006, 561 – WMHooligan; BGH 143, 199 – Schleimerschmarotzerpack; Braunschweig NJW-RR 2005, 195 für einen NPD-Schläger; nach BVerfG NJW 2010, 1195, 1197 – Hanfpflanze sowie NJW 2009, 350, 352 – Holzklotz kann die Schwere der Tat dabei nicht nur für das öffentliche Informationsinteresse, sondern auch bei der Gewichtung der entgegenstehenden Belange des APR Bedeutung erlangen; so wird bei sehr schweren Taten zwar einerseits ein hohes Informationsinteresse bestehen, andererseits aber auch eine besondere Gefahr der Stigmatisierung), die zeitliche Distanz zur Straftat, die öffentliche Bekanntheit und das Öffentlichkeitsinteresse (idR gegeben bei PdZ, vgl BGH NJW 2006, 599 – Ernst August v Hannover: 81 km/h zu schnell im Straßenverkehr; LG Köln GRUR-RR 2010, 491 – Kachelmann, denn sie stehen für bestimmte Wertvorstellungen und Lebenshaltungen, geben Orientierung und erfüllen eine Leitbild- oder Kontrastfunktion BGH NJW 2009, 757, 758; rein private Verfehlungen Prominenter begründen jedoch ein öffentliches Berichterstattungsinteresse nur, wenn die Straftat in einem funktionellen Zusammenhang steht, so Widmaier/Lehr Rn 18), die Motivation der Berichterstattung (Befriedigung der Neugier oder Information über gesellschaftlich relevante Taten), die Vorgeschichte sowie die Stellung des Täters im gesellschaftlichen Leben (BVerfG NJW 2006, 2835; ebenso BGH NJW 2006, 599, 600 – Ernst August v Hannover). Bei dürftiger Tatsachen- und Recherchegrundlage ist grds eine Anonymisierung vorzunehmen oder gänzlich von 153 einer Berichterstattung abzusehen (BGH 143, 199, 201ff – Schleimerschmarotzerpack; LG Köln v 5.12.2012 – 28 O 403/12; Gounalakis NJW 2012, 1473, 1475); bei Kleinkriminalität (hierzu BVerfG NJW 2009, 350, 352 – Holzklotz: die Geringfügigkeit eines Tatvorwurfs kann die Bedeutung einer Persönlichkeitsbeeinträchtigung mindern; Hamburg ZUM-RD 2012, 462; LG Münster BeckRS 2014, 01253) und bei Straftaten von Jugendlichen ist eine identifizierende Berichterstattung nur ausnahmsweise zulässig (BVerfG 35, 202 – Lebach; allerdings besteht keine Regelvermutung dahingehend, dass das Informationsinteresse bei Jugendlichen stets hinter dem Anonymitätsinteresse zurücksteht, NJW 2012, 1500 – Ochsenknecht-Söhne: Berichterstattung über strafrechtlich relevantes Verhalten zweier „Jungstars“ zulässig; ZUM 2010, 961 – Berichterstattung über die Hanfpflanze eines Politikersohnes zulässig; Müller NJW 2007, 1617, 1619), sofern der Beschuldigte eine herausgehobene Stellung einnimmt oder die Art der Straftat aus dem Rahmen fällt (BGH NJW 2006, 599, 600 – Ernst August v Hannover; NJW 2009, 757, 759; 143, 199, 201ff – Schleimerschmarotzerpack; Braunschweig NJW 1975, 651, 652; Dresden NJW 2004, 1181, 1182; LG Berlin NJW-RR 2003, 552; LG Köln GRUR-RR 2010, 491 – Kachelmann; Molle ZUM 2010, 331, 333; Müller NJW 2007, 1617, 1618), zB Tatbegehung als Rechtsanwalt/Organ der Rechtspflege (München NJWRR 2003, 111 – Rechtsanwalt, der wg Strafvereitelung angeklagt ist, darf mit abgekürztem Namen genannt werden) oder schwerwiegender Verkehrsverstoß eines Prominenten (BGH NJW 2006, 599 – Ernst August v Hannover). Zulässig ist eine identifizierende Berichterstattung auch, sofern der Betroffene im öffentlichen Bereich tätig ist, denn dann handelt es sich um einen Vorgang aus der Sozialsphäre (zB gewerblicher und politischer Betätigungsbereich); ebenfalls zu beachten ist das Interesse der Öffentlichkeit (BGH NJW-RR 1995, 301, 304; Müller NJW 2007, 1617, 1618). Hat sich die Öffentlichkeit des Namens bereits bemächtigt oder wurde bereits in anderen Medien unter voller Namensnennung berichtet (Frankfurt NJW-RR 1990, 989, 990), kann dies ebenfalls für die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung sprechen. Nach LG Berlin NJW-RR 2003, 552, 553 entfällt der Schutz der Privatsphäre und der Betroffene muss eine (grds nicht gerechtfertigte) identifizierende Berichterstattung hinnehmen, wenn er sich einverstanden zeigt, dass sein Anwalt ggü der Presse zum Prozessgeschehen Stellung nimmt. S auch BVerfG NJW 1998, 2889 zu identifizierenden Äußerungen seitens des Opfers: eine inzwischen 41-jährige Frau darf ihren Namen, der nach wie vor ihr Geburtsname ist, im Zusammenhang mit der öffentlichen Behauptung nennen (bei „Schreinemakers live“, „Emma“), ihr Vater habe sie als Kind sexuell missbraucht, denn der Verzicht auf die Nennung des Namens lasse die Persönlichkeit nicht unbeeinträchtigt und nehme am Schutz der Meinungsfreiheit teil. cc) Sonstige identifizierende Bildberichterstattung im Rahmen eines Verdachts/Ermittlungsverfahrens. Ob 154 neben der Namensnennung auch eine Bildberichterstattung zulässig ist, richtet sich nach §§ 22ff KUG (ausf hierzu Rn 167ff). Eine Veröffentlichung des Bildnisses einer Person ohne Einwilligung ist danach nur zulässig, wenn über ein Ereignis aus dem Bereich der Zeitgeschichte, § 23 I Nr 1 KUG, berichtet wird (KG NJW-RR 2007, 345, 346 – Unterweltkönig: die Festnahme eines Tatverdächtigen, der durch sein Verhalten in der Öffentlichkeit das Informationsinteresse auf sich gezogen hat, ist ein zeitgeschichtlich berichtenswertes Ereignis iSd § 23 I Nr 1 KUG; die Bildberichterstattung über einen Inhaftierten beim Hofgang ist unzulässig, Köln ZUM 2012, 703, 704) und der Betroffene insofern eine (relative) PdZ ist. Diese muss eine Veröffentlichung ihres Bildnisses jedoch nur in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit dem Ereignis, durch das sie bekannt geworden ist, hinnehmen (München NJW 1963, 658, 659 – Lebensmittelskandal; ggf anders, wenn es vorrangig um die Täterin als Person und nicht um die Tat geht, Hamburg NJW-RR 1986, 933). Beschuldigte und Straftäter sind idR dann als (relative) PdZ einzustufen, wenn die Schwere der begangenen Tat, die Person des mutmaßlichen Täters oder sonstige besondere Umstände die Tat deutlich aus der alltäglichen Kriminalität herausheben und die Straftat nicht nur von ganz untergeordneter Bedeutung für die Öffentlichkeit ist (Dresden NJW 2004, 1181, 1182; München NJW 1963, 658, 659 – Lebensmittelskandal; Hamburg NJW-RR 1986, 933; zB StrafKlass

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Personen

tat eines Polizisten, sexueller Missbrauch von Minderjährigen, LG Halle AfP 2005, 188, 190). Die bloße Gerichtsberichterstattung für sich allein macht ein Strafverfahren jedoch noch nicht zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis (München GRUR 1964, 42; NJW 1963, 658, 659 – Lebensmittelskandal). Grds ist Zurückhaltung angebracht. Dies gilt in besonderem Maße für die Ausstrahlung von Fernsehbildern. Für die öffentliche Fahndung mithilfe der Massenmedien bedarf es einer besonders sorgfältigen Prüfung nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität. Eine Unterstützung der polizeilichen Ermittlungen durch eine Berichterstattung/Sendung mit Namensnennung und Bildveröffentlichungen ist grds nur zulässig, wenn eine schwerwiegende Straftat und die strafprozessualen Voraussetzungen eines Haftbefehls und einer steckbrieflichen Fahndung (§§ 112ff, 131 StPO) vorliegen und eine entscheidende Ermittlungsförderung gerade durch die öffentliche Fahndung erwartet wird (vgl Hamburg NJW 1980, 842); zur Zulässigkeit einer eingeschränkt identifizierenden Verdachtsberichterstattung s Saarbrücken AfP 2017, 65. Zur Fernsehserie Aktenzeichen XY – ungelöst vgl München NJW 1970, 1745 m Anm Schmitt, 2026. c) Berichte über Strafverfahren. aa) Grundsätze für die Medienberichterstattung. Auch nach Zulassung der Klage kann eine identifizierende Berichterstattung über einen Angeklagten zu erheblichen Beeinträchtigungen führen, weshalb die Medien auch in diesem Stadium des Verfahrens einseitige, tendenziöse oder präjudizierende Stellungnahmen vermeiden müssen. Insb muss streng zw einem Verdacht, der Anklage und der erwiesenen Schuld unterschieden werden (s insofern auch die Richtlinien des Deutschen Presserats v 29.4.1958). Auch in diesem Stadium ist die Presse daher verpflichtet, genau und objektiv zu berichten und die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten zu wahren (BGH NJW 1979, 1041 – Exdirektor); nicht erforderlich ist jedoch – im Unterschied zur Verdachtsberichterstattung im Ermittlungsverfahren – die Einholung einer Stellungnahme, da das Gericht einen hinreichenden Tatverdacht bejaht hat (München NJW-RR 2003, 111 – Rechtsanwalt). bb) Namensnennung des mutmaßlichen Täters bei Bericht über Strafverfahren. Auch nach Zulassung der Klage gilt grds die Unschuldsvermutung, und es besteht die Gefahr der öffentlichen Anprangerung und Vorverurteilung (Frankfurt NJW-RR 1990, 989; Brandenburg NJW-RR 2003, 919, 920), weshalb auch vor Verkündung eines Urt stets eine sorgfältige Prüfung erforderlich ist, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit das Recht des Angeklagten auf Schutz seiner Persönlichkeit und Wahrung seiner Ehre (Geheimhaltungsinteresse) derart überwiegt, dass eine Berichterstattung in identifizierbarer Weise zulässig ist (München NJW-RR 2003, 111 – Rechtsanwalt; AG Charlottenburg AfP 2006, 595). Das ist insb dann anzunehmen, wenn es sich um einen Fall schwerer Kriminalität oder um eine die Öffentlichkeit besonders berührende Straftat handelt (BGH NJW 1994, 1950, 1952); außerhalb von Fällen der schweren Kriminalität kann eine Namensnennung jedoch zulässig sein, wenn eine „Verbindung von staatlichem Handeln mit dem strafbaren Verhalten von Amtsträgern“ besteht (LG Köln ZUM-RD 2013, 143, 145), oder wenn die Informationen nur und gerade im Zusammenhang mit dem Namen des Betroffenen ihren Informationswert erhalten (AG Charlottenburg AfP 2006, 595; KG AfP 2011, 76; Soehring GRUR 1986, 518, 522), das Informationsbedürfnis sich also gerade auf die Identität des mutmaßlichen Täters erstreckt; oder aber, wenn der Angeschuldigte die Begehung einer Straftat von öffentlichem Interesse einräumt bzw schwerwiegende Beweismittel vorliegen. Zu bedenken ist stets, dass der identifizierbare Angeklagte durch die Gerichtsberichterstattung in seinem Persönlichkeitsrecht erheblich beeinträchtigt und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert wird (München NJW-RR 2003, 111 – Rechtsanwalt); die Rücksichtnahmepflichten sind mithin besonders groß, wenn Fähigkeiten und der Charakter des Betroffenen zur öffentlichen Erörterung stehen (BGH NJW 1979, 1041 – Exdirektor; LG Berlin AfP 2008, 530; Soergel/Beater Anh IV § 823 Rn 179). Eine absolute Grenze der Berichterstattung ist auch hier die Intimsphäre. Nach BGH NJW 2013, 1681 unterliegen Äußerungen über sexuelle Vorlieben, die im Rahmen einer nichtöffentlichen Einlassung im Strafverfahren getätigt wurden, bei einer prominenten Person, die einer Sexualstraftat angeklagt wird, nicht dem absolut geschützten Kernbereich des Persönlichkeitsrechts. Ihre Verbreitung ist jedoch unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung auch angesichts des erheblichen öffentlichen Interesses an einem Strafverfahren unzulässig; s auch Köln ZUM-RD 2012, 206 m Anm Gostomzyk AfP 2012, 122; Ladeur ZUM 2012, 336. Nach BGH NJW 1988, 1984 (sexuelle Äußerungen am Arbeitsplatz) sind Presseorgane daher – jedenfalls bei Gerichtsverfahren ohne strafrechtlichen Einschlag – verpflichtet, alle ihnen möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um eine Identifizierung des Betroffenen durch die Leser auszuschließen. S zur Gerichtsberichterstattung bspw Hanske/Lauber-Rönsberg ZUM 2013, 264, 267f; Gostomzyk AfP 2012, 122. cc) Berichtigungsanspruch im Fall einer zulässigen Verdachtsberichterstattung: Im Fall einer zulässigen Verdachtsberichterstattung kann der Betroffene bei späterer Ausräumung des Verdachts und Fortwirken der Beeinträchtigung nur die nachträgliche Mitteilung (Nachtrag) verlangen, dass nach Klärung des Sachverhalts der berichtete Verdacht nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Es besteht kein Anspruch, dass auf die nachträgliche Mitteilung unter der Überschrift „Richtigstellung“ hingewiesen wird, BGH ZUM 2015, 248, 251; s auch Hamburg ZUM-RD 2015, 303: Anspruch auf Berichtigung, sofern der geäußerte Verdacht schwerwiegend und ehrabschneidend war und die damit verbundene Rufbeeinträchtigung nachweisbar fortwirkt. dd) Ton- und Bildaufnahmen aus dem Sitzungssaal. Ton- und Fernseh-, Rundfunkaufnahmen sowie Filmaufnahmen über und während Gerichtsverhandlungen aus dem Sitzungssaal sind gem § 169 S 2 GVG verboten. Nicht umfasst sind das Fotografieren und Zeichnen während der mündlichen Verhandlung. Ob vor, zw oder nach der Verhandlung fotografiert oder gefilmt werden darf, obliegt gem § 176 GVG ausschließlich der Disposition des Vorsitzenden im Rahmen seiner Sitzungsgewalt (BVerfG NJW 2001, 1633, 1636). § 169 S 2 GVG ist verfassungsgemäß (BVerfG NJW 2001, 1633; dazu Dieckmann NJW 2001, 2451; Huff NJW 2001, 1622; Stür70

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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ner JZ 2001, 699; Zuck NJW 2001, 1623; Gostomzyk JuS 2002, 228; BVerfG NJW 1996, 581 – n-tv; dazu Dörr NJW 1997, 1341, 1345; LG Berlin AfP 1994, 332; Fotografieren des Angeklagten kann ein rechtswidriger Eingriff sein, Hamburg ZUM-RD 2012, 462), insb liegt in dieser Begrenzung kein Grundrechtseingriff – vielmehr ist die Informationsquelle der „Gerichtsverhandlung“ von vornherein nur in dieser Form eröffnet (BVerfG NJW 2001, 1633, 1634). Allerdings sind Aufnahmen vor Beginn und nach Schluss der Verhandlungen sowie in den Verhandlungspausen (vgl BGH NJW 1970, 63 zu Aufnahmen im Fall der Abwesenheit der Angeklagten) vom Schutz der Presse- und Rundfunkfreiheit umfasst – der Vorsitzende hat daher im Einzelfall diese Grundrechte mit dem gebotenen Persönlichkeitsschutz abzuwägen. In der Honecker-Entscheidung (JZ 1995, 295 – Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal) hat das BVerfG erstmals das gänzliche Verbot der Fernsehberichterstattung aus dem Sitzungssaal außerhalb der Hauptverhandlung als unverhältnismäßigen Eingriff in die Rundfunkfreiheit angesehen und für verfassungswidrig erklärt. In jüngerer Zeit wird insb bei aufsehenerregenden Prozessen die sog Pool-Lösung angewandt. Danach werden idR einem Fernsehteam von drei Personen Fernsehaufnahmen im Sitzungssaal erlaubt, welches diese dann wiederum anderen Anstalten unter angemessenen Bedingungen zur Verfügung stellen muss. Zur Zulässigkeit von Fernsehaufnahmen anlässlich eines Strafverfahrens an den Verhandlungstagen außerhalb der Sitzungen BVerfG NJW 2012, 2178. Bzgl der Zugänglichkeit zu Gerichtsverhandlungen und der Verteilung knapper Sitzplätze s BVerfG NJW 2013, 1293, 1295. Zur Kritik an § 169 S 2 GVG s zB Mitsch ZRP 2014, 137; Fromm NJOZ 2015, 1193; Walther NStZ 2015, 383. Das Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte (EMöGG) soll die Regelung an die technischen und gesellschaftlichen Anforderungen der heutigen Zeit anpassen, s BT-Drs 18/10144 v 26.10.2016. Die Anordnung der Anonymisierung durch das Gericht (sitzungspolizeiliche Anordnung auf der Grundlage 158 des § 176 GVG) ist eine Beschränkung der Informationsmöglichkeit der Öffentlichkeit (BVerfG NJW 2009, 350, 351 – Holzklotzfall; BGH ZUM-RD 2011, 538). Sie ist idR gerechtfertigt, bspw wenn die Gefahr besteht, dass sich der Angeklagte ansonsten von dem Vorwurf der besonderen Verwerflichkeit des ihm vorgeworfenen Handelns selbst im Fall eines Freispruchs nur schwer befreien könnte (BVerfG NJW 2009, 350, 352 – Holzklotzfall; vgl auch NJW 2002, 2021 – El Kaida; NJW 2003, 2523 – Magnus G). Zu den Grundsätzen der Platzverteilung im Gerichtssaal für Journalisten s BVerfG NJW 2003, 500 – El Kaida II – sowie NJW 2013, 1293: Verpflichtung zur Bereitstellung einer angemessenen Anzahl von Sitzplätzen im Gerichtssaal für Vertreter ausl Medien, die einen besonderen Bezug zu den Opfern der sog NSU-Morde haben. Die Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung (§ 169 S 1 GVG) berechtigt zudem nur die im Gerichtssaal Anwesenden zur vollständigen Information über den Gang der Verhandlung. Sie gibt der Presse nicht die Befugnis, auch die nicht anwesende Öffentlichkeit über alle Einzelheiten zu unterrichten (Frankfurt NJW-RR 1990, 989, 990; Bornkamm NStZ 1983, 102, 105) – diese von der Presse geforderte Rücksicht findet ihren Ausdruck besonders im nahezu uneingeschränkten Verbot der Namensnennung. Opfer und Zeugen müssen die Berichterstattung in gewissem Umfang hinnehmen, weil anders ein faires Verfahren nicht gewährleistet werden kann (Grundgedanke des § 169 GVG; hierzu auch Rn 162). Es lässt sich nicht vermeiden, dass im Strafverfahren auch intime Dinge zur Sprache kommen können (Hamburg NJW 1975, 649, 651). Richter und Schöffen haben die Berichterstattung ebenfalls grds hinzunehmen (BVerfG NJW 2000, 2890, 2891 – Krenz; BVerwG ZUM 2016, 72; NJW 2015, 807), allerdings besteht ein Anspruch auf Schutz, der das Veröffentlichungsinteresse überwiegt, wenn die Veröffentlichung von Abbildungen eine erhebliche Belästigung oder eine Gefährdung ihrer Sicherheit durch Übergriffe Dritter bewirken könnte (BVerfG AfP 2008, 156; AfP 2007, 117). Zur Anonymisierung einer ursprünglich unzulässigen identifizierenden Berichterstattung in einem Online-Archiv s BGH GRUR 2016, 532 Rn 31. ee) Berichterstattung und Namensnennung des Täters nach Verurteilung. Nach rechtskräftigem Abschluss 159 des Strafverfahrens erlangt das Persönlichkeitsrecht wieder die Oberhand, und der Wunsch des Straftäters, „allein gelassen zu werden“, setzt dem Wunsch der Massenmedien sowie dem Bedürfnis des Publikums, seinen individuellen Lebensbereich zum Gegenstand der Erörterung oder gar der Unterhaltung zu machen, Grenzen – es besteht allerdings kein Anspruch auf „vollständige Immunisierung“ (BVerfG NJW 2000, 1859, 1860 – Lebach II; BGH NJW 2010, 2728, 2729 – Sedlmayr; anders noch BVerfG 35, 202, 232 – Lebach: „Recht darauf, allein gelassen zu werden“; zum Verfügungsrecht über die Darstellung des eigenen Lebensbildes vgl grds Rn 132ff; zur Namensnennung in Urt Frenz ZUM 2012, 453). Jedoch bleibt auch der schwere Straftäter ein Mitglied der Gemeinschaft mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Schutz seiner Individualität (BVerfG 35, 202, 232 – Lebach). Eine zeitliche Grenze ist allerdings nicht einheitlich fixiert, sondern muss im Einzelfall ermittelt werden (BVerfG 35, 202, 232 – Lebach; NJW 1993, 1463, 1464; BGH NJW 2009, 757, 760; KG NJW-RR 2008, 1625, 1628 – RAF; NJW-RR 2008, 492, 493), denn das berechtigte Informationsinteresse kann je nach Art und Schwere der Tat noch nachwirken – zudem kann es im Einzelfall eine gewisse Zeit dauern, um eine schwere Straftat, etwa in rechtlicher, kriminologischer, soziologischer oder ethischer Sicht hinreichend zu würdigen (Köln NJW 1987, 1418) und historisch aufzuarbeiten (etwa Taten der RAF, vgl KG NJW-RR 2008, 1625, 1628 – RAF; Frankfurt NJW-RR 2007, 988f; Berichterstattung unter Namensnennung fünf Jahre nach rechtskräftigem Urt zulässig; ebenso Bericht und Fotos aus der Sozialsphäre acht Jahre nach Verbüßung der Haft und vollzogener Wiedereingliederung, nicht aber Abbildung des aktuellen Wohnhauses, KG NJW-RR 2008, 1625, 1628 – RAF; unzulässig ebenfalls Bericht über Schwerverbrecher nach 13 1/2 Jahren, Hamburg NJW-RR 1986, 933). Sofern ein besonderes öffentliches Informationsinteresse besteht, soll im Einzelfall sogar über Details aus der aktuellen Lebenssituation (Sozialsphäre) berichtet werden dürfen (KG NJW-RR 2008, 1625, 1627 – RAF). Klass

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Im Grundsatz ist eine identifizierende Berichterstattung aber nur zulässig, sofern an der namentlichen Nennung ein aktuelles berechtigtes öffentliches Interesse besteht (BGH NJW 1962, 32; 1980, 1790, 1791; Frankfurt AfP 2016, 167, 169; LG Berlin AfP 1998, 418; s Mann AfP 2016, 119). In jedem Einzelfall ist der Gedanke der Resozialisierung zu beachten und zu prüfen, ob die Berichterstattung eine neue erhebliche oder zusätzliche Beeinträchtigung des Täters zu bewirken geeignet ist und ob die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und die Sicherung der privaten Existenz und Freiheit erschwert zu werden drohen (BVerfG 35, 202, 232 – Lebach; BGH NJW 2009, 757, 760; Hamburg AfP 2010, 270, 271 – Ehemalige Terroristin). Bei länger zurückliegenden Taten (Hamburg AfP 1994, 232), insb bei bereits verbüßten oder getilgten Strafen ist die Prangerwirkung der Namensnennung jedoch idR zu vermeiden (BVerfG 35, 202, 232 – Lebach; deswegen bedenklich insofern Frankfurt NJW-RR 1996, 1490 – Monika Haas; die neuere Verfilmung der Lebach-Morde trägt dem Rechnung, weshalb die Verfassungsbeschwerde der Täter erfolglos blieb, BVerfG NJW 2000, 1899 – Lebach II), dies gilt ebenso bei getilgten Vorstrafen (BVerfG NJW 1993, 1463). Zu einem möglichen „Recht auf Rückzug aus der Öffentlichkeit“ Alexander ZUM 2011, 382. ff) Berichterstattung und Namensnennung nach Freispruch. Das Recht der Medien zur Berichterstattung entfällt, sobald der Angeklagte rechtskräftig freigesprochen ist, denn der Freigesprochene hat grds ein Recht auf Anonymität, also einen Anspruch darauf, „in Ruhe gelassen zu werden“ (Brandenburg NJW-RR 2003, 919). Er kann sich daher auch dagegen wehren, dass über die Ausräumung des Tatverdachts und die Beendigung des Strafverfahrens berichtet wird, da hierbei zwangsläufig auch der Anklagevorwurf wiedergegeben würde (Brandenburg NJW-RR 2003, 919, 920). Nach BGH NJW 1972, 431 – Freispruch hat ein periodisch erscheinendes Presseorgan, das vor Rechtskraft über die erstinstanzliche strafgerichtliche Verurteilung unter Namensnennung berichtet hat, auf Verlangen des Betroffenen den das Strafverfahren abschließenden Freispruch mitzuteilen. Die Verpflichtung des Presseorgans kann sich dabei auf die Veröffentlichung einer entspr Erklärung des Betroffenen beschränken. d) Namensnennung von Opfern und Zeugen. Opfer von Straftaten, aber auch von Unglücksfällen und Katastrophen, sowie Zeugen sind in erhöhtem Maße schutzwürdig (Müller NJW 2007, 1617, 1618), weshalb die Medien bei der Berichterstattung äußerst sorgfältig und zurückhaltend vorgehen müssen. Nicht erlaubt ist eine auf Sensationen ausgelegte identifizierende Berichterstattung, welche die Opfer erneut in eine Opferrolle drängt. Dies gilt in besonderem Maße für Sexualstraftaten (Köln NJW 1987, 1418); aber auch in anderen Fällen kann eine nicht identifizierende Berichterstattung angebracht sein (Stuttgart NJW 1967, 1422: eine betrogene Bank muss zwar die Nennung ihres Namens dulden – aber nur in Ausnahmefällen darf auch der volle Name des Bankdirektors genannt werden; anders BGH NJW 1980, 1790: Der Träger eines seltenen Namens, dessen Bruder sieben seiner acht Kinder umgebracht hat, soll keinen Anspruch darauf haben, dass der Name bei der Berichterstattung über die Tat nicht genannt wird). e) Informationsverhalten von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Behörden. Eine organisierte und professionalisierte Informationspolitik der staatlichen Einrichtungen, insb der Strafjustiz, ist taugliches und unverzichtbares Mittel, um eine Vorverurteilung durch die Medien und damit verbundene Verletzungen des APR der Beteiligten zu verhindern (so auch Hassemer NJW 1985, 1921, 1928). aa) Öffentlichkeitsarbeit der Gerichte. Die Pflicht zur Öffentlichkeitsarbeit der Gerichte ergibt sich aus dem Rechtsstaatlichkeitsgebot unter Einschluss der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot sowie aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (BVerfG NJW 2015, 3708 Rn 20; vgl BVerwG NJW 1997, 2694 mwN; s zur Medienarbeit der Strafjustiz auch Trüg NJW 2011, 1040). Wesentlicher Bestandteil dieser Informationsverpflichtung ist die Pflicht zur Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen. Es handelt sich dabei um eine öffentliche, verfassungsunmittelbare Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt und damit eines jeden Gerichts (BVerwG NJW 1997, 2694). Gerichtliche Entscheidungen konkretisieren bestehende Gesetzesnormen und bilden das Recht fort (BVerwG NJW 1997, 2694; Huff NJW 2004, 403) – die Öffentlichkeit soll daher auch erfahren, wie das durch die Gerichte ausgefüllte und belebte Recht aussieht. Daher obliegt allen Gerichten kraft Verfassungsrechts die Aufgabe, der Öffentlichkeit diejenigen Entscheidungen zugänglich zu machen, an deren Veröffentlichung ein Interesse besteht oder bestehen könnte. Diese Pflicht bezieht sich nicht ausschließlich auf bereits rechtskräftige Entscheidungen, sie kann auch vor Rechtskraft greifen (BVerfG NJW 2015, 3708 Rn 20; vgl Putzke/Zenthöfer NJW 2015, 1777, 1778. Die Gerichte sind verpflichtet, eine herausgabefähige, dh insb anonymisierte und neutralisierte Fassung der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidungen bereitzuhalten, auf welche sowohl die Presse als auch Fachverlage zugreifen können (zur Neutralitätspflicht der Gerichte BVerwG NJW 1997, 2694; zum Zugang der Medien zu Gerichtsentscheidungen s Coelln AfP 2016, 308). Problematisch erscheint allerdings, dass insb im Bereich des APR selbst eine anonymisierte Veröffentlichung der Entscheidung (zur Namensnennung in Urt Frenz ZUM 2012, 453) zu einer erneuten Rechtsverletzung des Betroffenen führen oder bestimmte Vorgänge der Öffentlichkeit erneut zugänglich machen kann (vgl hierzu bspw die Entscheidung BVerfG NJW 2008, 39 – Esra, durch welche nach Erlass eines Buchverbots die Kenntnis einzelner Aspekte dieses Werkes ermöglicht wurden). Zur Problematik der Mitteilungen der StA an die Presse s Schnoor/Giesen/Addicks NStZ 2016, 256. bb) Presseauskünfte der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaften sind nach den Pressegesetzen der Länder (bspw § 4 NWPresseG, der Auskunftsanspruch ist über Art 5 I 1 GG verfassungsrechtlich abgesichert, Lorz NJW 2005, 2657, 2658; Becker-Toussaint NJW 2004, 414, 417) berechtigt und verpflichtet, die Presse über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu informieren (s auch Gounalakis NJW 2012, 1473 zur „Verdachtsbericht72

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erstattung durch den Staatsanwalt“ sowie Lehr NJW 2013, 728). Dabei hat stets eine Abwägung zw dem Informationsrecht der Presse und dem APR (Geheimhaltungsinteresse) des Betroffenen (Düsseldorf NJW 2005, 1791, 1799 – Mannesmann/Vodafone; BGH NJW 1994, 1950, 1951) zu erfolgen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine solche Information seitens der Staatsanwaltschaft erhebliche Wirkungen zeitigen kann – und dies, obwohl die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bereits auf Verdacht hin geschieht (BGH NJW 1959, 35, 36; NJW 1994, 1950, 1952; Düsseldorf NJW 2005, 1791, 1799 – Mannesmann/Vodafone). Die Staatsanwaltschaften müssen daher besonders sorgfältig agieren, insb da juristische Laien allzu leicht geneigt sind, die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens mit dem Nachw der zur Last gelegten Tat gleichzusetzen (BGH NJW 1994, 1950, 1952; Braunschweig NJW 1975, 651, 652; Neuling HRRS 2006, 94, 99) und ein unkritisches Vertrauen der Bevölkerung in Mitteilungen der Staatsanwaltschaft besteht (ähnlich auch BVerfG NJW 2010, 1195, 1197 – Hanfpflanze, sowie VG Wiesbaden AfP 2010, 416, 418 – Claudia Pechstein mit Blick auf eine Pressemitteilung des BKA). Zur zulässigen Verwendung der Begriffe „Apothekenlobbyist“ und „Datenklau“ iRd Pressemitteilung s VG Berlin ZUM-RD 2014, 256. Es muss daher stets geprüft werden, welchen Eindruck die Veröffentlichung in der Presse bei den Adressaten hinterlässt (BGH NJW 1959, 35, 36). Unnötige Bloßstellungen des Beteiligten oder anderer Betroffener, insb die Veröffentlichung intimer oder anprangernder Details sind zu vermeiden (BGH NJW 1994, 1950, 1952). Grds gilt, je detaillierter die Information durch die Ermittlungsbehörden ist, desto intensiver ist auch der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen (Lehr NStZ 2009, 409, 411). Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit genügt idR eine Auskunft ohne Namensnennung (entspricht § 23 I RiStBV, Hamm NJW-RR 2015, 936, 937). Eine namentliche Identifizierung im Ermittlungsstadium soll allenfalls bei PdZ gerechtfertigt sein, Düsseldorf NJW 2005, 1791, 1799 – Mannesmann/Vodafone; Neuling HRRS 2006, 94, 99. Zum Auskunftsanspruch hins der bei einem Strafverfahren Mitwirkenden s BVerwG ZUM 2016, 72; NJW 2015, 807. Zur zulässigen Mitteilung von Informationen, welche eine Identifizierung unschwer ermöglichen s Karlsruhe NJW-RR 2015, 670 Rn 28. Grds ist jedoch der Einzelfall maßgeblich. In die vorzunehmende Abwägung sollten insb einfließen: Art der Straftat, Öffentlichkeitsinteresse an der Tat, Person des mutmaßlichen Täters sowie Ausmaß des Tatverdachts. IÜ gelten die dargelegten Grundsätze der Verdachtsberichterstattung (Rn 148ff) auch für die Ermittlungsbehörden, welche unmittelbar an den Grundsatz der Unschuldsvermutung gebunden sind (s Hamm NJW-RR 2015, 936 – Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren; Bornkamm NStZ 1983, 102, 108; Lehr NStZ 2009, 409, 411; Widmaier/Lehr Rn 22). Eine Pflicht zur entspr Anwendung der Grundsätze ergibt sich zudem auch daraus, dass die presserechtliche Rspr den Ermittlungsbehörden die Qualität einer sog privilegierten Quelle (Auskünfte der Polizei und StA) zuspricht (Lehr NStZ 2009, 409, 411). Presse und Rundfunk dürfen in diesem Fall auf weitere Nachprüfung verzichten, wenn keine besonderen Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen (auch BVerfG NJW 2010, 1195, 1197 – Hanfpflanze betont, dass Verlautbarungen amtl Stellen, wie insb der Staatsanwaltschaft, ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden darf). Vor einer Pressemitteilung ist der Betroffene über die Einleitung des Ermittlungsverfahrens zu informieren (hierzu Düsseldorf NJW 2005, 1791, 1800 – Mannesmann/Vodafone), da ansonsten ggf das Gebot des fairen Verfahrens verletzt sein kann, weil bspw die Verteidigungsbereitschaft eingeschränkt ist; Lehr NStZ 2009, 409, 413; anders Becker-Toussaint NJW 2004, 414, 415f. Unrichtige Auskünfte über den Stand des Ermittlungsverfahrens können eine Amtspflichtverletzung begründen (Staud/Wöstmann § 839 Rn 662; vgl auch BVerwG NJW 1992, 62 – unrichtige Presseerklärungen eines Leitenden Oberstaatsanwalts). Aber auch der Pressesprecher der StA darf auf die Informationen aus dem Ermittlungsverfahren vertrauen und muss keine eigenen Ermittlungen anstellen, Hamm GRUR-RR 2015, 312 Rn 42. Zur presserechtlichen Beurteilung der Pressemitteilung einer Staatsanwaltschaft Hamm NJW-RR 2015, 936. f) Online-Archive. In Archiven von Zeitungen und Rundfunkanstalten finden sich zahlreiche Meldungen über 166 teils weit zurückliegende Ermittlungs- oder Strafverfahren, bei denen zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung oftmals selbst die identifizierende Namensnennung der Beteiligten zulässig war. Mit Wegfall des aktuellen Bezugs stellt sich die Frage, ob diese (nun nicht mehr aktuellen) Beiträge zulässigerweise in dem für Altmeldungen vorgesehenen Teil eines Internetportals („Online-Archiv“, zur Frage der urheberrechtlichen Zulässigkeit des Einstellens von Artikeln in ein Online-Portal s Brandenburg MMR 2013, 260) zum Abruf bereitgehalten werden dürfen. Nach BGH NJW 2010, 757 – Sedlmayr ist dies grds aufgrund einer umfassenden Abwägung des Persönlichkeitsrechts des Straftäters mit dem Recht der Meinungs- und Medienfreiheit des Medienunternehmens zu entscheiden, wobei zugunsten der Medien zu berücksichtigen ist, ob die Veröffentlichung der Meldung ursprünglich zulässig war. War dies nicht der Fall, ist auch das Bereithalten der Beiträge zum Abruf in einem Online-Archiv grds unzulässig, soweit der Beschuldigte weiterhin identifizierbar bezeichnet/dargestellt ist; ebenfalls gilt offenbar kein Regelschluss von der Zulässigkeit der Erstmitteilung auf die Zulässigkeit des Bereithaltens im Fall einer Einstellung nach § 170 II StPO, BGH GRUR 2016, 532 Rn 31, 39; krit Sajuntz GRUR-Prax 2016, 280. Zu beachten sei zudem, dass die Vermittlung des Zeitgeschehens, wozu auch aufsehenerregende Straftaten gehörten, Aufgabe der Medien sei, s auch BGH GRUR 2013, 200 – Apollonia-Prozess m Anm Himmelsbach K&R 2013, 82; Kirchberg GRUR-Prax 2013,237. Vor diesem Hintergrund ergebe sich auch ein Recht auf Anonymisierung nicht allein aufgrund des Zeitablaufs (zust Dörre GRUR-Prax 2011, 171, der auf die Passivität der Plattform und die geringe Breitenwirkung verweist; krit hingegen Hamburg ZUM-RD 2008, 69 sowie Verweyen/ Schulz AfP 2012, 442). Für die Zulässigkeit eines Angebots spreche jedenfalls, wenn die Meldung nur durch gezielte Suche auffindbar ist (zB Angebot eines Teasers auf einer als passive Darstellungsplattform geschalteten Website, die typischerweise nur durch sich aktiv informierende Nutzer zur Kenntnis genommen wird, NJW 2010, 757 – Sedlmayr; vgl LG Hamburg 9.1.2015 – 324 O 280/13) und erkennen lässt (zB aufgrund des Inhalts Klass

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und der URL), dass es sich um eine frühere Berichterstattung handelt. Dies ist insb der Fall, wenn die Meldung nicht in sonstiger Weise den Anschein der Aktualität oder der erneuten Berichterstattung aufweist. Abzuwarten bleibt, wie BVerfG und EGMR die Archiv-Rspr mit der Entscheidung des EuGH AfP 2014, 245 – Google Spain/ Gonzales, in welcher dieser den Blick von den Betreibern der Archive auf die Suchmaschinenbetreiber lenkte und eine Pflicht auf Löschung von personenbezogenen Daten in der Suchtrefferliste (De-Listung) etablierte, in Einklang bringen; s Stuttgart NJW-RR 2014, 423 zur Einordnung eines Wikipedia-Eintrags nicht als archivierte Altmeldung, sondern als „aktuelle“ Biografie, deren Zulässigkeit sich nach den Grundsätzen zur Verdachtsberichterstattung richtet und wofür keine Archivprivilegierung greift. Zum Bereithalten der Berichterstattung über ein zeitgeschichtlich relevantes Kapitalverbrechen s BGH GRUR 2013, 200. Zur Zulässigkeit des Bereithaltens nicht mehr aktueller, identifizierender Beiträge s BGH ZUM 2012, 675, 679 – rainbow.at II; s des Weiteren BGH NJW 2011, 2285. Zur Zulässigkeit des Bereithaltens von Archivmeldungen zum Stand des Ermittlungsverfahrens über eine namentlich bekannte Person s BGH NJW 2013, 229 – Gazprom-Manager – sowie Krüger/Backer WRP 2012, 1211. Nach BGH NJW 2010, 2432 – Spiegel-Dossier ist auch eine nur kostenpflichtig abrufbare, den Täter identifizierende Internet-Veröffentlichung aus der Druckausgabe eines Nachrichtenmagazins zulässig. Zur Pflicht, im Fall eines Hinw überholte Altmeldungen im Internet zu aktualisieren, s Düsseldorf GRUR-RR 2011, 21; vgl Köln GRUR-RS 2016, 05886 hins der zulässigen Bereitstellung einer alten Verdachtsberichterstattung und der Beifügung eines ergänzenden Hinweises sowie BGH GRUR 2016, 532. Nach BGH ZUM 2011, 239 muss der Betreiber eines kommerziell genutzten Bildarchivs vor der Weitergabe archivierter Fotos an die Presse grds nicht die Zulässigkeit der beabsichtigten Presseberichterstattung nach Maßgabe der §§ 22, 23 KUG prüfen. 11. Schutz vor unberechtigter Verbreitung und öffentlicher Zurschaustellung von Bildnissen: Das Recht am eigenen Bild Schrifttum: Alexander, Persönlichkeitsschutz und Werbung mit tagesaktuellen Ereignissen, AfP 2008, 556; Beuthien/Hieke, Unerlaubte Werbung mit dem Abbild prominenter Personen, AfP 2001, 353; Dreier/Spiecker, Die systematische Aufnahme des Straßenbildes, 2010; Eickmeier/Eickmeier, Die rechtlichen Grenzen des Doku-Dramas, ZUM 1998, 1; Engels/Schulz, Das Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte, AfP 1998, 574; Ernst, Urheber- und persönlichkeitsrechtliche Fragen zum Straßenpanorama, CR 2010, 178; Ernst-Moll, Das Recht am eigenen Bildnis – vor und vor allem nach dem Tode, GRUR 1996, 558; Frömming, Die Einwilligung im Medienrecht, NJW 1996, 958; Haug, Bildberichterstattung über Prominente, 2011; Klass, Bildberichterstattung über das Privat- und Alltagsleben Prominenter, ZUM 2008, 432; Klass, Zu den Grenzen der Berichterstattung über Personen des öffentlichen Lebens, AfP 2007, 517; Klass, Die neue Frau an Grönemeyers Seite – Ein zeitgeschichtlich relevantes Ereignis?, ZUM 2007, 818; Neumann-Duesberg, Bildberichterstattung über absolute und relative Personen der Zeitgeschichte, JZ 1960, 114; Schertz, Die Verfilmung tatsächlicher Ereignisse, ZUM 1998, 757; Schertz, Die wirtschaftliche Nutzung von Bildnissen und Namen Prominenter, AfP 2000, 495; Schulz/Jürgens, Das Recht am eigenen Bild, JuS 1999, 664; Unland, Die Verfilmung tatsächlicher Ereignisse – Persönlichkeitsrechtliche Grenzen, 2000; Wanckel, Foto- und Bildrecht, 2012.

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a) Rechtsgrundlage und Rechtsnatur. Das Recht am eigenen Bild (RaeB) ist das ausschließliche Recht des Einzelnen, über die Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung seines Bildnisses zu entscheiden. Es wird umfassend durch das KUG v 9.1.1907 geschützt, welches in Reaktion auf RG 45, 170 – Bismarcks Leiche geschaffen wurde. Das Recht am eigenen Bild, das mithin schon lange vor der Anerkennung des APR durch den BGH (13, 334 – Leserbrief) im Jahr 1954 anerkannt war, wird heute als eine unter Sonderschutz (§ 22 KUG) gestellte besondere Erscheinungsform des APR angesehen und gewährt dem Einzelnen die Befugnis, selbst zu bestimmen, ob, wann und wie er sich ggü der Öffentlichkeit oder Dritten darstellen will (BGH GRUR 1996, 227, 228). Das besondere Schutzbedürfnis ergibt sich nach Ansicht des BGH insb aus den real existierenden technischen Möglichkeiten, das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation von diesem abzulösen, es datenmäßig zu fixieren und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren (BVerfG NJW 2000, 1021 – CvM). Das RaeB schützt grds sowohl den Wert- und Achtungsanspruch der Persönlichkeit als auch kommerzielle Interessen (BGH 143, 214 – Marlene Dietrich; ZUM 2013, 132 – Playboy am Sonntag; eine kommerzielle Verwertung abl BGH ZUM 2012, 474). Die §§ 22ff KUG gehen dem APR vor, soweit ihr Regelungsbereich reicht (BGH 30, 7, 11 – Caterina Valente). Das APR findet jedoch neben dem RaeB Anwendung, wenn es im Kontext einer Bildnisveröffentlichung nicht nur um eine vom Schutzbereich der §§ 22ff KUG erfasste Persönlichkeitsrechtsverletzung geht (Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rn 2). Dies ist idR der Fall, wenn besondere, das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigende Umstände hinzutreten, wenn der Bildberichterstattung bspw ein beleidigender oder verfälschender Begleittext beigefügt ist (BGH NJW 1962, 1004: Bildnis eines unbescholtenen Seemanns mit dem Text „Lebenslänglich für Doppelmörder“; Koblenz NJW 1997, 1375: Abbildung eines unbeteiligten Priesters im Kontext eines Berichts über sexuellen Missbrauch von Kindern), der Betroffene herabgewürdigt, angeprangert oder sonst verächtlich gemacht wird (Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rn 85), es sich um eine Wahrheitsverletzung handelt, bspw weil das Bildnis bearbeitet wurde und der Eindruck entsteht, es bilde ein wahres Geschehen ab (BGH NJW 2006, 603 – Fotomontage; Hamburg ZUM 2013, 581; s auch Hamburg ZUM 2013, 582, das feststellt, dass insoweit eine unrichtige Information vorliege, welche unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut ist; s zum zivilrechtlichen Schutz der Persönlichkeit vor der Anfertigung manipulierter Fotografien auch Lüder, 2012), oder weil dem Bild falsche Bildunterschriften beigefügt werden. In diesen Fällen liegt neben der Verletzung des APR zugleich eine Verletzung berechtigter Interessen nach § 23 II KUG (Rn 188) vor, die einer nach § 23 I KUG bestehenden Abbildungsfreiheit grds entgegenstehen. Darüber hinaus kann das APR den Einzelnen auch vor der Herstellung eines Bildnisses schützen (hierzu ausf Rn 143ff). 74

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b) Das abgestufte Schutzsystem der §§ 22ff KUG. Die §§ 22ff KUG enthalten ein abgestuftes Schutzsystem, welches „sowohl dem Schutzbedürfnis der abgebildeten Person als auch den Informationswünschen der Öffentlichkeit und den Interessen der Medien, die diese Wünsche befriedigen, ausreichend Rechnung“ trägt (BVerfG NJW 2000, 1021 – CvM). In § 22 I KUG findet sich zunächst ein allg Verbotstatbestand, wonach Bildnisse grds nur mit Einwilligung (vgl hierzu ausf Rn 229ff) des Abgebildeten verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen (Stufe 1). §§ 23 I und 24 KUG enthalten jedoch – primär im Interesse der Öffentlichkeit an Information – Einschränkungen von dieser Grundregel (Stufe 2). Kommt eine der dort genannten Ausnahmen in Betracht, ist jedoch zu prüfen, ob nicht dennoch „berechtigte Interessen des Abgebildeten“ iSd § 23 II KUG verletzt werden, welche die Abbildungsfreiheit aufheben (Stufe 3). c) Der Verbotstatbestand des § 22 I KUG. aa) Bildnis. Ein Bildnis iSd § 22 KUG ist die erkennbare Wiedergabe des äußeren Erscheinungsbildes eines Menschen (Personenbildnis). Dabei ist es gleichgültig, auf welche (technische) Art und Weise das Bildnis hergestellt wurde, um welche Art von Bildnis es sich handelt und wie es verbreitet wird. Erfasst werden daher zB Fotografien, Zeichnungen (BGH 143, 214, 228 – Marlene Dietrich; LG München I AfP 1997, 559 – Pumuckl-Zeichentrickfigur), Karikaturen, Medaillen (BGH NJW 1996, 593 – Willy Brandt), Plastiken und Puppen, Film-, Fernseh- und Videoaufnahmen, Phantombilder, Fotomontagen (BGH NJW 2004, 596 – T-Sommer); umfasst ist aber auch die Darstellung durch Schauspieler, Doubles bzw. Doppelgänger (BGH NJW 2000, 2201, 2202 – Blauer Engel; Köln ZUM-RD 2015, 521, 523 – Quizshow) oder Look-Alikes (BGH 26, 52, 67 – Sherlock Holmes; LG Hamburg NJW-RR 2011, 1677; zum Einsatz von Doppelgängern und Look-Alikes s auch Gerecke GRUR 2014, 518). Grds entscheidet die Erkennbarkeit für Dritte darüber, als wessen Bildnis die Darstellung einer Person anzusehen ist (BGH NJW 2000, 2201, 2202 – Blauer Engel). Die Erkennbarkeit, die ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Bildnisschutzes ist, muss sich dabei nicht notwendig aus der Abbildung der Gesichtszüge ergeben, vielmehr genügt es, wenn andere besondere Merkmale (Bekleidung, Frisur, Mimik, Gestik), die Umgebung oder sonstige Einzelheiten zur Erkennbarkeit führen (BGH NJW 2000, 2201 – Blauer Engel; Stuttgart AfP 2014, 352 – Vater eines Amokläufers; KG AfP 2015, 250: nicht ausreichend ist es jedoch, wenn sich Erkennbarkeit aufgrund des Sonderwissens einer Zeugin ergibt). Zu berücksichtigen ist hierbei auch die dazugehörige Textberichterstattung. Erkennbarkeit kann daher auch trotz gepixeltem bzw „verkacheltem“ Gesicht gegeben sein (LG Frankfurt NJW-RR 2007, 115 – Pornofilm: zurückgekämmte, blonde Haare, Ohren mit Ohrschmuck, Gesichtsform, Kleidung, auffällige Statur des Oberkörpers; München AfP 1982, 230 – Liebesschule; Saarbrücken NJW-RR 2010, 346 – Drückerkolonne; Karlsruhe AfP 2015, 55: Erkennbarkeit zB aufgrund Körperform und Konstitution); keine Erkennbarkeit jedoch bei bloßer Veröffentlichung des KfzKennzeichens, AG Kerpen 4.11.2010 – 102 C 108/10). Erkennbarkeit ist grds zu bejahen, wenn ein mehr oder weniger großer Bekanntenkreis die abgebildete Person erkennt, wobei nach der Rspr bereits dann eine Persönlichkeitsbeeinträchtigung vorliegt, wenn der Abgebildete begründeten Anlass hat, anzunehmen, er könne durch die Art der Abbildung erkannt werden (zu alledem BGH NJW 1979, 2205 – Fußballtorwart mwN; KG AfP 2015, 250ff). Der Nachw, dass der Abgebildete tatsächlich erkannt worden ist, ist nicht erforderlich, BGH NJW 1962, 1004 – Doppelmörder. Nicht von §§ 22f KUG umfasst ist jedoch der Schutz des Lebensbildes, weshalb bspw der Anwendungsbereich der §§ 22f KUG nicht eröffnet ist, wenn in einem Film nicht das Bildnis einer Person veröffentlicht wird, sie also nicht erkennbar in ihrer wirklichen, dem Leben entspr äußeren Erscheinung wiedergegeben, sondern durch eine Schauspielerin dargestellt wird, ohne dass große äußerliche Ähnlichkeiten bestehen (LG Berlin ZUM 2008, 880 – Baader Meinhof; KG ZUM-RD 2009, 181), und ihre Identifizierung lediglich auf der Ähnlichkeit der Handlung und der Ereignisse beruht (LG Köln ZUM 2009, 324 – Der Baader Meinhof Komplex; aA Götting/Schertz/ Seitz, § 12 Rn 70ff, der die Darstellung eines Lebensbildes einer Person dem Anwendungsbereich des § 23 I Nr 4 KUG unterstellen will). Der Schutz des Lebensbildes wird mithin nicht von §§ 22ff KUG, sondern vom APR gewährleistet (Rn 132ff). bb) Abbildungen von Grundstücken, Häusern und sonstigen Sachen. Das RaeB (§ 22 KUG) schützt grds nur das Bildnis einer Person, nicht hingegen Abbildungen von deren Sachen (auch gibt es kein „Recht am Bild der eigenen Sache“ in Anlehnung an § 22 KUG, Köln NJW 2004, 619; zum partiellen Schutz s Wanckel NJW 2011, 1779; Flöter/Königs ZUM 2012, 383 zur Verletzung des „Rechts am grundstücksinternen Bild der eigenen Sache“ sowie BGH GRUR 2013, 623 m Anm Elmenhorst; ZUM 2011, 333; MMR 2011, 466 – Sanssouci), daher soll auch das Fotografieren eines Hauses grds frei sein (BGH NJW 1989, 2251 – Friesenhaus; LG Berlin ZUM-RD 2011, 418), wenn die Aufnahme von einer allg zugänglichen Stelle aus angefertigt wurde und die Abbildung des Anwesens nur das wiedergibt, was auch für den vor Ort anwesenden Betrachter ohne weiteres zu Tage tritt; insofern liegt auch keine Beeinträchtigung des APR vor (BGH NJW 1989, 2251, 2253; Brandenburg NJW 1999, 3339, 3340; LG Köln ZUM-RD 2010, 233); anderes gilt jedoch, wenn in die durch die Umfriedung des Grundstücks geschaffene Privatsphäre eingedrungen und das Recht der betroffenen Person auf Selbstbestimmung bei der Offenbarung ihrer persönlichen Lebensumstände beeinträchtigt wird (BGH NJW 2009, 3030 – Joschka Fischer; insoweit sind Aufnahmen für Google Street View (s auch Rn 172) zulässig, wenn keine Fotos unter Überwindung einer Umfriedung aufgenommen werden, KG MMR 2011, 414). Nach Düsseldorf (ZUM-RD 2008, 469 – Motoryacht) kann ebenfalls eine Beeinträchtigung des APR vorliegen, sofern ein falsches Bild über den Sachherrn vermittelt wird – jedoch muss sich eine bestimmte Interpretation des Bildes geradezu aufdrängen. Das Veröffentlichen und Verbreiten von Luftbildaufnahmen der Anwesen Prominenter unter Namensnennung ist nach BGH (NJW 2004, 762, 763 – Luftbildaufnahmen) zulässig, solange weder der Kernbereich der Privatsphäre Klass

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noch ihr räumlich gegenständlicher Schutzbereich nachhaltig beeinträchtigt werden; anders BVerfG (NJW 2006, 2836, 2837): Schutz des APR kann auf Veröffentlichung von Abbildungen erstreckt werden, die Einblick in die räumliche Privatsphäre als einem von öffentlicher Kontrolle und Beobachtung freien Rückzugsbereich ermöglichen; eine Beeinträchtigung des APR liegt daher jedenfalls dann vor, wenn zugleich die Identität der Bewohner offengelegt und der Weg zu dem Anwesen beschrieben wird (so auch KG ZUM 2001, 236, 238; s ebenfalls KG NJW 2005, 2321, das einen Unterlassungsanspruch gegen die Ablichtung und Verbreitung des Bildes eines Hauses von G. J. gewährte; nach Hamburg AfP 2006, 182 muss die Abbildung des Domizils eines Prominenten im Fernsehen, welche noch keine Identifizierung der Adresse ermöglicht, jedoch als geringer Eingriff der Rundfunkfreiheit weichen; Hamburg AfP 2012, 165 – KiK, betont zwar das schützenswerte Interesse des Einzelnen an einem Rückzugsort individueller Lebensgestaltung, bejaht jedoch im konkreten Fall ein überwiegendes Berichterstattungsinteresse). Nach der Luftbild-Rspr des BGH liegt jedenfalls dann ein Eingriff vor, wenn gegen den Willen des Betroffenen und unter Überwindung bestehender Hindernisse oder mit geeigneten Hilfsmitteln die Privatsphäre ausgespäht wird, um daraus ein Geschäft zu machen (BGH NJW 2004, 762 – Luftbildaufnahmen). Insgesamt ist trotz noch uneinheitlicher Rspr eine Tendenz der Gerichte erkennbar, Rechtschutz gegen die Abbildungen von Häusern zu gewähren, wenn die Verbreitung dieser geeignet ist, die Privatheit, das Rückzugsbedürfnis und die Sicherheit ihrer insb prominenten Eigentümer zu beeinträchtigen bzw zu gefährden (so auch Erman/Ehmann12 Rn 145). Das Berichterstattungsinteresse ist jedoch idR vorrangig, wenn der Betroffene sein privates Anwesen zuvor durch eine von ihm gebilligte Berichterstattung dem Anblick der Allgemeinheit geöffnet hat, so BVerfG NJW 2006, 2838 zu BGH NJW 2004, 762. Das ungenehmigte Fotografieren in einer Wohnung kann einen Eingriff in das APR darstellen, Düsseldorf NJW 1994, 1971; ebenso unerlaubte Aufnahmen mit versteckter Kamera in einem Zug der DB, KG NJW 2000, 2210. Das Filmen ausschließlich des eigenen Grundstücks mit einer Videokamera löst keinen Anspruch des Nachbarn auf Unterlassung aus; ein Schutz vor der Anfertigung zulässiger Abbildungen besteht insoweit nicht (BVerfG NJW-RR 2006, 1200 – Überwachungskamera). Anders liegt der Fall aber bei der bildlichen Aufzeichnung eines öffentlichen Wegs zw Nachbargrundstücken, auch, wenn keine Verbreitungsabsicht besteht (BGH NJW 1995, 1955, 1956), oder wenn die ernsthafte Befürchtung besteht, die auf einem Grundstück installierte Kamera zeichne benachbarte Privatgrundstücke, gemeinsame Zugänge oder öffentliche Bereiche auf, wobei die Befürchtung schon dann gerechtfertigt ist, wenn sie aufgrund konkreter Umstände nachvollziehbar und verständlich erscheint (zB Nachbarschaftsstreit) – in diesem Fall kann das APR schon aufgrund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein (BGH GRUR 2010, 949, 950 – Überwachungskamera). 172 Die Speicherung der Ablichtung von Häusern mit Straßennamen und Hausnummern auf Disketten kann datenschutzrechtlich unzulässig sein, wenn die Eigentümer ohne großen Aufwand (aus Adressbüchern, Tel-Disketten) ermittelt werden können (Erman/Ehmann12 Rn 145). Zur datenschutzrechtlichen und persönlichkeitsrechtlichen Zulässigkeit von Google Street View s Forgó/Krügel/Müllenbach CR 2010, 616; Lindner ZUM 2010, 292; Caspar DÖV 2009, 965; Hoffmann CR 2010, 514; Holznagel/Schumacher JZ 2011, 57; Weber NJOZ 2011, 673; sowie allg Dreier/Spiecker, Die systematische Aufnahme des Straßenbildes, 2010; zu urheberrechtlichen Fragen der Abbildung von Gebäuden, Denkmälern etc durch Google Street View Ernst CR 2010, 178. Grds ist bei der rechtlichen Beurteilung dieses Angebotes zu differenzieren zw der bloßen Zugänglichmachung von Aufnahmen, die lediglich den Bereich betreffen, der ohnehin der Öffentlichkeit zugewandt ist, Aufnahmen, die geeignet sind, ein falsches Bild über den Sachherrn zu vermitteln (Düsseldorf ZUM-RD 2008, 469 – Motoryacht), Aufnahmen, die Einblick in den Innenraum einer Wohnung oder eines umfriedeten Grundstücks gewähren und Aufnahmen, auf denen Personen erkennbar abgebildet werden (hierzu ausf Rn 169). Zudem kann sich eine Persönlichkeitsrechtsrelevanz aus einer möglichen Verknüpfung mit der Identität der Bewohner ergeben (zB Angabe von Namen, Adresse und Wegbeschreibung). 173 cc) Verbreiten und öffentliches Zurschaustellen. Als relevante Handlungsformen nennt § 22 I KUG das Verbreiten und öffentliche Zurschaustellen – nicht umfasst ist das Herstellen eines Bildnisses (hierzu Rn 143ff). Ein Verbreiten erfasst jede Art der Verbreitung körperlicher Exemplare (Original oder Kopie) in Zeitungen, Zeitschriften, auf Postkarten oder Werbeträgern, wobei auch schon ein Verbreiten im privaten Bereich vom Wortlaut der Norm erfasst ist (keine Verbreitungshandlung jedoch bei Abruf von Bildnissen durch Presseunternehmen aus Bildarchiv von Drittunternehmen, BGH ZUM 2011, 239, 240 – Bildarchiv) – der Begriff des Verbreitens iSd § 22 I KUG ist mithin weiter als der des § 17 I UrhG, welcher eine öffentliche Verbreitung verlangt. Der Grund hierfür liegt darin, dass der Betroffene selbst bei einer Verbreitung an nur eine Person die Kontrolle und Verfügungsgewalt über das Bildnis verliert und hierdurch in seinem Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt wird (Dreier/Schulze/ Specht § 22 KUG Rn 9). Unbeachtlich ist auch, ob das Verbreiten unentgeltlich oder mit Gewinnerzielungsabsicht erfolgt; auch das Verschenken fällt unter § 22 I KUG. Ein öffentliches Zurschaustellen liegt hingegen in den Fällen der unkörperlichen Wiedergabe von Bildnissen, bspw in Filmen oder im Internet, vor. Maßgeblich ist damit letztlich nur, ob eine Möglichkeit geschaffen wird, das Bildnis wahrzunehmen (Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rn 16). Kein öffentliches Zurschaustellen beim Hochladen von Bildern in eine „Cloud“, da es an einer Öffentlichkeit fehlt, der das Bildnis angeboten wird, LG Heidelberg ZUM-RD 2016, 385. Das Einstellen eines (Belegschafts-)Bilds auf einer Homepage im Internet kommt dem öffentlichen Zurschaustellen iSd § 22 S 1 KUG gleich, LAG Rh-Pf ZUM 2013, 699. Krit zum „öffentlichen Zurschaustellen“ bei Bildnissen in sozialen Netzwerken Ohly AfP 2011, 428, 429f. Auch diese Tatbestandsalternative erfordert weder Entgeltlichkeit noch Gewerbsoder Geschäftsmäßigkeit (Dreier/Schulze/Specht § 22 KUG Rn 9; Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rn 16). 76

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dd) Der Einwilligungsvorbehalt. Soweit keine Ausnahmetatbestände (§§ 23, 24 KUG) eingreifen, ist das Verbreiten und öffentliche Zurschaustellen nur mit Einwilligung des Abgebildeten zulässig (zur Rechtsnatur und der damit zusammenhängenden Frage, inwiefern die Vorschriften der Rechtsgeschäftslehre auf die Einwilligung Anwendung finden, ausf Rn 229ff). Die Beweislast für das Vorliegen einer Einwilligung trägt grds der Einwilligungsempfänger, es sei denn, der Abgebildete hat dafür, dass er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhalten; in diesem Fall gilt nach § 22 S 2 KUG die Einwilligung im Zweifel als erteilt (Ablehnen der Vermutung bei Veröffentlichung eines Nacktbildes eines Modells: Lohn als Gegenleistung für Modellarbeit, nicht für Anfertigung von Fotografien, LG Düsseldorf ZUM-RD 2012, 407, 409). Die Vermutung entbindet jedoch nicht von der Prüfung des Umfangs und Zwecks der Einwilligungserteilung (München ZUM 2006, 937, 939 – Fotomodell; hierzu auch ausf Rn 232). Nach dem Tod des Abgebildeten bedarf es bis zum Ablauf von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten – § 22 S 3 KUG normiert insoweit ausdr einen postmortalen Bildnisschutz, beschränkt die Geltendmachung des Schutzes jedoch auf die in § 22 S 4 KUG bezeichneten Angehörigen. Eine Geldentschädigung der Angehörigen abl BGH ZUM 2012, 474 (s hierzu auch Rn 320). d) Ausnahmetatbestand: Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte, § 23 I Nr 1 KUG. Vorbehaltlich der Einschränkung durch die berechtigten Interessen des Abgebildeten gem § 23 II KUG ist nach § 23 I Nr 1 KUG das Verbreiten und öffentliche Zurschaustellen von Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte auch ohne eine Einwilligung des Betroffenen zulässig. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass das legitime Informationsinteresse der Allgemeinheit an einer Berichterstattung aus dem Bereich des Zeitgeschehens und damit die Unterrichtung über soziale, wirtschaftliche, politische, aber auch kulturelle und gesellschaftliche Fragen angemessen befriedigt werden kann (Dreier/Schulze/Specht § 23 KUG Rn 3; Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rn 26). Umfasst sind hierbei auch Veranstaltungen, die allein regional oder lokal von Bedeutung sind (BGH ZUM-RD 2014, 480 – Mieterfest). aa) Aufgabe der Kategorien „absolute“ und „relative“ Person der Zeitgeschichte (s hierzu auch Rn 37ff). Im Rahmen der Auslegung dieser Normen bediente sich die Rspr in den vergangenen Jahrzehnten in Anlehnung an Neumann-Duesberg (JZ 1960, 114) der Rechtsfiguren der „absoluten“ und „relativen“ PdZ, zw denen es jedoch keine starre Grenze gab. Als absolute PdZ wurden dabei Personen angesehen, die selbst Zeitgeschichte machen und die sich aufgrund ihrer Stellung, ihrer Leistungen oder Nichtleistungen, ihrer Taten oder ihrer Geburt aus der Gruppe der Mitmenschen abheben und im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen (Dreier/Schulze/Specht § 23 KUG Rn 5; vgl BGH NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; NJW 2002, 2317 – Marlene II). Zu den absoluten PdZ zählten insb Persönlichkeiten des politischen Lebens, vor allem Staatsoberhäupter und Politiker (BVerfG 91, 125, 138 – Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal; BGH NJW 1996, 593 – Willy Brandt; bestätigt BVerfG NJW 2001, 594 – Willy Brandt; KG ZUM-RD 2006, 552 – Ministerpräsidentin; KG AfP 2007, 573 – Joschka Fischer), aber auch Mitglieder regierender Königs- und Fürstenhäuser, wie bspw Caroline v Hannover (vormals Monaco; nicht jedoch der Enkel von Fürst Rainier von Monaco: KG ZUM-RD 2006, 549), sowie Repräsentanten aus Wirtschaft (BGH NJW 1994, 124 – Alle reden vom Klima) und Wissenschaft sowie Künstler, Entertainer (BGH GRUR 1992, 557 – Talkmaster-Foto, Joachim Fuchsberger; München AfP 1995, 658, 660 – Anne-Sophie Mutter; LG Berlin AfP 2001, 246 – Nina Hagen), Schauspieler (BGH 143, 214 – Marlene Dietrich), Sänger (BGH NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; Hamburg AfP 1999, 486 – Back Street Boys) und Sportler (Frankfurt NJW 1989, 402 – Boris Becker; LG Hamburg ZUM 2003, 689 – Oliver Kahn), die über einen längeren Zeitraum im Licht der Öffentlichkeit stehen. Absolute PdZ waren nach der bisherigen Rspr mithin Personen, bei denen ein zeitgeschichtliches Interesse allein schon aufgrund ihres Status, ihrer Herkunft und ihrer Bedeutung für die Gesellschaft angenommen wurde, Personen also, die allein aufgrund ihrer Prominenz und unabhängig von einem zeitgeschichtlichen Ereignis Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit fanden und auch finden durften. Und auch wenn das BVerfG (NJW 2008, 1793, 1798 – CvH/Deutschland IV) betont, bei dieser Rechtsfigur habe es sich lediglich um eine abkürzende Umschreibung für Personen gehandelt, deren Bild die Öffentlichkeit um der dargestellten Person willen für beachtenswert halten durfte, dessen Verwendung jedoch nur dann als verfassungsgemäß bezeichnet werden konnte, wenn die ergänzende einzelfallbezogene Abwägung zw dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und den berechtigten Interessen des Abgebildeten dadurch nicht unterlassen wurde, so muss doch konstatiert werden, dass in der Praxis gerade eine am Informationsinteresse orientierte Einzelfallabwägung meist unterlassen wurde. Der Kategorie „absolute PdZ“ wurden ja gerade nur Personen zugeordnet, bei denen die implizite Abwägung ein grds Interesse der Allgemeinheit und damit ein Informationsinteresse ergeben hatte; der prominente Status einer Person reichte in der Vergangenheit daher meist aus, um sie abzubilden (so auch Götting/Schertz/Seitz, § 12 Rn 38; Teichmann NJW 2007, 1917, 1918). Als relative PdZ hingegen wurden Personen eingestuft, die lediglich in Bezug auf ein bestimmtes Ereignis vorübergehend in das Blickfeld der Öffentlichkeit getreten sind. Ein berechtigtes Informationsinteresse der Allgemeinheit an diesen Personen bestand daher nur im Zusammenhang mit einem konkreten Anlass und nur für eine begrenzte Zeit. Folgende Fallgruppen wurden im Laufe der Zeit gebildet: Zeitlich begrenzte berufliche/ gesellschaftliche Prominenz (Schauspieler, Entertainer, Sportler, deren Wirken in der Öffentlichkeit nur für kurze Zeit wahrgenommen wurde, LG Berlin AfP 1999, 91 – Gute Zeiten, schlechte Zeiten); Beteiligte an spektakulären Kriminalprozessen, die sich aufgrund der Tatbegehung, der Schwere der Tat oder der Person des Täters deutlich von alltäglichen Kriminalfällen abgehoben haben (Angeklagte, sonstige Verfahrensbeteiligte, idR jedoch nicht die Opfer; vgl Wenzel/v Strobel-Albeg, 8.23; Götting/Schertz/Seitz, 2008, § 12 Rn 43f; KG NJW-RR 2008, 492 – RAF sieht selbst die Veröffentlichung der Fahndungsfotos von RAF-Terroristen aus den 1970er und Klass

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1980er Jahren auch heute noch als zulässig an: die Aufarbeitung der Geschichte der RAF gehört als solche zu einem bedeutenden zeitgeschichtlichen Vorgang, zudem geben die Archivaufnahmen der RAF ein Gesicht – an einer „solchen Visualisierung der – ansonsten nur abstrakt als terroristische Vereinigung bekannten – RAF besteht angesichts der herausragenden Bedeutung der Geschichte der RAF ein anhaltendes Informationsinteresse“; KG, 493 aaO). Im Einzelfall kann selbst die Veröffentlichung des Fotos eines Tatverdächtigen zulässig sein (Frankfurt NJW 1971, 47 – Aktenzeichen XY ungelöst). Zu Möglichkeiten und Grenzen der Verdachtsberichterstattung ausf Rn 148ff). Familienangehörige, langjährige Lebensgefährten und vertraute Begleiter absoluter PdZ wurden ihrerseits als relative PdZ qualifiziert – Berichterstattungen über die Begleitperson waren zulässig, da die Begleitsituation selbst als ein Ereignis der Zeitgeschichte iSd § 23 I Nr 1 KUG angesehen wurde (Hamburg NJW-RR 1990, 1000 – Vertraute Begleiterin sowie BVerfG NJW 2001, 1921 – Ernst August v Hannover). Auch das BVerfG stellte insofern fest, dass Bildnisse von einer Begleitperson veröffentlicht werden dürfen, wenn diese „zusammen mit dem betreffenden Partner in der Öffentlichkeit auftritt, oder wenn sie mit ihm zusammen oder an seiner statt öffentlich repräsentiert“, denn dann bestehe ein „abgeleitetes Interesse der Öffentlichkeit, das nicht um der abgebildeten Person willen, sondern wegen des Interesses an der absoluten PdZ besteht“, welches aber insofern auf die abgebildete Begleitung ausstrahle. Das Verhalten der Begleitperson könne im Einzelfall aber auch dazu führen, dass ein eigenständiges Interesse an ihr entstehe und sich die Berichterstattung verselbständige, weshalb die Grenzen zw einer relativen und einer absoluten PdZ fließend seien (BVerfG NJW 2001, 1921, 1923 – Ernst August v Hannover; zur aktuellen Rspr s Rn 182). bb) Relativierung der absoluten Person der Zeitgeschichte (abgestuftes Schutzkonzept). Infolge des EGMRUrteils (NJW 2004, 2647 – CvH/Deutschland I, s hierzu Rn 38ff) entwickelte der BGH (NJW 2007, 1981 – Ernst August v Hannover) ein modifiziertes abgestuftes Schutzkonzept (s dazu auch Rn 41f), welches in noch stärkerem Maße sowohl der abgebildeten Person als auch den von den Medien wahrgenommenen Informationsinteressen Rechnung trägt. Insb veränderte der BGH die Konturen der Figur der absoluten PdZ erheblich, indem er das Absolute relativierte und damit die Person der absoluten Zeitgeschichte in der Form, in der sie die Rsprpraxis der letzten Jahre dominierte, abschaffte. Wenn jetzt neben dem prominenten Status stets ein besonderes Ereignis und damit eine zusätzliche zeitgeschichtliche Relevanz für eine zulässige Berichterstattung erforderlich ist, unterscheidet sich die absolute fast nicht mehr von der relativen PdZ. Die Tatsache, dass der BGH nur noch von der „PdZ“ spricht, kann daher durchaus schon als ein erstes Zeichen für diese neue Praxis gewertet werden (hierzu ausf Klass AfP 2007, 517; zur aktuellen Kasuistik Rn 50). cc) Der Informationswert der Berichterstattung/Einbeziehung der Wortberichterstattung. Nach der Rspr des BGH (NJW 2007, 1981 – Ernst August v Hannover; bestätigt durch BVerfG NJW 2008, 1793, 1797 – CvH IV; des Weiteren BGH NJW 2008, 3134 – Heide Simonis; NJW 2008, 3141 – Kenia-Bilder; NJW 2008, 3138 – Sabine Christiansen) kommt eine Ausnahme nach § 23 I Nr 1 KUG nur noch in Betracht, wenn die Berichterstattung ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung betrifft, wobei nicht nur Vorgänge von historischpolitischer Bedeutung, sondern allg das Zeitgeschehen erfasst ist (BGH GRUR 2010, 549 – Spiegel-Dossier; BVerwG NJW 2012, 2676: Polizeieinsatz als zeitgeschichtliches Ereignis; zum Fehlen eines zeitgeschichtlichen Bezugs Köln ZUM-RD 2012, 675, 678f – Hofgang in einer Justizvollzugsanstalt). Es ist daher stets zu prüfen, ob der konkreten Abbildung an sich eine Information über ein zeitgeschichtliches Ereignis zu entnehmen ist, oder ob die Abbildung an sich einen Beitrag zu einer Diskussion von allg Interesse leistet (s jedoch BVerfG ZUM-RD 2015, 504: Die Interessen von Personen, die zufällig abgebildet werden, müssen hierbei nicht stets zurücktreten, vielmehr ist grds eine Interessenabwägung erforderlich). Das BVerfG (ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi) betont ebenfalls, dass im Bereich der Berichterstattung über Prominente auch Darstellungen von Umständen aus dem Alltagsleben dieser Personen geeignet sein können, die Veröffentlichung eines Fotos zu rechtfertigen, jedenfalls sofern die Veröffentlichung der Meinungsbildung zu Fragen von allg Interesse dient, insbesondere kann auch Unterhaltung Realitätsbilder vermitteln und Gesprächsgegenstände zur Verfügung stellen, an welche sich Diskussionsprozesse anschließen, die bspw auf Einstellungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster einzelner Menschen Einfluss nehmen können, weshalb auch unterhaltenden Beiträgen eine wichtige gesellschaftliche Funktion zukommt. Vor diesem Hintergrund umfasst der Schutzbereich der Pressefreiheit auch unterhaltende Beiträge über das Privat- und Alltagsleben von Prominenten und ihres sozialen Umfeldes (BVerfG NJW 2008, 1793, 1796 – CvH IV; ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi). Mit Blick auf den erforderlichen Informationswert müsse zudem grds die dazugehörige Wortberichterstattung in die Beurteilung einfließen (zum Zurückstehen des APR hinter der Meinungsfreiheit BVerfG NJW 2012, 756; s auch EGMR NJW 2012, 1053 – CvH/Deutschland II: Einordnung des Gesundheitszustandes des Fürsten Rainier III. von Monaco und das Verhalten der Familienmitglieder während seiner Erkrankung als zeitgeschichtlich relevantes Ereignis angemessen; krit dazu Lehr GRUR 2012, 745; Schertz NJW 2013, 721, 727, beide insb auf die Manipulations- und Missbrauchsgefahr dieser Rspr verweisend). Beschränkt sich der Bericht jedoch darauf, einen beliebigen Anlass für die Abbildung zu schaffen, und lässt die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung nicht erkennen, muss das Veröffentlichungsinteresse hinter dem Schutz der Privatsphäre zurücktreten (BGH ZUM-RD 2009, 517 – Wer wird Millionär: Bebilderung eines Rätselheftes mit einem Titelfoto von Günther Jauch; GRUR 2011, 261 – Party-Prinzessin; ähnlich auch BGH NJW 2013, 793 – Playboy am Sonntag; abgelehnt im Fall BGH GRUR 2013, 1065, 1066 – Eisprinzessin Alexandra von Hannover, da trotz Konzen-

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tration des Berichts auf die Klägerin noch ausreichender Bezug zum Ereignis; LG München I ZUM-RD 2014, 172). Kasuistik: S hierzu bspw BGH NJW 2008, 3134 – Heide Simonis: Zurückweisung eines Anspruchs auf Unter- 180b lassung der Veröffentlichung von Bildern, welche Heide Simonis am Tag nach ihrem Amtsverlust bei privaten Einkäufen zeigen; BGH NJW 2008, 3141 – Kenia-Bilder: Zurückweisung einer Klage von Caroline v Hannover gegen die Veröffentlichung eines Bildes, welches sie und ihren Ehemann auf einer belebten Straße in Kenia zeigt und das zur Bebilderung einer Wortberichterstattung über Vermietungsangebote prominenter Personen diente; BGH NJW 2008, 3138 – Shopping mit der Putzfrau auf Mallorca: Bestätigung des KG-Urt, welches dem Antrag von Sabine Christiansen auf Unterlassung der Veröffentlichung eines Bildes, das sie und ihre Putzfrau bei Einkäufen auf einem Markt in Mallorca zeigt, stattgegeben hatte; BGH GRUR 2009, 665 – Lebensgefährte von Sabine Christiansen: Verbot der Veröffentlichung von Fotos, die eine Person des öffentlichen Interesses mit einem neuen Partner zwar in der Öffentlichkeit, aber in einer erkennbar privaten Situation zeigen, sofern kein zu berücksichtigendes Informationsinteresse besteht; BGH NJW 2009, 757 – Karsten Speck: Eine Bildberichterstattung über den Strafvollzug kann durch ein Bedürfnis nach demokratischer Kontrolle der Strafvollstreckungsbehörden gestattet sein; BGH NJW 2009, 1499 – Andrea Casiraghi: Zulässigkeit der Veröffentlichung von Bildern des potentiellen Thronfolgers Andrea Casiraghi, die diesen kurz nach der Beisetzung des Fürsten Rainier v Monaco im Rahmen eines Portraits zeigen; BGH GRUR 2011, 259 – Rosenball in Monaco: Zulässigkeit der Veröffentlichung kontextbezogener Fotos von Charlotte Casiraghi: der Rosenball ist ein zeitgeschichtliches Ereignis; BGH ZUM 2012, 140 – Charlotte Casiraghi: Veröffentlichung von Fotos anlässlich des Besuchs einer Vernissage sind zulässig; BGH GRUR 2013, 1065 – Eisprinzessin: Teilnahme von Alexandra v Hannover an einem Eislaufturnier in Toulon ist zeitgeschichtliches Ereignis; BGH NJW 2013, 793, 796 – Playboy am Sonntag: Abbildung eines Prominenten an Deck einer Jacht in einem öffentlich einsehbaren Jachthafen; BGH GRUR 2014, 804: Zulässige Bildberichterstattung über Mieterfest einer Wohnungsbaugenossenschaft in einer an ihre Mieter gerichteten Informationsbroschüre; OLG Köln ZUM 2016, 290: Bildberichterstattung über Krankenhausbesuch mit Bezug zu zeitgeschichtlichem Ereignis (Michael Schumacher); Stuttgart AfP 2014, 352: Kontextneutrale Abbildung des Vaters eines Amokläufers kann gerechtfertigt sein; Köln ZUM 2016, 443, 444: Unzulässige Darstellung einer Schauspielerin mit „Babybäuchlein“ im privaten Rückzugsort (Trailerpark) bei Dreharbeiten; LG Frankfurt MMR 2016, 482: Verbreiten eines ungenehmigten und heimlich angefertigten Fotos in einer WhatsApp-Gruppe; Köln NJW-RR 2014, 1069: Unzulässige Berichterstattung über küssende Moderatorin. dd) Abwägung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte und Interessen. Letztlich erfordert also schon 181 die Beurteilung, ob ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte iSv § 23 I Nr 1 KUG vorliegt, eine Abwägung zw den Rechten des Abgebildeten aus Art 1 I iVm Art 2 I GG, Art 8 I EMRK einerseits und den Rechten von Presse und Rundfunk aus Art 5 I 2 GG, Art 10 I EMRK andererseits, wobei die Grundrechte der Presse- und Rundfunkfreiheit und des Schutzes der Persönlichkeit ihrerseits nicht vorbehaltlos gewährleistet sind und von den Art 8, 10 EMRK beeinflusst werden (BGH GRUR 2011, 259 – Rosenball in Monaco; ZUM 2009, 1499, 1500 – Andrea Casiraghi; NJW 2008, 3141; NJW 2008, 3138). Der Begriff des Zeitgeschehens umfasst dabei alle Fragen von allg gesellschaftlichem Interesse (BGH GRUR 2010, 549 – Spiegel-Dossier; ZUM 2012, 140, 140f; Köln ZUM-RD 2012, 675, 678f). Zudem können die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht; auch unterhaltende Beiträge über das Privat- oder Alltagsleben prominenter Personen nehmen am Grundrechtsschutz des Art 5 GG teil, denn gerade prominente Personen „können der Allgemeinheit Möglichkeiten der Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten sowie Leitbild- und Kontrastfunktionen erfüllen. Auch die Normalität ihres Alltagslebens kann der Meinungsbildung zu Fragen von allgemeinem Interesse dienen.“ (BGH ZUM 2009, 1499, 1500 – Andrea Casiraghi; ZUM 2012, 140, 141; BVerfG ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi). Ein Informationsinteresse besteht jedoch nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (BGH ZUM 2009, 1499 – Andrea Casiraghi; LG Köln ZUM-RD 2013, 473 – Prozess-Urlaub). Maßgeblich ist insb, ob die Medien eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern und insofern den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, oder ob sie – ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis – lediglich die Neugier der Leser oder Zuschauer nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigen (EGMR NJW 2012, 1053, 1056 – CvH/Deutschland II; BVerfG 34, 269; 101, 361; NJW 2006, 3406; BGH ZUM 2009, 1499, 1500 – Andrea Casiraghi; ZUM 2013, 132 – Playboy am Sonntag). Bei der Beurteilung des Informationswerts einer Bildberichterstattung ist grds die zugehörige Textberichterstattung zu berücksichtigen (s hierzu BGH NJW 2010, 3025 – Charlotte Casiraghi II). Für die Gewichtung der Persönlichkeitsbelange ist neben den Umständen der Gewinnung der Abbildung, etwa durch Ausnutzung von Heimlichkeit oder beharrliche Nachstellung, auch bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird (s BGH NJW 2013, 793, 796 – Playboy am Sonntag), wobei das Gewicht der mit der Abbildung verbundenen Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts erhöht ist, wenn die visuelle Darstellung durch Ausbreitung von üblicherweise der öffentlichen Erörterung entzogenen Einzelheiten des privaten Lebens thematisch die Privatsphäre berührt (BGH NJW 2013, 793, 796 – Playboy am Sonntag). ee) Auswirkungen der Relativierung der absoluten Person der Zeitgeschichte auf die „Begleiterrechtspre- 182 chung“. Da die absolute PdZ als eigenständiger Gegenstand der Zeitgeschichte faktisch abgeschafft wurde (Rn 179), ist der BGH auch im Kontext einer Begleitsituation dazu übergegangen, eine eigenständige BeurteiKlass

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lung und Bewertung von Fotos anhand des konkreten Informationswertes vorzunehmen (BGH ZUM- RD 2007, 397 – Lebensgefährtin von Grönemeyer; NJW 2008, 749 – Lebensgefährtin von Oliver Kahn; NJW 2009, 1502 – Lebensgefährte von Sabine Christiansen). Das Vorliegen einer „Begleitsituation“ allein reicht mithin nicht mehr aus, um eine einwilligungsfreie Berichterstattung zu rechtfertigen. Ein berechtigtes Informationsinteresse an der Veröffentlichung von Bildern einer Begleitperson kann vielmehr nur noch dann bejaht werden, wenn eine prominente Person begleitet wird, über die im Zusammenhang mit einem zeitgeschichtlich relevanten Ereignis berichtet wird. Die Verstärkung des Privatsphärenschutzes mit Blick auf die Gruppe der absoluten PdZ führt mithin auch zu einer Verstärkung des Schutzes ihrer Begleiter (zu dieser Rspr-Änderung ausf Klass ZUM 2007, 818). Besteht hins der Begleitperson selbst ein zeitgeschichtliches Interesse, ist eine Berichterstattung ebenfalls zulässig – in diesem Fall ist die Begleitsituation aber ohnehin nebensächlich (Hamburg ZUM 2009, 65 – Hochzeit G. Jauch). 183 ff) Abbildung von Kindern. Nach st Rspr des BVerfG (BVerfG NJW 2000, 1021, 1026 – CvM; NJW 2005, 1857 – Carolines Tochter) sollen sich Kinder ungestört in der Öffentlichkeit bewegen und frei von öffentlicher Beobachtung entfalten dürfen; aus diesem Grund haben sie auch schon vor der im Zuge der EGMR-Entscheidung (NJW 2004, 2647 – CvH/Deutschland I) vorgenommenen Rspr-Änderung einen verstärkten Schutz erfahren und wurden nicht als PdZ angesehen (BVerfG NJW 2000, 1021 – CvM; NJW 2000, 2191; BGH NJW 2005, 215 – Baby von CvM und Ernst August v Hannover; NJW 2004, 1795 – Charlotte Casiraghi; München AfP 1995, 658 – Anne Sophie Mutter; KG ZUM-RD 2006, 549 – Enkel von Fürst Rainier von Monaco). Wort- und Bildberichterstattungen über das Privat- und Alltagsleben von Kindern und Jugendlichen ohne aktuellen zeitgeschichtlichen Kontext waren und sind daher idR nicht zulässig (BVerfG ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi), denn es findet eine Verstärkung des Privatsphärenschutzes durch Art 6 I und II GG im Bereich der Berichterstattung über Kinder sowie in Fällen der spezifisch elterlichen Hinwendung zu diesen statt (BVerfG NJW 2000, 1021, 1026 – CvM; NJW 2005, 1857 – Carolines Tochter; BGH NJW 2005, 215 – Alexandra v Hannover; NJW 2010, 1454 – Sohn von Franz Beckenbauer m Anm Peifer GRUR 2010, 173, 175; GRUR 2010, 262, 263 – Tochter von Franz Beckenbauer; s hierzu auch Stender-Vorwachs NJW 2010, 1414 sowie Seiler WRP 2011, 526), da es zur ungestörten Entwicklung der Persönlichkeit gehört, „sich in der Öffentlichkeit angemessen bewegen zu lernen, ohne dadurch das Risiko einer Medienberichterstattung über das eigene Verhalten auszulösen“ (BGH aaO, 263; GRUR 2013, 1065 – Eisprinzessin Alexandra v Hannover. Diese Grundsätze gelten auch für Kinder prominenter Eltern (BGH GRUR 2013, 1065, 1067 – Eisprinzessin Alexandra v Hannover; BGH AfP 2014, 325 – Kindschaftsverhältnis, hierzu auch Rn 119; im konkreten Fall zurückhaltender: BVerfG NJW 2012, 1500, 1502 – Ochsenknecht-Söhne: Schutzwürdigkeit kann sich durch öffentlichkeitsrelevantes Vorverhalten verringern; s hierzu auch Schertz NJW 2013, 721, 725). Das Recht eines jeden Kindes auf ungestörte Entwicklung umfasst insofern sowohl die Privatsphäre (Recht auf ungestörte kindgemäße Entwicklung, BGH ZUM-RD 2016, 292 – „Möchtegernüberspringerin“) als auch die „kindgemäße Entfaltung im öffentlichen Raum“. Das besondere Schutzbedürfnis entfällt jedoch, wenn sich die Eltern mit ihren Kindern bewusst der Öffentlichkeit zuwenden, indem sie bspw an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen oder in deren Mittelpunkt stehen (BGH GRUR 2013, 1065, 1067 – Eisprinzessin Alexandra v Hannover). Zur Zulässigkeit des Einstellens von Kinderfotos ins Internet Karlsruhe ZUM-RD 2011, 348, 349; AG Menden NJW 2010, 1614; Gutknecht FK 2011, 2, 12. 184 gg) Abbildung zu Werbezwecken und das Informationsinteresse. Bildnisse insb prominenter Personen werden vielfach auch in der Werbung verwendet und stellen eine kommerzielle Verwertung des Betroffenen dar (vgl zu Rechtfertigungsmöglichkeiten bei der kommerziellen Ausnutzung von Persönlichkeitsmerkmalen Rn 211f). Schon vor der Rspr-Änderung im Zuge der Entscheidung EGMR NJW 2004, 2647, 2648 – CvH/Deutschland I (hierzu ausf Rn 44ff) war anerkannt, dass die durch § 23 I Nr 1 KUG im Interesse der Informationsfreiheit der Öffentlichkeit gewährleistete Abbildungsfreiheit ausgeschlossen ist, wenn die Verwendung des Bildnisses lediglich Werbezwecken oder sonstigen geschäftlichen Interessen dient (BGH 20, 345, 350 – Dahlke; 26, 349 – Herrenreiter; 35, 363 – Ginseng; BVerfG NJW 2001, 594 – Willy Brandt, verneint jedoch für die Edition einer Münze durch einen Privatunternehmer). Eine Abbildungsfreiheit wurde jedoch zT bejaht, wenn das Bildnis im Rahmen einer redaktionellen Veröffentlichung verwendet wurde (BGH NJW-RR 1995, 363 – Wepper/Schlecker; Frankfurt NJW 1989, 402 – Boris Becker; dagegen Helle, 188; BGH NJW 1979, 2203 – Franz Beckenbauer/ Wandkalender; s in diesem Kontext auch NJW-RR 2011, 1132 – Markt & Leute: Zulässigkeit einer Werbung für eine geplante Zeitung mit der Titelseite einer sog Nullnummer, sofern Öffentlichkeit über Inhalt und Gestaltung informiert werden soll; Fortführung von BGH NJW-RR 2010, 855 – Der strauchelnde Liebling; zur Frage, ob die Abbildung der Titelseite einer schon erschienenen Zeitung zulässig ist, Köln ZUM 2011, 504); allerdings kein Beitrag zur öff Meinungsbildung, wenn Berichterstattung nur dazu dient, einen Anlass für die Abbildung einer prominenten Person zu schaffen (BGH ZUM 2013, 132, 136 – Playboy am Sonntag; GRUR 2009, 1085 – Wer wird Millionär, LG Köln AfP 2010, 406, 407). Verfolgt der Werbende nicht ausschließlich Geschäftsinteressen, sondern dient der Beitrag auch einem Informationsinteresse der Öffentlichkeit, kann jedoch der Anwendungsbereich des § 23 I Nr 1 KUG eröffnet sein (BGH NJW 2013, 793, 795 – Playboy am Sonntag; GRUR 2010, 546 – Der strauchelnde Liebling; GRUR 2011, 647 – Markt & Leute). Insb wenn sich die Werbung in satirisch-spöttischer Form mit einer die Öffentlichkeit wesentlich interessierenden Frage auseinandersetzt, mithin die Meinungs- und/oder die Kunstfreiheit für den Werbenden streitet, kann den kommerziellen Interessen des Betroffenen jedenfalls dann kein Vorrang eingeräumt werden, sofern die Werbung keine berechtigten ideellen Interessen verletzt (BGH NJW 2007, 689 – Lafontaine: Werbung, 14 Tage nach dem Rücktritt von Lafontaine, mit einem 80

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Bild der Minister des damaligen Bundeskabinetts, auf welchem der Kopf von L. durchgekreuzt war, verbunden mit dem Text: „Sixt verleast seine Autos auch an Mitarbeiter auf Probe!“; s auch Hamburg ZUM-RD 2010, 469 – „Herr A., Sie müssen B. nicht verkaufen“ – Werbeslogan einer Privatbank, die im Zuge der Finanzmarktkrise die Frage aufwarf, ob der FC Chelsea den Kläger (B) verkaufen müsse; dazu Alexander AfP 2008, 556; Ehmann AfP 2007, 81ff; Balthasar NJW 2007, 664; Schubert AfP 2007, 20). S auch die Rspr zum Schutz gegen die ungenehmigte Verwendung des Namens in satirisch spöttischem Kontext (EGMR 19.2.2015 – Az. 53495/09 – Dieter Bohlen/Deutschland: Abbildung zweier Zigarettenschachteln, die den Eindruck eines offenen Buches vermitteln und an denen ein schwarzer Filzstift lehnt – über der Abbildung ist zu lesen „Schau mal lieber Dieter, so einfach schreibt man super Bücher“, wobei die Wörter „lieber“, „einfach“ und „super“ geschwärzt sind, Bezugnahme auf das Buch „Hinter den Kulissen“ von Dieter Bohlen, welches nur geschwärzt veröffentlicht werden durfte, s BGH AfP 2008, 598; ebenso NJW 2016, 781 – Ernst August v Hannover/Deutschland; Zerknitterte Zigarettenschachtel (Anspielung auf eine länger zurückliegende körperliche Auseinandersetzung, in welche Ernst August v Hannover verwickelt war und über die mehrfach in der Presse berichtet wurde, „War das Ernst? Oder August?“ – Lucky Strike. Sonst nichts, s auch Rn 208, 212 sowie Rn 50). Krit zu dieser Rspr-Linie Götting GRURInt 2015, 657. e) Abbildungsfreiheit als Beiwerk einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit. Gem § 23 I Nr 2 KUG dürfen im Interesse der Abbildungsfreiheit auch Bilder, auf denen Personen als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen, ohne Einwilligung verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden (BVerfG NJW 2000, 1021 – CvM; Hamburg AfP 2006, 471). Die Personendarstellung muss dabei jedoch derart untergeordnet sein, dass ihr Entfallen den Bildcharakter nicht verändern würde (Karlsruhe GRUR 1989, 823 – Unfallfoto), dh für den Betrachter darf nicht die abgebildete Person, sondern muss die übrige Bildaussage Hauptgegenstand des Bildes sein (Helle, 164 mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn der Betroffene im Vordergrund oder in der Bildmitte zentral als Blickfang fungiert (Frankfurt NJW-RR 1986, 1118 – Ferienprospekt; Oldenburg NJW 1989, 400, 401 – Oben-ohne-Aufnahme; LG Frankfurt/O. ZUM-RD 2005, 568 – Musikvideo; BGH ZUM-RD 2015, 504: Vorschrift nur dann anwendbar, wenn Landschaft oder Örtlichkeit das Bild prägt und nicht selbst „Beiwerk“ ist.). f) Abbildungsfreiheit im Rahmen von Versammlungen, Aufzügen uÄ. Ohne Einwilligung dürfen gem § 23 I Nr 3 KUG ebenfalls verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden: Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben. Allerdings ist nicht jede beliebige Personenmehrheit abbildungsfrei, vielmehr muss es sich um eine öffentliche Ansammlung (nicht private Veranstaltungen, Dreier/Schulze/Specht § 23 KUG Rn 39) von Menschen handeln, die ein gemeinsames Ziel verbindet (insb Demonstrationen, Umzüge und sonstige Massenveranstaltungen; nicht: eine Gruppe von Nackten im Englischen Garten, München NJW 1988, 915, oder eine familiäre Trauergemeinde am Grab, LG Köln NJW 1992, 443; dem folgend LG Frankfurt/O. ZUM-RD 2014, 701). Zudem muss auch hier die Abbildung der Menschenansammlung im Vordergrund stehen. Nicht abbildungsfrei sind daher einzelne Vorgänge, sofern sie nicht einen repräsentativen Eindruck von dem Gesamtgeschehen vermitteln (Celle NJW 1979, 57: nicht zulässig ist die Abbildung von Zusammenstößen zw Polizeibeamten und Demonstranten am Rande der Demonstration; vgl auch Bremen NJW 1977, 158) oder Aufnahmen einzelner Personen aus der Menge. g) Abbildungsfreiheit für Kunst und Wissenschaft. § 23 I Nr 4 KUG hält eine weitere Ausnahme im Interesse der Kunstfreiheit bereit. Danach dürfen Bildnisse veröffentlicht werden, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, wenn die Verbreitung oder Zurschaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient (dies ist jedoch nicht gegeben, sofern die Abbildung auch der Befriedigung kommerzieller Zwecke dient, LG Berlin MMR 2008, 758; LG Mannheim GRURInt 2010, 75 – King of Pop; LG Berlin ZUM-RD 2009, 277); unschädlich ist dabei, dass neben den künstlerischen auch wirtschaftliche Interessen verfolgt werden (Düsseldorf MMR 2013, 740). Die hier geregelte Abbildungsfreiheit, die jedoch in der Praxis keinerlei Bedeutung hat (krit insofern Schertz, FS Raue, 2006, 665), bezieht sich auf künstlerische Bildstudien, Zeichnungen, Gemälde, Statuen sowie nach hM auch auf künstlerische Fotografien (vgl Dreier/Schulze/Specht § 23 KUG Rn 43; Schack, FS Raue, 2006, 673 sowie Helle, 169 mwN). Zur fotografischen Wiedergabe einer Person auf einem für eine Kunstausstellung werbenden Plakat s LG Berlin AfP 2015, 177. Darüber hinaus wird die Ausnahmeregelung des § 23 I Nr 4 KUG in entspr Anwendung auch auf Bildnisveröffentlichungen zu wissenschaftlichen Zwecken angewandt, wobei sich der wissenschaftliche Charakter aus Inhalt und Zweck der Darstellung ergeben muss (vgl Helle, 169; Wenzel/v Strobl-Albeg Rn 8.49; aA Dreier/Schulze/Specht § 23 KUG Rn 45). h) Schranken-Schranke: Ausschluss der Abbildungsfreiheit. Die Abbildungsfreiheit nach § 23 I Nr 1–4 KUG ist gem § 23 II KUG aufgehoben, wenn „berechtigte Interessen“ des Abgebildeten bzw – im Fall seines Todes – seiner Angehörigen entgegenstehen. Im Rahmen des § 23 II KUG ist grds eine umfassende Einzelfallabwägung der involvierten Interessen und Umstände vorzunehmen, wobei auch die Wortberichterstattung einzubeziehen ist (BGH NJW 2007, 1981 – Ernst August von Hannover, abgestuftes Schutzkonzept; GRUR 2007, 527 – Winterurlaub; ZUM-RD 2007, 397 – Lebensgefährtin von Grönemeyer; krit zur Bedeutung des § 23 II KUG als Schranken-Schranke Köln ZUM 2013, 684, 687 – Horror-Unfall: Relevanz einer eigenständigen Prüfung von § 23 II KUG rein akademischer Natur, da sich voneinander abw Ergebnisse einer alle Aspekte erfassenden Abwägung im Rahmen v § 23 I KUG einerseits und einer zusätzlich vorzunehmenden Prüfung von § 23 II KUG andererseits „nicht denken“ lassen). Eine Verletzung berechtigter Interessen iSd § 23 II KUG ist jedenfalls immer dann anzunehmen, wenn die Verbreitung der Bildnisse nicht bloß das RaeB, sondern auch das APR verletzt, zB Verletzung der Ehre (BGH GRUR 1974, 794 – Todesgift), des Rechts auf Selbstbestimmung, insb bei Eingriffen in Klass

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die Intim- (LG Hamburg ZUM-RD 2006, 251 – versehentlich entblößte Brustwarze; LG München I ZUM-RD 2005, 38, 40 – Aktfotos) bzw Privatsphäre (s hierzu Köln ZUM 2013, 684, 687 – Horror-Unfall: Fotos enthalten eigenständigen Verletzungsgehalt, da Abbildung in emotionaler Ausnahmesituation; s auch KG Berlin, ZUM 2016, 383 – Straßenfotografie: Selbst wenn das Ausstellen von Fotos unter § 23 I Nr 4 KUG fällt, können berechtigte Interessen entgegenstehen, zB wenn Präsentation auf einer großformatigen Stelltafel am Straßenrand erfolgt und die Betroffene dem Blickfang der breiten Masse ausgesetzt ist; zum aktuellen Privatsphärenkonzept nach der Entscheidung EGMR NJW 2004, 2647, 2648 – CvH/Deutschland I ausf Rn 126f); sofern Verfälschungen des Persönlichkeitsbildes vorliegen (BVerfG NJW 2005, 3271 – Fotomontage II; KG AfP 2007, 569, 570 – Fotomontage); aber auch in Fällen übermäßiger Anprangerung (BGH NJW 1994, 124 – Alle reden von Klima); zum Schutz von Gesundheit und Leben (München NJW-RR 1990, 1364 – Berichterstattung über Aufenthalt einer gefährdeten Person; BVerfG NJW 2000, 2194: Angst vor Entführung, Flick-Tochter), oder wenn eine kommerzielle Verwendung im Raum steht, diese jedoch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt (ausdr BGH NJW 2007, 689 – Lafontaine). Nach § 23 II KUG kann auch ein berechtigtes Interesse der Angehörigen bis zum Ablauf von 10 Jahren ein Veröffentlichungsverbot begründen. i) Postmortaler Schutz. § 22 S 3 KUG sieht als einzige sondergesetzliche Normierung einen 10-jährigen postmortalen Schutz des RaeB vor, wobei die Geltendmachung des Schutzes auf die in § 22 S 4 KUG bezeichneten Angehörigen beschränkt ist. Zum Umfang des gewährten Schutzes s Rn 320, insb wird den Angehörigen kein Geldentschädigungsanspruch gewährt, BGH NJW 2012, 1728. j) Öffentlich-rechtliches Eingriffsrecht (§ 24 KUG). § 24 KUG enthält eine weitere Ausnahme vom grds erforderlichen Einwilligungserfordernis und wurde in das Gesetz aufgenommen, um die Befugnisse der Polizei, der Staatsanwaltschaft und sonstiger Behörden zur Ermittlung und Überführung von Straftätern durch das mit dem KUG geschaffene RaeB nicht einzuschränken. Zugunsten der Rechtspflege und öffentlichen Sicherheit, insb zum Zwecke der Strafverfolgung und Strafverhütung soll das Vervielfältigen, Verbreiten und öffentliche Zurschaustellen von Bildnissen, insb von Steckbriefen und anderen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zulässig bleiben (Erman/Ehmann12 Rn 192; § 24 KUG ersetzt jedoch nicht die Anordnung der Maßnahme selbst; zum Verhältnis KUG und StPO vgl daher Helle, 201ff mwN). Zulässig sind mithin die öffentliche Fahndung mittels eines Bildnisses und im Einzelfall auch die Ausstrahlung von Bildern Beschuldigter im Fernsehen zu Fahndungszwecken (Hamm NJW 1982, 458; vgl auch Berg AfP 1989, 416), nicht aber die Verhaftung zur Unterhaltung des Publikums, LG Köln AfP 2004, 459; zur Fernsehserie Aktenzeichen XY ungelöst, in welcher in Zusammenarbeit mit der Polizei Bildnisse und Fahndungsaufrufe ausgestrahlt werden, Frankfurt NJW 1971, 47; München NJW 1970, 1745; dazu Schricker/Loewenheim/Götting § 60 UrhG/§ 24 KUG Rn 11; Helle, 205f mwN. k) Rechtsgeschäftliche Übertragungsmöglichkeiten. Zur Möglichkeit, über das RaeB als „vermögenswertes Ausschließlichkeitsrecht“ zu verfügen, s Rn 203ff. l) Rechtsfolgen. Wird das RaeB verletzt, stehen dem Betroffenen Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche (Rn 279ff) zu; sofern der Betroffene durch das Verbreiten oder öffentliche Zurschaustellen des Bildnisses herabgewürdigt wird oder sonstige ideelle Interessen des Betroffenen schwer verletzt sind, kann er auch einen Anspruch auf Geldentschädigung (Rn 313ff) geltend machen. Zudem kann der Betroffene im Fall einer unberechtigten Nutzung eine angemessene Vergütung aufgrund Eingriffskondiktion verlangen (Rn 321). Nach BGH 143, 214, 232 – Marlene Dietrich kann im Fall fahrlässiger Verletzung auch Schadensersatz nach der Lizenzanalogie verlangt werden (Rn 306ff insb 310); nicht zuletzt steht dem Betroffenen zur Schadensberechnung ein Auskunftsanspruch (Rn 278) zu, BGH aaO, 232. Zum Anspruch auf Herausgabe und Vernichtung der Bilder gem § 37 KUG s Helle, 222f; zur Strafbarkeit gem § 33 KUG s Helle, 225. III. Schutz der selbstbestimmten und unverfälschten Darstellung. 1. Recht auf Selbstdarstellung. Zwar lässt sich ein Recht auf selbstbestimmte und unverfälschte Darstellung in dieser Terminologie nicht als in Lit und Rspr allg anerkannt ausmachen, jedoch versuchen die Gerichte auf unterschiedlichsten Wegen, die Selbstbestimmung des Einzelnen effektiv zu gewährleisten und ihn vor Entstellungen seiner Identität zu bewahren, indem ihm hins der Darstellung seiner Person und der Steuerung der Informationen seine Person betreffend weitgehende Befugnisse eingeräumt werden. Der Schutz bezieht sich nicht primär auf Darstellungen oder Zuschreibungen von Verhaltensweisen, die ihn verächtlich machen oder ihn in sonstiger Form in seiner Ehre missachten – vielmehr soll der Einzelne davor geschützt werden, dass er in einem „falschen Licht“ dargestellt wird (so auch MüKo/Rixecker Rn 103). Der Schutz, der hierbei von der Rspr gewährt wird, lässt sich insb durch folgende Fallgruppen, die als Ausprägungen eines Rechts auf selbstbestimmte und unverfälschte Darstellung angesehen werden können, konkretisieren: Schutz vor erfundenen Interviews, vor der Wiedergabe unrichtiger Zitate, vor der fälschlichen Zuschreibung von Mitgliedschaften, Schutz gegen die Unterschiebung nicht getaner Äußerungen, gegen Veränderungen von Bild und Stimme sowie Schutz des Lebensbildes. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass es zwar kein Recht auf Selbstdarstellung in dem Sinne geben kann, dass jede Veröffentlichung und jeder Kommunikationsbeitrag unzulässig ist, der der gewählten Selbstdarstellung zuwiderläuft – niemand hat das Recht, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er dies gern hätte (so auch BVerfG 97, 391, 403 – Missbrauch) – es zeigt sich aber auch, dass Kommunikationsschranken erforderlich sind, die die Selbstdarstellung des Einzelnen gegen relevante Gefährdungen von außen sichern (Wellbrock, 26). 2. Geschütze Interessen: Identität und Authentizität. Beim Schutz der selbstbestimmten und unverfälschten Darstellung steht primär ein Schutz der eigenen Identität und Authentizität im Vordergrund (so auch MüKo/ 82

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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Rixecker Rn 103). Der Einzelne soll Einfluss auf den Inhalt der Informationen sowie den Kreis der Empfänger der von ihm abgegebenen Informationen haben, denn eine rollenmäßig differenzierte Selbstdarstellung, die in unserer ausdifferenzierten Gesellschaft zunehmend wichtiger wird, kann nur durch eine gesteuerte Abgabe von Informationen über die eigene Person an die verschiedenen sozialen Lebensfelder und die Öffentlichkeit erfolgen. Das Gelingen der eigenen Selbstdarstellung hängt daher ua davon ab, ob der Einzelne die Abgabe seiner Selbstdarstellung widersprechender Informationen an seine verschiedenen sozialen Lebensbereiche und die Öffentlichkeit unterbinden kann (Klass, Realitätsfernsehen, 2003, 338; ebenso auch Wellbrock, 25). 3. Anerkannte Fallgruppen. a) Schutz vor erfundenen Interviews. Wird ein erfundenes Interview abgedruckt, 195 liegt unzweifelhaft ein Eingriff in das APR vor (BGH NJW 1995, 861 – CvM I; NJW 1965, 685ff – Soraya I; BVerfG 34, 269 – Soraya II; LG Hamburg Schadenpraxis 2003, 432 – Alfred Biolek). Es handelt sich hierbei jedoch nicht um einen klassischen Eingriff in die Privatsphäre, denn es liegt idR keine Verletzung des Privatlebens vor, da die Informationen über die jew betroffenen Personen frei erfunden sind. Betroffen ist in diesen Fällen vielmehr die Selbstbestimmung des Einzelnen und das Recht auf Selbstdarstellung, weil bei der Veröffentlichung erfundener Interviews in erster Linie ein Eingriff in das Bestimmungsrecht über die Darstellung der eigenen Person vorliegt (Klass, Realitätsfernsehen, 2003, 327). Da kein schutzwürdiges Interesse an der Verbreitung derartiger verfälschender Informationen besteht, ist die Rechtswidrigkeit in diesen Fällen indiziert, weshalb kein Raum mehr für eine Güter- und Interessenabwägung bleibt (MüKo/Rixecker Rn 103). b) Schutz vor der Wiedergabe unrichtiger Zitate und der Unterschiebung nicht getaner Äußerungen (Recht 196 am eigenen Wort). Zum Recht des Einzelnen, selbst darüber zu bestimmen, ob und wie er sich Dritten ggü darstellen will, gehört auch die Entscheidung darüber, ob und wie er mit einer eigenen Äußerung in Erscheinung treten will. Das APR ist daher verletzt, wenn jemandem Äußerungen in den Mund gelegt werden, die er nicht getan hat und die seinen selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigen (BVerfG 54, 148, 155 – Eppler; BGH NJW 1998, 1391 – Rechte Professoren; NJW 1982, 635 – Böll/Walden II; LG Bonn 14.2.2008 – 9 O 452/07– Krieg der Worte – Macht der Bilder; zu angeblichem Falschzitat und dem Interpretationsvorbehalt bei der Wiedergabe mehrdeutiger Äußerungen BVerfG NJW 2013, 774 – Das Prinzip Arche Noah; dazu auch BGH NJW 2011, 3516 m Anm Muckel JA 2013, 236 sowie Köln ZUM 2011, 69). Der maßgebliche Grund für diesen Schutz liegt darin, dass mit dem Zitat eine objektive Tatsache über den Betroffenen behauptet wird, weshalb das Zitat, das bspw als Beleg für Kritik verwendet wird, eine besonders scharfe Waffe im Meinungskampf ist (so auch BGH NJW 2011, 3516). Ist es unrichtig, verfälscht oder entstellt, so greift dies in das Persönlichkeitsrecht des Kritisierten umso tiefer ein, als er hier sozusagen als Zeuge gegen sich selbst ins Feld geführt wird (LG Köln NJOZ 2010, 1233, 1234). Unrichtige Zitate unterfallen grds nicht dem Schutzzweck des Art 5 I GG, denn an der Wiedergabe von erwiesen unwahren Tatsachen gibt es kein schutzwürdiges Interesse (s hierzu Rn 100). Die Wiedergabe von unrichtigen Zitaten (die so nicht gefallen sind, die durch Auslassungen oder Hinzufügungen in ihrer Aussage verändert werden) verletzt folglich die Befugnis des Einzelnen zur selbstbestimmten Darstellung und mithin das APR (MüKo/Rixecker Rn 104). Was den eigenen sozialen Geltungsanspruch im Einz ausmacht, kann dabei nur Sache der Person selbst sein – der Inhalt des APR wird daher insoweit maßgeblich durch das Selbstverständnis und die Selbstdefinition des Trägers geprägt (BVerfG 54, 148, 156 – Eppler). Vor diesem Hintergrund darf dem Zitierten auch grds nicht die Entscheidung über sein eigenes Wort genommen werden, indem die mögliche Beurteilung Dritter zum Maßstab gemacht wird (BVerfG 54, 208, 217 – Heinrich Böll; BGH NJW 2011, 3516, 3516). Auch darf das Zitat nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden (BGH ZUMRD 2008, 117 – Bauernfängerei). Der Zitierte hat vielmehr einen „Anspruch darauf, dass seine Aussage an seinem Selbstverständnis, also daran gemessen wird, wie und in welchem Kontext er die Äußerung gemacht hat, und nicht daran, wie ein Teil der Leser die Äußerung (miss-)verstehen könnte, solange das Zitat als eindeutige, einer Interpretation nicht bedürftige Erklärung des Zitierten ausgegeben wird“ (BGH NJW 2006, 609 – Rechtsanwalt der Aktionäre; unter Verweis auf BVerfG 54, 148, 155 – Eppler; 54, 208, 217 – Heinrich Böll; NJW 1993, 2925, 2926 – BKA-Präsident). Wer den Eindruck vermittelt, er zitiere, während er tatsächlich interpretiert, handelt rechtswidrig (MüKo/Rixecker Rn 86; BGH NJW 1998, 1391 – Rechte Professoren; NJW 1982, 635 – Böll/Walden II). Festgehalten werden kann mithin, dass der Einzelne sich i Erg auch bei einer unrichtigen, entstellten oder verfälschten Wiedergabe einer Äußerung auf das APR berufen kann (BVerfG 54, 208, 219ff – Heinrich Böll). c) Schutz vor der fälschlichen Zuschreibung von Mitgliedschaften. Das APR entfaltet auch ggü der Zuschrei- 197 bung von Gruppenmitgliedschaften Schutz, sofern diese Zuschreibung Bedeutung für die Persönlichkeit und deren Bild in der Öffentlichkeit hat (insb weltanschauliche Gruppen und Vereinigungen: BVerfG NJW 1999, 1322 – Scientology/Helnwein; NJW 2002, 3458 – Chick Corea; Celle NJW-RR 1999, 1477 – Sektenmitglied; vgl auch Köln AfP 1993, 759f; München AfP 1993, 762ff; LG Berlin NJW-RR 1997, 1245 – Scientology-Anwalt). Auch wenn der Einzelne keinen Anspruch darauf hat, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich selbst sieht oder von anderen gesehen werden will, so ist er jedoch vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen seiner Person geschützt, welche nicht ganz unerheblich für seine Persönlichkeitsentfaltung sind (BVerfG NJW 1999, 1322 – Scientology/Helnwein); selbst ein etwaiges verändertes Selbstverständnis sei insoweit zu respektieren. Auch wenn das BVerfG in seiner Begründung auf eine nachteilige Beeinflussung in der Öffentlichkeit abstellt und sich so dem Bereich des Ehrenschutzes oder des Schutzes vor unwahren nachteiligen Behauptungen nähert, zeigen die Ausführungen doch, dass in gewissen Grenzen ein Recht auf Selbstdarstellung und damit ein Schutz der eigenen Identität anerkannt wird (so auch MüKo/Rixecker Rn 105).

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d) Schutz gegen Veränderungen von Bild und Stimme. Das APR schützt auch vor Veränderungen des fotografischen Abbildes einer Person, insb vor der Verbreitung technisch manipulierter Bilder, die den Anschein erwecken, ein authentisches Abbild der Person zu sein (BVerfG NJW 2005, 3271, 3273 – Fotomontage II; vgl auch KG AfP 2007, 569, 570 – Fotomontage; Hamburg ZUM 2013, 581: Verstärkung des Lidschattens; Hamburg ZUM 2013, 582: Manipulation der Gesichts- und Halspartie eines Fotos auf einem Buchcover; Kutschke EWiR 2005, 427, 428; s hierzu auch Lüder, Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit vor der Anfertigung manipulierter Fotografien, 2012), denn die Fotografie übermittelt ohne Verwendung von Worten Informationen über die abgelichtete Person, suggeriert Authentizität, und die Betrachter gehen davon aus, dass die abgebildete Person in Wirklichkeit so aussieht. Werden Veränderungen vorgenommen, so ist die selbstbestimmte Darstellung des Einzelnen erheblich beeinträchtigt. Bildmanipulationen berühren das Persönlichkeitsrecht dabei unerheblich davon, ob sie in guter oder in verletzender Absicht vorgenommen werden oder ob Betrachter die Veränderungen als vorteilhaft oder nachteilig für den Dargestellten bewerten (BGH NJW 2005, 3271, 3273 – Fotomontage II). Verdeckte oder geringfügige Bildmanipulationen sind selbst dann nicht zulässig, wenn das Foto in einen satirischen Kontext gesetzt wird und die übrige Darstellung einen erkennbar fiktiven Charakter hat (BVerfG NJW 2005, 3271, 3273 – Fotomontage II; Kutschke EWiR 2005, 427, 428), denn jede nicht sofort erkennbare Manipulation, die über rein reproduktionstechnisch bedingte und für den Aussagegehalt unbedeutende Veränderungen hinausgeht, stellt eine unwahre, nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit geschützte Tatsachenbehauptung dar. Zudem erfährt der Einzelne auch Schutz vor Veränderungen der Stimme, denn auch diese transportiert Informationen über seine Persönlichkeit. Unberechtigte und nicht erkennbare Manipulationen tangieren ebenfalls die selbstbestimmte Darstellung des Einzelnen, denn die mitschwingenden Tatsachenbehauptungen vermitteln ein falsches Bild von der Realität (so verletzt bspw die Nachsynchronisation mit der Stimme eines anderen das APR, da es zu einer Verzerrung der Persönlichkeit kommt, München NJW 1959, 388, 389). 199 e) Schutz gegen Verfälschungen des Lebensbildes. Das APR garantiert dem Einzelnen – mit gewissen Einschränkungen – ein Verfügungsrecht über die Darstellung seiner eigenen Person (hierzu ausf Rn 132ff). Dieses Recht gewährt jedermann die Befugnis, grds selbst und allein zu bestimmen, ob und inwieweit andere sein Lebensbild im Ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen (BVerfG NJW 1973, 1226, 1227 – Lebach I; NJW 1999, 1322, 1324 – Scientology/Helnwein; München 25.5.2010 – 18 U 1604/10 – Katzenhexe; LG Koblenz NJW 2007, 695 – Gäfgen, s hierzu auch v Becker NJW 2007, 662). Der Einzelne wird dabei auch vor verfälschenden Darstellungen seines Lebensbildes, insb des Lebenswerkes oder der Lebensgeschichte geschützt. Eine Identitätsverzerrung kann sich bspw daraus ergeben, dass in einer Schilderung wesentliche biografische Details ausgelassen werden oder durch die einseitige Auswahl von Fakten ein bestimmter Gesamteindruck erzeugt und gleichzeitig ein Anspruch auf Wirklichkeitstreue erhoben wird (MüKo/Rixecker Rn 106; Köln, ZUMRD 2015, 462, 468: das Wort im Mund verdreht). Eine Verfälschung liegt aber auch vor, wenn einem Autor Werke untergeschoben werden und dadurch der Eindruck seines schöpferischen Wirkens verzerrt wird (zum Verhältnis des APR zum Urheberpersönlichkeitsrecht Rn 15). Auch das fortwirkende Lebensbild wird gegen grobe Beeinträchtigungen geschützt – das postmortale APR (vgl hierzu ausf Rn 69ff) ist mithin verletzt, wenn das Lebensbild des Verstorbenen schwerwiegend entstellt oder verfälscht wird (LG Köln ZUM 2009, 324, 329 – Baader Meinhof Komplex; Hamburg ZUM 2005, 168). 200 f) Schutz gegen die unbefugte werbende Verwendung. Werden Persönlichkeitsmerkmale des Einzelnen unbefugt für kommerzielle Zwecke genutzt, ist zwar primär der Schutz vor der kommerziellen Verwertung und Ausnutzung betroffen (Rn 201ff); es kann jedoch in solchen Konstellationen zugleich auch eine Identitätsbeeinträchtigung vorliegen, nämlich immer dann, wenn der Eindruck vermittelt wird, die werbende Person identifiziere sich mit dem beworbenen Produkt. IV. Schutz vor kommerzieller Verwertung 198

Schrifttum: Ahn, Der vermögensrechtliche Zuweisungsgehalt des Persönlichkeitsrechts, 2009; Beuthien, Was ist vermögenswert, die Persönlichkeit oder ihr Image?, NJW 2003, 1220; Beuthien/Meik (Hrsg), Persönlichkeitsgüterschutz vor und nach dem Tode, 2002; Beuthien/Schmölz, Persönlichkeitsschutz durch Persönlichkeitsgüterrechte, 1999; Büchler, Die Kommerzialisierung von Persönlichkeitsgütern, AcP 206 (2006), 300; Ehmann, Die Nutzung des kommerziellen Wertes von Politikern zu Werbezwecken, AfP 2005, 237; Friedrich, Internationaler Persönlichkeitsrechtsschutz bei unerlaubter Vermarktung, 2003; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 1995; Gregoritza, Die Kommerzialisierung von Persönlichkeitsrechten Verstorbener, 2003; Klüber, Persönlichkeitsschutz und Kommerzialisierung, 2007; Helle, Privatautonomie und kommerzielles Persönlichkeitsrecht – Abschied von der „Herrenreiter-Doktrin“ des BGH?, JZ 2007, 444; Helle, Das kommerzielle Persönlichkeitsrecht und das Grundgesetz, AfP 2010, 531; Helle, Grundlagen des Persönlichkeitsschutzes, in Hoeren/Sieber, Handbuch MultimediaRecht, 21. Lfg 2008; Magold, Personenmerchandising, 1994; Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, 2008; Unseld, Die Übertragbarkeit von Persönlichkeitsrechten, GRUR 2011, 982.

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1. Die Kommerzialisierung von Persönlichkeitsmerkmalen. Persönlichkeitsmerkmale wie Bildnis, Stimme oder Name können in der heutigen Medienlandschaft einen erheblichen Marktwert haben, insb Schauspieler, Musiker, Sportler und andere Personen der aktuellen oder vergangenen Zeitgeschichte werden von der Wirtschaft als Werbeträger für ihre Produkte und Dienstleistungen eingesetzt. Diese Entwicklung brachte für den Einzelnen einerseits die Gefahr mit sich, ungefragt für derartige Zwecke missbraucht zu werden, sie eröffnete bekannten und berühmten Persönlichkeiten aber zugleich die Möglichkeit, aus ihrer Popularität Kapital zu schlagen. 84

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Auch wenn in diesem Kontext durchaus ideelle Aspekte des APR eine Rolle spielen können (zB bei der Inanspruchnahme für anrüchige Produkte oder umstr Dienstleistungen), stehen doch primär kommerzielle Aspekte im Vordergrund. In den Entscheidungen Marlene I und Blauer Engel hat der BGH ein insoweit bestehendes Schutzbedürfnis vor kommerzieller Ausbeutung (143, 214 – Marlene Dietrich und NJW 2000, 2201 – Blauer Engel, Abschlussentscheidung München NJW-RR 2003, 767: Zuerkennung von 70.000 Euro) und den Schutz des Einzelnen vor der unbefugten kommerziellen Verwertung seiner Persönlichkeit grds anerkannt: „Das APR und seine besonderen Erscheinungsformen wie das RaeB und das Namensrecht dienen dem Schutz nicht nur ideeller, sondern auch kommerzieller Interessen der Persönlichkeit“. Zwar war auch schon zuvor das Recht des Einzelnen, selbst darüber zu entscheiden, „ob, wann und unter welchen Umständen sein Bildnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden darf“, als „vermögenswertes Ausschließlichkeitsrecht“ bezeichnet worden (BGH 20, 345 – Dahlke; ebenso 81, 75, 80 – Carrera), nunmehr wurde aber auch die Vererblichkeit der kommerziellen Bestandteile des APR anerkannt. Dem Erben steht mithin grds das Recht zu, darüber zu entscheiden, ob bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zu Werbezwecken benutzt werden dürfen (zum Schutz der postmortalen kommerziellen Interessen s auch Rn 74), wobei die vermögenswerten Bestandteile des postmortalen Persönlichkeitsrechts „dem Erben trotz ihrer Vererblichkeit nicht in gleicher Weise wie die urheberrechtlichen Verwertungsrechte bestimmte Nutzungshandlungen vorbehalten. Das zivilrechtliche APR ist ein sog offener oder Rahmentatbestand, bei dem der Eingriff nicht die Rechtswidrigkeit indiziert, sondern in jedem Einzelfall durch eine Güterabwägung ermittelt werden muss“ (BGH NJW 2007, 684, 685 – kinski-klaus.de). Da sich die Befugnisse des Erben vom Träger des APR ableiten, dürfen sie zudem nicht gegen dessen mutmaßlichen Willen eingesetzt werden (BGH 143, 214, 226 – Marlene Dietrich). Auch sollen sie es dem Erben nicht ermöglichen, „die öffentliche Auseinandersetzung mit Leben und Werk des Verstorbenen zu kontrollieren oder gar zu steuern“, BGH NJW 2007, 684, 685 – kinski-klaus.de). Eine Verletzung dieses sonstigen Rechts iSd § 823 I löst – unabhängig von der Intensität des Eingriffs – Schadensersatz- und Bereicherungsansprüche aus (BGH 143, 214, 228 – Marlene Dietrich; NJW 2013, 793, 795 – Playboy am Sonntag), wobei der Erbe den entstandenen materiellen Schaden entweder konkret oder nach den von der Rspr zur Verletzung von Urheber- und Patentrechten entwickelten Grundsätzen der sog Lizenzanalogie (BGH aaO) geltend machen kann. Als vermögenswerte Bestandteile werden vom BGH aaO das RaeB (s hierzu bspw BGH ZUM-RD 2009, 517 – Wer wird Millionär?; ZUM 2013, 132, 136 – Playboy am Sonntag) und das Namensrecht (BGH NJW 2000, 2201 – Blauer Engel: die Abbildung einer berühmten Person durch ein Double; vgl auch LG Köln AfP 2014, 360 sowie LG Hamburg GRURRR 2012, 42 – „Typus“-Werbung, eine Ausnutzung der Bekanntheit im konkreten Fall jedoch abl) angesehen; zudem wird die Stimme genannt (BGH 143, 214, 219 – Marlene Dietrich; vgl hierzu auch Hamburg NJW 1990, 1995 – Heinz Erhardt sowie Rn 207). Diese Aufzählung ist jedoch nicht abschließend, vielmehr können unterschiedlichste Merkmale, wie bspw besondere Leistungen auf „sportlichem oder künstlerischem Gebiet“ (so BGH 143, 214, 219 – Marlene Dietrich), aber auch sonstige Aspekte und Ausformungen der Persönlichkeit einen Marktwert bekommen (so auch Erman/Ehmann12 Rn 246). Es gilt daher ganz allg, dass der Einzelne selbst bestimmen darf, ob und in welcher Art und Weise er seine Persönlichkeitsmerkmale den Geschäftsinteressen Dritter dienstbar machen will. Eine Verletzung des APR liegt daher immer dann vor, wenn Bildnis (zB BGH NJW-RR 1995, 789 – Chris Revue; ZUM 2013, 132 – Playboy am Sonntag), Name (zB BGH NJW 1981, 2402), Stimme (Hamburg NJW 1990, 1995 – Heinz Erhardt) oder andere die Person kennzeichnende Merkmale unbefugt zu Werbezwecken verwendet werden. 2. Nebeneinander von ideellen und vermögenswerten Bestandteilen des APR. Bei den vermögenswerten und ideellen Bestandteilen (s hierzu auch Rn 16) handelt es sich nicht um getrennte Rechte, sondern um verschiedene Schutzbereiche desselben Rechts (im Einz jedoch str, vgl Götting/Schertz/Seitz, § 10 Rn 1ff), die untrennbar miteinander verflochten sind (Götting NJW 2001, 585, 586; Buchner, Informationelle Selbstbestimmung im Privatrecht, 218ff.; ähnlich auch Forkel GRUR 1988, 492; Schubert AfP 207, 20, 24). Lediglich im Todesfall können ideelle und kommerzielle Bestandteile getrennte Wege gehen, denn während die „vermögenswerten Bestandteile“ auf den oder die Erben übergehen, sind die höchstpersönlichen Bestandteile zum Schutz der ideellen Interessen unübertragbar sowie unvererblich und können nur von nahen Angehörigen oder Wahrnehmungsberechtigten geltend gemacht werden (BGH 143, 214 – Marlene Dietrich, s hierzu ausf Rn 73ff). Allerdings bleiben die ideellen und kommerziellen Bestandteile des APR – ähnlich wie die urheberrechtlichen Verwertungsrechte und das Urheberpersönlichkeitsrecht – zu einem gewissen Maße miteinander verbunden, insb muss der Erbe den mutmaßlichen Willen des Trägers des APR beachten (BGH 143, 214, 226 – Marlene Dietrich) – zudem sind den Erben auch nicht bestimmte Nutzungshandlungen vorbehalten (BGH NJW 2007, 684, 685 – kinski-klaus.de). Zum insofern maßgeblichen monistischen Modell s Götting/Schertz/Seitz, § 10 Rn 8, 16f; Helle RabelsZ 60 (1996), 448, 459; Ahn, 131; Forkel, FS Neumayer, 229, 244; Friedrich, 66f mwN (anders die Vertreter des dualistischen Ansatzes, die von einer immaterialgüterrechtsähnlichen Abspaltung der vermögenswerten Aspekte und mithin von selbständigen Bestandteilen ausgehen, hierzu bspw Beuthien/Schmölz, 29; Beuthien NJW 2003, 1220ff; Heitmann, 76; Fikentscher, Wirtschaftsrecht Bd II, 112, 132). 3. Übertragbarkeit der kommerziellen Bestandteile. In seiner Entscheidung 143, 214 – Marlene Dietrich erkannte der BGH ausdr die Vererblichkeit der „vermögenswerten Bestandteile“ zum Schutz kommerzieller Interessen an (bestätigend: BGH NJW 2000, 2201 – Der blaue Engel; s auch BVerfG NJW 2006, 3409, 3410 sowie aktuell BGH NJW 2012, 1728 – Veröffentlichung von Fotos nach dem Unfalltot: Ausübung entspr dem ausdr Klass

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oder mutmaßlichen Willen des Verstorbenen). Die Frage, inwieweit die als vermögenswerte Ausschließlichkeitsrechte qualifizierten vermögenswerten Bestandteile des APR unter Lebenden übertragbar sind, ist jedoch nach wie vor offen, da einschlägige Fälle insoweit bisher keiner Entscheidung bedurften (s hierzu auch BGH JZ 1987, 158 – Nena, in welcher die Übertragbarkeit eine gewisse Anerkennung erfahren hat, indem der Senat dem „Lizenznehmer“ als Einwilligungsempfänger einen Bereicherungsanspruch gegen den unbefugten Nutzer zusprach; auch schon Hamm NJW-RR 1987, 231, 232 – Nena hatte dem Einwilligungsempfänger eines „Exklusivvertrags“ einen Unterlassungsanspruch gegen einen unbefugten Nutzer zugesprochen; vgl zudem BGH 143, 214, 221f – Marlene Dietrich). Das BVerfG (NJW 2006, 3409, 3411 – Blauer Engel II) hat jedenfalls angedeutet, dass die unverzichtbaren und unveräußerlichen Persönlichkeitsrechte zum Schutz „ideeller Interessen“ als maßgeblicher Kern des verfassungsrechtlich gewährleisteten APR beim Rechtsträger bleiben müssen. 204 In der Lit wird die Frage der Übertragbarkeit kontrovers behandelt. Während zT vertreten wird, dass sowohl eine freie als auch eine gebundene Übertragung von Persönlichkeitsmerkmalen aufgrund ihres Rechtscharakters grds ausgeschlossen sind (Krneta GRURInt 1996, 298, 306; vgl auch Peifer GRUR 2002, 495 sowie Individualität im Zivilrecht, 326) und dementsprechend lediglich die Möglichkeit der schuldrechtlichen Gestattung (als Instrument hierzu soll die Einwilligung dienen) der Benutzung bestehe (Peifer GRUR 2002, 495, 497ff; Schack AcP 195, 594f; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 28: Die Rechtsordnung müsse nicht die maximale Kommerzialisierung der Persönlichkeit durch die Schaffung eines neuen marktgängigen Immaterialgüterrechts absichern; s hierzu auch ausf Peukert, Güterzuordnung als Rechtsprinzip, 836f, der sich für eine Vermarktung der kommerziellen Teile des APR mithilfe schuldrechtlicher Lizenzen ausspricht), wird vereinzelt auch eine gebundene Übertragbarkeit für zulässig gehalten (s hierzu Rn 205) bzw sogar eine Abspaltung und Verselbständigung der vermögenswerten Bestandteile und damit die Anerkennung „persönlichkeitsbezogener Immaterialgüterrechte“ gefordert (Beuthien/Schmölz, 34; Ullmann AfP 1999, 209, 214; abl Peukert ZUM 2000, 710, 715 mit Verweis auf Art 1 I GG, der eine „Objektivierung von Persönlichkeitssplittern verbietet“). Betont wird in diesem Kontext, dass die Einräumung eines lediglich obligatorisch wirkenden Rechts eine schwache Rechtsposition des Vertragspartners bewirke und daher nicht weitreichend genug sei; auch wird darauf hingewiesen, dass das in der Praxis bestehende Interesse bekannter Persönlichkeiten, ihre durch Leistung erworbene Popularität und ein damit verbundenes Image wirtschaftlich verwerten zu können, faktisch zu einer Anerkennung der Möglichkeit einer Rechtseinräumung, die eine dingliche bzw quasi-dingliche Wirkung hat, zwinge (Wenzel/v Strobl-Albeg Rn 7.61 mwN). Zudem setze Vererblichkeit jedenfalls eine Verdinglichung der vermögenswerten Bestandteile zu einem „vermögenswerten Ausschließlichkeitsrecht“ voraus (Erman/Ehmann12 Rn 261), weshalb die Anerkennung der Übertragbarkeit nur eine logische Folge wäre (so Erman/Ehmann12 Rn 261; Ullmann WRP 2000, 1053; Beuthien/Hieke AfP 2001, 355; Wagner GRUR 2000, 719; Seitz NJW 2000, 2168). Insofern ist jedoch anzumerken, dass dieser Rückschluss keinesfalls zwingend ist, da bspw das UrhG selbst die Übertragbarkeit ausschließt, aber eine Vererblichkeit akzeptiert, §§ 28, 29 UrhG (so auch Unseld GRUR 2011, 982, 984; ähnlich auch MüKo/ Rixecker Rn 35, der jedoch bei Annahme der Unveräußerlichkeit im Fall der Vererblichkeit eine besondere Begründung für erforderlich hält). 205 Festgehalten werden kann mithin zunächst, dass in der Praxis durchaus ein erhebliches Interesse an einem marktgängigen (Persönlichkeits-)Gut besteht, welches dem Einzelnen rechtssichere Dispositionen über die kommerziellen Bestandteile des APR bspw im Rahmen von Merchandising-Vereinbarungen oder Exklusivverträgen ermöglicht. Zugleich ist jedoch zu konstatieren, dass sich die beiden Schutzbereiche des APR, also der ideelle und der kommerzielle Interessenkreis, in vielen Bereichen überschneiden und jedenfalls nicht klar voneinander trennen lassen (so auch Götting NJW 2001, 585, 587). Aus diesem Grund ist trotz möglicher Einschränkungen oder gerade wegen möglicher Einschränkungen der Verkehrsfähigkeit im Interesse des Trägers i Erg an einem einheitlichen Persönlichkeitsrecht festzuhalten, denn die Anerkennung von selbständigen „Personalgüterrechten“ und damit eine strikte und ungebundene Aufspaltung zw ideellen und kommerziellen Bestandteilen wird zum einen dem Ziel eines umfassenden Schutzes der Gesamtpersönlichkeit nicht gerecht, zum anderen erscheint diese Trennung nicht praktikabel, denn auch bei der kommerziellen Verwertung können wichtige ideelle Belange berührt sein – niemand sollte jedoch auf das Selbstbestimmungsrecht bzgl seiner öffentlichen Darstellung verzichten können (Götting/Schertz/Seitz, § 10 Rn 14). Vorzugswürdig erscheint mithin der Weg, in Anlehnung an das dt monistische Urheberrechtsmodell und insb unter Bezugnahme auf die Regelung in § 31 UrhG, dem Rechtsinhaber zu gestatten, Dritten ausschließliche oder einfache Nutzungsrechte einzuräumen, die zeitlich oder inhaltlich beschränkt werden können, die jedoch immer untrennbar mit der Persönlichkeit verbunden sind und durch ein einheitliches Persönlichkeitsrecht abgesichert werden (so Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 279ff; ähnlich auch Forkel GRUR 1988, 492; Schubert AfP 207, 20, 24; MüKo/Rixecker Rn 36). Der Inhaber von Persönlichkeitsrechten kann insofern anderen Nutzungsrechte etwa an seinem Namen oder Bildnis einräumen – diese bleiben mit Blick auf die unverzichtbaren ideellen Interessen jedoch als Tochterrechte untrennbar mit dem beim Rechtsinhaber verbleibenden Stammrecht verbunden („gebundene Rechtsübertragung“). Konsequenz einer solchen Konstruktion wäre bspw, dass dem Träger entspr § 42 UrhG ein Widerrufsrecht aus wichtigem Grund zusteht, welches ihm im Fall einer gewandelten Überzeugung mit Blick auf die dynamische Funktion des APR (siehe Rn 1) die Möglichkeit gibt, ein eingeräumtes Recht unter bestimmten Umständen zurückzurufen. Ebenso könnte in Anlehnung an § 34 UrhG eine Weiterübertragung von der Zustimmung des Trägers abhängig gemacht werden (so auch Götting/Schertz/Seitz, § 10 Rn 8ff). Die Einräumung dieser Rechte würde insb mit Blick auf die ideellen Persönlichkeitsinteressen einer zu weitgehenden Fremd86

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bestimmung entgegenwirken. Insgesamt hat das Modell einer gebundenen Rechtsübertragung mithin den offenkundigen Vorteil, an ein bewährtes System anknüpfen zu können; zugleich behält es aber auch die bestehende Verflechtung von ideellen und kommerziellen Interessen und deren Wechselwirkung im Bereich des Persönlichkeitsrechtsschutzes im Blick, weshalb es dem dualistischen immaterialgüterrechtlichen Modell vorzuziehen ist (so auch MüKo/Rixecker Rn 36; Götting/Schertz/Seitz, § 10 Rn 16ff; Forkel GRUR 1988, 491, 498f; Forkel FS Neumayer, 1986, 229, 243f; Buchner, Informationelle Selbstbestimmung im Privatrecht, 218ff; Schubert AfP 2007, 20, 24). 4. Einfach-rechtlicher Schutz der kommerziellen Bestandteile. Nach BGH NJW 2007, 689 – Lafontaine unter- 206 liegen die „kommerziellen Interessen“ nicht dem Schutz des – vom bürgerlich-rechtlichen APR zu unterscheidenden (zur Differenzierung vgl Rn 4) – verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechts (s auch BGH ZUM 2010, 529 – Der strauchelnde Liebling; ZUM 2011, 656 – Markt & Leute; zuletzt BGH NJW 2013, 793, 796 – Playboy am Sonntag mwN); wie das BVerfG (NJW 2000, 1021 – CvM; ähnlich NJW 2006, 3409 – Blauer Engel II; NJW 2006, 595 – Pestalozzis Erben) den Schutz der kommerziellen Bestandteile bewertet, ist nicht eindeutig zu beurteilen. Vielfach wird eine skeptische Sicht bzgl des verfassungsrechtlichen Schutzes der kommerziellen Bestandteile bejaht, da das BVerfG nur kurze Zeit nach der Marlene-Entscheidung des BGH (143, 214), durch welche die vermögenswerten Bestandteile des zivilrechtlichen APR anerkannt wurden, feststellte: „Das APR ist nicht im Interesse einer Kommerzialisierung der eigenen Person gewährleistet“, wobei dieser Satz, wie auch Helle AfP 2010, 531, 533 bemerkt, primär die sog Waiver-Doktrin und nicht das kommerzielle Persönlichkeitsrecht betraf. Grds bestehen jedoch keine Bedenken (ebenso wie mit Blick auf den postmortalen Persönlichkeitsrechtsschutz) gegen die bürgerlich-rechtliche Anerkennung der kommerziellen Interessen der Persönlichkeit (vgl BVerfG NJW 2006, 3409 – Blauer Engel II), selbst wenn das BVerfG eine entspr verfassungsrechtliche Position verneinen würde. Konsequenz eines fehlenden verfassungsrechtlichen Schutzes ist jedoch, dass den kommerziellen Interessen im Abwägungsprozess mit der Meinungs- und Pressefreiheit sowie sonstigen verfassungsrechtlich geschützten Freiheiten anderer ein geringeres Gewicht zukommt als den ideellen Interessen der Persönlichkeit. 5. Spezielle Fallgruppen des Schutzes vor kommerzieller Verwertung. a) Schutz gegen die ungenehmigte 207 Verwendung der Stimme. Neben Namen und Bildnis bietet auch die Stimme einer Person ein eindeutiges Identifizierungsmerkmal, das individualisiert, von der Person ablösbar und mithin kommerzialisierbar ist, weshalb es gegen die unbefugte Nutzung durch Dritte geschützt werden muss (vgl auch BGH GRUR 2000, 709, 712 – Marlene Dietrich: der Stimme kann ein beträchtlicher Wert zukommen; Hamburg NJW 1990, 1995 – Heinz Erhardt). Nach Hamburg aaO, das sich in einer einstw Verfügung mit der Frage des Stimmschutzes auseinandersetzen musste, ist die Persönlichkeit als Ganzes vor einer kommerziellen Ausbeutung zu bewahren, weshalb die Grundsätze des Bildnisschutzes nach §§ 22ff KUG – als normatives Leitbild – auf den Schutz der Stimme zu übertragen seien, denn die Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung stehe jener einer unbefugten Bildnis- oder Namensverwendung in nichts nach (vereinzelt wird auch eine analoge Anwendung befürwortet: Lausen ZUM 1997, 86, 90). Ein Recht an der eigenen Stimme ist daher grds zu bejahen (Peukert ZUM 2000, 710, 719f; Schierholz in Götting/Schertz/Seitz, § 16 Rn 23 sehen die Stimme gar als eigenständiges besonderes Persönlichkeitsrecht an), weshalb jede ungenehmigte Nutzung und Kommerzialisierung einen Eingriff in das APR darstellt. Durch die Nachahmung der Stimme oder die Verwendung der Originalstimme wird der Anreiz- und der Aufmerksamkeitswert der betroffenen Person ausgenutzt, was jedenfalls ein Künstler, der für den werblichen Einsatz seiner Persönlichkeit naturgemäß eine Gage fordern kann, nicht hinnehmen muss (so auch Hamburg aaO, 1996 – Heinz Erhardt). Das Persönlichkeitsrecht bietet daher in einer Parallelwertung zum Bildnis- und Namensrecht Schutz gegen die ungenehmigte Verwendung der Stimme im Original oder in Form einer Stimmimitation, denn aufgrund des beträchtlichen wirtschaftlichen Wertes, den insb bekannte Stimmen für die Werbebranche haben, ist dem Berechtigten die freie Entscheidung darüber zuzubilligen, ob und unter welchen Voraussetzungen er diese den Geschäftsinteressen Dritter zugänglich machen will. Die Rspr erkennt damit an, dass die Stimme Gegenstand des Wirtschaftsverkehrs sein kann, und billigt dem Einzelnen i Erg eine aktive Verwertungsmöglichkeit der Stimme zu (Jung, 129; so i Erg auch Wandtke/Bullinger, Urheberrecht Einl Rn 41). Zudem kann durch die unberechtigte Nutzung auch der Achtungsanspruch einer Person betroffen sein, wenn der Eindruck entsteht, der Betroffene habe der Werbung zugestimmt (zum Verhältnis des persönlichkeitsrechtlichen Schutzes zum urheberrechtlichen Leistungsschutz Schierholz in Götting/Schertz/Seitz, § 16 Rn 25ff). Zur Stimmimitation in satirischem Kontext LG Berlin ZUM-RD 2005, 517 – Gerhard Mayer-Vorfelder; LG München I AfP 2006, 582 – Lukas Podolski. b) Schutz gegen die ungenehmigte Verwendung des Namens. Das APR gewährt ebenfalls Schutz gegen die un- 208 befugte Verwendung des Namens. Anerkannt ist dabei, dass das Namensrecht sowohl den ideellen als auch den kommerziellen Interessen des Namensträgers zu dienen bestimmt ist (BGH NJW 2000, 2195, 2200 – Marlene Dietrich; zum Schutz vor kommerzieller Vermarktung ausf Rn 201ff), und den Berechtigten mithin in zweierlei Hinsicht schützt (MüKo/Säcker § 12 Rn 3). Vor diesem Hintergrund bedarf die Namensnennung in der Werbung, die nach Auffassung des BGH nicht unter § 12 fällt, sondern einen Eingriff in das APR darstellt (BGH GRUR 1959, 430 – Caterina Valente), regelmäßig der Einwilligung des Berechtigten. Allerdings kann die mit der Namensnennung verbundene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts hinzunehmen sein, wenn sich die Werbeanzeige einerseits in satirisch-spöttischer Form mit einem in der Öffentlichkeit diskutierten Ereignis auseinandersetzt, an dem der Genannte beteiligt war, und, wenn andererseits der Image- oder Werbewert des Genannten durch die Verwendung seines Namens nicht ausgenutzt und nicht der Eindruck erweckt wird, als identifiziere er sich mit dem beworbenen Produkt oder empfehle es (BGH GRUR 2008, 1124, 1126 – Lucky Strike: Klass

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Ernst August v Hannover; NJOZ 2008, 4549, 4553 – Lucky Strike: Dieter Bohlen; s hierzu auch die Entsch des EGMR NJW 2016, 781 – Ernst August v Hannover/Deutschland II sowie EGMR ZUM-RD 2016, 561 – Dieter Bohlen/Deutschland). Ob es ein Recht auf Namensanonymität als Ausfluss des APR gibt, ist nicht abschließend geklärt (ausf hierzu Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 96ff), muss jedoch als Ausfluss des Rechts auf Anonymität (vgl Rn 118) bejaht werden – auch wenn dieses Recht in analoger Anwendung von §§ 22, 23 KUG zurücktreten muss, wenn ein höherrangiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Namensnennung besteht (Neumann-Duesberg JZ 1970, 564, 566; vgl KG ZUM 2005, 406, 407 – Schauspielerkind; MMR 2009, 478 – Gerichtsverfahren; BGH NJW 1991, 1532, 1533f – Bekanntgabe des Notfallarztes). Zur markenmäßigen Benutzung von Namen s BPatG GRUR-Rs 2013, 06657 sowie BPatG GRUR 2012, 1148 – Robert Enke. c) Schutz gegen ungenehmigte Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung von Bildnissen zu Werbezwecken (s hierzu ausf Rn 184). d) Schutz gegen die unbefugte Verwendung individueller Texte und Aussagen. Nicht zuletzt dürfen, worauf MüKo/Rixecker Rn 142 zu Recht hinweist, auch individuelle, persönlich geprägte Texte einer Person, aber auch von dieser geprägte Aussagen nicht zur ausschließlichen Verfolgung fremder, rein geschäftlicher Interessen eingesetzt werden. 6. Rechtswidrigkeit. Die Verletzung der kommerziellen Interessen des APR erfolgt durch Vermarktung, dh durch Verwertung der vermögenswerten Bestandteile zum Zwecke der Gewinnerzielung und damit durch die unberechtigte Nutzung der ausschließlich dem Träger zugewiesenen Persönlichkeitsmerkmale, insb durch Werbemaßnahmen, wie zB Anzeigen, Fernsehspots, Verpackungen, das Auftreten oder die Abbildung von Doppelgängern (OLG Köln ZUM-RD 2015, 521: Ähnlichkeit beurteilt sich nach Gesamtumständen) uÄ. 7. Rechtfertigungsmöglichkeiten. Der Eingriff in anerkannte schützenswerte kommerzielle Interessen kann ebenso wie Eingriffe und Verletzungen ideeller Interessen durch entgegenstehende Interessen und Rechte des Eingreifenden gerechtfertigt sein. In Betracht kommt insb eine Rechtfertigung durch § 23 I Nr 1 KUG („PdZ“). Schon nach der alten Rspr war jedoch anerkannt, dass die durch § 23 I Nr 1 KUG im Interesse der Öffentlichkeit gewährleistete Abbildungsfreiheit nicht greift, wenn das Bildnis zu Werbe- oder sonstigen Geschäftszwecken verwendet wird, vielmehr betonte der BGH, es müsse dem Einzelnen vorbehalten bleiben, ob er sein Bild als Anreiz für einen Warenkauf zur Verfügung stellen will oder nicht (BGH 20, 345, 350 – Dahlke). Dies galt und gilt auch unabhängig davon, ob die Bildveröffentlichung den Abgebildeten in einem „ungünstigen Lichte“ (RG 125, 82 – Tull Harder) zeigt oder ob die beworbenen Waren als anrüchig oder unangemessen angesehen werden (wie in BGH 26, 349 – Herrenreiter, Potenzmittel; 35, 363 – Ginseng; NJW 1971, 698 – Liebestropfen; 30, 7 – Caterina Valente, Kukident; GRUR 1984, 907 – Prof Niehaus). Im Einzelfall für zulässig erachtet wurde jedoch die Verwendung von Bildnissen, sofern sie von einem redaktionellen Beitrag begleitet wurden (BGH NJW-RR 1995, 363 – Wepper/Schlecker; Frankfurt NJW 1989, 402 – Boris Becker; dagegen Helle, 188; BGH NJW 1979, 2203 – Franz Beckenbauer/Wandkalender; abl BGH ZUM 2013, 132 – Playboy am Sonntag: Abdruck eines Fotos im redaktionellen Teil einer Zeitung, das eine prominente Person bei der Lektüre dieser Zeitung zeigt). Vor dem Hintergrund der Bedeutung der verfassungsrechtlichen Kommunikationsfreiheiten, insb der Meinungs- und Pressefreiheit, im Abwägungsprozess des § 23 I Nr 1 KUG und angesichts der stärkeren Betonung des Informationsinteresses (vgl Rn 39, 184) ist die Veröffentlichungsfreiheit jedoch ausgeschlossen, wenn der Eingreifende keinem schutzwürdigen Informationsinteresse der Öffentlichkeit nachkommt, sondern durch die Verwendung des Bildnisses allein bzw ausschließlich sein Geschäftsinteresse befriedigen will (so BGH 143, 214, 229 – Marlene Dietrich; NJW 1997, 1152 – Bob Dylan; BVerfG NJW 2001, 594 – Willy Brandt-Medaille; deutlich auch BGH NJW 2007, 689 – Lafontaine; ZUM 2013, 132, 136 – Playboy am Sonntag); dies ist allerdings nicht der Fall, wenn er sich in satirisch-spöttischer Art und Weise mit einer die Öffentlichkeit wesentlich interessierenden Frage auseinandersetzt. In diesem Fall kann den kommerziellen Interessen des Betroffenen jedenfalls kein Vorrang eingeräumt werden, sofern die Werbung keine berechtigten ideellen Interessen verletzt (s hierzu Rn 184). Auch die Kunstfreiheit kann als Rechtfertigungsgrund für eine Veröffentlichung streiten, denn sie schützt nicht nur den Werk-, sondern auch den Wirkbereich der Kunst, weshalb auch die Werbung für das Kunstwerk umfasst wird (BVerfG 77, 240, 251 – Herrnburger Bericht; BGH 143, 214, 229 – Marlene Dietrich). Zudem kann die Vermarktung „vermögenswerter Bestandteile“ des APR, zB des RaeB oder des Namensrechts durch eine Einwilligung des Berechtigten gerechtfertigt sein (zur Einwilligung ausf Rn 229ff). Weitere aktuelle Kasuistik: BGH GRUR 2010, 546 – Boris Becker (Der strauchelnde Liebling): Die Werbung für eine geplante Zeitung (FAS) mit der Titelseite eines Testexemplars, auf der eine prominente Person abgebildet ist, verletzt nicht allein deshalb deren RaeB, weil später keine Ausgabe der Zeitung erscheint, die eine der Ankündigung entspr Berichterstattung enthält; eine Verletzung des RaeB liegt jedoch von dem Zeitpunkt an vor, zu dem es dem Werbenden möglich und zumutbar war, die Abbildung der Titelseite des Testexemplars durch die Abbildung der Titelseite einer tatsächlich erschienenen Ausgabe der Zeitung zu ersetzen (Boris Becker hatte 2,3 Mio Euro gefordert, das LG München I AfP 2006, 382 sprach ihm 1,2 Mio Euro zu); vgl auch BGH ZUM 2011, 656 – Markt & Leute; GRUR 2009, 1085 – Wer wird Millionär?, Werbung für ein Rätselheft mit dem Bild von Günther Jauch: Eine Berichterstattung lässt dann keinen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung erkennen, wenn sich der die Bildveröffentlichung begleitende Text darauf beschränkt, einen beliebigen Anlass für die 88

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Abbildung einer prominenten Person zu schaffen – dient die Veröffentlichung ausschließlich den Geschäftsinteressen des Presseorgans, muss eine Rechtfertigung scheitern; so auch LG Köln AfP 2010, 406, 407 – Eigenwerbung; BGH ZUM 2013, 132 – Playboy am Sonntag: Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr von 50.000 Euro; vgl auch LG Hamburg NJW 2007, 691, das Joschka Fischer 200.000 Euro wegen Verletzung seiner kommerziellen Interessen für die Werbung mit seinen verkindlichten Gesichtszügen für die Welt-Kompakt zuspricht. 8. Verschulden. Die rechtswidrige Verletzung der „vermögenswerten Bestandteile“ setzt keine schwere Verletzung und/oder kein schweres Verschulden voraus: „Wer die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts auch bloß fahrlässig verletzt, haftet ebenso wie bei der Verletzung anderer vermögenswerter Ausschließlichkeitsrechte für den eingetretenen materiellen Schaden, ohne dass es darauf ankäme, wie schwerwiegend der Eingriff war“ (BGH 143, 214, 228 – Marlene Dietrich). 9. Verhältnis zu anderen Schutzbereichen des APR. Werden Persönlichkeitsmerkmale einer Person unberechtigt für kommerzielle Zwecke verwendet, kann zudem auch der Ehrenschutz (insb im Rahmen der Werbung für anrüchige oder umstr Produkte, Rn 94ff), das Recht auf Selbstdarstellung (Gefahr der Identitätsverfälschung, zB bei der Indienstnahme für bestimmte Aussagen, Präferenzen oder Werte, vgl Rn 193ff) oder der Schutz gegen die unberechtigte Verwendung der Stimme oder des Bildnisses (Rn 207ff, 167ff) einschlägig sein. V. Schutz vor Belästigungen. 1. Unerwünschte Werbung sowie sonstige unerwünschte Kontaktaufnahme. a) Briefkastenwerbung. Briefkastenwerbung an sich verletzt das APR nicht – jedoch gewährt dieses jedem Einzelnen Schutz vor der Missachtung des ausdr geäußerten Willens, keine Werbung empfangen zu wollen (BGH GRUR 1992, 617 – Briefkastenwerbung; NJW 1989, 902; AG Brühl NJW-RR 2006, 272; KG NJOZ 2002, 2203; MüKo/Rixecker Rn 123 – jedoch krit mit Blick auf Parteienwerbung; Fikentscher NJW 1998, 1337, 1339; Kläver ZUM 2002, 205, 209; Kaiser NJW 1991, 2870, 2871; Ladeur in Götting/Schertz/Seitz, § 39 Rn 1; aber keine Verletzung, wenn einem Postgiroteilnehmer gegen seinen Willen zusammen mit dem Kontoauszug dreimal im Monat Werbebeilagen übersandt werden, BVerwG NJW 1991, 2920). Dies ist Ausdruck des dem APR innewohnenden Rechts, in Ruhe gelassen zu werden (BGH 8.2.2011 – VI ZR 330/09), aus welchem das Recht des Einzelnen folgt, „seine Privatsphäre freizuhalten von der unerwünschten Einflussnahme anderer, und selbst zu entscheiden mit welchen Personen und ggf in welchem Umfang er Kontakt haben will“, das APR kann daher vor Belästigungen schützen, die von einer unerwünschten Kontaktaufnahme herrühren, BGH 8.2.2011 – VI ZR 330/09, sowie des personalen Selbstbestimmungsrechts (Fikentscher NJW 1998, 1337, 1339; Frankfurt NJW 1996, 934) des Betroffenen. Beide sind dem Interesse des Unternehmens an der Werbung zur Absatzsteigerung vorrangig (in diesem Kontext wird zudem auf eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit sowie auf eine die personalen Interessen betreffende Ruhestörung verwiesen, Kläver ZUM 2002, 205, 209). Insb wenn der (potentielle) Empfänger einen entgegenstehenden Willen bspw durch das Anbringen eines Aufklebers oder durch eine Mitteilung an den Werbenden (LG Lüneburg K&R 2012, 127; s auch Anm Mankowski WRP 2012, 269) geäußert hat, stellt sich jede Zuwiderhandlung als eine rechtswidrige Verletzung des APR dar (BGH NJW 1989, 902: Eigentums- und Besitzstörung sowie Verletzung des APR, sofern es nicht nur um die Abwehr der Beeinträchtigung des gegenständlich-räumlichen Eigenbereichs geht; zu kostenlosen Anzeigenblättern mit redaktionellem Teil s auch BGH AfP 2012, 377 – Gratiszeitungen sowie Meyer WPR 2012, 788; vgl iÜ auch Baston-Vogt, 248ff; 467f). War für den Einwerfenden jedoch nicht erkennbar, dass es sich um Werbung handelt, ist er nicht als Störer anzusehen (Stuttgart NJW 1991, 2912; Kaiser NJW 1991, 2913). Nach Karlsruhe NJW 1991, 2913 kann der Abonnent einer Tageszeitung nicht vom Verleger verlangen, ihm die Tageszeitung nur ohne Werbeeinlagen zuzustellen. ZT wird die Rspr des BGH zu Konsumwerbung ebenfalls auf Parteienwerbung übertragen (Bremen NJW 1990, 2140; KG NJW 2002, 379); krit hierzu MüKo/Rixecker Rn 123 sowie Löwisch NJW 1990, 437. b) Telefonwerbung. Telefonwerbung beeinträchtigt jedenfalls immer dann das APR, wenn sie trotz erkennbaren Widerspruchs fortgesetzt wird. Darüber hinaus kann aber auch eine Verletzung vorliegen, wenn aufgrund des vorgenommenen Zeitpunkts oder der Häufigkeit eine besondere Form der Belästigung besteht (Köhler/ Bornkamm § 7 UWG Rn 199). Nach MüKo/Rixecker Rn 124 soll eine bestehende Wettbewerbswidrigkeit nach § 7 II Nr 2 UWG allein jedenfalls nicht zwangsläufig zugleich zu einer Verletzung des APR führen. Anders allerdings Kaboth ZUM 2003, 342, 343, der auf den besonders intensiven Eingriff in die Individualsphäre verweist, wenn bspw Inhaber von Anschlüssen, zu denen bislang keine Beziehungen bestanden haben, unaufgefordert in ihrem privaten Bereich angerufen werden, um Geschäftsabschlüsse anzubahnen oder vorzubereiten. Ähnlich auch Mummenhoff, Persönlichkeitsschutz gegen unerbetene Werbung auf privaten Telefonanschlüssen, 2011, 244ff, der jeden unerbetenen Werbeanruf auf einem privaten Telefonanschluss als Eingriff in das APR ansieht. Zur (wettbewerbsrechtlichen) Unzulässigkeit einer Telefonwerbung ohne vorherige ausdr Zustimmung s auch BGH MMR 2011, 385, 386; Frankfurt MMR 2013, 170, 170. Zu den Anforderungen an die Wirksamkeit einer erteilten Einwilligung nach § 7 II Nr 2 UWG, BGH MMR 2013, 380, 381 – Einwilligung in Werbeanrufe II. Einen umfassenden Schutz der Verbraucher vor unerwünschter Telefonwerbung soll zudem das Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen v 29.7.2009 (BGBl I 2413) bieten. Vgl zudem das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken v 1.10.2013 (BGBl I 3714), das ua auch den Bereich der Telefonwerbung (insb auch durch automatische Anrufmaschinen) erfasst. c) Unerwünschte Werbung durch Fax, E-Mail oder SMS. Unerwünschte Werbung durch Fax, E-Mail oder SMS an einen Marktteilnehmer ist in den meisten Fällen als unzumutbare Belästigung iSv § 7 II Nr 3 UWG und damit als wettbewerbswidrig einzustufen. Gem § 7 II Nr 3 UWG wird eine ausdr Einwilligung des WerbeadressaKlass

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ten verlangt (opt-in-Modell), idR wird jedoch das „Double-opt-in“-Verfahren angewandt (s hierzu LG Traunstein MMR 1998, 53; Frankfurt MMR 2014, 115; krit München MMR 2013, 38). Dieses Verfahren dient zugleich als Nachweis über die Einwilligung des Abonnenten (s Anm Heidrich zu München MMR 2013, 38); zum (zeitlichen) Umfang einer Einwilligung in E-Mail-Werbung s LG Berlin WRP 2012, 610. Zu beachten ist im Rahmen der Prüfung einer unzumutbaren Belästigung iÜ § 7 III UWG, der eine Ausnahme vom Einwilligungserfordernis zu § 7 II Nr 3 UWG vorsieht (Ausnahmetatbestand; opt-out-Modell). Dieser Ausnahmetatbestand soll es dem Unternehmer ermöglichen, im Rahmen bestehender Kundenbeziehungen Werbe-E-Mails bzw Werbe-SMS (s Schöler in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig § 7 UWG Rn 349) ohne eine vorherige Einwilligung des Kunden zu versenden (vermutete Einwilligung; s Köhler in Köhler/Bornkamm § 7 UWG Rn 202f). Dazu müssen die Voraussetzungen des § 7 III Nr 1–4 UWG kumulativ erfüllt werden (Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza § 7 UWG Rn 73). Eine unzumutbare Belästigung liegt folglich nicht vor, wenn der Unternehmer im Zusammenhang mit dem Warenoder Dienstleistungsverkauf vom Kunden eine elektronische Postadresse erhalten hat (Nr 1), der Unternehmer die Adresse zur Direktwerbung für eigene ähnliche Waren oder Dienstleistungen verwendet (Nr 2), der Kunde der Verwendung nicht widersprochen hat (Nr 3) und dieser bei Vertragsschluss deutlich auf Werbe-E-Mails und auf seine Widerspruchsmöglichkeit hingewiesen wurde (Nr 4) (Köhler in Köhler/Bornkamm § 7 Rn 196ff; Mann in Spindler/Schuster § 823 Rn 57). Nach BGH MMR 2010, 33 kann zudem selbst die einmalige unverlangte Zusendung einer E-Mail einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgerichteten Gewerbebetrieb darstellen (vgl auch AG Hannover ITRB 2013, 232: Feedbackanfrage als Werbung). Daneben soll die Versendung von unerwünschten Werbe-E-Mails aber auch einen Eingriff in das APR darstellen (LG Leipzig MMR 2010, 263; KG AfP 2003, 434; LG Lübeck MMR 2009, 868; Hoeren/Sieber/Holznagel/Boemke Teil 11 Rn 94; Hoeren NJW 2004, 3513, 3514). Es gibt jedoch auch Gegenstimmen (AG Kiel MMR 2000, 51, 52), welche die Grundsätze zur Briefkastenwerbung übertragen möchten und daher einen deutlichen Widerspruch fordern. Werbe-SMS werden üblicherweise als noch belästigender empfunden als Werbe-E-Mails, weshalb hier auch ohne erklärten Widerspruch eine Verletzung des APR bejaht werden kann (Remmertz MMR 2003, 314, 315; LG Berlin MMR 2003, 419). d) Sonstige unerwünschte Kontaktaufnahme. Das APR gewährt dem Einzelnen zudem das Recht, seine Privatsphäre von der unerwünschten Einflussnahme anderer freizuhalten und selbst zu entscheiden, mit wem er in welchem Umfang Kontakt haben möchte. Insofern schützt das APR auch vor Belästigungen, die von einer unerwünschten Kontaktaufnahme ausgehen (s hierzu auch BGH NJW 2011, 544 – Zusendung von Mahnschreiben). Keine Verletzung des APR liegt jedoch idR beim ersten Anschreiben einer anwaltlich vertretenen Person vor, selbst wenn diese darum gebeten hat, sie nicht direkt anzuschreiben, Celle ZUM-RD 2015, 587. 2. Nachstellen und Stalking. Das APR gewährt jedem Menschen das Recht, selbst über Kontakte zu anderen Menschen zu bestimmen. Ein unmissverständliches, deutliches und ernstliches Verbot, mit dem Betroffenen brieflich, fernmündlich oder mündlich Kontakt aufzunehmen, ist daher vom Erklärungsempfänger zu achten (LG Oldenburg NJW 1996, 62; Keiser NJW 2007, 3387, 3388; Walter ZUM 2002, 886, 889; Verletzung des APR, wenn der Betroffene trotz mehrfacher Aufforderung, eine direkte Kontaktaufnahme zu unterlassen, wiederholt angeschrieben wird, BGH 8.2.2011 – VI ZR 330/09). Wird dies missachtet und der Betroffene nicht in Ruhe gelassen, steht diesem ein Unterlassungsanspruch zu; in besonders schweren Fällen kommt zudem ein Geldentschädigungsanspruch in Betracht. Hat ein zuvor stattgefundener Kontakt selbst bereits das APR verletzt, kann ein ausdr ausgesprochenes Verbot sogar entbehrlich sein (LG Oldenburg NJW 1996, 62: zB Telefonterror zur Nachtzeit). Liegen „klassische“ Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre (vgl Rn 122ff, Rn 126f) vor, bspw durch heimliche Aufnahmen in der Wohnung (zum Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch § 201a StGB s Rn 144), das Entwenden von Briefen oÄ, greift der auch jenseits des Stalkings anerkannte Schutz durch das APR (Sphärenschutz s Rn 122; Schutz des geschriebenen Wortes Rn 130 etc). Daneben finden in Stalking-Konstellationen auch das GewSchG sowie § 238 StGB Anwendung. Zur Frage, inwieweit jenseits des persönlich motivierten Nachstellens, insb in Fällen der permanenten Paparazzi-Verfolgung, Schutz durch das APR oder das GewSchG gewährt wird, s Rn 145. 3. Schutz vor Mobbing. Mobbing, verstanden als Umschreibung für „fortgesetzte, aufeinander aufbauende und ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach ihrer Art und ihrem Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind“ (Celle NJW 2008, 2202, 2203), kann in seiner Gesamtheit das APR und die Ehre des Betroffenen verletzen (Celle NJW 2008, 2202, 2203; LAG Hamm NZA-RR 2003, 8). Besondere Bedeutung erlangt der Schutz vor Mobbing im Arbeitsverhältnis. Hier ist anerkannt, dass der Arbeitgeber grds verpflichtet ist, das APR der ArbN nicht selbst durch Eingriffe zu verletzen, daneben besteht auch die Pflicht, die ArbN vor Belästigungen durch Mitarbeiter oder Dritte, auf deren Verhalten er Einfluss hat, zu schützen. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach und unterlässt er es, Maßnahmen zu ergreifen oder sein Unternehmen so zu organisieren, dass derartige Eingriffe ausgeschlossen sind, kann er als Störer in Anspruch genommen werden (LAG Thüringen NZA-RR 2001, 347). 4. Schutz vor ideellen Immissionen. Werden von einer Person gegen ihren Willen grob schamverletzende oder zum Intimbereich zählende Vorgänge zur Schau gestellt, kann dies ihr APR verletzen (Staud/Gursky § 1004 Rn B 77f; nicht ausreichend ist jedoch das Auslegen pornographischer Schriften am Kiosk, BGH NJW 1975, 1161, 1162; ebenso nicht die Errichtung eines Bordells in der Nachbarschaft, BGH NJW 1985, 2823, oder das Nacktbaden, Erman/Ehmann12 Rn 287). Ebenso kann das APR verletzt werden, wenn ein Nachbar sog Frust90

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zwerge (gartenzwergartige Gebilde, die untypische Gesten und Posen einnehmen, zB Zwerg mit erhobenem Mittelfinger, sog Fuck-you-Zeichen) in der erkennbaren Absicht aufstellt, den Nachbarfrieden nachhaltig zu stören, denn der ehrverletzende oder beleidigende Charakter seiner Werkschöpfung wird ihm in persona zugerechnet (AG Grünstadt NJW 1995, 889; s auch LG Limburg NJW-RR 1987, 81 zum Anspruch auf Beseitigung eines Galgens an der Grundstücksgrenze). Einstweilen frei. VI. APR und Freiheitsschutz. 1. Freiheitsschutz nach § 823 I. Der Freiheitsbegriff iRd § 823 I umfasst anerkanntermaßen nur die körperliche Fortbewegungsfreiheit (MüKo/Wagner § 823 Rn 161; Jauernig/Teichmann § 823 Rn 5; München 1985, 466, 457), nicht jedoch die über Art 2 I GG geschützte Willens- und Handlungsfreiheit. Die durch diesen restriktiven Freiheitsbegriff entstandenen Schutzlücken werden durch das die Person vor widerrechtlichen Eingriffen schützende APR geschlossen, indem dieses den Schutz der freien Selbstbestimmung hins der in § 823 explizit erwähnten Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit gewährleistet (MüKo/Wagner § 823 Rn 130; BGH NJW 1994, 127 – Vernichtung von Sperma). Schutzgut des § 823 I ist nicht die Materie, „sondern das Seins- und Bestimmungsfeld der Persönlichkeit, das in der körperlichen Befindlichkeit materialisiert ist“ (BGH NJW 1994, 127 – Vernichtung von Sperma; i Erg so auch NJW 2008, 2846 – Haftung nach erfolgloser Sterilisation; NJW 2006, 1660 – Unterhalt als Schaden; NJW 1995, 2407, 2408 – Kind als Schaden und NJW 1980, 1452, 1453 – Ungewolltes Kind; s auch Hamm 4.2.2013 – I-22 U 108/12 zur unbefugten Verwendung eingelagerten Spermas). In diesen Rechtsgütern hat das APR somit die bereits vom RG geforderte „gegenständliche Verkörperung“ (dazu RG 58, 30 – Jute-Plüsch) erhalten. Zum Schutz der Kenntnis der eigenen Abstammung s BVerfG NJW 2016, 1939: kein absoluter Schutz durch das APR, vielmehr ist Ausgleich mit widerstreitenden Interessen erforderlich sowie NJW 2010, 3772 – „whole genome sequencing“; s aber auch EGMR 13.7.2006 – 58757/00 Rn 39ff – Jäggi/Schweiz: Kenntnis der eigenen Abstammung von besonderer Bedeutung; Hamm NJW 2013, 1167 – Auskunftspflicht des Arztes über den Samenspender bei heterologer Insemination. 2. Schutz vor Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit. Das bürgerlich-rechtliche APR umfasst nur ausnahmsweise den Schutz vor Beeinträchtigungen der Entscheidungsfreiheit, so bei einer unbegründeten Betreuung (Entmündigung) mit der Folge, dass die durch die Geschäftsfähigkeit gegebene Freiheit der Selbstbestimmung verloren wird (vgl bereits Erman/Ehmann12 Rn 272), oder bei einer unrechtmäßigen Freiheitsentziehung aufgrund eines objektiv falschen gerichtlichen Sachverständigengutachtens (Frankfurt DS 2008, 115 – Bankräuber) oder bei unrechtmäßiger ordnungsrechtlicher Unterbringung in geschlossener psychiatrischer Anstalt (BGH NJW 2012, 1448 – Liebeshunger; vgl BVerfG NJW 2013, 2337– Medizinische Zwangsbehandlung) oder bei nachträglicher Anordnung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung (BVerfG NJW 2011, 1931) bzw bei Androhung „erheblicher Schmerzen“ während der polizeilichen Vernehmung (Frankfurt NJW 2013, 75). Die Inhaftierung eines Strafgefangenen stellt hingegen keine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung dar (anders bei einer menschenunwürdigen Unterbringung, vgl BGH NJW 2005, 58). S auch zur unzulässigen Auflage in einem Sorgerechtsverfahren, eine Psychotherapie fort- bzw durchzuführen, BVerfG NJW 2011, 1661. 3. Ärztliche Heileingriffe. Bei unbefugten, aber kunstgerechten ärztlichen Heileingriffen, die aufgrund einer fehlenden bzw mangelhaften ärztlichen Aufklärung das Selbstbestimmungsrecht des Patienten verletzen (dazu BVerfG NJW 1979, 1925, 1925f; BGH 166, 336 – Aufklärung über seltene mit der Blutspende spezifisch verbundene Gefahren; zum Umfang der Aufklärungspflicht BGH 29, 46; NJW 2015, 74 – Aufklärung über Risiken einer Koloskopie; NJW 2005, 3703 – Aufklärung über Alternative einer primären Schnittentbindung bei Zwillingsschwangerschaft; NJW 2005, 1718 – Pflicht des Arztes zur Selbstbestimmungsaufklärung; NJW 2009, 2820 – Arzthaftung bei mangelnder Mitwirkung des Patienten nach unzureichender Aufklärung; Düsseldorf NJW 1963, 1679 – Einwilligung in kosmetische Operation), leitet sich der Unrechtsgehalt in erster Linie aus der Verletzung der Persönlichkeit des Patienten ab und nicht aus einer Verletzung seines Körpers (so aber die st Rspr, vgl BGH NJW 2006, 2108 – Blutspende; s auch MüKo/Wagner § 823 Rn 758), insb weil die Qualifizierung als Körperverletzung nicht mit der Intention des Arztes zu heilen in Einklang zu bringen ist (Baston-Vogt, 269; Laufs/ Kern, Hdb des Arztrechts4 2010, § 6 Rn 29). Praktische Folge dieser Einordnung ist, dass nicht der Arzt die Darlegungs- und Beweislast für die Wirksamkeit der Einwilligung trägt, da nicht von der Erfüllung des Tatbestands der Körperverletzung auf die Rechtswidrigkeit geschlossen werden kann, sondern vielmehr der Patient den Eingriff in sein Selbstbestimmungsrecht darlegen (MüKo/Wagner § 823 Rn 758; aA Deutsch AcP 192, 161, 165, der unter bestimmten Voraussetzungen eine Beweislastverschiebung zugunsten des Patienten annimmt) und einen konkreten Schaden nachweisen muss (München NJW-RR 2002, 811, 814 – Bluttransfusion einer Zeugin Jehovas, wo auch zu den Grenzen des Selbstbestimmungsrechts Position bezogen wird). 4. Entnahme menschlicher Organe und Körpersubstanzen. Die heimliche Entnahme von Organen und Körpersubstanzen verletzt bei Lebenden neben dem Körper auch deren Selbstbestimmungsrecht und muss daher durch ihre Einwilligung legitimiert sein (Forkel JZ 1974, 593, 596; Baston-Vogt, 274; Taupitz AcP 191, 201, 206; zu heimlichen DNA-Tests zur Bestimmung der Vaterschaft s Wissing ZRP 2003, 342, 342; Rittner/Rittner NJW 2005, 945 sowie NJW 2002, 1745; auch künstliche Körperteile, wie Zahngold, können das besondere Persönlichkeitsrecht am Körper genießen, BGH NJW 2015, 2901). Das APR ist ebenso bei einer vom Willen des Rechtsträgers nicht gedeckten Verwertung entnommener Körpersubstanzen betroffen (EuGH NJW 1994, 3005, 3006 – Verdeckter Aids-Test; BVerfG NJW 2007, 753 – Heimlicher Vaterschaftstest; BGH NJW 2005, 497 – Heimliche DNA-Tests; LG Köln NJW 1995, 1621, 1622 sowie LG Magdeburg 19.11.2013 – 2 S 140/13 – HIV-Test ohne Einwilligung; MüKo/Wagner § 823 Rn 132; zur Entnahme und Nutzung von Körpersubstanzen s auch Spranger Klass

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NJW 2005, 1084 sowie Werner, Entnahme und Patentierung menschlicher Substanzen, 51ff), insb wenn ursprünglich beabsichtigt war, diese – wie bei Eizellen nach einer extrakorporalen Befruchtung – wieder einzugliedern, sodass eine „funktionale Einheit“ fortbestand (Staud/Jickeli/Stieper § 90 Rn 31; Taupitz NJW 1995, 746ff; Laufs/Reiling NJW 1994, 775f; aA BGH (NJW 1994, 127 – Vernichtung von Sperma), der von einer Körperverletzung ausgeht; zu weiteren Differenzierungen vgl Taupitz AcP 191, 201, 208ff). Dies muss auch bzgl der Vernichtung des zur Fortpflanzung bestimmten konservierten Spermas gelten, da hierdurch das Persönlichkeitsrecht des Rechtsträgers in gleicher Weise betroffen ist wie das Persönlichkeitsrecht der Frau bei der Vernichtung einer zur Reimplantation bestimmten Eizelle (MüKo/Wagner § 823 Rn 131; Staud/Jickeli/Stieper § 90 Rn 32; aA BGH NJW 1994, 127 – Vernichtung von Sperma). Sofern der Wille des Rechtsträgers nicht auf eine Wiedereingliederung abzielte und die Körperbestandteile daher endgültig abgetrennt werden sollten, verlieren diese jedoch idR ihre Zuordnung zum Schutzgut Körper und werden zu Sachen im Rechtssinn (BGH NJW 1994, 127 – Vernichtung von Sperma; Taupitz AcP 191, 201, 208). Eine unbefugte Entnahme von Organen bzw Körpersubstanzen bei Verstorbenen greift in deren Verfügungsrecht über ihren Körper ein, welches auch über den Tod hinaus fortbesteht, sodass ein Eingriff in das postmortale Persönlichkeitsrecht vorliegt (Staud/Kannowski Vor § 1 Rn 29; s in diesem Kontext auch München NJW-RR 2000, 1603 – Exhumierung eines Verstorbenen zwecks Vaterschaftsfeststellung: Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung überwiegt postmortales APR des Vaters). H. Berechtigte (Gegen-)Interessen und Rechtfertigungsgründe – Vorgaben für die Güter- und Interessenabwägung. I. Rechtswidrigkeit und Rechtfertigungsgründe. Eingriffe in das APR (Rahmenrecht) gehören zu den sog offenen Verletzungstatbeständen (Damm/Rehbock Rn 647; Wenzel/Burkhardt Rn 6.6). Das erfolgsbezogene Unrechtskonzept gilt nicht, die Rechtswidrigkeit einer Handlung wird vielmehr im Rahmen einer situationsbezogenen Güter- und Interessenabwägung im jew Einzelfall festgestellt (vgl EGMR NJW 2012, 1058 – Axel Springer AG/Deutschland; BVerfG ZUM 2013, 122 – Interpretationsvorbehalt bei Wiedergabe einer mehrdeutigen Äußerung; GRUR 2011, 255 – Carolines Tochter; NJW 2006, 207, 208 – Stolpe; AfP 2006, 349 – Babycaust; BGH GRUR 2013, 312 – Zulässige Berichterstattung über Stasitätigkeit – IM „Christoph“; GRUR 2012, 422 – Pornodarsteller). Führt die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zu dem Ergebnis, dass die Handlung über das verfassungsrechtlich zulässige Maß hinausgegangen ist (BVerfG GRUR 2007, 1085 – Esra; BGH NJW 1976, 1198 – Panorama; NJW 1979, 266, 267), kann die Rechtswidrigkeit bejaht werden; ist die Handlung bspw gem Art 5 I 1, 2 GG zulässig, entfällt die Rechtswidrigkeit. Verletzungen des APR können als Delikte zudem durch die allg Rechtfertigungsgründe, insb die Einwilligung (ausdr oder konkludent, s ausf Rn 229ff), Notwehr- und notwehrähnliche Lagen sowie aufgrund der §§ 193 StGB, 824 BGB, 4 Nr 8 Alt 2 UWG gerechtfertigt sein. Während die §§ 824 II BGB und 4 Nr 8 Alt 2 UWG Eingriffe im wirtschaftlichen Kontext (zum Schutz der „wirtschaftlichen Ehre“ bzw des Images) mit dem Begriff des „berechtigten Interesses“ rechtfertigen, zählt § 193 StGB, der für den zivilrechtlichen Schutz des APR entspr gilt, einzelne Rechte auf. Umfasst werden zB tatsächliche Urt über wissenschaftliche, künstlerische sowie gewerbliche Leistungen, Äußerungen in rechtlichen Verfahren zur Ausführung oder Verfolgung von Rechten sowie ganz allg Äußerungen „zur Wahrnehmung berechtigter Interessen“. II. Rechtfertigende Einwilligung. 1. Charakter und Rechtsnatur der rechtfertigenden Einwilligung. Die Rechtsfigur der Einwilligung ist nicht ausdr normiert, wird jedoch allg anerkannt (Kohte AcP 185, 105, 108; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 142f; Klass AfP 2005, 507, 508; Dasch, Einwilligung, 40; Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, 178ff). Sie ist Mittel, um über bestimmte Rechte in begrenztem Rahmen zu disponieren (Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 143), und findet ihre Grundlage sowohl im anerkannten Rechtssatz „volenti non fit iniuria“ (Ohly, 63ff) als auch im grundrechtlichen Schutz der Dispositionsfreiheit. BVerfG NJW 1979, 1925, 1929f nennt als normative Wurzeln des Einwilligungsrechts das Selbstbestimmungsrecht sowie die Achtung vor der Entschließungsfreiheit und der Würde des Menschen. Als tragender Grund ihrer Anerkennung kann heute also letztlich das Prinzip der Privatautonomie angesehen werden (Kohte AcP 185, 1985, 105, 110; Klass AfP 2005, 507, 508 mwN). Durch die Einwilligung wird ausnahmsweise etwas erlaubt, das ohne sie eine unerlaubte Handlung darstellen würde. Erteilt der Rechtsinhaber eine Einwilligung, erlaubt er mithin einer anderen Person, in sein Rechtsgut einzugreifen. Konstruktiv wird die Einwilligung folglich als Rechtfertigungsgrund qualifiziert, der einer Pflichtverletzung bzw unerlaubten Handlung das Merkmal der Widerrechtlichkeit nimmt (Kohte AcP 185, 105, 110; Dasch, Einwilligung 27ff/50). Str ist die Rechtsnatur der Einwilligung (Willenserklärung, Realakt oder rechtsgeschäftsähnliche Handlung – zum Streit: Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, 178ff; Klass AfP 2005, 507; Libertus ZUM 2007, 621 sowie BGH NJW 1980, 1903; Düsseldorf 24.5.2011 – 20 U 39/11; München NJW 2002, 305). In der Sache geht es dabei um die Frage nach der Anwendbarkeit der Rechtsgeschäftsregelungen (zum Streit um die Rechtsnatur sowie zu den einzelnen Arg s ausf Klass, Realitätsfernsehen, 2003, 255ff mwN). Diese Frage sollte jedoch nicht abstrakt, sondern vielmehr induktiv im Lichte der konkreten Einzelfragen und mit Blick auf eine möglichst umfassende Absicherung des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen beantwortet werden (Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 148; Klass AfP 2005, 507, 508; Kohte AcP 185, 105, 120), denn die rechtliche Einordnung als solche vermag die Frage nach der Angemessenheit einer Anwendung der rechtsgeschäftlichen Regelungen nicht abschließend zu lösen. 2. Abgabe, Zugang und Auslegung. a) Abgabe und Zugang. Die Einwilligung ermöglicht weitreichende Dispositionen über Rechtsgüter – sie ist zudem ein Kommunikationsakt, weshalb Abgabe und Zugang der Erklä-

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rung als Wirksamkeitsvoraussetzungen anzusehen sind – eine mutmaßliche Einwilligung ist abzulehnen. Nur so kann der Gefahr einer Konstruktion fiktiver Einwilligungen begegnet werden (Kohte AcP 185, 105, 122). b) Stillschweigende Einwilligungserklärungen. Bestehen keine spezialgesetzlichen Schriftformerfordernisse 231 (§ 4a I 3 BDSG, § 8 II TPG), ist grds auch eine konkludente Abgabe der Einwilligung möglich (BGH ZUM 2015, 329 – Partyhostess: konkludente Einwilligung in die Veröffentlichung eines Bildnisses auf einem Eventportal; Karlsruhe GRUR-RR 2006, 419 – Kamerateam; eine ausdr Einwilligung fordert jedoch München AfP 2001, 135, 136 – Verehrer, Aufhebung der Anonymität; mit Blick auf die Bedeutung und Garantie des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Arbeitsverhältnis verlangt auch das BAG, ZUM 2015, 604, 606 eine ausdr Einwilligung in Schriftform innerhalb von Arbeitsverhältnissen; s hierzu auch Anm Renner ZUM 2015, 608f; vgl zudem BAG DB 1983, 2780 zur Anfertigung eines graphologischen Gutachtens; grds zur Einwilligung eines ArbN Benecke/Groß NZA 2015, 833; Grau/Schaut NZA 2015, 981). Allerdings sind bei konkludenten Einwilligungen im Kontext des Persönlichkeitsrechts erhöhte Anforderungen zu stellen, um dem Selbstbestimmungsrecht in diesem sensiblen Bereich zur bestmöglichen Durchsetzung zu verhelfen (im Einz Klass AfP 2005, 507, 511; zu den Voraussetzungen für eine konkludente Einwilligung München ZUM 2009, 429; Hamburg ZUM-RD 2005, 129). Allein aus dem fehlenden Widerspruch gegen Filmaufnahmen kann bspw nicht auf eine Einwilligung in die Veröffentlichung geschlossen werden (AG Kleve ZUM-RD 2009, 555 – Drogenkriminalität; anders Frankfurt ZUM-RD 2010, 320, 323: wer erkennt, dass er gefilmt wird, und ohne Unwillen zu zeigen, Fragen beantwortet, und durch Gesten, freundliches Winken seine Zustimmung deutlich macht, willigt in die spätere Aufzeichnung ein; s auch zur Beantwortung von Fragen während eines Interviews, welche weder zurückgewiesen wurden, noch zum Abbruch des Interviews oder der Vereinbarung eines Autorisierungsvorbehalts führten, LG Köln 14.8.2013 – 28 O 62/13; differenzierend Karlsruhe GRUR-RR 2006, 419 – Kamerateam: die stillschw erteilte Einwilligung kann nur für die Verbreitung in einem Rahmen angenommen werden, der nicht in einem Missverhältnis zu der Bedeutung steht, die der Betroffene selbst der den Gegenstand der Filmaufnahme bildenden Thematik beilegt; eine über die erkennbaren Umstände bei der Herstellung der Filmaufnahmen hinausgehende Aufklärung über den genauen Inhalt der ausgestrahlten Sendung ist nach KG AfP 2016, 85 für die Wirksamkeit einer stillschweigenden Einwilligung jedoch nicht erforderlich). Grds gilt: Die Einwilligungserklärung muss umso eindeutiger sein, je gewichtiger der Eingriff als auch das betroffene Rechtsgut sind (Ohly, 339). Das Hochladen eines Fotos in einem sozialen Netzwerk stellt keine konkludente Einwilligung in die Weiterverbreitung des Bildes in einem anderen Kontext durch nicht zugriffsberechtigte Dritte dar (München GRUR-RR 2016, 304 Rn. 19; OGH GRUR Int. 2016, 697); auch liegt durch die Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung keine konkludente Einwilligung in die Veröffentlichung herausgeschnittener Bilder einer Einzelperson vor, Frankfurt ZUM-RD 2016, 573 – Germany Stop Taji. Zur klauselmäßigen Einwilligung bei Bildnisrechten s Ernst AfP 2015, 401. c) Umfang und Reichweite – die Auslegung von Einwilligungserklärungen. Die Einwilligung ist ein empfangs- 232 bedürftiger Sozialakt, weshalb im Rahmen der Auslegung § 133 Bedeutung erlangt (Hamburg AfP 1981, 356). Die Auslegung dient der Ermittlung des wirklichen Willens des Einwilligenden und sichert dessen Selbstbestimmung. Grds hängt die Reichweite einer erteilten Einwilligung von der Art der Veröffentlichung ab, welche den unmittelbaren Anstoß für ihre Erteilung gegeben hat; ihr darüber hinausgehend Bedeutung für einen anderen Kontext beizulegen, ist nur bei Bestehen eines besonderen Interesses des Betroffenen möglich (BGH GRUR 2005, 74, 75 – Reitturnier mwN). Bleiben Zweifel, kann zudem auf die urheberrechtliche Zweckübertragungstheorie (§ 31 V UrhG, München AfP 2001, 135, 136 – Verehrer; Hamburg NJW 1996, 1151) sowie die im Datenschutzrecht anerkannte Zweckbindungslehre zurückgegriffen werden. Im Grds muss eine Einwilligung nach Treu und Glauben (Hamburg SpuRt 2010, 159 – Anti-Doping-Regelwerk) und im Zweifel eng ausgelegt werden (LG Nürnberg-Fürth AfP 2009, 177). Erforderlich ist zudem Kenntnis von Umfang und Zweck der Einwilligung (im Bereich der Bildberichterstattung BGH NJW 1985, 1617, 1618f – Biologiebuch sowie Stuttgart NJW 1982, 652 – Nacktfoto; Hamburg AfP 1987, 703, 704 – Aids-Angst hinter Gittern; vgl Düsseldorf 3.6.2015 – 12 O 137/15). Hierdurch lassen sich unbeschränkte Generaleinwilligungen ausschließen. Grds gilt, dass der sachliche, aber auch der zeitliche Umfang einer Einwilligung als begrenzt anzusehen ist, denn nur so kann dem Bedürfnis nach Fort- und Weiterentwicklung der Persönlichkeit, den Wertanschauungen und Meinungen des Einzelnen Geltung verschafft werden (Oldenburg NJW 1983, 1202f; ebenso Soehring/Hoene, Presserecht § 19 Rn 47). Die Reichweite einer Einwilligung ist daher im Einzelfall unter Beachtung aller Umstände der Einwilligungserteilung und unter Berücksichtigung der beteiligten Interessen zu bestimmen (vgl auch BGH NJW 2013, 790, 792 – Zulässige Verdachtsberichterstattung über Stasi-Tätigkeit; BVerfG ZUM-RD 2010, 657 – Charlotte Casiraghi; Anerkennung der Rspr des BGH, wonach mit der Einwilligung in frühere Aufnahmen keine generelle Öffnung ggü dem öffentlichen Interesse verbunden ist; BVerfG NJW-RR 2010, 1195, 1196 – Hanfpflanze: Eine Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren kann das APR stärker betreffen als eine von der Einwilligung umfasste Homestory). Zur konkludenten zeitlichen Begrenzung der Verwendung intimer Bild- und Filmaufnahmen für die Dauer einer Liebesbeziehung (Einwilligungswiderruf) s BGH GRUR 2016, 315; Tölle ZUM 2016, 363. 3. Widerruflichkeit. Eine isolierte, einseitig erklärte Einwilligung, die keinen schützenswerten Vertrauenstat- 233 bestand schafft, ist prinzipiell jederzeit widerrufbar (s auch gesetzliche Normierungen in Spezialbereichen wie bspw § 8 II TPG, § 40 II AMG; unstr auch im Bereich ärztlicher Heileingriffe; zum Stand der Meinungen in Lit und Rspr s Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, 346ff; Kohte AcP 185, 105, 137 mwN; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 171). Ist die Einwilligung jedoch Bestandteil einer vertraglichen Vereinbarung, dient sie erkennKlass

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baren kommerziellen Interessen oder der Vermarktung einer Person, findet aufgrund der Spannungslage zw dem Selbstbestimmungsrecht auf der einen und Vertrauensschutzgesichtspunkten auf der anderen Seite nach überwiegender Meinung im Grundsatz § 130 I 1 Anwendung, und nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wird dem Einwilligenden ein Widerrufsrecht zugestanden (Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte 149f; Klass AfP 2005, 507, 515; Dasch, Einwilligung, 84ff; Helle AfP 1985, 93, 100). Für die Frage, wann ein wichtiger Grund vorliegt, kann der Rechtsgedanke der §§ 42 UrhG, 35 VerlG und § 122 fruchtbar gemacht werden, sodass sich eine Person bei einem grds Überzeugungswandel, der einen Bestand der Einwilligung nicht zumutbar erscheinen lässt, von einer Verpflichtung lösen kann (München AfP 1989, 570, 571; Frömming/Peters NJW 1996, 958, 959; Frankfurt ZUM-RD 2011, 408, 410 – Widerruf einer Einwilligung iSv § 22 KUG; Koblenz ZUM 2015, 58: Die Einwilligung in die Anfertigung intimer Lichtbilder kann wegen Unzumutbarkeit und bestehender Zweckbestimmung der Einwilligung nach Beziehungsende widerrufen werden. Düsseldorf 24.5.2011 – 20 U 39/11; LG Köln 14.8.2013 – 28 O 62/13: kein wichtiger Grund ist beim Misslingen eines Interviews und Stellen anderer als angekündigter Fragen gegeben; LG Nürnberg-Fürth AfP 2009, 177: Widerruf möglich, wenn Weiterverwendung infolge einer Wandlung der Persönlichkeit persönlichkeitsrechtsverletzend wäre; verneint im Fall der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 150; Soehring/ Hoene, Presserecht § 19 Rn 49). Den Wandel der Persönlichkeit muss der Betroffene beweisen (LG Köln AfP 1996, 186). Dem Vertrauen des Adressaten in den Bestand der Einwilligung wird durch die Gewährung eines Anspruchs auf den eventuell erlittenen Vertrauensschaden analog § 122 Rechnung getragen (Klass AfP 2005, 507, 514; Dasch, Einwilligung, 87; Helle AfP 1985, 93, 101; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 150 ua; aA Frömming/Peters NJW 1996, 958, 959, die § 42 III UrhG analog anwenden wollen). Maßgeblich sind letztlich die Umstände des Einzelfalls, wobei insb die Bedeutung des betroffenen Rechtsguts, die jew Eingriffsintensität und die äußeren Umstände der Einwilligungserteilung in die Beurteilung einzustellen sind (vgl BAG ZUM 2015, 604, 606: Kein Widerrufsrecht eines ArbN im Fall einer wirksam erteilten Einwilligung allein aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sofern allg Darstellung des Unternehmens und keine Werbung speziell mit der Person des ArbN oder mit seiner Funktion im Unternehmen). Da die Dispositionsmacht über eigene Rechtsgüter nicht grds entzogen werden kann, ist ein Widerruf selbst dann möglich, wenn die Einwilligung unwiderruflich erteilt wurde (Klass AfP 2005, 507, 515; Götting, Persönlichkeitsrechte als Vermögensrechte, 149f; Dasch, Einwilligung, 86). 234 4. Einwilligung Minderjähriger sowie Geschäftsunfähiger. Ein Minderjähriger kann im Grundsatz nicht wirksam über sein APR disponieren – vielmehr bedarf er hierzu der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, dh trotz des höchstpersönlichen Rechtsguts bleibt es grds bei der nach §§ 107ff vorgesehenen Entscheidungsbefugnis der gesetzlichen Vertreter (s AG Schwerin 30.11.2012 – 14 C 424/11– Geldentschädigungsanspruch wegen fehlender Einwilligung des gesetzlichen Vertreters). Allerdings ist dem Minderjährigen, der die erforderliche Einsichtsfähigkeit und Verstandesreife besitzt, ein Mitspracherecht einzuräumen (ähnlich auch BGH NJW 1974, 1947, 1950 – Nacktaufnahmen; Düsseldorf FamRZ 1984, 1221, 1222; aA Hamm JR 1999, 333f – Schwangerschaftsabbruch; Düsseldorf FamRZ 2010, 1854 – Fernsehfilm). Dieser kann folglich nicht gegen den Willen seiner Eltern eine Einwilligung zum Eingriff in sein APR erteilen, der gesetzliche Vertreter kann dies jedoch auch nicht gegen den Willen des einsichtsfähigen Minderjährigen (Doppelzuständigkeit). Einsichtsfähigkeit liegt vor, sofern der Minderjährige sich seiner Stellung im sozialen Umfeld bewusst ist, dementsprechend seine Rolle und seine Selbstdarstellung nach außen autonom gestalten und er die Tragweite seiner Entscheidung beurteilen kann. IdR kann ab Vollendung des 14. Lebensjahres von Einsichtsfähigkeit ausgegangen werden (LG Bielefeld NJW-RR 2008, 715 – Super Nanny mwN). Vereinzelt wurde die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter jedoch auch gänzlich für entbehrlich gehalten (BGH 29, 33, 36; Heidenreich AfP 1970, 960ff; vgl auch Rspr zu den prozessualen Weigerungsrechten Karlsruhe FamRZ 1998, 563, 564 sowie FamRZ 1983, 742, 743). Einwilligungen Geschäftsunfähiger und Einwilligungen, die in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand erteilt wurden, sind unbeachtlich. Zur Einwilligung bei ärztlichen Heileingriffen s Nebendahl MedR 2009, 197. In diesen Fällen bedarf es im Fall der geteilten elterlichen Sorge zwar grds stets der Einwilligung beider Elternteile (BGH NJW 2010, 2430 – Zulässigkeit einer telefonischen Aufklärung des Patienten; NJW 2000, 1784 – Aufklärung bei Routineimpfung; NJW 1988, 2946 – Einwilligung beider Elternteile in Operation). Jedoch kann der eine Elternteil den anderen konkludent ermächtigen, die erforderliche Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff für ihn mit zu erteilen (Stuttgart NJW-RR 2011, 747 – Ermächtigung der Mutter zur Einwilligung in die Operation eines Minderjährigen). 235 5. Willensmängel. Ob Fehlvorstellungen, die bereits bei der Entscheidungsfindung vorlagen, eine Anfechtungsmöglichkeit eröffnen, ob im Fall eines Anfechtungsrechts eine Erklärung zu erfolgen hat, oder ob die Einwilligung in derartigen Konstellationen ipso iure unwirksam ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Weitgehend anerkannt ist jedenfalls, dass einer Einigung, die Resultat einer widerrechtlichen Drohung oder arglistigen Täuschung ist, die Wirkung versagt bleiben muss. Nach überwiegender Ansicht sollten aber auch die Anfechtungsgründe des § 119 bei der Wirksamkeitsprüfung einer Einwilligung Beachtung finden (Kohte AcP 185, 105, 139; Klass AfP 2005, 507, 514; Frömming/Peters NJW 1996, 958, 959; Dasch, 79; BGH NJW 1964, 1177 plädiert für eine Anfechtungsoption im Fall eines „einfachen Irrtums“ – sei dieser jedoch so stark, dass die Willensbildung nicht mehr als Ausfluss der eigenen inneren Willensbildung aufgefasst werden könne, sei dies anders; für eine grds Möglichkeit der Anfechtung auch LG Bielefeld NJW-RR 2008, 715 – Super Nanny). Eine Anfechtung ist daher bspw möglich, wenn der Einwilligende über den Umfang und die Tragweite des Eingriffs irrt, wenn er 94

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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also Fehlvorstellungen über den Kontext oder die Reichweite seiner Disposition unterliegt (vgl dazu LAG Rh-Pf ZUM 2013, 699 sowie Anm Oelkers GRUR-Prax 2013, 205 – Streit über Belegschaftsfoto im Internet). Eine Erstreckung auf Motivirrtümer erscheint jedoch nicht angebracht (zu Widerrufsoptionen s Rn 233). Da es sich bei der Einwilligung um einen empfangsbedürftigen Sozialakt handelt und Verkehrsschutzgesichtspunkte eine Rolle spielen, ist zudem eine Erklärung nach § 143 I zu verlangen, wobei die Klage eines Verletzten im Schadensersatzprozess oder einer anderen gerichtlichen Auseinandersetzung meist zugleich als Anfechtungserklärung angesehen werden kann. 6. Stellvertretung. Angesichts des höchstpersönlichen Charakters des APR wird eine Stellvertretung im Rahmen der Einwilligungserteilung zT grds für unzulässig erachtet (Kohte AcP 185, 105, 142); nach aA ist eine solche Autorisierung aber jedenfalls mit Blick auf die kommerziellen Komponenten des APR unproblematisch, denn diese stünden den der Regelung der §§ 164ff zugrunde liegenden vermögensrechtlichen Wertungen nahe (Dasch, 90; München NJW 2002, 305 – Talkshow, bejaht grds eine Stellvertretung mit Blick auf die Einwilligung nach § 22 S 1 KUG, im konkreten Fall handelte es sich jedoch um eine postmortale Konstellation, da es sich jedenfalls um eine rechtsgeschäftsähnliche Erklärung handele). I Erg ist wohl mit Blick auf das konkret zur Disposition stehende Rechtsgut zu entscheiden. Einwilligungen, die sehr weitreichende Folgen für den sozialen Geltungsanspruch haben, oder die die körperliche Integrität betreffen, sollten durch den Betroffenen selbst erklärt werden, während insb im Kontext der Vermarktung Prominenter die Willensbildung zu einem gewissen Maße auch delegiert werden kann (Klass AfP 2005, 507, 514; Ohly, 154ff). 7. Sittenwidrigkeit. Als Grenze der rechtfertigenden Einwilligung kann § 138 gelten, ob nun in analoger (BGH 67, 48, 51) oder direkter Anwendung (Zittelmann AcP 99, 1906, 1; Hubmann, 184). Die Sittenwidrigkeit kann sich dabei aus dem Inhalt der Einwilligung, dem Gesamtcharakter der Vereinbarung oder der konkreten Situation der Einwilligungserteilung ergeben. Wird der Einzelne zum Objekt eines anderen gemacht, wird gegen grundlegende Wertungen der Rechtsordnung verstoßen, wird eine überlegene Machtposition ausgenutzt oder liegt ein krasses Missverhältnis zw Leistung und Gegenleistung vor, erweist sich § 138 als notwendiges Instrument, um sowohl der Selbstbestimmung als auch anerkannten verfassungsrechtlichen Grundwerten Geltung zu verschaffen (s hierzu Hubmann, 184; Ohly, 445ff; Klass AfP 2005, 507; Kohte AcP 185, 105, 134; Frömming/Peters NJW 1996, 958). 8. Informierte Einwilligung. Im Vorfeld der Einwilligungserteilung zu weitreichenden Eingriffen in das APR ist zur Wahrung der Selbstbestimmung des Einzelnen die Vornahme einer Aufklärung zu fordern (weitgehend anerkannt ist die „informierte Einwilligung“ im Medizin- sowie im Datenschutzrecht: Uhlenbruck MedR 1992, 134ff; Simitis NJW 1984, 394, 402; zur Einwilligung des ArbN im Datenschutzrecht Riesenhuber RdA 2011, 257, 259; zur datenschutzrechtlichen Einwilligung im Internet Zscherpe MMR 2004, 723, 725; Schaar MMR 2001, 644ff; Körner, FS Simitis, 2000, 131ff; s auch § 8 II 1 TPG und § 40 II Nr 1 AMG). Ziel dieser Aufklärung muss es sein, den Betroffenen mit allen für seine Entscheidung relevanten Informationen zu versorgen. Zweck der konkreten Informationspflichten, die sich nach dem jew Informationsbedarf, Umfang und Zweck der Einwilligung, der Möglichkeit der Informationsweitergabe aus Sicht des Pflichtigen sowie deren Angemessenheit richten, ist es, die Informations- und Entscheidungsbasis des Einwilligenden zu erweitern und ihm mögliche Risiken zu vergegenwärtigen (Breidenbach, Informationspflichten beim Vertragsschluss, 11; Ohly, 391 nennt als Kriterien für die Frage, ob dem Einwilligungsempfänger das Informationsrisiko aufzubürden ist: das Berufsbild des Einwilligungsempfängers, seinen Informationsvorsprung sowie die Natur des betroffenen Rechts und die Schwere des Eingriffs). Je wesentlicher die Information, je stärker der Kernbereich des APR betroffen ist, desto umfangreicher und genauer muss die Aufklärung ausfallen (so auch Castendyk in Götting/Schertz/Seitz, § 41 Rn 17). Nach Vorinformation kann zwar auf einzelne Aspekte der Aufklärung – auch durch schlüssiges Verhalten (Roßner NJW 1990, 2291, 2294) – verzichtet werden, nicht jedoch auf die Aufklärung im Ganzen. Informationspflichten haben allerdings nicht den Zweck, eine „vernünftige“ Entscheidung herbeizuführen. Zum Recht des Patienten auf Aufklärungsverzicht s Harmann NJOZ 2010, 819ff. 9. Formulareinwilligung. Vorformulierte Einwilligungserteilungen unterliegen der AGB-Kontrolle (§§ 305ff). Die Kontrolle der Inanspruchnahme einseitiger Gestaltungsfreiheit ist bei Dispositionen über das APR erforderlich, um eine privatautonome Entscheidung des Einwilligenden sicherzustellen (Hollmann NJW 1978, 2332; BGH NJW 1986, 46; LG Hamburg ZIP 1982, 1313, 1314; Kohte AcP 185, 105, 129; Körner, FS Simitis, 2000, 132; Klass AfP 2005, 507; Ohly, 439ff). Zur klauselmäßigen Einwilligung bei Bildnisrechten, s Ernst AfP 2015, 401. III. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB. Der Rechtfertigungsgrund (zum Streit um die dogmatische Einordnung s Schmelz in Götting/Schertz/Seitz, § 31 Rn 7ff) des § 193 StGB, der ursprünglich nur im Bereich der üblen Nachrede anwendbar war, wurde von der höchstrichterlichen Rspr auf die gesamte Rechtsordnung ausgedehnt (BVerfG NJW 2006, 207, 208 – Stolpe; NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; BGH NJW-RR 1990, 1058, 1060 – Wünschelrute; Köln 6.11.2012 – 15 U 97/12; LG Düsseldorf 19.12.2012 – 12 O 512/12) und gilt für den zivilrechtlichen Schutz der Ehre und des APR entspr. Im Rahmen der Güter- und Interessenabwägung ist daher zu prüfen, ob sich der Äußernde auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen kann. § 193 StGB stellt eine notwendige Haftungsreduzierung insb für die Medien dar, solange diese sorgfältig handeln (hierzu Rn 242), und dient insofern dem ungestörten Kommunikationsprozess (BVerfG NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein). Haben die Medien zum Zeitpunkt der Äußerung an die Wahrheit geglaubt und die ihnen obKlass

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liegenden journalistischen Sorgfaltspflichten beachtet, so können sie sich auf den Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen, selbst wenn sich nach der Veröffentlichung die Unwahrheit der aufgestellten Behauptung herausstellt; erforderlichenfalls sind die Tatsachen zu beweisen, aus denen sich das berechtigte Interesse ergibt (Leipold, FS Hubmann, 271). Die Wahrnehmung berechtigter Interessen iSd § 193 StGB durch die Medien wird dabei nicht nur bejaht, wenn diese im Rahmen ihrer Aufgaben die Öffentlichkeit unterrichten, Kritik üben (BGH NJW 2014, 2029 Rn 29 – Sächsische Korruptionsaffäre) oder sich an der öffentlichen Auseinandersetzung über gesellschaftlich oder politisch relevante Fragen beteiligen (EGMR AfP 2016, 137, 139; BVerfG NJW 1995, 3303, 3304 – Soldaten sind Mörder IV). Vielmehr wird im Einzelfall auch die Berichterstattung über wirtschaftliche Ereignisse (BGH NJW 1993, 525 – Ketten-Mafia; NJW 1966, 2010 – Teppichkehrmaschine) sowie über Ereignisse aus dem Unterhaltungsbereich (Damm/Rehbock Rn 653i; BVerfG NJW 2000, 1021 – CvM) erfasst. Ebenfalls muss das verfolgte Interesse kein eigenes Interesse des Angreifers sein (BVerfG 12, 113, 125 – Schmid/Spiegel; NJW 1995, 3303, 3304 – Soldaten sind Mörder IV; BGH NJW 1961, 819 – Schmid; NJW 1996, 1131 – Lohnkiller). 242 Die Risikoverteilung des § 193 StGB führt zu einer Umkehr der Beweislast, wenn sich die Medien darauf berufen können, in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt zu haben: der Betroffene muss die Unwahrheit beweisen (Saarbrücken NJW-RR 2010, 346, 347; BGH NJW 1993, 525, 527 – Ketten-Mafia; NJW 1998, 3047, 3049 – Stolpe; Hager AcP 196, 168, 188; zur Beweislast auch BGH NJW 1974, 1710, 1711; LG Berlin ZUM-RD 2009, 396, 401 – Jopie Heesters). Jedoch trägt der Äußernde die erweiterte Darlegungslast, dass er bei seinen Recherchen die je nach Seriosität der Informationsquelle, Aufklärungsmöglichkeiten, Intensität des Eingriffs und Informationsinteresse der Öffentlichkeit unterschiedlich strengen materiellen Sorgfaltspflichten erfüllt hat. Die Sorgfaltspflichten richten sich nach den Aufklärungsmöglichkeiten; sie sind angesichts der erheblichen Breitenwirkung sowie des erheblichen Einflusses der Medien („pressemäßige Sorgfalt“, vgl bspw § 6 Landespressegesetz NRW: „Die Presse hat alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen“) strenger als für Private (BVerfG NJW 2003, 1855, 1856; NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; NJW 2000, 1209, 1210 – Junge Freiheit; BGH ZUM-RD 2016, 494; LG Köln ZUM-RD 2005, 351, 353 – Hassprediger; s auch BVerfG NJW 1992, 1439, 1442 – Laienprivileg: zur Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen durch einen Verein via Flugblatt). Dabei gilt: Je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt, umso höhere Anforderungen sind an die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu stellen (BVerfG NJW-RR 2010, 470, 472 – Presseschau; BGH NJW 2014, 2029 Rn 29 – Sächsische Korruptionsaffäre; GRUR 2015, 96, 98). Verneint wird das Vorliegen pressemäßiger Sorgfalt, wenn der Äußernde seine Behauptung nur auf nachteilige Anhaltspunkte stützt und verschweigt, was gegen die Richtigkeit seiner Behauptungen spricht (BVerfG NJW 2006, 207, 210 – Stolpe). Allerdings dürfen die Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt im Interesse eines möglichst freien Kommunikationsprozesses nicht überspannt werden (Köln NJW-RR 2002, 1341, 1344; BVerfG NJW 1999, 1322, 1324 – Helnwein; NJW 2000, 1209, 1210 – Junge Freiheit). Insb ist keine Nachrecherche bei der Wiedergabe von Meldungen sog privilegierter Quellen (s hierzu auch Rn 243 sowie 165) erforderlich. So sollen Meldungen anerkannter Agenturen (dpa) idR keiner Nachprüfung bedürfen, sog Agenturprivileg (LG Köln 27.3.2013 – 28 O 514/12), zumindest sofern die praktischen Möglichkeiten zu ihrer Überprüfung im Rahmen des Zumutbaren genutzt werden (BVerfG NJW 2004, 590), weshalb für Presseagenturen grds dieselben Sorgfaltspflichten gelten wie für andere Presseunternehmen (BVerfG NJW 2004, 589 – Schröders Haarfarbe). 243 Entspr soll für Presseerklärungen der Justiz oder andere amtl Verlautbarungen gelten (Hamburg 15.7.2014 – 7 U 75/11; Köln 23.2.2015 – 15 U 219/14; Karlsruhe NJW-RR 1993, 732; zum berechtigten Vertrauen auf amtl Mitteilungen und zur Qualifizierung staatsanwaltschaftlicher Verlautbarungen als privilegierte Quelle vgl Rn 165; zu Verlautbarungen eines Bundesbeauftragten s BGH NJW 2013, 790 – Zulässige Verdachtsberichterstattung über Stasi-Tätigkeit; Lehr NJW 2013, 728, 731); ggf genügt auch der Verweis auf unwidersprochene Pressemitteilungen, sofern diese zur Stützung der Behauptung geeignet sind (BVerfG NJW 2006, 207, 210 – Stolpe; s auch BVerfG NJW 1992, 1439, 1442 – Laienprivileg) – auch hier gilt: je seriöser die Quelle, desto geringer ist die Pflicht zur journalistischen Sorgfalt. Bei konkreten Zweifeln an der Richtigkeit der Meldung oder bei einem „Äußerungsexzess“ (Widmaier/Lehr Rn 25) kann jedoch im Einzelfall eine Ausnahme bestehen (KG NJW-RR 2008, 356; s auch BVerfG NJW-RR 2010, 1195, 1197 – Hanfpflanze). Bei der Bewertung des erforderlichen Maßes an Sorgfalt sind neben der Relevanz der Nachricht sowie der Art und Schwere des Vorwurfs auch das pressemäßige Erfordernis der Aktualität (BGH NJW 1977, 1288 – Abgeordneten-Bestechung) sowie der oftmals bestehende Zeitdruck (zum Aktualitätsdruck BVerfG NJW 2004, 589 – Schröders Haarfarbe) zu berücksichtigen. Die Medien dürfen sich zudem auf Pressemitteilungen eines Unternehmens über Interna verlassen; eine Nachfrage ist insofern grds entbehrlich (LG Berlin ZUM-RD 2008, 555, 556 – Apotheker Zeitung). Bei unseriösen oder anonymen Quellen ist jedoch besondere Sorgfalt geboten, insb genügt es nicht, wenn darauf hingewiesen wird, dass für den Informanten keine Gewähr übernommen werde (BGH 68, 331 – Abgeordneten-Bestechung). Mangelt es an der im Einzelfall erforderlichen Sorgfalt, so entfällt der Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB; der Einwand, auch bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte die Unwahrheit nicht erkannt werden können (rechtmäßiges Alternativverhalten), ist grds nicht zulässig (Erman/Ehmann12 Rn 54; Hoeren/Sieber/Helle, Multimedia-Recht Teil 8.1 Rn 115). Nicht gedeckt – weder von der Meinungsfreiheit noch von § 193 StGB – ist ebenfalls die Schmähkritik (vgl Rn 254).

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IV. Kommunikationsfreiheiten und APR, insb Ehrenschutz. 1. Schutz durch die Kommunikationsfreiheiten. 244 Dem Interesse am Schutz der Persönlichkeit steht oftmals das Interesse an der Freiheit der Kommunikation ggü. Aufgrund des Rahmencharakters des APR und des in diesen Konstellationen bestehenden Konflikts zw zwei verfassungsrechtlich geschützten Gütern besonderen Ranges kann die Frage, ob und inwieweit eine rechtswidrige Verletzung des APR vorliegt, idR nur aufgrund einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall beantwortet werden, im Rahmen derer der wertsetzenden Bedeutung der Grundrechte, insb der herausgehobenen Stellung der Kommunikationsfreiheiten des Art 5 I GG, Rechnung zu tragen ist. Die Meinungsfreiheit gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wird zu Recht zu den „vornehmsten Menschenrechten“ (BVerfG 7, 198, 208 – Lüth; Jarass/Pieroth Art 5 GG Rn 2) gerechnet. Es ist in gewissem Sinne „Grundlage jeder Freiheit überhaupt“ (BVerfG 7, 198, 208 – Lüth), denn die Freiheit der Meinungsäußerung ist Voraussetzung dafür, dass sich der Einzelne als soziale Person in Freiheit entwickeln und sich eine eigene Meinung zu wesentlichen Fragen bilden kann (BVerfG NJW 2001, 2957 – Kaisen mwN; EGMR NJW 2006, 1645, 1647 Rn 71 – Das blinde Auge der Polizei). Die Meinungsfreiheit wird insofern sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie konstitutive Bedeutung hat, gewährleistet (BVerfG 7, 198, 208 – Lüth; 35, 202, 221 – Lebach; 61, 1, 7 – NPD Europas). Grds soll jeder frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urt angibt oder angeben kann (BGH NJW 1974, 1762 – Deutschland-Stiftung; BVerfG 61, 1, 7 – NPD Europas ua). Schutzgut des Grundrechts ist nicht die Äußerung an sich, sondern die Meinungsäußerung (Grimm NJW 1995, 1697, 1698), welche stets weit zu verstehen ist. Meinungen sind grds durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder der Beurteilung geprägt (BVerfG 61, 1, 9 – NPD Europas; 71, 162, 179 – Arztwerbung) – sie unterscheiden sich durch ihren subjektiven Bezug, der zw dem sich Äußernden und der Aussage besteht, von Tatsachenbehauptungen, die ihrerseits durch eine objektive Beziehung zw Aussage und Realität gekennzeichnet sind (zur Abgrenzung anhand des Merkmals der Beweisbarkeit auch Rn 101). Tatsachenbehauptungen werden im Gegensatz zu Meinungsäußerungen jedoch nur von Art 5 I 1 Hs 1 GG erfasst, soweit sie wahr und Voraussetzung für das Bilden von Meinungen oder mit Werturteilen verbunden sind – erwiesene oder bewusst unwahre Tatsachen sowie unrichtige Zitate fallen von vornherein aus dem Schutzbereich heraus (statt vieler BVerfG 61, 1, 7 – NPD Europas; 90, 241, 247 – Auschwitzlüge; s hierzu auch Rn 100). Geschützt ist jede Form der Meinungsäußerung – die in Art 5 I 1 Hs 1 GG ausdr genannten Äußerungsformen 245 haben nur beispielhaften Charakter (Maunz/Dürig/Grabenwarter Art 5 GG Rn 47). Ebenfalls geschützt ist die Wahl von Ort und Zeit einer Äußerung – der Äußernde kann sich mithin diejenigen Umstände suchen, „von denen er sich die größte Verbreitung oder die stärkste Wirkung seiner Meinungsäußerung verspricht“ (BVerfG NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder IV). Ebenfalls geschützt sind nach der bisherigen Rspr anonyme Meinungsäußerungen (BVerfG 95, 28; vgl auch BGH NJW 2009, 2888, 2892f – spick-mich; s hierzu ausf Rn 103a; ähnlich auch Hamm ZUM-RD 2011, 684; Hamburg CR 2012, 183, 185; Frankfurt aM NJW 2012, 2896, 2897). Allerdings sollten diese vor dem Hintergrund ihres geringeren Maßes an Authentizität und Glaubhaftigkeit (so auch Maunz/Dürig/Grabenwarter Art 5 GG Rn 86; BVerfG ZUM 1998, 561, 563) sowie mit Blick darauf, dass sie weniger geeignet sind, gemeinschaftliche Kommunikationsprozesse anzustoßen, da ihre Wirkkraft geringer ist und sich kein Kommunikationspartner ausmachen lässt, im Rahmen der Abwägung weniger starkes Gewicht erfahren, jedenfalls soweit ansonsten kein „chilling effect“ zu erwarten ist (bspw in Unter- bzw Überordnungsverhältnissen und Situationen, in denen eine spezifische Gefahr der Selbstzensur oder von Repressalien besteht); ähnlich auch Bernreuther AfP 2011, 218; Greve/Schärdel MMR 2008, 644, 648f; Wiese JZ 2011, 608, 612ff; Ziegelmayer GRUR 2012, 761, 765. Die Pressefreiheit wird ebenso wie die Meinungsfreiheit sowohl als Individualgrundrecht, das der individuellen 245a Meinungsbildung des Einzelnen dient, als auch als Kollektivgrundrecht, das der freien Meinungsbildung in der Gesellschaft dient und damit Grundvoraussetzung eines demokratischen Systems ist, geschützt (dazu BVerfG 57, 295, 319 – Privatfunk Saarland; NJW 2000, 1021 – CvM). Unter den Begriff Presse fallen nicht nur periodische Presseerzeugnisse wie Zeitungen und Zeitschriften, sondern alle für die Allgemeinheit bestimmten (auch nicht periodischen) Druckerzeugnisse wie Bücher, Plakate, Flugblätter, Handzettel ua (BVerfG 10, 118, 121; 20, 162, 175 – Spiegel; 85, 1, 12 – Kritische Bayer-Aktionäre). Geschützt ist jede Form der Presseberichterstattung, insb findet keine Begrenzung auf die „seriöse Presse“ statt – Pressefreiheit gilt für alle Presseerzeugnisse ohne Rücksicht auf den Wert der verbreiteten Informationen (auch Werkszeitungen sind geschützt, BVerfG NJW 1997, 386) und somit auch für Unterhaltungs-, Skandal- und Sensationsblätter (BVerfG NJW 1998, 1627 – Kurzberichterstattung im Fernsehen; NJW 2000, 1021 – CvM; NJW 2006, 2836 – Luftbildaufnahme einer Prominentenvilla; Rehm AfP 1999, 416). Der Inhalt und die Form der Berichterstattung können jedoch im Rahmen des Abwägungsprozesses Bedeutung erlangen (BVerfG 34, 269 – Soraya; vgl jedoch EGMR NJW 2004, 2647 – CvH/ Deutschland I, der die Gleichwertigkeit aller Presseberichterstattungen infrage stellt, s hierzu Rn 40; krit insofern KG NJW 2005, 2320 in Anlehnung an Mann NJW 2004, 3220). Ebenfalls in den Schutzbereich der Pressefreiheit fällt die Tätigkeit von Presseagenturen, welche Unterhaltungszwecken dienende Bilder zur Veröffentlichung in den Medien bereitstellen (BVerfG NJW 2006, 2836 – Luftbildaufnahme einer Prominentenvilla) sowie der Anzeigenteil eines Presseorgans (BVerfG 21, 271, 278 – Südkurier; 64, 108, 114 Anzeigenaufnahme; NJW 2001, 591 – Benetton und 107, 275 – Benetton II m Anm Lange JZ 2003, 624; dazu Ahrens JZ 2004, 763); selbst reine Anzeigenblätter werden erfasst (Köln NJW 1984, 1121). Geschützt ist die Verbreitung von Tatsachen und Meinungen einschl der Form der Darstellung (BGH 31, 308, 314 – Abgeordneten-Bestechung). Ebenfalls geschützt Klass

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ist die negative Pressefreiheit, verstanden als Freiheit, etwas nicht zu berichten (BGH NJW 1972, 431 – Freispruch; diese Freiheit findet jedoch im Widerrufs- und Gegendarstellungsrecht ihre Grenze). Geschützt sind alle für die Presseveröffentlichung erforderlichen Tätigkeiten – von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und der Meinung (BVerfG 43, 130, 137; 71, 162 – Autobiographie eines Chefarztes; 85, 1, 13 – Kritische Bayer-Aktionäre). Besonderen Schutz erfahren hierbei die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit (BVerfG 20, 162, 187 – Spiegel; 66, 116, 133 – Wallraff; 85, 1, 12 – Kritische Bayer-Aktionäre) sowie das Verhältnis der Presse zu ihren Informanten (NJW 2002, 592 – Handy-Überwachung I; NJW 2003, 1787 – Handy-Überwachung II). Soweit es um das Verhältnis zum Ehren- und Persönlichkeitsrechtsschutz geht, ist die Rundfunkfreiheit der Pressefreiheit weitgehend gleichzustellen. Sie gilt für Sendungen jeglicher Art, denn Information und Meinung können sowohl durch ein Fernsehspiel oder eine Musiksendung als auch durch Nachrichten oder politische Kommentare vermittelt werden (BVerfG NJW 1973, 1226, 1228 – Lebach I); auch die Unterhaltung gehört zum klassischen Rundfunkauftrag, wie er sich aus Art 5 I 2 GG ergibt. Das Verbot einer Sendung ist daher stets ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht der Rundfunkfreiheit (BVerfG NJW 2000, 1859, 1861 – Lebach II; LG Koblenz NJW 2007, 695, 696 – Gäfgen), der entspr gerechtfertigt werden muss. Zum Verhältnis zur Meinungsfreiheit ist festzustellen: Steht die Zulässigkeit einer Äußerung infrage, so streitet unabhängig von der Art des Verbreitungsmediums in erster Linie die Meinungsfreiheit für die Zulässigkeit der Äußerung (BVerfG 85, 1, 12 – Kritische Bayer-Aktionäre; NJW 2004, 277, 278; NJW 2004, 589 – Schröders Haarfarbe mwN). Die Pressefreiheit ist kein „Spezialgrundrecht für drucktechnisch verbreitete Meinungen“, vielmehr geht es bei der Pressefreiheit um die einzelne Meinungsäußerungen übersteigende Bedeutung der Presse für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung (BVerfG 85, 1 – Kritische Bayer-Aktionäre). Die Pressefreiheit dient mithin primär dem Schutz der im Bereich der Presse tätigen Personen bei Ausübung ihrer Funktion, der Presse als Institution sowie des Presseerzeugnisses selbst sowie seiner institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen (BVerfG 85, 1 – Kritische Bayer-Aktionäre); Gleiches gilt für die Rundfunkfreiheit (BVerfG 97, 391 – Missbrauch). Jedoch spricht viel dafür, auch bei der Bewertung einer Äußerung eine gewisse Verstärkung durch Presse- und Rundfunkfreiheit zu akzeptieren, soweit diese aufgrund ihrer besonderen Rolle für die demokratische Ordnung stärkeren Schutz gewähren, und sei es nur aufgrund der Tatsache, dass für die in den Medien verbreitete Meinung die Vermutung spricht, dass sie der öffentlichen Meinungsbildung und nicht individuellen und wirtschaftlichen Interessen dient (so zu Recht Erman/Ehmann12 Rn 64; Hoeren/Sieber/Helle, Multimedia-Recht Teil 8.1 Rn 105; dazu BVerfG NJW 2004, 589, 590 – Schröders Haarfarbe mwN). 2. Ehrenschutz als Schranke der Kommunikationsfreiheiten. Die wichtigsten Schranken für das Grundrecht aus Art 5 I 1 Hs 1 GG sind in Art 5 II GG normiert. Danach findet die Meinungsfreiheit ihre Beschränkung in den Vorschriften der allg Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und dem Recht der persönlichen Ehre. Das Verhältnis der drei genannten Schranken ist aufgrund der Rspr des BVerfG nahezu bedeutungslos – insb das Recht der persönlichen Ehre wird idR unter die Schranke der allg Gesetze gefasst und verliert nach Ansicht einiger Autoren somit seine eigenständige Bedeutung (Dreier/Schulze-Fielitz Art 5 GG Rn 120; krit jedoch Schmitt-Glaeser JZ 1983, 95, 99f; Epping/Hillgruber Art 5 GG Rn 111). Unabhängig von der dogmatischen Verortung bildet das Persönlichkeitsrecht des von einer Äußerung oder Berichterstattung Betroffenen jedenfalls als zivilrechtliche Ehrenschutzregelung eine Schranke der Meinungsfreiheit. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit muss zurücktreten, wenn schutzwürdige Belange eines anderen von höherem Rang verletzt werden – ob dies der Fall ist und überwiegende Interessen vorliegen, ist dabei aufgrund der Umstände des konkreten Falls zu ermitteln (st Rspr seit BVerfG 7, 198, 210f – Lüth). I Erg findet eine Einzelfallabwägung statt, wobei nach der Rspr des BVerfG die jew Schranke unter Beachtung der wertsetzenden Bedeutung des Art 5 I GG ausgelegt und angewendet werden muss (sog Wechselwirkungslehre, BVerfG 7, 198, 210f – Lüth). 3. Vorgaben für die Interessenabwägung. a) Wechselwirkungslehre: Die dreifache Berücksichtigung. Nach der im Lüth-Urt (BVerfG 7, 198, 208f) begründeten Wechselwirkungslehre (Schranken-Schranke), die zunächst nur für die Schranke der allg Gesetze entwickelt und später auch auf das Verhältnis von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz übertragen wurde, muss bei einer Kollision dieser beiden Rechtsgüter das Recht der Ehre seinerseits wieder im Lichte der Bedeutung der Meinungsfreiheit bestimmt und in seiner diese beschränkenden Wirkung entspr eingeschränkt werden. Die Wertungen des Art 5 I 1 Hs 1 GG sind dabei nach der Rspr des BVerfG in dreifacher Hinsicht zu beachten: Erstens beim Verständnis der Äußerung, zweitens bei der Auslegung der einschlägigen Schrankenbestimmung und drittens bei der Abwägung der kollidierenden Interessen und Rechtspositionen (Grimm NJW 1995, 1697, 1700f). Jedoch ist die Anwendung der Wechselwirkungslehre beim Ehrenschutz nicht unproblematisch, denn sie führt zu einer gewissen Relativierung des Ehrenschutzes, obwohl es sich bei diesem nicht um ein beliebiges Rechtsgut des einfachen Rechts, sondern um ein in Art 5 II GG explizit als eigene Schranke genanntes Rechtsgut mit Verfassungsrang handelt, welches sogar in Art 1 GG wurzelt. Aus diesem Grund wird an der Wechselwirkungslehre Kritik geübt (s hierzu ausf Erman/Ehmann12 Rn 69). Insb wird vorgebracht, dass eine Übertragung der Grundsätze auf den Ehrenschutz (BVerfG 12, 113, 125 – Schmid/Spiegel) zu einer Zeit stattgefunden habe, als die Ehre noch nicht unter dem grundrechtlichen Schutz der Art 2 I iVm Art 1 I GG stehend angesehen wurde; dabei sei verkannt worden, dass durch Art 5 II GG die Meinungsfreiheit ausdr unter den Vorbehalt allg Gesetze und der persönlichen Ehre gestellt wurde, was einer doppelten Einschränkung der Ehre „im Lichte des Grundrechts der Meinungsfreiheit“ auf der „2. Ebene der Normauslegung“ 98

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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entgegenstehe, Erman/Ehmann12 Rn 69. Das BVerfG hält jedoch trotz dieser Kritik an seiner Rspr fest (s bspw BVerfG 65, 157, 172f). b) Kommunikationszusammenhang. Entscheidend für die einzelfallbezogene Abwägung sowohl auf der Grundlage einer generellen Betrachtung des Stellenwertes der betroffenen Grundrechtsposition als auch unter Berücksichtigung der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ist zudem der Kommunikationszusammenhang und mithin die Frage nach Anlass und Ort der Äußerung, Reaktion und Gegenreaktion, sonstigen Begleitumständen sowie dem primären Zweck der Aussage (Tettinger JZ 1983, 317, 321). Beiträge in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage genießen bspw nach der Rspr des BVerfG stärkeren Schutz als Äußerungen, die lediglich der Verfolgung wirtschaftlicher oder privater Zwecke bzw Interessen dienen (s statt vieler BVerfG 82, 272, 281 – Zwangsdemokrat sowie aktuell: Karlsruhe ZUM 2015, 400: Im Rahmen der politischen Diskussion sind auch polemische, einprägsame und unsubstantiierte Formeln zulässig), denn wenn eine Person einen Beitrag zur Bildung der öffentlichen Meinung leisten will, sind Auswirkungen auf den Rechtskreis Dritter zwar zT unvermeidliche Folge, aber nicht das eigentliche Ziel der Äußerung (BVerfG NJW 1983, 1415, 1416). Zur Bedeutung des Umfangs der Äußerung (illustrierende Bedeutung) im Rahmen der Abwägung (BVerfG NJW 2012, 756 – CvH). c) Recht zum Gegenschlag. Wer im Meinungskampf deutlich Stellung bezieht, muss damit rechnen, dass sich andere mit ihm und seiner Meinung auseinandersetzen und dass die Reaktion im Einzelfall auch hart oder überzogen ausfällt. Er muss daher eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie sein Ansehen mindert (BVerfG 12, 113, 131 – Schmid/Spiegel, Publizistik, die auf dem Gebiet der Politik das ist, was Pornographie auf dem Gebiet der Moral; 54, 129, 138 – Kunstkritik). Allerdings ergibt sich hieraus kein Recht zur permanenten Steigerung ehrverletzender Formen der Kritik (BGH NJW 1974, 1762 – Deutschland-Stiftung; Staud/Hager § 823 Rn C 109). Menschenwürdeverletzende Äußerungen sind daher auch als Gegenschlag nicht gerechtfertigt (BVerfG NJW 1992, 2013, 2014 – Nazi; BayObLG AfP 2002, 221 – Zigeunerjude; AG Weinheim NJW 1994, 1543 – Altkommunist im Geiste des Massenmörders Stalin); zu weitgehend daher die Entscheidung BVerfG 54, 129, 138 – Kunstkritik (Qualifizierung einer Bezeichnung eines Kunstkritikers als „bornierten Oberlehrer“ und „dialektischen Gartenzwerg“, der von „Verfolgungswahn“ genährt „Pogromstimmung“ erzeugt habe, als zulässige Meinungsäußerung). d) Meinungsäußerungsfreiheit im Kampf ums Recht s BVerfG NJW-RR 2012, 1002; NJW 2014, 3357 – Äußerung ggü Richter: Um die eigene Rechtsposition zu unterstreichen, sind auch starke und eindringliche Ausdrücke sowie plastische Darstellungen der eigenen Position erlaubt (Protest gegen das „schäbige, rechtswidrige und unwürdige Verhalten eines Richters“); BVerfG 28.9.2015 – 1 BvR 3217/14: ohne jedes Wort auf die Waagschale zu legen; zum Recht auf Gegenschlag bei Äußerungen über den Ausgang eines strafrechtlichen Gerichtsverfahrens s Köln AfP 2013, 144 sowie bei diffamierender Erstäußerung BVerfG AfP 2016, 240. e) Vermutung für die freie, spontane und emotionalisierte Rede. Nach st Rspr des BVerfG (7, 198, 208 – Lüth) streitet bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage eine Vermutung für die freie und spontane Rede, die auch pointierte, polemische und überspitzte Charakterisierungen erlaubt (Brandenburg NJW-RR 2007, 1641, 1642 – Hassprediger, s auch Saarbrücken AfP 2010, 493; BGH AfP 2010, 252 – Jagdfeindliche Sekte). Dies sei erforderlich, da andernfalls die „Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses“ drohe (BVerfG 60, 234, 241 – Kredithai; 82, 272, 282 – Zwangsdemokrat; 54, 129, 139 – Kunstkritik: „Spontaneität freier Rede (…) ist Voraussetzung der Kraft und der Vielfalt der öffentlichen Diskussion“). Die Meinungsfreiheit kann dabei auch nicht auf ein „rein funktionales Verständnis zur Förderung einer öffentlichen Debatte mit Gemeinbezug reduziert werden“, vielmehr ist sie auch „um ihrer Privatnützigkeit willen gewährleistet und umfasst nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen“, BVerfG K&R 2016, 403, 404 – Opfer-Äußerungen. Eine Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetze, die an die Zulässigkeit öffentlicher Kritik in politischen Auseinandersetzungen überhöhte Anforderungen stellt, ist daher mit dem Grundgesetz nicht vereinbar (BVerfG 54, 129, 137 – Kunstkritik; 82, 272, 282 – Zwangsdemokrat). Allerdings darf es sich auch hierbei nicht um ein absolutes Vorrangverhältnis handeln; zudem ist zu beachten, dass es sich beim Ehrenschutz um eine in Art 1 I iVm Art 2 I GG wurzelnde, mit Verfassungsrang ausgestattete Schranke der Meinungsfreiheit handelt. Nicht umfasst sind zudem falsche Tatsachenbehauptungen. Zum Ursprung des Begründungsansatzes der Höherrangigkeit öffentlicher Interessen vor den Privatinteressen des Ehrenschutzes vgl Erman/Ehmann12 Rn 74. f) Grundsatz der Reizüberflutung. Auch einprägsame, polemische und überzogene Formulierungen sind angesichts der heutigen Reizüberflutung hinzunehmen (BVerfG 24, 278, 286 – GEMA; 60, 234, 241 – Kredithai; 90, 241, 248 – Auschwitzlüge; BGH NJW 1994, 124 – Greenpeace), selbst dann, wenn sie eine scharfe und abwertende Kritik zum Inhalt haben und mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden (BGH NJW 2008, 2110 – GenMilch; BVerfG NJW 2010, 3501 – Gen-Milch). g) Schmähkritik und Formalbeleidigungen. aa) Allgemeine Grundsätze. Nach st Rspr des BVerfG tritt die Meinungsäußerungsfreiheit des Einzelnen hinter den Ehrenschutz des Betroffenen zurück, wenn die Äußerung die Menschenwürde antastet, es sich um eine Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung handelt (BVerfG 60, 234, 242 – Kredithai; 61, 1, 10; 66, 116, 151 – Wallraff; 82, 272, 283f – Zwangsdemokrat; 85, 1, 16 – Kritische Bayer-Aktionäre; 90, 241, 248, 254 – Auschwitzlüge; NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder IV; NJW 1991, 1475, 1477), wobei dieser Achtungsanspruch auch über den Tod hinaus wirkt (BVerfG NJW 1993, 1462). Der Klass

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Begriff der Schmähkritik ist jedoch mit Blick auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit eng auszulegen (BVerfG 82, 272, 283f – Zwangsdemokrat; NJW 1999, 204 – Oktoberfest). Es bedarf stets einer sorgfältigen Begründung, wenn angenommen werden soll, dass der Gebrauch eines Grundrechts auf die unantastbare Menschenwürde durchschlägt (BVerfG NJW 1995, 3303, 3307 – Soldaten sind Mörder IV). Eine Meinung wird nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähkritik, vielmehr nimmt eine herabsetzende Äußerung erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung und Kränkung einer Person im Vordergrund steht, welche jenseits polemischer und überspitzter Kritik persönlich herabgesetzt (BVerfG 82, 272, 283 – Zwangsdemokrat; BGH 143, 199, 209 – Schleimerschmarotzerpack; NJW 1994, 124; bestätigt und weiterentwickelt in BVerfG NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder IV; NJW 1999, 204 – Oktoberfest; NJW 1999, 2358 – FCKW; NJW 2006, 3769 – Babycaust; ZUM 2014, 965; Karlsruhe ZUM 2015, 400) oder gleichsam an den Pranger gestellt werden soll (BGH NJW 2007, 686 – Terroristentochter; München AfP 2013, 154, 155 – Bühnenprogramm: allerdings darf hierbei nicht aus dem Blick geraten, dass die mit einer personalisierten Darstellung verbundene Wirkungssteigerung Teil der Meinungsfreiheit ist, BVerfG NJW 2012, 1500 – Ochsenknecht-Söhne; ZUM-RD 2011, 147). Überzogene, schonungslose oder unsachliche Kritik allein ist noch keine Schmähkritik (BVerfG NJW 1993, 1462). Die Rspr fordert zusätzlich auch eine vorsätzliche Ehrkränkung (BVerfG 61, 1, 12 – NPD Europas; BGH NJW 1974, 1762 – Deutschland-Stiftung) bzw eine die Sachnähe ausschließende Diffamierungsabsicht (BGH NJW 2007, 686, 688 – Terroristentochter; NJW 1974, 1762, 1763f – Deutschland-Stiftung; München NJW 1996, 2515, 2516 – Heuschrecken; NJW-RR 1997, 724, 726 – Tabaklobby). Äußerungen „in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“ sollen aus diesem Grund nur ausnahmsweise als Schmähkritik eingeordnet werden können, idR ist das Vorliegen einer solchen mithin auf Privatfehden beschränkt (BVerfG ZUM 2014, 965; NJW 1995, 3303, 3304 – Soldaten sind Mörder IV; NJW 1999, 204 – Oktoberfest). Beleidigungen unter der Bezeichnung eines Kollektivs („Soldaten sind Mörder“) können im Allg keine Schmähkritik eines Einzelnen sein (BVerfG NJW 1995, 3303, 3306 – Soldaten sind Mörder IV), uU aber Beleidigung eines Kollektivs (hierzu Rn 52ff), zB der Bundeswehr, s BGH NJW 1989, 1365; s auch BVerfG NJW 2015, 2022: keine Beleidigung durch Tragen eines Ansteckers mit der Aufschrift „FCK CPS“ (für „Fuck Cops“): der Aufdruck ist nicht von vornherein inhaltslos, sondern bringt eine allg Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis ggü der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck, weshalb eine Meinungsäußerung vorliegt; iÜ bezieht er sich nicht auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe. So auch BVerfG – 1 BvR 257/14: Aufdruck „ACAB“ („all cops are bastards“). Der Grenze der Schmähkritik unterliegen auch kritisierende Meinungsäußerungen zu gewerblichen Leistungen, sofern es sich nicht um eine wertende Kritik an gewerblichen Leistungen im Rahmen des geistigen Meinungskampfes handelt, sondern nur die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht (BGH NJW 1966, 1617 – Höllenfeuer; NJW 1976, 620, 622 – Warentest II; Frankfurt NJW 1990, 2002 – Restaurantkritik: „in den Teller hineingeschissen“ und „zum Kotzen“; München WRP 96, 925: Herabsetzung des Wettbewerbers: „Scheiß des Monats“; Schmähkritik verneint: BGH NJW 2008, 2110 – Gen-Milch; BVerfG NJW 2010, 3501 – Gen-Milch; s auch BGH AfP 2017, 48 „Mal PR-Agent, mal Reporter“). Auch eine Karikatur kann Schmähkritik sein (BVerfG 75, 369 – Strauß-Karikaturen: Darstellung des verstorbenen bayerischen Ministerpräsidenten Strauß als sich sexuell betätigendes Schwein), ebenso findet die in Form einer Satire geäußerte Meinung und Kritik ihre Grenze dort, wo es sich um eine Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung handelt (BGH 143, 199, 208 – Schleimerschmarotzerpack). Eine Verletzung des Menschenwürdekerns ist daher bspw auch im Fall satirischer Darstellungen gegeben, wenn dem Einzelnen die „Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in einer sozialen Gemeinschaft“ verwehrt oder die „Achtung als Mensch“ in grds Form negiert wird; ebenso im Fall „verfälschender Darstellungen, die ‚menschenunwürdige‘ Tabubrüche unterstellen“, s München AfP 2013, 154, 155 – Bühnenprogramm). Unterfällt eine Äußerung nicht dem Begriff der Schmähkritik, kann eine umfassende Abwägung dennoch ergeben, dass sie ehrverletzend ist (BVerfG NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder IV; Köln NJOZ 2009, 1449). Ob die Grenze der Schmähkritik von den Gerichten richtig erkannt wurde, ist vom BVerfG im Rahmen der Verfassungsbeschwerde überprüfbar (s hierzu Rn 7). 255 bb) Kasuistik zur Schmähkritik. Als Schmähkritik wurden eingeordnet: Behauptung, eine Fernsehansagerin sehe aus wie eine „ausgemolkene Ziege“, bei deren Anblick den Zuschauern die „Milch sauer werde“ (BGH 39, 124 – Fernsehansagerin); die Behauptung, Heinrich Böll sei ein „steindummer, kenntnisloser, talentfreier Autor“ gewesen, auch einer der „verlogensten, ja korruptesten“, BVerfG NJW 1993, 1462 (keine Auseinandersetzung im Rahmen einer inhaltlichen oder ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Werk; aA Larenz/Canaris SchuldR II 2, § 80 V, 1a); Einordnung des Auftritts der Band „Böhse Onkelz“ als „Altnazi-Treffen“ und Bezeichnung als „Neonazi-Band“, deren Zusammenwirken mit der Vorgruppe „The Stroke“ eine „schwarz-braune Doppelpackung“ sei (LG Göttingen NJW 1996, 1138); Berichterstattung über die Bundesanstalt für Flugsicherung: „Diese unsere Gesellschaft braucht keine militanten Terroristen, um beeinträchtigt oder vernichtet zu werden. Diese Terroristen sind unter uns. Sie stehen dazu noch im Solde des Staates.“ (Frankfurt NJW-RR 1993, 846, 852); Bezeichnung als „Altkommunist im Geiste des Massenmörders Stalin“ (AG Weinheim NJW 1994, 1543); Bezeichnung als „Schuft“, „Kanaille“, „Halunke“ (Hamburg ZUM 1990, 413); LG Nürnberg-Fürth NJW 1998, 3423: Bezeichnung eines Frauenarztes, der Abtreibungen vornimmt, als „Kindermörder“ und „Berufskiller“; Bezeichnung eines Journalisten als „Berufsdesinformant“, der „Mitglied der journalistischen Totenkopfdivision Joseph Goebbels“ sei (LG München I AfP 1997, 827); BGH NJW 1987, 1400 – Bezeichnung eines Ministers als „Oberfaschisten“; Saarbrücken NJW-RR 2003, 176: Bezeichnung eines Rechtsanwalts als „Lügner“, „uneinsichtiger dummer Tölpel“ und „Prozessbetrüger“; BVerfG NJW 2004, 590: Bezeichnung eines Ministers 100

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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„Dieser Mann ist solche Bundesscheiße. Da möchte man überhaupt nicht reintreten“; Hamm NJW-RR 1995, 1114 – „Charakterschwein“; München AfP 2013, 154, 155 – Bühnenprogramm: rechtswidrige Schmähung eines bekannten Schauspielers durch drastische Darstellung als unerotisch und abstoßend im Rahmen eines Bühnenprogramms; die Äußerungen „Skrupellosigkeit“, „systematische, wirtschaftliche Schädigung“, „handelnd mit fortgesetzter krimineller Energie“ (Koblenz 25.3.2013 – 3 W 178/13); die Bezeichnung „Dummschwätzer“ darf nur dann als Schmähkritik gewertet werden, wenn ohne sachlichen Anlass zum Ausdruck gebracht werden soll, dass der Betroffene ausschließlich Dummheiten äußere und daher als Teilnehmer einer sachlichen Debatte von vornherein ausscheide, nicht jedoch, wenn es sich nur um eine Bewertung einer Person dahingehend handelt, dass sich diese in einer Sachdiskussion dumm geäußert habe (BVerfG NJW 2009, 749); BVerfG NJW 2014, 764: Die Bezeichnung „durchgeknallte Frau“ betrifft den innersten Intimbereich, insb wenn sie nicht Ausdruck einer spontanen Äußerung im Rahmen einer emotionalen Auseinandersetzung, sondern bewusst diskreditierend und proaktiv ist. Im konkreten Fall wurde das bejaht, da sie in einem inhaltlichen Bezug zum vorgehenden Absatz stand, in dem es heißt: „Sie sind die frustrierteste Frau, die ich kenne. Ihre Hormone sind dermaßen durcheinander, dass Sie nicht mehr wissen, was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus, Feminismus, Vernunft.“. Verneint wurde die Qualifikation als Schmähkritik: Bezeichnung des vermeintlichen Opfers einer Vergewalti- 256 gung, als „Kriminelle“ durch den Beschuldigten, nachdem ihm die Tat nicht nachgewiesen werden konnte (Karlsruhe ZUM-RD 2015, 374); Titulierung eines Bundestagsabgeordneten als „Borderliner“, der „einen an der Waffel“ habe, im Rahmen einer öffentlichen Sexismus-Debatte (Köln AfP 2015, 63); Bezeichnung eines Landesvorsitzenden der AfD als „Betrüger“, „Rechtsbrecher“, „Halunke“ und „Gauner“ (Karlsruhe ZUM 2015, 400, 403); Äußerung, es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerät, im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde (BVerfG ZUM 2014, 965, 966); s auch BVerfG NJW 2015, 2022: keine Beleidigung durch Tragen eines Ansteckers mit der Aufschrift „FCK CPS“ (Abkürzung für „Fuck Cops“); Bezeichnung eines RA als „rechtsextrem“ und „rechtsradikal“ in einer öffentlichen Auseinandersetzung mit Sachbezug (BVerfG NJW 2012, 3712); Vorwurf der Veruntreuung und Geldwäsche sowie Mitgliedschaft in der Gentechnikmafia (vgl NJW 2012, 1643 – Grüne Gentechnik); Bezeichnung des früheren Vorstandsvorsitzenden als „abgewirtschafteter Vorstand“ (Brandenburg 25.11.2013 – 1 U 5/13); Dresden AfP 2012, 383: Äußerung, die Zustände in einem Unternehmen „grenzen an Sklavenarbeit“, ist unternehmensbezogene Meinungsäußerung, nicht Schmähkritik; Bezeichnung eines Landhotels als „Hühnerstall“ (Stuttgart AfP 2014, 87); Bezeichnung eines islamischen Predigers wegen kontroverser Äußerungen als „Hassprediger“ (Köln NJW 2005, 2554; Brandenburg NJW-RR 2007, 1641); Titulierung eines religionskritischen Kabarettisten als „Hassprediger“ (LG Stuttgart AfP 2015, 465); Bezeichnung eines Jägers als „Rabauken-Jäger“ und „Drecksjäger“ (Rostock AfP 2017, 71); die Bezeichnung der Tochter der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof als „Terroristentochter“ (BGH NJW 2007, 686); die Plakataktion von Mitgliedern eines Vereins mit der Aufschrift „Aktion Ausländer-Rückführung“ (BVerfG NJW 2010, 2193); Aussage, die Deutschland-Stiftung sei von Alt- und Neufaschisten durchsetzt (BGH NJW 1974, 1762); Bezeichnung eines Kommunalbeamten als „schläfrig“ (Düsseldorf NJW 1992, 1336); Vorwurf, ein Fusionsvertrag mit einem Konzern sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch „Kollusion der Geschäftsführung“ zustande gekommen (BVerfG NJW-RR 2001, 411); Behauptung, Wilhelm Kaisen würde DVU wählen (BVerfG NJW 2001, 2957); Bezeichnung als „linke Bazille“ (Saarbrücken NJW-RR 1996, 1048); Aussage „Soldaten sind Mörder“ (BVerfG NJW 1995, 3303 – Soldaten sind Mörder IV); Bezeichnung als „Gen-Milch“ (BGH NJW 2008, 2110); Bezeichnung als „Nazi“ (BVerfG NJW 1992, 2013) oder „Neonazi“ (Stuttgart AfP 2016, 268); Bezeichnung als „Schleimerschmarotzerpack“ im Rahmen einer Glosse (BGH 143, 199); BVerfG 61, 1, 12 – NPD Europas; 82, 43, 52 – Strauß-Transparent; 82, 272, 284 – Zwangsdemokrat; die Bezeichnung eines Moderators, der in einem Homeshoppingkanal Puppen zum Kauf anbietet, als „Puppenpäderast“ (LG München I AfP 2007, 60); Karlsruhe ZUM-RD 2003, 27: Bezeichnung eines Arztes als „Scharlatan“ und „Pfuscher“; Karlsruhe AfP 2001, 336 – kleingewachsener Patriarch und Schikanör; BVerfG NJW 1992, 2073 – Satiremagazin Titanic: satirische Bezeichnung eines 24-jährigen Reserveoffiziers, der trotz einer erlittenen Querschnittslähmung im Rollstuhl sitzend noch an einer Reserveübung der Bundeswehr teilnehmen wollte, als „geb Mörder“; Bezeichnung eines Staatsanwalts als „durchgeknallt“ ist nicht ohne Weiteres eine Schmähkritik – Kritik an staatlicher Gewalt darf auch in anklagender und personalisierender Art und Weise gegen Amtsträger gerichtet werden (BVerfG NJW 2009, 3016; s auch BVerfG NJW 2016, 2870 Rn 13: Bezeichnung einer Staatsanwältin durch einen RA als „dahergelaufen“, „durchgeknallt“, „widerwärtig, boshaft, dümmlich“; gegenteilig BVerfG AfP 2014, 133 zur Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“: „Das Wort „durchgeknallt“ hat hier somit eine grundlegend andere Bedeutung als in dem von dem BVerfG entschiedenen Fall „durchgeknallter Staatsanwalt“, s hierzu auch Rn 255); die Bezeichnung einer Kanzlei als „Winkeladvokatur“ kann im Einzelfall Schmähkritik darstellen (BVerfG NJW 2013, 3021); „Garagenvertrieb“ für Pharmaunternehmen, KG AfP 2010, 480, 482; die Bezeichnung „Parkplatzschwein“ (AG Rostock NZV 2013, 251). Festgehalten werden kann, dass die Gerichte eine Schmähkritik in fast allen Fällen verneinen, in denen ein öf- 257 fentliches Interesse an der Meinungsäußerung bejaht wurde. I Erg werden dieselben Erwägungen angeführt, mit denen der „Vorrang der freien Rede in die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Fragen“ (dazu Rn 252) begründet wird. cc) Formalbeleidigungen genießen ebenfalls nicht den Schutz der Meinungsfreiheit (BVerfG 60, 234, 241 – Kre- 258 dithai). Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sich die Kränkung bereits aus der Form der Äußerung und nicht aus ihrem Inhalt ergibt (BVerfG NJW 1994, 2413; LG Köln NJW-RR 2002, 189 – primitive kleine Nutte; LAG Klass

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Köln NZA-RR 1998, 15 – Verbrecher; München NJW-RR 2002, 1045 – katholischer Drecksack; LG München I AfP 1997, 827 – Drecksau; LG Coburg ZUM-RD 2003, 320 – dumm, bescheuert). Fraglich ist jedoch, ob angesichts der Rspr des BVerfG, wonach im geistigen Meinungskampf auch „überzogene und ausfällige Kritik“ (zB „Soldaten sind Mörder“) hingenommen werden müsse, noch Raum für den Vorrang von Formalbeleidigungen bleibt, solange sie nicht die Qualität der Schmähkritik erreichen. Die Gerichte scheinen jedenfalls beide Begrifflichkeiten zunehmend als Synonym zu betrachten, wobei die Maßstäbe der Schmähkritik Anwendung finden (Hamm NJW-RR 1995, 1114 – Charakterschwein; schmähendes Werturteil). V. Kunstfreiheit und APR Schrifttum: v Becker, Überlegungen zum Verhältnis von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht, AfP 2001, 466; Brauneck, Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Freiheitsanspruch der Satire, ZUM 2000, 137; Gounalakis, Freiräume und Grenzen politischer Karikatur und Satire, NJW 1995, 810; Häberle, Die Freiheit der Kunst im Verfassungsstaat, AöR 110 (1985), 613ff; Hillgruber/Schemmer, Darf Satire wirklich alles?, JZ 1992, 946; Karpen/Nohe, Die Kunstfreiheit in der Rspr seit 1992, JZ 2001, 801; Kastner, Die Crux der Kritik – in der Literatur, auf der Bühne und in der Musik, NJW 1995, 822; Klass, Satire im Spannungsfeld von Kunstfreiheitsgarantie und Persönlichkeitsrechtsschutz, AfP 2016, 477; Kübler, Meinungsäußerung durch Kunst, FS Mahrenholz, 1994, 303; Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, 1969; Pichler, Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und neue Medien, AfP 1999, 429; Raue, Kunstfreiheit, Persönlichkeitsrecht und das Gebot der praktischen Konkordanz, AfP 2009, 1; Sendler, Liberalität oder Libertinage, NJW 1993, 2157; Sendler, Kann man Liberalität übertreiben?, ZRP 1994, 343; Wittreck, Persönlichkeitsbild und Kunstfreiheit, AfP 2009, 6; Würkner, Die Freiheit der Kunst in der Rspr von BVerfG und BVerwG, NVwZ 1992, 1; Würtenberger, Satire und Karikatur in der Rechtsprechung, NJW 1983, 1144.

1. Gewährleistungsgehalt der Kunstfreiheit. Art 5 III GG erklärt die Kunst für frei. Mit dieser Freiheitsverbürgung enthält Art 5 III GG zunächst eine objektive, das Verhältnis des Bereichs Kunst zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm, zugleich gewährleistet die Bestimmung aber auch jedem, der in diesem Bereich tätig ist, ein individuelles Freiheitsrecht (BVerfG 30, 173, 188 – Mephisto). Der Begriff der Kunst selbst kann und soll nicht abschließend definiert werden, da jeder Definitionsversuch, die Gefahr in sich trägt, bestimmte Aspekte von vornherein „herauszudefinieren“, „Zensur“ auszuüben oder ein staatliches Kunstverständnis zu propagieren (BVerfG 30, 173, 188 – Mephisto; 67, 213, 225 – Anachronistischer Zug; 75, 369, 376 – Strauß-Karikatur; 77, 240, 251 – Herrnburger Bericht; 81, 278, 289 – Bundesflagge; 81, 298, 305 – Nationalhymne; 83, 130, 138 – Josefine Mutzenbacher). Nicht zuletzt soll die Kunstfreiheit auch die Freiheit einer Avantgarde gewährleisten, die Grenzen überschreitet und Neuland erforscht (Erman/Ehmann12 Rn 91), die sich stetig verändert und stets aufs Neue andere Formen des Ausdrucks erfindet. Die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich wird durch Art 5 III GG umfassend geschützt. Vor diesem Hintergrund ist auch jede wertende Einengung der Kunstfreiheit unzulässig, es darf nur zw Kunst und Nichtkunst, nicht zw guter und schlechter oder gelungener und misslungener Kunst unterschieden werden. Art 5 III GG schützt dabei nicht nur die künstlerische Betätigung, den „Werkbereich“, sondern auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks, den „Wirkbereich“ (BVerfG 30, 173, 188 – Mephisto; 81, 298, 305 – Nationalhymne; NJW 2008, 39 – Esra). Soweit es daher zur Herstellung der Beziehungen zw Künstler und Publikum der publizistischen Medien oder sonstiger Tätigkeiten bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die eine solche vermittelnde Funktion ausüben, zB Verleger, Produzenten, selbst Verteiler von Flugblättern. Durch diese Schutzbereichserweiterung soll die Veröffentlichung, Ausbreitung und sonstige Wirkung des Kunstwerks sichergestellt werden. Allerdings kommt dem „Wirkbereich“ im Rahmen der Abwägung mit entgegenstehenden Rechten ein geringeres Gewicht zu als dem „Werkbereich“ (BVerfG 77, 240, 255 – Herrnburger Bericht; dazu Frenzel/Singer AfP 2006, 421). Nicht geschützt ist die Inanspruchnahme fremden Eigentums (BVerfG NJW 1984, 1293 – Sprayer von Zürich). 260 2. Schranken der Kunstfreiheit. Die Kunstfreiheit ist vorbehaltlos gewährleistet – weder finden die Schranken des Art 5 II GG noch die des Art 2 I GG Anwendung. Ebenso ist es unzulässig, einzelne Teile herauszulösen und sie als Meinungsäußerungen iSd Art 5 I GG anzusehen, um dann die Schranken des Art 5 II GG zur Anwendung zu bringen. Jedoch kann die Kunstfreiheit in einer sozialen Gemeinschaft nicht schrankenlos sein. Das BVerfG hat daher zu Recht auch die Kunstfreiheit im Fall des Konflikts mit anderen grundrechtlich geschützten Rechten dem Gebot der Herstellung praktischer Konkordanz unterworfen (BVerfG 81, 278, 292 – Bundesflagge und NJW 1971, 1645; 67, 213, 228 – Anachronistischer Zug; 83, 130, 139 – Josefine Mutzenbacher). 261 3. Kunstspezifische Betrachtung. Bei der Beurteilung des Kunstwerks zum Zwecke der Abwägung mit dem gebotenen Persönlichkeitsrechtsschutz, insb bei seiner Interpretation, ist nach der Rspr stets eine kunstspezifische Betrachtung (hierzu ausf Rn 133) anzulegen (BVerfG ZUM 2008, 323 – Ehrensache; BGH NJW 2009, 751, 752 – Ehrensache; Frankfurt ZUM 2008, 793, 794 – Kannibale von Rotenburg; ZUM 2009, 952, 955 – Romy Schneider). Ausf hierzu im Kontext Satire Klass AfP 2016, 477. Zwar gehört es zu den Spezifika der Kunstformen des Theaterstücks, Films oder Romans, dass diese häufig an die Realität anknüpfen, allerdings schafft der Künstler dabei eine neue ästhetische Wirklichkeit (BVerfG ZUM 2008, 323 – Ehrensache), was bei der Bestimmung des Aussagegehalts zu beachten ist. Die Kunstfreiheit findet umso eher eine Beschränkung im APR, je mehr der Künstler der Wirklichkeit verhaftet bleibt und lebende Personen und tatsächliche Zustände oder Ereignisse darstellt (BVerfG NJW 1973, 1226 – Lebach I; NJW 2000, 1859 – Lebach II; NJW 2008, 39 – Esra; ZUM 2008, 323 – Ehrensache; Frankfurt NJW 2007, 699 – Kannibale von Rotenburg). Zur insoweit bestehenden Vermutung der Fiktionalität eines literarischen Werks ausf Rn 134. 262 4. Schwerwiegende Beeinträchtigung des APR. Entsteht ein Konflikt zw der Kunstfreiheit und dem APR, hat grds eine Einzelfallabwägung stattzufinden, die beiden Gewährleistungen gerecht werden muss. Angesichts der 259

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Bedeutung der Kunstfreiheit ist jedoch anerkannt, dass eine geringfügige Beeinträchtigung oder die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des APR nicht ausreichen, um die Kunstfreiheit einzuschränken. Lässt sich jedoch eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zweifelsfrei feststellen, so kann diese auch nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden (BVerfG NJW 2008, 39, 42 – Esra; 67, 213, 228 – Anachronistischer Zug; zB, wenn der Betroffene zum bloßen Objekt degradiert wird, Beschreibung einer Tötung als Rettungstat; Münster ZUM 2005, 79 – Das Ende des Kanzlers oder der Betroffene als „Perspektiv-Agent des KGB“ bezeichnet wird, Bremen NJW 1996, 1000, 1001 – Lemke). Die Schwere der Beeinträchtigung des APR hängt dabei zum einen davon ab, in welchem Maß der Künstler es dem Leser nahelegt, den Inhalt seines Werks auf wirkliche Personen zu beziehen, zum anderen ist aber auch die Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, wenn der Leser diesen Bezug herstellt, ausschlaggebend. Grds gilt nach wie vor, die im Mephisto-Urt (BVerfG GRUR 1971, 461, 466) geprägte Abbild-Urbild-Formel: Je stärker der Autor eine Romanfigur von ihrem Urbild löst und zu einer Kunstfigur verselbständigt, umso mehr wird ihm eine kunstspezifische Betrachtung zugutekommen (vgl hierzu ausf Rn 133ff insb Rn 137). 5. Karikatur und Satire. Auch bei Satire und Karikatur muss ein kunst- bzw werkgerechter Maßstab angelegt 263 werden, denn diesen Kunstgattungen ist es wesenseigen, dass sie mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen als Stilmittel arbeiten (BVerfG NJW 1992, 2073 – Satiremagazin Titanic; BGH NJW 2006, 603 – Fotomontage; wobei stets zu beachten ist, dass Satire Kunst sein kann, aber nicht jede Satire Kunst ist, BVerfG NJW 1992, 2073 – Satiremagazin Titanic; München AfP 2013, 154, 155 – Bühnenprogramm) und dabei gesellschaftliche Missstände personalisieren oder einzelne Personen verhöhnen. Dabei wollen sie nicht nur scherzen, sondern bisweilen auch angreifen und verletzen (Gounalakis NJW 1995, 809, 811; Klass AfP 2016, 477). Bei der Beurteilung eines satirischen Kunstwerks im Rahmen der Einzelfallabwägung mit dem APR ist daher stets zw dem „Aussagekern“, dem eigentlichen Inhalt der satirischen oder karikierenden Darstellung, und dem künstlerischen Gewand, der Form der Darstellung bzw der Einkleidung der Aussage, zu unterscheiden (BGH NJW 2004, 596; BVerfG NJW 1998, 1386 – Münzen-Erna; 86, 1, 11 – Satiremagazin Titanic; 75, 369, 377 – Strauß-Karikatur; Karlsruhe NJW 1994, 1963 – Steffi Graf; Hamm NJW-RR 2004, 919 – Lisa Loch; München AfP 2013, 154, 155 – Bühnenprogramm; KG Berlin AfP 2010, 480, 482 – Garagenvertrieb). In einem ersten Schritt ist der Aussagekern zu erfassen und daraufhin zu überprüfen, ob er mit Art 5 GG unter Berücksichtigung des grundrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutzes vereinbar ist. Drückt er eine Wertung aus, ist zu prüfen, ob eine Schmähkritik vorliegt (zur Schmähkritik ausf Rn 254ff). Zu ironisch pointierend verschärfenden Zusammenfassungen mehrdeutiger Äußerungen s BVerfG 2013, 774 – Das Prinzip Arche Noah; BGH NJW 2011, 3516. Enthält er eine Tatsachenmitteilung, so ist zu klären, ob sie wahr oder auf sonstige Weise gerechtfertigt ist (zur Abgrenzung von Tatsachenbehauptung und Werturteil Rn 98ff, insb Rn 101). Allerdings beschränkt sich die rechtliche Beurteilung nicht auf den Aussagekern, vielmehr ist auch festzustellen, ob die Einkleidung der Aussage die Kundgabe der Missachtung einer Person enthält, oder ob sie auf andere Weise das APR verletzt (BVerfG NJW 2005, 3271, 3272 – Fotomontage II; 75, 369, 378 – Strauß-Karikatur; 86, 1, 12 – Satiremagazin Titanic; zum Verbot bestimmter Passagen eines satirischen „Schmähgedichts“ s LG Hamburg 10.2.2017 – 324 O 402/16 – Böhmermann). Jedoch sind die hier anzulegenden Maßstäbe weniger streng als bei der Beurteilung des Aussagekerns, weil der Kunstform der Satire die Verfremdung wesenseigen ist und als solche v Betrachter auch erkannt und eine Aussage relativiert wird (BVerfG 75, 369, 378 – Strauß-Karikatur; NJW 2002, 3767 – Bonnmot). Hierbei dürfen auch die Grenzen des guten Geschmacks überschritten werden, insb findet keine Niveaukontrolle statt (München AfP 2009, 419 – Klinsmann am Kreuz; München AfP 2013, 154, 155 – Bühnenprogramm). Die Abstraktion einer Karikatur oder Satire von dem in „Wort und Bild gewählten satirischen Gewand“ (zB Urinieren auf die Bundesflagge, BVerfG 81, 278, 294; NJW 1990, 2541 – Hitler-Satiren) darf aber nicht so weit gehen, dass der Beurteilung Deutungen untergeschoben werden, die der Autor nicht zum Ausdruck bringen wollte und die auch niemand so verstanden hat, so auch nicht verstehen sollte (Erman/Ehmann12 § 12 Rn 93; Klass AfP 2016, 477). Führt die abgestufte Prüfung jedoch zum Ergebnis, dass eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Ehre vorliegt (zu Schmähkritik und Formalbeleidigung s Rn 254ff), kann diese durch die Kunstfreiheit nicht gerechtfertigt werden (so auch BVerfG 67, 213, 228 – Anachronistischer Zug; 75, 369, 378 – Strauß-Karikatur: Karikierende Darstellung eines Politikers als kopulierendes Schwein verstößt nach Ansicht des BVerfG gegen dessen Menschenwürde); eine Verletzung des Menschenwürdekerns ist zudem gegeben, wenn dem Einzelnen die „Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in einer sozialen Gemeinschaft“ verwehrt oder die „Achtung als Mensch“ in grds Form negiert wird; ebenso im Fall „verfälschender Darstellungen, die ‚menschenunwürdige‘ Tabubrüche unterstellen“, München AfP 2013, 154, 155 – Bühnenprogramm: rechtswidrige Schmähung durch drastische Darstellung eines Schauspielers als unerotisch und abstoßend. Zudem darf Satire auch nicht verfälschen. Daher ist eine für den Betrachter nicht erkennbare Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes im Rahmen einer Fotomontage auch nicht vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit zulässig (BGH NJW 2006, 603 – Fotomontage; BVerfG NJW 2005, 3271, 3272 – Fotomontage II). Ebenso ist eine unrichtige Information selbst dann kein schützenswertes Gut, wenn sie in einem satirischen Kontext eingebunden ist, Hamburg ZUM 2016, 626. S aktuell zur Zulässigkeit einer medienkritischen Satire-Sendung, in welcher sich die Protagonisten mit der Frage nach der bestehenden Unabhängigkeit von Journalisten befassten, BGH 10.1.2017 – VI ZR 561/15 und VI ZR 562/15. 6. Realität und Fiktion in der Kunst (s hierzu auch Rn 134). Typisches Merkmal der Kunst ist, dass sie sich An- 264 leihen in der Wirklichkeit holt, sich an realen Urbildern orientiert und diese schöpferisch gestaltend einer neuen Klass

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ästhetischen Wirklichkeit zuführt (BVerfG NJW 2008, 39, 42 – Esra). Im Einzelfall kann jedoch im Zugriff auf die persönlichen Lebensdaten des Einzelnen ein widerrechtlicher Eingriff in das APR liegen. Zu den hierbei anzuwendenden Grundsätzen Rn 137. 265 7. Theater- und Kunstkritik. Tadelnde Urt und Wertungen über wissenschaftliche und künstlerische Leistungen werden durch § 193 StGB als grds gerechtfertigte Handlungen begriffen, sofern nicht die Form der Äußerung oder besondere Umstände doch eine Beleidigung begründen. Wissenschaftskritik findet jedenfalls ihre Grenzen, wo erwiesenermaßen oder gar bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt werden oder es sich um reine Schmähungen (zur Schmähkritik s Rn 254ff) handelt, die keinerlei Bezug zu dem verfolgten Anliegen haben (MüKo/Rixecker Rn 190). Im Rahmen der Güter- und Interessenabwägung ist jedoch stets zu beachten, dass Kunstkritik auch dem öffentlichen Interesse dient (BVerfG 54, 129 – Kunstkritik). Zudem ist zu unterscheiden, ob eine Äußerung im politischen Wahlkampf oder in einer wissenschaftlichen Abhandlung erfolgt (Differenzierung zw wissenschaftlicher Kommunikation und politischem Meinungskampf im Einz str, vgl MüKo/Rixecker Rn 208; eine in einem wissenschaftlichen Aufsatz angegriffene Person ist jedoch schutzbedürftiger als eine im Wahlkampf oder in der Presse gescholtene PdZ, Karlsruhe NJW 1989, 1360, 1361f – Ehrverletzende Äußerung in Festschrift). Kunstkritik (insb durch Kunstkritiker in monopolartiger Stellung) kann darüber hinaus im Einzelfall einer Zensur nahekommen und das öffentliche und finanzielle „Aus“ eines Werks bedeuten. Die Motivation der Kritiker und die Auswirkungen können daher bei der Bewertung eine Rolle spielen (vgl Erman/Ehmann12 Rn 97). Zur Theaterkritik s LG Berlin GRUR 1959, 492 – Harlan jun: Für die Frage, ob eine Theaterkritik das APR des Autors oder Regisseurs verletzt, kommt es maßgeblich darauf an, ob die behaupteten Tatsachen erweislich wahr sind, welche Wirkungen in der Vorstellung des Durchschnittslesers hervorgerufen werden und in welchem Maße persönliche Belange der Beteiligten betroffen sind; vgl auch Hoene, Das Recht der Theaterkritik, 1975; zur Kritik an Gerichtsurteilen LG Frankfurt NJW 1962, 64: Bezeichnung eines Richters als unfähig, den Kampf um die moralischen Fundamente des Staates und die Wiederherstellung der Menschenrechte zu begreifen, ist gerechtfertigt; zu Kritik an Behörden („Gestapo-Methoden“) BVerfG NJW 1992, 2815; zu Buchkritik LG Stuttgart UFITA 23 (1957), 244; zu Kritik an gewerblichen Leistungen Rn 107, 66. 266 VI. Wissenschaftsfreiheit und APR. 1. Gewährleistungsgehalt der Wissenschaftsfreiheit. Wie die Kunstfreiheit erfährt auch die Freiheit von Forschung und Lehre – und damit jede wissenschaftliche Tätigkeit, dh alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist (BVerfG NJW 1973, 1176; NJW 1978, 1621; NJW 1993, 916) – in Art 5 III GG besonderen Schutz. Geschützt ist mithin ebenfalls die wissenschaftliche Kommunikation als relevante Handlungsform im Rahmen des Ehrenschutzes: insb unterschiedliche Formen literarischer, lehrender sowie vortragsmäßiger Publikationen sowie die sonstige Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in den Medien (vgl Maunz/Dürig/Scholz Art 5 III GG Rn 83; BaRo/Bamberger § 12 Rn 188). Unabhängig ist der Schutz dabei von der Richtigkeit der angewandten Methoden bzw der gewonnenen Ergebnisse; ebenso wenig von Bedeutung ist die Stichhaltigkeit der Argumentation oder die Vollständigkeit der Gesichtspunkte und Belege (Jarass/Pieroth Art 5 Rn 121). Geschützt sind auch Mindermeinungen, selbst wenn sie sich als fehlerhaft erweisen, sowie unorthodoxe Methoden oder lückenhafte Forschungsergebnisse. Der Begriff der Wissenschaftlichkeit ist mithin weit zu verstehen (BVerfG NJW 1994, 1781f – Jugendgefährdende Schriften). Eine Grenze ist jedoch erreicht, wenn der Wissenschaftlichkeitsanspruch systematisch verfehlt wird, was insb der Fall ist, wenn die Untersuchung nicht auf Wahrheitserkenntnis gerichtet ist (Indiz: systematische Ausblendung von Fakten, Quellen, Ansichten und Ergebnissen, welche die Auffassung des Autors in Frage stellen, BVerfG NJW 1994, 1781, 1782 – Jugendgefährdende Schriften; beachte aber BVerfG AfP 2000, 555, 556: ein im Kern als wissenschaftlich einzuordnendes Werk unterfällt weiterhin der Wissenschaftsfreiheit, sofern verletzende Äußerungen, die nicht auf eine Wahrheitserkenntnis gerichtet sind, von den übrigen Teilen des wissenschaftlichen Werks getrennt werden können). 267 2. APR als Schranke der Wissenschaftsfreiheit. Auch wenn die Wissenschaftsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet wird, so ist sie doch nicht schrankenlos (BVerfG 90, 1, 12 – Weltkriegsschuldfrage; NJW 1994, 1781, 1782 – Jugendgefährdende Schriften; Jarass/Pieroth Art 5 GG Rn 131ff; dazu Wenzel/Burkhardt Rn 3.36ff), sondern findet in gegenläufigen verfassungsrechtlich abgesicherten Rechtspositionen ihre Grenze (BGH NJW 1994, 1281, 1282 – Bilanzanalyse); insb das APR stellt eine starke verfassungsimmanente Schranke dar (vgl BGH NJW 1966, 647, 648 – Reichstagsbrand; NJW 1994, 1281 – Bilanzanalyse; dazu BVerfG NJW 1994, 1784). Auch bei der rechtlichen Bewertung wissenschaftlicher Kommunikation ist grds zw wissenschaftlichen Äußerungen als Tatsachenbehauptungen (zB BGH NJW 1966, 647: Der Betroffene sei am Reichstagsbrand aktiv beteiligt gewesen) und Meinungsäußerungen als wissenschaftlicher Schlussfolgerung (zB BGH NJW 1978, 751 – Schriftsachverständiger; NJW 1989, 2941 – Attest Nervenarzt; BVerfG NJW 2003, 961 – Äußerungen eines orthopädischen Gutachters) zu unterscheiden. Gutachten von Sachverständigen (s hierzu auch Rn 109) und ärztliche Diagnosen können sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Werturteile enthalten; idR ist der Schluss, den der Sachverständige aus seinem Gutachten zieht, jedoch Werturteil und nicht Behauptung einer Tatsache (BGH NJW 1978, 751, 752 – Sachverständigengutachten: im Wesen des Gutachtens liegt, dass es auf der Grundlage bestimmter Verfahrensweisen zu einem Urt kommen will, das, selbst wenn es äußerlich als Tatsachenbehauptung formuliert worden ist, auf Wertungen beruht; NJW 1999, 2736f – Verdachtsdiagnose; LG Köln NJOZ 2009, 4788, 4791 – Psychotherapeutische Diagnose; BGH NJW 1989, 774 – Ärztliche Diagnose: Bewertung, nicht Behauptung einer Tatsache; Ausnahme uU leichtfertige Erteilung eines unrichtigen Attests; BGH NJW 1989, 2941, 2942). Tatsächliche Behauptungen sind grds einer gerichtlichen Prüfung zugänglich (BGH NJW 1966, 647, 648 – Reichstags104

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brand: kein absoluter Schutz wissenschaftlicher Veröffentlichungen vor negatorischen Ansprüchen); grds nicht geschützt ist zudem die Aufstellung unwahrer Tatsachenbehauptungen (BVerfG NJW 1989, 1789; BaRo/Bamberger § 12 Rn 192; MüKo/Rixecker Rn 180 bzgl Gutachten; Staud/Hager § 823 Rn 144 fordert eine Beschränkung auf erwiesen oder unstr unwahre Tatsachenbehauptungen). Zur Haftung gerichtlicher Sachverständiger nach § 839a s Rn 274. Aber auch wissenschaftliche Wertungen und Schlussfolgerungen sind nicht etwa verwehrt, sofern die Persönlichkeitssphäre eines Dritten berührt wird (so auch Staud/Hager § 823 Rn 144); hier ist vielmehr im Einzelfall ein angemessener Ausgleich zu finden (BGH NJW 1994, 1281, 1282 – Bilanzanalyse; bestätigend BVerfG NJW 1994, 1784, 1785: Vorrang des Persönlichkeitsrechtsschutzes, da für den wissenschaftlichen Lehrzweck die Namensnennung nicht relevant ist; zudem besteht keine ernstliche Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit). Unzulässig ist jedoch reine Schmähkritik (BVerfG NJW 2003, 961; s hierzu Rn 254ff). 3. Wissenschaftskritik. Die Kritik an wissenschaftlicher Leistung kann selbst eine wissenschaftliche Tätigkeit sein (zB Gutachten über Habilitationsschrift; VGH Mannheim NVwZ 1991, 184; Karlsruhe NJW 1989, 1360 – Festschrift: der Vorwurf „rechtsradikalen Gedankenguts“ in der Festschrift für einen Richter des BVerfG ist von der Wissenschaftsfreiheit nicht mehr gedeckt). Zum Schutz von tadelnden Urt über wissenschaftliche und künstlerische Leistungen nach § 193 StGB s Rn 240; vgl zudem Rn 265. VII. Indemnitätsschutz. Ein Abgeordneter darf wg einer Äußerung, die er im Parlament gemacht hat, nicht zur Verantwortung gezogen werden (Art 46 GG); hiervon ausgenommen sind lediglich verleumderische Beleidigungen (Art 46 I 2 GG). Der Indemnitätsschutz des Art 46 GG wirkt grds ebenfalls ggü zivilrechtlichen Sanktionen (Jarass/Pieroth Art 46 GG Rn 4); allerdings werden nur Äußerungen erfasst, die im Parlament oder seinen Ausschüssen gemacht wurden bzw dort gemachte Äußerungen wiederholen (Saarbrücken NJW-RR 1994, 184 – Rotlichtaffäre; Stuttgart NJW-RR 2004, 619 – Landtagsfraktion), denn Zweck des Indemnitätsschutzes ist die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der repräsentativen Demokratie. Geschützt sind daher Äußerungen von Abgeordneten, welche die Parlamentsarbeit betreffen (BGH NJW 1982, 2246; LG Hamburg AfP 2007, 384); nicht aber die Weitergabe einer schriftlichen Parlamentsanfrage an die Presse (BGH 75, 384, 387); oder die Äußerungen eines Sachverständigen in einem Hearing (BGH NJW 1981, 2117). Nach Art 42 III GG ist auch jeglicher Rechtsschutz gegen wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen des BT; ausgeschlossen sind auch presserechtliche Gegendarstellungen (Hoeren/Siebert/Helle, Multimedia-Recht, Teil 8.1 Rn 130). VIII. Äußerungen in privaten Vertrauensbeziehungen. Dem APR ist nach Rspr des BVerfG (NJW 2010, 2937, 2939 – Briefbeschlagnahme) bei Äußerungen ggü Familienangehörigen (Ehegatten, Kinder) und anderen Vertrauenspersonen (eheähnliche Lebensbeziehungen, engste Freunde, vgl bspw BVerfG NJW 2007, 1195 – Beleidigungsfreier Bereich: Brief eines Strafgefangenen an einen Freund) in besonderer Weise Rechnung zu tragen, denn das APR schützt die Möglichkeit des Einzelnen, „seine Emotionen frei auszudrücken, geheime Wünsche oder Ängste zu offenbaren und das eigene Urteil über Verhältnisse oder Personen freimütig kundzugeben“, aaO, 1195. Äußerungen, die ggü Außenstehenden oder der Öffentlichkeit wg ihres ehrverletzenden Gehalts eigentlich nicht schutzwürdig wären, genießen in solchen Vertraulichkeitsbeziehungen verfassungsrechtlichen Schutz, welcher dem Schutz der Ehre des durch die Äußerung Betroffenen vorgeht (vgl BVerfG 90, 255, 259ff; NJW 2010, 2937, 2939 – Briefbeschlagnahme; zum Schutz von beleidigenden Äußerungen innerhalb der Familie vgl auch Düsseldorf NJW 1974, 1250). Diese Grundsätze können jedoch nicht auf eine Gesellschafterversammlung (BGH NJW 1984, 1104 – Kleiner Kreis; 89, 198 – Aktionärsversammlung) bzw die Geschäftsstellen einer Großbank erstreckt werden (BGH NJW 1993, 525); ebenfalls kann keine Übertragung auf Äußerungen des Verteidigers ggü seinem Mandanten (BVerfG NJW 2010, 2937, 2939 – Briefbeschlagnahme) erfolgen (vgl auch BVerfG NJW 1994, 1149; NJW 1995, 1015 zu beleidigenden Äußerungen in Briefen von und an Strafgefangene und deren Angehörige sowie Hamburg NJW 1990, 1246 zu beleidigenden Äußerungen ggü dem eigenen Rechtsanwalt). IX. Äußerungen in gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren. 1. Äußerungen in gerichtlichen Verfahren. Ehrschutzklagen gegen Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem schwebenden Gerichtsverfahren oder dessen Vorbereitung dienen, sind idR mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig – jedenfalls, solange das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist (nach Helle GRUR 1982, 207, 215 sollen auch, spätere Schadensersatzansprüche angesichts ihrer potentiell abschreckenden Wirkung auf Äußerungen im Erstverfahren grds ausgeschlossen sein). Der Betroffene kann daher weder Unterlassung noch Widerruf fordern (BVerfG NJW-RR 2007, 840, 841; ebenso Hamm NJW 1992, 1329, 1330; BGH NJW 1987, 3138, 3139 – Rabattverstoß; 1999, 2736 – Verdachtsdiagnose; 2008, 996, 997; 1971, 284; 1962, 243). Ebenfalls unzulässig ist eine Widerklage auf Unterlassung von Vorwürfen gegen den Kläger und Zeugen vor Entscheidung über die Klage (BGH NJW 1987, 3138, 3140 – Rabattverstoß). Selbst vor Prozessbeginn in einem anderen Verfahren rechtskräftig verbotene Äußerungen werden als Prozessvorbringen angesehen und für zulässig erachtet, Celle NJW-RR 1999, 385 (hins vorprozessualer Äußerungen in anwaltlichem Schriftsatz vgl LG Berlin NJW-RR 2003, 765). Auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen oder die Wahrheit der Äußerung kommt es grds nicht an (Hamm NJW 1992, 1329, 1330). Verfahrensbeteiligte sollen alles, was sie für erforderlich halten, vortragen dürfen (BVerfG NJW-RR 2007, 840, 841, ebenso: Hamm NJW 1992, 1329, 1330; BGH NJW 2008, 996, 997; 2005, 279, 280 – Bauernfang; 1999, 2736 – Verdachtsdiagnose) – nur so kann sichergestellt werden, dass die Äußerungsfreiheit im Prozess sowie die Garantie rechtlichen Gehörs nicht beschnitten werden (so Düsseldorf NJW 1987, 2522). Dabei ist es auch zulässig, zur plastischen Darstellung der eigenen Position starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, ohne dabei jedes Wort auf die Waagschale legen zu müssen (BVerfG 28.9.2015 – 1 BvR 3217/14), s Klass

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auch Rn 251a. Mit Urt v 28.2.2012 hat der BGH (NJW 2012, 1659) diese Grundsätze auf Klagen, die der Geltendmachung von Geldentschädigungen dienen, übertragen. 272 Vom Äußerungsprivileg nicht erfasst sind ehrkränkende Äußerungen (Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen), die mit dem Streitgegenstand offensichtlich nichts zu tun haben, Schmähkritik (die Bezeichnung als „geisteskrank“ im Prozess stellt eine unzulässige Schmähung dar, Köln NJW-RR 1992, 1247, allg zur Schmähkritik s Rn 254ff) oder bewusst falsche oder leichtfertig aufgestellte Tatsachenbehauptungen, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt (BVerfG NJW-RR 2007, 840, 841; das Merkmal „leichtfertig“ darf hierbei aber nicht über Gebühr ausgedehnt werden, BVerfG NJW 2000, 199, 200; ähnlich auch Bamberg NJW-RR 1999, 322; Koblenz NJW 1990, 1243, 1244; Hamburg ZUM 1996, 792, 797 Rn 295). Des Weiteren sind Ehrschutzklagen zulässig, wenn die Äußerungen außerhalb der prozessualen Rechtsverfolgung aufgestellt werden (zB ehrverletzende Abhandlung im Rahmen eines Rundschreibens außerhalb der prozessualen Rechtsverfolgung durch einen Rechtsanwalt, BGH NJW 2005, 279, 281 – Bauernfang; NJW 1992, 1314; NJW-RR 1999, 1251ff – fehlender Sachbezug), oder wenn sie keinerlei Zusammenhang mit der Rechtsverfolgung aufweisen, Hamm NJW-RR 2002, 1196; Bamberg NJW-RR 1999, 322). Ehrschutzklagen sind ebenfalls zulässig, sofern das Verfahren in sittenwidriger Weise als Deckmantel für eine beabsichtigte Ruf- oder Kreditschädigung des Gegners missbraucht wird (Hamm NJOZ 2004, 2129, 2130 – Kreditgefährdung). Diese Privilegierungsgrundsätze finden nicht nur ggü der anderen Partei, sondern auch ggü den am Prozess beteiligten Dritten (Hamm NJW 1992, 1329, 1330; ebenso: BGH NJW 2005, 279, 281 – Bauernfang; Düsseldorf NJW 1987, 2522) sowie ggü Aussagen von Zeugen in einem Strafverfahren sowie bereits zuvor im Ermittlungsverfahren (BGH NJW 1986, 2502, 2503) Anwendung (Düsseldorf NJW 1987, 3268: kein Anspruch auf Unterlassung oder Widerruf einer eidesstattlichen Versicherung des Zeugen, die zur Vorlage in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren bestimmt ist). Ggü nicht am Verfahren beteiligten Dritten ist der zivilrechtliche Ehrenschutz ggü Äußerungen ausgeschlossen, sofern deren Verhalten für die Darstellung und Bewertung des Streitstoffs von Bedeutung ist (BGH NJW 2008, 996, 997). Jedoch gilt die Privilegierung nicht, wenn ein Bezug zum Ausgangsrechtsstreit nicht erkennbar ist, die Äußerungen erkennbar falsch sind oder eine unzulässige Schmähkritik vorliegt (BGH NJW 2008, 996, 998); noch offengelassen hatte dies BGH NJW 1986, 2502, 2503; bejaht aber schon Düsseldorf NJW 1987, 2522 mit der notwendigen Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Art 103 I GG). Ausgeschlossen sind Ehrschutzklagen hingegen ebenfalls, soweit es sich um Abwehransprüche gegen widerrechtlich erlangte Beweismittel handelt (BGH NJW 1988, 1016, 1016f – Tonbandaufzeichnung). Anspruchsgegner ist idR der Prozessgegner und nicht der verteidigende Anwalt (BVerfG NJW 2003, 3263), denn eine regelmäßige Kontrolle der vom Mandanten mitgeteilten Tatsachen kann berufsrechtlich nicht verlangt werden – dieser ist daher nur im Ausnahmefall persönlich verantwortlich, wenn er als Störer oder im Rechtssinn als Verbreiter der Tatsachen erscheint (KG NJW 1997, 2390 – Presseerklärung; vgl auch BGH NJW 2005, 279, 281 – Bauernfang). Grds darf ein Rechtsanwalt bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, Urteilsschelte üben oder „ad personam“ argumentieren, um bspw das Verhalten des Richters zu kritisieren (AnwGH Saarland NJWRR 2002, 923, 924 – Urteilsschelte: Einstufung eines Urt als „so falsch, dass man sich wundert, dass ausgebildete Juristen an der Rechtsfindung beteiligt waren“, bildet keine mit dem Sachlichkeitsgebot unvereinbare Formalbeleidigung; BVerfG NJW 2014, 3357: Ein Rechtsanwalt, der gegen das „schäbige, rechtswidrige und unwürdige“ Verhalten einer Richterin protestiert und fordert, diese müsse „effizient bestraft werden, um zu verhindern, dass er „auf eine schiefe Bahn“ gerät, erfüllt die Voraussetzungen einer Schmähkritik nicht, da es sich um eine polemische und überspitzte Kritik im Rahmen einer sachlichen Auseinandersetzung handelt.). Dies gilt auch für Äußerungen des Rechtsanwalts im Ermittlungsverfahren (BVerfG NJW 2000, 199, 200). 273 2. Äußerungen in sonstigen Verfahren. Die Grundsätze der Äußerungsprivilegierung in gerichtlichen Erkenntnisverfahren sind übertragbar auf Äußerungen im Verwaltungsverfahren (BGH NJW 2008, 996, 997; Düsseldorf NJW 1972, 644; NVwZ 1998, 435; BGH NJW 1983, 1183), auf unterschiedliche Formen von Beschwerden (zB ehrkränkender und rufschädigender Vorwurf eines Mitgliedsbetriebs bei der Kassenärztlichen Vereinigung über einen Arzt, der leichtfertig Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen soll, Frankfurt NJW-RR 1994, 416; Äußerungen im Rahmen einer Beschwerde bei dem zuständigen AG über die Amtsführung eines Konkursverwalters, Koblenz NJW-RR 1998, 750, 751), ebenso auf das Petitionsrecht (wobei bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen weder in Art 17 GG noch in Art 5 I 1 GG eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung finden, BVerfG NJW 1991, 1475, 1476), auf disziplinäre Ordnungsverfahren eines eingetragenen Vereins (Düsseldorf NJW-RR 1986, 675 – Ausschlussverfahren) sowie auf Äußerungen eines Schiedsrichters des Fußballverbands eV in einem Schiedsrichter-Bericht (LG Karlsruhe NJW-RR 2003, 39, 40). Die Grenzen der Privilegierung (Schmähkritik etc, s Rn 272) finden hier ebenfalls Anwendung (Düsseldorf NVwZ 1998, 435, 436). Nicht übertragbar sind die Grundsätze jedoch auf Äußerungen eines Sachverständigen bei einem Hearing des Bundestags oder Landtags (BGH NJW 1981, 2117, 2118) sowie auf Äußerungen eines Ombudsmanns (LG Bonn NJW 2002, 3260, 3261). Einer Ehrenschutzklage nicht entzogen sind bspw ebenfalls Äußerungen des Konkursverwalters in seinem Erstbericht ggü der Gläubigerversammlung (BGH NJW 1995, 397), da der Wahrheitsgehalt der Äußerungen im Konkursverfahren nicht mit einem Anspruch auf Rechtsverbindlichkeit überprüft wird (BGH NJW 1995, 397). 274 3. Haftung gerichtlicher Sachverständiger. In § 839a findet sich eine Sonderregelung für die Haftung wg vorsätzlich falsch erstellter Gutachten, welche nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Haftung des Sachverständigen abschließend regeln und mithin die frühere allg Deliktshaftung ersetzen soll (BGH NJW 2006, 1733). Zu106

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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gleich soll durch § 839a der Unterschied zw der Haftung des beeidigten und des nicht beeidigten gerichtlichen Sachverständigen beseitigt werden (BT-Drs 14/7752, 28; Staud/Oechsler § 826 Rn 223; Celle DS 2010, 32). Voraussetzung für eine Haftung nach § 839a ist die vorsätzliche oder grob fahrlässige Erstellung eines unrichtigen Gutachtens, welches Basis einer gerichtlichen Entscheidung wird, wodurch ein Schaden entsteht. Grobe Fahrlässigkeit setzt voraus, dass die bei der Erstellung eines Gutachtens erforderliche Sorgfalt objektiv in besonders schwerem Maße verletzt, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und dasjenige nicht beachtet wurde, was jedem Sachverständigen als relevant hätte einleuchten müssen. Zum anderen müssen auch subjektive Momente hinzukommen, die eine gesteigerte Vorwerfbarkeit begründen (München VergabeR 2009, 106; Hamm DS 2010, 197; kein grob fahrlässiges Handeln des Sachverständigen, wenn die Beurteilung ohne notwendige Gegenüberstellung der Unfallfahrzeuge erfolgte und das Gericht keine Veranlassung gesehen hat, eine weitergehende Begutachtung und Gegenüberstellung zu veranlassen, KG NZV 2007, 462, 463). § 839a ist jedoch lückenhaft und muss durch eine Haftung aus § 826 ergänzt werden (alte Rspr Staud/Oechsler § 826 Rn 223; Koblenz DS 2007, 193, 194). Zur äußerungsrechtlichen Bewertung von Gutachten und Aussagen von Sachverständigen s ausf Rn 109). 275–276 Einstweilen frei. I. Das Internationale Privatrecht des APR Schrifttum: Ahrens, Vermögensrechtliche Elemente postmortaler Persönlichkeitsrechte im Internationalen Privatrecht, FS Erdmann, 2002, 3; Fricke, Der Unterlassungsanspruch gegen Presseunternehmen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts im Internationalen Privatrecht, 2003; Friedrich, Internationaler Persönlichkeitsrechtsschutz bei unerlaubter Vermarktung, 2003; v Gerlach, Persönlichkeitsschutz und öffentliches Informationsinteresse im internationalen Vergleich, AfP 2001, 1; Gounalakis, Medienpersönlichkeitsrechte in rechtsvergleichender Sicht, AfP 2001, 271; Heiderhoff, Eine europäische Kollisionsregel für Pressedelikte, EuZW 2007, 428; Heldrich, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internationalen Privatrecht, FS Zajtay, 1982, 215; Looschelders, Persönlichkeitsschutz in Fällen mit Auslandsberührung, ZVglRWiss 95 (1996) 48; Spindler, Kollisionsrecht und internationale Zuständigkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet – die eDate-Entscheidung des EuGH, AfP 2012, 114; Vogel, Das Medienpersönlichkeitsrecht im internationalen Privatrecht: eine Untersuchung zur Harmonisierung der Kollisionsnormen in Europa, 2014; Wagner, Das deutsche internationale Privatrecht bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen, 1986, Wagner, Zur Anknüpfung der Frage nach dem Bestehen von Persönlichkeitsrechten im außervertraglichen Schuldrecht, JZ 1993, 1034.

Das dt IPR hält weder auf staatsvertraglicher Ebene noch im autonomen Recht spezielle Kollisionsnormen für 277 Verletzungen des APR bereit. Ansprüche aus Verletzungen des APR unterstehen bei Sachverhalten mit Auslandsberührung daher grds dem Deliktsstatut (BT-Drs 14/343, 10; BGH NJW 1998, 2141, 2142; Oldenburg NJW 1989, 400, 401; vgl auch die Bereichsausnahme in Art 1 II lit g ROM II-VO, wonach außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschl der Verleumdung aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind, s hierzu auch BGH NJW 2012, 148 sowie 2197, 2198; lediglich die Anknüpfung des Gegendarstellungsanspruchs ist umstr, hierzu MüKo/Junker Art 40 EGBGB Rn 89ff), welches ebenfalls Bestehen und Inhalt des APR regelt (Hamburg UFITA 60, 1971, 322, 327). Nach den allg Regeln gilt auch bei Verletzungen des APR das Ubiquitätsprinzip. Grundanknüpfungsmoment ist der Tatort gem Art 40 I EGBGB. Nach Art 40 I 1 EGBGB ist grds an den Handlungsort anzuknüpfen. Der Verletzte kann gem Art 40 I 2 EGBGB aber auch die Anwendung des Rechts verlangen, in dessen Staat der Erfolg eingetreten ist. Vorrangige Berücksichtigung vor der Tatortregel gem Art 40 I EGBGB haben jedoch die nachträgliche Rechtswahl (Art 42 EGBGB) und die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien (Art 40 II EGBGB). Der Anwendungsbereich der Ausweichklausel nach Art 41 EGBGB ist gering (Sonnenberger, FS Henrich, 2000, 579; Hohloch unten Art 40 EGBGB Rn 25d). Wie nach der Tatortregel der Handlungs- und der Erfolgsort zu bestimmen sind, ist umstr. Allg wird als Hand- 277a lungsort der Ort bezeichnet, an dem die tatbestandsmäßige Ausführungshandlung mit Außenwirkung vorgenommen wurde (BGH NJW 1977, 1590f; NJW 1996, 1128 – CvM IV). Aufgrund der bei Pressedelikten typischerweise bestehenden Vielzahl von Teilabschnitten bereitet die eindeutige Bestimmung der unerlaubten Handlung und damit des maßgeblichen Handlungsortes jedoch Schwierigkeiten (Herresthal in Götting/Schertz/Seitz, § 58 Rn 11). Nach überwiegender Meinung erfolgt die Anknüpfung bei Pressedelikten an den juristischen bzw realen Sitz des Verlags (Ehmann/Thorn AfP 1996, 20, 23; Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 58) oder an den Erscheinungsort (BGH NJW 1977, 1590; 1996, 1128; Hamburg AfP 1998, 643), wobei Verlagssitz und Erscheinungsort regelmäßig übereinstimmen (MüKo/Junker Art 40 EGBGB Rn 74). Für Fernseh- und Rundfunkdelikte liegt der Handlungsort am Ausstrahlungsort (München NJW 2004, 224, 226; Pal/Thorn Art 40 EGBGB Rn 10) oder am Sitz der entspr Anstalt (Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 58; MüKo/Junker Art 40 EGBGB Rn 74). Bei Briefdelikten ist der Handlungsort der Absendeort (Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 58). Für Verletzungen des APR im Bereich des Datenschutzes liegt der Handlungsort am Ort der Datenverwaltung und -verwertung (Pal/ Thorn Art 40 EGBGB Rn 10; BaRo/Spickhoff Art 40 EGBGB Rn 38) sowie am Geschäftssitz der verantwortlichen Stelle (MüKo/Junker Art 40 EGBGB Rn 88; BaRo/Spickhoff Art 40 EGBGB Rn 38; Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 69; vgl jurisPK/Wurmnest Art 40 EGBGB Rn 69: idR Haupthandlungsort). Bei Internetdelikten ist ebenfalls Art 40 EGBGB maßgeblich, insb hat das in Art 3 II E-Commerce-RL niedergelegte Herkunftslandprinzip keinen Einfluss auf die Anknüpfung von APR-Verletzungen (s hierzu eDateAdvertisingGmbH/X, C-105/09 und Martinez/MGN Limited, C-161/10, EuZW 2011, 962 sowie BGH ZUM 2012, 675 – Sedlmayer, in welcher Entscheidung der BGH nochmals deutlich macht, das § 3 II TMG keine Kollisionsnorm enthält; s ebenso Köln 19.11.2013 – 15 U 53/13); hier muss zw der Autorenschaft und der Informationsverbreitung unterschieden werden. Der Netzbetreiber handelt am Sitz (MüKo/Junker Art 40 EGBGB Rn 75; Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 58) oder am Standort des Servers bzw des Providers (BaRo/Spickhoff Art 40 EGBGB Rn 40). Der Autor hinKlass

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gegen handelt an dem Ort, an welchem die Information zur Einspeisung in das Netz abgesandt wurde (LG Düsseldorf NJW-RR 1998, 979, 980; MüKo/Junker Art 40 EGBGB Rn 75; Bachmann IPrax 1998, 179, 182; Mankowski RabelsZ 63, 1999, 203, 257ff; v Hinden, Persönlichkeitsverletzungen im Internet, 61ff; Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 58; BaRo/Spickhoff Art 40 EGBGB Rn 40), am Standort des Servers (LG Düsseldorf NJW-RR 1998, 979) oder am Sitz des Einspeisenden (Lütcke, Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet, 128f). Als Absendeort wird widerleglich der gewöhnliche Aufenthaltsort des Autors vermutet (Mankowski RabelsZ 63, 1999, 203, 265f; v Hinden, Persönlichkeitsverletzungen im Internet, 77, 221). Vorbereitungshandlungen ohne jegliche Außenwirkung wie das Anfertigen von Fotos (Oldenburg NJW 1989, 400, 401; MüKo/Junker Art 40 Rn 76) oder der Druck einer Zeitung (Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 58; MüKo/Junker Art 40 EGBGB Rn 76) bleiben für die Anknüpfung außer Betracht (Friedrich in Götting/Schertz/ Seitz, § 58 Rn 12); das Erstellen einer Website ist eine Vorbereitungshandlung (MüKo/Junker Art 40 EGBGB Rn 76; Bachmann IPrax 1998, 179, 182; Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 58; BaRo/Spickhoff Art 40 EGBGB Rn 36; aA Mankowski RabelsZ 63, 1999, 203, 262); allerdings wird die Grenzziehung zw Vorbereitungshandlungen und tatbestandlichen Ausführungshandlungen nicht immer einheitlich vorgenommen. Eine Anknüpfung an den Handlungsort wird daher bejaht, wenn nach dem Ortsrecht die Handlung bereits als Verletzung des APR angesehen wird, zB bei heimlichen Fotoaufnahmen (MüKo/Junker Art 40 EGBGB Rn 76). Gem Art 40 I 2 EGBGB kann der Verletzte auch verlangen, dass das Recht des Erfolgsorts angewendet wird – Erfolgsort ist nach hM jeder Verbreitungs- bzw Ausstrahlungsort (BGH NJW 1996, 1128 – CvM IV: im Interesse der Vorhersehbarkeit ist jedoch die bestimmungsgemäße Verbreitung erforderlich; Düsseldorf NJW-RR 2009, 701; Friedrich in Götting/Schertz/Seitz, § 58 Rn 12 mwN). Trotz der Einschränkung der Erfolgsorte auf die für den Verletzer vorhersehbaren Verbreitungsorte kann der Verletzungserfolg in mehreren Rechtsordnungen gleichzeitig eintreten (Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 59; MüKo/Junker Art 40 EGBGB Rn 79; Wagner RabelsZ 62, 243, 277), wodurch sich das Problem einer Vielzahl von Erfolgsorten ergeben kann. Die Wahl des günstigsten Erfolgsortrechts (Günstigkeitsprinzip) für den Geschädigten kann nicht überzeugen, denn sie würde zu einer willkürlichen Bevorzugung führen (Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 60; Ehmann/Thorn AfP 1996, 20, 23) und in Widerspruch zur Prozessökonomie stehen (Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 60; so aber: Spickhoff IPrax 2000, 1, 5; Wagner, 78ff). Rspr und Lit favorisieren daher die sog Mosaikbetrachtung, wonach jedes Erfolgsortrecht lediglich über die in seinem Gebiet erfolgte Verletzung des APR entscheidet (Hamburg NJW-RR 1995, 790, 792; Hillgenberg NJW 1963, 2198, 2200; Looschelders ZVglRWiss 95, 48, 81f; Mankowski RabelsZ 63, 203, 269ff; Stoll, GS Lüderitz, 2000, 749f). Dies entspricht in weiten Teilen auch der st Rspr des EuGH zur internationalen Zuständigkeit (Art 5 Nr 3 Brüssel Ia-VO; EuGH NJW 1995, 1881; Pal/Thorn Art 40 EGBGB Rn 10) und insb den Vorgaben des Printprodukte betreffenden EuGH-Urt NJW 1995, 1881ff („Shevill“), wonach – iS eines „kollisionsrechtlichen Gleichlaufs“ (BaRo/Spickhoff Art 40 EGBGB Rn 37) – das Erfolgsortrecht nur insoweit Anwendung findet, als das APR dort verletzt wurde – insoweit kann der Teilschaden eingeklagt werden; der Gesamtschaden kann hingegen nur nach dem Recht des Handlungsortes eingefordert werden. In seinen Entscheidungen eDateAdvertisingGmbH/X (C-105/09) und Martinez/MGN Limited (C-161/10), EuZW 2011, 962, scheint der EuGH nunmehr jedoch – zumindest für Internetsachverhalte – einen anderen Weg einzuschlagen, wenn er feststellt, dass eine Person, die sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt, die Möglichkeit hat, entweder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem der Urheber der streitgegenständlichen Inhalte niedergelassen ist, oder bei den Gerichten desjenigen Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen (was idR der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts sein wird) befindet, eine Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben, wodurch sich die Rechtsposition des Geschädigten im Fall von Internet-Rechtsverletzungen deutlich verbessert und eine Verteilung der Ansprüche vermieden werden kann. Die durch die Mosaikbetrachtung bedingte unbefriedigende Parzellierung der Ansprüche sehen auch Vertreter in der Lit krit, weshalb sie jenen Ort als maßgeblichen Erfolgsort ansehen, an welchem schwerpunktmäßig der Verletzungserfolg eingetreten ist; dies ist bei Verletzung des APR typischerweise der gewöhnliche Aufenthaltsort des Trägers des verletzten Rechtsguts (Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 61; G. Wagner RabelsZ 62, 243, 277; Hohloch ZUM 1986, 165, 178f; Ehmann/Thorn AfP 1996, 20, 23). In Ausnahmefällen kann aber auch die Ausweichklausel (Art 41 EGBGB) oder die ordre public-Klausel (Art 6 EGBGB) gelten (Staud/v Hoffmann Art 40 EGBGB Rn 62). Auch im Bereich des postmortalen Persönlichkeitsrechtsschutzes ist auf die allg Kollisionsnormen zurückzugreifen. Zur Behandlung des Unterlassungsanspruchs im IPR ausf Fricke, Der Unterlassungsanspruch 2003; zu sonstigen Abwehr- und Schadensersatzansprüchen vgl Friedrich in Götting/Schertz/Seitz, § 58 Rn 39ff. Die intern gerichtliche Zuständigkeit für eine Verletzung des APR ergibt sich aus den allg Regeln des dt intern Zivilprozessrechts (hierzu ausf Götting/Schertz/Seitz, § 59 sowie BGH ZUM 2012, 675 – Sedlmayr: Mittelpunkt der Interessen maßgeblich). J. Rechtsfolgen. I. Auskunftsanspruch. Die Rspr gewährt dem Betroffenen zur Vorbereitung und Durchsetzung seiner persönlichkeitsrechtlichen Ansprüche einen unselbständigen Anspruch auf Auskunft (BGH NJW 1962, 731; 1981, 675 – Scientology; München NJW-RR 1996, 93, 95 – Tauffoto; BGH NJW 2000, 2195, 2196 – Blauer Engel; LG Köln ZUM-RD 2013, 340, 343), der dem Betroffenen dazu dient, sich Informationen über die Beteiligung sowie über Art und Umfang einer Beeinträchtigung zu verschaffen, ohne ihm die Beweislast für die haftungsbegründenden Voraussetzungen abzunehmen (BGH NJW 1980, 2801, 2807 – Medizinsyndikat III, lehnt 108

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jedoch das Auskunftsbegehren des Betroffenen, ob und bei welcher Gelegenheit und ggü welchen weiteren Personen eine unerlaubte Handlung begangen wurde, ab; s aber LG Aschaffenburg NJW 2012, 787, 788: Anspruch auf Auskunft, welche Vervielfältigungen von Fotos, die eine Patientin während einer Brust-OP zeigen, existieren, wo sich diese befinden und wem ggü diese zugänglich gemacht wurden). Nicht ausreichend ist der reine Verdacht einer Rechtsgutsverletzung; vielmehr muss Grund zur Annahme bestehen, dass der Betroffene die unwahre Behauptung nicht nur ggü dem Betroffenen, sondern auch ggü anderen Personen aufgestellt hat (BGH NJW 1962, 731). Ein Auskunftsanspruch besteht trotz des reinen Abwehrcharakters auch bei einer auf Unterlassung und Beseitigung gerichteten Haftung des Störers (LG Berlin ZUM 2006, 430, 431) sowie im Bereich der Amtshaftung (BGH NJW 1981, 675 – Scientology). Vom Anspruch umfasst ist die Auskunft über den Umfang einer Rechtsverletzung (BGH NJW 1965, 29, 33 – Flugblätter; vgl aber BGH NJW 1980, 2801, 2807 – Medizinsyndikat III: der Verbreitungsumfang eines Buches ist dem Betroffenen grds bekannt) sowie die Identität der Quelle. Hierbei ist grds die Vertraulichkeit zw Presse und Informanten zu beachten, jedoch besteht kein absoluter Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Arbeit, sodass stets eine einzelfallbezogene Güterabwägung zw dem Geheimhaltungsinteresse und dem Auskunftsanspruch vorzunehmen ist (BVerfG NJW 1999, 2880 – Holst; zur Zusammenarbeit zw Staat und Bürger in steuerlichen Angelegenheiten RhPfVfGH NJW 1999, 2264, 2265 – Steuerhinterziehung). Der Auskunftsanspruch kann auch ggü Dritten entstehen, allerdings besteht kein Anspruch auf Herausgabe der für die Portalnutzung erforderlichen Anmeldedaten gegen den Portalbetreiber; diesem ist die Erfüllung eines Auskunftsanspruches rechtlich unmöglich, da es an einer datenschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlage fehlt (BGH MMR 2014, 704, 705 Rn 9 – Ärztebewertung II). S hierzu ausf Rn 90d. II. Unterlassungsanspruch. 1. Anspruchsgrundlage. Der Unterlassungsanspruch, mit dem einer drohenden rechtswidrigen Verletzung des APR begegnet werden kann, ist ein quasinegatorischer Anspruch, den der Betroffene entspr §§ 12, 862, 1004 geltend machen kann (BVerfG NJW 2006, 207, 208 – IM-Sekretär; LG Essen ZUM-RD 2006, 183, 184; MüKo/Baldus § 1004 Rn 32). In Konfliktsituationen mit den Medien ist er neben dem Gegendarstellungsanspruch der am häufigsten geltend gemachte Anspruch (Damm/Rehbock Rn 796; MüKo/ Rixecker Rn 249). Als vorbeugender Unterlassungsanspruch kann er eingesetzt werden, um zu verhindern, dass eine bestimmte Handlung überhaupt vorgenommen, eine Äußerung überhaupt veröffentlicht wird, während der nachträgliche Unterlassungsanspruch verhindern soll, dass eine Verletzungshandlung wiederholt wird. Der Unterlassungsanspruch ist ein höchstpersönlicher Anspruch und damit weder übertragbar (dazu BGH NJW 1981, 1089, 1094 – Der Aufmacher I; NJW 1990, 1986, 1987 – Emil Nolde) noch veräußerlich (BGH NJW 2000, 2195, 2197 – Marlene Dietrich); eine gewillkürte Prozessstandschaft ist daher grds ausgeschlossen (die Rspr erkennt jedoch Ausnahmen an: möglich ist daher zB die Übertragung von Verwertungsrechten an Verwertungsgesellschaften, welche in der Folge berechtigt sind, einen Unterlassungsanspruch im Wege der Prozessstandschaft geltend zu machen, BGH NJW-RR 1987, 231, 232 – Nena). Nach dem Tod kann der Unterlassungsanspruch jedoch von den Erben oder nahen Angehörigen des Verstorbenen geltend gemacht werden (BGH NJW 1990, 1986, 1987 – Emil Nolde; BVerfG NJW 2006, 3409, 3410 – Werbekampagne mit blauem Engel; BGH NJW 2000, 2201 – Blauer Engel; 2000, 2195, 2197 – Marlene Dietrich I; 2002, 2317, 2318 – Marlene Dietrich II; vgl auch Damm/Rehbock Rn 797). 2. Anspruchsvoraussetzungen. a) Rechtswidrige Verletzung oder Gefährdung des APR. Der Unterlassungsanspruch setzt eine rechtswidrige, nicht aber eine schuldhafte Verletzung oder Gefährdung des APR voraus. Diese kann in einer Ehrverletzung, einer unbefugten Verbreitung von privaten oder intimen Informationen, der Veröffentlichung von Bildnissen, der unbefugten Nutzung von Persönlichkeitsmerkmalen, in einer Belästigung oder einer sonstigen das APR verletzenden Handlung bestehen (zum Schutzbereich des APR s Rn 94ff). Im Bereich des Äußerungsrechts ist grds das Vorliegen einer unwahren Tatsachenbehauptung erforderlich zur Beurteilung mehrdeutiger Äußerungen s Rn 111ff, wobei nicht jede unwahre Behauptung einen Unterlassungsanspruch auslösen kann (nach BGH NJW 2006, 609, 609, 610 – EM.TV liegt bei unwesentlichen Abweichungen von der Wahrheit, die weder die Privat- noch die Geheim- oder Intimsphäre des Betroffenen betreffen, bereits keine Persönlichkeitsrechtsverletzung vor). Ggü Meinungsäußerungen ist der Unterlassungsanspruch grds unzulässig, es sei denn, es liegt eine Schmähkritik vor (BVerfG NJW 1991, 95, 96 – Zwangsdemokrat; vgl auch Koblenz 2013 BeckRS, 06299 mwN). Kein Unterlassungsanspruch besteht jedoch mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses (BGH NJW 2005, 279, 281 – Foris) bei ehrkränkenden Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung dienen, zur grds Behandlung von Äußerungen in gerichtlichen Verfahren s Rn 271ff. Kasuistik: Ein Unterlassungsanspruch besteht auch bei (grds erlaubten) krit Äußerungen über eine Abtreibungspraxis unter namentlicher Nennung des Arztes, wenn dadurch die legale ärztliche Tätigkeit beeinträchtigt wird (BGH NJW 2005, 592, 593); nicht jedoch gegen einen wahren Bericht über weniger schwerwiegende Straftaten/Ordnungswidrigkeiten (vgl BGH NJW 2006, 599); das Herstellen von Filmaufnahmen über eine Person zur journalistischen Recherche kann zwar einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellen, ein Unterlassungsanspruch kommt aber nicht in Betracht, wenn keine Verbreitungsabsicht besteht (LG Essen ZUMRD 2006, 183, 185). Zur Nichterweislichkeit einer abträglichen Tatsachenbehauptung im äußerungsrechtlichen Unterlassungsverfahren BVerfG GRUR-Prax 2016, 412 – Doping-Vorwurf. b) Begehungs- und Wiederholungsgefahr. Der vorbeugende Unterlassungsanspruch, der sich gegen eine künftige Verletzungshandlung richtet, setzt eine Begehungsgefahr voraus, für die der Kläger grds darlegungsund beweispflichtig ist. Begehungsgefahr liegt vor, wenn ein Rechtsverstoß zwar noch nicht erfolgt ist, aber in nicht allzu ferner Zukunft ersichtlich droht und sich die Verletzungshandlung in tatsächlicher Hinsicht so greifKlass

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bar abzeichnet, dass eine zuverlässige Beurteilung unter rechtlichen Gesichtspunkten möglich ist (BGH NJW 1992, 2292, 2294 – Nicola; NJW 1990, 2469, 2470 – Anzeigenpreis II; Karlsruhe NJW 2006, 617, 618 – Bunte; LG Essen ZUM-RD 2006, 183, 184; MüKo/Rixecker Rn 251), was jedoch aufgrund der Eingriffsstärke idR nur in Ausnahmefällen dargelegt und bewiesen werden kann (BVerfG NJW 1973, 1226 – Lebach I; BGH NJW 1975, 1882, 1884 – Geist von Oberzell; LG Essen ZUM-RD 2006, 183, 184), weshalb der vorbeugende Unterlassungsanspruch nur selten geltend gemacht und durchgesetzt wird (Damm/Rehbock Rn 804). Nicht ausreichend für die Begründung einer Begehungsgefahr sind jedenfalls bloße Recherchen, da dies zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Presse- und Meinungsfreiheit führen würde (Frankfurt NJW-RR 2003, 37). Keine Erstbegehungsgefahr besteht auch dann, wenn der Anlass, aus dem die Bildnisse veröffentlicht werden sollten, weggefallen ist, LG Heidelberg, ZUM-RD 2016, 385, 387. Der Anspruch auf Unterlassung nach der Verletzung des APR besteht nur dann, wenn eine Wiederholungsgefahr und damit die Besorgnis weiterer Beeinträchtigungen vorliegt (materielle Anspruchsvoraussetzung: vgl BGH NJW 2013, 1681, 1683; 2005, 594, 595; GRUR 1992, 318, 319 – Jubiläumsverkauf; NJW 1994, 2096 – Versicherungsvermittlung im öffentlichen Dienst; 1987, 3251, 3253). Es muss also eine erneute Rechtsverletzung künftig zu erwarten sein (BGH NJW 2005, 594, 595; LG Essen ZUM-RD 2006, 183, 184). Der Betroffene muss jedoch lediglich substantiiert darlegen, wann, wie, in welcher Art und Weise und mit welchen Mitteln rechtswidrig in seine Rechtsgüter eingegriffen wurde. Die konkrete Gefahr einer künftigen, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzenden Tathandlung wird vermutet, wenn ein rechtswidriger Eingriff in das APR stattgefunden hat (Karlsruhe NJW 2006, 617, 618 – Bunte; BGH GRUR 1994, 913, 915 – Namensliste; NJW 1994, 1281, 1282 – Jahresabschluss; 1986, 2503, 2505; 1954, 1682 – Constanze II; München ZUM 2003, 870 – Esra). Stellt sich jedoch erst nachträglich die Unwahrheit einer Äußerung heraus, die seinerzeit durch die Wahrnehmung berechtigten Interesses gerechtfertigt war, begründet dies keine Wiederholungsgefahr. Zwar kann auch die Wiederholung einer ursprünglich rechtmäßigen Behauptung nach Feststellung ihrer Unwahrheit rechtswidrig sein, doch muss in diesem Fall die Erstbegehungsgefahr konkret festgestellt werden. Nur dann, wenn bereits ein rechtswidriger Eingriff erfolgt ist, besteht eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr (BGH NJW 1987, 2225, 2227; 1986, 2503, 2504f; BVerfG NJW 1969, 227, 228; 1999, 3326, 3328). An die Widerlegung der Vermutung werden hohe Anforderungen gestellt (BGH GRUR 1964, 33, 35 – Bodenbeläge; NJW 1994, 1281, 1282 – Jahresabschluss; nach BGH NJW 1954, 1682 – Constanze II reicht das Versprechen, die beanstandete Handlung in Zukunft zu unterlassen, nicht aus; nicht ausreichend ist ebenfalls, dass tatsächliche Entwicklungen einen neuen Eingriff unwahrscheinlich machen, BGH GRUR 1994, 913, 915 – Namensliste; München ZUM 2003, 870, 871 – Esra). Die Vermutung kann idR nur dadurch ausgeräumt werden, dass der Unterlassungsanspruch anerkannt, eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung unterzeichnet wird (BGH NJW 1994, 1281, 1284; Dresden AfP 2011, 189; München ZUM 2003, 870, 871 – Esra; s auch zur Reichweite einer Unterlassungsverpflichtungserklärung Zur Reichweite einer vertraglich vereinbarten Unterlassungsverpflichtungserklärung s BGH NJW 2015, 1246 – RSS-Feed; NJW 2009, 2823, 2824 – Verletzungsform sowie zu den strengen Voraussetzungen, bei deren Vorliegen vom Erfordernis der Abgabe abgesehen werden kann, Frankfurt aM ZUM-RD 2015, 98, 99), der Störer durch sein Verhalten die Wiederholungsgefahr ausgeräumt hat (BGH NJW 1994, 1281, 1283 – Jahresabschluss; Köln AfP 1989, 764: durch freiwillige Veröffentlichung einer Richtigstellung; Köln AfP 1993, 744: durch erneute Berichterstattung, aus der hervorgeht, dass sich die Behauptungen als falsch erwiesen haben), oder der Eingriff durch eine einmalige Sondersituation veranlasst war (BGH NJW 1994, 1281 – Heberger Bau). Nach Stuttgart ZUM 2015, 1009, 1011 entfällt die Wiederholungsgefahr auch dann, wenn im Fall einer mehrdeutigen Äußerung eine nicht nur entfernt liegende Deutungsvariante ggü dem Betroffenen klargestellt wird. 283 3. Umfang des Unterlassungsanspruchs. Der Unterlassungsanspruch muss sich auf die konkret drohende Verletzungshandlung beziehen; er umfasst grds nur einen bestimmten Sachverhalt (KG NJW-RR 2007, 47). Ändert sich dieser, bspw durch das Hinzutreten neuer Tatsachen, so ist der neue Sachverhalt vom Unterlassungsgebot nicht erfasst (Köln NJW-RR 1993, 870). Nicht möglich ist es daher auch im Bereich der Bildberichterstattung, mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage über die konkrete Verletzungsform hinaus eine ähnliche oder „kerngleiche“ Bildberichterstattung für die Zukunft zu verbieten, es sei denn, die Verbreitung ist an sich schon unzulässig, weil etwa die Intimsphäre tangiert ist (BGH NJW 2008, 1593 – Kerngleiche Berichterstattung; 2009, 2823 – Andrea Casiraghi; 2010, 1454 – Sohn von Franz Beckenbauer; Düsseldorf AfP 2010, 182 – Fernsehaufnahmen). Von diesem Grundsatz ist auch dann nicht abzuweichen, wenn es um die Abbildung von Kindern und Jugendlichen geht und das Presseorgan bereits mehrfach Bildnisse ohne die entspr Einwilligung veröffentlicht hat (BGH ZUM 2010, 262, 263 – Tochter von Franz Beckenbauer), denn auch wenn der Schutzbereich des APR hier eine Verstärkung durch Art 6 I, II GG erfährt, ist eine Abwägung zw dem APR und der Meinungs- und Pressefreiheit nicht entbehrlich. Grds besteht immer nur ein Anspruch auf Unterlassung derjenigen Äußerung, durch die in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingegriffen wird (zB Verbot einzelner Textstellen in einem Theaterstück). Handelt es sich um Bücher (BGH GRUR 2008, 931 – Esra; BVerfG NJW 2008, 39 – Esra; BGH 50, 133 – Mephisto), Theaterstücke (BGH NJW 1995, 1882 – Geist von Oberzell), Filme (Hamburg AfP 1975, 916) oÄ, kann die konkrete Äußerung jedoch so mit der Gesamtdarstellung verbunden sein, dass nur ein Gesamtverbot in Betracht kommt – maßgeblich ist hier eine Abwägung im Einzelfall; es darf grds kein schonenderes Mittel zur Verfügung stehen (BGH NJW 1975, 1882, 1885 – Geist von Oberzell; 1968, 1773, 1777 – Mephisto: Wiederveröffentlichung mit Vorwort des Verlegers als schonenderes Mittel; MüKo/Rixecker Rn 252). Grds ist die Beschreibung des zu unterlassenden Verhaltens einerseits weit genug zu fassen, sodass der Umfang des Unterlassungsanspruchs abgedeckt ist; „andererseits darf der Unterlassungsanspruch nicht so weit gefasst sein, dass dadurch 110

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dem Schuldner auch solche Verhaltensweisen untersagt werden, für die ein Unterlassungsanspruch nicht gegeben ist“ (Hamburg ZUM 2013, 682). Bei Äußerungsdelikten kann der Unterlassungsanspruch nicht nur bzgl offen aufgestellter Behauptungen, sondern auch hins unwahrer Behauptungen oder ehrkränkender Beschuldigungen, die im Gesamtzusammenhang offener Einzelaussagen versteckt zw den Zeilen stehen, geltend gemacht werden (BGH NJW 1980, 2801, 2803 – Medizinsyndikat III: zum Aufstellen unwahrer Behauptungen in einem Sachbuch, die sich erst durch das geschickte Zusammenspiel von Auslassungen, missverständlichen Formulierungen und der Kombination falscher Sinnzusammenhänge und Kapitelüberschriften ergeben; MüKo/Rixecker Rn 253). Unzulässig und mit Art 5 GG nicht zu vereinbaren ist aber eine Sinninterpretation, die lediglich auf die bloße Möglichkeit abhebt, dass der Leser Zusammenhänge für versteckte Behauptungen herstellt, die der beanstandete Text jedoch nicht mit hinreichender Klarheit hergibt (BGH NJW 1980, 2801, 2803 – Medizinsyndikat III). Verlangt werden kann zudem auch das Verbot der andeutungsweisen Aufstellung bestimmter tatsächlicher Behauptungen (BGH AfP 1968, 55). Ist Gegenstand der Äußerung eine ehrverletzende Meinungsäußerung, darf mit Blick auf die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit aber nur die wörtliche Wiedergabe untersagt werden (BVerfG 42, 143, 151 – Deutschland-Stiftung I). Mit Blick auf den Umfang stellt BGH NJW 2823, 2824 – Verletzungsform fest, dass ein auf die konkrete Verletzungsform beschränktes Unterlassungsgebot nicht nur dann greift, wenn der Presseartikel wortgleich wiederholt wird, sondern auch dann, wenn die mitgeteilten Informationen sinngemäß ganz oder teilw Gegenstand einer erneuten Berichterstattung unter Beifügung des zu beanstandenden Fotos sind. 4. Veröffentlichung der Unterlassungsverpflichtung. Nach der Rspr des BGH kann dem Betroffenen bei rufschädigenden Meinungsäußerungen auf negatorischer und deliktischer Grundlage ein Anspruch auf Veröffentlichung einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtung des Verletzers zustehen, „wenn die unzulässige Meinungsäußerung öffentlich erfolgt ist und die Publikation der Unterwerfungserklärung zur Beseitigung der noch andauernden Folgen der Äußerung für das Ansehen des Verletzten erforderlich ist“ (so Leitsatz BGH NJW 1987, 1400 – Oberfaschist; BGH GRUR 1956, 558, 863 – Regensburger Karmelitengeist; NJW 1967, 675, 677 – Spezialsalz; MüKo/Rixecker Rn 254). 5. Darlegungs- und Beweislast. Grds hat der Kläger die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, welche die Verletzung des APR begründen (vgl Schlosser JZ 1963, 309). Steht jedoch eine ehrenrührige Äußerung in Streit, muss der Störer seine Behauptungen so substantiiert darlegen, dass dem Kläger der Beweis der Unwahrheit möglich ist (ausf hierzu Damm/Rehbock Rn 826; Wanckel NJW 2009, 3353, 3355; BGH NJW 1974, 1710, 1711 – Arbeitsrealitäten; 1975, 89, 92 – Brüning I; BVerfG NJW 2006, 207, 209 – IM-Sekretär). 6. Aktiv- und Passivlegitimation, vgl hierzu ausf Rn 84ff. Aktiv legitimiert ist derjenige, der individuell und unmittelbar in seinen Rechten betroffen ist oder eine Beeinträchtigung zu befürchten hat; nicht anspruchsberechtigt ist der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar Belastete, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind (BGH NJW 1980, 1790, 1791; Köln NJW-RR 1998, 1175, 1176; nach Karlsruhe ZUM 2012, 490 soll dem Ehemann jedoch im Fall eines unzulässigen Angriffs auf die Geschlechtsehre der Frau ein eigener Unterlassungsanspruch zustehen). Individuell betroffen können nicht nur nat und jur Pers des Privatrechts sein, sondern auch Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts (BGH NJW 2006, 601, 602 – Erzbistum; Bundesanstalt für Arbeit: BGH NJW 1983, 1183 – Vetternwirtschaft; Köln NJW-RR 1998, 1175, 1176 – Erzbistum). Der Betroffene muss jedenfalls erkennbar sein; nicht erforderlich ist eine namentliche Nennung. Nach der Rspr liegt Erkennbarkeit dann vor, wenn alle oder ein erheblicher Teil der Leser oder gar die Durchschnittsleser einer Zeitung die gemeinte Person identifizieren können (BGH NJW 2004, 3619, 3620; 1992, 1312, 1313). In den Fällen des postmortalen Persönlichkeitsrechtsschutzes sind auch die Erben und Angehörigen anspruchsberechtigt (BVerfG NJW 2006, 3409, 3410 – Blauer Engel II; BGH NJW 2000, 2201 – Blauer Engel; 143, 214 – Marlene Dietrich; NJW 2002, 2317, 2318 – Marlene II; LG Stuttgart GRUR-RR 2010, 94, 94 – William Hall). Nicht aktivlegitimiert ist ein „Internet-Fachjournalist“, der die Interessen anderer Internetnutzer wahrnimmt und im Interesse der Allgemeinheit versucht, Werbung zu unterbinden (LG Berlin ZUM-RD 2004, 597, 598 – InternetFachjournalist). Passiv legitimiert ist derjenige, der die Verletzung des Persönlichkeitsrechts verursacht hat bzw zu verursachen droht (Störer). Das kann im Bereich der Medienberichterstattung eine Vielzahl von Personen sein: Dazu gehören jedenfalls nach st Rspr des BGH der Verleger einer Zeitung und der verantwortliche Redakteur iSd Landespressegesetze, da diese, wenn auch nicht selbst, so doch durch entspr Anweisungen sicherzustellen haben, dass Texte mit gesetzeswidrigem Inhalt von der Veröffentlichung ausgeschlossen werden (BGH NJW 1974, 1762; Köln NJW-RR 2001, 1196; NJW 1999, 1960 – Möbelklassiker; 1997, 2180 – Architektenwettbewerb; 1995, 870, 871 – Schlussverkaufswerbung II; NJW-RR 1994, 874 – Schlankheitswerbung). Anspruchsverpflichteter ist daneben auch der Herausgeber (BGH GRUR 1974, 794). Bei Rundfunkanstalten ist neben der Anstalt auch der Autor des Beitrags sowie der redaktionell verantwortliche Moderator anspruchsverpflichtet (BGH NJW 1976, 1198, 1199 – Panorama; 1997, 1148 – Stern-TV). Der Betreiber eines Internetforums ist neben demjenigen verantwortlich, der den konkreten Beitrag eingestellt hat (BGH NJW 2007, 2558). Wird die Äußerung eines anderen verbreitet, liegt eine rechtswidrige Handlung grds nur vor, wenn der Verbreitende sich die Äußerung zu eigen macht (BVerfG NJW 2004, 590, 591; BGH NJW 2010, 760, 761; Naumburg ZUM-RD 2006, 286, 287; LG Köln ZUM-RD 2008, 437, 439; vgl zum Behaupten durch Zueigenmachen Rn 89). Klass

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7. Rechtsweg. Streitigkeiten wg Verletzung des APR sind grds bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten, weshalb für die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs der Zivilrechtsweg gem § 13 GVG und nicht der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist (Koblenz NJW 1973, 42, 42 – Lebach; BVerwG NJW 1994, 2500, 2500; der Zivilrechtsweg ist ebenfalls einschlägig, wenn ein Amtsträger eine rein persönliche Erklärung abgibt, LG Braunschweig, AfP 2010, 184 – Äußerungen eines Bürgermeisters in einer Ratsdebatte). Dies gilt auch für den Fall, dass es um widerstreitende Interessen des öffentlich-rechtl Rundfunks auf der einen und der Privatsphäre des Bürgers auf der anderen Seite geht (BGH NJW 1976, 1198, 1198, 1199; BVerwG NJW 1994, 2500, 2500). Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist gem § 2 I ArbGG zuständig, wenn die vom Betroffenen beanstandete Äußerung einen Bezug zum Arbeitsverhältnis aufweist (LAG Baden-Württemberg NZA-RR 2008, 93). Handelt es sich um die Äußerung eines Beamten im Rahmen seiner hoheitlichen Tätigkeit, soll jedoch der Verwaltungsrechtsweg gegeben sein (VG Berlin NJW 1993, 2548, 2550 – Stolpe; OVG Berlin NJW 1998, 257; VGH Mannheim AfP 1998, 104, 106; vgl auch VG Berlin AfP 2010, 298, 299 – Äußerungen eines Senators der Stadt Berlin: Äußerungen, die von einem Träger öffentlicher Verwaltung bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben gestützt auf vermeintliche oder vorhandene öffentlich-rechtl Befugnisse abgegeben werden, sind öffentlich-rechtl Natur); Gleiches gilt für Presseerklärungen eines Ltd Oberstaatsanwalts, BVerwG NJW 1992, 62; aA Karlsruhe NJW 1995, 899 bzgl der Pressemitteilung über ein laufendes Ermittlungsverfahren. Äußerungen eines Gerichts in Ausübung richterlicher Tätigkeit, insb in Urt und Beschl, sind jedoch nur im Rahmen und nach Maßgabe der Vorschriften der für die jew Gerichtsbarkeit geltenden Verfahrensordnungen angreifbar (VGH München NJW 1995, 2940, 2941). Handelt es sich um Äußerungen einer öffentlich-rechtl organisierten Religionsgemeinschaft, ist str, welcher Rechtsweg gegeben ist (OVG Bremen NVwZ 1995, 793 – Zivilrechtsweg; aA VGH München NVwZ 1994, 787). 289 8. Zuständigkeit. Bei Verletzungen des APR handelt es sich um Delikte, weshalb neben dem allg Gerichtsstand (§§ 13f ZPO) der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) besteht. Bei Presseerzeugnissen wird die unerlaubte Handlung grds am Erscheinungsort des Druckwerks (Handlungsort), zum anderen auch an jedem Ort begangen, an dem das Druckwerk entweder im regelmäßigen Geschäftsverkehr oder bestimmungsgemäß und nicht nur zufällig verbreitet wird (BGH NJW 1996, 1128; NJW 1977, 1590; KG GRUR 1989, 134; LG Frankfurt aM AfP 2010, 512, 513 – Michael Schumacher; LG Düsseldorf ZUM-RD 2008, 482, 484). Der Leser, der den Inhalt zur Kenntnis genommen hat, muss sich in dem Bereich aufhalten, den der Verleger und der Herausgeber nach seinen Intentionen auch wirklich erreichen will oder in dem er mit einer Verbreitung rechnen muss; nicht ausreichend ist, dass das Druckerzeugnis nur zufällig außerhalb des regelmäßigen Verbreitungsgebiets wohnenden Lesern zur Kenntnis gelangt (BGH GRUR 1971, 153, 154 – Tampax; GRUR 1978, 194, 195 – Profil; NJW 1977, 1590; LG Düsseldorf ZUM-RD 2008, 482, 484). Kein Vertrieb liegt ebenfalls vor, wenn jemand ein Exemplar nur bezieht, um dadurch an seinem Wohnsitz den Gerichtsstand des Begehungsortes zu begründen (BGH NJW 1977, 1590). Bei Rundfunksendungen ist der geplante Verbreitungsort entscheidend, also der Ort, an dem die Hör- und Fernsehsendung empfangen werden kann (LG Hamburg NJW 2003, 1952 – Ausstrahlungsort bei Fernsehinterview; Musielak/Heinrich § 32 ZPO Rn 18). Auf Internetdelikte kann die Rspr zu den Presseerzeugnissen nicht ohne Weiteres übertragen werden, da diese nicht verbreitet, sondern zum Abruf bereitgehalten werden; ließe man die bloße Abrufbarkeit der Inhalte genügen, käme es zu einer uferlosen Ausweitung, die Sinn und Zweck des § 32 ZPO widerspricht (BGH ZUM 2010, 524, 525; LG Frankfurt aM AfP 2010, 512, 513 – Michael Schumacher; aA MüKo/Rixecker Rn 307). Ob und ggf wie häufig ein Beitrag abgerufen wurde, ist nicht erheblich, da es für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit nicht auf die Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung ankommt (BGH NJW 1977, 1590; LG Köln 20.3.2009 – 28 O 59/09). Bei intern abrufbaren Internetinhalten (zum IPR des APR vgl Rn 277) muss der als rechtsverletzend beanstandete Inhalt objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen nach den Umständen des konkreten Falls, insb aufgrund des Inhalts der beanstandeten Meldung, im Inland tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann (BGH ZUM 2010, 524, 525). Unterlassungsansprüche, die auf die Verletzung des APR gestützt sind, sind grds nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten iSd § 23 Nr 1 GVG (BGH NJW 1974, 1470 – Brüning II; 1986, 3143; 1963, 151). Die vermögensrechtliche Natur ist aber ausnahmsweise dann zu bejahen, wenn sich aus dem Vorbringen des Betroffenen oder den offenkundigen Umständen ergibt, dass das Rechtsschutzbegehren des Betroffenen in wesentlicher Weise auch der Wahrung wirtschaftlicher Belange dienen soll (BGH NJW 1974, 1470 – Brüning II; NJW-RR 1990, 1276, 1277; NJW 1986, 3143; AfP 1990, 209, 210 – Medizinjournalist). 290 9. Abmahnung. Sowohl beim vorbeugenden als auch beim nachträglichen Unterlassungsanspruch sollte zunächst die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung verlangt werden, um die bei einem sofortigen Anerkenntnis drohende Kostenbelastung nach § 93 ZPO zu vermeiden und dem Verletzer die Gelegenheit zu geben, den Streit außergerichtlich durch eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung beizulegen (München ZUM-RD 2001, 561, 563; Köln GRUR 1988, 487; LG Hamburg ZUM-RD 2008, 303, 305). Es handelt sich dabei aber weder um eine Vorstufe zu einem gerichtlichen Verfahren auf Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs noch um eine Prozessvoraussetzung für das Unterlassungsbegehren (München NJW-RR 1992, 731, 732). Von dem Erfordernis der vorherigen Abmahnung kann nur in Ausnahmefällen abgesehen werden. Eine Abmahnung ist entbehrlich, wenn die (Wieder-)Veröffentlichung unmittelbar bevorsteht (München NJW-RR 1992, 731, 732; Köln GRUR 1988, 487), die Abmahnung von vornherein aussichtslos erscheint (Köln AfP 1990, 51, 52; LG Hamburg ZUM-RD 2008, 303, 305), oder wenn sie für den Betroffenen auf288

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grund der besonderen Umstände des Einzelfalles unzumutbar ist (Köln GRUR 1988, 487; LG Hamburg ZUMRD 2008, 303, 305). 10. Zwangsvollstreckung. Die Vollstreckung richtet sich nach § 890 ZPO (dazu Köln NJW-RR 1986, 1191, 1191; MüKo/Gruber § 890 ZPO Rn 4). III. Berichtigungsanspruch (Widerrufsanspruch). 1. Anspruchsziel und Anspruchsgrundlagen. Derjenige, der Ziel einer unwahren Tatsachenbehauptung geworden ist, hat gegen den Störer einen Anspruch auf Berichtigung/Widerruf der Tatsachenbehauptung, um dem Zustand fortdauernder Rufbeeinträchtigung ein Ende zu machen (BGH NJW 1987, 754, 755 – Insiderwissen; 1995, 861, 862 – CvM I unter ausdr Bezugnahme auf BGH NJW 1961, 658 – Kesselasche; s zur erweiterten Darlegungslast in Ergänzung zur Richtigstellung LG Hamburg ZUM-RD 2011, 603 – Belegtatsachen für Verdachtsberichterstattung). Der Widerruf stellt grds ein angemessenes und geeignetes Mittel dar, um die Auswirkungen der rechtsverletzenden Berichterstattung zu begrenzen (Hamburg ZUM-RD 2008, 602, 604 – Wochenbettpsychose). Nach st Rspr ist die Verurteilung zum Widerruf nicht mit einem Schuldvorwurf verbunden; sie sei ebenfalls nicht dazu bestimmt, dem Verletzten Genugtuung zu verschaffen oder sein Rechtsgefühl wiederherzustellen (dazu ua BVerfG NJW 2004, 354, 355; 1991, 1475 – Flohmarkt; BGH NJW 1953, 1386, 1387) noch habe sie Sanktionscharakter, da der Äußernde nicht gezwungen werde, sich von der Äußerung in vollem Umfang zu distanzieren (BVerfG NJW 1991, 1475, 1476 – Flohmarkt; aA Damm/Rehbock Rn 842, die den Widerrufsanspruch zu Recht als eine „sehr scharfe Waffe“ bezeichnen). Der Anspruch auf Widerruf darf mithin nur dazu dienen, den beeinträchtigenden Zustand zu beseitigen; mit ihm kann insb weder eine Entschuldigung erreicht werden noch darf er zu einer Demütigung führen (MüKo/ Rixecker Rn 257; BVerfG NJW 1970, 651, 652 – Korruptionsvorwurf). Der Anspruch kann auch ggü ehrverletzenden Behauptungen geltend gemacht werden, die im „kleinen Kreis“ aufgestellt wurden (BGH NJW 1984, 1104, 1105 – kleiner Kreis); nicht jedoch hins einer lediglich unter vier Augen erfolgten Äußerung (BGH NJW 1953, 1386, 1387). Die Beseitigung der eingetretenen Beeinträchtigung kann als Schadensersatz gem §§ 823 I, 823 II iVm einem Schutzgesetz oder aber als quasinegatorischer Folgenbeseitigungsanspruch gem § 1004 analog verlangt werden (BVerfG NJW 2004, 354, 355; BGH NJW 1961, 568 – Kesselasche; 1952, 417, 418; 1995, 861, 862 – CvM I), welcher im Vergleich zum deliktischen Widerrufsanspruch kein Verschulden, sondern nur die objektive Unwahrheit der aufgestellten Behauptung voraussetzt (BGH NJW 1958, 1043 – Blankoverordnung; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des Widerrufsanspruchs BVerfG NJW 1998, 1381, 1383), weshalb die deliktsrechtliche Begründung persönlichkeitsrechtlicher Beseitigungspflichten in der Praxis kaum noch Bedeutung hat. Bei der Verletzung des RaeB (hierzu ausf Rn 167ff) folgt aus § 37 KUG ein Anspruch auf Vernichtung rechtswidrig verbreiteter oder vorgeführter Exemplare sowie der zur widerrechtlichen Vervielfältigung oder Vorführung ausschließlich bestimmten Vorrichtungen (gegen eine Vergütung kann der Verletzte auch Übernahme verlangen, MüKo/Rixecker Rn 257); zur Vorbereitung und Durchsetzung des Beseitigungs- und Widerrufsanspruchs gewährt die Rspr dem Betroffenen einen unselbständigen Anspruch auf Auskunft (dazu Rn 278; ferner BGH NJW 1962, 731; 1981, 675 – Scientology; München NJW-RR 1996, 93, 95 – Tauffoto; BGH NJW 2000, 2195, 2196 – Blauer Engel). 2. Anspruchsvoraussetzungen. a) Unwahre Tatsachenbehauptung. Der Anspruch auf Widerruf kann nur gegen persönlichkeitsrechtsverletzende Tatsachenbehauptungen, nicht jedoch gegen Meinungsäußerungen (zur Abgrenzung ausf Rn 98ff, insb 101) geltend gemacht werden, selbst wenn es sich dabei um eine Schmähkritik handelt (BGH NJW 1995, 861, 864 – CvM I; 1982, 2246 – Quo vadis; 1965, 35, 36 – Lüftungsfirma; GRUR 1969, 555, 558 – Cellulitis; 1974, 797, 798 – Fiete Schulze; NJW 1976, 1198, 1201 – Panorama), da diese dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit gem Art 5 I 1 GG unterfallen (dazu BVerfG NJW 1983, 1415 – Wahlkampfäußerung). Die Tatsachenbehauptung muss unwahr bzw nicht erweislich wahr sein (BGH NJW- RR 1987, 754 – Insiderwissen; NJW 1977, 1681 – Wohnstättengemeinschaft; 1995, 861, 862 – CvM I); gegen persönlichkeitsrechtsverletzende wahre Tatsachenbehauptungen ist ein Widerrufsanspruch grds nicht gegeben (so ausdr LG Regensburg NJW-RR 1996, 538). Treffen einzelne Elemente einer Tatsachenbehauptung nicht zu, haben diese jedoch keinen eigenständigen Verletzungsgehalt, können weder Widerruf noch Richtigstellung beansprucht werden (Saarbrücken ZUM-RD 2012, 265). Beeinträchtigungen des APR, die nicht durch Äußerungen, sondern durch sonstige Handlungen oder Belästigungen erfolgen, kann nur mit dem allg Beseitigungsanspruch entgegengetreten werden (Erman/Ehmann12 Rn 334; vgl hierzu BGH NJW 1990, 1986, 1987 – Emil Nolde: Beseitigung einer gefälschten Signatur auf einem Kunstwerk; GRUR 1994, 913, 915 – Namensliste: Unkenntlichmachung von Namen oder Identifizierungsmerkmalen; NJW 1997, 1152, 1154 – Bob Dylan: Vernichtung hergestellter Fotografien; 1958, 1344, 1345 – Tonbandaufnahme I; 1988, 1016, 1017 – Tonbandaufnahme II: Löschung von Tonbandaufnahmen; 1980, 2801, 2806 – Medizinsyndikat III: Richtigstellung oder Ergänzung von Mitteilungen; ebenso bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Fotomontagen oder Retuschen LG München I NJW 2004, 606, 607 – selbst dann, wenn sich die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts aus der Kombination von Abbildung und Text ergibt, NJW 1992, 1312, 1313 – Korruptionsprozess; MüKo/Rixecker Rn 257 ordnet diese Schutzziele dem persönlichkeitsrechtlichen Beseitigungsanspruch zu). b) Widerrechtlichkeit. Der Widerrufsanspruch setzt eine positive Begründung der Rechtswidrigkeit voraus und darf sich nur auf die Beseitigung der noch fortwirkenden Beeinträchtigung beschränken (BGH NJW 1968, 644, 646 – Fälschung; 1952, 417; NJW 1965, 35, 36 – Lüftungsfirma; GRUR 1969, 555, 559 – Cellulitis). Handelt der Störer in Wahrnehmung berechtigter Interessen (Rn 240ff) oder liegt ein sonstiger RechtfertigungsKlass

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grund (Rn 228ff) vor, ist der Widerrufsanspruch nicht gegeben. Stellt sich später die Unwahrheit der ursprünglich rechtmäßigen Äußerung heraus, kann grds nicht der volle Widerruf, sondern nur die Feststellung verlangt werden, dass die Behauptung nach der Klärung des Sachverhalts nicht mehr aufrechterhalten werden kann (BGH GRUR 1960, 500, 504 – La chatte; BVerfG NJW 2004, 354, 355; 2003, 1855). Ein Widerrufsanspruch besteht nicht, wenn die verletzende Äußerung im Rahmen eines rechtlichen Verfahrens erfolgt (BVerfG NJW 2004, 354 – Äußerungen vor der Landesärztekammer, s hierzu auch Rn 271ff). c) Verhältnismäßigkeit. Der Widerruf muss verhältnismäßig, dh zur Beseitigung der Störung geeignet, erforderlich und unter Abwägung der Belange von Störer und Betroffenen zumutbar (BGH NJW-RR 1987, 754 – Insiderwissen; NJW 1977, 1681, 1682 – Wohnstättengemeinschaft; 1994, 2614, 2616 – Börsenjournalist; BAG NJW 1999, 3576 – Abmahnung; BGH GRUR 1966, 272, 274 – Arztschreiber) sowie zwingend notwendig sein (BGH NJW 1958, 1043, 1044 – Blankoermächtigung; 1965, 35, 36; 1984, 1104); dies ist nicht der Fall, wenn er zu anderen Zwecken eingesetzt wird, oder wenn nur Nebensächlichkeiten richtig- oder klarzustellen sind (BGH NJW 1977, 1681, 1682 – Wohnstättengemeinschaft; München NJW-RR 1996, 926 verneint bei geringfügigen Unrichtigkeiten bereits eine fühlbare Beeinträchtigung des APR). Da der Widerruf keine Genugtuungsfunktion hat (BGH NJW 1977, 1681, 1682 – Wohnstättengemeinschaft), ist der Anspruch auch ausgeschlossen, wenn der Störer die Äußerung bereits selbst in angemessener Weise richtiggestellt hat (Düsseldorf AfP 1997, 711; Hamburg NJW-RR 1988, 737, 738). Zudem dürfen die Kosten für die Maßnahme im Verhältnis zu den Nachteilen, die ausgeräumt oder denen vorgebeugt werden soll, nicht unverhältnismäßig hoch sein; soweit zumutbar, hat der Betroffene den wirtschaftlichsten Weg zu wählen (BGH NJW 1967, 1198, 1201 – Landgabe; 1972, 431, 433; AG Prüm NJW-RR 2001, 1469, 1470). Längeres Zuwarten lässt den Anspruch idR nicht entfallen; ausgenommen sind jedoch eindeutige Fälle des Rechtsmissbrauchs (BGH NJW 1995, 861, 863 – CvM I misst einer unwahren Behauptung in einer auflagenstarken Zeitschrift auch zwei Jahre nach der Veröffentlichung noch verletzende Wirkung bei; anders LG Hamburg AfP 2007, 273, das aufgrund einer widerleglichen Vermutung davon ausgeht, dass ein Jahr nach Veröffentlichung der Aktualitätsbezug fehlt). Im Fall einer zulässigen Verdachtsberichterstattung kann der Betroffene bei späterer Ausräumung des Verdachts und Fortwirken der Beeinträchtigung nur die nachträgliche Mitteilung (Nachtrag) verlangen, dass nach Klärung des Sachverhalts der berichtete Verdacht nicht mehr aufrechterhalten werden kann, BGH ZUM 2015, 248, 251. 3. Inhalt und Form. Der Widerruf muss sich ausschließlich auf die beanstandete unwahre Tatsachenäußerung beziehen; er darf nicht über das hinausgehen, was zur Beseitigung der Beeinträchtigung erforderlich ist (BGH GRUR 1969, 555, 557 – Cellulitis). Sofern nur Teilaspekte unwahr oder irreführend sind, muss sich der Widerruf auf diese Teile beschränken (BGH NJW 1982, 2246, 2248; vgl auch BGH GRUR 1984, 231, 233 – Wahlkampfrede). Ist die Äußerung nur zT unwahr, steht dem Betroffenen nur ein Anspruch auf Widerruf in Form der Richtigstellung zu (BGH NJW 1987, 754, 755 – Insiderwissen mwN; 1976, 1198, 1200 – Panorama). Auch eine erg Darstellung kann verlangt werden, zB durch einen klarstellenden Zusatz (vgl BGH NJW 1980, 2801, 2806 – Medizinsyndikat III; Karlsruhe NJW 2005, 2400, 2401). Hat der Störer die beanstandete Äußerung nicht selbst getan, sondern nur verbreitet oder zugelassen, kann idR nur eine Distanzierung bzw ein Abrücken von der von einem anderen gemachten Äußerung, nicht aber ein Widerruf verlangt werden (BGH NJW 1976, 1198, 1199 – Panorama); anders, wenn sich der Dritte mit der Äußerung identifiziert hat, sodass sie als seine eigene Äußerung erscheint (BGH NJW 1967, 1198, 1199 – Landgabe). Der Widerruf kann auch mit der Mitteilung verbunden werden, dass die Behauptung derzeit nicht aufrechterhalten werden kann (Widerruf in vorläufiger Form). Der Widerruf soll die Hörer oder Leser der Erstmitteilung erreichen, weshalb die Mitteilung nach Art und Aufmachung geeignet sein muss, den gleichen Grad an Aufmerksamkeit zu erzeugen wie der Erstbericht (BGH 128, 1 – CvM), weshalb der Widerruf grds an der gleichen Stelle des Druckwerks (selbst auf der Titelseite, BGH 128, 1 – CvM – allerdings müssen die Interessen der Presse insoweit gewahrt werden, als noch Raum für Hinw auf andere Berichte bleiben muss, vgl auch BVerfG NJW 1998, 1381) bzw zur gleichen Sendezeit im gleichen Programm zu erfolgen hat. Zulässig ist es nach Ansicht der Rspr auch, dem Widerruf den Hinw zuzufügen, er werde in Erfüllung eines rechtskräftigen Urt abgegeben (BVerfG NJW 1970, 651, 652 – Korruptionsvorwurf; dagegen Pärn NJW 1979, 2548); darüber hinausgehende Ergänzungen, insb beschönigende oder abschwächende Hinw muss der Betroffene aber grds nicht hinnehmen (MüKo/Rixecker Rn 261). 4. Aktiv- und Passivlegitimation. Anspruchsberechtigt ist jeder, der durch eine unwahre Tatsachenbehauptung unmittelbar und individuell in seinen Rechten betroffen ist, nach seinem Tod auch die nahen Angehörigen (Kamps in Götting/Schertz/Seitz, § 49 Rn 72 mwN; vgl insb BGH NJW 1974, 1371, 1371 – Fiete Schulze). Jur Pers des öffentlichen Rechts nehmen nur eingeschränkt am grundrechtlichen Persönlichkeitsrechtsschutz teil und haben daher grds keinen Anspruch auf Veröffentlichung eines Widerrufs (LG Hamburg ZUM-RD 2003, 48, 49 – Büro im Kanzleramt), es sei denn, es handelt sich um einen gravierenden Einzelfall, in dem bei einem vergleichbaren Vorwurf ggü einer nat Pers dieser trotz der Subsidiarität des Anspruchs eine ganz beträchtliche Geldentschädigung zuzusprechen wäre (LG Hamburg ZUM-RD 2003, 48, 50 – Büro im Kanzleramt). Anspruchsverpflichtet ist, wer die rechtswidrige Beeinträchtigung verursacht hat und zur Unterlassung verpflichtet gewesen wäre (dazu Wenzel/Gamer Rn 13.50ff), dh idR derjenige, der die Tatsachenbehauptung geäußert hat (BGH NJW 1967, 1198, 1199 – Landgabe). Richtet sich der Widerrufsanspruch gegen einen Zeitungs- bzw Zeitschriftenverlag, so ist der Verleger bzw der Verlag passivlegitimiert. 5. Verfahrensrechtliches. Für den Rechtsweg und die Zuständigkeit gilt das zum Unterlassungsanspruch Gesagte (dazu Rn 288f). Der Text des zu verlangenden Widerrufs ist vom Verletzten zu formulieren – er muss die Kla114

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geanträge stellen, insb muss er angeben, wem ggü der Widerruf zu erfolgen hat (BGH GRUR 1966, 272, 274 – Arztschreiber). Ein Widerruf dem Kläger selbst ggü kann nur verlangt werden, wenn die Äußerung zwar in der Öffentlichkeit erfolgt ist, aber kein Bedürfnis mehr für ihre Veröffentlichung besteht (dazu BGH NJW 1989, 774). Wer den Widerruf einer Äußerung beansprucht, hat grds deren Unwahrheit zu beweisen (BGH NJW 1962, 1438, 1439 – Eheversprechen; Damm/Rehbock Rn 903); allerdings muss der Angreifer, sofern ihm dies möglich ist, darlegen, aus welchen Umständen er seine Behauptung herleitet. Umstr ist, ob der Widerrufsanspruch auch im einstw Verfügungsverfahren durchsetzbar ist (vgl dazu Damm/Rehbock Rn 899f); solange die Unrichtigkeit der behaupteten Tatsache nicht feststeht, kann im einstw Verfügungsverfahren der Widerruf nur mit dem Inhalt geltend gemacht werden, dass die Behauptung ggwärtig nicht aufrechterhalten werden kann (Stuttgart NJW 1962, 2066, 2067; BaRo/Bamberger § 12 Rn 212); Ausnahme: wenn im Verfahren die Unrichtigkeit bewiesen werden kann (vgl BGH AfP 1970, 85). Die Vollstreckung erfolgt nach § 888 ZPO (BGH NJW 1962, 1438; 1961, 1913, 1914; 1977, 1288, 1290; Zweibrücken NJW 1991, 304), nicht nach § 894 ZPO (offengelassen durch NJW 1977, 1288, 1290 – Abgeordnetenbestechung). Die Verjährung des Widerrufsanspruchs richtet sich nach den allg Regeln (§§ 195, 199). 6. Löschungsanspruch. Liegt ein Zustand fortdauernder Rufbeeinträchtigung vor, kann der Betroffene im Rah- 299a men des Beseitigungsanspruchs den Störer grds nicht nur auf Berichtigung, sondern auch auf Löschung bzw Hinwirken auf Löschung rechtswidriger, im Internet abrufbarer Tatsachenbehauptungen in Anspruch nehmen, wenn und soweit die beanstandeten Tatsachenbehauptungen nachweislich falsch sind und die begehrte Abhilfemaßnahme unter Abwägung der beteiligten Rechtspositionen zur Beseitigung des Störungszustandes geeignet, erforderlich und dem Störer zumutbar ist (BGH NJW 2016, 56 LS). IV. Gegendarstellungsanspruch. 1. Anspruchsgrundlagen. Beim Gegendarstellungsanspruch (ausf Seitz/ 300 Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch) handelt es sich um ein spezifisches Rechtsinstitut des Medienrechts, das seine Wurzel im APR hat (Wenzel/Burkhardt Rn 11.28 mwN) und dem die Aufgabe zukommt, „vorrangig das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu schützen, dem Betroffenen Selbstverteidigung gegen Einwirkungen der Medien auf diese auch rechtlich geschützte Individualsphäre durch die Befugnis zu gewähren, an gleicher Stelle und mit entsprechendem Publizitätsgrad die ihn betreffende Darstellung durch seine Wortmeldung, seine Sicht des mitgeteilten Sachverhalts zu vervollständigen“ (BGH NJW 1976, 1198, 1201 – Panorama; ebenso BVerfG NJW 1983, 1179). Es handelt sich um ein Instrument, mit Hilfe dessen sich der Betroffene schnell und zu einer Zeit Gehör verschaffen kann, zu der der Vorgang noch im Bewusstsein der Öffentlichkeit ist (Wenzel/Burkhardt Rn 11.28), weshalb er im Bereich der Medien neben dem Unterlassungsanspruch der am häufigsten geltend gemachte Anspruch ist (Damm/Rehbock Rn 796). Darüber hinaus kommt der Anspruch auch der öffentlichen Meinungsbildung zugute, da der Öffentlichkeit die Sicht des Betroffenen vermittelt wird (BVerfG NJW 1998, 1381, 1382 – CvM; Düsseldorf ZUM-RD 2005, 25, 27 – Polizeidirektor). Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des APR betont das BVerfG, dass der Gesetzgeber die Pflicht habe, den Einzelnen wirksam gegen Einwirkungen der Medien auf die Individualsphäre zu schützen, weshalb ein Betroffener die Möglichkeit haben muss, Darstellungen in den Medien mit seiner eigenen Darstellung zeitnah entgegenzutreten (BVerfG NJW 1999, 483, 484 – Wehrmachtsausstellung; vgl ferner Düsseldorf ZUM-RD 2005, 25, 27 – Polizeidirektor; Köln NJW-RR 2001, 337). Der Gesetzgeber muss mithin ein effektives Gegendarstellungsrecht zur Verfügung stellen (München NJW 2003, 2756). Aktuell existiert keine einheitliche Regelung des Gegendarstellungsanspruchs, auch kann ein Anspruch weder aus § 242 noch aus Deliktsrecht hergeleitet werden (BVerfG AfP 1993, 474 – Gegendarstellungsanspruch; NJW 1998, 1381) – vielmehr muss auf die jew Regelung in den Landespressegesetzen sowie auf die Sonderbestimmungen für Rundfunk, Fernsehen und Mediendienste (hierzu ausf Wenzel/Burkhardt Rn 11.9ff) zurückgegriffen werden (zur Verfassungsmäßigkeit von § 11 III Bad-Württ PresseG BGH NJW 1965, 1230). Darüber hinaus finden sich zum Recht der Gegendarstellung Vorgaben in der RL 2007/65/EG über audiovisuelle Mediendienste (RL zur Änderung der RL 89/552/EWG des Rates v 3.10.1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit). Der Gegendarstellungsanspruch ist aufgrund seines höchstpersönlichen Charakters nicht vererblich, er endet mit dem Tod des Betroffenen (Stuttgart NJW-RR 1996, 599 – Stadtbaumeister; KG ZUM-RD 2007, 232, 233). 2. Anspruchsvoraussetzungen. a) Erstmitteilung. Die Gegendarstellung ist an eine Erstmitteilung in der Presse 301 gebunden und durch deren Gegenstand und Umfang begrenzt. Nur den in der Erstmitteilung enthaltenen Tatsachen kann der Betroffene widersprechen (hat eine Schlagzeile aus Lesersicht einen abgeschlossenen Aussagehalt liegt keine bloße Ankündigung vor, sondern eine eigenständige gegendarstellungsfähige Tatsachenbehauptung, BVerfG NJW 1998, 1381, 1384; Meinungsäußerungen sind grds nicht gegendarstellungsfähig (BVerfG NJW 1983, 1381, 1382 – CvM; so auch Karlsruhe NJW-RR 1993, 387, 388 – Mars-Effekt; Koblenz NJW-RR 1998, 23 – Akte 96–46; München NJW 1995, 2297; zur fehlenden Gegendarstellungsfähigkeit einer satirischen Äußerung s KG AfP 2011, 371 – pompöse Wallawalla-Kreationen). Zur Gegendarstellungsfähigkeit von echten und unechten Fragen vgl Rn 106. Unerheblich ist ebenfalls, ob es sich um eine eigene Behauptung des in Anspruch Genommenen handelt – gegendarstellungsfähig sind auch tatsächliche Äußerungen Dritter (vgl Frankfurt NJW-RR 1986, 606, 607 – Stern); wendet sich die Gegendarstellung gegen solche, muss dies jedoch zum Ausdruck kommen (Karlsruhe NJW-RR 2000, 323, 324 – Befreiungsschlag; Hamburg NJW-RR 1994, 1179, 1180 – Menschenjäger). Zudem können auch bildliche Darstellungen, die eine Tatsachenbehauptung enthalten, Grundlage eines Anspruchs auf Gegendarstellung sein, Karlsruhe ZUM-RD 2011, 488; LG Offenburg ZUM-RD 2011, 706. Soweit Klass

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der gedankliche Zusammenhang gewahrt ist, können auch neue Tatsachen vorgebracht werden, insb wenn sie als Beleg oder als Bekräftigung des eigenen Tatsachenvorbringens dienen (so Koblenz NJW-RR 1998, 23 – Akte 96–46; s auch Frankfurt AfP 2010, 478, 479). Vor dem Hintergrund des Gebots der Sicherstellung gleicher publizistischer Wirkung und damit insb im Interesse einer schnellen Verwirklichung des Anspruchs werden weder das Vorliegen einer Ehrverletzung noch der Nachw der Unwahrheit der Erstmitteilung oder die Wahrheit der Gegendarstellung vorausgesetzt (dazu BVerfG NJW 1998, 1381, 1383 – CvM; Hamburg NJW-RR 1994, 1179, 1180 – Menschenjäger; München NJW 1995, 2297; vgl auch Dresden ZUM 2002, 295). Allerdings fehlt das berechtigte Interesse an der Gegendarstellung, wenn sie offenkundig unwahr ist, dh wenn ihre Unrichtigkeit auf der Hand liegt, oder die Gegendarstellung selbst einen strafbaren Inhalt hat (vgl hierzu Düsseldorf ZUM-RD 2005, 25, 27 – Polizeidirektor und München NJW-RR 1999, 386, 387 – Stasi-Vorwurf). Die Berichtigung in einer weiteren Berichterstattung kann das berechtigte Interesse an einer Gegendarstellung entfallen lassen, wenn damit die Erstmitteilung erkennbar und eindeutig widerrufen bzw richtiggestellt wird. Nicht ausreichend ist es jedoch, wenn der Leser die Mitteilung nicht als Richtigstellung, sondern als Mitteilung eines neuen Sachverhalts wahrnimmt (Düsseldorf ZUM 2015, 1007, 1008f). Eine Pflicht zur Veröffentlichung besteht nach Hamburg (NJW-RR 1994, 1179, 1181 – Menschenjäger) auch dann, wenn die Gegendarstellung gegen zivilrechtliche Gebote oder Verbote verstößt. Die Presse hat in diesem Fall die Möglichkeit des „aufklärenden Redaktionsschwanzes“, sie kann ihrerseits auf die Gegendarstellung des Betroffenen entgegnen (Düsseldorf ZUM-RD 2005, 25, 27 – Polizeidirektor; Dresden AfP 2014, 334: vollständige Gegendarstellung trotz Redaktionsschwanzes). Zur Gegendarstellungspflicht von Anbietern journalistisch-redaktionell gestalteter Telemedienangebote, insb auch mit Blick auf audiovisuelle Elemente, s Lent ZUM 2016, 954. b) Verschulden. Der Anspruch ist verschuldensunabhängig (BVerfG NJW 1998, 1381, 1383 – CvM). c) Unverzüglich. Die Gegendarstellung muss idR unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen, weshalb die Zeit zw Kenntniserlangung und Zuleitung der Erstfassung der Gegendarstellung nicht unangemessen lang sein darf (Hamburg NJW 1990, 1613; oftmals bestehen sogar gesetzliche Fristen, vgl hierzu Seitz/Schmidt Rn 30ff). Ob der Betroffene ohne schuldhaftes Zögern auf eine Gegendarstellung hingewirkt hat, ist dabei unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu bestimmen; LG Dresden AfP 2010, 595 (596). Das Erstgericht muss bei der gebotenen zügigen Behandlung jedenfalls von Eilverfahren noch innerhalb der Aktualitätsgrenze entscheiden können (München NJW-RR 1998, 26, 27), da beim Leser sonst die beabsichtigte Wirkung nicht mehr erzielt werden kann (Karlsruhe NJW-RR 1999, 387, 388 – Mars-Effekt). Allerdings ist dem Betroffenen eine hinreichende Überlegungs- und Beratungsfrist einzuräumen (München NJW-RR 1998, 23, 24 – Akte 96–46; Seitz/ Schmidt Rn 38; Wenzel/Burkhardt Rn 11.166ff). Grds ist davon auszugehen, dass die Aktualitätsgrenze bei Tageszeitungen etwa vier Wochen nach Erscheinen des Artikels endet, bei wöchentlich erscheinenden Zeitschriften etwa nach vier bis sechs Wochen (München NJW-RR 2001, 832, 833; 2002, 1271; 1998, 26, 27) – grds gilt, je kürzer die Erscheinungsintervalle, desto schneller muss der Betroffene agieren, Seitz/Schmidt Rn 40; für die Wirksamkeit des Verwirkungseinwands nach zweimonatigem Zuwarten vgl Karlsruhe NJW-RR 1999, 387 – Mars-Effekt; nach Hamburg AfP 2011, 72, ist der Zugang einer Gegendarstellung bereits nach zwei Wochen nicht mehr unverzüglich). Verzögerungen von Seiten des Anspruchsverpflichteten und des Gerichts gehen jedoch nicht zulasten des Betroffenen (Koblenz NJW-RR 1998, 23, 24 – Akte 96–46). Zu Einzelheiten ausf Seitz/ Schmidt Rn 30ff. d) Schriftform. Die meisten gesetzlichen Regelungen verlangen für die Gegendarstellung selbst Schriftform. iÜ ergibt sich die Notwendigkeit daraus, dass sie unterzeichnet sein muss; eine Übertragung durch Telefax ist folglich nicht ausreichend (die für die Rechtsmittelschriftsätze in der ZPO aufgestellten Grundsätze finden keine Anwendung, Hamburg NJW 1990, 1613). Dem Presseunternehmen muss es möglich sein, sich durch Prüfung der Unterschrift vor Abdruck davon zu überzeugen, dass sie von dem Betroffenen stammt und Ausdruck seines persönlichen Willens ist (Hamburg NJW 1990, 1613, offengelassen durch Karlsruhe NJW-RR 2000, 323, 324 – Befreiungsschlag); die Unterzeichnung dient nicht zuletzt auch dazu, den Inhalt der Gegendarstellung endgültig festzulegen. Sie muss überwiegend durch den Betroffenen selbst oder seinen gesetzlichen Vertreter erfolgen (Seitz/Schmidt Rn 107). Nach überwiegender Meinung in Lit und Rspr ist eine rechtsgeschäftliche Vertretung bei der Unterzeichnung im Hinblick auf den höchstpersönlichen Charakter der Gegendarstellung ausgeschlossen (Seitz/Schmidt Rn 115; dazu Karlsruhe NJW-RR 2000, 323, 324 – Befreiungsschlag; für die Zulässigkeit einer rechtsgeschäftlichen Vertretung jedoch: KG ZUM-RD 2008, 229; Frankfurt AfP 2003, 459; Köln AfP 1985, 151; aA Naumburg 2000, 483); und auch nach den meisten landesrechtlichen Regelungen ist eine gewillkürte Stellvertretung bei der Unterzeichnung nicht zulässig (hierzu im Einz Seitz/Schmidt Rn 113ff). 3. Inhalt und Umfang des Anspruchs. Die Gegendarstellung soll einen Leserkreis erreichen und einen Aufmerksamkeitswert haben, der dem der Erstmitteilung entspricht, weshalb sie grds im gleichen Teil des Druckwerks und in gleicher Schrift wie der beanstandete Text ohne Einschaltungen und Weglassungen abgedruckt werden muss (KG ZUM-RD 2007, 400, 402; Karlsruhe NJW 1993, 1476; München NJW-RR 1999, 965, 966; nicht erforderlich ist jedoch der Abdruck auf der identischen Seite, München AfP 2000, 386). Dabei darf sie so lang sein, wie es eine sachgemäße, auf einen Tatsachenvortrag beschränkte Rechtfertigung des von einer Pressekritik Betroffenen vor dem Forum der Öffentlichkeit erfordert (München NJW 1968, 1337). Die Regelung in einigen PresseG, wonach die Gegendarstellung als angemessen gilt, wenn sie nicht den Umfang des beanstandeten Textes überschreitet, enthält keinen absoluten Maßstab; vielmehr ist stets auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, wobei kein kleinlicher Maßstab angelegt werden darf (Hamburg NJW 1968, 1337); insb muss sich das 116

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Gegendarstellungsbegehren nicht auf das Leugnen der verbreiteten Äußerung beschränken, vielmehr darf eine Gegendarstellung auch erklärende Zusätze enthalten (MüKo/Rixecker Rn 300; Karlsruhe OLGRp 2009, 408; AfP 2007, 494; Frankfurt AfP 2010, 478). Erscheint die beanstandete Mitteilung auf der Titelseite, genügt dem Anspruch des Betroffenen nur eine Gegendarstellung ebenfalls auf der Titelseite (BVerfG NJW 1998, 1381, 1384 – CvM; Karlsruhe NJW 1993, 1476, 1476; insoweit ist aber der Abdruck des Artikels von einer möglichen Ankündigung zu unterscheiden). Allerdings ist zum einen die Gestaltungsfreiheit der Presse zu berücksichtigen, zum anderen darf die Titelseite durch Umfang und Aufmachung der Gegendarstellung nicht ihre Funktion verlieren (KG ZUM-RD 2007, 400, 403; umfassend zum Umfang sowie zur Art und Weise der Gegendarstellung BVerfG NJW 1998, 1381, 1384 – CvM). Zulässig ist zudem die Bemerkung, dass man zum Abdruck der Gegendarstellung unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt verpflichtet sei, hierin liegt nach Dresden AfP 2014, 334 keine Entwertung des Gegendarstellungsrechts. Ein Anspruch auf Abdruck (in der Bundesausgabe) besteht selbst dann, wenn der Regionalteil einer Zeitung, welcher die Erstmitteilung enthielt, eingestellt wird (München NJW 2003, 2756). Einen Hinw auf die Gegendarstellung im Inhaltsverzeichnis des Druckerzeugnisses kann der Betroffene aus Gründen der Waffengleichheit nur dann verlangen, wenn die beanstandete Äußerung selbst dort aufgeführt worden ist (München NJW 1995, 2297; Hamburg AfP 2010, 580, 581). Kein Anspruch besteht jedoch auf den Abdruck einer Gegenfotografie, nur weil die Erstmitteilung ein auffallendes Foto enthielt (Hamburg AfP 1984, 115). Allg zum Gegendarstellungsanspruch im Internet s Zoebisch ZUM 2011, 390, zur Gegendarstellungsfähigkeit von App-Teasern s Urt des LG München I (AfP 2015, 72): Maßstab des flüchtigen Kiosklesers übertragbar (anders, wenn vor dem Lesen der Überschrift der gesamte Online-Artikel aufgerufen werden muss, BGH NJW 2008 2110, 2113). V. Schadensersatzanspruch. 1. Anspruchsgrundlagen und Anspruchsvoraussetzungen. Hat der Geschädigte Vermögensnachteile erlitten, so können ihm aus Vertrag oder aus Delikt, insb aus § 823 I, aus § 823 II iVm einem Schutzgesetz – zB §§ 22, 23 KUG; 185ff, 201, 202, 203 StGB – oder aus § 824 (Staud/Hager § 823 Rn C 289, Erman/Ehmann12 Rn 368; Wenzel/Burkhardt Rn 14.20; MüKo/Rixecker Rn 266) Schadensersatzansprüche zustehen. Ein Anspruch auf Ersatz eines materiellen Schadens steht dem Anspruchsberechtigten dann zu, wenn ein haftungsbegründender Tatbestand erfüllt und ein Schaden eingetreten ist. Die Schadensersatzansprüche setzen dabei jedoch über die rechtswidrige Verletzung des APR hinaus ein Verschulden des Störers (Vorsatz oder Fahrlässigkeit: im Medienalltag handelt fahrlässig, wer die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt, Damm/Rehbock Rn 933; Wenzel/Burkhardt Rn 14.21; vgl auch BGH NJW 1952, 779 – Sorgfalt Rennfahrer; 1953, 257) oder die zurechenbare Verantwortung für einen Dritten voraus (§§ 31, 278). Zudem muss zw haftungsbegründendem Tatbestand und Schaden ein ursächlicher Zusammenhang bestehen (Damm/Rehbock Rn 922). 2. Ersatz materieller Schäden. a) Allgemeines. Art und Umfang des Schadensersatzanspruchs ergeben sich aus §§ 249ff. Primär ist Naturalrestitution geschuldet: Widerruf, Abdruck einer Gegendarstellung, Zerstörung einer widerrechtlich aufgenommenen Fotografie. Verletzungen des APR können aber auch Schäden zur Folge haben, in denen Geldersatz zu leisten ist, zB Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund unberechtigter ehrenrühriger Behauptungen oder Verlust von Kundschaft (Köln ZUM 1993, 34; vgl in diesem Kontext auch BGH NJW 1994, 1950, 1953). Grds gelten die allg Grundsätze für Anspruchsgründe und Ersatzhöhe (Kausalität, Schutzzweck, Mitverschulden etc; Erman/Ehmann12 Rn 369). b) Ersatz für eigene Abwehrmaßnahmen. Der Betroffene kann zudem Ersatz für Aufwendungen verlangen, die er getätigt hat, um die Folgen eines Schadenseintritts gänzlich zu verhindern oder zu vermindern (s § 249 II 1; vgl auch § 254 II: Verpflichtung des Geschädigten, alle schadensverhindernden oder -mindernden Maßnahmen zu ergreifen, wenn es ihm zumutbar und möglich ist). Er kann daher grds jene Aufwendungen und Maßnahmen geltend machen, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach den Umständen des jew Einzelfalls zur Beseitigung der Störung, zur Schadensverhütung und zur Schadensminderung nicht nur als zweckmäßig, sondern auch als erforderlich ergriffen haben würde (BGH NJW 1976, 1198, 1200 – Panorama; 1979, 2197 – Falschmeldung; 2005, 1041, 1042). Insofern ist grds eine Abwägung der Interessen des Betroffenen und der Interessen des Störers unter Beachtung der Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit, Art 5 I GG, vorzunehmen (vgl Erman/Ehmann12 Rn 370f; BVerfG NJW 1973, 1221 – Soraya). Ersatzfähig können daher im Einzelfall sein: Kosten für Rechtsverfolgung eines Gegendarstellungsanspruchs (BGH NJW 1976, 1198, 1201 – Panorama; 1986, 981, 982 – Warentest III; vgl auch Wenzel/Burkhardt Rn 14.40; Damm/Rehbock Rn 934); Kosten für Imagepflege eines Künstlers, da sein Erfolg auch von seinem „Image“ abhängig ist (LG München I AfP 1990, 45ff); Kosten für Versendung von Rundschreiben (Damm/Rehbock Rn 937; Wenzel/Burkhardt Rn 14.41); nur begrenzt ersatzfähig: Kosten für Anzeigen (vgl BGH GRUR 1962, 261 – Öl regiert die Welt; NJW 1976, 1198 – Panorama; 1986, 981 – Warentest III). c) Schadensberechnung. aa) Dreifache Art der Schadensberechnung. Grds gelten auch bei Verletzungen des APR die dem Bereich der Immaterialgüterrechte entspringenden Grundsätze der Lizenzanalogie. Der Anspruchsberechtigte kann seinen Schaden mithin dreifach berechnen (BGH NJW 2000, 2195, 2201 – Marlene Dietrich I; 2000, 2201, 2202 – Blauer Engel): (1) Berechnung des konkret eingetretenen Schadens nach allg Grundsätzen (Staud/Hager § 823 Rn C 290; Soergel/Beater § 823 Anh IV Rn 240), (2) Schadensberechnung analog einer angemessenen Lizenzgebühr (Gebühr, die bei Abschluss eines Lizenzvertrags mit dem Betroffenen hätte gezahlt werden müssen), (3) Ermittlung des konkreten Gewinns. bb) Angemessene Lizenzgebühr. Erfolgt die Schadensberechnung nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie, ist eine fiktive Lizenzgebühr zu zahlen – maßgeblich ist dabei, was vernünftige Parteien als Vergütung für die vorKlass

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genommene Benutzungshandlung vereinbart hätten (BGH NJW 2006, 615 – Pressefotos; vgl auch schon BGH NJW 1956, 1554 – Dahlke). Dabei ist es nach BGH NJW 2006, 615 naheliegend, branchenübliche Vergütungssätze und Tarife als Maßstab heranzuziehen, sofern sich eine solche Übung herausgebildet hat. Lassen sich marktübliche Sätze nicht ermitteln, kann die angemessene Lizenzgebühr gem § 287 I S 2 ZPO geschätzt werden (BVerfG GRUR-RR 2009, 375), wobei Auflagenstärke, Verbreitung, Art und Umfang der Gestaltung sowie die Werbewirkung zu berücksichtigen sind (Balthasar NJW 2007, 664, 664; LG Frankfurt ZUM-RD 2009, 468, 470; LG Hamburg ZUM-RD 2010, 625 und 275). Zur Höhe München NJW-RR 2003, 767, welches der Erbin von Marlene Dietrich nach BGH NJW 2000, 2201 – Blauer Engel, 70.000 Euro als Lizenzgebühr gewährt hat; München AfP 2006, 382, welches Boris Becker für die Verbreitung einer Werbeanzeige 1,2 Mio Euro zugesprochen hat (s dazu jetzt BGH GRUR 2010, 546 – Boris Becker); LG Hamburg AfP 2006, 586 (hierzu Ehmann AfP 2007, 81), welches Joschka Fischer für die unberechtigte Nutzung als Werbeträger 200.000 Euro zugesprochen hat. Nicht erforderlich ist eine grds Vermarktungsfähigkeit sowie Vermarktungsbereitschaft des Betroffenen, weshalb ein Anspruch auch zu gewähren ist, wenn dieser sich nicht mit einer Nutzung seiner Persönlichkeitsmerkmale einverstanden erklärt hätte (BGH NJW 2007, 689 – Lafontaine). d) Anspruchsberechtigter. Anspruchsberechtigt ist grds nur der unmittelbar Geschädigte (BGH NJW 1980, 1790 – Familienname; 2006, 605, 608 – Obduktionssaal); bei Verletzungen des postmortalen Persönlichkeitsrechts sind die Erben anspruchsberechtigt (BGH NJW 2000, 2195 – Marlene Dietrich I; 2000, 2201 – Blauer Engel; 2006, 605, 607 – Obduktionssaal). e) Anspruchsverpflichteter. Anspruchsverpflichtet ist jeder, der tatbestandsmäßig und schuldhaft einen Schaden adäquat kausal verursacht hat, und wer das rechtswidrige Verhalten anderer zu vertreten hat. Im Bereich der Medienberichterstattung kommen insb in Betracht: Verleger, Herausgeber, Rundfunkanstalten, Redakteure und Chefredakteure, Filmproduzenten und Autoren (Damm/Rehbock Rn 945; Wenzel/Burkhardt Rn 14.137; Erman/Ehmann12 Rn 388). VI. Geldentschädigungsanspruch. 1. Grundlagen. Werden ideelle Interessen des Betroffenen verletzt, kann dieser eine Entschädigung in Geld verlangen (st Rspr seit Herrenreiter – BVerfG NJW 1958, 827, Schmerzensgeldanspruch; bestätigt in BVerfG NJW 1973, 1221, 1223/1226 – Soraya; vgl auch BGH NJW 1961, 2059, 2060 – Ginseng; seit BGH 128, 1 – CvM als Geldentschädigungsanspruch). Während der Anspruch früher als Schmerzensgeldanspruch in Analogie zu § 847 aF gewährt wurde, wird er seit BGH 128, 1 – CvM verstanden als „Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Art 1 und 2 GG zurückgeht“. Der Geldentschädigungsanspruch beruht auf dem Gedanken, dass Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen ohne die Zubilligung einer Geldentschädigung häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (BVerfG NJW 2000, 2187, 2187f – Schockschaden; BGH NJW 1995, 861, 864f – CvM I; 2005, 215, 216 – Baby von CvM und Ernst August v Hannover). 2. Funktionen. Der Anspruch auf Geldentschädigung verfolgt mehrere Zwecke: Neben der Ausgleichsfunktion (BGH NJW 1995, 861, 864 – CvM I; 1996, 1131, 1134f – Lohnkiller; Damm/Rehbock Rn 949) kommt ihm eine Genugtuungsfunktion zu (BGH 128, 1, 15 – CvM; s auch NJW 1955, 1675; 1961, 2059, 2060 – Ginseng; 1979, 1041 – Ex-Direktor; LG Berlin AfP 2010, 284, 290; Zweibrücken 21.2.2013 – 4 U 123/12 – heimliche Bildaufnahmen im Intimbereich). Zugleich dient der Anspruch aber in bestimmten Fällen auch der speziellen und generellen Prävention (besonders in Fällen gravierender sowie vorsätzlicher Persönlichkeitsrechtsverletzungen, BGH NJW 1996, 984, 985 – CvM II; 1997, 1148, 1150 – Chefarzt oder Stern-TV; München AfP 2001, 135, 137; jedoch nicht per se, sondern nur dann, wenn die Gefahr einer wiederholten gleichartigen Rechtsverletzung ernsthaft zu befürchten ist, LG Köln ZUM 2013, 157). Wenn der Eingriff durch die Medien „unter vorsätzlichem Rechtsbruch“, „zum Zwecke der Gewinnerzielung“ durch Auflagensteigerung, durch „rücksichtslose Zwangskommerzialisierung“ oder durch „rücksichtslose Vermarktung einer Persönlichkeit“ erfolgt, muss die Geldentschädigung ein „Gegenstück“ bilden, von dem ein „echter Hemmungseffekt“ ausgeht. Das bedeute zwar nicht, dass eine „Gewinnabschöpfung“ vorzunehmen sei, „wohl aber, dass die Erzielung von Gewinnen aus der Rechtsverletzung als Bemessungsfaktor in die Entscheidung über die Höhe der Geldentschädigung einzubeziehen ist“ – allerdings darf die Pressefreiheit hierdurch nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden (so BGH 128, 1 – CvH I; NJW 1996, 984 – CvH II; 1996, 985 – Prinz v Monaco; 2005, 215; hierzu Hamburg NJW 1996, 2870, welches CvM 180 000 DM für Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch drei verschiedene Presseveröffentlichungen zugesprochen hat; sowie BGH NJW 2005, 215; Hamm NJW-RR 2004, 919, 923 – Lisa Loch). 3. Voraussetzungen. Voraussetzungen für einen Anspruch auf Geldentschädigung sind zum einen eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung, (schweres) Verschulden und Subsidiarität (BGH NJW 1995, 861, 864 – CvM I; 1996, 1131 – Lohnkiller; 2005, 215, 217f – Baby von CvM und Ernst August v Hannover; Jena NJW-RR 2005, 1566, 1567; BGH NJW 2010, 1454, 1456 – Franz Beckenbauer). Ob eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung zu bejahen ist, kann dabei nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles (BGH AfP 2010, 75, 76 – Esra; Jena AfP 2010, 277, 278 – Mammachirurgie) beurteilt werden, wobei besonders die Art sowie die Schwere der zugefügten Beeinträchtigung und der Grad des Verschuldens, aber auch Anlass und Beweggrund des Handelns zu berücksichtigen sind; in die gebotene Gesamtwürdigung ist ebenfalls einzubeziehen, ob ein Unterlassungstitel erwirkt worden ist (BGH ZUM-RD 2009, 576). a) Schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung und/oder (schweres) Verschulden. In der Entscheidung BGH 35, 363, 369 – Ginseng wurde zunächst eine schwere Verletzung oder ein schweres Verschulden gefordert; in der be118

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Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

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stätigenden Entscheidung des BVerfG (34, 269, 286 – Soraya) wurde aus dem „oder“ ein „und“, was aber wohl ein Redaktionsversehen war (Erman/Ehmann12 Rn 384). Jedenfalls lassen die Zivilgerichte im Fall einer objektiv schweren Verletzung des APR ein einfaches Verschulden genügen (bspw BGH NJW 1982, 635 – Böll/Walden). Nach BGH AfP 2010, 75 (s auch München ZUM 2008, 984 – Esra) muss jedoch angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit bei der Frage, ob ein Geldentschädigungsanspruch zuzusprechen ist, anderes gelten, jedenfalls sofern es sich um die Bewertung von Äußerungen handelt, die in einem literarischen Text enthalten sind, der zunächst als Fiktion anzusehen ist und keinen Faktizitätsanspruch erhebt. In diesem Fall müsse zusätzlich zu einer objektiv schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung auf der subjektiven Seite ein schweres Verschulden des Handelnden vorliegen, denn nur so könne dem Subsidiaritätserfordernis der Geldentschädigung bei einer Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen Roman ausreichend Geltung verschafft werden. Im Fall der Verletzung des APR durch einen Roman wird daher – sofern bereits ein gerichtliches Verbreitungsverbot ergangen ist – nur ausnahmsweise ein Geldentschädigungsanspruch zuzusprechen sein. Bei der Bewertung der Eingriffsintensität sind der Grad der Erkennbarkeit („je größer der Kreis derjenigen, die den Betroffenen erkennen können, desto intensiver wirkt sich die Persönlichkeitsrechtsverletzung aus“, LG Hamburg ZUM-RD 2010, 45), die Art der Informations- oder Bilderlangung (zB Heimlichkeit, LG Hamburg ZUM-RD 2009, 610, im Fall einer Bildveröffentlichung selbst dann, wenn die Betroffene sich beruflich nackt ablichten lässt, die streitgegenständlichen Bilder aber aus dem Privatbereich stammen, Hamburg AfP 2012, 473), Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, insb die betroffene Sphäre (Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre wiegen schwerer als Eingriffe in die Sozialsphäre, Jena ZUM-RD 2010, 553; LG Hamburg ZUM-RD 2009, 610; bei der Verbreitung von Nacktbildern liegt daher bspw ein Eingriff von erheblichem Gewicht vor, LG Hamburg ZUM-RD 2009, 610), Beweggrund und Anlass von Relevanz. Eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung wurde bspw von KG 2011, 2446 bejaht bei Fernsehausstrahlung einer von einem Kamerateam begleiteten, von Finanzbehörden angeordneten Wohnungsdurchsuchung. S hierzu auch BGH NJW 2012, 1728, 1729 – Unfallopfer. Ebenso bejahend LG Köln 11.12.2013 – 28 O 341/13. Abgelehnt bspw bei einer Bild- und Wortberichterstattung über eine innige Umarmung als Zeichen für ein intimes Verhältnis, LG München I ZUM-RD 2014, 172, oder der Veröffentlichung eines Fotos auf einer Kunstausstellung, welches eine alltägliche Straßenszene vor einem Pfandleihhaus wiedergibt, LG Berlin AfP 2015, 177, 178. b) Subsidiarität. Seit BGH 35, 124, 133 – Ginseng und 39, 363, 369 – Fernsehansagerin ist neben dem Erforder- 317 nis der schweren Verletzung und/oder dem schweren Verschulden ein drittes einschränkendes Tatbestandsmerkmal zu beachten: die Beeinträchtigung des APR darf nämlich nicht auf andere Art und Weise auszugleichen sein (ebenso BGH NJW 1970, 1077 – Nachtigall I; GRUR 1974, 794 – Todesgift; 128, 1 – CvM I). Andere Ausgleichsmöglichkeiten können dabei insb sein: die vorbeugende Unterlassungsklage (dazu Hamm NJW-RR 1995, 1114; vgl auch BGH GRUR 2010, 171, 172 – Esra), der Widerruf (nicht jedoch, wenn der Betroffene diesen im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung erst in einem Rechtsstreit über drei Instanzen erkämpfen muss, so zutr BGH 128, 1), veröffentlichte Gegendarstellungen (allerdings kein Ausschluss in Fällen „besonders gravierender“ APR-Verletzungen, BGH 128, 1). Liegt eine Verletzung der geschützten Privatsphäre vor, besteht jedoch idR keine andere Ausgleichsmöglichkeit, weil gegen wahrheitsgemäße Äußerungen ein Widerruf nicht in Betracht kommt und auch Gegendarstellungen den Schaden nur vertiefen würden (AG Berlin-Mitte NJW 1995, 2639). Der Subsidiaritätsgrundsatz gilt iÜ auch, sofern der Betroffene selbst eine Berichtigung oder Ehrerklärung vornimmt, soweit diese ausreichend erscheinen (dazu Hamburg AfP 1994, 42, 43; LG Krefeld NJW-RR 1996, 984). I Erg bedeutet dies, dass der Anspruch auf Geldentschädigung nur besteht, wenn andere äußerungsrechtliche Ansprüche zu keinem angemessenen Ergebnis führen (BGH NJW 1995, 861, 864 – CvM I; 1996, 1131, 1134 – Lohnkiller; 2005, 215, 217 – Baby von CvM und Ernst August v Hannover) und die Gesamtbeurteilung ergibt, dass ein unabwendbares Bedürfnis für den Ausgleich besteht (BGH NJW 1980, 2801, 2807 – Medizin-Syndikat III; Köln NJW-RR 2000, 470, 471; Karlsruhe NJW-RR 2003, 410). Richtet sich der Anspruch „gegen eine auf einer Internetplattform erschienene Veröffentlichung, kann die Subsidiarität dieses Anspruchs nicht eingewandt werden, weil es aus tatsächlichen Gründen aussichtslos ist, eine Weiterverbreitung zu unterbinden“ (Dresden 3.5.2012 – 4 U 1883/11, s auch BGH GRUR 2014, 693). 4. Höhe. Die Höhe der Geldentschädigung ist vom Gericht nach „freier Überzeugung“ zu bestimmen 318 (§ 278 I ZPO); grds muss sie der Bedeutung der tangierten Persönlichkeitsbelange und der Schwere der Beeinträchtigung angemessen sein. Keine Bedeutung erlangt hierbei jedoch die Zahlungsfähigkeit des Anspruchsgegners (Hamburg GRUR-RR 2009, 438, 439). Handelt es sich um eine Veröffentlichung auf einer Internetplattform, ist bei der Bestimmung der Höhe nicht die Anzahl der konkreten Seitenaufrufe maßgeblich, vielmehr bemisst sich die Höhe an der Anzahl der Nutzer des Portals zum Verletzungszeitpunkt (Dresden 3.5.2012 – 4 U 1883/11; s hierzu auch BGH GRUR 2014, 693). Vgl hierzu Schulze/Stippler-Birk, Schmerzensgeldhöhe in Presse- und Medienprozessen, 1992, sowie LG Hamburg ZUM 2002, 68; Köln 12.7.2016 – 15 U 176/15 und 175/15: 395.000 Euro – zuvor LG Köln ZUM-RD 2016, 30: 635.000 Euro – Kachelmann; 150.000 DM für PaparazziFotos einer Schauspielerin, welche diese (teilw) nackt am Strand zeigten; LG Hamburg 29.8.2014 – 324 O 72/14; Prinzessin Madeleine Seychellen: 100.000 Euro; Hamm NJW-RR 2004, 919 – Lisa Loch: 70.000 Euro für Minderjährige, die durch verschiedene „satirische“ Fernsehbeiträge (Stefan Raab) in die Nähe der Pornobranche gerückt wurde; LG München I ZUM 2002, 318: 90.000 Euro für Kindsmutter von Boris Becker („Sex in 5 Sekunden: Wie geht das eigentlich?“-Computer-Spiel); Hamburg NJW 1996, 2870: 180.000 DM für drei Verletzungstatbestände (Zwangskommerzialisierung CvM): (1) für ein erfundenes Interview; (2) für ein Paparazzi-FoKlass

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to; (3) für die Meldung „Hochzeit im September“ (s Seitz NJW 1996, 2848, der insoweit von einer „Gesamtstrafe“ spricht); BGH NJW 1997, 1148, 1150: 50.000 DM wg Verletzung der beruflichen Ehre eines Arztes (dazu Seitz NJW 1997, 3217); LG Berlin ZUM-RD 2012, 353: 15.000 Euro: identifizierende Berichterstattung über angebliche Geheimdiensttätigkeit; Oldenburg ZUM-RD 2016, 143, 144: 15.000 Euro: Verbreitung pornographischer Fotomontagen im Internet; LG München I AfP 2014, 173: 10.000 Euro: verfälschende und entstellende Darstellung des Lebens eines ehemaligen Bundesminister „Ehebruch und Unfall-Drama“ – „Was hat er damit zu tun?“; Hamburg AfP 2012, 473: 7500 Euro: Abbildung eines unbekleideten Oberkörpers im Urlaub; Dresden ZUM-RD 2012, 275: 8000 Euro: Berichterstattung über Suizid eines Angehörigen; Zweibrücken 21.2.2013 – 4 U 123/12: heimliche Bildaufnahmen beim Frauenarzt: 1000 Euro; LG München AfP 2013, 434: Bildveröffentlichung über Schwangerschaft einer Schauspielerin: 12.500 Euro; Bamberg MMR 2013, 744: Veröffentlichung von Patientendaten im Internet: 2000 Euro; AG Köln NJW-RR 2013, 1311: Filmaufnahmen am Arbeitsplatz: 1500 Euro; LG Köln 11.12.2013 – 28 O 341/13: Veröffentlichung von Fotos der Kinder durch den Vater mit den Zusätzen „Samenraub“, „… und DAS ist das Ergebnis“: 5000 Euro. Zu weiteren Beispielsfällen Erman/Ehmann12 Rn 386f. 319 5. Passivlegitimation. Zur Anspruchsverpflichtung gilt das zum Schadensersatzanspruch Gesagte entspr (Rn 312). 320 6. Aktivlegitimation. Anspruchsberechtigt ist der unmittelbar Geschädigte, dh der Inhaber des vom Eingriff betroffenen Rechtsguts; nicht, wer nur mittelbar tangiert ist. Der Anspruch auf Geldentschädigung ist nicht übertragbar und grds nicht vererblich (BGH NJW 2014, 2871 m Anm Stender-Vorwachs, 2831: Dies folgt aus Natur und Zweck des höchstpersönlichen Geldentschädigungsanspruchs – denn dem Verstorbenen könne keine Genugtuung mehr verschafft werden; dies gilt auch dann, wenn die Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits zu Lebzeiten erfolgte, der Verletzte aber verstirbt, bevor sein Entschädigungsanspruch erfüllt wurde. Angehörigen und Wahrnehmungsberechtigten stehen daher lediglich Abwehransprüche zu (BGH 165, 203 – Obduktionsfoto; krit diesbzgl Brändel in Götting/Schertz/Seitz, § 37 Rn 36; ähnlich Schmelz ZUM 2006, 214; auch München GRUR-RR 2002, 341 – Nacktfotos, will der Erbin von Marlene Dietrich eine Geldentschädigung wegen Veröffentlichung von Nacktfotos gewähren, da nur so der aus Art 1 I GG resultierende Schutzauftrag zu verwirklichen sei; eine klare Absage erteilte diesem Ansatz jedoch der BGH ZUM 2006, 211 – Mordkommission Köln; hierzu ausf Rn 76). Zudem kommt ein Geldentschädigungsanspruch mit Blick auf die Genugtuungsfunktion auch nur für nat, nicht für jur Pers in Betracht (Brändel in Götting/Schertz/Seitz, § 39 Rn 10; MüKo/Rixecker Rn 30, 284; Ricker NJW 1990, 2097, 2099; aber auch BGH NJW 1980, 2807, 2810 – Medizin Syndikat I; Frankfurt 18.3.2013 – 1 U 215/11; befürwortend jedoch EGMR NJW 2006, 591, 593 – Karhuvaara und Iltalehti/Finnland: Anspruch einer Handelsgesellschaft auf Ersatz des Nichtvermögensschadens; BGH NJW 1981, 675, 676 – Scientology: unzulässige Berichterstattung über eine Weltanschauungsgemeinschaft), wobei darauf verwiesen wird, dass diese keine Psyche besitzen und keine Genugtuung empfinden können (Frankfurt 18.3.2013 – 1 U 215/11 mwN). 321 VII. Bereicherungsanspruch. Im Fall der unerlaubten kommerziellen Verwertung von Persönlichkeitsmerkmalen wie Name, Bildnis oder Stimme (hierzu Rn 207ff) steht dem Betroffenen ebenfalls ein Bereicherungsanspruch (Eingriffskondiktion), gerichtet auf die Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr gegen den Verwender zu (BGH NJW 2009, 3032, 3035 – Wer wird Millionär?; s auch BGH ZUM 2007, 55 – Lafontaine; Hamburg ZUM 2005, 164 – Lafontaine; LG Hamburg ZUM 2004, 399, 401 – Lafontaine; NJW 2007, 691, 692 – Joschka Fischer; abl MüKo/Schwab § 812 Rn 270f, da dem Persönlichkeitsrecht kein vermögensrechtlicher Zuweisungsgehalt innewohne). Selbst bei der Veröffentlichung eines Fotos im redaktionellen Teil einer Zeitung (Gunter Sachs beim Lesen der Bild am Sonntag), besteht ein kommerzieller Kontext, wenn auch die dazugehörige Wortberichterstattung einen überwiegend werblichen Charakter hat und sich der Informationsgehalt darauf beschränkt, dass die abgebildete Person die „Bild am Sonntag“ liest, BGH NJW 2012, 793 – Playboy am Sonntag. Keine kommerzielle Verwertung liegt aber bspw vor, wenn im Rahmen der Berichterstattung über einen Unfall ein kontextneutrales Portraitfoto des Unfallopfers gegen den Willen der Eltern veröffentlicht wird, BGH NJW 2012, 1728, 1729 – Unfallopfer. Die „übliche Lizenzgebühr“ entspricht dabei dem Betrag, den der Verwender hätte zahlen müssen, um die Einwilligung des Betroffenen zu erhalten (Hamburg ZUM 2005, 164, 167 – Lafontaine; LG Hamburg NJW 2007, 691, 693 – Joschka Fischer; BGH NJW-RR 1987, 231, 232 – Nena; Hamburg ZUM 2010, 884, 885). Sie kann, sofern sich marktübliche Sätze nicht ermitteln lassen, gem § 287 ZPO geschätzt werden (BVerfG GRUR-RR 2009, 375), wobei alle Umstände des Einzelfalls, wie zB Auflagenstärke, Verbreitung, Art und Umfang der Gestaltung sowie die Werbewirkung zu berücksichtigen sind (Balthasar NJW 2007, 664; München ZUM 2003, 139, 140 – Boris Becker; ZUM-RD 2007, 360, 367; LG Hamburg ZUM-RD 2010, 625, 627f). Den vom Verwender erzielten Gewinn kann der Betroffene nicht verlangen. Bereicherungsgegenstand ist die Nutzung der Persönlichkeitselemente. Da diese nicht herausgegeben werden können, ist nach §§ 812 I 1 Alt 2, 812 II Wertersatz zu leisten (BGH NJW 2007, 689, 690 – Lafontaine; Balthasar NJW 2007, 664). Keine Anspruchsvoraussetzung ist das grds Einverständnis des Betroffenen mit der Vermarktung seiner Persönlichkeitselemente, sog Lizenzbereitschaft (ausdr Aufgabe der alten Rspr zum Schadens- und Bereicherungsausgleich; dazu BGH NJW 2007, 689, 690 – Lafontaine; zur alten Rspr BGH NJW 1956, 1554, 1555 – Dahlke). Auf die Frage, ob der Betroffene bereit gewesen wäre, seine Zustimmung zu der Veröffentlichung zu erteilen, kommt es mithin nicht mehr an (BGH NJW 2012, 1728, 1729 – Unfallopfer; Hamburg ZUM 2010, 884, 885; LG Hamburg NJW 2007, 691, 693 – Joschka Fischer, offengelassen für den Fall, dass der Betroffene bekanntermaßen die Benutzung seines Bildnisses verweigert, auch wenn ihm dafür ein angemessenes Honorar gezahlt wird). Zu Einzelheiten ausf Götting/Schertz/Seitz, § 52. 120

Klass

Natürliche Personen, Verbraucher, Unternehmer

§ 13

§ 13

Verbraucher1

Verbraucher ist jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Schrifttum: Annuß, Der Arbeitnehmer als solcher ist kein Verbraucher!, NJW 2002, 2844; Armbrüster, Kapitalanleger als Verbraucher? Zur Reichweite des europäischen Verbraucherschutzrechts, ZIP 2006, 406; Bertram, Die Anwendung des Einwendungsdurchgriffs gem § 359 BGB auf den Beitritt zu einer Publikumsgesellschaft, 2004; Brors, Arbeitnehmer und Verbraucher – keine deckungsgleichen Begriffe!, ZGS 2003, 34; Bülow, Ein neugefasster § 13 BGB – überwiegende Zweckbestimmung, WM 2014, 1; Bülow, Beweislast für die Verbrauchereigenschaft nach § 13 BGB, WM 2011, 1349; Bülow, Gesetzeswortlaut und Rechtsanwendung – Beweislast für die Verbrauchereigenschaft, Subsidiarität des Einwendungsdurchgriffs, GS Wolf, 2011, 3; Bülow, Scheinselbständiger und Ich-AG als Verbraucher nach § 13 BGB?, FS Derleder, 2005, 27; Bülow/Artz, Handbuch des Verbraucherprivatrechts, 2005; Bülow/Artz, Verbraucherprivatrecht, 5. Aufl 2016; Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 9. Aufl 2016; Dauner-Lieb/Dötsch, Ein „Kaufmann“ als „Verbraucher“? – Zur Verbrauchereigenschaft des Personengesellschafters, DB 2003, 1666; Gsell, Verbraucherrealitäten und Verbraucherrecht im Wandel, JZ 2012, 809; Herresthal, Scheinunternehmer und Scheinverbraucher im BGB, JZ 2006, 695; Hoffmann, Der Verbraucherbegriff des BGB nach Umsetzung der Finanz-Fernabsatzrichtlinie, WM 2006, 560; Hümmerich, Der Verbraucher-Geschäftsführer – Das unbekannte Wesen, NZA 2006, 709; Koch, Rechte des Unternehmers und Pflichten des Verbrauchers nach Umsetzung der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher, JZ 2014, 758; Loacker, Verbraucherverträge mit gemischter Zwecksetzung, JZ 2013, 234; Masuch, Stellvertretung beim Abschluss von Verbraucherverträgen, BB 2003, Beil 6 zu Heft 35, 16; Mohr, Der Begriff des Verbrauchers und seine Auswirkungen auf das neu geschaffene Kaufrecht und das Arbeitsrecht, AcP 204 (2004), 660; Mülbert, Außengesellschaften – manchmal ein Verbraucher?, WM 2004, 905; Mülbert, Verbraucher kraft Organmitgliedschaft?, FS Goette, 2011, 333; Müller, Der Arbeitnehmer als Verbraucher im Sinne des § 13 BGB, 2005; Peintinger, Der Verbraucherbegriff im Lichte der Richtlinie über die Rechte von Verbrauchern und des Vorschlags für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht – Plädoyer für einen einheitlichen europäischen Verbraucherbegriff, GPR 2013, 24; Pfeiffer, Der Verbraucher nach § 13, in: Schulze/Schulte-Nölke (Hrsg), Die Schuldrechtsreform vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts, 2001, 133; Pfeiffer, Verbraucherrecht mit vielen Säulen – Auf der Suche nach funktionsgerechten Konstruktionsprinzipien eines Rechtsgebiets, NJW 2012, 2609; Pfeiffer, Was kann ein Verbraucher? Zur Relevanz von Informationsverarbeitungskapazitäten im AGB-Recht und darüber hinaus, NJW 2011, 1; Prütting, Das neue Verbraucherstreitbeilegungsgesetz: Was sich ändert – und was bleiben wird, AnwBl 2016, 190; Piekenbrock/Ludwig, Zum deutschen und europäischen Verbraucherbegriff, GPR 2010, 144; Purnhagen, Die Zurechnung von Unternehmer- und Verbraucherhandeln in den §§ 13 und 14 BGB im Spiegel der Rechtsprechung – Eckpfeiler eines Konzepts?, VuR 2015, 3; Riesenhuber/v. Vogel, Sind Arbeitnehmer Verbraucher iSv § 13 BGB?, Jura 2006, 81; Rott, Der „Durchschnittsverbraucher“ – ein Auslaufmodell angesichts personalisierten Marketings?, VuR 2015, 163; Saenger, Der allgegenwärtige Verbraucher im Bürgerlichen Recht, Zivilprozessrecht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, in: Hanna/Roos/Saenger (Hrsg), Juristenausbildung als Leidenschaft, FG Olaf Werner, 2004, 51; Schmidt, Verbraucherbegriff und Verbrauchervertrag – Grundlagen des § 13 BGB, JuS 2006, 1; K. Schmidt, „Unternehmer“ – „Kaufmann“ – „Verbraucher“, BB 2005, 837; Tamm/Tonner, Verbraucherrecht, 2. Aufl. 2016; Ultsch, Der einheitliche Verbraucherbegriff, 2005; Wagner, Sind Kapitalanleger Verbraucher?, BKR 2003, 649; Weyer, Handelsgeschäfte (§§ 343ff HGB) und Unternehmergeschäfte (§ 14 BGB), WM 2005, 490; Witt, Unternehmereigenschaft einer GmbH beim Verbrauchsgüterkauf, NJW 2011, 3402.

I. Gesetzgebung. 1. Entstehung. §§ 13 und 14 wurden 2000 durch das FernAbsG (BGBl I 897) in das BGB ein- 1 gefügt; § 13 neu gefasst durch Art 1 Nr 2 VRRL-UG v 20.9.2013 (BGBl I 3642). Ziel war eine Vereinheitlichung der Begriffe des Verbrauchers und des Unternehmers. Dabei wurde vor allem auf §§ 24 (Unternehmer) und 24a (Verbraucher) AGBG zurückgegriffen (BT-Drs 14/2658, 47). Die einzelnen Verbraucherschutzregelungen, die zuvor unterschiedliche Verbraucher- und Unternehmerbegriffe enthielten, verweisen seither auf §§ 13, 14 (etwa §§ 310 III, 312c I, 312d I, 312j I, 481 I, 491 II). 2. Einbeziehung von Arbeitnehmern. Über die Vorgabe des europäischen Rechts hinaus wird der Verbraucher 1a auch im Rahmen einer unselbständigen beruflichen Tätigkeit geschützt und werden ArbN von § 13 erfasst (Rn 15). Eine solche überschießende RL-Umsetzung ist in den Grenzen höherrangigen Primärrechts (insb der Grundfreiheiten) bei RL mit Mindestharmonisierungs-Charakter zulässig, wenn alle Fälle erfasst werden, für die die Umsetzungsverpflichtung besteht. Ob an der erweiterten nationalen Begriffsvereinheitlichung (krit dazu Flume ZIP 2000, 1427f) jedoch bei RL mit Vollharmonisierungs-Charakter festgehalten werden kann, ist zweifelhaft (hierzu bereits Bülow/Artz NJW 2000, 2049, 2051; Hoffmann WM 2006, 560ff; umfassend Ultsch, S 76ff, 221ff). Derartige RL verleihen den Mitgliedstaaten nämlich grds keinen Gestaltungsspielraum bzgl des vollharmonisierten Bereichs. Entscheidend sind aber stets Anwendungs- und Regelungsbereich der jew RL; insoweit darf bei RL mit Voll- bzw. Totalharmonisierungs-Charakter gerade kein Verbot eines weitergehenden Schutzes als des „europäischen Verbrauchers“ bestehen. a) Hins der FernabsatzRL für Finanzdienstleistungen (2002/65/EG) trifft dies jedenfalls nicht zu (Ultsch, 149ff; 1b Bülow FS Derleder, 27, 29, 30; BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 4 unter Aufgabe der aA in der 1. Aufl; aA Hoffmann WM 2006, 560, 562; Mülbert WM 2004, 905, 909). Zwar ist diese auf Vollharmonisierung ausgelegt (Härting/ Schirmbacher DB 2003, 1777, 1778). Sie enthält jedoch abschließende Regelungen nur für Finanzdienstleistungen, die keiner gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können (Art 1, 2 lit d RL 2002/65/EG). Außerhalb der sekundärrechtlich normierten Bereiche hat der Mitgliedstaat grds einen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum, so dass § 13 in zulässiger Weise auch Personen erfasst, die im Fernabsatz eine Finanzdienstleis-

1 Amtl Hinw: Diese Vorschrift dient der Umsetzung der eingangs [Fn S 1] zu den Nummern 3, 4, 6, 7, 9 und 11 genannten Richtlinien.

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§ 13

Personen

tung für ihre abhängige Beschäftigung beziehen (BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 4; Bülow WM 2006, 1513, 1514; Schneider VersR 2004, 696, 699, Ultsch, 151). 1c b) Entspr gilt für die VerbraucherrechteRL (VRRL-RL 2011/83/EU, ABl EG 2011 L 304/64). Diese fasst die früheren RL 85/577/EWG betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz zusammen. Sie gibt zwar den früheren Mindestharmonisierungsansatz zugunsten eines Vollharmonisierungsansatzes auf (Art 4). Erwägungsgrund 8 stellt aber ausdr klar, dass die zu harmonisierenden Aspekte der Regelung die innerstaatlichen Vorschriften über Arbeitsverträge unberührt lassen (ABl EU L 304/65). Die VerbraucherrechteRL wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung der VerbraucherrechteRL und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung (VRRL-UG) v 20.9.2013 (BGBl I 3642), vgl auch den RegE BT-Drs 17/12637), mWz 13.6.2014 umgesetzt. Die dabei vorgenommene Änderung von § 13 („überwiegend“) soll mit Blick auf Erwägungsgrund 17 der VerbraucherrechteRL klarstellen, dass es bei sog dual-use-Verträgen auf den überwiegenden Zweck ankommt (BT-Drs 17/13951, 96). 2 II. „Verbraucher“. 1. Begriff. Bei der Bestimmung des Verbraucherbegriffs ist zum einen von der Privatheit des ökonomischen Handelns auszugehen, zum anderen von der strukturellen Unterlegenheit des privat Handelnden, die vermutet wird (zur strukturellen Unterlegenheit privat handelnder Personen vgl BVerfG 89, 214 = NJW 1994, 36, 38f). Ob diese situativ schutzbedürftig sind, beurteilt sich nach dem Gegenstand des jew Verbraucherrechts (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 4, 7). 3 2. Anwendungsbereich. § 13 ist maßgeblich, wenn das BGB oder ein anderes Gesetz vom „Verbraucher“ spricht. Im BGB findet der Verbraucherbegriff in §§ 241a, 288 II, 310 III, 312ff, 355ff, 474ff, 481ff, 491ff, 655a und 661a Verwendung, außerhalb des BGB etwa in § 1031 V ZPO und § 414 III HGB. Nicht auf den Verbraucherbegriff verweisen hingegen die Vorschriften über den Reisevertrag in §§ 651a ff, die stattdessen vom Reisenden sprechen, der auch ein Unternehmer sein kann, sowie des FernUSG, das nicht von Verbrauchern, sondern von Teilnehmern spricht. § 13 ist auch auf beidseitige Verbrauchergeschäfte anwendbar, allerdings knüpft das Gesetz an solche Geschäfte keine besonderen Folgen, vielmehr finden die allg Normen des Zivilrechts Anwendung. 4 III. Persönlicher Anwendungsbereich. Nach der Gesetzesdefinition wird der Verbraucherbegriff von zwei Kriterien bestimmt, zum einen von der Personenqualität des Handelnden, zum anderen von der nicht gewerblichen oder selbständig beruflichen Zweckbindung des rechtsgeschäftlichen Handelns. 5 1. Personenqualität des Handelnden. a) Der Handelnde muss eine nat Pers sein (vgl EuGH NJW 2002, 205). Damit sind jur Pers (rechtsfähige Vereine, Stiftungen, GmbH, AG, eG, KGaA sowie öffentlich-rechtl Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts) aus dem Verbraucherbegriff ausgeschlossen. Dies mag bei solchen jur Pers unbefriedigend sein, deren Schutzbedürftigkeit aufgrund mangelnder Geschäftskompetenz derjenigen nat Pers entspricht, bspw bei gemeinwohlorientierten Stiftungen und rechtsfähigen Idealvereinen (Pfeiffer, 133, 138). Indes ist die Regelung abschließend (so auch BGH WM 2010, 647). Wo der Gesetzgeber den Verbraucherbegriff modifiziert verstanden wissen wollte, hat er dies anders als in § 13 ausdr geregelt, wie zB in § 513. Auch eine analoge Anwendung des früheren § 1 I HausTWG, nach dem auch Idealvereine als Kunden gelten können (AG Hamburg BB 1988, 869), scheidet daher aus (differenzierend MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 15). 6 b) Die Unterscheidung zw natürlichen und jur Pers ist dort unbefriedigend, wo dieser Dualismus aufgeweicht wird, nämlich bei Gesamthandsgemeinschaften (Personengesellschaften, Erben- und Gütergemeinschaften). aa) Für Personengesellschaften gilt: Normadressaten der Verbraucherschutzregelungen können nicht nur einzelne nat Pers sein, sondern auch eine Mehrzahl nat Pers, die sich zu einer (Außen-)GbR zusammengeschlossen haben (zu § 1 VerbrKrG BGH NJW 2002, 368 = EWiR 2002, 93 mit Anm Saenger/Bertram; BaRo/SchmidtRäntsch Rn 6; Staud/Kannowski Rn 36; Bülow/Artz § 491 Rn 32; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht Rn 1436; differenzierend Wunderlich BKR 2002, 304). Die Gegenansicht, wonach die (Außen-)GbR aufgrund ihrer Rechtsfähigkeit als nat Pers nicht in Betracht kommt (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 19f; Vortmann ZIP 1992, 229, 232; Krebs DB 2002, 517ff; Eßner/Schirmbacher VuR 2003, 247; Fehrenbacher/Herr BB 2002, 1006; krit Schmidt JuS 2006, 1, 5 „rechtspolitische Notlüge“) bzw nur bei personalstrukturierten, nicht aber bei der verbandsmäßig strukturierten GbR das Verbraucherkreditrecht anzuwenden sei (Staud/Kessal-Wulf § 491 Rn 27), ist nicht zutr, weil die VerbraucherschutzRL den Begriff der nat Pers stets nur als Gegensatz zu dem der jur Pers verwenden. Auch die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der (Außen-)GbR (BGH 146, 341, 347 = NJW 2001, 1056) führt zu keinem anderen Ergebnis, weil diese nicht den Status einer jur Pers besitzt (vgl auch § 11 II Nr 1 InsO). Eine Unterscheidung nach der internen Strukturierung der GbR wäre der Rechtssicherheit und -klarheit abträglich und ist deswegen abzulehnen (BGH NJW 2002, 368f). Folgerichtig ist der gewerbliche/selbständig berufliche bzw der private Zweck (Rn 19ff) des jew Geschäfts das maßgebliche Abgrenzungskriterium. Dasselbe muss auch für aus nat Pers bestehende Personenhandelsgesellschaften (OHG/KG) gelten: Sind sie gewerblich tätig, sind sie nicht Verbraucher, betreiben sie lediglich private Vermögensverwaltung (§ 105 II HGB), sind sie Verbraucher (Staud/ Kannowski Rn 36; aA MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 18f). 7 bb) Auch die Erbengemeinschaft hat keine eigene Rechtspersönlichkeit (BGH NJW 2002, 3389; 1989, 2133, 2134; krit Fritz NZM 2003, 676), so dass die einzelnen Erben Verbraucher sein können. Ebenso verhält es sich bei der Gütergemeinschaft. Auf die teilrechtsfähige Wohnungseigentümergemeinschaft sind die Grundsätze der 122

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Natürliche Personen, Verbraucher, Unternehmer

§ 13

GbR übertragbar, so dass sie Verbraucherin sein kann, sofern nicht nur Unternehmer an ihr beteiligt sind (BGH NJW 2015, 3228; München NJW 2008, 3574; Pal/Ellenberger Rn 2; aA LG Rostock NZM 2007, 370; MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 21; Krampen-Lietzke RNotZ 2013, 575, 597). c) Für den nicht rechtsfähigen wirtschaftlichen Verein, für den die Vorschriften über Gesellschaften gem § 54 S 1 Anwendung finden, gilt das für die (Außen-)GbR Gesagte entspr. Für den nichtrechtsfähigen Idealverein – für den nach hM entgegen § 54 S 1 die Vorschriften der §§ 21ff und nicht gesellschaftsrechtliche Vorschriften gelten (Staud/Weick § 54 Rn 2) – scheidet aufgrund des korporativen Elementes eine Analogie zu den nat Pers aus (BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 6). d) Bei Beteiligung Dritter gilt für die Einordnung als Verbrauchergeschäft Folgendes: aa) Das Rechtsgeschäft begleitende Sicherungsgeschäfte (Schuldübernahme, Schuldbeitritt, Bürgschaft, Garantie, Sicherungsabtretung, [Grund-]Pfandrechte) erfordern eine Differenzierung. Wird der Sicherungsgeber in das zu sichernde Rechtsgeschäft einbezogen, wie bei Schuldübernahme und Schuldbeitritt, ist dieser nicht Dritter. Für die Verbrauchereigenschaft ist deshalb allein seine Person maßgeblich (sog Einzelbetrachtung BGH NJW 2006, 431; 133, 71, 76f = NJW 1996, 2156). Ist der Sicherungsgeber dagegen ein außerhalb des eigentlichen Rechtsgeschäfts stehender Dritter (zB Bürge), bedarf es zunächst der Beurteilung, ob das Sicherungsgeschäft vom sachlichen Anwendungsbereich der jew betroffenen Verbrauchervorschrift umfasst ist (vgl zu Bürgschaft und Verbraucherdarlehensrecht § 491 Rn 53; zu Bürgschaft und Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen § 312b Rn 2; § 312 Rn 14ff), und sodann der Prüfung, ob auch der Vertragspartner des gesicherten Rechtsgeschäfts Verbraucher sein muss. Jedenfalls hängen die Widerrufsrechte eines Verpfänders oder Bürgen gem § 312g I Var 1 nicht von der Verbrauchereigenschaft des persönlichen Schuldners oder einer auf diesen bezogenen Haustürsituation ab (BGH NJW 2006, 845; BaRo/Maume § 312 Rn 10; Derleder EWiR 2006, 195; Zahn ZIP 2006, 1069; aA noch BGH NJW 1998, 2356; Frankfurt ZGS 2006, 398). bb) Bei verbundenen Verträgen iSv § 358 III gilt ein „doppelter Verbraucherbegriff“. Sowohl bei Abschluss des Waren- oder Dienstleistungsvertrags als auch bei Abschluss des Darlehensvertrags muss die Verbrauchereigenschaft vorliegen. Dies bereitet keine Probleme, solange es sich beim Käufer bzw Leistungsempfänger und dem Darlehensnehmer um dieselbe Person handelt. cc) Besonderes gilt, wenn sich der Verbraucher eines Stellvertreters bedient (im Einz Masuch BB 2003 Beil 6 zu Heft 35, 16). Spezialregelungen finden sich in § 492 IV sowie § 17 IIa BeurkG. Sind Vertreter und Vertretener Verbraucher, liegt unproblematisch ein Verbrauchergeschäft vor. Anders ist die Situation, in der nur der Vertretene Verbraucher ist, der Vertreter jedoch nicht. Verbraucherschutzgesetze sollen den Verbraucher vor dem Abschluss von Rechtsgeschäften schützen, deren Folgen er infolge fehlender Geschäftserfahrung und mangelnder Kenntnisse typischerweise nicht vollständig überblickt (s zB für das Verbraucherdarlehen BT-Drs 11/5462, 17). Beim Einsatz eines gewerblich oder selbständig beruflich tätigen Vertreters verfügt dieser über entspr Geschäftserfahrung, so dass man (ebenso wie BGH 144, 223, 227f = NJW 2000, 2268 bzgl des Vorliegens der situationsbezogenen Voraussetzungen des heutigen § 312b beim sog Haustürgeschäft des Vertreters) auf den Rechtsgedanken des § 166 zurückgreifen und ein Verbrauchergeschäft des Vertretenen verneinen könnte. Allerdings ist der Verbraucher selbst bei Zuhilfenahme eines unternehmerisch agierenden Vertreters, der ihm die Einzelheiten des Geschäfts erklärt, nicht minder schutzbedürftig. Also ändert auch die Einschaltung eines Vertreters, der in Ausübung seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt, nichts an der Anwendung des § 13, sofern der Vertretene Verbraucher ist (i Erg ebenso BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 7; MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 27f; MüKo/Schürnbrand § 491 Rn 13). Ist hingegen der Vertreter Verbraucher, der Vertretene jedoch nicht, sind Verbraucherschutzvorschriften nicht anwendbar. Selbst wenn die Gefahr der situativen Übereilung beim Vertragsschluss durch den Vertreter besteht, ist der Vertretene nicht schutzbedürftig, denn hätte er selbst den Vertrag geschlossen, wären Verbraucherschutzvorschriften nicht anwendbar (MüKo/Schürnbrand § 491 Rn 13; Reinicke/ Tiedtke, Kaufrecht Rn 1439; Teske BB 1988, 869, 870). Handelt es sich bei dem Vertreter um einen falsus procurator und verweigert der Vertretene die Genehmigung des Rechtsgeschäftes, kann der Vertreter ein Widerrufsrecht nur ausüben, wenn er selbst Verbraucher ist (BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 7; LG Fulda VuR 2013, 303). dd) Bei einem Vertrag zugunsten Dritter ergeben sich keine Besonderheiten, weil für den Dritten als Leistungsempfänger kein Anlass besteht, Verbraucherschutzrechte geltend zu machen. Es bleibt bei dem allg Grundsatz, wonach nur dem Versprechensempfänger Verbraucherschutzrechte zustehen, der auch Verbraucher ist. 2. Keine gewerblichen oder selbständigen beruflichen Zwecke. Verbrauchergeschäfte sind nur solche, die für die handelnde nat Pers ein Privatgeschäft darstellen, also etwa der Haushaltsführung, Daseins- und Gesundheitsvorsorge oder Freizeitgestaltung dienen. Indes wird die Zweckbindung nicht positiv, sondern negativ definiert. Der Verbraucher ist eine Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. a) Unter einer gewerblichen Tätigkeit ist jede selbständige, auf Dauer angelegte entgeltliche Tätigkeit zu verstehen (vgl im Einz § 14 Rn 8ff). Das Merkmal dient zur Abgrenzung von den der Privatsphäre des Verbrauchers zurechenbaren Geschäften und darf nicht zu eng ausgelegt werden. Problematisch kann die Abgrenzung der privaten Vermögensverwaltung ggü der gewerblichen Tätigkeit sein, insb bei Erwerb oder Vermietung von Immobilien. Die Verwaltung eigenen Vermögens gehört nicht zur gewerblichen Tätigkeit; geeignetes Abgrenzungskriterium ist der Umfang der betriebenen Geschäfte (BGH NJW 2002, 368, 369 zu § 1 VerbrKrG). Erfordern diese einen planmäßigen Geschäftsbetrieb, zB die Unterhaltung eines Büros oder eine besondere Organisation, liegt Saenger

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Personen

eine gewerbliche Betätigung vor (BGH NJW 2002, 368, 369; zum BörsG: BGH 104, 205, 208 = NJW 1988, 2039; zu § 24 I 1 ARB: BGH 119, 252, 256 = NJW 1992, 3242). Auf die Höhe der verwalteten Werte kommt es dagegen nicht an (anders noch Erman/Rebmann10 § 1 VerbrKrG Rn 43). Bei der Einordnung des Erwerbs einer Gesellschafterstellung muss differenziert werden: Beim Erwerb von GmbH-Anteilen und Aktien handelt es sich nur dann um eine gewerbliche Tätigkeit, wenn mit der Beteiligung eine unternehmerische Zielsetzung verfolgt wird (ausf Staud/Hopt/Mülbert 12. Bearb 1988, § 609a Rn 31). Der BGH qualifiziert das Halten eines GmbH-Anteils grds nicht als gewerbliche Tätigkeit, sondern als private Vermögensverwaltung (BGH 133, 71, 78 = NJW 1996, 2156; NJW 2007, 759). Gleiches gilt für den Anleger, der einer Publikumsgesellschaft beitritt (Bertram, 99ff, 138). Der Erwerb einer Stellung als persönlich haftender Gesellschafter in einer Personengesellschaft ist als gewerblich zu qualifizieren, wenn die Personengesellschaft ein Gewerbe ausübt und nicht lediglich Vermögen verwaltet (§ 105 II HGB; hiergegen aber Dauner-Lieb/Dötsch DB 2003, 1666, 1668, die auf den Widerspruch hinweisen, der sich im Vergleich zur Einordnung des Gesellschafter-Geschäftsführers der GmbH als Verbraucher ergeben soll). Der Erwerb einer Kommanditistenstellung ist idR private Vermögensverwaltung (Saenger FG Werner, 51, 61), es sei denn, dem Kommanditisten werden in einer gewerblich tätigen Personengesellschaft Rechte eingeräumt, die denen eines Komplementärs vergleichbar sind. Beim darlehensfinanzierten Erwerb einer Gesellschafterstellung ist die Bestimmung über Existenzgründergeschäfte des § 513 zu beachten (dazu Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb2 § 81 Rn 16). Nebenerwerbstätigkeiten, die die Grenze zur Gewerbsmäßigkeit überschreiten, führen ebenfalls zum Verlust der Verbrauchereigenschaft (Celle NJW-RR 2004, 1645, 1646; Bremen ZGS 2004, 394). Zum eBay-Verkäufer s § 14 Rn 11. 15 b) Nicht als Verbraucher handelt auch der selbständig beruflich Tätige. Hiervon werden vor allem Freiberufler erfasst (Ärzte, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Architekten, Künstler, Schriftsteller, Privatlehrer etc; vgl § 14 Rn 15). Bei Rechtsgeschäften des Arbeitnehmers mit dem Arbeitgeber, die sich nicht auf das Arbeitsverhältnis beziehen (zB Darlehensvertrag), ist der ArbN als Verbraucher anzusehen (vgl Pal/ Ellenberger Rn 3). Von § 13 werden darüber hinaus aber auch alle Geschäfte erfasst, die ein ArbN in dieser Eigenschaft tätigt, solange er nur keine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausübt (BAG NJW 2005, 3305, 3308f: „Arbeitsvertrag ist Verbrauchervertrag iSd § 310 III BGB“, ebenso BVerfG NJW 2007, 286; vgl auch Benecke/Pils ZIP 2005, 1956ff; aA Annuß NJW 2002, 2844; Maschmann RdA 2005, 212, 216f; offengelassen noch BAG BB 2004, 1858). Dies gilt auch, wenn das Rechtsgeschäft ganz oder teilw für die Berufstätigkeit bestimmt ist (zB Anschaffung eines Computers für Verwendung am Arbeitsplatz, Pkw für Dienstfahrten; vgl Annuß, NJW 2002, 2844; Pal/Ellenberger Rn 3). Auch die Geschäftsführung einer GmbH wird nach hM nicht als selbständige berufliche, sondern als Tätigkeit im Angestelltenverhältnis angesehen (BGH 133, 71, 78 = NJW 1996, 2156; NJW 2004, 3039, 3040; NJW 2006, 431, 432; NJW 2007, 759; BAG NZA 2010, 939, sofern der Geschäftsführer kein Gesellschafter mit Sperrminorität ist; aA Oldenburg WM 2000, 1935, 1939; vgl § 14 Rn 15). Zwar geht der ArbN einer Erwerbstätigkeit nach und tätigt keine Geschäfte zu konsumtiven Zwecken (hierzu Ultsch, 246ff), doch lassen Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 13 keinen anderen Schluss zu, als den, ArbN im Hinblick auf Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber als Verbraucher anzusehen (vgl hins der Verbrauchereigenschaft des ArbN auch § 491 II Nr 4). Während im europäischen Sekundärrecht jeglicher berufliche Geschäftszweck der Verbrauchereigenschaft entgegensteht, hat der deutsche Gesetzgeber in überschießender Umsetzung der RL den Verbraucherbegriff erweitert (vgl Rn 1a–c). Dies besagt aber nichts für die Anwendbarkeit der Verbraucherschutzvorschriften (BAG NJW 2005, 3305, 3309); diese ist vielmehr für jede in Rede stehende Verbraucherschutznorm gesondert zu beurteilen, und dabei ist zu prüfen, ob spezielle ArbNrechte bzw ausdr gesetzliche Anordnungen oder systematisch-teleologische Erwägungen entgegenstehen (Rn 1a; MüKo/Micklitz/ Purnhagen Rn 4). 15a Die Frage, ob ein ArbN Verbraucher iSd § 13 sein kann, stellt deshalb nur eine Facette der Problematik der Anwendbarkeit der Verbraucherschutzrechte dar (Staud/Habermann § 14 Rn 44). Praktische Bedeutung erlangt die Verbrauchereigenschaft des ArbN vor allem in vier Bereichen (vgl Riesenhuber/v Vogel Jura 2006, 81): aa) Die Anwendbarkeit des § 288 II über den höheren Verzugszins bei Geschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, wird aus teleologischen Gründen verneint (BAG NJW 2005, 3305, 3308; ArbG Hamburg ZGS 2003, 79 m Anm Clemens, der dem Ergebnis unter Hinw auf die europarechtlichen Vorgaben des § 288 II zustimmt); demnach gilt bei Zahlungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis § 288 I (BAG NZA 2005, 694). bb) § 310 III betreffend die Klauselkontrolle in Verbraucherverträgen ist auf Arbeitsverträge anwendbar (BVerfG NJW 2007, 286; BAG NJW 2005, 3305, 3308f). cc) Die Bestimmung des § 312g über das Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen ist auf am Arbeitsplatz geschlossene arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarungen mangels „Überrumpelungssituation“ im Regelfall nicht anwendbar (BAG NJW 2004, 2401, 2405f). Das gilt auch, wenn der ArbN regelmäßig zu Hause arbeitet (BAG NZA 2004, 1295). dd) Bei einer anwaltlichen Erstberatung kommt der ArbN in den Genuss der Kappungsgrenze von § 34 I 3 RVG, wenn individualarbeitsrechtliche Rechtsfragen Gegenstand der Beratung sind (Riesenhuber/v Vogel Jura 2006, 81, 85f). Vgl iÜ zur Verbraucher-Eigenschaft des ArbN Hümmerich/Holthausen NZA 2002, 173, 178; Müller, Der Arbeitnehmer als Verbraucher iSd § 13 BGB, 2005; Reinecke DB 2002, 583, 587 [bejahend] und demggü Kellermann JA 2005, 546, 547f; Mohr AcP 204, 660, 691ff; Tschöpe/Pirscher RdA 2004, 358, 362 [verneinend]). 16 c) Existenzgründergeschäfte – also Geschäfte zur Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit, wie zB die Anmietung von Geschäftsräumen – fallen nicht in den Anwendungsbereich von § 13 (BGH NJW 2005, 1273; Düsseldorf, NJW 2004, 3192; Rostock ZVI 2003, 332ff; BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 18; Staud/ 124

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Natürliche Personen, Verbraucher, Unternehmer

§ 13

Kannowski Rn 55ff; aA München NJW-RR 2004, 913, 914; Nürnberg OLGRp 2003, 335f; Prasse MDR 2004, 961, 963), jedoch nicht, wenn das Geschäft lediglich der Vorbereitung zur Entscheidung über eine Existenzgründung dient (BGH NJW 2008, 435 – „Existenzgründungsbericht“ eines beauftragen Steuerberaters). Aus § 513, wonach Existenzgründer ausdr in den Anwendungsbereich der Bestimmungen über das Verbraucherdarlehen einbezogen werden, ergibt sich im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber Existenzgründer grds nicht als Verbraucher ansieht (BGH NJW 2005, 1273; Rostock ZIV 2003, 332). Da eine entspr Regelung in § 13 gerade nicht getroffen wurde, werden hiervon keine Existenzgründergeschäfte erfasst. Das Arg der Gegenansicht (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 66), Existenzgründer seien unter den Verbraucherbegriff zu subsumieren, weil sie aus der privaten Sphäre heraus tätig würden und es ihnen an Geschäftskompetenz mangele, überzeugt nicht. Denn mit der Entscheidung, in bestimmter Weise unternehmerisch tätig zu werden, und dem Abschluss vorbereitender Geschäfte begibt sich der Existenzgründer in den unternehmerischen Verkehr und agiert gerade nicht mehr „von seiner Rolle als Verbraucher her“ (BGH aaO). Die Unterscheidung zw Geschäften vor und nach Existenzgründung würde iÜ eine künstliche, wenig klare Trennung bewirken (ebenso Kellermann JA 2005, 546, 549). d) Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich, wenn ein Rechtsgeschäft sowohl zu gewerblichen bzw beruflichen 17 als auch zu privaten Zwecken, also zu einem gemischten Zweck geschlossen wird („dual use“, etwa beim Kauf eines Fahrzeugs, das sowohl beruflich als auch privat genutzt werden kann). Teilw sollte ein solches Rechtsgeschäft immer dem privaten Bereich (v Westphalen BB 1996, 2101; Schwerdtfeger DStR 1997, 499, 500) oder dem gewerblich/beruflichen Bereich (BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 12 unter Hinw auf die Geschäftserfahrenheit des zu privaten Zwecken handelnden Unternehmers) zugerechnet werden. Eine solche pauschale Einordnung vermochte jedoch nicht zu überzeugen. Vielmehr ist maßgeblich, welche Zweckbestimmung im Einzelfall überwiegt (hM, Celle NJW-RR 2004, 1645, 1646; Bremen ZGS 2004, 394f; Naumburg WM 1998, 2158; Pal/Ellenberger Rn 4; Hk/Dörner Rn 2; Pfeiffer NJW 1999, 169, 173). Dies ergibt sich inzwischen auch aus dem Wortlaut von § 13 („überwiegend“). Der Gesetzgeber hat nämlich die Umsetzung der VerbraucherrechteRL (RL 2011/83/EU) mit dem VRRL-UG v 20.9.2013 (BGBl I 3642) genutzt, mit Blick auf Erwägungsgrund 17 der VerbraucherrechteRL klarzustellen, dass es bei sog dual-use-Verträgen auf den überwiegenden Zweck ankommt (BT-Drs 17/13951, 96; ausf zu den Folgen der Neuregelung Bülow WM 2014, 1; vertiefend zum europarechtlichen Hintergrund Peintinger GPR 2013, 24). Schließt eine nat Per also einen Vertrag nicht überwiegend zu gewerblichen oder selbständigen beruflichen Zwecken, handelt sie als Verbraucher. Verbleiben Zweifel, wird erwogen, nach dem Rechtsgedanken des § 344 HGB widerlegbar zu vermuten, dass das Rechtsgeschäft für gewerbliche bzw selbständige berufliche Zwecke abgeschlossen wurde (Wolf/Horn/Lindacher4 § 24a AGBG Rn 23; Heinrichs NJW 1996, 2190f). Diese Ansicht ist aber abzulehnen, da § 344 HGB im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz keine Geltung beanspruchen kann (vgl § 14 Rn 17; Wolf/Horn/Lindacher § 310 I Rn 12; NK/Ring §§ 13/14 Rn 31; MüKo/Micklitz/ Purnhagen § 14 Rn 34; Pfeiffer NJW 1999, 169, 173). Wer sich auf den Verbraucherschutz beruft, trägt auch bei „dual use“ die Beweislast (Celle NJW-RR 2004, 1645; Pal/Ellenberger Rn 4); aA NK/Ring § 14 Rn 31, der für einen wirksamen Verbraucherschutz den Kunden in Zweifelsfällen immer als Verbraucher behandeln möchte). e) Handelt bei einem Rechtsgeschäft auf der einen Seite eine Personenmehrheit, von der einige das Rechts- 18 geschäft zu privaten, andere zu gewerblichen bzw beruflichen Zwecken abschließen, gebietet es der Zweck des Verbraucherschutzes, die Verbrauchereigenschaft bei jedem Mitverpflichteten getrennt zu beurteilen (Einzelbetrachtung, vgl auch Rn 9; BGH 133, 71, 76 = NJW 1996, 2156; WM 2000, 1632, 1635; BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 8; Kellermann JA 2005, 546, 547). Welche Folgen sich hieraus ergeben, hängt von der entspr Verbraucherregelung ab. So führt etwa die Verbrauchereigenschaft eines Mitverpflichteten bei einem Finanzierungsleasingvertrag dazu, dass der Vertrag nicht gekündigt werden kann, wenn die verbraucherspezifischen Kündigungsvoraussetzungen des § 500 iVm § 498 nicht vorliegen (BGH 144, 370, 379 = NJW 2000, 3133, 3135). f) Der für die Zweckbindung des Rechtsgeschäfts maßgebliche Zeitpunkt ist der Abschluss des Rechtsgeschäfts, 19 bei Verträgen also der Vertragsschluss (zu § 1 VerbrKrG Hamm WM 2001, 2339, 2340; vgl Pal/Ellenberger Rn 4). Eine nachträgliche Umwidmung des Zwecks ist nicht möglich (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 36ff). Bei der Ermittlung der Zweckbindung entscheidet nicht der Wille des Handelnden, sondern der objektive, durch Auslegung zu ermittelnde Inhalt des Rechtsgeschäfts (Düsseldorf ZGS 2006, 119, 120; Bremen ZGS 2004, 394f; Staud/Habermann § 14 Rn 62; Staud/Matusche-Beckmann § 474 Rn 8; Herresthal JZ 2006, 695, 697; aA Müller NJW 2003, 1975, 1979). Nur so lässt sich die Schutzbedürftigkeit des Handelnden bestimmen, ohne es seiner Willkür zu überlassen, ob er den Schutz der Verbraucherregelungen in Anspruch nehmen möchte oder nicht (BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 14). Keinesfalls kann daher zwingendes Verbraucherschutzrecht durch eine Vereinbarung als „Händlergeschäft“ umgangen werden (Ebers VuR 2005, 361, 364; zu einer entspr Regelung in AGB AG Zeven ZGS 2003, 158f; NK/Ring §§ 13/14 Rn 32; Pal/Ellenberger Rn 4: Unwirksamkeit nach § 309 Nr 12; demgegenüber zur Möglichkeit, die Geltung verbraucherschützender Normen dadurch auszuschließen, dass das Vertragsangebot von vornherein nur auf Geschäftskunden beschränkt wird: Hamm MMR 2008, 469, 470; LG Leipzig VuR 2013, 472, 473). Bei der Auslegung sind freilich auch die Begleitumstände zu beachten: Liegt nach dem objektiven Zweck bei Vertragsschluss mit einer nat Pers Verbraucherhandeln vor, ist eine andere Wertung nur aus erkennbaren Umständen zulässig, die zweifelsfrei und eindeutig auf Unternehmerhandeln hinweisen (BGH NJW 2009, 3780, 3781, der jedoch die weitergehende Frage offenlässt, ob die Zweckrichtung nach objektiven oder subjektiven Kriterien zu bestimmen ist; vgl krit Anm Piekenbrock/Ludwig GPR 2010, 114). Ein zweifelsfreier und eindeutiger Hinw auf Unternehmerhandeln liegt noch nicht vor, wenn eine nat Pers als Lieferadresse einen Unternehmer angibt, jedoch nur selbst als Vertragspartner auftritt (BGH aaO). Wenn jemand bei Abschluss Saenger

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§ 13

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Personen

des Rechtsgeschäfts arglistig vorgibt, Unternehmer zu sein (Scheinunternehmer), kann er sich nach Treu und Glauben nicht auf verbraucherschützende Vorschriften berufen (BGH NJW 2005, 1045 = JR 2005, 284 m Anm Looschelders; offengelassen wurde vom BGH, ob die Zweckrichtung des Rechtsgeschäfts nach subjektiven oder objektiven Kriterien zu bestimmen ist; zust Ebers VuR 2005, 361, 365). Insoweit gebührt dem Grundsatz von Treu und Glauben ggü dem Interesse des unredlichen Vertragspartners der Vorrang. Die Vorschriften zum Verbraucherschutz sollen den Verbraucher vor der Ausnutzung einer Marktposition durch den Unternehmer schützen; sie dienen aber nicht dazu, den Verbraucher vor sich selbst zu schützen (Koblenz OLGRp 2005, 193 zu den Verbrauchsgüterkaufvorschriften). Auch der EuGH sieht die Anwendung eines nationalen Rechtsmissbrauchsverbots auf angeglichenes Recht insoweit als zulässig an, als die zweckwidrige Rechtsausübung zur Erlangung unberechtigter Vorteile verboten wird (EuGHE I 1998, 2843 = WM 1998, 1222, Rn 28, 29). Anders ist es zu beurteilen, wenn der Unternehmer die vorgespielte Unternehmereigenschaft durchschaut. Dann kommt dem Verbraucherschutz mangels schutzwürdigen Vertrauenstatbestandes wiederum der Vorrang zu (BaRo/Schmidt-Räntsch § 14 Rn 15; Schmidt JuS 2006, 1, 8 zu §§ 474ff). g) Die Beweislast, dass das Rechtsgeschäft nicht zu einem Zweck abgeschlossen ist, der ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, trifft im Streitfall die nat Pers, die sich auf Regelungen des Verbraucherschutzes beruft (vgl Rn 17 aE; BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 16; differenzierend Bülow WM 2011, 1349). Eine Beweislastumkehr zugunsten der nat Pers ist (anders als früher in § 1 I 1 VerbrKrG) nicht vorgesehen. IV. Sachlicher Anwendungsbereich. Die Vorschrift erfasst von ihrem sachlichen Anwendungsbereich her nur den Abschluss von Rechtsgeschäften durch Verbraucher. Als Rechtsgeschäfte kommen alle einseitigen, zweiseitigen und mehrseitigen Rechtsgeschäfte im zivilrechtlichen Sinne in Betracht. Seinen Sinngehalt bezieht der sachliche Anwendungsbereich von § 13 erst aus einer Verknüpfung mit demjenigen der jew Verbraucherregelung. So muss bspw für die Anwendung von § 310 III ein „Vertrag“ vorliegen, für §§ 491ff ein „Darlehensvertrag“ und für §§ 358, 359 ein Vertrag über die „Lieferung einer Ware oder Erbringung einer anderen Leistung“. Schwierigkeiten bereitet die Einordnung der Gewinnzusage nach § 661a. Qualifiziert man deren Zusendung als der Auslobung des § 657 ähnelnd, fehlt es wie überhaupt bei der Einordnung als einseitiges Rechtsgeschäft an einer Handlung des Empfängers. Deshalb wird man bei der Beurteilung des Rechtsgeschäfts auf die Sicht des Verbrauchers abzustellen haben, für den sich die Gewinnzusage als Rechtsgeschäft darstellt (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 84f; Hk/Schulze § 661a Rn 1; Lorenz NJW 2000, 3305, 3308). Der Abschluss des Rechtsgeschäfts ist nicht im technischen („Zustandekommen eines Rechtsgeschäftes“, „Schluss eines Vertrags“), sondern in einem weiteren Sinn zu verstehen. Deshalb wird auch die Anbahnung des Rechtsgeschäfts im Vorfeld des Vertragsschlusses erfasst (BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 13; ähnlich Pal/Ellenberger Rn 6). Der Verbraucherbegriff ist deshalb auch im Rahmen der Regelung § 241a über die Lieferung unbestellter Sachen anwendbar (ausweislich BT-Drs 14/2658, 46 erfasst § 241a auch die Lieferung zum Zweck der Vertragsanbahnung; zu § 661a München NJW 2004, 1671).

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Unternehmer1

(1) Unternehmer ist eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. (2) Eine rechtsfähige Personengesellschaft ist eine Personengesellschaft, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen. Zu Schrifttum und Gesetzgebung vgl § 13 vor Rn 1.

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I. „Unternehmer“. 1. Begriff. Das Verbraucherschutzrecht wird – auch durch europäische RL – von den Begriffen Unternehmer und Verbraucher bestimmt. Die Terminologie ist jedoch nicht einheitlich. Vom Unternehmer ist der handelsrechtlich geprägte Begriff des „Gewerbebetriebs“ zu unterscheiden, der etwa in § 269 II Verwendung findet. Hingegen sind die Bezeichnungen „Erwerbsgeschäft“ in § 1822 Nr 3 und „Unternehmer“ in § 84 HGB mit § 14 im Wesentlichen deckungsgleich. Kein Unternehmer iSv § 14 ist jedoch der Werkunternehmer (§ 631), der auch Verbraucher iSv § 13 sein kann. 2. Verhältnis zu § 1 HGB. Auf das Verhältnis von § 14 und § 1 HGB ist der Gesetzgeber nicht eingegangen. Ungeachtet ihrer Parallelen unterscheiden sich die Vorschriften aber insofern, als § 14 im Gegensatz zu § 1 HGB auch freie Berufe und Kleingewerbetreibende umfasst. Ferner beschreibt § 14 den Unternehmer als Vertragspartei, wohingegen es sich bei dem Kaufmann des § 1 HGB um einen Statusbegriff handelt: Ein Kaufmann ist dies ohne Ausnahme und ununterbrochen; seine Kaufmannseigenschaft kann nicht abgelegt werden. Die Unternehmereigenschaft beurteilt sich hingegen nach dem einzelnen Rechtsgeschäft (vgl Schmidt BB 2005, 837, 838, der zw Statusbegriff und Rechtgeschäftslage differenziert). Bei beidseitigen Verbrauchergeschäften sind die verbraucherschutzrechtlichen Sonderregelungen nicht anwendbar. Tätigt ein Kaufmann ein Privatgeschäft, kommt die Anwendung handelsrechtlicher Vorschriften lediglich über § 344 HGB in Betracht (vgl aber Rn 17). Auf 1 Amtl Hinw: Diese Vorschrift dient der Umsetzung der eingangs [Fn S 1] zu den Nummern 3, 4, 6, 7, 9, 11 und 14 genannten Richtlinien.

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Natürliche Personen, Verbraucher, Unternehmer

§ 14

beidseitige Unternehmergeschäfte finden verbraucherschutzrechtliche Bestimmungen ebenfalls keine Anwendung. Handelt es sich bei beiden Parteien um Kaufleute, gelten die Regelungen des HGB. Bei Geschäften zw Verbrauchern und Unternehmern können sowohl verbraucherschutzrechtliche Sonderregelungen Anwendung finden als auch – bei Vorliegen eines einseitigen Handelsgeschäftes iSv § 345 HGB – handelsrechtliche Vorschriften. Aufgrund seines zwingenden Charakters hat das Verbraucherrecht Vorrang vor § 345 HGB, der insofern teleologisch zu reduzieren ist (Schmidt BB 2005, 837, 841; vgl zum Zusammentreffen von Handelskauf und Verbrauchsgüterkauf Hoffmann BB 2005, 2090; zu Handels- und Unternehmergeschäften Weyer WM 2005, 490). 3. Anwendungsbereich. § 14 gilt immer, wenn das BGB oder ein anderes Gesetz vom Unternehmer spricht. Im BGB ist der Unternehmerbegriff maßgeblich in den §§ 241a, 310 III, 312ff, 355ff, 474ff, 481ff, 491ff, 655a, 661a. Außerhalb des BGB ist § 14 in § 1031 V ZPO, § 414 III HGB von Bedeutung. Nicht auf den Unternehmerbegriff verweisen die Schutzvorschriften des Reisevertragsrechts (§§ 651a ff), die nur vom Reisenden sprechen, der auch Unternehmer sein kann, sowie des FernUSG, das nicht vom Unternehmer, sondern vom Veranstalter spricht. II. Persönlicher Anwendungsbereich. 1. Personenqualität des Handelnden. Unternehmer kann nach Abs I jede nat oder jur Pers sein. Gleiches gilt für die rechtsfähige Personengesellschaft, die in Abs II definiert wird. a) Zum einen können nat Pers Unternehmer sein. Erfasst werden damit auch Einzelkaufleute, Freiberufler sowie Land- und Forstwirte. b) Als jur Pers kommen sowohl solche des privaten Rechts (AG, KGaA, GmbH, eG, Verein, Stiftung, supranationale Rechtsformen wie die europäische Aktiengesellschaft SE und die europäische Genossenschaft SCE) als auch des öffentlichen Rechts (öffentlich-rechtl Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts) in Betracht. Für letztere ist dies anerkannt, soweit sie privatrechtliche Verträge schließen (für § 310 III: MüKo/Basedow § 310 Rn 6; für § 491 I: MüKo/Schürnbrand § 491 Rn 8f; Bülow/Artz § 491 Rn 21). Im Zusammenhang mit dem Abschluss öffentlich-rechtl Verträge wird jedenfalls die Anwendbarkeit von § 310 III über AGB bejaht (MüKo/Basedow § 310 Rn 46). Dabei wird auf das Gebot der einheitlichen Anwendung der zugrunde liegenden europäischen RL verwiesen und auf die uneinheitliche Grenzziehung von privat- und öffentlich-rechtl Verträgen in den einzelnen Mitgliedstaaten sowie die EuGH-Rspr, die nur zw konsensualem, also privatrechtlichem Handeln, und einseitigem durch Verwaltungsakt erfolgendem Verwaltungshandeln unterscheidet (dazu EuGH Slg 1976, 1541, 1551 – LTU/Eurocontrol). Im Rahmen des Verbraucherdarlehensrechts ist die Frage der Unternehmereigenschaft öffentlich-rechtl Kreditinstitute bei der Darlehensvergabe durch öffentlich-rechtl Vertrag noch ungeklärt. Diese wird zT unter Hinw auf Sinn und Zweck des Verbraucherdarlehensrechts und die subsidiäre Geltung von Bestimmungen des BGB im Verwaltungsrecht gem § 62 VwVfG bejaht (MüKo/Schürnbrand § 491 Rn 9), zT mit Verweis auf die fehlende Gewerblichkeit des Handelns verneint (Bülow/Artz § 491 Rn 21). Soweit eine jur Pers öffentlichen Rechts bei Abschluss eines öffentlich-rechtl Vertrags jedoch gewerblich tätig wird, steht einer Anwendung von § 14 aufgrund § 62 VwVfG gerade nichts im Wege. Wurde eine jur Pers in einem Mitgliedstaat der EU nach dortigem Recht wirksam begründet, besteht sie nach einer Sitzverlegung in das Inland kraft Gemeinschaftsrechts als jur Pers ausl Rechts weiter (EuGH NJW 2002, 3614 – Überseering; EuZW 2003, 687 – Inspire Art; BGH NJW 2003, 1461); folglich ist sie auch als Unternehmer zu behandeln, wenn sie die übrigen Voraussetzungen erfüllt. c) Rechtsfähige Personengesellschaften iSv Abs II sind OHG (§ 124 HGB), KG (§§ 161 II, 124 HGB), EWiV (Art 1 II EWiV-VO) und Partnerschaft (§§ 7 II PartGG, 124 HGB). Auch die früher umstr Frage der Rechtsfähigkeit der (Außen-)GbR ist nunmehr geklärt. Diese ist – auch ohne jur Pers zu sein – rechtsfähig und kann eigene Rechte und Pflichten begründen, soweit nicht spezielle Gesichtspunkte entgegenstehen (BGH 146, 341, 347 = NJW 2001, 1056; dazu K. Schmidt NJW 2001, 993, zu den Grenzen der Rechtsfähigkeit wie zB der Erbfähigkeit Ulmer ZIP 2001, 585, 594ff). Die GbR kann deshalb auch als Unternehmer in Betracht kommen (Koblenz NJOZ 2002, 2732, 2733). 2. Gewerbliche oder selbständige berufliche Zweckbindung. Die Person muss in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handeln. a) Gewerbliche Tätigkeit ist jede planmäßige und auf Dauer angelegte selbständige wirtschaftliche Tätigkeit unter Teilnahme am Wettbewerb (noch zu § 1 VerbrKrG: BGH NJW 2002, 368, 369; MüKo/Micklitz/Purnhagen vor §§ 13, 14 Rn 115ff). Unter den verbraucherrechtlichen Gewerbebegriff fallen also nicht nur Handelsgewerbe iSv § 1 HGB, sondern ebenfalls Kleingewerbetreibende, Handwerker, Land- und Forstwirte und berufsmäßige Betreuer (BFH NJW 2005, 1006). aa) Gewerbliche Tätigkeit setzt Selbständigkeit voraus. Selbständig handeln weder die im Gewerbebetrieb angestellten Arbeitnehmer noch Beamte, die für ihren Dienstherrn privatrechtliche oder öffentlich-rechtl Verträge schließen. bb) Das Handeln muss auf Dauer angelegt sein und planvoll erfolgen. Der Handelnde muss einen organisatorischen Mindestaufwand betreiben (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 20; Wolf/Horn/Lindacher4 § 24 AGBG Rn 6a). Saisonbetriebe können auf Dauer angelegt sein, wenn sich regelmäßige Tätigkeitsabschnitte mit Ruhepausen abwechseln (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 20; Wolf/Horn/Lindacher4 § 24 AGBG Rn 6a). Ausreichend ist aber auch eine nebenberufliche unternehmerische Tätigkeit, zB die als eBay-Verkäufer (sog power-seller, Frankfurt NJW 2005, 1438; AG Bad Kissingen NJW 2005, 2463; ferner § 13 Rn 14 aE). Sofern ein Verkäufer bei einer Onlineauktion als power-seller auftritt und eine hohe Anzahl von Verkäufen in verhältnismäßig kurzer Zeit tätigt, Saenger

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spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine unternehmerische Tätigkeit. Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit der Betätigung sind insb durch das power-seller-Prädikat indiziert (LG Mainz NJW 2006, 783 = MMR 2006, 51 m Anm Kazemi = CR 2006, 131 m Anm Mankowski; LG Schweinfurt WRP 2004, 654; AG Bad Kissingen NJW 2005, 2463; BaRo/Schmidt-Räntsch § 14 Rn 16; aA Koblenz MMR 2006, 236 [m Anm Mankowski], das aufgrund der fehlenden Transparenz eine Beweislastumkehr zulasten des Verkäufers fordert; weitere Kriterien bei Schmittmann VuR 2006, 223, 224f; jegliche Beweislasterleicherungen abl LG Hof VuR 2004, 109f m krit Anm Mankowski VuR 2004, 79ff). cc) Ob eine gewerbliche Tätigkeit Gewinnerzielungsabsicht oder Entgeltlichkeit voraussetzt, wird im Handelsrecht im Zusammenhang mit der Einordnung öffentlich-rechtl Unternehmen diskutiert (K. Schmidt, HandelsR § 9 II 2d). Es spricht jedoch nichts dafür, Anbieter ohne Gewinnerzielungsabsicht weitergehend als solche mit Gewinnerzielungsabsicht zu schützen, so dass im Verbraucherschutzrecht Entgeltlichkeit für die Annahme unternehmerischer Tätigkeit ausreicht (jedenfalls für das Verbraucherkreditrecht und den Verbrauchsgüterkauf BGH NJW 2006, 2250; Düsseldorf ZGS 2004, 394; BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 8; MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 23ff; Staud/Habermann Rn 38). dd) Hins der Beteiligung am allg wirtschaftlichen Verkehr wird überwiegend auf das Auftreten am Markt abgestellt (Ulmer/Brandner/Hensen § 310 Rn 18; Wolf/Horn/Lindacher4 § 24 Rn 6a; v Westphalen/Emmerich/v Rottenburg § 1 VerbrKrG Rn 11). Nach richtiger Ansicht muss die Tätigkeit sich jedoch nicht als Tätigkeit am Markt im Wettbewerb mit anderen Unternehmen darstellen (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 26). Im Gegensatz zum Handelsrecht, das der Rechtsklarheit, Publizität und dem Vertrauensschutz dient, bezwecken Verbraucherschutzgesetze den Ausgleich vermuteten wirtschaftlichen Ungleichgewichts. Dies hängt aber nicht vom Auftreten des Unternehmers im Einzelfall ab, weshalb auf dieses Kriterium verzichtet werden kann. Zur Abgrenzung der gewerblichen Tätigkeit zur privaten Vermögensverwaltung, s § 13 Rn 14. Keine Unternehmer sind mangels eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts sog Scheinunternehmer, die bei Vertragsschluss den Rechtsschein unternehmerischen Handelns erwecken, in Wirklichkeit aber zu privaten Zwecken tätig werden (aA Ulmer/Brandner/ Hensen § 310 Rn 16; Wolf/Horn/Lindacher4 § 24 AGBG Rn 7). Bei arglistiger Vorgabe der Unternehmereigenschaft kann es ihnen aber verwehrt sein, sich auf den Verbraucherschutz zu berufen (vgl § 13 Rn 19). Ein Strohmann, der auf Grundlage einer wirksamen Abrede für einen Unternehmer tätig wird, ist hingegen kein Verbraucher (BGH NJW 2002, 2030). Auf eine öffentlich-rechtl Erlaubnis der Tätigkeit kommt es iÜ nicht an (BT-Drs 14/8444, 24; MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 27). ee) Auch Existenzgründer gelten grds als Unternehmer (BGH NJW 2005, 1273; im Einz § 13 Rn 16). Diese können nur ausnahmsweise aufgrund besonderer Regelung – wie im Verbraucherdarlehensrecht § 513 – Verbrauchern gleichgestellt sein. Ihrer Qualifizierung als Unternehmer steht auch nicht die Formulierung von Abs I entgegen. Soweit dort darauf abgestellt wird, dass der Unternehmer „in Ausübung“ der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt, ließe sich dies zwar auch dahingehend auslegen, dass es erst dann angemessen ist, eine Person mit den für Unternehmer geltenden Rechtsfolgen zu belasten, wenn sie eine gewisse Geschäftskompetenz erreicht hat (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 18). Diese Wendung soll indes nur verdeutlichen, dass der Vertragsabschluss mit der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit in einem sachlichen Zusammenhang stehen muss (Staud/Habermann Rn 49f; Ulmer/Brandner/Hensen § 310 Rn 23). b) Eine selbständige berufliche Tätigkeit üben Angehörige der freien Berufe aus, die traditionell kein Gewerbe betreiben. Wie die gewerbliche Tätigkeit muss auch die selbständige berufliche Tätigkeit planvoll, auf gewisse Dauer ausgerichtet und entgeltlich sein (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 21, 30ff). Das Merkmal „selbständig“ dient der Abgrenzung von der unselbständigen Arbeit. Bei der Beurteilung kann § 84 I 2 HGB herangezogen werden (Staud/Kessal-Wulf § 491 Rn 36), wonach Selbständigkeit vorliegt, wenn es die berufliche Tätigkeit dem Handelnden erlaubt, seine Tätigkeit im Wesentlichen frei zu gestalten und die Arbeitszeit frei zu bestimmen. Die Geschäftsführung einer GmbH durch einen Gesellschafter wird nach hM nicht als selbständige, sondern als angestellte berufliche Tätigkeit angesehen (BGH NJW 2006, 431, 432; NJW 2004, 3039, 3040; 133, 71, 78 = NJW 1996, 2156; Brandenburg NJ 2006, 274 m Anm Mayer/Müller; BAG NZA 2010, 939; aA Oldenburg WM 2000, 1935, 1939). Dies gilt nicht nur für Verträge mit Drittunternehmen, sondern auch für das Verhältnis des Fremdgeschäftsführers zur GmbH, für die er als Organ auftreten soll (Hümmerich NZA 2006, 709, 711). Anders ist die Rechtslage für einen Gesellschaftergeschäftsführer, der mehrheitlich oder mit einer Sperrminorität an der Gesellschaft beteiligt ist. Bei dem Anstellungsverhältnis zw ihm und der Gesellschaft ist er aufgrund seiner selbständigen beruflichen Tätigkeit nicht als Verbraucher anzusehen (BAG NZA 2010, 939; Hümmerich NZA 2006, 709, 711). Arbeitnehmerähnliche Personen, die zwar nicht formal-rechtlich, aber wirtschaftlich und faktisch abhängig sind, sind ebenso schutzbedürftig wie ArbN, so dass sie keine selbständige berufliche Tätigkeit iSv § 14 ausüben, sondern als Verbraucher zu qualifizieren sind (Bülow/Artz § 491 Rn 55; Artz, Der Verbraucher als Kreditnehmer, 2001, 162, 165; Bülow FS Derleder, 27, 32). Das gilt allerdings nur für ihre Rolle als Nachfrager, nicht jedoch für eine Anbietertätigkeit. Scheinselbständige, also Erwerbstätige, die vertraglich als Selbständige behandelt werden, jedoch faktisch wie abhängig Beschäftigte arbeiten (BT-Drs 13/6549, 5), sind als solche zu behandeln und somit Verbraucher (Bülow/Artz § 491 Rn 56; Bülow FS Derleder, 27ff; Schmidt JuS 2006, 1, 3; ausf Debald, Scheinselbständige – Verbraucher iSd § 13 BGB?, 2005). Bezieher des früheren Existenzgründerzuschusses nach § 421 I 1 SGB III (sog Ich-AG, vgl heutigen Gründungszuschuss nach § 93 SGB III) sind bei Rechtsgeschäften mit ihren Kunden Unternehmer (BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 11; Bülow FS Derleder, 27, 35). Denn der Exis-

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tenzgründerzuschuss wird nur für die wirklich selbständige berufliche Tätigkeit gewährt (Bülow FS Derleder, 27, 34). Die selbständige berufliche Tätigkeit ist somit der Oberbegriff, der die gewerbliche Tätigkeit umfasst und darüber hinaus die freien Berufe sowie andere nach dem Gesamtbild selbständig beruflich Tätige einbezieht (ähnlich MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 21, 30ff; Wolf/Horn/Lindacher4 § 24 AGBG Rn 6b). Teilw wird auch auf eine genaue Unterscheidung der Begriffe „gewerblich“ und „selbständig beruflich“ ganz verzichtet (Staud/Kessal-Wulf § 491 Rn 3ff; Bülow/Artz § 491 Rn 18). c) Zweifelhaft ist, ob in entspr Anwendung von § 344 HGB eine Vermutung für einen sachlichen Zusammenhang zw Vertragsabschluss und gewerblicher bzw selbständiger beruflicher Tätigkeit spricht. ZT wird die Ansicht vertreten, aus § 344 HGB sei ein allg Rechtsgedanke abzuleiten, wonach Rechtsgeschäfte nat Pers, die einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit nachgehen, im Zweifel als in Ausübung der Erwerbstätigkeit geschlossen gelten (BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 14; Mankowski VuR 2004, 79, 80f; ebenso noch Ulmer/Brandner/ Hensen10 § 310 Rn 22; differenzierend Weyer WM 2005, 490, 500f, wonach sich die Vermutung des § 344 I HGB nur im Einzelfall mit zusätzlichen Vertrauensschutzerwägungen begründen lasse). §§ 13, 14 bezwecken aber den Ausgleich vermuteter wirtschaftlicher Ungleichheit und sind damit im Unterschied zu den handelsrechtlichen Regelungen gerade nicht auf Publizität und Vertrauensschutz gerichtet. Deshalb ist keine vergleichbare Interessenlage gegeben und scheidet eine analoge Anwendung von § 344 HGB aus (MüKo/Micklitz/Purnhagen Rn 34f; i Erg ebenso BGH NJW 2009, 3780, 3781; zust auch Pal/Ellenberger Rn 2). Dessen Anwendbarkeit würde zudem die Beweislastverteilung zulasten des privat handelnden Unternehmers verschlechtern (Staud/Habermann Rn 76f, der eine Indizierung des Unternehmerhandelns bei objektivem Bezug zur Geschäftstätigkeit als weniger einschneidende Maßnahme vorschlägt; Herresthal JZ 2006, 695, 699; für § 24 AGBG Pfeiffer NJW 1999, 169, 173; aA Preis ZHR 158 [1994], 567, 602, der darauf abstellt, dass zugleich der Verbraucher als Vertragspartner des – privat handelnden – Unternehmers entlastet werde). Zur Beweiserleichterung im Rahmen von Online-Auktionen s Rn 11. Bei einer GmbH, die als jur Pers nicht unter den Verbraucherbegriff fällt, ist die gesetzliche Vermutung des § 344 HGB anwendbar, sodass auch der Verkauf beweglicher Sachen im Zweifel zum Betrieb des Handelsgewerbes gehört, selbst wenn es sich dabei um ein branchenfremdes Nebengeschäft handelt (BGH NJW 2011, 3435, 3436). d) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ermittlung der Zweckbindung ist die Vornahme des Rechtsgeschäftes, also bei Verträgen der Vertragsschluss (noch zu § 1 VerbrKrG: Hamm WM 2001, 2339, 2340; Hk/Dörner Rn 2). Eine nachträgliche Umwidmung des Zwecks ist nicht möglich. Bei der Ermittlung der Zweckbindung entscheidet nicht der Wille des Handelnden, sondern der objektive, durch Auslegung zu ermittelnde Inhalt des Rechtsgeschäfts (BGH NJW 2009, 3780, 3781; NJW 2005, 1273; Düsseldorf ZGS 2006, 119, 120; Bremen ZGS 2004, 394f). Nur so lässt sich die Schutzbedürftigkeit des Handelnden bestimmen, ohne es seiner Willkür zu überlassen, ob er den Schutz der Verbraucherregelungen in Anspruch nehmen möchte (BaRo/Schmidt-Räntsch Rn 14; Staud/Kannowski, § 13 Rn 43). Auslegungskriterien sind der Inhalt des Vertrags sowie die Begleitumstände. Hierzu § 13 Rn 19. III. Sachlicher Anwendungsbereich. Auch § 14 erfasst von seinem sachlichen Anwendungsbereich her nur den Abschluss von Rechtsgeschäften (dazu § 13 Rn 21f) zw Unternehmern und Verbrauchern. Auf beidseitige Unternehmergeschäfte ist die Vorschrift nicht anwendbar.

§§ 15–20

(weggefallen)

Titel 2 Juristische Personen Untertitel 1 Vereine Kapitel 1 Allgemeine Vorschriften Vorbemerkung vor § 21 Schrifttum: Bartodziej, Ansprüche auf Mitgliedschaft in Vereinen und Verbänden, ZGR 1991, 517; Beuthien, Wie ideell muss ein Idealverein sein?, NZG 2015, 449; Beuthien, Was macht einen Verein wirtschaftlich?, WM 2017, 645; Buck, Wissen und juristische Person, 2000; Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1987; Grunewald, Vereinsaufnahme und Kontrahierungszwang, AcP 182, 181; Grunewald/Hennrichs, Haftungsrisiken der Vorstandsmitglieder insolvenzgefährdeter Vereine, FS Hopt, 2010, 93; Hadding, Modernisierung des Vereinsrechts – zum Gesetzesentwurf des Landes Baden-Württemberg, FS Reuter, 2010, 93; Hadding/van Look, Zur Ausschließung aus Vereinen des bürgerlichen Rechts, ZGR 1988, 270; Häuser/

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van Look, Zur Änderung des Zwecks beim eingetragenen Verein, ZIP 1986, 749; Heermann, Haftung des Vereinsvorstands bei Ressortaufteilung sowie für unternehmerische Entscheidungen, NJW 2016, 1687; Hemmerich, Die Ausgliederung bei Idealvereinen, BB 983, 26; Hemmerich, Möglichkeiten und Grenzen wirtschaftlicher Betätigung von Idealvereinen, 1981; John, Die organisierte Rechtsperson, 1977; Kirberger, Zur Vertretung des eingetragenen Vereins bei mehrgliedrigem Vereinsvorstand, Rpfleger 1975, 277; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997; Kreutz, Der Idealverein in der Insolvenz – zur Auswirkung von § 31a BGB im Vereinsinsolvenzrecht, DZWiR 2013, 497; Larenz, Zur Rechtmäßigkeit einer „Vereinsstrafe“, GS Dietz, 1973, 45; Lehmann, Der Begriff der Rechtsfähigkeit, AcP 207, 225; Leuschner, Der Zweck heiligt doch nicht die Mittel, NJW 2017, 1919; Leuschner, Das Haftungsprivileg der §§ 31a, 31b BGB, NZG 2014, 281; Leuschner, Die Registersache FC Bayern München eV, NZG 2017, 16; Leuschner, Zwischen Gläubigerschutz und Corporate Governance – Reformperspektiven des Vereinsrechts, npoR 2016, 99; Leuschner, Ist der ADAC zu Recht ein eingetragener Verein?, ZIP 2015, 356; van Look, Vereinsstrafen als Vertragsstrafen, 1990; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180, 84; Martinek, Repräsentantenhaftung, 1979; Meyer, Haftungsprivilegien bei Idealverbänden ohne Rechtspersönlichkeit?, ZGR 2008, 702; Muscheler, Der Notvorstand in Verein und Stiftung, FS Reuter, 2010, 225; Raiser, Allgemeine Vorschriften über juristische Personen in einem künftigen BGB, ZGR 2016, 781; Reichert, Handbuch Vereins- und Verbandsrecht, 13. Aufl 2016; Reuter, Die Änderung des Vereinszwecks, ZGR 1987, 475; Reuter, Die Verbände in der Privatrechtsordnung, FS 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, Band II, 211; Reuter, Das Verhältnis der Vereinsklassenabgrenzung zu den Grenzen wirtschaftlicher Betätigung nach Gemeinnützigkeitsrecht, NZG 2008, 881; Reuter, (Keine) Durchgriffshaftung der Vereinsmitglieder wegen Rechtsformverfehlung, NZG 2008, 650; Reuter, Keine Vorstandshaftung für masseschmälernde Leistungen nach Eintritt der Insolvenzreife des Vereins?, NZG 2010, 808; Reuter, Der Verein im Verein, FS Hopt, 2010, 195; Reuter, Probleme der Mitgliedschaft beim Idealverein, ZHR 145, 273; Reuter, Zur Vereinsrechtsreform 2009, NZG 2009, 1368; Rieble, Die Vereinsverschmelzung, JZ 1991, 658; Sack, Der „vollkaufmännische Idealverein“, ZGR 1974, 179; Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 20. Aufl 2016; Schäfer, Der Verzicht auf die Rechtsfähigkeit des eingetragenen Vereins, RNotZ 2008, 22; Schauhoff/Kirchhain, Der wirtschaftlich tätige gemeinnützige Verein – zur Auslegung des § 21 BGB, ZIP 2016, 1857; Schlosser, Vereins- und Verbandsgerichtsbarkeit, 1972; K. Schmidt, Die Abgrenzung der beiden Vereinsklassen, Rpfleger 1972, 286, 342; K. Schmidt, Anfechtung von Versammlungsbeschlüssen in gegliederten Vereinen, FS Reuter, 2010, 345; K. Schmidt, Der bürgerlich-rechtliche Verein mit wirtschaftlicher Tätigkeit, AcP 182, 1; K. Schmidt, Die Partei- und Grundbuchunfähigkeit nichtrechtsfähiger Vereine, NJW 1984, 2249; K. Schmidt, Der Subsidiaritätsgrundsatz im vereinsrechtlichen Konzessionssystem, NJW 1979, 2239; K. Schmidt, Eintragungsfähige und eintragungsunfähige Vereine, Rpfleger 1988, 45; K. Schmidt, Wirtschaftliche Betätigung und Idealverein: Überschreitung des „Non-Profit“-Privilegs, ZIP 2007, 605; K. Schmidt, Ultra-vires-Doktrin: tot oder lebendig?, AcP 184, 529; K. Schmidt, Verbandszweck und Rechtsfähigkeit im Vereinsrecht, 1984; Schöpflin, Der nicht rechtsfähige Verein, 2003; Schwab, Handelndenhaftung und gesetzliche Verbindlichkeiten, NZG 2012, 481; Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 1955; Sidorra, Die Kita-Rechtsprechung des Kammergerichts, npoR 2017, 45; Steinbeck, Vereinsautonomie und Dritteinfluss, 1999; Stöber/Otto, Handbuch zum Vereinsrecht, 11. Aufl 2016; Terner, Neues zum Vereinsrecht, NJW 2008, 16; Terner, Vereinsrechtsreform, DNotZ 2010, 5; Ullrich, Der Vereins- und Parteiausschluss aus politisch-inhaltlichen Gründen, JZ 2014, 1084; Vieweg, Die gerichtliche Nachprüfung von Vereinsstrafen und -entscheidungen, JZ 1984, 167; Wagner, Die Entwicklungen im Vereinsrecht, NZG 2015, 1377; NZG 2016, 104; H. P. Westermann, Insolvenzrechtliche Haftung der Vorstände von Idealvereinen, FS v Westphalen, 2010, 755; H.P. Westermann, Organisationsformen für Sportunternehmen – von der Rechtsform des eingetragenen Vereins zur Kapitalgesellschaft, in: Sport und Recht, hrsg. vom Justizministerium Baden-Württemberg, 2001, 42; H. P. Westermann, Verbandsautonomie und staatliches Rechtsprechungsmonopol, in Verbandsrecht und staatliche Gerichtsbarkeit, 1988, 41; H. P. Westermann, Zur Legitimität der Verbandsgerichtsbarkeit, JZ 1972, 537; H. P. Westermann, Die Verbandsstrafgewalt und das allgemeine Recht, 1972; Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981; Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963.

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1. Bedeutung. Die Bedeutung der jur Pers ist groß. Sie bietet die Form, Personen oder Mittel zu einem Zweck zusammenzufassen, wobei der in ihr verbundene Personenkreis idR mehrere Personen umfasst, aber auch auf eine reduziert sein kann, obwohl sie auch dann ein von der Person ihrer Mitglieder unabhängiges Rechtssubjekt darstellt. Diese zumindest rechtstechnische Verselbständigung der jur Pers ggü den Mitgliedern hat weittragende Folgen für das Vermögen, die Haftung usw. 2. Begriff. Der Begriff der jur Pers ist als Zusammenfassung von Personen oder Gegenständen zu einer Organisation, der von der Rechtsordnung Rechtsfähigkeit verliehen ist, zu bestimmen. Über das Wesen der jur Pers herrscht Streit; aus der Fülle der Ansichten treten als Gegensätze hervor die römisch-rechtliche Fiktionstheorie (Savigny, Puchta, Windscheid), nach der die jur Pers nur eine vorgestellte Person (ein gedachter Mensch) ist, die die Bedürfnisse der Rechtstechnik befriedigen soll, und die aus deutschrechtlichen Gedanken entwickelte Theorie der realen Verbandsperson (Beseler, v Gierke), nach der die jur Pers eine Person mit wirklichem Gesamtwillen ist. Grundlegende Arbeiten, etwa von Flume (AT des Bürgerlichen Rechts, 1. Band, 2. Teil; dazu John AcP 185, 209ff) und John (Die organisierte Rechtsperson 1977) haben diesen Ansätzen neue Impulse gegeben, während in grundlegend andere Richtung gehende, zT philosophische, zT die rechtssoziologische Dimension zusätzlich betonende Untersuchungen (Rittner, Die werdende jur Pers, 1973; Ott, Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977; zu beiden krit MüKo/Reuter Vor § 21 Rn 5) sich von der Betrachtungsweise des geschriebenen Rechts weitgehend lösen, aber nicht daran vorbeikommen, dass es sich immer um ein Sondervermögen der am Verband beteiligten Personen, womöglich auch nur einer, handelt. Somit besteht heute weitgehend Einigkeit über das Verständnis der juristischen Persönlichkeit als Zweckschöpfung der positiven Rechtsordnung (Wiedemann WM 1975, Beil. 4; Soergel/Hadding Rn 6; K. Schmidt, Verbandszweck, 5ff; anders Th. Raiser AcP 199, 104, 135). Die jur Pers ist keine in der Natur vorgefundene real überindividuelle Einheit, sondern fasst gesetzgeberische Wertungen der Erfordernisse zusammen, bei deren Vorliegen die Rechtsordnung eine Organisation von Personen und/oder Sachen zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks von diesen Personen ablöst und ihr eigene rechtliche Identität verleiht, sie zum Zurechnungsendpunkt von Rechten und Pflichten macht (BGH 25, 134, 144; im wissenschaftlichen Schrifttum besonders John, Die organisierte Rechtsperson, 130

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74ff) und die Haftungsbeschränkung der in ihr zusammengeschlossenen nat Pers ermöglicht (nicht zugleich: in den Einzelheiten festlegt), die freilich nicht zu den Begriffsmerkmalen zählen soll (Raiser NZG 2016, 781). Die Gesetze geben daher nicht schlechthin der jur Pers, sondern jeweils bestimmten und bestimmte Arten von Zwecken verfolgenden Personenverbänden eine Rahmenordnung für ihre Verfassung, ihre „Identitätsausstattung“ (John). Das bedeutet auch ein Konzept der Haftung für die bei der Verfolgung ihres Zwecks entstehenden rechtsgeschäftlichen und deliktischen Verbindlichkeiten. Insoweit besteht ein Zusammenhang von Verbandszweck und Rechtsfähigkeit (K. Schmidt, Verbandszweck, 28; dazu auch Reuter ZHR 151, 237, 239), indem zwar nicht die Möglichkeit, Zurechnungsendpunkt von Rechten und Pflichten zu sein, wohl aber die vom Gesetz gegebene Rahmenverfassung für Zweckverfolgung und Schuldenhaftung auf bestimmte Typen von – im Rechtsleben vorgefundenen – Zwecken zugeschnitten ist. Wo dieser privatrechtliche Zusammenhang vom Gesetz falsch gesehen ist (etwa bei § 54) oder sich in der Tatsachenwelt anders entwickelt hat (Überschneidungen zw „personalistischen“ und „körperschaftlichen“ Verbandstypen), gibt es immer wieder bedeutende Abweichungen von Rechtsform (juristische Persönlichkeit oder Gesamthandsgemeinschaft) und Typus des Personenverbandes. Die privatrechtlichen Personenverbände müssen sich aber, wenn sie am Rechtsverkehr teilnehmen wollen, an die vom Gesetz vorgesehenen Rechtsformen halten, die allerdings, von der AG abgesehen, verhältnismäßig großen Gestaltungsspielraum gewähren; nicht ausgeschlossen, dass in der Rechtsform des eV Stiftungszwecke verfolgt werden (Reichert, Rn 213), doch kann die Namensbezeichnung des Vereins als „Stiftung“ irreführend sein, Köln NZG 1998, 35. Soweit volle juristische Persönlichkeit (zu unterscheiden von der Rechtsfähigkeit eines Gebildes wie der GbR oder der Wohnungseigentümergemeinschaft) angestrebt wird, bedarf es nach dem in Deutschland herrschenden System der Normativbestimmungen einer Registereintragung, auf die bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch besteht; im Eintragungsverfahren findet dann eine Kontrolle durch das Registergericht auf die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen statt. Diese Eintragung wirkt dann konstitutiv. 3. Besteht die eigene juristische Persönlichkeit danach in der materiellen und formellen Trennung der Zustän- 3 digkeiten von Personenverband und Mitgliedern (Trennungsprinzip), so entspricht es doch dem Ansatz bei der wertungsgebundenen Zweckschöpfung, dass ausnahmsweise der Sinn einzelner gesetzlicher Institutionen, soweit es Rechtsbeziehungen der jur Pers betrifft, eine Berücksichtigung der Verhältnisse der Mitglieder oder gar eine Gleichstellung der jur Pers mit ihren Mitgliedern erfordern kann. Dies ist der Kern des Problems des sog Durchgriffs durch die jur Pers, das sich als Frage der richtigen Normanwendung darstellt (Müller-Freienfels AcP 156, 525; Coing NJW 1977, 1793; E. Rehbinder, Konzernaußenrecht und allg Privatrecht, 1969, 109; ders FS R. Fischer, 579ff; zust Soergel/Hadding Vor § 21 Rn 39; krit MüKo/Reuter Rn 22; gänzlich abl Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der jur Pers, 1981, 11ff, 185). Allerdings werden mit dem zwar plastischen, aber wenig fassbaren Ausdruck „Durchgriff“ im Einz sehr verschiedene normative Überlegungen bezeichnet. Dabei ist grds danach zu unterscheiden, ob bei der Auslegung von Normen oder Rechtsgeschäften, die sich auf die Rechtsverhältnisse einer jur Pers beziehen, auf die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse der Mitglieder oder der einzigen Trägerperson abzustellen ist, oder ob bei einer Entscheidung über die Inhaberschaft an Rechten bzw die Schuldnerschaft bzgl einer Verbindlichkeit die formale Verselbständigung der jur Pers beiseitegeschoben wird. Die praktische Bedeutung der Rechtsfigur des Durchgriffs liegt hauptsächlich im Kapitalgesellschaftsrecht, wo konzernrechtliche Aspekte, die verschiedenen Fallgruppen der Unterkapitalisierung, zuletzt auch noch die Verantwortung für existenzvernichtende Eingriffe in das Vermögen der juristischen Person hinzukommen (näher H-P. Westermann in: Bürgers/Körber § 1 AktG Rn 26 ff., 29 ff.) Die erste Fallgruppe, der Zurechnungsdurchgriff, umfasst heterogene Fälle der Zurechnung von Kenntnissen 4 eines Alleingesellschafters zum Wissen der jur Pers, etwa im Zusammenhang mit gutgläubigem Erwerb bei Geschäften zwischen Verein und Vereinsmitglied (MüKo/Reuter Rn 27; weitergehend Wilhelm aaO, 47ff), oder die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch nach Maßgabe der Vermögensverhältnisse der am Prozess „wirtschaftlich beteiligten“ Trägerperson, § 116 I Nr 2 ZPO; BGH NJW 1986, 2058. Gesellschaftsrechtliche Stimmverbote können für ein Organmitglied auch dann eingreifen, wenn seine Tätigkeit einer jur Pers zuzurechnen ist, deren Beziehungen zu der Gesellschaft oder dem Verein bei der Abstimmung in Rede stehen, BGH NJW 1977, 850; im Kapitalgesellschaftsrecht gehört die Frage in den Zusammenhang der Behandlung der „related parties transactions“ (dazu Tröger AG 2015, 53 ff; Selzner ZIP 2015, 753; Fleischer BB 2014, 2691; Bayer/Selentin NZG 2015, 7, 10 f.). Zur zweiten Gruppe gehören zum einen die Fälle des sog Haftungsdurchgriffs, bei dem es darum geht, dass für 5 die Verbindlichkeiten einer jur Pers deren Mitglieder haften sollen. Hierbei ist mit der Rspr (BGH 20, 4; 29, 385, 392; 45, 204, 208; 54, 221, 224; 78, 318, 333; 95, 330; 125, 386) davon auszugehen, dass erhebliche Anforderungen an einen Tatbestand zu stellen sind, der dazu berechtigt, ausnahmsweise die Trennung der Vermögenssphären zu überwinden. Das galt sogar für die Einmann-Gesellschaft (BGH 22, 226, 234). Ein derartiger Durchgriff ist theoretisch unproblematisch, wenn dem Gesellschafter nachgewiesen werden kann, dass er seinen Einfluss auf die jur Pers oder überhaupt die Trennung der Vermögenssphären bewusst zum Nachteil der Vertragspartner der jur Pers eingesetzt hat (§ 826, dazu H. P. Westermann Jura 1980, 532 zu BGH NJW 1979, 2104; Oldenburg NZG 2000, 555 m Anm Emmerich; Jena EWiR § 823 BGB 2/02 m Kurzkomm Meyke; Timm/Geuting ZIP 1992, 821, 824; BGH WM 2001, 2068, wo betont wird, dass die Haftung aus § 826 nicht an die Voraussetzungen der Durchgriffslehre gebunden ist). In Fällen der Durchgriffshaftung gilt auch § 93 InsO (BGH ZIP 2006, 467). Bisweilen wird auch die Berufung auf die rechtliche Selbständigkeit der jur Pers (und die daraus folgende HafWestermann

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tungsbeschränkung) als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen, wobei Rechtsscheinsgesichtspunkte hinzutreten, wenn das Mitglied ständig seine wirtschaftliche Identität mit der jur Pers betont hat (BGH WM 1960, 1119). Zu einem Haftungsdurchgriff kann es auch ohne die strengen subjektiven Anforderungen des § 826 kommen, wenn den Mitgliedern oder Gesellschaftern eine Vermischung der Vermögenssphären von jur Pers und Trägerpersonen, durch die eine Gläubigergefährdung eintritt, zugerechnet werden kann (zurückhaltend noch BGH DB 1958, 169; s aber Nürnberg WM 1955, 1566; BGH 68, 312, 315; 95, 330; 165, 85; BSG AG 1995, 279; H. P. Westermann, Die AG 1985, 201ff; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 224; Henze, NZG 2003, 649, 658; Röhricht, FS BGH I, 2000, 83, 89f; krit Wilhelm aaO, 293ff). BGH 125, 366 denkt dabei an eine Haftung nur derjenigen Mitglieder, die kraft ihres Einflusses auf die jur Pers für die Vermögensvermischung verantwortlich sind. Gegen einen Minderheitsgesellschafter wird somit eine Durchgriffshaftung wegen Vermögensvermischung nicht in Betracht kommen; dazu auch K. Schmidt ZIP 1994, 837. Ein Durchgriffsfall kann andererseits gerechtfertigt sein, wenn eine Vermögensvermischung den besonders im Kapitalgesellschaftsrecht streng durchgeführten Schutz des Gesellschaftsvermögens vor Verschiebungen zugunsten der Gesellschafter erschwert und bestehende Ansprüche aus §§ 30ff GmbHG oder §§ 57ff AktG die Vermögensvermischungen nicht mehr effektiv korrigieren können (K. Schmidt BB 1985, 2074ff; Stimpel, FS Goerdeler, 601ff). Hauptsächlich im GmbH-Recht wird auch diskutiert, ob die schwere und für die Gesellschafter erkennbare materielle Unterkapitalisierung der Gesellschaft zum Durchgriff berechtigt, näher Scholz/Emmerich § 13 GmbHG Rn 81ff. Hier wird die Möglichkeit eines echten Haftungsdurchgriffs jedenfalls im Schrifttum verbreitet angenommen (Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 570ff; Ulmer, FS Duden, 661ff). Der BGH hat dies bei Handelsgesellschaften, bei denen eine angemessene Kapitalausstattung nicht vorgeschrieben ist, bisher abgelehnt (BGH 68, 312; WM 2001, 2070; s aber auch BGH NJW 1977, 1683 und dazu krit Emmerich NJW 1977, 2163; in der Rspr Rostock DB 1996, 1818; zurückhaltend nach früher weitergehender Praxis BSG GmbHR 1996, 604; DB 1996, 1475). Für den Idealverein ist eine gleich gefährdende Vermischung von Vereins- und Mitgliedervermögen wenig lebensnah, so dass dieser Aspekt der Durchgriffslehre kaum in Betracht kommt (MüKo/Reuter Rn 35). Anders bei treuwidrigem Vorschieben der jur Pers (BGH 54, 222 für die Pächter eines vermögenslosen Vereins; für eine Lösung dieses Falls über eine Vertragsauslegung E. Rehbinder, FS Fischer, 602). 6 Zur Begründung eines Haftungsdurchgriffs auf die Mitglieder jur Pers hat es eine Reihe von rechtsfortbildenden Ansätzen gegeben, namentlich in Bezug auf die GmbH und hier besonders den GmbH-Konzern, wobei die Entscheidungspraxis zeitweise von der Figur des qualifizierten faktischen Konzerns bestimmt wurde (BGH 95, 333 – Autokran; 107, 7, 17 – Tiefbau; 115, 187 – Video). Später hat aber der BGH die Konstruktion des Missbrauchs der Haftungsbeschränkung durch existenzvernichtenden Eingriff verlassen und wendet § 826 an, aus dem eine Innenhaftung ggü der GmbH folge, BGH 133, 246 = ZIP 2007, 1552, dazu Paefgen DB 2007, 1907; für das Vereinsrecht kommt diese Sichtweise nicht mehr in Betracht, BGH NZG 2008, 670, 673, anders MüKo/Reuter Rn 41, 42. Es handelt sich um einen Systemwechsel, der besonders wegen der für die Gläubiger mühsamen Befriedigung kritisiert wird (Dauner-Lieb ZGR 2008, 34ff; Altmeppen ZIP 2007, 2657; J. Vetter BB 2007, 1965). Für das Vereinsrecht bejaht der BGH nach seiner zum Kolping-Werk-Fall ergangenen Grundsatzentscheidung BGH 175, 12 = ZIP 2008, 364 am Rande eine Haftung aus § 826, wenn sich Mitglieder aus dem zweckgebundenen Vermögen der jur Pers selbst bedienen. IÜ aber wurde in diesem, einen aufsehenerregenden Spruch des OLG Dresden (ZIP 2005, 1680; abl schon K. Schmidt ZIP 2005, 168) korrigierenden Urt die Möglichkeit einer Durchgriffshaftung der Vereinsmitglieder für die Verbindlichkeiten eines Vereins, der sich als Spitze einer Gruppe von Vereinen mit gleicher Zielsetzung außerhalb seines satzungsmäßigen Zwecks in bedeutendem Umfang wirtschaftlich betätigt hat, abgelehnt, weil eine Durchbrechung der Trennung der jur Pers von den hinter ihr stehenden Personen auf Ausnahmefälle einer missbräuchlichen Ausnutzung beschränkt werden müsse (zust insoweit K. Schmidt ZIP 2007, 605). Als Tatbestände dieser Art werden Vermögensverschiebungen im Konzern und die Verschleierung von Bonitätsproblemen genannt, die bloße Überschreitung der Zweckbegrenzung des Idealvereins über das Nebenzweckprivileg (§ 21 Rn 4) hinaus genüge hierfür nicht. Dem Urt ist durchweg zugestimmt worden (Hofmeister ZIP 2009, 161ff; Hüttemann-Meyer LMK 2008, 256400; Hadding/Leuschner WuB II N § 21 BGB 1.08; Seltmann DStR 2008, 1443ff), außerhalb des Haftungsdurchgriffs bleiben aber Fragen. So wird die Annahme des BGH, die Folgen einer durch die Aufnahme eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs zustande gekommenen Rechtsformverfehlung könnten mit den Instrumenten der Amtslöschung und der behördlichen Entziehung der Rechtsfähigkeit (§§ 159, 142 FGG aF, 43 II BGB) interessengerecht bewältigt werden, bestr (Reuter NZG 2008, 650ff, der aber einen Schutz des Vereins und seiner Gläubiger durch eine direkte Verantwortlichkeit der in der Rechtsform des Idealvereins einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb entfaltenden Mitglieder angesichts der sonstigen Maßnahmen zur Vermögensbindung nicht für erforderlich hielt). 7 Andere Erwägungen beherrschen den sog gesellschafterfreundlichen Durchgriff, mit dem einem Alleingesellschafter, etwa bei einer GmbH, gestattet wird, wegen der Schädigung des Gesellschaftsvermögens einen eigenen Schadensersatzanspruch geltend zu machen (BGH NJW 1977, 1283 m Anm Hüffer; BGH ZIP 1989, 98; s auch John JZ 1979, 511; in Ansätzen s auch BGH 61, 380). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich im entschiedenen Fall um die Körperverletzung des Alleingesellschafter-Geschäftsführers handelte, die bei der Gesellschaft den Verlust von Geschäftsgewinn verursacht hatte; somit konnte der BGH sagen, er berücksichtige bei der Bemessung des dem Gesellschafter entstandenen Schadens den Umstand, dass das Gesellschaftsvermögen ein in besonderer Form verwalteter Teil des Gesellschaftervermögens ist. Für das Vereinsrecht sind solche Fälle praktisch nicht gut vorstellbar, im Grunde handelt es sich eher um eine Modifikation des schadensrechtlichen 132

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Grundsatzes der Beschränkung der Ersatzpflicht nur auf die Schädigung des unmittelbar Verletzten. Später (ZIP 1989, 98ff) hat der BGH aber dem Alleingesellschafter einer US-amerikanischen Gesellschaft, der in Deutschland zu Unrecht inhaftiert worden war, gestattet, den seiner Gesellschaft durch seine Aktionsunfähigkeit entstandenen Schaden geltend zu machen und Zahlung an sich zu verlangen, ohne darlegen zu müssen, dass seine Geschäftsanteile an Wert verloren hätten. Man kann das auch als Ausprägung der Naturalrestitution verstehen (ähnlich Rehbinder FS R. Fischer, 1979, 579, 593). 4. Die Gesamthandsverhältnisse sind ähnlich wie die Rechtsfigur der jur Pers Zweckschöpfung der Gesetze zur 8 Verselbständigung von Organisationseinheiten von der Person ihrer Träger. Sie treiben jedoch diese Ablösung nicht so weit voran wie die jur Pers (ebenso im Prinzip Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 248ff). Vieles spricht dafür, die in den Personengesellschaften, nicht auch in den anderen Gesamthandsgemeinschaften, erreichte Konzentration eines großen Teils der Rechtsbeziehungen auf die insoweit als Einheit angesehene Personengruppe als Rechtssubjektivität aufzufassen, hierzu bei der GbR Vor § 705 Rn 18. Das führt aber zu der Frage, ob die Vorstellung von der gemeinsamen Rechtsinhaberschaft der Gesamthänder sich neben der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft noch aufrechterhalten lässt (s die Schlussanträge der Generalanwältin, ZIP 2009, 1907); dies ist hauptsächlich anhand der Grundbuchfähigkeit der GbR zu diskutieren (§ 705 Rn 72), die manchmal bejahte Rechtsfähigkeit hat jedenfalls Grenzen (so auch MüKo/Reuter Rn 8). Die rechtliche Konstruktion der Gesamthandsgemeinschaft als vermögensrechtliche Folge eines – nicht unbedingt vertraglich begründeten – Personenzusammenschlusses lässt auch Raum für einige weitere die Gesamthand von der jur Pers unterscheidende Besonderheiten: kein Teilungsanspruch, Unmöglichkeit einer Verfügung über den Anteil an den einzelnen Gegenständen des Gesellschaftsvermögens, nur bei der Erbengemeinschaft Verfügung über den Anteil im Ganzen, entspr Einschränkung des Gläubigerzugriffs (zu den Unterschieden auch Zöllner, FS Kraft, 701, 707). 5. Der Umfang der Rechtsfähigkeit der jur Pers ist nicht etwa auf die zu ihrer Zweckerfüllung nötigen Rechte 9 und Pflichten und auch nicht auf vermögensmäßige Geschäfte begrenzt, sondern erstreckt sich auf alle Rechte, die nicht die menschliche Natur ihres Trägers voraussetzen (BVerfG 95, 220–243; MüKo/Reuter Rn 15; NK/Heidel/Lochner Rn 4). Auch Namensrechte stehen ihr zu (BGH NJW 1993, 918, 920 zur rechtsgeschäftlichen Verfügung über Namensrechte einer Universität), die jur Pers kann zwar nicht Urheber- oder Erfinderrechte erwerben, wohl aber die aus Immaterialgütern entstehenden Nutzungsrechte. Manche Fähigkeiten werden ihr durch positive gesetzliche Entscheidung abgesprochen, so zur Vorstands- oder Geschäftsführerstellung in AG, GmbH und Genossenschaft, ferner zum Vormund, anders zum Liquidator (MüKo/Reuter Rn 15); zum Verein als Stifter Werner, FS Reuter, 2010, 431. Einer jur Per ist die Fähigkeit, Insolvenzverwalter zu sein, durch § 56 InsO versagt, was – mit Blick auf eine Insolvenzverwalter-GmbH – auch nicht als Verstoß gegen Art 12 GG beanstandet wird (BVerfG ZIP 2016, 321). Generell kann daher gesagt werden, dass die ultra-vires-Lehre des anglo-amerikanischen Rechts im dt Zivilrecht nicht gilt (K. Schmidt AcP 184, 529; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 813), anders bei jur Pers des öffentlichen Rechts (Koenig WM 1995, 317 zu den Swap-Geschäften von Landesbanken; dagegen aber Schneider/Busch WM 1995, 320ff). Die jur Pers ist damit erb- und vermächtnisfähig (§§ 2044 II, 2101, 2105f, 2109, 2163). Sie besitzt Rechtsfähigkeit auch im öffentlichen Recht, bzgl landesrechtlicher Erwerbsbeschränkungen vgl Art 86 EGBGB und die landesrechtlichen Ausführungsgesetze. Die Grundrechtsfähigkeit der jur Pers des Privatrechts wird als diejenige ihrer (natürlichen) Trägerpersonen verstanden (BVerfG 59, 231; 68, 193), was auf die Gesamthand ausgedehnt wird (BVerfG 20, 162, 171), immerhin sind Art 2 I, 3, 4 und 12 GG auf die jur Pers angewendet worden (BVerfG 3, 363, 390; 66, 116, 130; 97, 228, 253; BVerfG NJW 1991, 2623). Bei der jur Pers des öffentlichen Rechts nimmt BGH 20, 119 an, Rechtsgeschäfte außerhalb des durch Gesetz oder Satzung bestimmten Wirkungskreises seien unwirksam, ohne dass das auf mangelnde Vertretungsbefugnis des Handelnden (wie es das RG tat, SeuffA 40 Nr 271) gestützt wurde. Das ist als Einbruch der ultra-vires-Lehre kritisiert worden (Fuß DÖV 1956, 566; MüKo/Reuter Rn 14), wird aber vom BVerfG (NJW 1982, 2173) dem Art 19 III GG entnommen, wonach einer jur Pers die Grundrechte nur zustehen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind, was zB von dem durch bestimmte Grundrechte gewährleisteten Schutz eines ihren Aufgaben entspr Lebensbereichs abhänge und in etwas weiterem Umfang Art 101 I 2 und Art 103 I GG betreffe (BVerfG 6, 45, 49f; 13, 132, 139; s auch Soergel/Hadding Rn 25). Mit der Formel, Grundrechtsfähigkeit komme einer jur Pers öffentlichen Rechts nur zu, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck freier Entfaltung natürlicher privater Personen ist, wurde die Grundrechtsfähigkeit öffentlicher Sparkassen (im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren) geleugnet (BVerwG NJW 1995, 582), wogegen einem eingetragenen gemeinnützigen Verein das Grundrecht der Berufsfreiheit zustehen kann (BVerwG JZ 1995, 94). Ein Persönlichkeitsschutz der jur Person erscheint nicht ausgeschlossen, soweit die individuelle Entfaltung nat Personen geschützt werden muss (BGH 42, 210), er erstreckt sich aber nicht auf den Schutz des Firmennamens gegen Verballhornung (BGH NJW 1986, 2951 – BMW); geschützt ist hauptsächlich der soziale Geltungsanspruch der die jur Person tragenden Personen (BGH NJW 1999, 1281; 2002, 2619; BVerfG NJW 2006, 3619; eingehend MüKo/Rixecker Anh § 12 Rn 30ff). Zum Aufkommen eines Reputationsschutzes wirtschaftlicher und nicht wirtschaftlich tätiger juristischer Personen Klöhn/Schmolke NZG 2015, 689ff; H.P. Westermann, FS Karakostas, 2017, 1531ff. Zum Namen des Vereins § 57 Rn 2. 6. Arten der jur Pers. Zu unterscheiden sind jur Pers des Privatrechts und des öffentlichen Rechts. Die jur Pers 10 des öffentlichen Rechts ist ein Sammelbegriff für alle selbständigen Träger öffentlicher Verwaltung, die nicht einen integrierenden Bestandteil des öffentlichen Behördensystems bilden. Zur begrifflichen Unterscheidung BGH MDR 1955, 220. Eindeutig ist die Rechtsnatur als jur Pers des öffentlichen Rechts dort, wo der Gründungsakt die Westermann

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Personen

Art ausdr festlegt oder wo das Gesetz die Schaffung einer jur Pers des öffentlichen Rechts als alleinige Form vorschreibt. Entscheidend für die Abgrenzung ist der Entstehungstatbestand, BaRo/Schwarz/Schöpflin Rn 4. Wo dieser keine klare Auskunft gibt, kommt es darauf an, ob die jur Pers mit öffentlichen Aufgaben betraut, in die Staatsorganisation eingebunden und staatlicher Aufsicht unterworfen ist (BVerfG 66, 1, 9f). Nach der von BVerfG 102, 370ff (für Religionsgemeinschaften) entwickelten Voraussetzung für die Anerkennung einer Religionsgemeinschaft als Körperschaft öffentlichen Rechts (s auch BVerwG NVwZ 2001, 924) wird man davon auszugehen haben, dass zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen auch die Rechtstreue gehört. Aus den §§ 21ff sind auf die jur Pers des öffentlichen Rechts nur §§ 31, 89 anzuwenden, Vorbehalte aus Rücksicht auf die öffentliche Ordnung richten sich nicht gegen die Gewährung der Rechtsfähigkeit, sondern gegen etwaige Tätigkeit des Vereins (BVerwG 61, 218). Einrichtungen im Verband einer jur Pers, zB die stationes fisci (Regierungsbezirk, Justizverwaltung), haben eigene Rechtsfähigkeit nur, wenn der volle Tatbestand der Schaffung einer jur Pers auf die Entstehung der betreffenden Einrichtung zutrifft (RG SeuffA 95, 39). In Zweifelsfällen, in denen die Organisationsgewalt die Schaffung einer jur Pers decken würde, entscheidet der die Organisation schaffende Wille, ob eine selbständige jur Pers oder eine unselbständige Einrichtung entsteht. Bei den unselbständigen Einrichtungen müssen alle Rechte und Pflichten und Handlungen auf die jur Pers, die hinter der Einrichtung steht, bezogen werden. Sie sind mangels Rechtsfähigkeit nicht parteifähig; gegen sie gerichtete Klagen können als Klagen gegen die nur unrichtig bezeichnete Person zu behandeln sein. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind: Die Bundesrepublik Deutschland, die Länder, die Landkreise, die Gemeinden, die Ämter, die Zweckverbände (Zusammenschlüsse von Gemeinden oder Kommunalverbänden zur gemeinsamen Erfüllung bestimmter Aufgaben, zB Unterhaltung von Schulen, Theatern und dgl), die meisten Universitäten, die berufsständischen Organisationen wie Innungen, „Kammern“ wie Industrie- und Handelskammern, Anwaltskammern und dgl. Eine weitere Gruppe bilden die Boden- und Wasserverbände (RGBl I 1937, 188), die Jagdgenossenschaften (Celle NJW 1955, 834). Zu unterscheiden sind Körperschaften und Anstalten. Die Körperschaft hat personelle und korporative Mitglieder, ist also verbandsmäßiger Struktur, die Anstalt nicht. Die nicht immer genaue gesetzliche Terminologie ist nicht entscheidend. Anstalten des öffentlichen Rechts sind die Sparkassen, die Träger der Sozialversicherung wie Ortskrankenkassen, Landesversicherungsanstalten, die Knappschaften. In den Rechtsformen des Privatrechts, nämlich als AG oder GmbH, können auch die Eigenbetriebe der Gemeinden (Versorgungs- und Verkehrsbetriebe) geführt werden. Jur Pers des öffentlichen Rechts sind die Kirchen, jedoch nicht die katholische oder evangelische Gesamtkirche in Deutschland, sondern die katholischen Bistümer, die evangelischen Landeskirchen, katholische und evangelische Kirchengemeinden (Körperschaften). Auch andere Religionsgemeinschaften sind in einzelnen Ländern als jur Pers des öffentlichen Rechts anerkannt, wie die Baptistengemeinde, die Altkatholische Kirche im ehemaligen Preußen. Zu den Zeugen Jehovas s die in Rn 10 genannten Entscheidungen des BVerfG und des BVerwG. Soweit nicht durch besondere Maßnahmen eingegriffen wurde, bestehen die am 9.5.1945 vorhandenen jur Pers des öffentlichen Rechts fort. Für die Stiftung öffentlichen Rechts ist das zweckgebundene Stiftungsvermögen kennzeichnend. Soweit die jur Pers des öffentlichen Rechts privatrechtlich handelt, unterliegt sie dem allg Recht, wichtig für die Haftungsfragen. Hierzu § 89 Rn 1. Vereinzelt finden sich Sonderbestimmungen (s etwa §§ 395, 411). Das öffentliche Vereinsrecht ist geregelt durch das Vereinsgesetz v 5.8.1964 (BGBl I 593). Es umreißt die verfassungsrechtlichen Grenzen der Vereinsfreiheit und enthält Vorschriften für Ausländer sowie ausl Vereine; insg ist es polizeirechtlich konzipiert, so dass die §§ 21ff nur erg gelten. Ein Verein iSd BGB und in gewisser Hinsicht auch des HGB ist gegeben bei körperschaftlicher Verfassung, Auftreten im eigenen Namen und Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsel (RG 60, 96; 165, 140, 143). Die Vereine des Handelsrechts (AG, KGaA, GmbH, Genossenschaft, VVaG, dazu § 171 VAG) sind mit dem Zweck ihrer besonderen Anpassung an die Erfordernisse des Handelsverkehrs geregelt. Als Grundlagen, uU auch als erg Recht, gelten auch für sie die §§ 21ff. Bei der privatrechtlichen Stiftung handelt es sich um eine Güterzusammenfassung, der Rechtsfähigkeit verliehen ist. Einzelheiten vgl Vor § 80 Rn 2f, dort auch zu der immer noch zunehmend wichtigen sog Unternehmensträger-Stiftung. Bei entspr Gestaltung können auch Stiftungszwecke in Form des eV angestrebt werden. 7. Ein Verein kann seine Aktivitäten auf verschiedene Untergliederungen verteilen. Doch ist zu unterscheiden, ob die Untergliederung rechtlich unselbständig bleibt, also keine eigene Rechtsfähigkeit hat und nach der Satzung des Hauptvereins lebt (BGH 89, 153, 155; ZZP 86, 212; KG OLG 1983, 272), oder ob es sich um selbständige Unterorganisationen handelt. Eine rechtlich selbständige Untergliederung muss Zwecke verfolgen, die sich aus der Satzung des Hauptvereins, aber auch aus einer in der Untergliederung selbst beschlossenen Satzung ergeben (BGH 73, 275); das ist mehrfach bei der Prüfung der passiven Parteifähigkeit einer Untergliederung für entscheidend gehalten worden (RG 118, 196; BGH MDR 1970, 913), neuerdings wird aber stärker auf die alleinige Befugnis des Hauptvereins zur Festlegung der Kriterien der Selbständigkeit des Zweigvereins abgestellt, woraus auch folge, dass eine Doppelmitgliedschaft bestehe, die auch zu einem Schutz der Mitglieder des Zweigvereins vor Eingriffen des Hauptvereins führt. Dazu passt es auch, in solchermaßen „gegliederten“ Vereinen einen besseren Rechtsschutz der Mitglieder des „Vereins im Verein“ zu sichern, als es die Rspr zur Klagebefugnis (§ 32 Rn 6) bisher tut (näher K. Schmidt, FS Reuter, 2010, 345ff, 361). Einer rechtlich unselbständigen Untergliederung hat BGH NJW 2008, 69 ein Klagerecht gegen Beschlussmängel versagt, zu den Folgen Terner NJW 2008, 16ff; Reuter, FS Hopt, 199ff, was auch mit dem Fehlen eines ausgearbeiteten Beschlussmängelrechts für Vereine zusammenhängt (K. Schmidt ZGR 2011, 108, 130f) und möglicherweise durch eine Übertragung der im Kapital134

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Juristische Personen – Vereine

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gesellschaftsrecht entwickelten, aber auch auf Personengesellschaften übertragbaren (dazu Konzen, FS Hommelhoff, 2012, 565f) Figur des „Besonderen Vertreters“ bewältigt werden kann. Grundsätzliche Unterschiede bestehen zw dem Verbandsverein, der Dachorganisation seiner Mitgliedervereine ist, sowie dem Vereinsverband, dessen Mitglieder Vereine sind, deren Mitglieder aber entweder automatisch auch Mitglieder des Verbandes sind (zur Doppelmitgliedschaft BGH 105, 306; krit Soergel/Hadding § 38 Rn 11) oder sich in der Satzung des Zweigvereins bis zu einem gewissen Grade der Satzung und der Vereinsgewalt (§ 25 Rn 5) des Verbandes unterwerfen (dazu Heermann NZG 1999, 325; Reuter ZHR 148, 153; Schaible, Der Gesamtverein und seine vereinsmäßig organisierten Untergliederungen, 1992; aus neuerer Zeit auch BGH NJW 2008, 69). Zur Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts des „Unter“- durch den Oberverein Frankfurt BeckRS 2014, 06804; Wagner NZG 2015, 1378; diese darf aber nicht so weit gehen, dass der Unterverein praktisch keine eigenständige Tätigkeit mehr entfalten kann (Wagner aaO). Zur Vorstandskontrolle Segna NZG 2002, 1048). Anderes gilt für eine „bloße Vereinsabteilung“, die der Verein, ohne dadurch eine Treupflichtverletzung zu begehen, auflösen kann, zumal er auch ein Weisungsrecht hat (BGH NZG 2013, 466; s auch schon BGH NZG 2007, 826). Die selbständigen Mitgliedsvereine verfolgen eigene Zwecke und Aufgaben im Rahmen der Zwecksetzung des Verbands (BGH 90, 331), in dessen Satzung dann auch die Zwecke und Funktionen der Untergliederung festgelegt sein müssen. Die Rspr geht hier von einer Mitgliedschaft aus, die als „gestufte Mehrfachmitgliedschaft“ bezeichnet wird (BGH NJW 2008, 69, 74; eher für „gespaltene Mitgliedschaft“ MüKo/Reuter Rn 141; Wolff Non-Profit-Law Yearbook 2007, 21ff). Die Selbständigkeit eines Mitgliedsvereins äußert sich auch darin, dass dem Verband kein Zugriffsrecht auf das Vermögen des Mitgliedsvereins zusteht. Das Parteiengesetz v 24.7.1967 (BGBl I 773) schafft einen besonderen vereinsrechtlichen Status für die politischen Parteien, der von der Rechtsfähigkeit der Vereinigung unabhängig ist (vgl § 2). Besonders geregelt sind die Aktiv- und Passivlegitimation, § 3, das Namensrecht, § 4, die Mindestorganisation in §§ 6ff. Die Parteien gehören aber nicht zur organisierten Staatlichkeit, sondern zum Privatrecht, so dass auch der Anfall ihres Vermögens nach Auflösung sich nach BGB richtet (Brandenburg NJW 1998, 910). 8. Internationales und intertemporales Privatrecht. Da das IPR-Gesetz v 25.7.1986 (BGBl I 1143) keine spe- 14 ziell auf das Gesellschafts- und Vereinsrecht bzgl Vorschriften enthält, wird es für die international-privatrechtliche Anknüpfung des Personalstatuts der jur Pers weiterhin auf die Entscheidung des Meinungsstreits zw Sitzund Gründungstheorie ankommen, die allerdings jetzt auch unter europarechtlichen Aspekten neu gestellt ist, dazu s Anh II Art 12 EGBGB Rn 1ff, was freilich voraussetzt, dass die Aktivität eines Idealvereins unter Art 49, 54 AEUV fällt (dazu MüKo/Reuter Rn 167); gegen die Anwendbarkeit der Niederlassungspflicht auf Idealvereine BFH BB 2004, 2338; Zweibrücken NJW-RR 2006, 43. Wendet man weiterhin die Sitztheorie an, so kann ein ausl Idealverein, dessen Rechtsfähigkeit dann auch in Deutschland anerkannt ist, seinen Sitz nicht ins Inland verlegen, sondern muss hier neu gegründet werden (Zweibrücken aaO), während ein seinen Sitz ins Ausland verlegender dt Verein aufgelöst wird, wenn nicht das anwendbare Auslandsrecht der Gründungstheorie folgt, MüKo/Reuter Rn 167. Für die (äußerst seltenen) nach dem früheren § 23 rechtsfähig gewordenen (und noch existierenden) Vereine gilt die Übergangsregelung nach Art 229 § 24 EGBGB. IÜ schaffen §§ 14, 15 VereinsG polizeirechtliche Verbotsmöglichkeiten für ausländische Vereine ohne überwiegende Beteiligung Deutscher, die über das hinausgehen, was für inländische jur Pers angesichts des Schutzes des Art 9 I GG möglich wäre (s Art 19 III GG). Vor Inkrafttreten des BGB entstandene Rechtsfähigkeit bleibt, die jur Pers des alten Rechts unterliegen grds 15 dem neuen Recht, vgl Art 163 EGBGB. Nach Art 82 EGBGB gelten für die vor 1900 durch staatliche Verleihung entstandenen rechtsfähigen Vereine die handelsrechtlichen Vorschriften über ihre Organisation fort, insb gilt auch die an ihre Eintragung im Register geknüpfte Vermutung ihrer Weiterexistenz bis zu einer Löschung (KG NJW-RR 2001, 966). Ausnahmen in Art 164, 166, 83 EGBGB. Zu Vereinigungen, die nach dem Recht der DDR entstanden sind, Christoph DtZ 1991, 234; Nissel DtZ 1991, 239. 9. Die seit langem vorbereitete und diskutierte Reform des Vereinsrechts, die von manchen als grundlegender 16 Systemwechsel zum allg-politischen oder sozialpolitischen Großverein unter Einschluss der Verbandsvereine gedacht, aber auch verbreitet als überflüssig angesehen wurde (Segna NZG 2003, 1048; Damas ZIP 2005, 3ff; Hadding ZGR 2006, 137; Reuter NZG 2005, 738), ist in Gestalt von Neuregelungen einzelner praktisch wichtiger Fragen einschl des Registerrechts im Jahr 2009 teilweise verwirklicht worden (G zur Erleichterung elektronischer Anmeldungen zum Vereinsregister und anderer vereinsrechtlicher Änderungen v 24.9.2009, BGBl I 3145). Dass dabei eine Anpassung des BGB-Vereinsrechts an die Rechtswirklichkeit der Vereine, die so lange nach dem Inkrafttreten des Gesetzes nicht nur punktuell geboten erscheint (H.P. Westermann, FS Sonnenschein, 2003, 617ff), nur in einzelnen Teilen der Reform in Angriff genommen worden ist (Übersicht bei Reuter NZG 2009, 1368, 1371ff), ändert nichts an der großen praktischen Bedeutung der neuen Regelungen, während weitere Änderungsvorschläge, zT auf Länderebene, jetzt kaum noch diskutiert werden (s immerhin Hadding, FS Reuter, 2010, 93). Der Gedanke, die Probleme der Abgrenzung von Idealverein und wirtschaftlichem Verein rechtspolitisch zu lösen (dazu Arnold ZRP 2015, 170; Westermann NZG 2017), indem etwa dem Idealverein wirtschaftliche Tätigkeit erlaubt wird und nur Gewinnausschüttungen verboten werden, könnte dann auch in den Vordergrund treten, wenn für den Verein mit wirtschaftlicher Betätigung die Einführung einer Corporate Governance erwogen wird (Leuschner npoR 2016, 99ff). Hervorzuheben ist daher nur die Beschränkung der Vorstandshaftung im 2009 eingefügten § 31a, dessen Geltung für den nichtrechtsfähigen Verein freilich nicht geklärt ist; auch bleibt abzuwarten, ob die Privilegierung des unentgeltlich (dazu § 27 Rn 6) tätigen Vorstands nicht auch andere ehrenamtlich tätige Westermann

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Vereinsorgane für sich in Anspruch nehmen werden, näher § 31a Rn 2. Mit dem G zur Stärkung des Ehrenamts v 21.3.2013 (BGBl I 556) ist § 31a geändert und § 31b neu eingefügt worden, durch den auch für eine geringfügig vergütete Tätigkeit von Vereinsmitgliedern für den Verein Haftungserleichterungen geschaffen wurden. Die Regelungen gelten rückwirkend ab 1.1.2013. Die Rechtslage bei der Entziehung der Rechtsfähigkeit, namentlich die Streichung der bisherigen §§ 43 I und 44, könnte die Diskussion um die Folgen einer Rechtsformverfehlung, wie auch der Zusammenhang mit dem Haftungsdurchgriff auf Vereinsmitglieder zeigt (Rn 6), in neuere Bahnen lenken (s Reuter NZG 2009, 1368, 1372), während die Anpassung des Registerrechts an die Gegebenheiten der elektronischen Registeranmeldung eine notwendige Vereinheitlichung darstellt. Das Recht des nicht eingetragenen Vereins wird möglicherweise bei einer demnächst in die Diskussion kommenden Reform des Personengesellschaftsrechts einbezogen werden, so schon K. Schmidt ZHR 177, 712, 724ff.

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Nichtwirtschaftlicher Verein

Ein Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, erlangt Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichts. 1. Nach dem Grundgedanken des § 21 soll die Unterwerfung der körperschaftlich strukturierten einschl der wirtschaftlich tätigen privaten Personenverbände unter dem Geschäftsleben entspr Vorschriften gesichert werden. Dem dient das sog Normativsystem, nach dem die Rechtsfähigkeit mit der Eintragung im Vereinsregister entsteht, auf die ein Anspruch besteht (Vor § 21 Rn 2), auf welchem Wege dann die Zweckbeschränkung der verschiedenen Verbandsformen überprüft werden kann. Neben der Gewährung einer weitgehenden Vereinsfreiheit werden so die Rechtssicherheit und eine staatliche Kontrolle über die Vereinsbildung gewährleistet; zum Grund für die unterschiedliche Behandlung nichtwirtschaftlicher und wirtschaftlicher Vereine s besonders K. Schmidt Verbandszweck S 92ff. Verfassungsrechtlich ist das Normativsystem eine gültige Schranke der Vereinigungsfreiheit (BVerfG 39, 334). Das Normativsystem entwickelt keine eindeutige typologische Reihung der Verbände, so können nicht rechtsfähige Gebilde und Ähnlichkeiten zwischen Vereins- und Gesellschaftsrecht entstehen (MüKo/ Reuter Rn 3). 2. Die Eintragung ist unzulässig, wenn der Verein einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb bezweckt. Dieses von jeher heftig umstr Kriterium sollte bestimmte Vereine auf die handelsrechtlichen Formen verweisen, in denen der Gläubiger- und der Mitgliederschutz ausreichend entwickelt sind, und die Rechtsform des eV Gruppen mit vorwiegend geselligen, kulturellen und sportlichen Zwecken vorbehalten. Diese Sichtweise ist durch die Tatsachen überholt, indem einerseits die Verfolgung ideeller (etwa sportlicher oder künstlerischer) Ziele so viel Geld kosten und auch einbringen kann, dass ökonomische Kalkulationen angebracht sind, andererseits wirtschaftliche Erfolge durchaus in den Dienst nichtwirtschaftlicher Zweckverfolgung gestellt werden können. Musterbeispiele für beide Entwicklungslinien sind die großen Sportvereine, die für die von ihnen betreuten, zT in einem Arbeitsverhältnis mit ihnen stehenden Leistungssportler hohe Geldbeträge aufwenden müssen, ohne dass unglaubhaft wäre, dass ein ökonomischer Erfolg dieser Sparten zahlreichen Amateur- und besonders Jugendabteilungen zugutekommt (näher Heckelmann AcP 179, 1ff). Insb die Verbindung mit den Massenmedien hat sich zu einem Milliardengeschäft entwickelt. Die rechtliche Ordnung der Aktivitäten dieser Vereine ist auch stark durch die Einflüsse, zT auch durch die Jurisdiktion, der intern Verbände beeinflusst (näher H.P. Westermann/Pereira/Borges FS Schwark, 2009, 71ff). Ua deshalb werden zT Kapitalgesellschaften aus den Vereinen ausgegliedert (dazu Heermann ZIP 1998, 1249), die dann an die Börse gehen können (dazu Steinbeck/Menke NJW 1998, 2169; s auch Segna ZIP 1997, 1901; Wagner NZG 1999, 469). Das wirft allerdings eine Reihe von Fragen zum Einfluss des „herrschenden Vereins“ auf die Kapitalgesellschaft auf; verbandsrechtlich gesehen ist der Vorbehalt einer dominierenden Stellung des Vereins zwar erwünscht, aber mit den Gegebenheiten des Kapitalgesellschaftsrechts nicht leicht in Einklang zu bringen (im Einz H. P. Westermann in Sport und Recht, 2001, 42ff; Balzer ZIP 2001, 175). Vereine mit hoher Mitgliederzahl, zT mit einer über das ganze Bundesgebiet verteilten Mitgliedschaft, benötigen in manchmal unlösbarem praktischen Zusammenhang mit ihrer nichtwirtschaftlichen Zielsetzung erhebliche wirtschaftliche Mittel, die nicht selten nur durch unternehmerische Aktivitäten unter Ausnutzung des Vereinsnamens und der im Verein verbundenen Beziehungen erwirtschaftet werden können. Große praktische Bedeutung kommt der steuerlichen Gemeinnützigkeit zu, besonders auch bei Beteiligung eines Vereins an Kapitalgesellschaften (dazu im Einz Arnold DStR 2005, 581ff; NK/Heidel/Zillmer Anh zu § 21). Zu den Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit Schauhoff/Kirchhain ZIP 2016, 1860. Hiermit treten Probleme auf, wenn der Verein seinen Vorstandsmitgliedern Auslagen und Verwendungen ersetzen oder (maßvolle) Vergütungen zahlen will (Kolbe DStR 2009, 2465), während die Einführung von Verhaltenskodizes ferner liegen dürfte (anders Kreutz ZRP 2007, 50). Wenn nach der Satzung die Vorstandsmitglieder ihr Amt unentgeltlich auszuüben haben, dürfen ihnen auch keine Entschädigungen für aufgewendete Arbeitskraft geleistet werden (BGH WM 2008, 736 und dazu Engelsing/Lüke NWB Fach 3, 15101ff). Eine Besonderheit – etwa auch ggü Stiftungen – besteht auch darin, dass auf die satzungsmäßigen Leistungen eines gemeinnützigen Vereins ein Rechtsanspruch nicht bestehen soll (Koblenz MDR 2008, 267). Zum Einfluss des Gemeinnützigkeitsrechts auf die Einordnung von Vereinen als wirtschaftlich oder nichtwirtschaftlich s Rn 5. Zur Unterscheidung von wirtschaftlichem und nicht wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb sind verschiedene Abgrenzungsmethoden vorgeschlagen worden, die aber durch die vielfältigen Erscheinungen wirtschaftliche Aktivitäten ausgliedernder und kontrollierender Idealvereine (Rn 6) belastet werden. Im Zuge einer früher herr136

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Juristische Personen – Vereine

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schenden, aus subjektiven und objektiven Elementen bestehenden Sichtweise (MüKo/Reuter Rn 5) hat sich weder die Maßgeblichkeit einer subjektiven Betrachtung, die auch erwerbswirtschaftliche Tätigkeit für unschädlich hält, solange dadurch einem ideellen Endzweck genützt werden soll, durchsetzen können, noch die Vorstellung, es komme allein auf die objektiv tatsächlich ausgeübte Tätigkeit im Rahmen eines Geschäftsbetriebs an. Danach wäre der wirtschaftliche Zweck unschädlich, solange er nicht durch einen entspr Geschäftsbetrieb verfolgt wird, während die Verfolgung eines ideellen Zwecks das Betreiben eines diesem Ziel untergeordneten, aber von der Satzung gedeckten wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs als unschädlich erscheinen lässt (sog Nebenzweckprivileg, RG 133, 170, 176; 154, 351; BGH 15, 315, 319; 85, 84, 89, 93; BayObLG 1973, 303f; Schleswig NZG 2001, 768). Hiermit lassen sich Zwecke wie der Restaurationsbetrieb eines Sportvereins (KG OLG 1979, 279, 282), vielleicht auch noch die Vertragsvermittlung durch einen Kassenärzteverein (RG 83, 231) erfassen, nicht aber der wirtschaftliche Aufwand der großen Sportvereine (Rn 7). Soweit es in der Praxis denkbar ist, müssen für einen Idealverein, der im Rahmen des Nebenzweckprivilegs ein Gewerbe betreibt, auch die handelsrechtlichen Vorschriften über Publizität, etwa auch auf Geschäftsbriefen, beachtet werden (näher Bohnenkamp NZG 2007, 292ff; Haas/ Prokop FS Röhricht, 2005, 1149ff). Die Kritik sowohl am Nebenzweckprivileg (Heckelmann AcP 179, 22; Sack ZGR 1974, 194) als auch an der Maßgeblichkeit des Vorhandenseins eines „wirtschaftlichen“ Geschäftsbetriebs stellt darauf ab, ob im Kleid des Idealvereins unternehmerische Aktivitäten entfaltet werden, die nach dem Sinn des Systems der Normativbestimmungen in den Rechtsformen des Handelsgesellschaftsrechts verfolgt werden müssen (K. Schmidt Rpfleger 1972, 286ff, 343ff; ders AcP 182, 1ff; ihm folgend Hemmerich, Möglichkeiten und Grenzen wirtschaftlicher Betätigung von Idealvereinen, 1982, 63ff; Staud/Weick Rn 6ff; Schad Rpfleger 1998, 185; in der Rspr Düsseldorf NJW-RR 1998, 683). Dafür genügt nicht die Unentbehrlichkeit der Erreichung des Nebenzwecks, sondern die wirtschaftliche Betätigung muss, ohne unbedingt inhaltlichen Bezug zum Hauptzweck zu haben, für die Zielkonzeption des Vereins neben den ideellen Zwecken untergeordnete Bedeutung haben (ähnlich MüKo/Reuter Rn 19; PWW/Schöpflin Rn 10; anders Möhlenkamp DB 2004, 2737ff), ohne freilich auf rein mittelbeschaffende Aktivitäten beschränkt zu sein, so dass Entgelte für eine idelle Zwecke verfolgende Leistung nicht schaden. Die Nebengeschäfte müssen nicht zwingend nur geringfügigen Umfang annehmen (näher zum Grund und zur praktischen Konkretisierung der Voraussetzungen des „Privilegs“ Beuthien NZG 2015, 449, 453), solange sicher ist, dass die Ergebnisse des Nebengeschäfts, die der Mittelbeschaffung dienen, nicht den zur Förderung des Hauptzwecks nötigen Umfang übersteigen, was auch für Geschäfte mit Nicht-Mitgliedern gilt. Ausschlaggebend ist hier wie auch sonst der Einsatz unternehmerischer Tätigkeit am Markt, wobei es genügt, wenn wirtschaftliche Vorteile nur für die Mitglieder und nicht auch für den Verein selbst erstrebt werden (RG 154, 343, 350; BayObLG Rpfleger 1985, 495 und für eine Vereinigung von Notfallärzten Hamm NJW-RR 1997, 1530; Hamm MDR 2000, 841; zweifelnd dagegen Frankfurt NJW 1996, 2039). Typischerweise wirtschaftlich ist danach der Verein, der ohne eigenes Entgelt ausgelagerte unternehmerische Teil- 5 funktionen der Mitglieder wahrnimmt, so eine Funktaxizentrale (BGH 45, 395; zust Düsseldorf NJW 1983, 2574; BayObLG Rpfleger 1977, 19 für Werbegemeinschaft von Gewerbetreibenden), ebenso für die Auslagerung unternehmerischer Teilaufgaben von Immobilienmaklern auf einen kooperativen Verein Düsseldorf NJW-RR 1996, 998; s auch Celle NJW-RR 1996, 502), und es genügt danach auch, wenn Marktgegner des anbietenden Vereins nur seine Mitglieder sind (Düsseldorf NJW 1983, 2574; K. Schmidt AcP 182, 23ff), weshalb auch genossenschaftliche Vereine nach § 22 zu beurteilen sind (LG Hanau NJW-RR 2000, 698; BaRo/Schöpflin Rn 103; Eyles NJW 1996, 1194), ähnlich kommerzielle Sportanbieter mit einem Fitness-Studio (Zweibrücken NZG 2014, 1349) sowie ähnlich finanzierte Freizeitaktivitäten. Anders angesichts aufzuwendender Personalkosten für einen von Eltern begründeten Kita-Verein Brandenburg NZG 2015, 922, während das KG jetzt (Rpfleger 2016, 423; MDR 2016, 403; DStR 2016, 2120) den gemeinnützigen Betrieb einer Kindestagesstätte wegen des bestehenden Wettbewerbs mit Dritten als wirtschaftlichen Zweck betrachtet (krit Menges ZStV 2012, 63; zust aber Kögel Rpfleger 2016, 426, anders für Kindergarten Schleswig ZStV 2013, 142, für Gruppenunterstützungskasse NZG 2016, 1352); anders BGH ZIP 2017, 1021, weil die Gemeinnützigkeit nicht Wirtschaftlichkeit indiziere. Somit blieb unberücksichtigt, dass der Kinder in mehreren Niederlassungen betreuende Verein nur wenige Mitglieder ohne maßgebliche Mitwirkung von Eltern hatte. Die Entscheidung des BGH wird als Abkehr von der herrschend anerkannten Vereinsklassenabgrenzung mit weitgehender Zulassung wirtschaftlicher, dem ideellen Zwecke dienender Tätigkeit gedeutet, Leuschner NJW 2017, 1919 – Sanit. Nach neuerer Rspr kann auch die „Vermarktung ideeller Güter“, die finanzielle Erfolge erstrebt, unter § 22 fallen (Düsseldorf NJW 1983, 2574), allerdings vorbehaltlich des Nebenzweckprivilegs, das aber nicht greift bei einem Verein, der ohne Entgelt für sich selbst nur wirtschaftliche Vorteile für seine Mitglieder erreichen will, so dass auch Ausschüttungen schaden (zum Ganzen Beuthien WM 2017, 645ff; Sidorra npoR 2017, 45; Westermann NZG 2017. Manchmal wird auf das Element der Gewinnerzielungsabsicht ganz verzichtet, sogar auf das der Entgeltlichkeit (krit für den Fall unternehmerischen Handelns K. Schmidt NJW 1983, 544), oder man lässt für das Kriterium der Entgeltlichkeit die Erhebung von Vereinsbeiträgen oder Umlagen genügen; auch planmäßig unternehmerische Tätigkeit, die nur kostendeckend sein soll und für die Mitglieder einen Vorteil bedeutet, kann dann für die Qualifizierung als wirtschaftlicher Verein ausreichen (LG Hamburg ZIP 1986, 229). Da die heute hM mit einer Typenbildung arbeiten möchte (K. Schmidt Rpfleger 1988, 45, 47; BayObLG NZG 6 1998, 606; Schleswig NJW-RR 2001, 1478; BVerwG NJW 1979, 2261; NK/Heidel/Lochner Rn 22; Vorbehalte hins der Durchhaltbarkeit der These bei Reuter NZG 2008, 881, 882; Leuschner ZIP 2015, 356ff; krit auch Beuthien Rpfl 2016, 67), darf, wenn man maßgeblich auf den – seinerseits erläuterungsbedürftigen – unternehmerischen Charakter der Tätigkeit abstellt und einen Ausweg nur über das Nebenzweckprivileg anerkennt, die ältere JudiWestermann

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katur nicht mehr unbesehen als Maßstab herangezogen werden. Bloße Verwaltung des Vereinsvermögens, auch wenn dabei notwendig Außenkontakte entstehen, ist nicht anbietende Tätigkeit am Markt. Will der Verein lediglich ggü seinen Mitgliedern als Anbieter auftreten (Vermittlung von Wohnungen, Reisen; Steuerberatung oder Abrechnung für die Mitglieder), so konnte er nach früherer Rspr Idealverein sein, solange die Mitglieder über ihre Mitgliedschaft und nicht wie beliebige Marktteilnehmer angesprochen werden (Oldenburg Rpfleger 1976, 11ff; BayObLG 1978, 87, 93) oder die Tätigkeit sich noch in eine ideelle (etwa der Fürsorgepflicht entspringende) Aktivität eines Trägers einfügen lässt (BayObLG MDR 1974, 400 für Werkskantine als betriebliche Sozialeinrichtung), ähnlich für betriebliche Unterstützungskassen BAG NJW 1970, 1145; BAG NJW 1979, 2533; krit K. Schmidt, Verbandszweck, 146ff. Wenn ein Behindertensportverein Fördergelder von Sozialversicherungsträgern in Anspruch nehmen will, um die Teilnahme von Versicherten an Sportveranstaltungen zu fördern, ist der Zweck nicht wirtschaftlicher Natur, auch wenn die Gewährung der Mittel nicht von einer Vereinsmitgliedschaft abhängt, Hamm NZG 2008, 473; zust Terner RNotZ 2008, 94. Häufig wird in solchen Fällen aber eine planmäßig anbietende Tätigkeit am Markt vorliegen, etwa das Angebot von Versicherungen (so bei betrieblichen Pensionskassen, Reichert Rn 154). Dass soll auch für die vom ADAC seinen Mitgliedern – angeblich als Gegenleistung für den Mitgliedsbeitrag – zur Verfügung gestellte Pannenhilfe gelten (Beuthien NZG 2015, 458; Leuschner ZIP 2015, 361), so dass allenfalls das Nebenzweckprivileg (Rn 4) helfen kann, was aber eine funktionale Unterordnung unter einen nicht wirtschaftlichen Hauptzweck voraussetzt. Die Zuordnung eines genossenschaftsähnlichen Zwecks (Förderung der Mitgliederwirtschaften) zum Bereich des wirtschaftlichen Vereins bedeutet für Sparvereine, Sterbeunterstützungsvereine, Absatz- und Nutzungsgemeinschaften sowie Erzeugervereine (dazu BayObLG 1974, 242; Hornung Rpfleger 1974, 339), für Einkaufszentralen, Wassergenossenschaften (BayObLG Rpfleger 1978, 249), einen Abwässerverein, der für seine Mitglieder entgeltlich Kläranlagen erstellt (Zweibrücken NotBZ 2008, 278) und ähnliche Vereine (s auch BGH NJW 1966, 2007) die Qualifizierung als wirtschaftliche Vereine, ähnlich, wenn es darum geht, für die gewerblichen Mitglieder bei herstellenden Unternehmen Einkaufskonditionen auszuhandeln (Hamm MDR 2000, 841). Obwohl die Förderung der wirtschaftlichen Interessen bestimmter Personengruppen die Zulässigkeit als Idealverein nicht entscheidend berühren muss, ist es bedenklich, wenn dies mit Beratung und Auskunftserteilung für die Mitglieder verbunden wird, die anderwärts nur am Markt für Dienstleistungen zu erhalten ist, wie es etwa bei Haus- und Grundbesitzvereinen zutreffen kann (RG 88, 332, 334), ähnlich bei Vereinen zur Rechtsberatung ihrer Mitglieder (BGH 15, 319). Danach ist die Anerkennung von Lohnsteuerhilfevereinen als nichtwirtschaftlich (Celle NJW 1976, 197; BGH WM 1976, 458) kaum mehr konsequent. Wirtschaftlich ist auch (entgegen Oldenburg NJW 1976, 374) ein Verein, der ein Betriebsarztzentrum betreibt. Beim Gütezeichenverband geht es idR um die Qualitätssicherung und Werbung für die Produkte der Mitglieder und die Verleihung eines Gütesiegels; das hat keinen genossenschaftlichen Charakter und ist auch nicht am Markt zu haben, so dass ein nichtwirtschaftlicher Verein angenommen werden sollte. Abmahnvereine werden idR wirtschaftliche Vorteile für ihre Mitglieder erstreben, die diese auch am Markt für Dienstleistungen erhalten könnten (s BayObLG DB 1983, 767; krit K. Schmidt Rpfleger 1988, 47). Die Maßstäbe der steuerrechtlichen Gemeinnützigkeit eines Vereins sind mit denen für das Vorliegen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs nicht deckungsgleich, so dass nichtwirtschaftliche Vereine nicht per se gemeinnützig sind, wohl aber im Regelfall gemeinnützige Vereine nichtwirtschaftlich, BGH ZIP 2017, 1021; gegen einen Gleichlauf der Maßstäbe des Vereins- und des Gemeinnützigkeitsrechts Schauhoff/Kirchhain ZIP 2016, 1864f. Bei von Religionsgemeinschaften beeinflussten Vereinen wird häufig eine wirtschaftliche Tätigkeit unter das Nebenzweckprivileg fallen, so bei Gastronomie oder Zimmervermietung. Fraglich, wenn der Verein einem bestimmten Bekenntnis (oder einer ideologischen Bewegung) zugehörigen Personen wirtschaftliche Vorteile verschaffen soll; eine generelle Qualifikation als wirtschaftliche Vereine geht dann nicht an (str, s Kopp NJW 1989, 2497ff; Kopp NJW 1990, 2669; dagegen v Campenhausen NJW 1990, 887); dass vom Verein angebotene Reisen auch religiösen Zwecken dienen können, erkennt Hamm NJW-RR 2003, 298 an, krit. Terner Rpfleger 2004, 537, 542. Die großen Sportvereine, die im Zuge der Professionalisierung des Leistungssports oft Umsätze in beträchtlicher Höhe machen, werden bis heute als nichtwirtschaftliche Vereine geführt, was nach der im Schrifttum vordringenden Ansicht zumindest für die Vereine der ersten und zweiten Fußball-Bundesligen, möglicherweise auch für entspr Eishockey- und Handballvereine, nicht mehr zu halten ist (Heckelmann AcP 179, 1, 55; K. Schmidt AcP 182, 1, 29; Schad Rpfleger 1998, 185; MüKo/Reuter Rn 44). Die Ausgliederung der Profi-Abteilungen in Formen des Kapitalgesellschaftsrechts, die den Dachverein möglicherweise als Idealverein bestehen lassen könnte Rn 8), ist trotz der erheblichen Risiken für einen „beherrschenden“ Verein verbreitet. Marktorientiert ist das Verhalten dieser Vereine freilich deshalb, weil sie durch Zahlung von Gehältern und Ablösesummen „investieren“, aber ungewiss sein müssen, ob Zuschauer der veranstalteten sportlichen Wettkämpfe und – was heute wichtiger ist – die Einnahmen aus Fernsehen, Werbung und Sponsoring die Kosten hereinbringen werden. Deswegen ist eine Qualifikation als nichtwirtschaftlicher Verein allenfalls so denkbar, dass eine aus dem ideellen Grundzweck des Vereins herausgewachsene, bei sportlichem Misserfolg auch wieder an Bedeutung verlierende Profi-Abteilung wegen ihrer vielleicht nur vorübergehend prägenden Wirkung stets vom Nebenzweckprivileg erfasst wird; der zunehmend propagierte Einsatz dieser Vereine gegen Rassismus und Hooliganismus weist in diese Richtung. Bei Vereinen im Bereich des Amateursports sind auch der gelegentliche Empfang oder die Zahlung von Aufwandsentschädigungen an Sportler, von Transferentschädigungen bei Vereinswechsel (dazu Schleswig MDR 1991, 1133), insb im intern Raum, sowie die Unterhaltung vom Verein bewirtschafteter Einrichtungen, die der Pflege des Sports oder auch nur der Geselligkeit dienen, für § 21 unschädlich. Die Dachverbände, die den Wettbewerb unter den Vereinen or138

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ganisieren oder die intern Vertretung innehaben, sind Idealvereine (MüKo/Reuter Rn 44), was für den DFB angesichts der Vorgänge im Zuge der Bewerbung um die Vergabe einer Fußball-WM bezweifelt werden kann. Vielfach zu den wirtschaftlichen Interessen gerechnet werden die Formen der Ausgliederung unternehmeri- 8 scher Teilfunktionen der Mitglieder. Wenn manchmal auch sog Familienvereine als wirtschaftliche bezeichnet werden (K. Schmidt AcP 182, 1, 21, 22f; MüKo/Reuter Rn 49), die als Holding-Vereine die mittelbare Anteilsherrschaft über unternehmerische Aktivitäten in kapitalgesellschaftsrechtlichen Formen ermöglichen, kann dies auch Nebenzweck sein, wenn er hinter Zielen wie dem der Förderung des Zusammenhalts der Familienmitglieder, der Durchsetzung bestimmter sozialpolitischer Konzeptionen in und durch das Unternehmen oder auch – ähnlich wie bei manchen Stiftungen – karitativer oder uneigennütziger Zwecke zurücktritt. Wenn der Verein zwar den Mitgliedern wirtschaftlich nützt, ohne aber hierfür einen unternehmerischen Geschäftsbetrieb zu unterhalten, liegt eine – die Eintragung als Idealverein verhindernde – Ausgliederung von wirtschaftlichen Funktionen der Mitglieder nicht vor (Bremen OLG 1989, 1). Für einen Holding-Verein hat der BGH in dem vielbeachteten ADAC-Urt (BGH 85, 84, dazu K. Schmidt NJW 1983, 543ff; Reuter ZIP 1984, 1052ff; Hemmerich BB 1983, 26ff; Steinbrede/Menke, SpuRT 1998, 229; Soergel/Hadding §§ 21, 22 Rn 43) die unternehmerische Geschäftstätigkeit der abhängigen AG dem Verein nicht zugerechnet, weil der nötige Gläubigerschutz durch die Beachtung der Rechtsnormen des Handelsgesellschaftsrechts auf Seiten der abhängigen Gesellschaft gewährleistet sei, zust. insoweit Leuschner ZIP 2015, 356, 364. Daneben gelte das Nebenzweckprivileg insoweit, als es sich um die wirtschaftliche Förderung der Tochtergesellschaft durch den Verein handelt. Inzwischen hat die Gefahr der Zurechnung der als wirtschaftlich zu qualifizierenden Pannenhilfe zu einer weitgehenden Umstrukturierung des ADAC geführt (dazu Leuschner NZG 2017, 16ff dort auch zu den Problemen um die vom AG München abgelehnte Löschung des FC Bayern München eV, die auf die Entwicklung eines vereinsspezifischen Abhängigkeitsbegriffs und eine Konzeption des Vereins-Konzernrechts hinauslaufen könnte; s auch Westermann NZG 2017). Dass die Pflicht zum Nachteilsausgleich und möglicherweise (auch noch abhängig von der Rechtsform der Tochtergesellschaft) auch zum Schadensersatz von einem wirtschaftlich schwachen Idealverein nicht erfüllt werden und dadurch eine Gefährdung der Gläubigerinteressen verursacht werden könnte (s K. Schmidt AcP 182, 1, 21f), hat der BGH unter Hinw auf die persönliche und gesamtschuldnerische Haftung der Vereinsorgane (§ 317 III AktG) nicht für ein entscheidendes Bedenken erachtet (ebenso Hemmerich BB 1983, 26, 28). Damit wird allerdings der Gläubigerschutz bei den abhängigen Kapitalgesellschaften auf die Aufbringung des Stammkapitals und die Haftung reduziert, wenn auch Pubilizitätsvorschriften wie § 37 I HGB gelten (näher Bohnenkamp NZG 2009, 272ff). Nach dem ADAC-Urt kann das Nebenzweckprivileg eingreifen, wenn es einen gesetzlichen Gläubigerschutz nach Maßgabe des Kapitalgesellschaftsrechts nicht gibt. Zumindest eine Mehrheitsbeteiligung an einer Gesellschaft, deren Aktivitäten, wenn sie der Holding-Verein selbst ausübte, wirtschaftlicher Natur wären, muss dem Verein zugerechnet werden (Beuthien NZG 2015, 449, 457f; zum ADAC-Urteil krit auch K. Schmidt AcP 182, 1, 12; Segna ZIP 1997, 1901, 195), so besonders bei beherrschendem Einfluss des Vereins Beuthien NZG 2015, 457; Soergel/Hadding Rn 27; Reichert Rn 140; für Zurechnung sogar von Minderheitsbeteiligungen Reuter ZIP 1984, 1056, und das Nebenzweckprivileg greift nicht mehr, wenn die auf die Tochter ausgelagerten die beim Mutterverein verbliebenen Aktivitäten übertreffen; gegen die Beschränkung der Zurechnung auf die Haftungsfrage Leuschner ZIP 2015, 356, 363, der die Ausstattung dieser Aktivitäten mit Eigenkapital fordert (eher rechtspolitisch vertretbar). 3. Mit der Eintragung entsteht die Rechtsfähigkeit (konstitutive Wirkung), dies auch bei Fehlen wesentlicher Ein- 9 tragungsvoraussetzungen (BGH NJW 1983, 993; WM 1984, 977, 979; Düsseldorf NJW 1990, 328). Dies gilt allerdings uneingeschränkt nur für Mängel einzelner Satzungsbestimmungen einschl der Gesetzwidrigkeit (Staud/ Weick Rn 27ff; MüKo/Reuter Rn 67). Bei Mängeln des Eintragungsverfahrens, die iSd § 395 FamFG als wesentlich bezeichnet werden müssen, muss eine Amtslöschung stattfinden, während § 22 jetzt nur noch den Fall betrifft, dass ein wirtschaftlicher, durch Verleihung rechtsfähig gewordener Verein andere als die satzungsmäßigen Zwecke verfolgt; zu der Frage, wie bei „Rechtsformverfehlung“ eines eingetragenen Idealvereins zu verfahren ist, s Rn 10. Insgesamt sollte bei Mängeln von Satzungsregeln von der Wirksamkeit der Eintragung in dem Sinne ausgegangen werden, dass dem eingetragenen Gebilde Rechtsfähigkeit zukommt. Das passt zu dem auch sonst anerkannten Bestreben nach möglichst weiter Geltung nach außen in Erscheinung getretener Staatsakte, nach Vermeidung von Rechtsverwirrung und nach Befriedigung eines Verkehrsschutzbedürfnisses (vgl RG 81, 208; HRR 1928 Nr 1958; Köln OLG 1977, 65, 66; eingehend MüKo/Reuter Rn 68, 69), obwohl bei besonders schwerwiegenden Mängeln doch auch Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Gründungsakts angenommen werden muss (Düsseldorf NJW 1990, 328). Entschiede man anders, so müsste der Verein als Gesamthandsgemeinschaft bestehen (K. Schmidt ZHR 147, 43, 52f). Im Innenverhältnis ist der Verein aber auf die Abwicklung beschränkt, in diesem Rahmen muss er auch soweit als rechtsfähig behandelt werden. Vor der Eintragung besteht nur ein nicht rechtsfähiger Vorverein, Rn 11. Bzgl der Voraussetzungen der Eintragung s §§ 55ff. Bei Löschung eines Idealvereins nahm schon nach dem bisherigen Recht die überwiegende Meinung einen Vorrang des Verwaltungsverfahrens an (BayObLG 1978, 87, 89; Rpfleger 1985, 117f; KG MDR 1993, 79; Hamm OLG 1993, 19; Celle NJW-RR 1996, 1502; Kopp NJW 1989, 2497, 2503; aM K. Schmidt NJW 1993, 1225; Oetker NJW 1991, 385; Böttcher Rpfleger 1988, 169f). Dabei wurde ein Ermessensspielraum für die Prüfung anerkannt, ob im Einzelfall der Entzug der Rechtsfähigkeit mit der Folge der Liquidation geboten ist (VG Hamburg NJW 1996, 3363; BayObLG Rpfleger 1986, 528; näher Böttcher Rpfleger 1988, 170; Staud/Weick Rn 13). Das BVerwG (NJW 1989, 1168) ließ das zwar nur für atypische Fälle gelten, beließ es aber bei der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde (für ÜberWestermann

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tragung auf die Registergerichte K. Schmidt NJW 1998, 1124ff). Eine diesbzgl Zuständigkeit des Registergerichts in diesem Zusammenhang ist noch immer nicht ausdr vorgesehen, so dass nicht ganz klar ist, ob in diesen Fällen der „verdeckten Rechtsformverfehlung“ neben der Behörde nicht auch das Registergericht zuständig ist, was mit § 395 FamFG begründet werden könnte (dafür Oetker NJW 1991, 385, 388; Reuter NZG 2005, 738, 745; für Beurteilungsspielraum des Registergerichts Beuthien NZG 2014, 449, 454; Leuschner ZIP 2015, 356, 366). Wenn man aber mit dem BGH im Kolpingwerk-Urt (Vor § 21 Rn 6) Haftungsfolgen aus einer Rechtsformverfehlung ua mit der Begründung ablehnt, dass die amtl Löschung derartiger Vereine praktisch genüge, ist jetzt ohne die Zuständigkeit des Registergerichts gem § 395 FamFG nicht mehr auszukommen (so auch Reuter NZG 2009, 1373). Eine Lösung über einen nachträglichen Antrag auf Konzession gem § 22 könnte auch unabhängig vom schwebenden Löschungs- oder Entziehungsverfahren erfolgreich sein (Oetker NJW 1991, 385, 391f in Auslegung der Beschl BayObLG 1959, 152, 158 und 1959, 287, 294ff). Ändert der Verein nach rechtmäßiger Eintragung als Idealverein seinen tatsächlichen Zweck, indem er etwa einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb aufnimmt, so war nach dem früheren § 43 II ein behördliches Verfahren auf Entziehung der Rechtsfähigkeit einzuleiten; die Vorschrift ist im Zuge der Vereinsrechtsreform (vgl Vor § 21 Rn 16) aufgehoben worden. Damit betrifft auch die Zuständigkeitsregelung in § 44 nurmehr die durch Verleihung rechtskräftig gewordenen Vereine. 4. Verhältnis zum Vorverein. Im Regelfall sind Vorverein und eV abgesehen von der Rechtsfähigkeit identisch, so dass kein besonderer Erwerb der Rechtsposition des Vorvereins durch den eV, auch nicht für Grundstücke (RG 85, 256), erforderlich ist (BGH WM 1978, 115, 116; NK/Heidel/Locher Rn 7). Die Vertretungsmacht der Organe des Vorvereins ist aber auf die Gründungsgeschäfte beschränkt. Bei Eintragung eines bestehenden nicht rechtsfähigen Vereins haftet der eV für alle Verbindlichkeiten des nicht rechtsfähigen Vereins (RG 85, 256; BGH 17, 385, 387; MüKo/Reuter Rn 80; aM Horn NJW 1964, 86ff). Bei Mitglieder- oder Organisationswechsel entsteht ein neuer Verein (vgl KG JW 1931, 545). Das bei Kapitalgesellschaften auftretende Problem des Beginns kaufmännischer Aktivitäten vor Eintragung der Gesellschaft, das zu einer Differenz- oder Vorbelastungshaftung führen könnte, stellt sich beim Idealverein besonders im Gründungsstadium nicht in diesem Maße, so dass mit der Handelndenhaftung iSd § 54 S 2 auszukommen ist (Staud/Weick § 54 Rn 70; NK/Heidel/Locher Rn 10; BaRo/Schöpflin Rn 117). Der Einwand (MüKo/Reuter Rn 84, 85), auch der nichtwirtschaftliche Verein dürfe nicht überschuldet ins Leben treten, so dass entweder eine interne Verlustdeckungshaftung oder eine persönliche und unbeschränkte Gründerhaftung notwendig sei, überzeugt nicht, da für eine Gründerhaftung neben § 54 S 2 im Vorstadium kein Anhaltspunkt besteht und § 42 nach wie vor eine Haftung für Insolvenzverschleppung vorsieht (ähnlich BaRo/Schöpflin Rn 117). Für das Innenverhältnis des Vorvereins gilt Vereinsrecht.

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Wirtschaftlicher Verein

Ein Verein, dessen Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, erlangt in Ermangelung besonderer bundesgesetzlicher Vorschriften Rechtsfähigkeit durch staatliche Verleihung. Die Verleihung steht dem Land zu, in dessen Gebiet der Verein seinen Sitz hat. Nur einem wirtschaftlichen Verein kann Rechtsfähigkeit nach § 22 verliehen werden. Der Idealverein kann nicht etwa wahlweise oder sicherheitshalber die Rechtsfähigkeit über § 22 anstreben (BVerwG NJW 1979, 2265). Mit der Formulierung „in Ermangelung besonderer bundesgesetzlicher Vorschriften“ drückt das Gesetz die Subsidiarität des Weges über § 22 ggü dem der Verwendung der handelsrechtlichen Formen aus (BGH 85, 84, 89; BaRo/ Schöpflin Rn 6), so etwa ggü der Genossenschaft BGH 45, 395; vgl § 21 Rn 5. Liegen die Voraussetzungen der handelsrechtlichen Rechtsform vor, muss sich der Verein aber auf die zweckneutralen Formen von AG und GmbH verweisen lassen, OVG Münster 23.7.2009 – 12 A 3483/07, s auch schon KG HRR 1936 Nr 612, es sei denn, dem Verein ist wegen der atypischen Umstände des Einzelfalls die Verwendung handelsrechtlicher Formen nicht zumutbar (BVerwG NJW 1979, 2261 mit ausf Abwägung von Vereinigungsfreiheit und Ordnung des Rechts- und Wirtschaftslebens). I Erg heißt dies, dass der Verein nur Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung hat; zust K. Schmidt NJW 1979, 2239. Zum Verfahren und zur Zuständigkeit nach dem für den Vereinssitz maßgebenden Landesrecht Stöber/Otto Anh B Rn 3ff. Die Behörde hat auch zu prüfen, ob der Verein die im Interesse der Mitglieder und insb Dritter erforderliche Sicherheit bietet (Frage der Organisation und der Mittel); Nichtberücksichtigung erkennbarer Gefahren kann unter § 839 fallen. Einzelne Typen wirtschaftlicher Vereine sind durch besondere bundesgesetzliche Vorschriften zugelassen (zB Verwertungs- und Erzeugergemeinschaften), in denen die Voraussetzungen der Konzession geregelt sind (BVerwG NJW 1979, 2261). Die allg Vorschriften über den Verein (insb das Verfassungsrecht) sind anwendbar, soweit sie nicht Eintragung voraussetzen, bis zur Verleihung der Rechtsfähigkeit besteht also ein Vor-Verein. Vgl auch §§ 33 II, 43 IV. Auch Satzungsfreiheit besteht, wenn sie nicht durch den staatlichen Verleihungsakt eingeschränkt wird (Beuthien/ Grätsch ZHR 157, 483). Ein nicht staatlich konzessionierter Wirtschaftsverein, dem also eine der GbR vergleichbare Rechtsfähigkeit abgesprochen wird, kann deshalb nicht wie die letztere unter Nennung seines Namens ohne Bezeichnung der Mitglieder und somit anders als der Idealverein im Grundbuch eingetragen werden, weil dies den numerus clausus der Vereine des Handelsrechts unterliefe (so KG NZG 2015, 1034 für einen Verein für kommunalen Schadensausgleich, dazu § 21 Rn 4). Ähnlich kann eine Erzeugergemeinschaft, die nicht die speziellen gesetzlichen Voraussetzungen einer Anerkennung als wirtschaftlicher Verein erfüllt, diesen Status nicht über § 22 erlangen (VG Würzburg NZG 2015, 74). 140

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Sitz

§ 25

Als Sitz eines Vereins gilt, wenn nicht ein anderes bestimmt ist, der Ort, an welchem die Verwaltung geführt wird. 1. Der Sitz hat Bedeutung für die Zuständigkeit zur Eintragung, vgl § 55, ferner nach § 17 ZPO für den allg Ge- 1 richtsstand und die Bewertung des Vereins als in- oder ausländischen. Grds ist der Sitz des Vereins mit dem Wohnsitz der nat Pers gleichzustellen, zB für § 269. 2. Sitz ist der tatsächliche räumliche Mittelpunkt der Verwaltung der jur Pers, was auf die Organtätigkeit hin- 2 deutet, weniger auf den Ort der tatsächlichen Tätigkeit. Der Sitz muss durch die Satzung bestimmt werden (§ 57), wobei auch ein anderer Ort als Sitz bestimmt werden kann (Satzungssitz), BayObLG NJW-RR 1988, 96. Ein durch die Satzung rein fiktiv bestimmter Sitz, für den kein sachlicher Anknüpfungspunkt (auch nicht die Erreichbarkeit für Mitgliederversammlungen) vorliegt, kann missbräuchlich sein (LG Berlin NJW-RR 1999, 335; s auch Staud/Weick Rn 3; MüKo/Reuter Rn 3, BayObLG Z 1987, 267). Ob mehrfacher Sitz möglich ist, ist str, wird aber von der hM wegen der Gefahr widersprechender Registereintragungen für den Regelfall verneint (Hamburg MDR 1972, 417; Reichert Rn 565; Staud/Weick Rn 10), wobei die Ausnahmesituation, die für Kapitalgesellschaften während der Nachkriegszeit bestand, für Vereine kaum mehr gelten kann; anders uU im Verhältnis zum Ausland (MüKo/Reuter Rn 2), aber auch nach einer Verschmelzung kann die Wahl eines zweifachen Satzungssitzes zulässig sein (MüKo/Reuter Rn 7). Sitzverlegung möglich bei eV als Satzungsänderung (§§ 57, 71). Die Änderung des Sitzes wird also durch die Registereintragung wirksam, für die das Gericht des neuen Sitzes zuständig ist (BayObLG NJW-RR 1996, 350; KG NJW 1992, 509; Brandenburg Rpfleger 1998, 73; aM Bremen Rpfleger 1981, 67), ohne dass der Verlegungsbeschluss schon das neu zuständige Registergericht nennen muss, Karlsruhe NZG 2014, 109. Das bisher zuständige Amtsgericht gibt die Registerakten an das für den neuen Sitz zuständige ab, das den Verein einträgt (Düsseldorf MDR 1956, 607; Bremen NJW 1957, 714; Hamm Rpfleger 1963, 119; NJW 1963, 254). Zur Sitzverlegung ins Ausland s Vor § 21 Rn 14. § 24 bestimmt den Sitz auch, wenn die Satzung, obwohl dies vorgeschrieben ist, eine solche Festlegung versäumt. Vorübergehendes Fehlen jedes Sitzes ist möglich (BGH 33, 204). Die Existenz des eingetragenen Vereins als jur Pers wird dadurch nicht berührt.

§ 25

Verfassung

Die Verfassung eines rechtsfähigen Vereins wird, soweit sie nicht auf den nachfolgenden Vorschriften beruht, durch die Vereinssatzung bestimmt. 1. Die Verfassung ist die Regelung der Organisation, des Zwecks und der Mitgliedschaft; sie bestimmt damit die 1 äußere Gestalt, die Grundentscheidungen und das Innenleben des Vereins (BGH 47, 172). Unter Satzung wird die rechtsgeschäftlich geschaffene Verfassung und zugleich die Verfassungsurkunde verstanden, zur Einordnung in die Rechtsgeschäftslehre Rn 2. Auf ein Exemplar der Satzungsurkunde hat das Vereinsmitglied Anspruch und braucht sich insoweit nicht auf das Vereinsregister verweisen zu lassen (LG Kassel Rpfleger 1987, 164). Das löst nicht das neuerdings bei den Publikums-Personengesellschaften stärker aufgekommene Problem des Einsichtsrechts von Vereinsmitgliedern in eine beim Verein vorhandene Mitgliederliste, das BGH NZG 2010, 1430 im Zusammenhang mit dem Versuch von Vereinsmitgliedern, die anderen von einer (angeblichen) Richtungsänderung des Vereins zu informieren, grds bejaht hat, weil ein rechtliches Interesse an effektiver Mitwirkung an der Willensbildung bestehe (s auch BGH NZG 2013, 798; Saarbrücken NZG 2008, 677; München BeckRS 2016, 06179 und vertiefend Römermann NZG 2011, 56ff). Hamburg NZG 2010, 317 hat allerdings den Anspruch dahin eingeschränkt, dass die Liste an einen Treuhänder herausgegeben werden muss, wenn das Geheimhaltungsinteresse nicht überzeugt; das betrifft dann auch Bücher, Vertragsunterlagen oder Abschlüsse (Wagner NZG 2015, 2382). Materiell-rechtlich sind die Festsetzung der Satzung und ihre Änderung formfrei gültig; außer beim nicht rechtsfähigen Verein, der auch nach einer Satzung lebt, ist aber Eintragung im Vereinsregister erforderlich, s §§ 59 II Nr 1, 71, die wie die Satzungsänderung praktisch eine formelle Urkunde voraussetzt (Beschl aber wirksam, urkundliche Festlegung kann nachgeholt werden). Eine geschriebene Satzung muss der Verein nicht haben, es genügt Observanz (BGH WM 1985, 1468; Reuter ZHR 148, 523, 549ff). Die Satzung als Rechtsgrundlage des Körperschaftsverhältnisses ist von der Geschäftsordnung der Vereinsorgane zu unterscheiden, die lediglich eine äußere Ordnung der Tätigkeit der Organe ohne Einfluss auf das Mitgliedschaftsverhältnis oder auf die Gestalt der jur Pers schafft; häufig kann sie, ohne dass eine satzungsmäßige Grundlage erforderlich ist (BaRo/Schöpflin Rn 24), von dem Organ selbst erlassen werden, sie darf aber nicht gegen die Satzung verstoßen oder der Satzung vorbehaltene Grundentscheidungen treffen. Verletzung der Geschäftsordnung kann von Mitgliedern nur unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitssatzes gerügt werden (BGH 47, 172, 177). Privatrechtliche Vereinsordnungen sind auch keine Verbotsgesetze iSd § 134 (Taupitz JZ 1984, 221). 2. Der Inhalt der Vereinsverfassung ergibt sich aus dem Zusammenwirken der (teils zwingenden, teils nachgie- 2 bigen) Gesetzesnormen (§§ 27–39, vgl § 40) und der Satzung. Zu ihrer Schaffung ist der Verein aufgrund der Vereinsautonomie selbst zuständig, was bedeutet, dass der Verein frei ist, die Verfolgung des von ihm gesetzten Westermann

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§ 25

Personen

Ziels und zu diesem Zweck das Rechtsverhältnis zu seinen Mitgliedern ohne andere Bindung als an zwingende gesetzliche Vorschriften selbständig zu regeln (s auch BVerfG NJW 1979, 699), hierbei also Recht zu schaffen (MüKo/Reuter Rn 17, 18; BaRo/Schöpflin Rn 10). Die Vereinsautonomie hat ihre Grundlage in der Anerkennung des Willens der Vereinsmitglieder, folglich in der Privatautonomie (näher Steinbeck Vereinsautonomie, 16ff). Allerdings besteht insoweit ein Theorienstreit zw einem rein vertragsrechtlichen Verständnis der Begründung des Rechts zur Ordnung des Vereinslebens durch den Verein (Hadding/van Look ZGR 1988, 270, 274; Lutter AcP 180, 84, 95, 97) und einem „organisationsrechtlichen“ oder auch „normentheoretischen“ Ansatz für diese Frage (im Einz Reuter, FS 50 Jahre BGH, 2000, 211, 214ff m Nachw). Der BGH hat sich insoweit nicht festgelegt, seine Äußerungen (BGH 21, 370, 373; 49, 396; 105, 306) werden vielfach im Sinne einer modifizierten Normentheorie verstanden, die von einem Vertrag ausgeht, der aber nach Entstehung der jur Pers deren Verfassung ergibt (zur Deutung Reuter aaO, 219ff). Praktische Bedeutung hat dies etwa für die Anwendung des § 139 bei Lücken (Rn 13) und des § 343 bei satzungsmäßigen Strafen, bis zu einem gewissen Grade auch für die Auslegung. Die Rechtsbeziehungen des Vereins zu anderen Privatpersonen betrifft die Vereinsautonomie nicht (BVerfG NJW 1996, 1203). IÜ endet die Vereinsautonomie an den allg Schranken der Privatautonomie, wobei etwa für § 138 eine Einschränkung der Freiheit des Mitglieds erheblich sein kann (RG 165, 140, 144; Steinbeck, 42ff; zurückhaltend Weber S 213f), insoweit findet eine gewisse Inhaltskontrolle statt (BGH 105, 306). Unzulässig ist es, wenn die Willensbildung ausschließlich bestimmten Mitgliedern übertragen ist, die die Mitgliederversammlung weder bestellen noch kontrollieren kann (Celle NJW-RR 1995, 1273; anders aber Frankfurt NJW-RR 1997, 482). Denkbar ist aber, dass bestimmten Mitgliedergruppen, im Bereich des DFB also den Repräsentanten des Amateurund des Profi-Sports, Rechte bei der Bestellung der Organmitglieder oder bei grundsätzlichen Entscheidungen eingeräumt werden. Die Einhaltung dieser Schranken hat auch das Registergericht bei der Eintragung zu prüfen. 2a Fraglich ist, ob die Vereinsautonomie auch die Freiheit umfasst, die Willensbildung des Vereins – selbst diejenige durch die Mitgliederversammlung – erheblich oder gänzlich zugunsten Vereinsfremder zu beschränken. Dies wurde in der Rspr vielfach verneint, wenn auch mehr im Rahmen eines allg Obersatzes, von dem Ausnahmen zugelassen werden, wenn der Einfluss des Dritten nicht geradezu anstößig ist (eine gänzliche Aufgabe des Grundsatzes fordert daher Schockenhoff AcP 193, 35ff). So wird es zwar im Ausgangspunkt als unzulässig angesehen, etwa die Auflösung des Vereins außer von einer Entscheidung der Mitgliederversammlung von der Zustimmung eines Dritten abhängig zu machen (Stuttgart NJW-RR 1986, 955; Steinbeck S 119; Stöber/Otto Rn 252; Gegenbeispiele bei Schockenhoff aaO). Die Rspr hebt aber darauf ab, ob der Einfluss des Dritten so stark ist, dass die Zweckverfolgung des Vereins und seine vermögensmäßige Selbständigkeit zugunsten einer Unterordnung unter den Dritten praktisch entfallen (BVerfG 83, 341, 360; Hamm NJW-RR 1995, 119; BayObLG NJW 1980, 1757; Frankfurt OLG 1981, 391; Übersicht bei Weber Privatautonomie und Außeneinfluss, 118ff), so dass etwa das Erfordernis der Zustimmung eines Diözesanbischofs zur Auflösung eines Caritasvereins hingenommen wurde (BayObLG aaO, s auch Rn 2b), nicht dagegen die Übertragung der Auflösungsbefugnis auf einen Dritten (Stuttgart NJW-RR 1986, 995). Wirksam ist die Einräumung eines Einspruchsrechts für einen Bezirksvorstand bei der Wahl eines Unterbezirksvorstands, KG v 23.11.2007 – 11 U 20/07. Nicht zulässig ist eine Bindung an die Entscheidung vereinsfremder Dritter, die die Mitgliederversammlung nicht einmal durch Satzungsänderung aufheben könnte (s auch Beuthien/Grätsch ZHR 157, 483) Nach Stuttgart (NZG 2010, 753) verhindert das auch im sonstigen Verbandsrecht bestehende Abspaltungsverbot die Übertragung von Stimm- und Wahlrechten eines Mitglieds, das jur Pers ist, auf ihm angeschlossene Unternehmen. 2b Die Einbindung von Vereinen mit einer den christlichen Religionsgemeinschaften nahestehenden Zwecksetzung in eine landeskirchliche Organisation kann zu einem Konflikt mit einem Außeneinfluss kirchlicher Instanzen führen. Allerdings ist die Verfolgung der Vereinszwecke, zT auch die Finanzierung, ohne Zusammenarbeit mit den offiziellen Organen und Verbänden der betreffenden Religionsgemeinschaft oft schwer möglich. Deswegen scheiterte bei kirchlichen Vereinen maßgeblicher, satzungsmäßig verankerter Fremdeinfluss der verfassten Kirche und ihrer Organe in Anwendung der Art 140 GG, 137 III WRV nicht am Grundsatz der Vereinsautonomie (BVerfG JZ 1992, 248; LG Oldenburg JZ 1992, 250; so auch zu Satzungsänderungen Düsseldorf NZG 2009, 1227; anders noch Frankfurt NJW 1983, 2576; dazu eingehend Flume JZ 1992, 238ff). Düsseldorf aaO ließ daher trotz an sich wirksamer Entscheidung der Mitgliederversammlung über einen Kirchenaustritt die Eintragung der Satzungsänderung an der fehlenden Zustimmung des Presbyteriums scheitern (krit bzgl der Begründung aus der Sonderstellung religiöser Vereine Wolff NZG 2009, 1217ff). 3 Nicht selten wird in Ordnungen nicht satzungsrechtlicher Qualität (Nebenordnungen) für die Mitglieder bindendes Vereinsrecht durch Beschl der Mitgliederversammlung oder eines durch die Satzung hierzu legitimierten Vereinsorgans geschaffen. Das ist grds wirksam, wenn sich derartige Bestimmungen auf die nähere Ausgestaltung des in der Satzung enthaltenen Rechts beschränken (Lukes NJW 1972, 121; Reichert Rn 467ff). BGH NZG 2015, 1282 nimmt ferner an, dass durch die neben der Satzung stehende, die Teilnahme von Sportlern an Wettkämpfen regelnde RL ein vorvertragliches Schuldverhältnis zwischen einzelnen Athleten (die nicht Mitglieder des Vereins sind) und dem nominierenden Verband entstehe, das den Verein zu korrektem Verhalten bei Nominierungen verpflichtet; zu den Einzelheiten dieser „Außenwirkung“ von Vereinsrecht Hübner NZG 2016, 50ff, dort auch zu der den Rechtsstreit entscheidenden Auslegung der RL nach allein objektiven Kriterien (wie bei Satzungen und Vereinsordnung) oder unter Einbeziehung der Perspektive des sich vorvertraglich der RL unterwerfenden Sportlers. Zur Unterwerfung unter Verbandsrecht kann ein Nichtmitglied, etwa ein Berufsfußballer, 142

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Juristische Personen – Vereine

§ 25

auch durch seinen Arbeitsvertrag mit einem Sportverein gezwungen sein. Wenn Frankfurt ZIP 1985, 213, 215 langjährige Observanz zur Ergänzung fehlender Grundentscheidungen der Satzung ausreichen lässt, so ist dies schon mit Rücksicht auf § 71 auf Lückenfüllung beschränkt und erstreckt sich nicht auf Änderungen (Oldenburg NZG 2009, 917; PWW/Schöpflin Rn 7). Besonders in mitgliederstarken, regional weit verstreuten Vereinen werden häufig für die Ausgestaltung der Mitgliedschaft ausschlaggebende Regelungen außerhalb der eigentlichen Satzung getroffen, während die Satzung Grundentscheidungen über Zweck, Mitgliedschaft und Organisation enthält, näher hierzu Grunewald ZHR 152, 242ff; Hübner aaO. Deshalb ist wichtig, dass die Rspr (BGH 47, 172, 177; 88, 314, 316; 105, 306, 314; näher Reuter ZHR 148, 523, 527; MüKo/Reuter Rn 5; Staud/Weick Rn 3) die Vereine zwingt, die das Vereinsleben bestimmenden Leitprinzipien und Grundsatzregelungen in der Satzung selbst zu treffen (zur Bedeutung für Straf- und Verwaltungsmaßnahmen Rn 4 und 7); so in Auseinandersetzung mit der Gegenmeinung, die zur Gewährleistung flexibler Reaktionen auf veränderte Umstände auf satzungsmäßige Festlegung von Grundentscheidungen verzichtet (Lukes NJW 1972, 121; Grunewald ZHR 152, 248; Reuter ZHR 148, 525), wieder BGH 105, 306 – Regelung von Beitragspflichten zu einem „Feuerwehrfonds“ unter Hinw auf die notwendige Information aller Mitglieder; s auch München NJW-RR 1989, 966. Das betrifft etwa die Festlegung von Beiträgen durch ein in der Satzung berufenes Organ in einem durch sie gezogenen Rahmen (so etwa AG Grevenbroich MDR 1991, 318 für die Befugnis von Vorstand und Mitgliederversammlung, einmalige Sonderleistungen festzulegen; BGH ZIP 2008, 1423 m zust Anm van Look LMK 2009, 273641 zur Erhebung eines Sonderbeitrags in Gestalt eines zinslosen Darlehens). Soll der Vereinsbeitrag variabel (durch Maßgeblichkeit des Umsatzes des Vorjahres) gestaltet werden, ist dies keine der Satzung vorbehaltene Grundsatzentscheidung (BGH NZG 2010, 1112; BGH 130, 243; BGH NZG 2013, 671 zur Festsetzung uneinheitlicher Beiträge; anders noch BGH 105, 306). Zugelassen sind auch Benutzungsordnungen für Vereinseinrichtungen und die Sanktionen für ihre Verletzung, bei einem Züchterverein also das Zuchtprogramm und die Zuchtziele. In einer Nebenordnung kann der Rechtsweg gegen die ein Mitglied beschwerenden Beschl von Vereinsorganen einschl der Einführung eines Schiedsgerichts anstelle staatlicher Gerichte (BGH 88, 314) geregelt werden; eine solche Maßnahme ist grds zulässig (RG 153, 267; 165, 140), zu den Anforderungen an „echte“ ZPO-Schiedsgerichte im Unterschied zur Vereinsgerichtsbarkeit Rn 6. Hierfür fordert die bisherige Rspr (BGH 88, 314, 316; Hamm NJWRR 1993, 1535; München JZ 2015, 355 m Anm Heermann 362), dass die Satzung durch eine zu ihrem Bestandteil gemachte Schiedsordnung wenigstens die Zusammensetzung des Schiedsgerichts und die Bestellung der Schiedsrichter regelt; anders zul BGH BB 2016, 1409 – Pechstein, krit Kurzkomm Bunte EWiR 2016,415. Schiedsklauseln eines Monopolverbandes können gegen Kartellrecht verstoßen, so Heermann NJW 2016, 2224; Zimmermann ZWeR 2016, 66ff, s auch hier Rn 6. Anders ist auch eine Geltung der Schiedsklausel ggü allen Mitgliedern kaum vorstellbar (zu den Schiedsklauseln weiter Rn 7). Satzungsangelegenheit sind die Grundsätze über das Wahlverfahren in der Mitgliederversammlung (BGH WM 1989, 366) sowie die Entscheidung, ob eine Mitglieder- oder eine Delegiertenversammlung zuständig sein soll (Frankfurt WM 1985, 1466), ebenso die Zusammensetzung und Bestellung der Vereinsorgane (MüKo/Reuter Rn 10, 12). Die unter-satzungsrechtlichen Ordnungen dürfen allg die Mitglieder nicht stärker belasten als die Satzung. Durch Satzungsbeschluss den Mitgliedern Arbeits- oder ersatzweise Geldleistungen aufzuerlegen (AG Grevenbroich MDR 1991, 318), verstößt freilich nicht gegen Art 9 I GG (BVerfG NJW 1991, 2626). Besonders die Satzungen von Sportverbänden, namentlich der nationalen Verbände, beziehen sich öfter auf die Regelwerke nationaler (BGH 128, 93 m Anm Wolf LM § 25 BGB Nr 34) oder supranationaler Organisationen, etwa zu den Folgen von Doping-Vergehen; dies ist zulässig (LG Neubrandenburg NJW-RR 1994, 1269), darf aber den Rechtsschutz des Mitglieds durch Inhaltskontrolle des Regelwerks des übergeordneten Verbandes nicht verkürzen (München NJW 1996, 2382), welche Gefahr etwa bei der Zulassung von Sportlern zu Veranstaltungen durch den Intern Leichtathletikverband (dazu Haas/Adolphsen NJW 1996, 2251; zum Fall „Pechstein“ Rn 6) oder beim Vereinswechsel von Sportlern oder ihrer Spielberechtigung für einzelne Veranstaltungen besteht. Zunehmende Bedeutung kommt hier dem in der Schweiz ansässigen Court of Arbitration for Sport (CAS) zu, der inzwischen von vielen Sportverbänden sowie von der staatlichen Gerichtsbarkeit als Schiedsgericht anerkannt worden ist (München NJW-RR 2001, 711; näher H.P. Westermann/Pereira/Borges, FS Schwark, 2009, 71ff). Unabhängig davon hatte Frankfurt (SpuRt 2001, 159) dem Intern Leichtathletik-Dachverband (IAAF) für Dopingverstöße, die in die Zuständigkeit eines Nationalverbandes fallen, eine die Entscheidungen des nationalen Verbandes bindende Kompetenz zugebilligt, der CAS kommt aber als Rechtsmittelinstanz in Betracht. Weitgehend durchgesetzt ist eine Inhaltskontrolle der Entscheidungen der Vereinsorgane daraufhin, ob das zu- 4 ständige Vereinsorgan auf einen richtig festgestellten Sachverhalt eine Bestimmung des inneren Vereinsrechts an sich zutr anwendet und dabei den Maßstab der Billigkeit beachtet (Köln NJW-RR 1993, 891; eingehend dazu van Look WM-Festgabe Hellner, 1994, 46ff). Gewöhnlich besteht ein Rechtschutzbedürfnis des Mitglieds für eine die Rechtmäßigkeit von Beschlüssen betreffende Feststellungsklage, zu Ausnahmen Hamm NZG 2016, 696. Grundlage ist nicht eine Parallele zu den §§ 305ff, da diese nach § 310 IV auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts nicht anwendbar sind (Düsseldorf NJW 2008, 1451), sondern § 242 (BGH 105, 306 m Anm Beuthien WuB II § 25 L 1/89; Bunte ZGR 1991, 316; BGH 128, 93 für die Kontrolle sportlicher Regelwerke in ihrem Verhältnis zu Nichtmitgliedern). Zur Kontrolle der Satzung als ganzer bei Anmeldung zum Register s § 57. Ansatzpunkt für die Kontrollfähigkeit von Satzungsklauseln ist zum einen Teil eine gewisse Machtstellung mancher Vereine im sozialen und wirtschaftlichen Bereich, die es dem Mitglied erschwert oder unmöglich macht, als Gegenmaßnahme gegen belastende Vereinsakte auszutreten, zum anderen das Bedürfnis nach einer funktionsgerechten Organisation des Vereinslebens, besonders der Mitwirkung der Mitglieder an der Willensbildung (BGH 61, 282, 290; Westermann

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Personen

105, 306; NJW 1995, 583; Betrachtung aus der Perspektive eines allg Verbandsrechts bei MüKo/Reuter § 21 Rn 94ff). Die grds Unanwendbarkeit des AGB-Rechts schließt nicht aus, einen vom Mitglied aufgrund einer Satzungsvorschrift abgeschlossenen, jedoch nicht an die Vereinsmitgliedschaft gebundenen Darlehensvertrag auf unangemessene Benachteiligung des Darlehensgebers nach § 307 zu prüfen, Düsseldorf NJW 2008, 1451. Kontrollbedürftig sind Bestimmungen zur Beschränkung der – an sich bestehenden – Aufnahmefreiheit des Vereins (dazu § 38 Rn 6) sowie zur Verhängung von Vereinsstrafen einschl des Ausschlusses (Rn 5f) oder zur Verhängung einer Wettkampfsperre (München NJW 1996, 2382). Um die Funktionsgerechtigkeit geht es bei Verwaltungsmaßnahmen wie der Festlegung von Beiträgen zu einer Verbandseinrichtung (BGH NJW 1989, 1724, 1726). Die Beschränkung der Inhaltskontrolle auf Vereine, die im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich eine Machtstellung haben, und deren Mitglieder auf die Teilnahme angewiesen sind (BGH 105, 306, 316f, s auch BGH NJW 1994, 43 zum Gewerkschaftsausschluss, zurückhaltend aber Reichert Rn 3327), wird von den Instanzgerichten nicht durchweg befolgt (Frankfurt ZIP 1984, 61, 63; Celle NJW-RR 1989, 313; zust Soergel/Hadding Rn 25a; BaRo/Schöpflin Rn 29). Stets beachtlich sind aber der Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitglieder und das Willkürverbot (Celle NJW 1995, 1273). Einem Formerfordernis unterliegen Vereinssatzungen nicht (Frankfurt ZIP 1985, 215). Bei Vereinen, die am bezahlten Leistungssport teilnehmen, sind verschiedentlich Satzungsregelungen (auch diejenigen übernationaler Verbände), die Ausländersperrklauseln oder Regeln über Ablösezahlungen enthalten, wegen Verstoßes gegen Gemeinschafts- oder nationales Verfassungsrecht für ungültig erklärt worden (EuGH NJW 1996, 505 – Bosman, dazu Hilf/Pache NJW 1996, 1169, H. P. Westermann DZWIR 1996, 82; Palme JZ 1996, 238; Wertenbruch EuZW 1996, 91; BAG NJW 1997, 2065 und dazu H. P. Westermann DZWIR 1997, 485, 490; anders für aus sportlichen Gründen erlassene Regelungen Frankfurt MDR 1993, 1250; LG Frankfurt NJW-RR 1994, 1270 – die Unterscheidung ist freilich kaum durchführbar). Das Satzungsrecht hat inzwischen den Bedenken weitgehend Rechnung getragen (Stopper SpuRt 2001, 1; Klingmüller/Wichert SpuRt 2001, 15). 3. Anerkannt ist heute die Möglichkeit der Vereine, im Zuge der Vereinsautonomie auch eine auf die Verhängung von Vereinsstrafen ausgerichtete Vereinsgerichtsbarkeit zu schaffen, deren Entscheidungen, vor allem auch zum Ausschluss von bestimmten Veranstaltungen (besonders in der vereinsübergreifenden Verbandsgerichtsbarkeit) und zum Vereinsausschluss, gerichtlich voll überprüfbar sind und nicht nur auf „offenbare Unbilligkeit“ hin kontrolliert werden (BGH 87, 337; 102, 265; WM 1990, 89; NJW 1997, 3368; MDR 2003, 402; zust Vieweg JZ 1984, 167; Leipold ZGR 1985, 113; H.P. Westermann Anm WuB II L § 25 BGB 1/88; Gehrlein ZIP 1997, 1591; PWW/Schöpflin Rn 21). Das umschließt insb eine uneingeschränkte Tatsachenkontrolle und eine Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter die angewendete Vereinsnorm, schließlich die „Strafzumessung“ (für Kontrolle nur auf grobe Unbilligkeit aber Schleswig v 18.4.2008 – 14 U 95/07). Das gilt auch dann, wenn man, wie vertreten wird (van Look, 107ff; anders H. P. Westermann, Strafgewalt, 61ff), diese Sanktionen als Vertragsstrafen qualifiziert, und ist, wie gesagt (Rn 3), nicht auf Vereine mit überragender Marktstellung beschränkt (s auch Reuter ZHR 151, 355, 358); wohl kann man die Grenzen der diesbezüglichen Vereinsautonomie bei Monopolverbänden enger ziehen (BGH NJW 1997, 3368). Allerdings können bei „echten“ Idealvereinen bestimmte Entscheidungen von Vereinsorganen als Ausdruck einer ideellen Einstellung oder als Anwendung spezieller Verhaltensoder Spielregeln nicht ohne weiteres mit den Maßstäben des allg Rechts gemessen werden. Die Unterwerfung des Mitglieds unter die Vereinsgewalt räumt den Vereinsorganen in dieser Hinsicht ein von der staatlichen Gerichtsbarkeit zu respektierendes Bewertungsvorrecht ein (näher H. P. Westermann, in Verbandsrspr und staatliche Gerichtsbarkeit, 1988, 58; Hadding/van Look ZGR 1988, 276; NK/Heidel/Lochner Rn 34; Gehrlein ZIP 1994, 852 ff; in der Rspr in diese Richtung BGH 102, 265; Celle NJW-RR 1989, 313; LG Bonn NJW 1997, 2958 zum Ausschluss aus der CDU wegen Scientology-Mitgliedschaft; Frankfurt NJW-RR 2000, 1117 für die Prüfung einer wegen eines Doping-Verstoßes verhängten Wettkampfsperre; MüKo/Reuter Rn 40). Bei der Beurteilung von Vorgängen im sportlichen Wettbewerb ist davon auszugehen, dass sich die Teilnehmer der Entscheidung von Schiedsrichtern auf die Gefahr hin unterwerfen, dass im Einzelfall falsch entschieden wird; dies ist also nicht im Hinblick auf das Ergebnis im sportlichen Wettbewerb angreifbar (anders möglicherweise bei Manipulation durch Schiedsrichter, dazu Schwab NJW 2005, 938ff), was aber nicht ausschließt, dass eine auf eine Fehlentscheidung gestützte Strafmaßnahme korrigiert wird. Dies kann namentlich auch im intern Bereich durch Anrufung des CAS (Rn 3) geschehen. In den dt, aber auch in anderen nationalen Sportverbänden, hat sich auf dieser Grundlage eine zT sehr eingehende, manchmal auch mit einem Instanzenzug, ausgearbeitete Sportgerichtsbarkeit entwickelt (für den dt Fußball eingehend Sengle, FS Röhricht, 2005, 1205ff; Schickhardt SpuRt 2001, 70ff), die weitgehend den Verfahrensprinzipien der staatlichen Gerichtsbarkeit folgt und damit die zT engagierte Kritik aus den Anfängen der strafenden Tätigkeit der Vereinsorgane (H.P. Westermann JZ 1972, 537ff; Larenz, GS Dietz, 1973, 45ff) erledigt hat, die allerdings angesichts der Entwicklungen im Fall „Pechstein“ (Rn 6) wieder aufkommen könnte. Nicht völlig geklärt ist nach wie vor die Möglichkeit, den Rechtsweg vor die staatlichen Gerichte durch satzungsmäßige Schiedsklauseln auszuschließen, zu ihrer Gültigkeit schon Rn 4. Auch dies ist wiederum im Bereich des Fußballs am stärksten ausgebildet (im Einz Grunsky, FS Röhricht, 2005, 1137ff), spielt aber auch bei anderen Disziplinen des Hochleistungssports eine Rolle (s etwa Hammer FS Schütze, 2014, 141ff; Hübner NZG 2016, 50). Solche Klauseln könnten bei Vereinen, deren Mitglieder faktisch nicht frei über ihren Beitritt entscheiden können, unter § 1034 II ZPO fallen. Wenn den dadurch und durch § 1042 I ZPO gesetzten Bedingungen entsprochen ist, kann es iÜ bei der Überprüfung des Schiedsspruchs nach § 1059 ZPO verbleiben. Die Unter144

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Juristische Personen – Vereine

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werfung eines Vereins unter die Gerichtsordnung eines Dachverbandes bedeutet noch nicht, dass dieser Schiedsregelung auch Streitigkeiten mit den Mitgliedern unterliegen (Celle NJW-RR 1993, 1535). Anders zu beurteilen sind „Vereinsschiedsgerichte“, die Vereinsorgane sind, keine schiedsrichterliche Unabhängigkeit besitzen, und deren Sprüche im gewöhnlichen Rahmen (Rn 5) der gerichtlichen Nachprüfung unterliegen (Nicklisch BB 1972, 1723; Vollmer, Satzungsmäßige Schiedsklauseln, 1970; näher Haas/Niemeyer NZG 2017, 881ff). Somit bedeutet die satzungsmäßige Überweisung einer Strafmaßnahme an ein vereinsinternes „Schiedsgericht“ keineswegs, dass hiermit ein Schiedsgericht iSd §§ 1025ff ZPO eingerichtet wäre (BGH 128, 93; NJW 2004, 2226; BGH 159, 207; BeckRS 2014, 0393; NZG 2016, 1315 Rn 22; Grunsky, FS Röhricht, 1138). Hierfür müsste den Anforderungen an die Einrichtung einer privaten Schiedsgerichtsbarkeit genügt werden. Dazu hat der BGH (NJW 2004, 2226 und dazu Schlosser, LMK 2004, 169; Kröll ZIP 2005, 13; Grunsky, FS Röhricht, 1140; so auch wieder BGH ZIP 2013, 1217, 1219) mehrere Voraussetzungen benannt: Sicherung eines fairen und unparteiischen Verfahrens (was eine Mitwirkung des betroffenen Vereinsmitglieds an der Besetzung des Spruchkörpers erfordern dürfte), Pflicht zur Anhörung des Betroffenen sowie Grundlegung der Entscheidung in Gesetz, Satzung oder wenigstens der „Billigkeit“; München (JZ 2015, 353 m Anm Heermann) verlangt sogar ausdrücklichen Ausschluss der staatlichen Gerichte. Auch ein Übergewicht der Vereinsorgane bei der personellen Besetzung des Spruchkörpers könnte als maßgebliches Kriterium im Hinblick auf die Möglichkeit einer Partei gesehen werden, gem § 1034 II 1 ZPO beim staatlichen Gericht die Ernennung anderer Schiedsrichter zu beantragen (Grunsky, FS Röhricht, 1142f). Der BGH stellt aber insgesamt auf eine „Gesamtschau“ der Umstände des Einzelfalls ab, so dass die Bestrebungen eines Zentralverbands, Schiedsgerichte iSd ZPO zu schaffen, nicht aussichtslos sind (näher Grunsky, FS Röhricht, 1144ff). Das ursprünglich für den Bereich des Berufsfußballs vorgesehene „internationale“ Schiedsgericht (CAS) ist inzwischen von vielen nationalen Sportverbänden als Rechtsmittelinstanz gegen ihre eigene Verbandsgerichtsbarkeit anerkannt, ist aber reine Vereinseinrichtung und kein Schiedsgericht (H.P. Westermann/Pereira Borges, FS Schwark, 2009, 71ff; Stöber NZG 2017, 96; anders BGH NJW 2016, 2266 Rn 23 – Pechstein). Schließt die Satzung den Rechtsweg gegen Beschl der Mitgliederversammlung aus, ohne zumindest ein Schiedsverfahren vorzusehen, oder bedarf das Mitglied einer von den Organen zu erteilenden Erlaubnis zur Anrufung der Gerichte, ist dies unwirksam (BGH 29, 354; Celle WM 1988, 495 m Anm Grunewald 497); auch kann eine Schiedsvereinbarung, wie München (SchiedsVZ 2015, 40) sogar ggü einem Spruch des CAS entschieden hat, gegen Kartellrecht (Ausübungsmissbrauch iSd § 19 II Nr 2 GWB; eingehend dazu Zimmermann ZWeR 2016,66 ff) verstoßen und kann unwirksam sein, wenn die Unterwerfung unter die Vereinsgerichtsbarkeit von einem Monopolverband durchgesetzt worden ist, und der Sportler nicht frei war, sich dem Schiedsgericht zu unterwerfen. Die abweichende Entscheidung des Kartellsenats des BGH (NJW 2016, 2266) lässt i Erg schwerwiegende Fehlentscheidungen der Verbandsorgane ausgleichslos, ähnlich die zwingend vorgeschriebene Anrufung des Schweizerischen Bundesgerichts gegen Sprüche des CAS. Eine durch Satzungsänderung eingeführte Schiedsklausel kann einem vor der Satzungsänderung eingetretenen Mitglied nicht entgegengehalten werden, wenn es nicht zugestimmt hat (BGH 144, 146); nur i Erg zust Haas ZGR 2001, 325; abl Ebbing NZG 2000, 898; anders als der BGH auch München NZG 1999, 780 m zust Anm Ebbing NZG 1999, 754. Wenn in einer Vereinssatzung ein interner Instanzenzug vorgeschrieben ist, schließt die Aufhebung eines Vorstandsbeschlusses durch das satzungsmäßig vorgesehene Vereinsgericht, auch wenn diese Entscheidung „endgültig“ sein soll, ein Feststellungsinteresse des Vorstands für eine Klage gegen das betreffende Vereinsmitglied mit dem Ziel, die Wirksamkeit des Vorstandsbeschlusses festzustellen, nicht aus. Die Klage ist aber unbegründet, wenn das Vereinsgericht innerhalb seiner satzungsmäßigen Zuständigkeit gehandelt hat, die sachliche Richtigkeit seines Urteils prüft das Gericht nicht (BGH ZIP 2013, 1217ff). Ein Mitglied kann sich durch Feststellungsklage, dass die verhängte Maßnahme unberechtigt ist (BGH 36, 105), aber nicht durch einen Antrag auf Aufhebung der verbandsgerichtlichen Entscheidung (dazu Karlsruhe SpuRT 2013, 31) wehren; auch § 343 kann eine Herabsetzung von Strafen nicht begründen. Inhaltlich sind die möglichen Maßnahmen auf die Verfolgung des Vereinszwecks beschränkt, wozu aber rein 7 disziplinarische Schritte gehören können, so Verwarnung, Aberkennung der Fähigkeit zur Übernahme von Vereinsämtern wie auch Geldbußen, vorübergehender Stimmrechtsentzug, Suspendierung mitgliedschaftlicher Benutzungsrechte; zu disziplinarischen Ordnungsmaßnahmen im Reit- und Rennsport BGH 128, 93; Düsseldorf NJW-RR 1996, 996. Eine Diskriminierung, die sich auf das Verhältnis des Betroffenen zu den übrigen Mitgliedern beschränkt, wurde für zulässig gehalten (BGH 21, 370 m Anm Fischer LM Nr 1 zu § 25; BGH NJW 1959, 982; zu einem Mietvertrag des Vereins, der dem Vermieter eine diskriminierende Benutzungssperre gegen Vereinsmitglieder erlaubt, ebenso BGH WM 1992, 567). Disziplinargewalt ggü Nichtmitgliedern kann es nur aufgrund individueller Verträge mit einem Außenstehenden geben, was bei Verbandsstrafen in Betracht kommt, wenn die Satzung eines untergeordneten Vereins diese Befugnis auf den übergeordneten Verband überträgt, BGH 28, 131, 133; DB 1980, 1687; BGH 128, 93; H.P. Westermann, Verbandsstrafgewalt, S 33ff; Haas/Adolphsen NJW 1995, 2146; PWW/Schöpflin Rn 17), was aber einer eindeutigen Regelung bedarf und nicht durch pauschale Verweisung zulässig ist (BGH NJW 2016, 1315 und dazu näher Stöber NZG 2017, 95ff; Heermann ZIP 2017, 253, 256). Im Berufsfußball kann die Bezugnahme auf Verbandsregeln auch eine arbeitsrechtliche Grundlage haben (MüKo/ Reuter Rn 29, 31), auch kann nach der Rspr (BGH 128, 93, 97; BGH NJW 2016, 1315) eine Unterwerfung unter Verbandsstatuten durch reine Sportausübung geschehen, fraglich für Maßnahmen, die mehr sind als Sanktionen für spezifische Regelverstöße (Heermann ZIP 2017, 257). Sonst steht dem Verein über Personen, die nicht Mitglieder sind, keine Disziplinar- oder Strafgewalt zu (BGH DB 1980, 1687; BGH 28, 131, 133f), und einem betroffenen Nichtmitglied billigte BAG NJW 1980, 470 einen Beseitigungsanspruch aus § 826 zu. Ausnahmen soll es bei Verfahren eines Verbandes gegen Organpersonen oder Gesellschafter-Geschäftsführer von Mitgliedsgesellschaften geWestermann

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§ 25

Personen

ben (BGH 29, 352, 359 betr die Fähigkeit zur Führung von Ehrenämtern). Die Ausdehnung auf Nichtmitglieder durch Satzung ist auch möglich, soweit es sich lediglich darum handelt, die Benutzung (und ihre Beendigung) von Vereinseinrichtungen durch Nichtmitglieder zu regeln (Reuter NJW 1983, 649, 652; s auch BGH 28, 135; LM Nr 2 zu § 35; BGH 128, 93, 96). Hier findet dann freilich nach Frankfurt NJW 1973, 2208 eine Inhaltskontrolle statt, die denselben Regeln folgt wie bei Anwendung von Disziplinargewalt ggü Mitgliedern (BGH 128, 93). 8 Die Verhängung einer Vereinsstrafe erfordert idR Verschulden des Betroffenen (Frankfurt NJW-RR 1986, 133, 135; Meyer-Cording NJW 1966, 227; MüKo/Reuter Rn 46), ebenso für Wettkampfsperre wegen Dopingverstoßes Frankfurt aaO. Der im intern Bereich hierfür angewendete Grundsatz der strict liability passt im deutschen Recht nicht; fraglich ist auch, ob die Anwendung dieses Grundsatzes durch ein intern Schiedsgericht als Verstoß gegen den ordre public gewertet werden muss (zum Problem näher Petri, FS Fenn, 2000, 239ff). In Betracht kommen aber Anscheinsbeweise;Hamm OLGRp 2008, 710 beanstandete die Auferlegung der Beweislast bzgl der Schuldlosigkeit nicht und ließ auch ein automatisches Ruhen der Spielberechtigung bei Nichterfüllung sozialversicherungsrechtlicher Verpflichtungen gelten. Die Zurechnung von Drittverschulden etwa nach § 278 kommt nicht in Betracht (H. P. Westermann JR 1973, 195 und Kirberger NJW 1973, 1732 zum offenlassenden Urt BGH NJW 1972, 1892; MüKo/Reuter Rn 46). Vereinsstrafen können aufgrund sehr pauschal formulierter, mit wertausfüllungsbedürftigen Begriffen arbeitenden Satzungsnormen („unsportliches Verhalten“, BGH 47, 381, 383; s auch BGH 36, 105, 113) verhängt werden (Schlosser S 105ff; Beuthien BB 1968 Beil 12, 5). Je stärker und detaillierter allerdings die bürokratische Ordnung des inneren Vereinslebens ausgebaut wird, desto höhere Ansprüche müssen an die Bestimmtheit der Regeln über Sanktionen von Ordnungsverstößen gestellt werden, näher H. P. Westermann in Verbandsrspr und staatliche Gerichtsbarkeit, 49ff. 9 Zur staatsgerichtlichen Kontrolle gehört auch die Prüfung, ob das nach der Satzung zuständige Organ tätig geworden ist (BGH 90, 92; Düsseldorf NJW-RR 1988, 1272), wobei etwa die Ausschließung eines Vorstandsmitglieds, dessen Bestellung durch die Mitgliederversammlung zu widerrufen wäre, nicht durch die übrigen Vorstandsmitglieder geschehen kann (BGH 90, 95; Schleswig v 18.4.2009 – 14 U 95/07). Was die Anforderungen an die personelle Zusammensetzung und das Verfahren der Organe betrifft, so erscheinen gewisse Abstriche vom Erfordernis der Unabhängigkeit der Organpersonen unvermeidbar, so dass es nicht schadet, wenn das das Verfahren einleitende Organ auch entscheidet oder an der Entscheidung mitwirkt (BGH NJW 1967, 1657). Am Verfahren darf aber nach BGH NJW 1981, 744 nicht mitwirken, wer durch das beanstandete Verhalten verletzt wurde (s auch Karlsruhe NJW-RR 1996, 1503; Köln NJW-RR 1993, 891). Das Verfahren muss so eingerichtet sein, dass sich das Mitglied ausreichend verteidigen kann (BGH 20, 352, 355; NJW 1990, 40; BGH NJW 1975, 160; LG Gießen NJW-RR 1995, 828), ohne dass hierfür eine mündliche Verhandlung unerlässlich ist (München MDR 1973, 405). Jedenfalls müssen dem Mitglied die ihm gemachten Vorwürfe ausreichend konkret erläutert werden (Köln NJWRR 1993, 891). Häufig, insb bei einem Ausschluss, der sich als ultima ratio darstellt, wird es einer vorherigen Abmahnung bedürfen (LG Leipzig NZG 2002, 434). Das Mitglied muss nicht unter allen Umständen das Recht haben, einen Anwalt zuzuziehen, wenn nicht auch der Verein dies tut; allerdings wird ein entspr vereinsrechtliches Verbot bei schwerwiegenden Maßnahmen idR einen Verfahrensmangel begründen (näher Reinicke NJW 1975, 2048; großzügiger BGH 35, 381, 391; NJW 1975, 160; Grunewald, Ausschluss, 165f). Das Prinzip der Gleichbehandlung von ähnlichen Verstößen, die andere Mitglieder begangen haben, ist zu beachten (BGH 47, 381, 385). Die verhängte Strafe muss begründet werden (RG 147, 11, 13; Düsseldorf MDR 1981, 843; Köln NJW-RR 1993, 891, das auch annimmt, ein Rechtsmittel könne aufschiebende Wirkung haben). Die Verletzung allgemeingültiger Verfahrensgrundsätze hat die Unwirksamkeit einer Disziplinarmaßnahme zur Folge (Schleswig SchlHA 2001, 103). Nach dem Ausscheiden des Betroffenen kann keine Vereinsdisziplinarmaßnahme mehr verhängt werden (RG 122, 266; 143, 1; BGH 28, 131; WM 2003, 292), wohl aber sind Maßnahmen zw Austrittserklärung und Wirksamwerden möglich. BGH 47, 127ff ließ Nachprüfung durch die Gerichte auch vor Erschöpfung der vereinsrechtlichen Instanzen zu, es sei denn, dass nach der Satzung die Nichtanrufung der vereinsrechtlichen zweiten Instanz zum Wegfall des Nachprüfungsrechts führt. Wer den vereinsinternen Instanzenzug ausschöpft, läuft nicht Gefahr, dass die damit verbundene Verzögerung einem späteren Antrag auf einstw Rechtsschutz entgegensteht (Köln NJW-RR 1993, 891). 10 Vielfach wird als zulässige Straf- oder Ordnungsmaßnahme auch der Ausschluss aus dem Verein angesehen, für eine Einordnung als Kündigung Benecke WM 2000, 1173, 118 oder als Vertragsstrafe Hadding, FS Fischer, 1979, 173, 194. Unabhängig vom Strafcharakter stellt die Praxis beim Ausschluss (BGH 29, 352, 359; NJW 1971, 879; 1972, 1892f) entscheidend auf die Zumutbarkeit im Hinblick auf die weitere Verfolgung des Vereinszwecks und nicht auf ein schuldhaftes Verhalten ab, wobei aber die gerichtliche Überprüfung der gerade für Ausschließungsgründe idR wichtigen Tatsachenfeststellungen sowie der Einhaltung eines Mindestmaßes an verfahrensmäßigen Garantien (Rn 10) gesichert sein muss, s Hamm NJW-RR 2001, 1480. Der Ausschluss, der somit auch präventiv gedacht sein kann (PWW/Schöpflin Rn 30), muss eine satzungsmäßige Grundlage haben, die Bestimmung in einer Nebenordnung genügt nicht, RG 73, 187, 190. Zum Verfahren s § 39 Rn 4. Die Satzung kann auch bestimmen, dass die Mitgliedschaft frei gekündigt werden kann (Reichert Rn 1124 zur Kündigung durch Verein); doch bestehen bzgl einer Kündigung durch die Organe eines sozial mächtigen Vereins Bedenken (Grunewald, Ausschluss, 228). Wie im Gesellschaftsrecht ist die willkürliche Ausschließung eines Mitglieds auch bei Vorliegen einer entspr Satzungsbestimmung unzulässig (BGH NJW 1990, 40), sei es aufgrund inhaltlicher Anforderungen an die Satzung (Sauter/Schweyer/Waldner Rn 88; differenzierend Grunewald, Ausschluss, 229), sei es iS einer Ausübungskontrolle. Daher kann ein strafweiser Ausschluss auch unter den Voraussetzungen einer Kündigung 146

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Juristische Personen – Vereine

§ 25

aus wichtigem Grund wirksam sein, wenn die allg Voraussetzungen einer Strafmaßnahme nicht gegeben sind, wobei sich jedoch der Verein an das von ihm geregelte Verfahren halten muss (NK/Heidel/Lochner Rn 49; anders insoweit Reuter NJW 1987, 2401, 2406f, der ein subsidiäres Zurückgreifen auf die Kündigung aus wichtigem Grund gerade in den Fällen für zulässig hält, in denen die Verhängung einer Strafe formfehlerhaft oder funktionswidrig war). Ein Ausschluss wegen vereinsschädigenden Verhaltens bedarf keiner ausdr satzungsmäßigen Grundlage, wenn der Vereinszweck und die allg Verhaltensanforderungen an das Mitglied aus der Satzung ersichtlich sind (zum Erg wiederum Reuter aaO, 2406; zurückhaltend zum Ausschluss wegen Zahlungsverzuges LG Saarbrücken NJW-RR 1994, 251; zum Ausschluss wegen Bildung eines Konkurrenzvereins Hamm DB 1976, 910). Im Rahmen der unabdingbaren gerichtlichen Überprüfung ist bei Angabe von Ausschließungsgründen in der Satzung hins der Anwendung vereinsinterner Wertungsmaßstäbe das Bewertungsvorrecht der Vereinsorgane (Rn 5) zu bedenken (näher hierzu Benecke WM 2000, 1173). Ausschlussgründe, die den ausschließenden Organen unbekannt waren, sind bei der richterlichen Nachprüfung nicht zu berücksichtigen (RG JW 1935, 1145), ebenso wenig solche, die im vereinsrechtlichen Ausschlussverfahren nicht erörtert sind (BGH 45, 313, 321). Lange zurückliegende Tatsachen, die den Vereinsorganen bekannt sind, können nicht als Ausschlussgrund verwandt werden (RG 129, 49; LG Leipzig NZG 2002, 434, das auch eine Abmahnung fordert); auch ist das rechtliche Gehör verletzt, wenn ein Mitglied in Abwesenheit ausgeschlossen wird, nachdem vorher eine vergleichsweise Einigung stattgefunden hatte (LG Gießen NJW-RR 1995, 828; zum rechtlichen Gehör Zweibrücken NZG 2002, 436). Besonderheiten gelten hins des Ausschlusses aus einer Gewerkschaft. Das BVerfG (NJW 1999, 2657) hat ent- 11 gegen BGH 87, 337; 102, 265 den Gewerkschaften ein berechtigtes Interesse an einem gemeinsamen Auftreten im Rahmen von Betriebsratswahlen zugebilligt und lässt daher einen Gewerkschaftsausschluss wegen Kandidatur auf einer konkurrierenden Liste zu (scharf krit zur Aufgabe verfassungsrechtlicher Grundpositionen und zur Abschwächung der individuellen [positiven und negativen] Koalitionsfreiheit Reuter RdA 2000, 104; krit zu dem Beschl auch Gaumann NJW 2002, 2155). Auf unter-verfassungsrechtlicher Ebene ist einerseits das Erfordernis ideeller Solidarität für die Anwendung satzungsmäßiger Ausschließungsgründe oder des wichtigen Kündigungsgrundes von Bedeutung (auch für „einfache“ Mitglieder einer gegnerischen Partei, BGH WM 1991, 942; NJW 1994, 43 m Anm Weiss LM § 25 BGB Nr 32; BVerfG NZA 1993, 655), andererseits ist gerade für derartige Fälle die erweiterte gerichtliche Prüfung der Tatsachenfeststellung (Rn 4) entwickelt worden (BGH 71, 126, 128; BGH 87, 337, 341; BGH LM § 39 Nr 16; BGH 102, 265). Andere Gründe für einen Ausschluss aus einer Gewerkschaft sind gewesen: Unterstützung einer undemokratischen Vereinigung (Düsseldorf NJW-RR 1994, 1402), Tätigkeit als Streikbrecher (BGH NJW 1978, 990), Bekämpfung von Wahlvorschlägen der Gewerkschaft (BGH NJW-RR 1992, 246); zum Engagement für die NPD BGH NJW 1973, 35. Zur Rechtslage bei politischen Parteien §§ 10, 14 PartG; hier hat BGH NJW 1994, 2610 es nicht beanstandet, dass ein Ausschließungsgrund darin gesehen wurde, dass ein Wahlbewerber sich über eine von ihm vermutlich anerkannte Beschränkung der Wahlwerbung hinweggesetzt hatte, dazu auch Gehrlein ZIP 1994, 852ff. Zum Ausschluss aus einer politischen Partei wegen Scientology-Mitgliedschaft LG Bonn NJW 1997, 2958. 4. Die Satzungsfeststellung ist Rechtsgeschäft (Staud/Weick Rn 15), bleibt also trotz ihrer organisationsrecht- 12 lichen Wirkung Willenserklärung des Personenrechts und ist nach dem Recht der Willenserklärung zu behandeln, ebenso der Beitritt zum Verein. Die Fehlerhaftigkeit von zur Satzungsfeststellung führenden Willenserklärungen führt nicht automatisch zum Nichtbestehen des Vereins, s § 21 Rn 9. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit ist an keine Frist gebunden (Schleswig NJW 1960, 1682). Die Auslegung von Vereinssatzungen hat nach früher hM lediglich auf ihren Inhalt Bedacht zu nehmen, Äußerungen oder Interessen der Gründer, Umstände aus der Entstehungsgeschichte oder der späteren Entwicklung des Vereins wollte BGH 47, 172, 180 (ebenso 96, 245, 250) nicht zur Auslegung heranziehen, ebenso weiterhin Nürnberg NZG 2015, 958, zust MüKo/Reuter Rn 23; anders Wiedemann DNotZ 1977, Sonderheft S 99ff; Lutter AcP 180, 84, 95. Die rein objektive Auslegung hat BGH NZG 2015, 1282 auf die (nicht unmittelbar satzungsrechtliche) Nominierungsrichtlinie eines Sportverbandes ausgedehnt, was im umstrittenen Fall einer Nominierung eines Sportlers für Olympia zu einer von den Verbandsgremien abweichenden Sicht der in den Richtlinien genannten Leistungsansprüche und zu einem Schadensersatzanspruch führte („Causa Friedek“, dazu Hübner NZG 2016, 50ff). Bei Satzungsbestimmungen hat sich aber eine objektive Auslegung nicht aufrechterhalten lassen, wie die Anerkennung der längeren Akzeptanz vertragsändernder Beschl durch die Mitglieder als gültige Satzungsänderung (BGH 16, 143, 150; 25, 311, 316) und die Möglichkeit der Satzungsergänzung durch Observanz (Rn 3) belegen. Eine Auslegung über den Wortlaut der Urkunde hinaus ist zulässig, wo die Umstände aus der Urkunde ersichtlich oder allen Adressaten der Satzung bekannt sind (RG 101, 247; BGH 63, 282, 290; zur Auslegung nach Erkennbarkeit aus der Sicht der Mitglieder BGH 73, 279; näher Grunewald ZGR 1995, 68, 80ff). Im Anmeldeverfahren ist das Rechtsbeschwerdegericht berechtigt, die Satzung frei auszulegen (BGH 96, 245, 250). Teilnichtigkeit führt grds nicht zur Gesamtnichtigkeit (RG SeuffA 65, 205). Nach BGH 47, 172, 180 kommt es 13 für die Aufrechterhaltung des gültigen Teils der Satzung nicht auf die subjektiven Momente, vor allem nicht auf die Vorstellung der Gründer an, sondern allein auf die objektive Bedeutung des nichtigen Teils für die gesamte Satzung, somit für die durch die Teilnichtigkeit betroffene Satzungsinstitution. Das gilt entspr für eine wirksam (Rn 3) außerhalb der Satzung erlassene Geschäftsordnung, die die Tätigkeit eines anderen Vereinsorgans regelt (BGH aaO). Wenn eine Satzungsbestimmung zwar nicht nichtig, aber auch nicht mehr durchführbar ist, muss

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§ 25

Personen

in Ermangelung erg Gesetzesrechts die Mitgliederversammlung eingeschaltet werden (KG Rpfleger 2007, 82 bzgl Vorstandswahl). Zum Aufnahmezwang § 38 Rn 6.

§ 26

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Vorstand und Vertretung

(1) Der Verein muss einen Vorstand haben. Der Vorstand vertritt den Verein gerichtlich und außergerichtlich; er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Der Umfang der Vertretungsmacht kann durch die Satzung mit Wirkung gegen Dritte beschränkt werden. (2) Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so wird der Verein durch die Mehrheit der Vorstandsmitglieder vertreten. Ist eine Willenserklärung gegenüber einem Verein abzugeben, so genügt die Abgabe gegenüber einem Mitglied des Vorstands. 1. Der Vorstand ist notwendiges Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan; bloßes Kontrollorgan kein Vorstand iSv § 26. Nach Richert NJW 1956, 364 sind nur die geschäftsführenden Vorstandsmitglieder vertretungsberechtigt, und nur sie sind im Register einzutragen, nach § 3 Nr 3 VRV muss auch ein besonderer Vertreter iSd § 30 eingetragen werden (Zweibrücken NZG 2013, 907). Völlige Ausschaltung des Vorstands von der Vertretungsmacht ist nicht möglich (KGJ 32 A 187). Nicht zum Vorstand gehört, wer von der Vertretung ausgeschlossen ist, MüKo/Arnold Rn 5 für den Fall eines sog Gesamtvorstands, dessen Mitglieder nur teilw an Vertretungshandlungen mitwirken können, iÜ aber Geschäftsführungsorgane sein können. Für das Verhältnis zur Mitgliederversammlung s § 32 Rn 1. Der Vertretungsmacht, die das Amt des Vorstands kennzeichnet, muss auch eine Geschäftsführungsbefugnis zugeordnet sein, ohne dass sich die Befugnisse inhaltlich voll decken müssen. Eine Entsprechung von Geschäftsführung und Vertretung ist allerdings im Normalfall als gewollt anzusehen, wenn es die Satzung nicht anders bestimmt, Schleswig SpuRt 2007, 74. BGH 69, 250 m Anm Kirberger NJW 1978, 415 hat ferner anerkannt, dass die Satzung, die den Vorstandsmitgliedern Einzelvertretungsbefugnis einräumen kann, die interne Beschlussfassung einem anderen Organ als dem Vorstand iSd § 26 übertragen kann (zust MüKo/Arnold Rn 4; Kirberger Rpfleger 1975, 354). Das führt dann zu dem auch bei anderen Verbänden häufigen Auseinanderfallen von Geschäftsführung und Vertretung (vgl aber § 70), freilich mit der Maßgabe, dass der Vorstand nicht von jeder internen Entscheidungsbefugnis ausgeschlossen bleiben und zum reinen Vollzugsorgan degradiert werden darf. Die betreffende Satzungsbestimmung muss aber unmissverständlich deutlich machen, ob eine Beschränkung der Handlungsbefugnis die Geschäftsführungs- oder die Vertretungsmacht betrifft, und in welchem genauen Umfang die Beschränkung eingreift (Nürnberg NZG 2015, 958 für Zustimmungserfordernis eines Dachverbands); andernfalls ist die Vertretung unbeschränkt, BGH NJW-RR 1996, 866, auch eine nicht klare Satzungsbestimmung kann nicht im Vereinsregister eingetragen werden. Unzulässig ist ferner die Kopplung der Vertretungsmacht des Vorstands an die Mitwirkung einer Person, die nicht Vereinsorgan ist. Bzgl der systematischen Einordnung des Vorstands stehen sich die Vertretertheorie, die die jur Pers als handlungsfähig und den Vorstand als ihren gesetzlichen Vertreter behandelt, und die Organtheorie ggü, nach der der Vorstand als Organ der jur Pers handelt (Soergel/Hadding Rn 2; gegen die Organtheorie Flume Jur Pers § 11 S 377). Das Gesetz trifft, wie die Formulierung in Abs I S 2 Hs 2 zeigt, keine Entscheidung. Während früher (RG JW 1935, 2044) angenommen wurde, das Wissen oder Wissenmüssen eines Organmitglieds sei rechtlich Wissen der jur Pers, will der BGH (NJW 1996, 1339) ohne Festlegung in theoretischer Hinsicht alle arbeitsteiligen Organisationen im Hinblick auf die Folgen einer Wissensaufspaltung unter handelnden und nicht handelnden Organpersonen gleich behandeln, näher Rn 4; gegen die umfassende Wissenszusammenrechnung Taupitz JZ 1996, 734ff; Koller JZ 1998, 75, 77ff; eingehend Buck, Wissen und jur Pers 2001, 318ff; MüKo/Arnold Rn 21. 2. Die Besetzung bestimmt die Satzung, für den eV s § 58 Nr 3. Ein- oder mehrgliedriger Vorstand ist möglich. Die Vorstandsmitglieder brauchen nicht Vereinsmitglieder zu sein (also Fremdorganschaft), falls die Satzung das nicht ausdr oder schlüssig vorschreibt, Düsseldorf NZG 2016, 306. Das wird aus einem Gegenschluss zu § 9 II GenG abgeleitet (MüKo/Arnold Rn 7; zum Ergebnis auch Soergel/Hadding Rn 3), obwohl beim Idealverein das Erfordernis einer Beteiligung gerade des Vorstands an der Verfolgung des Vereinszwecks sehr naheliegt (für Unzulässigkeit der Fremdorganschaft für Verein, der nur der Verfolgung der individuellen Zwecke der Mitglieder dient, daher Müko/Arnold Rn 3). Neben dem Vorstand können besondere Vertreter bestellt werden, § 30, die auch die Repräsentanten einer Untergliederung sein können (Reuter, FS Hopt, 195, 204ff). Ihr Fehlen kann als Organisationsmangel zum Schadensersatz verpflichten, s § 30 Rn 4. 3. Bei mehrgliedrigem Vorstand ist gem § 26 II 1 aktive Gesamtvertretung Grundsatz; Mehrheitsgrundsatz gilt (hM), Satzung kann Abw bestimmen. Wenn bestimmt ist, dass der Verein durch zwei Vorstandsmitglieder gemeinsam vertreten werden kann, ist ein Vorstandsbeschluss nicht erforderlich, KGRp 2006, 615. Die Vertretungsmacht ist grds nicht beschränkt, Abs I S 2. Bestellung eines „stellvertretenden Vorstandsmitglieds“ in der Art, dass die Befugnis zu Vertretungshandlungen von der Verhinderung eines anderen Vorstandsmitglieds abhängt, soll als bedingte Bestellung unzulässig sein (MüKo/Arnold Rn 9); zulässig sei aber, dass jedes Vorstandsmitglied Einzelvertretungsmacht hat, die Geschäftsführungsmacht des „Stellvertreters“ aber nur im Fall der Verhinderung des anderen besteht (Celle NJW 1969, 326; BayObLG NZG 2002, 438). Dies ist auch so denkbar, dass Generalermächtigung für Vorstandsmitglied oder Dritten erteilt wird, die laufenden Geschäfte eines verhinderten Vorstandsmitglieds wahrzunehmen, näher Mittenzwei MDR 1991, 492. Dies muss aber durch die Satzung und kann nicht durch die Vorstandsmitglieder selbst bestimmt werden, KG NZG 2015, 1241. Auch eine Satzungsbestimmung, wonach die Mitglieder eines vierköpfigen Vorstands gegenseitig vertretungsbefugt sind, ver148

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Juristische Personen – Vereine

§ 27

stößt nach Celle (NZG 2011, 154 – LS) gegen § 26 I. Personalunion muss die Satzung ausdr zulassen (LG Darmstadt Rpfleger 1983, 445; Hamm NJW 2011, 471), so dass es ohne entspr Satzungsbestimmung nicht angeht, dass ein Vorstandsmitglied das Amt eines Ausgeschiedenen mit übernimmt. Zur Ressortverteilung im Vorstand § 27 Rn 8. Zulässig ist die Bestellung eines Interims-Vorstandes für die Zeit zwischen einem Ausfall eines Vorstandes und der Bestellung eines neuen (MüKo/Arnold Rn 10; zur auflösend bedingten Bestellung eines Interims-Managers Uffmann, Interim-Management, 2015, S 295f). Die Rspr (RG 145, 314; BGH JZ 1953, 474) will Geschäfte, die für den Dritten erkennbar völlig außerhalb des Vereinszwecks liegen, nicht unter die Vertretungsmacht des Vorstands bringen. Dem ist grds zuzustimmen (s auch Vor § 21 Rn 9). Einschränkung der Vertretungsmacht durch die Satzung ist möglich, sowohl durch die Untersagung bestimmter Geschäfte als durch die Begründung von Zustimmungserfordernissen (Dütz, FS Herschel, 1981, 55, 67) oder durch Zuweisung bestimmter Aufgaben, zu stark einschränkend BayObLG 1999 Nr 53. S iÜ zum Schutz des Gutgläubigen §§ 70, 68. Beschl der Mitgliederversammlung bedeuten idR nur Einschränkung der Geschäftsführungsmacht, es sei denn, dass die Satzung Beschl der Mitgliederversammlung als Wirksamkeitsvoraussetzung fordert (KG JW 1936, 2929; BGH NJW-RR 1996, 866; krit MüKo/Arnold Rn 14). Die Satzungsbestimmung, die die Vertretungsmacht des Vorstands zugunsten der Mitgliederversammlung beschränkt, muss eindeutig sein; das hat auch das Registergericht bei einer Eintragung zu prüfen (BGH NJW 1980, 2799; NJW-RR 1996, 866). Für eine Prozessvollmacht genügt es nicht, dass die Vorstandsmitglieder als solche aus dem Register ersichtlich sind, KGRp Berlin 2006, 615. Im Versteigerungsverfahren muss eine satzungsmäßig erforderliche Zustimmung der Mitgliederversammlung in notariell beglaubigter Form nachgewiesen werden (Hamm NJW 1988, 73). 4. Nach Abs II S 2 gilt für die Passivvertretung zwingend (s § 40) Einzelvertretung, die Erklärung ist auch bei 5 vorsätzlicher Unterdrückung durch das einzelne Mitglied zugegangen (BGH 20, 149, 153). Hieraus und aus § 125 S 3 HGB wird abgeleitet, dass Kenntnis und Kennenmüssen eines von mehreren Gesamtvertretern allg gegen die jur Pers wirkt (BGH 42, 282, 287 für AG), praktisch besonders bei Anwendung der Frist des § 626 II, die BAG DB 1985, 237 in dem Zeitpunkt beginnen lässt, in dem ein für die Kündigung zuständiges Vorstandsmitglied Kenntnis der die Kündigung rechtfertigenden Tatsachen erlangt hat (i Erg zust Reuter Anm AP § 28 BGB Nr 1; dagegen Deutsch/Kahlo DB 1987, 581, die Kenntnis des gesamten Kollegialorgans verlangen), was jedenfalls für eine der Mitgliederversammlung obliegende Abberufung eines Vorstandes gilt (MüKo/Arnold Rn 23). Insb ist es bedenklich, eine Wissenszurechnung unabhängig davon vorzunehmen, ob ein Vorstandsmitglied das Wissen beruflich oder privat erlangt hat (BGH WM 1955, 830) und ob es an der betreffenden Rechtshandlung auch nur durch Mitwissen beteiligt war (BGH 109, 327, 331; NJW 1995, 2159f). Durch eine solche umfassende Zurechnung der in Kenntnis (oder Kennenmüssen) auch nur eines Organmitglieds geschehenen oder unterlassenen Handlungen wird für den Verein eine Arbeitsteilung im Organ stark erschwert (zur Kritik Baumann ZGR 1973, 284; speziell zur Lage im Vereinsrecht Buck, Wissenszurechnung, 393ff). Eine Wissenszurechnung kommt allerdings in Betracht, wenn unter Berücksichtigung der jew Normsituation eine diesbezügliche Organisationsobliegenheit der jur Pers angenommen werden kann. Diese Wertezurechnung, die seit einiger Zeit von der Rspr vorgenommen wird (s BGH 132, 30; BGH ZIP 2001, 26), geht auf den Gedanken zurück, dass die jur Pers im Rechtsverkehr nicht besser stehen soll als die nat Pers. Das Wissen eines ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds dem Verein zuzurechnen (BGH NJW 1990, 975), ist unbedenklich nur, wenn es hätte gespeichert oder den anderen Vorständen sonst zur Kenntnis gebracht werden müssen; dies lässt sich uU mit einer Analogie zu § 31 begründen.

§ 27

Bestellung und Geschäftsführung des Vorstands

(1) Die Bestellung des Vorstands erfolgt durch Beschluss der Mitgliederversammlung. (2) Die Bestellung ist jederzeit widerruflich, unbeschadet des Anspruchs auf die vertragsmäßige Vergütung. Die Widerruflichkeit kann durch die Satzung auf den Fall beschränkt werden, dass ein wichtiger Grund für den Widerruf vorliegt; ein solcher Grund ist insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung. (3) Auf die Geschäftsführung des Vorstands finden die für den Auftrag geltenden Vorschriften der §§ 664 bis 670 entsprechende Anwendung. Die Mitglieder des Vorstands sind unentgeltlich tätig. 1. Bestellung zum Vorstand ist die Berufung in das Amt, durch sie entsteht für den Bestellten die Vertretungs- 1 macht. Neben dem Beschl der Mitgliederversammlung bedarf es einer Willensäußerung des Gewählten, was bedeutet, dass die Bestellung ihm zur Kenntnis gebracht und von ihm akzeptiert worden sein muss; andernfalls sind die bereits durch die korporationsrechtliche Bestellung begründeten Pflichten nicht erklärbar. Das ist heute hM (BGH NJW 1975, 2101; BayObLG 1981, 275, 277; NK/Heidel/Lochner Rn 4; PWW/Schöpflin Rn 2). Bedingte Bestellung ist nicht zulässig; darunter bringt Celle NJW 1969, 326 auch den Fall, dass neben der allg bestellten Vorstandsperson eine andere (Stellvertreter) für den Fall der Verhinderung des eigentlichen Vorstands bestellt wird (s auch § 26 Rn 4). Zulässig muss es aber sein, dass beide Bestellten nach außen allein vertretungsberechtigt sind, die Geschäftsführungsmacht des „Stellvertreters“ auf den Verhinderungsfall beschränkt ist. Die Regelung der Bestellungsart ist dispositiv, § 40, weshalb auch Bestellung durch ein besonderes Organ oder 2 durch Kooptation (dazu Hamm NZG 2008, 473; Bedenken dagegen bei Reichert Rn 1909) vorgesehen werden kann, solange gesichert ist, dass die Mitgliederversammlung diese Zuständigkeit wieder an sich ziehen kann, PWW/Schöpflin Rn 1, s auch Frankfurt OLG 1979, 5. Zulässig ist auch, dass die Satzung den Vorstand mittelbar Westermann

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bestimmt, zB den jew Inhaber eines Amtes, oder einer dritten Person (ebenso Widerruf) überlässt, unterstellt bei KG Rpfleger 2007, 82, wonach bei Wegfall dieses Dritten die Mitgliederversammlung zu wählen hat. Nicht ganz unbedenklich, wenn Frankfurt OLG 1981, 391, 392 eine Satzungsbestimmung zulässt, wonach der geschäftsführende Vorstand eines Vereins sich aus dem eines anderen zusammensetzt, weil hier entgegen der Satzungsautonomie der Verein zum Mittel der Durchsetzung der Sonderinteressen des Bestimmungsberechtigten werden kann, s auch § 25 Rn 2a. Bedenklich und nur bei Erhaltung der wesentlichen Selbstbestimmung zulässig ist Bestellung durch Dritte (KG Rpfleger 1974, 394f; BaRo/Schöpflin Rn 4), die danach nicht so weit gehen kann, dass die Entscheidung der Mitgliederversammlung völlig verdrängt wird, ohne dass der Dritte seinerseits organschaftlichen Bindungen an den Vereinsvorstand unterliegt, ähnlich BVerfG 83, 341; näher MüKo/Arnold Rn 16, 17. Zur Beschlusslage bei Vereinen im Bereich der Religionsgemeinschaften aber § 25 Rn 2b. Für die Wahl durch die Mitgliederversammlung gilt § 32, str, zT wird relative Mehrheit als ausreichend angesehen. Neben der Bestellung als der Berufung in das Amt des Vorstands kann eine Anstellung vorgesehen sein, die durch besondere Vereinbarung zustande kommt; ohne eine solche werden die Pflichten des Vorstandsmitglieds nach Abs III bestimmt. Der Abschluss eines Anstellungsvertrags, der etwa auch einen Vergütungsanspruch festlegen (RG 161, 74) und Kündigungsmöglichkeiten schaffen oder beschränken kann, begründet nicht alle Verhaltenspflichten des Vorstandsmitglieds, die sich vielmehr aus der Bestellung ergeben (MüKo/Arnold Rn 6), sondern konkretisiert und ergänzt sie, ohne dass man den Anstellungsvertrag als Rechtsgrund der Bestellung anzusehen hätte. Die – auch im Kapitalgesellschaftsrecht – hM trennt zw Bestellung und Anstellungsvertrag (Fleck WM 1981 Beil 3, 1, 3; BGH 113, 237; Staud/Weick Rn 12; NK/Heidel/Lochner Rn 5), wenn auch im Zweifel das Bestellungsorgan auch für die Anstellung zuständig ist. Demgegenüber nimmt eine neuere Ansicht (hauptsächlich Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, 37ff) Einheit von körperschaftlicher Bestellung und individualrechtlichem Anstellungsvertrag an, was sich aber nicht durchzusetzen scheint (für das Vereinsrecht MüKo/Arnold Rn 4). Zur Vergütung s Rn 6. Bei gemeinnützigen Vereinen ist nicht selten in der Satzung bestimmt, dass die Vorstandstätigkeit ehrenamtlich ist; dann sind Zahlungen zum Ersatz aufgewendeter Arbeitszeit rechtswidrig, BGH ZIP 2008, 923. Die Zuständigkeit für Bestellung und Anstellung liegt mangels abw Satzungsbestimmung bei ein und demselben Organ, im Verein also bei der Mitgliederversammlung (BGH 113, 237 = JZ 1991, 1090 m Anm Hirte; s auch Reuter Kurzkomm EWiR § 27 BGB 1/91; Baums ZGR 1993, 141ff). Das wird mit dem engen sachlichen Zusammenhang der beiden Entscheidungen begründet; wenn für die Bestellung des Vorstands ein besonderes Organ geschaffen ist, so kann seine Beurteilung der Eignung einer Person für das Vorstandsamt nicht durch den Vorstand als dem für die Anstellungsbedingungen Zuständigen unterlaufen werden (dem zust auch Baums aaO, 143f). Dies wird allerdings nicht als zwingend angesehen (BGH 113, 237, 246; Baums aaO, 145; aM wohl Hirte aaO, 1095). Wenn danach die Mitgliederversammlung die Bestellung zu widerrufen hat (MüKo/Arnold Rn 12), obliegt ihr auch die Ausschließung eines Vorstandsmitglieds, was Köln FG Prax 2009, 82 selbst dann aufrechterhält, wenn die Satzung für den Ausschluss ein anderes Organ vorsieht. Ist für die Abberufung „aus wichtigem Grund“ ein bestehender Aufsichtsrat zuständig, so soll diese Kompetenz nach LG Hamburg SpuRt 2007, 162 nur ausgeübt werden dürfen, wenn eine Entscheidung der Mitgliederversammlung nicht rechtzeitig herbeizuführen ist, was für die Großvereine des Profisports nicht passt (näher Grau SpuRt 2007, 168). 2. Bzgl der Person des Bestellten ist das bestimmende Organ grds frei. Wegen Mitgliedschaft als Voraussetzung vgl § 26 Rn 3. Sonderrechte eines Mitglieds bei der Vorstandsbestellung sind möglich (RG JW 1911, 747); entgegen § 35 muss aber Entziehung, wenn nicht bei wichtigem Grund, so doch bei Missbrauch des Amts durch das bevorrechtigte Mitglied möglich sein. Ein beschränkt Geschäftsfähiger kann ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters das Amt nicht annehmen (Staud/Weick Rn 6). Bestellung einer jur Pers (zu unterscheiden von der Bestellung des jew Organs der betreffenden jur Pers) ist zulässig (str, aber wohl hM, Staud/Weick Rn 8; Sauter/Schweyer/Waldner Rn 253; BaRo/Schöpflin Rn 3 – auch für Personenhandelsgesellschaften). 3. Die Widerrufsmöglichkeit ist nicht zu beseitigen, wohl aber einzuschränken (RG 61, 328; MüKo/Arnold Rn 24), sie darf nur nicht praktisch ausgeschlossen werden (RG 75, 238, Entscheidung zum alten Aktienrecht). Bei Beschränkung des Widerrufs auf wichtige Gründe kann die Satzung eine gerichtliche Prüfung des Grundes wie bei der sonstigen Kontrolle von Vereinsakten (§ 25 Rn 4) wohl beschränken, nicht aber ausschließen. Bzgl Eintragung im Register s § 67; bei einem Rechtsstreit um die Wirksamkeit der Abberufung vertritt ein satzungsmäßiger Aufsichtsrat den Verein entspr § 112 AktG (LG Hamburg SpuRt 2007, 167). Das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur Abberufung ist Wirksamkeitsvoraussetzung, wobei es für die Formulierung des Abs II S 1 Hs 2 entscheidend immer auf die Zumutbarkeit ankommt, Karlsruhe NZG 1998, 111; PWW/Schöpflin Rn 3. Die Beendigung einer bestehenden Organstellung führt nicht unbedingt zum Übergang eines bestehenden Dienstverhältnisses in ein Arbeitsverhältnis, so dass für die Prüfung der Gültigkeit der Kündigung des Organverhältnisses nicht die Arbeitsgerichte zuständig sind (BAG NJW 1996, 614), weitergehend MüKo/Arnold Rn 13 (einer gesonderten Kündigung des Anstellungsverhältnisses bedürfe es nicht). Die Rspr zieht Konsequenzen aus dem von ihr gesehenen engen Sachzusammenhang zw Be- und Anstellung (dazu Rn 2) auch für die jew Kündigung, indem nach Beendigung der Organstellung die Kündigung des Anstellungsverhältnisses wiederum der Mitgliederversammlung oder einem eigens geschaffenen Organ, jedenfalls nicht dem Vorstand, obliegt (BAG aaO unter Hinw auf BGH WM 1990, 630 und unter Aufgabe von BGH 47, 341, 344 für die AG). In letzterem Urt hält der BGH diese Konsequenz auch für die Beendigung der Beziehungen zu einem nicht wirksam bestellten, aber „faktisch“ als Vorstand Tätigen durch, wobei auch klargestellt wird, dass es hierfür doch einer rechtsgeschäftlichen Erklärung des zuständigen Organs bedarf (zust Baums ZGR 1993, 141, 147 mit der Ergänzung, dass bei wirk150

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samer Bestellung das für die Anstellung zuständige Organ das Vorstandsmitglied zugleich abberufen und den Anstellungsvertrag kündigen muss). Freilich kann im Widerruf der Bestellung auch die Kündigung eines Anstellungsverhältnisses liegen. Eine hierauf bezogene Regelung des Anstellungsvertrags durch ein hierfür geschaffenes Organ ist nicht möglich, wenn das Vorstandsmitglied noch nicht abberufen ist (BGH 79, 38). Wird eine für die Kündigung des Anstellungsverhältnisses einzuhaltende Frist (etwa des § 626 II) versäumt, ist der Widerruf dennoch wirksam. 4. Amtsniederlegung muss, um der Beziehung Vorstand/Verein als Vertrauensverhältnis gerecht zu werden, 5 möglich sein. Wenn im Schrifttum (Staud/Weick Rn 19; s auch Soergel/Hadding Rn 16) die Wirksamkeit der Amtsniederlegung vom Innenverhältnis abhängig gemacht wird (vgl §§ 626, 627, 671, 675 mit der Unterscheidung von entgeltlicher und unentgeltlicher Tätigkeit), so bedeutet dies, dass ein entgeltlich tätiges Vorstandsmitglied sein Amt aus wichtigem Grund niederlegen kann (BGH 78, 82, 84; Hamm OLG 1988, 411, 413). Eine zur Unzeit und grundlos erfolgte Niederlegung kann aber jedenfalls zum Schadensersatz verpflichten (BGH 121, 257). Sonstige Beendigungsgründe kann die Satzung bestimmen, zB Ende der Mitgliedschaft (auch Ausschließung), Ende der bestimmten Amtsdauer (zu den Gestaltungsmöglichkeiten Reichert Rn 2101). Mit dem Eintritt des Tatbestandes endet dann die Organstellung automatisch (München WM 1970, 770). Zum Verhältnis zu Dritten s § 68. Die Amtsniederlegung ist gegenüber der Mitgliederversammlung oder einem anderen vertretungsbefugten Vorstand zu erklären (BGH 121, 257; Frankfurt BeckRS 2015, 10399); fehlt ein solches, hat der Niederlegende gem § 29 Bestellung eines Notvorstandes zu betreiben (Wagner NZG 2015, 1382). 5. Abs III ist durch das EhrenamtsstärkungsG v. 21.3.2013 mWv 1.1.2015 (dazu Vor § 21 Rn 16) um den S 2 er- 6 weitert worden. Die Regelung sollte die Unklarheiten über die Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit der Tätigkeit des Vorstands beseitigen, die dadurch entstanden sind, dass die über Abs 3 anwendbaren §§ 664–670 zwar einen Aufwendungsersatzanspruch, aber keine Vergütung vorsehen, wodurch von dem neu geschaffenen § 27 III 2 abgewichen wird, was nach § 40 S 1 zulässig ist. Eine Vergütung kann aber durch die Satzung bestimmt werden, da nach § 40 S 1 auch von § 27 III abgewichen werden kann. Ohne eine solche Satzungsbestimmung kann keine Vereinbarung über eine Vergütung getroffen werden (Begr RegE BT-Drs 17/11316, 16). Damit ist der Meinungsstreit über die Notwendigkeit einer Satzungsregelung (dafür noch BGH WM 2008, 736; anders Arnold FS Reuter, 2010, 3ff) seit Inkrafttreten der Neuregelung erledigt, die Mitglieder eines Verwaltungsrats sollen nach BGH NJWRR 1988, 745 ehrenamtlich tätig sein, doch muss auch insoweit die Satzung Abweichendes bestimmen können. IÜ macht die Verweisung auf das Auftragsrecht, die auch bei entgeltlicher Tätigkeit gilt, das Verhältnis noch nicht zum Auftrag. Angesichts der Breite der möglichen Tätigkeiten und Pflichten von Vorstandsmitgliedern passt am besten die Qualifikation als Geschäftsbesorgungsvertrag, der je nach der Regelung der Entgeltfrage mehr Auftrags- oder mehr Dienstvertragscharakter hat (ähnlich NK/Heidel/Lochner Rn 5). Ehrenamtlichkeit schließt Anspruch auf eine pauschale Aufwandsentschädigung nicht aus, sollte aber stets einem ideellen Zweck dienen (näher Wagner NZG 2016, 1048). Wenn die konkrete Tätigkeit des Verbandes als fremdbezogen, in einen Betrieb eingeordnete und uU auch weisungsgebundene „Beschäftigung“ iSd § 7 I SGB IV anzusehen ist, besteht auch Sozialversicherungspflicht (BSG 111, 257; BSG NZA-RR 2002, 494), was auch durch die grundsätzliche Ehrenamtlichkeit offenbar nicht verhindert wird (zu den Einzelheiten Plagemann/Hesse NJW 2015, 439ff). Der Vorstand ist der Mitgliederversammlung auskunftspflichtig, sofern dies zur sachgemäßen Erledigung von Tagesordnungspunkten notwendig ist (LG Stuttgart NJW-RR 2001, 1478 für die Beschlussfassung über Entlastung); dies gilt auch gegen den Vorstand eines Dachverbandes (BGH 152, 339; ähnlich NK/Heidel/Lochner Rn 17). Inhaltlich umfasst die Auskunftspflicht alle Vereinsangelegenheiten; den Mitgliedern können Informationen nicht als geheimhaltungsbedürftig vorenthalten werden, weil ihrer Versammlung die letzte Entscheidung obliegt (MüKo/Arnold Rn 29). Zur Pflicht, die Namen der Mitglieder bekanntzugeben, § 25 Rn 1. Der regelmäßige Gleichlauf der Zuständigkeiten für die Organstellung und das Anstellungsverhältnis (Rn 2) soll nach BGH 113, 237 auch hier bestehen. Der BGH (aaO) dehnt dies auch auf die Frage der Auflösung eines (etwa mangels Anstellungskompetenz des Vorstands) fehlerhaften, aber zeitweilig durchgeführten Anstellungsverhältnisses aus und stellt iÜ (fast zu) hohe Anforderungen an das Vorliegen einer konkludenten Zustimmung des für die Anstellung eigentlich zuständigen Vereinsorgans; die Lehre vom fehlerhaften Verband kann zur vorläufigen Anerkennung einer faktischen Organstellung führen (Baums, S 153ff, 204ff; MüKo/Arnold Rn 48). Ohne besondere Festsetzung einer Vergütung besteht nur Anspruch auf Aufwendungsersatz, überhöhte Vergütungen will BGH ZIP 1988, 427 überprüfen (dazu Reuter EWiR § 27 BGB 1/88). Verletzung der Sorgfaltspflicht (Haftung für jedes Verschulden, § 708 gilt nicht, BGH NJW-RR 1986, 572, 574) 7 verpflichtet das betreffende Vorstandsmitglied dem Verein – nicht den Mitgliedern – ggü zum Schadensersatz (RG 59, 50 für die GmbH; Zusammenstellung des Schrifttums zum Verein bei Linnenbrinck SpuRt 2000, 55). Grundlage ist § 667, BGH NJW 1997, 47. Als Haftungsmaßstab auf die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Vorstandsmitglieds eines Vereins der fraglichen Art abzustellen, hilft angesichts der Vielfalt der Vereine nicht viel weiter, die Anforderungen können nur dem konkreten Anstellungs- und Organverhältnis entnommen werden; die Verweisung des Abs 3 auf § 670 bedeutet, dass es darauf ankommt, was der Vorstand in einer konkreten Situation für erforderlich halten durfte (erwogen werden auch Analogien zu § 93 I 2 AktG, MüKo/Arnold Rn 41), besonders unter Anwendung der business-judgement-rule bei unternehmerischen, dh von Unsicherheiten nicht freien, Entscheidungen, zu denen aber Gesetzesverstöße nicht gehören, auch nicht deliktische Vertragsverstöße (Heermann NJW 2016, 1687, 1689ff). Anspruchsgrundlage ist § 280. Zur Haftung ehrenamtlich oder nur gering vergüteter Vorstands- und Vereinsmitglieder §§ 31a, 31b. Die Haftung kann durch SatWestermann

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zung in den Grenzen des § 276 ausgeschlossen werden, zur Beschränkung der Innenhaftung Nürnberg ZIP 2016, 573. In Insolvenznähe steigen die Anforderungen an die Umsicht des Vorstands erheblich (näher § 42 Rn 5, 6). Bei Aufteilung der Geschäftsführung innerhalb des Vorstands nur bei wirtschaftlicher (nur als Nebenzweck erlaubter) Tätigkeit ist eine gegenseitige Aufsichtspflicht der Vorstandsmitglieder denkbar, falls nicht schon die Satzung gegenseitige Kontrolle zum Gegenstand der Pflichten macht, die dann aber auch eine Beschränkung der Verantwortung auf ein Ressort verfügen kann; Anhaltspunkten für ein Fehlverhalten in einem anderen Ressort hat aber jedes Vorstandsmitglied nachzugehen, näher Heermann NJW 2016, 1687 f. Hat sich das Vorstandsmitglied bei einer Entscheidung über einen internen, nicht in der Satzung verankerten Vorstandsbeschluss hinweggesetzt, so begründet dies nicht ohne weiteres seine Ersatzpflicht (BGH NJW 1993, 191). Die Verweisung auf das Auftragsrecht bedeutet ferner, dass die Mitgliederversammlung dem Vorstand auch für einzelne Geschäfte Weisungen erteilen kann (Staud/Weick Rn 25). Ansprüche gegen ein Vorstandsmitglied können nur vom Verein, nicht aber von einem Mitglied geltend gemacht werden (Düsseldorf MDR 1983, 488). Hat der Verein für seine Organe eine Vermögenshaftpflichtversicherung abgeschlossen, kann dem Vorstandsmitglied ein Freistellungsanspruch zustehen (LG Bonn NJW-RR 1995, 1435). Wenn der BFH (BB 1998, 1934, s auch NZG 2003, 734; zur Haftungsbegrenzung BGH 133, 370, 376; ZIP 2002, 261) die persönliche Verantwortung jedes – auch eines ehrenamtlich tätigen – Vorstandsmitglieds für die Abführung vom Verein geschuldeter Steuern wie die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers bestimmt, dabei § 43 GmbHG entspr anwendet und auch eine gegenseitige Überwachungspflicht mehrerer Vorstandsmitglieder annimmt, so sprechen hiergegen dieselben Bedenken bzgl der Ausweitung des Gläubigerschutzes zu besonderen Privilegien einer Gläubigergruppe (Darstellung und Kritik bei H. P. Westermann, FS Fikentscher, 1998, 456ff); ohnehin sind die Anforderungen an GmbH-Geschäftsführer auf Vorstände eines Idealvereins regelmäßig nicht übertragbar (aM Heermann, FS Röhricht, 2005, 1191, 1197). Die Entlastung des Vorstands in der Mitgliederversammlung bedeutet Verzicht auf bekannte und aus dem Rechenschaftsbericht erkennbare Ansprüche auf Ersatz aus der Geschäftsführung (BGH 24, 47, 54), allerdings nur insoweit, als das entlastende Organ die Tragweite der ihm abverlangten Entscheidung aufgrund der ihm erteilten Information überblicken konnte (BGH 80, 69, 74; 94, 324; ZIP 1987, 635; 88, 710; NZG 2005, 562). Die Entlastung erfasst also nicht solche Ansprüche, die aus den den Mitgliedern zugänglichen Unterlagen bei sorgfältiger Prüfung nicht ersichtlich sind, dabei sind die Erkenntnismöglichkeiten eines Rechnungsprüfers nicht zuzurechnen (BGH ZIP 1988, 706). Entlastungswirkungen treten nicht ein, wenn der Beschluss von Irrtum oder Unkenntnis bedeutender Umstände beeinflusst ist (BGH NJW-RR 1988, 745). Beim Beschluss der Mitgliederversammlung haben die Vorstände kein Stimmrecht. Bei ordnungsmäßiger Geschäftsführung besteht Anspruch auf Entlastung, wobei es nicht auf eine satzungsmäßige Festlegung des Anspruchs ankommt (anders Celle NJW-RR 1994, 1545; Köln NJW-RR 1997, 483; BGH 94, 324, 329; Sauter/Schweyer/Waldner Rn 289; wie hier BGH 24, 47, 54); gegen die Behauptung des Bestehens von Ersatzansprüchen kann sich ein entlasteter Vorstand mit negativer Feststellungsklage wehren, BGH 94, 324, 329. Die Zuständigkeit der Mitgliederversammlung zur Entlastung hindert den Vorstand nicht, bereits vor der Entlastung die sich aus der Geschäftsführung des Vorstands ergebenden Ansprüche geltend zu machen (BGH 24, 47).

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Beschlussfassung des Vorstands

Bei einem Vorstand, der aus mehreren Personen besteht, erfolgt die Beschlussfassung nach den für die Beschlüsse der Mitglieder des Vereins geltenden Vorschriften der §§ 32 und 34. 1. Bei mehrgliedrigem Vorstand gilt das Kollegialprinzip, die Verweisung auf § 32 bedeutet ua nach § 32 I 3, dass bei Beschlussfassung das Mehrheitsprinzip gilt. Ferner folgt hieraus Ladungspflicht zur Vorstandssitzung unter Nennung der Beschlussgegenstände (Ausnahme § 32 II). Gemeint ist damit die Willensbildung im Innenverhältnis (MüKo/Arnold Rn 1; Reichert Rn 2602; Schwarz Rpfleger 2003, 1, 3; Staud/Weick Rn 8). Wirksame Vertretung im Außenverhältnis setzt nur voraus, dass dort vertretungsberechtigte Vorstände in satzungsgemäß ausreichender Zahl tätig werden, ohne dass dafür gültiger Vorstandsbeschluss erforderlich ist (BGH 69, 252; BayObLG 1976, 230, 239; KGRp 2006, 601; NK/Heidel/Lochner Rn 3). Das ist ohne Gefahren für den Rechtsverkehr möglich, da die Vertretungsregelung (nicht nur eine vom Gesetz abw) im Vereinsregister eingetragen werden muss. Nach § 40 S 2 kann im Hinblick auf die Beschlussfassung des Vorstands von § 34 auch satzungsmäßig nicht abgewichen werden (MüKo/Arnold Rn 2). Nur bei satzungsmäßiger Ermächtigung ist Bevollmächtigung einzelner Vorstandsmitglieder durch die anderen möglich, nicht dagegen die Einbeziehung eines Dritten, die Stimmrechtsübertragung auf einen Außenstehenden bedeute (Hamm OLG 1978, 26, 29; für Unzulässigkeit der Vertretung durch Nicht-Vorstandsmitglied PWW/Schöpflin Rn 1). Sieht die Satzung Gesamtvertretung vor, ist eine dem ersten Vorsitzenden erteilte Ermächtigung zur Alleinvertretung nichtig (München NJW-RR 1991, 893). Fehlen eines nicht wirksam vertretenen Vorstandsmitglieds kann, auch wenn eine Beschlussmehrheit zustandekommen könnte, Beschlussunfähigkeit verursachen. 2. Beschlussfassung (einschl Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen) ist notwendig für die Rechtmäßigkeit der Handlungen des Vorstands (Schleswig NJW 1960, 1682 mit Annahme der Nichtigkeit des Beschl als Folge des Fehlens der Ladung eines Vorstandsmitglieds ohne Rücksicht auf die Kausalität seiner Stimmabgabe). Wenn der Vorstand vollständig erschienen ist, können im allseitigen Einverständnis auch ohne Einhaltung der Vorschriften über Ladung und Mitteilung der Tagesordnung wirksame Beschl gefasst werden, es genügt 152

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auch, wenn sich trotz eines Einberufungsmangels alle Vorstandsmitglieder mit der Beschlussfassung einverstanden erklären (Reichert Rn 2597). Stimmabgabe als Willenserklärung nach allg Vorschriften anfechtbar, damit ist aber nicht ohne weiteres aufgrund des Beschl erfolgte Außenhandlung unwirksam, vielmehr nur dort, wo der Beschl ein notwendiger Bestandteil des weiteren Tatbestandes ist.

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Notbestellung durch Amtsgericht

Soweit die erforderlichen Mitglieder des Vorstands fehlen, sind sie in dringenden Fällen für die Zeit bis zur Behebung des Mangels auf Antrag eines Beteiligten von dem Amtsgericht zu bestellen, das für den Bezirk, in dem der Verein seinen Sitz hat, das Vereinsregister führt. 1. Folgerung aus dem notwendigen Vorhandensein eines Vorstands, der Mitglieder in vertretungsberechtigter 1 Zahl umfassen muss. Bestellung eines Treuhänders für jur Pers ohne gesetzliche Grundlage unzulässig (BGH BB 1956, 415), jedoch gilt § 29 auch für den in Liquidation befindlichen Verein (BayObLG Rpfleger 1987, 250), während für einen gem § 42 I 1 aufgelösten Verein bei dringendem Bedürfnis, etwa bei Führungslosigkeit, ein Notliquidator (§ 48) zu bestellen ist, Zweibrücken NZG 2014, 586. Zur Notvorstandsbestellung für Stiftung Hamm NZG 2014, 271; Muscheler FS Reuter, 2010, 225. § 29 wird für die Kapitalgesellschaften entspr angewendet und spielt bei der GmbH eine erhebliche praktische Rolle (Düsseldorf NZG 2016, 1068), dazu H. P. Westermann, FS Kropff, 1997, 681ff; Bauer Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006; Kögel GmbHR 2012, 772; zur AG und § 85 AktG BGH NZG 2011, 1277; BGH 86, 177. Bei politischen Parteien wird uU ein Parteischiedsgericht vorrangig tätig werden können (Hamm NJW-RR 1989, 1532; s aber auch Hahn NJW 1973, 2012), das heißt aber nicht, dass § 29 ganz ausschiede (MüKo/Arnold Rn 7). 2. Voraussetzungen. Fehlen (auch andauernde Krankheit, Ablauf der Amtszeit, Abwesenheit oder Amtsenthe- 2 bung, Frankfurt BB 1986, 1601; LG Bonn Rpfleger 1987, 460), Entziehung der Vertretungsbefugnis (BayObLG NJW-RR 1986, 523) oder auch Behinderung des Vorstands bzw Ausfallen eines Vorstandsmitglieds, so dass Vertretungsmöglichkeit fehlt, nicht aber, wenn ein nach der Satzung für die Bestellung zuständiger Dritter ausgefallen ist, KG Rpfleger 2007, 92. Bei bloßer Untätigkeit des vorhandenen Vorstands sind Maßnahmen durch die Mitgliederversammlung zu ergreifen, zB Anweisung, notfalls Widerruf und Neubestellung, Frankfurt NJW 1966, 50; GmbHR 2001, 436, anders für den Fall, dass ordentliche Vorstandsmitglieder unter Berufung auf wirksame Amtsniederlegung und Ungültigkeit ihrer Bestellung die Vereinstätigkeit verweigern (Schleswig NZG 2013, 584). Nach BGH NZG 2014, 1302 ist ein Vorstandsmitglied, das niederlegen will, in solchen Fällen verpflichtet, gem § 29 die Einsetzung eines Vorstandsmitglieds zu beantragen, dem ggü er dann seinerseits die Niederlegung erklären kann. Umstr ist die Folge einer grds Handlungsverweigerung eines einzelnen, aber unentbehrlichen Mitglieds (für Anwendbarkeit des § 29 KG JW 1937, 1730; MüKo/Arnold Rn 9; abl Muscheler, FS Reuter, 2010, 225, 231). Bloße Differenzen der Organe und ihrer Vertreter oder unsachgemäße Tätigkeit des amtierenden Vorstands reichen nicht aus, solange die Organe in der Lage wären, den Mangel zu beseitigen (Düsseldorf NZG 2016, 1068 (BayObLG Rpfleger 1983, 74; ZIP 1997, 1785, näher H. P. Westermann, FS Kropff, 1997, 681, 683ff; Kögel NZG 2000, 20); ebenso wenig bloße Dringlichkeit der Einberufung einer Mitgliederversammlung, solange der Vorstand dies tun kann (LG Düsseldorf Rpfleger 1987, 72f, das aber Nichtigkeit der Vorstandswahl ausreichen lässt); auch das Verlangen eines Landesverbands nach Mitgliedschaft der Vorstände eines Unter-Vereins im Oberverband kann dann nicht zu einem Ausfall iSd § 29 führen (Düsseldorf m Anm Krüger/Saleszadek npoR 2016, 109). Die Mahnung, sich nicht durch die Bestellung in einen Streit der Organe einzumischen (Düsseldorf NZG 2016, 1069 für Zweimann-GmbH mit beiderseitigen Abberufungsanträgen), gilt für den Verein angesichts der Zuständigkeit der Mitgliederversammlung gewöhnlich nicht. Diese kann auch einen Dritten bestellen, was wie auch bei der GmbH die Einschaltung des Gerichts entbehrlich macht (Schodder EWiR 2012, 272). Vorgehen nach § 29 ist aber nötig, wenn dringende unaufschiebbare Maßnahmen getroffen werden müssen (BayObLG Rpfleger 1996, 114 für GmbH; München Rpfleger 2007, 92). Die Voraussetzungen liegen auch vor, wenn sich das zuständige Organ (zur GmbH) nicht auf Geschäftsführer einigen kann, BayObLG NJW-RR 1999, 1259. Dringendes Bedürfnis für die Tätigkeit des Vorstands (BayObLG 1985, 24) fehlt, wenn mit der Maßnahme nach § 57 auszukommen ist (s Stuttgart MDR 1996, 198; Dresden GmbHR 2002, 165; dagegen Muscheler, aaO, 232f), besonders auch dann, wenn die jur Pers im Insolvenzverfahren keine Organe mehr hat (Kutzer ZIP 2000, 654 gegen Köln ZIP 2000, 280, das auch hier einen Notgeschäftsführer – für GmbH – fordert), wie hier auch Zweibrücken ZIP 2000, 973 m Anm Hohlfeld GmbHR 2001, 573. Der mögliche Weg über § 29 schließt eine Lösung über die Bestellung eines Prozesspflegers nicht aus, Zweibrücken GmbHR 2007, 544, doch wird die Maßnahme nach § 57 ZPO als vorzugswürdig angesehen, München NZG 2008, 160, nicht dagegen ist für ein abwesendes Vorstandsmitglied ein Abwesenheitspfleger zu bestellen (KG JR 1950, 343). Eine Bestellung nach § 29 kommt auch nicht in Frage, wenn anzunehmen ist, dass die Mitglieder in der Lage sein werden, rechtzeitig einen Vorstand zu bestellen (BayObLG DB 1995, 2364) oder wenn der Vertretungsmangel durch die Zuwahl eines Gesamtvertretungsberechtigten behoben werden kann (BayObLGE 1989, 298). Die Bestellung ist immer nur vorübergehende bzw vorläufige Hilfsmaßnahme (BayObLG Rpfleger 1987, 251), 3 wobei aber die zur Bestellung zwingende Notlage auch lange Zeit andauern kann und die bloße Zeitdauer keinen Grund für eine Abberufung darstellt (Düsseldorf ZIP 1997, 846 für GmbH). Erforderlich ist Antrag eines Beteiligten (Mitglied, Vertragspartner usw), wobei die Mitgliedschaft des Antragstellers bis zur Bestellung fortbestehen muss (BayObLG NJW-RR 1994, 832); ein „Ruhen“ der Mitgliedschaft schadet nach Düsseldorf NZG 2012, 272 Westermann

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§ 29

4

nicht. Die besonders bei Handelsgesellschaften wichtige Antragsberechtigung von Personen, deren Rechte und Pflichten durch die beantragte Bestellung unmittelbar beeinflusst würden (BayObLZ 1971, 180), besteht nicht, wenn sich der Antragsteller ohne weiteres selber helfen könnte (Frankfurt NZG 2014, 331 unter Hinw auf Besuch bei in U-Haft befindlichem GmbH-Geschäftsführer). Ferner ist der Antrag zurückzuweisen, wenn sich keine geeignete und zur Übernahme bereite Person findet, München, Rpfleger 2007, 92. BayObLG NJW-RR 1989, 265 hat die Einsetzung eines Notvorstands von Amts wegen (dazu iÜ §§ 73, 74) zugelassen, allerdings nur, um das Ausscheiden eines im Vereinsregister eingetragenen Vorstandsmitglieds lange nach Auslaufen seiner Amtszeit anzumelden, und in der sicheren Annahme, dass keiner der Beteiligten einen entspr Antrag stellen werde. Es handelt sich dabei weniger um eine Maßnahme nach § 29 als um eine Bereinigung des Vereinsregisters. 3. Der Bestellungsbeschluss muss dem Antragsteller bekanntgegeben werden, § 41 FamFG, und da es dem Bestellten freisteht, die Bestellung anzunehmen, hat ihn das Registergericht zu verständigen (BayObLG NJW 1981, 996), erst mit seiner Annahme erlangt er die Organstellung (BayObLG NJW 1981, 995). Auch bei Fehlerhaftigkeit ist der Beschl bis zur Aufhebung wirksam (RG JW 1918, 361), aber bei unzulässigem Inhalt unwirksam (KG JR 1950, 343). Bzgl Eintragung des Beschl s § 67 II. Gegen den Beschl steht neben dem Verein nur Vorstand und Vereinsmitgliedern ein Beschwerderecht zu (BayObLG NJW-RR 1997, 289), was auch bei Ablehnung einer Bestellung gilt, die der Bestellte nur zu erklären braucht, einer Beschwerde bedarf es dann nicht, München Beck-RS 2016, 05709; so auch Düsseldorf NZG 2016, 698; zum Verfahren §§ 38 iv Nr 2, 58ff FamFG. Grds erhält der Bestellte die volle Vorstandsstellung, muss daher in der Satzung verlangte Qualifikationen besitzen (BayObLG Rpfleger 1992, 114). Beschränkung der Rechtsmacht auf einzelne Punkte möglich, was jedoch nur im Innenverhältnis wirkt, während nach außen keine Beschränkung besteht, §§ 64, 68, aber auch 70 (zum Ganzen BayObLG NJW-RR 1986, 523; s auch Düsseldorf ZIP 2002, 481; für Bestellung nur für konkret zu bezeichnende Aufgaben aber München, Rpfleger 2007, 92; abl Muscheler aaO, 242 Rn 2). Sinnvoll kann es sein, die Vertretungsmacht auf die Einberufung einer Mitgliederversammlung zu beschränken (BayObLG 1987, 29), nach Köln ZInsO 2002, 834 kann das Gericht sogar in Abweichung von Satzungsbestimmungen alleinige Vertretungsbefugnis erteilen. Dass das Amt automatisch mit Behebung des Mangels erlischt (BayObLG NZG 2002, 433), ist aus Gründen der Rechtssicherheit nicht anzunehmen, das Gericht kann den Notvorstand aus wichtigem Grund abberufen (Düsseldorf ZIP 2002, 481; Muscheler, 243). Der Bestellungsbeschluss schafft nur die Organstellung (BGH 24, 47, 51). Das Innenverhältnis kann vertraglich geregelt werden (auch zw Amtsgericht und Bestelltem mit Wirkung für den Verein; sehr weitgehend BayObLG 1975, 260, 262), es wird aber auch angenommen, dass mit der Annahme des Amts schlüssig ein Anstellungsverhältnis begründet werde (Frankfurt FGPrax 2006, 81), sogar als entgeltliches, wenn die Tätigkeit nach den Umständen nur als entgeltliche zu erwarten ist (BayObLG 1975, 260, 262). Doch soll die Regelung der Vergütung nicht durch das Registergericht, sondern nur – auf Klage des Notvorstands – durch das Prozessgericht erfolgen können (BayObLG NJR-RR 1988, 1500; anders BaRo/Schöpflin Rn 13). Der Prozessrichter darf die nach § 29 vorgenommene Vorstandsbestellung nicht auf ihre Erforderlichkeit und materielle Richtigkeit überprüfen (BGH 24, 51). Zu den Grenzen der Anwendung des § 29 auf die Personengesellschaft § 709 Rn 3.

§ 30

1

Personen

Besondere Vertreter

Durch die Satzung kann bestimmt werden, dass neben dem Vorstand für gewisse Geschäfte besondere Vertreter zu bestellen sind. Die Vertretungsmacht eines solchen Vertreters erstreckt sich im Zweifel auf alle Rechtsgeschäfte, die der ihm zugewiesene Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringt. 1. Zweck des § 30 ist, für weitverzweigte jur Pers mit selbständigen Einrichtungen eine entspr Organisation zu ermöglichen, weil die Mitgliederversammlung faktisch kaum mitwirken kann. § 30 gilt für alle jur Pers, auch die des öffentlichen Rechts; bei der AG ist die Kompetenz des Vorstands zwingend ausgestaltet, und bei den Personengesellschaften ist der dort geltende Grundsatz der Selbstorganschaft (§ 709 Rn 3ff) zu beachten, so dass § 30 außerhalb des Vereinsrechts nur geringe Bedeutung hat (im Einz MüKo/Arnold Rn 16). Der besondere Vertreter ist Vereinsorgan (PWW/Schöpflin Rn 1, zum Verhältnis zu den Vorstandskompetenzen Rn 3 aE). Vom Bevollmächtigten und vom Verrichtungs- bzw Erfüllungsgehilfen unterscheidet er sich durch die satzungsmäßige Grundlage seiner Stellung, in die er durch Bestellungsakt berufen wird. Vom Vorstand unterscheidet sich der besondere Vertreter durch seine ihm ggü beschränkte Funktion bei Erhaltung einer gewissen Selbständigkeit (RG 157, 229, 236; 162, 168), ohne dass eine Unterstellung unter die Oberaufsicht eines anderen Vereinsorgans seiner Eigenschaft als besonderer Vertreter entgegensteht (BGH NJW 1977, 2260); nicht selten wird es freilich gerade darum gehen, durch den besonderen Vertreter ein Gegengewicht gegen den allzuständigen Vorstand zu schaffen, was nach München (NZG 2013, 32) und Zweibrücken (NZG 2013, 97) so weit gehen kann, dass dem besonderen Vertreter das gesamte Tagesgeschäft übertragen wird. Dabei ist freilich zu beachten, dass der Verein für Handlungen des besonderen Vertreters nach § 31 haften kann (MüKo/Arnold Rn 2). Der besondere Vertreter kann auch weiterhin für „wirtschaftliche, verwaltungsmäßige und personelle Angelegenheiten“ bestellt werden, München NZG 2013, 32. Das gilt bei größeren Gewerbebetrieben für Abteilungsleiter und sonstige selbständige Personen, zB Leiter einer Zweigstelle einer Großbank (BGH NJW 1977, 2259), auch wenn sie auf die innere Geschäftsführung beschränkt sind (RG 163, 29). Auch einem Aufsichtsrat, der zur Kontrolle des Vorstands bestellt ist, können dann Aufgaben wie die Vertretung ggü dem Vorstand übertragen sein, LG Hamburg SpuRt 2007, 167. Bei sehr großen Vereinen kommt uU auch eine organschaftliche Pflichtendelegation durch den Vorstand in Betracht (Brouwer NZG 2017, 481). 154

Westermann

Juristische Personen – Vereine

§ 31

2. Für die Bestimmung in der Satzung genügt die satzungsmäßige Begründung der Einrichtung (RG 91, 1; 94, 2 318; 117, 61; BAG NJW 1997, 3261, dort auch zur ArbNEigenschaft), die Notwendigkeit eines besonderen Vertreters kann sich aus dem Gesamtinhalt der Satzung und der daraus ersichtlichen Bezeichnung eines nicht schon durch den Vorstand zu betreuenden Geschäftskreises ergeben (Staud/Weick Rn 3; so auch LG Chemnitz m Kurzkomm Gärtner/Rawert EWiR 2001, 795), so dass der Vorstand verpflichtet sein kann, einen besonderen Vertreter zu bestellen (BGH 39, 124, 129f); dafür reicht aber, wie die Rspr zT annimmt (RG 163, 21, 30), die objektiv zu fordernde Selbständigkeit der Stellung nicht aus (Soergel/Hadding Rn 5). Praktisch wirkt aber die Organisationspflicht (Rn 4) ähnlich. Zuständigkeit zur Bestellung ergibt die Satzung, sonst § 27. Die Eintragung des besonderen Vertreters ins Vereinsregister richtet sich nach § 64, BayObLG NJW 1981, 2068. 3. Die Vertretungsmacht ist hier schon kraft Gesetzes auf die für den Geschäftskreis des Vertreters gewöhnli- 3 chen Geschäfte beschränkt. Weitere Einschränkung, selbst Ausschluss der Vertretungsmacht, durch die Satzung möglich. Gutglaubensschutz, falls mit der betreffenden Stellung allg Vertretungsmacht verbunden zu sein pflegt, entweder bei Eintragung nach § 68, sonst nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht. Auch kommen Grundsätze der Repräsentantenhaftung in Betracht, dazu § 31 Rn 1. Auch wenn die Kompetenz des besonderen Vertreters allg bezeichnet werden kann, ist aber darauf zu achten, dass sie nicht den gesamten Bereich der Vorstandstätigkeit erfassen darf, da sonst eine Beschränkung der Vertretungsmacht des Vorstands vorliegt (München NZG 2013, 32). 4. § 30 ist bloße Kannvorschrift für die jur Pers, s aber RG JW 1938, 3126 und RG 157, 235; 162, 166, die Orga- 4 nisationspflicht einer jur Pers annehmen, die sie zwingt, für Tätigkeitsbereiche, insb wirtschaftlicher Art, die der Vorstand allein nicht mehr übersehen kann, ein besonderes Organ zu schaffen. Die von der Rspr entwickelte Organisationspflicht gilt für alle Gefahrenquellen, nicht nur für die Verkehrssicherungspflicht (BGH 27, 280, 283; s auch BGH 24, 200, 213; 39, 124, 130; 59, 76, 82). Wegen der Verletzung der Organisationspflicht haftet die jur Pers für den Schaden so, wie wenn er durch einen unter §§ 30, 31 fallenden Vertreter herbeigeführt wäre.

§ 31

Haftung des Vereins für Organe

Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. 1. Ratio des § 31 ist die Gleichstellung der jur Pers mit der natürlichen bzgl der Haftung für zum Schadensersatz 1 verpflichtende Handlung außerhalb vertraglicher Verhältnisse, für die sonst nur nach § 831 gehaftet würde. Die Handlungen ihrer Organe sind der jur Pers als ihre Handlungen zuzurechnen, gleichgültig ob man die Handelnden als Organ (Organtheorie) oder als Vertreter (Vertretungstheorie) der jur Pers ansieht; § 31 wirkt in diesem System nicht haftungsbegründend, sondern haftungszurechnend (BGH 99, 298, 302; NK/Heidel/Lochner Rn 1). Dies bedeutet dann auch eine Haftung der jur Pers neben der des Organs, Altmeppen NJW 1996, 1017ff. Weitergehend Kleindiek, Deliktshaftung und jur Pers, 1997, 238ff, der neben der Haftungszurechnung als Grundlage des § 31 bei Pflichtverletzungen eine Eigenverantwortung der jur Pers auch ohne ein Eigendelikt des Organs, an das angeknüpft werden müsste, bejaht und diesen Gedanken auch auf die Gesamthandsgemeinschaften einschl der GbR ausdehnt (aaO, 254ff, gegen die Herleitung der Haftung aus einem verbandlichen Organisationsmangel MüKo/Arnold Rn 8). Dadurch, dass § 31 die Verantwortlichkeit des Personenverbandes über die (selbstverständliche) Haftung für Organe auf das Handeln „anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter“ ausdehnt, wird ein Schritt in Richtung auf eine allg Repräsentantenhaftung vollzogen, die dem Verein die Verantwortung für die selbständige Wahrnehmung seiner Aufgaben mit den zur Verfügung gestellten Mitteln durch eine dazu in Verfolgung des satzungsmäßigen Zwecks ordnungsgemäß eingesetzte Person auferlegt, s die Formulierungen bei BGH NJW 1977, 2259; 84, 922; Nürnberg WM 1988, 120; MüKo/Arnold Rn 3. Ob es sich dabei noch um Auslegung des § 31 oder um Analogie handelt (Martinek, Repräsentantenhaftung, 1979, 196ff; MüKo/Arnold Rn 5), ist weniger wichtig als die Einsicht, dass die Verantwortung für deliktisches Handeln von Repräsentanten ein allg verbandsrechtliches Prinzip bildet, dessen Geltung folglich nicht auf den Idealverein beschränkt ist. Die zu § 31 entwickelten Regeln werden auch im Rahmen des § 890 ZPO angewendet (Karlsruhe NJW-RR 1998, 1571). Den Ansatz beim Deliktsanspruch hat Köln (NJW-RR 1998, 756) auch für die Beurteilung der Haftung für das im Inland handelnde Organ einer ausländischen jur Pers für entscheidend gehalten, also das Deliktsstatut und nicht das Gesellschaftsstatut angewendet. Die Satzung kann die Haftung nicht ausschließen, § 40. Vertraglicher Ausschluss ist im Einzelfall im Rahmen des § 278 möglich, nicht aber für Vorsatz, da Handeln des Organs als Handeln der jur Pers selbst gilt (BGH NJW 1973, 456). Zum Haftungsausschluss durch AGB s § 309 Nr 7. Zur Haftung der Organpersonen gegenüber dem Verein § 27 Rn 7, bei ehrenamtlich Tätigen oder nur geringfügig Besoldeten mit den Modifikationen durch § 31a. § 31 gilt für die jur Pers des bürgerlichen, des Handelsrechts und des öffentlichen Rechts, § 89, und wird darü- 2 ber hinaus auch auf die OHG trotz ihrer fehlenden Rechtssubjektivität angewandt (BGH NJW 1952, 537; 1973, 456; 1998, 148), damit auch auf die Partnerschaftsgesellschaft (NK/Heider/Lochner Rn 3), die KG (BGH VersR 1962, 168) und die Gründungsgesellschafterin eines Fonds (im Hinblick auf Prospekthaftung, BGH NJW 2006, 2410); auf das Vorliegen einer körperschaftlichen oder einer personalistischen Verfassung kommt es nicht an. Somit kann iSd § 31 auch ein nicht oder jedenfalls nicht allein vertretungsberechtigter Gesellschafter deliktisch gehandelt haben, bzgl des nicht rechtsfähigen Vereins s § 54 Rn 10. Die Haftung einer BGB-Außengesellschaft Westermann

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§ 31

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Personen

für Delikte ihrer zur Geschäftsführung oder Vertretung befugten Gesellschafter ist seit BGH 154, 88, 93; NJW 2007, 2490 (s auch BGH WM 2003, 1821) anerkannt (K. Schmidt NJW 2003, 1897, 1898; H.P. Westermann/Wertenbruch, Hdb der Personengesellschaften I 896; krit Altmeppen NJW 2003, 1553). Das führt zur gesamtschuldnerischen Haftung der Gesellschafter und der Gesellschaft, wie es für sittenwidrige Schädigungen durch den Vorstand einer AG entschieden wurde (BGH ZIP 2005, 1270 – EM-TV, dazu Bayer/Weinmann EWiR 2005, 689; Fleischer ZIP 2005, 1805; Hutter/Stürwald NJW 2005, 2428; Henze, FS Hopt I, 2010, 1933). Für eine reine Innengesellschaft passt allerdings eine Repräsentantenhaftung iSd § 31 nicht (so auch Klerx NJW 2004, 1907). Wohl hat der BGH eine Anwaltssozietät, die in der Rechtsform der GbR betrieben wurde (dazu BGH 56, 355, 357; NJW 1996, 2859; Vor § 705 Rn 30), bei berufshaftungsrechtlichen, aber auch bei deliktischen Verbindlichkeiten der Haftung nach § 31 unterworfen und dies auf das – auch: deliktische – Handeln eines Scheinsozius erstreckt, BGH NJW 2007, 2490, näher Vor § 705 Rn 30. Die auf Auseinandersetzung angelegte Erbengemeinschaft gehört nicht hierher (München HRR 1939, Nr 365; Soergel/Hadding Rn 8; aM MüKo/Arnold Rn 17), ebenso wenig die Gütergemeinschaft (MüKo/Arnold Rn 16, 17). Im Anschluss an Bötticher ZZP 57, 55, 71 kommt die Ansicht auf, dass § 31 zumindest auf deliktisches Handeln des Insolvenzverwalters oder des Testamentsvollstreckers mit „Haftung der Masse“ anwendbar ist (Lüke ZIP 2005, 1113, 1117; für den Insolvenzverwalter BGH NZG 2006, 592; MüKo/Arnold Rn 18), was zwar nicht stark begründet, aber wegen der Unanwendbarkeit des § 831 wohl zu billigen ist. Für eine Anwendung des § 31 auf alle Unternehmensträger Nitschke NJW 1969, 1737, was insb das einzelkaufmännische Unternehmen betreffen würde. Auf diese Weise wird jedoch § 31 ggü § 831 konturenlos. Gegen die Anwendung des § 31 auf WE-Gemeinschaft Frankfurt OLG 1985, 146, was aber nach der Annahme der Rechtsfähigkeit auch dieses Gebildes (BGH 163, 154) wohl nicht mehr zu halten ist, ebenso PWW/Schöpflin Rn 2. 2. Der Verein haftet für die Handlungen des Vorstands und anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter, was gleichbedeutend mit besonderem Vertreter iSd § 30 ist, wobei die allg Stellung des Handelnden, nicht seine Vertretungsmacht oder eine formelle Organschaft entscheidend ist (RG 57, 289; s auch RG 162, 202, 207 gegen RG 131, 247). Für die Begriffsbestimmung des Handelnden iSd § 31 ist nicht der technische Begriff des „Vertreters“, sondern die in Rn 1 angegebene ratio des § 31 maßgebend (BGH 49, 19, 21; NJW 1977, 2259 und ständig). Dass der Handelnde Vertretungsmacht gem § 164 hat, ist daher nicht erforderlich (RG 110, 147; BGH BB 1959, 57; BGH 98, 148, 151). Es kommt also darauf an, ob der betreffenden Person durch eine Handhabung für den Verein praktisch wichtige Tätigkeiten zur selbständigen Erledigung übertragen sind, so dass sie im Rechtsverkehr als Repräsentant angesehen wird (BGH NJW 1998, 1856), im hier erörterten Fall also etwa der einverständlich tätige Sachbearbeiter, BGH 172, 169, wie auch der selbständig Mandate bearbeitende Schein-Sozius (BGH NJW 2007, 2490, wobei allerdings erwähnt wurde, dass der geschädigte Mandant mit der Sozietät hatte abschließen wollen). Weisungsgebundenheit im Innenverhältnis schadet nicht, BGH NJW 1977, 2260. Demgemäß genügt auch das zum Schadensersatz verpflichtende Handeln eines zur Gesamtvertretung Befugten (was bei Handelsgesellschaften auch ein Prokurist sein kann, s BGH 62, 166), sofern sich der Handelnde im Rahmen des ihm zugewiesenen Wirkungskreises gehalten hat; zum Zusammenhang mit den eigentlichen Aufgaben des Vorstands BGH NJW 2014, 383. Mit der Abkopplung der deliktischen Haftung von der Vertretungsordnung will BGH 98, 148, 154 den Rechtsverkehr vor Schäden schützen, die ein nur gesamtvertretungsberechtigtes Organ verursacht (ebenso für die Kompetenzregeln von Körperschaften des öffentlichen Rechts BGH NJW 1986, 2939f; van Look WuB IV A § 89 BGB 1/87 und für Handlungen des Bediensteten eines Staatsbauamts BGH VersR 2006, 803). Damit sind allerdings eine Reihe von Folgefragen verbunden: Wie gerade der Fall des BGH 98, 148 (betrügerische Hinzuziehung eines nicht mehr Vertretungsberechtigten durch den lediglich Gesamtvertretungsberechtigten, ähnlich bei Unterschriftsfälschung) zeigt, liegen Tatbestände vertraglicher oder vertragsähnlicher Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss und § 179, die schon bei Fahrlässigkeit eingreifen können (Prölss JuS 1986, 169, 174), so nahe bei der deliktischen Haftung, dass geprüft werden muss, ob nicht die Ausdehnung der deliktischen Haftungsordnung eine Einschränkung der gesamten Tatbestände vertraglicher Haftung zur Folge haben muss (dazu eingehend Dieckmann WM 1987, 1473, 1478ff), was allein auf dem Weg über § 254 bzw § 179 III nicht immer gelingen wird, zumal Mitverschulden eines anderen Organs nicht geltend gemacht werden kann (Wagner NZG 2015, 1383). Handeln eines einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter gleichwertigen, in eigenverantwortlicher Aufgabenerfüllung Handelnden ist angenommen worden für stellvertretenden GmbH-Geschäftsführer, Karlsruhe NJWRR 1998, 1571; für Filialleiter einer Auskunftei BGH 49, 19; einer Bank BGH BB 1970, 685 (anders für Versicherungsunternehmen, Hamm VersR 2000, 213); für Sparkasse BGH NJW 1984, 921; für genossenschaftliche Bank Nürnberg WM 1988, 119; für Abteilungsleiter einer Bank Frankfurt ZIP 1996, 1824; für Chefarzt BGH 77, 74; 101, 215, 218 und näher Franzki/Hansen NJW 1990, 737, 743, dgl für einen eine Geburt leitenden Arzt Düsseldorf VersR 2008, 534; für Hauswirtschaftsleiterin eines Alten- und Pflegeheims LG Frankfurt NJW-RR 1989, 419, sowie für Frauenwartin im Zuge der Spielleitung (Hamm SpuRT 2003, 166), nicht dagegen für Belegarzt, auch wenn er sich als Leitenden Arzt oder Chefarzt bezeichnet, Koblenz NJW 1990, 1534. Somit haftet eine Gewerkschaft für unerlaubte Handlungen der Streikleiter nach § 31 (für solche der Streikposten nur nach § 831, BAG NJW 1989, 57 m Anm Löwisch JZ 1989, 85). Das Erfordernis der Zuweisung von Aufgaben zur eigenverantwortlichen Erfüllung fehlt bei einem der Weisung des Filialleiters unterworfenen Angestellten, auch wenn er Prokurist ist; er ist Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfe (BGH BB 1970, 685), für den Leiter (organähnliche Person) ist aber mit RG 157, 236 Weisungsgebundenheit nach innen für die Haftung bedeutungslos. Nicht unbedenklich dagegen die An156

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Juristische Personen – Vereine

§ 31

wendung auf selbständigen Handelsvertreter, weil er auch Aufgaben übergeordneter Art zu erledigen hatte, BGH NJW 1998, 1854, 1856. 3. In Ausführung der dem Handelnden zustehenden Verrichtung erfolgen die schadenstiftenden Handlungen, wenn ein mehr als örtlicher und zeitlicher, also innerer sachlicher Zusammenhang besteht, BGH 98, 148; BGH NJW 1980, 115; NK/Heidel/Lochner Rn 10; vom Handeln in „vereinsamtlicher Eigenschaft“ sprechen BaRo/ Schöpflin Rn 17. Rein persönliche Verhaltensweisen (zB ehebrecherisches Verhältnis) nur, falls sie in den dienstlichen Bereich der Organperson fallen (BayObLG NJW 1964, 1962). Vorsätzlich unerlaubte Handlungen geschehen idR nur „bei Gelegenheit“. Die Einschränkung durch BGH 98, 148 für die betrügerische Heranziehung eines nicht unterschriftsberechtigten Vertreters (ähnlich wäre für Fälschung zu entscheiden, BGH NJW 1977, 2259; 1980, 115) stellt auf das Rechtsgeschäft ab, bei dem die unerlaubte Handlung begangen wurde und knüpft so an die Rspr an, die Überschreitungen der Zuständigkeit für unerheblich erklärt, sofern die Handlung objektiv noch im Geschäftskreis der jur Pers bleibt (dazu RG 104, 288; 128, 229, 233; BGH BB 1959, 57; so auch München WM 1991, 699 für Vorspiegelung von Alleinvertretungsbefugnis durch gesamtvertretungsbefugten Geschäftsführer). Auch Missbräuchlichkeit des Handelns des Organwalters, selbst eine dem Geschädigten bekannte, ändert an der Zurechnung eines Handelns nichts (BGH ZIP 1990, 918 für Aufklärungspflichtverletzungen des Filialleiters einer Großbank, der durch die schädigende Transaktion mit dem Wissen des Klägers revisionstechnische Probleme bewältigen wollte; s auch BGH ZIP 2005, 1270 für fehlerhafte Ad-hoc-Mitteilungen). Eine Zurechnung nach diesen Regeln kommt somit auch bei Handeln im außer-rechtsgeschäftlichen Bereich in Betracht (dazu auch KG KGRp 2007, 640). Im Ganzen spielt die Sicht des Außenstehenden vom Aufgabenkreis des Handelnden eine wichtige Rolle (BGH 98, 148, 152; zust Canaris EWiR § 31 BGB 1/86). Kann das Vorstandsmitglied die schadenstiftende Handlung in verschiedenen Funktionen vorgenommen haben, entscheidet für die Zuordnung der Verantwortlichkeit das objektive Auftreten nach außen (Frankfurt OLG 1985, 112, 114). Eine Haftung für Vorsatztaten kommt auch in Betracht, wenn gerade gegen spezielle, in der Aufgabe der jur Pers oder der Stellung des Organs begründete Pflichten verstoßen wurde, zB Unterschlagung anvertrauter Gelder durch den Bürgermeister (RG JW 1913, 587), oder: Filialleiter einer Bank schädigt vorsätzlich einen Kunden durch bewusst falsche Auskunftserteilung (BGH NJW 1954, 1193; vgl auch BGH BB 1956, 941; DB 1970, 679; NJW 1984, 921). Dagegen keine Haftung der jur Pers für Aktionen, die der Handelnde in seiner Funktion vorbereitet, aber durch Handlungen als Organ einer anderen jur Pers ausgeführt hat (BGH 99, 298); anders, wenn auch der Wechsel der jur Pers, in deren Rahmen gehandelt wird, demjenigen Verband zuzurechnen ist, als dessen Organ der Handelnde die Vorbereitungen traf. Keine Haftung der jur Pers für Handlungen, die von ihr entsandte Personen als Organ einer anderen jur Pers begangen haben (BGH WM 1984, 1119). 4. Die Haftungstatbestände sind die allg, da Gleichstellung der jur Pers mit der nat Pers erreicht werden soll, also Verwirklichung der vollen objektiven und subjektiven Voraussetzungen; deshalb haftet der Verein nicht für Gefälligkeitsfahrten zu Sportveranstaltungen (BGH NJW 2015, 2880). Ausreichend ist, dass die Haftungsvoraussetzungen bei der Organperson erfüllt sind, was den Einwand erheblich erscheinen lässt, trotz sorgfältiger Prüfung über die Rechtswidrigkeit geirrt zu haben (BGH NZG 2015, 792), allerdings gibt es auch schuldlose zum Ersatz verpflichtende Handlungen, §§ 228, 231, 904. Bei einem Schadensersatzanspruch eines Vereins gegen einen Dritten muss sich der Verein gem § 31 ein Mitverschulden seiner Organe oder verfassungsmäßig berufenen Vertreter anrechnen lassen, BGH ZIP 2010, 284. Zur Schädigung wichtiger Mitgliedsinteressen oder der Mitgliedschaft durch Organhandeln s § 38 Rn 9. Frühere Rspr (RG HRR 1928, 1396; SeuffA 82, 97) ließ Haftung der jur Pers für vollmachtloses Handeln der Organe nur bei Erfüllung von Deliktstatbeständen zu, s näher Rn 3. Zu weitgehend BayObLG 1942, 254 mit Behandlung jeder verpflichtenden Zusage als Haftungstatbestand. Namhaftmachung des Handelnden nicht erforderlich, sofern die Organqualität und die Verschuldensvoraussetzungen feststehen (RG 123, 27, 28; 163, 21, 28). Der Verletzte muss ein „Dritter“ sein. Darunter fällt auch ein Vereins- und Vorstandsmitglied, sofern nicht die schädigende Handlung gerade in seine organschaftliche Verantwortung fiel. Hierher gehört auch der rechtswidrige Ausschluss, BGH 90, 92, ohne dass es darauf ankommt, ob das zuständige Organ den Haftungstatbestand selbst erfüllt (Rostock OLGRp 2007, 486). Einen eigenständigen, vielfach gelöst von § 31 gesehenen Haftungstatbestand stellt die Verantwortung der jur Pers für unzureichende Organisation dar, zB für das Unterbleiben der notwendigen Bestellung eines verfassungsmäßigen Vertreters (BGH 13, 198, 203; 39, 124, 129; 27, 278, 280; Nürnberg OLGRp 2000, 349). Aus diesem, zunächst auf Tatbestände der Verkehrssicherungspflicht bezogenen Ansatz (dazu Schleswig BeckRS 2010, 3990) ist eine eigenständige Lehre vom Organisationsverschulden geworden (dazu Hassold JuS 1982, 583), die inzwischen auch andersartige Pflichten erfasst (etwa die Kontrolltätigkeit eines Verlegers hins des Inhalts von Schriften, BGH NJW 1980, 2810). Allg muss sich die jur Pers so organisieren, dass für die gefährdenden Tätigkeitsbereiche ein verfassungsmäßig berufener Vertreter und nicht nur ein Verrichtungsgehilfe iSd § 831 die notwendigen Entscheidungen trifft; die Hinzuziehung eines Außenstehenden entlastet nicht. Das bürdet dem Verein eine über § 26 hinausgehende Pflicht zur Bestellung von Organen auf, wenn man nicht mit Kleindiek (Deliktshaftung und jur Pers, 1997, 238ff) bereits die Verkehrspflichten als solche der jur Pers versteht und dann direkt § 31 anwenden kann (dafür auch Hassold JuS 1982, 586). Entscheidend ist, dass auf diese Weise die Möglichkeit, Verrichtungsgehilfen einzuschalten, für die nur nach Maßgabe des § 831 gehaftet wird, abgeschwächt wird. Zum Organisationsverschulden der jur Pers näher § 823 Rn 83. 5. Die Haftung des Handelnden bleibt unberührt, also gesamtschuldnerische Haftung von Organ und jur Pers; schuldhaftes Handeln des Organs kann uU als Verletzung des Innenverhältnisses das Organ auch ggü der jur Westermann

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§ 31

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Personen

Pers zur Schuldbefreiung oder Ersatz verpflichten. Allerdings müssen in der Person des handelnden Organs auch die Deliktstatbestände verwirklicht sein, wozu es gehören kann, dass der Organwalter als Allein- oder Mittäter die betreffenden Handlungen ausgeführt hat; zur Wirkung von Haftungsprivilegierungen s § 27 Rn 7. Es genügt auch ein Unterlassen gebotener Vorsichtsmaßnahmen nach Bekanntwerden eines konkreten Risikos (so zB im Lederspray-Fall BGH JZ 1992, 253; s auch BGH NJW 1987, 127); hierzu und zu den Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung durch Delegation Wagner VersR 2001, 1057; Brüggemeier ZIP 2001, 381. Abzulehnen sind demgegenüber die zunehmend zahlreichen Entscheidungen und Lehrmeinungen (Übersicht bei Altmeppen ZIP 1995, 881, 884ff), die den Organwalter wie die jur Pers als Subjekt von deliktsrechtlich sanktionierten Organisations- und Verhaltenspflichten sehen, die an sich die jur Pers treffen, aber von ihm übernommen worden sein sollen (BGH 109, 297, 304; Köln BB 1993, 747f, ähnlich Brüggemeier AcP 191, 651; zur Übernehmerhaftung trotz Ablehnung des Ansatzes des BGH Mertens/Mertens JZ 1990, 489; i Erg ähnlich Grunewald ZHR 157, 451ff; dagegen Kort DB 1990, 921; Medicus, FS Lorenz, 1991, 160f; H. P. Westermann DNotZ 1991, 816f; eingehend Kleindiek Deliktshaftung und jur Pers, 1997, 292ff). Die grds Anerkennung der jur Pers und der sie treffenden – und bei Verletzung allein von ihr zu verantwortenden – Pflichten durch die Rechtsordnung rechtfertigt es nicht, ihre Pflichten stets auch als solche des Organwalters zu behandeln. Deshalb genügt auch die von Altmeppen aaO vorgeschlagene Zulassung eines Entlastungsbeweises für den verantwortlichen Organwalter – die eine nach § 31 in Anspruch genommene jur Pers nicht hat – praktischen Bedürfnissen nicht. Eine Haftung von Vorständen für unzureichende Kontrolle des Handelns der Vorstände untereinander wird im Verhältnis zum Verein nur in Extremfällen eingreifen, anders Heermann NJW 2016, 1687, 1692. 6. Konkurrenzen. Bei Vertragsverletzung durch die Organe der jur Pers ist § 31 anwendbar (BGH 90, 92, 95; JZ 1993, 958, 964; str; MüKo/Arnold Rn 30, aM etwa Medicus AT Rn 1135). § 831 und § 31 schließen sich wegen des begrifflichen Unterschieds von Verrichtungsgehilfen und Organ (vgl Rn 3) aus. Zur Haftung für fehlerhafte Ausübung öffentlicher Gewalt s § 89 Rn 1, 3.

§ 31a

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Haftung von Organmitgliedern und besonderen Vertretern

(1) Sind Organmitglieder oder besondere Vertreter unentgeltlich tätig oder erhalten sie für ihre Tätigkeit eine Vergütung, die 720 Euro jährlich nicht übersteigt, haften sie dem Verein für einen bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten verursachten Schaden nur bei Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Satz 1 gilt auch für die Haftung gegenüber den Mitgliedern des Vereins. Ist streitig, ob ein Organmitglied oder ein besonderer Vertreter einen Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat, trägt der Verein oder das Vereinsmitglied die Beweislast. (2) Sind Organmitglieder oder besondere Vertreter nach Absatz 1 Satz 1 einem anderen zum Ersatz eines Schadens verpflichtet, den sie bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten verursacht haben, so können sie von dem Verein die Befreiung von der Verbindlichkeit verlangen. Satz 1 gilt nicht, wenn der Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht wurde. 1. Die durch Art 1 Nr 2 des Gesetzes v 28.9.2009 (BGBl I 3161) eingeführte und durch das EhrenamtsstärkungsG v 21.3.2013 (BGBl I 556) weiter ausgebaute Regelung soll die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Vorstandstätigkeit fördern (zur Notwendigkeit Orth SpuRt 2010, 2), wobei nicht nur an gemeinnützige Vereine (§ 21 Rn 3) gedacht ist (BT-Drs 16/10120, 7), deren Vorstände nach dem Wortlaut nicht von der Haftungserleichterung profitieren, wenn sie die Vergütungshöhe gem Abs I S 1 überschreiten (krit Reuter NZG 2009, 1368, 1370). Über § 86 ist § 31a auch auf Stiftungen anzuwenden (Unger NJW 2009, 3269ff), wobei sich wiederum fragt, ob wirklich bei der oft sehr anspruchsvollen Tätigkeit die Überschreitung der durch die Neuregelung auf 720 Euro angehobenen, aber nach wie vor nicht hohen Vergütungsgrenze bereits das Haftungsprivileg entfallen lassen kann. Nach § 86, der in S 1 die auf die Stiftung anwendbaren Vorschriften des Vereinsrechts aufzählt, ist auch § 31a ohne die in § 86 S 2 begründeten Einschränkungen auf die Stiftung anwendbar; nicht anwendbar ist § 31a auf die unselbständige Stiftung (Reuter NZG 2009, 1370). Grundlage der Haftung sind die Pflichten aus der Organstellung, wobei es sich – bei unentgeltlicher Tätigkeit – meist um ein Geschäftsbesorgungsverhältnis handeln wird, so dass dann, wenn die Satzung eine Vergütungsregelung geschaffen hat (§ 27 Rn 6), auch Haftungserleichterungen für den Fall der Überschreitung der 720 Euro-Grenze vorgesehen werden können, die dann freilich nur den Fall einfacher Fahrlässigkeit erfassen können. Dies wurde schon gegen die rechtspolitische Richtigkeit des § 31a angeführt (Reuter aaO, 1369). IÜ umfasst der Anwendungsbereich der Norm den eingetragenen (also im Prinzip: nichtwirtschaftlichen) Verein, wobei solche Vereine, die kraft des Nebenzweckprivilegs einen wirtschaftlichen (oder sogar gewerblichen) Betrieb unterhalten, selten unter Abs I S 1 fallen werden. Eine weitere Frage betrifft den nicht rechtsfähigen Verein, der ja tatsächlich (unabhängig von einer Rechtsformverfehlung) ideelle oder wirtschaftliche Zwecke verfolgen kann. Da § 54 insoweit auf Gesellschaftsrecht verweist, ist die Anwendbarkeit einer auf ehrenamtliche Vorstandstätigkeit in einem Idealverein zugeschnittenen Norm fraglich, so dass insoweit als Lösung nur bliebe, auf die im Gesellschaftsrecht mögliche vertragliche Regelung der Verantwortlichkeit zu verweisen. Da § 54 schon seit langem als gesetzgeberische Fehlentscheidung betrachtet und entwickelt worden ist in Richtung auf eine Anwendung des Vereinsrechts auch auf den nicht rechtsfähigen Verein, liegt es i Erg nicht fern, auch für den nicht eingetragenen Verein § 27 sowie § 31a anzuwenden (Leuschner NZG 2014, 281, 287; MüKo/Arnold Rn 3).

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Juristische Personen – Vereine

§ 31b

Nach ihrem Wortlaut betrifft die Regelung eindeutig die Haftung aller Organmitglieder, also auch diejenige ei- 2 nes verfassungsmäßig berufenen Vertreters (§ 30) in Vereinen. Dem steht entgegen, dass in Vereinen, deren Vorstände eine 720 Euro jährlich nicht übersteigende Vergütung erhalten oder ganz unentgeltlich tätig sind, auch andere an der Verwaltung teilnehmende Personen in derselben Lage sein werden, was seit 1.1.2013 in § 31b geregelt ist. Denkbar ist freilich, dass ein Vereinsmitglied, das keine Organfunktion hat, höher vergütete Tätigkeiten ausübt, etwa Handwerkerleistungen. Auch Personen im Status eines ArbN (nur ausnahmsweise, LG Bonn NJW-RR 1995, 1435, gegeben), denen eine arbeitsrechtliche Haftungserleichterung zugutekommt, werden deutlich oberhalb der hier relevanten Grenze tätig sein. Die Unentgeltlichkeit oder die geringe Höhe der Vergütung wird nicht durch die Gewährung von Aufwendungsersatz für die dem Vorstand im Rahmen seiner Tätigkeit entstandenen Kosten beseitigt, auch wenn diese in Gestalt einer angemessenen Pauschale geleistet wird (MüKo/ Arnold Rn 5). Der Schaden muss bei der Wahrnehmung der Pflichten verursacht sein. § 31 ist in diesem Punkt anders formuliert, was an die bekannte Unterscheidung von „in Ausführung“ und „bei Gelegenheit“ anknüpft. Es ist aber nicht ersichtlich, dass mit dem abw Wortlaut für das Problem der Haftungserleichterung andere Anknüpfungspunkte im tatsächlichen Verhalten des Vorstands gemeint sein sollten als die in § 31 für die Haftungsbegründung bestimmten (so auch Pal/Ellenberger Rn 3), deshalb kann insoweit auf § 31 Rn 5 verwiesen werden In Haftungsfällen, an denen auf Seiten der Verantwortlichen gem § 31a privilegierte und nichtprivilegierte Personen beteiligt sind, entsteht so ein „gestörtes Gesamtschuldverhältnis“, das jedenfalls bei einem nicht vorsätzlich handelnden „Zweitschädiger“ nicht gut darauf hinauslaufen kann, ihn allein haften zu lassen. Wenn der nichtprivilegierte „Zweitschädiger“ zu dem Kreis gehört, für den der Verein nach § 31 einzustehen hat, liegt es nahe, den Anspruch des Vereins gegen ihn um den Verursachungsbeitrag des privilegierten Schädigers zu kürzen (näher Reschke DZWIR 2011, 403, 406; Leuschner NZG 2014, 281, 286). 2. Die Rechtsfolgen der Schädigung durch ein unter die Regelung fallendes Organmitglied liegen zunächst im 3 Haftungsmaßstab, der auf das Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit reduziert wird; Nürnberg NZG 2016, 112 hat aber satzungsmäßige Beschränkung auf Vorsatz zugelassen, anderen Vereinsmitglieder ggü kann die Haftung auch ganz ausgeschlossen werden, so auch Pal/Ellenberger Rn 4; Stöber/Otto Rn 624. Das gilt nach Abs I S 1 für die Haftung ggü dem Verein, was somit nicht mehr – was zulässig ist – durch die Satzung geregelt werden muss. Es kommt auf den „verursachten Schaden“ an, so dass vertragliche oder deliktische Verantwortlichkeit insoweit gleichstehen. Nach Abs I S 2 soll die Haftungserleichterung auch im Verhältnis zu den Vereinsmitgliedern gelten, was systemgerecht ist, da sich die Mitglieder im Vereinsleben auf die Funktionen des jew Organs und ihre Wahrnehmung durch konkret hierfür bestellte Personen einstellen müssen; krit Kreutz DZWIR 2013, 499. Eine deliktische Haftung für Vorfälle, die mit dem Vereinsleben nicht in Zusammenhang stehen, die also auch nicht „in Wahrnehmung“ eigentlicher Vorstandspflichten geschehen, bleibt somit unberührt. Nach Abs II besteht bei einer von der Organperson begründeten persönlichen Außenhaftung, wenn diese – wiederum in Wahrnehmung ihrer Pflichten – verursacht ist, ein Freistellungsanspruch des Handelnden gegen den Verein, allerdings nur bei leichter Fahrlässigkeit, weil Abs II S 2 auch diese Haftungserleichterung bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit versagt. Die Haftung ggü Dritten, die ein Organ neben der Haftung des Vereins nach § 31 treffen kann (§ 31 Rn 6), wird also als solche nicht verändert (Unger NJW 2009, 3269, 3271); allerdings hat der Verein einen Rückgriff (Leuschner NZG 2014, 281, 283). Hat das Vorstandsmitglied den außenstehenden Dritten entschädigt, verwandelt sich der Freistellungs- in einen Ersatzanspruch (Pal/Ellenberger Rn 5). Beim Handeln mehrerer Vorstände kommt eine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht; zur Begrenzung durch Versicherungsschutz Ehlers NJW 2012, 2689, 2691, dort auch zur Sondersituation und zur Risikobegrenzung bei der Haftung für Steuerschulden und für Insolvenzverschleppung. Eine Entlastung von Vorständen im Hinblick auf sozialversicherungs- und steuerrechtliche Tatbestände hat nicht stattgefunden (Orth SpuRt 2010, 2, 4). Die Beweislast ist ausdr und in bemerkenswerter Abweichung von sonstigen verbandsrechtlichen Bestimmun- 4 gen (etwa § 93 AktG) geregelt, indem bei Streit darüber, ob das schädigende Handeln des Organs vorsätzlich oder grob fahrlässig geschah, nicht nur dem Verein, sondern auch einem geschädigten Vereinsmitglied die Beweislast für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit auferlegt wird. Dies soll bei allen Schadensersatzansprüchen gelten, also auch bei denen aus § 280 I (Beschlussempfehlung des Finanzausschusses v 16.1.2013, BT-Drs 17/12123, 23; MüKo/Arnold Rn 9), sowie auch dann, wenn der auf Freistellung in Anspruch genommene Verein (Abs I S 2) dies durch Geltendmachung von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit abwenden will. Dass die ganze Regelung nicht mit der Ausgestaltung der ArbNHaftung (§ 619a) abgestimmt ist (krit daher Reuter NZG 2009, 1368, 1371), ist angesichts der gewöhnlich deutlich flexiblen Handhabung der Beweislastregeln durch die Praxis erträglich. Zu der dem Vorstand mit Rücksicht auf seine Haftung anzuratenden Dokumentation Schotta/v Cube DB 2009, 2282ff.

§ 31b

Haftung von Vereinsmitgliedern

(1) Sind Vereinsmitglieder unentgeltlich für den Verein tätig oder erhalten sie für ihre Tätigkeit eine Vergütung, die 720 Euro jährlich nicht übersteigt, haften sie dem Verein für einen Schaden, den sie bei der Wahrnehmung der ihnen übertragenen satzungsgemäßen Vereinsaufgaben verursachen, nur bei Vorliegen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. § 31a Absatz 1 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden. (2) Sind Vereinsmitglieder nach Absatz 1 Satz 1 einem anderen zum Ersatz eines Schadens verpflichtet, den sie bei der Wahrnehmung der ihnen übertragenen satzungsgemäßen Vereinsaufgaben verursacht haben, so Westermann

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§ 31b

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können sie von dem Verein die Befreiung von der Verbindlichkeit verlangen. Satz 1 gilt nicht, wenn die Vereinsmitglieder den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben. 1. Der Zweck der durch das EhrenamtsstärkungsG v 21.3.2013 (BGBl I 556) eingefügten Vorschrift besteht darin, die Haftungserleichterung, die § 31a für Organpersonen vorsieht, einschl der Beweislastverteilung zugunsten des Handelnden (dies folgt aus Abs I S 2) auf für den Verein unentgeltlich oder für nicht mehr als 720 Euro pro Jahr tätige Vereinsmitglieder auszudehnen. Das kann trotz der Organqualität der Mitgliederversammlung nur für durch die Satzung oder durch eine Vereinsordnung begründete besondere Pflichten gelten, auch für die Mitglieder einer Delegiertenversammlung (Stöber/Otto Rn 619f; anders Leuschner NZG 2014, 285). Satzungsregelungen zur Haftungserleichterung sind nicht ausgeschlossen, § 31a Rn 3. Anders als bei Organmitgliedern gilt diese Haftungsermäßigung aber nicht im Verhältnis des Handelnden zu anderen Vereinsmitgliedern. Ein Unterschied besteht darin, dass Vorstandsmitglieder nach § 27 III 2 grds unentgeltlich tätig sein sollen, wovon durch eine auf eine Satzungsbestimmung begründete Vereinbarung oder Entschließung abgewichen werden kann; demgegenüber kommt es für die Tätigkeit eines „einfachen“ Vereinsmitglieds auf den Charakter des Rechtsverhältnisses an, das je nach dem Inhalt der übernommenen Verpflichtungen Geschäftsbesorgungs- oder Dienstverhältnis sein kann. Dabei muss mit Rücksicht auf die Haftungsfrage eine Regelung über die Vergütung getroffen werden; fehlt es daran, so ist zwar nicht § 27 I 1 anwendbar, aber durchaus denkbar, dass Unentgeltlichkeit gewollt ist. 2. Fraglich ist, ob Abs I nur auf längerdauernde Tätigkeit, etwa die Wahrnehmung von Aufgaben, für die nicht ein besonderer Vertreter benötigt wird, oder auch für eine einmalige oder nur punktuelle Mitwirkung anwendbar ist. Wenn im Gesetz die wichtige Frage des Haftungsmaßstabs von der Einhaltung einer genau bestimmten Grenze der „jährlichen“ Vergütung abhängig gemacht ist, so spricht dies für das Erfordernis einer laufenden Mitwirkung („längerfristige Tätigkeit für den Verein“, Begr RegE § 31b, BT-Drs 17/11316, 17). Ein Vereinsmitglied, das für eine bestimmte Leistung, etwa handwerklicher, beratender oder betreuender Art, eine einmalige Vergütung erhält, würde dann der vollen Haftung nur unterliegen, wenn dieses Entgelt über 720 Euro liegt. Da die Regelung aus dem Gemeinnützigkeitsrecht stammt, das auf den Charakter und Zuschnitt des Vereins abstellt, spricht einiges dafür, dass für eine nur einmalige Heranziehung eines Mitglieds etwa zur Erstellung eines „Werks“ wie zB einer Reparatur im Vereinsheim die gewöhnlichen Haftungsregeln zum Zuge kommen (aM MüKo/Arnold Rn 7), einschl der Lage bei Schädigung anderer Vereinsmitglieder oder Außenstehender. Das entspricht dem Umstand, dass eine solche Heranziehung eines Mitglieds zur Erledigung von Vereinsangelegenheiten häufiger an seine berufliche Tätigkeit anknüpfen wird und gegen marktübliche Vergütung geschieht, in welchem Fall allerdings fraglich sein kann, ob noch eine mitgliedschaftliche Tätigkeit vorliegt. Wenn die Einschaltung des Mitglieds in Vereinsangelegenheiten in entspr Anwendung der Regeln über die ArbNHaftung behandelt wird (BGH 89, 153, 157ff; hiervon ging auch der RegE aus, BT-Drs 17/11316, 1), sind ebenfalls offensichtlich dauernde Tätigkeiten gemeint, die die Gleichstellung mit der Tätigkeit eines Vorstandsmitglieds rechtfertigen. Anders wäre die Forderung, dass der Schaden von dem Vereinsmitglied in Wahrnehmung der ihm „übertragenen satzungsmäßigen Vereinsaufgaben“ verursacht worden sein muss, nicht verständlich, s auch Leuschner NZG 2014, 281, 286. Die Tätigkeit muss dem Mitglied vom Verein übertragen worden sein, es muss also ein Auftrag seitens des Vereins ergangen sein. Fehlt es daran und entsteht bei der Tätigkeit des Mitglieds ein Schaden am Vereinsvermögen, so haftet als Rechtsfolge das Mitglied nach den gewöhnlichen Anspruchsgrundlagen ohne Anwendbarkeit des Haftungsmaßstabs des Abs I S 1, und mangels Übertragung besteht auch der Freistellungsanspruch gem Abs II S 1 nicht, ohne Rücksicht darauf, ob vorsätzlich, grob fahrlässig oder nur mit einfacher Fahrlässigkeit gehandelt wurde. Liegt aber ein Auftrag des Vereins vor, der von einem vertretungsberechtigten Organ erteilt worden sein muss, weil sonst die nachteilige Haftungsregelung nicht gerechtfertigt wäre, ist die Haftung des Beauftragten dem Verein ggü erleichtert, anders die Haftung ggü „einem anderen“ (Abs II S 1), also einem anderen Vereinsmitglied oder einem Außenstehenden. Hier steht aber dem beauftragten Mitglied der Freistellungsanspruch gegen den Verein zu, wenn das schädigende Handeln nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig geschah. Letzteres muss nach der allg Beweislastverteilung das handelnde Vereinsmitglied beweisen, die entspr Anwendung des § 31a I 2 ist nur für die Haftung ggü dem Verein angeordnet. Die Richtigkeit dieser Lösung erscheint nicht unzweifelhaft. 3. § 40 erwähnt unter den abdingbaren Bestimmungen des Vereinsrechts den § 31b (im Gegensatz zu § 31a) nicht. Die Vorschrift ist also zwingend (so auch die Begr des Finanzausschusses aaO, 17).

§ 32

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Personen

Mitgliederversammlung; Beschlussfassung

(1) Die Angelegenheiten des Vereins werden, soweit sie nicht von dem Vorstand oder einem anderen Vereinsorgan zu besorgen sind, durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet. Zur Gültigkeit des Beschlusses ist erforderlich, dass der Gegenstand bei der Berufung bezeichnet wird. Bei der Beschlussfassung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. (2) Auch ohne Versammlung der Mitglieder ist ein Beschluss gültig, wenn alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschluss schriftlich erklären. 1. Die Mitgliederversammlung ist nach BGB oberstes Vereinsorgan: Zuständig für innere Organisation des Vereins, dh Kontrolle der sonstigen Organe, bzgl Vorstandsbestellung s § 27, Satzungsänderung § 33, Auflösung § 41. Ihre Zuständigkeiten können im Rahmen des § 40 modifiziert werden, §§ 37, 41 sind aber zwingend. In 160

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Juristische Personen – Vereine

§ 32

diesem Rahmen hat die Mitgliederversammlung die Kompetenz-Kompetenz (BGH 84, 209, 213). Nach hM kann die Satzung die Mitglieder- durch eine Delegiertenversammlung ersetzen, in der die Vertreter von UnterOrganisationen die Mitglieder-Entscheidungen treffen, was auf eine Mediatisierung der Willensbildung hinausläuft (Staud/Weick Rn 6; Segna NZG 2002, 1048f; NK/Heidel/Lochner Rn 6; so etwa bei den verschiedenen Formen von Untergliederungen des Vereins (Vor § 21 Rn 13), wobei die Mitglieder der Mitgliedsvereine, die in die Versammlung des Dach-Vereins delegiert werden, dort wie Vorstände des Unter-Vereins wirken. Unabhängig davon ist aber eine Delegiertenversammlung eine besondere Ausgestaltung des Organs der Mitgliederversammlung (Stöber/Otto Rn 766). Ihre Zusammensetzung ist in der Satzung zu regeln, für ihre Tätigkeit gilt § 32 entspr; die Regelung muss aber eine gleichmäßige Repräsentation aller Mitglieder gewährleisten (Frankfurt ZIP 1985, 213, 216f), so dass eine Listen-Mehrheitswahl unangebracht ist (BGH 83, 228 – der dort angewendete § 42a GenG ist nicht analog anwendbar; näher MüKo/Arnold Rn 7–9). Eine Regelung über die Mindestgröße des Organs gibt es nicht (Stöber/Otto Rn 767). Die Konsequenz einer Unwirksamkeit von Beschl der Mitgliederversammlung eines Groß-Vereins, in der die Präsenz nur 2 % ausmachte (Frankfurt OLGE 1981, 391), ist zu einzelfallabhängig, um mit der Rechtssicherheit vereinbar zu sein. Ein Recht des Vereinsmitglieds auf Auskunft außerhalb der Mitgliederversammlung besteht nicht (Lepke NJW 1966, 2099ff), anders beim wirtschaftlichen Verein wegen erheblicher wirtschaftlicher Interessen LG Mainz WM 1989, 537. Zum Anspruch auf Aushändigung einer Mitgliederliste § 25 Rn 1. Eine Ausnahme normiert Abs II: Danach kann die Gesamtheit aller Mitglieder auch dann für eine einberufene Versammlung einstimmig einen Beschl fassen, wenn alle schriftlich ihr Einverständnis erklären, zur Anwendung auf Satzungsänderungen KG NZG 2010, 203. 2. Das Wesen der Beschlussfassung ist str, richtiger Ansicht nach Akt körperschaftlicher Willensbildung, nicht 2 Vertrag (Soergel/Hadding Rn 21), der auch nicht erschienene Mitglieder bindet. Demgemäß ist die einzelne Stimmabgabe zwar Rechtsgeschäft und Willenserklärung, die dem Verein (in der Mitgliederversammlung dem Versammlungsleiter) zugehen muss (MüKo/Arnold Rn 37). Das Gleiche gilt bei Zustimmung des Einzelmitglieds gem § 35. Einzelheiten der Abstimmung, so die Beschlussfähigkeit, uU auch die Form der Stimmabgabe, sind durch die Satzung auszugestalten. Die Feststellung des Beschlussergebnisses durch den Vorsitzenden ist (vorbehaltlich anderer Satzungsbestimmungen) nicht konstitutiv (BGH NJW 1987, 2430; Schleswig Rpfl 2005, 318), da das Gesetz keine Regelung über die Anfechtung wegen Beschlussmängeln enthält. Wenn die Satzung insoweit nichts besagt, können bzgl der Durchführung der Abstimmung oder der Feststellung des Beschlussergebnisses Kontrollmaßnahmen notwendig sein, wenn tatsächliche Bedenken gegen die Unparteilichkeit der amtierenden Organperson oder ähnliche Zweifel etwa an der Richtigkeit der Auszählung bestehen (BGH 59, 369, 374). Unterlassen solcher Kontrollmaßnahmen macht den Beschl fehlerhaft (näher Rn 6). Es gilt das Mehrheitsprinzip nach Maßgabe der gültig abgegebenen Stimmen, also einschl Enthaltungen (München NZG 2008, 351), was trotz früher abw Gesetzestextes schon früher (BGH 83, 35) so gesehen wurde, weil sonst Enthaltungen als Gegenstimmen wirken, was ihren objektiven Erklärungswert verfälsche (zust Trouet NJW 1983, 2865; Staud/Weick Rn 13; anders Köln NJW-RR 1986, 698 und für WE-Versammlung Celle NJW-RR 1992, 86). Bei Wahlen ist die absolute (nicht: die relative) Mehrheit maßgebend, also mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen, die Satzung kann eine relative Mehrheit ausreichen lassen (BGH 106, 67, 72; eingehend zur Satzungsauslegung München NJW-RR 2008, 939). Nach allem kann ein bei der Abstimmung anwesendes und sich (wenn auch nur mit einer Enthaltung) beteiligendes Mitglied zum Ausdruck bringen, dass es die Berücksichtigung seines Stimmverhaltens wünsche. Das ist im Vergleich zu Mitgliedern, die die Versammlung verlassen, nicht von der Hand zu weisen, doch kann eine Enthaltung auch (nur) dahin verstanden werden, auf das Beschlussergebnis keinen Einfluss nehmen zu wollen. Die Satzung kann die Behandlung von Stimmenthaltungen vorschreiben, was insb für die Notwendigkeit einer qualifizierten Mehrheit anzuraten ist. Soll es auf die anwesenden Mitglieder ankommen und sollen Enthaltungen mitgezählt werden, so verlangt BGH JZ 1987, 527 (zust Stützle Anm WuB II L § 32 BGB 2/87; ebenso schon Celle Rpfleger 1985, 271) eine eindeutige Niederlegung in der Satzung. Einer satzungsmäßigen Festlegung bedürfen auch eine Mehrheitslistenwahl (Frankfurt Rpfleger 1984, 360; zu diesem Wahlsystem BGH BB 1982, 1073; Bremen NZG 2011, 1192), und eine Blockwahl, bei der die Mitglieder nicht für oder gegen einzelne auf der Liste Platzierte stimmen können (BGH NJW 1974, 183; BayObLG NJW-RR 2001, 537; Zweibrücken NZG 2013, 1236). Schreibt die Satzung für die Vorstandswahl vor, dass die Mitglieder nacheinander zu wählen sind, so ist eine per Blockwahl durchgeführte Bestellung unwirksam und auch nicht als punktuelle Satzungsdurchbrechung (§ 33 Rn 5) zu halten, Bremen NZG 2011, 1192. Auf derselben Linie liegt es, wenn BGH 106, 63, 72 eine nach dem Mehrheitsprinzip durchgeführte Listenwahl von Delegierten eines Ortsverbands einer politischen Partei und damit die Wertung kumulierter Stimmen als eine Stimme für ordnungsmäßig hielt, da es an einer – nach Ansicht des BGH unerlässlichen – Satzungsbestimmung fehlte, die die Konzentration der Stimmen eines Parteimitglieds zugunsten eines oder mehrerer Wahlbewerber verbot. Der Versammlungsleiter darf auch die sog Subtraktionsmethode anwenden (Darstellung bei BGH NJW 2002, 3629 für WEG). 3. Einer geordneten Mehrheitsbildung dienen auch Regelungen über die Einberufung der Mitgliederversamm- 3 lung. Sie geschieht durch den Vorstand, die Einberufung durch einen abgewählten, aber noch im Register eingetragenen Vorstand reicht nicht, die in der Versammlung gefassten Beschl sind unwirksam, Braunschweig RNotZ 2007, 343; anders Pal/Ellenberger Rn 2; BayObLG NJW-RR 1996, 991. Vorstandsmitglied eines Verbandes ist zur Einberufung selbst dann befugt, wenn es einem Mitgliedsverein angehört, der aus dem Verband ausgetreten ist, Düsseldorf NZG 2012, 2072. Die Einberufung muss durch Vorstandsmitglieder in für die Vertretung ausreichender Zahl geschehen. Mit der Einberufung ist gem Abs I S 2 die Tagesordnung mitzuteilen; die UnterlasWestermann

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§ 32

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sung gebotener Mitteilung führt zur Nichtigkeit von Beschl zu solchen Punkten, die in der mitgeteilten Tagesordnung nicht oder für eine Vorbereitung zu ungenau (BGH ZIP 2007, 1942) genannt waren (BGH 64, 301, 304; Frankfurt WM 1985, 1466, 1470; Köln OLG 1984, 401, 404; Stöber/Otto Rn 701), für Ausschluss ebenso Zweibrücken NZG 2002, 436. Für Einladung zu einer Delegiertenversammlung gelten dieselben Regeln (str, wie hier Wagner NZG 2016, 1051). Richtigerweise lässt Schleswig NZG 2002, 438 (s auch AG Elmshorn NJW-RR 2001, 25) die Angabe eines Tagesordnungspunkts „Satzung“ unter Beifügung eines Satzungsentwurfs genügen. Der Tagesordnungspunkt „Verschiedenes“ reicht als Vorbereitung für einen Beschl nicht aus, BayObLG NJW-RR 1990, 784. Ort und Zeit müssen in der Einladung entspr genau angegeben werden (RG 147, 12) und den etwa vorhandenen Satzungsbestimmungen entsprechen. Der Zeitpunkt muss verkehrsüblich und für die Mitglieder zumutbar sein (Frankfurt OLG 1982, 418); eine Einberufungsfrist legt das Gesetz nicht fest, eine satzungsmäßige Einladungspflicht beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem unter normalen Umständen Eingang bei den Mitgliedern zu erwarten ist (München NZG 2016, 385). Mangels Bestimmung in der Satzung muss die Frist so bemessen sein, dass sich die Mitglieder vorbereiten können, s aber § 58 Nr 4 zum Satzungsinhalt. Auch die Form der Einberufung ist nicht vorgeschrieben, das ist Aufgabe der Satzung, wobei die Bestimmung, die Einladung sei „ortsüblich“ bekannt zu machen, nicht ausreichen soll (Zweibrücken Rpfleger 1985, 31). Für einen Verein mit überwiegend örtlichem Tätigkeitsschwerpunkt (Sportverein) lässt Celle (NZG 2011, 154 LS) eine Ankündigung der Mitgliederversammlung „im Aushangkasten“ genügen, auch reicht ein in einer Sonderausgabe der Vereinszeitung abgedrucktes Einladungsschreiben, das vom zuständigen Vereinsvorsitzenden faksimiliert unterzeichnet ist, wobei es nicht schadet, wenn die „Ehrenmitglieder“ des Vereins, die nicht zur Hauptversammlung gehören, nicht eingeladen wurden, OLG Zweibrücken NZG 2014, 1020; ebenso reicht eine satzungsmäßig vorgesehene Bekanntmachung nur in der örtlichen Tagespresse, wenn am Vereinssitz nur eine einzige Tageszeitung besteht und die Tätigkeit des Vereins überwiegend örtlich ausgerichtet ist, Celle NZG 2012, 149; s auch Hamm NZG 2011, 557; näher Stöber/Otto Rn 683b. Jedenfalls muss der Vorstand dafür sorgen, dass die Mitglieder Kenntnis erhalten, BayObLG NJW-RR 2002, 1612, Übermittlung durch „Info-Post“ der Deutschen Post ersetzt Veröffentlichung in Vereinszeitung nicht (Hamm NZG 2014, 510). Eine Online-Versammlung ist aufgrund einer Satzungsbestimmung zulässig, wenn für alle Mitglieder die technische Möglichkeit besteht, teilzunehmen und sie einverstanden sind (Pal/Ellenberger Rn 8), anders, wenn durch Gesetz für die Abstimmung ein Quorum der Erschienenen vorgeschrieben ist (näher Erdmann MMR 2000, 526). Wichtig ist allerdings, dass durch die per E-Mail erfolgte Ladung, auch wenn sie zu einer Online-Versammlung einladen soll, solche Mitglieder nicht benachteiligt werden, die nicht über eine E-Mail-Adresse verfügen, und dass die Satzung regelt, dass und wie die Versammlung in einem nur für Mitglieder mit ihren Legitimationsdaten und einem gesonderten Zugangswort zugänglichen Chart-Raum stattfindet (Hamm NJW 2012, 940), so dass die Informations- und Vorbereitungsfunktion der Ladung erhalten bleibt (näher Schäfer NJW 2012, 891f). Es schadet dann auch nicht, wenn die Satzung an sich für die Ladung „Schriftform“ vorschreibt, was als solches hinlänglich bestimmt ist, etwa unter Zuhilfenahme des § 126b gedeutet werden kann (Schleswig NJW 2012, 2524), zur Wahrung satzungsmäßiger Schriftform durch E-Mail Hamm ZIP 2015, 2272; Zweibrücken Rpfleger 2013 537). Abgesehen von Dringlichkeitsanträgen wird die Einberufung, die für den Fall der Beschlussunfähigkeit gleichzeitig die nächste Versammlung ansetzt, in der Rspr (LG Berlin NJW-RR 1986, 97) wenig praxisnah für unzulässig erklärt, anders bei entspr Satzungsbestimmung BGH MDR 1989, 329; Köln Rpfleger 2009, 237, oder entspr Vereinsobservanz (Köln WM 1990, 1068). Die Satzung kann für die neue Versammlung auch ein geringeres Quorum für die Beschlussfähigkeit festlegen. Das Unterbleiben der Ladung einzelner Mitglieder ist unschädlich, wenn feststeht, dass dadurch das Abstimmungsergebnis nicht beeinflusst ist (BGH 59, 369, 374), so dass ein Mangel gegeben ist, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass die nicht ordnungsmäßig geladenen Mitglieder durch ihre Mitwirkung ein anderes Ergebnis herbeigeführt hätten (LG Düsseldorf Rpfleger 1987, 72; BayObLG NJW-RR 1997, 289). Dringlichkeitsanträge können auch später auf die Tagesordnung gesetzt werden, wenn die Satzung dies zulässt (§ 32 I 2 ist abdingbar), doch müssen die Mitglieder hiervon, auch wenn die Satzung es nicht verlangt, immer noch so rechtzeitig erfahren, dass genügend Zeit zur Vorbereitung bleibt; sonst darf nur eine vorläufige Entscheidung getroffen werden (BGH 99, 119, 124; Köln WM 1990, 1068).Trotz § 40 darf das Erfordernis der Vorankündigung nicht gänzlich abbedungen werden (Weipert Kurzkomm EWiR § 32 BGB 1/87). Anders, wenn eine Vollversammlung auf die Einhaltung der verletzten Vorschriften über Einladung und Tagesordnung verzichtet (BGH NJW 1973, 235). Die Leitung der Mitgliederversammlung obliegt dem Vorstand. Soweit Vorstandswahlen stattfinden und der bisherige, für eine Wiederwahl kandidierende Vorstand die Sitzungsleitung – wie in solchen Fällen üblich – einem Dritten überträgt, ist dies nicht zu beanstanden (Köln ZIP 1985, 1139), auch wenn es die Satzung nicht vorsieht. Auch ein von seinem Amt zurückgetretener Vorstandsvorsitzender, der noch im Register eingetragen ist, darf die Sitzung leiten (LG Aurich Rpfleger 1987, 115; s auch LG Düsseldorf Rpfleger 1987, 72). Die Versammlungsleitung umfasst ua die Feststellung der Beschlussfähigkeit, die Gewährleistung eines geordneten Ablaufs einschl einer etwa notwendigen Begrenzung der Redezeit und des Ausschlusses von Störern (Reichert Rn 1352ff; PWW/Schöpflin Rn 7), die Anordnung von Unterbrechung wegen zu langer Dauer, die Ermittlung und Verkündung des Beschlussergebnisses. Wenn es um Ersatzansprüche gegen den satzungsmäßigen Versammlungsleiter geht, kann ein anderer gerichtlich bestellt werden, Köln BeckRS 2015, 12665. Auch die Mitgliederversammlung kann die übertragene Versammlungsleitung an sich ziehen. Maßnahmen der Versammlungsleitung können nur im Wege der Beschlussanfechtung angefochten werden (BGH 44, 245, 248).

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Juristische Personen – Vereine

§ 32

4. In der Versammlung haben nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz alle Mitglieder gleiches Stimmrecht. Ab- 5 weichung durch die Satzung möglich, Vorzugs- und Mehrstimmrechte sind daher – anders als nach § 12 Abs II AktG – in den allg Grenzen grds zulässig (Karlsruhe NZG 2014, 1417, MüKo/Arnold Rn 26) und kommen in der Praxis etwa im Zuge einer Unterscheidung von ordentlichen und außerordentlichen (dann nicht stimmberechtigten) Mitgliedern vor (s den Fall BGH 55, 382). Hat ein Mitglied mehrere Stimmen, darf es diese aber nur einheitlich ausüben (Soergel/Hadding Rn 24). Unzulässig wegen des Willkürverbots wäre Einräumung von Mehrstimmrechten für den Vorstand zum Schutz gegen Abwahl oder Satzungsänderungen (s KG NJW 1962, 1917; Staud/Weick § 35 Rn 15). Zu Stimmrechtsbeschränkungen s § 34, Heranziehung der handelsgesellschaftsrechtlichen Bestimmungen nicht ohne weiteres möglich. Stimmbindungsverträge erkennt die ganz hM als gültig an, obwohl sie nur im Recht der Handelsgesellschaften voll entwickelt sind (A. Hueck, FS Nipperdey I, 1965, 401ff; R. Fischer, FS Hueck, 1969, 95ff; MüKo/Arnold Rn 34), soweit sie nicht auf verbotenem (§§ 405 III Nr 6 AktG, 152 I GenG) oder nach § 138 nichtigem Stimmenkauf beruhen oder gesetzliche Stimmverbote umgehen. Stimmbindungsverträge ggü Nichtmitgliedern unterliegen den allg Schranken der Unterwerfung des Vereinswillens ggü Außenstehenden (§ 25 Rn 2a). Durchsetzung der Stimmbindung schwierig, die Zulässigkeit von Vertragsstrafen ersetzt die Naturalvollstreckung gültiger Stimmbindungen nicht, wie sie BGH 48, 163 über § 894 ZPO für möglich hält. Im Grundsatz ist die entgegen einer Stimmbindung abgegebene Stimme wirksam (BGH NJW 1987, 1890), der Streit um die Rechtsfolgen der Verletzung einer solchen Bindung ist unter den Vertragspartnern auszutragen; die für die GmbH diskutierte Ausnahme für den Fall, dass alle Gesellschafter an Verstößen gegen Stimmbindungen beteiligt sind (dazu Hamm GmbHR 2000, 673), dürfte für den Verein kaum praktisch werden. Praktisch effektiv ist die Klagbarkeit nur, wenn einstw Rechtsschutz gewährt wird, was nach dem Zurücktreten des Verbots der Leistungsverfügung (näher v Gerkan ZGR 1985, 167, 179ff) erreichbar erscheint. Die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht ist zulässig, bei Begründung im Interesse des Bevollmächtigten sogar bis zur Grenze des Widerrufs aus wichtigem Grund (anders für den Idealverein Staud/Weick § 38 Rn 4), anders bei unwiderruflicher Bevollmächtigung eines Nichtmitglieds MüKo/Arnold Rn 33; zum Ganzen Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss, 2000, 241ff. 5. Ein Beschl ist nicht schon aufgrund von Mängeln der Stimmabgabe des einzelnen Mitglieds fehlerhaft, son- 6 dern erst, wenn diese Erklärung für den Beschl kausal war (BGH 59, 369, 373; Frankfurt ZIP 1985, 213, 222; Stuttgart NJW-RR 1986, 243), oder wenn das zum Beschl führende Verfahren wegen möglicher Beeinflussung des Beschlussergebnisses mangelhaft war; die §§ 241ff AktG sollten nicht entspr anwendbar sein (BGH 59, 369, 371; NK/Heidel/Lochner Rn 22; K. Schmidt, FS Stimpel, 1985, 217, 250ff), so dass auch der Unterschied zw Nichtigkeit und Anfechtbarkeit nicht gilt. Zuletzt hat BGH NJW 2008, 960 bei Kausalität eines Beschlussmangels für das Ergebnis Anfechtbarkeit angenommen, s auch bereits BGH 49, 209; 59, 369; für Analogie zu §§ 214ff AktG eingehend MüKo/Arnold Rn 53 ff. Fehler bei der Einberufung (Rn 3) oder Bek der Tagesordnung führen zu Nichtigkeit (BGH NJW 2008, 60), zur Einberufung der Mitgliederversammlung durch unzuständiges Organ BGH 87, 1, 2; auch BGH NJW 2008, 69 stellt darauf ab, dass den Mitgliedern eine sachgerechte Vorbereitung (einschl der Entscheidung, an der Versammlung teilzunehmen) nicht möglich war. Für Irrtumsanfechtung der Stimmabgabe (§ 28 Rn 2) gilt dasselbe. Nichtiger Beschl wird nicht dadurch geheilt, dass die Mitgliederversammlung ihn nachträglich so behandelt, als sei er wirksam gefasst worden, vielmehr ist neue einwandfreie Abstimmung nötig (BGH 49, 209, 211), es sei denn, man verfährt nach Abs II, dazu Rn 1. Gegen die Annahme (Frankfurt ZIP 1985, 213), rügelose Einlassung der Mitglieder einer Delegiertenversammlung heile Einberufungsmängel, spricht der Zweck der Einberufungsregeln, auch den nicht an der Versammlung teilnehmenden Mitgliedern Einflussnahme zu ermöglichen (Schüren EWiR § 32 BGB 1/85). Geltendmachung der Nichtigkeit geschieht nach noch hM durch Feststellungsklage gegen den Verein (BGH 49, 398; 59, 369, 372; Hamm NJW-RR 1997, 989; LG Frankfurt NJW-RR 1998, 396; Stöber/Otto Rn 874). Zur Klage befugt sind nur Mitglieder, die dem Verein zur Zeit der Beschlussfassung und der Rechtshängigkeit angehören (BGH NJW 2008, 69 – in ersterer Hinsicht nicht unzweifelhaft, weil ein später hinzugetretenes Mitglied ein Interesse an der Beseitigung rechtswidriger Beschl haben kann). Nicht klagebefugt sind Dritte (zurückhaltend Frankfurt OLG Rspr 1999, 165), ebenso wenig eine rechtlich unselbständige Untergliederung des Vereins, BGH aaO, was nur nach grds Klärung der Voraussetzungen und Folgen der rechtlichen Selbständigkeit, an der es noch fehlt (Vor § 21 Rn 13), undifferenziert beibehalten werden kann (zu den Möglichkeiten K. Schmidt, FS Reuter, 2010, 345, 360ff). IÜ liegt es nahe, wegen des Interesses an der Bestandskraft gefasster Beschl die Anfechtungsmöglichkeit zeitlich zu beschränken, notfalls durch den Gedanken der Verwirkung (in der Rspr Andeutungen bei BGH 49, 209, 212; 59, 369, 372; jedoch nicht bei Einberufungsmängeln); nach Hamm NJW-RR 1997, 989 ist ein Zeitraum von 4 Monaten zw Beschl und Klageerhebung zu lang. Ein vereinsinterner Rechtszug muss ausgeschöpft sein, bevor Klage erhoben werden kann, KG NJW 1988, 3195. Feststellungsurteil hat nur deklaratorische Wirkung, ein aufgrund des Beschl vorgenommenes Geschäft verliert nicht automatisch seine Außenwirkung, wenn Vertretungsmacht bestand, es sei denn, der Beschl war auch nach außen Wirksamkeitsvoraussetzung (etwa bei Erklärung eines Gremienvorbehalts). Angesichts der Unklarheiten der Erstreckung der Rechtskraft sollte davon ausgegangen werden, dass die Feststellung der Nichtigkeit eines Beschl für und gegen alle Beteiligten wirkt, BGH NJW-RR 1992, 1209; zum Unterschied zur positiven Beschlussfeststellungsklage Soergel/Hadding Rn 40, 41. Ist in der Mitgliederversammlung das Nichtzustandekommen eines Beschl festgestellt worden, kann mit der Anfechtung dieses Beschl der Antrag auf Feststellung des richtigen Beschlussergebnisses verbunden werden (so für die AG BGH 76, 191; 88, 320; s auch BGH 88, 320; zust K. Schmidt AG 1980, 169; zum Verein ebenso BaRo/Schöpflin Rn 19). Westermann

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§ 33

Personen

§ 33

Satzungsänderung

(1) Zu einem Beschluss, der eine Änderung der Satzung enthält, ist eine Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen erforderlich. Zur Änderung des Zweckes des Vereins ist die Zustimmung aller Mitglieder erforderlich; die Zustimmung der nicht erschienenen Mitglieder muss schriftlich erfolgen. (2) Beruht die Rechtsfähigkeit des Vereins auf Verleihung, so ist zu jeder Änderung der Satzung die Genehmigung der zuständigen Behörde erforderlich. 1. Die Möglichkeit einer Satzungsänderung und auch einer Zweckänderung folgt aus der Satzungsautonomie. Die gesetzliche Unterscheidung zw einer durch qualifizierte Mehrheit möglichen Satzungsänderung und einer grds der Zustimmung aller Mitglieder bedürftigen Zweckänderung zeigt, dass es gewissermaßen oberhalb der Satzung eine Grundlage des Vereinslebens geben muss, deren Bestandskraft aus der Sicht des einzelnen Mitglieds höher ist als die der Satzung als der geschriebenen Ordnung des Vereinslebens. Dies ist der Zweck des Vereins. Nach überwiegender Ansicht haben die Bezugnahmen auf den Vereinszweck in den §§ 21, 22, 43 II, 57 I, 71 I und schließlich in § 33 I 2 nicht denselben Inhalt; in der erstgenannten Gruppe von Vorschriften geht es um die Abgrenzung eintragungsfähiger und konzessionsbedürftiger Vereine, die durch die Zwecksetzung des Vereins bedingt ist, in § 33 I 2 um den Schutz der Mitglieder vor einer über ihren Kopf hinweg erfolgten Änderung der konkreten Zielsetzung des Vereins (so Häuser/van Look ZIP 1986, 749, 751f; K. Schmidt BB 1987, 556, 558; vom obersten Leitsatz der Vereinstätigkeit sprechen BGH 96, 245, 251; Nürnberg MDR 2015, 961; NK/Heidel/Lochner Rn 5; Staud/Weick Rn 7; stärker für eine Gemeinsamkeit im Begrifflichen Reuter ZGR 1987, 475, 480). Auf dieser Grundlage versteht BGH 96, 245, 249, 251 den Zweckbegriff in § 33 I 2 eng, um die Indisponibilität für die Mitgliedermehrheit auf solche Aspekte der gemeinsamen Zielsetzung beschränken zu können, mit deren Abänderung schlechterdings kein Mitglied bei seinem Beitritt zu rechnen brauchte, ähnlich BayObLG NJW-RR 2001, 1260. Einstimmigkeit daher nicht erforderlich, wenn lediglich eine seit langem nicht mehr bestehende Gemeinnützigkeit formell aufgegeben werden soll (Frankfurt OLGRp 1999, 165), oder eine aus tatsächlichen Gründen unmögliche Zielsetzung durch eine den Verhältnissen angepasste ersetzt wird. Für den Verein bedeutet dies, dass in einer Zweckänderung (auch einer Einengung, LG Nürnberg-Fürth Rpfleger 1988, 151) oder Beschränkung auf einen von bisher mehreren stets auch Satzungsänderung liegt (RG 88, 402), während eine Konkretisierung der grundlegenden Leitidee des Vereinslebens durch nähere Ausführungen oder Anpassung an veränderte Umstände nur Satzungsänderung ist (RG JW 1931, 1450). BGH 96, 245, 252 (zust Reuter, 481; krit insoweit Häuser/ van Look, 755) hat bei einem Verein zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs und der Wirtschaftskriminalität die Streichung eines Passus über die Wahrung von Verbraucherinteressen nicht als materielle Änderung des Zwecks angesehen, richtig deshalb, weil sich Wettbewerber- und Verbraucherinteressen nicht ausschließen und der Anlass der Satzungsänderung nur in einer Änderung der Rspr zu § 13 UWG lag (näher Häuser/van Look, 750). Zweckänderungen wären demgegenüber die Umstellung eines Idealvereins auf politische oder gewerbliche Zielsetzungen, zu Bsp im Genossenschaftsbereich Beuthien BB 1987, 6, 8ff, ähnlich bei einem genossenschaftlichen Prüfungsverband die Ausweitung seiner Tätigkeit durch die Unterhaltung eines Sicherungsfonds, Hamm OLGZ 1980, 328. Eine Zweckänderung geschieht auch durch Aufgabe gemeinnütziger Tätigkeit (Stöber/Otto Rn 928), ebenso durch Wandel der Rechtsform, auch die Ausgliederung des eigentlichen Sportbetriebs bei einem Sportverein kann hierher gehören, sowie auf der anderen Seite die Erweiterung um andere Sportarten oder neue Betätigungsformen (etwa München DB 2011, 2373). Ähnliches ist bei Abspaltung der Trägerschaft an einem Unterstützungskassen-Verein von einem ursprünglichen auf einen übernehmenden Arbeitgeber zu beachten (näher Keuper/Hey BB 2009, 720ff). Nach § 40 sind auch die Vorschriften über Satzungs- und Zweckänderung abdingbar. Schreibt eine Vorschrift für Beschlussfassung über einen bestimmten Gegenstand höhere als 3/4-Mehrheit vor, kann sie selbst nur mit dieser höheren Mehrheit geändert werden (Staud/Weick Rn 7). Wenn die Satzung bestimmt, dass einer Änderung des Zwecks nicht alle Mitglieder zustimmen müssen, kann dies ebenso wie eine Regelung, die direkt eine Zweckänderung verfügt, nur mit Zustimmung aller geändert werden, München NZG 2011, 994. Gegen Herabsetzung der Grenze unterhalb der 3/4-Mehrheit bestehen Bedenken, wenn aus der Satzung nicht eindeutig die Möglichkeit hervorgeht, eine derartige Erleichterung der Satzungsänderung zu ermöglichen (BGH WM 1987, 1178 zur Personengesellschaft). Damit würde der im Gesellschaftsrecht der Personenhandelsgesellschaft entwickelte Bestimmtheitsgrundsatz auf das Vereinsrecht übertragen, jedenfalls der in ihm enthaltene Aspekt des Minderheitenschutzes (dafür Häuser/van Look, 752ff und Soergel/Hadding Rn 12), zu den Zweifeln am Bestimmtheitsgrundsatz im Gesellschaftsrecht im Anschluss an BGH NZG 2013, 57; GmbHR 2013, 194 Schäfer ZGR 2009, 768; H.P. Westermann in Westermann/Wertenbruch, Personengesellschaften Rn I 517a ff). Auch BGH 96, 245, 249f dachte in diese Richtung, indem die Möglichkeit einer Mehrheit, Zweckänderung zu beschließen, in der Satzung „unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht werden“ muss (zust Weipert EWiR § 33 BGB 1/86; Sauter/ Schweyer/Waldner Rn 146; Köln NJW-RR 1996, 1180, das für eine Zweckänderung auch dann Einstimmigkeit fordert, wenn die Satzung mit 2/3-Mehrheit geändert werden kann). Die Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes passt bei einer körperschaftlichen Verfassung nicht; entgegen einer formalen Betrachtungsweise ist auch im Vereinsrecht nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall trotz eindeutiger Satzungsvorschrift bei Vereinen, deren Mitgliedschaft für ein Mitglied unentbehrlich ist, materielle Schranken einer zweck- oder satzungsändernden Mehrheitsentscheidung eingreifen (Reuter ZGR 1987, 475, 487f; MüKo/Arnold Rn 26). In diese Richtung lässt sich auch BGH WM 1980, 1064 zur gleichzeitigen Auswechslung der Vereinsmitglieder (durch Eintreten von 164

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Juristische Personen – Vereine

§ 34

Einzelmitgliedern statt ihrer Verbände) durch eine Delegiertenversammlung ohne Zustimmung der bisherigen Vereinsmitglieder verstehen. Satzungsänderung ist jede Änderung, die im Satzungstext textlich zum Ausdruck gebracht werden muss, um 3 ihr Gestaltungsziel zu erreichen. Eine Unterscheidung von materiellen und formellen Satzungsteilen, von denen die ersteren nur durch Satzungsänderung iSd § 33, die anderen durch einfachen Mehrheitsbeschluss gem § 32 modifiziert werden können, ist im Hinblick auf die Rechtssicherheit nicht anzunehmen (BayObLG 1975, 435, 438; MüKo/Arnold Rn 1, NK/Heidel/Lochner Rn 2; aM Soergel/Hadding Rn 3). Auch bloße redaktionelle Änderungen des Textes gehören hierher, können aber einem Ausschuss oder dem Vorstand übertragen werden, Stöber/Otto Rn 905 a. Satzungsänderung und keine bloße Konkretisierung der Zweckverfolgung ist die Erhöhung der Pflichten der Vereinsmitglieder (RG JW 1931, 1490). Angesichts der §§ 707 BGB, 180 I, 55 AktG, 53 III GmbHG ist das Verbot wesentlicher Pflichtenmehrung als gesellschaftsrechtliches Grundprinzip bezeichnet worden (Nicklisch BB 1979, 1159; Beuthien BB 1987, 10), das jedoch im Vereinsrecht mit Rücksicht auf die regelmäßig nur geringe Belastung jedes Mitglieds, die Austrittsmöglichkeiten und die Notwendigkeit gelegentlicher Beitragsanpassungen nur eingreift, wenn und soweit ein entspr (satzungsändernder) Beschl nicht durch Interessen des Vereins erfordert wird (schärfer Beuthien, aaO, 11; Wiedemann Gesellschaftsrecht § 7 IV 1b; s auch § 58 Rn 2; s auch BVerfG NJW 1991, 2626 und AG Grevenbroich NJW 1991, 2646 zur Auferlegung einmaliger Sonderleistungen). Daher keine satzungsmäßige Festlegung der Obergrenze nötig, Häuser/van Look EWiR § 39 BGB 1/88 gegen Köln ZIP 1988, 19. Beitragserhöhung ist regelmäßig nicht als wichtiger Grund für den Austritt anzusehen (LG Aurich Rpfleger 1987, 116; Staud/Weick § 39 Rn 4), was auch für eine einmalige und uU sogar verhältnismäßig hohe Umlage gilt (LG Aurich aaO; s auch BGH NJW 1968, 543; ähnlich AG Grevenbroich aaO). Wird infolge einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse die Erreichung des Vereinszwecks unmöglich, so schrumpft der satzungsmäßig zu verfolgende Zweck auf die ihm noch zugehörigen Restaufgaben (BGH 49, 175). 2. Erforderlich ist Beschl der Mitgliederversammlung mit 3/4-Mehrheit, die Satzung kann andere Art vorsehen 4 oder zusätzliche Erfordernisse aufstellen, nicht aber die Satzungsänderung einem außenstehenden Dritten überlassen (Frankfurt NJW 1983, 2576; Beuthien/Grätsch ZHR 56, 459ff), dem lediglich ein Recht zur Zustimmung eingeräumt werden kann (KG Rpfleger 1974, 394; PWW/Schöpflin Rn 2). Beim eV Eintragung als konstitutiver Akt nötig, § 71; für konzessionierte Vereine s Abs II. Jahrelange widerspruchslose Hinnahme macht die Änderung wirksam (BGH 25, 311, 316). Von außen dem Verein aufgezwungene oder angetragene Satzungsänderung, die eingetragen ist, wird mit freiwilliger Zustimmung (auch formlos) aller Mitglieder wirksam (BGH NJW 1955, 457), selbst bei Irrtum über den Inhalt der Satzungsbestimmung, BGH 25, 316. Durch Staatsakt kann die Satzung ohne besondere gesetzliche Grundlage nicht geändert werden (BGH 19, 52). Ggü einer faktischen, aber rechtlich unwirksamen Zweckänderung kann die Minderheit den Austritt erklären, um den Verein anderweit fortzusetzen; das bloße Bestehen der Mehrheit auf der Änderung als Austritt aus dem Verein anzusehen, den die Minderheit dann fortsetzen könnte, kommt allenfalls bei eindeutigen Erklärungen in Betracht (Diskussion zu RG 119, 184 und BGH 49, 175 bei MüKo/Arnold Rn 13 unter dem Stichwort „Spaltverein“). 3. Von Satzungsänderung oder einfacher Konkretisierung der Zweckverfehlung durch Beschl ist zu unterschei- 5 den die Satzungsdurchbrechung. Darunter ist eine Entscheidung eines Vereinsorgans zu verstehen, in einer Einzelfrage von der Satzung ohne eine Satzungsänderung abzuweichen, die folglich weder beschlossen noch gem § 71 eingetragen wird, gewöhnlich deshalb, weil die Handelnden nicht beabsichtigen, die Satzung in diesem Punkt auf Dauer zu ändern. Das ist, wenn es eine satzungsändernde Mehrheit der Mitgliederversammlung durch Beschl billigt, wenn alle Voraussetzungen für eine Satzungsänderung vorliegen (dazu Bremen NZG 2011, 1192), wirksam, nach verbreiteter Ansicht aber nicht, wenn dadurch eine Zustandsänderung herbeigeführt werden soll (BGH 32, 17, 19; 123, 15, 19; Staud/Weick Rn 9; BaRo/Schöpflin Rn 17; abl auch Priester ZHR 151, 51ff; für den Verein MüKo/Arnold Rn 10), gegen die Differenzierung nach punktuellen oder zustandsändernden Beschlüssen Zweibrücken NZG 2013, 1236. Eine über längere Zeit faktisch gelebte Regelung sollte nicht als ungeschehen behandelt werden (MüKo/Arnold Rn 9). Jedenfalls muss der Beschl von einem für den Gegenstand zuständigen Vereinsorgan gefasst sein (BayObLG NJW-RR 2001, 537).

§ 34

Ausschluss vom Stimmrecht

Ein Mitglied ist nicht stimmberechtigt, wenn die Beschlussfassung die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit ihm oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und dem Verein betrifft. 1. Zweck der Vorschrift ist Vermeidung von Interessenkonflikten, s denselben Rechtsgedanken in §§ 136 AktG, 1 47 GmbHG, 43 GenG. Der Anwendungsbereich ist aber auf die Vornahme von Rechtsgeschäften mit dem betreffenden Mitglied und die Einleitung von Rechtsstreitigkeiten zw ihm und dem Verein beschränkt. Im Schrifttum wird verschiedentlich versucht, ein über § 34 hinausgehendes allg Prinzip des Stimmrechtsausschlusses zu formulieren (Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der jur Pers, 1981, 66ff), etwa dahin, dass niemand in eigener Sache als Richter mitwirken kann. Dies ist jedenfalls dann anzuerkennen, wenn bei einer Entscheidung ein Werturteil über bestimmte Handlungen und Verhaltensweisen einer Person gefällt werden soll, also bei Ausschluss, Abberufung aus einem Amt, Kündigung eines Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund, Verhängung einer Vereinsstrafe, wohl auch schon Entlastung (BGH 86, 177, 179 betr GmbH; BGH NJW 2002, 704; Düsseldorf GmbHR 1989, 468; BayObLG NJW-RR 1987, 595; Stöber/Otto Rn 820: anders Köln NJW 1968, 992; Westermann

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KG NZG 2015, 280 für Vereinsausschluss), und es mag auch sein, in Einzelfällen Analogien zu den Einzelbestimmungen des Gesellschaftsrechts zu ziehen (MüKo/Arnold Rn 3). Auf der anderen Seite hat die Rspr namentlich bei verschachtelten Personengesellschaften Stimmverbote in Bezug auf Rechtsgeschäfte verschiedentlich gelockert (s § 709 Rn 26), was beim eV, zumindest im Verbandswesen, berücksichtigt werden sollte. Schon nach BGH 56, 47, 53 (für GmbH) schließt die Beteiligung eines Mitglieds an einer jur Pers, die Partner des Vertrags ist, auf die sich der Beschl bezieht, das Stimmrecht nicht aus, anders nur, falls das Mitglied die jur Pers „beherrscht“. Das gilt auch, wenn eine Mehrzahl von Mitgliedern das andere Unternehmen beherrscht (BGH 68, 107 für GmbH). Bei der Verhängung von Vereinsstrafen ist Stimmrechtsausschluss anzunehmen, MüKo/Arnold Rn 16. Schwerwiegende Interessenkollisionen oder unlautere Beeinflussungen der Abstimmung zugunsten eines Mitglieds, auch eines Vorstands, können die Stimmabgabe als unzulässige Rechtsausübung und damit mangelhaft erscheinen lassen (RG 146, 385, 396; BGH NJW 1980, 1278; Hamburg DB 1981, 81). § 34 ist anwendbar auf den nicht rechtsfähigen Verein (Habscheid AcP 155, 391) sowie auf die Erbengemeinschaft (BGH 56, 47, 52) und die Bruchteilsgemeinschaft (BGH 34, 367, 371). Die Vorschrift ist, wie § 40 zeigt, zwingend und findet über § 28 auch auf Vorstandsentscheidungen Anwendung. 2. Ausgeschlossen ist das Mitglied von der Abstimmung über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts. Darunter fallen nicht Beschl über Besetzung von Organpositionen innerhalb des Vereins, sondern nur über Rechtsbeziehungen zw Verein und Mitglied (Wilhelm NJW 1983, 912, 914; zust MüKo/Arnold Rn 11), die das Mitglied als Vertreter des Vereins nicht abschließen könnte (BGH NJW 1991, 172); das Stimmverbot ist also nicht auf Drittgläubigergeschäfte beschränkt. So kann das Mitglied über seine Kandidatur zu Organen grds mitstimmen (RG 74, 276; s aber Rn 1; Vorbehalte bei Hüffer, FS Heinsius, 1991, 337 für GmbH), nicht aber über die Erteilung von Weisungen an die Geschäftsführung im Hinblick auf die Durchführung von Geschäften mit ihm (BGH 68, 107, 112). Vielfach wird eine Einschränkung des Stimmrechts bei mitgliedschaftlichen Sozialakten angenommen, bei denen das Mitglied nur die ihm kraft der Mitgliedstellung zustehenden Rechte wahrnehmen will, also etwa Abberufung oder Kündigung, die nicht auf wichtigen Grund gestützt sind (BayObLG NJW-RR 1986, 1499; Düsseldorf GmbHR 1989, 468), doch liegt auch hier möglicherweise eine Interessenkollision vor; anders bei der Einforderung von Beiträgen oder bei der Auflösung des Vereins. Das str Stimmverbot bei der Festsetzung der Bezüge von Organpersonen (dafür Soergel/Hadding Rn 5; dagegen RG 74, 276; JW 1917, 165; BGH 18, 205, 210; 51, 209) folgt im Grundsatz daraus, dass hiervon im Regelfall des Idealvereins die Wahl in das Amt nicht betroffen ist und der Interessengegensatz von Verein und Mitglied dem beim Abschluss von Rechtsgeschäften entspricht; auch die Haftungserleichterung bzw -erschwerung gem § 31a sollte hieran nichts ändern, anders möglicherweise der enge Sachzusammenhang mit dem eigentlichen Sozialakt (MüKo/Arnold Rn 11). Die Art des Rechtsstreits zw Mitglied und Verein ist nicht näher bezeichnet, weil die Interessenkollision vom Streitgegenstand nicht abhängt. Die Geltendmachung von Ansprüchen und die Erhebung einer Feststellungsoder Gestaltungsklage stehen daher gleich (näher MüKo/Arnold Rn 13, 14), doch greift das Stimmverbot unter diesem Gesichtspunkt (anders vielleicht wegen des Richtens in eigener Sache) nicht schon dann ein, wenn der Gegenstand der Abstimmung so beschaffen ist, dass sich aus ihm ein Rechtsstreit ergeben könnte. Ein Stimmrechtsausschluss besteht nicht, wenn der Rechtsstreit die Gültigkeit eines Vorgangs klären soll, an dem der Betroffene mitwirken durfte, jedenfalls dann nicht, wenn die dort überstimmte Minderheit lediglich versucht, über den Rechtsstreit eine Entscheidung zu blockieren, was i Erg zu Stillstand während des Prozesses führt. Eine Ausdehnung des Stimmrechtsverbots auf Angelegenheiten nahe stehender Personen sieht § 34 nicht vor, so dass mit dem Gedanken der Treuwidrigkeit und mit Gesetzesanalogien zu gesellschaftsrechtlichen Vorschriften gearbeitet werden muss (Rn 2). Soweit eine Personengruppe (Bruchteils- oder Gesamthandsgemeinschaft) Mitglied ist, erfasst das einen Gemeinschafter erfassende Stimmverbot die Gemeinschaft, wenn der Betroffene in der Gruppe entscheidenden Einfluss ausüben kann (BGH 49, 183, 193; Zöllner aaO, 274ff; dort auch gegen einen generellen Stimmrechtsausschluss naher Verwandter). 3. Verstoß gegen § 34 bei Abhängigkeit des Beschl von der unerlaubten Stimmabgabe führt zur Ungültigkeit, Mitwirkung des Ausgeschlossenen in der Versammlung oder Teilnahme an der Diskussion reicht aber dafür nicht aus.

§ 35 1

Personen

Sonderrechte

Sonderrechte eines Mitglieds können nicht ohne dessen Zustimmung durch Beschluss der Mitgliederversammlung beeinträchtigt werden. 1. Zweck der Vorschrift ist ein über den Gleichbehandlungsgrundsatz hinausgehender Schutz vor Majorisierung, § 35 ist daher zwingend (NK/Heidel/Lochner Rn 1), wie sich auch aus § 40 ergibt; möglich sind aber auflösend bedingte Sonderrechte, soweit die Satzung dies vorsieht, die ein Sonderrecht auch an Bestand (und Fortbestand) bestimmter, auch individueller, Umstände knüpfen kann. Der Grundsatz des § 35 ist auch im allg Gesellschaftsrecht anzuwenden (BGH NJW-RR 1989, 542), wobei jedoch die Einräumung von Sonderrechten etwa im Aktienrecht weitgehend an der Satzungsstrenge scheitert, dazu auch Altmeppen NZG 2005, 771, 773; im allg Verbandsrecht ist meist mit den sonstigen Instrumenten des Mitgliederschutzes auszukommen, etwa dem Gleichbehandlungsgrundsatz.

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Juristische Personen – Vereine

§ 37

2. Begriff. Sonderrecht ist eine bevorzugte körperschaftliche, nicht allen Mitgliedern zustehende und allein 2 durch die Satzung zu bestimmende (Stöber/Otto Rn 209) Stellung einer Person oder Gruppe aufgrund der Mitgliedschaft, die gegen Entziehung durch Mehrheitsbeschluss gesichert sein soll, vgl RG 104, 255; HRR 1932, 1287, zB Organbestellungsrecht (vgl für GmbH BGH NJW 1968, 131) oder Anspruch auf Mitgliedschaft im Vorstand, s auch BGH WM 1989, 250 für bevorzugtes Stimmrecht, Anspruch auf Liquidationserlös. Sonderrechte können nur durch Satzung begründet werden. So sind Rechte, die nicht auf einen zur Mitgliedschaft hinzutretenden besonderen Umstand gegründet, sondern Ausfluss des allg Mitgliedschaftsrechts sind, keine Sonderrechte (BGH 84, 209, 218). Die verbreitete Vorstellung, dass Sonderrechte zwingend unentziehbar seinen, hat in § 35 eine Grundlage nur insofern, als ein solches Recht dem Inhaber nicht ohne seine Zustimmung entzogen werden kann, was die Satzung aber nicht hindert, das Recht von vornherein als entziehbar auszugestalten; eine Entziehung oder Beschränkung aus wichtigem Grund ist ebenfalls möglich, BGH NJW-RR 2005, 39; Staud/Weick Rn 21; gegen die begriffliche Identifikation des Sonderrechts mit Unentziehbarkeit Beuthien ZGR 2014, 24 ff; zur Lage im GesR § 709 Rn 33. Gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßende Beschl sind auch ohne Rücksicht auf § 35, also auch dann, wenn das Recht allen Mitgliedern zusteht, unwirksam (vgl RG 112, 124), wobei Eingriffe in solche Rechte für alle Mitglieder gleichmäßig durch Beschl zulässig sein können, demgegenüber muss gruppenweise Unterscheidung sachlich begründet sein, BAG NJW 1956, 806. Sonderrecht als körperschaftliches Recht ist von einem Recht, das in gewöhnlichen Rechtsgeschäften zw Verein und Mitglied begründet ist (Gläubigerrecht), zu unterscheiden, zB Darlehensanspruch. Hier gilt das Recht der Vertragsverhältnisse, wobei es aber als Sonderrecht auch angesehen werden kann, gegen eine Vergütung in Vereinsangelegenheiten mitwirken zu können (so mit Blick auf KG Grunewald Kurzkomm/EWiR 2005, 25 zu BGH ZIP 2004, 2282). Wie die Sonderrechte sind auch die aufgrund der Mitgliedschaft dem Mitglied erwachsenen Ansprüche gegen den Verein, zB auf beschlossenen Gewinn beim wirtschaftlichen Verein, der Bestimmung durch den Verein entzogen. Sonderlasten, zB Erhöhung der Beiträge für einzelne Mitglieder (BGH DRsp I [110] 29a), sind entspr zu behandeln. Dagegen ist Einstimmigkeit für die Beseitigung von Sonderlasten wohl nicht zu fordern, satzungsändernde Mehrheit und Zustimmung des Betroffenen genügen. Ob § 35 verletzt ist, kann der Richter unbeschränkt nachprüfen. 3. Die Sonderrechte entstehen aufgrund der Satzung (BGH MDR 1970, 913); das gilt auch für Begründung 3 durch Satzungsänderung, der auch die nicht entspr begünstigten Mitglieder zustimmen müssen (Löffler NJW 1989, 2656, 2659; Lettl AcP 2009, 189). Die zur Entziehung nötige Zustimmung kann auch konkludent (zB Mitwirkung bei der Beschlussfassung) erfolgen. Ein Sonderrechte verletzender Beschl ist unwirksam, Geltendmachung in jedem Verfahren möglich.

§ 36

Berufung der Mitgliederversammlung

Die Mitgliederversammlung ist in den durch die Satzung bestimmten Fällen sowie dann zu berufen, wenn das Interesse des Vereins es erfordert. Einberufung der Mitgliederversammlung ist Pflicht des Vorstands bzw des sonst zuständigen Organs; Verletzung 1 macht schadensersatzpflichtig ggü dem Verein, Erzwingung nach § 37 möglich (dazu § 37 Rn 3). Ob daneben auch durch Klage erzwingbares Recht des Einzelmitglieds gegen den zur Berufung Verpflichteten besteht, ist str (bejahend RG 79, 411, verneinend mit Recht Staud/Weick § 37 Rn 16, MüKo/Arnold Rn 5). Wichtiger Grund ist Sachverhalt, der ohne Verzögerung der Beschlussfassung der Mitgliederversammlung zu unterbreiten ist, zB Notwendigkeit einer Satzungsänderung, BGH NJW 1987, 1811. Zur Form der Einladung § 32 Rn 3. § 36 ist zwingend, vgl § 40.

§ 37

Berufung auf Verlangen einer Minderheit

(1) Die Mitgliederversammlung ist zu berufen, wenn der durch die Satzung bestimmte Teil oder in Ermangelung einer Bestimmung der zehnte Teil der Mitglieder die Berufung schriftlich unter Angabe des Zweckes und der Gründe verlangt. (2) Wird dem Verlangen nicht entsprochen, so kann das Amtsgericht die Mitglieder, die das Verlangen gestellt haben, zur Berufung der Versammlung ermächtigen; es kann Anordnungen über die Führung des Vorsitzes in der Versammlung treffen. Zuständig ist das Amtsgericht, das für den Bezirk, in dem der Verein seinen Sitz hat, das Vereinsregister führt. Auf die Ermächtigung muss bei der Berufung der Versammlung Bezug genommen werden. 1. Als Teil des Minderheitenschutzes ist die Vorschrift im Grundsatz zwingend, vgl § 40, wohl aber nähere Rege- 1 lung durch die Satzung möglich (Stuttgart NJW-RR 1986, 995), zB bzgl des Einberufungsquorums, wobei aber nicht eine Mehrheit gefordert werden kann (KG NJW 1962, 1919, BayObLG NJW 1973, 151). Nach Stuttgart aaO verletzt eine Vorschrift, die bei einer Normalzahl von 9 Mitgliedern jew 1/3 zur Einberufung berechtigt, den § 37 insofern, als die Mitgliederzahl sinken kann und dann nicht mehr derselbe Minderheitenschutz verwirklicht wird. Hier dürfte aber Auslegung helfen. Der durch § 37 bezweckte Minderheitenschutz muss effektiv bleiben, weshalb das Quorum wohl durch Satzung heraufgesetzt werden kann, BayObLG MDR 2001, 948 m zust Anm Hüttinger NotBZ 2001, 268 für Anhebung auf 20 %, aber jedenfalls deutlich unter 50 % bleiben muss (KG aaO; NK/Heidel/Lochner Rn 3, 4; für Flexibilität bis 49,9 % Hüttinger aaO; für das gesetzliche Quorum als Westermann

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§ 37

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Höchstgrenze Soergel/Hadding Rn 5; MüKo/Arnold Rn 3). § 37 ist als allg Grundsatz des Vereinsrechts auch auf Verein gem § 22 und auf nicht rechtsfähigen Verein anzuwenden (vgl Soergel/Hadding Rn 3; Staud/Weick Rn 17), so dass dessen Mitglieder ein Überhandnehmen wirtschaftlicher Nebengeschäfte verhindern können (Beuthien NZG 2015, 449, 455). Wo eine Delegiertenversammlung besteht, ist § 37 nach umstr Ansicht (näher MüKo/Arnold Rn 17; Soergel/Hadding Rn 4) in dem Sinne anwendbar, dass das Recht einer Minderheit sowohl der Mitglieder als auch der Delegierten zusteht. 2. Voraussetzung ist Verlangen durch die erforderliche Zahl; als Begründung genügt die Angabe dessen, was in der Mitgliederversammlung geschehen soll, idR eine Beschlussfassung, so dass der Gegenstand der Tagesordnung anzugeben ist. Adressat ist der Vorstand, dem ein Prüfungsrecht nur im Hinblick auf das Vorliegen von Rechtsmissbrauch zusteht (MüKo/Arnold Rn 7), wie er etwa gegeben ist, wenn die Mitgliederversammlung für den vorgesehenen Beschl nicht zuständig ist, darüber schon mehrfach abl entschieden hat oder ohnehin demnächst im Rahmen ordentlicher Abhaltung entscheiden muss, schließlich, wenn der Beschl nichtig wäre (Köln WM 1959, 1402, Frankfurt OLG 1973, 137, 140). 3. Erzwingbarkeit des Anspruchs gem § 37 II im Verfahren nach dem FamFG. Das Gericht ermächtigt die Antragsteller zur Einberufung, die dann unter Bezugnahme auf den Beschl zu geschehen hat; der Beschl gibt die Tagesordnungspunkte an (Hamm MDR 1973, 929). Die das Verlangen stellenden Mitglieder sind Antragsteller, der Verein – nicht dessen Vorstand – ist Antragsgegner, da unmittelbar in seine Verfassung eingegriffen wird (BayObLG NJW-RR 1986, 1499). Keine Nachprüfung, ob angestrebter Beschl sachdienlich, wohl aber bzgl der sachlichen Zuständigkeit der Mitgliederversammlung; BayObLG JW 1933, 1470 verlangt außerdem Nachw eines schutzwürdigen Interesses; nach KG JW 1935, 3336 Ablehnung, falls offensichtlich missbräuchliche oder rechtswidrige Zwecke verfolgt werden oder der Vorstand nicht in die Lage versetzt wurde, einem Einberufungsverlangen stattzugeben. Das Gericht kann auch nicht nachprüfen, ob die Abhaltung einer Mitgliederversammlung zweckmäßig ist, MüKo/Arnold Rn 11; Staud/Weick Rn 12. Zur Klage des Einzelmitglieds vgl § 36. Für das Verfahren nach Abs II müssen die Voraussetzungen des Abs I erfüllt sein (Frankfurt OLG 1973, 140). Der Vorstand ist, soweit tunlich, zu hören. Die Zustellung des Beschl zumindest an die Antragsteller ist Wirksamkeitsvoraussetzung der späteren Versammlungsbeschlüsse, BayObLG 1970, 120. Die Versammlung kann nicht vor Rechtskraft des Beschl stattfinden (BayObLG 1971, 84, 87). Bei einer – zulässigen – Befristung der Ermächtigung in dem Beschl kann die Versammlung nur innerhalb der Frist stattfinden (BayObLG 1971, 84, 87). Die Antragsteller können von dem Beschl Gebrauch machen, bis es zu einer beschlussfähigen Mitgliederversammlung gekommen ist, BayObLG Rpfleger 1978, 377. Die das Verfahren betreibenden Mitglieder haben gegen den Verein einen Aufwendungsersatzanspruch (Pal/Ellenberger Rn 4). Die Bestimmung über die Führung des Vorsitzes soll weiteren Schutz schaffen; sie muss auch noch erg nach Anordnung der Versammlung möglich sein. 4. § 37 ist entspr anwendbar bei Antrag einer Minderheit auf Aufnahme eines Punktes in die Tagesordnung (s auch Staud/Weick Rn 17), einstw Verfügung insoweit nicht zulässig (Hamm MDR 1973, 729).

§ 38 1

Personen

Mitgliedschaft

Die Mitgliedschaft ist nicht übertragbar und nicht vererblich. Die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte kann nicht einem anderen überlassen werden. 1. Mitgliedschaft ist die Gesamtheit der körperschaftlichen Beziehungen zw Verein und Mitgliedern, deren personenrechtlicher Einschlag (RG 163, 203), durch die Verfolgung ideeller Zwecke verursacht, der Übertragbarkeit entgegensteht, andererseits aber nicht so stark ausgeprägt ist, dass die Satzung nicht etwas anderes bestimmen könnte (§ 40). Das gilt unabhängig davon, ob iÜ das Rechtsverhältnis zw Mitglied und Verein mehr als Anschluss an den überindividuellen Verband oder als vertragliche Verbindung mit den Personen verstanden wird, die gleiche oder ähnliche Förderungspflichten übernommen haben (zum Letzteren Lutter AcP 180, 84, 95; Wiedemann Gesellschaftsrecht § 2 I 1); dies letztere wird als „monistische“ im Gegensatz zu einem „dualistischen“, die Beziehung zur Körperschaft stärker betonenden Mitgliedschaftsbegriff verstanden (Diskussion der heute wohl überholten Ansätze bei MüKo/Arnold Rn 11). Klar ist, dass die verbandsrechtlichen Unterschiede zw Personengesellschaften und Körperschaften nicht, wie in der jüngeren Entwicklung der Publikumspersonengesellschaften, ignoriert werden dürfen. Unabhängig davon bezeichnet der Ausdruck „Mitgliedschaft“ gleichzeitig ein Bündel von „mitgliedschaftlichen“ Rechten und Pflichten, also sowohl ein Rechtsverhältnis und innerhalb dessen ein subjektives, dem Mitglied zustehendes Recht (für Qualität als zustehendes Recht Lutter AcP 180, 84, 101; K. Schmidt GesR § 19 I 3b; zum Schutz über § 823 I BGH 110, 323, 327; MüKo/Arnold Rn 12ff) als auch – mit gewissen Einschränkungen – das Objekt bestimmter Rechtsgeschäfte wie etwa einer Übertragung oder Belastung (s auch § 719 Rn 8); näher Habersack, Die Mitgliedschaft, 1996, 62ff, 98, dort – S 117ff – auch zur Qualität als „sonstiges Recht“. Allerdings sind bzgl der Parteienstellung an mitgliedschaftlichen Rechten und Pflichten vielfältige Lösungen des positiven Rechts denkbar und tatsächlich anzutreffen. Daher kann ein Mitgliedschaftsverhältnis an einem Verein insb auch eine Unterwerfung unter die Vereinsgewalt umfassen (§ 25), die bis zur Disposition des Vereins über das subjektive Recht des Mitglieds reichen kann, ohne dass dies auf das Modell des vertraglichen Zusammenschlusses zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke gestützt werden müsste (anders Hadding/van Look ZGR 1988, 277). Es besteht ein Rechte und Pflichten – insb Treupflichten – begründendes Rechtsverhältnis zw dem Mitglied und dem Verein wie auch unter den Mitgliedern (Lutter AcP 180, 84, 122ff; Reichert, Vereins- und Verbandsrecht Rn 990; s aber auch BGH 110, 323, 334), wogegen aber durch eine Maßnahme zur Veränderung der Beitragslage 168

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Juristische Personen – Vereine

§ 38

nicht verstoßen werden soll (BGH ZIP 2015, 1067). Hins der Intensität von Treupflichten und der Befugnis, die Erfüllung vereinsrechtlich begründeter Leistungs- und Verhaltenspflichten zu fördern, ist die tatsächliche Verbandsstruktur maßgeblich (Lutter S 105; Dütz, FS Herschel, 1981, 55, 63; Dütz, FS Hilger/Stumpf, 1983, 99); somit ist die Mitgliedschaft im Rahmen der satzungsmäßigen Ordnung der Vereinsgewalt durchaus möglicher Gegenstand durch Leistungs- und Unterlassungsklage durchsetzbarer Mitgliedspflichten (für die Möglichkeit, Sonderpflichten eines Mitglieds mit Haftungssanktionen auszustatten, KG MDR 1985, 230). Die Mitgliedschaft kann bei entspr Vereinszweck auch zur Leistung von Diensten verpflichten, ohne dass ohne weiteres ein Arbeitsverhältnis entstünde (BAG MDR 1996, 75 zur Rote-Kreuz-Schwesternschaft); doch darf dies nicht zur Umgehung arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften führen (BAG ebenda; so auch BAG NJW 2003, 161). Trotz der im Gesetzestext genannten Unübertragbarkeit und Unvererblichkeit der Mitgliedschaft können durch Satzung aus der Mitgliedschaft hervorgehende Rechte übertragbar ausgestaltet werden (RG 100, 2; BaRo/ Schöpflin Rn 33; so auch LAG Baden-Württemberg AP Nr 18 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit für Rechtsnachfolge durch Übernahme des bisherigen Verbandsmitglieds durch anderen Rechtsträger, die allerdings auch stillschweigend geschehen kann, Bsp bei BGH 105, 306). Die Satzung kann jedoch nicht bestimmen, dass der Komplex von mitgliedschaftlichen Rechten und Pflichten bei Ausscheiden eines Mitglieds automatisch (ohne Beitritt) einem bislang außenstehenden Dritten zufällt, auch wenn dieser Funktionsnachfolger des Mitglieds ist, es bedarf also eines rechtsgeschäftlichen Übertragungsvorgangs, Hamm NZG 2011, 35. Auch ist die Schaffung von Eintritts- oder Mitgliedspflichten ohne eigenes Zutun unzulässig, so dass die Satzung auf die Einräumung eines Eintrittsrechts verwiesen ist (RG 106, 120, 126; BGH WM 1980, 1286; NJW 1987, 2503). Dafür muss trotz der Unterschiede zw Satzung und Vertrag auf die Figur des § 328 zurückgegriffen werden (dagegen Reuter JZ 1985, 536). Die Übertragung einzelner Mitgliedschaftsrechte an andere würde gegen das allg aus § 717 (auch für den Verein) angenommene Abspaltungsverbot verstoßen (BGH WM 1980, 1286; Stuttgart NZG 2010, 753; Soergel/Hadding Rn 29), das, wenn nicht eindeutig nur eine Übertragung zur Ausübung gewollt ist (Stuttgart aaO), in engen Grenzen durch Bestellung einer Treuhand oder eines Bevollmächtigten überwunden werden kann; dies bedarf dann aber einer satzungsmäßigen Zulassung, auch wenn es sich um die Wahrnehmung der einer jur Pers oder einer Personenhandelsgesellschaft zustehenden Stimmrechte durch einen nicht zu ihrer Vertretung Befugten handelt (Hamm WM 1990, 879). 2. Die Mitgliedschaft wird erworben durch Teilnahme am Gründungsakt und Beitritt (Rn 4); ausnahmsweise (für einen kirchliche Aufgaben wahrnehmenden Verein) hat Hamm NJW-RR 1995, 119 zugelassen, dass die Satzung bestimmte kirchliche Funktionsträger als „geborene“ Vereinsmitglieder einsetzen kann. Zur Entstehung der Mitgliedschaft durch Verschmelzung § 20 I Nr 3 Hs 1 UmwG; zu den Einzelheiten § 41 Rn 2. Hins der Erheblichkeit von Willensmängeln unterscheidet die hM danach, ob eine rückwirkende Leugnung der Eingliederung in den Verein dem Zweck der Regeln über den Willensmangel entspricht, was für Geschäftsunfähigkeit, Sitten- und Verbotswidrigkeit angenommen wird, nicht aber für Dissens und Irrtum, die lediglich zu einem Austrittsrecht führen (Staud/Weick § 21 Rn 19; nähere Darstellung bei Walter NJW 1975, 1033). Bzgl des der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters bedürftigen Eintritts eines Minderjährigen kann die Satzung besondere Vorkehrungen treffen, Hamm NJW-RR 2000, 42; NK/Heidel/Lochner Rn 5. Die Gültigkeit von Abstimmungen und Beschl bleibt unberührt, soweit ihnen nicht derselbe Mangel anhaftet. Die Mitgliedschaft wird auch erworben durch Aufnahme, die aus Erklärung des Beitretenden und Erklärung des Vereins besteht, für welche im Zweifel die Mitgliederversammlung zuständig ist. Es handelt sich um einen körperschaftlichen Akt (Soergel/Hadding Rn 10), der auch konkludent geschehen kann, was gerade in Fällen einer Funktionsnachfolge und anschließender Mitarbeit im Verein in Betracht kommt (Hamm NZG 2011, 35; BGH 105, 306, 313). Der Beitritt kann mit dem Vorstand auch rückwirkend vereinbart werden (BGH ZIP 2015, 1067 gegen Reichert Rn 1014 unter Verweisung auf BAG NZA 2001, 982 für Arbeitgeberverband). Die Satzung kann die Aufnahme von einer der vereinsinternen Willensbildung nachfolgenden Formalität wie der Aushändigung einer Mitgliedskarte abhängig machen; vor Erfüllung solcher Voraussetzungen hat der Bewerber auch noch keinen Anspruch auf Aufnahme (BGH 101, 193). Aufnahme ist nicht mit Annahme iSd § 151 identisch, muss allerdings auch in angemessener Frist erfolgen. Aufgrund satzungsmäßiger Regelung ist auch Erwerb der Mitgliedschaft durch bloße Einzelerklärung möglich. Mitgliedsfähig sind nat und jur Pers, auch die GbR (BGH 116, 86; NK/Heidel/Lochner Rn 3; Soergel/Hadding Rn 5). Mitgliedschaft jur Pers bedeutet nicht Mitgliedschaft ihrer Mitglieder, soweit die Satzungen des Einzelvereins und des Verbands nichts anderes bestimmen (BGH NJW 1958, 1867). Die Satzung kann für Umwandlungsfälle ein Verbot der Rechtsnachfolge statuieren, um Doppelmitgliedschaften oder sonstige Rechtsunsicherheit zu verhindern. Dann endet die Mitgliedschaft des bisherigen Rechtsträgers oder sie kann von beiden Seiten ohne einen über den Umwandlungsfall hinausgehenden Grund beendet werden (eingehend zu diesem Vorschlag Rieble ZIP 1997, 301, 307, 309ff). Möglich ist eine Verbandsorganisation derart, dass die in Untergliederungen zusammengeschlossenen Einzelmitglieder zugleich dem Gesamtverein angehören (BGH 89, 153, 155), aber auch in der Weise, dass dem Dachverband nur die rechtlich als Verein verselbständigten Untergliederungen als Mitglieder angehören (Vereinsverband, zu der Unterscheidung zum Gesamtverein und zu gegliederten Mitgliedschaften Vor § 21 Rn 13). Die bei den Sportverbänden verbreitete Organisation als Vereinsverband schließt nicht aus, dass durch Satzung und/oder Individualverträge Beziehungen zw Mitgliedern des Einzelvereins und dem Dachverband geschaffen werden, was für die Organisation der Vereinsgerichtsbarkeit Folgen hat (§ 25 Rn 5–7).

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Denkbar ist auch, dass alle Mitglieder eines Vereins Mitglieder eines anderen werden. Zu den Bedenken gegen pauschale Verweisungen auf die Satzungen intern Verbände (BGH NJW 2016, 1315) steht dem Verband aber keine Entscheidungsmacht in Vereinsangelegenheiten der Mitgliedervereine zu (§ 25 Rn 7). 3. Grds besteht kein Anspruch auf Aufnahme, auch Satzungsregelungen, die die Mitgliedschaft für jedermann öffnen und eine möglichst große Mitgliederzahl anstreben (wie etwa bei Gewerkschaften), lassen im Zweifel dem Verein einen Ermessensspielraum, Bewerber nicht aufzunehmen (BGH NJW 1985, 1214f; NJW 1987, 2503f; krit Reuter EWiR § 25 BGB 1/87). Das gilt auch in Bezug auf die Ableistung eines in der Satzung vorgesehenen Probejahres (LG Lübeck MDR 1993, 292). Die Entscheidungsfreiheit des Vereins über Aufnahme ist umso ausgeprägter, je stärker das personenrechtliche Verhältnis der Vereinsmitglieder ist. Aufnahmezwang somit nur ausnahmsweise, und zwar außerhalb der Fälle einer den § 826 verletzenden Ablehnung (BGH NJW-RR 1986, 583f; BGH 63, 282, 285; näher Stöber/Otto Rn 258ff) dann, wenn die Ablehnung zu einer im Verhältnis zu den bereits aufgenommenen Mitgliedern sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung des Bewerbers führt (BGH 63, 282, 285; 93, 151, 153f), ferner bei überragender Machtstellung des Vereins im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich und gleichzeitigem erheblichen Interesse des Bewerbers am Erwerb der Mitgliedschaft (BGH 93, 151f zur Gewerkschaft m krit Anm Reuter JZ 1985, 534; BGH NJW 1980, 186 – Anwaltverein; NJW 1969, 316 – Universitätssportclub; NJW-RR 1986, 583 – Landessportbund, auch bei nur regional begrenzter Bedeutung, BGH 140, 74 m zust Anm van Look WuB II M § 38 BGB 1.99 und Kurzkomm Kirberger EWiR 1999, 1097; Stuttgart NZG 2001, 997 – regionaler Sportbund; Stuttgart NJW-RR 1987, 995 (keine Monopolstellung; im Grundsatz zust Ehlert JR 2000, 105; s auch Grunewald AcP 181, 205). Der Aufnahmezwang folgt dann mittelbar aus Art 9 I GG, BGH 140, 174 (zur mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten in diesem Bereich Nolte/Polzin NZG 2001, 838). Differenzierende Übersicht über Fälle im Verbandswesen bei Vieweg, FS Reuter, 2010, 395ff; dort S 406ff auch Lösungsvorschläge über die Figur der vormitgliedschaftlichen Förderpflicht. In derartigen Fällen kann der Aufnahmeanspruch auch durch einstw Verfügung durchgesetzt werden (Düsseldorf NJW-RR 1998, 328 – Landessportbund). Gegen Aufnahmezwang spricht nach BGH NJW 1980, 186 die hohe Zahl der in dem beklagten Verein nicht organisierten Anwälte, was im Fall BGH 93, 151 zur Klageabweisung hätte führen müssen; deshalb ist (anders als der BGH aaO) der selbsterhobene Anspruch eines Vereins, die auch bei einem Bewerber vorhandenen Interessen zu repräsentieren, als Grundlage für einen Aufnahmeanspruch heranziehbar (MüKo/Reuter vor § 21 Rn 116, 117; aufgrund kartellrechtlich geprägter Überlegungen ebenso Bartodziej ZGR 1991, 517, 523f). Zu dem Anspruch, bestimmte Interessen verantwortlich zu repräsentieren, muss eine tatsächlich überragende Stellung in dem fraglichen Bereich kommen, die den Zurückgewiesenen in den betreffenden für ihn bedeutsamen Kreisen zum Außenseiter stempelt (deshalb kein Aufnahmeanspruch gegen baltischen Adelsverein, Celle NJW-RR 1989, 313); diese Kriterien sind nicht erfüllt, wenn der Aufnahmewillige genügend Ausweichmöglichkeiten hat (zu diesem Merkmal Bartodziej aaO, 529). Alle diese Überlegungen waren, wie der BGH auch außerhalb wettbewerbsrechtlich relevanter Vorgänge feststellt (BGH 93, 151, 153), auch an den Maßstäben des jetzt auf Wirtschafts- und Berufsvereinigungen und Gütezeichengemeinschaften anwendbaren § 20 V GWB orientiert, der der Kartellbehörde erlaubt, die Aufnahme eines Bewerbers anzuordnen, wenn die Ablehnung eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung im Wettbewerb darstellt, dazu aber auch dem Bewerber einen Aufnahmeanspruch gibt (BGH 29, 344; zu den Voraussetzungen BGH NJW 1969, 316 – Universitätssportclub; BGH NJW 1980, 186 – Anwaltsverein; BGH NJW-RR 1986, 583 – Aikido-Verband; München NJOZ 2009, 4035; Scholz/Hoppe, FS Pfeiffer, 1988, 785ff). Zur Verfügung der Kartellbehörde, die dem Verein untersagt, die Aufnahme zu verweigern, BGH NJW 1995, 462. Schließlich haben die Vereine das Recht, Bewerber abzulehnen, wenn – eine Satzungsgrundlage vorausgesetzt – ihre Aufnahme den Bestand des Vereins und die Erfüllung seiner Ziele gefährden würde (BGH NJW 1973, 35f; zur Aufnahme eines NPD-Landtagsabgeordneten Frankfurt EWiR § 25 BGB 1/89 m Kurzkomm Reuter; BGH NJW 1991, 485); dies sind dieselben Gesichtspunkte, die zum Ausschluss aus dem Verein berechtigen würden (§ 25 Rn 10, § 39 Rn 4ff). Satzungsmäßige Erschwerung der Aufnahme kann, falls sie diffamierend wirkt, unzulässig sein, nicht aber kann hierfür der satzungsmäßig gewählte Zweck erweitert werden (Fuchs NJW 1965, 1509). Auch bei einer monopolartigen Machtstellung des Vereins ist dieser also zur Ablehnung des Bewerbers bei sachlich gerechtfertigten Gründen in seiner Person berechtigt, etwa bei Zugehörigkeit zur politischen Gegnerschaft der abl Gewerkschaft (BGH 93, 151, 154f; ähnlich BGH NJW 1973, 35, der auch keine satzungsmäßige Festlegung der Unvereinbarkeit fordert). Differenzierungen nach Geschlecht, Staatsangehörigkeit und dgl sind früher diskutiert worden, ältere Judikatur ist aber nach Inkrafttreten des AGG überholt. Denkbar sind satzungsmäßige Anforderungen an berufliche Qualifikation, auch wird die grds Freiheit von politischen Parteien als Tendenzvereinigungen, Bewerber aufzunehmen (BGH NJW 1987, 2503; ähnlich insoweit Reuter EWiR § 25 BGB 1/87), nicht zu bestreiten sein. 4. Ende der Mitgliedschaft durch Austritt und Ausschluss, dazu § 39, Tod oder Eintritt eines satzungsmäßigen Tatbestandes, zB Wohnsitzwechsel, längerer Verzug mit Beitragszahlung, Wegfall der Voraussetzungen für Erwerb der Mitgliedschaft (BGH WM 1978, 1086; Oldenburg OLGRp 2009, 612). Die Mitgliedschaft ist mit Rücksicht auf ihren personenrechtlichen Bezug unvererblich; BGH WM 1980, 1286 hielt aber eine Satzungsklausel, die Eintrittsrecht des Erben begründet, für möglich (weitergehend bzgl der Vererblichkeit des in der Mitgliedschaft enthaltenen Vermögenswerts Reuter ZHR 145, 273, 280); ist die Mitgliedschaft vererblich gestellt, so rücken Erben in ungeteilter Gemeinschaft nach (MüKo/Arnold Rn 60). 5. Eine Verletzung der Mitgliedschaft kann gesehen werden in einer Nicht- oder Schlechterfüllung der aus dem Mitgliedschaftsverhältnis fließenden Pflichten durch den Verein, der das jedem Mitglied zustehende Recht auf 170

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gesetzes- oder satzungsmäßige Behandlung (MüKo/Arnold Rn 30) zu beachten hat, ferner in einem deliktischen Eingriff in das subjektive Recht (zu dieser Unterscheidung Rn 1), das dann ein „sonstiges Recht“ iSd § 823 I sein muss. Ein solcher Eingriff kann auch von einem anderen Mitglied ausgegangen sein (Hadding/van Look ZGR 1996, 326, 334). Freilich ist das von BGH 110, 323 (dem folgend Schleswig OLGRp 2002, 457) angenommene Nebeneinander beider Anspruchsgrundlagen nicht selbstverständlich, da es mit den gesellschaftsrechtlichen Sondernormen über den Schutz von Mitgliedsinteressen abgestimmt werden muss (s Zöllner ZGR 1988, 392, 429ff). Bei einem mangels Zuständigkeit unwirksamen Ausschluss hat BGH 90, 92 (dazu Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1987, 284) einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Mitgliedschaftsrechte des Ausgeschlossenen ähnlich der pVV angenommen; hier wäre daneben auch ein Deliktsanspruch in Betracht gekommen, weil das als sonstiges Recht iSd § 823 I zu verstehende Mitgliedschaftsrecht als Ganzes in seinem Bestand berührt wurde (ebenso K. Schmidt JZ 1991, 157, 159; Habersack, Die Mitgliedschaft, 1996, 248ff). Diese Beschränkung auf Eingriffe in Bestand und Zuweisungsgehalt des Rechts selbst, die eine Relevanz etwa mittelbarer Entwertungen der Beteiligung durch Eingriff ins Vereinsvermögen ausschließt (so auch Habersack aaO, 164ff; Hadding, FS Kellermann, 1991, 102), ist wichtig, um den deliktsrechtlichen Schutz nicht zu einem allg Ersatz-Aufsichtsrecht ggü dem Organverhalten ausufern zu lassen (gegen die Anerkennung der Vereinsmitgliedschaft als sonstiges Recht darum noch Zöllner aaO, 425, 430). Diese Bedenken werden verständlich angesichts der Annahme des BGH (BGH 110, 323, 327 im Schärenkreuzer-Fall), die Missachtung bestimmter mitgliedschaftlicher Interessen, die in concreto auf eine richtige Anwendung von Satzungen und Ordnungen gerichtet waren, gehöre zum deliktisch verletzbaren „Kern“ der Mitgliedschaft (krit insoweit auch K. Schmidt aaO, 160; Beuthien/Keßler aaO; anders Habersack aaO, 297ff). Dem ist nicht zu folgen, vielmehr handelt es sich insoweit um die Nicht- oder Schlechterfüllung individueller Rechte des Mitglieds, für die der Verein nach § 31 haftet (zur Berechtigung auch eines Mitglieds aus dieser Norm s § 31 Rn 6). Stets ist dann noch mit BGH 110, 323, 379 der mögliche Einwand zu prüfen, ob mitgliedschaftliche Pflichten des Mitglieds zur Abwendung oder Minderung des Schadens verletzt sind, wobei freilich die Ansprüche aus dem Treupflichtgedanken nicht überspannt werden dürfen (Hadding aaO, 108f gegen BGH 110, 323, 330). Eigenhaftung von Vorstands- ggü Vereinsmitgliedern kann im vertraglichen Bereich durch Ausdehnung der 10 Pflichten des Organs gegen den Verein auf den Schutz der Mitglieder oder auf der Grundlage unmittelbarer Treupflichten der Mitglieder untereinander begründet sein, wie sie im Kapitalgesellschaftsrecht anerkannt sind (BGH 103, 184 m Anm Timm NJW 1988, 1582; anders für das Vereinsrecht noch BGH 110, 323, 334; krit K. Schmidt JZ 1991, 157, 161). Die persönliche Deliktshaftung des Organmitglieds will BGH 110, 323, 335 ausschließen, wenn die Entscheidung nur in Vollzug bindender Entschlüsse der Mitgliederversammlung erging; darüber hinaus ist außerhalb der jetzt in § 31a erfassten Fälle im Einzelfall schlüssige Haftungsbeschränkung eines ehrenamtlichen Organmitglieds auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu prüfen. Bedenken gegen eine persönliche Vorstandshaftung ggü einem Mitglied wegen Verletzung des mitgliedschaftlichen Interesses an der Binnenordnung des Vereins (Lutter AcP 180, 84, 144) können bei Verletzung im speziellen Mitgliedsinteresse bestehender Ordnungsnormen zurücktreten.

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Austritt aus dem Verein

(1) Die Mitglieder sind zum Austritt aus dem Verein berechtigt. (2) Durch die Satzung kann bestimmt werden, dass der Austritt nur am Schluss eines Geschäftsjahrs oder erst nach dem Ablauf einer Kündigungsfrist zulässig ist; die Kündigungsfrist kann höchstens zwei Jahre betragen. I. Austritt. 1. Die Austrittsmöglichkeit schafft einen Ausgleich für die mit dem Mehrheitsprinzip gegebene Mög- 1 lichkeit der Majorisierung, kann daher durch die Satzung nicht ausgeschlossen und nur im Rahmen des Abs II erschwert werden (vgl dazu BGH LM Nr 2 zu § 39; Reichert Rn 1083, 1105ff), auch nicht durch die Zahlungspflicht für bislang unentgeltlich erhaltene Leistungen (LG München I NJW 1987, 847). Eine Satzungsbestimmung, nach der bei Austritt Zahlungspflicht des Mitglieds für satzungsmäßige Zahlungen und Leistungen entstehen soll, ist unwirksam, ebenso Festsetzung eines „Austrittsgeldes“ (RG 33, 65, 130, 209) oder eine Bestimmung, nach der Wirksamkeit des Austritts von der Bezahlung aller bestehenden Verpflichtungen abhängt. Auch bei Time-sharing-Vereinen ist neben der Inhaltskontrolle der Satzungen (dazu § 25 Rn 4) das zwingende Austrittsrecht ein wichtiger Schutz (LG Stuttgart NJW-RR 1995, 1009; Hildenbrand NJW 1996, 3249). Die Rückzahlung eines Aufnahmebeitrags kann von der Werbung eines neuen Vereinsmitglieds abhängig gemacht werden, Brandenburg MDR 2005, 640; anders Stuttgart NJW-RR 1995, 1009. Möglich ist eine zwingende Anordnung von Förmlichkeiten der Austrittserklärung. 2. Austritt erfolgt durch einseitige zugangsbedürftige Erklärung des Austretenden ggü Vorstand, damit Aus- 2 scheiden des Austretenden aus dem Verein; zeitliche Aufschiebung im Rahmen des Abs II möglich, nicht aber Abhängigkeit von einer Annahme durch den Vorstand. Auch Schriftform der Austrittserklärung kann die Satzung vorsehen, die dann gewillkürte Form gem § 127 ist und durch Telefax eingehalten werden kann (BGH NJW-RR 1996, 866). In diesem Fall bleibt das Mitgliedschaftsverhältnis bis zum satzungsmäßigen Termin in vollem Umfang bestehen. Eine Austrittsfrist darf nicht so lang sein, dass das Austrittsrecht praktisch erheblich beschränkt wird (RG JW 1937, 3236 nimmt eine Maximalfrist von zwei Jahren an zust MüKo/Arnold Rn 7, was aber zu lang erscheint). Bei wichtigem Grund, der Verbleiben bis zum satzungsgemäßen Ausscheiden unzumutWestermann

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bar macht, sofortiges Ausscheiden möglich (BGH NJW 1954, 953; BGH 9, 157, 162; s auch Oldenburg OLGRp 2009, 612). Wegen der Zweckmäßigkeit und Verbindlichkeit von Austrittsfristen sind an die Gründe, die ein sofortiges Ausscheiden rechtfertigen, strenge Anforderungen zu stellen. Beitragserhöhungen oder die Erhebung vom Umlagen reichen nur, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Belastung, die mit dem Verbleiben bis zum nächsten satzungsmäßigen Kündigungstermin verbunden wäre, unzumutbar ist (LG Aurich Rpfleger 1987, 115f verneint dies zu Unrecht bei einer 83 % betragenden Beitragserhöhung eines Tennisclubs, s auch § 33 Rn 3 und AG Nürnberg Rpfleger 1988, 109). Bei Gewerkschaften will BGH NJW 1981, 340 eine mehr als halbjährige Frist wegen Art 9 III GG nicht hinnehmen, s auch AG Hamburg NJW 1987, 3380; fraglich aber, ob, etwa in entspr Anwendung des § 10 II 3 PartG, ein Gewerkschaftsmitglied immer sofort kündigen kann (so AG Ettenheim NJW 1985, 979; ähnlich AG Köln NJW 1987, 2450, das bei Zusammenarbeit der Gewerkschaft mit der DKP auch einen wichtigen Grund zu fristloser Kündigung als gegeben ansah; abl Pal/Ellenberger Rn 3). 3. Wirkung. Trotz des Ausscheidens ist eine gewisse Fortwirkung mancher Treuepflichten (Schweigepflicht) und einer Schiedsklausel für entstandene Rechte und Pflichten möglich (RG 113, 321). Der Ausscheidende hat keinen Auseinandersetzungsanspruch (Gegensatz zu § 730 – Folge des nichtwirtschaftlichen Zwecks). BGH 48, 207. Keine Beitragspflicht eines ausgeschiedenen Mitglieds, wenn die Beiträge zwar vor dem Ausscheiden festgesetzt, aber erst danach fällig gestellt wurden (Soergel/Hadding Rn 9). Anders für bei Austritt schon fällige Verpflichtungen BGH 48, 207. II. Ausschluss. 1. Beendigung des Mitgliedschaftsverhältnisses durch körperschaftlichen Akt des Vereins (Flume, FS Bötticher, 101ff; Grunewald, Ausschluss, 39ff, s auch § 25 Rn 10, dort auch zur Kontrolle von Ausschließungsbeschlüssen) setzt wichtigen Grund voraus. Unstatthaft ist ein gruppenweiser Ausschluss von Mitgliedern, falls er individuelle Bewertung des einzelnen Mitgliedschaftsverhältnisses nicht zulässt (Köln NJW 1968, 992; näher Grunewald, Ausschluss, 119). Ausschluss erfolgt durch Beschl der Mitgliederversammlung, falls Satzung nicht Zuständigkeit eines anderen Organs vorsieht, der Betroffene kann nicht mitstimmen (Grunewald aaO, 119; Soergel/Hadding Rn 13 gegen Köln NJW 1968, 992). Beschl wird mit Bekanntgabe an Ausgeschlossenen wirksam (str), er kann nur von einfach feststellbaren Bedingungen abhängig gemacht werden, KG OLG 22, 115. Er setzt Mitgliedschaft voraus, ist also nicht mehr nach wirksamem Austritt möglich, fraglich ein Feststellungsurteil, dass ohne Austritt Ausschluss erfolgt wäre (dagegen RG 122, 266), das aber noch zw Austrittserklärung und -wirkung zulässig ist (RG JW 1927, 2996). Satzungsbestimmungen, die denjenigen, der sich durch Austritt dem Ausschluss entzieht, als ausgeschlossen behandeln, sind nichtig (RG 143, 1), desgl solche mit Verbot des Austritts nach Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens (RG 108, 160). Die Satzung kann aber Tatbestände bestimmen, bei deren Eintreten die Mitgliedschaft automatisch endet (Reichert Rn 1134; Grunewald, Ausschluss, 202). Verschulden ist wegen der Funktion des Ausschlusses, für das Vereinsleben nicht tragbare Mitglieder zu entfernen, nicht unbedingt erforderlich, kann aber für die Abwägung eine Rolle spielen (vgl BGH 29, 352 m zust Anm Fischer LM zu § 25 Nr 3; BGH NJW 1973, 35). 2. Satzungsmäßige Regelung des Ausschlusses bzgl Voraussetzung und Verfahren ist möglich, etwa Anordnung automatischen Ausscheidens bei Säumnis mit dem Beitrag, dauerhaftem Fernbleiben von Vereinsveranstaltungen, zurückhaltend aber Saarbrücken NJW-RR 1994, 251 (Verweigerung der Kosten für Jugendtraining der minderjährigen Kinder des Mitglieds). Zu Kontrollmaßstäben eines Gerichts § 25 Rn 4, 5. Ausgeschlossenes Mitglied kann mit Feststellungsklage das Fortbestehen der Mitgliedschaft feststellen lassen (nicht Freiwilligkeit des Austritts, da dann kein Rechtsverhältnis iSd § 256 ZPO Streitgegenstand ist), RG JW 1926, 2283; bei unzutreffender Behauptung des Ausschlusses, die einen Angriff auf die Mitgliedschaft darstellt, Klage auf Unterlassung und Schadensersatz nach allg Gesichtspunkten (RG JW 1929, 248 und RG 143, 6, s. auch § 38 Rn 9). Ausschluss wegen Unterstützung einer anderen als von der Gewerkschaft aufgestellten Liste zur Betriebsratswahl ist nicht schlechthin wegen Verstoßes gegen § 20 II BetrVG unwirksam, maßgebend ist vielmehr, ob in dem Handeln des Ausgeschlossenen ein Verhalten liegt, das mit der satzungsmäßigen Zielsetzung unvereinbar ist und die weitere Mitgliedschaft des Ausgeschlossenen für die Gewerkschaft unerträglich macht (BGH 45, 314; 71, 126; NJW 1981, 2178; JZ 1984, 186; WM 1991, 948; krit Säcker/Ranke AuR 1981, 1; differenzierend Reuter JZ 1985, 537, s aber auch die Angaben in § 25 Rn 11). Ausschluss aus einer Gewerkschaft wegen aktiver Zugehörigkeit zu einer gewerkschaftsfeindlichen Partei ist möglich (BGH NJW 1973, 35), s auch BGH 93, 151ff zur Ablehnung der Aufnahme aus diesem Grund (näher § 38 Rn 6). IÜ unterliegt Entscheidung über Ausschluss aus Gründen, die nicht mit Kandidatur für gewerkschaftsfremde Liste zusammenhängen, keiner weitergehenden Beschränkung als sonstige Entscheidungen über Ausschluss (BGH 102, 265; klarstellend BGH WM 1991, 948 m Bespr Wank JR 1994, 367; s auch § 25 Rn 11). Ausschluss aus einer politischen Partei richtet sich nach § 10 IV PartG, wobei als „schwere Schäden“ auch Einbußen am Ansehen und an Wahlchancen anzusehen sind, BGH NJW 1994, 2610. Bei der Beurteilung von politisch-inhaltlichen Aspekten des Verhaltens, namentlich der Äußerungen des Mitglieds, sind als verfassungsrechtlich geschützte Güter die Meinungs- und die Vereinigungsfreiheit zu berücksichtigen, während bei politisch neutralen (oder sich so gebenden) Vereinen ein letztlich doch allgemeinpolitischer Tendenzschutz nicht durch Vereinsausschluss durchgesetzt werden sollte (anders i Erg LG Bremen NJW-RR 2013, 1123 zum Ausschluss eines NPD-Mitglieds aus Sportverein; zum ganzen Ullrich JZ 2014, 1084 ff, s auch Rn 7 zum Ausschluss ohne satzungsmäßige Grundlage). 3. Ohne satzungsmäßige Grundlage ist Ausschluss aus wichtigem Grund möglich, der Verein muss die Möglichkeit der Lösung des Mitgliedschaftsverhältnisses bei unheilbarer Zerrüttung des persönlichen Verhältnisses 172

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haben; der körperschaftlichen Natur des Vereins entspr tritt der Ausschluss an die Stelle der Kündigung. Wichtiger Grund ist gegeben, falls nach Art des Körperschaftsverhältnisses Lösung erforderlich ist; dafür von Bedeutung: Enge der körperschaftlichen Beziehung, Verbindung des Grundes mit Vereinszweck (zum Ausschluss aus Umweltschutzverein Frankfurt NJW-RR 1991, 1276). Nachschieben von Gründen nicht möglich, da Mitgliederversammlung zunächst über den Grund entscheiden muss, s Hamm NJW-RR 2001, 1480; BGH 102, 265, 273. Sonst Behandlung wie in Rn 4 ausgeführt.

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Nachgiebige Vorschriften

Die Vorschriften des § 26 Absatz 2 Satz 1, des § 27 Absatz 1 und 3, der §§ 28, 31a Abs. 1 Satz 2 sowie der §§ 32, 33 und 38 finden insoweit keine Anwendung als die Satzung ein anderes bestimmt. Von § 34 kann auch für die Beschlussfassung des Vorstands durch die Satzung nicht abgewichen werden. Die Vorschrift legt Umfang und Grenzen der Satzungsdispositivität fest. Diese kann aber im Einzelfall auch un- 1 ter Gesichtspunkten der Inhaltskontrolle und der Treupflicht eingeschränkt sein. Zu den Abbedingungsmöglichkeiten und ihren Grenzen s Erläuterungen der genannten Vorschriften.

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Auflösung des Vereins

Der Verein kann durch Beschluss der Mitgliederversammlung aufgelöst werden. Zu dem Beschluss ist eine Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen erforderlich, wenn nicht die Satzung ein anderes bestimmt. 1. Auflösung bedeutet Wegfall des Vereins als Rechtssubjekt und als Personenvereinigung, steht also im Gegen- 1 satz zur Entziehung der Rechtsfähigkeit in §§ 42, 43, bei der die Personenvereinigung als nicht rechtsfähige erhalten bleibt. Dies kann auch durch eine Löschung im Register verursacht werden (Oetker NJW 1991, 389). Eine Auflösung kann sich auch aus einer Sitzverlegung ins Ausland ergeben, zur europarechtlichen Lage s Vor § 21 Rn 14. Ob bei Eintreten von Auflösungsgründen ein Liquidationszwang besteht, ist bei § 47 zu behandeln. Zur Wirkung der Auflösung und des Verlusts der Rechtsfähigkeit Rn 6 und § 43 Rn 3. 2. Eine Beendigung des Vereins ohne vorherige Auflösung kann nach dem UmwG durch Verschmelzung ge- 2 schehen; hiernach bestehen auch für den Verein Formen des Formwechsels und der Spaltung unter vollständiger oder teilw Gesamtrechtsnachfolge und einer identitätswahrenden Umwandlung. Nach § 3 I Nr 4 UmwG kann ein nichtwirtschaftlicher Verein sowohl übertragender als auch aufnehmender Rechtsträger im Rahmen einer Verschmelzung sein, mit der Maßgabe (§ 99 II UmwG), dass ein eV durch Verschmelzung nur andere eV aufnehmen, mit ihnen einen neuen eV, aber nicht einen Rechtsträger anderer Rechtsform aufnehmen (Registeranmeldung bei beiden Vereinen, Bamberg NZG 2012, 1268) oder gründen kann. Danach ist auch die Verschmelzung mehrerer bestehender Vereine auf einen hierdurch neu zu gründenden eV möglich; Schwierigkeiten bestehen bei der Verschmelzung von eV auf Kapitalgesellschaften oder Personenhandelsgesellschaften, indem der eV nur als übertragender Rechtsträger in Betracht kommt und beim Formwechsel nur der Weg in eine Kapitalgesellschaft einschl der Genossenschaft möglich ist, §§ 99 II, 149 II, 272 I UmwG (dazu näher Katschinski, Die Verschmelzung von Vereinen 1999, 88ff; Hennrichs, in Lutter, UmwG5 2014, § 99 Rn 17). Nach §§ 3 I Nr 4, 124 I, 191 I Nr 4 UmwG kann ein wirtschaftlicher Verein gem § 22 nur übertragender oder formwechselnder Rechtsträger sein. Der in § 99 I UmwG für den eV vorgesehene Vorbehalt, dass die Satzung einer Verschmelzung nicht entgegenstehen darf, hat zur Folge, dass vor einer Verschmelzung eine entgegenstehende Satzungsbestimmung beseitigt werden muss, was aber praktischerweise zugleich mit der korrekt beschlossenen Verschmelzung ins Register sollte eingetragen werden können (Katschinski aaO, 32f). Der Verschmelzungsvertrag ist von den Vorständen der an der Verschmelzung beteiligten Vereine auszuarbei- 3 ten, schriftlich zu erläutern und durch unabhängige Sachverständige zu prüfen, wenn mindestens 10 % der Mitglieder dies verlangen (§§ 8–12, 100 UmwG). Dem Vertrag müssen, wenn er wirksam werden soll, die Mitgliederversammlungen in notariell zu beurkundendem Beschl zustimmen (§ 65 UmwG). Die Verschmelzung ist zum Register anzumelden und wird zuerst beim übertragenden, sodann beim übernehmenden Rechtsträger eingetragen, mit der zweiten Eintragung treten gem § 20 UmwG die Verschmelzungsfolgen ein. Da die Mitgliedschaft beim eV keinen wirtschaftlichen oder gar kapitalistischen Charakter hat, braucht der Verschmelzungsvertrag Angaben über ein Umtauschverhältnis von Anteilen nicht zu enthalten, wohl aber solche zur Mitgliedschaft der Mitglieder der durch die Verschmelzung untergehenden Vereine am übernehmenden Rechtsträger, s § 5 I Nr 3 UmwG und dazu Kallmeyer/Willemsen UmwG, § 5 Rn 21. Dabei muss gesichert werden, dass die Mitgliedschaftsrechte der Mitglieder eines untergehenden Vereins am aufnehmenden bzw neu gegründeten Rechtsträger ihrem Beitrag zu Vermögen und Aktivitäten des neuen Rechtsträgers entsprechen. Im Verhältnis zu den Rechten der Mitglieder eines übernehmenden Rechtsträgers gilt das Gleichbehandlungsgebot (Katschinski aaO, 81). Soweit dies nicht möglich ist, kann der Zustimmungsbeschluss der Mitglieder eines übertragenden Vereins über das Bedenken hinweghelfen; Mitglieder mit Sonderrechten (§ 35) müssen, wenn sie die Rechte verlieren sollen, zustimmen, andernfalls bedarf es der Zustimmung der Mitglieder eines aufnehmenden Vereins. Soweit nach der Satzung des übertragenden Vereins Mitglieder einer Übertragung der Anteile zustimmen müssen (§ 38 Rn 2), bedarf es der Zustimmung dieser Personen in der Mitgliederversammlung, ebenso, wenn Mitglieder eines übertragenden Vereins im neuen Rechtsträger eine mit Haftungsfolgen versehene Mitgliedschaft übernehmen sollen Westermann

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(Katschinski aaO, 158). Auch ein Verschmelzungsbericht an die Mitglieder beider Vereine ist bei notariell beurkundeten Verzichtserklärungen entbehrlich (Wagner NZG 2015, 1383). Die Zustimmungsbeschlüsse können nach § 103 S 1 UmwG (satzungsdispositiv) mit 3/4-Mehrheit gefasst werden. Für den Inhalt des Verschmelzungsvertrags stellt § 5 I Nr 2 UmwG „Anteile“ und „Mitgliedschaften“ gleich, näher Drygala in Lutter, UmwG5 2014, § 5 Rn 17. Für eine Verschmelzung zur Neugründung fordert § 37 UmwG, dass der Verschmelzungsvertrag die Satzung des neuen Rechtsträgers feststellt, die dann durch die Zustimmungsbeschlüsse der Mitgliederversammlungen und die Eintragung wirksam wird; zur Registeranmeldung § 38 UmwG. Auch eine Spaltung eines eV auf mehrere übernehmende oder hierbei neu gegründete Rechtsträger, durch die der übertragende Rechtsträger erlischt, sowie eine Abspaltung durch Übertragung von Teilen seines Vermögens auf eine oder mehrere aufnehmende oder neu gegründete Rechtsträger, bei der der übertragende Verein bestehen bleibt, schließlich eine Ausgliederung durch Übertragung von Vermögensteilen auf aufnehmende oder neu gegründete Rechtsträger, an denen dann der übertragende eV Mitgliedschaftsrechte erwirbt, lassen § 123 UmwG für den eV und § 124 UmwG für den wirtschaftlichen Verein zu. Hierdurch lässt sich grundsätzlich auch eine partielle Rechtsnachfolge nach Maßgabe der durch die Spaltung oder Ausgliederung verteilten Vermögensgüter erreichen. Schließlich ist auch ein Formwechsel eines eV möglich, nach §§ 272ff UmwG allerdings nur in eine Kapitalgesellschaft oder eingetragene Genossenschaft. 3. Auflösungsgründe sind: Zeitablauf (§ 74 II) oder Eintritt einer satzungsmäßig vorgesehenen auflösenden Bedingung, hauptsächlich aber Beschl der Mitgliederversammlung als Akt der Vereinsautonomie. Zuständigkeit der Mitgliederversammlung zwingend, Einzelheiten durch Satzung zu regeln. Daneben Begründung eines Auflösungsrechts für andere Stellen denkbar, nicht aber der Mitgliederversammlung ganz entziehbar, zu den Grenzen der Übertragung auf Dritte § 25 Rn 2a. Umstr, ob neben der Entscheidung der Mitgliederversammlung, sogar einer einstimmigen, noch die Zustimmung eines Dritten verlangt werden kann (dafür MüKo/Arnold Rn 15 bei Mehrheitsentscheidung), anders, wenn der die Auflösung Ablehnende als Mitglied ein diesbezügliches Sonderrecht hat. Auflösungsgrund auch Wegfall aller Mitglieder (BGH 19, 51; BB 1965, 1267; BAG JZ 1987, 420; zu den Folgen Rn 6). Bei Wegfall bis auf ein Mitglied aber Fortbestand möglich (BGH LM zu § 21 Nr 2, vgl aber § 73). Dagegen führt Unmöglichwerden des Zwecks wegen der damit verbundenen Gefahr der Rechtsunsicherheit nicht zum automatischen Wegfall, zumal Erhaltung des Vereins mit geändertem Zweck möglich ist (BGH 49, 175). Selbst wenn die Satzung bei Erreichen oder Unmöglichwerden des Zwecks Auflösung vorsieht, bedarf es hierzu eines Beschl der Mitgliederversammlung (Staud/Weick Rn 7). Erst bei endgültiger Aufgabe des Vereinszwecks soll der Verein liquidationslos erlöschen (BGH WM 1976, 686), doch sollte gerade dies Gegenstand eines Beschl sein, wodurch dann der Verein ins Liquidationsstadium treten kann. 4. Wirkung der Auflösung ist Eintritt ins Liquidationsverfahren; der Verein kann jedoch mit satzungsändernder Mehrheit Fortsetzung beschließen, wenn Auflösungsreife beseitigt wird (Soergel/Hadding Rn 23; BaRo/Schöpflin Rn 20), falls die Satzung nichts anderes bestimmt. Fortbestehen der Rechtsfähigkeit für das Abwicklungsverfahren ist allg Grundsatz (BGH MDR 1958, 756). Bei Wegfall aller Mitglieder nimmt hM Erlöschen ohne Liquidation an, § 49 II gelte nicht, der Verein sei weder vermögens- noch insolvenzfähig (s aber § 42) und müsse durch Pfleger gem § 1913 abgewickelt werden (BGH 19, 51; BAG JZ 1987, 420; Köln NJW-RR 1996, 989; Staud/Weick Rn 12); stehen die Umstände fest, erfolgt Amtslöschung gem § 395 FamFG (PWW/Schöpflin Rn 5). Dies schafft die Gefahr einer willkürlichen Vollbeendigung ohne Liquidation und unter Anfall des Vereinsvermögens an den Fiskus nach § 45 III, die nicht unbedingt dem satzungsmäßigen Zweck entspricht. Auch wird ein uU angebrachtes Insolvenzverfahren ausgeschaltet. Daher ist mit K. Schmidt JZ 1987, 394 Ausscheiden (auch: durch Tod) aller Mitglieder zwar als Auflösungstatbestand, aber nicht als Beseitigung des Rechtssubjekts aufzufassen, so dass Abwicklung durch Vorstand oder Insolvenzverfahren stattfinden kann (so auch MüKo/Arnold Rn 5; NK/Heidel/ Lochner Rn 21). Fehlt es an Vorstandsmitgliedern, so ist nach § 29 vorzugehen, der Notvorstand kann uU neue Mitglieder finden, die satzungsmäßige Regeln über die Beendigung des Vereins beschließen können. Neuer Verein ist keine Fortsetzung, sondern Neugründung, noch nicht durchgeführter Auflösungsbeschluss kann aber rückgängig gemacht und alter Verein mit Erhaltung der Identität fortgesetzt werden (LG Frankenthal Rpfleger 1955, 106; s auch K. Schmidt aaO). 5. Ein Verzicht des Vereins auf die Rechtsfähigkeit ist als Minus zum Auflösungsbeschluss möglich und entspr § 41 zu behandeln, der Verein besteht dann als nicht rechtsfähiger weiter, der Verzichtsbeschluss kann durch die Mitglieder wieder aufgehoben werden, wobei in dem Verzicht eine Satzungsregelung liegen kann. Der Fortbestand ist vor allem wegen des Minderheitenschutzes in § 41 angebracht (näher Kollhosser ZIP 1984, 1434, 1436). Beim wirtschaftlichen Verein ist zu beachten, dass der Verlust der Rechtsfähigkeit den Verein den handelsrechtlichen Personenvereinigungen zuordnet. Zu den Folgen des Verzichts § 47 Rn 2; zur Entziehung der Rechtsfähigkeit § 43.

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(1) Der Verein wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und mit Rechtskraft des Beschlusses, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen worden ist, aufgelöst. Wird das Verfahren auf Antrag des Schuldners eingestellt oder nach der Bestätigung eines Insolvenzplans, der den Fortbestand des Vereins vorsieht, aufgehoben, so kann die Mitgliederversammlung die Fortsetzung des Vereins beschließen. Durch die Satzung kann bestimmt werden, dass der Verein im Falle der Eröffnung des 174

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Juristische Personen – Vereine

§ 42

Insolvenzverfahrens als nicht rechtsfähiger Verein fortbesteht; auch in diesem Falle kann unter den Voraussetzungen des Satzes 2 die Fortsetzung als rechtsfähiger Verein beschlossen werden. (2) Der Vorstand hat im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Wird die Stellung des Antrags verzögert, so sind die Vorstandsmitglieder, denen ein Verschulden zur Last fällt, den Gläubigern für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich; sie haften als Gesamtschuldner. 1. Entspr der Rechtslage bei der OHG und den Kapitalgesellschaften führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw die Nichteröffnung mangels Masse zur Auflösung, nicht lediglich zum Verlust der Rechtsfähigkeit; anstelle einer Liquidation findet das Insolvenzverfahren statt, innerhalb dessen der Verein rechtsfähig und die Organe handlungsfähig bleiben, allerdings mit der Einschränkung gem § 80 InsO. Die Beitragspflicht der Mitglieder endet vorbehaltlich einer abw Satzungsregelung (BGH 96, 253, 256 zum Konkurs nach altem Recht). Die Regeln gelten auch für den nicht eingetragenen Verein, was aus § 11 I 2 InsO gefolgert wird (Rugullis DZWIR 2008, 404ff); zum wirtschaftlichen Verein BGH ZIP 2007, 1462. Die Auflösung kann unter den in Abs I S 2 genannten Voraussetzungen durch die Mitgliederversammlung in Gestalt eines Fortsetzungsbeschlusses rückgängig gemacht werden, besonders auch nach Aufhebung des Verfahrens unter den in Abs 1 S 2 genannten Voraussetzungen. Die Mehrheitserfordernisse hierfür sind im Gesetz nicht angesprochen, so dass wohl von § 32 I 3 auszugehen ist, Stöber/Otto Rn 1169. Die Mitgliederversammlung kann auch auf der Grundlage einer satzungsmäßigen Gestattung die Fortsetzung als nicht rechtsfähiger Verein beschließen, mit der weiteren Maßgabe (§ 49 II), dass der Verein als fortbestehend gilt, soweit der Abwicklungsanspruch es erfordert (BAG ZIP 2001, 129 m Anm Bezani EWiR 2001, 443 und Anm Reuter DZWIR 2001, 242). Damit besteht auch die Mitgliedschaft zunächst fort (BGH 96, 253; Staud/Weick Rn 3, 11), desgleichen die Möglichkeit (eines in der Insolvenz befindlichen Sportvereins), Teilnahmerechte am Wettbewerb einer „Bundesliga“ zu verwerten (BGH ZIP 2001, 889 m Anm Mohrbutter WuB VI B § 37 KO 1.01 und Stürner LM KO § 32 Nr 15). Später, wenn die Voraussetzungen des Abs I S 2 eintreten (Verfahrenseinstellung auf Antrag des Schuldners, womit die Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrunds gem § 212 InsO gemeint ist, oder Aufhebung nach Bestätigung eines Insolvenzplans gem § 258 InsO), kann wiederum die Fortsetzung als rechtsfähiger Verein beschlossen werden. Fehlt es an einer entspr Satzungsbestimmung, hat dies nach dem Wortlaut nur zur Folge, dass der Verein im Liquidationsstadium nicht als nicht rechtsfähiger Verein fortgeführt wird, was aber dem begrenzten Fortbestand nicht im Wege stehen kann. Eine Neugründung braucht nicht stattzufinden, wenn die in Abs I S 2 genannten Voraussetzungen vorliegen, andernfalls bedürfte es einer Satzungsänderung, die auch im Insolvenzverfahren möglich ist (MüKo/Arnold Rn 5). Allerdings ist der Fortbestand als nicht rechtsfähiger Verein wegen seiner Identität mit dem rechtsfähigen aus Haftungsgründen (§ 54 Rn 9) für die Mitglieder bedenklich, wenn noch Verbindlichkeiten verblieben sind; s auch BGH ZIP 2001, 889, uU empfiehlt sich eine Neugründung (MüKo/Arnold Rn 11; Reichert Rn 4406). Die Fortsetzung aufgrund eines Beschlusses ist mit deklaratorischer Wirkung im Register einzutragen (MüKo/Arnold Rn 12). 2. Die Auflösungswirkung tritt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein, die gem § 75 von Amts wegen im Register einzutragen ist, die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts muss nach § 31 Nr 2 InsO dem Registergericht eine Ausfertigung des Beschlusses zuleiten (Pal/Ellenberger Rn 1). Der Verein ist Gemeinschuldner, das gesamte Vereinsvermögen fällt in die Insolvenzmasse. Bei Einstellung des Verfahrens kein automatisches Aufleben des Vereins; wird kein Fortsetzungsbeschluss gefasst, müsste sich das Liquidationsverfahren anschließen, doch hat nach § 199 S 2 InsO iVm § 47 Hs 1 der Insolvenzverwalter nach Beendigung des Insolvenzverfahrens etwaige Überschüsse an die Anfallberechtigten zu verteilen. Die Mitglieder können aber, auch um nicht nach den Regeln über den nicht rechtsfähigen Verein zu haften, eine Liquidation betreiben und anschließend neu gründen. Wenn es in der Satzung so vorgesehen ist, kann auch durch Beschluss der Mitgliederversammlung der Verein als nicht rechtsfähiger fortgesetzt werden, nach Abschluss des Insolvenzverfahrens kann er dann wieder durch Beschluss Rechtsfähigkeit erlangen (Stöber/Otto Rn 1173). 3. Eröffnungsgründe sind Zahlungsunfähigkeit (§ 17 I InsO), bei eigenem Antrag des Schuldners auch drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 I InsO), beim eV auch Überschuldung (§ 19 I InsO). Letztere liegt vor, wenn der Zeitwert des Aktivvermögens die Verbindlichkeiten nicht deckt (Köln NJW-RR 1998, 686). Die Regelung des § 19 II S 1 Hs 2 InsO, wonach bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners uU die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen ist, kommt beim eV, der nicht wirtschaftliche Zwecke verfolgt, nicht in Betracht. Antragsrecht haben gem § 15 I, II InsO beim eV und auch beim nicht rechtsfähigen Verein außer Gläubigern auch alle Mitglieder des Vertretungsorgans einschl des Liquidators (für den nicht rechtsfähigen Verein näher Rugullis DZWIR 2008, 404, 406), gem § 15 II InsO genügt die Stellung durch einzelne Mitglieder, wenn der Eröffnungsgrund glaubhaft gemacht wird; freilich hat das Insolvenzgericht dann alle übrigen Mitglieder des Vertretungsorgans zu hören (§ 15 II 2 InsO). Wegen drohender Zahlungsunfähigkeit kann der Antrag allerdings nur von Mitgliedern eines Vertretungsorgans gestellt werden, die allein zur Vertretung berechtigt sind (§ 18 III InsO). 4. Die Antragspflicht jedes einzelnen Vorstandsmitglieds ist in § 15a I InsO auf Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit bezogen. Diese Umstände festzustellen, ist für Vereine, die nicht nach bilanzrechtlichen Regeln Rechnung legen, uU schwierig, doch müssen die Vorstände auf Anzeichen einer Krise achten und sich notfalls sachverständiger Hilfe bedienen; die Beobachtungspflicht bleibt auch nicht ressortzuständigen Vorstandsmitgliedern nicht erspart (zu den Pflichten eingehend Grunewald/Hennrichs, FS Hopt, 2010, 93ff). Dass drohende Westermann

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Zahlungsunfähigkeit nicht als Grund für eine Insolvenzantragspflicht genannt ist, bedeutet, dass der Vorstand sich für einen Insolvenzantrag entscheiden kann, dies aber nicht muss (Rugullis NZI 2007, 323, 324). Bei einer solchen Lage des Vereins wären die an die Unterlassung des Eröffnungsantrags geknüpften Folgen unangebracht. Zur Verpflichtung und Haftung der Liquidatoren § 53. Die Ersatzpflicht, die nach ausdr Gesetzeswortlaut ggü den Vereinsgläubigern besteht, so dass es eines Rückgriffs auf § 823 II nicht bedarf (Staud/Weick Rn 10; BaRo/ Schöpflin Rn 13; NK/Eckardt Rn 46; für deliktische Qualifikation Haas SpuRt 1999, 1, 4), setzt in jedem Fall Verschulden voraus. Fahrlässigkeit kann etwa darin liegen, trotz deutlicher Anzeichen nicht für die Erstellung einer Überschuldungsbilanz zu sorgen (NK/Eckardt Rn 45; zu den Einzelheiten der diesbezüglichen Bilanz Crezelius, FS Röhricht, 2005, 787ff). In den Fällen des § 31a II 1 müsste das Vorstandsmitglied gegen den Verein einen Freistellungsanspruch haben (§ 31a Rn 3), trägt also das Insolvenzrisiko (Leuschner NZG 2014, 281, 283), was aus Sicht der Vereine als verfehlt kritisiert wird (Kreutz DZWIR 2013, 497, 503f). Zu billigen, wenn auch nicht als gesichert anzusehen ist die Ansicht (Hamm OLGRp 2001, 265; s auch Köln WM 2006, 2006), dass der Vereinsgläubiger, der in Kenntnis der Insolvenzreife des Vereins mit diesem kontrahiert, keinen Anspruch nach § 42 II 2 gegen den Vorstand hat. Die frühere Rspr beschränkte die Haftung wie bei der GmbH auf den Quotenschaden, der durch die infolge des verspäteten Antrags verringerte Haftungsmasse entstand (BGH NJW 1998, 3277). Dies gilt jetzt nur noch für Altgläubiger, deren Forderung schon bei Insolvenzreife bestand, während der Anspruch von Neugläubigern vertraglicher Ansprüche nach der zu § 64 GmbHG ergangenen Rspr (BGH 126, 181, 194; Bork ZGR 1995, 505; Hirte NJW 1995, 1202) dahin geht, so gestellt zu werden, als sei es nicht zu Geschäften mit dem Verein gekommen, BGH 164, 50, 61; NZG 2003, 923; gegen die Beschränkung auf Vertragsgläubiger MüKo/Arnold Rn 20. Die hierin liegende Haftungsverschärfung, vor allem bei Sanierungsversuchen (andere Bewertung bei Wischemeyer DZWIR 2005, 230, 234) soll auf den Verein übertragen werden (Köln NJW-RR 1998, 686; Haas SpuRt 1999, 1, 4; Reichert Rn 3734; BaRo/Schöpflin Rn 10). Die Entwicklung im GmbH-Recht ist weiter gegangen, indem BGH 138, 311 und ZIP 2003, 1005 die Haftung aus § 64 Abs II GmbHG (Zahlungsverbot) stärker ausgebaut haben (krit K. Schmidt ZHR 168, 637ff). Die Überlegungen, diese Vorschrift im Vereinsrecht entspr anzuwenden (so Passarge ZInsO 2005, 176; dagegen Koza DZWIR 2008, 98), sind von Hamburg NZG 2009, 1036 und Karlsruhe NZG 2009, 998 mit gründlichen Erwägungen zur Planwidrigkeit der hier angeblich vorliegenden Gesetzeslücke verworfen worden, ebenso unter Einbeziehung der forensischen Probleme H.P. Westermann, FS v Westphalen, 2000, 755, 765ff, 770ff. Dem hat sich BGH NZG 2010, 711 angeschlossen, zust Grunewald/Hennrichs S 105f; Müller ZIP 2010, 153, 158; Wagner NZG 2015, 1384 f.; PWW/Schöpflin Rn 3; MüKo/Arnold Rn 22; krit Reuter NZG 2010, 808ff wegen Gleichartigkeit der Interessenlage, die freilich kaum allg bejaht werden kann. Für den wirtschaftlichen Verein kommt eine Analogie eher in Betracht. Der Vorstand kann sich auch ggü dem Verein ersatzpflichtig machen. § 42 Abs II 1 bestimmt auch die Pflichten als Organ, so dass nach § 280 gehaftet wird (NK/Eckardt Rn 48; MüKo/ArnoldRn 24), doch ist zumindest beim reinen Idealverein zu prüfen, ob sich nicht aus der Satzung oder dem Anstellungsvertrag eine Haftungserleichterung ergibt, für reduzierten Sorgfaltsmaßstab auch Grunewald/Hennrichs aaO Rn 6, S 106ff.

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Personen

Entziehung der Rechtsfähigkeit

Einem Verein, dessen Rechtsfähigkeit auf Verleihung beruht, kann die Rechtsfähigkeit entzogen werden, wenn er einen anderen als den in der Satzung bestimmten Zweck verfolgt. 1. Die Vorschrift bringt die aus Sicherheitsgründen nötige Einschränkung der Vereinsfreiheit und sichert gegen Verfolgung wirtschaftlicher Zwecke in der Form des eV. Die früher relevante Entziehung der Rechtsfähigkeit eines Idealvereins wegen der Verfolgung gesetzwidriger Zwecke konnte zur Folge haben, dass ein solcher Verein als nicht rechtsfähiger fortbestand; man kann die Neuregelung durch die Reform von 2009 daher so verstehen, dass nun gegen diese Vereine nur noch nach § 395 FamFG vorzugehen ist (Müko/Arnold Rn 2; Pal/Ellenberger Rn 39). Manchmal werden diese Zwecke auch durch eine Auflösung gem § 3 VereinsG erreicht. Der Vergleich der tatsächlich verfolgten mit den satzungsmäßigen Zwecken wird nicht immer ganz eindeutig ausfallen, deshalb liegt es nahe, der Behörde einen Ermessenspielraum für die Prüfung zuzubilligen, ob im Einzelfall der Entzug der Rechtsfähigkeit mit der Folge der Liquidation geboten ist (VG Hamburg NJW 1996, 3363; BayObLG Rpfleger 1986, 528; näher Böttcher Rpfleger 1988, 170; Soergel/Hadding Rn 6; dagegen MüKo/Arnold §§ 43, 44 Rn 5). Das BVerwG (NJW 1998, 1166) ließ einen Ermessensspielraum nur für atypische Fälle gelten, beließ es aber bei der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde (für Übertragung auf die Registergerichte K. Schmidt NJW 1998, 1124ff). Der Zweckbegriff ist eng, denn hier soll Begrenzung auf den im Verleihungsverfahren festgelegten Zweck sichergestellt werden. 2.Zu den Folgen der Entziehung der Rechtsfähigkeit vgl § 47 Rn 1; falls die nicht rechtsfähige Personenvereinigung bestehen bleibt, ist sie mit dem alten rechtsfähigen Verein identisch (str). Neugründung ist also nicht nötig, Mitgliedschaften bleiben bestehen, Vermögen dann automatisch Gesamthandsvermögen der Mitglieder des nicht rechtsfähigen Vereins (vgl Soergel/Hadding § 43 Rn 7, § 45 Rn 10), die Haftungsfolgen sind für die Mitglieder zu bedenken, sonst gilt § 45.

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Juristische Personen – Vereine

§ 44

§ 46

Zuständigkeit und Verfahren

Die Zuständigkeit und das Verfahren für die Entziehung der Rechtsfähigkeit nach § 43 bestimmen sich nach dem Recht des Landes, in dem der Verein seinen Sitz hat. Die Zuständigkeit für das Verfahren richtet sich ausschließlich nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Län- 1 der (Übersicht über die in den Ländern zuständigen Behörden bei MüKo/Arnold §§ 43, 44 Fn 10), damit auch die Fragen des Rechtsschutzes, der über die Verwaltungsgerichte erfolgt. Die Entscheidung wirkt im ganzen Bundesgebiet. Die konstitutive Wirkung des Beschl tritt mit Rechtskraft ein.

§ 45

Anfall des Vereinsvermögens

(1) Mit der Auflösung des Vereins oder der Entziehung der Rechtsfähigkeit fällt das Vermögen an die in der Satzung bestimmten Personen. (2) Durch die Satzung kann vorgeschrieben werden, dass die Anfallberechtigten durch Beschluss der Mitgliederversammlung oder eines anderen Vereinsorgans bestimmt werden. Ist der Zweck des Vereins nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet, so kann die Mitgliederversammlung auch ohne eine solche Vorschrift das Vermögen einer öffentlichen Stiftung oder Anstalt zuweisen. (3) Fehlt es an einer Bestimmung der Anfallberechtigten, so fällt das Vermögen, wenn der Verein nach der Satzung ausschließlich den Interessen seiner Mitglieder diente, an die zur Zeit der Auflösung oder der Entziehung der Rechtsfähigkeit vorhandenen Mitglieder zu gleichen Teilen, anderenfalls an den Fiskus des Landes, in dessen Gebiet der Verein seinen Sitz hatte. 1. Die Vorschrift gilt direkt für alle Fälle der Auflösung und der Entziehung der Rechtsfähigkeit, entspr für sonstige Fälle der Beendigung des Vereins mit Liquidation (zur Insolvenz des Vereins s § 42), zum Schicksal des Vereins bei Wegfall aller Mitglieder s aber § 41 Rn 5. Anfall bedeutet nicht allg Erwerb des Vereinsvermögens im Wege der Gesamtnachfolge, also nicht bei Fortsetzung des Vereins nach Verlust der Rechtsfähigkeit, aber unter Wahrung seiner Identität, § 43 Rn 3, sondern im Rahmen der Liquidation (§ 47), die nur in diesem Fall durchzuführen ist (PWW/Schöpflin Rn 3). In diesem Zusammenhang entsteht ein Anspruch des Berechtigten gegen den Liquidationsverein auf Verschaffung des Überschusses nach Bezahlung der Schulden (vgl KGJ 25 A 130; 43 A 184; MüKo/Arnold §§ 45–47 Rn 4), also zB Auflassung erforderlich. Satzungsregelung gem Abs II ist zwingend erforderlich für Vereine, die steuerbegünstigte Zwecke verfolgen wollen, s §§ 55 I Nr 4, 61 AO. Der Erwerber haftet nicht für Schulden des Vereins, bzgl § 812 vgl zu § 51 und RG 124, 213 (str). Gesamtrechtsnachfolge mit Eintreten in Verbindlichkeiten aber bei Anfall an den Fiskus, § 46, das gilt auch für Auflösung durch Hoheitsakt, anders bei Vermögenseinziehung (KG 44, 117). Die §§ 45–47 sind bei Auflösung einer jur Pers des öffentlichen Rechts anwendbar, jedoch mit der Maßgabe, dass die Haftungsbeschränkung gem § 46 dem Fiskus nicht zugutekommt (BGH WM 1996, 1968). Das Anfallrecht ist entziehbar durch anderweitige Bestimmung des Anfallberechtigten (RG 169, 65, 82), die auch noch nach Eintritt ins Liquidationsverfahren möglich ist (RG JW 1935, 3636). Der Anfallberechtigte – nicht der Fiskus – kann den Anfall ablehnen. Die Nachfolge eines privatrechtlichen Verbands in die Funktionen einer anderen, nicht mehr bestehenden jur Pers des Privatrechts (Funktionsnachfolge) bewirkt nicht ohne besondere gesetzliche Regelung einen Vermögensübergang (KG NJW 1969, 752). 2. Bestimmung des Anfallberechtigten ist grds Sache des Vereins, also immer in der Satzung möglich. Satzung kann auch Mitgliederversammlung Recht auf Bestimmung einräumen, etwa zugunsten einer öffentlichen Anstalt oder Stiftung (MüKo/Arnold §§ 45 -47 Rn 7), nach verbreiteter Ansicht (Staud/Weick § 45 Rn 15; Soergel/Hadding § 45 Rn 6) auch zugunsten öffentlicher Körperschaft, sie kann auch das Vermögen dem als nicht rechtsfähig fortlebenden Verein zuweisen, dazu näher § 47 Rn 2. Bei Schweigen der Satzung: Beim Idealverein entspricht dem überpersönlichen Zweck die Möglichkeit, durch Beschl der Mitgliederversammlung Überweisung an öffentliche Stiftung (vgl Vor § 80 Rn 14) oder Anstalt vorzunehmen. Weite Bestimmung des Begriffs ist zweckmäßig, darunter fällt also auch Körperschaft des öffentlichen Rechts, zB Staat, Gemeinden usw. Entscheidend, dass nach Ansicht der Mitgliederversammlung diese Verwendung des Vermögens am besten dem Vereinszweck entspricht. Im Schrifttum wird zT die Regelung dahin verstanden, in diesen Fällen könne das Vermögen nur einer öffentlichen Stiftung oder Anstalt zugewiesen werden (NK/Eckardt Rn 11; Pal/Ellenberger Rn 4), was freilich der Wortlaut nicht hergibt. Bei ausschließlich selbstnützigen Vereinen besteht ein nur durch die Satzung entziehbares Recht des Einzelmitglieds auf Anfall; das entspricht dem eigennützigen Zweck des Zusammenschlusses. Bei Idealvereinen Anfall an den Fiskus. Auf diese Weise knüpft das Gesetz die Bestimmung des Anfallberechtigten an den aus dem Vereinszweck entnommenen fiktiven Willen der Mitglieder.

§ 46

Anfall an den Fiskus

Fällt das Vereinsvermögen an den Fiskus, so finden die Vorschriften über eine dem Fiskus als gesetzlichem Erben anfallende Erbschaft entsprechende Anwendung. Der Fiskus hat das Vermögen tunlichst in einer den Zwecken des Vereins entsprechenden Weise zu verwenden. Westermann

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Behandlung des Anfalls an den Fiskus als Erbe gilt in materieller und formeller Hinsicht, also Gesamtrechtsnachfolge, § 1922, Unmöglichkeit der Ausschlagung, § 1942 II, bzgl der Schuldenhaftung vgl §§ 2011, 780 ZPO sowie § 45 Rn 1. Der Fiskus kann aber die Haftung auf das Angefallene beschränken, BGH DtZ 1996, 344; MüKo/Arnold §§ 45–47 Rn 9. Die Feststellung des Anfalls durch den Fiskus obliegt dem Nachlassgericht (§ 1964), das aber nach Eintragung des Erlöschens im Vereinsregister zu prüfen hat, ob der frühere Verein in anderer Rechtsform weiterbesteht (KG ZErb 2011, 251; näher Stöber/Otto Rn 1126). Nach dem Zweck des § 1964 gilt § 46 auch für den satzungsmäßig bestimmten Anfall. Die Verwendungspflicht des S 2 löst als öffentlich-rechtl Auflage keine Klagemöglichkeit für die interessierten Privatpersonen aus; dagegen wollen Staud/Weick Rn 2 und MüKo/Arnold § 47 Rn 10 die Möglichkeit nach § 40 VwGO geben; wie hier Soergel/Hadding Rn 3; Reichert Rn 4120f; Pal/Ellenberger Rn 4. Die Freiheit des Vereins in der Bestimmung des Anfallberechtigten ist als Interessenschutz ausreichend.

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Liquidation

Fällt das Vereinsvermögen nicht an den Fiskus, so muss eine Liquidation stattfinden, sofern nicht über das Vermögen des Vereins das Insolvenzverfahren eröffnet ist. 1. Liquidation ist die geordnete Abwicklung der Vermögensverhältnisse mit dem Zweck der Befriedigung der Gläubiger und der Aushändigung des Überschusses an den Anfallberechtigten. § 47 soll im Zusammenhang mit § 41 verhindern, dass eine Auskehrung des Vereinsvermögens außerhalb einer Liquidation, deren Zwecke auch durch ein Insolvenzverfahren erreicht werden können, stattfindet. Dh aber auch, dass die Mitglieder nach Eintreten eines Auflösungstatbestandes die Fortsetzung des Liquidationsvereins als nicht rechtsfähiger Verein beschließen können, ohne dass eine Liquidation stattfindet, es gibt keinen Liquidationszwang (BaRo/Schöpflin § 41 Rn 4; MüKo/Arnold §§ 45–47 Rn 11; Staud/Weick Rn 5). Dasselbe sollte gelten, wenn der Verein unter den Voraussetzungen des § 21 durch Mitgliederbeschluss in einen werbenden rechtsfähigen Verein rückverwandelt wird. Zum Verzicht auf die Rechtsfähigkeit § 41 Rn 7. Bei alledem ist freilich der Gläubigerschutz zu beachten, zB bei Behandlung des Sperrjahres, dazu § 51; andererseits muss bei Vorliegen der Gründe eine Liquidation auch stattfinden, wenn keine Verbindlichkeiten vorhanden sind, BayObLG WM 1982, 1288; Stöber/Otto Rn 1130. Auf schwebende Geschäfte ist die Liquidation ohne Einfluss. Aktivprozesse mit nicht vermögensrechtlichem Streitgegenstand sind nicht fortzusetzen (RG JW 36, 2651), die Vorschrift führt jedoch nicht zum Verlust der (passiven) Parteifähigkeit für nicht vermögensrechtliche Streitigkeiten (Feststellungsklage im Kündigungsrechtsstreit und Zeugnisanspruch gegen liquidierte und gelöschte GmbH, BAG NJW 1982, 1831); anders bei Ansprüchen, deren Erfüllung Vermögensmasse erfordert (BGH 74, 212). Zur Liquidation aufgelöster Zweckverbände Sponer LKV 2009, 401ff. 2. Neben den Möglichkeiten zur Verschmelzung und Abspaltung von Vereinen nach UmwG (§ 41 Rn 2ff) kann es von Interesse sein, durch Verzicht auf die Rechtsfähigkeit eine Übertragung des Vereinsvermögens auf einen anderen rechtsfähigen Träger zu erreichen (näher § 41 Rn 7). Nach verbreiteter Meinung hat dies zur Folge, dass der rechtsfähige Verein nach den gesetzlichen Regeln zu liquidieren ist, und dass auch nach einem Beschl der Mitglieder über die Gründung eines nicht rechtsfähigen Vereins erst nach Einhaltung der Frist des § 51 das Vermögen auf den nicht rechtsfähigen Verein übertragen werden kann (Staud/Weick § 41 Rn 19; Sauter/Schweyer/ Waldner Rn 363). Daher soll eine Liquidation nach den gesetzlichen Regeln unterbleiben können, wenn die Mitglieder des nicht rechtsfähigen Vereins das Vermögen übernehmen. Nach der mit guten praktischen Gründen vertretenen „Identitätstheorie“ gilt dagegen § 47 für den Verzicht auf die Rechtsfähigkeit nicht, und eine Liquidation muss nicht stattfinden, weil der nach Verlust der Rechtsfähigkeit verbleibende nicht rechtsfähige Verein für die Verbindlichkeiten des eV uneingeschränkt haftet, so dass sich für die Gläubiger nichts ändert (Kollhosser ZIP 1984, 1434, 1438; NK/Eckardt Rn 5; s auch Soergel/Hadding Vor § 41 Rn 4; näher auch Schäfer RNotZ 2008, 22ff). Dies entspricht auch der Entwicklung vom nicht rechtsfähigen Verein zur jur Pers bei der Gründung (§ 21 Rn 11).

§ 48

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Personen

Liquidatoren

(1) Die Liquidation erfolgt durch den Vorstand. Zu Liquidatoren können auch andere Personen bestellt werden; für die Bestellung sind die für die Bestellung des Vorstands geltenden Vorschriften maßgebend. (2) Die Liquidatoren haben die rechtliche Stellung des Vorstands, soweit sich nicht aus dem Zwecke der Liquidation ein anderes ergibt. (3) Sind mehrere Liquidatoren vorhanden, so sind sie nur gemeinschaftlich zur Vertretung befugt und können Beschlüsse nur einstimmig fassen, sofern nicht ein anderes bestimmt ist. Liquidation ist Sache des Vereins; daher Durchführung durch Vereinsorgan, das ist grds der Vorstand. Die Bestellung anderer Personen nach Art der Vorstandsbestellung ist möglich und notwendig, falls der Vorstand sein Amt niedergelegt hat; tut er dies nicht, ist er zur Mitwirkung an der Liquidation verpflichtet, NK/Eckardt Rn 2; Pal/Ellenberger Rn 1, kann allerdings nicht auf seiner Zuständigkeit bestehen, wenn die Mitglieder andere Personen berufen, MüKo/Arnold Rn 1. Für Notfälle gilt § 29 (Reichert Rn 4168), auch § 27 II gilt. Der Liquidator kann auch eine juristische Person (etwa eine Kommune oder Kirchengemeinde) sein, Stöber/Otto Rn 1133. 178

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Juristische Personen – Vereine

§ 50

Die Stellung der Liquidatoren ergibt sich daraus, dass sie Vorstand des Vereins sind. Geschäftsführung und Ver- 2 tretungsmacht sind auf Abwicklungszweck beschränkt, deshalb ist die Gesamtgeschäftsführung und -vertretung hinnehmbar, den Liquidatoren kann aber – auch durch Mitgliederbeschluss – Einzelvertretung eingeräumt werden (Soergel/Hadding Rn 6; Sauter/Schweyer/Waldner Rn 411), zur Passivvertretung s § 26 Rn 4. Das Bestellungsorgan kann Liquidatoren jederzeit auch ohne wichtigen Grund abberufen (Reichert Rn 4177), es sei denn, einer der Liquidatoren übt das Amt kraft Sonderrechts (§ 35) aus – Haftung für die Liquidatoren nach § 31. Für Eintragung vgl § 76.

§ 49

Aufgaben der Liquidatoren

(1) Die Liquidatoren haben die laufenden Geschäfte zu beendigen, die Forderungen einzuziehen, das übrige Vermögen in Geld umzusetzen, die Gläubiger zu befriedigen und den Überschuss den Anfallberechtigten auszuantworten. Zur Beendigung schwebender Geschäfte können die Liquidatoren auch neue Geschäfte eingehen. Die Einziehung der Forderungen sowie die Umsetzung des übrigen Vermögens in Geld darf unterbleiben, soweit diese Maßregeln nicht zur Befriedigung der Gläubiger oder zur Verteilung des Überschusses unter die Anfallberechtigten erforderlich sind. (2) Der Verein gilt bis zur Beendigung der Liquidation als fortbestehend, soweit der Zweck der Liquidation es erfordert. 1. Die Bestimmung des Geschäftskreises der Liquidatoren ist zwingend, sie folgt aus dem Zweck der Liquidation, unter „Einziehung“ der Forderungen ist auch andere Art der Geltendmachung zu verstehen. Auch rückständige Beiträge sind zu erheben, nicht dagegen fortlaufend neue (MüKo/Arnold Rn 4). Ein Geschäft kann die Abwicklung auch mittelbar fördern, zB Ankauf, um Verpflichtungen des Vereins erfüllen zu können. Flüssigmachung des Vermögens auch nur für Abwicklungszwecke ist zulässig. Der Verkauf der Masse als Ganzes ist nicht besonders geregelt, daher zulässig, auch Zustimmung der Mitgliederversammlung ist nicht erforderlich, aM Staud/Weick Rn 7. Befriedigung der Vereinsgläubiger entweder vor dem Verkauf oder aus dem Erlös. Keine Aufnahme neuer Mitglieder, BGH NJW-RR 1995, 1237. 2. Die Vertretungsmacht der Liquidatoren gilt für alle Geschäfte, die unter den Liquidationszweck fallen können; die Mitgliederversammlung kann den Liquidatoren keine Weisungen erteilen (MüKo/Arnold Rn 3; NK/ Eckardt § 48 Rn 7 gegen Reichert Rn 3940). Ein Dritter muss die Beschränkung der Vertretungsmacht nur dann gegen sich gelten lassen, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass das Geschäft nicht mehr vom Liquidationszweck gedeckt war (BGH NJW 1984, 982 für KG; für Verein ähnlich RG 146, 376). Das ist erträglich, da Eintritt ins Liquidationsverfahren bekannt gemacht wird und jeder mit den entspr Einschränkungen rechnen muss, s NK/Eckardt § 48 Rn 2. Auch muss das Handeln für einen in Liquidation befindlichen Verein deutlich gemacht werden, MüKo/Arnold Rn 15. Die Aushändigung an die Anfallberechtigten erfolgt im Wege der Einzel-Nachfolge, sie bezieht sich nur auf den Überschuss, bzgl Außerachtlassung einzelner Verbindlichkeiten vgl § 51. Soweit möglich (nur ein Anfallberechtigter, Teilbarkeit der Gegenstände), Aushändigung in Natur, vgl auch §§ 752ff. Die Schlussabrechnung ist der Mitgliederversammlung vorzulegen. Eine öffentliche Bek des Verfahrensabschlusses findet nicht statt. 3. Abs II ordnet Fortbestehen in den Grenzen des Liquidationszwecks an, also eine Relativierung der Rechtsfähigkeit; demgegenüber nimmt die heute ganz hM schon aus praktischen Gründen (Zuordnung eines bestimmten Geschäfts zum Liquidationszweck) fortbestehende uneingeschränkte Rechtsfähigkeit an (K. Schmidt AcP 177, 55, 67f; MüKo/Arnold Rn 11; BaRo/Schöpflin Rn 5; anders Pal/Ellenberger Rn 2; s auch § 41 Rn 7), sie kommt aber um eine dem Liquidationszweck entspr Beschränkung der Vertretungsmacht der Liquidatoren (Rn 2) nicht herum; soweit dennoch unbeschränkte Vertretungsmacht der Liquidatoren angenommen und die gesetzliche Regelung auf die Geschäftsführungsmacht bezogen wird (K. Schmidt AcP 184, 529, 553; Soergel/Hadding Rn 13), ist bei Überschreiten mit der Figur des Missbrauchs der Vertretungsmacht zu arbeiten (Staud/Weick Rn 15; PWW/Schöpflin Rn 2); zur Parteifähigkeit § 47 Rn 1. Bzgl bestehender Rechte keine Einschränkung der Rechtsträgerschaft, anders beim Erwerb neuer Rechte (BGH ZIP 2001, 889), der möglich ist, soweit dies mit dem Liquidationszweck vereinbar ist. Eintritt zusätzlicher Auflösungsgründe während des Liquidationsverfahrens bedeutungslos (KG 68, 206). Nach Beendigung der Liquidation (durch Verteilung des Vermögens und Löschung im Register) ohne Fortsetzungsbeschluss ist der Verein kein Rechtssubjekt mehr. Handeln für ihn daher nicht möglich (Düsseldorf NJW 1966, 1035), so dass auch in Passivprozessen wegen vermögenswerter Rechte die Klage unzulässig wird (BGH 74, 212). Stellt sich hiernach heraus, dass noch Vermögen vorhanden ist, auch Forderungen gegen Mitglieder oder Organpersonen, auch dann, wenn noch formale Rechtspositionen wie etwa eine Grundbucheintragung zu erledigen sind (Stöber/Otto Rn 1155), so hat Nachtragsliquidation stattzufinden, für die nach Registeranmeldung nach Beendigung das Gericht nach § 48 I Hs 2 iVm § 29 Liquidatoren zu bestellen hat.

§ 50

Bekanntmachung des Vereins in Liquidation

(1) Die Auflösung des Vereins oder die Entziehung der Rechtsfähigkeit ist durch die Liquidatoren öffentlich bekannt zu machen. In der Bekanntmachung sind die Gläubiger zur Anmeldung ihrer Ansprüche aufzuforWestermann

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dern. Die Bekanntmachung erfolgt durch das in der Satzung für Veröffentlichungen bestimmte Blatt. Die Bekanntmachung gilt mit dem Ablauf des zweiten Tages nach der Einrückung oder der ersten Einrückung als bewirkt. (2) Bekannte Gläubiger sind durch besondere Mitteilung zur Anmeldung aufzufordern. Abs I S 3 ist durch § 50a für den Fall ergänzt, dass die Satzung des Vereins kein Blatt für Bek bestimmt. Bek ist Mittel des Gläubigerschutzes, Verstoß macht die Liquidatoren nach § 53 ersatzpflichtig. Zu den aufzufordernden bekannten Gläubigern gehören die Anfallberechtigten nicht. § 50 ist analog anzuwenden, falls die anfallberechtigten Mitglieder unbekannt sind (LG Berlin MDR 1958, 768; krit dazu Kubisch NJW 1959, 48). Die schweigenden Gläubiger verlieren ihre Forderungen nicht (MüKo/Arnold Rn 5; BaRo/Schöpflin Rn 4). Bekannte Gläubiger sind nach § 52 geschützt.

§ 50a

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Hat ein Verein in der Satzung kein Blatt für Bekanntmachungen bestimmt oder hat das bestimmte Bekanntmachungsblatt sein Erscheinen eingestellt, sind Bekanntmachungen des Vereins in dem Blatt zu veröffentlichen, welches für Bekanntmachungen des Amtsgerichts bestimmt ist, in dessen Bezirk der Verein seinen Sitz hat. Die Regelung gilt – in Erweiterung der bisherigen Ordnung – auch für den Fall, dass das in der Vereinssatzung bestimmte Bekanntmachungsblatt sein Erscheinen eingestellt hat. Das ist mit Rücksicht auf die Zwecke der Bek (§ 50 Rn 1) zu begrüßen.

§ 51 1

2

Sperrjahr

Das Vermögen darf den Anfallberechtigten nicht vor dem Ablauf eines Jahres nach der Bekanntmachung der Auflösung des Vereins oder der Entziehung der Rechtsfähigkeit ausgeantwortet werden. Die Sperrfrist ist Schutzvorschrift für die Gläubiger, stellt also keine Ausschlussfrist für die Geltendmachung der Ansprüche dar. Wird das Vermögen vor Ablauf verteilt, haften die Liquidatoren nach § 53 und die Anfallberechtigten nach § 812, wobei dieser Anspruch dem in Liquidation befindlichen Verein zusteht (BAG NJW 1982, 1831, 1832; NK/Eckardt Rn 9; aM Braunschweig MDR 1956, 352; Staud/Weick Rn 2, die den Gläubigern unmittelbar einen Bereicherungsanspruch zuerkennen). Der Anfallberechtigte kann sich auch nicht auf § 814 berufen, da den Liquidatoren bei wissentlichem Handeln die Vertretungsmacht fehlt, BaRo/Schöpflin Rn 3; nur i Erg anders MüKo/Arnold Rn 2; Soergel/Hadding Rn 3, die § 814 wegen des Gläubigerschutzes nicht für anwendbar halten, anders den Einwand aus § 818 III. Nach Ablauf des Sperrjahres ist zw bekannten und unbekannten Gläubigern zu unterscheiden. Bekannte Gläubiger sind, da § 51 keine Ausschlussfrist enthält, zu befriedigen (Rn 1). Darüber hinaus erfolgt die Ausschüttung, die nach ordnungsmäßiger Durchführung der Liquidation vorgenommen wird, mit Rechtsgrund. Das gilt nach Vornahme der Verteilung auch ohne Rücksicht auf bis dahin noch nicht hervorgetretene, bisher unbekannte Gläubiger (RG 124, 210; MüKo/Arnold Rn 3; Staud/Weick Rn 5), da die Vereinsmitglieder nicht jahrelang der Ungewissheit ausgesetzt sein können, einem nachträglich bekannt werdenden Gläubiger haften zu müssen. Den Anfallberechtigten gehen diese Gläubiger jetzt vor, näher § 52. Über das Sperrjahr hinaus müssen daher keine Rückstellungen gebildet werden, Stöber/Otto Rn 1150.

§ 52

1

Bekanntmachungsblatt

Sicherung für Gläubiger

(1) Meldet sich ein bekannter Gläubiger nicht, so ist der geschuldete Betrag, wenn die Berechtigung zur Hinterlegung vorhanden ist, für den Gläubiger zu hinterlegen. (2) Ist die Berichtigung einer Verbindlichkeit zur Zeit nicht ausführbar oder ist eine Verbindlichkeit streitig, so darf das Vermögen den Anfallberechtigten nur ausgeantwortet werden, wenn dem Gläubiger Sicherheit geleistet ist. An den bekannten Gläubiger haben die Liquidatoren zu zahlen. Hinterlegung bei Zahlungshinderung nach allg Regeln, §§ 372ff, was auch bei unbekannten Forderungs-Inhabern in Betracht kommt. Bei Unausführbarkeit der Zahlung, zB inhaltlicher Unbestimmtheit, Bedingtheit oder bei Streit über die Berechtigung eines (an sich bekannten) Gläubigers, ist Ausschüttung an die Anfallberechtigten von Sicherheitsleistung abhängig, das gilt freilich nicht in den Fällen des Abs I, in denen die Liquidatoren durch Hinterlegung zu erfüllen haben (NK/ Eckardt Rn 4). Liquidatoren können stattdessen auch Ausschüttung an Anfallberechtigten bis zur Befriedigung des Gläubigers bzw Klarstellung aufschieben (BaRo/Schöpflin Rn 1; aM MüKo/Arnold Rn 1).

§ 53

Schadensersatzpflicht der Liquidatoren

Liquidatoren, welche die ihnen nach dem § 42 Abs. 2 und den §§ 50, 51 und 52 obliegenden Verpflichtungen verletzen oder vor der Befriedigung der Gläubiger Vermögen den Anfallberechtigten ausantworten,

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Juristische Personen – Vereine

§ 54

sind, wenn ihnen ein Verschulden zur Last fällt, den Gläubigern für den daraus entstehenden Schaden verantwortlich; sie haften als Gesamtschuldner. § 53 folgt daraus, dass Liquidation Einrichtung im Interesse der Gläubiger ist, die aus dieser Norm unmittelbar berechtigt sind. Behandlung im Einz nach Maßgabe der §§ 823ff, da die Grundlage der Haftung mit der Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 II) vergleichbar ist (Staud/Weick Rn 7; für deliktische Natur des Anspruchs, der nur auf den Quotenschaden geht, MüKo/Arnold Rn 3; Reichert Rn 4318; NK/Eckardt Rn 1). Daneben besteht Anspruch des Vereins aus § 27 III. Schaden muss durch die Pflichtverletzung herbeigeführt sein. Durchzusetzender Anspruch gegen Anfallberechtigten, etwa aus ungerechtfertigter Bereicherung, schließt den Schaden und damit einen Anspruch aus, Pal/Ellenberger Rn 1.

§ 54

1

Nicht rechtsfähige Vereine

Auf Vereine, die nicht rechtsfähig sind, finden die Vorschriften über die Gesellschaft Anwendung. Aus einem Rechtsgeschäft, das im Namen eines solchen Vereins einem Dritten gegenüber vorgenommen wird, haftet der Handelnde persönlich; handeln mehrere, so haften sie als Gesamtschuldner. 1. Zweck der Unterstellung des nicht rechtsfähigen Vereins unter das Gesellschaftsrecht war, den Vereinen, die 1 sich dem Verfahren zur Erlangung der Rechtsfähigkeit und der damit verbundenen staatlichen Kontrolle nicht unterziehen wollen, die schwächere Stellung der GbR zu geben; dies hat historisch als Anreiz zur Eintragung nicht durchweg ausgereicht. Viele der kleineren Vereine und sogar manche größere (s etwa Koblenz NJW-RR 1993, 697; München NJW 1969, 617; LG Düsseldorf NJW-RR 1990, 832) verzichteten auf die Rechtsfähigkeit. Die Spannung zw dem körperschaftlichen Wesen des nicht rechtsfähigen Vereins und der gesetzlichen Form der als persönliche Beziehung der Gesellschafter behandelten GbR versuchte die Praxis durch weitestgehende (soweit es nicht auf die Registereintragung ankommt, Stöber/Otto Rn 1499) Anpassung an den eV zu lösen, demgemäß war die Verweisung auf das Gesellschaftsrecht weitgehend überholt (BGH NJW 1979, 2304f; Frankfurt ZIP 1985, 213), im Zweifel sollte Vereinsrecht gelten. Diese Konzeption ist nach dem grundlegenden Wandel der Verfassung und des Haftungsstatuts bei der GbR (Vor § 705 Rn 18ff, § 714 Rn 11ff) daraufhin zu überprüfen, ob wirklich schon alle Regeln des BGB-Gesellschaftsrechts auf den danach ebenfalls rechtsfähigen, nicht eingetragenen Verein anzuwenden sind (zur Fragestellung K. Schmidt ZHR 1072, 712, 726, vom Außerkrafttreten des § 54 S 1 spricht etwas voreilig Stöber/Otto Rn 1493 – die Folgen der Reform des BGB-Gesellschaftsrechts seien abzuwarten), MüKo/Arnold Rn. 4. Das ist zwar für die aktive und passive Parteifähigkeit bereits anerkannt (BGH 146, 341; NJW 2008, 69; – hier Rn 8), was aber für die wirtschaftlichen Vereine iSd § 22 und für den nicht eingetragenen Idealverein Differenzierungen namentlich bzgl der Mitgliederhaftung nicht verhindert. Also kann dem nicht eingetragenen Verein zwar nicht die Rechtsfähigkeit, wohl aber die Qualität als jur Pers abgesprochen werden, wobei davon auszugehen ist, dass ein Verein dem Typus der Außengesellschaft vergleichbar ist, auf den die Rspr zur Gesellschaft die Rechtsfähigkeit beschränkt hat. Auch danach erweist sich aber § 54 als gesetzgeberischer Fehlgriff (aM Bergmann ZGR 2005, 654ff, der die Entwicklung der Verfassung des nicht rechtsfähigen Vereins als Rechtsanwendung lege artis betrachtet), denn es bleibt dabei, dass der nicht rechtsfähige Verein keine Gesellschaft ist, sondern ein Gebilde mit körperschaftlicher Struktur, das auf Mitgliederwechsel, Trennung des Vereinszwecks von den persönlichen Zwecken der Mitglieder und Ausschluss der persönlichen Haftung der Mitglieder mit ihrem Privatvermögen angelegt und als solches auch im Rechtsverkehr wahrgenommen wird, so auch Stöber/Otto Rn 1495. So konnte es schon vor der Wende in der gesellschaftsrechtlichen Rspr durch BGH 142, 315; 146, 341 Sinn haben, von der Rechtsfähigkeit der nicht rechtsfähigen Vereine zu sprechen (Stoltenberg MDR 1989, 494; K. Schmidt NJW 2001, 993, 1003; grds krit Schöpflin, Der nicht rechtsfähige Verein, 2003, 101ff), gegen eine Haftungsprivilegierung der Mitglieder nicht rechtsfähiger Vereine auch Meyer ZGR 2008, 702ff. Dazu passt es, dass im inneren Vereinsrecht sowie im Haftungskonzept eine starke Annäherung an den rechtsfähigen Verein stattgefunden hat, wobei aber die Einzelzüge des Rechts der GbR nicht ohne weiteres auf den rechtsfähigen Verein mit körperschaftlicher Struktur übertragen werden können (Dauner-Lieb DStR 2001, 356), so etwa nicht bei der Regelung der Geschäftsführung, für die § 709 nicht passt. So hat BGH 146, 190 (m Anm K. Schmidt JuS 2001, 505) auf einen im Gründungsstadium befindlichen nicht rechtsfähigen kommunalen Zweckverband je nach dem Grad der körperschaftlichen Verselbständigung Gesellschaftsrecht oder das Recht des nicht rechtsfähigen Vereins anwenden wollen, was freilich unter dem Gesichtspunkt angegriffen wird, dass das öffentliche Recht keine nicht rechtsfähige Körperschaft kenne und die Bestimmungen über die Gründung von Kapitalgesellschaften hätten herangezogen werden sollen (Anm Gramlich WuB I E 1 Kreditvertrag 3.01); zu einer Art Mischverfassung zwischen dem Recht der GbR und dem des nicht rechtsfähigen Vereins bei einem genossenschaftsähnlichen Verein s BGH NJW 1979, 2304. I Erg ist daher auch der nicht rechtsfähige Verein als Träger von Rechten und Pflichten zu betrachten, dem das Vereinsvermögen zu Eigentum zusteht, der im Rechtsverkehr durch den Vorstand als Organ vertreten wird, im Prozess aktiv und passiv parteifähig ist, wenn er auch nicht alle denkbaren verfahrensrechtlichen Positionen einnehmen kann (NK/Eckardt Rn 4; Reichert Rn 5110; K. Schmidt GesR § 8 III 2a; aM Wagner ZZP 117, 305, 359ff). Die Rechtslage bleibt unklar etwa auch im Hinblick auf die Forderung, den (noch) unveränderten § 735 ZPO „berichtigend auszulegen“ (MüKo/Arnold Rn 20), was sich in Gestalt mancher Unsicherheiten in verfahrens-, register- und haftungsrechtlicher Hinsicht niederschlägt und bei verschiedenen Typen des nicht rechtsfähigen Vereins auswirkt.

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§ 54 2

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4

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Personen

Vereine können auch Untergliederungen in der Rechtsform eines nicht rechtsfähigen Vereins haben, wenn sie auf Dauer eigene Aufgaben selbständig wahrnehmen, einen eigenen Namen führen und vom Mitgliederbestand unabhängig sind. Davon zu unterscheiden sind unselbständige Untergliederungen, die trotz der bei ihnen bestehenden körperschaftlichen Struktur nicht rechtsfähig sind und nach BGH NJW 2008, 69 Beschl der Mitglieder des Hauptvereins nicht anfechten können (s schon Vor § 21 Rn 13), obwohl sie wie alle Mitglieder etwa auch an der Haftung teilnehmen (Oschütz SpuRt 2008, 97). Bei den rechtlich selbständigen „Abteilungen“ können sich Zweck und Organisation auch aus der Satzung des übergeordneten Vereins ergeben (BGH 90, 331). Eine gewisse Relevanz hat § 54 S 1 auch insofern behalten, als nach wie vor im wirtschaftlichen Bereich einer freien Körperschaftsbildung Hindernisse entgegenstehen, was ursprünglich als eines der Motive des § 54 galt. So läge zwar beim nicht eingetragenen wirtschaftlichen Verein wegen der ebenfalls regelmäßig körperschaftlichen Struktur die Anwendung von Vereinsrecht nahe, doch ist hier davon auszugehen, dass der Verein sich der notwendigen Verleihung der Rechtsfähigkeit nach Maßgabe des Konzessionssystems entzogen oder sie nicht erhalten hat, so dass die Anwendung des Gesellschaftsrechts, wie sie § 54 anordnet, nicht verfehlt erscheint, abgesehen davon, dass bei Verfolgung handelsgewerblicher Zwecke nach wie vor OHG-Recht zur Geltung kommt (BGH 22, 244). Daher ist zwar im Innenverhältnis bei tatsächlich vorkommender körperschaftlicher Struktur Vereinsrecht anzuwenden, im Außenverhältnis gilt aber § 54 S 2 und wie bei der Außengesellschaft des BGB die akzessorische Gesellschafterhaftung (BaRo/Schöpflin Rn 36; BGH 146, 190, 201 = NJW 2001, 748; s aber auch hier Rn 11). 2. Der Begriff des Vereins ist zunächst durch den Vereinscharakter bestimmt: Vom Mitgliederwechsel unabhängige, dauernde Personenvereinigung mit körperschaftlicher Verfassung und Auftreten unter eigenem Namen (RG 60, 94; 165, 140, 143; BGH 43, 319). Unterschied zum eV liegt in den immer noch bestehenden Gefahren im Hinblick auf die Haftung. Beim nicht rechtsfähigen Verein entsteht zw Mitgliedern und Verein ein körperschaftliches Verhältnis, wobei der Mitgliederwechsel bedeutungslos ist. Dies kann allerdings auch bei der Gesellschaft ähnlich sein, Vor § 705 Rn 10ff. Ob nicht rechtsfähiger Verein oder Gesellschaft gewollt ist, entscheidet sich dann aber nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Beteiligten (RG 74, 371), der auch bei Benutzung vereinsmäßiger Formen auf Gründung einer Gesellschaft gehen kann (RG JW 1906, 452). Hins der Vermögenszuordnung haben sich beim nicht rechtsfähigen Verein die Folgen aus der Rechtsfähigkeit des Gebildes praktisch durchgesetzt, K. Schmidt NJW 2001, 993, 1002, zu den Folgen Rn 7. Das ist auch sinnvoll wegen der großen Zahl verschiedene Zwecke verfolgender Zusammenschlüsse, die als nicht rechtsfähiger Verein behandelt werden: Untergliederungen politischer Parteien (BGH 73, 275, 277; s auch Bamberg NJW 1982, 895), Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften (RG 76, 25, 27; BGH 50, 325, 327); Kleingärtnervereine (BSG 17, 211); Sport- und Geselligkeitsvereine (RG 78, 101). Der Name des nicht rechtsfähigen Vereins, der das Gebilde als ganzes erfasst, ist nach § 12 geschützt (RG 78, 101; BayObLG EWiR § 12 BGB 1/87 [Weipert]; LG Marburg NJW-RR 2000, 661; Staud/Weick Rn 26). Der nicht rechtsfähige Verein kann auch Mitglied eines anderen rechtsfähigen oder nicht rechtsfähigen Vereins sein (RG 73, 96). Wegen Eintragung im Grundbuch und wegen Aktivprozess s unten Rn 8. 3. Die Organisation ergibt sich aus der Verfassung bzw Satzung. Ergänzung durch Auslegung und entspr Anwendung der §§ 21ff, soweit Rechtsfähigkeit nicht zwingend vorausgesetzt ist (Frankfurt ZIP 1985, 213, 215). Anwendbar ist danach auch § 25 mit der Anerkennung von Vereinsautonomie (BGH 21, 370, 374) und Gewährleistung, dass die Grundentscheidungen des Vereinslebens in der Satzung und durch die Mitglieder getroffen werden (Frankfurt ZIP 1985, 213, 215 – IG Metall). Zu den Maßstäben der Auslegung von Satzungen und Nebenordnungen § 25 Rn 12. Soweit neben der Mitgliederversammlung ein Vorstand tätig werden soll, ist Begründung seiner Zuständigkeit in der Satzung nötig. Für die Bestellung des Vorstands sind §§ 27, 28 entspr anwendbar, dagegen § 29 nach einer verbreiteten Ansicht nicht (vgl München HRR 1937, 75; Krönig MDR 1953, 217), weil ohne Eintragung Registerrichter nicht tätig werden könne; dagegen spricht aber, dass ein Eingreifen des Gerichts insb im Interesse Dritter erforderlich sein kann (vgl Neumann JherJ 87, 212; Habscheid MDR 1952, 653; LG Berlin NJW 1970, 1047; Soergel/Hadding Rn 14; MüKo/Arnold § 29 Rn 2), wie auch § 37 II anwendbar sein sollte (Habscheid AcP 155, 398; LG Heidelberg NJW 1975, 1661; MüKo/Arnold § 37 Rn 19; s auch hier § 37 Rn 1; aM RG JW 1935, 3626). §§ 68, 70 sind mangels Eintragung nicht anwendbar, die an sich mögliche Beschränkung der Vertretungsmacht des Vorstands (§ 26 I 3) kann also nur Dritten entgegengesetzt werden, die um die Beschränkung wussten (PWW/Schöpflin Rn 9). UU greift auch eine Haftung für die Verursachung einer Anscheinsvollmacht ein. Es gibt auch die Möglichkeit der Drittorganschaft, MüKo/Arnold Rn 35, zum wirtschaftlichen Verein ebenda Rn 40. Vertretungsmacht für die Mitglieder hat der Vorstand nicht. Die Vorschriften über Mitgliederversammlung (dazu Frankfurt ZIP 1985, 213, 219) und Mitgliedschaft sind anwendbar, ebenso die Grundsätze über Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft einschl Ausschluss- und Disziplinarstrafgewalt des Vereins (BGH 13, 5, 11; Habscheid AcP 185, 392). Beendigung der Mitgliedschaft als körperschaftliches Verhältnis nicht durch Kündigung nach § 723, sondern durch Austritt, für den § 39 gilt, RG 143, 4 (zu den Folgen für vermögensrechtliche Stellung s Rn 7). Bei Mischform zw Verein und Gesellschaft (Rn 2) kann freier Austritt ausgeschlossen sein, wenn der Mitgliederkreis geschlossen ist und Majorisierung des Mitglieds durch nicht vorhersehbar veränderte Mehrheiten unwahrscheinlich ist (BGH NJW 1979, 2305). Für Haftung der Mitglieder und des Vorstands ggü Verein wegen Pflichtverletzung gilt nicht § 708, sondern Haftung für jedes Verschulden (RG 143, 214), allerdings kann im Bestellungsakt Haftungserleichterung vereinbart sein (auch schlüssig), zur Anwendung des § 31a dort Rn 1. Der körperschaftlichen Struktur entspricht die Geltung des Mehrheitsprinzips entspr § 32 I 3 (Stöber/Otto Rn 1522). Wie beim rechtsfähigen Verein ist widerspruchslose 182

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Juristische Personen – Vereine

§ 54

Hinnahme einer diesbezüglichen satzungsmäßigen Regelung als Zustimmung anzusehen; Entspr gilt für eine mit korporativer Verfassung und eigenem Namen ausgestattete Verwaltungsorganisation von Miteigentümern (BGH NJW 1957, 1800). 4. Zur Vermögensfähigkeit des Vereins s bereits Rn 3. Durch die körperschaftliche Struktur ist die vermögens- 7 rechtliche Bindung der Mitgliedschaftsrechte eher enger als bei der Gesellschaft. Eine Pfändung des Anteils durch Gläubiger des Mitglieds ist nicht möglich, da das Mitglied nicht der eigentliche Rechtsinhaber ist, aM BaRo/Schöpflin Rn 27 für Beteiligungen mit wirtschaftlichem Wert. Unmöglich ist auch die Verfügung über den Anteil, Stöber/Otto Rn 1530. Bei Ausscheiden im Gegensatz zu § 738 kein Auseinandersetzungsanspruch des Ausscheidenden (RG 113, 135; BGH 50, 323, 329; AG Grevenbroich NJW-RR 2001, 967), bei wirtschaftlichem Zweck des Vereins ist dagegen ein Abfindungsanspruch gegeben. Da seit BGH 179, 202 die GbR als grundbuchfähig anzusehen ist (näher § 705 Rn 72) und unter der Bezeichnung im Grundbuch eingetragen werden kann, die ihr Gesellschaftsvertrag bestimmt, läge es nahe, dies auf den nicht rechtsfähigen Verein zu übertragen; andernfalls müsste ggf eine große Zahl von Mitgliedern mit einem das Rechtsverhältnis klarstellenden Zusatz eingetragen werden. Bisher war in der Praxis (Zweibrücken NJW-RR 2000, 749; LG Berlin Rpfleger 2003, 291) die Grundbuchfähigkeit politischer Parteien bejaht worden, was aber nicht auf alle nicht konzessionierten wirtschaftlichen Vereine soll übertragen werden können (Celle NJW 2004, 1743; § 22 Rn 2). Jedenfalls sollte der Verein als solcher auch Grundeigentum erwerben können, Pal/Ellenberger Rn 7; Stöber/Otto Rn 1533, allerdings stark umstr. Wenn § 47 II GBO, der für die Eintragung einer GbR bestimmt, dass neben dem Verein auch die Gesellschafter eingetragen werden müssen, sowie der darauf abgestimmte § 899a auch für den nicht rechtsfähigen Verein gelten sollte (dagegen KG ZIP 2015, 168; krit Waldner NotBZ 2015, 263; gegen die Eintragung des Vereins unter seinem Namen entspr § 47 GBO BGH ZIP 2016,1163), so nähme der Verein an einer Reihe von nicht widerspruchsfrei klärbaren Fragen teil (Tolani JZ 2013, 224ff; H.P. Westermann WM 2013, 441), die etwa das Vorgehen beim Erwerb von Grundstücksrechten (mit den nach §§ 20, 259 GBO zu fordernden Nachw) sowie die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung in das Vereinsvermögen betreffen (im Einz § 705 Rn 72a, 72b). Daher ist bei Vereinen mit großer Mitgliederzahl die Eintragung von Treuhändern unumgänglich, wobei wohl auch die unterschiedlichen Typen von Vereinen berücksichtigt werden müssen (Terner RNotZ 2009, 132, 137). Nicht zu erwarten ist freilich, dass die Praxis, einem Vorschlag von Habscheid (AcP 155, 402) folgend, eine Eintragung „der jew Mitglieder des nicht rechtsfähigen Vereins“ ohne Angabe der einzelnen Namen akzeptiert: Die Publizität ist angesichts des § 124 I HGB kein unüberwindbares Hindernis, so dass entgegen der Rspr doch mehr für die offene Anerkennung der Grundbuchfähigkeit des Vereins, dh seine allgemeine Eintragung nur unter seinem Namen und damit die Unnötigkeit der Eintragung jedes Mitgliederwechsels spricht (näher Jung NJW 1986, 157, 162 und – gegen BGH ZIP 2016, 1163 – Prütting EWiR 2016, 371), in diese Richtung auch – wenn auch für einen Fall der Umwandlung einer eingetragenen KG in eine GbR – BayObLG NJW-RR 2002, 1363. Freilich wird nicht jeder Verein seine Existenz mit den § 29 GBO entspr Mitteln nachweisen können, so dass außer bei Großgebilden mit eigenständiger Verkehrsgeltung (Koblenz NJW-RR 2000, 749; Morlok/Schulte-Trux NJW 1992, 2060) gem § 47 II GBO doch die Mitglieder einzutragen sein werden. Nach früher hM auch keine Wechselfähigkeit (RG 112, 124; Koblenz MDR 1955, 424; anders die heute hM, MüKo/Arnold Rn 24; Staud/ Weick Rn 27; Soergel/Hadding Rn 19; PWW/Schöpflin Rn 14), was wohl zur Rspr zur Scheckfähigkeit der GbR (BGH NJW 1997, 2754 m Anm Mutter DZWIR 1997, 419) passt. Zweifelhaft ist die Behandlung nicht rechtsgeschäftlichen Erwerbs, zB im Erbgang. Der früheren Lehre entsprach es, die Mitglieder – also in Erbengemeinschaft – als Erben zu behandeln, denen die Auflage gemacht ist, den Nachlass in das Vermögen des Vereins einzubringen; die neuere Lehre geht darüber insofern hinaus, als eine Nachfolge der Vereinsmitglieder in die Inhaberschaft an der Erbmasse unmittelbar als Erwerb durch den insoweit rechtsfähigen Verein verstanden wird (Soergel/Hadding Rn 17; PWW/Schöpflin Rn 14; zw Ideal- und Wirtschaftsverein differenzierend MüKo/Arnold Rn 25ff), was sich allerdings aus dem Gesetz nicht mehr begründen, also nur als freie Rechtsfortbildung darstellen lässt. Der Verein schuldet auch die Erbschaftsteuer, FG Münster EFG 2007, 1037. 5. Eine dem § 50 ZPO entspr Vorschrift für die aktive Parteifähigkeit des nicht rechtsfähigen Vereins fehlt; für 8 politische Parteien ist sie im Parteiengesetz (§ 3) geschaffen (vgl dazu BGH 73, 275, 277). Nach der heutigen Fassung des § 50 II ZPO, aber schon vorher durch die Entwicklung der Rspr, die die Rechtslage bei der GbR hierher überträgt (BGH NJW 2008, 69 in Abweichung von BGH 109, 15 und dazu Hadding, Anm WuB II N § 54 BGB 46), sind Hilfskonstruktionen entbehrlich, der nicht rechtsfähige Verein ist voll parteifähig. Die Klagebefugnis des Vereins schließt freilich nicht aus, dass die Mitglieder durch den aufgrund der Satzung dazu als bevollmächtigt ausgewiesenen Vorstand vertreten werden (RG 57, 92); besondere Einverständniserklärung der Mitglieder ist dann nicht nötig (RG HRR 1928, 1554). Bei Mitgliederwechsel Fortgang des Verfahrens (RG 78, 105). Parteifähigkeit besteht auch im Passivprozess; Überlegungen, inwieweit hierdurch alle Verteidigungsmöglichkeiten und auch eine Widerklage ermöglicht werden, erübrigen sich also. So für § 33 ZPO (Widerklage des nicht rechtsfähigen Vereins zulässig) RG 74, 371. § 50 II ZPO gilt entspr für eine mit korporativer Verfassung und eigenem Namen ausgestattete Verwaltungsorganisation von Miteigentümern (Waldinteressentenschaft), BGH NJW 1957, 1800. Die Annahme, es könnten auch die Mitglieder „als nicht rechtsfähiger Verein“ verklagt werden, mit der weiteren Folge, dass in den Tenor auch ein Vorbehalt der auf das Vereinsvermögen beschränkten Haftung aufgenommen werden kann (Soergel/Hadding Rn 32), unterschätzt den Grad an Rechtsfähigkeit des Vereins (BaRo/Schöpflin Rn 57), die direkte Inanspruchnahme der Mitglieder (soweit sie haften) neben dem Verein erscheint sinnvoller; im Tenor eines Urt werden ohnehin nur die Vertretungsbefugten genannt. Für die Zwangsvollstreckung vgl Westermann

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Personen

§§ 735 ZPO, 11 I InsO, so dass für Vollstreckung ins Vereinsvermögen dessen Verurteilung nötig ist, wobei § 735 ZPO auch für nicht vermögensrechtliche Ansprüche angewendet wird (MüKo/ZPO/Heßler § 735 Rn 4); der Verein, der auch im Titel zu bezeichnen ist, ist Vollstreckungsschuldner (NK/Eckardt Rn 40). Aus einem Titel gegen den Verein findet keine Zwangsvollstreckung ins Einzelvermögen der Mitglieder statt, RG 143, 216. Der Prozessbevollmächtigte des Vereins im Passivprozess wird für den Verein und nicht für seine Mitglieder als mehrere Auftraggeber tätig (München MDR 1994, 735 gegen Düsseldorf MDR 1993, 1020). Die Parteifähigkeit gilt auch im arbeitsgerichtlichen (§ 10 ArbGG) und im FamFG-Verfahren (§ 8 Nr 2 FamFG). Für Verbindlichkeiten, die im Namen des Vereins begründet wurden, auch für Delikte der Vereinsorgane, haftet das Vereinsvermögen. 6. Die Haftung der Mitglieder für die Verbindlichkeiten des Vereins sollte trotz fehlender juristischer Persönlichkeit des Vereins auf den Anteil am Vereinsvermögen beschränkt werden können. Die Rechtsfortbildung über § 54 hinaus hatte insofern schon zu dem Ergebnis geführt, dass eine persönliche Haftung der Mitglieder grds nicht in Betracht kommt, wenn die Vereinigung in der Satzung als Verein bezeichnet wird und nach außen als solcher auftritt (BGH 50, 326, 329; NJW 1979, 2304, 2306; NJW-RR 2000, 1265; NJW-RR 2003, 1265; Beuthien WM 2012, 1; abl Flume ZHR 148, 503, 519). Damit ist der nicht rechtsfähige Verein haftungsmäßig dem rechtsfähigen gleichgestellt, was auch die Gläubigerinteressen betreffen soll (MüKo/Arnold Rn 42). Der notwendige Verkehrsschutz muss danach durch die Handelndenhaftung gem S 2 hergestellt werden (Staud/Weick Rn 53; Soergel/Hadding Rn 24) Dies unterscheidet sich allerdings von der Behandlung der Außen-GbR, bei der vorbehaltlich besonderer Vereinbarung akzessorische Haftung analog §§ 128ff gilt (§ 714 Rn 11); indessen sieht es nicht so aus, als werde die Behandlung des nicht rechtsfähigen Vereins diesen Weg tatsächlich in voller Breite gehen; so hat noch BGH ZIP 2003, 2023 unter Bezugnahme auf frühere Urt (BGH 50, 326, 329; Schleswig NVwZRR 1996, 103) wiederholt, die Mitglieder eines nicht rechtsfähigen Idealvereins hafteten nicht persönlich für die Verbindlichkeiten des Vereins, was dort zwar nicht näher begründet wird (krit Reuter NZG 2004, 217, 219), aber sich immerhin dahin verstehen lässt (NK/Eckard Rn 118), dass die akzessorische Haftung nicht für den nicht rechtsfähigen Verein passt; s auch Brandenburg OLGRp 2004, 467; Bergmann NZG 2005, 654, 657. Demgegenüber wird für einen nicht eingetragenen wirtschaftlichen Verein, der auch keine Konzession nach § 22 hat, volle Haftung der Mitglieder für rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten vertreten (BGH 22, 244; BGH NJW 2001, 748, 750; Stöber/Otto Rn 1543; MüKo/Arnold Rn 44), auch wenn nicht bereits ein Handelsgewerbe betrieben wird, Staud/Weick Rn 54; MüKo/Arnold Rn 47. Angesichts der bisher nicht über jeden Zweifel erhabenen Begründung dieser sich als herrschend abzeichnenden Lösung (dazu auch Meyer ZGR 2008, 702ff) ist nicht sicher, ob nicht doch die – bei der GbR überholte – Doppelverpflichtungslehre hilfreich sein kann (dafür Brand AcP 208, 490ff). Für rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten würden danach neben dem Verein aufgrund des Vertretungshandelns des Vorstands die Mitglieder nur haften, wenn ein selbständiger Verpflichtungstatbetand vorliegt, ein Mitgliederwechsel wäre darauf ohne Einfluss. Dagegen sollen bei wirtschaftlichen Vereinen der Zweck der Vereinigung und das Motiv der Beteiligung des Mitglieds sowie das stärkere Verkehrsbedürfnis eine gesamtschuldnerische unbeschränkte Haftung der Mitglieder ähnlich der OHG rechtfertigen. Da sich dies auf einen nach außen tätigen Zusammenschluss bezieht, sollte beim Idealverein ein unübersehbarer Hinw auf die Haftungsbeschränkung vorliegen, aufgrund dessen auch der Vertragspartner sich über die körperschaftliche Struktur und die daraus folgende Ausschließung der Mitgliederhaftung klar sein muss, Andeutungen in diese Richtung bei BGH ZIP 2002, 851. Bei unerlaubter Handlung der Organe ist für die Haftung des Vereins § 31 entspr anzuwenden (Staud/Weick Rn 71; Soergel/Hadding Rn 22; PWW/Schöpflin Rn 17). Persönliche Haftung der Mitglieder ist aus § 31 nicht herzuleiten, wird aber trotzdem gefordert (Staud/Weick Rn 55; Stöber/Otto Rn 1543, wohl auch MüKo/Arnold Rn 47), was jedoch der generellen Anlehnung an die Haftungsverfassung des eV widerspricht. Auch bei Haftung nach § 831 bei Handeln von Verrichtungsgehilfen kommt persönliche Haftung nicht in Betracht. Auch eine Gewerkschaft haftet somit für ihre Organe nach § 31 (LAG Frankfurt BB 1950, 702; Denecke BB 1959, 637). LAG Bremen BB 1954, 773 und AG Hannover BB 1953, 590 wollten Streikposten als Verrichtungsgehilfen der Streikleitung, diese wieder als Verrichtungsgehilfen der Gewerkschaft behandeln. BAG 2, 76 nahm bei rechtswidrigem Streik gesamtschuldnerische Haftung von Gewerkschaft und Gewerkschaftsvorstand an. Die Halterhaftung des nicht rechtsfähigen Vereins ergibt sich daraus, dass er als Gesamtheit Halter ist. Die Haftung ist dabei auf das Vereinsvermögen beschränkt. Zu anderen gesetzlichen Verbindlichkeiten Rn 12. Die Haftung des Handelnden ist von seiner Stellung innerhalb des Vereins und von der Vertretungsmacht unabhängig. Unter S 2 fällt nach hM jeder, der für den Verein auch nur mittelbar handelt, ausgenommen nur der Bote. Handelnder iSv S 2 ist bei einem Idealverein auch nicht das Vorstands- oder Vereinsmitglied, das lediglich im Innenverhältnis einem Geschäft zustimmt, wohl aber der, der aktiv mitwirkt (RG 77, 429f; BGH NJW 1957, 1186; BaRo/Schöpflin Rn 40; für einschränkende Auslegung des Begriffs des Handelnden Staud/Weick Rn 60 – nur derjenige, der für die Vornahme des Rechtsgeschäfts im Rahmen des Vereins verantwortlich ist; s auch Soergel/Hadding Rn 27, dagegen wiederum MüKo/Arnold Rn 54, 55). Für ein weiteres Verständnis des Begriffs des Handelnden spricht, dass sich jeder, der im Namen des Vereins auftritt, der fehlenden Registerpublizität und der daraus folgenden Unsicherheit für den Erklärungsgegner in Bezug auf das Haftungssubstrat bewusst sein muss. Geschäftsfähigkeit des Handelnden bzw Zustimmung des gesetzlichen Vertreters ist erforderlich. Die Haftung folgt dem Akzessorietätsprinzip, geht somit auf das positive Interesse des Vertragspartners, also auf Erfüllung bzw Schadensersatz wegen Nichterfüllung einschl der Sekundäransprüche, BGH MDR 2003, 1241; die Haftung ist von der des Vereins unabhängig. Umstritten ist, ob die Haftung des Handelnden auch ggü Vereinsmitgliedern 184

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Juristische Personen – Vereine

§ 55

gilt; das wird, da die Haftungsverfassung nur Schutz vor der fehlenden Registerpublizität bieten soll, von MüKo/ Arnold Rn 53 abgelehnt, wogegen von anderen eine Schutzwirkung des Vereinsregisters zugunsten der Mitglieder angeführt wird (Soergel/Hadding § 68 Rn 7), jedenfalls dann, wenn das Rechtsgeschäft Bezug zur mitgliedschaftlichen Sphäre hat (Stöber/Otto Rn 1545). Der BGH (ZIP 2003, 2023; krit Reuter NZG 2004, 217, 219f.) hat die Handelndenhaftung in Bezug auf ein in unmittelbarer Durchführung des Vereinszwecks durchgeführtes Geschäft mit einem Vereinsmitglied nicht durchgreifen lassen, weil bei Umsetzung und Konkretisierung des Vereinszwecks das Mitglied nicht als „Dritter“ iSd § 54 S 2 angesehen werden könne, s auch Frankfurt NZG 2002, 1071. Dies ist unter Gesichtspunkten des Gläubigerschutzes hinnehmbar (van Look EWiR 2004, 5), erschöpft aber die Problematik der Handelndenhaftung nicht (näher Staake JA 2004, 94ff), und auch der BGH hat das Problem wohl nicht allgemein entscheiden wollen. Bei Handeln für eine nicht selbständige Abteilung eines nicht rechtfähigen Vereins haftet der Handelnde nach BGH NZG 2013, 672 entspr § 179. Die Haftung des Handelnden ist im Gesetz ausdr auf Rechtsgeschäfte beschränkt, die im Namen des Vereins ggü 12 einem Dritten vorgenommen werden; das bedeutet, dass an gesetzliche Verbindlichkeiten nicht gedacht ist (Soergel/Hadding Rn 27; BaRo/Schöpflin Rn 42; Stau/Weick Rn 64). Aus Rechtsgeschäften können sich allerdings gesetzliche Pflichten ergeben, etwa aus cic, die dann unter die Handelndenhaftung fallen (BGH NJW 1957, 1186), ebenso bei Leistungskondiktion (zust MüKo/Arnold Rn 59). Gegen diese Begrenzung wird geltend gemacht, dass die Gläubiger gesetzlicher Verbindlichkeiten an der Ausgleichs- und Sicherungsfunktion der Handelndenhaftung angesichts des Fehlens einer schuldenden jur Pers ebenso interessiert seien wie die Partner von Rechtsgeschäften, die bestehende planwidrige Lücke sei durch Analogie zu schließen (eingehend Schwab NZG 2012, 481ff). Dazu bedarf es aber auch einer Rechtsähnlichkeit der Quelle der betreffenden Verbindlichkeit, wie sie etwa bei Ansprüchen aus GoA wegen der Geschäftsähnlichkeit der Handlung bejaht werden kann, während bei Delikts- und Steuerschulden angesichts der Unbestimmtheit des Begriffs des „Handelnden“ und der dadurch verursachten Gefahr einer starken Ausweitung des Kreises der Haftungsschuldner der bisher hM zu folgen ist. Bei genereller Ausdehnung der Handelndenhaftung auf gesetzliche Verpflichtungen müsste auf die bloße (und für Außenstehende leidlich erkennbare) Mitgliedschaft im Vorstand abgestellt werden, weil etwa für Verstöße gegen die Verkehrspflichten oft gar keine bestimmte Person als Verantwortlicher ausgemacht werden kann (so in der Tat Schwab S 485); das überzöge den Gläubigerschutz. Ausschluss der Haftung durch Vertrag mit dem Dritten möglich und zur Wirkung des Ausschlusses auch nötig 13 (BGH MDR 2003, 1241), ein stillschw Ausschluss ist nicht anzunehmen (RG 82, 298; JW 1937, 382). Haftungsausschluss kann auch nicht allein in der Tatsache gesehen werden, dass die Vereinigung sich schon vor ihrer Eintragung als eV bezeichnet (BGH NJW 1957, 1186). Dass der Verein später rechtsfähig wird, befreit den Handelnden nicht von der Haftung. Wenn allerdings alle Beteiligten bei Abschluss des Vertrags von der alsbald entstehenden Rechtsfähigkeit des Vereins ausgingen, haftet der Handelnde nur dafür, dass der nicht rechtsfähige Verein nicht in die Haftung eintritt (Celle NJW 1976, 806; ebenso BGH 80, 182f für die GmbH und § 11 II GmbHG). Eintragung des Vereins ins Register lässt die Haftung nicht automatisch erlöschen, anders, wenn der Verein die Erlangung der Rechtsfähigkeit im Zeitpunkt des Abschlusses der Geschäfte bereits in die Wege geleitet hatte und zur Erlangung der Rechtsfähigkeit nur noch die Eintragung fehlte (Düsseldorf MDR 1984, 489). 7. Bzgl des Endes des Vereins ist zw Ereignissen, die die Körperschaft als solche treffen, und den auf die Person 14 des Mitglieds beschränkten Ausscheidensgründen zu unterscheiden. Der nicht rechtsfähige Verein endet mit Zeitablauf, § 723, Zweckerreichung, § 726, Beschl der Mitglieder, Fortfall aller und Herabsinken auf ein Mitglied (s aber § 41 Rn 6), Insolvenzverfahren über das Vereinsvermögen, Auflösung durch Staatsakt, wie beim rechtsfähigen Verein aber nicht durch Tod, Insolvenz oder Austritt eines Mitglieds. Liquidation kann entspr §§ 47ff geschehen (BGH 50, 325; Stöber/Otto Rn 1558), kann aber durch die Satzung ausgeschlossen werden. Die mit der Abwicklung betrauten Personen haften entspr § 53. Eine Umwandlung nach dem UmwG ist für den nicht rechtsfähigen Verein nicht vorgesehen, der dies anstrebende Verein müsste zunächst die Rechtsfähigkeit erwerben.

Kapitel 2 Eingetragene Vereine

§ 55

Zuständigkeit für die Registereintragung

Die Eintragung eines Vereins der in § 21 bezeichneten Art in das Vereinsregister hat bei dem Amtsgericht zu geschehen, in dessen Bezirk der Verein seinen Sitz hat. Die §§ 55ff betreffen die Registrierung der Idealvereine, die seit der Vereinsrechtsreform nicht durch ein Bundes- 1 land bei einem bestimmten AG konzentriert werden kann, so dass es allein auf den Sitz des Vereins ankommt; allerdings kann die Justizverwaltung einem Amtsgericht die Zuständigkeit für mehrere zuweisen (§ 23d GVG). Nach § 3 Nr 1 lit a RpflG obliegen die Führung des Vereinsregisters und die Bearbeitung der Vereinsregistersachen dem Rechtspfleger. Zur Form des Registers s die VRV v 10.2.1999, BGBl I 147. Die mit der elektronischen Anmeldung und Buchung zusammenhängenden praktischen Fragen sind aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 14 IV FamFG zu regeln (BT-Drs 16/12813, 12).

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§ 55 2

Personen

Zu Voraussetzungen und Wirkung der Eintragung vgl § 21. Bzgl des Sitzes § 24. Eintragung beim örtlich unzuständigen Gericht ist wegen § 2 III FamFG nicht unwirksam, und der Verein ist bis zur Löschung als rechtsfähig anzuerkennen. Nach § 395 FamFG muss aber das Registergericht die Löschung verfügen; weigert es sich, so kann hiergegen (nicht gegen die Eintragung als solche) Beschwerde eingelegt werden, Staud/Habermann Rn 1; MüKo/Arnold Rn 8. Eine Sitzverlegung setzt eine entspr Satzungsänderung voraus und muss ins Register eingetragen werden. Zu den verfahrensrechtlichen Einzelheiten § 6 I VRV und dazu Keilbach DNotZ 2000, 671. Wenn das Registergericht bei der Erstanmeldung eines Vereins die Beseitigung eines Eintragungshindernisses fordert, liegt darin eine beschwerdefähige Verfügung gem § 58 FamFG (vgl LG Bonn Rpfleger 2001, 432), im Einz zur Eintragungsverfügung sowie zur Zwischenverfügung § 9 VRV. Eine solche ist aber bzgl eines zur Eintragung angemeldeten Beschlusses nur angebracht, wenn begründete Zweifel an seiner Wirksamkeit bestehen, Düsseldorf DNotZ 2009, 145.

§ 55a

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Elektronisches Vereinsregister

(1) Die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung bestimmen, dass und in welchem Umfang das Vereinsregister in maschineller Form als automatisierte Datei geführt wird. Hierbei muss gewährleistet sein, dass 1. die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Datenverarbeitung eingehalten, insbesondere Vorkehrungen gegen einen Datenverlust getroffen sowie die erforderlichen Kopien der Datenbestände mindestens tagesaktuell gehalten und die originären Datenbestände sowie deren Kopien sicher aufbewahrt werden, 2. die vorzunehmenden Eintragungen alsbald in einen Datenspeicher aufgenommen und auf Dauer inhaltlich unverändert in lesbarer Form wiedergegeben werden können, 3. die nach der Anlage zu § 126 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Grundbuchordnung gebotenen Maßnahmen getroffen werden. Die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung die Ermächtigung nach Satz 1 auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. (2) Das maschinell geführte Vereinsregister tritt für eine Seite des Registers an die Stelle des bisherigen Registers, sobald die Eintragungen dieser Seite in den für die Vereinsregistereintragungen bestimmten Datenspeicher aufgenommen und als Vereinsregister freigegeben worden sind. Die entsprechenden Seiten des bisherigen Vereinsregisters sind mit einem Schließungsvermerk zu versehen. (3) Eine Eintragung wird wirksam, sobald sie in den für die Registereintragungen bestimmten Datenspeicher aufgenommen ist und auf Dauer inhaltlich unverändert in lesbarer Form wiedergegeben werden kann. Durch eine Bestätigungsanzeige oder in anderer geeigneter Weise ist zu überprüfen, ob diese Voraussetzungen eingetreten sind. Jede Eintragung soll den Tag angeben, an dem sie wirksam geworden ist. 1. Aus der durch Art 10 des RegVBG v 20.12.1993 (BGBl I 2182) geschaffenen Vorschrift sind durch das FGGRG von 2008 zwei Absätze in § 387 FamFG überführt worden. Ziel der Regelung war im Rahmen der erstrebten Beschleunigung und Entlastung (dazu Walter MDR 1994, 429; Holzer NJW 1994, 481) die Einführung von Regelungen über die Einrichtung eines vollelektronischen Systems der Registrierung mit automatisierter Datei und einem Abrufverfahren. Die Bestimmungen stehen in engem Zusammenhang mit §§ 8a, 9a HGB, 128, 129 GBO, § 14 IV FamFG. Die VRV regelt eingehend den Aufbau des Vereinsregisters in Karteiform (§ 2), die Gestaltung und Benutzung des Registerblatts (§ 3), seine Neufassung bei Unübersichtlichkeit (§ 5), Einrichtung und Inhalt der Registerakten (§ 7), die Eintragungsverfügung und die Form der Eintragungen (§§ 9, 10), das Verfahren bei Löschung und Berichtigung von Eintragungen (§§ 11, 12). 2. Abs I ermächtigt die Landesregierungen, die Umstellung des Vereinsregisters auf EDV für ihren Bereich anzuordnen; die Ermächtigung kann an die Landesjustizverwaltungen delegiert werden. Nr 1–3 legen die Voraussetzungen fest, die vor einer diesbezüglichen Anordnung vorliegen müssen, wobei die „Grundsätze ordnungsgemäßer Datenverarbeitung“ hauptsächlich in Bezug auf Datenschutz und Sicherung der Software zu beachten sind; dies geschieht namentlich durch die entspr Anwendung der Anlage zu § 126 I 2 Nr 3 GBO, die auch zu § 9 S 1 und 2 BDSG gilt. Insb sollen also unbefugte Eingriffe Dritter ausgeschlossen sein, bevor überhaupt ein System eingeführt wird. Das beruht auf der Vorstellung, dass ein Verzeichnis der Vereine und später weitere für die Registerführung wichtige Verzeichnisse bestehen werden (nach Staud/Habermann Rn 6 kann die Einrichtung eines maschinellen Registers auf einzelne Teile der erforderlichen Angaben beschränkt werden). Das entspricht § 126 II GBO. Diesem Grundsatz folgt auch Abs II, wonach jeweils für einen bestimmten Verein das maschinelle Register seitenweise an die Stelle des bisherigen Registers tritt, sobald die darin enthaltenen Angaben in den (neuen) Datenspeicher aufgenommen sind; die Seiten des bisherigen Registers sind dann zu schließen. Zur Führung einer Registerakte §§ 67 I, 26 S 1 VRV. Die für die Wirksamkeit einer Registereintragung nach bisherigem Recht maßgebende Unterzeichnung einer Eintragung ist ersetzt durch den Zeitpunkt der Aufnahme in die dafür bestimmte Datei, Abs III. Immerhin soll noch eine Angabe des Tages der Eintragung stattfinden, was aber als Sollvorschrift ausgestaltet ist, nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung (Staud/Habermann Rn 8). Zur Überprüfung der Richtigkeit der durch die Aufnahme in die Datei rechtswirksam gewordenen Umstände, für die Abs III S 2 eine Bestätigung verlangt, kann die Freigabeanzeige gem § 25 VRV dienen. Zur Zentralisierung der hier stattfindenden Datenverarbeitung und zur 186

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Juristische Personen – Vereine

§ 57

Heranziehung der bei anderen staatlichen (nicht: privaten) Stellen verfügbaren Daten s § 387 FamFG. Zur Einsicht ins Vereinsregister näher § 79 sowie §§ 31ff VRV.

§ 56

Mindestmitgliederzahl des Vereins

Die Eintragung soll nur erfolgen, wenn die Zahl der Mitglieder mindestens sieben beträgt. Das Register soll von unbedeutenden Vereinen freigehalten werden (vgl auch § 73) und für die Willensbildung 1 ein Mindestmaß an Meinungsvielfalt gewährleisten. Deshalb sind auch bei einem Vereinsverband sieben Mitglieder zu verlangen (LG Hamburg Rpfleger 1981, 198; KG OLG-NL 2001, 205; MüKo/Arnold Rn 2; aM LG Mainz MDR 1978, 312; für religiöse Vereine wird eine Ausnahme diskutiert, Pal/Ellenberger Rn 1; dagegen unter Hinweis auf § 73 Wagner NZG 2016, 1050). Für den Fall, dass die Zahl der Gründungsmitglieder die am Vereinszweck überhaupt nur Interessierten widerspiegelt (die fünf Diözesen der katholischen Kirche in einem Bundesland), hat Hamm NJW-RR 1997, 1397 eine Ausnahme zugelassen (zust BaRo/Schöpflin Rn 3; krit v Campenhausen NJW 1990, 887). Setzen sich die Gründer aus nat Pers und von diesen beherrschten jur Pers zusammen, ist für § 56 nur auf die Zahl der nat Pers abzustellen (Stuttgart MDR 1983, 840; Köln NJW 1989, 173; MüKo/Arnold Rn 3). Fehlt es an der Mindestzahl, ist der Eintragungsantrag zurückzuweisen, trotzdem erfolgte Eintragung ist wirksam, selbst eine durch Täuschung erschlichene (BGH NJW 1983, 993). Anderes gilt, falls nur ein Mitglied vorhanden ist (Staud/Habermann Rn 2). Eine gewisse Sicherung schafft § 59 III. Zur Verminderung der Mitgliederzahl s § 73.

§ 57

Mindesterfordernisse an die Vereinssatzung

(1) Die Satzung muss den Zweck, den Namen und den Sitz des Vereins enthalten und ergeben, dass der Verein eingetragen werden soll. (2) Der Name soll sich von den Namen der an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bestehenden eingetragenen Vereine deutlich unterscheiden. Der Mindestinhalt der Satzung ist in Abs I zwingend festgelegt. Bei Verstoß Nichtigkeit und Möglichkeit der 1 Amtslöschung. Heilung durch nachträgliche Ergänzung der Satzung möglich. Schriftform der Satzung mag nicht Gültigkeitserfordernis sein (s auch Staud/Habermann Rn 2), ist wegen § 59 aber praktisch unentbehrlich. Der Zweck muss so angegeben sein, dass das Vereinsziel im Allg erkennbar ist (zB „Sportausübung“), wobei die Bezeichnung so konkret sein muss, dass die beabsichtigte Tätigkeit und ihr idealer oder wirtschaftlicher Charakter (nicht: die dazu einzusetzenden Mittel) von ihr geprägt werden (weitergehend K. Schmidt BB 1987, 556, 559). Zum Umfang der registerrechtlichen Prüfungskompetenz Keilbach DNotZ 2001, 671; Fleck Rpfleger 2009, 58ff); Hamm NZG 2010, 1113 billigt dem Registergericht eine Beanstandung durch Zwischenverfügung bereits für den Fall zu, dass eine summarische Prüfung ergibt, dass der (bei einer Satzungsänderung) angemeldete Wortlaut die aktuelle Fassung der Satzung nicht korrekt wiedergibt. Solange klar ist, dass der Verein eingetragen werden soll, braucht das Registergericht (bei einer Sitzverlegung auch nicht das künftige) nicht in der Satzung angegeben zu werden (Karlsruhe NZG 2014, 110). Die Prüfung durch das Registergericht, das sich auch mit dem Sollinhalt der Satzung gem § 58 befasst, unterscheidet sich von der Kontrolle der Handhabung von Satzungsvorschriften durch Vereinsorgane, dazu bereits § 25 Rn 4; näher Fleck Rpfleger 2009, 58ff. In der Wahl des Namens ist der Verein frei, eintragungsfähig ist aber nur ein aussprechbarer Name, also nicht ei- 2 ne bloße Reihe von Konsonanten, NJW-RR 2007, 187. Das in Abs 2 genannte Erfordernis der Unterscheidbarkeit ist zwar nur als Sollvorschrift formuliert, doch wird allg in entspr Anwendung des § 18 II HGB die Eintragung abgelehnt, wenn der vorgesehene Name über Art, Zweck, Größe, Bedeutung oder sonstige Verhältnisse des Vereins Täuschungen hervorrufen kann (BayObLG NJW 1979, 957; 1984, 293, 296; Hamm OLG 1981, 433). Bei der Prüfung muss nach den Eindrücken der beteiligten Verkehrskreise über den prägenden Zweck unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls gefragt werden, Stuttgart Die Justiz 2000, 126; Frankfurt NJW 2002, 176. Nach Hamburg MDR 1991, 439 darf sich ein Verein, der die Interessen von Kindern und Jugendlichen wirksam vertreten will, „Anwalt des Kindes eV“ nennen; s auch BayObLG NJW 1992, 2362: „Ärztetag für Medizin ohne Nebenwirkung“. Der Umstand, dass auch ein nicht rechtsfähiger Verein Namensschutz gem § 12 genießt, führt bei Verwechslungsfähigkeit dieses Namens mit dem eines die Eintragung begehrenden Vereins nicht zur Registersperre, weil diese nur auf die am gleichen Ort eingetragenen Vereine abgestellt ist (BayObLG m Kurzkomm Weipert EWiR § 12 BGB 1/87). Eine Anlehnung an eine Berufsgruppe (etwa als deren Arbeitskreis) ist unzulässig, wenn nicht ein repräsentativer Teil der Mitglieder diesem Beruf angehört (Karlsruhe OLGZ 1978, 428; Hamm Rpfl 1978, 132). Fehlvorstellungen können auch durch die Beifügung besondere Aufmerksamkeit weckender Zusätze entstehen, so in Bezug auf „Akademie“ (Bremen NJW 1972, 164), auf „Institut“, wenn dies nicht mit einer Tätigkeitsbezeichnung verbunden ist (Frankfurt NJW-RR 2002, 459; anders KG NZG 2015, 360), ebenso für „Bundeszentrale“ BGH GRUR 1980, 791; hierher kann auch die Bezeichnung Gegenleistungen erfordernder Tätigkeit als „gemeinnützig“ gehören (BGH GRUR 1981, 670). Unzulässig ist nach BayObLG 1959, 287, 290 die Bezeichnung als „Stiftung“, wenn der gemeinnützige Zweck ausschließlich durch Beiträge gefördert werden soll (ähnlich Köln NJW-RR 1997, 1531), wenn der Verein nicht über eine kapitalartige Vermögensausstattung verfügen wird; bei Vorliegen einer stiftungsähnlichen Struktur und einer ausreichenden Vermögensausstattung durch die öffentlichen Zuschüsse ist die Bezeichnung als „Stiftung“ aber zulässig (Frankfurt OLGRp 2001, 53). Westermann

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§ 57

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Nach Frankfurt BB 1974, 577 ist der Name „Wirtschaftskammer“ nicht zulässig, dgl der mit einer Jahreszahl verbundene Name, wenn diese Zahl nicht das Gründungsjahr wiedergibt (KG OLG 1983, 272, s auch Brandenburg NZG 2011, 475). Hinw auf Zugehörigkeit zur Universität sind auch dann täuschend, wenn Vorstandsmitglieder die entspr öffentliche Lehrbefugnis haben (BayObLG MDR 1990, 824: „Institut für steuerwissenschaftliche Information“); Einfügung des Worts „Institut“ in den Namen nur möglich, wenn klargestellt ist, dass es sich nicht um öffentliche oder öffentlich geförderte Einrichtung handelt (LG Detmold Rpfleger 1999, 334). Der Zusatz „…tag“ ist zulässig, wenn er nicht als Hinw auf eine öffentlich-rechtl Körperschaft verstanden werden kann (BayObLG NJW 1992, 2362). Fehlvorstellungen auch bzgl der Größe und Zusammensetzung des Mitgliederkreises kann die Bezeichnung als „Verband“ hervorrufen, Wagner NZG 2006, 1384; großzügig aber Frankfurt NZG 2011, 1234 für „Europäischen Fachverband“. Wird für den Namenskern der Name einer historischen Person gewählt, so muss dieser Bezug zum Vereinszweck haben, wenn er eine programmatische Aussage enthält (Celle OLG 1985, 266f). Zur Amtslöschung ist öffentliches Interesse erforderlich, das auch darin liegen kann, dass der unzulässige Name den Verein ggü anderen zu Unrecht hervorhebt, wie es auch für Hinweise auf eine bestimmte räumliche Herkunft gesehen wurde (Celle Rspr 1974, 222). Jedenfalls folgt daraus Gesamtlöschung und nicht nur Änderung des Namens (BayObLG NJW 1972, 957; Hamm OLG 1978, 431). Bedenklich sind Vereinsnamen, die auf religiösen Gemeindebezeichnungen aufbauen. Während der Name „die Gemeinde in …“ wegen fehlender Individualisierungskraft nicht eingetragen werden kann (LG Bonn Rpfleger 1987, 205), ließ BayObLG 1982, 278 die Bezeichnung „Griechische Gemeinde in … und Umgebung“ zu, weil sie nicht den (täuschenden) Eindruck erwecke, dass alle oder fast alle in diesem Raum ansässigen griechischen Staatsangehörigen Mitglieder seien, so auch für Namen mit einer bestimmten Berufsbezeichnung BayObLG NJW-RR 1993, 184. Krit sind Hervorhebungen eines internationalen Charakters bei unbedeutendem oder keinerlei Kontakte zu den hiermit angesprochenen staatlichen Stellen oder Wirtschaftsverbänden unterhaltendem Verein, LG Tübingen Rpfleger 1995, 362; Stuttgart WRP 1996, 945. Großzügiger ggü Zusätzen wie „European“ Hamm NJW-RR 1999, 1710, ähnlich Frankfurt NZG 2011, 1234 („Europäischer Fachverband“). Eine Eintragung bedeutet keine Entscheidung bzgl des Namensrechts des Vereins, ein gegen § 12 verstoßender Name wird nicht mit Eintragung zulässig (BGH NJW 1953, 577). Ein nach § 18 II HGB (nicht nur nach § 57 II) unzulässiger Name führt zur Ablehnung des Eintragungsantrags (MüKo/Arnold Rn 8) bzw Löschung von Amts wegen oder auf Antrag eines Dritten (BayObLG NJW 1972, 957; Hamm OLG 1981, 433). Auch bei offensichtlicher Verletzung des Namensrechts eines anderen, die aber nicht die sonstigen Erfordernisse der Unterschiedlichkeit und der inhaltlichen Zulässigkeit verletzt, muss eingetragen werden (BayObLG DNotZ 1987, 353; Jena NJW-RR 1994, 698).

§ 58

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Personen

Sollinhalt der Vereinssatzung

Die Satzung soll Bestimmungen enthalten: 1. über den Eintritt und Austritt der Mitglieder, 2. darüber, ob und welche Beiträge von den Mitgliedern zu leisten sind, 3. über die Bildung des Vorstandes, 4. über die Voraussetzungen, unter denen die Mitgliederversammlung zu berufen ist, über die Form der Berufung und über die Beurkundung der Beschlüsse. 1. Bei Nichtberücksichtigung des § 58 ist der Antrag zurückzuweisen, s § 60. Da es sich aber anders als in § 57 I um eine Sollvorschrift handelt, ist eine trotzdem erfolgte Eintragung voll rechtsbeständig, ein Amtslöschungsverfahren findet nicht statt (MüKo/Arnold Rn 1). An die Stelle der fehlenden Satzungsbestimmung treten die gesetzlichen. 2. Die einzelnen Punkte müssen genügend bestimmt sein; zwar gibt es wegen § 310 IV keine AGB-ähnliche Inhaltskontrolle (anders in der Tendenz für das Transparenzgebot Dresden VersR 2009, 1260), doch muss eine Satzungsbestimmung bzgl der finanziellen Belastung der Mitglieder die Obergrenze deutlich hervorheben (BGH NZG 2008, 38). Das gilt auch für die Vorstandsbestellung, BayObLG DNotZ 1972, 79 (vgl zu § 26 Rn 1); für Ein- und Austritt BayObLG NZG 2001, 126; bestimmte Berufungsform für Mitgliederversammlung muss bezeichnet werden (vgl Hamm OLG 1965, 66). Die Form der Berufung der Mitgliederversammlung darf nicht nur dem zuständigen Organ überlassen werden (Hamm MDR 1966, 48). Ausdr Regelung von Ein- und Austritt nur nötig, falls die gesetzliche Regelung nicht gelten soll (BayObLG NJW 1972, 1323). Beitragspflicht muss grds aus der Satzung hervorgehen (s schon § 25 Rn 3), nur ausnahmsweise kann es genügen, wenn Vereinsweck eindeutig ergibt, dass ohne Beiträge Zweckerreichung nicht möglich ist; diese Anforderungen gelten auch, wenn die Beiträge sich nach einem bestimmten Schlüssel richten sollen, Oldenburg OLGRp 2009, 612. Nachdem BGH 105, 206, 216 im Wege der Inhaltskontrolle eine Satzungsbestimmung als zu pauschal verworfen hat, die bei Errichtung eines Sicherungsfonds durch den Verband eine gesonderte Beitragszahlung vorsah, wird man in der Satzungspraxis grds eine Angabe über das Erfordernis von Beiträgen und das Verfahren ihrer Festsetzung, nicht unbedingt auch über die Beitragshöhe vorsehen müssen (BGH NJW 1995, 2981), so dass es genügt, auf den Umsatz des Vorjahres abzustellen (BGH NJW 2010, 3521), so auch zur (korporationsrechtlichen) Pflicht des Mitglieds, neben der Beitragszahlung dem Verein auf der Grundlage eines Vertrags ein Darlehen zu gewähren (BGH ZIP 2008, 1423), wobei auch eine Satzungsangabe über die Obergrenze des Darlehensbetrags gefordert wird (zust van Look LMK 2009, 273641). Demgegenüber lassen Beuthien BB 1987, 6, 10; Soergel/Hadding Rn 3; Staud/Haber188

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Juristische Personen – Vereine

§ 59

mann Rn 3 es ausreichen, das für die Bestimmung zuständige Organ zu bezeichnen, was aber hinlänglich genau geschehen muss, Stuttgart NZG 2012, 317. Eine rückwirkende Beitragserhöhung bedarf einer zweifelsfreien Satzungsgrundlage, Stuttgart NZG 2012, 318, ebenso eine Umlage (näher Müller MDR 1992, 924 und München NJW-RR 1998, 966, das ferner die allg Beitragspflicht nicht für einen „13. Monatsbeitrag“ genügen lässt), auch hier muss eine Obergrenze in der Satzung angegeben sein, BGH ZIP 2007, 2264 und zust Schöpflin Anm WuB II N § 58 BGB 1.08. Unter besonderen Umständen soll die Umlage auch ohne satzungsmäßige Festlegung der Obergrenze möglich sein, das Mitglied hat dann aber Austrittsrecht, BGH ebd; s auch Schubert WM 2008, 1197ff. Zur Beitragserhöhung § 33 Rn 3. Die Beiträge sind mit Pflichten iwS gleichzusetzen, zB auch Pflicht zur Amtsübernahme möglich (weitere Bsp bei Dütz, FS Hilger/Stumpf, 1983, 99, 103). Satzung muss Bestellung des Vorstands ermöglichen, s auch zu § 27. Ist eine Mindestzahl von Vorstandsmitglie- 3 dern festgelegt, kann die Satzung der Mitgliederversammlung die Zuwahl weiterer Vorstandsmitglieder überlassen, ohne eine Mindest- oder Höchstgrenze festzulegen (LG Gießen MDR 1984, 312; anders Staud/Habermann Rn 5). Die Satzung kann auch vorsehen, dass die Inhaber bestimmter Ämter den Vorstand bilden; Auslegungssache ist dann, ob die Mitgliederversammlung eine bestimmte Person in Personalunion in mehrere Vorstandsämter wählen kann; wenn nicht, ist sie in der Besetzung frei (Düsseldorf NJW-RR 1989, 894). Bedingte Bestellung eines Vorstandsmitglieds unzulässig, so dass Vertretungsverhältnisse unter den bestellten und eingetragenen Personen sogleich geregelt werden müssen (BayObLG NJW-RR 1992, 802; MDR 2001, 948; Mittenzwei MDR 1991, 496), s auch § 26 Rn 1. Zu Nr 4 s §§ 32, 36. Zu den Berufungsgründen und zur Einberufung durch Minderheit § 37. Berufung ist Ein- 4 ladung aller (auch nicht stimmberechtigter) Mitglieder zur Versammlung unter Nennung von Zweck, Tagesordnung, Zeit und Ort. Ist unter Verstoß gegen zwingende Satzungsvorschrift einberufen worden, sind gefasste Beschl nichtig (BGH NJW 2008, 960; Hamm NZG 2014, 510), wenn nicht der Verein nachweist, dass der Beschl auch ohne Verstoß ebenso zustande gekommen wäre (Köln MDR 2001, 326; Hamm NZG 2014, 510). Für die Beurkundung der Beschl besteht keine gesetzliche Regelung, die Satzung kann (auch schlüssig) von Beurkundung ganz absehen, kann aber den Punkt nicht ganz ungeregelt lassen (MüKo/Arnold Rn 4). Sie braucht auch keine Bestimmungen über die Mitteilung des Ergebnisses einer schriftlichen Beschlussfassung zu enthalten (Köln NJW-RR 1994, 1547); wenn aber Beurkundung vorgeschrieben ist, muss auch angegeben werden, wer zu unterschreiben hat (LG Lübeck Rpfleger 1986, 263; aM Staud/Habermann Rn 7). Zur Form der Einberufung § 32 Rn 3.

§ 59

Anmeldung zur Eintragung

(1) Der Vorstand hat den Verein zur Eintragung anzumelden. (2) Der Anmeldung sind Abschriften der Satzung und der Urkunden über die Bestellung des Vorstands beizufügen. (3) Die Satzung soll von mindestens sieben Mitgliedern unterzeichnet sein und die Angabe des Tages der Errichtung enthalten. 1. Der Entschlussfreiheit des Vereins über Erwerb der Rechtsfähigkeit und der konstitutiven Wirkung der Ein- 1 tragung entspricht der Antragsgrundsatz; das Verfahren ist im FamFG geregelt. Antragsteller ist der Vorverein, vertreten durch Vorstandsmitglieder in vertretungsberechtigter Zahl (umstr, wie hier LG Schwerin Rpfleger 1997, 264 m Anm Hüttinger NotBZ 1997, 31; AG Mannheim Rpfleger 1979, 179; für Satzungsänderung ebenso BGH 96, 245; NK/Heidel/Lochner Rn 2; BayObLG NJW-RR 1991, 958; Jena NJW-RR 1994, 698). Mitwirkung sämtlicher Vorstandsmitglieder verlangen LG Bonn Rpfleger 2001, 432; Hamm Rpfleger 1984, 487; dafür spricht auch die Formulierung des § 77 (Reuter NZG 2009, 1368, 1372). Vertretung ist aufgrund beglaubigter Vollmacht zulässig, wobei eine öffentliche Beglaubigung etwa iSv § 129 I iV §§ 39, 40 BeurkG erforderlich ist, für die die nach einzelnen Landesgesetzen vorgesehene „amtliche Beglaubigung“ etwa durch einen Bürgermeister nicht ausreicht (Zweibrücken NZG 2014, 1020 zur Anmeldung nach § 67). Vorlage der Urschrift der Satzung ist aber nicht erforderlich. Die rechtsgeschäftliche Alleinvertretungsmacht einzelner Vorstandsmitglieder reicht für die Anmeldung nicht aus (KG HRR 1942, 438). Mitwirkung eines stellvertretenden Mitglieds nicht nötig. Pflicht des Vorstands zur Anmeldung nur ggü Verein, keine Erzwingung durch Registergericht gem § 78. Eintragung ist auch ohne Antrag wirksam, sofern satzungsmäßiger Beschl des Vereins auf Erwerb der Rechtsfähigkeit vorliegt; durfte nicht eingetragen werden, ist Eintragung unwirksam und von Amts wegen zu löschen (Soergel/Hadding Rn 5); für Wirksamkeit bzgl Form vgl § 77. Die in Nr 1 und 2 erwähnten Abschriften sind formlos, zur Anmeldung von Satzungsänderungen s aber § 71. Ein ausgeschiedenes Vorstandsmitglied kann nicht mehr anmelden (Stöber/Otto Rn 1219a), auch nicht sein eigenes Ausscheiden (Stöber/Otto Rn 1232). 2. Beifügung der aufgezählten Anlagen ist Sollvorschrift (Staud/Habermann Rn 8; NK/Heidel/Lochner Rn 4), für 2 Behandlung des Abs II als Mussvorschrift KG JFG 1, 273; zur Aufbewahrung der Dokumente vgl § 66 II. Die nicht eingereichten Urkunden werden nicht Bestandteile der Satzung (RG 73, 187, 193). Unterschrift durch sieben Mitglieder bloße Ordnungsvorschrift. Obliegt einem anderen Organ die Wahl des Vorstands (zB Kuratorium), ist der Anmeldung die Urkunde über die Bestellung beizufügen (BayObLG 1984, 1).

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1

2

§ 60

Personen

§ 60

Zurückweisung der Anmeldung

Die Anmeldung ist, wenn den Erfordernissen der §§ 56 bis 59 nicht genügt ist, von dem Amtsgericht unter Angabe der Gründe zurückzuweisen. 1. Die Erzwingbarkeit der Eintragung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ist Folge des Normativsystems, das Gericht hat Prüfungspflicht und muss sich dabei um materiell richtige Entscheidungen bemühen (MüKo/Arnold Rn 1). Dem entspricht auch die Einschränkung des Ermessens der Behörde bei hemmenden Umständen. 2. Zurückweisung des Antrags hat zu erfolgen, falls eine der materiellen oder formellen Voraussetzungen fehlt (zB bei wirtschaftlichem Zweck), und bei Gesetzesverstoß, zB §§ 134, 138 (BGH NJW 1952, 1216), allerdings muss der Vereinszweck dann direkt gegen Gesetz (auch Strafgesetz) verstoßen, also nicht bei Wettbewerbsfischerei (LG Hamburg NJW-RR 1991, 892). § 60 zählt die Prüfungsgegenstände nicht abschließend auf, so dass auch bei unzulässigen Namen oder bei unzulässigem Zweck (Eintreibung rückständiger Forderungen für Vereinsmitglieder, LG Bonn NJW-RR 1995, 1515) der Antrag zurückzuweisen ist. Im Bereich des durch §§ 56–59 Geregelten darf sich die Prüfung durch das Registergericht auf die hierfür notwendigen Umstände beschränken, iÜ bleibt es aber bei dem Grundsatz, dass alle die Rechtmäßigkeit betreffenden Gegebenheiten, nicht auch die Zweckmäßigkeit und Klarheit der Regelungen, bei bestehendem Anlass zu prüfen sind (Staud/Habermann Rn 3, gegen weitere Prüfungskompetenz aber Köln Rpfleger 1994, 15). Zu einer im Rahmen einer Zwischenverfügung erhobenen Aufforderung, Eintragungshindernisse zu beseitigen, s § 55 Rn 2; s auch § 9 VRV. Nicht von Belang für die Zurückweisung der Eintragung gem § 60 ist, dass die verletzte Norm eine „Sollvorschrift“ wie § 56 ist (Stuttgart OLG 1983, 307, 308). Gegen eine Zurückweisung ist Beschwerde gem §§ 111 I RpflG, 58 FamFG statthaft.

§§ 61–63 § 64 1

2

Inhalt der Vereinsregistereintragung

Bei der Eintragung sind der Name und der Sitz des Vereins, der Tag der Errichtung der Satzung, die Mitglieder des Vorstands und ihre Vertretungsmacht anzugeben. 1. Die Fassung beruht auf dem ERJuKoG v 10.12.2001 (BGBl I 3422). Zuvor waren auch Bestimmungen einzutragen, die den Umfang der Vertretungsmacht des Vorstands beschränken oder die Beschlussfassung des Vorstands abw von § 28 I aF regeln, s aber § 70. Das bedeutet praktisch, dass jetzt auch eine dem Gesetz entspr Zuteilung der Vertretungsmacht eingetragen werden muss (Müko/Arnold Rn 3). Der Inhalt der Eintragung muss, um die konstitutive Wirkung des § 21 zu äußern, die Identität des Vereins erkennen lassen, also mindestens Namen und Sitz angeben. Sonstige Punkte nur Sollvorschrift, über § 64 hinausgehende Eintragungen sind zulässig; zu Einschränkungen der Vertretungsmacht BGH 69, 250, 253; Düsseldorf Rpfleger 1982, 477. Für Satzung tritt Aufbewahrung der Abschrift, § 66 II, an die Stelle; zum Umfang der Wirksamkeitskontrolle § 60 Rn 2. 2. Sonstige Eintragungen, zB §§ 67 und 71 (Vorstands- und Satzungsänderung), sind nicht nach Belieben der Beteiligten, sondern nur nach Maßgabe des Gesetzes möglich; fehlt eine Eintragung zu einer bestehenden Beschränkung der Vertretungsmacht, ist die Eintragung des Vorstands nicht unwirksam. Nach BayObLG NJW 1981, 2068 ist auch die Eintragung des besonderen Vertreters gem § 30 eintragbar (ebenso Sauter/Schweyer/ Waldner Rn 313; anders für bloß rechtsgeschäftlichen Vertreter), ebenso für Einzelvertretung bei Vorhandensein mehrerer Vorstandsmitglieder, BGH 69, 250, oder für Zuständigkeitsverteilung unter mehreren Vorständen, BGH NJW 1992, 1453. Stellvertretung nur für den Verhinderungsfall ist eintragungsfähig (Staud/Habermann Rn 8; Soergel/Hadding Rn 5).

§ 65 1

(weggefallen)

Namenszusatz

Mit der Eintragung erhält der Name des Vereins den Zusatz „eingetragener Verein“. Der Zusatz wird automatisch Bestandteil des Namens, Führung des Zusatzes ist Pflicht, doch löst ein einmaliger Verstoß nicht etwa eine Rechtsscheinshaftung des Vorstands gem § 54 S 2 aus (Celle NJW-RR 1999, 1052), während wiederholte Verstöße bei entspr subjektivem Tatbestand sogar unter § 826 fallen sollen (MüKo/Arnold Rn 2; Staud/Habermann Rn 2), was überzogen erscheint, solange nicht die subjektiven Anforderungen entspr hoch angesetzt werden.

§ 66

Bekanntmachung der Eintragung und Aufbewahrung von Dokumenten

(1) Das Amtsgericht hat die Eintragung des Vereins in das Vereinsregister durch Veröffentlichung in dem von der Landesjustizverwaltung bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem bekannt zu machen. (2) Die mit der Anmeldung eingereichten Dokumente werden vom Amtsgericht aufbewahrt.

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Juristische Personen – Vereine

§ 69

Bek ist zwingend vorgeschrieben, aber für Wirkung des § 21 nicht erforderlich (Soergel/Hadding Rn 1). Zu veröffentlichen ist der nach § 64 notwendige Inhalt der Satzung. Außer öffentlicher Bek auch Mitteilung an Beteiligte nach den Regeln der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Einzelheiten regeln §§ 13ff VRV, dort (in § 17) sowie in § 72 auch Regelung über bestimmte Bescheinigungen.

§ 67

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Änderung des Vorstands

(1) Jede Änderung des Vorstands ist von dem Vorstand zur Eintragung anzumelden. Der Anmeldung ist eine Abschrift der Urkunde über die Änderung beizufügen. (2) Die Eintragung gerichtlich bestellter Vorstandsmitglieder erfolgt von Amts wegen. Rechtsänderungen im Vorstand erfolgen durch Beschl der Mitgliederversammlung, Eintragung nur deklarato- 1 risch, hat aber die Vermutung der Richtigkeit für sich (BayObLG Rpfleger 1981, 487; Sauter/Schweyer/Waldner Rn 391), so dass Eintragung nötig ist (MüKo/Arnold Rn 1). Erneute Bestellung eines Vorstandsmitglieds nicht anmeldepflichtig. Einzutragen auch das Erlöschen des Amtes; dasselbe gilt für besondere Vertreter gem § 30. Schutz Dritter nach § 68. Anzumelden ist eine Änderung auch dann, wenn sie vor der Anmeldung bereits erloschen ist (dafür Reichert Rn 2347; aM BayObLG Rpfleger 1986, 292, 295; dagegen MüKo/Arnold Rn 5). Zur Zahl der zur Mitwirkung verpflichteten Vorstandsmitglieder § 59 Rn 1; dass es hier auf die Mitglieder in vertretungsberechtigter Zahl ankommt, folgt daraus, dass für einen bestehenden Verein gehandelt wird (Staud/Habermann Rn 3). Anmeldung ist erzwingbar, vgl § 78, die Ordnungsstrafen treffen die Vorstandsmitglieder. Die richterliche Prüfung der Anmeldung (§ 60 Rn 2) betrifft auch die Einhaltung satzungsmäßiger Formen (zB Unterschrift eines Protokollführers, Hamm NJW-RR 1997, 484), doch ist nicht zu prüfen, ob ständig alle Vorstandsämter besetzt sind (Stöber/Otto Rn 1231). Zur Form vgl § 77. Zur kostenrechtlichen Behandlung der Eintragungen Hamm OLGRp 2009, 679.

§ 68

Vertrauensschutz durch Vereinsregister

Wird zwischen den bisherigen Mitgliedern des Vorstands und einem Dritten ein Rechtsgeschäft vorgenommen, so kann die Änderung des Vorstands dem Dritten nur entgegengesetzt werden, wenn sie zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts im Vereinsregister eingetragen oder dem Dritten bekannt ist. Ist die Änderung eingetragen, so braucht der Dritte sie nicht gegen sich gelten zu lassen, wenn er sie nicht kennt, seine Unkenntnis auch nicht auf Fahrlässigkeit beruht. 1. Änderung des Vorstands ohne Eintragung bedeutet Gefahr für Dritten, der sich auf die unrichtig gewordene 1 Eintragung verlässt. Dritter kann auch ein Vereinsmitglied sein (allerdings ist Gutgläubigkeit besonders zu prüfen), Staud/Habermann Rn 6; zweifelnd MüKo/Arnold Rn 3. Grundsatz der negativen Publizität des Registers, wie im früheren § 15 HGB. Die dort entwickelten gewohnheitsrechtlichen Sätze gelten für § 68 nicht, da hier das gesteigerte Verkehrsschutzbedürfnis des Handelsrechts fehlt. Dass nach § 26 I 3 der Umfang der Vertretungsmacht auch durch Satzung mit Wirkung gegen Dritte beschränkt werden kann, beschränkt sich auf die ursprüngliche Satzung und gilt nicht für Satzungsänderung (Staud/Habermann Rn 1). Schutz genießt immer nur der Partner eines Rechtsgeschäfts (zu Nebenpflichtverletzungen MüKo/Arnold Rn 2), nicht ein deliktischer Gläubiger. Schutz nicht gegen jede Unrichtigkeit des Registers, sondern nur für Fortbestand der einmal gültig entstande- 2 nen Vertretungsmacht eingetragener Vorstände (Umfang der Vertretungsmacht nach § 70). Also kein Schutz bei von Anfang an unrichtiger Eintragung (evtl § 839), wohl bei Nichteintragung des Erlöschens einer nicht eingetragenen Vertretungsmacht oder bei Änderung der Vertretungsmacht eines gültig bestellten, aber nicht eingetragenen (dazu Staud/Habermann Rn 2) Vorstandsmitglieds. Die Änderung oder das Erlöschen ist hier die eintragungspflichtige Tatsache. Schutz bedeutet, dass dem Dritten ggü die Vertretungsmacht als bestehend gilt. 2. Gutgläubigkeit ist Voraussetzung für S 1, ausgeschlossen durch positive Kenntnis der Unrichtigkeit sowie 3 durch fahrlässige Unkenntnis. Kausalität zw Registereintragung und Verhalten des Außenstehenden nicht erforderlich, Staud/Habermann Rn 2. Die eingetragene Tatsache (S 2) wirkt grds gegen jeden. Wer sie nicht gelten lassen will, hat Beweislast der Nichtkenntnis und der Unzumutbarkeit der Kenntnisnahme. 3. § 68 gilt nur für Rechtsverkehr, analoge Anwendung für Prozessrecht sinnvoll (BGH DB 1985, 1838; Frankfurt Rpfleger 1978, 134; Soergel/Hadding Rn 26), für die Haftung des Vereins aus § 31 aber bedeutungslos (BGH aaO). Die Norm gilt nicht für das Innenverhältnis des Vereins, zur Einberufung der Mitgliederversammlung durch (noch) eingetragenen, aber nicht (mehr) im Amt befindlichen Vorstand s § 32 Rn 3.

§ 69

Nachweis des Vereinsvorstands

Der Nachweis, dass der Vorstand aus den im Register eingetragenen Personen besteht, wird Behörden gegenüber durch ein Zeugnis des Amtsgerichts über die Eintragung geführt. Der Legitimationsnachweis durch den Registerauszug anstelle von Originalurkunden dient zur Erleichterung 1 des Verkehrs mit Behörden, zB GBA (zum Nachw gem § 29 GBO Staud/Habermann Rn 4), hat keine Bedeutung im rechtsgeschäftlichen Verkehr. Das Zeugnis bezieht sich auf Bestehen und Umfang der Vertretungsmacht

Westermann

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§ 69

Personen

(zum letzteren MüKo/Arnold Rn 1). Dritte können weitergehenden Nachw verlangen, Vertrauen auf Auszug kann aber nicht als Fahrlässigkeit iSv § 68 gewertet werden. Gutglaubensschutz nur im Rahmen der §§ 68, 70.

§ 70

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§ 71

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2

3

Änderungen der Satzung

(1) Änderungen der Satzung bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Vereinsregister. Die Änderung ist von dem Vorstand zur Eintragung anzumelden. Der Anmeldung sind eine Abschrift des die Änderung enthaltenden Beschlusses und der Wortlaut der Satzung beizufügen. In dem Wortlaut der Satzung müssen die geänderten Bestimmungen mit dem Beschluss über die Satzungsänderung, die unveränderten Bestimmungen mit dem zuletzt eingereichten vollständigen Wortlaut der Satzung und, wenn die Satzung geändert worden ist, ohne dass ein vollständiger Wortlaut der Satzung eingereicht wurde, auch mit den zuvor eingetragenen Änderungen übereinstimmen. (2) Die Vorschriften der §§ 60, 64 und des § 66 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung. 1. Die Eintragung hat konstitutive Wirkung, also Beschl der Mitgliederversammlung nicht ausreichend, auch für das Innenverhältnis des Vereins (BGH 23, 122, 128). Wegen der konstitutiven Wirkung der Eintragung kann sich der Beschl keine Rückwirkung beilegen, Hamm ZIP 2007, 336 (LS), wohl kann ein erst späterer Zeitpunkt für das Wirksamwerden der Änderung vorgesehen sein (MüKo/Arnold Rn 3 gegen LG Bonn Rpfl 1984, 192). Sonst wird ein Beschl, dessen Grundlage eine noch nicht eingetragene Satzungsänderung ist, mit der Eintragung wirksam (München NJW-RR 1998, 966). Zu aufschiebenden Bedingungen Rn 3. Die Eintragung ist von den Mitgliedern des Vorstands zu beantragen (nicht auch erweiterter Vorstand, BGH 96, 245, 247 und § 59 Rn 1). Dabei lässt es der BGH genügen, dass ein alleinvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied anmeldet (so auch Kirberger ZIP 1986, 346ff). Beizufügen ist der Wortlaut der Satzung, der aber nicht von den Vorstandsmitgliedern in vertretungsberechtigter Zahl unterschrieben werden muss, Hamm NZG 2010, 1113. Daran ist auch angesichts der Entscheidung zur Ersteintragung des Vereins (§ 59 Rn 1) und zu den Änderungen der Vorstandsbesetzung (§ 67 Rn 1) festzuhalten. 2. Die gerichtliche Prüfung entspricht der bei Eintragung des Vereins, ebenso die Aufbewahrung des Beschl (§ 66 II). Die Eintragung ist abzulehnen, falls sie eine unzulässige Gestaltung verlautbaren würde, so Stuttgart OLG 1971, 465 für eine Eintragung, die einen wirtschaftlichen Zweck des Vereins ergeben würde. Nach Anmeldung einer Satzungsänderung ist Prüfungsgegenstand die gesamte neue Satzung, auch der nicht geänderte Teil (BayObLG 1984, 293, 295). Indessen kann das Registergericht dem anmeldenden Vorstand nicht im Wege der Zwischenverfügung eine Erklärung aufgeben, dass der eingereichte Satzungswortlaut mit der Ursprungsfassung übereinstimmt, Düsseldorf NZG 2010, 754. 3. Inhalt der Eintragung ist durch § 3 I Nr 4a VRV dahin bestimmt, dass die geänderten Vorschriften und ihr Gegenstand zu benennen sind. Dies betrifft auch gem § 64 eintragungspflichtige Umstände, die dann mit der geänderten Satzungsbestimmung schlagwortartig näher zu bezeichnen sind (Nürnberg NZG 2012, 1155, das aber dieses Erfordernis nicht auf die Satzungsänderung bzgl anderer Gegenstände ausdehnt, so auch Sauter/Schweyer/ Waldner Rn 140). Wünschenswert sind derartige Angaben aber doch, und es ist auch weiterhin davon auszugehen, dass eine Einschränkung der Vertretungsmacht des Vorstands nur wirksam ist, wenn dies klar aus dem Vereinsregister hervorgeht (München MDR 1955, 160; BGH 18, 303, 307). In begrenztem Umfang können auch aufschiebend bedingte und befristete Satzungsänderungen vorab eingetragen werden, wenn der Zeitpunkt des Inkrafttretens aus der Eintragung entnommen werden kann und nicht allzu weit entfernt ist (Ziegler Rpfleger 1984, 320 gegen LG Bonn Rpfleger 1984, 192); gegen aufschiebende Bedingungen aber Reichert Rn 631, was jedenfalls für eine auflösende Bedingung zutrifft.

§ 72 1

Vertrauensschutz bei Eintragungen zur Vertretungsmacht

Die Vorschriften des § 68 gelten auch für Bestimmungen, die den Umfang der Vertretungsmacht des Vorstands beschränken oder die Vertretungsmacht des Vorstands abweichend von der Vorschrift des § 26 Absatz 2 Satz 1 regeln. Zu unterscheiden ist die nachträgliche Einschränkung der Vertretungsmacht durch Satzungsänderung, die erst durch Eintragung ins Register wirksam wird (unter der Voraussetzung näherer inhaltlicher Bezeichnung, BGH 18, 303, 306), von der von Anfang an im Vergleich mit § 26 beschränkten Vertretungsmacht, s dazu § 64 Rn 1, § 68 Rn 1. Wirksamkeit gegen gutgläubige Dritte richtet sich nach § 70; bei Schweigen des Registers kann also der Dritte sich auf die unbeschränkte Vertretungsmacht gem § 26 verlassen, BGH NJW 1980, 2799. § 70 erfasst aber nicht eine im Register eingetragene Befreiung von § 181 (MüKo/Arnold Rn 3).

Bescheinigung der Mitgliederzahl

Der Vorstand hat dem Amtsgericht auf dessen Verlangen jederzeit eine schriftliche Bescheinigung über die Zahl der Vereinsmitglieder einzureichen. Hilfsvorschrift für §§ 37 und 73. Bescheinigung bezieht sich nur auf die Mitgliederzahl, nicht auf die Namen der Mitglieder. Erzwingung gem § 78. Die Vorschrift gilt nicht für nach § 22 konzessionierte oder nicht ein192

Westermann

Juristische Personen – Vereine

§ 75

getragene Vereine (Staud/Habermann Rn 2; BaRo/Schöpflin Rn 2), weil sie die Prüfung der Existenzfähigkeit (kleiner) Idealvereine im Auge hat.

§ 73

Unterschreiten der Mindestmitgliederzahl

Sinkt die Zahl der Vereinsmitglieder unter drei herab, so hat das Amtsgericht auf Antrag des Vorstands und, wenn der Antrag nicht binnen drei Monaten gestellt wird, von Amts wegen nach Anhörung des Vorstands dem Verein die Rechtsfähigkeit zu entziehen. Die Form des eV soll nicht von ganz unbedeutenden Vereinen benutzt werden, vgl auch § 59 III. Aber nicht au- 1 tomatischer Verlust der Rechtsfähigkeit (zu den Rechtsfolgen bei Wegfall des letzten Mitglieds § 56 Rn 1), sondern Entziehung durch konstitutiv wirkenden Beschl, der ohne weiteres zu ergehen hat, wenn der Vorstand Antrag stellt (MüKo/Arnold §§ 72, 73 Rn 2). Dreimonatsfrist soll Auffüllung der Mitglieder ermöglichen, so dass die Entziehung nicht stattfinden soll, wenn der Vorstand eine Erhöhung der Mitgliederzahl über drei in Aussicht stellen kann (Staud/Habermann Rn 2), dem ist dann aber nach § 26 FamFG nachzugehen. Frist beginnt mit Sinken der Mitgliederzahl unter drei. Falls Vorstand fehlt, Vorgehen nach § 29 auch ohne Antrag eines Beteiligten (BayObLG NJW-RR 1989, 765). Zum Verfahren Böttcher Rpfleger 1988, 169; dort auch zu dem Fall, dass weder Mitglieder noch Vorstand vorhanden sind; Entziehung der Rechtsfähigkeit nach § 58 FamFG kann mit Beschwerde angegriffen werden.

§ 74

Auflösung

(1) Die Auflösung des Vereins sowie die Entziehung der Rechtsfähigkeit ist in das Vereinsregister einzutragen. (2) Wird der Verein durch Beschluss der Mitgliederversammlung oder durch den Ablauf der für die Dauer des Vereins bestimmten Zeit aufgelöst, so hat der Vorstand die Auflösung zur Eintragung anzumelden. Der Anmeldung ist im ersteren Fall eine Abschrift des Auflösungsbeschlusses beizufügen. Eintragung ist in allen Fällen der Auflösung ohne Rücksicht auf Art der Liquidation sowie bei Entziehung der Rechtsfähigkeit erforderlich. Wirkung tritt auch ohne Eintragung ein, diese ist also lediglich deklaratorisch. Bei Auflösungsbeschluss und Zeitablauf Eintragung auf Anmeldung des Vorstands, erzwingbar nach § 78. Wie im Fall des § 73 auch hier Bestellung eines Vorstands nach § 29 von Amts wegen (MüKo/Arnold §§ 74, 75Rn 2; aM Muscheler, FS Reuter, 225, 233).

§ 75

1

Eintragungen bei Insolvenz

(1) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der Beschluss, durch den die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse rechtskräftig abgewiesen worden ist, sowie die Auflösung des Vereins nach § 42 Absatz 2 Satz 1 sind von Amts wegen einzutragen. Von Amts wegen sind auch einzutragen 1. die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses, 2. die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, wenn zusätzlich dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt oder angeordnet wird, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, und die Aufhebung einer derartigen Sicherungsmaßnahme, 3. die Anordnung der Eigenverwaltung durch den Schuldner und deren Aufhebung sowie die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsgeschäfte des Schuldners, 4. die Einstellung und die Aufhebung des Verfahrens und 5. die Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans und die Aufhebung der Überwachung. (2) Wird der Verein durch Beschluss der Mitgliederversammlung nach § 42 Absatz 1 Satz 2 fortgesetzt, so hat der Vorstand die Fortsetzung zur Eintragung anzumelden. Der Anmeldung ist eine Abschrift des Beschlusses beizufügen. 1. Die seit 1.1.1999 geltende Regelung betrifft die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, auch die Abweisung man- 1 gels Masse, mit den in §§ 80ff InsO geregelten Folgen, und sie erfasst auch die Pflicht zur Eintragung eines vorläufigen Insolvenzverwalters unter den in Nr 2 genannten Voraussetzungen sowie die „Aufhebung“ einer „derartigen Sicherungsmaßnahme“, die also vor der eigentlichen Eröffnung liegen (näher Rn 2). Schließlich regelt sie (Nr 4) die Einstellung und Aufhebung des Verfahrens. Die Regelung hängt mit § 52 I 1 zusammen, der an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht nur den Verlust der Rechtsfähigkeit, sondern die Auflösung des Vereins knüpft; für den Verzicht auf die Rechtsfähigkeit gilt § 75 nicht, sondern die Generalklausel des § 74, MüKo/ Arnold §§ 74, 75 Rn 4. Nr 3 stellt eine praktisch notwendige Klarstellung dar. Generell zu den Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf die im Vereinsregister zu bewirkenden Eintragungen einschl der Eigenverwaltung (Nr 3) Wentzel Rpfleger 2001, 334. 2. Die Voraussetzungen, unter denen die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters im Vereinsregister ein- 2 zutragen ist, sind diejenigen des § 21 II 1 Nr 1 InsO, die allg als „Sicherungsmaßnahmen“ angesehen werden. Für die Registereintragung bedeutet dies, dass die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters nur bei „zuWestermann

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§ 75

3

sätzlichem“ Erlass des Verfügungsverbots oder der Anordnung, dass der Vereinsvorstand oder Liquidatoren Verfügungen nur mit Zustimmung des Insolvenzverwalters treffen dürfen, einzutragen ist. Publizität dahingehend, dass das Verfahren eröffnet, aber ein vorläufiger Insolvenzverwalter nicht bestellt ist, geht also vom Fehlen der entspr Eintragung im Register nicht aus, da das Gericht bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters weitere Sicherungsmaßnahmen nicht für erforderlich gehalten haben kann. Ist die Einsetzung des Verwalters dagegen eingetragen, so folgt daraus, dass auch die eine der genannten – eintragungspflichtigen – Sicherungsmaßnahmen (Verfügungsverbot oder Abhängigkeit der Verfügung des Vereins von der Zustimmung des Verwalters) getroffen sein muss. Ferner folgt aus § 23 I 1 InsO, dass der Beschl über die Verfügungsbeschränkungen und die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters öffentlich bekannt zu machen ist. Daneben hat angesichts eines eV als Schuldners die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts gem § 23 II InsO eine Ausfertigung des Beschl über die Verfügungsbeschränkung dem Registergericht zu übermitteln. Hingegen betrifft § 23 III InsO, der die Registereintragung der Verfügungsbeschränkung regelt, nur das Grundbuch und sonstige Register, in denen Pfandrechte vermerkt werden können, nicht auch Handels- und Vereinsregister. Einem Schluss dahin, dass die Verfügungsbeschränkung beim eV nicht eingetragen werden muss, steht aber entgegen, dass nach dem letzten Hs der in Abs I Nr 2 getroffenen Regelung die Aufhebung des Verfügungsverbots oder der ihm gleichstehenden Verfügungsbeschränkung einzutragen ist (ebenso für Eintragung der Eigenverwaltung gem § 270 InsO und deren Aufhebung, § 272 InsO, NK/Eckardt Rn 6). Einen abweichenden Schluss legt die Regelung im ersten Hs nahe, besonders das Wort „zusätzlich“, das den Eindruck entstehen lassen muss, dass nur bei Notwendigkeit der genannten Sicherungsmaßnahmen die Eintragung des vorläufigen Insolvenzverwalters überhaupt nötig erscheint. Es liegt daher nahe, § 75 Abs I Nr 2 dahin zu verstehen, dass mit der Aufhebung der Sicherungsmaßnahme auch das Vorhandensein eines vorläufigen Insolvenzverwalters nicht mehr aus dem Register hervorzugehen braucht. Dieser verliert aber iÜ mit der Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen nicht seine Stellung, da das Gericht von § 22 II 1 InsO Gebrauch gemacht haben und die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters bestimmt haben kann, ohne dem Schuldner ein allg Verfügungsverbot aufzuerlegen. In diesem Fall ist seine Bestellung gem § 75 nicht eintragungspflichtig. Einstellung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens, die nach Abs I Nr 4 von Amts wegen einzutragen sind, haben ihren Grund einmal im Fehlen hinlänglicher Masse (§ 207 I InsO), zum anderen (§ 200 InsO) im Vollzug der Schlussverteilung. In beiden Fällen kann nach § 42 I 2 die Mitgliederversammlung die Fortsetzung des Vereins beschließen. Die Eintragung der Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans (Abs I Nr 5) hängt mit der Befriedigung der in § 217 InsO genannten Gläubigergruppen, ua der Absonderungsberechtigten, durch einen Insolvenzplan zusammen, der eine von den Vorschriften der InsO abw Gläubigerbefriedigung, Verteilung der Masse und Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Verfahrens, nach den Erfahrungen im SuhrkampFall (dazu H.P. Westermann NZG 2015, 1341) uU auch Umwandlungen oder verbandsrechtliche Neuordnungen bestimmen kann; zum Inhalt der Bekanntmachung § 267 II InsO. Die Eintragung ist aus Sicht des Rechtsverkehrs wichtig, weil auch in diesem Stadium der Insolvenzplan die Zustimmungsbedürftigkeit bestimmter Geschäfte begründen kann (§ 263 InsO). Dementsprechend ist auch die Aufhebung der Überwachung (§ 268 InsO) einzutragen und wie die Begründung der Überwachung bekanntzumachen.

§ 76

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Personen

Eintragungen bei Liquidation

(1) Bei der Liquidation des Vereins sind die Liquidatoren und ihre Vertretungsmacht in das Vereinsregister einzutragen. Das Gleiche gilt für die Beendigung des Vereins nach der Liquidation. (2) Die Anmeldung der Liquidatoren hat durch den Vorstand zu erfolgen. Bei der Anmeldung ist der Umfang der Vertretungsmacht der Liquidatoren anzugeben. Änderungen der Liquidatoren oder ihrer Vertretungsmacht sowie die Beendigung des Vereins sind von den Liquidatoren anzumelden. Der Anmeldung der durch Beschluss der Mitgliederversammlung bestellten Liquidatoren ist eine Abschrift des Bestellungsbeschlusses, der Anmeldung der Vertretungsmacht, die abweichend von§ 48 Absatz 3 bestimmt wurde, ist eine Abschrift der diese Bestimmung enthaltenden Urkunde beizufügen. (3) Die Eintragung gerichtlich bestellter Liquidatoren geschieht von Amts wegen. Im Rahmen der Vereinsrechtsreform ist die Eintragungspflicht erweitert worden. Klargestellt wird in Abs I S 1, dass Gegenstand der Eintragung die Vertretungsmacht der Liquidatoren ist. Folgerichtig ist auch die Beendigung des Vereins nach Abschluss der Liquidation einzutragen. Die Regelung ist insgesamt eine Folge der Gleichstellung von Liquidatoren und Vorstand, vgl § 48 II, sowie des Umstands, dass die Liquidation Folge der in den §§ 45ff genannten eintragungspflichtigen Tatsachen ist. Auch §§ 68–70 gelten. Die Eintragungspflicht besteht auch bei Personengleichheit von Vorstand und Liquidatoren. Die ersten Liquidatoren hat noch der Vorstand anzumelden. Ist der Vorstand schon vor Wirksamwerden des Auflösungsbeschlusses aus seinem Amt ausgeschieden und ist bereits ein Liquidator bestellt, so kann dieser die Auflösung des Vereins und die Bestellung des ersten Liquidators anmelden (Hamm WM 1990, 879 m Anm Buchegger Rpfleger 1991, 17); das muss jetzt auch für den Fall gelten, dass die Auflösung des Vereins und die Liquidatoren eingetragen sind (LG Siegen m Anm Meyer-Stolte Rpfleger 1991, 115). Die Liquidatoren handeln als Gesamtvertreter (Stöber/Otto Rn 1234). Eine abstrakte Vertretungsregelung (etwa nach § 67 I GmbHG) ist auch dann einzutragen, wenn nur ein erster Liquidator bestellt ist, BGH WM 2007, 1372 m zust Anm Müller/Rieg 194

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Juristische Personen – Vereine

§ 79

WuB II C § 67 GmbHG 1.07. Liquidation muss auch dann angemeldet werden, wenn der Verein bei Fehlen eines verteilungsfähigen Vermögens durch Mitgliederbeschluss erloschen ist, Düsseldorf NZG 2013, 1185.

§ 77

Anmeldepflichtige und Form der Anmeldungen

Die Anmeldungen zum Vereinsregister sind von Mitgliedern des Vorstands sowie von den Liquidatoren, die insoweit zur Vertretung des Vereins berechtigt sind, mittels öffentlich beglaubigter Erklärung abzugeben. Die Erklärung kann in Urschrift oder in öffentlich beglaubigter Abschrift beim Gericht eingereicht werden. Es besteht Mitwirkungspflicht der Vorstandsmitglieder in vertretungsberechtigter Zahl (AG Mannheim Rpfleger 1979, 196; dazu auch Terner DNotZ 2010, 5, 20; s ferner § 59 Rn 1). Das Formerfordernis ist Grundlage für die ordnungsgemäße Registerführung (vgl § 12 HGB, § 29 GBO), gilt auch für Vollmacht zur Vertretung bei der Anmeldung (KGJ 26 A 232; MüKo/Arnold Rn 2). Als Form genügt jetzt Vorlage einer elektronischen Abschrift, die nach § 39a BeurkG elektronisch beglaubigt wurde, Begr RegE BT-Drs 16/12813, 14, nicht aber eine „amtliche Beglaubigung“. Auch hier berühren Mängel der Form die Wirksamkeit der Eintragung nicht (Richert NJW 1958, 894, 896; dort auch über Heilbarkeit rechtlich mangelhafter Registeranmeldungen durch Eintragung).

§ 78

1

Festsetzung von Zwangsgeld

(1) Das Amtsgericht kann die Mitglieder des Vorstands zur Befolgung der Vorschriften des § 67 Abs. 1, des § 71 Abs. 1, des § 72, des § 74 Abs. 2, des § 75 Absatz 2 und des § 76 durch Festsetzung von Zwangsgeld anhalten. (2) In gleicher Weise können die Liquidatoren zur Befolgung der Vorschriften des § 76 angehalten werden. Das Verfahren der Festsetzung von Zwangsgeld, das keine Strafe iSd Strafrechts ist, regelt sich nach den 1 §§ 388–391 FamFG. Der Strafrahmen ist in Art 6 I 1 EGStGB geregelt. Die Strafe trifft jedes anmeldepflichtige Vorstandsmitglied persönlich, nicht den Verein (KGJ 26 A, 232), deswegen kann nicht in das Vereinsvermögen vollstreckt werden (Soergel/Hadding Rn 2; Staud/Habermann Rn 3).

§ 79

Einsicht in das Vereinsregister

(1) Die Einsicht des Vereinsregisters sowie der von dem Verein bei dem Amtsgericht eingereichten Dokumente ist jedem gestattet. Von den Eintragungen kann eine Abschrift verlangt werden; die Abschrift ist auf Verlangen zu beglaubigen. Wird das Vereinsregister maschinell geführt, tritt an die Stelle der Abschrift ein Ausdruck, an die der beglaubigten Abschrift ein amtlicher Ausdruck. (2) Die Einrichtung eines automatisierten Verfahrens, das die Übermittlung von Daten aus maschinell geführten Vereinsregistern durch Abruf ermöglicht, ist zulässig, wenn sichergestellt ist, dass 1. der Abruf von Daten die zulässige Einsicht nach Absatz 1 nicht überschreitet und 2. die Zulässigkeit der Abrufe auf der Grundlage einer Protokollierung kontrolliert werden kann. Die Länder können für das Verfahren ein länderübergreifendes elektronisches Informations- und Kommunikationssystem bestimmen. (3) Der Nutzer ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zu Informationszwecken verwenden darf. Die zuständige Stelle hat (z.B. durch Stichproben) zu prüfen, ob sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die nach Satz 1 zulässige Einsicht überschritten oder übermittelte Daten missbraucht werden. (4) Die zuständige Stelle kann einen Nutzer, der die Funktionsfähigkeit der Abrufeinrichtung gefährdet, die nach Absatz 3 Satz 1 zulässige Einsicht überschreitet oder übermittelte Daten missbraucht, von der Teilnahme am automatisierten Abrufverfahren ausschließen; dasselbe gilt bei drohender Überschreitung oder drohendem Missbrauch. (5) Zuständige Stelle ist die Landesjustizverwaltung. Örtlich zuständig ist die Landesjustizverwaltung, in deren Zuständigkeitsbereich das betreffende Amtsgericht liegt. Die Zuständigkeit kann durch Rechtsverordnung der Landesregierung abweichend geregelt werden. Sie kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltung übertragen. Die Länder können auch die Übertragung der Zuständigkeit auf die zuständige Stelle eines anderen Landes vereinbaren. 1. Es handelt sich um die Folgen der Öffentlichkeit des Vereinsregisters, die durch das RegVBG v 20.12.1993 1 (BGBl I 2182) im Zusammenhang mit der in § 55a geregelten Umstellung der Registerführung auf EDV neu geordnet worden ist. Mit Abs I S 1 und 2 sowie mit Abs II S 1 stimmen § 9 I, IV 1 und 2 HGB überein, wobei allerdings das Recht, von Eintragungen eine beglaubigte Abschrift zu verlangen, beim Handelsregister auf zum Register eingereichte Schriftstücke ausgedehnt ist. Nach dem früheren § 55a I Nr 1 aufbewahrte Stücke sind vom Einsichtsrecht umfasst; entspr den Gegebenheiten der Datenspeicherung kann von der „Wiedergabe“ eine Abschrift verlangt werden, die auf Verlangen zu beglaubigen ist. Dasselbe gilt für das Verzeichnis der beim Gericht eingetragenen Vereine, § 8 VRV. 2. Auch in der geltenden Fassung bleibt es bei dem Grundsatz, dass Einsicht jedermann ohne Nachw eines be- 2 rechtigten Interesses zusteht; sie betrifft die Registereintragung, hinsichtlich der Registerakten muss allerdings gem § 13 II FamFG berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht werden. Zu den Einzelheiten § 16 VRV, zur EinWestermann

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§ 79

3

Personen

sicht in das maschinell geführte Register § 31 VRV. Abschriften von Registereintragungen können nach Abs I S 2 ohne Nachw eines Interesses verlangt werden, s auch § 17 VRV. Aus dem maschinell geführten Register können nach § 32 VRV „Ausdrucke“ erstellt werden. Zum Nachw der Vertretungsmacht von Vorständen und Liquidatoren s § 69. Nach § 386 FamFG besteht auch ein Anspruch auf eine Bescheinigung, dass weitere Eintragungen nicht erfolgt sind (Negativattest). Die bis 2001 in den Abs II–X enthaltene Regelung der Voraussetzungen, von denen die Datenübermittlung auf Abruf abhängen sollte, diente im Wesentlichen dem Ziel, die Korrektheit des Datenabrufs kontrollieren zu können. Die Kriterien für die Zulässigkeit eines Abrufs von Daten aus dem maschinell geführten Register sind jetzt in Abs II genannt, die Abs III und IV begründen die Kontrollpflichten und Sanktionsmöglichkeiten (bei Missbrauchsgefahr) der „zuständigen Stelle“, die in Abs V definiert ist. Einen Ausschluss rechtfertigt es auch, wenn vom Nutzer Software-Viren übertragen werden, RegE BT-Drs 14/6855, 18. Entspr gilt für das Handelsregister (§ 9a HGB) und für das Grundbuch (allerdings eingehender geregelt in § 133 GBO).

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Westermann/Wiese

Juristische Personen – Stiftungen

Vor § 80

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I. Allgemeines. 1. Stiftungsbegriff. Die §§ 80–88 regeln die rechtlich selbständige Stiftung des bürgerlichen 1 Rechts. In Ermangelung einer gesetzlichen Definition des Stiftungsbegriffs wird eine Stiftung gemeinhin verstanden als eine rechtsfähige Organisation, welche den vom Stifter festgelegten Stiftungszweck mit Hilfe des hierzu überlassenen Stiftungsvermögens dauerhaft verfolgt (Staud/Hüttemann/Rawert Rn 1; BayObLG NJW 1973, 249). Kennzeichnend sind damit die Merkmale des Stiftungszwecks, des Stiftungsvermögens und der Stiftungsorganisation. Sämtliche Merkmale werden grds durch den Stifterwillen vorgegeben, wie er im Stiftungsgeschäft (§ 81) zum Ausdruck kommt (zur Ergänzung des Stiftungsgeschäfts durch die Behörde s § 83 Rn 7) und durch den die Stiftung dauerhaft geprägt wird. Die selbständige Stiftung ist eine juristische Person des Privatrechts, sie kann selbständig Träger von Rechten und Pflichten sein. Sie ist jedoch keine Körperschaft (vergleichbar dem eV oder den Kapitalgesellschaften), denn anders als die Körperschaften hat eine Stiftung keine Mitglieder (bzw Gesellschafter). Die Stiftung gehört sich selbst und wird vom grds unwandelbaren Willen des bzw der Stifter geprägt. a) Stiftungszweck. Der Stiftungszweck ist das prägende Element, die „Leitlinie“ (v Campenhausen/Stumpf in v 2 Campenhausen/Richter4 § 1 Rn 9) der Stiftung, ihm dienen das Vermögen und die Organisation der Stiftung. Er ist nicht zu verwechseln mit der Motivation des Stifters zu ihrer Errichtung (Motiv ist zB die Nachfolgeregelung zur Sicherung eines Vermögens, eines Unternehmens usw), kann aber hiermit übereinstimmen (zB Sicherung des Lebensunterhalts der Angehörigen des Stifters). Der Zweck wird vom Stifter privatautonom (willkürlich) festgelegt und bestimmt die Individualität der Stiftung. Er kann gemeinnützig und/oder privatnützig sein (Pal/Ellenberger Rn 6). Mit Ausnahme des Verbots der Gemeinwohlgefährdung existieren keine inhaltlichen Beschränkungen. Allerdings darf die Stiftung nicht lediglich sich selbst zu dienen bestimmt sein (zum Verbot der sog Selbstzweckstiftung s § 81 Rn 16). Streitig ist, ob der Stiftungszweck in zeitlicher Hinsicht auf Dauer angelegt sein muss (so MüKo/Weitemeyer § 80 Rn 76; aA Schlüter/Stolte, Kap 2 Rn 51). Nach zutr Auffassung war auch bereits vor Inkrafttreten des Ehrenamtsstärkungsgesetzes eine Stiftung mit einem endlichen Zweck (Stiftung auf Zeit) zulässig, sofern sich dies aus der Natur des betroffenen Zwecks ergibt und die Zweckerfüllung eine gewisse Dauer erfordert (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 4 Rn 52 ff). Mit der Neufassung von § 80 ist dies nunmehr auch gesetzlich anerkannt (s auch § 80 Rn 11). b) Stiftungsorganisation. Mangels verbandsmäßiger Struktur und wegen fehlender Mitglieder hat die Aus- 3 gestaltung der Stiftungsorganisation durch den Stifter für die Stiftung besondere Bedeutung. Die Stiftung ist eine reine Verwaltungsorganisation als Hilfsmittel zur Verwirklichung des Stiftungszwecks (BGH 99, 344). Grds einziges personales Element und daher notwendiges Organ ist der Vorstand (§§ 86, 26), der den in der Satzung Wiese

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Personen

und mit dem Stiftungszweck zum Ausdruck kommenden Stifterwillen umzusetzen und einzuhalten hat. Der Vorstand vertritt die Stiftung nach außen und führt die Geschäfte. Ihm kann beratend und kontrollierend ein fakultatives Organ (zB Beirat, Kuratorium, Stiftungsrat) zur Seite gestellt werden, dessen Kompetenzen dann im Einz vom Stifter in der Satzung bestimmt werden müssen. Die Destinatäre sind lediglich Nutznießer der Stiftungserträge und haben idR keinen Einfluss auf die Stiftungsorganisation oder die Geschäfte der Stiftung. Insb sind sie nicht mit den Mitgliedern eines Vereins oder den Gesellschaftern einer GmbH zu verwechseln. Ihnen können aber vom Stifter in der Satzung Rechte zB auf Mitbestimmung, Kontrolle oder Organbestellung eingeräumt werden (zur Rechtsstellung der Destinatäre s § 85 Rn 7f). c) Stiftungsvermögen. Unabdingbares konstitutives Merkmal der Stiftung ist schließlich das Stiftungsvermögen, das auf Dauer dem Stiftungszweck gewidmet sein muss (Hamburg NJW-RR 1986, 1305; MüKo/Weitemeyer § 80 Rn 106). Das Gesetz kennt keine Vorgaben zum Gegenstand des Stiftungsvermögens. Es kann aus Sachen und/ oder Rechten aller Art bestehen (Schlüter/Stolte Kap 2, Rn 53), etwa aus Bargeld, Immobilien, Unternehmensbeteiligungen oder aber auch Patent- oder Markenrechten. Entscheidend ist, dass das Stiftungsvermögen vom Umfang her ausreichend sein muss, um eine dauerhafte und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks sicherzustellen (v Campenhausen/Stumpf in v Campenhausen/Richter4 § 1 Rn 9). Das Stiftungsrecht geht davon aus, dass das Stiftungsvermögen, das sog Grundstockvermögen, grds erhalten bleibt und der Stiftungszweck damit nur aus den Erträgen des Stiftungsvermögens zu realisieren ist (anders die Verbrauchsstiftung, dazu im Einz Rn 31). Allerdings sind auch laufende oder einmalige Zuzahlungen durch den Stifter oder Dritte möglich (Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 54). Die Existenz eines ausreichenden Stiftungsvermögens ist Voraussetzung für die Anerkennung der Stiftung, ein gesetzliches „Mindestkapital“ besteht aber nicht. Allerdings entspricht es weithin der Praxis der Stiftungsbehörden, nur solchen Stiftungen mit einem ertragbringenden Vermögen von min 50 000 t die Anerkennung zu erteilen (hierzu etwa Schiffer/Pruns/Schürmann in Schiffer, § 3 Rn 94ff; Haase-Theobald in Wigand/ Haase-Theobald/Heuel/Stolte, Kap 7 Rn 8ff). Wird die Zweckverfolgung wegen eines Absinkens des Stiftungsvermögens oder wegen veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen nachträglich unmöglich, kann die Stiftungsaufsicht den Stiftungszweck ändern oder die Stiftung aufheben (§ 87 I). 2. Bedeutung von Stiftungen. Da die Stiftung ihre Zwecke grds aus dem Ertrag eines vorhandenen, unantastbaren Vermögens erfüllt, ist neben der Dauerhaftigkeit garantiert, dass die jew Stifter dieses Vermögen zum Nutzen jetziger und späterer Generationen als Destinatäre zur Verfügung stellen. Von diesem Grundgedanken weicht die vom Gesetzgeber mit dem Ehrenamtsstärkungsgesetz in §§ 80 II 2, 81 I 2 geregelte, sog Verbrauchsstiftung ab, die zur Erfüllung ihrer Zwecke auch das Stiftungsvermögen einsetzen darf. Im Gegensatz zu einem – spätere Generationen verpflichtenden und belastenden – Umlagesystem besteht bei den Stiftungen (in verwässerter Form auch bei der Verbrauchsstiftung) ein Kapitalertragssystem, das spätere Generationen als Destinatäre begünstigt. Damit eignet sich die Stiftung als Instrument der Sozial-, Gesundheits- und Altenfürsorge (insb bei Familienstiftungen, Rn 18f) ebenso wie als Träger von Kultur- oder Wissenschaftseinrichtungen (zB Stiftungsuniversitäten). Das Vermögenserhaltungsgebot kann ebenso wie das (je nach Stifterwillen) mögliche Umschichtungsverbot bei einer unternehmensverbundenen Stiftung verhindern, dass ein Stiftungsunternehmen veräußert wird (dazu Rn 28). Damit dient auch späteren Generationen das Unternehmen als Betätigungs- und Einnahmequelle. Arbeitsplätze bleiben erhalten. Denkbar wäre sogar eine Ausschüttung der Gewinne an die ArbN als Destinatäre, gewissermaßen als sichere Form einer gewünschten ArbN-Beteiligung, indem Zuwendungen der Gewinne an Anteilseigner ausgeschlossen sind. Zunehmend erkannt wird auch die Gefahr einer nicht mehr vorhandenen Finanzierbarkeit der Pflicht- und freiwilligen Aufgaben der Kommunen. Durch Zuwendungen der Gemeinde an eine diese Aufgabe sichernde Stiftung sowie durch finanzielle Zustiftungen von privater Seite kann die Attraktivität der Kommune auch für spätere Generationen gesichert werden (O. Werner, FS Knemeyer, 2012, 107). Siepmann ZStV 2013, 102, weist darauf hin, dass zB auch die Zuwendung ortsansässiger Unternehmen von der Zusage einer zumindest zeitweisen Festlegung des Gewerbesteuerhebesatzes abhängig gemacht werden könne, da i Er über die Zuwendung ein höherer Gewinn für die Gemeinde erfolgt als über die Gewerbesteuer. Die Stiftung kann damit ein Instrument für die Bewältigung gegenwärtiger und zukünftiger Probleme unserer Gesellschaft bieten, zumal sie durch die am Einzelfall orientierte Satzungsgestaltung der nötigen Flexibilität und Individualität den jew Bedürfnissen gerecht wird (dazu O. Werner in Beer/Hanusch/Seidel, Stiftungen als bürgerschaftliches Engagement, 2000, 123). Die Stiftung bietet dem Stifter die Möglichkeit, sein Vermögen oder Teile hiervon auf Dauer zur Errichtung und Erfüllung eines von ihm bestimmten Zwecks derart zu verwenden, dass entweder bei wertmäßiger Unantastbarkeit die Zweckerfüllung allein aus den Erträgen (Zinsen, Mieten usw) oder/und eingeworbenen Spenden oder/ und sogar unter Verbrauch des Stiftungsvermögens erfolgt. Die Anerkennung des Stifterwillens und die Freiheit, Stiftungen zu errichten, sind Ausfluss der Privatautonomie einschl der Testierfreiheit bei Errichtung einer Stiftung von Todes wegen (dazu Steffek, Die Anforderungen an das Stiftungsgeschäft von Todes wegen, 1996). Damit garantiert die Verfassung mit Art 2, 14 GG dem Stifter den Freiraum, derartig über sein Vermögen zu Lebzeiten und/ oder letztwillig zu verfügen. Das Recht auf Stiftungsgründung wird durch die Regelung eines Anspruchs auf Anerkennung der Stiftung im Rahmen der Neufassung von § 80 durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz betont. Zum verfassungsrechtlichen Bestandsschutz vgl Schmidt-Jortzig, FS Reuter, 1339ff. Allein eine „Gemeinwohlgefährdung“ (dazu § 80 Rn 16f) schränkt das Recht auf Anerkennung ein. 3. Rechtsquellen des Stiftungsrechts. Das Stiftungsrecht ist in den letzten Jahren durch Veränderungen gekennzeichnet: Nach den Gesetzen zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen v 17.7.2000 (BGBl I 1034) und 198

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Juristische Personen – Stiftungen

Vor § 80

zur Modernisierung des Stiftungsrechts v 15.7.2002 (BGBl I 2634) und nachdem weitere zivil- und steuerrechtliche Änderungen – ua die Regelung zur Verbrauchsstiftung in § 80 II 2 – durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz v 21.3.2013 (BGBl I 556) erfolgt sind (zur Entwicklung bis 2011 vgl Erman/Werner13; zum Ehrenamtsstärkungsgesetz Saenger/Al-Wraikat ZStV 2013, 128), werden gegenwärtig weitere, teils grundlegende Veränderungen diskutiert (zum Stand der Diskussion Stolte BB 2015 2694; Zimmermann/Raddatz NJW 2016 543; Nicolai/Kuszlik ZRP 2016, 47; Burgard ZStV 2016, 81; Schauhoff npoR 2016, 2). Vor dem Hintergrund veränderter Rahmenbedingungen hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe das Stiftungsrecht überprüft und im Rahmen ihres Abschlussberichts v 9.9.2016 Reformvorschläge abgegeben (abrufbar unter www.innenministerkonferenz.de). Empfohlen wird eine stärkere bundesweite Vereinheitlichung des Stiftungsrechts durch abschließende bundesrechtliche Regelungen, die Einführung eines Namenszusatzes für rechtsfähige Stiftungen und – vor dem Hintergrund der sich aus der andauernden Niedrigzinsphase ergebenden Probleme für viele Stiftungen – Erleichterungen bei der Auflösung von Stiftungen und bei Satzungsänderungen sowie die einheitliche bundesrechtliche Regelung der Möglichkeiten für die Zulegung und Zusammenlegung von Stiftungen. Die Rechte des Stifters nach Stiftungserrichtung sollen nach dem Abschlussbericht allerdings nur moderat gestärkt werden, etwa iS eines Rechts zur „Nachjustierung“ der Stiftungssatzung. Die Existenz der Stiftung soll allerdings – zu Recht – nicht zur Disposition des Stifters gestellt werden. Sinnvoll erscheint der Vorschlag, ein Stiftungsregister mit Publizitätswirkungen einzuführen. Es bleibt abzuwarten, zu welchen Veränderungen sich der Gesetzgeber letztlich durchringen kann. Die §§ 80–88 regeln allein die selbständige Stiftung des bürgerlichen Rechts. Sie enthalten eine abschließende 8 Regelung des materiellen Stiftungsrechts, wobei § 86 erg auf bestimmte Vorschriften des Vereinsrechts verweist. Hins des Anerkennungs- und Aufsichtsverfahrens finden sich weitere Regelungen in den Landesstiftungsgesetzen, die seit der Stiftungsrechtsreform in 2002 zwischenzeitlich ebenfalls angepasst worden sind. Der Bundesgesetzgeber hat sich trotz frühen Bestrebens hins eines einheitlichen Stiftungsrechts auch außerhalb des BGB bislang nicht zu einem einheitlichen bundesrechtlichen Verfahren bewegen lassen (zur Diskussion Rawert/Hüttemann ZIP 2002, 2019ff; Peiker ZSt 2003, 47ff, 79ff; Backert/Carstensen ZIP 2003, 284ff). Es bleibt abzuwarten, ob eine entspr Kodifizierung Bestandteil der zu erwartenden weiteren Änderungen des Stiftungsrechts wird. Zzt gelten folgende Landesstiftungsgesetze: BaWüStiftG idF v 16.12.2003 (GVBl 720), zuletzt geändert durch VO v 25.1.2012 (GVBl 68); BayStiftG idF v 26.9.2008 (GVBl 834), zuletzt geändert durch G v 12.5.2015 (GVBl 82), Komm von Voll/Störle, 6. Aufl 2016; StiftG Bln idF v 22.7.2003 (GVBl 293); StiftGBbg v 20.4.2004 (GVBl 150), zuletzt geändert durch G v 25.1.2016 (GVBl I/16, Nr 5), Komm von Fritsche 2007; BremStiftG v 7.3.1989 (GBl 163), zuletzt geändert durch G v 27.2.2007 (GBl 181); HbgStiftG v 14.12.2005 (GVBl 521); HessStiftG v 4.4.1966 (GVBl I, 77), zuletzt geändert durch G v 27.9.2012 (GVBl I 290); MecklVPStiftG v 7.6.2006 (GVBl 366), zuletzt geändert durch G v 15.11.2012 (GVOBl 502, 503); NdsStiftG 24.7.1968 (GVBl 119), zuletzt geändert durch G v 25.6.2014 (GVBl 168); StiftG NRW v 15.2.2005 (GVBl 52), zuletzt geändert durch ÄndG v 9.2.2010 (GV NRW 112); LStiftG Rh-Pf v 19.7.2004 (GVBl 385); SaarlStiftG v 9.8.2004 (ABl 1825) zuletzt geändert durch G v 15.2.2006 (ABl 474); SchlHStiftG idF v 2.3.2000 (GVBl 208), zuletzt geändert durch VO v 23.10.2013 (GVOBl 424); SächsStiftG v 7.8.2007 (SächsGVBl 386), zuletzt geändert durch G v 27.1.2012 (GVBl 130); LSAStiftG v 20.1.2011 (GVBl. LSA) zuletzt geändert durch G v 17.6.2014 (GVBl 341); ThürStiftG v 16.12.2008 (GVBl 561), zuletzt geändert durch G v 13.3.2014 (GVBl 94). Zum ThürStiftG O. Werner ZSt 2009, 3. Die Stiftungsgesetze der Länder können mangels Gesetzgebungskompetenz keine materiell-rechtlichen Regelungen treffen und haben sich auf das Anerkennungsverfahren und die Stiftungsaufsicht als Rechtsaufsicht zu beschränken (dazu Schlüter/Stolte Kap 3, 1; Achilles ZRP 2002, 23). Krit Otte, FS O. Werner, 2009, 75ff; umfassend zu Inhalt und Kompetenz der Landesstiftungsgesetze: Hüttemann/Richter/Weitemeyer, Landesstiftungsrecht, 2011. II. Abgrenzung. Die Abgrenzung zu anderen Instituten ist wegen Ineinandergreifens privat- und öffentlich-rechtl 9 Regelungen und der durch Landesrecht und Anerkennungspraxis teilw eingeschränkten Verwendungszwecke der rechtlich selbständigen Stiftung schwierig. Der Name „Stiftung“ für Institutionen ist nicht auf die selbständigen Stiftungen iSd §§ 80–88 beschränkt. Er ist nicht für diese Stiftungsform ieS geschützt. Insb aus „Imagegründen“ bezeichnen sich auch Vereine oder Kapitalgesellschaften als Stiftungen (zB Robert-Bosch-Stiftung GmbH, Kinderhilfestiftung eV). Trotz entspr Anregungen (so bereits Saenger, FS O. Werner, 2009, 165ff) hat der Gesetzgeber bislang nicht die gewünschte Klarheit geschaffen (s aber den Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe bzgl einer möglichen Reform des Stiftungsrechts v 16.9.2015, abrufbar unter www.innenministerkonferenz.de). Die Verwendung des Wortes „Stiftung“ in einer Firma wird jedoch in der Rspr dann für unzulässig gehalten, wenn der Charakter des unter der Firma betriebenen Unternehmens nicht dem einer Stiftung entspricht (Stuttgart NJW 1964, 1231; dazu auch Köln NJW-RR 1997, 1531; Brandenburg OLGR 2004, 429). Wird eine Einrichtung in der Rechtsform der GmbH oder des eV als Stiftung bezeichnet, ist dies unzulässig, wenn es dadurch zu einer Täuschung des Rechtsverkehrs im Hinblick auf die Rechtsform kommen kann (BayOLG NJW 1973, 249). Ausf zur Problematik der „Stiftungs-GmbH“ Wagner GmbHR 2016, 858. 1. Unselbständige Stiftung. Die rechtlich selbständige Stiftung iSd §§ 80ff ist von der unselbständigen oder fi- 10 duziarischen Stiftung zu unterscheiden. Als unselbständige Stiftung definiert man die Zuwendung von Vermögenswerten an eine jur oder nat Pers mit der Vorgabe, die zugewendeten Vermögenswerte dauerhaft als Sondervermögen getrennt von Eigenvermögen zur Verwirklichung des vom Stifter bestimmten Zwecks zu verwenden (ähnlich Herzog, Die unselbständige Stiftung bürgerlichen Rechts, 2006 26). Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist daher die Rechtsfähigkeit: Da es der unselbständigen Stiftung hieran fehlt, kann sie nicht selbst Trägerin des Stiftungsvermögens sein und zB auch nicht beteiligungsfähig iSv § 61 VwGO (BVerwG ZStV 2015, 59). Es beWiese

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darf immer eines Dritten, der Rechtsträger der unselbständigen Stiftung ist (zB eine selbständige Stiftung). Als unselbständige Stiftung werden auch Zuwendungen verstanden, mit denen nicht ein bestimmter Zweck auf Dauer verfolgt wird, sondern die in bestimmten Zeitabschnitten idR rasch verbraucht werden (sog unechte unselbständige Stiftung). Ausf zur Struktur der unselbständigen Stiftung A. Werner ZSt 2008, 51ff. Auch unselbständige Stiftungen können als solche des Privatrechts und des öffentlichen Rechts begründet werden (zu den unselbständigen Stiftungen des öffentlichen Rechts O. Werner, FS Frotscher, 2007, 461). Auf die unselbständige Stiftung sind §§ 80ff nicht anwendbar (RG 88, 335, 339), vielmehr gilt Schuld- bzw Erbrecht (RG 105, 305, 308) unter Beachtung der Besonderheiten der jew Stiftung. Die unselbständige Stiftung ist mangels Stiftungseigenschaft nicht der Anerkennung durch die staatliche Anerkennungsbehörde unterworfen, allerdings sehen die Landesstiftungsgesetze teilw (zB § 3 StiftG NRW) eine Kompetenz der Stiftungsaufsicht zur Klärung von Statusfragen vor. Unselbständige Stiftungen können durch Rechtsgeschäft zu Lebzeiten errichtet werden, aber auch durch letztwillige Verfügung, also von Todes wegen (zu letzterem s ausf Lange ZErb 2013, 324; Muscheler ZEV 2014, 573; zur Abgrenzung zw selbständiger und unselbständiger Stiftung OLG Hamm ZErb 2012, 195). Nach Ansicht des OLG München (ZEV 2014, 605) soll die Auswahl des Stiftungsträgers und die inhaltliche Ausgestaltung der Satzung im Falle der Errichtung von Todes wegen sogar einem Testamentsvollstrecker überlassen werden können. Die lebzeitige Errichtung einer unselbständigen Stiftung erfolgt durch eine vertragliche Vereinbarung zw dem Stifter und dem Rechtsträger. Die unselbständige Stiftung ist damit letztlich nichts anderes als eine schuldrechtlich vereinbarte Vermögenstrennung, weshalb auch der Stifter nicht personenidentisch sein kann mit dem Stiftungsträger. Dabei ist str, ob das Stiftungsgeschäft eher als Treuhandvertrag (Schlüter/Stolte, Kap 1 Rn 43; Erman/O. Werner14), als Schenkung unter Auflage (so wohl MüKo/Weitemeyer § 80 Rn 206f, vgl auch Celle ZStV 2016, 215) oder auch als eine Kombination aus beidem (Hübner/Currle/Schenk DStR 2013 1967) eingeordnet werden kann. Richtigerweise dürfte sich eine pauschale Einordnung verbieten, stattdessen ist nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit abhängig von der konkreten Ausgestaltung des Stiftungsgeschäfts sowohl eine Treuhandstiftung als auch eine Auflagenstiftung und selbst ein typengemischter Vertrag denkbar (so wohl Hof in v Campenhausen/Richter4 § 36 Rn 35ff). Regelmäßig liegt dem Vertrag zudem ein Auftrags- oder Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen Stifter und Stiftungsträger zugrunde, aus dem etwa Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche des Stifters (und seiner Erben) resultieren (Naumburg NZG 2014, 470, dazu auch Graewe/ Bott BB 2015 919, 921f). Bei mehreren Stiftern als Treugeber ist der Stiftungsträger grds nicht an einseitige Weisungen eines einzelnen Stifters gebunden (BGH NZG 2015, 264). An der fehlenden Rechtsfähigkeit der unselbständigen Stiftung ändert dies nichts. Soweit teilw eine Teilrechtsfähigkeit der fiduziarischen Stiftung befürwortet wird (dazu Elicker ZStV 2012, 135, 169), ist dies mit den Eigenheiten auch einer durch Treuhandvertrag errichteten unselbständigen Stiftung nicht vereinbar (vgl auch Naumburg NZG 2014, 470). Folgerichtig hat das VG Karlsruhe (ZStV 2011, 224) einer unselbständigen Stiftung die Gewerbeerlaubnis versagt und das BVerwG (ZStV 2015, 59) die Beteiligungsfähigkeit iSv § 61 VwGO verneint. Eine Einordnung der unselbständigen Stiftung als GbR (vgl Bruns JZ 2009, 840ff) mit der Konsequenz der Rechtsfähigkeit dürfte im seltensten Fall mit dem Interessen der Beteiligten übereinstimmen. Stiftungsträger ist (wegen der Dauerhaftigkeit) regelmäßig eine juristische Person des privaten oder des öffentlichen Rechts. Aber auch natürliche Personen sind als Stiftungsträger nicht ausgeschlossen. Zwingende Voraussetzung für die Existenz einer unselbständigen Stiftung ist neben der Person des Stiftungsträgers das Stiftungsvermögen oder zumindest eine gesicherte Anwartschaft des Stiftungsträgers hierauf (BayObLG 72, 343). Das Stiftungsvermögen muss vom Stiftungsträger nach Maßgabe des Stiftungszwecks gehalten und verwendet werden (Hamburg NJW-RR 1986, 1305). Bei treuhänderischer Übertragung des Stiftungsvermögens ist eine weitgehende Bindung des Stiftungsträgers möglich. Im Stiftungsgeschäft können Vorkehrungen für die Stiftungsorganisation getroffen werden. So können auch für eine unselbständige Stiftung (in einer eigenen „Satzung“) ein Beirat geschaffen und Regelungen für die Abstimmung zwischen Stiftungsträger bzw dessen Organen und dem Beirat vorgesehen werden. Hins des Stiftungszwecks bestehen keine Unterschiede zw selbständiger und unselbständiger Stiftung. Auch bei letzterer sind grds alle Zweckbestimmungen denkbar, soweit diese nicht gesetz- oder sittenwidrig sind. Bei der unselbständigen Stiftung empfiehlt es sich umso mehr, besondere Vorkehrungen für Satzungsänderungen, insb für Änderungen des Stiftungszwecks zu treffen. Fehlen solche Regelungen, sind Änderungen zu Lebzeiten des Stifters unproblematisch durch eine Änderung des schuldrechtlichen Stiftungsgeschäfts möglich. Probleme können sich aber ergeben, wenn zB die Erben des Stifters unauffindbar sind. In solchen Fällen dürfte aufgrund der fortbestehenden schuldrechtlichen Verpflichtung des Stiftungsträgers eine einseitige Änderung durch diesen ausscheiden. Die für den Fall der Unmöglichkeit der Zweckverfolgung oder der Gemeinwohlgefährdung teilw empfohlene Analogie zu § 87 (Pal/Ellenberger Rn 10; auch noch O. Werner in der Vorauf) muss indes schon mangels vergleichbarer Interessenlage ausscheiden, da es der unselbständigen Stiftung gerade an Rechtsfähigkeit fehlt und maßgeblich immer das schuldrechtliche Stiftungsgeschäft zwischen Stifter und Stiftungsträger ist. Jede Einflussnahme der Stiftungsaufsicht (für die sich iÜ schon aus den Landesstiftungsgesetzen keine Grundlage ergibt) wäre daher rechtswidrig und von den Beteiligten ggf auf dem Verwaltungsrechtsweg angreifbar (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 36 Rn 176, 177) 2. Sammelvermögen. Das Sammelvermögen (vgl § 1914) hat ebenso wie die unselbständige Stiftung keine eigene Rechtspersönlichkeit (Pal/Ellenberger Rn 11). Es unterscheidet sich von ihr durch das Fehlen eines dauerhaften Zwecks (Staud/Hüttemann/Rawert Rn 296). Sammelvermögen entsteht durch Beiträge der Spender zu einem vom Veranstalter der Sammlung gegebenen Verbrauchszweck. Das Sammelvermögen kann als GbR einzuordnen 200

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sein, wobei die Anwendung der §§ 705ff den spezifischen Gegebenheiten des Sammelvermögens Rechnung zu tragen hat. Diese Einordnung ist jedoch abhängig von einer Gemeinsamkeit hins des Zwecks der Sammlung (zB keine GbR zwischen Rotem Kreuz und Sammler). Differenziert je nach Zweck der Veranstaltung und nach dem Veranstalter selbst sind auch die Eigentumsverhältnisse an dem Sammelvermögen zu betrachten. IdR wird es fiduziarisches Eigentum des Veranstalters oder der Gesellschaft der Sammler (dazu Staud/Hüttemann/Rawert Rn 299). Möglich ist aber auch, dass das Eigentum bei den Spendern verbleibt, bis es zweckgerecht verwendet wird (RG 62, 386, 391; Pal/Ellenberger Rn 11). 3. Zustiftung. Unter Zustiftungen versteht man Vermögenswerte, die der Stifter oder Dritte der Stiftung zuwen- 14 den, um den Grundstock zu erhöhen (ausf A. Werner, Stiftung & Sponsoring 2011, 44). Die Zustiftung erfolgt durch zweiseitiges Rechtsgeschäft zw dem Zustifter und der Stiftung. Die Zustiftung ist eine (zweckgebundene) Schenkung, die weder stiftungsbegründenden noch fiduziarischen Charakter hat, sondern die Stiftung bereichern und gleichzeitig in der Verwendung binden soll. Auch die Zweckbindung der Zustiftung ändert nichts an ihrer Unentgeltlichkeit. Abzugrenzen ist die Zustiftung von der Spende, die nicht dem unantastbaren Grundstockvermögen, sondern dem sofort verbrauchbaren Verwaltungsvermögen zufließt. Ob Zustiftung oder Spende vorliegt, bestimmt grds der Zuwendende. Es empfiehlt sich jedoch, in der Satzung eine Regelung (etwa zugunsten des Grundstockvermögens) festzulegen für den Fall, dass der Zuwendende keine ausdr Bestimmung trifft. Beide Zuwendungen, Spende oder Zustiftung, sind Schenkungen iSd §§ 516ff und unterfallen dem Pflichtteilergänzungsanspruch des § 2325 (Lieder ZSt 2004, 74; BGH ZEV 2004, 115; Matschke ZSt 2004, 263; aA Neuhoff ZSt 2004, 90; Dresden NJW 2002, 3181) und Zugewinnausgleich gem § 1375 II Nr 1 (zu beiden ausf O. Werner ZSt 2005, 83; O. Werner, FS D. Schwab, 2005, 581 jew mwN). III. Arten und Erscheinungsformen von Stiftungen. 1. Öffentlich-rechtliche bzw. Öffentliche Stiftungen. Schrifttum: Belazza/Kilian/Vogel, Der Staat als Stifter, Stiftungen als Public-Private-Partnerships im Kulturbereich, 2003, darin: Stiftungserrichtung durch die öffentliche Hand, S 11; Fiedler, Die staatliche Errichtung von Stiftungen als verfassungswidrige Formenwahl des Bundes, ZSt 2003, 191; Gemmerich/Kins, Compliance in öffentlich-rechtlichen Stiftungen, LKV 2016, 257; Kilian, Inhalt und Grenzen staatlicher Organisationshoheit in Bezug auf staatliche Stiftungen, ZSt 2003, 179; Stettner, Die Stiftung des öffentlichen Rechts – Rechtsnatur, Zweckbestimmung, Nutzbarkeit für den öffentlich-rechtlichen Bundes- und Landesrundfunk, ZUM 2012, 202.

a) Öffentlich-rechtliche Stiftung. Die öffentlich-rechtliche Stiftung ist eine von drei jur Pers des öffentlichen 15 Rechts (neben der Körperschaft des öffentlichen Rechts und der Anstalt des öffentlichen Rechts). Die Unterscheidung zw privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Stiftung ist oft schwierig (Flume, Die jur Pers, § 4 V 1; Reuter, FS Schmidt-Jortzig, 2011, 783), denn beide erfordern neben dem Stiftungskapital eine Zweckerfüllung aus den Erträgen, so dass über die Zuordnung lediglich die Art der Entstehung entscheidet. Die Stiftung des Privatrechts entsteht neben der Anerkennung durch privatrechtliche Willenserklärung des Stifters (dies kann auch die öffentliche Hand sein; dazu Kilian in Belazza/Kilian/Vogel, 11–134; M. Kilian ZSt 2003, 179; Fiedler ZSt 2003, 191), die des öffentlichen Rechts durch Gesetz oder Verwaltungsakt. In der historischen Entwicklung ist dies jedoch nicht immer sauber durchgeführt worden. Die Eingliederung in die öffentliche Ordnung und die Übernahme öffentlicher Aufgaben ist daher ebenso wenig wie die Zuordnung des Stifters (Privatperson/öffentliche Hand) oder die Bezeichnung in der Anerkennungsurkunde (VG Ansbach 7.10.2015 – AN 11K 14.01842) ein brauchbares Abgrenzungskriterium. Lediglich aus den Gesamtumständen lässt sich eine Zuordnung folgern (BVerfG 15, 46; BGH WM 1975, 198; BFH BB 2003, 993; OVG Münster DÖV 1985, 983; Pal/Ellenberger Rn 9, O. Werner, FS Frotscher, 2007, 463ff). Die öffentlich-rechtliche Stiftung zeichnet sich dadurch aus, dass sie hoheitliche Befugnisse wahrnehmen kann (Schlüter/Stolte Kap 1 Rn 56) und vor allem dadurch, dass es in der Sache um mittelbare Staatsverwaltung geht (BVerfG 15, 46, 66). Ist eine ältere Stiftung schon immer als Stiftung des öffentlichen Rechts behandelt worden, bleibt diese Einordnung ohne Rücksicht auf den Entstehungsvorgang erhalten (Pal/Ellenberger Rn 9; BVerfG 15, 46, 66). Zu den Strukturen öffentlich-rechtlicher Stiftungen Peiker ZStV 2015, 68ff. Eine einheitliche Kodifizierung für öffentlich-rechtliche Stiftungen existiert nicht. Teilw enthalten die Landestif- 16 tungsgesetze jedoch auch Regelungen über öffentlich-rechtliche Stiftungen (zB §§ 17ff StiftG BW; Art 1 II, 3 II BayStG). §§ 80ff gelten für die öffentlich-rechtliche Stiftung nicht, die landesstiftungsrechtlichen Regelungen verweisen jedoch teilw auf das bürgerliche Recht (zB Art 3 II 1 BayStG). b) Öffentliche Stiftung. Die sog öffentliche Stiftung dagegen ist eine Stiftung des Privatrechts und im Gegensatz 17 zur privatnützigen eine gemeinnützige, die dem kulturellen, sozialen, wissenschaftlichen, sportlichen oder wirtschaftlichen Wohl der Allgemeinheit dient (zB Art 1 BayStG; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 2 Rn 3). Stifter einer öffentlichen Stiftung muss aber nicht zwangsläufig die öffentliche Hand sein, wenn dies auch häufig der Fall sein wird. 2. Familienstiftungen. Schrifttum: Beltenberg/Hunius, Die „Stifterrente“ oder die Versorgung des Stifters und seiner nächsten Angehörigen durch eine gemeinnützige Stiftung, ZStV 2012, 187; Förster, Stiftung und Nachlass, 2002; Freye/Heuser, Die deutsche Familienstiftung – steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten für Familienvermögen, BB 2011, 983; Hübner/Currle/Schenk, Die nichtrechtsfähige Stiftung als Familienstiftung, DStR 2013, 1966; Pauli, Die Familienstiftung, FamRZ 2012, 344; Schmitz, Die Familienstiftung als Gestaltungsinstrument zur Vermögensübertragung und -sicherung, NJW 2012, 1323; Theuffel-Werhahn, Familienstiftungen als Königsinstrument für die Nachfolgeplanung aufgrund der Erbschaftsteuerreform, ZEV 2017, 17; Tielmann, Die Familienverbrauchsstiftung, NJW 2013, 2934; Werder/Wystrcil, Familienstiftungen in der Unternehmensnachfolge, BB 2016, 1558; Werkmüller, Die „Familienstiftung & Co. KG“ als Instrument der „kontrollierten“ Vermögensnachfolge, ZEV 2015, 522.

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Die Familienstiftung ist eine besondere Erscheinungsform der Stiftung, deren Destinatäre ausschließlich oder überwiegend die Mitglieder einer oder mehrerer Familien sind. Ihr Stiftungszweck ist die Förderung der (nicht notwendig materiellen) Interessen eines oder mehrerer Familienmitglieder (v Löwe, Familienstiftung und Nachfolgegestaltung, 1999, 17). Als Zweck kann der Stifter etwa festsetzen, allen Destinatären nach einem bestimmten Schlüssel Unterhaltszahlungen zukommen zu lassen. Der Stifter ist frei darin, den Kreis der Destinatäre zu bestimmen, er kann auch „willkürlich“ Voraussetzungen für eine Begünstigung aufstellen. Die Familienstiftung ist vor allem für Unternehmer interessant. Denn sie bietet dem Stifter die Möglichkeit, den Fortbestand des Unternehmens zu sichern und dieses vor einer Zersplitterung zu schützen und dabei zugleich die Familie in finanzieller Hinsicht abzusichern. Hierbei können Einflussnahmemöglichkeiten der Familienmitglieder – je nach Vorstellung des Stifters – entweder abgesichert (zB durch Mitsprache der Destinatäre bei der Besetzung der Stiftungsorgane) oder vollständig ausgeschlossen werden (Familienmitglieder als reine Destinatäre ohne Mitspracherechte). Familienstiftungen können daher helfen, Streit unter Erben zu vermeiden und werden auch häufig im Zusammenhang mit unternehmerischen Nachfolgeüberlegungen errichtet. Zur unternehmensverbundenen Stiftung s Rn 26f. Wegen der Privatnützigkeit sind mittlerweile in den meisten Bundesländern die Familienstiftungen nur noch eingeschränkt aufsichtsbedürftig (zB § 6 III StiftG NRW, § 13 II 2 StiftG BW, Art 10 I 1 BayStG, § 21 II HessStiftG, § 27 RhPfStiftG, § 10 II NdsStifG, § 19 SchlHStiftG, § 17 BremStiftG, § 5 I 2 HbgStiftG, §§ 14 II, 27 II MVStiftG). Zur Sonderform der Fideikommissauflösungsstiftung s Pal/Ellenberger § 80 Rn 8. Das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht versteht unter einer Familienstiftung eine Stiftung, die wesentlich im Interesse einer oder mehrerer Familien errichtet worden ist. Dies soll der Fall sein, wenn der Stifter, seine Angehörigen und dessen Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind oder wenn sie zwar zu nur einem Viertel bezugs- oder anfallsberechtigt sind, jedoch zusätzlich ein wesentliches Familieninteresse zB durch wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung der Stiftung gegeben ist (R E 1.2 ErbStR 2011). Familienstiftungen sind hins der Übertragung des Vermögens auf die Stiftung begünstigt. Dafür unterliegt die Familienstiftung mit Sitz in Deutschland der sog. Erbersatzsteuer gem § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG. Danach wird das Vermögen der Familienstiftung alle 30 Jahre besteuert. Das BVerfG hat diese Besteuerung trotz gegenteiliger Ansichten im Schrifttum (Sorg BB 1983, 1621, 1623) für verfassungsgemäß erklärt (BVerfG NJW 1983, 1841 gegen FG Düsseldorf BB 1982, 483). Die Vorteile einer steuerbegünstigten Stiftung können mit der Versorgung des Stifters und dessen nächsten Angehörigen verbunden werden, vgl § 58 Nr 6 AO. So kann die Stiftung bis zu einem Drittel ihres Einkommens dem Stifter und seinen nächsten Angehörigen zukommen lassen, ohne die steuerlichen Vorteile der Gemeinnützigkeit zu gefährden (zum Ganzen Ponath in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 18). 3. Kommunale Stiftungen, Bürgerstiftungen. Schrifttum: Bertelsmann Stiftung, Handbuch Bürgerstiftungen, 2004; Denecke, Die rechtliche Bedeutung der kommunalen Stiftung – Eine Analyse am Beispiel der Entwicklung des Stiftungswesens in Ostdeutschland, FS O. Werner, 2004, 97; Lüdtke, 10 Merkmale einer Bürgerstiftung, ZStV 2013, 238; Martini, Kommunale Stiftungen, in Hüttemann/Richter/Weitemeyer, 849; Schulte/Herbrich, Die Errichtung privatrechtlicher Stiftungen durch kommunale Gesellschaften, ZStV 2014, 1; R. Werner, Kommunale Stiftungstätigkeit und ihre Schranken, NVwZ 2013, 1520.

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Stiftungen, deren Zwecke im Aufgabenbereich einer kommunalen Körperschaft liegen und die von dieser errichtet werden, können ebenfalls als privatrechtliche Stiftungen iSd §§ 80–88 errichtet werden. Solche Stiftungen gewinnen in der kommunalen Praxis zunehmend an Bedeutung (Schulte/Herbrich ZSTV 2014, 2). Auch für diese Stiftungen gilt der Anerkennungsanspruch aus § 80 I (VG Münster ZStV 2010, 149). Allerdings sind bestehende kommunalrechtliche Regelungen zu beachten. So darf zB gem § 100 III GO NRW kommunales Vermögen nur im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Gemeinde und nur dann in Stiftungsvermögen eingebracht werden, wenn der mit der Stiftung verfolgte Zweck auf andere Weise nicht erreicht werden kann. Bei dieser Regelung handelt es sich um ein Verbotsgesetz iSv § 134, welches im Rahmen der Anerkennungsentscheidung durch die Stiftungsaufsicht zu berücksichtigen ist (OVG Münster DVBl 2013, 449, ausf dazu Schulte/Herbrich, ZSTV 2014, 1ff). Keine kommunalen Stiftungen, wohl aber meist Stiftungen mit kommunalem Bezug, sind die Bürgerstiftungen, die aktuell und in letzter Zeit auf zunehmendes Interesse gestoßen sind. Bürgerstiftungen sind Ausdruck privaten bürgerlichen Engagements und stellen eine weitere praktische Anwendungsform der rechtsfähigen Stiftung des Privatrechts dar. Mit ihrem lokal begrenzten, sozialen und kulturellen Wirkungsfeld haben sie als gemeinnützige Institutionen zum Ziel, Bürger und Unternehmen zu mehr Mitverantwortung für die Gestaltung ihres Gemeinwesens zu mobilisieren. Dafür dienen diese Stiftungen als Sammelbecken für Spenden und Zustiftungen (Wachter S 177ff; Bertelsmann Stiftung, Hdb Bürgerstiftungen, 2000). Bürgerstiftungen sehen häufig eine Einbeziehung der stiftenden Bürger und Unternehmen in die Organisation der Stiftung vor, etwa durch eine Stiftungsversammlung oder einen Stifterrat. Bürgerstiftungen haben daher durchaus ein körperschaftliches Element, dem uU sogar mit der Wahl der Rechtsform eines eV eher Rechnung getragen werden könnte. 4. Kirchliche Stiftungen. Schrifttum: Andrae, Merkmale kirchlicher Stiftungen ZStV 2014, 34; W. Busch, Die Vermögensverwaltung und das Stiftungsrecht im Bereich der katholischen Kirche, in Handbuch StKirchR Bd I, 2. Aufl 1994; v Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl 1996; Joussen, Vertragsänderungen und die Beteiligung der Mitarbeitervertretung in Stiftungen unter Geltung eines kirchlichen Arbeitsrechts, FS O. Werner, 2009, 346; Mummenhoff, Zustiftungen zu katholischen Sammelstiftungen, FS O. Wer-

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ner, 2009, 333; Schiffer, Die kirchliche Stiftung des Privatrechts unter besonderer Beachtung des neuen StiftG NRW, ZSt 2005, 199; Siegmund-Schultze, Zur konfessionell beschränkten Stiftung im heutigen Recht, DöV 1994, 1017ff.

Stiftungen mit einer kirchlichen oder religiösen Zwecksetzung können grds entweder als privatrechtliche Stif- 23 tungen iSd §§ 80ff oder aber als „kirchliche“, dh dem kirchlichen Sonderrecht unterfallende Stiftungen errichtet werden. Eine einheitliche Definition für kirchliche Stiftungen im letzteren Sinne existiert nicht. Versucht man aus den Regelungen der Landesstiftungsgesetze eine einheitliche Definition herauszulesen, so könnte man unter einer kirchlichen Stiftung eine solche verstehen, die ausschließlich oder überwiegend kirchliche Aufgaben erfüllt und eine besondere organisatorische Verbindung zur Kirche aufweist (v Campenhausen/Stumpf in v Campenhausen/Richter4 § 2 Rn 7). Teilw wird zusätzlich oder alternativ darauf abgestellt, dass eine kirchliche Stiftung als solche von der zuständigen Kirchenbehörde anerkannt sein muss (§ 2 III HambStiftG) oder dass die Aufsicht durch die Kirchenbehörde ausgeübt wird (zB § 13 StiftG NRW). Zur Vorrangigkeit des statusrechtlichen Verfahrens gem § 22 HessStiftG bei Zweifeln über das Vorliegen einer kirchlichen Stiftung s VG Gießen 12.11.2013 – 8 K 818/13 GI. Die rein kirchliche Stiftung unterliegt der Fach- und Rechtsaufsicht der nach Kirchenrecht zuständigen kirchli- 24 chen Behörden. Sie sind von der staatlichen Aufsicht ganz oder weitgehend zugunsten der kirchlichen Aufsicht befreit (ausf MüKo/Weitemeyer § 80 Rn 118), da den Kirchen weitgehend das Recht zusteht, ihre Angelegenheiten frei zu ordnen und zu verwalten (Art 140 GG iVm Art 138 II, 137 III WRV, vgl auch BVerfG NJW 1980, 1895). Privatrechtliche Stiftungen können aufsichtsrechtlich den kirchenrechtlichen Stiftungen (weitgehend) gleichgestellt werden, wenn sie nach dem Willen des Stifters kirchlichen Zielen dienen und einer kirchlichen Stiftungsaufsicht unterliegen sollen. Solche Stiftungen sind organisatorisch mit einer Religionsgemeinschaft mehr oder weniger eng verbunden (vgl BVerfG 46, 73, 83f). Eine Eigenstiftung ist eine kirchenhistorisch zu sehende Separierung eines Vermögens, das in der Verfügungs- 25 gewalt des Stifters verbleibt, aber an die Verwendung zum Stiftungszweck gebunden ist (dazu Liermann S 65f, 70f). 5. Unternehmensverbundene Stiftungen. Schrifttum: Bork, Ausschüttungsbemessung des Stiftungsunternehmens, ZSt 2003, 14; Brandmüller/Klinger, Unternehmensverbunde Stiftungen, 4. Aufl 2014; Delp, Die Stiftung & Co KG: Eine Unternehmensform der rechtsgestaltenden Beratungspraxis 1991; Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, 2015; Ihle, Stiftungen als Instrument der Unternehmens- und Vermögensnachfolge, RNotZ 2009, 557, 621; Ihrig/Wandt, Die Stiftung im Konzernverbund, FS Hüffer, 2010, 387; Nietzer/Stadie, Die Familienstiftung & Co KG – eine Alternative für die Nachfolgeregelung bei Familienunternehmen, NJW 2000, 3457; Saenger, Stiftungskörperschaften – Anspruch und Wirklichkeit, FS O. Werner, 2009, 165; Schiffer, Unternehmensnachfolge mit Stiftungen, ZErb 2014, 337; Schiffer/Pruns, Die unternehmensverbundene Stiftung – ein Überblick zur vielfältigen Praxis, BB 2013, 2755; O. Schmidt, Die Errichtung von Unternehmensträgerstiftungen durch Verfügung von Todes wegen und Testamentsvollstreckung, ZEV 2000, 438;Soeffing/Henrich, Die gemeinnützige Stiftung als Unternehmensnachfolger, BB 2016, 1943; Stolte, Stiftungen in der Vermögensnachfolgeplanung, notar 2015, 311; Werder/Wystrcil, Familienstiftungen in der Unternehmensnachfolge, BB 2016, 1558; Werkmüller, Die „Familienstiftung & Co. KG“ als Instrument der „kontrollierten“ Vermögensnachfolge, ZEV 2015, 522; O. Werner, Perpetuierung einer GmbH durch Stiftungsträgerschaft, 2003.

a) Allgemeines. Bei der unternehmensverbundenen Stiftungen wird unterschieden zw der Unternehmensträger- 26 stiftung, die selbst Rechtsträger eines Unternehmens ist, und der Beteiligungsträgerstiftung, die (gleich einer Holdinggesellschaft) Gesellschaftsanteile am eigentlichen Unternehmensträger hält. Die Stiftung & Co (KG) und auch die Doppelstiftung sind keine Sonderformen der Stiftung, binden die Stiftung aber in besonderer Form in gesellschaftsrechtliche Strukturen ein. An der grds Zulässigkeit sowohl von Beteiligungsträger- als auch von Unternehmensträgerstiftungen, die früher mit Blick auf die Regelung zum wirtschaftlichen Verein in § 22 teilw verneint wurde (hierzu noch MüKo/Reuter5 §§ 80, 81 Rn 90ff, vgl aber auch bereits BGH 84 352ff), bestehen heute nach ganz hM zu Recht keine Zweifel mehr (Pal/Ellenberger § 80 Rn 9; Richter in v Campenhausen/Richter4 § 12 Rn 129ff; Brandmüller/Klinger S 21ff; krit noch MüKo/Weitemeyer § 80 Rn 148ff). Problematisch sind lediglich Gestaltungen, bei denen die Stiftung keinen (externen) Zweck verfolgt, sondern ausschließlich auf die Führung eines Unternehmens gerichtet ist. Denn bei einer solchen Stiftung wäre letztlich unklar, welchem Zweck das Stiftungsvermögen und dessen Erträge zu Gute kommen sollen (Ihle RNotZ 2009, 621, 622). Eine solche Selbstzweckstiftung ist nach hM unzulässig, ihr wäre seitens der Stiftungsaufsicht die Anerkennung zu versagen (§ 81 Rn 16; für die Zulässigkeit einer Unternehmensselbstzweckstiftung s aber Geck ZEV 2015 401, 402). Selbstverständlich darf die Unternehmensführung aber Nebenzweck der Stiftung sein (Richter in v Campenhausen/Richter4 § 12 Rn 133), wenn zB klargestellt ist, zu welchem Zweck die Erträge des Unternehmens verwendet werden sollen. b) Unternehmensträgerstiftung. Die Unternehmensträgerstiftung betreibt unmittelbar ein Unternehmen. Es ist 27 kein separater Rechtsträger zwischengeschaltet, Unternehmen und Stiftung bilden vielmehr eine rechtliche Einheit (Hennerkes/Binz/Sorg DB 1986, 2217, 2220). Als jur Pers ist die Stiftung selbst Rechtsträger des Unternehmens und damit Zuordnungssubjekt für alle Rechte und Pflichten. Reine Unternehmensträgerstiftungen sind in der Praxis selten anzutreffen. Auch die häufig als Bsp angeführte Carl-Zeiss-Stiftung ist schon seit längerer Zeit keine Unternehmensträgerstiftung mehr, sondern hat ihre Unternehmen in rechtlich selbständige AG überführt. Die Gründe hierfür liegen sicherlich in der im Vergleich doch unflexiblen Struktur der Stiftung, die Kapitalmaßnahmen erschwert und eine gewisse Trägheit mit sich bringt. Zur betriebsverfassungsrechtlichen Einordnung s Grambow ZStV 2013, 161. Wiese

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c) Beteiligungsträgerstiftung. Im Unterschied hierzu betreibt die Beteiligungsträgerstiftung kein eigenes Unternehmen, sondern ist als Gesellschafterin am eigentlichen Unternehmensträger beteiligt, der wiederum Personenoder Kapitalgesellschaft ist. Die Beteiligungsträgerstiftung kombiniert die gestalterischen Vorteile der Stiftung aus Sicht des Stifters mit der nötigen unternehmerischen Flexibilität. Beteiligungsträgerstiftungen machen den Großteil der unternehmensverbundenen Stiftungen aus und erfreuen sich im Mittelstand wachsender Beliebtheit. Diese Stiftungsform ist oft als Familienstiftung (uU auch als Doppelstiftung) gestaltet und dient der Perpetuierung eines Unternehmens ebenso wie dem Erhalt für spätere Generationen. Sie kann auch ein geeignetes Nachfolgemodell darstellen, wenn es an geeigneten Unternehmensnachfolgern im Familienkreis fehlt. Die Stiftungssatzung kann zB ein Veräußerungsverbot im Hinblick auf die Anteile am Unternehmen vorsehen oder andere, konkrete Vorgaben für die Unternehmensführung machen. Allerdings muss bereits bei der Gestaltung der Stiftungssatzung unbedingt daran gedacht werden, dass die nötige Flexibilität für die Führung des Unternehmens erhalten bleibt. So können etwa wirtschaftlich schwierige Phasen für Kapitalbedarf sorgen, der die Aufnahme von Mitgesellschaftern oder im Extremfall auch einen Verkauf des Unternehmens erzwingt. Zu den Anforderungen an die Gestaltung der Satzung s Werder/Wystrcil BB 2016, 1558; Schiffer/Pruns BB 2013, 2755ff; Richter in v Campenhausen/Richter4 § 12 Rn 19ff. Der Einsatz von Stiftungen als Beteiligungsträger erfolgt mitunter auch, um eine unternehmerische Mitbestimmung unabhängig von der Anzahl der Mitarbeiter zu vermeiden, da eine Stiftung (anders als Kapitalgesellschaften) nicht der unternehmerischen Mitbestimmung unterliegt (Pauli in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Kap F Rn 43ff). d) Stiftung & Co KG. Die Stiftung & Co KG ist ein Sonderfall der Beteiligungsträgerstiftung. In dieser Konstellation übernimmt die Stiftung die Funktion des Komplementärs einer Kommanditgesellschaft, die Familienmitglieder des Stifters werden häufig als Kommanditisten beteiligt. Häufig hält die Stiftung gar keinen oder nur einen Kleinstanteil am Vermögen der KG. Vor dem Hintergrund des Verbots der Selbstzweckstiftung (§ 81 Rn 16) ist zu beachten, dass die Stiftung neben der Übernahme der Geschäftsführung und Vertretung in der KG noch mindestens einen weiteren Zweck aufweisen muss. Je nach Ausgestaltung von Stiftungssatzung und/oder Gesellschaftsvertrag der KG kann die Komplementärstellung der Stiftung entweder dazu dienen, den Familienmitgliedern (oder einzelnen hiervon) die Kontrolle über das Unternehmen zu sichern oder diese weitgehend zu „entmachten“. Die Stiftung & Co KG wird heute von der hM sowohl aus gesellschaftsrechtlicher als auch aus stiftungsrechtlicher Sicht für zulässig gehalten (Ihle RNotZ 2009 639ff; Richter in v Campenhausen/Richter4 § 12 Rn 80ff; Brandmüller/Klinger, Unternehmensverbundene Stiftungen4 2014, S 102ff; krit aber MüKo/Weitemeyer § 80 Rn 152ff). Die Vorteile der Stiftung & Co KG liegen darin, dass diese (anders als eine GmbH & Co KG) derzeit nicht mitbestimmungspflichtig ist, vor allem aber darin, dass sie durch die stiftungsrechtliche Eigenart der „Eigentümerlosigkeit“ eine ganz eigene Gestaltungsvariante für die Geschäftsführung in der KG darstellt. Die ursprüngliche publizitätsrechtlichen Vorteile sind hingegen mit Inkrafttreten des KapCoRiLiG entfallen, seitdem die §§ 264a ff HGB auch für die Stiftung & Co KG gelten. e) Doppelstiftung. Einen weiteren Sonderfall der Beteiligungsträgerstiftung stellt die sog Doppelstiftung dar (zu dieser Gestaltung aktuell Theuffel-Werhahn ZStV 2015, 201). Hierunter versteht die Lit eine Konstruktion, in der gleich zwei Stiftungen als Beteiligungsträger eines Unternehmens verwendet werden, und zwar eine steuerlich als gemeinnützig anerkannte Stiftung neben einer (privatnützigen) Familienstiftung (Ihle RNotZ 2009 634ff; Feick in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 3; Richter in v Campenhausen/Richter4 § 12 Rn 191ff). Die Einrichtung einer solchen Doppelstiftung kombiniert die Vorteile der Familienstiftung mit den Steuervorteilen der Gemeinnützigkeit. Regelmäßig hält daher die gemeinnützige Stiftung einen hohen Anteil am Vermögen des Unternehmens, während die Familienstiftung nur soweit beteiligt wird, wie dies zur finanziellen Absicherung der Familie für erforderlich gehalten wird. Dies geht häufig einher mit einer disquotalen Zuordnung der Stimmrechte, teilw auch der Gewinnbezugsrechte am Unternehmensträger. 6. Verbrauchsstiftung. Schrifttum: Hüttemann, Das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes, DB 2013, 774; Muscheler, Die Verbrauchsstiftung, FS O. Werner, 2009, 129; v Oertzen/Fritz, Steuerliche Fragen der neuen (Familien-)Verbrauchsstiftung nach dem „Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes“, BB 2014, 87; Rawert, Die Stiftung auf Zeit – insb die Verbrauchsstiftung – in der zivilrechtlichen Gestaltungspraxis, npoR 2014, 1; Tielmann, Die Familienverbrauchsstiftung NJW 2013, 2934; A. Werner, Praktische Einsatzmöglichkeiten der Verbrauchsstiftung, ZStV 2015, 25; Zimmermann, Die Entwicklung des Stiftungsrechts 2013, NJW 2013, 3558.

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Das Stiftungsrecht wurde und wird geprägt durch den Grundsatz der Vermögenserhaltungspflicht. Da das Stiftungsvermögen dauernd und nachhaltig den Stiftungszweck erfüllen soll, ist es zu erhalten. Die Zweckerfüllung erfolgt grds nur aus den Erträgen des Stiftungsvermögens, den Stiftungsmitteln (Schlüter/Stolte Kap 5 Rn 3ff). Von diesem Grundsatz waren nach hM bereits vor Inkrafttreten des Ehrenamtsstärkungsgesetzes Ausnahmen zulässig (Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 51ff). So sollten auch zuvor bereits Stiftungen, die einen endlichen Zweck verfolgen und hierzu auch ihr Vermögen einsetzen, anerkannt werden. Maßgeblich sollte der Stifterwille sein. Die mit dem Ehrenamtsstärkungsgesetz (Rn 7) in § 80 II 2 gesetzlich anerkannte Verbrauchsstiftung stellt den Grundsatz der Vermögenserhaltung nunmehr endgültig zur Disposition durch den Stifter. Nach der Legaldefinition ist eine Verbrauchsstiftung eine Stiftung, „die für eine bestimmte Zeit errichtet und deren Vermögen für die Zweckverfolgung verbraucht werden soll“. Die knappe Regelung zur Verbrauchsstiftung lässt viele Fragen offen (Tielmann NJW 2013, 2936; Zimmermann NJW 2013, 3558). Da § 10b Ia 2 EStG bei Verbrauchsstiftungen den Spendenabzug von Zuwendung in das Stiftungsvermögen ausschließt („verbrauchbares Vermögen“, dazu auch Söffing/Henrich BB 2016 1943, 1944), ist weiterhin fraglich, ob die Verbrauchsstiftung auf große Akzeptanz 204

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stoßen wird (zu den praktischen Einsatzmöglichkeiten der Verbrauchsstiftung A. Werner ZStV 2015, 25ff; zu den bestehenden steuerlichen Fragestellungen v Oertzen/Fritz BB 2014, 87ff). IV. Stiftungsaufsicht. Die Stiftungsaufsicht ist landesrechtlich geregelt (s ausf Andrick/Suerbaum, Stiftung und Aufsicht, 2001; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 10). In Ausübung der staatlichen Obhutspflicht ggü den Stiftungen ist es ihre Aufgabe, über die Verwirklichung des Stifterwillens zu wachen, da sonst regelmäßig niemand vorhanden ist, der die Stiftungsorgane zur Beachtung der Satzung und der sonstigen für die Stiftung geltenden Bestimmungen, insb des Stifterwillens, anhalten könnte. Damit liegt die Stiftungsaufsicht im öffentlichen Interesse (BGH 99, 344, 349). Sie dient aber nicht irgendwelchen Einzelinteressen (grundlegend BVerwG 40, 347; BVerwG NJW 1985, 2964; OVG Lüneburg NJW 1985, 1572) und auch nicht verwaltungspolitischen Zielen, wohl aber den Interessen der Stiftung selbst, der ggü eine entspr Amtspflicht besteht (BGH 99, 344, 349). Die Vernachlässigung der Stiftungsaufsicht kann daher zu Ersatzansprüchen nach § 839 BGB, Art 34 GG führen (BGH 68, 142, 145; Pal/Ellenberger Rn 14). Die Stiftung muss sich ein Mitverschulden ihres Vorstands nach § 254 entgegenhalten lassen (BGH 68, 142, 151). Die Stiftungsaufsicht ist dabei allerdings grds auf eine Rechtskontrolle beschränkt; die Aufsichtsbehörde darf ihr Ermessen nicht an die Stelle des Ermessens der Stiftungsorgane setzen (BVerwG 40 347, 352). Gleichsam darf der nach § 9 III StiftG NRW eingesetzte Sachwalter für die Stiftung nur im Rahmen der Rechtsaufsicht tätig werden und den im Amt belassenen Vorstand nicht an Maßnahmen zur Erreichung des Stiftungszwecks hindern (Hamm NJW-RR 1995, 120). Gegen Maßnahmen der Aufsichtsbehörde ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet (ausf Andrick/Suerbaum, Stiftung und Aufsicht, 2001, S 197ff). V. Internationales Privatrecht. Das deutsche IPR enthält keine Regelung zur Bestimmung des Personalstatuts einer ausl Stiftung, also hins des auf die Rechtsverhältnisse der Stiftung anwendbaren nationalen Rechts. Traditionell folgt das deutsche IPR insofern der sog Sitztheorie, wonach das Recht des Staates anwendbar ist, in dem die Stiftung ihren Verwaltungssitz, also den tatsächlichen Tätigkeitsort der Stiftungsleitung, hat (Jakob in v Campenhausen/Richter4 § 44 Rn 32; in diesem Sinne wohl auch schon BayObLG NJW 1965 1438, das sich allerdings nicht mit der Frage der Sitzverlegung befasst). Das Personalstatut wäre danach bei ausl Stiftungen mit Sitz im Ausland dem Recht des betroffenen Staates zu entnehmen, auch wenn die Stiftung im Einzelfall in Deutschland tätig wird (BayObLG NJW 1965, 1438; München ZEV 2009, 512). Ein Übergang zur Gründungstheorie auch für Stiftungen im Anschluss an die Rspr des EuGH zur Niederlassungsfreiheit (EuGH 1988, 5505 – Daily Mail; 1999, I-1459 – Centros; 2002, I-9919 – Überseering; 2003, I-10155 – Inspire Art, 2005, I-10805 – Sevic) wird von der hM abgelehnt (Schlüter/Stolte Kap 8 Rn 7; Jakob in v Campenhausen/Richter4 § 44 Rn 42; MüKo/ Weitemeyer § 80 Rn 246), da die sich im Fall einer Sitzverlegung ergebenden Probleme insb hins der Stiftungsaufsicht de lege lata nicht lösbar erscheinen (für die Anwendung der Gründungstheorie jetzt aber – ohne differenzierte Betrachtung der stiftungsrechtlichen Problematik – BGH NZG 2016, 1187ff). Verlegt daher eine ausl Stiftung ihren Verwaltungssitz nach Deutschland („Zuzugsfall“), führt dies nach hM zum Verlust der Rechtsfähigkeit dieser Stiftung, die nach §§ 80ff neu errichtet und insb anerkannt werden muss (Jakob in v Campenhausen/Richter4 § 44 Rn 32 mwN). Der umgekehrte „Wegzugsfall“ einer deutschen Stiftung beurteilt sich nach dem Recht des Zuzugsstaats, in Deutschland verliert eine solche Stiftung jedenfalls ihre Rechtsfähigkeit (Schlüter/Stolte Kap 8 Rn 7). VI. Europäische Stiftung. Nicht zuletzt die kollisionsrechtliche Problematik hat zur Überlegung über die Einführung einer supranationalen Rechtsform für die Stiftung veranlasst, die sog Europäische Stiftung oder Fundatio Europaea (FE). Nach dem vorliegenden Entwurf soll die FE anders als die deutsche Stiftung nicht zweckneutral sein, sondern muss gemeinnützigen Zwecken gewidmet sein. Ausf zum Vorschlag für eine FE Cranshaw DZWiR 2013, 299; Hopt/v Hippel ZEuP 2013, 235. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die FE jemals geltendes Recht wird, da die Kommission den Verordnungsvorschlag aus dem Jahr 2012 im Frühjahr 2015 offiziell zurückgenommen hat (ABl 2015 C 80/17).

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Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung

(1) Zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung sind das Stiftungsgeschäft und die Anerkennung durch die zuständige Behörde des Landes erforderlich, in dem die Stiftung ihren Sitz haben soll. (2) Die Stiftung ist als rechtsfähig anzuerkennen, wenn das Stiftungsgeschäft den Anforderungen des § 81 Abs. 1 genügt, die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheint und der Stiftungszweck das Gemeinwohl nicht gefährdet. Bei einer Stiftung, die für eine bestimmte Zeit errichtet und deren Vermögen für die Zweckverfolgung verbraucht werden soll (Verbrauchsstiftung), erscheint die dauernde Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert, wenn die Stiftung für einen im Stiftungsgeschäft festgelegten Zeitraum bestehen soll, der mindestens zehn Jahre umfasst. (3) Vorschriften der Landesgesetze über kirchliche Stiftungen bleiben unberührt. Das gilt entsprechend für Stiftungen, die nach den Landesgesetzen kirchlichen Stiftungen gleichgestellt sind. I. Allgemeines. § 80 regelt abschließend die Voraussetzungen für das Entstehen einer rechtsfähigen Stiftung. Die 1 Vorschrift ist durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz neu gefasst worden (vgl Vor § 80 Rn 7). Wichtigste Neuerung ist die Anerkennung der Verbrauchsstiftung und Stiftung auf Zeit. Bereits durch die vorangegangenen Reformen ist der Rechtsanspruch auf Stiftung in Abs II S 1 (dazu Rn 9) festgeschrieben worden. Aufgrund des abschließenWiese

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den Charakters der Regelung kann das Landesrecht die Entstehung von Stiftungen nicht an weitere Voraussetzungen knüpfen (Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 § 80 Rn 2). Die Regelung des Anerkennungsverfahrens ebenso wie das Aufsichtsverfahren bleibt jedoch dem Landesrecht vorbehalten (s Vor § 80 Rn 8). II. Voraussetzungen der Entstehung. Die Entstehung der Stiftung erfordert gem Abs I das Stiftungsgeschäft und die staatliche Anerkennung. Den Rechtserfolg, die Entstehung der Stiftung als selbständige juristische Person, können nur Stiftungsgeschäft und Anerkennung gemeinsam herbeiführen. Der Erfolg tritt ein mit der konstitutiven Anerkennung, eine gewisse Rückwirkung ergibt sich lediglich aus § 84 im Fall der Stiftungserrichtung von Todes wegen. 1. Stiftungsgeschäft. Das Stiftungsgeschäft ist die Erklärung des Stifters, ein Vermögen zur Erfüllung eines von ihm vorgegebenen Zwecks zu widmen und kann als Rechtsgeschäft unter Lebenden (§ 81) oder als Verfügung von Todes wegen (§ 83) gestaltet werden. Bei mehreren Stiftern können beide Arten zusammentreffen (BGH 70, 313, 322). Es muss als Rechtserfolg den Willen auf Errichtung einer selbständigen Stiftung erkennen lassen und den in § 81 geregelten Mindestinhalt ausweisen. Das Stiftungsgeschäft ist eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Selbst wenn die Stiftung durch eine Mehrheit von Stiftern errichtet wird, ist es einseitiges Rechtsgeschäft und kein Vertrag, auch dann, wenn es im Zusammenhang mit vertraglichen Vereinbarungen erklärt wird (Pal/Ellenberger Rn 1). Inhaltlich enthält es einen organisationsrechtlichen (Errichtung der jur Pers) und einen vermögensrechtlichen (Zuwendung des Vermögens) Teil. Auch hins des vermögensrechtlichen Teils liegt keine Schenkung vor (Staud/Hüttemann/Rawert § 81 Rn 24), sondern mit der hM ein Rechtsgeschäft sui generis (Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 80 Rn 24 ff). Zur Rechtsnatur des Stiftungsgeschäfts unter Lebenden s § 81 Rn 3f. Stifterfähig sind natürliche und jur Pers (des privaten und des öffentlichen Rechts), auch Personengesellschaften (Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 34). Besondere Voraussetzungen existieren nicht. Eine Stiftung kann auch durch mehrere Personen gemeinsam errichtet werden. Stellvertretung beim Stiftungsgeschäft ist mangels entgegenstehender Vorschriften zulässig (BayObLG NJW-RR 1991, 523; Pal/Ellenberger, § 81 Rn 2). Die Vornahme des Stiftungsgeschäfts durch die sorgeberechtigten Eltern, den Betreuer oder Vormund ist wegen §§ 1641, 1804 analog jedoch unzulässig (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 7). 2. Anerkennung. Abschließende Voraussetzung des Entstehens einer Stiftung ist nach dem Stiftungsgeschäft deren Anerkennung durch die zuständige Landesbehörde. Die Anerkennung ist ein privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt, sie wirkt allerdings nicht unabhängig vom Stiftungsgeschäft. Die Anerkennung hat konstitutive Wirkung, kann jedoch das Stiftungsgeschäft nicht ersetzen und auch nicht etwaige Mängel des Stiftungsgeschäfts heilen (BGH 70, 313, 321; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 264). Nach hM behält die Stiftung jedoch bis zu ihrer Aufhebung wegen eines mangelhaften Stiftungsgeschäfts ihre Rechtsfähigkeit. Die Aufhebung wirkt ex nunc (BVerwG NJW 1969, 339; Staud/Hüttemann/Rawert Rn 6). Die zuständige Anerkennungsbehörde bestimmt sich nach dem Stiftungsgesetz des Bundeslandes, in dem die zukünftige Stiftung ihren satzungsmäßigen Sitz haben soll. Der tatsächliche Verwaltungssitz ist nicht relevant und muss auch nicht mit dem satzungsmäßigen Sitz übereinstimmen (Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/ Pauli2 Teil B § 80 Rn 70). Die landesrechtliche Zuordnung liegt teils beim Innenminister, so in Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Schl-Holst, Thüringen, bei der Bezirksregierung in Nds, NRW, Rh-Pf, beim Regierungspräsidenten in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, in Berlin bei der Senatsverwaltung für Justiz. Die Anerkennung erfolgt nur auf Antrag. Während die inhaltlichen Voraussetzungen der Anerkennung abschließend im BGB geregelt sind, bestimmt sich das Anerkennungsverfahren nach den Landesstiftungsgesetzen. Da es sich bei der Anerkennung um einen Verwaltungsakt handelt, ist deren Zugang beim Stifter erforderlich. Eine landesrechtlich etwaig gebotene öffentliche Bekanntmachung ist nicht konstitutiv (Staud/Hüttemann/Rawert Rn 12). Bei Versagung der Anerkennung, Erteilung unter Auflagen oder Untätigkeit der Anerkennungsbehörde sind die verwaltungsgerichtlichen Rechtsbehelfe zu wählen. Die Versagung der Anerkennung hat keine Konsequenzen für die Wirksamkeit des Stiftungsgeschäfts, insb ist dieses für einen erneuten Antrag nicht etwa zu wiederholen (MüKo/Weitemeyer Rn 68). 3. Vorstiftung. In der Zeit zwischen Abschluss des Stiftungsgeschäfts und Zugang der Anerkennung beim Stifter besteht ein Schwebezustand. Entgegen einer beachtlichen Auffassung, die ein dem Vor-Verein oder der Vor-GmbH vergleichbares rechtsfähiges Gebilde konstruieren will (LG Heidelberg NJW-RR 1991, 969; Pal/Ellenberger Rn 2; Werner ZErb 2011 237ff), ist mit der hM (BFH ZEV 2015, 359; MüKo/Weitemeyer § 81 Rn 53; Brandmüller/Klinger S 41f; Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 113; Schiffer/Pruns BB 2015 1756; wohl auch Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 80 Rn 74ff; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 271f) die Existenz einer Vorstiftung jedoch abzulehnen. Insofern bestehen wesentliche Unterschiede zu den im Gesellschaftsrecht existierenden Vorgesellschaften (etwa der Vor-GmbH). So muss etwa die Vor-GmbH bereits vor ihrer Gründung rechtsfähig sein, um Vermögen (Einzahlungen auf das Stammkapital) erwerben zu können. Der Stifter hat hingegen das Vermögen erst nach Anerkennung an die Stiftung zu übertragen. Auch organisatorisch ist die Stiftung nicht verselbständigt. Während zB bei der Vor-GmbH der Geschäftsführer die Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister anmeldet, stellt den Antrag auf Anerkennung der Stiftung der Stifter. Mit der Errichtung des Stiftungsgeschäfts und aufgrund eines einseitigen Widmungsakts des Stifters entsteht – anders als noch in der Voraufl von O. Werner vertreten – auch nicht per se eine unselbstän206

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dige Stiftung als Vorstiftung. Denn die unselbständige Stiftung setzt eine schuldrechtlich vereinbarte Zweckbindung des Stiftungsträgers ggü dem Stifter voraus, an der es in diesem Stadium gerade fehlt. Das schließt allerdings naturgemäß nicht aus, dass der selbständigen Stiftung seitens des Stifters eine unselbständige „Vorstiftung“ vorgelagert wird, etwa indem der Stifter zunächst einem Stiftungsträger das Stiftungsvermögen zwecks Errichtung einer unselbständigen Stiftung überträgt und dies mit der Weisung zur Errichtung einer selbständigen Stiftung verbindet (s dazu Schiffer/Pruns BB 2015 1756; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 280). III. Voraussetzungen der Anerkennung (Abs II). Der Rechtsanspruch des Stifters auf Anerkennung der Stiftung (dazu bereits Vor § 80 Rn 6) folgt aus Abs II. Danach ist die Stiftung anzuerkennen, wenn (i) das Stiftungsgeschäft den Anforderungen des § 81 I genügt, (ii) die dauernde und nachhaltige Zweckerfüllung gesichert erscheint und (iii) der Stiftungszweck nicht gemeinwohlgefährdend ist. Der Gesetzgeber hat sich mit der Neuregelung durch das Stiftungsrechtsreformgesetz klarstellend der bis dahin hM angeschlossen, die ein gebundenes Ermessen angenommen hat (vgl hierzu Andrick/Suerbaum NJW 2002, 2907). Bei Vorliegen der Anerkennungsvoraussetzung hat die Behörde keinen Beurteilungsspielraum, sondern muss die Anerkennung aussprechen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist hins Tat- und Rechtsfragen verwaltungsgerichtlich voll überprüfbar, und zwar auch hins der erforderlichen Kapitalausstattung (Pal/Ellenberger Rn 4; MüKo/Weitemeyer Rn 108). Abs II enthält eine (bundeseinheitlich) abschließende Regelung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Stiftung. Für die Landesgesetze besteht kein weiterer (einengender oder erweiternder) Gestaltungsraum (vgl Vor § 80 Rn 8). 1. Anforderungen des § 81 I. Als grds Anerkennungsvoraussetzung muss das Stiftungsgeschäft den Anforderungen des § 81 I genügen (vgl dort). 2. Dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks. Darüber hinaus muss die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheinen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll diese Regelung zum einen zum Schutz des Rechtsverkehrs die dauerhafte Existenz der mitgliederlosen Stiftung gewährleisten und zum anderen dem der Rechtsform der Stiftung eigenen Wesen Rechnung tragen, dass sie grds auf unbegrenzte Dauer angelegt ist (BT-Drs 14/8765, 8). Der Gesetzgeber wollte mit dem Merkmal der Dauerhaftigkeit ausdr nicht solche Stiftungen verhindern, die nach dem Willen des Stifters zwar für längere Dauer errichtet werden, deren zeitliches Ende aber bereits angelegt ist (BT-Drs 14/8765, 8, dazu auch bereits Vor § 80 Rn 2). Wesentliches Kriterium für die Frage nach der nachhaltigen Erfüllung des Stiftungszwecks ist die angemessene Vermögensausstattung der Stiftung. Aus der Formulierung „gesichert erscheint“ folgt, dass zum Zeitpunkt der Anerkennung der Stiftung eine Prognoseentscheidung erforderlich ist. a) Dauerhaftigkeit. Erste Anerkennungsvoraussetzung ist also, dass die Stiftung ihrem Zweck nach auf eine gewisse „längere Dauer“ angelegt ist. Eine feste Mindestdauer sieht das Gesetz nicht vor (MüKo/Weitemeyer Rn 83). Die für Verbrauchsstiftungen in Abs II S 2 vorgesehene Mindestdauer von 10 Jahren (dazu Rn 15) gilt nicht für andere zeit- oder zweckbefristete Stiftungen (MüKo/Weitemeyer Rn 83, 85). Vielmehr sind sowohl zeitbefristete als auch zweckbefristete Stiftungen („Stiftung auf Zeit“) mit kürzerer Dauer grds denkbar, sofern der Zweck nicht „flüchtig“ ist (Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 80 Rn 46). Die Gesetzesbegr liefert insofern das Bsp der Wiederherstellung eines kunsthistorischen Bauensembles (BT-Drs 14/8765, 8). b) Vermögensausstattung. Maßgebliche Voraussetzung der Anerkennung ist, dass die Vermögensausstattung der Stiftung eine hinreichende Aussicht dafür bieten muss, dass der Stiftungszweck erfüllt werden kann. Wegen der unterschiedlichen Stiftungszwecke kann hier keine bestimmte Summe zugrunde gelegt werden (Schwake NZG 2008, 248; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 80 Rn 60f). Vielmehr prägt der jeweilige Zweck den Kapitalbedarf, so dass sich eine pauschale Betrachtung verbietet. Der Anerkennung entgegen steht in jedem Fall eine Unterkapitalisierung, die der Lebensfähigkeit der Stiftung von vornherein entgegensteht, etwa wenn für die erwartete Dauer bereits Zweifel an der Deckung der Verwaltungskosten bestehen. Die Prüfung der Angemessenheit der Vermögensausstattung erfordert in jedem Fall eine Prognose, bei der nicht nur die Vermögensausstattung zum Zeitpunkt der anstehenden behördlichen Anerkennung maßgeblich ist (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 180). Darüber hinaus sind einzuwerbende Spenden oder in Aussicht gestellte Zustiftungen zu berücksichtigen, wenn diese Zuwendungen als „gesichert erscheinen“. Bei der Prüfung der Vermögensausstattung steht der Anerkennungsbehörde kein eigener Beurteilungsspielraum zur Verfügung. Vielmehr obliegt der Behörde lediglich eine – verwaltungsgerichtlich voll prüfbare – Kontrolle der Prognose des Stifters (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 180; MüKo/Weitemeyer Rn 108). Der Verweigerung der Anerkennung wegen zu geringen Stiftungskapitals kann dadurch begegnet werden, dass in der Satzung eine Abstufung der Zweckerfüllung vorgenommen wird, indem ein wenig kostenträchtiger Zweck als grds erfüllbar vorangestellt und weitere Zwecke (evtl in einer bestimmten Reihenfolge) von der Finanzsituation abhängig gemacht werden (etwa abhängig von Zuwendungen Dritter). In Abs II 1 wird auch die Grundlage für den stiftungsrechtlichen Grundsatz der Vermögenserhaltungspflicht gesehen (dazu bereits Vor § 80 Rn 31; ausführlicher § 81 Rn 18). Danach ist das der Stiftung für die Erfüllung ihres Zwecks zugewendete Vermögen zu erhalten, auch die Zweckverfolgung darf grds nur aus den Erträgen dieses Vermögens erfolgen. c) Verbrauchstiftungen. Mit dem Ehrenamtsstärkungsgesetz ist die auch bis dahin schon nach hM zulässige Verbrauchsstiftung gesetzlich geregelt worden. Eine Verbrauchsstiftung darf – abw vom gesetzlichen Leitbild – Wiese

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auch ihr Stiftungsvermögen für die Zweckverfolgung einsetzen und verbrauchen. Für die Verbrauchsstiftung sieht Abs II S 2 einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren vor, für den die Stiftung gem Festlegung im Stiftungsgeschäft bestehen soll. Nach hier vertretener Auffassung handelt es sich dabei nicht um eine starre Untergrenze (so aber wohl Rawert npoR 2014 1, 3; Tielmann NJW 2013 2934, 2935; Pal/Ellenberger Rn 5), sondern um eine gesetzliche Vermutung dahingehend, dass bei Verbrauchsstiftungen für mehr als 10 Jahre die Dauerhaftigkeit der Zweckerfüllung lediglich vermutet wird (so mit guten Gründen MüKo/Weitemeyer Rn 85; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 80 Rn 64). Im Einzelfall können daher auch auf kürzere Zeit angelegte Verbrauchsstiftungen das Merkmal der Dauerhaftigkeit erfüllen. 3. Gemeinwohlgefährdung. Einer Stiftung ist die Anerkennung zu versagen, wenn der Stiftungszweck das Gemeinwohl gefährdet. Die Gemeinwohlgefährdung schränkt damit die privatautonome Stifterfreiheit ein. Das Gesamtinteresse der staatlichen Gemeinschaft hat als unbestimmter Rechtsbegriff Eingang in die Anerkennungsbewertung gefunden. Unstr ist eine Gemeinwohlgefährdung bei Verstoß gegen die Verfassung, ein allgemeingesetzliches Verbot oder die guten Sitten gegeben (Andrick/Suerbaum Nachtrag S 10, 11), ebenso wenn der Stiftungszweck mit dem Schutz der Menschenwürde (zB Rassendiskriminierung) unvereinbar ist (BVerwG NJW 1998, 2545; OVG Münster NVwZ 1996, 913; ausf Andrick/Suerbaum NJW 2002, 2908; Hüttemann/Rawert ZIP 2013, 2136). Die Gemeinwohlgefährdung beschränkt sich ausschließlich auf den Stiftungszweck, die geplante oder tatsächlich ausgeübte Tätigkeit. Die Person des Stifters, etwa dessen Vorstrafen, muss außer Betracht bleiben (dazu Veltmann ZSt 2006, 150; ders 2007, 64; Neuhoff ZSt 2007, 20). Ergibt sich die Gemeinwohlgefährdung nicht bereits aus dem Stiftungsgeschäft (einschl Satzung), sondern wird erst später aus sonstigen Programmen oder Tätigkeiten transparent, kann die Stiftungsaufsichtsbehörde über § 87 eingreifen. Bei der Prüfung, ob eine Gemeinwohlgefährdung zu besorgen ist, können daher bei einer parteinahen Stiftung auch das Parteiprogramm und Äußerungen der Funktionäre herangezogen werden (BVerwG 106, 177). Der Versagungsgrund der Gemeinwohlgefährdung unterliegt wegen Art 19 IV GG der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (BVerwG 106, 177). IV. Kirchliche Stiftungen, Abs III. Aus § 80 III folgt, dass sich die Voraussetzungen für den Erwerb der Rechtsfähigkeit bei kirchlichen Stiftungen (Vor § 80 Rn 23ff) weiterhin nach den landesrechtlichen Vorschriften richten. Fehlen solche, gilt ders Grundsatz gem Art 140 GG iVm Art 137 III WRV (Pal/Ellenberger Rn 7).

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(1) Das Stiftungsgeschäft unter Lebenden bedarf der schriftlichen Form. Es muss die verbindliche Erklärung des Stifters enthalten, ein Vermögen zur Erfüllung eines von ihm vorgegebenen Zweckes zu widmen, das auch zum Verbrauch bestimmt werden kann. Durch das Stiftungsgeschäft muss die Stiftung eine Satzung erhalten mit Regelungen über 1. den Namen der Stiftung, 2. den Sitz der Stiftung, 3. den Zweck der Stiftung, 4. das Vermögen der Stiftung, 5. die Bildung des Vorstands der Stiftung. Genügt das Stiftungsgeschäft den Erfordernissen des Satzes 3 nicht und ist der Stifter verstorben, findet § 83 Satz 2 bis 4 entsprechende Anwendung. (2) Bis zur Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig ist der Stifter zum Widerruf des Stiftungsgeschäfts berechtigt. Ist die Anerkennung bei der zuständigen Behörde beantragt, so kann der Widerruf nur dieser gegenüber erklärt werden. Der Erbe des Stifters ist zum Widerruf nicht berechtigt, wenn der Stifter den Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt oder im Falle der notariellen Beurkundung des Stiftungsgeschäfts den Notar bei oder nach der Beurkundung mit der Antragstellung betraut hat. I. Allgemeines. § 81 spezifiziert das für die Entstehung und Anerkennung erforderliche Stiftungsgeschäft (§ 80 Rn 3) und regelt bundeseinheitlich und abschließend dessen Mindestinhalt und Form. Die Vorschrift gilt für die Stiftung unter Lebenden, Abs I S 3 aber auch für die Stiftung von Todes wegen. Abs I S 2 wurde durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz hins der Verbrauchsstiftung erweitert (s § 80 Rn 15). Etwaig bestehenden Mängeln und Unvollkommenheiten kann durch Beratung der Anerkennungsbehörde ebenso begegnet werden, wie bei einer Stiftung von Todes wegen diese die erforderlichen Ergänzungen vornehmen kann (§ 83 S 2–4), wobei als oberstes Gebot die Verwirklichung des Stifterwillens gilt. II. Bestandteile des Stiftungsgeschäfts. Das Stiftungsgeschäft ist neben der Anerkennung Voraussetzung für die Entstehung der Stiftung (vgl § 80 Rn 3) und besteht aus zwei Teilen: (1) der Gründungs- und Vermögensausstattungserklärung und (2) der Satzung als Grundlage (Verfassung) der Stiftungstätigkeit. In der Praxis ist die Satzung meist als getrennte Urkunde in Form einer Anlage zum eigentlichen Stiftungsgeschäft vorgesehen, auch wenn dies nicht zwingend ist (vgl etwa das Muster bei Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung3 2013, S 685ff). Die Satzung muss nicht gesondert unterschrieben werden, wenn sich das Stiftungsgeschäft ausdr auf sie bezieht und zum Inhalt des Stiftungsgeschäfts macht. 1. Rechtsnatur. Das Stiftungsgeschäft ist eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Selbst wenn die Stiftung durch eine Mehrheit von Stiftern errichtet wird, ist es einseitiges Rechtsgeschäft und kein Ver208

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trag, auch dann, wenn es im Zusammenhang mit vertraglichen Vereinbarungen erklärt wird (Pal/Ellenberger § 80 Rn 1). Für das Stiftungsgeschäft gelten grds die allg Vorschriften über Rechtsgeschäfte, insb zur Frage der Geschäftsfähigkeit (§§ 104ff), über die Behandlung von Willenserklärungen (§§ 116ff), die Stellvertretung (§§ 164ff) etc. Die Auslegung des Stiftungsgeschäfts richtet sich nach § 133, nicht hingegen nach § 157. Bis zur Anerkennung der Stiftung ist das Stiftungsgeschäft (frei und formlos) widerruflich, dazu Rn 25. Aufgrund des organisationsrechtlichen Bestandteils des Stiftungsgeschäfts ist die Anfechtbarkeit des Stiftungsgeschäfts nach Anerkennung eingeschränkt: Die Anfechtung folgt zwar den allg Vorschriften, das Entstehen der Stiftung als jur Pers kann aber nicht mehr rückgängig gemacht werden. Insb kann sich der Stifter nur noch von seinem Zuwendungsversprechen lösen und ggf von der Stiftung die Rückgewähr des übertragenen Vermögensgegenstands verlangen (Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 34; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 80 Rn 8). Die Konsequenzen für die Stiftung ergeben sich aus § 87, im Zweifel ist die Stiftung wieder aufzuheben. Nichts anderes gilt auch, wenn die anfängliche Nichtigkeit des Stiftungsgeschäfts (zB wg § 134) erst nach Anerkennung der Stiftung festgestellt wird (MüKo/Weitemeyer Rn 2). Das Stiftungsgeschäft ist – auch hins des vermögensrechtlichen Teils – nach zutr hM keine Schenkung, sondern ein Rechtsgeschäft sui generis (Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/ Pauli2 Teil B § 80 Rn 24; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 35ff; Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung3 2013, S 130, jew mwN). Zur (analogen) Anwendbarkeit schenkungsrechtlicher Haftungserleichterungen s § 82 Rn 2. Mit Rücksicht auf den Rechtsverkehr wird in der Literatur teilw vertreten, dass das Stiftungsgeschäft grds bedingungsfeindlich sei, um jede Unsicherheit über die Existenz der Stiftung zu vermeiden (Schiffer/Pruns/Schürmann in Schiffer4 2016, § 3 Rn 19; auch noch Erman/O. Werner14 Rn 3). Die Sicherheit im Rechtsverkehr ist aber jedenfalls dann nicht gefährdet, wenn gesichert ist, dass die Anerkennung einer Stiftung erst nach Eintritt einer aufschiebenden Bedingung erfolgt und dass eine einmal anerkannte Stiftung nicht automatisch kraft Eintritts einer auflösenden Bedingung wieder erlischt. Es spricht daher viel für die wohl hL, wonach das Stiftungsgeschäft zwar sowohl unter auflösenden als auch unter aufschiebenden Bedingungen stehen kann, die Stiftung aber erst dann anerkannt werden kann, wenn die aufschiebende Bedingung eingetreten ist bzw das Ausbleiben der auflösenden Bedingung endgültig feststeht (MüKo/Weitemeyer § 80 Rn 43; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/ Schulte/Pauli2 Teil B § 80 Rn 10; differenzierend Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 14). Bis zu diesem Zeitpunkt fehlt es an der „Verbindlichkeit“ des Stiftungsgeschäfts iSv Abs I S 2. Auch der BGH (BGH 70, 313) hat ein aufschiebend bedingtes Stiftungsgeschäft ohne weiteres anerkannt. Ohne weiteres zulässig ist nach wohl einhelliger Auffassung die Festlegung von Gründen für eine (ex nunc erfolgende) Auflösung der Stiftung durch ein Stiftungsorgan in der Stiftungssatzung (OLG Koblenz NZG 2002 135; Schiffer/Schürmann in Schiffer4 § 6 Rn 60ff; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 11 Rn 36; MüKo/Weitemeyer § 80 Rn 43). 2. Form. Das Stiftungsgeschäft unter Lebenden bedarf der Schriftform (§ 126), das von Todes wegen der Form letztwilliger Verfügungen (vgl § 83 Rn 2). Nach § 126a kann die Schriftform durch elektronische Form ersetzt werden. Nach der hM soll unter Hinw auf die Warn- und Belehrungsfunktion des Anerkennungsverfahrens auch dann keine notarielle Beurkundung erforderlich sein, wenn der vermögensrechtliche Teil des Stiftungsgeschäfts, also das Zuwendungsversprechen, auf die Übertragung von Grundbesitz oder GmbH-Geschäftsanteilen gerichtet ist. §§ 311b I 1, 15 Abs IV GmbHG sollen insofern nicht gelten (Schleswig, DNotZ 1996, 770; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 81 Rn 6; MüKo/Weitemeyer Rn 8; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 17, 18; Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 33; aA Pal/Ellenberger Rn 3; Pal/Grüneberg § 311b Rn 16; MüKo/Kanzleiter § 311b Rn 24; Wochner DNotZ 1996, 773). Höchstrichterlich ist die Frage bislang nicht entschieden, so dass insofern Vorsicht geboten ist und jedenfalls eine frühzeitige Abstimmung mit der Anerkennungsbehörde empfehlenswert ist. Außerdem bleiben die Formvorschriften für den dinglichen Vollzug des Zuwendungsversprechens also über die Auflassung von Grundstücken (§ 925) nach Anerkennung der Stiftung unberührt. Hins der Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen bedarf es allerdings keiner Abtretung, diese gehen gem § 82 S 2 kraft Gesetzes mit Anerkennung auf die Stiftung über (§ 82 Rn 3). Unberührt bleiben ferner die geltenden Formerfordernisse für nach Stiftungserrichtung erfolgende sonstige Zuwendungsversprechen (Zustiftung, Spende, Zuwendung zum Verwaltungsvermögen). 3. Inhalt des Stiftungsgeschäfts. Mindestinhalt des Stiftungsgeschäfts ist die Erklärung des Stifters, ein Vermögen zur Erfüllung eines von ihm vorgegebenen Zwecks zu widmen und die Aufstellung einer Satzung mit den in Abs I S 2 Nr 1–5 vorgegebenen Regelungen. Das Stiftungsgeschäft lässt sich insofern unterteilen in einen personenrechtlichen und einen vermögensrechtlichen Teil. a) Personenrechtlicher Teil. Das Stiftungsgeschäft muss zunächst die Erklärung enthalten, eine selbständige Stiftung des Privatrechts mit einer bestimmten Zweckrichtung gründen zu wollen (Hof in v Campenhausen/ Richter4 § 6 Rn 21). Ebenso muss die Abgrenzung zu anderen Formen jur Pers durch die nicht verbandsmäßige Organisation der Stiftung (keine Mitglieder) deutlich werden. Viele Landesstiftungsgesetze sehen für Zweifelsfragen ein Statusklärungsverfahren vor, wonach auf Antrag die zuständige Behörde darüber entscheidet, ob eine Stiftung iSd jeweiligen Gesetzes vorliegt (zB § 3 StiftG NRW). IÜ wird der personenrechtliche Teil des Stiftungsgeschäfts durch die Satzung abgebildet (Rn 9ff). b) Vermögensrechtlicher Teil. Ferner muss das Stiftungsgeschäft die verbindliche Verpflichtungserklärung des Stifters enthalten, nach behördlicher Anerkennung der Stiftung bestimmte Vermögenswerte zu übertragen, die als wirtschaftlich unantastbares Grundstockvermögen die Erträge erbringen, aus denen der Stiftungszweck zu erfüllen ist bzw das bei der Verbrauchsstiftung gem § 80 Abs II zum Verbrauch bestimmt ist. Bei einer Stiftung Wiese

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unter Lebenden reichen die Verpflichtung und die Festlegung, auf welche Weise die Stiftung dieses Vermögen erlangen soll (Pal/Ellenberger Rn 4). Die dingliche Übertragung der Vermögensgegenstände erfolgt hingegen erst nach Anerkennung der Stiftung. Stiftungsfähig sind alle materiellen und immateriellen Vermögensgegenstände, wie Bargeld, bewegliche und unbewegliche Vermögensgegenstände, Marken- oder Patentrechte. Die Vermögensgegenstände können im Stiftungsgeschäft konkret bezeichnet werden, denkbar ist aber auch eine wertmäßige Bezeichnung unter Vorbehalt des Stifters, diese Werte entweder in Bar oder durch Sachwerte zu leisten. Regelmäßig wird allerdings der zu stiftende Vermögensgegenstand im Zeitpunkt des Stiftungsgeschäfts bereits feststehen und sollte dann – zur Vermeidung von Zweifelsfragen – auch möglichst genau bezeichnet werden. Zur erforderlichen Höhe des Stiftungsvermögens, für die auch die Zusammensetzung des Stiftungsvermögens entscheidend sein kann (Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 98), s § 80 Rn 13f. III. Stiftungssatzung (Stiftungsverfassung). Das Stiftungsgeschäft muss schließlich die Satzung der Stiftung enthalten mit dem in Abs I S 3 Nr 1–5 bezeichneten Mindestinhalt. Dem Stifter verbleibt privatautonom ein großer Spielraum, der nur durch die Gemeinwohlgefährdung eingeschränkt ist (§ 80 Rn 16). Auf diese Weise kann für jede Stiftung eine individuell angepasste Satzung erstellt werden. Der Stifter ist nicht an Formulierungsvorgaben gebunden, er genießt die volle Formulierungsfreiheit. Die Unantastbarkeit und Bedeutung des Stifterwillens schränkt eine spätere Abänderung der Satzung weitgehend ein (s dazu § 85 Rn 10). Die Satzung gibt der Stiftung als jur Pers damit grds für deren Lebensdauer ihre Verfassung und sollte daher mit großer Sorgfalt erstellt werden. Abs I S 3 legt bundeseinheitlich abschließend und verbindlich lediglich die Mindestinhalte fest, die der Stifter auf jeden Fall in der Satzung zu regeln hat. Darüber hinaus kann – das ist die Regel – die Satzung weitere Bestimmungen enthalten, zB über die Einsetzung eines Beirats, Vermögensanfall, Vermögensanlage, Destinatäre usw (dazu § 85 Rn 4ff). Fehlt es der Satzung an dem Mindestinhalt gem Abs I S 3, wird die Anerkennungsbehörde zunächst auf eine entspr Ergänzung seitens des Stifters hinwirken. Gem Abs I S 4 findet nach dem Tod des Stifters § 83 S 2 bis 4 entspr Anwendung, so dass die jew Behörde entspr Ergänzungen vornimmt (s § 83 Rn 7). 1. Name der Stiftung (Abs I S 3 Nr 1). Zur Kennzeichnung ihrer Identität und zur Sicherheit des Rechtsverkehrs (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 146) bedarf die Stiftung eines Namens, der sie von anderen Rechtssubjekten unterscheidet und der nach Anerkennung der Stiftung Namensschutz gem § 12 genießt (München NJW-RR 97, 724; vgl auch zum Namensschutz einer unselbständigen Stiftung Jena ZStV 2013, 192). Bei der Wahl des Namens ist der Stifter weitgehend frei. Die firmenrechtlichen Grundsätze des HGB (Firmenwahrheit, Firmenklarheit) gelten nur, sofern die Stiftung selbst (ausnahmsweise) Kaufmann sein sollte. In diesem Fall wäre die Stiftung auch gem § 33 HGB in das Handelsregister einzutragen (Hopt in Baumbach/Hopt37 2016, § 33 HGB Rn 1). Der Name muss keinen Hinweis auf den Stiftungszweck enthalten. Ein Rechtsformzusatz ist ausdr nicht vorgeschrieben, wird aber teilw (MüKo/Weitemeyer Rn 24; Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 44) in analoger Anwendung bzw in Anwendung des Rechtsgedankens von § 4 GmbHG für erforderlich gehalten. Richtigerweise dürfte es für eine Analogie schon an einer planwidrigen Regelungslücke fehlen. Allerdings ist unstr der Grundsatz der Namenswahrheit zu berücksichtigen, wonach der Name keine falschen Vorstellungen über Zwecke, Art und Größe der Stiftung erwecken darf (MüKo/Weitemeyer Rn 24; Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 44). Solange eine Irreführung des Rechtsverkehrs über die Rechtspersönlichkeit der Stiftung aber nicht zu besorgen ist, wird man die ausdr Verwendung der Bezeichnung „Stiftung“ nicht verlangen können (Soergel/Neuhoff § 80 Rn 4; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 81 Rn 18; Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 7 Rn 4; Meyn in Meyn/Richter/Koss/Gollan, Die Stiftung3 2013, Rn 141). 2. Stiftungssitz (Abs I S 3 Nr 2). Der Stiftungssitz ist maßgeblich für das heranzuziehende LandesstiftungsG, die Zuständigkeit der Anerkennungs- und Aufsichtsbehörde nach dem jew LandesstiftungsG und den Gerichtsstand (§ 17 ZPO). Der Sitz ist der räumliche Teil der Identität der Stiftung und kann vom Stifter grds frei bestimmt werden. Aus § 83 S 3 folgt im Umkehrschluss, dass der satzungsmäßige Sitz der Stiftung nicht zwingend mit dem Verwaltungssitz übereinstimmen muss (so auch Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 81 Rn 23; Götz in Götz/Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung2 2016, Rn 193; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 156; Pal/Ellenberger Rn 6). Umstritten ist, ob es eines inhaltlichen Zusammenhangs oder eines sachlichen Bezugs der Stiftung zu ihrem satzungsmäßigen Sitz bedarf (so Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 45; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 81 Rn 23; MüKo/Weitemeyer Rn 26; Pal/Ellenberger Rn 6). Ein solches Erfordernis ist allerdings dem Gesetz nicht zu entnehmen. Auch fehlt es an einer triftigen Begründung für eine derartige Einschränkung der Stiftungsfreiheit. Insb vermag der Hinweis nicht zu überzeugen, dass ohne das Erfordernis eines inhaltlichen Zusammenhangs zwischen Stiftung und satzungsmäßigem Sitz „die Existenz von Landesstiftungsrecht ad absurdum“ geführt sei (MüKo/Weitemeyer Rn 26). Tatsächlich hat der Stifter ein berechtigtes Interesse daran, sich die stiftungsfreundlichste und entgegenkommendste Stiftungsbehörde auszusuchen (so schon Erman/O. Werner14). Es kommt dann eben das Stiftungsrecht zur Anwendung, welches der Stifter durch die Auswahl des Stiftungssitzes wünscht (wie hier Götz in Götz/Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung2 2016, Rn 193; Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 7 Rn 6; Jakob in Hüttemann/Richter/Weitemeyer, Rn 6.9). Die Nennung eines Doppelsitzes oder mehrerer Sitze in der Satzung wird zunehmend für zulässig erachtet (Pal/ Ellenberger Rn 6; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 81 Rn 23), erscheint aber bedenklich, da bei der Festlegung mehrerer Sitze die Anwendbarkeit des Landesstiftungsrechts und die Behördenzuständigkeit offen ist. Verlangt man, dass der Stifter den hierfür maßgeblichen Sitz festlegen muss (Jakob in Hüttemann/ 210

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Richter/Weitemeyer, Rn 6.12), wird man wohl nur diesen Sitz als eigentlichen satzungsmäßigen Stiftungssitz bezeichnen können. Fehlt im Stiftungsgeschäft und in der Satzung eine Sitzbestimmung, wird die Stiftungsbehörde den Stifter zu dessen Lebzeiten zu einer entspr Ergänzung auffordern. Nach dem Tod des Stifters ist eine solche durch Auslegung zu ermitteln und letztlich entspr Abs I S 4, § 83 S 3 mit dem Sitz der Verwaltung oder dem letzten Wohnsitz des Stifters festzulegen. Eine Sitzverlegung in einen anderen Ort, ein anderes Bundesland oder einen anderen Staat (zu letzterem s Vor § 80 Rn 33) kann der Stifter durch einen entspr Satzungsänderungsvorbehalt ermöglichen. Es gelten die allg Anforderungen an Satzungsänderungen (dazu § 85 Rn 11f). 3. Stiftungszweck (Abs I S 3 Nr 3). Der Stiftungszweck ist das prägende Merkmal einer jeden Stiftung und daher schon zwingender Bestandteil der Gründungserklärung. Die darin enthaltene generelle Zweckbestimmung wird in der Satzung wiederholt und konkretisiert, was bei gemeinnützigen Stiftungen schon vor dem Hintergrund der Anforderungen des § 60 AO notwendig ist (dazu Götz in Götz/Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung2 2016, Rn 190f). Inhaltlich ist die Ausgestaltung des Stiftungszwecks dem Willen des Stifters vorbehalten, gesetzliche Vorgaben bestehen – mit Ausnahme des Verbots der Gemeinwohlgefährdung gem § 80 II 1 (dazu § 80 Rn 16) – nicht. Es sind sowohl gemeinnützige als auch privatnützige Zwecke möglich, insb kann die Stiftung auch den Stifter selbst oder seine Familie als Destinatär vorsehen (wie hier Hof in v Campenhausen/Richter4 § 7 Rn 60; Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 7 Rn 11; Schiffer/Pruns/Schürmann in Schiffer4 2016, § 3 Rn 104 ff; aA MüKo/Weitemeyer Rn 102ff; Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 50). Der Stifter kann sich für einen oder mehrere Zwecke entscheiden. Der Stiftungszweck konkretisiert den Stifterwillen und bestimmt das Stiftungsleben einschl der Förderprojekte und der Destinatäre (dazu § 85 Rn 7f). Er ist auch für die erforderliche Vermögensausstattung der Stiftung maßgeblich (§ 80 Rn 13f). Je konkreter die Zweckbestimmung in der Satzung erfolgt, desto enger ist die Bindung der Stiftungsorgane. Von der zulässigen eigennützigen – etwa auf die Förderung des Stifters und/oder seiner Familie gerichteten – Stiftung zu unterscheiden ist die sog. „Selbstzweckstiftung“, die lediglich auf den Erhalt und die Vermehrung des Stiftungsvermögens gerichtet ist. Denn Kern des Stiftungsgeschäfts ist nach § 80 I 2 die Widmung eines Vermögens zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks. Das Vermögen muss also der Zweckerfüllung dienen; der Zweck kann nicht dem Vermögen (bzw seinem Erhalt oder seiner Mehrung) dienen. Auch die in § 80 II genannte Voraussetzung für die Anerkennung der Stiftung, nach der die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheinen muss, basiert auf einer das Funktionsinteresse der Stiftung bestimmenden Zweck-Vermögens-Relation, für die das Neben- und Miteinander von Stiftungszweck und Stiftungsvermögen kennzeichnend, der Gesichtspunkt einer Deckungsgleichheit dagegen (system-)fremd ist (so bereits Erman/O. Werner14; wie hier MüKo/Weitemeyer Rn 102ff; Fischer in Feick, Stiftung als Nachfolgeinstrument, § 7 Rn 11; Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 50). Der Stifter kann in der Satzung Zweckänderungen zulassen oder aber bestimmte Zweckbestimmungen als unabänderbar bezeichnen (Pal/Ellenberger Rn 7). Bei dauerhafter Unmöglichkeit der Zweckerfüllung und Gefährdung des Gemeinwohls darf die Aufsichtsbehörde unter Berücksichtigung des (mutmaßlichen) Stifterwillens eine andere Zweckbestimmung vorgeben (§ 87 I). 4. Stiftungsvermögen (Abs I S 3 Nr 4). Da das Stiftungsvermögen und dessen Verwendung bereits Gegenstand der Gründungserklärung sein muss (dazu Rn 8), genügt in der Satzung grds ein Verweis auf diese. Erforderlich ist allenfalls eine Konkretisierung eines evtl im Stiftungsgeschäft angegebenen Pauschalwertes. Weitergehende Regelungen sind nicht zwingend, aber sinnvoll und geboten. Grds ist zu unterscheiden zwischen dem Stiftungsvermögen ieS (auch „Grundstockvermögen“) und dem sonstigen Vermögen (zB aus Erträgen des Grundstockvermögens oder aus Spenden etc). Während hins des Grundstockvermögens der Grundsatz der Vermögenserhaltung gilt (dazu bereits Vor § 80 Rn 31), kann das sonstige Vermögen von der Stiftung verbraucht werden. Allerdings kann die Satzung jedenfalls seit Inkrafttreten des Ehrenamtsstärkungsgesetzes vorsehen, dass auch das Grundstockvermögen für die Zweckerreichung verbraucht werden darf (sog Verbrauchsstiftung, dazu bereits Vor § 80 Rn 31). Vorgaben zur Vermögensverwaltung finden sich im Gesetz nicht, abhängig vom Stifterwillen stehen der Stiftung daher grds alle Anlagemöglichkeiten zu, eine Grenze findet sich aber bei reinen Spekulationsgeschäften (ausführlich Hippeli ZStV 2015, 121, 123). Zu den Sorgfaltspflichten und Haftungsrisiken des Vorstands im Zusammenhang mit Anlageentscheidungen s Stürner DStR 2015, 1628ff und grundlegend BGH NZG 2015, 38ff sowie die Vorinstanz Oldenburg NZG 2014, 1272f. Trotz des Kapitalerhaltungsgebots müssen Stiftungen ggf auch ihr Grundstockvermögen zur Aufbringung von Prozesskosten einsetzen, bevor ihnen gem § 116 S 1 Nr 2 ZPO Prozesskostenhilfe gewährt werden kann (Dresden WM 2004, 1278; D. Kilian ZSt 2004, 170 mwN; Nerius ZSt 2003, 167). Häufig enthält die Stiftungssatzung konkretisierende Regelungen über die Zusammensetzung des Grundstockvermögens, über dessen Verwaltung und Erhaltung bzw dessen Verbrauch. Auch Regelungen über die Zulässigkeit von Umschichtungen (zB den Verkauf eines von der Stiftung gehaltenen Unternehmens) und die Verwendung von Spenden und Zustiftungen (Vor § 80 Rn 14) sind zweckmäßig und schaffen Rechtssicherheit bei der Stiftungsverwaltung. 5. Bildung des Vorstands (Abs I S 3 Nr 5). Einziges Pflichtorgan der Stiftung ist der Vorstand als Vertretungsorgan, den der Stifter auch als Kuratorium, Direktorium usw bezeichnen kann (MüKo/Weitemeyer Rn 39). EntWiese

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scheidend ist insofern nicht die Bezeichnung, sondern die dem Organ zugewiesenen Aufgaben (Geschäftsführung und Vertretung der Stiftung). Da die Stiftung keine Mitglieder/Gesellschafter hat, die Einfluss auf die Geschäftsführung der Stiftung nehmen könnten, sondern der Stifterwille entscheidet, sind die Mitglieder des Vorstands der entscheidende Personenkreis, der den Stifterwillen umzusetzen, die Zweckerfüllung herbeizuführen und über die Verwaltung des Stiftungsvermögens die Existenz der Stiftung zu garantieren hat. Soweit die Satzung keine Regelungen trifft, gelten über § 86 die vereinsrechtlichen Vorschriften der §§ 26, 27 III und 28–31a (s dazu § 86 Rn 2). Die Satzung muss die Zahl der Vorstandsmitglieder der Stiftung festlegen. Eine Mindestzahl ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Der Stifter kann vorsehen, dass der Vorstand nur aus einer Person besteht, er kann aber auch (was üblich ist, etwa zur Wahrung eines Vier-Augen-Prinzips) einen mehrgliedrigen Vorstand festlegen. Denkbar ist auch die Festlegung einer Mindest- und Höchstzahl der Vorstandsmitglieder. Anders als bei den Kapitalgesellschaften kommen in der Stiftung auch jur Pers als Vorstandsmitglieder in Betracht, sofern die Satzung dies nicht ausschließt. Die Organbefugnisse werden in diesem Fall vom jew Vertretungsorgan der juristischen Person wahrgenommen (dazu Rawert, FS O. Werner, 2009, 119). Überhaupt kann der Stifter in der Satzung bestimmte persönliche Voraussetzungen für Vorstandsmitglieder festlegen (zB Befähigung zum Richteramt, Verwandtschaft mit dem Stifter, kein Inhaber politischer Ämter, Mindest- oder Höchstalter). Die Sicherstellung der Existenz eines handlungsfähigen Vorstands erfordert, dass die Satzung das Verfahren der Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder regelt. Sinnvollerweise wird der Stifter den Gründungsvorstand bereits im Gründungsgeschäft oder in der Satzung namentlich benennen, wobei er nicht an die Voraussetzungen der späteren Auswahl gebunden ist (auch hins der Zahl und Amtsdauer, s hierzu Hamm NZG 2014, 271ff). Sollen diese Gründungsvorstandsmitglieder ihre Nachfolger selbst bestimmen, empfiehlt es sich, bereits die Annahme des Amtes mit dem Vorschlag eines etwaigen Nachfolgers zu verbinden. Bzgl des Bestellungsverfahrens stehen dem Stifter grds alle Gestaltungsmöglichkeiten offen (s hierzu Hof in v Campenhausen/Richter4 § 8 Rn 125ff; Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 58ff): Die Bestellung der Vorstandsmitglieder kann zB durch Beschluss eines anderen Stiftungsgremiums (zB fakultativer Beirat) oder durch Entsendung eines außenstehenden Dritten (zB Familienrat, Fakultät, Gerichtspräsident, Oberbürgermeister) erfolgen, sog gekorene Mitglieder. Der Stifter kann sich auch selbst ein Entsendungsrecht vorbehalten. Denkbar ist auch ein Kooptationsverfahren, wonach die vorhandenen Vorstandsmitglieder ihre Kollegen bzw Nachfolger selbst auswählen. Schließlich können auch bestimmte Amtsinhaber als sog geborene Mitglieder vorgesehen werden (zB der Universitätsrektor, der Oberbürgermeister), wobei es sich empfiehlt, vor Anerkennung der Satzung die Zustimmung des derzeitigen Amtsinhabers einzuholen. Neben dem Bestimmungsverfahren sollte die Satzung Angaben über die Amtsdauer (hierzu Rüdebusch ZStV 2013, 218, zur Amtsdauer von Kuratoriumsmitgliedern und zur Frage der Übertragbarkeit des Rechtsgedankens aus § 102 AktG s OLG Frankfurt ZStV 2010, 181) und die Möglichkeit einmaliger oder mehrmaliger Wiederberufung enthalten. Vererblich ist die Position des Stiftungsvorstands nicht (BGH NZG 2011, 910). Ferner ist das Verfahren der Abberufung der Organmitglieder zu regeln. Dies ist zunächst einmal zu unterscheiden von dem stiftungsaufsichtsrechtlichen Abberufungsrecht (dazu nach dem StiftG NRW aF: VG Düsseldorf ZSt 2006, 139), welches nach den meisten Landesstiftungsgesetzen in Fällen grober Pflichtverletzungen besteht (zB Art 13 BayStG, § 9 StiftG NRW), dazu VG Bayreuth 20.1.2015 – B5 K 13.570. Auch in Fällen pflichtwidrigen Verhaltens gehen die satzungsmäßigen Abberufungsrechte den aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten grds vor. Sinnvoll ist, die Kompetenz für die Abberufung dem Bestellungsorgan oder einem etwaig existierenden Aufsichtsorgan zuzuweisen (krit hins satzungsmäßiger Abberufungsrechte externer Dritter, auch des Stifters, MüKo/Weitemeyer Rn 41; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 8 Rn 179). Fehlt – aus welchen Gründen auch immer – ein handlungsfähiger Stiftungsvorstand, erfolgt eine Notbestellung durch das Amtsgericht gem §§ 86, 29 (Hamm NZG 2014, 271ff). Die Aufgaben des Vorstands ergeben sich aus seiner Stellung als Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan. Zur Aufgabenerfüllung sollte die Satzung ergänzende Regelungen beinhalten, zB zur Beschlussfassung (vgl Götz in Götz/Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung2 2016, Rn 208ff) und zu den Vertretungsbefugnissen der einzelnen Vorstandsmitglieder (Einzelvertretung vs Gesamtvertretung, Befreiung von § 181) oder auch zur Verteilung von Geschäftsbereichen. In der Praxis werden die Vertretungsbefugnisse der Vorstandsmitglieder durch sog Vertretungsbescheinigungen nachgewiesen, die die Stiftungsbehörden ausstellen (vgl zB § 12 III StiftG NRW) und die auch von Grundbuchämtern als tauglicher Nachweis akzeptiert werden (Suerbaum in Stumpf/Suerbaum/ Schulte/Pauli2 Teil C Rn 156ff). Erg sind über § 86 die vereinsrechtlichen Vorstandsvorschriften der §§ 26ff heranzuziehen. Zur Verschwiegenheitspflicht der Vorstandsmitglieder ggü der Stiftung Seifert ZStV 2014, 41ff. Sofern die Satzung keine Einschränkung enthält, kann der Vorstand Ersatz seiner Aufwendungen gem §§ 27 III, 670 verlangen. Sofern in der Satzung keine Vergütung zuerkannt wird, ist bereits nach allg Ansicht von einer ehrenamtlichen Tätigkeit auszugehen. Seit Inkrafttreten von § 27 III 2 (über § 86) ergibt sich dies auch unmittelbar aus dem Gesetz (hierzu Saenger/Al-Wraikat ZStV 2013, 128). V. Widerruf (Abs II). Das Stiftungsgeschäft kann vom Stifter bis zur Anerkennung der Stiftung frei widerrufen werden. Der Widerruf ist eine auch konkludent mögliche, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung, ein besonderer Widerrufsgrund ist nicht erforderlich. Es genügt jede Handlung, die den Widerrufswillen nach außen erkennen lässt, § 133 (MüKo/Weitemeyer Rn 44). Bei der Stiftung von Todes wegen gelten die für den Widerruf letztwilliger Verfügung bestehenden Bestimmungen (Pal/Ellenberger § 80 Rn 12). Ist der Antrag auf Anerkennung bei der zuständigen Behörde gestellt, muss der Widerruf ggü der Anerkennungsbehörde erklärt werden, 212

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Juristische Personen – Stiftungen

§ 82

Abs II S 2. Eine besondere Form für die Widerrufserklärung ist aber auch in diesem Fall nicht vorgesehen. Nach dem Tod des Stifters geht das Widerrufsrecht zwar grds gem § 1922 auf dessen Erben über (Pal/Ellenberger Rn 12; aA ohne Begr Götz in Götz/Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung2 2016, Rn 116). Diese können die mittels Rechtsgeschäft unter Lebenden errichtete Stiftung jedoch dann nicht mehr widerrufen, wenn der Erblasser den Antrag auf Anerkennung bei der zuständigen Behörde gestellt oder im Falle der notariellen Beurkundung des Stiftungsgeschäfts den Notar mit der Antragstellung beauftragt hat (Abs II S 3). Fraglich ist, ob die Erben den Auftrag des Erblassers an den Notar zur Stellung des Anerkennungsantrags widerrufen können, bevor dieser den Antrag gestellt hat. Das Gesetz verhält sich hierzu nicht, gleichwohl dürfte dies ausgeschlossen sein, da ansonsten Abs II S 3 insofern ausgehöhlt wäre und dem Erben eine vom Gesetz gerade ausgeschlossene faktische Widerrufsmöglichkeit eingeräumt wäre. Sind mehrere Stifter am Stiftungsgeschäft beteiligt, hat jeder einzelne das Widerrufsrecht, dessen Ausübung nach § 139 im Zweifel das Stiftungsgeschäft insgesamt unwirksam macht (Pal/Ellenberger Rn 12; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 60).

§ 82

Übertragungspflicht des Stifters

Wird die Stiftung als rechtsfähig anerkannt, so ist der Stifter verpflichtet, das in dem Stiftungsgeschäft zugesicherte Vermögen auf die Stiftung zu übertragen. Rechte, zu deren Übertragung der Abtretungsvertrag genügt, gehen mit der Anerkennung auf die Stiftung über, sofern nicht aus dem Stiftungsgeschäft sich ein anderer Wille des Stifters ergibt. 1. Allgemeines. Mit der Anerkennung erwirbt die Stiftung neben der Rechtsfähigkeit einen Anspruch gegen den 1 Stifter auf Übertragung der im Stiftungsgeschäft zugesicherten Vermögenswerte, der durch einen separaten Übertragungsakt nach Maßgabe der jew geltenden Vorschriften (zB §§ 929ff; §§ 873ff) zu erfüllen ist. Abw hiervon beinhaltet § 82 S 2 einen gesetzlichen Erwerbstatbestand, wonach solche Rechte, die durch Abtretungsvertrag (§§ 398, 413) übertragen werden können, ohne einen weiteren Übertragungsakt allein mit Anerkennung auf die Stiftung übergehen. § 82 gilt für die durch Stiftungsgeschäft unter Lebenden errichtete Stiftung, auch wenn diese erst nach dem Tod des Stifters anerkannt wurde (in diesem Fall gilt die Stiftung gem § 84 hins der Zuwendung als schon vor dessen Tod entstanden). Die Übertragungsverpflichtung trifft dann die Erben (Staud/Hüttemann/Rawert § 83 Rn 13f; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 82 Rn 10). Errichten die Erben die Stiftung aufgrund testamentarischer oder erbvertraglicher Auflage, handelt es sich ebenfalls um eine Errichtung unter Lebenden. 2. Haftung des Stifters. Der Übertragungsanspruch der Stiftung wird unmittelbar mit der Anerkennung fällig. 2 Erforderlich sind die zur Vermögensübertragung notwendigen Verfügungen, dh der Stifter schuldet die zum Erwerb der einzelnen Vermögensgegenstände erforderlichen Übertragungshandlungen (BayObLG NJW-RR 1987, 1418). Die seitens der Stiftung erforderlichen Erklärungen werden durch den Vorstand als zuständiges Vertretungsorgan vorgenommen. Streitig ist, ob (ungeachtet der Einordnung des Stiftungsgeschäfts als Rechtsgeschäft sui generis, s § 81 Rn 3) die schenkungsrechtlichen Haftungserleichterungen (§§ 519ff) auf die Haftung des Stifters ggü der Stiftung analog anwendbar sind (dafür die bislang wohl hM, Pal/Ellenberger Rn 1; Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 111; Muscheler AcP 203, 469, 507ff; Götz in Götz/Pach-Hanssenheimb, Handbuch der Stiftung2 2016, Rn 131). Dagegen wird eingewandt, dass das eingeschränkte schenkungsrechtliche Haftungsregime im Hinblick auf die Notwendigkeit des Entstehens einer lebensfähigen jur Pers durch das Stiftungsgeschäft nicht sachgerecht Vorkehrungen treffen kann (Staud/Hüttemann/Rawert Rn 7; MüKo/Weitemeyer Rn 3ff; i Erg wohl auch Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 36 f). Gegen die bislang hM spricht, dass die Interessenlage beim Stiftungsgeschäft der Schenkung nicht vergleichbar ist, da es der Stifter in der Hand hat, durch eine sach- und interessengerechte Ausgestaltung des Stiftungsrechts Vorkehrungen zu treffen (so auch Stumpf in Stumpf/Suerbaum/ Schulte/Pauli2 Teil B § 80 Rn 27a), während die Stiftung dies mangels Existenz (anders als der Beschenkte beim Schenkungsvertrag) nicht kann. So sind etwa (naturgemäß von der Stiftungsbehörde bei Beurteilung der Anerkennungsfähigkeit zu beachtende) Haftungsbeschränkungen oder eine wohl überlegte Dotierung des Stiftungsgeschäfts denkbar (und aus Stiftersicht dringend anzuraten). Anders zu beurteilen ist die Situation bei Zustiftungen oder Spenden an existierende Stiftungen, auf die ohne weiteres Schenkungsrecht anwendbar ist (BGH NJW 2004, 1382). Die bestehenden Ansprüche der Stiftung auf Vermögensübertragung oder Schadensersatz müssen im Stiftungsinteresse durch den Vorstand geltend gemacht werden. 3. Übergang kraft Gesetzes. Soweit Rechte nach §§ 398, 413 übergehen (etwa Forderungen, Urheber- und Pa- 3 tentrechte), bedarf der Übergang keiner besonderen Übertragungshandlungen. Dies soll nach der wohl hM auch für Gesellschaftsanteile, ungeachtet der Formvorgabe des § 15 Abs III GmbHG sogar für GmbH-Geschäftsanteile, gelten (Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 82 Rn 8; Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 34), und zwar ohne dass dadurch das Stiftungsgeschäft beurkundungsbedürftig würde (dazu bereits § 81 Rn 5). Der Übergang erfolgt kraft Gesetzes, soweit das Stiftungsgeschäft keine anders lautende Bestimmung enthält. Eine ausdr Regelung im Stiftungsgeschäft erscheint allerdings aus Gründen der Rechtssicherheit sinnvoll, da sich aufgrund der nicht vorhersehbaren Dauer des Anerkennungsvorgangs der Zeitpunkt des Forderungsübergangs nicht vorhersagen lässt (Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht3 2016, § 82 Rn 1).

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§ 83

Personen

§ 83

Stiftung von Todes wegen

Besteht das Stiftungsgeschäft in einer Verfügung von Todes wegen, so hat das Nachlassgericht dies der zuständigen Behörde zur Anerkennung mitzuteilen, sofern sie nicht von dem Erben oder dem Testamentsvollstrecker beantragt wird. Genügt das Stiftungsgeschäft nicht den Erfordernissen des § 81 Abs. 1 Satz 3, wird der Stiftung durch die zuständige Behörde vor der Anerkennung eine Satzung gegeben oder eine unvollständige Satzung ergänzt; dabei soll der Wille des Stifters berücksichtigt werden. Als Sitz der Stiftung gilt, wenn nicht ein anderes bestimmt ist, der Ort, an welchem die Verwaltung geführt wird. Im Zweifel gilt der letzte Wohnsitz des Stifters im Inland als Sitz. 1. Allgemeines. S 1 enthält eine Regelung zur Einleitung des Anerkennungsverfahrens für die Stiftung von Todes wegen. Durch das StiftungsrechtsreformG sind die S 2–4 neu hinzugefügt worden, um dem aus der letztwilligen Verfügung folgenden Stifterwillen auch dann Geltung zu verschaffen, wenn die für die Anerkennung notwendigen Voraussetzungen des § 81 I 3 nicht vorliegen. In diesem Fall werden vorhandene Lücken durch die Ergänzungsbefugnis der Anerkennungsbehörde geschlossen, wobei oberste Richtschnur der Stifterwille ist. Über § 81 I 4 gelten S 2–4 auch für die Stiftung unter Lebenden, sofern der Stifter vor der Anerkennung verstirbt. 2. Stiftungsgeschäft von Todes wegen. Die Stiftung von Todes wegen kann durch letztwillige Verfügung in der Form des (auch gemeinschaftlichen) Testaments oder eines Erbvertrags errichtet werden. Bei mehreren Stiftern ist die Kombination einer Stiftung von Todes wegen mit einer Stiftung unter Lebenden zulässig. So ist beim Erbvertrag die gemeinsame Errichtung einer Stiftung nach dem Tod des Erstversterbenden für den Erstversterbenden eine Verfügung von Todes wegen, für den Überlebenden ein Rechtsgeschäft unter Lebenden (BGH 70, 311, 322). Nichts anderes dürfte auch bei einem entspr gemeinschaftlichen Testament gelten (zur Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung einer Stiftung von Todes wegen iSv §§ 2270, 2271 II s München ZEV 2000, 104). Hins des Stiftungsgeschäfts gelten die allg erbrechtlichen Anforderungen, etwa im Hinblick auf die Testierfähigkeit (§ 2229), die Höchstpersönlichkeit (§§ 2064 und 2065, 2274, s aber München ZEV 2014, 605 zur Möglichkeit der Auswahl des Stiftungsträgers einer unselbständigen Stiftung durch einen Testamentsvollstrecker bei hinreichender Bestimmung des Stiftungszwecks). Auch die Formvorschriften des Erbrechts (§§ 2231ff, 2276) gelten entspr. Auch bei der Stiftung von Todes wegen muss der Erblasser in der letztwilligen Verfügung die Satzung festlegen. Daher muss auch die Satzung der gewählten Form der Erklärung (§§ 2229ff, 2274ff) entsprechen, also ggf eigenhändig niedergeschrieben werden (Schlüter/Stolte Kap 2 Rn 145). Die maschinenschriftliche Beifügung der Satzung genügt nicht. Trotz fehlender eigenhändiger Abfassung der Stiftungssatzung ist eine Stiftung von Todes wegen formwirksam errichtet, wenn der Wille des Erblassers zur Errichtung der Stiftung im Testament hinreichend deutlich zum Ausdruck gekommen ist (Stuttgart ZEV 2010, 200f). Die gem § 81 I 3 erforderlichen Angaben über Name und Sitz, Stiftungszweck, Organisation und Vermögen können ggf nach S 2–4 durch die Anerkennungsbehörde ergänzt werden. Die Anfechtung der letztwilligen Verfügung unterliegt den allg Regeln der §§ 2078f (Hof in v Campenhausen/ Richter4 § 6 Rn 104; O. Schmidt ZEV 2000, 308ff). Ein Recht zur Ausschlagung des Erbes steht der Stiftung von Todes wegen nicht zu, da sich die Stiftung damit ihrer Existenzgrundlage berauben würde. Allerdings wird eine Stiftung bei fehlender Werthaltigkeit des Nachlasses gem § 80 II 1 nicht anerkannt werden. Bei Unklarheiten des Stiftungsgeschäfts folgt die Auslegung den allg Regeln der Willensermittlung hins letztwilliger Verfügungen, hins des personenrechtlichen Teils, also der Satzung soll § 133 heranzuziehen sein (Stumpf in Stumpf/Suerbaum/ Schulte/Pauli2 Teil B § 83 Rn 8; ausf O. Schmidt ZEV 2000, 219; ders ZSt 2003, 227ff). Die Zuwendung des Vermögens kann Erbeinsetzung (Allein-, Mit-, Vor-, Ersatz-, Nacherbe) sein, ferner Vermächtnis oder Auflage (OLG Zweibrücken NJW-RR 2000, 815; ausf MüKo/Weitemeyer Rn 6ff). Ist nicht nur die Vermögenszuwendung Auflage, sondern ist die Errichtung einer Stiftung Auflage zu Lasten des Erben, errichtet der Erbe die Stiftung durch Stiftungsgeschäft unter Lebenden. Der Stiftung steht kein Anspruch auf Übertragung des ihr im Wege der Auflage zugedachten Vermögens zu. Die Auflage kann nur nach § 2194 S 2 oder durch Einsetzung eines Testamentsvollstreckers durchgesetzt werden (Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 83 Rn 19). Zur Besonderheit bei Vor- und Nacherbschaft Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 83. Die Begründung einer Stiftung durch Geschäft unter Lebenden auf den Todesfall (§ 2301) ist nicht vorgesehen (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 83). Nach OLG Frankfurt (ZStV 2011, 183 m Anm Reimann S 605; A. Werner ZStV 2011, 183; Peiker ZStV 2012, 179) ist eine Dauertestamentsvollstreckung für die Verwaltung des Nachlasses mit einer Stiftung von Todes wegen nicht vereinbar, so dass der Testamentsvollstrecker nach Anerkennung der Stiftung das ihr zugedachte Vermögen freigeben muss (ausf dazu Neuhoff ZErb 2013, 81; s auch Pauli ZEV 2012, 461). 3. Anerkennung. Im Gegensatz zur Stiftung unter Lebenden ist ein Antrag auf Anerkennung der Stiftung von Todes wegen nicht zwingend erforderlich. Es genügt, dass die Stiftungsbehörde – gleich auf welchem Weg – Kenntnis von der Stiftungserrichtung und dem Erbfall erlangt, etwa aufgrund einer Mitteilung des Nachlassgerichts gem S 1. 4. Ergänzungsbefugnis (S 2–4). Da der Erblasser nach seinem Tod evtl Mängel des Stiftungsgeschäfts wegen Nichteinhaltung der Erfordernisse des § 81 I 3 nicht mehr beseitigen kann, dem Stifterwillen aber auf jede mögliche Weise Geltung verschafft werden soll, hat die Anerkennungsbehörde das Stiftungsgeschäft und/oder die Satzung zu ergänzen und damit die Mängel zu beheben und die Stiftung zur Entstehung zu bringen. Dabei ist 214

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Juristische Personen – Stiftungen

§ 85

die Behörde an den feststellbaren Willen des Stifters gebunden (Pal/Ellenberger § 80 Rn 2). Die Ergänzung kommt erst und nur in Betracht, wenn die Mängel durch Auslegung nicht zu beseitigen sind und der Stiftungsgründungswille erkennbar ist (Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 83 Rn 24). Lässt sich dem Stiftungsgeschäft trotz Auslegung kein Stiftungssitz entnehmen, gilt gem S 3, 4 der für die Verwaltung bestimmte Ort, mangels einer solchen Bestimmung der letzte inländische Wohnsitz des Stifters. Der Erbe hat gegen die Entscheidung der Anerkennungsbehörde die verwaltungsrechtlichen Rechtsmittel (Pal/Ellenberger Rn 2).

§ 84

Anerkennung nach Tod des Stifters

Wird die Stiftung erst nach dem Tode des Stifters als rechtsfähig anerkannt, so gilt sie für die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tod entstanden. I. Allgemeines. § 84 Vorschrift fingiert die Rechts- bzw. Erbfähigkeit einer Stiftung, die erst nach dem Tod des 1 Stifters anerkannt wird, und gilt für Stiftungsgeschäfte von Todes wegen (§ 83) und für solche unter Lebenden (§ 81 II), wenn der Stifter vor der Anerkennung gestorben ist (Düsseldorf NJW-RR 2014, 262; Pal/Ellenberger § 84 Rn 1; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 84 Rn 2). Erfasst werden alle Zuwendungen des Stifters, bei Rechtsgeschäften unter Lebenden (zB Schenkungen) allerdings nur, sofern diese im Rahmen des Stiftungsgeschäfts erfolgen (mit überzeugenden Argumenten Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 48; MüKo/Weitemeyer Rn 1; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 84 Rn 3; anders noch Erman/O. Werner14). Nicht erfasst sind außerdem Zuwendungen Dritter. II. Bedeutung der Rückwirkung. § 84 ermöglicht zunächst (mit Blick auf § 1923 I) die Erbeinsetzung der Stif- 2 tung bereits vor deren Anerkennung. Die Stiftung wird mit Anerkennung rückwirkend Vollerbin des Stifters. Die Erbeinsetzung der Stiftung durch Dritte ist im Zweifel als Nacherbeinsetzung der Stiftung zu bewerten (Pal/ Ellenberger Rn 1).Darüber hinaus ermöglicht die Vorschrift in den Fällen des § 82 S 2 im Falle eines Stiftungsgeschäfts unter Lebenden bei Tod des Stifters vor Anerkennung der Stiftung einen Direkterwerb der Stiftung ohne den Umweg eines Durchgangserwerbs der Erben. Hat der (Schein-) Erbe über Rechte iSd § 82 S 2 vor der Anerkennung verfügt, ist dies wegen § 84 die Verfügung eines Nichtberechtigten und der Stiftung ggü unwirksam (Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 84 Rn 7). Teilw wird vertreten, dass eine Verfügung des Erben in analoger Anwendung von § 184 II wirksam sein soll, wenn der Erbe im Zeitpunkt der Verfügung noch berechtigt war, den Antrag auf Anerkennung der Stiftung zu widerrufen (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 47; differenzierend MüKo/Weitemeyer Rn 1; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 84 Rn 8). Diese Widerrufsmöglichkeit stelle den Erben dem „Genehmigenden“ iSv § 184 II gleich (Hof in v Campenhausen/ Richter4 § 6 Rn 47). Dies erscheint allerdings konstruiert und blendet aus, dass der Erbe zwar uU die Möglichkeit hat, die Anerkennung zu verhindern. Widerruft er den Anerkennungsantrag, kommt § 84 mangels Anerkennung gar nicht zur Anwendung. Widerruft er den Anerkennungsantrag aber nicht, ist „Genehmigender“ allenfalls die Anerkennungsbehörde, nicht aber der Erbe selbst (so i Erg wohl auch Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 84 Rn 8).

§ 85

Stiftungsverfassung

Die Verfassung einer Stiftung wird, soweit sie nicht auf Bundes- oder Landesgesetz beruht, durch das Stiftungsgeschäft bestimmt. I. Allgemeines. Die Stiftungsverfassung ist die Summe der rechtlichen Grundlagen für die inhaltliche und orga- 1 nisatorische Struktur der Stiftung. § 85 entspricht inhaltlich der vereinsrechtlichen Parallelvorschrift des § 25 und legt die Bedeutung des Stiftungsgeschäfts für die Verfassung der Stiftung fest: Primär bestimmt sich die Stiftungsverfassung nach dem Inhalt des Stiftungsgeschäfts, bundes- oder landesrechtliche Vorschriften greifen nur ein, soweit es sich um zwingende Normen handelt oder das Stiftungsgeschäft keine Regelung enthält (Burgard, Non Profit Law Yearbook [2005], 95, 121; zur spannenden Frage der Anwendung altrechtlicher Vorschriften s Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 85 Rn 6). Die Stiftungsverfassung wird damit geprägt durch das Stiftungsgeschäft und vor allem die darin enthaltene Satzung, das „Kernstück“ der Verfassung (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 6 Rn 120). Letztere wird wiederum durch den gesamten Inhalt des Stiftungsgeschäfts bestimmt und ergänzt, selbst wenn in der Satzungsurkunde einzelne Bestimmungen fehlen (RG 158, 185, 188; Pal/Ellenberger Rn 1). Der Begriff Verfassung ist damit dem der Satzung übergeordnet (RG 158, 185, 188; ausf zu dieser Entscheidung Hahn, Die Stiftungssatzung, Tübingen 2010, 117ff). Die Satzung kann auch durch Ordnungen, die die Stiftungsverwaltung erlässt, nicht modifiziert werden (BAG NJW 1991, 514 für den Modus der Wahl von ArbN-Vertretern in Stiftungsorgane). Es muss dann im hierfür vorgesehenen Verfahren (Rn 11f) eine Satzungsänderung stattfinden. Schreibt das Statut die Beteiligung von ArbN-Vertretern der Stiftungsunternehmen vor, so können diese gegen die von der Stiftungsverwaltung erlassene Wahlordnung auch gerichtlich vorgehen (BAG aaO). II. Inhalt der Stiftungsverfassung. Der Inhalt der Stiftungsverfassung ergibt sich in erster Linie aus der Stif- 2 tungssatzung, dem Stiftungsgeschäft iÜ unter Berücksichtigung zwingenden Rechts und unter erg Heranziehung dispositiven Rechts. Zu unterscheiden ist zw dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestinhalt und weitergehenden Regelungen, über deren Inhalt und Reichweite der Stifter als Ausprägung der Stiftungsautonomie frei entscheiden kann. Wiese

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1. Notwendiger Inhalt. Der zwingende Mindestinhalt ergibt sich für die Stiftungssatzung aus § 81 I 3, für das Stiftungsgeschäft iÜ aus §§ 81 I 2, 80 II. Allen anderen Regelungen übergeordnet ist danach die Erklärung des Stifters, ein Vermögen dem Stiftungszweck zu widmen, wobei § 80 II insofern inhaltlich vorgibt, dass die dauernde und nachhaltige Zweckerfüllung im Zeitpunkt der behördlichen Anerkennung gesichert erscheinen muss (ausf dazu § 80 Rn 11f). Nach § 81 I 3 muss die Satzung mindestens Namen, Sitz, Zweck und Vermögen der Stiftung sowie die Bildung des Vorstands regeln (dazu im Einz § 81 Rn 9ff). 2. Fakultative Regeln über die Stiftungsorganisation. Regelmäßig enthalten Stiftungssatzungen über den Mindestinhalt hinaus Regelungen über die Organstruktur, vor allem die Einrichtung eines weiteren (Aufsichts-) Organs neben dem Vorstand (Rn 5), über die Verwendung des Stiftungsvermögens während der Dauer der Stiftung und nach ihrem (möglichen) Ende, über die Rechtsstellung der Destinatäre (Rn 7f) und über Änderungen der Satzung (Rn 11f). a) Weitere Organe. Neben dem zwingend vorgesehenen Vorstand als Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan der Stiftung (§ 81 I 3 Nr 5) kann die Satzung ein oder mehrere weitere Organe vorsehen und deren Kompetenzen (Aufsicht, Beratung, Repräsentation usw) regeln. Insofern besteht ein umfassender Gestaltungsspielraum für den Stifter, von dem aber im Sinne einer effektiven Stiftungsorganisation mit Vorsicht Gebrauch gemacht werden sollte. Es empfiehlt sich jedoch aus Stiftersicht regelmäßig, ein zusätzliches Organ in Form eines Beirats (auch als Kuratorium oder Stiftungsrat bezeichnet) mit Aufsichts- und Kontrollfunktion zu schaffen. Für die Auswahl der Beiratsmitglieder gelten dieselben Grundsätze wie für die Bestellung der Vorstandsmitglieder (§ 81 Rn 22). In diesem Fall sollte die Satzung klare Kompetenzabgrenzungen zwischen Vorstand und Beirat enthalten (dazu U. Kilian, Die Stellung des Beirats in der Stiftung, 2002). Dem Beirat kommt regelmäßig Kontroll-, Förderungs- und Beratungsfunktion zu. Sinnvoll erscheint auch, die Kompetenz zur Bestellung und Abberufung der Vorstandsmitglieder dem Beirat zu übertragen, ebenso wie ggf den Abschluss und die Beendigung von Anstellungsverträgen. Der Beirat ist dann insofern zur Vertretung der Stiftung ggü den Mitgliedern des Vorstands berechtigt. Zum Klagerecht eines Mitglieds des Stiftungsbeirats einer Familienstiftung LG Mainz NZG 2002, 738; OVG Berlin DVBl 2003, 342. Der Vorstand haftet ggü der Stiftung für Schäden, die durch Pflichtverletzungen im Rahmen der Geschäftsführung entstanden sind (ausf Stürner DStR 2015, 1628; Werner ZEV 2009, 366; Kiethe NZG 2007, 810). Insoweit gilt grds dasselbe wie für Geschäftsführungsorgane anderer juristischer Personen (vgl § 43 II GmbHG, § 93 II AktG). Allerdings kommt dem Stiftungsvorstand unter den Voraussetzungen von §§ 86, 31a I (unentgeltliche Tätigkeit bzw Vergütung von weniger als 720 Euro pro Jahr) die in § 31a I vorgesehene Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zugute (zur Abgrenzung zw grober und einfacher Fahrlässigkeit bei pflichtwidrigem Verhalten des Stiftungsvorstands Köln 13.8.2013 – 9 U 253/12). Ein etwaig bestehendes Kontrollorgan ist im Fall von Pflichtwidrigkeiten des Vorstands seinerseits (zur Vermeidung einer eigenen Ersatzpflicht) verpflichtet, das Bestehen von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand zu prüfen und diese ggf geltend zu machen (Köln 13.8.2013 – 9 U 253/12; Burgard/Heimann NZG 2016, 166). Ein etwaiges stiftungsaufsichtliches Vorgehen ist insofern subsidiär. Der Vorstand kann sich nicht iS eines Mitverschuldenseinwands (§ 254) auf die unzureichende Aufsicht durch ein Aufsichtsorgan berufen (BGH NZG 2015, 38), anders soll dies sein, wenn der Stiftungsaufsicht der Sachverhalt insgesamt bekannt war und diese trotzdem nicht eingeschritten ist (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 8 Rn 305; zum umgekehrten Fall einer Pflichtverletzung des Vorstands als Mitverschulden der Stiftung bei aufsichtsbehördlichen Fehlern BGH 68, 142, 151). Existiert ein Aufsichtsorgan nicht, so sind etwaige Schadensersatzansprüche durch die Aufsichtsbehörde zu verfolgen und zwar je nach Landesrecht entweder durch die Behörde selbst im Namen und auf Rechnung der Stiftung (zB Art 15 BayStG) oder durch Bestellung eines besonderen Vertreters für die Stiftung (zB § 11 StiftG NRW). Die Aufsichtsbehörde kann sich ihrerseits bei Vernachlässigung ihrer Pflichten gem § 839 iVm Art 34 GG ersatzpflichtig machen, vgl U. Kilian, FS O. Werner, 2004, 77. Ein eigener Ersatzanspruch der Destinatäre zu ihren Gunsten besteht nicht, die Anwendung des gesellschaftsrechtlichen Instituts der actio pro socio auf die Destinatäre der Stiftung (vgl hierzu MüKo/Weitemeyer Rn 24) erscheint angesichts des Umstands, dass die Destinatäre allenfalls schuldrechtliche Ansprüche auf Stiftungsleistungen haben, die Stiftung aber gerade keine mitgliedschaftliche Struktur hat, verfehlt (anders noch Erman/O. Werner14 Rn 7). Zu strafrechtlichen Implikationen für die handelnden Organmitglieder s Graewe/v Maltzahn BB 2013, 329. b) Rechtsstellung der Destinatäre. Bei gemein- und eigennützigen Stiftungen werden die Erträge zugunsten anderer nat oder jur Pers verwendet. Diese Destinatäre sind damit entscheidend für die Verwirklichung des Stiftungszwecks. Sie sind nicht Mitglieder, sondern Nutznießer des Stiftungsvermögens. Die Auswahl der Destinatäre richtet sich ausschließlich nach dem Willen des Stifters und damit nach dem Stiftungsgeschäft und der Satzung (BGH 99, 344, 351). Die privatautonome Bestimmung des Stifters gestattet die willkürliche Bestimmung der Destinatäre (Stifterfreiheit), so dass er nicht an das Gleichbehandlungsgebot zw Mann und Frau gebunden ist, sondern die Zuwendung an das Geschlecht knüpfen kann (BGH 70, 313, 322). Auch die Vorgaben des AGG sind bei der Bestimmung der Destinatäre nicht zu berücksichtigen (ausf MüKo/Weitemeyer § 86 Rn 39). Zur Grundrechtsbindung einer öffentlichen Stiftung, deren Stiftungsvermögen aus öffentlichen Mitteln stammt, Saarl VerfGH 8.7.2014 – Lv 6/13. Der Stifter muss die Person der Destinatäre nicht explizit benennen, auch muss er keinen bestimmbaren Personenkreis definieren. Allerdings muss das Stiftungsgeschäft erkennen lassen, wer als Destinatär in Betracht kommt. Die Auswahl der konkret zu begünstigenden Personen steht dann im Ermessen des Vorstands.

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§ 86

Die Destinatäre haben auch keine Organfunktion, allerdings kann die Satzung die Bildung eines Destinatärsorgans vorsehen. Ebenso kann die Satzung den Destinatären quasi-mitgliedschaftliche Rechte auf Stiftungsleistungen einräumen. Auch dies ist eine Folge der privatautonomen Stifterfreiheit. Solche Rechte können dann grds nicht gegen den Willen der Destinatäre durch Satzungsänderung beseitigt werden (Hamburg ZIP 1994, 1950, 1951; Mankowski FamRZ 1995, 851). Ob dies gewollt ist, hängt von der Auslegung der Satzung ab (BGH NJW 1957, 708; Stuttgart ZSt 2003, 203). Bei objektiv durch die Satzung festgelegten Kriterien hinsdes Kreises der Berechtigten haben diese grds einen klagbaren Anspruch. Soll eine Auswahl aus einem bestimmten Kreis von Destinatären durch die Stiftungsorgane oder durch Dritte erfolgen, besteht ein solcher Anspruch hingegen nicht (grundlegend BGH NJW 1957, 708). Im Sinne der Rechtsklarheit sollte die Satzung regeln, dass der Vorstand frei über die Zuteilung von Stiftungsmitteln entscheiden kann und ein klagbarer Anspruch der Destinatäre nicht besteht. Ansprüche der Destinatäre auf Beachtung ihrer Interessen durch Vorstandsentscheidungen gehören vor die ordentlichen Gerichte, selbst wenn die Destinatäre ArbN der Stiftung sind (BGH NJW 1998, 909; Stuttgart aaO). Nach Koblenz NZG 2002, 135 haben Destinatäre einen klagbaren Anspruch auf satzungsgemäße Aufrechterhaltung der Stiftung. Das Zuwendungsversprechen an einen Destinatär ist idR keine Schenkung iSd §§ 516, 518 (st Rspr: BGH NJW 1957 708; 2010, 234 mwN; KG ZStV 2013, 107; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 85 Rn 27; aA Muscheler NJW 2010 341; auch noch Erman/O. Werner14). Verwendet der Destinatär die Zuwendung abw vom Zuwendungsbescheid, besteht ein Rückforderungsanspruch (KG ZStV 2013, 107 m Anm Bergsdorf; ausf Tschirschke ZStV 2013, 12). 3. Auslegungsfragen. Der Auslegung des Stiftungsgeschäfts und ggf der Satzung ist der Wille des Stifters zugrunde zu legen, soweit er Eingang in das Genehmigungsverfahren gefunden hat (MüKo/Weitemeyer Rn 11). Entscheidend ist der Stifterwille im Zeitpunkt der Stiftungserrichtung (dazu O. Werner in Stiftungen in Deutschland und Europa, 243). Der Stifter kann die Auslegung der Satzung ausschließlich auf ein Satzungsorgan oder die Aufsichtsbehörde übertragen (RG 100, 230, 234; Pal/Ellenberger § 85 Rn 2; krit zu letzterem Hof in v Campenhausen/ Richter4 § 6 Rn 135). Die Auslegungsentscheidung ist reversibel (BGH NJW 1957, 708). Dies gilt jedoch nur für die Satzung selbst, nicht für den sonstigen Inhalt des Stiftungsgeschäfts (BGH 70, 313, 322; Pal/Ellenberger Rn 2). III. Rechtsstellung des Stifters. Mit der Anerkennung der Stiftung ist der persönliche Einfluss des Stifters auf die Stiftung grds beendet. Es gilt für die Zukunft nur sein Wille, soweit er im Stiftungsgeschäft und in der Satzung zum Ausdruck gekommen ist. Entscheidender Zeitpunkt für die Willensfeststellung ist damit der der Erstellung des Stiftungsgeschäfts und der Satzung. Spätere Willensänderungen sind ohne Belang, Willensäußerungen allenfalls als Indiz bei der Auslegung (Rückschluss) verwertbar. Insb hat der Stifter grds keine Möglichkeit mehr, noch Veränderungen in der Ausrichtung der Stiftung (zB durch Änderung des Stiftungszwecks oder der Regelungen über die Organbestellung) vorzunehmen. Eine spätere Einflussnahme auf das Stiftungsleben kann sich der Stifter daher nur vorbehalten, indem er sich zB die Zustimmung zu bestimmten Maßnahmen vorbehält oder sich selbst zum Stiftungsorgan bestellt und entspr Änderungsvorbehalte in die Satzung aufnimmt. IV. Änderung der Stiftungssatzung. Satzungsänderungen sind nur unter Berücksichtigung des Stifterwillens zulässig (BGH 99, 344, 348; Pal/Ellenberger Rn 3). Der Stifterwille ist insb zu erforschen, soweit es um die Einschränkung der Verwaltungs- und Mitwirkungsrechte der Destinatäre geht (Hamburg ZIP 1994, 1950, 1951; Mankowski FamRZ 1995, 851). Die Satzung sollte daher die Möglichkeit und die konkreten Voraussetzungen für eine spätere Satzungsänderung ausdr regeln. Der Stifter sollte ferner das Verfahren einer Satzungsänderung festlegen und klarstellend auf die Genehmigung durch die Behörde hinweisen. Eine Satzungsänderung kann im Zweifel nicht von den Destinatären verlangt werden, diese haben auch kein Mitwirkungsrecht (BGH 99, 344, 348; OVG Lüneburg NJW 1985, 1572; Pal/Ellenberger Rn 3). In der Satzung kann ihnen aber das Recht zugestanden werden, die Unwirksamkeit einer Änderung im Wege der Klage geltend zu machen (BAG NJW 1991, 514). Dies gilt auch für Familienstiftungen (dazu Koblenz ZEV 2002, 238). Selbst ohne entspr Satzungsbestimmung bedarf die Satzungsänderung der Anerkennung durch die Anerkennungsbehörde, auch wenn dies nicht ausdr landesrechtlich vorgesehen ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass ansonsten nicht anerkennungswürdige Regelungen durch spätere Satzungsänderungen eingebracht und damit das Anerkennungsverfahren umgangen werden könnte. Mängel der Satzungsänderung werden allerdings durch deren Anerkennung nicht geheilt.

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Anwendung des Vereinsrechts

Die Vorschriften der §§ 26 und 27 Absatz 3 und der §§ 28 bis 31a und 42 finden auf Stiftungen entsprechende Anwendung, die Vorschriften des § 26 Absatz 2 Satz 1, des § 27 Absatz 3 und des § 28 jedoch nur insoweit, als sich nicht aus der Verfassung, insbesondere daraus, dass die Verwaltung der Stiftung von einer öffentlichen Behörde geführt wird, ein anderes ergibt. Die Vorschriften des § 26 Absatz 2 Satz 2 und des § 29 finden auf Stiftungen, deren Verwaltung von einer öffentlichen Behörde geführt wird, keine Anwendung. 1. Allgemeines. § 86 erklärt einzelne Vorschriften des Vereinsrechts für entspr anwendbar, wobei stets zu beach- 1 ten ist, dass der Verein im Gegensatz zur Stiftung mitgliederbestimmt ist. Daher beschränkt sich die Verweisung auch auf die vorstandsrechtlichen Vorschriften der §§ 26, 27 III und 28–31a und darüber hinaus auf die Regelung des § 42 zu verschiedenen insolvenzrechtlichen Fragestellungen. Als Organisationstypen sind Stiftungen mit eigener Organisation und mit Verwaltung durch eine Behörde zu unterscheiden. Für Stiftungen unter Behördenverwaltung gelten wegen des öffentlichen Einschlags besondere Vorschriften, §§ 26 II 2, 29 finden insoWiese

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fern keine Anwendung. Stiftungen unter behördlicher Verwaltung in diesem Sinne liegen nicht vor, wenn die Stiftungsorgane ganz oder teilw aus Behördenvertretern bestehen (Pal/Ellenberger Rn 2). Maßgeblich ist insofern das Stiftungsgeschäft, das eine behördliche Verwaltung vorsehen muss (MüKo/Weitemeyer Rn 2), wie dies häufig bei kommunalen Stiftungen (Vor § 80 Rn 21) der Fall ist. 2. Einzelverweisungen. a) Vorstand. Die Verweisung auf die Vorstandsvorschriften ist von besonderer Bedeutung, da der Vorstand notwendiges Stiftungsorgan ist und in §§ 80ff keine eigenständige Regelung enthält. Soweit daher das Stiftungsgeschäft bzw die Satzung keine Regelung enthält, gelten über § 86 die §§ 26, 27 III und 28–31a. Gem § 26 I 2 ist der Vorstand gesetzlicher Vertreter der Stiftung und vertritt diese gerichtlich und außergerichtlich. Enthält die Satzung bei einem mehrgliedrigen Vorstand keine Regelung über Einzel- oder Gesamtvertretung (was empfehlenswert ist), wird die Stiftung nach § 26 II 1 durch die Mehrheit der Vorstandsmitglieder vertreten. Nach § 26 I 3 kann die Vertretungsmacht des Stiftungsvorstands durch die Satzung eingeschränkt werden (Staud/Hüttemann/Rawert Rn 14), und zwar ohne dass es auf die Gutgläubigkeit des jew Vertragspartners ankommt (MüKo/Weitemeyer Rn 12; Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 86 Rn 13; aA Hof in v Campenhausen/Richter4 § 8 Rn 35). Aus Gründen der Rechtssicherheit ist dies allerdings nicht schon dann anzunehmen, wenn ein Geschäft nicht erkennbar vom Stiftungszweck gedeckt ist (Wernicke ZEV 2003, 301ff). Die aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis bekannte ultra-vires-Doktrin ist dem deutschen Vertretungsrecht fremd. Für die Passivvertretung der Stiftung gilt § 28 II. Im Innenverhältnis zwischen Vorstand und Stiftung findet über § 27 III das Auftragsrecht Anwendung; für das Handeln im Außenverhältnis gilt § 31. Hins der Vorstandshaftung gilt ebenfalls Vereinsrecht (§ 85 Rn 6), auch der durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz eingeführte § 31a, wonach die Haftung ehrenamtlich tätiger Organmitglieder, sofern deren jährliche Vergütung 720 Euro nicht übersteigt, auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt ist (Saenger/Al-Wraikat ZStV 2013, 129). Einzelheiten über die Bildung des Vorstands ergeben sich aus dem Stiftungsgeschäft, insb der Satzung. § 27 I, II kann nicht herangezogen werden, da die Stiftung keine Mitglieder hat, sondern der Wille des Stifters verwirklicht werden soll. Dagegen finden die vereinsrechtlichen Vorschriften über die Beschlussfassung in einem mehrgliedrigen Vorstand (§ 28 iVm §§ 32, 34) Anwendung. Ist kein Vorstand vorhanden oder ist der Vorstand wegen Fehlens einzelner Mitglieder nicht beschlussfähig (zu diesen Gründen näher bei § 29), kann das Amtsgericht auf Antrag einen Notvorstand oder einzelne Mitglieder bestellen (dazu Stumpf in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil B § 86 Rn 13). Eine entspr Anwendung des § 29 kommt auch für die Notbestellung von Beirats- bzw Kuratoriumsmitgliedern in Betracht, wenn deren Mitwirkung bei wesentlichen Stiftungsentscheidungen (zB Satzungsänderung) erforderlich ist (zB wegen Einstimmigkeit). Die Verweisung auf § 30 bedeutet, dass besondere Vertreter als zusätzliches Organ mit beschränkter Funktion bestellt werden können (zum Anstellungsverhältnis des besonderen Vertreters der Stiftung Kelber NZA 2013, 988ff). Insofern kann umfassend auf die Kommentierung zu § 30 verwiesen werden. b) Insolvenz. Als juristische Person ist die Stiftung gem § 11 I InsO insolvenzfähig. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt zur Auflösung der Stiftung (§ 86 iVm § 42 I), die jedoch bis zu ihrer Vollbeendigung ihre Rechtsfähigkeit behält. Ggf kommt ein Vorgehen der Behörde nach § 87 in Betracht. Der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit liegt bereits vor, wenn aus den zur Ausgabe zur Verfügung stehenden Erträgen und Spenden die fälligen Zahlungspflichten nicht erfüllt werden können (§ 17 InsO), da das Stiftungsgrundkapital nicht angegriffen werden darf. Der Insolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) liegt dagegen erst vor, wenn die bestehenden Verbindlichkeiten das vorhandene Grundstockkapital und Verwaltungsvermögen übersteigen. Bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung besteht gem § 42 II 1 Insolvenzantragspflicht des Vorstands. Verletzt der Vorstand bei Überschuldung seine sich aus § 42 II 1 ergebenden Pflichten, haftet er den Gläubigern bei schuldhaftem Handeln unmittelbar, § 42 II 2. Ausführlich zur Pflichtenstellung der Stiftungsorgane in der Insolvenz Müller ZStV 2010, 201. S auch Sommer ZInsO 2013, 1715. Zu den sich aus § 87 ergebenden Möglichkeiten Hüttemann/Rawert ZIP 2013, 2136. Zu den neuen Privilegierungen hins der Insolvenzantragspflicht bei Stiftungen und Vereinen durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens s Lenger/Finsterer NZI 2016, 571. 3. Stiftung unter Behördenverwaltung. Für die Stiftung unter Behördenverwaltung ist außer der ausdr angeordneten Unanwendbarkeit der §§ 26 II 2, 29 auch sonst den Besonderheiten der Einordnung in die öffentliche Verwaltung Rechnung zu tragen. Vorbehaltlich einer abw Regelung in der Satzung ist statt der Auftragsregeln (über § 27 III) das öffentliche Recht der die Stiftung verwaltenden Behörde anzuwenden. Damit ist auch für eine Entscheidungsfindung und Adressierung nach §§ 26 II 2, 27 III, 28 und 29 kein Raum (Staud/Hüttemann/Rawert Rn 46). Für die Passivvertretung ist die verwaltende Behörde selbst zuständig. Bei Wegfall der Behörde tritt die ihre Aufgabe übernehmende Behörde an ihre Stelle. Notfalls muss entspr § 29 eine andere Stelle bestimmt werden.

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Zweckänderung; Aufhebung

(1) Ist die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden oder gefährdet sie das Gemeinwohl, so kann die zuständige Behörde der Stiftung eine andere Zweckbestimmung geben oder sie aufheben. (2) Bei der Umwandlung des Zweckes soll der Wille des Stifters berücksichtigt werden, insbesondere soll dafür gesorgt werden, dass die Erträge des Stiftungsvermögens dem Personenkreis, dem sie zustatten kommen

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sollten, im Sinne des Stifters erhalten bleiben. Die Behörde kann die Verfassung der Stiftung ändern, soweit die Umwandlung des Zweckes es erfordert. (3) Vor der Umwandlung des Zweckes und der Änderung der Verfassung soll der Vorstand der Stiftung gehört werden. 1. Allgemeines. Mangels eines Mitglieder-/Gesellschafterorgans, das als Willensbildungsorgan eine Zweckänderung vornehmen kann, bedarf es bei der Stiftung unter gewissen Voraussetzungen des Eingreifens der Aufsichtsbehörde. Die in § 87 getroffene Zweckänderungsregel ist damit ein spezifisches Instrument zur Erhaltung der Stiftung als milderes Mittel im Vergleich zur Aufhebung der Stiftung, die ultima ratio ist (Schlüter/Stolte Kap 3 Rn 40). Die Grundlagen und Voraussetzungen einer Zweckänderung können bereits in der Stiftungssatzung vorgesehen sein (§ 85 Rn 11). § 87 erfasst nur die hoheitliche Zweckänderung, deren Voraussetzungen eng begrenzt sind und die nur subsidiär zum Tragen kommt. Die Regeln über die Zweckänderung gelten nur für Entwicklungen, die nach Anerkennung der Stiftung eintreten. Bei ursprünglicher Unmöglichkeit (zB verbotene, gemeinwohlgefährdende Zwecksetzung, tatsächliche Unmöglichkeit) der Zweckbestimmung ist das Stiftungsgeschäft nichtig, die Stiftung darf nicht anerkannt werden. Geschieht dies gleichwohl, ist die Stiftung aufzuheben (§ 80 Rn 5). Ausf zu Voraussetzungen und Rechtsfolgen aufsichtsbehördlicher Maßnahmen bei notleidenden Stiftungen Hüttemann/Rawert ZIP 2013, 2136ff. 2. Einschreitenstatbestände. Ein aufsichtsbehördliches Einschreiten gem § 87 setzt voraus, dass entweder die Erfüllung des Stiftungszwecks unmöglich geworden ist oder dass von Versuchen zur Erfüllung des Stiftungszwecks eine Gefährdung des Gemeinwohls ausgeht. Die Zweckerfüllung wird unmöglich, wenn zB das Stiftungsvermögen auf Dauer verloren geht, ferner bei endgültiger Zweckerfüllung oder wenn die Zweckerfüllung verboten wird (näher Hof in v Campenhausen/Richter4 § 7 Rn 145). Der Tatbestand der Gefährdung des Gemeinwohls (vgl § 80 Rn 16) ist mit Rücksicht auf das Grundrecht der Stiftungsfreiheit (§ 80 Rn 9) eng auszulegen und greift nur, wenn der Stiftungszweck nachträglich mit den Grundentscheidungen von Rechtsordnung und Verfassung kollidiert (Hof in v Campenhausen/Richter4 § 7 Rn 145; zur Gemeinwohlgefährdung bei Genehmigung einer Stiftung BVerwG NJW 1998, 2545). 3. Eingriffsmittel. Der Aufsichtsbehörde stehen als Eingriffsmittel die Zweckänderung oder Aufhebung der Stiftung zur Verfügung. Liegen die Voraussetzungen für ein behördliches Einschreiten vor, ist die Behörde verpflichtet, tätig zu werden (Hüttemann/Rawert ZIP 2013, 2136, 2141). Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Behörde allerdings im Rahmen des bestehenden Auswahlermessens gehalten, zu dem möglichst milderen Mittel zu greifen (Pal/Ellenberger Rn 2; Schlüter/Stolte Kap 3 Rn 40), so auch die Regelungen in den Landesstiftungsgesetzen (zB § 5 StiftG Bln, § 9 HessStiftG, Art 15ff BayStiftG). Kriterium für die Zweckänderung ist gem Abs II der Stifterwille (zu den Voraussetzungen einer Zweckänderung vgl U. Kilian ZSt 2005, 171). Der Vorstand ist über den Wortlaut von Abs III hinaus entspr § 28 VwVfG auch zu hören, wenn die Stiftung aufgelöst werden soll (Pal/Ellenberger Rn 2). 4. Verfahrensfragen. Die Zuständigkeit der Behörden bestimmt sich nach Landesrecht (Vor § 80 Rn 8). Gegen die Entscheidung der Aufsichtsbehörde kann im Verwaltungsrechtsweg Anfechtungsklage gem § 42 VwGO mit aufschiebender Wirkung erhoben werden (Pal/Ellenberger Rn 2; ausf Schlüter/Stolte Kap 3 Rn 44f; Suerbaum in Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli2 Teil C Rn 360ff).

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Vermögensanfall

Mit dem Erlöschen der Stiftung fällt das Vermögen an die in der Verfassung bestimmten Personen. Fehlt es an einer Bestimmung der Anfallberechtigten, so fällt das Vermögen an den Fiskus des Landes, in dem die Stiftung ihren Sitz hatte, oder an einen anderen nach dem Recht dieses Landes bestimmten Anfallberechtigten. Die Vorschriften der §§ 46 bis 53 finden entsprechende Anwendung. 1. Allgemeines. Die Vorschrift regelt die Anfallberechtigung bei Auflösung der Stiftung, sofern die Satzung keine 1 Regelung enthält. Dies bedeutet eine bundeseinheitliche Regelung, dahingehend dass bei Fehlen einer Satzungsbestimmung das Stiftungsvermögen dem Fiskus des Landes anfällt, in dem die Stiftung ihren Sitz hatte. Gem S 2 kann durch landesgesetzliche Regelung (zB Art 9 BayStiftG) die Anfallberechtigung eines anderen Rechtsträgers – zB kirchliche oder kommunale Stiftungen – festgelegt werden. 2. Auflösungsgründe. Die Stiftung wird aufgelöst durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 86 Rn 2), 2 Zeitablauf (Stiftung auf Zeit, § 80 Rn 12), Eintritt einer auflösenden Bedingung, Widerruf einer widerruflich erteilten Anerkennung (§ 49 VwVfG) oder der Auflösungsbeschluss des nach der Satzung zuständigen Stiftungsorgans (Koblenz NZG 2002, 135). Mit Auflösung verliert die Stiftung ihre Rechtsfähigkeit. Enthält die Stiftung keine Regelung und kommt über S 3 § 46 zur Anwendung, tritt Gesamtrechtsnachfolge zugunsten des Fiskus ein. In diesem Fall erlischt die Stiftung vollständig im Zeitpunkt der Auflösung. Ist hingegen der Anfallberechtigte wie regelmäßig durch die Satzung bestimmt, tritt die Stiftung mit Auflösung ins Liquidationsstadium ein. Die Liquidation richtet sich gem S 3 nach Vereinsrecht (§§ 46ff), so dass abgesehen vom Fall des § 46 nur ein schuldrechtlicher Anspruch des Anfallberechtigten auf Auskehrung des Liquidationserlöses besteht. Bis zur Beendigung der Liquidation gilt die Stiftung für Zwecke der Liquidation als fortbestehend (§ 49 II). Die Stiftung ist kein verschmelzungsfähiger Rechtsträger iSd UmwG, vgl § 3 UmwG. Demgegenüber ist nach 3 Landesrecht auch die Zulegung einer Stiftung auf einen bestehende andere Stiftung oder die Zusammenlegung Wiese

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Personen

mehrerer Stiftungen durch Beschluss der Stiftungsorgane vorgesehen (dazu Hoffmann-Grambow DZWiR 2015, 301ff; Hoffmann, Zusammenlegung und Zulegung rechtsfähiger Stiftungen des bürgerlichen Rechts, 2011; Saenger ZSt 2007, 81). Diese muss jedoch dem Stifterwillen entsprechen und bedarf daher einer satzungsmäßigen Grundlage. Die Zusammenlegung beinhaltet dann das Erlöschen der übertragenden Stiftung. Als hoheitliche Maßnahme (gegen den Willen der Stiftung) ist eine Zulegung oder eine Zusammenlegung von § 87 nicht gedeckt, auch fehlt es hierfür nach zutr Auffassung an einer landesrechtlichen Gesetzgebungskompetenz (Saenger ZSt 2007, 81; aA Hoffmann-Grambow DZWiR 2015, 301ff).

Untertitel 3 Juristische Personen des öffentlichen Rechts

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Haftung für Organe; Insolvenz

(1) Die Vorschrift des § 31 findet auf den Fiskus sowie auf die Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts entsprechende Anwendung. (2) Das Gleiche gilt, soweit bei Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts das Insolvenzverfahren zulässig ist, von der Vorschrift des § 42 Abs. 2. 1. Anwendungsbereich. § 89 enthält Sondervorschriften für jur Pers des öffentlichen Rechts in Bezug auf die Haftung für Organe (Abs I) und das Insolvenzverfahren (Abs II). a) Verwaltungsorganisationsrechtliche Grundlagen. Die in § 89 verwendeten Begriffe Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts sind Grundbegriffe des Verwaltungsorganisationsrechts, die im BGB (und damit auch in § 89) vorausgesetzt, nicht normativ vorgegeben werden (Pal/Ellenberger vor § 89 Rn 3). Sie bezeichnen diejenigen Organisationsformen, in welche die jur Pers des öffentlichen Rechts eingeteilt werden (Krebs, HdbStR V, § 108 Rn 37; Maurer, VerwR, § 21 Rn 8; ebenso Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR I, § 34 Rn 6); diese Organisationsformen werden durch das Verwaltungsorganisationsrecht nicht allg rechtsverbindlich vorgegeben, sondern sind Idealtypen, die in der Praxis vielfach nicht in Reinform, sondern vermischt vorkommen (Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR II, § 79 Rn 2, § 80 Rn 31). aa) Kennzeichen der jur Pers des öffentlichen Rechts ist nach immer noch überwiegender Meinung ihre Rechtsfähigkeit, dh ihre Eigenschaft als Zuordnungssubjekt von (Außen-)Rechtssätzen und damit von Rechten und Pflichten, wobei die Zuordnung (in Abgrenzung zu den jur Pers des Privatrechts) im öffentlichen Recht wurzelt (Maurer, VerwR, § 21 Rn 4). bb) Körperschaften des öffentlichen Rechts sind mitgliedschaftlich verfasste, unabhängig vom Wechsel ihrer Mitglieder bestehende öffentlich-rechtl Verbände mit eigener Rechtspersönlichkeit (Krebs, HdbStR V, § 108 Rn 39; Maurer, VerwR, § 23 Rn 37). Diese werden meist nach den Bedingungen für die Mitgliedschaft unterteilt in Gebietskörperschaften, deren Mitglieder aus den Bewohnern eines bestimmten Gebiets bestehen (Bund, Länder und Gemeinden), Personalkörperschaften, bei denen die Mitgliedschaft durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bestimmt wird (so namentlich die verschiedenen berufsständischen Kammern, die Träger der Sozialversicherung – Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, LVA und BfA – sowie die wissenschaftlichen Hochschulen nach Maßgabe des jew einschlägigen Landesrechts), Verbandskörperschaften, deren Mitglieder ebenfalls Körperschaften sind (zB die Landschaftsverbände und die Zweckverbände) und Realkörperschaften (zu ihnen gehören die Wasser- und Bodenverbände, die Jagdgenossenschaften und die Fischereigenossenschaften) (vgl zum Ganzen etwa Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR II, § 85 Rn 30ff). Die Religionsgesellschaften haben den Status einer (besonderen) Körperschaft des öffentlichen Rechts (Art 140 GG iVm Art 137 Abs 5 WRV), so etwa die katholische Gesamtkirche und ihre Bistümer und Gemeinden (dazu BGH 124, 173), ebenso die EKD und ihre Landeskirchen und Gemeinden (dazu RG 62, 359; Hamburg MDR 1952, 175), ferner auch jüdische Kultusgemeinden und andere Religionsgesellschaften (dazu BVerfG 102, 370; BVerwG 105, 117; NVwZ 2001, 924). cc) Stiftungen des öffentlichen Rechts sind vom Staat durch Gesetz oder Verwaltungsakt auf Ausstattung mit einem Vermögen angelegte, nicht in einem Personenverband bestehende Einrichtungen, deren Vermögensmasse zur Erfüllung eines bestimmten öffentlichen Zwecks verwendet werden soll (allg zum Stiftungsbegriff BVerwG NJW 1998, 2545, 2546; speziell zum Begriff der Stiftung des öffentlichen Rechts Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR II, § 87 Rn 12; Krebs, HdbStR V, § 108 Rn 25). Unterschieden wird zw den rechtsfähigen Stiftungen des öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit, aber ohne Mitglieder, und unselbständigen Stiftungen, denen die eigene Rechtspersönlichkeit fehlt (Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR II, § 87 Rn 25). Einzelfälle: S etwa die Auflistung bei Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR II, § 87 Rn 21ff). dd) Anstalt des öffentlichen Rechts ist ein Bestand von personellen, finanziellen und sächlichen Mitteln, die durch Widmung des Anstaltsträgers einem bestimmten öffentlichen Verwaltungszweck dauerhaft zu dienen bestimmt sind (grundlegend Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd II1 [1896], 318; aus der neueren Lit vgl etwa Krebs, HdbStR V, § 108 Rn 38; abw Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR II, § 86 Rn 8). Im Unterschied zur mitgliedschaftlich verfassten Körperschaft ist die eigene Rechtspersönlichkeit bei der Anstalt nicht begriffsnotwendig; jur Pers sind insoweit nur die rechtsfähige und die teilrechtsfähige, nicht hingegen die lediglich organisatorisch verselbständigte nicht-rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts. Einzelfälle: Rechtsfähige Anstal220

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ten des öffentlichen Rechts sind die öffentlich-rechtl Sparkassen, die Deutsche Bundesbank und (meist) die öffentlichen Förderbanken der Länder, ferner die Rundfunkanstalten; als teilrechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts ausgestaltet sind die Börsen (§ 2 I 1 BörsG). ee) Fiskus schließlich ist in seinem ursprünglichen Sinne der Staat (Bund und Länder), soweit er – als Träger des Staatsvermögens – am allg Privatrechtsverkehr teilnimmt (Isensee, HdbStR V, § 122 Rn 39). b) Indem § 89 an diese idealtypischen Begriffe des Verwaltungsorganisationsrechts anknüpft, verleiht er ihnen keine eigene Verbindlichkeit iS eines subsumtionsfähigen rechtlichen Numerus Clausus (insofern zutreffend MüKo/Reuter Rn 3); namentlich werden auch alle in der Praxis vorkommenden Mischformen erfasst. Im rechtlichen Kontext des § 89 bestehen aber folgende Besonderheiten: aa) § 89 begründet eine Haftung für jur Pers des öffentlichen Rechts, setzt damit also die Rechtsfähigkeit der dort genannten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts voraus. Unselbständige Stiftungen und nicht-rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts werden also nicht erfasst, teilrechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts nur soweit, wie sich ihre Rechtsfähigkeit gerade auch auf die Haftung für privatrechtliches Handeln (dazu unten Rn 15) erstreckt (nicht erfasst sind daher die Börsen, deren Teilrechtsfähigkeit gerade nur für ihre öffentlich-rechtl Tätigkeit gilt; dazu Frankfurt ZIP 2001, 730; 14.5.2013 – 1 U 176/10, Bl 23). bb) Da Abs I den Fiskus eigenständig – neben den Körperschaften – erfasst, obwohl Bund und Länder selbst Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, kann § 89 I Alt 2 und II nur die sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts meinen, die nicht Fiskus sind. cc) Entgegen MüKo/Reuter Rn 4 sind die Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts iSv § 89 durchweg Träger mittelbarer Staatsverwaltung (ebenso Soergel/Hadding Rn 12; Staud/Hüttemann/Rawert Rn 11). Dies gilt auch für die Stiftung (Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR II, § 87 Rn 14) und solche Einrichtungen (zB das Bayerische Rote Kreuz, aber auch die Sparkassen), deren Aufgaben ebenso auch privatrechtlich wahrgenommen werden könnten; solange diese Aufgaben nicht privatisiert, sondern dem Staat zugewiesen sind, ist ihre Wahrnehmung (mittelbare) Verwaltung. dd) Erfasst werden auch intern jur Pers, auch wenn sie sich der Einordnung nach dt Verwaltungsorganisationsrecht entziehen. Entscheidend ist nicht ihre Völkerrechtssubjektivität, sondern ob ihnen Rechtsfähigkeit innerhalb der dt Rechtsordnung zuerkannt wird. Dies ist der Fall bei der EU (Art 335 S 1 AEUV), der UNO (Art 104 UN-Charta) und ihren Unterorganisationen, der NATO (BGBl II 1969, 2005) sowie dem Heiligen Stuhl (Pal/Ellenberger vor § 89 Rn 2; MüKo/Reuter Rn 3; Soergel/Hadding Rn 32f). 2. Haftung (§§ 89 I, 31). a) Allgemeines: Abs 1 begründet iVm § 31 eine Haftung der jur Pers des öffentlichen Rechts für Schäden, den ihre verfassungsmäßigen Vertreter verursacht haben. Die Haftung ist auf das Handeln der jur Pers des öffentlichen Rechts im privaten Rechtsverkehr beschränkt; für hoheitliches Handeln (zur Abgrenzung im Einz vgl § 839 Rn 30ff) richtet sich die Haftung allein nach § 839 iVm Art 34 GG bzw sonstigen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen. Ob und inwieweit neben die Haftung der jur Pers des öffentlichen Rechts nach §§ 89 I, 31 eine Eigenhaftung des Handelnden tritt, bestimmt sich für Beamte im staatsrechtlichen Sinne nach § 839, für alle anderen Personen nach den §§ 823ff (vgl dazu § 839 Rn 23ff). Insgesamt ergibt sich folgendes Haftungssystem: aa) Hoheitliches Handeln: Haftung der jur Person nach § 839 iVm Art 34 S 1 GG, ggf in Anspruchskonkurrenz zu Ersatzansprüchen aus verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnissen und Sonderverbindungen und zu sonstigen staatshaftungsrechtlichen Ansprüchen (§ 839 Rn 19ff). Demgegenüber idR keine Eigenhaftung des Handelnden, da Art 34 S 1 GG die Ersatzpflicht auf die öffentlich-rechtl Körperschaft verlagert, die ihm das Amt anvertraut hat (dazu § 839 Rn 27f). bb) Privates Handeln: Haftung der jur Pers für verfassungsmäßige Vertreter nach §§ 89 I, 31 iVm der jew einschlägigen Anspruchsgrundlage (§ 823 für deliktische Haftung, §§ 280, 286 für vertragliche Haftung), für andere Personen aus § 831 für deliktische, aus § 278 für vertragliche Haftung (näher § 839 Rn 17). Für Eigenhaftung des Handelnden ist zu unterscheiden: Keine Haftung aus Vertrag oder Vertragsverletzung; für Haftung aus Delikt Eigenhaftung des Beamten im staatsrechtlichen Sinne, die aber idR nach § 839 I 2 durch Haftung der jur Pers nach §§ 89 I, 31 ausgeschlossen wird (dazu § 839 Rn 24ff), für alle übrigen handelnden Personen Haftung nach § 823 (BGH 120, 376). b) Die Haftung der jur Pers des öffentlichen Rechts nach §§ 89 I, 31 setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter gehandelt hat. Für die übrigen Bediensteten, die nicht unter § 89 fallen, haftet die jur Pers des öffentlichen Rechts im privatrechtlichen Funktionskreis über §§ 278, 832 (RGRK/Steffen Rn 12). aa) Verfassungsmäßig berufene Vertreter sind Amtsträger, die ihre Stellung auf eine Organisationsregelung stützen können, welche – vergleichbar einer Vereinssatzung – mit Anspruch auf eine gewisse Dauerwirkung die Binnenstruktur der jur Pers festlegt, etwa ein (formelles) Gesetz, eine Rechtsverordnung oder eine Satzung (ähnlich Soergel/Hadding Rn 50; MüKo/Reuter Rn 22; beide mwN). bb) Auch im Rahmen des § 89 I findet die von der Rspr im Rahmen von § 31 vollzogene Erweiterung der Organhaftung zur allg Repräsentantenhaftung Anwendung. Eine Zurechnung findet danach auch dann statt, wenn dem Handelnden durch die allg Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der jur Pers zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass die jur Pers insoweit durch ein faktisches Organ vertreten wird (BGH 49, 19, 21; NJW 1985, 677, 679; WM 2005, 1706; RdTW 2013, 398 Mayen

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Rn 13); nicht erforderlich ist, dass die Tätigkeit in der Satzung der jur Pers vorgesehen oder die betreffende nat Pers ordnungsgemäß mit rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht ausgestattet ist (BGH NJW 1980, 115; RdTW 2013, 398 Rn 13). Darüber hinaus finden die §§ 89 I, 31 auch Anwendung, wenn die jur Person des öffentlichen Rechts sich für wichtige Aufgabengebiete mit der Einsetzung bloßer Verrichtungsgehilfen begnügt; insoweit besteht eine Organisationspflicht, den mit solchen Aufgabengebieten betrauten Mitarbeitern Organstellung iSv §§ 30, 31 zu verschaffen (BGH 24, 200, 213; NJW 1980, 2810, 2811). cc) Einzelfälle: Bei Gebietskörperschaften sind außer dem Bürgermeister (BGH MDR 1979, 832) die Leiter städtischer Ämter als Organe iSd § 89 angesehen worden (RG 70, 118, 120; BGH VersR 1962, 1013), ebenso der Intendant eines Stadttheaters (RG Recht 1919 Nr 2062) oder der Betriebsdirektor eines kommunalen Eigenbetriebs, dessen Stelle im Ortsstatut vorgesehen war (RG JW 1911, 640). Demgegenüber wurden die Leiter kommunaler Energieversorgungsbetriebe (RG 74, 21, 23), Straßenmeister (Kassel OLG 12, 111), Vorstandsmitglieder des örtlichen Fremdenverkehrsvereins (BGH NVwZ 1984, 749) oder Bezirksbaumeister (Nürnberg Recht 1910, Nr 2272) nicht als verfassungsmäßig berufene Vertreter eingeordnet. Bei Krankenhäusern sind Chefärzte einer Klinik dem Träger nach § 89 zuzurechnen (München NJW 1977, 2123; LG Köln VersR 1975, 458; Frankfurt MedR 2006, 294), ohne dass es entscheidend auf das Bestehen von Vertretungsmacht ankommt (BGH NJW 1972, 334). Wer in ärztlicher Hinsicht selbständig als Chef eine Abteilung leitet, ist Vertreter iSd § 89 (BGH 77, 74, 77f), auch wenn er einer dienstlichen Oberaufsicht unterliegt, ebenso andere leitende Ärzte, die im medizinischen Bereich Weisungen nicht unterworfen sind (BGH VersR 1984, 460, 462); medizinische Behandlungsfehler im Rahmen privater Behandlung durch den liquidationsberechtigten Chefarzt werden dem Krankenhausträger aber nicht über § 89 zugerechnet (BGH NJW 1975, 1463; BGH 120, 376, 382); so auch Frankfurt NJW-RR 1993, 1248 für ambulante Nachbehandlung durch den die Ambulanz aufgrund kassenärztlicher Bestellung betreibenden Chefarzt. Auf die fehlende Haftung des Krankenhauses muss der Patient beim gespaltenen Krankenhausvertrag deutlich aufmerksam gemacht werden, BGH JZ 1993, 1062. c) Die Haftung nach §§ 839 I, 31 setzt voraus, dass der verfassungsmäßige Vertreter bzw Repräsentant in Ausübung des Amtes und nicht lediglich „bei Gelegenheit“ handelt. Insoweit gelten keine Besonderheiten ggü der Organhaftung bei jur Pers des Privatrechts. Insb muss die Handlung nicht durch die Vertretungsmacht des Organs gedeckt sein. Jur Pers des öffentlichen Rechts können daher durch Organe bzw Repräsentanten, die ohne Vertretungsmacht handeln, zwar nicht rechtsgeschäftlich verpflichtet werden; wohl aber kommt eine Haftung aus „schadensstiftender Amtstätigkeit“ (MüKo/Reuter Rn 30) nach §§ 89 I, 31 in Betracht, so bei bewusster Täuschung des Handelnden über den Umfang seiner Vertretungsmacht (BGH NJW 1986, 2939), ferner aus dem Gesichtspunkt einer Verletzung vorvertraglicher Pflichten (vgl BGH 92, 164, 175f; NJW-RR 2001, 1524), freilich mit strikter Begrenzung auf den Ersatz des negativen Interesses (BGH NJW-RR 2001, 1524). Für jur Pers des öffentlichen Rechts wird allerdings die Haftung weiter davon abhängig gemacht, dass sich die Handlung innerhalb des der jur Pers gesetzlich zugewiesenen Wirkungsbereichs (sog Verbandskompetenz; dazu Oldiges DÖV 1989, 873ff) bewegt; ein Handeln außerhalb dieses Bereichs (ultra vires) führt zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts (BGH 20, 119, 123, 126; 52, 283, 286) und schließt die Haftung nach §§ 89 I, 31 aus. Im verwaltungsrechtlichen Schrifttum haben diese Grundsätze zu Recht Kritik erfahren (dazu etwa Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR II, § 83 Rn 83ff); ohnehin sind sie wegen § 44 II Nr 3 VwVfG strikt auf rechtsgeschäftliche und geschäftsähnliche Amtsverrichtungen zu beschränken. d) Rechtsfolge: Nach § 89 I findet für jur Pers des öffentlichen Rechts die Haftungszuweisung nach § 31 entspr Anwendung. Ihnen wird das Handeln ihres verfassungsmäßigen Vertreters bzw ihres Repräsentanten als eigenes Handeln zugerechnet mit der Folge, dass die betreffenden jur Pers selbst für den Schaden verantwortlich sind. Grund und Inhalt der Haftung nach §§ 89 I, 31 richten sich nach den vertraglichen oder gesetzlichen Anspruchsnormen, deren Tatbestand durch den verfassungsmäßig berufenen Vertreter bzw Repräsentanten verwirklicht wird. Die Verwirklichung von § 839 durch einen beamteten Vertreter bzw Repräsentanten bleibt allerdings unberücksichtigt (BGH MDR 1952, 674, 676; RGRK/Steffen Rn 12; Staud/Hüttemann/Rawert Rn 6), da andernfalls die durch § 89 für den privatrechtlichen Funktionskreis vorgenommene haftungsrechtliche Gleichstellung mit der jur Pers des Privatrechts fehlschlüge. Die jur Pers des öffentlichen Rechts kann sich dementsprechend hier auch nicht auf den Ausschluss der §§ 823ff durch § 839 oder auf die einzelnen Haftungserleichterungen in § 839 I 2, III berufen; umgekehrt kommen auch die Haftungserweiterungen, die § 839 im Verhältnis etwa zu § 823 mit sich bringt (vor allem Ersatz auch von reinen Vermögensschäden), nicht zum Tragen. Trifft den Handelnden eine persönliche Haftung nach § 839 (nur bei Beamten im staatsrechtlichen Sinne; vgl § 839 Rn 23ff), kommt ihm die Subsidiaritätsklausel nach Abs I S 2 dieser Vorschrift zugute, wenn sein Handeln zugleich einen anderen Haftungstatbestand verwirklicht und über § 89 zur Haftung der jur Pers führt (BGH 85, 393; NJW 2001, 2626, 2629; NVwZ 2005, 484, 487). Neben der Handlungszurechnung begründen §§ 89 I, 31 auch eine Wissenszurechnung des Wissens ihrer verfassungsmäßigen Vertreter (BGH 109, 327, 331f) sowie ihrer (Wissens-) Repräsentanten (BGH 117, 104, 106f). Die Wissenszurechnung kommt selbst dann in Betracht, wenn der Organvertreter von dem zu beurteilenden Rechtsgeschäft nichts gewusst hat (vgl BGH NJW 1984, 1953, 1954); auch das Ausscheiden des Organvertreters aus dem Amt steht dem Fortdauern der Wissenszurechnung nicht entgegen (BGH WM 1959, 81, 84; 109, 327, 331). Zuzurechnen ist dasjenige Wissen, das bei ordnungsgemäßer Organisation typischerweise aktenmäßig festzuhalten, weiterzugeben und vor Vertragsschluss abzufragen ist (BGH 109, 327, 331f; NJW 2001, 359, 360); eine Pflicht zur Wissensspeicherung besteht aber nur, wenn ein konkreter Anlass bestand, dh ein Informations222

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Sachen und Tiere

Vor § 90

austausch möglich und naheliegend ist (BGH NJW 1989, 2879 und 2881; BGH 132, 30, 37). Zum Ganzen ausf Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR II, § 83 Rn 65ff). 3. Insolvenz (§§ 89 II, 42 II). Abs II erklärt die in § 42 II normierte Pflicht, im Fall der Zahlungsunfähigkeit 23 oder Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, bei jur Pers des öffentlichen Rechts für entspr anwendbar. Die Regelung steht unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit des Insolvenzverfahrens (MüKo/Reuter Rn 1). Sie findet daher auf den Fiskus von vornherein keine Anwendung, da für Bund und Länder das Insolvenzverfahren generell ausgeschlossen ist (§ 12 I Nr 1 InsO). Für die sonstigen Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht eines Landes unterstehen, ist das Insolvenzverfahren hingegen zulässig, sofern das Landesrecht das Insolvenzverfahren nicht ausschließt (§ 12 I Nr 2 InsO). Da der Landesgesetzgeber von dieser Möglichkeit indessen häufig Gebrauch macht (zur grds verfassungsrechtlichen Zulässigkeit BVerfG 60, 135, 154ff; ZIP 1984, 344), ist die praktische Bedeutung des § 89 II gering.

Abschnitt 2 Sachen und Tiere Vorbemerkung vor § 90 1. Überblick. Die §§ 90ff treffen gemeinsame Bestimmungen für Sachen und Tiere. § 90 definiert Sachen als körperliche Gegenstände und damit als eine Unterart der Gegenstände. Der Begriff Gegenstand wird im Gesetz nicht definiert. Betrachtet man allein die §§ 90ff, so lassen sich Gegenstände in drei Gruppen unterteilen: (1) unkörperliche Gegenstände (Rechte, Forderungen), (2) körperliche Gegenstände (Sachen) und (3) Tiere (auf die jedoch gem § 90a die für die Sachen geltenden Vorschriften entspr anzuwenden sind). Diese Einteilung hält das BGB nur im Sachenrecht ein. Sie wird an verschiedenen Stellen durchbrochen, so zB bei §§ 119 II, 434. 2. Gegenstand. Die Definition des im BGB nicht erklärten Gegenstandsbegriffs ist umstr (ausf Staud/Stieper Vorbem §§ 90–103 Rn 4 ff; BeckOGK/Mössner § 90 Rn 10 ff). Im umfassenden Sinn ist unter Gegenstand (= Rechtsobjekt) alles das zu verstehen, was vom Menschen beherrschbar ist und ihm von der Rechtsordnung so zugeordnet wird, dass der Wille des Menschen rechtlich maßgebend ist. Das BGB verwendet den Gegenstandsbegriff nicht einheitlich. In Vorschriften, welche eine dingliche Beherrschung oder eine Verfügung (vgl Einl § 104 Rn 21) über einen Gegenstand betreffen (ua §§ 135, 161, 185, 2040), zählen zu den Gegenständen neben den Sachen auch die Vermögensrechte (RG 89, 298, 300), wie zB Hypothek, Grunddienstbarkeit, Nießbrauch, Mitgliedschaftsrechte an Kapital- und Personengesellschaften (RG 92, 398, 401), Besitz-, Miet- und Pachtrecht, sowie Immaterialgüterrechte (RG 62, 320, 321f; 75, 217, 219), nicht hingegen Persönlichkeitsrechte (wie Namensrecht, Familienrechte) und selbständige Gestaltungsrechte (Anfechtungs-, Rücktrittsrecht etc). In Vorschriften, welche die Gegenstände als Objekte des schuldrechtlichen Verkehrs behandeln, umfasst der Gegenstandsbegriff außerdem Vermögenswerte rein tatsächlicher Art, wie Kundschaft (RG DR 1942, 465) oder ärztliche Praxis (RG 75, 120; BGH NJW 1959, 1584). S auch § 453, wonach ein Kaufvertrag auch über sonstige Gegenstände, wie Werbeideen, Know-how, Software und Energien, soweit sie technisch beherrschbar sind (leitungsgebunden, in Flaschen etc), geschlossen werden kann. 3. Abgrenzung: Sachen und Rechte. Sachen iSd Gesetzes sind körperliche Gegenstände (§ 90). Als Rechtsobjekte stehen den Sachen die Rechte ggü, und zwar ohne Unterschied, ob es sich um absolute oder relative Rechte handelt. Die Rechte als Rechtsobjekte sind durch die fehlende Körperlichkeit gekennzeichnet. Körperlichkeit bedeutet das räumliche Zutagetreten von Materie (fest, flüssig, gasförmig) in beherrschungsfähiger Einheit (s § 90 Rn 1). Der Unterschied zu den Sachen wirkt sich vor allem in den unterschiedlich gestalteten Verfügungstatbeständen über Rechte und Sachen aus. 4. Einteilung der Sachen. Das BGB unterscheidet zw a) beweglichen und unbeweglichen Sachen. Unbeweglich sind nur Grundstücke (RG 59, 19, 21), dh abgegrenzte Teile der Erdoberfläche, die im Grundbuch als selbständige Grundstücke eingetragen sind (Ausnahme § 3 II, III GBO, vgl Oldenburg Rpfleger 1977, 22), sowie deren Bestandteile. Den Grundstücken rechtlich gleichgestellt sind das Erbbaurecht (§ 11 ErbbauRG), das Wohnungseigentum (§§ 1, 3, 7 WEG) sowie die nach Landesrecht als Immobiliarrechte ausgestalteten Rechte, vgl Vor § 873 Rn 5. Alle übrigen Sachen sind beweglich (vgl RG 87, 43, 51; 158, 368). Dies gilt auch für die nur vorübergehend mit dem Grund und Boden verbundenen Sachen (§ 95 I 1) und für Gebäude, sofern diese ausnahmsweise keine wesentlichen Bestandteile des Grundstücks sind (§ 95 I 2). Schiffe und Luftfahrzeuge sind ebenfalls bewegliche Sachen, doch gelten für sie nach dem SchiffsRG und LuftFzgG zT ähnliche Grundsätze wie für Grundstücke. b) vertretbaren und nicht vertretbaren Sachen, vgl § 91. c) verbrauchbaren und nicht verbrauchbaren Sachen, vgl § 92. d) Gattungs- und Speziessachen, vgl § 243. e) teilbaren und unteilbaren Sachen, vgl § 752. f) Hauptsachen und Zubehör, vgl § 97. g) Hauptsachen und Nebenbestandteilen, vgl §§ 947 II, 97 I. 5. Von den Sachen zu unterscheiden sind insb die Sachgesamtheit und die Rechtsgesamtheit: a) Die Sachgesamtheit oder der Sachinbegriff ist eine Zusammenfassung selbständiger Sachen (zB Herde, Briefmarkensammlung, Bibliothek [RG WarnR 1918 Nr 154], Warenlager, landwirtschaftliches Inventar, Sitzgruppe [Celle NJW-RR 1994, 1305]), bei dem sowohl die Gesamtheit als solche wie auch jede einzelne zu ihr gehörende Sache Mayen/J. Schmidt

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austausch möglich und naheliegend ist (BGH NJW 1989, 2879 und 2881; BGH 132, 30, 37). Zum Ganzen ausf Wolff/Bachof/Stober/Kluth, VerwR II, § 83 Rn 65ff). 3. Insolvenz (§§ 89 II, 42 II). Abs II erklärt die in § 42 II normierte Pflicht, im Fall der Zahlungsunfähigkeit 23 oder Überschuldung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, bei jur Pers des öffentlichen Rechts für entspr anwendbar. Die Regelung steht unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit des Insolvenzverfahrens (MüKo/Reuter Rn 1). Sie findet daher auf den Fiskus von vornherein keine Anwendung, da für Bund und Länder das Insolvenzverfahren generell ausgeschlossen ist (§ 12 I Nr 1 InsO). Für die sonstigen Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht eines Landes unterstehen, ist das Insolvenzverfahren hingegen zulässig, sofern das Landesrecht das Insolvenzverfahren nicht ausschließt (§ 12 I Nr 2 InsO). Da der Landesgesetzgeber von dieser Möglichkeit indessen häufig Gebrauch macht (zur grds verfassungsrechtlichen Zulässigkeit BVerfG 60, 135, 154ff; ZIP 1984, 344), ist die praktische Bedeutung des § 89 II gering.

Abschnitt 2 Sachen und Tiere Vorbemerkung vor § 90 1. Überblick. Die §§ 90ff treffen gemeinsame Bestimmungen für Sachen und Tiere. § 90 definiert Sachen als körperliche Gegenstände und damit als eine Unterart der Gegenstände. Der Begriff Gegenstand wird im Gesetz nicht definiert. Betrachtet man allein die §§ 90ff, so lassen sich Gegenstände in drei Gruppen unterteilen: (1) unkörperliche Gegenstände (Rechte, Forderungen), (2) körperliche Gegenstände (Sachen) und (3) Tiere (auf die jedoch gem § 90a die für die Sachen geltenden Vorschriften entspr anzuwenden sind). Diese Einteilung hält das BGB nur im Sachenrecht ein. Sie wird an verschiedenen Stellen durchbrochen, so zB bei §§ 119 II, 434. 2. Gegenstand. Die Definition des im BGB nicht erklärten Gegenstandsbegriffs ist umstr (ausf Staud/Stieper Vorbem §§ 90–103 Rn 4 ff; BeckOGK/Mössner § 90 Rn 10 ff). Im umfassenden Sinn ist unter Gegenstand (= Rechtsobjekt) alles das zu verstehen, was vom Menschen beherrschbar ist und ihm von der Rechtsordnung so zugeordnet wird, dass der Wille des Menschen rechtlich maßgebend ist. Das BGB verwendet den Gegenstandsbegriff nicht einheitlich. In Vorschriften, welche eine dingliche Beherrschung oder eine Verfügung (vgl Einl § 104 Rn 21) über einen Gegenstand betreffen (ua §§ 135, 161, 185, 2040), zählen zu den Gegenständen neben den Sachen auch die Vermögensrechte (RG 89, 298, 300), wie zB Hypothek, Grunddienstbarkeit, Nießbrauch, Mitgliedschaftsrechte an Kapital- und Personengesellschaften (RG 92, 398, 401), Besitz-, Miet- und Pachtrecht, sowie Immaterialgüterrechte (RG 62, 320, 321f; 75, 217, 219), nicht hingegen Persönlichkeitsrechte (wie Namensrecht, Familienrechte) und selbständige Gestaltungsrechte (Anfechtungs-, Rücktrittsrecht etc). In Vorschriften, welche die Gegenstände als Objekte des schuldrechtlichen Verkehrs behandeln, umfasst der Gegenstandsbegriff außerdem Vermögenswerte rein tatsächlicher Art, wie Kundschaft (RG DR 1942, 465) oder ärztliche Praxis (RG 75, 120; BGH NJW 1959, 1584). S auch § 453, wonach ein Kaufvertrag auch über sonstige Gegenstände, wie Werbeideen, Know-how, Software und Energien, soweit sie technisch beherrschbar sind (leitungsgebunden, in Flaschen etc), geschlossen werden kann. 3. Abgrenzung: Sachen und Rechte. Sachen iSd Gesetzes sind körperliche Gegenstände (§ 90). Als Rechtsobjekte stehen den Sachen die Rechte ggü, und zwar ohne Unterschied, ob es sich um absolute oder relative Rechte handelt. Die Rechte als Rechtsobjekte sind durch die fehlende Körperlichkeit gekennzeichnet. Körperlichkeit bedeutet das räumliche Zutagetreten von Materie (fest, flüssig, gasförmig) in beherrschungsfähiger Einheit (s § 90 Rn 1). Der Unterschied zu den Sachen wirkt sich vor allem in den unterschiedlich gestalteten Verfügungstatbeständen über Rechte und Sachen aus. 4. Einteilung der Sachen. Das BGB unterscheidet zw a) beweglichen und unbeweglichen Sachen. Unbeweglich sind nur Grundstücke (RG 59, 19, 21), dh abgegrenzte Teile der Erdoberfläche, die im Grundbuch als selbständige Grundstücke eingetragen sind (Ausnahme § 3 II, III GBO, vgl Oldenburg Rpfleger 1977, 22), sowie deren Bestandteile. Den Grundstücken rechtlich gleichgestellt sind das Erbbaurecht (§ 11 ErbbauRG), das Wohnungseigentum (§§ 1, 3, 7 WEG) sowie die nach Landesrecht als Immobiliarrechte ausgestalteten Rechte, vgl Vor § 873 Rn 5. Alle übrigen Sachen sind beweglich (vgl RG 87, 43, 51; 158, 368). Dies gilt auch für die nur vorübergehend mit dem Grund und Boden verbundenen Sachen (§ 95 I 1) und für Gebäude, sofern diese ausnahmsweise keine wesentlichen Bestandteile des Grundstücks sind (§ 95 I 2). Schiffe und Luftfahrzeuge sind ebenfalls bewegliche Sachen, doch gelten für sie nach dem SchiffsRG und LuftFzgG zT ähnliche Grundsätze wie für Grundstücke. b) vertretbaren und nicht vertretbaren Sachen, vgl § 91. c) verbrauchbaren und nicht verbrauchbaren Sachen, vgl § 92. d) Gattungs- und Speziessachen, vgl § 243. e) teilbaren und unteilbaren Sachen, vgl § 752. f) Hauptsachen und Zubehör, vgl § 97. g) Hauptsachen und Nebenbestandteilen, vgl §§ 947 II, 97 I. 5. Von den Sachen zu unterscheiden sind insb die Sachgesamtheit und die Rechtsgesamtheit: a) Die Sachgesamtheit oder der Sachinbegriff ist eine Zusammenfassung selbständiger Sachen (zB Herde, Briefmarkensammlung, Bibliothek [RG WarnR 1918 Nr 154], Warenlager, landwirtschaftliches Inventar, Sitzgruppe [Celle NJW-RR 1994, 1305]), bei dem sowohl die Gesamtheit als solche wie auch jede einzelne zu ihr gehörende Sache Mayen/J. Schmidt

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wirtschaftliche Bedeutung hat. Gegenstand von Rechten können nur die einzelnen Sachen der Gesamtheit sein; doch sind schuldrechtliche Verträge mit Bezug auf die Gesamtheit als solche zugelassen (RG WarnR 1918 Nr 154; BeckOGK/Mössner § 90 Rn 124; MüKo/Stresemann § 90 Rn 41). Auch kann die Übereignung (und Verpfändung) der einzelnen Sachen unter der Benutzung der Gesamtheit geschehen (RG 53, 118, 220; 144, 62, 64). Rechtlich bedeutsam ist die Zugehörigkeit zu einem Sachinbegriff ua für die Bestimmung nach § 92 II sowie iRd Pacht und des Nießbrauchs (§§ 585ff, 1035, 1048). Gegenstand des Nießbrauchs ist bei § 1035 trotz der Gesetzesfassung nicht der Sachinbegriff, sondern jede einzelne dazugehörige Sache (vgl § 1035 Rn 2). b) Die Rechtsgesamtheit oder der Rechtsinbegriff ist eine wirtschaftliche Einheit von Sachen, Rechten und Vermögenswerten tatsächlicher Art wie das Vermögen oder Sondervermögen (Erbschaft, Gesellschaftsvermögen). An der Gesamtheit als solcher können auch hier Rechte nicht begründet werden (RG 70, 226ff). Doch können in bestimmten Fällen die zur Rechtsgesamtheit gehörenden Gegenstände einheitlich übergehen; so nach §§ 1416, 1922. Auch sind einheitliche schuldrechtliche Rechtsgeschäfte über Rechtsgesamtheiten zulässig. Sondervorschriften für diese Verträge enthalten ua §§ 310f, 1822, 2371ff. Eine Rechtsgesamtheit besonderer Art ist das Unternehmen. Dabei handelt es sich um eine wirtschaftliche Einheit, zu der Sachen (einschl Grundstücke) und Rechte aller Art gehören; wobei sich die wesentliche Beeinflussung der Einheit uU auch aus der Person des Unternehmers ergeben kann. Einen Rechtsbegriff des Unternehmens, der für diese wirtschaftliche Einheit als rechtliche Klammer wirkt, gibt es nicht. Auch Institute der Zusammenfassung von Objekten (Bestandteil und Zubehör) tragen der Unternehmenseinheit nur sehr bedingt Rechnung, vgl § 97 Rn 3. Als einheitlicher Gegenstand schuldrechtlicher Geschäfte ist das Unternehmen anerkannt; zur Behandlung des eingerichteten Gewerbebetriebs (Unternehmen) als Schutzobjekt vgl BGH NJW 1959, 479; NJW 1987, 2222, 2225; NJW 2012, 2579 sowie § 823 Rn 49ff). Der Begriff des Unternehmens als einheitliches Rechtsobjekt ist zu unterscheiden vom Unternehmen in sonstigen Funktionen, insb in §§ 15ff AktG und § 1 GWB. In bestimmten, nicht extensiv auszulegenden Einzelfällen gilt bei Sondervermögen der Grundsatz der dinglichen Surrogation, zB §§ 718 II, 1048, 2019, 2041, 2111. c) 1970 hat auch das Wirtschaftsgut Eingang in das BGB gefunden (vgl § 2331a). 6. Eine Beschränkung der Verkehrsfähigkeit von Sachen kann sich aus zwei Gründen ergeben: entweder aus ihrer natürlichen Beschaffenheit (fehlende Beherrschbarkeit) oder aus einer rechtlich wertenden Betrachtung (öffentliche Sachen). a) Das aufgrund der natürlichen Beschaffenheit Nichtbeherrschbare ist keine Sache im Rechtssinne, zB die freie Luft, das offene Meer oder die frei fließende Wasserwelle (RG 53, 98f); ebenso untersteht auch das Grundwasser einer vom Grundeigentum getrennten öffentlich-rechtl Benutzungsordnung (BVerwG ZUR 2012, 308) (vgl auch § 4 II WHG). Urkunden sind Sachen, auch soweit an ihnen nach § 952 Sondereigentum nicht zugelassen wird (RG 91, 155, 157 [Hypothekenbrief]; LG München I DAR 1958, 267 [Kfz-Brief (seit 2005: Zulassungsbescheinigung Teil II)]). Das Patentrecht als solches, dem jede Körperlichkeit fehlt, ist keine Sache (RG 153, 210, 213); GmbH-Anteile sind keine Sachen iSd § 90 (zur Rechtsnatur näher Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG19 2016, § 14 GmbHG Rn 1 mwN). b) Dem privaten Rechtsverkehr nur beschränkt zugänglich sind die öffentlichen Sachen. Darunter sind solche Gegenstände zu verstehen, die dazu bestimmt sind, entweder unmittelbar dem Gemeinwohl oder den eigenen Bedürfnissen der öffentlichen Verwaltung zu dienen (im Einz str; ausf zu öffentlichen Sachen Staud/Stieper Vorbem §§ 90–103 Rn 13ff; BeckOGK/Mössner § 90 Rn 36ff; NK/Ring § 90 Rn 122ff). Innerhalb des öffentlichen Sachbegriffs lässt sich zw im Gemeingebrauch (dazu Rn 12) und im Verwaltungsgebrauch (dazu Rn 13) stehenden Sachen unterscheiden. Eine Sonderstellung nehmen die res sacrae und res religiosae ein (dazu Rn 14). aa) Dem Gemeingebrauch gewidmet sind Sachen, deren Benutzung jedermann unmittelbar und ohne besondere Zulassung offensteht (Straßen, Plätze etc), vgl § 7 FStrG. Sie sind nicht schlechthin dem Rechtsverkehr entzogen, sondern können grds auch Gegenstand besonderer Rechte sein (RG 118, 91, 93; 123, 181, 183; 125, 108, 110) und können damit auch im Privateigentum stehen (vgl Schleswig NJW-RR 2003, 1171 zum Meeresstrand). Doch können Vorschriften des öffentlichen Rechts und öffentlich-rechtl Zweckbestimmungen den Sachen ganz oder teilw die Verkehrsfähigkeit nehmen. Diese Beschränkung gilt auch dann, wenn die Sachen nicht im Eigentum öffentlich-rechtl Körperschaften stehen, sondern Privateigentum bilden. Näheres § 905 Rn 7ff. bb) Zum Verwaltungsvermögen gehören alle Gegenstände, die durch ihren Gebrauch und ihre Zweckbestimmung unmittelbar der öffentlichen Verwaltung dienen (vgl BGH NJW 1995, 1492, 1493; näher Wolff/Bachof/Stober, VerwR II7 2010, § 74 II 1a). Hierzu zählen zB Verwaltungsgebäude, Kasernen oder Gefängnisse, jew mit dazugehörigem Inventar. Sie sind ebenfalls nur insoweit verkehrsfähig, als es die öffentliche Zweckbestimmung gestattet. Durch den öffentlich-rechtl Akt der Entwidmung können diese Gegenstände wieder voll verkehrsfähig werden. cc) Res sacrae sind die unmittelbar dem religiösen Kult einer anerkannten oder als öffentlich-rechtl Körperschaft privilegierten Kirche oder Religionsgemeinschaft dienenden Sachen, insb Gotteshäuser und kirchliche Gerätschaften einschl der Kirchenglocken (Staud/Stieper Vorbem §§ 90–103 Rn 19). Auch sie sind nur verkehrsfähig, soweit es die Zweckbestimmung erlaubt. Eine Entwidmung durch den Eigentümer ohne Zustimmung des Widmungsbegünstigten ist nicht möglich (BayObLG 1980, 381, 389), und zwar auch dann nicht, wenn sich der Eigentümer bei der Widmung eine andere Verwendung vorbehalten hat (BayObLG 1980, 381). Grds Gleiches wie für res sacrae gilt auch für res religiosae, wie zB kirchliche Friedhöfe (vgl dazu und zu gemeindlichen Grabstätten 224

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Sachen und Tiere

§ 90

Axer DÖV 2013, 165ff; Staud/Stieper Vorbem §§ 90–103 Rn 25ff; BeckOGK/Mössner § 90 Rn 46ff). Grabdenkmäler können aber Gegenstand privater Rechte sein (BGH NJW-RR 2006, 570). dd) Nicht zu den öffentlichen Sachen zählt das Finanzvermögen des Staates oder sonstiger öffentlicher Verwal- 15 tungsträger (zB Kapitalbeteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmen). Diese nur mittelbar durch ihren Wert bzw Ertrag der öffentlichen Verwaltung dienenden Sachen sind voll verkehrsfähig und unterliegen dem Privatrecht. Allerdings wird die Zwangsvollstreckung idR durch § 882a ZPO und durch § 15 Nr 3 EGZPO iVm entspr landesrechtlichen Bestimmungen beschränkt.

§ 90

Begriff der Sache

Sachen im Sinne des Gesetzes sind nur körperliche Gegenstände. 1. Begriff. Zur Definition, Abgrenzung und Einteilung von Sachen s Vor §§ 90ff Rn 1ff. a) Entscheidendes Merkmal für den Sachbegriff ist die Körperlichkeit. Sie bedeutet das räumliche Zutagetreten von Materie (fest, flüssig, gasförmig) in beherrschungsfähiger Einheit, die den sachenrechtlichen Rechtsinstituten (Besitz, Eigentum, Übergabe, Pfandrecht) zugänglich ist (näher Staud/Stieper Rn 1ff; BeckOGK/Mössner Rn 57ff). Der naturwissenschaftliche Sachbegriff ist daher insoweit nicht maßgebend, als er mit Maßstäben arbeitet, die der Funktion der Rechtsvorschriften nicht angemessen sind. aa) Elektrischer Strom ist juristisch keine Sache, weil er weder besessen oder körperlich übergeben werden kann noch die Begriffe Eigentum und Pfandrecht auf ihn anwendbar sind (vgl schon RG 56, 403, 404; 67, 229, 232); er ist jedoch, vergleichbar anderen Energien, in leitungsgebundener Form ein sonstiger Gegenstand iSd § 453 I, so dass darauf die Vorschriften über den Sachkauf entspr anwendbar sind (BeckOK/Faust § 453 Rn 23). bb) Das „Werk“ als geistiges Gebilde wird von § 90 nicht erfasst (BGH NJW 1966, 542, 544). Daten und Software sind als solche mangels Körperlichkeit keine Sache (LG Konstanz NJW 1996, 2662; Baur/Stürner § 3 Rn 2; Pal/Ellenberger Rn 2; BeckOK/Fritzsche Rn 25; Heymann CR 1990, 112f; zur Megede NJW 1989, 2580, 2582; Moritz CR 1994, 257, 263; Müller-Hengstenberg NJW 1994, 3128ff; Redeker NJW 1992, 1739f; Redeker NJOZ 2008, 2917, 2925f; NK/Ring Rn 19; Staud/Stieper Rn 12; BeckOGK/Mössner Rn 83ff; MüKo/Stresemann Rn 25; aA König NJW 1993, 3121, 3124; Marly BB 1991, 432, 435). Deshalb sind auch Bitcoins keine Sache (Engelhardt/Klein MMR 2014, 355, 357; Kütük/Sorge MMR 2014, 643, 644). Nach der Rspr ist jedoch eine auf einem Datenträger verkörperte Standardsoftware als Sache anzusehen, auf die je nach der vereinbarten Überlassungsform Mietoder Kaufrecht anwendbar ist (BGH NJW 1988, 406; 1990, 320, 321; 1993, 2436, 2437f; 1997, 2043, 2045; 2000, 1415; 2007, 2394, 2395). Im Rahmen des Kaufvertragsrechts hat sich die Problematik durch die Neufassung des § 453 (Software als „sonstiger Gegenstand“) weitgehend erledigt (vgl auch MüKo/Stresemann Rn 25; Spindler ZGE 3 [2011] 129, 140). Ausf zur Gesamtproblematik Staud/Stieper Rn 12ff; BeckOGK/Mössner Rn 78ff mwN; instruktiv insb auch Spindler ZGE 3 (2011), 129ff. Zur Legaldefinition des Begriffs Waren in § 241a J. Schmidt GPR 2014, 73ff. b) Ferner wird der Sachbegriff von der Verkehrsauffassung bestimmt. Eine Sache im Rechtssinne liegt daher auch dann vor, wenn einzelne körperliche Gegenstände, die jew für sich keine wirtschaftliche Bedeutung haben, bei einer nach Maß oder Gewicht gefassten Menge von der Verkehrsauffassung und der natürlichen Anschauung als eine Sache verstanden werden (sog Sacheinheiten) (zB bei Getreide, Kohlen, Kartoffeln etc); dies ändert nichts daran, dass auch die einzelne Sache Gegenstand des Rechtsverkehrs und selbständige Sache im Rechtssinne sein kann (Staud/Stieper Rn 66). 2. Sonderfälle. a) Der lebende Mensch ist Person und keine Sache (Pal/Ellenberger Rn 3; Staud/Stieper Rn 27; BeckOGK/Mössner Rn 15; NK/Ring Rn 23; MüKo/Stresemann Rn 2). Das gilt auch für den menschlichen Embryo (Pal/Ellenberger Rn 3; BeckOGK/Mössner Rn 16; Staud/Stieper Rn 37; MüKo/Stresemann Rn 2). Abgetrennte Körperteile (zB abgeschnittene Haare, Sperma, gespendetes Blut, amputierte Gliedmaßen oder zwecks Transplantation entnommene Organe) werden mit Rücksicht auf die Verkehrsanschauung bewegliche Sachen im Rechtssinne (BGH NJW 1994, 127, 128; Köln BeckRS 2016, 06177 Rn 12; Staud/Stieper Rn 29; BeckOGK/Mössner Rn 17f; NK/Ring Rn 31; MüKo/Stresemann Rn 26). Dies gilt jedoch nicht, wenn sie zur Bewahrung von Körperfunktionen oder zur späteren Wiedereingliederung in den Körper bestimmt sind (BGH NJW 1994, 127, 128; Pal/Ellenberger Rn 3; krit Taupitz NJW 1995, 745ff; Nixdorf VersR 1995, 740ff; MüKo/Stresemann Rn 27 mwN; differenzierend jedoch BeckOGK/Mössner Rn 20). Künstliche Körperteile, die mit dem Körper fest verbunden werden, wie Zahnplomben oder Kunstrippen, verlieren mit der Einfügung die Eigenschaft als Sache und werden Bestandteile des Körpers (LAG Hamburg BeckRS 2013, 70585; Staud/Stieper Rn 35; BeckOGK/Mössner Rn 21; NK/Ring Rn 27; MüKo/Stresemann Rn 28). Nicht fest verbundene „Hilfsmittel“ wie Prothesen, Perücken, Gebisse etc bleiben dagegen verkehrsfähig und behalten die Sacheigenschaft, sind aber der Pfändung entzogen, § 811 Nr 12 ZPO (Pal/Ellenberger Rn 3; Staud/Stieper Rn 36; BeckOGK/Mössner Rn 22; NK/Ring Rn 26; MüKo/Stresemann Rn 28). b) Der menschliche Leichnam wird teils als Rückstand der Persönlichkeit qualifiziert (so etwa Larenz AT § 20 Rn 9; MüKo/Stresemann Rn 29 mwN), ist aber nach zutreffender hM eine (herrenlose) Sache (Bamberg NJW 2008, 1543, 1547; Hamburg NJW 2012, 1601, 1603; LG Detmold NJW 1958, 265; Pal/Ellenberger Überbl v § 90 Rn 11; Gottwald NJW 2012, 2231, 2232; Staud/Gursky/Wiegand § 958 Rn 4; Staud/Stieper Rn 39, 48; BeckOGK/ Mössner Rn 24, 31; NK/Ring Rn 39f). Eine Aneignung kommt jedoch mit Blick auf das postmortale PersönlichJ. Schmidt

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keitsrecht grds nicht in Betracht (Staud/Stieper Rn 48 mwN); Ausnahme: sog Anatomieleichen (BeckOK/Fritzsche Rn 32; Pal/Weidlich § 1922 Rn 37; aA Staud/Stieper Rn 48) oder Skelette, Mumien, Moorleichen etc (Staud/ Stieper Rn 53; MüKo/Stresemann Rn 31). Von der Leiche abgetrennte natürliche und künstliche Körperteile sind Sachen; das Eigentum hieran fällt aber nicht etwa automatisch den Erben zu (so aber MüKo/Stresemann Rn 32); sie sind vielmehr (zunächst) herrenlos. Das Aneignungsrecht steht nach vorzugswürdiger Ansicht mit Blick auf das fortwirkende Persönlichkeitsrecht nicht den Erben (so etwa Staud/Gursky/Wiegand § 958 Rn 4 mwN), sondern den Totensorgeberechtigten zu (Hamburg NJW 2012, 1601, 1604; BeckOK/Fritzsche Rn 33; Gottwald NJW 2012, 2231, 2232f; Staud/Stieper Rn 49; ganz anders MüKo/Stresemann Rn 32 [Eigentum falle den Erben zu]); zur Totenfürsorge sind in Ermangelung eines abw Willens des Verstorbenen gewohnheitsrechtlich die nächsten Angehörigen berechtigt und verpflichtet (RG 154, 269, 270f; BGH NJW-RR 1992, 834; NJW 2012, 1651 Rn 10; NVwZ 2016, 870 Rn 12). Zur Obduktion und zur Exhumierung vgl Staud/Stieper Rn 46 mwN. 3. Rechtliche Bedeutung gewinnt § 90 insb im Sachenrecht, da nur an Sachen Eigentum iSd §§ 903ff, andere dingliche Rechte (Ausnahme §§ 1068ff, 1273ff) oder Besitz bestehen können. Außerhalb des Sachenrechts ist die Definition des § 90 nicht abschließend. Mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des Verkehrs wird der Begriff Sache zB in § 119 II (RG 149, 235, 238; BGH LM Nr 2 zu § 779) auch auf unkörperliche Gegenstände ausgedehnt. Dasselbe gilt auch für § 849 (BGH 8, 288, 298; NJW 2008, 1084).

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Tiere

Tiere sind keine Sachen. Sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. 1. Genese und Ratio. Die Norm wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht v 20.8.1990 (BGBl I 1762) eingeführt. Grundgedanke ist, dass der Mensch für das Tier als Mitgeschöpf und schmerzempfindliches Wesen Verantwortung tragen soll (Begr RegE BT-Drs 11/4563, 5; Mühe NJW 1990, 2238; Lorz MDR 1990, 1057). I Erg beinhaltet § 90a jedoch nur eine „gefühlige Deklamation“ ohne rechtliche Auswirkungen (Pal/Ellenberger Rn 1; humorvoll K. Schmidt JZ 1989, 790ff). 2. Tiere sind keine Sachen (S 1). Dadurch gewinnen sie jedoch nicht die Qualität von Rechtssubjekten (vgl auch BegrRegE BT-Drs 11/4563, 5, 6); sie stellen vielmehr eine Kategorie sui generis dar (BeckOK/Fritzsche Rn 2; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 10; NK/Ring Rn 3; MüKo/Stresemann Rn 3). Tiere iSd § 90a sind alle lebenden Tiere im biologischen Sinn, auch solche nicht höherer Art und unabhängig von einer Schmerzempfindlichkeit; nicht erfasst sind dagegen Tierteile, -leichen oder -eier sowie Pflanzen (BeckOK/Fritzsche Rn 3; Staud/ Stieper Rn 5ff; MüKo/Stresemann Rn 4). 3. S 2 verweist rein deklaratorisch (vgl Lorz MDR 1990, 1057; BeckOGK/Mössner Rn 11; NK/Ring Rn 5; MüKo/ Stresemann Rn 5) auf den Schutz durch besondere Gesetze; dazu gehören insb das TierSchG, das BJagdG, die Landesjagd- und -fischereigesetze sowie §§ 251 II 2, 833f, 903 S 2, 960ff BGB; §§ 765a I 3, 811c I ZPO; sie sind idR zugleich auch „andere Bestimmungen“ iSd S 3 Hs 2. 4. Auf Tiere anwendbare Vorschriften (S 3). a) Grds gelten die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend (Hs 1), so insb die §§ 929ff (BeckOK/Fritzsche Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 15; MüKo/Stresemann Rn 6; Staud/Stieper Rn 10), §§ 953ff (Staud/Stieper Rn 10; BeckOGK/Mössner Rn 15), §§ 965ff (VGH München BeckRS 2016, 41758 Rn 20; KG NJW-RR 1994, 688, 689; VG Ansbach BeckRS 2011, 31015; Staud/Stieper Rn 10; BeckOGK/Mössner Rn 15; MüKo/Stresemann Rn 6), §§ 1204ff (s § 1204 Rn 2). Werden Tiere verletzt, gelten §§ 823ff sowie §§ 7, 18 StVG (BGH NJW 2012, 1730 Rn 8; BeckOK/Fritzsche Rn 5). Tiere können auch Zubehör sein (arg e § 98 Nr 2) (s § 97 Rn 3, § 98 Rn 14). Wenn sich auf einem zu räumenden Grundstück Tiere befinden, gelten die § 885 II–IV ZPO entspr (BGH NJW 2012, 2889; Staud/Stieper Rn 10). Anwendbar sind ferner auch §§ 433ff, 474ff, wobei allerdings die Besonderheiten des Tierkaufs zu berücksichtigen sind (BGH NJW 2006, 2250, Rn 22ff; 2007, 674, Rn 25ff; 2007, 1351, Rn 12ff); so sind etwa verkaufte Tiere nicht generell als „gebraucht“ anzusehen (BGH NJW 2007, 674, Rn 26ff), die Vermutung des § 476 kann wegen der Art des Mangels bei bestimmten Tierkrankheiten ausgeschlossen sein (BGH NJW 2006, 2250) und auch bei der Determination der Mangelhaftigkeit sind die Tierspezifika zu berücksichtigen (BGH NJW 2007, 1351, Rn 12ff). Bei Trennung bzw Scheidung/Aufhebung von Ehe bzw Lebenspartnerschaft gelten für Tiere die §§ 1361a, 1586b bzw. §§ 13, 17 LPartG entspr (Schleswig NJW 1998, 3127; Celle NJW-RR 2009, 1306, 1307; Hamm NJW-RR 2011, 583; BeckOK/Fritzsche Rn 7; BeckOGK/Mössner Rn 19; Staud/Voppel § 13 LPartG Rn 10); ein „Umgangsrecht“ lässt sich darauf jedoch nicht stützen (Schleswig NJW 1998, 3127; Hamm NJW-RR 2011, 583; BeckOK/Fritzsche Rn 7; Staud/Stieper Rn 10; BeckOGK/Mössner Rn 19; MüKo/Stresemann Rn 8). IÜ sind bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über Sachen ganz generell etwaige tierspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen (vgl LG Hannover, NJW-RR 2000, 481; BeckOK/Fritzsche Rn 5; BeckOGK/ Mössner Rn 13; MüKo/Stresemann Rn 8; Staud/Stieper Rn 10). Tiere sind ferner nach hM auch Sachen iSd strafrechtlichen Tatbestände (näher Schönke/Schröder/Eser/Bosch § 242 StGB Rn 9 mwN). b) Abw Bestimmungen (Hs 2) sind insb die oben in Rn 3 genannten. S zur Anwendung des § 251 II 2 im Falle der Heilbehandlung eines Tieres BGH NJW 2016, 1589.

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J. Schmidt

Sachen und Tiere

§ 91

§ 92

Vertretbare Sachen

Vertretbare Sachen im Sinne des Gesetzes sind bewegliche Sachen, die im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt zu werden pflegen. 1. Legaldefinition. Eine Sache ist nach der Legaldefinition in § 91 vertretbar, wenn sie im Verkehr nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmt zu werden pflegt. Maßgeblich ist folglich, dass sie sich von anderen Sachen der gleichen Art nicht durch ausgeprägte Individualisierungsmerkmale abhebt und deshalb ohne weiteres austauschbar ist (vgl BGH NJW 1966, 2307; 1971, 1793, 1794; 1985, 2403). Nicht vertretbar sind hingegen Sachen, die auf die Betriebsverhältnisse des Bestellers ausgerichtet und seinen Wünschen angepasst sind und die deshalb für den Unternehmer anderweitig schwer oder gar nicht absetzbar sind (BGH NJW 1971, 1793, 1794; NJW 2015, 2812 Rn 18). Abzustellen ist dabei auf die allg Verkehrsanschauung, der Maßstab ist also ein rein objektiver (BGH NJW 1985, 2403; Pal/Ellenberger Rn 1; BeckOK/Fritzsche Rn 3; BeckOGK/Mössner Rn 18; NK/Ring Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 1; Staud/Stieper Rn 1). 2. Beispiele: a) Vertretbare Sachen sind: Geldscheine und -münzen (vgl § 783, § 363 I 1 HGB; BGH NJW 1963, 1259; 1991, 990, 991; NStZ 1993, 538; NStZ-RR 2015, 282, 283; NK/Ring Rn 11; MüKo/Stresemann Rn 3; Staud/ Stieper Rn 6); Wertpapiere (zB Aktien) (vgl § 783; BeckOGK/Mössner Rn 21; NK/Ring Rn 11; MüKo/Stresemann Rn 2); Waren oder Maschinen aus Serienfertigung, selbst wenn sie nach Angaben des Bestellers, insb nach Muster, angefertigt werden (RG JW 1903, 244; BGH NJW 1971, 1793 [Möbel]; 1977, 379 [Reinigungsanlage]; 1996, 836, 837 [Transportbeton]; 1998, 3197, 3198 [Förderanlage]; Hamm NJW-RR 1986, 477 [Wärmepumpe]; Karlsruhe NJW-RR 1988, 1400 [Möbel]; Hamm BB 1993, 1475 [Arbeitsbühne]; Hamm OLGRp 1998, 217 [Kühlanhänger]; Dresden BauR 2000, 1876 [Aufzugsteuerungsanlage]); Köln VersR 2000, 501 [Münzzentrale]); landwirtschaftliche Erzeugnisse einer bestimmten Gattung (BGH NJW 1985, 2403 [Wein]; MüKo/Stresemann Rn 2); Neuwagen eines bestimmten Typs (München DAR 1964, 188, 189; Pal/Ellenberger Rn 2; Staud/Stieper Rn 4); veredelte Rohedelsteine (BGH NJW-RR 2009, 103, 104 Rn 16); Einheitsbierflaschen (BGH NJW 1956, 298). b) Unvertretbare Sachen sind: Kunstwerke (BeckOGK/Mössner Rn 22; NK/Ring Rn 14; MüKo/Stresemann Rn 4), Fotos (AG Regensburg NJW-RR 1987, 1008), Tiere (LG Heidelberg BeckRS 2015, 01446; NK/Ring Rn 14; MüKo/Stresemann Rn 4), nach Maß gefertigte Kleider (NK/Ring Rn 14; MüKo/Stresemann Rn 4), individuell gefertigte Möbel (RG 107, 339, 340f [Schrank]; BGH NJW 1994, 663 [Ladeneinrichtung]; Hamm NJW-RR 1992, 889; Celle BeckRS 2004, 00992 [Schrankwand]) sowie speziell Einbauküchen (BGH NJW-RR 1990, 787, 788; Saarbrücken NJOZ 2003, 1001; Frankfurt BeckRS 2009, 26963); individuell gefertigte Schiffe (BGH NJW 2001, 3704), Software (BGH NJW 1998, 2132, 2133) oder Farbstoffe (Düsseldorf NJW-RR 1997, 186) und Prospekte (BGH NJW 1966, 2307); individuell angepasste Maschinen, Anlagen und Bauteile (BGH NJW-RR 1992, 1141, 1142 [CPU-Karte]; 1993, 882 [medizinische Geräte]; 1994, 1134, 1135 [Riegelstangen]; 1996, 789, 790 [Heizungsanlage]; 2015, 2812 Rn 17 f [Thermoreaktoren]; Bremen NJOZ 2002, 1432, 1434 [Verpackungsanlage]; Hamm BauR 2003, 106 Rn 38 [Absauganlage]; Düsseldorf BeckRS 2012, 24671 [Garnherstellungsmaschine]; MüKo/Stresemann Rn 4); gebrauchte Kfz (München DAR 1964, 188, 189; BeckOGK/Mössner Rn 22; MüKo/Stresemann Rn 4), speziell auch Oldtimer (BGH NJW 2010, 2121 Rn 4, 7). Unvertretbar sind ferner, da schon keine beweglichen Sachen, insb auch Grundstücke (BGH NJW 1995, 587, 588; NK/Ring Rn 14; MüKo/Stresemann Rn 4). 3. Rechtliche Bedeutung. a) Wichtig wird die Differenzierung des § 91 insb im Schuldrecht. So ist bei Untergang einer vertretbaren Sache idR Naturalrestitution durch Lieferung einer anderen Sache möglich, bei unvertretbaren Sachen hingegen nicht (BGH NJW 1985, 2413, 2414; NJW-RR 2009, 103 Rn 22). Bei Rechtsgeschäften, welche die wirtschaftliche Nutzung vertretbarer Gegenstände zum Inhalt haben, wie zB Sachdarlehen (§ 607), unregelmäßige Verwahrung (§ 700) oder Leistung der Gesellschafterbeiträge (§ 706 II), wird aufgrund des Eigentumsübergangs von vornherein nur die Pflicht zur Rückgabe einer Sache gleicher Art begründet. Bedeutung hat die Differenzierung ferner für das auf einen Werklieferungsvertrag anwendbare Recht (gem § 651 S 3 sind bei nicht vertretbaren Sachen bestimmte werkvertragliche Vorschriften anwendbar) sowie im Rahmen der §§ 363 I 1, 381 II, 406 II, 469 I HGB und §§ 304, 592 S 1, 884 ZPO. b) Parteivereinbarungen über die Qualifikation als (un)vertretbar sind nicht möglich, diese bestimmt sich rein objektiv (vgl bereits Rn 1; Pal/Ellenberger Rn 1; Staud/Stieper Rn 11; BeckOGK/Mössner Rn 18; NK/Ring Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 6). Es ist den Parteien aber unbenommen, vertretbare Sachen rechtsgeschäftlich wie unvertretbare oder aber unvertretbare Sachen wie vertretbare zu behandeln. Im ersten Fall ist Vertragsgegenstand dann die bestimmte Sache; Vorschriften, die für vertretbare Sachen gelten, finden keine Anwendung. Im zweiten Fall bestimmen die Parteien die unvertretbare Sache nur nach Gattungsmerkmalen; Anwendung finden dann die für die Gattungssachen geltenden Vorschriften, nicht aber die für vertretbare Sachen (vgl Staud/Stieper Rn 10f; BeckOGK/Mössner Rn 18.1; NK/Ring Rn 6).

§ 92

Verbrauchbare Sachen

(1) Verbrauchbare Sachen im Sinne des Gesetzes sind bewegliche Sachen, deren bestimmungsmäßiger Gebrauch in dem Verbrauch oder in der Veräußerung besteht. (2) Als verbrauchbar gelten auch bewegliche Sachen, die zu einem Warenlager oder zu einem sonstigen Sachinbegriff gehören, dessen bestimmungsmäßiger Gebrauch in der Veräußerung der einzelnen Sachen besteht. J. Schmidt

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1. Grundsätzliches. § 92 separiert die verbrauchbaren von den unverbrauchbaren Sachen. Die Differenzierung ist relevant ua für Gesellschafterbeiträge (§ 706 II) und Nießbrauch (§ 1067) sowie im Rahmen der §§ 1814 I 2, 2116 I 2, 2325 II 1. 2. Legaldefinition in Abs I. Verbrauchbar sind bewegliche Sachen, deren bestimmungsmäßiger Gebrauch entweder im tatsächlichen Verbrauch (dazu Rn 3) oder in der Veräußerung (rechtlicher Verbrauch, dazu Rn 4) besteht. Maßgeblich ist dabei die Verkehrsanschauung (Mot III, 34; Staud/Stieper Rn 1; BeckOGK/Mössner Rn 11; MüKo/Stresemann Rn 2, 4; abw noch Erman/Michalski13 Rn 4). a) Tatsächlich verbrauchbare Sachen (Abs I, 1. Alt) sind zB Brennmaterial, Nahrungs- und Genussmittel (Staud/ Stieper Rn 1; BeckOGK/Mössner Rn 12; NK/Ring Rn 4; MüKo/Stresemann Rn 2). Kein „Verbrauch“ ist dagegen der allmähliche Verschleiß durch Abnutzung; Möbel, Teppiche, Kleidung, Bücher etc sind daher keine verbrauchbaren Sachen (Staud/Stieper Rn 1; NK/Ring Rn 4; MüKo/Stresemann Rn 3). b) Rechtlich verbrauchbare Sachen (Abs II, 2. Alt) sind solche, deren bestimmungsgemäßer Gebrauch in der Veräußerung besteht und die als Sachen selber keinen Gebrauchswert besitzen (Pal/Ellenberger Rn 2; BeckOK/ Fritzsche Rn 5; NK/Ring Rn 6). Dazu gehört insb Geld (Mot III, 35; Pal/Ellenberger Rn 2; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 13; NK/Ring Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 4) sowie Wertpapiere, die als Geldsurrogate fungieren, wie zB Schecks, Inhaberpapiere (BeckOK/Fritzsche Rn 5; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 13; NK/Ring Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 4). Wertpapiere, die als Kapitalanlage dienen, fallen dagegen nicht hierunter (Mot III, 35; BeckOK/Fritzsche Rn 5; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 13; NK/Ring Rn 6; aA RGRK/Kregel Rn 5). 3. Fiktion der Verbrauchbarkeit gem Abs II. Als verbrauchbar gelten auch bewegliche Sachen, die zu einem Warenlager oder zu einem sonstigen Sachinbegriff (Vor §§ 90ff Rn 5ff) gehören, dessen bestimmungsmäßiger Gebrauch in der Veräußerung der einzelnen Sachen besteht. Hierzu gehören zB der Warenvorrat eines Einzelhändlers (Pal/Ellenberger Rn 3; Staud/Stieper Rn 4; BeckOGK/Mössner Rn 18; NK/Ring Rn 10; MüKo/Stresemann Rn 5), aber zB auch das Schlachtvieh eines Fleischers (RG 79, 246, 248). Qua Abs II werden auch zu einem solchen Sachinbegriff gehörende Unikate verbrauchbar (BeckOK/Fritzsche Rn 6; Staud/Stieper Rn 4; NK/Ring Rn 9). Anders als im Rahmen des Abs I bestimmt sich hier Zweckbestimmung im Rahmen des Abs II nicht nach der Verkehrsanschauung, sondern allein nach dem Willen des Berechtigten (Mot III, 35; Pal/Ellenberger Rn 3; BeckOK/ Fritzsche Rn 6; Staud/Stieper Rn 3; BeckOGK/Mössner Rn 16; NK/Ring Rn 9; MüKo/Stresemann Rn 5). 4. Rechtliche Bedeutung. Die rechtliche Bedeutung des § 92 ist insgesamt relativ gering. Sie liegt vor allem bei den Nutzungsrechten, da ein solches bei verbrauchbaren Sachen nur dann von Wert ist, wenn es dem Berechtigten das volle Verfügungsrecht und damit die volle wirtschaftliche Verwertung der verbrauchbaren Sache gewährt, vgl § 1067 (Nießbrauch), § 706 II (Gesellschafterbeiträge). Eine Sicherungsübereignung verbrauchbarer, insb der zu einem der Veräußerung dienenden Warenlager gehörenden Sachen ist möglich (vgl BGH 28, 16, 18f; BGH NJW 1984, 803; Staud/Stieper Rn 6; NK/Ring Rn 12).

§ 93

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Sachen und Tiere

Wesentliche Bestandteile einer Sache

Bestandteile einer Sache, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird (wesentliche Bestandteile), können nicht Gegenstand besonderer Rechte sein. 1. Systematik der §§ 93ff. § 93 steht im systematischen Zusammenhang mit den §§ 94–96 und klärt, wann ein Bestandteil einer Sache wesentlich ist. Dabei statuiert § 93 den Grundsatz, § 94 dehnt diesen für Grundstücke und Gebäude aus, und § 96 enthält Besonderheiten für Rechte als Bestandteile von Grundstücken. Eingeschränkt wird diese Systematik von § 95, unter dessen Voraussetzungen entgegen den §§ 93, 94 die Annahme einer wesentlichen Bestandteilsqualität verneint wird. 2. Ratio des § 93 ist, einer nutzlosen Zerstörung wirtschaftlicher Werte vorzubeugen (Mot III, 41; RG 58, 338, 341; BGH NJW 1955, 1793, 1794; NJW 1988, 2789, 2790; NJW 2012, 778 Rn 19). 3. Bestandteil. a) Der Begriff Bestandteil ist vom Gesetz nicht definiert. Bestandteile einer Sache iSd § 93 sind körperliche Gegenstände, die entweder von Natur aus eine Einheit bilden oder die durch die Verbindung miteinander ihre Selbständigkeit dergestalt verloren haben, dass sie fortan, solange die Verbindung dauert, als einzige Sache erscheinen (RG 67, 30, 32; BGH NJW 2012, 778 Rn 11). Maßgeblich dafür ist die Verkehrsanschauung (RG 158, 362, 370; BGH NJW 1988, 406, 409; 2012, 778 Rn 11) und – wenn diese fehlt oder nicht festgestellt werden kann – die natürliche Betrachtungsweise eines verständigen Beobachters (RG 158, 362, 370; BGH NJW 2012, 778 Rn 11), wobei Zweck und Wesen der Sache und ihrer Bestandteile vom technisch-wirtschaftlichen Standpunkt aus zu beurteilen sind (BGH NJW 1956, 945; 2012, 778 Rn 11). Ein starkes (wenn auch nicht zwingendes) Indiz für die Bestandteilsqualität ist idR eine feste Verbindung (RG 158, 362, 369; Pal/Ellenberger Rn 2; BeckOK/Fritzsche Rn 7; Staud/Stieper Rn 9; NK/Ring Rn 15; MüKo/Stresemann Rn 5). Sofern nach der Verkehrsauffassung eine einheitliche Sache vorliegt, kann aber auch nur eine lose oder nur auf der Schwerkraft beruhende Verbindung genügen (RG 69, 150, 152; 83, 67, 69; VGH München NVwZ-RR 2004, 648, 649; KG NJW-RR 2004, 635; Staud/Stieper Rn 9; BeckOGK/Mössner Rn 13; NK/Ring Rn 15; MüKo/Stresemann Rn 5; krit insoweit Gehrlein ZInsO 2017, 563, 576). Dies gilt zB für einen Glastisch mit aufgelegter Glasplatte (Staud/Stieper Rn 9), die Blätter einer Loseblattsammlung oder eines Handelsbuchs (KG Rpfleger 1972, 441f; Staud/Stieper Rn 9; MüKo/Stresemann Rn 5), 228

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§ 93

Deponiegut auf einem Grundstück (VGH München NVwZ-RR 2004, 648, 649) oder einen auf ein vorbereitetes Fundament gesetzten Heißwasserkessel (KG NJW-RR 2004, 635). Nicht ausreichend ist dagegen eine nur vorübergehende Zusammenfügung (RG 157, 244, 245 [Düsen einer Spinnmaschine; Bohrer einer Bohrmaschine]; VG Gera 30.10.2008 – 5 K 739/06 [geliehene Altarflügel]; Staud/Stieper Rn 10; BeckOGK/Mössner Rn 15; MüKo/Stresemann Rn 6; vgl auch § 95). Andererseits ist eine nur vorübergehende Trennung der Teile einer einheitlichen Sache, zB zum Transport, irrelevant (RG Gruchot 64, 95, 97; Staud/Stieper Rn 12; MüKo/Stresemann Rn 6). Ein Indiz für die Bestandteilsqualität ist weiterhin, dass eine Sache allein nicht funktionsfähig und von vornherein dazu ausgelegt ist, mit anderen Anlagenteilen verbunden zu werden und nur so ihren Zweck erfüllen kann (BGH NJW 2012, 778 Rn 12 [Modul]). Eine einheitliche Sache ist etwa auch ein Kfz (BGH NJW 1955, 1793), nicht aber Matratzen und Lattenrost eines Betts (AG Esslingen NJW-RR 1987, 750). b) Rechte. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass nur Sachen Bestandteile von Sachen sein können, enthält § 96 betreffend Rechte als Bestandteile eines Grundstücks (dazu näher § 96 Rn 1ff). Andererseits können Sachen Bestandteile eines Rechts sein, sofern es sich um grundstücksgleiche Rechte (Erbbaurecht, Bergwerkseigentum usw) handelt (vgl § 12 I ErbbauRG; RG 161, 203, 206; BGH 17, 223, 231f; Staud/Stieper Rn 13). 4. Wesentlichkeit. Bestandteile sind nach der Legaldefinition des § 93 wesentlich, wenn sie nicht voneinander getrennt werden können, ohne dass der eine oder der andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird. Entscheidend ist also, ob die Restsache nach der Abtrennung des Bestandteils noch in der bisherigen Weise benutzt werden kann, sei es auch erst, nachdem sie zu diesem Zweck wieder mit anderen Sachen verbunden wird (BGH NJW 1955, 1793; 1956, 945; 1973, 1454f; 2012, 778 Rn 16). Kann das auszubauende Teil durch ein gleiches oder ähnliches ersetzt und dadurch die Gesamtsache in gleicher oder ähnlicher Funktion wieder hergestellt werden, ist der abzutrennende Bestandteil grds als unwesentlich anzusehen (BGH NJW 1973, 1454f; WM 1987, 47; NJWRR 1990, 586, 587; NJW 2012, 778 Rn 16). Ist eine Sache an die Gegenstände, mit denen sie verbunden ist, besonders angepasst und kann sie nur mit diesen verwendet werden, ist sie wesentlicher Bestandteil einer einheitlichen Sache, weil sie durch die Trennung wirtschaftlich wertlos würde (BGH NJW 1956, 788; 2012, 778 Rn 18). Ob die abtrennbare Sache serienmäßig produziert wird, ist irrelevant (BGH NJW 2012, 778 Rn 18); auch eine nicht serienmäßig hergestellte Sache, die Bestandteil einer (Gesamt-)Sache ist, kann unwesentlicher Bestandteil sein, wenn sie an die Gegenstände, mit denen sie verbunden ist, nicht besonders angepasst ist und durch eine andere gleichartige Sache ersetzt werden kann (BGH NJW 2012, 778 Rn 18). Ein Bestandteil einer Sache ist zudem nicht schon dann als wesentlich anzusehen, weil seine Abtrennung mit einem hohen Aufwand verbunden ist; die Kosten der Abtrennung müssen vielmehr im Vergleich zu dem Wert des abzutrennenden Bestandteils unverhältnismäßig sein (BGH NJW 2012, 778 Rn 26ff). Irrelevant ist hingegen der Aufwand des Besitzers der Restsache für eine Ersatzbeschaffung (BGH NJW 2012, 778 Rn 21). Die Beurteilung erfolgt von einem technischwirtschaftlichen Standpunkt aus unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung (BGH NJW 1956, 788; 2012, 778 Rn 23; MüKo/Stresemann Rn 10). Maßgeblich sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Verbindung; nachfolgende Wertveränderungen – insb Wertminderungen durch Abnutzung oder Alterung – sind grds nicht zu berücksichtigen (BGH NJW 2012, 778 Rn 23f). 5. Einzelfälle. a) Kfz. Wesentliche Bestandteile eines Kfz sind Karosserie und Fahrgestell (OGH NJW 1950, 64; Stuttgart NJW 1952, 145) sowie Bremstrommeln (Hamm MDR 1984, 842, 843). Keine wesentlichen Bestandteile sind dagegen: Reifen (Stuttgart NJW 1952, 145; Neustadt VersR 53, 324; BayObLG NVwZ 1986, 511; LG Düsseldorf BeckRS 2015, 03455); Sitze (BayObLG NVwZ 1986, 511); Navigationssystem (Karlsruhe NZV 2002, 132); Autotelefon (Köln NJW-RR 1994, 51: schon kein Bestandteil); Batterie (LG Düsseldorf BeckRS 2015, 03455); ein auf einen Schlepper montiertes Ladegerät (Hamburg BB 1957, 1246); insb aber auch serienmäßig hergestellte Motoren (BGH NJW 1955, 1793; 1973, 1454) einschl Austauschmotoren (BGH NJW 1973, 1454), denn beim Ausbau eines Kfz-Motors und seinem Einbau in ein anderes Kfz werden weder Motor noch eines der Kfz beschädigt, der Motor kann ohne weiteres in ein anderes Kfz des gleichen Typs eingebaut werden. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn es sich um Spezialanfertigungen handelt, wie zB für Oldtimer oder Rennwagen (vgl Staud/Stieper Rn 20). b) Schiffe. Dazu § 94 Rn 25. c) Grundstücke und Gebäude. Bei ihnen kann sich die Qualität als wesentlicher Bestandteil sowohl aus § 93 als auch aus § 94 ergeben; Bsp gesammelt bei § 94 Rn 2ff. d) Maschinen, Geräte, Anlagen. Wesentliche Bestandteile sind zB Schwungräder und Kurbelwelle einer Lokomobile (Kiel OLGE 39, 250), das einzelne Rad eines Getriebes (BGH NJW 1956, 945f); Schrauben oder Hebel einer Maschine (BGH NJW 1956, 945f); Absatzformen einer Absatzpresse (RG SeuffA 63 Nr 1). Nur einfache Bestandteile sind dagegen insb technisch selbständige Hilfsgeräte (BGH NJW 1956, 945, 946) wie serienmäßig hergestellte und katalogmäßig gehandelte Messgeräte (BGH NJW 1956, 945, 946), der Elektromotor einer Förderanlage (Köln NJW 1991, 2570) oder der Schalter eines Heizkissens (RG 130, 242, 245). Bei Gehäusen kommt es auf die konkrete Konstruktion an (BGH NJW 1956, 788, 789). e) Sonstiges. Wesentliche Bestandteile sind die mit den Ergebnissen der Datenverarbeitung ausgefüllten Kontenblätter von Handelsbüchern (KG Rpfleger 1972, 441); Füllgut von Konservendosen (LG Braunschweig MDR 1950, 739). 6. Rechtliche Bedeutung des § 93. a) Mangelnde Sonderrechtsfähigkeit. Wesentliche Bestandteile können nicht Gegenstand besonderer dinglicher Rechte sein (zu Ausnahmen s unten Rn 17). Diese Rechtsfolge ist der J. Schmidt

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Schutzfunktion des § 93 entspr zwingend (RG 62, 410, 411; 63, 416, 421; 74, 201, 203; BGH NJW 1988, 2789, 2790). Wer Eigentümer der Sache ist, regeln §§ 946ff; einen schuldrechtlichen Ausgleich schafft § 951. b) Konsequenzen. aa) Dingliche Rechte. Wesentliche Bestandteile können nicht separat übereignet werden, an ihnen kann kein Sondereigentum bestehen (RG 60, 317, 319; 97, 102, 103; BGH NJW 1988, 2789, 2790; Staud/ Stieper Rn 25; BeckOGK/Mössner Rn 27; NK/Ring Rn 33; MüKo/Stresemann Rn 16). Auch eine isolierte Pfändung oder Verpfändung ist nicht möglich (Staud/Stieper Rn 33; BeckOGK/Mössner Rn 34f; MüKo/Stresemann Rn 16). Unwirksam ist ferner die Bestellung einer Abholzgerechtigkeit an Bäumen auf einem Grundstück (RG 60, 317, 319) oder eines Nießbrauchs am Stockwerk eines Hauses (RG 164, 196, 199) oder auch die Ausnahme einer bestimmten Wohnung vom Nießbrauch an einem Wohnhausgrundstück (BayObLG 1979, 361, 364). bb) Eigentumsvorbehalt. Wird eine Sache wesentlicher Bestandteil einer anderen, so erlischt ein an ihr bestehender Eigentumsvorbehalt (RG 63, 416, 421; 90, 198, 102; 152, 91, 100; Staud/Stieper Rn 26; MüKo/Stresemann Rn 17); er lebt mit der späteren Trennung auch nicht wieder auf (Stuttgart ZIP 1987, 1129; MüKo/Stresemann Rn 17). Umgekehrt erstreckt sich ein Eigentumsvorbehalt an einer Sache, die durch Verbindung zur Hauptsache wird, auch auf die wesentlichen Bestandteile (MüKo/Stresemann Rn 17); wird keine der Sachen Hauptsache, so setzt er sich analog § 949 S. 2 an dem betr Miteigentumsanteil fort (MüKo/Stresemann Rn 17). cc) Zwangsversteigerung. Mit dem Zuschlag erwirbt der Ersteher notwendig auch das Eigentum an den wesentlichen Bestandteilen (§§ 90, 55 I, 20 II ZVG, § 1120) (BGH MittBayNot 2004, 258, 259), und zwar selbst dann, wenn die Bestandteile von der Versteigerung ausgenommen wurden und im Zuschlagsbeschluss darauf hingewiesen ist (RG 152, 22, 24f; BGH NJW-RR 2007, 194 Rn 10). Solche Maßnahmen können jedoch uU einen schuldrechtlichen Anspruch auf Herausgabe begründen (RG 152, 22, 24f; München JW 1937, 329; Nürnberg JW 1938, 1021, 1022; Düsseldorf NJW 1955, 188; Staud/Stieper Rn 33; MüKo/Stresemann Rn 18; zweifelnd jedoch in Bezug auf ein Gebäude BGH NJW-RR 2007, 194 Rn 25) dd) Besitz. Sonderbesitz an wesentlichen Bestandteilen ist möglich (vgl § 865), weil der Besitz kein Recht iSd § 93 ist; Voraussetzung ist aber die tatsächliche Sachherrschaft gerade über den wesentlichen Bestandteil selbst (RG 108, 269, 272). ee) Immaterialgüterrechte. Für die Existenz von Immaterialgüterrechten (zB Urheber-, Patentrecht) ist es irrelevant, ob das betr Recht in einem wesentlichen Bestandteil verkörpert ist; näher Staud/Stieper Rn 31 mwN. ff) Schuldrechtliche Verträge in Bezug auf wesentliche Bestandteile sind grds zulässig, wenngleich ihre Realisierung die vorherige Trennung voraussetzt (RG 60, 317, 319; RG WarnR 1926 Nr 150; BGH NJW 2000, 504, 595). Doch kann ein dahingehender Vertrag weder durch Eintragung dingliche Kraft erlangen noch durch Vormerkung gesichert werden. c) Ausnahmen/Spezialregelungen. Gem § 3 I WEG kann Wohnungseigentum an Wohnung sowie Teileigentum an anderen Räumen bestehen (näher § 3 WEG Rn 3). Gem § 12 ErbbauRG gilt ein Bauwerk auf dem Grundstück als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts, nicht des Grundstücks (näher § 12 ErbbauRG Rn 1f). Weitere Ausnahme/Spezialregelungen finden sich in § 810 I ZPO (Pfändung ungetrennter Früchte); Art 231 § 5 EGBGB (Gebäudeeigentum in den neuen Bundesländern); Art. 181 II, 182 EGBGB (Fortbestand von Sondereigentum an stehenden Erzeugnissen eines Grundstücks und von Stockwerkseigentum); § 1 DüngMSaatG.

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Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks oder Gebäudes

(1) Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks gehören die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude, sowie die Erzeugnisse des Grundstücks, solange sie mit dem Boden zusammenhängen. Samen wird mit dem Aussäen, eine Pflanze wird mit dem Einpflanzen wesentlicher Bestandteil des Grundstücks. (2) Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Gebäudes gehören die zur Herstellung des Gebäudes eingefügten Sachen. 1. Grundsätzliches, Ratio. § 94 ergänzt § 93 in einem wesentlichen Punkt, hat aber gleichwohl selbständige Bedeutung (Mot III, 43; Staud/Stieper Rn 2; NK/Ring Rn 6): Sind die Voraussetzungen des § 94 gegeben, handelt es sich um wesentliche Bestandteile, unabhängig davon, ob auch die Voraussetzungen des § 93 (dazu § 93 Rn 3ff) erfüllt sind (RG 63, 416, 418; 90, 198, 201; 150, 22, 26; vgl auch BGH NJW 1958, 457; NJW-RR 2011, 1458 Rn 6; BFH DStR 2010, 2240, 2241; Staud/Stieper Rn 2; NK/Ring Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 1). § 94 ist jedoch nicht etwa lex specialis zu § 93; in der Praxis werden vielmehr vielfach die Voraussetzungen beider Tatbestände, die eine große Schnittmenge haben, erfüllt sein (vgl BeckOK/Fritzsche Rn 1; Staud/Stieper Rn 2; MüKo/Stresemann Rn 1). Ratio des § 94 ist – wie bei § 93 (vgl dazu § 93 Rn 2) –, einer nutzlosen Zerstörung wirtschaftlicher Werte vorzubeugen (Mot III, 43; BGH NJW 1958, 457; 1999, 2434, 2435; 2011, 380 Rn 12; Schleswig NZM 2013, 877, 878; Schleswig BeckRS 2016, 12387 Rn 31; Staud/Stieper Rn 3; MüKo/Stresemann Rn 1). Die Vorschrift dient aber insb auch der Rechtssicherheit, da gerade im Grundstücksverkehr die Schaffung klarer und sicherer Rechtsverhältnisse von besonderer Bedeutung ist (Mot III, 43; BGH NJW 1958, 457; 1970, 895, 896; 1979, 712; 1988, 2789, 2790; 1999, 2434, 2435; 2011, 380 Rn 12; Schleswig BeckRS 2016, 12387 Rn 31; Staud/Stieper Rn 3; NK/Ring Rn 1; MüKo/Stresemann Rn 1). Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks oder Gebäudes iSd § 94 fallen gem § 946 kraft Gesetzes zwingend ins Eigentum des Grundstückseigentümers 230

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(RG 62, 410, 411; BGH NJW 1978, 1311; Staud/Stieper Rn 4; MüKo/Stresemann Rn 1f). Zu den Ausnahmen vgl § 95; zum Überbau vgl § 912 Rn 1ff. 2. Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks (Abs I). a) Überblick. Wesentliche Bestandteile eines Grundstücks sind gem § 94 I 1 die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen (dazu Rn 3ff), insb Gebäude (dazu Rn 6ff) sowie Erzeugnisse des Grundstücks, solange sie mit dem Boden zusammenhängen (dazu Rn 9); gem S 2 ferner Samen und Pflanzen (dazu Rn 10). Keine wesentlichen Bestandteile sind hingegen Teilflächen eines Grundstücks (Staud/Stieper Rn 21; MüKo/Stresemann Rn 5); etwas anderes gilt nur in den Fällen des § 890 (vgl § 890 Rn 1ff). Keine wesentlichen Bestandteile im Rechtssinn sind ferner unmittelbare Bodenbestandteile wie Sand, Lehm, Kies, Torf, Ton etc; sie sind vielmehr von Natur aus Teil der einheitlichen Sache Grundstück (Pal/Ellenberger Rn 3; BeckOK/Fritzsche Rn 10; Staud/Stieper Rn 19; NK/Ring Rn 23; MüKo/Stresemann Rn 5). Abgetrennte Bodenbestandteile können wesentliche Bestandteile eines anderen Grundstücks werden, wenn sie iSd § 94 I 1 mit dessen Grund und Boden fest verbunden werden (dazu näher Rn 3ff) (vgl OVG Münster BauR 2012, 1237 [zur Abstützung aufgebrachtes Erdreich]; LG Landshut NJW-RR 1990, 1037 [zur Erstellung einer Parkfläche aufgebrachter Kies]; Staud/Stieper Rn 20; NK/Ring Rn 24; MüKo/Stresemann Rn 5). b) Feste Verbindung mit Grund und Boden (§ 94 I 1 Alt 1). aa) Ob eine feste Verbindung mit dem Grund und Boden vorliegt, ist nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung der Umständen des jew Einzelfalls zu beurteilen (RG 158, 362, 374; BFH/NV 2011, 1392 Rn 14; Pal/Ellenberger Rn 2; BeckOK/Fritzsche Rn 5; Staud/Stieper Rn 7; NK/Ring Rn 13; MüKo/Stresemann Rn 4). Maßgeblich sind dabei zwei Aspekte: (1) Dass eine Trennung nicht ohne Zerstörung oder erhebliche Beschädigung des Grundstücks oder des abzulösenden Teils möglich ist, oder (2) dass die Trennung im Vergleich zum Wert des Bestandteils unverhältnismäßige Kosten verursachen würde (RG WarnR 1932 Nr 114; RG 158, 362, 374; Frankfurt NJW 1982, 653; VGH München BeckRS 2010, 53756 Rn 10; Schleswig BeckRS 2016, 12387 Rn 31; LG Landshut NJW-RR 1990, 1037; LG Flensburg WM 2000, 2112, 2113; Pal/Ellenberger Rn 2; BeckOK/Fritzsche Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 8f; Staud/Stieper Rn 7; NK/Ring Rn 13; MüKo/Stresemann Rn 4). bb) Bejaht wurde eine feste Verbindung ua in folgenden Fällen: Anlage aus „schwimmenden Häusern“ (Schleswig BeckRS 2016, 12387 Rn 29ff); Einfriedungsmauern (München BeckRS 2009, 08224); Sichtschutzzaun mit 80 cm tief eingegrabenen Pfosten (LG Hannover NJW-RR 1987, 208; Zäune können aber auch nur Scheinbestandteile iSd § 95 sein, vgl § 95 Rn 9); Spundbohlen der Uferwand eines Hafengrundstücks (BGH NJW 1984, 2569, 2570); Fundament aus 80 cm tief eingegrabenen Betonhöckern (BGH NJW 1978, 1311); ein Bootssteg (BGH MDR 1967, 749); ins Erdreich eingelassenes und mit einem Magerbetonkranz umgebenes Schwimmbecken (BGH NJW 1983, 567f); Rohrbrunnen (BGH NJW 1971, 2219); Slipanlage eines Werftgrundstücks (OVG Bremen NJW-RR 1986, 955); Wehranlage (VG Dresden BeckRS 2014, 58720); Bunkergang (VG Schleswig BeckRS 2016, 113637); Eisenbahngleise (BGH MDR 1972, 410); aufwendiges Pflaster (BayVGH RdL 2007, 316); vgl zu aufgebrachten Bodenbestandteilen ferner bereits oben Rn 2 aE. cc) Verneint wurde sie dagegen ua in folgenden Fällen: Bildstock (Frankfurt NJW 1982, 653, 654); Skulptur (Zweibrücken NJW 2016, 821 Rn 31); Silos auf einem Betonsockel (Celle IBR 2000, 621); Hopfenstangen oder Weinbergpfähle (Staud/Stieper Rn 8; MüKo/Stresemann Rn 15). c) Insb: Gebäude (§ 94 I 1 Alt 1). aa) Begriff. Der Begriff des Gebäudes ist enger als der des Bauwerks iSd § 634a I Nr 2 (BGH NJW 1999, 2434, 2435) und mit Blick auf die Ratio des § 94, die Erhaltung der wirtschaftlichen Werte und der Wahrung rechtssicherer Vermögenszuordnungen (vgl Rn 1), auszulegen (BGH NJW 2011, 380 Rn 12; Schleswig NZM 2013, 877, 878). Erfasst sind auch Bauwerke, die mit dem Grund und Boden nicht fest verbunden sind, sowie Zeitbauten iSd § 95 (Pal/Ellenberger Rn 5; Staud/Stieper Rn 23; NK/Ring Rn 18; MüKo/Stresemann Rn 21). Neben massiven Häusern sind damit zB auch erfasst: Blockhaus (BGH NJW 1988, 2789; MüKo/Stresemann Rn 6); Rohbau (BGH NJW 1979, 712); fest ggf auch aufgrund des Eigengewichts verankertes Holzfertighaus (Karlsruhe ZIP 1983, 330, 331; MüKo/Stresemann Rn 6); Pavillonaufbau mit Höckerfundamenten (BGH NJW 1978, 1311); Fertiggarage (auch ohne Verankerung, sofern gleichwertiges Eigengewicht, BFH NJW 1979, 392; Düsseldorf BauR 1982, 164; BayObLG WM 1989, 93); Tiefgarage (BGH NJW 1982, 756); Gewächshaus mit Stahlkonstruktion (BGH LM Nr 16 zu § 94); Brücke (BGH NJW 2011, 380 Rn 12; Karlsruhe NJW 1991, 926), Windkraftanlage (BGH NJW 2011, 380 Rn 12, dazu näher Rn 12); Transformatorenstation (Schleswig NZM 2013, 877, 878); nicht dagegen zB ein nicht windsicher befestigter Bierpavillon (Düsseldorf VersR 1999, 854). bb) Überbau. Hier kommt es zu einem Konflikt zweier widerstreitender gesetzlicher Gebote: dem Akzessionsprinzip des § 94 I 1 (Einheit von Grundstück und Gebäude) und dem der Gebäudeeinheit (§§ 93, 94 II), das nach st Rspr entspr der Ratio der Überbauvorschriften nach folgenden Grundsätzen zu lösen ist: Im Falle des rechtmäßigen bzw entschuldigten Überbaus (dazu § 912 Rn 1) wird dem Grundsatz des einheitlichen Eigentums an einer Sache der Vorrang eingeräumt, das Gebäude bildet einen wesentlichen Bestandteil desjenigen Grundstücks, von dem aus übergebaut wurde (§ 95 I 2 analog) (BGH NJW 1964, 1221; 1975, 1553, 1555; 1988, 1078; 1982, 756f; 1988, 1078; 2002, 54; VIZ 2004, 130, 131; NJW 2004, 1237; 2008, 1810 Rn 13; 2014, 311 Rn 15ff; KG FGPrax 2016, 3); die Zufahrt ist allerdings regelmäßig nicht wesentlicher Bestandteil des Überbauwerks (BGH NJW 2014, 311 Rn 15).Bei nicht entschuldigtem Überbau wird das Eigentum dagegen auf der Grenzlinie der Grundstücke real geteilt (BGH NJW 1958, 1182f; 1975, 1553, 1555; 1988, 1078; KG FGPrax 2016, 3). Diese Grundsätze gelten auch im Fall des Eigengrenzüberbaus (BGH NJW 1975, 1553, 1555; 1989, 221; 2002, J. Schmidt

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54; 2014, 311 Rn 14; KG FGPrax 2016, 3), des wechselseitigen Überbaus einzelner Geschosse (BGH NJW 2008, 1810 Rn 14) sowie im Falle der nachträglichen Teilung eines Grundstücks (BGH NJW 1988, 1078; 2002, 54; VIZ 2004, 130, 131; NJW 2008, 1810 Rn 14; MDR 2013, 329 Rn 16; KG FGPrax 2016, 3). Nur wenn die Grenzziehung zu einer Trennung des Gebäudes in zwei wirtschaftlich selbstständige Einheiten führt, kann jeder Gebäudeteil eigentumsrechtlich dem Grundstück zugeordnet werden, auf dem er steht (Grundsatz der vertikalen Teilung analog § 94 I) (BGH WM 2004, 1340, 1341; NJW 2008, 1810 Rn 14). cc) Grenzmauer. Vorstehende Grundsätze gelten nach st Rspr auch für eine auf der Grenze errichtete (halbscheidige) Giebelmauer (Kommunmauer): Bei rechtmäßigem bzw entschuldigtem Überbau steht sie im Alleineigentum des überbauenden Grundstückseigentümes (BGH NJW 1958, 1180f; NJW 1962, 149; NJW 1965, 811; NJW 1972, 195, 196); bei nicht entschuldigtem Überbau wird real geteilt (BGH NJW 1958, 1180f; NJW 1965, 811; NJW 1972, 195, 196). Bauen beide Nachbarn – egal ob entschuldigt oder nicht – an die Mauer an, entsteht Miteigentum zu je 1/2 (BGH NJW 1958, 1180f; NJW 1965, 811; NJW 1962, 149; NJW 1981, 866, 867; NJW-RR 2001, 1528, 1529; NJW 2015, 2489 Rn 11). Liegt hingegen kein Überbau vor, so bleibt es für Grenzanlagen bei den Regelungen in §§ 946, 94 I, 905 S 1, aus denen sich der Grundsatz der vertikalen („lotrechten“) Teilung ergibt; Folge ist, dass jedem Grundstückseigentümer derjenige Teil der Grenzeinrichtung gehört, der sich auf seinem Grundstück befindet (BGH NJW 2004, 3328, 3329 [Grenzbaum]; BGH NJW 205, 2489 Rn 10 [Ufermauer]). c) Erzeugnisse (§ 94 I 1 Alt 2) sind alle natürlichen Tier- und Bodenprodukte (näher § 99 Rn 2). d) Samen und Pflanzen: § 94 I 2 stellt aus Gründen der Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit (vgl Mot III, 46f; MüKo/Stresemann Rn 19) klar, dass Pflanzen schon mit dem Anpflanzen und Samen bereits mit dem Aussäen (nicht erst mit dem Einwurzeln bzw Keimen) wesentlicher Bestandteil werden; vgl zu Bäumen als wesentlicher Bestandteil BGH BeckRS 2016, 11657 Rn 4. Zu Pflanzen als Scheinbestandteil § 95 Rn 8. e) Sonderfälle. (1) Leitungen. Bei Ver- und Entsorgungsleitungen für Gas, Wasser, Elektrizität, Fernwärme, Telefon etc ist idR eine feste Verbindung gegeben, sie werden mit der Verlegung in einem dem Versorgungsträger gehörenden Grundstück dessen wesentlicher Bestandteil (RG 168, 288, 290; BGH NJW 1962, 1817, 1818; NJW 2006, 990 Rn 10; Hamm BeckRS 2016, 117507 Rn 53; OVG Lüneburg NVwZ-RR 2015, 946 Rn 7f; Staud/Stieper Rn 11; NK/Ring Rn 20; MüKo/Stresemann Rn 16). Sofern sie jedoch in fremden Grundstücken verlegt werden, sind sie gem § 95 I 1 bzw 2 nur Scheinbestandteile (RG 168, 288, 290; BGH NJW 1962, 1817f; NJW 2006 Rn 16ff; MMR 2016, 284 Rn 7; OVG Lüneburg NVwZ 2015, 946 Rn 9) und zugleich Zubehör zum Betriebsgrundstück des Versorgungsunternehmens iSd § 97 (RG 168, 288, 290; BGH NJW 1962, 1817f; NJW 2006, Rn 16ff; näher Staud/Stieper Rn 11, § 95 Rn 11, 20; MüKo/Stresemann Rn 16, § 95 Rn 26ff jew mwN; ausf Mahne, Eigentum an Versorgungsleitungen, 2009; s ferner auch Brändle VersorgW 2014, 122ff). (2) EEG-Anlagen. (aa) Bei Windkraftanlagen werden teils nur Fundament und Turm, nicht aber Gondel und Rotor als wesentliche Bestandteile des Grundstücks angesehen (Derleder/Sommer ZfIR 2008, 325, 330, 332; BeckOK/Fritzsche Rn 7; MüKo/Stresemann Rn 17); die wohl hM qualifiziert die Windkraftanlage dagegen insgesamt als wesentlichen Bestandteil des Grundstücks (BGH NVwZ 2011, 244 Rn 12 [Gebäude]; Koblenz CuR 2007, 107, 108; OVG Münster BeckRS 2000, 17399 Rn 24; Böttcher notar 2012, 383, 384; Ganter WM 2002, 105, 106; Staud/Stieper Rn 12; BeckOGK/Mössner Rn 12.3; PWW/Völzmann-Stickelbrock Rn 2; Voß/Steinheber ZfIR 2012, 337, 338 [außer Generator]). Sie werden allerdings in der Praxis häufig Scheinbestandteile sein, entweder gem § 95 I 1 wobei str ist, ob dies nur dann gilt, wenn die Nutzungsdauer nicht länger ist als die Laufzeit des schuldrechtlichen Nutzungsvertrags (so etwa LG Flensburg WM 2000, 2112, 2113; Böttcher notar 2012, 383, 385; Pal/Ellenberger § 95 Rn 3; Ganter WM 2002, 105, 107f; Staud/Stieper § 95 Rn 11) oder ob die Vertragslaufzeit irrelevant ist (so überzeugend Schleswig WM 2005, 1909, 1911f; Derleder/Sommer ZfIR 2008, 325, 329; Peters WM 2002, 110, 118; Peters 2007, 2003, 2006; MüKo/Stresemann Rn 17, § 95 Rn 12; Voß/Steinheber ZfIR 2012, 337, 341) oder gem § 95 I 2 (vgl Böttcher notar 2012, 383, 385; Pal/Ellenberger § 95 Rn 3; Fedke WM 2011, 1932, 1936ff; Staud/Stieper Rn 12, § 95 Rn 20; MüKo/Stresemann Rn 17, § 95 Rn 33ff). Zu Offshore-Windkraftanlagen näher Böttcher notar 2012, 383, 387ff mwN. (bb) Bei Photovoltaikanlagen ist zu differenzieren: Dachintegrierte Anlagen sind idR wesentliche Bestandteile des Gebäudes iSd § 94 II (dazu noch unten Rn 13ff) (AG Nürnberg RdE 2009, 36), bei Aufdachanlagen kommt es auf die Festigkeit der Verbindung im Einzelfall an (Böttcher notar 2012, 383, 390; BeckOGK/Mössner Rn 12.3; Reymann DNotZ 2010, 84, 96; Reymann ZIP 2013, 605; Welsch/Woinar NotBZ 2014, 161, 162f; vgl auch Nürnberg MittBayNot 2017, 146, 148; LG Passau RNotZ 2012, 511, 512f; Oldenburg JurBüro 2013, 96; LG Heilbronn BeckRS 2014, 20445), ebenso auch bei Freiflächenanlagen (vgl Bamberg MDR 2012, 904f [ja bei Verankerung durch fest ins Erdreich gerammte Metallpfosten]; auch Böttcher notar 2012, 383, 391; Reymann ZIP 2013, 905). In der Praxis kommt aber häufig auch eine Scheinbestandteilsqualität gem § 95 I 1 oder 2 in Betracht, die Problematik ist hier ähnlich wie bei Windkraftanlagen, näher Böttcher notar 2012, 383, 391ff; Reymann DNotZ 2010, 84, 86ff; Reymann ZIP 2013, 605ff; Welsch/Woinar NotBZ 2014, 161, 162f). 3. Wesentliche Bestandteile eines Gebäudes (Abs II). a) Überblick. Gem § 94 II gehören zu den wesentlichen Bestandteilen eines Gebäudes (dazu Rn 14) – und damit qua § 94 I 1 Alt 1 (dazu oben Rn 6) auch des Grundstücks – die zur Herstellung des Gebäudes eingefügten (dazu Rn 15) Sachen. b) Gebäude. Der Begriff des Gebäudes (dazu oben Rn 6) ist im Rahmen des gesamten § 94 einheitlich zu verstehen (Pal/Ellenberger Rn 5; Staud/Stieper Rn 23; MüKo/Stresemann Rn 21). 232

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§ 94

c) Einfügung zur Herstellung. Zur Herstellung eingefügt sind alle Teile, ohne die das Gebäude nach der Verkehrsanschauung nicht fertiggestellt ist (BGH NJW 1984, 2277, 2278; NJW-RR 1990, 586, 587; MMR 2006, 29, 30; NJW-RR 2011, 1458 Rn 6; BGH BeckRS 2016, 116034 Rn 13). Dazu gehören nicht nur die Baumaterialien und -elemente, sondern auch Gegenstände, die zur Ausstattung oder Einrichtung des Bauwerks gehören, wenn nach der Verkehrsanschauung erst deren Einfügung dem Gebäude eine besondere Eigenart, ein bestimmtes Gepräge gibt (RG JW 1911, 532; RG 98, 198, 201; 150, 22, 26; JW 1932, 1200, 1201; BGH NJW 1955, 1180; 1970, 895, 896; 1984, 2277, 2278; 1987, 3187; NJW-RR 1990, 586, 587; MDR 2013, 329 Rn 11; BeckRS 2016, 116034 Rn 12). Eine feste Verbindung mit dem Gebäude ist hierfür nicht nötig (RG 60, 421, 423; 98, 198, 201; BGH NJW 1978, 1311; NJW-RR 2011, 1458 Rn 6; BeckRS 2016, 116034 Rn 12). Irrelevant ist zudem der Zeitpunkt der Einfügung, dh ob sie im Zusammenhang mit der Errichtung des Gebäudes bzw der erstmaligen Einfügung einer größeren Anlage oder erst später im Rahmen einer Erneuerung bzw eines Austauschs erfolgt (RG 158, 362, 367; BGH NJW 1970, 895, 896; MDR 2013, 329 Rn 11; Staud/Stieper Rn 28). Ferner braucht die Sache auch nicht zwingend komplett in das Gebäude selbst eingefügt zu werden; sondern es können – speziell bei Heizungsanlagen (dazu näher unten Rn 17) – auch Teile außerhalb des Gebäudes positioniert sein (BGH NJW-RR 1990, 158, 159; MDR 2013, 329 Rn 11). d) Einzelfälle. aa) Baumaterialien und -elemente. Zur Herstellung eingefügt sind zunächst die den Baukörper bildenden Baumaterialien und -elemente, insb Mauern, Wände, Böden, Decken, Treppen und Dach (BFH DStRE 1998, 312, 313; Staud/Stieper Rn 30; MüKo/Stresemann Rn 23; s ferner auch BGH NJW-RR 2016, 588 Rn 6 [Grenzwand]), zB auch in massive Giebelwände eingepasste Wellblechwände (RG SeuffA 63 Nr 127) oder auch ein Wintergarten (BGH BeckRS 2016, 116034 Rn 11 ff). Erfasst sind aber auch Türen (BFH DStRE 1998, 312, 313; BGH NJW 2014, 379 Rn 7 [Wohnungseingangstür]; Brandenburg BeckRS 2010, 31098; AG Essen r+s 1986, 188), Tore einer Halle (Stuttgart NJW-RR 2011, 669), Fenster (BFH DStRE 1998, 312, 313; Brandenburg BeckRS 2010, 31098; LG Lübeck NJW 1986, 2514) einschl Fensterläden (RG 60, 421, 422f; Hamburg MDR 78, 138), Rollläden (LG Memmingen Rpfleger 78, 101) und Jalousien (BFH BFH/NV 1989, 456; Dresden OLG 6, 215; Hamburg MDR 78, 138), Tapeten (KG NVersZ 1999, 336; LG Wuppertal BeckRS 2010, 10191; LG Essen BeckRS 2012, 10953; LG Bonn BeckRS 2014, 20483) und Wandmalereien (BFH DStRE 2004, 1207, 1208), nicht dagegen die Einfriedungsmauern des Grundstücks (Koblenz NJW-RR 2012, 277, 278). bb) Gebäudeausstattung. (1) Heizungs-, Belüftungs- und Klimaanlagen. Zur Herstellung eingefügt ist grds auch die (Zentral-)Heizungsanlage bei Wohngebäuden (BGH NJW 1953, 1180; 1970, 895, 896; NJW-RR 1990, 158, 159; MDR 2013, 329 Rn 11), und zwar sowohl solche Teile, die im Zusammenhang mit dem Ersteinbau in das Gebäude eingefügt werden, als auch solche, deren Einbau erst im Zusammenhang mit einer Renovierung oder einem Austausch der Heizanlage erfolgt (BGH NJW 1970, 895, 896; MDR 2013, 329 Rn 11). Das gilt auch im Falle eines Blockheizkraftwerks (LG Itzehohe ZWE 2012, 182, 183; FG Rh-Pf DStRE 2016, 200, 202; Suilmann ZWE 2014, 302, 304). Erfasst sind ferner nicht nur Aggregate, die in das Gebäude selbst eingefügt werden, sondern auch außerhalb desselben aufgestellte (BGH NJW-RR 190, 158, 159 [Wärmepumpe]; MDR 2013, 329 Rn 11 [ins Erdreich vergrabener Öltank]). Gleiches gilt für die Heizungsanlage in einer Schule (BGH NJW 1979, 712; Hamm NZM 2005, 158), einem Schwimmbad (Frankfurt CuR 2009, 65), einem Kino (LG Bochum MDR 66, 48) oder Büro- (LG Itzehoe ZWE 2012, 182) und Fabrikgebäuden (Hamm MDR 75, 488; LG Itzehoe ZWE 2012, 182), aber auch in modernen Stallanlagen (BGH BeckRS 1987, 31065834; BFH DStR 2010, 2240 Rn 22). Zur Herstellung eingefügt sind ferner auch Belüftungsanlagen in Hotels (Stuttgart NJW 1958, 1685), Gaststätten (Hamm NJW-RR 1986, 376), Stall- bzw Mastanlagen (BGH BeckRS 1987, 31065834; BFH DStR 2010, 2240 Rn 22) oder Produktionshallen (Hamm BeckRS 2005, 05439). Kein wesentlicher Bestandteil sind hingegen zusätzliche Heizgeräte/-anlagen, die zur bestimmungsgemäßen Nutzung des Gebäudes nicht erforderlich sind (Celle NJW 1958, 632; LG Köln BeckRS 2011, 23631). (2) Sanitäre Anlagen. Zur Herstellung eingefügt sind Badewanne (RG HRR 1929 Nr 1298; RG WarnR 1933 Nr 21; RFH JW 1922, 238; BGH NZM 2017, 224 Rn 24; Braunschweig NdsRpfl 55, 193; LG Berlin BeckRS 1985, 30885320), Dusche (BGH NZM 2017, 224 Rn 24), Waschbecken (RG HRR 1929 Nr 1298; RG WarnR 1933 Nr 21; Braunschweig NdsRpfl 55, 193; LG Berlin BeckRS 1985, 30885320) und Toilette (RG WarnR 1933 Nr 21; BGH NZM 2017, 224 Rn 24; LG Berlin BeckRS 1985, 30885320), nicht hingegen Spiegel oder Waschunterschränke (Hamm MDR 2005, 1220). (3) Bodenbeläge. Teppichboden ist nicht nur dann zur Herstellung eingefügt, wenn er verklebt wurde, sondern auch wenn er nur zugeschnitten und lose verlegt wurde (Köln NJOZ 2003, 1011, 1012; LG Köln NJW 1979, 1608; LG Oldenburg VersR 1988, 1285; AG Karlsruhe NJW 1978, 2602; AG Nördlingen VersR 1983, 721; AG Charlottenburg r+s 1990, 350; vgl auch KG NVersZ 1999, 336; LG Frankenthal VersR 1978, 1106; LG Essen BeckRS 2012, 10953; FG München BeckRS 2002, 21010579; aA LG Hamburg VersR 1979, 131); etwas anderes gilt nur, wenn er auf bewohnbarem Untergrund (zB Parkett) lose verlegt wurde (München NJWE-VHR 1996, 202; Köln NJOZ 2003, 1011, 1012; LG Oldenburg VersR 1988, 1285). Zur Herstellung eingefügt ist auch Parkett (FG Brandenburg BeckRS 1997, 31026513) sowie Linoleum (FG Köln EFG 2003, 1645 Rn 19; EllenbergerBeckOK/Fritzsche Rn 20; soweit dies von München SeuffA 74 Nr 157 und Hamburg OLGE 45, 110 verneint wurde, beruht dies maßgeblich darauf, dass das Linoleum auf bewohnbarem Untergrund verlegt war). (4) Einbaumöbel. Einbaumöbel sind zur Herstellung eingefügt, wenn sie an bestimmten Stellen fest eingepasst und mit dem umgebenden Mauerwerk vereinigt sind (BGH NJW-RR 1989, 1045, 1047; BFH DStRE 1998, 312, 313f; ThürFG BeckRS 1997, 14823; FG Sachsen-Anhalt BeckRS 2003, 26020102); nicht dagegen eine aus serienJ. Schmidt

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mäßigen Teilen hergestellte Schrankwand (Schleswig NJW-RR 1988, 1459, 1460) oder Schranktrennwand als Raumteiler (Düsseldorf OLG 1988, 115; Köln NJW-RR 2000, 697). (5) Einbauküchen. Bei Einbauküchen ist maßgeblich, ob im konkreten Einzelfall die allg Anforderungen bzgl der „Einfügung zur Herstellung“ (dazu oben Rn 15) erfüllt sind, wobei bzgl der Verkehrsanschauung auch regionale Spezifika zu berücksichtigen sind (BGH NJW-RR 1990, 914, 915; BFH DStR 2016, 2846 Rn 16). § 94 II ist insb erfüllt, wenn die Einbauküche speziell für einen bestimmten Raum angefertigt wurde, selbst wenn dabei serienmäßige Einbaugeräte verwendet wurden (Karlsruhe NJW-RR 1988, 459, 460; Zweibrücken NJW-RR 1989, 84; Hamm MDR 1990, 923; Saarbrücken VersR 1996, 97; Nürnberg NJW-RR 2002, 1485, 1486; Schleswig BeckRS 2012, 18626; AG Linz am Rhein ZMR 1996, 269, 271; Staud/Stieper Rn 35; BeckOGK/Mössner Rn 28.1; MüKo/Stresemann Rn 30). Bei Standardeinbauküchen aus seriengefertigten Teilen wird § 94 II dagegen idR verneint (BGH NJW 2009, 1078 Rn 13; Karlsruhe NJW-RR 1988, 459, 460; Saarbrücken VersR 1996, 97; Nürnberg NJW-RR 2002, 1485, 1486; Schleswig BeckRS 2012, 18626). Anders als früher teils speziell im norddeutschen Raum angenommen (so etwa Hamburg MDR 1978, 138), besteht auch keine Verkehrsanschauung dahin, dass ein Gebäude ohne Einbauküche nicht fertiggestellt ist (vgl Karlsruhe NJW-RR 1988, 459, 460; Frankfurt ZMR 1988, 136; Hamm NJW-RR 1989, 333; KG BauR 1991, 484, 485; Düsseldorf NJW-RR 1994, 1039; Saarbrücken VersR 1996, 97; Hamm FamRZ 1998, 1028; LG Siegen WE 2007, 65; AG Göttingen NJW-RR 2000, 1722; FG Schl-Holst BeckRS 1998, 15020; Schleswig BeckRS 2012, 18626). (6) Sonstige Ausstattung. Als zur Herstellung eingefügt angesehen wurde ferner zB: Markise (Hamburg MDR 1978, 138; Schleswig BeckRS 2012, 18626; BFH 159, 303; aA FG Brandenburg EFG 1998, 777; FG Köln EFG 2003, 1645); Alarmanlage (BFH DStR 2000, 132, 133f; Hamm NJW-RR 1989, 923, 924); nicht hingegen zB: Beleuchtungsanlagen und -körper (RG JW 1909, 130; 1917, 809, 810; Köln HRR 1932 Nr 1029); Sauna (Koblenz JurBüro 2004, 506; LG Lübeck JurBüro 2004, 505); Bar oder Kletterwand in einem Wohnhaus (BGH NJW-RR 1989, 1045, 1047). cc) Einrichtungen des Gebäudes. Die Eigenschaft als betriebswirtschaftliche Ausrüstung begründet für sich noch keine „Einfügung zur Herstellung“ iSd § 94 II (BGH MDR 1974, 298; MüKo/Stresemann Rn 33). Vielmehr gelten auch insoweit die allg Regeln (dazu oben Rn 15). Insb Maschinen sind grds nur dann wesentliche Bestandteile, wenn sie speziell für das Gebäude angefertigt wurden, das Gebäude gerade zur Aufnahme dieser Maschine konstruiert wurde oder Gebäude und Maschine besonderes aneinander angepasst sind (RG 67, 30, 34; JW 1911, 532f; RG 130, 264, 266; BGH WM 1987, 47; Hamm BeckRS 2005, 30353137; Pal/Ellenberger Rn 6; Staud/Stieper Rn 27; MüKo/Stresemann Rn 33). Als zur Herstellung eingefügt qualifiziert wurden ua: Maischwerk mit Pumpe eines Sudhauses (München JW 1937, 329); Squash-Courts einer Squash-Anlage (München OLGZ 1989, 335); speziell eingepasste Tresenanlage einer Gaststätte (Schleswig MDR 1995, 1212); automatische Fütterungs- und Tränkanlage in Stall-/Mastanlage (BGH BeckRS 1987, 31065834; BFH DStR 2010, 2240 Rn 22); maschinelle Einrichtung eines E-Werks (BayObLG MittBayNot 1999, 310, 311 [gem § 93]); Lastenfahrstuhlanlage eines Fabrikgebäudes (BFH BB 1978, 186); Aufzug eines Hotels (RG 90, 198, 200f); Notstromaggregat eines Hotels (BFH NJW 1987, 3178) oder einer Disco (Saarbrücken NJW-RR 2001, 1632); Videoüberwachungsanlage eines Einkaufszentrums (Schleswig SchlHA 2006, 76); Geschirrspülband, Tauchbecken, Abflusssiebe und ggf Geschirrspülmaschine im Falle einer Spülküche eines Krankenhauses (LAG Saarland BeckRS 2016, 68631 Rn 49); Gepäckförderbandanlage eines Flughafengebäudes (Frankfurt BeckRS 2017, 102016 Rn 8). Nicht hingegen: maschinelle Kühlanlage eines Hotels (RG JW 1932, 1901); Ladeneinrichtung einer Bäckerei (LG Aachen NJW-RR 1987, 272); Bierschankanlage einer Gaststätte (Celle MDR 1998, 463); Kegelbahn einer Gaststätte (BGH BB 1954, 456); Glocke einer Kapelle (BGH NJW 1984, 2277, 2278); Lokomobile in Fabrikhalle (RG JW 1911, 532f); Druckmaschinen in Druckereigebäude (RG 67, 30, 34); Dampferzeuger in einer Fabrik (BGH WM 1987, 47; Oldenburg NJW 1962, 2158); Brückenkrananlage in einer Produktionshalle (Hamm BeckRS 2005, 30353137); Kreisförderanlage einer Bonbonfabrik (BGH BauR 1972, 379). e) Schiffe und Luftfahrzeuge. aa) Schiffe. Für eingetragene Schiffe, die rechtlich weitgehend wie Immobilien behandelt werden, gilt § 94 II analog (BGH NJW 1958, 457; Bremen BeckRS 2004, 30348140; vgl auch bereits RG 152, 91, 97); wesentliche Bestandteile sind daher etwa der Schiffsmotor (BGH NJW 1958, 457), Schiffsketten (LG Hamburg MDR 1955, 413); Lukendeckel eines Containerhochseeschiffs (Bremen OLGRp 2005, 248). Bei nicht eingetragenen Schiffen gilt § 94 II nicht analog, hier ist allein § 93 maßgeblich (Staud/Stieper Rn 38; BeckOGK/Mössner Rn 31; MüKo/Stresemann Rn 36). bb) Luftfahrzeuge. Auf eingetragene Luftfahrzeuge ist § 94 II hingegen nach zutreffender hM nicht analog anwendbar, da diese gem § 98 I 1 LuftFzgG wie bewegliche Sachen übereignet werden (Elbing ZLW 1995, 387ff; Pal/Ellenberger Rn 5; BeckOK/Fritzsche Rn 23; Staud/Stieper Rn 39; BeckOGK/Mössner Rn 32; Schmalenbach/ Sester WM 2009, 725, 726; Schölermann/Schmid-Burgk WM 1990, 1137, 1143f; MüKo/Stresemann Rn 37; vgl auch BT-Drs 16/11130, 40; aA Soergel/Marly Rn 21). 4. Rechtliche Bedeutung. Zur rechtlichen Bedeutung der Qualifikation als wesentlicher Bestandteil s § 93 Rn 11ff. Im Versicherungsrecht kann der Begriff der „wesentlichen Bestandteile“ zwar deckungsgleich mit demjenigen der §§ 93f sein, muss es aber nicht; maßgeblich ist letztlich der Sinnzusammenhang der jew Versicherungsbedingungen (BGH NJW-RR 1992, 793; 1994, 1300, 1301; Köln NJW-RR 2000, 697; AG München r+s 2010, 424; Pal/Ellenberger § 93 Rn 4; Staud/Stieper Rn 40; MüKo/Reiff AVB Rn 85; MüKo/Stresemann Rn 39). Relevant werden kann der Begriff des „wesentlichen Bestandteils“ auch im Steuerrecht; so verweist etwa § 2 I 1 234

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Sachen und Tiere

§ 95

GrEStG auf §§ 93f (vgl dazu Boruttau/Viskorf § 2 GrEstG Rn 26ff mwN); ertragssteuerlich sind aber zB Betriebsvorrichtungen auch dann selbständige bewegliche Wirtschaftsgüter, wenn sie nach §§ 93f Bestandteil des Grundstücks sind (vgl BFH DStR 2010, 2240 Rn 37).

§ 95

Nur vorübergehender Zweck

(1) Zu den Bestandteilen eines Grundstücks gehören solche Sachen nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sind. Das Gleiche gilt von einem Gebäude oder anderen Werk, das in Ausübung eines Rechts an einem fremden Grundstück von dem Berechtigten mit dem Grundstück verbunden worden ist. (2) Sachen, die nur zu einem vorübergehenden Zweck in ein Gebäude eingefügt sind, gehören nicht zu den Bestandteilen des Gebäudes. 1. Überblick und Ratio. § 95 normiert zwei Ausnahmetatbestände, in denen trotz Vorliegens der Voraussetzungen von §§ 93, 94 keine wesentliche Bestandteile, sondern nur ein sog Scheinbestandteile vorliegen. Dies ist zum einen der Fall, wenn die Verbindung nur zu einem vorübergehenden Zweck erfolgt (§ 95 I 1, II, dazu Rn 2ff), denn dann mangelt es am inneren Moment der beabsichtigen Zusammengehörigkeit (vgl Mot III, 48); zum anderen dann, wenn die Verbindung in Ausübung eines Rechts an einem fremden Grundstück von dem Berechtigten erfolgt (§ 95 I 2, dazu Rn 9ff), denn dann sind die Sachen nicht dem Grundstück, sondern akzessorisch dem Recht zuzuordnen (Mot III, 48). Die hiermit verbundene Einschränkung der Publizität wird vom Gesetz im Interesse der Verfügbarkeit über diese Sachen bewusst in Kauf genommen (BGH NJW 2006, 990, Rn 27). 2. Verbindung zu vorübergehendem Zweck (§ 95 I 1, II). a) Grundsätze. aa) Vorübergehender Zweck. Zu einem vorübergehenden Zweck geschieht die Verbindung, wenn die spätere Wiedertrennung von Anfang an beabsichtigt oder mit Sicherheit erwartet wird, wenn auch erst nach langer Dauer (RG 63, 416, 421; BGH NJW 1960, 1003; MDR 1974, 298; Schleswig NZM 2013, 877, 879). Maßgeblich ist der Wille des Einfügenden im Zeitpunkt der Verbindung, der aber mit dem nach außen in Erscheinung tretenden Sachverhalt in Einklang zu bringen sein muss, dh sein objektivierbarer, dem normalen Lauf der Dinge entsprechender Wille (RG 153, 232, 231; 158, 362, 376; BGH NJW 1968, 2331; 1984, 2878, 2879; 1988, 2789, 2790; NJW-RR 1991, 1367, 1368; ZIP 1999, 75; NJW 2000, 1031, 1032; 2012, 778, Rn 39). Ob und ggf welchen vertraglichen Regelungen er sich unterworfen hat, ist grds ebenso irrelevant (BGH ZIP 1999, 75; NJW 2012, 778 Rn 39) wie die Art und Festigkeit der Verbindung, dh insb steht auch eine massive Bauweise oder besonders feste Verbindung nicht entgegen (vgl Staud/Stieper Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 3; vgl auch BGH NJW 1953, 137; 1956, 1273, 1274; 1959, 1487; VIZ 1998, 582, 583; NJW 1984, 2878, 2879; BeckRS 2013, 04611, Rn 13). Zu verneinen ist ein nur vorübergehender Zweck dagegen im Falle einer Lieferung unter Eigentumsvorbehalt, denn der Parteiwille geht hier ja gerade auf den Eigentumserwerb mit vollständiger Zahlung (RG 63, 416, 421f; BGH NJW 1970, 895, 896); ein dauerhafter Zweck liegt ferner vor, wenn der Verbindende die Erwartung hatte, das Eigentum oder Erbbaurecht an dem Grundstück zu erwerben (BGH DNotZ 1973, 471, 472; NJW 1988, 2789, 2790; 2008, 69, Rn 77). bb) Relevanz der Person des Verbindenden. Wer die Verbindung vornimmt und ob er dazu berechtigt war ist, ist grds irrelevant; die in § 785 I E vorgesehenen Einschränkungen („von einem anderen als dem Eigentümer … befugter Weise“) sind gerade nicht in die endgültige Gesetzesfassung übernommen worden (Staud/Stieper Rn 13; BeckOGK/Mössner Rn 22; MüKo/Stresemann Rn 4; aA Giesen AcP 202, 689, 706). Sofern die Verbindung jedoch in Ausübung eines zeitlich begrenzten Nutzungsrechts erfolgt, spricht eine Vermutung für einen nur „vorübergehenden Zweck“, so insb im Falle der Verbindung durch den einen Mieter, Pächter oder ähnlich schuldrechtlich Berechtigten (RG 55, 281, 284; 87, 43, 51; BGH NJW 1953, 137; 1984, 2878, 2879; VIZ 2003, 391, 392; BeckRS 2013, 04611, Rn 13). Eine „ähnliche Berechtigung“ wurde zB bejaht bei einer GbR (BGH NJW 1959, 1489), sie kann sich aber auch aus dem öffentlichen Recht ergeben (BGH NJW 1953, 137 [öffentlich-rechtl Anordnung]; Koblenz Justiz 1978, 276 [Bahnkonzession]; Frankfurt NJW 1984, 2303, 2304 [Grenzsteinsetzung]; Rostock BeckRS 2012, 01534 [„Interessengemeinschaft“ nach DDR-Kommunalrecht]). Entkräftet ist diese Vermutung erst dann, wenn der Verbindende bei der Einbringung den Willen hat, die Sache bei Beendigung des Vertrags- bzw sonstigen Verhältnisses in das Eigentum des anderen Teils bzw eines dritten Grundstückseigentümers fallen zu lassen (BGH NJW 1953, 137, 138; 1984, 2878, 2879; VIZ 2003, 391, 392; BeckRS 2013, 04611, Rn 13). So etwa, wenn er in der Erwartung handelt, einen langfristigen Miet-, Pacht- oder Leasingvertrag mit einer Übernahme des Gebäudes bzw der Anlage durch den Vermieter/Verpächter/Leasinggeber abzuschließen (BGH WM 1973, 560, 562; NJW 1988, 2789, 2790; ZIP 1999, 75); ausreichend ist insoweit auch, dass dem Vermieter/Verpächter die Übernahme nach Ablauf der Vertragszeit nur freigestellt ist, er also insoweit ein Wahlrecht hat (RG JW 1937, 2265; BGH WM 1958, 564; 1964, 426, 427; 1971, 822, 824; NJW 1985, 789; Koblenz CuR 2007, 107, 108; Schleswig NZM 2013, 877, 879; Frankfurt BeckRS 2014, 20060 Rn 70). Kein nur vorübergehender Zweck liegt ferner vor, wenn der Mieter/Pächter in der Erwartung handelt, später das Eigentum oder Erbbaurecht am Grundstück zu erwerben (s oben Rn 2 aE). cc) Nachträgliche Änderungen. (1) Umwandlung von Scheinbestandteil in wesentlichen Bestandteil. Die bloße nachträgliche Änderung der ursprünglichen Zweckbestimmung durch den Verbindenden genügt für sich allein nicht zur Umwandlung eines Schein- in einen wesentlichen Bestandteil (BGH NJW 1957, 457). Hierzu bedarf es vielmehr einer dinglichen Einigung analog § 929 S 2, dass mit dem Übergang des Eigentums zugleich der Zweck J. Schmidt

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der Verbindung geändert und die bisher rechtlich selbstständige Sache künftig ein Bestandteil des Grundstücks sein soll (BGH NJW 1957, 457; 1959, 1487, 1488; 1987, 774; 2004, 1237f; 2006, 990, Rn 16; VGH Kassel NVwZRR 2015, 855 Rn 8; aA Giesen AcP 202, 689, 715ff). (2) Umwandlung von wesentlichen in Scheinbestandteil. Str ist hingegen der umgekehrte Fall: Der BGH hat in einem Versorgungsleitungen betreffenden Fall entschieden, dass eine Umwandlung eines wesentlichen in einen Scheinbestandteil ebenfalls durch eine dingliche Einigung analog § 929 S 2 möglich ist, dass mit dem Übergang des Eigentums zugleich der Zweck der Verbindung geändert und der bisherige wesentliche Bestandteil zu einer rechtlich selbständigen Sache wird, ohne dass es hierfür einer physische Trennung vom Grundstück bedarf (BGH NJW 2006, 990; ihm folgend BFH NZM 2007, 611, 612; Celle NJOZ 2007, 4202; CuR 2009, 150; München NJOZ 2012, 248, 249; VGH München BeckRS 2012, 51916, Rn 7; Derleder/Sommer ZfIR 2008, 325, 329; Pal/Ellenberger Rn 4; Klemm CuR 2006, 1, 6ff; BeckOGK/Mössner Rn 15, 15.1; Peters WM 2007, 2003, 2007f; NK/Ring Rn 31; Wicke DNotZ 2006, 252, 265f; ebenso auch bereits KG NJW-RR 2006, 301, 302; Brüning VIZ 1997, 398, 403). Im Schrifttum wird diese Entscheidung allerdings speziell im Hinblick auf die damit verbundene Einschränkung des Publizitätsprinzips heftig kritisiert (vgl Böttcher notar 2012, 383, 386; BeckOK/Fritzsche Rn 17; Ganter WuB IV A. § 95 BGB 2.06; Hertel MittBayNot 2006, 321, 322f; Staud/Stieper Rn 15; Kesseler ZNotP 2006, 251, 252ff; Kesseler ZNotP 2007, 330ff; Stieper WM 2007, 861, 867; MüKo/Stresemann Rn 14ff; Reymann DNotZ 2010, 84, 93ff; Tersteegen RNotZ 2006, 433, 437; Voß/Steinheber ZfIR 2012, 337, 344); ihre Reichweite wird denn auch teils allein auf den spezifischen Bereich der Versorgungsleitungen beschränkt (vgl Böttcher notar 2012, 383, 386; Hertel MittBayNot 2006, 321, 322; Reymann DNotZ 2010, 84, 93; Stieper WM 2007, 861, 867; MüKo/Stresemann Rn 14ff; Voß/Steinheber ZfIR 2012, 337, 343f; etwas weiter BeckOK/Fritzsche Rn 17; offenlassend München NJOZ 2012, 248, 249). Diese Kritik ist allerdings nicht gerechtfertigt, denn wie der BGH zutreffend betont, hat sich der Gesetzgeber im Rahmen des § 95 ganz bewusst dafür entschieden, das sachenrechtliche Publizitätsprinzip im Interesse der Verfügbarkeit über diese Sachen einzuschränken (vgl BGH NJW 2006, 990 Rn 27; s auch oben Rn 1; vgl auch Peters WM 2007, 2003, 2007f). Entgegen einer verbreiteten Lesart des Urteils (vgl etwa Celle NJOZ 2007, 4202; CuR 2009, 150; Pal/Ellenberger Rn 4; Kesseler ZNotP 2006, 251, 252; Kesseler ZNotP 2007, 330, 331f; Reymann DNotZ 2010, 84, 93; Reymann ZIP 2013, 605, 607; Schweizer WuM 2006, 415ff; Voß/Steinheber ZfIR 2012, 337, 343; Wicke DNotZ 2006, 252, 265f) besteht auch kein zusätzliches Erfordernis eines „berechtigten Interesses“ (idS auch BFH NZM 2007, 611, 612; VGH München BeckRS 2012, 51916 Rn 7); die diesbezüglichen Ausführungen des BGH in Rn 25ff beziehen sich vielmehr auf die bereits erwähnte in § 95 zum Ausdruck kommende Wertung, dem Interesse an der Verfügbarkeit der Sache Vorrang vor dem Publizitätsprinzip einzuräumen. (3) Sonderfall: Eigentumsvereinigung. Im Falle der Vereinigung von Eigentum am Grundstück und am Scheinbestandteil in einer Hand ist idR anzunehmen, dass nunmehr der „vorübergehende Zweck“ entfällt und die Sache damit ex lege zum wesentlichen Bestandteil wird; im Einzelfall kann aber auch ein anderer Wille des Eigentümers bestehen (RG 97, 102, 105; BGH WM 1971, 822, 824; NJW 1980, 771, 772). (4) Anbau. Errichtet der Eigentümer eines Gebäudes, das nur Scheinbestandteil ist, einen Anbau, so wird dieser selbst dann, wenn seine feste Verbindung mit dem Grundstück auf Dauer gewollt ist, nicht dessen wesentlicher Bestandteil, sondern bildet zusammen mit dem Altbau einen einheitlichen Scheinbestandteil (BGH LM Nr 7 zur PreisstopVO; BGH NJW 1987, 774; Köln NJWE-MietR 1996, 199, 200; Koblenz MDR 1999, 1059, 1060). Umgekehrt ist § 95 I 1 nicht anwendbar, wenn ein bei einem Altgebäude, das wesentlicher Bestandteil ist, ein An- oder Umbau erfolgt; dies kann nicht dazu führen, dass dieses Altgebäude nun zu einem Scheinbestandteil wird; denkbar ist lediglich, dass die verwendeten Baumaterialien nur Scheinbestandteile sind (BGH VIZ 1998, 582, 583). b) Kasuistik. aa) Scheinbestandteile iSd § 95 I 1. § 95 I 1 wurde ua in folgenden Fällen bejaht: Vom Mieter/ Pächter errichtete Gebäude, zB Fabrikgebäude mit Verpflichtung zum Abriss nach Ablauf der Pachtzeit (RG 59, 20); landwirtschaftliche Maschinenhalle (Celle RdL 2005, 37); Ladengebäude (BGH NJW 1996, 916); Wohnhaus (LG Hamburg BB 1955, 940); Holzhaus (BGH NJW 1984, 2878); Gartenhaus (BGH NJW 1987, 774; Hamm NJW-RR 2009, 440); Baulichkeiten eines Kleingartenpächters (BGH BeckRS 2013, 04611 Rn 13; AG Brandenburg BeckRS 2017, 101433); zweigeschossiger Lagerschuppen (LG Stuttgart DGVZ 2003, 153); Jagdhütte (LG Landau BeckRS 2002, 16827); Bootsanlage (BGH NJW 2007, 2182 Rn 14; Naumburg NJ 2001, 652); vom Mieter/ Pächter errichtete Tankstellenanlagen (Düsseldorf VersR 1993, 316; Hamburg BeckRS 1999, 17043; Düsseldorf NZM 2009, 242; Brandenburg BeckRS 2009, 15965) oder Silos (Brandenburg BeckRS 2011, 27418); in Ausübung einer öffentlich-rechtl Anordnung errichtetes Behelfsheim (BGH NJW 1953, 137); in Ausübung einer „Interessengemeinschaft“ nach DDR-Kommunalrecht errichtete Gaststätte und Schuppen (Rostock BeckRS 2012, 01534); aufgrund Nutzungsvereinbarung errichtete Slipanlage einer Werft (OVG Bremen NJW-RR 1986, 955); vom Mieter/Pächter angepflanzte Bäume/Pflanzen (RG 105, 213, 215 [Gärtnerei]; BGH BeckRS 2013, 04611 Rn 13 [Kleingartenpächter]; AG Oldenburg DGVZ 1988, 79 [Obstplantage]; anders aber Düsseldorf 1998, 1020 [vom Mieter gepflanzte Rhododendronsträucher]; Brandenburg BeckRS 2010, 10404 [vom Pächter als dauerhafte Einnahmequelle gepflanzte Rosenstöcke]; LG Detmold NZM 2014, 434 [vom Mieter als Sichtschutz gepflanzte Thujahecke]); Pflanzen/Bäume einer Gärtnerei/Baumschule (RGZ 66, 88, 90; 105, 213, 215; LG Bayreuth DGVZ 1985, 42; Hamm NJW-RR 1992, 1438, 1439); Mobilheim als Ferienhaus auf einem Campingplatz (Koblenz MDR 1999, 1059); vom Mieter auf einen Campingstellplatz verbrachter Wohnwagen mit winterfestem Vorbau samt Zubehör (Bamberg BeckRS 2015, 15289 Rn 4); Baugerüst (RG WarnR 1910 Nr. 154); Grabstein (BGH JR 1977, 367f; Köln OLG 1993, 113; LG Braunschweig NJW-RR 2001, 715); historischer Grenzstein (Frankfurt NJW 1984, 2303, 236

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2304); von der Stadt am Eingang zur Fußgängerzone aufgestellte Skulptur (Zweibrücken NJW 2016, 821 Rn 34); Kinderschaukel und Sandkasten (BGH NJW 1992, 1101, 1102; AG Hamburg-Blankenese ZMR 2004, 223); vom Käufer errichteter, relativ leicht versetzbarer Streckmetallzaun im Falle der Nichtigkeit des Kaufvertrags (Hamm 10.5.1999 – 22 U 52/98); Bunkerbauten des „Westwalls“ (BGH NJW 1956, 1273). Verneint wurde § 95 I 1 dagegen ua in folgenden Fällen: vom Ehemann auf einem der Ehefrau gehörenden Grundstück errichtete Laube (Brandenburg BeckRS 2009, 01225); Nebengebäude, das ein Versorgungsunternehmen teilw als Trafostation nutzt (Köln NJW-RR 1991, 99, 100); Luftschutzstollen (BGH NJW 1960, 1003); Bunkergang (VG Schleswig BeckRS 2016, 113637); auf Nachbargrundstück zur Abstützung des eigenen aufgeschüttetes Erdreich (OVG Münster BauR 2012, 1237); s ferner die in Rn 2, 3 zitierten Fälle. Zu Leitungen s § 94 Rn 11; EEG-Anlagen s § 94 Rn 12. bb) Scheinbestandteile iSd § 95 II. § 95 II wurde ua in folgenden Fällen bejaht: für die Dauer eines Wärmelieferungsvertrags errichtete Heizungsanlagen (Brandenburg BeckRS 2008, 23473; Düsseldorf RNotZ 2008, 24, 25; Brandenburg CuR 2009, 59; Frankfurt CuR 2009, 65); von einer Bank in gemieteten Räumen installierter Tresor (Jena JW 1933, 924); vom Mieter installierte Einbauküche (Celle NJW-RR 1989, 913, 914; Koblenz ZMR 1993, 66; LG Berlin NJW-RR 1997, 1097), Telefonanlage (LG Mannheim JW 1937, 3305) oder Kunstinstallation (BeckRS 2016, 05002 Rn 21); verneint dagegen ua bei Einrichtungsgegenständen einer Arztpraxis in einem Ärztehaus, das auf Dauer so genutzt werden sollte (Brandenburg BeckRS 2010, 31098); vom Mieter/Pächter in Ausübung einer Instandhaltungspflicht eingefügte Sachen (RG WarnR 1913 Nr 39; BFH BB 1994, 33, 34). 3. Verbindung in Ausübung eines Rechts (§ 95 I 2). a) Anwendungsbereich. Gem § 95 I 2 sind Gebäude oder andere Werke, die in Ausübung eines Rechts an einem fremden Grundstück von dem Berechtigten mit dem Grundstück verbunden werden, nur Scheinbestandteile; Verbindung mit dem Grundstück erfasst dabei auch die Verbindung mit einem Gebäude, das dessen wesentlicher Bestandteil ist (RG 106, 49, 51). b) Gebäude und andere Werke. Der Begriff Gebäude entspricht dem des § 94 (dazu § 94 Rn 6) (vgl BeckOK/ Fritzsche Rn 11; Staud/Stieper Rn 17). Andere Werke sind einem bestimmten Zweck dienende, nach gewissen Regeln der Kunst oder der Erfahrung unter Verbindung mit dem Erdkörper hergestellte Gegenstände (RG 60, 138, 139; 76, 260, 261; BGH NJW 1961, 1670, 1672). Als solche qualifiziert wurden zB ein Bahndamm (RG JW 1908, 196), ein Stauwehr (RG LZ 1928, 1327) oder ein Baugerüst (RG WarnR 1910 Nr. 154). c) Recht an einem fremden Grundstück. aa) Rechte iSd § 95 I 2 sind nur dingliche Rechte (BGH LM Nr 16 zu § 95; Schleswig WM 2005, 1909, 1912; Koblenz CuR 2007, 107, 108; Brandenburg BeckRS 2009, 05895). Erfasst sind zB Nießbrauch (RG 106, 49, 50; BGH LM Nr 2 zu § 95; Celle MDR 1952, 744; BFH NJW-RR 1990, 1034), Grunddienstbarkeit (Köln NJW-RR 1993, 982f; München OLGRp 2000, 332; Stuttgart FGPrax 2011, 285; BWNotZ 2012, 39, 41), beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Hamburg OLGRp 1999, 362; München OLGRp 2000, 332; Schleswig WM 2005, 1909, 1912); ferner an sich auch das Erbbaurecht, aufgrund eines solchen errichtete Gebäude und andere Werke gelten jedoch schon gem § 12 ErbbauRG als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts (vgl Staud/Stieper Rn 18, 24; MüKo/Stresemann Rn 24). § 95 I 2 gilt ferner analog beim rechtmäßigen bzw entschuldigten Überbau (dazu § 94 Rn 7f). bb) Gleichgestellt sind öffentlich-rechtl gewährte Rechte, sofern sie quasi-dinglichen Charakter haben, dh einem dinglichen Recht gleichstehen (BGH BB 1955, 335; LM Nr 16 zu § 95). Dies ist insb der Fall bei den öffentlich-rechtl Befugnissen zur Verlegung von Ver-/Entsorgungsleitungen für Wasser/Abwasser (§ 8 AVBWasserV), Strom (§ 12 NAV), Gas (§ 12 NDAV), Fernwärme (§ 8 AVBFernwärmeV) (BeckOK/Fritzsche Rn 14; Staud/Stieper Rn 20; BeckOGK/Mössner Rn 29.1; MüKo/Stresemann Rn 26f) sowie Telekommunikationsleitungen gem § 76 TKG (Stuttgart BeckRS 2012, 21818; VGH Mannheim BeckRS 2013, 53556; BeckOK/Fritzsche Rn 14; BeckOGK/Mössner Rn 29.1; MüKo/Stresemann Rn 29; vgl auch BGH NJW-RR 2004, 231 zu § 57 TKG aF). d) Verbindung in Ausübung des Rechts durch den Berechtigten. aa) „In Ausübung“ bedeutet nicht, dass Inhalt und Zweck des Rechts gerade auf die Verbindung gerichtet ist, sondern nur, dass sie in rechtmäßiger Ausübung eines Rechts, das derartiges gestattet, erfolgt (RG 106, 49, 50). Die Ausübung muss zudem nicht zwingend unmittelbar durch den Berechtigten selbst erfolgen, sondern es genügt, wenn der Verbindende von diesem hierzu ermächtigt ist, zB als Mieter/Pächter eines Nießbrauchers (BGH LM Nr 2 zu § 95); nicht ausreichend ist hingegen ein Handeln eines Nichtberechtigten, zB im Wege der GoA (BGH LM Nr 2 zu § 95). bb) Das Recht muss tatsächlich existieren; § 95 I 2 greift nicht, wenn der Verbindende dies nur irrig annimmt (BGH LM Nr 14 zu § 951; Stuttgart BWNotZ 2012, 39, 41). Nach zutreffender hM ist jedoch nicht erforderlich, dass das Recht im Zeitpunkt der Verbindung bereits eingetragen ist (so aber etwa Goecke/Gamon WM 2000, 1309, 1312; Rastätter BWNotZ 1986, 79, 80f; wohl auch Klemm CuR 2006, 1, 8), sofern es später überhaupt eingetragen wird; es genügt vielmehr, dass die Bestellung zu diesem Zeitpunkt bereits in Aussicht genommen ist (BGH LM Nr 14 zu § 951; Breslau DJ 1938, 380; Hamburg OLGRp 1999, 362, 364; Schleswig WM 2005, 1909, 1912; Brandenburg BeckRS 2009, 15965; Pal/Ellenberger Rn 5; BeckOK/Fritzsche Rn 15; MüKo/Stresemann Rn 33; wohl nun auch Peters WM 2007, 2003, 2005). Dass bereits ein Anwartschaftsrecht besteht (dies fordernd etwa Derleder/Sommer ZfIR 2008, 325, 328f; Staud/Stieper Rn 21; Hagen CuR 2010, 44, 45; BeckOGK/Mössner Rn 33; Stieper WM 2007, 861, 866; Voß/Steinheber ZfIR 2012, 337, 342; sowie noch Peters WM 2002, 110, 114f) oder zumindest bereits die notarielle Einigung erfolgt ist (so etwa Koblenz CuR 2007, 107, 108; Stuttgart BWNotZ 2013, 39, 42; wohl auch Schleswig WM 2005, 1909, 1912), ist hingegen nicht erforderlich. Sofern das Recht später tatsächlich eingetragen wird, kann es – speziell mit Blick auf die Ratio des § 95 I 2 und die hier generell eingeschränkte J. Schmidt

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Publizität – nicht darauf ankommen, wie sicher die Rechtsposition im Zeitpunkt der Verbindung bereits war (vgl MüKo/Stresemann Rn 33). cc) Von den in Rn 15 diskutierten Fällen strikt zu trennen ist die Frage, ob ein Gebäude/Werk, das als wesentlicher Bestandteil mit dem Grundstück verbunden wurde, durch nachträgliche Bestellung eines Rechts analog § 95 I 2 in einen Scheinbestandteil umgewandelt werden kann. Ein Teil der Lehre verneint dies unter Hinw auf Wortlaut der Norm und Publizitätsaspekte generell (so etwa Staud/Stieper Rn 21; Stieper WM 2007, 861, 867f). Lässt man jedoch im Rahmen des § 95 I 1 eine solche „Umwidmung“ zu (dazu oben Rn 5), muss dies erst recht im Rahmen des § 95 I 2 möglich sein, zumal hier durch die Eintragung des Rechts, selbst wenn diese erst nachträglich erfolgt, gerade Publizität geschaffen wird; eine analoge Anwendung des § 95 I 2 ist folglich mit der im Vordringen befindlichen Ansicht zu bejahen (Hertel MittBayNot 2006, 321, 323f; Kesseler ZNotP 2006, 251, 254; BeckOGK/Mössner Rn 34; Reymann DNotZ 2010, 84, 95; Reymann ZIP 2013, 605, 607; MüKo/Stresemann Rn 34; Tersteegen RNotZ 2006, 433, 450f; Wicke DNotZ 2006, 252, 262f; Voß/Steinheber ZfIR 2012, 337, 345; wohl auch Böttcher notar 2012, 383, 386). e) Wegfall von Recht/Berechtigung; Konsolidation. Das spätere Erlöschen des Rechts (BeckOK/Fritzsche Rn 15; Staud/Stieper Rn 23; BeckOGK/Mössner Rn 35; MüKo/Stresemann Rn 36) bzw der Berechtigung des Verbindenden (Staud/Stieper Rn 23) ist grds irrelevant; etwas anderes gilt gem § 12 III ErbbauRG nur beim Erbbaurecht, hier wird das Gebäude/Werk ex lege wesentlicher Bestandteil des Grundstücks. Im Falle der Konsolidation bleibt das Recht gem § 889 ohnehin bestehen (vgl Staud/Stieper Rn 23; BeckOGK/Mössner Rn 37). 3. Rechtliche Bedeutung. a) Scheinbestandteile iSd § 95 sind weder wesentliche noch unwesentliche Bestandteile, sondern rechtlich selbständige bewegliche Sachen (RG 55, 281, 284; 87, 43, 51; BGH NJW 1962, 1817, 1818; 1980, 771, 772; 1987, 774; NJW-RR 2006, 1160 Rn 7; Staud/Stieper Rn 27f; NK/Ring Rn 52; BeckOGK/Mössner Rn 46; MüKo/Stresemann Rn 36). Wegen § 97 II 1 (dazu noch § 97 Rn 14ff) sind jedenfalls Scheinbestandteile iSd § 95 I 1, II auch kein Zubehör (BGH NJW 1962, 1498; Staud/Stieper Rn 27, § 97 Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 49; MüKo/Stresemann Rn 36); denkbar ist eine Zubehöreigenschaft dagegen bei Scheinbestandteilen iSd § 95 I 2 (Staud/Stieper Rn 27; BeckOGK/Mössner Rn 50); ferner können beide Arten von Scheinbestandteilen Zubehör eines anderen Grundstücks als dem, mit dem sie verbunden sind, sein (RG 55, 281, 284f; Staud/Stieper Rn 27, § 97 Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 51; MüKo/Stresemann Rn 37, § 97 Rn 8), was insb bei Versorgungsleitungen in Betracht kommt (s dazu § 94 Rn 11). b) Aufgrund ihrer Rechtsnatur als bewegliche Sachen (vgl Rn 18) gilt für Scheinbestandteile Mobiliarsachenrecht. Sie werden also gem §§ 929ff übereignet (RG 97, 102, 106; BGH NJW 1987, 774; BeckRS 2013, 04611, Rn 14; München OLGRp 2000, 332; Staud/Stieper Rn 29; BeckOGK/Mössner Rn 52; MüKo/Stresemann Rn 38); möglich ist auch gesetzlicher Eigentumserwerb gem § 947 und § 950 (Staud/Stieper Rn 29; BeckOGK/Mössner Rn 52); für die Verpfändung gelten §§ 1204ff (Staud/Stieper Rn 29; BeckOGK/Mössner Rn 52), und sie unterliegen der Mobiliarzwangsvollstreckung (Köln OLG 1993, 113; Rpfleger 1996, 296; LG Brandenburg NJW-RR 2001, 715; LG Stuttgart DGVZ 2003, 153; Staud/Stieper Rn 30; BeckOGK/Mössner Rn 53; MüKo/Stresemann Rn 40). Ein Kaufvertrag bedarf nicht der Form des § 311b I 1 (Celle MDR 1952, 744; Koblenz MDR 1999, 1059, 1060; LG Darmstadt RdE 2007, 239; Staud/Stieper Rn 29; BeckOGK/Mössner Rn 52; MüKo/Stresemann Rn 38). 4. Beweislast. Im Prozess trägt die Beweislast derjenige, der sich auf den Ausnahmetatbestand des § 95 beruft (RG 158, 362, 375; BGH NJW 2012, 778 Rn 39). Bei Verbindung in Ausübung eines zeitlich begrenzten Nutzungsrechts spricht aber eine Vermutung für einen nur „vorübergehenden Zweck“ iSd § 95 I 1, II (vgl oben Rn 3).

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Rechte als Bestandteile eines Grundstücks

Rechte, die mit dem Eigentum an einem Grundstück verbunden sind, gelten als Bestandteile des Grundstücks. 1. Ratio. § 96 fingiert die Bestandteilsqualität von Rechten, die mit dem Eigentum an einem Grundstück verbunden sind, um zu gewährleisten, dass diese das rechtliche Schicksal des Grundstücks akzessorisch teilen (vgl Mot III, 61; MüKo/Stresemann Rn 1). 2. Mit dem Eigentum verbundene Rechte iSd § 96. a) Rechte iSd § 96 sind vor allem subjektiv-dingliche Rechte, die dem Eigentümer eines herrschenden Grundstücks als solchem an einem anderen Grundstück zustehen (BGH NJW-RR 2012, 845, Rn 8, 12, 14; BayObLG 1990, 124, 127; Pal/Ellenberger Rn 2; Staud/Stieper Rn 2; NK/Ring Rn 4; MüKo/Stresemann Rn 2). Dazu gehören: Grunddienstbarkeit (RG 93, 71, 72; BGH NJW-RR 2012, 845 Rn 8; BFH BStBl II 1974, 767, 769; BayObLG NJW-RR 1990, 1043, 1044; Köln NJW-RR 1993, 982, 983; BayObLG NJW-RR 2003, 451f; Hamm NJW-RR 2008, 1609, 1610; München BeckRS 2017, 102598 Rn 45); Reallast zugunsten des jew Eigentümers (§ 1105 II) (BGH NJW-RR 2012, 845, Rn 18; BFH BStBl II 1974, 767, 769; BayObLG 1961, 23, 30); dingliches Vorkaufsrecht zugunsten des jew Eigentümers (§ 1094 II) (RG 104, 316, 318f; BGH NJW-RR 2012, 845, Rn 18); Recht auf Erbbauzins (BayObLG 1961, 23, 30; 1990, 212, 215; BFH NJW 1991, 3176); Recht auf Duldung von Überbau (§ 912) (RG 160, 166, 177) und Notweg (§ 917) (Staud/Stieper Rn 3; NK/Ring Rn 4; MüKo/Stresemann Rn 2) einschl des Rentenrechts des zur Duldung verpflichteten Nachbarn gem §§ 913 II, 917 II; Heimfallanspruch gem § 3 ErbbauRG (BGH ZIP 1980, 652, 654) und § 36 I 2 WEG

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(Staud/Stieper Rn 3; MüKo/Stresemann Rn 2); darüber hinaus auch Anwartschaftsrechte bzgl eines der genannten Rechte (Köln OLG 1968, 453, 455f; Pal/Ellenberger Rn 2; Staud/Stieper Rn 3; NK/Ring Rn 5). b) Sonstige Rechte iSd § 96 sind: Jagdrecht nach § 3 BJagdG (BFH BStBl II 1974, 767, 769; BFH/NV 2008, 1878; Pal/Ellenberger Rn 2; NK/Ring Rn 4; MüKo/Stresemann Rn 3; aA Staud/Stieper Rn 6; BeckOGK/Mössner Rn 5.1); Fischereirechte, die dem jew Grundstückseigentümer zustehen (BGH NJOZ 2009, 3307, Rn 12; MüKo/Stresemann Rn 3; NK/Ring Rn 6; Staud/Stieper Rn 6); Anliegerrecht (BGH NJW 1959, 1776; MüKo/Stresemann Rn 3; aA Staud/Stieper Rn 6); Realgemeindeanteile (Celle NdsRpfl 1961, 34; VG Lüneburg BeckRS 2012, 58199; anders aber, wenn statutarisch selbständig ausgestaltet, Celle AgrarR 1981, 291); Verbandsanteile an einer Forstgenossenschaft (BGH NJW-RR 1998, 1627; Braunschweig AgrarR 1990, 7); radizierte Gemeinderechte (BayObLG 1970, 21, 23); Apothekenprivileg (Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 10.1; NK/Ring Rn 7). c) Keine Rechte iSd § 96, da nicht mit dem Eigentum verbunden, sind hingegen: Eigentümerhypothek (Staud/ Stieper Rn 7; NK/Ring Rn 9); Amortisationsfonds zur Tilgung der hypothekarisch gesicherten Schuld (RG 104, 68, 73); Betriebslieferrecht für Zuckerrüben (BGH NJW 1990, 1723); deliktischer Anspruch gegen den Eigentümer (München DJ 1939, 193f); Brennrecht nach BranntweinmonopolG (RG HRR 1932 Nr 1157; BGH LM Nr 1 zu § 96; NJW 1991, 3280, 3281); Milchkontingent (BGH NJW 1991, 3280); Zahlungsansprüche nach dem BetriebsprämiendurchführungsG (BGH NJW-RR 2010, 885, Rn 8f); Entschädigungsanspruch nach KriegssachschädenVO (BGH NJW 1955, 1516); Auflassungsvormerkung zugunsten des jew Eigentümers eines anderen Grundstücks (RG 128, 246, 248); Miteigentumsanteil an einem Grundstück (BayObLG 1987, 121, 128f); Ausgleichsanspruch gem § 9 III GBBerG (BGH NJW-RR 2015, 146 Rn 15). 3. Rechtsfolgen und rechtliche Bedeutung. a) Bestandteilseigenschaft. Rechte iSd § 96 gelten als Bestandteile des Grundstücks. Die hM differenziert dabei auch insoweit zw wesentlichen Bestandteilen (Rechte, die nicht vom Grundstück getrennt werden können) und nicht wesentlichen Bestandteilen (Rechte, die vom Grundstück getrennt werden können) (RG 93, 71, 73; vgl auch BGH NJW-RR 2012, 845, Rn 8; 2008, 1609, 1610). Wesentliche Bestandteile sind insb die subjektiv-dinglichen Rechte (dazu oben Rn 2) (RG 93, 71, 73; BGH NJW-RR 2012, 845, Rn 8; BeckOK/Fritzsche Rn 8; Staud/Stieper Rn 8; BeckOGK/Mössner Rn 12; MüKo/Stresemann Rn 6). b) Konsequenzen. Als Bestandteile teilen Rechte iSd § 96 das rechtliche Schicksal des Grundstücks (vgl nur BGH NJW-RR 2012, 845 Rn 8; s ferner bereits Rn 1). Insb unterliegen sie der hypothekarischen Haftung nach §§ 1120ff (RG 83, 198, 200; BGH NJW 1991, 3280, 3281). Sie werden dadurch jedoch nicht etwa zu Sachen; insb sind auch diesbzgl Mängel nicht Sach-, sondern Rechtsmängel (RG 83, 198, 200; 93, 71, 73). c) Insbesondere: § 96 und Erbbaurecht. Gem § 11 I 1 ErbbauRG findet § 96 auch auf das Erbbaurecht Anwendung, dh Rechte iSd § 96 gelten als Bestandteile des Erbbaurechts (BGH NJW-RR 2012, 845 Rn 9; Hamm OLG 1980, 270, 271; Staud/Rapp § 11 ErbbauRG Rn 8). Mit dem Erlöschen des Erbbaurechts werden gem § 12 III ErbbauRG jedenfalls für den jew Erbbauberechtigten bestellte Grunddienstbarkeiten mit dem Inhalt von Wegeund Leitungsrechten Bestandteile des Erbbaugrundstücks (BGH NJW-RR 2012, 845); ob § 12 III ErbbauRG auf alle mit dem Erbbaurecht verbundenen subjektiv-dinglichen Rechte iSd § 96 anzuwenden ist, hat der BGH zwar bezweifelt, letztlich aber explizit offengelassen (BGH NJW-RR 2012, 845, Rn 18; dies ist sehr str, vgl zum Ganzen BeckOK/Maaß § 12 ErbbauRG Rn 7; Maaß NotBZ 2012, 208ff mwN).

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(1) Zubehör sind bewegliche Sachen, die, ohne Bestandteile der Hauptsache zu sein, dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen bestimmt sind und zu ihr in einem dieser Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnis stehen. Eine Sache ist nicht Zubehör, wenn sie im Verkehr nicht als Zubehör angesehen wird. (2) Die vorübergehende Benutzung einer Sache für den wirtschaftlichen Zweck einer anderen begründet nicht die Zubehöreigenschaft. Die vorübergehende Trennung eines Zubehörstücks von der Hauptsache hebt die Zubehöreigenschaft nicht auf. 1. Ratio und Systematik der §§ 97, 98. §§ 97, 98 tragen dem Umstand Rechnung, dass gewisse rechtlich selb- 1 ständige Sachen im Verkehr gleichwohl als zu einer anderen gehörig angesehen und daher auch deren rechtliches Schicksal zumindest in gewissem Rahmen teilen sollen (vgl Mot III, 61f; BeckOK/Fritzsche Rn 1; MüKo/Stresemann Rn 1). § 97 legaldefiniert den Begriff des Zubehörs für das Privatrecht, § 98 konturiert ihn für gewerblich genutzte Gebäude und landwirtschaftliche Betriebe (näher zum Verhältnis bei § 98 Rn 1). Eine Sonderregelung findet sich in § 3 HöfeO (Hofeszubehör); für Schiffszubehör gilt hingegen nach Streichung des § 478 HGB aF die allg Vorschrift des § 96 (MüKoHGB/Eckardt § 598 Rn 1). Im öffentlichen Recht kann – muss aber nicht – je nach Rechtsgebiet ein abw Zubehörbegriff gelten (vgl Staud/Stieper Rn 3; vgl zB für das Zollrecht BFH/NV 2007, 1940). 2. Begriff und Voraussetzungen. a) Überblick. Zubehör sind gem § 97 I 1 bewegliche Sachen (dazu Rn 3), die, 2 ohne Bestandteile der Hauptsache (dazu Rn 4) zu sein, dem wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache (dazu Rn 7ff) zu dienen bestimmt sind (dazu Rn 10ff) und zu ihr in einem dieser Bestimmung entspr räumlichen Verhältnis stehen (dazu Rn 20); es sei denn, dass sich aus der Verkehrsanschauung etwas anderes ergibt (§ 97 I 2, dazu Rn 21). b) Zubehörsache. aa) Bewegliche Sache. Zubehör können nur bewegliche Sachen sein, nicht Grundstücke (RG 3 87, 43, 50), Rechte (RG 83, 54, 56; 104, 68, 73; BGH NJW 1990, 1723, 1725; 1998, 78) oder good will (Karlsruhe J. Schmidt

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WM 1989, 1229). Wie bewegliche Sachen behandelt werden insoweit auch Tiere (arg e § 98 Nr 2; vgl RG 69, 85, 87; Oldenburg DGVZ 1980, 94). bb) Zubehör kann nur eine Sache sein, die nicht (einfacher oder wesentlicher) Bestandteil der Hauptsache ist. Einfache Bestandteile einer Sache können jedoch nach hM Zubehör einer anderen Sache sein (Köln NJW 1961, 461; BeckOK/Fritzsche Rn 4; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 21; MüKo/Stresemann Rn 6; anders noch RG 87, 43, 50). Zu Scheinbestandteilen als Zubehör s § 95 Rn 11, 18). cc) Die Eigentumsverhältnisse sind irrelevant; auch fremde, dh nicht im Eigentum des Eigentümers der Hauptsache stehende Sachen können Zubehör sein (arg e § 1120 aE) (Mot III, 62; RG 53, 350, 351; LZ 1920, 695; BGH NJW 1972, 1187, 1188; Stettin JW 1927, 402; Frankfurt BeckRS 2007, 16199; Pal/Ellenberger Rn 2; Staud/ Stieper Rn 6; BeckOGK/Mössner Rn 12; NK/Ring Rn 13; MüKo/Stresemann Rn 19). dd) Eine Sachgesamtheit kann zwar nicht als solche Zubehör sein (aA noch Erman/Michalski13 Rn 2a; Rostosky JherJb 74 [1924] 75, 121ff, 137ff); die einzelnen in ihr zusammengefassten Sachen können jedoch Zubehör sein, sofern sie jew die diesbzgl Anforderungen erfüllen (BGH LM Nr 3 zu § 97; KG 15.11.2012 – 12 U 101/09, Rn 94; Pal/Ellenberger Rn 2; BeckOK/Fritzsche Rn 3; Staud/Stieper Rn 7; BeckOGK/Mössner Rn 11; NK/Ring Rn 12; MüKo/Stresemann Rn 4). c) Hauptsache. aa) Allgemeine Anforderungen. Zubehör setzt die Existenz einer Hauptsache voraus. Hauptsache können Grundstücke, bewegliche Sachen oder grundstücksgleiche Rechte, wie insb das Erbbaurecht (§ 11 ErbbauRG iVm § 97), das Wohnungseigentum oder landesrechtliches Bergwerkseigentum (RG 161, 203, 206; BGH NJW 1955, 1186) sein (Pal/Ellenberger Rn 3; BeckOK/Fritzsche Rn 8; Staud/Stieper Rn 8; NK/Ring Rn 15, 21; MüKo/Stresemann Rn 10). Auch ein Bestandteil einer anderen Sache kann Hauptsache sein, zB ein Gebäude oder Gebäudeteil (RG 89, 61, 63; BGH NJW 1974, 269, 270; 2006, 993); das Zubehör ist dann Zubehör des gesamten Grundstücks (RG 89, 61, 63; Stettin HRR 1934 Nr 161). bb) Mehrheit von Hauptsachen. Eine Sache kann Zubehör mehrerer Hauptsachen sein (RG SeuffA 84 Nr 98; Frankfurt HRR 1937 Nr 692 [Fuhrpark für zwei Betriebe]; KG 15.11.2012 – 12 U 101/09, Rn 96), selbst wenn diese verschiedenen Eigentümern gehören (Breslau OLG 35, 291; Stettin JW 1932, 1581). cc) Sach- und Rechtsgesamtheiten, Unternehmen. Sach- und Rechtsgesamtheiten sowie insb auch Unternehmen können als solche nicht Hauptsache sein. Nach der Rspr bestimmt sich jedoch das, was bei einem Gewerbebetrieb Hauptsache ist, danach, wo der wirtschaftliche Schwerpunkt des Unternehmens, der wirtschaftliche, betriebstechnische Mittel- und Stützpunkt, der „Brennpunkt“ des Betriebs liegt (RG WarnR 1910 Nr 312; RG 130, 264, 267; BGH LM Nr 3 zu § 97; NJW 1983, 746, 747; s ferner auch BGH NJW 2006, 993f); da dies idR das Betriebsgrundstück ist, können die dem Unternehmen zugeordneten Sachen idR als Zubehör des Grundstücks, auf dem das Unternehmen betrieben wird, angesehen werden (BGH NJW 1983, 746, 747; s zum Ganzen auch Staud/ Stieper Rn 11; MüKo/Stresemann Rn 13; Siebert, FS Gieseke, 1958, 58ff). d) Zweckbindung. Zubehör ist nur, was dem wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache zu dienen bestimmt ist. aa) Wirtschaftlicher Zweck. Der Zweck der Hauptsache ergibt sich aus ihrer objektiven Beschaffenheit und anderen nach der Verkehrsanschauung maßgeblichen Umständen (BGH NJW 1974, 269, 270; Staud/Stieper Rn 13; BeckOGK/Mössner Rn 24; MüKo/Stresemann Rn 15). Der Begriff des wirtschaftlichen Zwecks ist extensiv auszulegen (BGH NJW 1984, 2277, 2278; Pal/Ellenberger Rn 4); er ist insb nicht etwa nur auf vermögensrechtliche Zwecke beschränkt, sondern umfasst auch kulturelle oder ideelle Zwecke (vgl auch KG 15.11.2012 – 12 U 101/09, Rn 96; Staud/Stieper Rn 13; BeckOGK/Mössner Rn 25; MüKo/Stresemann Rn 15; abw Frankfurt NJW 1982, 653, 654 bzgl Bildstock), zB auch den kirchlichen Gebrauch einer Glocke (RG JW 1910, 466; BGH NJW 1984, 2277, 2278). bb) Dienende Funktion. Eine Sache dient dem wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache, wenn sie dessen Erreichung ermöglicht oder zumindest fördert bzw erleichtert (vgl BGH NJW-RR 2011, 1458 Rn 9; Frankfurt NJW 1982, 653, 654; Hamm NJW-RR 1986, 376; KG 15.11.2012 – 12 U 101/09, Rn 96; LG Passau RNotZ 2012, 511, 513; Pal/Ellenberger Rn 5; Staud/Stieper Rn 14; BeckOGK/Mössner Rn 28; NK/Ring Rn 39; MüKo/Stresemann Rn 16), wobei es genügt, wenn dies mittelbar geschieht (RG 47, 197, 199f; Stettin JW 1932, 1581f). Erforderlich ist aber in jedem Fall eine Unterordnung im Verhältnis zur Hauptsache, dh ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis (RG 86, 326, 328f; BGH LM Nr 3 zu § 97; NJW 1983, 746, 747; KG 15.11.2012 – 12 U 101/09, Rn 96). Die Sache braucht aber andererseits nicht ausschließlich der Hauptsache zu dienen, sondern kann ggf auch noch einen anderen Zweck haben (RG 47, 197, 200 [Hotelbus, der nicht nur Hotelgäste, sondern auch andere Personen zur Bahn bringt]). Ausreichend ist auch die beabsichtigte künftige Verwendung (näher Rn 13). Eine dienende Funktion kann auch bei verbrauchbaren Sachen bestehen (näher Rn 17), grds nicht hingegen bei Erzeugnissen (näher Rn 18). cc) Widmung. (1) Die Widmung, dh die Bestimmung der Zubehörsache als dem wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache dienend, ist kein Rechtsgeschäft, sondern eine Rechtshandlung, für die natürliche Willensfähigkeit genügt (RG HRR 1934 Nr 1273; Pal/Ellenberger Rn 6; BeckOK/Fritzsche Rn 13; Staud/Stieper Rn 21; BeckOGK/ Mössner Rn 34; NK/Ring Rn 26; aA MüKo/Stresemann Rn 19). Sie kann durch jeden erfolgen, der die tatsächliche Verfügungsmacht über Hauptsache und Zubehörstück hat (BGH NJW 1969, 2135, 2136; Staud/Stieper Rn 21; BeckOGK/Mössner Rn 35; MüKo/Stresemann Rn 19), also zB durch den Mieter (BGH NJW 2009, 1078, Rn 21), den Eigentumsvorbehaltskäufer (BGH NJW 1969, 2135, 2136) oder sogar einen Dieb (vgl BeckOGK/ Mössner Rn 35; MüKo/Stresemann Rn 19) (vgl zu fremden Sachen als Zubehör bereits Rn 5). Sein erkennbarer 240

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subjektive Wille ist auch dann maßgeblich, wenn die Sache für den Zweck der Hauptsache entbehrlich oder ungeeignet ist (RG WarnR 1909 Nr 175; JW 1909, 70; WarnR 1913 Nr 127; BGH NJW-RR 1990, 586, 588; Düsseldorf NJW 1966, 1714, 1715); dies kann allerdings ein Indiz für eine mangelnde Widmungsabsicht sein oder die Verkehrsanschauung über die Zubehörqualität prägen (RG WarnR 1909 Nr 175; JW 1909, 70; BGH NJW-RR 1990, 586, 588). IdR erfolgt die Widmung durch schlüssige Handlung (BGH NJW 2009, 1078, Rn 14). Der Inhaber der tatsächlichen Verfügungsmacht kann die Widmung auch jederzeit aufheben oder ändern, so dass die Sache nicht mehr Zubehör ist (BGH NJW 1969, 2135, 2136; 1973, 997, 998; 1984, 2277, 2278). (2) Ausreichend ist auch die Widmung, dass die Sache künftig dem wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache dienen soll (Staud/Stieper Rn 15; MüKo/Stresemann Rn 20). Dass die Sache bereits tatsächlich so genutzt wird, ist zwar ein Indiz, aber nicht zwingend erforderlich (RG HRR 1934 Nr 1273; BGH NJW 2009, 1078, Rn 14). Als Zubehör qualifiziert wurde daher zB auch: Materialreserve einer Fabrik (RG 66, 356, 357); für den Notfall bereitgehaltene Ersatzstücke (RG SeuffA 63 Nr 1; RG 66, 356, 359); als Zugtiere noch zu junge Pferde (Frankfurt HRR 1937 Nr 692). Andererseits ist eine Widmung erst dann möglich, wenn die Hauptsache selbst bereits als solche rechtlich existent bzw fertig ist (RG 89, 61, 64; BGH NJW 1969, 36; Düsseldorf NJW 1966, 1714, 1715). Baumaterialien können aber bereits Zubehör des Grundstücks sein, da sie dessen Zweck (Bebauung) dienen (RG 84, 284, 285; 86, 326, 330; 89, 61, 64f; BGH NJW 1972, 1187, 1188). e) Dauerhaftigkeit der Zweckbindung (Abs II). aa) Die Sache muss dem wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache dauerhaft zu dienen bestimmt sein, eine nur vorübergehende entspr Benutzung genügt nicht (Abs II S 1). Der Terminus „vorübergehend“ entspricht dabei demjenigen in § 95 I 1 (dazu § 95 Rn 2) (BGH NJW 1962, 1498; BeckOGK/Mössner Rn 38; MüKo/Stresemann Rn 22). Daher genügt es insb nicht, wenn die Verbindung nur für einen von vornherein begrenzten Zeitraum oder lediglich zur Befriedigung der Bedürfnisse des derzeitigen Nutzers erfolgt (Mot III, 62; BGH NJW 1974, 269, 270; NJW-RR 1990, 586, 587; NJW 2009, 1078, Rn 14; KG 15.11.2012 – 12 U 101/09, Rn 96). bb) Ebenso wie iRd § 95 I 1 (dazu § 95 Rn 3) spricht im Falle der Ausübung eines zeitlich begrenzten Nutzungsrechts oder einer „ähnlichen“ Berechtigung (dazu § 95 Rn 3) eine Vermutung für einen nur „vorübergehenden Zweck“ (BGH NJW 1984, 2277, 2279; LG Passau RNotZ 2012, 511, 513; Pal/Ellenberger Rn 7; Staud/ Stieper Rn 19; NK/Ring Rn 35). cc) Eine Lieferung unter Eigentumsvorbehalt begründet hingegen – ebenso wie iRd § 95 I 1 (dazu § 95 Rn 2) – nicht lediglich eine vorübergehende Benutzung (BGH NJW 1972, 1187). Ebenso wenig steht eine begrenzte Lebensdauer der Hauptsache und/oder des Zubehörstücks der Dauerhaftigkeit entgegen (RG HRR 1930 Nr 277; Kassel JW 1934, 2715; Staud/Stieper Rn 20; BeckOGK/Mössner Rn 40; MüKo/Stresemann Rn 23). Insb können auch verbrauchbare Sachen Zubehör sein, ihr Zweck besteht gerade im Verbrauch zum wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache, zB Kohlevorrat einer Ziegelei (RG 77, 36, 38), Holzvorrat für Heizung eines Wohnhauses (Dresden Recht 1938 Nr 7247); nur einmal verwendete Fabrikationsmittel (RG HRR 1930 Nr 277); Heizöl im Heizöltank eines Wohnhauses (Düsseldorf NJW 1966, 1714; LG Aachen NZM 2009, 277f; LG Düsseldorf BeckRS 2016, 112056). Mangels dauerhafter Zweckbestimmung nicht Zubehör sind dagegen die zur Veräußerung bestimmten Erzeugnisse, Produkte etc, zB: Bäume einer Baumschule (RG 66, 88, 90); zu Verkauf/Schlachtung bestimmtes Vieh (RG 142, 379, 382); Ziegel einer Ziegelei (Breslau OLG 14, 105; Dresden OLG 14, 106, 108); Bier einer Brauerei (Kiel SeuffA 67 Nr 146); Speisen und Getränke eines Restaurants (Rostock OLG 31, 309, 311); Ausstellungsstücke im Möbelgeschäft (AG Viechtach DGVZ 1989, 29). Gleiches gilt für die zu ihrer Herstellung erforderlichen Rohstoffe und Halbfertigprodukte, zB Holzvorräte einer Möbelfabrik (RG 86, 326, 329f) oder eines Sägewerks (KG JW 1934, 435); Kunststoffformen, die nach Beendigung des Auftrags an den Kunden übergeben werden (Düsseldorf NJW-RR 1991, 1130). Unschädlich ist hingegen umgekehrt eine nur vorübergehende Trennung (§ 97 II 2), zB zu Instandhaltungszwecken (KG OLG 6, 213) oder im Rahmen der Natur der Nutzung (zB Lieferfahrzeuge, MüKo/Stresemann Rn 29). f) Räumliches Verhältnis. Für das erforderliche entspr räumliche Verhältnis zur Hauptsache bedarf es nicht etwa einer physischen Verbindung (BGH LM Nr 3 zu § 97; Staud/Stieper Rn 22; NK/Ring Rn 45; BeckOGK/Mössner Rn 43; MüKo/Stresemann Rn 27). Erforderlich ist aber in jedem Fall ein räumlicher Zusammenhang, der eine bestimmungsgemäße Benutzung ermöglicht (vgl RG 97, 197, 200; BGH LM Nr 3 zu § 97; BGH NJW-RR 2011, 1458 Rn 9; Pal/Ellenberger Rn 8; Staud/Stieper Rn 22; BeckOGK/Mössner Rn 42; NK/Ring Rn 44f; MüKo/ Stresemann Rn 27). Grundstückszubehör braucht sich hierzu nicht unbedingt auf dem Grundstück selbst befinden, es kann vielmehr auch genügen, wenn es nur in der Nähe desselben untergebracht ist (RG 47, 197, 200; BGH LM Nr 3 zu § 97; NJW-RR 2011, 1458, Rn 9). Bejaht wurde das erforderliche räumliche Verhältnis zB in folgenden Fällen: Versorgungsleitungen als Zubehör zum Betriebsgrundstück des Versorgungsunternehmens (s § 94 Rn 11); innerhäusliche Versorgungsleitungen für ein Wohnhaus, die teils im Keller des Nachbarhauses laufen (BGH NJW-RR 2011, 1458); 1 km von einer Röhrenfabrik entfernt belegene Sauerstoffanlage (RG 157, 40, 47); Gebäude und Maschinen für eine Ziegelei auf einem zugepachteten Nachbargrundstück (RG 55, 281, 284f); Dalben einer Werft in einem Fluss (OVG Bremen NJW-RR 1986, 955, 957); Gondeln für Fahrten von Gästen auf einem zu einem Restaurant dazu gepachteten Seegrundstück (RG 47, 197, 200). Zu Betriebsfahrzeugen § 98 Rn 9. J. Schmidt

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g) Verkehrsanschauung (Abs I S 2). Trotz Vorliegens aller genannten Voraussetzungen scheidet eine Zubehöreigenschaft jedoch gem § 97 I 2 aus, wenn eine entgegenstehende Verkehrsanschauung besteht. Maßgeblich sind die Lebens- und Geschäftsgewohnheiten der beteiligten Verkehrskreise (RG 77, 241, 244; vgl auch RG JW 1938, 1390). Die Verkehrsanschauung kann regional unterschiedlich sein (RG 77, 241, 244; BGH NJW 1992, 3224f; 2009, 1078, Rn 28; KG 15.11.2012 – 12 U 101/09, Rn 96) und sich im Laufe der Zeit ggf ändern (BGH NJW 1992, 3224, 3225; 2009, 1078, Rn 28; KG 15.11.2012 – 12 U 101/09, Rn 96). Wegen entgegenstehender Verkehrsauffassung verneint wurde die Zubehörqualität teils zB vereinzelt Gaststätteninventar (Hamburg OLG 38, 30; LG Kiel Rpfleger 1983, 167; ganz überwiegend wird die Zubehöreigenschaft jedoch bejaht, vgl § 98 Rn 8); Bedeutung hat die Frage zudem bei Einbauküchen (dazu bereits § 94 Rn 21); umfangreiche Kasuistik auch aus der älteren Rspr bei Staud/Stieper Rn 25f. 3. Weitere Einzelfälle. a) Betriebsinventar und -fahrzeuge: S § 98 Rn 9. b) Gegenstände in privaten Wohnungen/Grundstücken. Bejaht: Photovoltaikaufdachanlage (LG Passau RNotZ 2012, 511; Oldenburg JurBüro 2013, 96); festinstallierte Satelliten-Empfangsanlage (LG Nürnberg-Fürth DGVZ 1996, 123); Rauchwarnmelder (LG Hamburg ZWE 2011, 286, 287; Riecke NZM 2016, 217, 218; offenlassend BGH NZM 2013, 512 Rn 15ff mwN auch zur Gegenansicht); fest installierte Sauna (AG Aschaffenburg DGVZ 1998, 158); Kleinkläranlage (LG Traunstein DGVZ 2009, 44); verneint: Kunstgegenstände, Möbel etc aus dem Nachlass des Kaisers und zweier Prinzen kein Zubehör der Villa Monbijou (KG 15.11.2012 – 12 U 101/09, Rn 96f); im Kachelofen deponierte Geldkassetten (LG Düsseldorf BeckRS 2012, 16621); Spiegel oder Waschunterschränke (Hamm MDR 2005, 1220). c) Gegenstände in/an Pkw. Bejaht: Autoradio (VGH München BeckRS 2008, 38033); Pkw-Alarmanlage (Düsseldorf NZV 1996, 196); installiertes Autonavigationssystem (Karlsruhe NZV 2002, 132, 133); Autotelefon (Pal/ Ellenberger Rn 11; BeckOK/Fritzsche Rn 18; BeckOGK/Mössner Rn 60; Karlsruhe NZV 2002, 132, 133; wohl auch Köln OLG 1999, 276; aA Köln NJW-RR 1994, 51); verneint: Reisegepäck (BGH VersR 1962, 557); auf eine Reise mitgenommenes Kfz-Werkzeug (AG Freiburg VersR 1980, 964); Kfz-Brief (seit 2005: Zulassungsbescheinigung Teil II) (LG München I DAR 1958, 267). d) Sonstige Gegenstände als Zubehör beweglicher Sachen. Bejaht: Stahltisch eines Schweißroboters (Frankfurt ZVI 2009, 498); Container eines Zugfahrzeugs (FG München EFG 1976, 255, 256); verneint: Rundballenpresse im Verhältnis zum Traktor (Saarbrücken NJW-RR 2012, 1388); Stofftragetasche im Verhältnis zur gekauften Ware (Düsseldorf NJW-RR 1994, 735, 737). 4. Ende der Zubehöreigenschaft. Die Zubehöreigenschaft endet, wenn eine ihrer Voraussetzungen dauerhaft – also nicht nur vorübergehend (vgl § 97 II 2, dazu Rn 14) – wegfällt (BGH NJW 1969, 2135, 2136; NJW 1984, 2277, 2278; Pal/Ellenberger Rn 10; BeckOK/Fritzsche Rn 21; Staud/Stieper Rn 27; BeckOGK/Mössner Rn 50; NK/ Ring Rn 62). Nicht ausreichend sind dagegen zB: nur vorläufige Betriebseinstellung (RG 77, 36, 40); Verurteilung des tatsächlichen Benutzers zur Herausgabe (BGH NJW 1969, 2135, 2136); Übereignung des Zubehörs (BGH NJW 1979, 2514; 1987, 1266, 1267). 5. Beweislast. Wer sich auf die Zubehöreigenschaft beruft, hat die positiven Voraussetzungen gem § 97 I 1 sowie die ggf nur vorübergehende Natur der Trennung (§ 97 II 2) darzulegen und zu beweisen (RG 47, 197, 201f; BeckOK/Fritzsche Rn 22; Staud/Stieper Rn 36; BeckOGK/Mössner Rn 88; MüKo/Stresemann Rn 32). Wer die Zubehöreigenschaft bestreitet, ist darlegungs- und beweispflichtig bzgl der nur vorübergehenden Benutzung (RG 47, 197, 201f) (insoweit kann jedoch ggf die in Rn 15 genannte Vermutung helfen) sowie der entgegenstehenden Verkehrsanschauung (RG WarnR 1909 Nr 175; BGH LM Nr 3 zu § 97; NJW-RR 1990, 588; NJW 2009, 1078, Rn 28). 6. Rechtliche Bedeutung der §§ 97f. a) Allgemeines. Die Rechtsfolgen der Zubehöreigenschaft sind in den §§ 97f nicht geregelt. Als selbständige bewegliche Sachen sind Zubehörstücke sonderrechtsfähig, dh sie können grds ohne die Hauptsache übereignet oder belastet werden. Da sie aus wirtschaftlicher Sicht in engem Zusammenhang mit der Hauptsache stehen, ordnet das Gesetz jedoch in einer Reihe von Vorschriften an, dass Zubehörstücke im Zweifel das rechtliche Schicksal der Hauptsache teilen (vgl auch bereits Rn 1). b) Verpflichtungsgeschäfte. Eine Verpflichtung zur Veräußerung oder Belastung einer Sache erstreckt sich im Zweifel auf das Zubehör (§ 311c); ebenso ein Vermächtnis (§ 2164 I); der Wiederkäufer hat das Zubehör mitherauszugeben (§ 457 I). c) Verfügungsgeschäfte. Bei Grundstücken erstreckt sich die Veräußerung im Zweifel auf das Zubehör (§ 926 I 2); Entspr gilt für Bestellung und Aufhebung des Nießbrauchs an einem Grundstück (§§ 1031, 1062) und des Wohnungsrechts (§ 1093 I 2) sowie das dingliche Vorkaufsrecht (§ 1096 S 2). Bei beweglichen Sachen existieren keine derartigen Regeln; hier bestimmt sich nach den allg Auslegungsregeln, ob sich die Verfügung auch auf das Zubehör erstreckt (Staud/Stieper Rn 33; BeckOGK/Mössner Rn 82; MüKo/Stresemann Rn 45). d) Grundpfandrechte. Praktisch bedeutsam ist vor allem die Erstreckung der Haftungsverbands der Hypothek (§ 1120) sowie der Grund- und Rentenschuld (§§ 1192 I, 1199 I iVm § 1120) auf das Zubehör einschl daran bestehender Anwartschaftsrechte (BGH NJW 1961, 1349); die Enthaftung ist in §§ 1121f geregelt. Entspr gilt für eingetragene Schiffe (§§ 31, 39 III SchiffsRG) und das Registerpfandrecht an Luftfahrzeugen (§ 31 LuftFzgG). e) Zwangsvollstreckung. Für die Zwangsvollstreckung gelten bzgl des Zubehörs die Sonderregeln der § 865 ZPO, §§ 20 II, 21 I, 55 II, 146, 148 I, 153a ZVG. 242

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Gewerbliches und landwirtschaftliches Inventar

Dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache sind zu dienen bestimmt: 1. bei einem Gebäude, das für einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichtet ist, insbesondere bei einer Mühle, einer Schmiede, einem Brauhaus, einer Fabrik, die zu dem Betrieb bestimmten Maschinen und sonstigen Gerätschaften, 2. bei einem Landgut das zum Wirtschaftsbetrieb bestimmte Gerät und Vieh, die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, soweit sie zur Fortführung der Wirtschaft bis zu der Zeit erforderlich sind, zu welcher gleiche oder ähnliche Erzeugnisse voraussichtlich gewonnen werden, sowie der vorhandene, auf dem Gut gewonnene Dünger. 1. Hintergrund und Ratio. § 98 ist Ausfluss und Reflex der wirtschaftlichen Situation an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und der hierdurch geprägten Vorstellung der Abhängigkeit von Wert und Nutzbarkeit eines Grundstücks von der Aufrechterhaltung der Verbindung mit seinem Inventar (vgl Mot III, 66; Staud/Stieper Rn 1). Vor diesem Hintergrund soll die Norm den Zubehörbegriff des § 97 für Gewerbegebäude und Landgüter erläutern und verdeutlichen, nicht jedoch erweitern (vgl Mot III, 67; Prot III, 22; Pal/Ellenberger Rn 1; BeckOK/Fritzsche Rn 1; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 3; MüKo/Stresemann Rn 1; abw noch Erman/ Michalski13 Rn 1, 6; RGRK/Kregel Rn 1). Zubehör sind die in § 98 genannten Sachen somit nur dann, wenn sämtliche in § 97 genannten Voraussetzungen (dazu § 97 Rn 2ff) erfüllt sind (RG 63, 416, 418f; 66, 356, 358; WarnR 1909 Nr 175; Düsseldorf NJW-RR 1991, 1130f; Pal/Ellenberger Rn 1; BeckOK/Fritzsche Rn 1; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 3; MüKo/Stresemann Rn 3). § 98 enthält jedoch andererseits keine abschließende Aufzählung, dh auch Sachen, die nicht genannt sind, können Zubehör iSd § 97 sein (RG 47, 197, 199; 66, 356, 358; Pal/Ellenberger Rn 1; BeckOK/Fritzsche Rn 1; BeckOGK/Mössner Rn 3; Staud/Stieper Rn 3; MüKo/Stresemann Rn 2). Für Hofeszubehör gilt die Sondernorm des § 3 HöfeO. 2. Gewerbliches Inventar (Nr 1). a) Legislatorische Zweckbestimmung. § 98 Nr 1 verdeutlicht, dass bei einem für einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichteten Gebäude die zum Betrieb bestimmten Maschinen und Gerätschaften dem wirtschaftlichen Zweck des Gebäudes – und damit zugleich des Grundstücks – zu dienen bestimmt sind; die Norm leitet also vor dem in Rn 1 erläuterten wirtschaftlichen Hintergrund aus der Zweckbestimmung für den Gewerbebetrieb diejenige für das dafür eingerichtete Betriebsgebäude – und damit das Betriebsgrundstück – ab (vgl Staud/Stieper Rn 4; MüKo/Stresemann Rn 4). b) Betriebsgebäude. aa) Gewerblicher Betrieb. Als Beispiele für einen gewerblichen Betrieb nennt § 98 Nr 1 ausdr Mühle, Schmiede, Brauhaus und Fabrik. IÜ ist der Gewerbebegriff iSd § 98 autonom zu bestimmen (ebenso i Erg Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 9; NK/Ring Rn 9; aA BeckOK/Fritzsche Rn 4: Handelsgewerbe iSd § 1 I HGB); er erfasst etwa insb auch freie Berufe, zB eine Apotheke (RG WarnR 1909 Nr 491; PrOVG JW 1920, 71). Zu Einzelfällen s die Bsp für Zubehörstücke in Rn 7ff. bb) Dauernde Einrichtung des Gebäudes für den Betrieb. Der Begriff des Gebäudes entspricht auch hier dem des § 94 (dazu § 94 Rn 6). Ein Gebäude ist für einen bestimmten Betrieb dauernd eingerichtet, wenn sich vermöge seiner Gliederung, Einteilung, Eigenart oder Bauart oder vermöge seiner Ausstattung mit betriebsdienlichen Maschinen und sonstigen Gerätschaften ergibt, dass es dem gewerblichen Betrieb auf Dauer dienen soll (BGH NJW 1969, 36; 1974, 269, 270; 1994, 864, 867; 2006, 993, Rn 7). Es genügt auch, wenn der Betrieb nur einen Teil des Gebäudes in Anspruch nimmt (RG 47, 207, 209; WarnR 1909 Nr 491; JW 1909, 485; WarnR 1912 Nr 286). Das Gebäude als Hauptsache muss aber in jedem Fall bereits als solches existieren (RG 89, 61, 64; vgl bereits § 97 Rn 13); soweit es nach der Verkehrsauffassung bereits betriebsbereit ist, braucht es aber nicht unbedingt schon vollständig ausgestattet zu sein (BGH NJW 1969, 36). Einstweilen frei. c) Zubehörstücke (Nr 1). aa) Allgemeines. Zubehörstücke iSd § 98 Nr 1 sind die zum Betrieb bestimmten Maschinen und sonstigen Gerätschaften. Dies freilich nur, wenn sie nicht bereits wesentliche Bestandteile sind (dazu § 93 Rn 3ff, § 94 Rn 2ff). Zudem müssen sie sämtliche Anforderungen des § 97 erfüllen (vgl Rn 1). bb) Maschinen. Bsp: Goldringautomat eines Galvanikbetriebs (Jena OLG-NL 2001, 149, 150); Speiseeismaschine einer Bäckerei (LG Kassel MDR 1959, 487); Maschinen einer Tischlerei (Stettin HRR 1934 Nr 161); Zeichenmaschine für Konstruktionszeichnungen (LG Berlin DGVZ 1977, 156); Waschmaschinen einer Wäscherei (Braunschweig ZMR 1953, 274); Bimsstein-Fertigungsanlage (Koblenz BeckRS 2011, 23570); Brikettierpresse eines Schreinereibetriebes (Düsseldorf BeckRS 2007, 16200); Produktionsmaschinen einer Weberei (Köln NJWRR 1987, 751, 752), eines Schlachthofs (Kassel OLG 15, 327) oder einer Bettfederfabrik (Frankfurt OLGRp 2004, 58). cc) Der Begriff „sonstige Gerätschaften“ ist weit auszulegen (BayObLG 1912, 306, 315; Pal/Ellenberger Rn 3; BeckOK/Fritzsche Rn 9; BeckOGK/Mössner Rn 20). Bsp: Herde, Öfen und Wannen einer Glashütte (RG 66, 356, 359); Ofenwagen einer Ziegelei (BGH NJW 1969, 36); Arbeitspferde eines Sägewerks (RG 69, 87, 87f); Flaschen und Kisten zur Verpackung der Ware (BayObLG 1912, 306, 315); Zahnpressformen eines Dentallabors (BGH NJW 1991, 695, 696); Einrichtungsgegenstände und Instrumente einer chirurgischen Praxis (Brandenburg BeckRS 2010, 31098); Apothekeneinrichtung (PrOVG JW 1920, 71); Schlächtereiinventar (Hamburg OLG 24, 247); Büroeinrichtung eines Gewerbebetriebs (BayObLG OLG 24, 250, 251; Köln NJW-RR 1987, 751, 752; AG Meppen DGVZ 1968, 92); spezielle Einrichtung eines Großraumbüros (LG Mannheim MDR 1977, 49); ZeiJ. Schmidt

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chentische eines Metallbaubetriebs (LG Berlin DGVZ 1977, 156); Registrierkasse (Kiel JW 1933, 1422); Kostüme einer Singspielhalle (KG OLG 30, 328); Kegelaufstell- und Münzautomatik einer Gaststätte (BGH NJW 1969, 2135); Kühlanlage einer Gaststätte (Hamm NJW-RR 1986, 376); allg Gaststätteninventar (RG 47, 197, 200; 48, 207, 209; BGH NJW-RR 2005, 1175; LG Marburg DGVZ 67, 153; Celle OLG 1980, 13, 14; Schleswig Rpfleger 1988, 76; vgl aber zur vereinzelten Verneinung qua Verkehrsanschauung § 97 Rn 21); Hotelinventar (BGH NJWRR 2005, 1175; FG Köln BeckRS 2015, 95246); Telekommunikationsanlage eines Hotels (LG Flensburg Rpfleger 2000, 345); Sauna eines Sauna-Clubs (AG Betzdorf DGVZ 1989, 189; vgl auch AG Ludwigsburg DGVZ 1991, 95). 9 dd) Sonderproblem: Betriebsfahrzeuge. Hier ist maßgeblich, ob der wirtschaftliche Schwerpunkt des Unternehmens auf dem Grundstück zu verorten ist (BGH NJW 1983, 746, 747; 1994, 864, 867). Bejaht wird die Zubehörqualität daher beim Fahrzeugpark einer Fabrik oder eines Handelsunternehmens, mit dem die Bedarfsgüter des Betriebs herangeschafft bzw die erzeugten Produkte ausgeliefert werden (BGH WM 1980, 1383, 1384; vgl auch schon RG 69, 85, 87 [Pferde]; JW 1907, 703 [Kutschwagen]) oder bei einem Hotelbus, der Hotelgäste zur Bahn bringt (RG 47, 197, 200); verneint hingegen beim Fuhrpark moderner Speditions- und Transportunternehmen (BGH NJW 1983, 746; anders noch für Pferde und Wagen eines Pferdefuhrunternehmens: RG JW 1936, 3377); bei praktisch ausschließlich auf den jew Baustellen eingesetzten Maschinen und Geräten eines Bauunternehmens (BGH NJW 1994, 864, 867; Koblenz MDR 1990, 49). 10 3. Landwirtschaftliches Inventar (Nr 2). a) Legislatorische Zweckbestimmung. § 98 Nr 2 verdeutlicht, dass bei einem landwirtschaftlichen Betrieb („Landgut“, dazu Rn 11) die genannten Gegenstände wirtschaftlichen Zwecken des Landguts – und damit zugleich des Grundstücks – zu dienen bestimmt sind; die Norm leitet also vor dem in Rn 1 erläuterten wirtschaftlichen Hintergrund aus der Zweckbestimmung für den landwirtschaftlichen Betrieb diejenige für Betriebsgrundstück ab (vgl MüKo/Stresemann Rn 14). 11 b) Landgut. Landgut sind – idR mehrere – Grundstücke, die durch ihre gemeinsame Zweckbestimmung zur landwirtschaftlichen Nutzung zusammengefasst werden, einen gemeinsamen Betriebsmittelpunkt mit Wohnund Betriebsgebäude haben und zum selbständigen Betrieb der Landwirtschaft eingerichtet und geeignet sind (BFH DStRE 2013, 115, Rn 20; Rostock OLG 29, 211). Die Grundstücke brauchen dabei nicht notwendig aneinanderzuliegen (BFH DStRE 2013, 115, Rn 20); zudem genügt es, wenn eine wirtschaftsfähige Betriebseinheit durch zugepachtete Grundstücke erreicht wird (Stettin JW 1932, 1581; BeckOK/Fritzsche Rn 13; Staud/Stieper Rn 9; NK/Ring Rn 26; BeckOGK/Mössner Rn 25; MüKo/Stresemann Rn 15). Nicht maßgeblich ist demgegenüber wegen der divergierenden Ratio das vom BGH zu §§ 2312, 2049 entwickelte engere Verständnis (Pal/Ellenberger Rn 4; BeckOK/Fritzsche Rn 13; Staud/Stieper Rn 9). Landwirtschaft iSd § 98 Nr 2 sind nicht nur Ackerbau, Vieh- und Geflügelzucht sowie Milchwirtschaft, sondern auch Forstwirtschaft und Fischzucht (BeckOK/Fritzsche Rn 13; Staud/Stieper Rn 10; BeckOGK/Mössner Rn 27; MüKo/Stresemann Rn 15). Erfasst sind sowohl spezialisierte Betriebe (zB Geflügelmast) (Frankfurt HRR 1932 Nr 1915; Braunschweig JW 1932, 2456) als auch Kombinationsbetriebe (Dresden SeuffA 56, Nr 144; BeckOK/Fritzsche Rn 13; Staud/Stieper Rn 10; MüKo/Stresemann Rn 15). Nicht landwirtschaftliche Nebenbetriebe sind unschädlich (RG WarnR 1909 Nr 175). 12 c) Landgutszubehör. aa) Allgemeines. Ebenso wie bei Nr 1 sind auch die in Nr 2 genannten Sachen nur Zubehör, wenn sie nicht bereits wesentliche Bestandteile sind (dazu § 93 Rn 3ff, § 94 Rn 2ff) und sämtliche Anforderungen des § 97 erfüllen (vgl Rn 1, 6). 13 bb) Gerät, das zum Wirtschaftsbetrieb des Landguts bestimmt ist, ist zB: Maschinen und Geräte zur Bodenbearbeitung (zB Pflug, Fräse, Egge), Einbringung des Saatguts (Sämaschine) und der Ernte (zB Mähdrescher, Sense) (BFH DStRE 2013, 115 Rn 20; MüKo/Stresemann Rn 17, vgl auch Pal/Ellenberger Rn 4; Staud/Stieper Rn 11) sowie die Zugmaschinen hierzu (BFH DStRE 2013, 115 Rn 20; Frankfurt BeckRS 2007, 16199; AG Varel DGVZ 1962, 48; Pal/Ellenberger Rn 4; BeckOK/Fritzsche Rn 15; Staud/Stieper Rn 11; MüKo/Stresemann Rn 17); bei Viehhaltung zB Tränkanlage, Melkmaschine (MüKo/Stresemann Rn 17); bei Obstanbau zB eine transportable Beregnungsanlage (Celle BeckRS 2003, 17806); ferner aber auch Büroeinrichtung und das Mobiliar der Wohnräume für die im Betrieb Beschäftigten (RG WarnR 1909 Nr 175; Königsberg HRR 1941 Nr 924). 14 cc) Vieh ist zum Wirtschaftsbetrieb bestimmt, wenn es als Arbeits- oder Zuchttier oder zur Gewinnung von Erzeugnissen gehalten wird (Pal/Ellenberger Rn 4; BeckOK/Fritzsche Rn 16; Staud/Stieper Rn 12; BeckOGK/Mössner Rn 29; NK/Ring Rn 31; MüKo/Stresemann Rn 18), dh zB: Milchkühe (Augsburg OLG 37, 212); Legehennen (RG WarnR 1909 Nr 175); Mastgeflügel (KG OLG 15, 326f; Marienwerder OLG 22, 125; Frankfurt HRR 1932 Nr 1915; Braunschweig JW 1932, 2456); Mastschweine (RG 142, 379, 382); Schweine als „Abfallverwerter“ (Dresden SeuffA 56, Nr 144); Jungbulle (RG HRR 1933 Nr 1185); Fuhrwerks- und Arbeitspferd (München OLG 27, 176); Zuchtpferd (Stettin OLG 40, 413; KG JW 1926, 1033; AG Oldenburg DGVZ 1980, 94; AG Aschaffenburg DGVZ 1991, 45); Wach- und Hütehund (BeckOGK/Mössner Rn 29; MüKo/Stresemann Rn 18). Mastvieh verliert die Zubehörqualität, wenn es schlachtreif wird (RG 142, 379, 382); sonstiges Vieh, wenn es definitiv zum Verkauf bestimmt wird (München JW 1934, 1802; AG Neuwied DGVZ 1975, 63). Keine Beendigung der Zubehörqualität begründet dagegen das Angebot des gesamten Landgutes zum Verkauf (Augsburg OLG 35, 135) oder die nur vorübergehende anderweitige Unterbringung von Tieren (RG WarnR 1935, Nr 16); umgekehrt wird Vieh, das ein Bauer nur vorübergehend als Handelsvieh auf seinem Hof hat, nicht Zubehör (RG 163, 104, 105f, vgl auch § 97 Rn 14ff).

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§ 99

dd) Landwirtschaftliche Erzeugnisse (zum Begriff § 99 Rn 2) sind nur Zubehör iSd § 98 Nr 2, soweit sie zur 15 Fortführung der Wirtschaft bis zu der Zeit erforderlich sind, zu welche gleiche oder ähnliche Erzeugnisse voraussichtlich gewonnen werden. Erfasst sind auch zugekaufte Erzeugnisse (RG JW 1920, 552, 553 [Saatgut]). Dass der Erlös zur Betriebsfortführung verwendet werden soll genügt nicht (RG DNotZ 1933, 441). Bei Futtermitteln ist nicht der potentielle, sondern der tatsächliche Viehbestand maßgeblich (München OLG 29, 245). ee) Dünger. § 98 Nr 2 erfasst nur den auf dem Gut gewonnen Dünger, einschl etwaigen Kunstdünger (Staud/ 16 Stieper Rn 14; BeckOGK/Mössner Rn) 36. Zugekaufter Dünger wurde bewusst ausgenommen (Prot III, 23); er kann jedoch gem § 97 Zubehör sein (Staud/Stieper Rn 14; BeckOGK/Mössner Rn 36; NK/Ring Rn 35; MüKo/ Stresemann Rn 20).

§ 99

Früchte

(1) Früchte einer Sache sind die Erzeugnisse der Sache und die sonstige Ausbeute, welche aus der Sache ihrer Bestimmung gemäß gewonnen wird. (2) Früchte eines Rechts sind die Erträge, welche das Recht seiner Bestimmung gemäß gewährt, insbesondere bei einem Recht auf Gewinnung von Bodenbestandteilen die gewonnenen Bestandteile. (3) Früchte sind auch die Erträge, welche eine Sache oder ein Recht vermöge eines Rechtsverhältnisses gewährt. 1. Überblick und Ratio. § 99 enthält eine Legaldefinition des Fruchtbegriffs als Basis für die zahlreichen Vorschriften, die diesen Begriff verwenden (vgl Mot III, 67f). Die Norm differenziert zw folgenden Kategorien: (1) Unmittelbare Sachfrüchte (Abs I), (2) unmittelbare Rechtsfrüchte (Abs II), (3) mittelbare Sach- und Rechtsfrüchte (Abs III). Entspr der gemeinrechtlichen Terminologie werden unmittelbare Früchte teils auch als „natürliche“, mittelbare teils auch als „zivile“, „bürgerliche“ oder „juristische“ Früchte bezeichnet. 2. Unmittelbare Sachfrüchte (Abs I). a) Erzeugnisse (Alt 1). Erzeugnisse sind alle natürlichen Tier- und Bodenprodukte (BGH NJW-RR 1989, 673, 674). Maßgeblich ist die Verkehrsauffassung (Staud/Stieper Rn 7), wobei indes nicht auf das alltagssprachliche Verständnis des Begriffs „Frucht“ abzustellen ist. Früchte sind daher zB nicht nur Beeren, Obst, Getreide etc; vielmehr können auch Pflanzen und Bäume als Bodenprodukte Früchte sein (vgl RG 80, 229, 232; 109, 190, 192; BeckOGK/Mössner Rn 5.1; MüKo/Stresemann Rn 2). Tierprodukte sind etwa Eier eines Huhns, Milch einer Kuh, Wolle eines Schafs (RG 22, 272, 724) oder Jungtiere wie Kälber, Fohlen, Lämmer, Küken etc (BeckOK/Fritzsch Rn 4; Staud/Stieper Rn 7; NK/Ring 12; BeckOGK/Mössner Rn 5.2; MüKo/ Stresemann Rn 2). Irrelevant ist, ob die Bestimmung der Muttersache gerade darin besteht, derartige Produkte hervorzubringen (Bsp: Perle einer Auster) (arg e 2. Alt; vgl auch MüKo/Stresemann Rn 3); ob die Gewinnung den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft entspricht, dh erfasst sind auch sog Übermaßfrüchte (vgl Mot III, 68f; RG 80, 229, 231f); oder ob die Gewinnung durch einen Berechtigten erfolgte (vgl Mot III, 68f). Die Substanz der Sache darf aber nicht verbraucht werden (Pal/Ellenberger Rn 2; BeckOK/Fritzsche Rn 4; Staud/Stieper Rn 6; BeckOGK/Mössner Rn 6; NK/Ring Rn 14; MüKo/Stresemann Rn 3), keine Erzeugnisse sind daher zB das Fleisch eines Tiers oder der Lehm einer Lehmgrube. b) Bestimmungsgemäße Ausbeute (Alt 2). aa) Frucht ist weiterhin das, was zwar nicht Erzeugnis der Sache ist, aber bestimmungsgemäß aus ihr gewonnen wird. Im Gegensatz zur Alt 1 (vgl Rn 2) besteht hier gerade kein Erfordernis der Erhaltung der Sachsubstanz; die Minderung der Sachsubstanz bzw ggf nach und nach sogar die völlige Ausbeutung der Sache (zB Kies aus einer Kiesgrube) ist vielmehr gerade charakteristisch für die Ausbeute iSd Alt 2 (vgl BGH LM Nr 2 zu § 581; BeckOK/Fritzsche Rn 6; Staud/Stieper Rn 9; BeckOGK/Mössner Rn 9; MüKo/Stresemann Rn 4; s auch Mot III, 69; Prot III, 23f [Fleisch eines Ochsen]). Ausbeute kann gerade nur sein, was aus der Sachsubstanz gewonnen wurde und damit selbst Sachqualität hat (BeckOK/Fritzsche Rn 6; Staud/ Stieper Rn 10; BeckOGK/Mössner Rn 9f; MüKo/Stresemann Rn 5; aA noch Erman/Michalski13 Rn 5). Die Ausbeute ist der Bestimmung der Sache gemäß, wenn ihre Gewinnung der naturgemäßen oder verkehrsüblichen Nutzung der Sache oder der Absicht des Verfügungsberechtigten entspricht (RG 94, 259, 261). cc) Beispiele: Ausbeute sind damit zB (vgl Staud/Stieper Rn 8; BeckOGK/Mössner Rn 8ff; MüKo/Stresemann Rn 4): Kohle, Erz, Steine, Kies und Sand (BGH LM Nr 2 zu § 581), Mineralien, Torf (Oldenburg NdsRpfl 1953, 124), Mineralwasser (Mot III, 69); nicht dagegen – mangels Sachqualität – zB Elektrizität, Energie aus Wasserkraft (RG SeuffA 83 Nr 68) oder Wind (Staud/Stieper Rn 10; MüKo/Stresemann Rn 5; aA noch Erman/Michalski13 Rn 5); ferner auch nicht – mangels Bestimmungsgemäßheit – ein Schatz (Pal/Ellenberger Rn 2; BeckOK/ Fritzsche Rn 8; BeckOGK/Mössner Rn 8.2; NK/Ring Rn 22; MüKo/Stresemann Rn 5). 3. Unmittelbare Rechtsfrüchte (Abs II). a) Grundsätze. Unmittelbare Rechtsfrüchte sind die Erträge, welche das Recht seiner Bestimmung gemäß gewährt. Das Recht muss also seinem Inhalt nach unmittelbar auf die Gewinnung der Erträge durch den Rechtsinhaber gerichtet sein (Staud/Stieper Rn 11; BeckOGK/Mössner Rn 11; MüKo/Stresemann Rn 8). Rechtsfrucht iSd § 99 II ist damit insb auch nur der bestimmungsgemäße Ertrag entspr dem Inhalt des Rechts (BeckOK/Fritzsche Rn 12; Staud/Stieper Rn 12; BeckOGK/Mössner Rn 12; NK/Ring Rn 23, 25; MüKo/Stresemann Rn 8). Erträge iSd § 99 II können nur Gegenstände sein, die selbständig neben dem Stammrecht existieren und vom Rechtsverkehr als etwas von diesem Verschiedenes angesehen werden (BSG MDR 1982, 698 Rn 27; BeckOK/Fritzsche Rn 9; BeckOGK/Mössner Rn 13; Staud/Stieper Rn 12). Welcher Natur das Stammrecht ist, ist dagegen irrelevant; fruchtbringende Rechte können dinglicher, obligatorischer, mitgliedJ. Schmidt

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schaftlicher oder auch öffentlich-rechtl Natur sein (vgl BeckOK/Fritzsche Rn 9; Staud/Stieper Rn 11; BeckOGK/ Mössner Rn 11.2; s ferner auch BSG MDR 1982, 698 Rn 27 sowie die in Rn 6 genannten Einzelfälle). b) Kasuistik. Rechtsfrüchte iSv Abs II sind zB: Erträge des Nießbrauchers (KG NJW 1964, 1808f), Pächters (RG JW 1938, 3040, 3041), Reallastberechtigten (Staud/Stieper Rn 11; MüKo/Stresemann Rn 9); Leistungen einer Leibrente (RG 67, 204, 210; 80, 208, 209); monatliche Zahlungsansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung (BSG MDR 1982, 698 Rn 27; SGb 2004, 483, Rn 22); aufgrund Bergwerkeigentums gewonnene Kohle (RG DJ 1938, 2048, 2049); Zinsen einer Kapitalforderung (Pal/Ellenberger Rn 3; BeckOK/Fritzsche Rn 10; Staud/ Stieper Rn 17; NK/Ring Rn 29; MüKo/Stresemann Rn 9); Darlehenszinsen (Staud/Stieper Rn 17; aA [§ 99 III]: BeckOK/Fritzsche Rn 14; MüKo/Stresemann Rn 6); Dividende einer Aktie (Bremen WM 1970, 1206, 1207; vgl auch BGH NJW 2002, 3467, 3468f; NZG 2008, 189 Rn 11); Gewinnanteile bei einer GmbH (BGH NJW 1995, 1027, 1028f; Brandenburg BeckRS 2014, 03333) oder OHG/KG (BGH NJW 1972, 1755, 1756; 1981, 115, 117; 1981, 1560, 561) oder KG (München DStR 2016, 2000 Rn 12); Ausgleichszahlung bei einem Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag (BGH NJW 2002, 3467, 3469; NZG 2008, 189, Rn 11; NZG 2011, 701, Rn 9); Verbandsmitgliedern aus dem Genossenschaftswald zugeteilte Holzmengen (BGH NJW 1986, 1042, 1043); Jagdbeute als Frucht des Jagdrechts (KG OLG 4, 44, 45; LG Kassel 16.6.1981 – 7 O 130/81; vgl auch BGH NJW 1991, 1421, 1423); erbeutete Wasserkraft bei Wassernutzungsrecht (RG SeuffA 83 Nr 68); nicht dagegen: Bezugsrecht des Aktionärs (BGH NJW 1972, 1755, 1756; RFH JW 1921, 491, 492; KG OLG 24, 139, 140; BayObLG OLG 36, 282, 283; Bremen WM 1970, 1206, 1207); Stimmrecht des Aktionärs (Staud/Stieper Rn 17; BeckOGK/Mössner Rn 13.6; NK/ Ring Rn 32); beim Aktienverkauf erzielter Kursgewinn (Bremen WM 1970, 1206, 1207); Liquidationsanteil bei Auflösung von Verein/Gesellschaft (Staud/Stieper Rn 17; BeckOGK/Mössner Rn 13.6; NK/Ring Rn 32); Gehaltszahlungen aus Dienstvertrag (RG 69, 59, 64); Vergütung für Aufgabe der Milcherzeugung (VG Stade WM 1987, 1312, 1313). c) Sonderproblem: Unternehmensertrag. Str ist die rechtliche Einordnung von Erträgen eines Unternehmens. Gegen eine Analogie zu Abs I (dafür etwa Soergel/Marly Rn 3; MüKo/Schwab § 818 Rn 33) spricht, dass Unternehmen als solche keine „Sachen“ sind. Näher liegt insoweit mit Blick auf die Ähnlichkeit des Unternehmensgewinns mit Rechtsfrüchten (insb Gewinnanteile einer GmbH/oHG/KG, dazu Rn 6) (vgl auch BGH NJW 1952, 1410, 1411; LM Nr 1 zu § 102) eine Analogie zu Abs II (dafür etwa Staud/Schaub § 581 Rn 7; MüKo/Stresemann Rn 11). Die Rspr qualifiziert Unternehmensgewinne indes als Nutzungen iSd § 100 (BGH NJW 1975, 638, 640; 1978, 1578; 1984, 2937, 2938; 2006, 2847, Rn 46; BeckRS 2012, 20762). Da die meisten Rechtsfolgenormen ohnehin auf den Oberbegriff „Nutzungen“ abstellen, ist die praktische Relevanz der Kontroverse freilich begrenzt (vgl BeckOK/Fritzsche § 100 Rn 11; BeckOGK/Mössner Rn 10.1; MüKo/Stresemann Rn 11). Keine Nutzungen sind jedenfalls der Gewinn(teil), der ausschließlich auf den persönlichen Leistungen oder Fähigkeiten desjenigen beruht, der die gewinnbringenden Einnahmen erzielt hat (BGH NJW 1978, 1578; 2006, 2847, Rn 46; BeckRS 2012, 20762; BeckOK/Fritzsche Rn 11; Staud/Stieper Rn 15; BeckOGK/Mössner Rn 10; MüKo/Stresemann Rn 11; vgl auch bereits BGH NJW 1952, 1410, 1411). 4. Mittelbare Sach- und Rechtsfrüchte (Abs III). a) Grundsätze. Früchte sind ferner gem Abs III Erträge, welche eine Sache oder ein Recht vermöge eines Rechtsverhältnisses gewährt. Der Begriff „Erträge“ ist insoweit freilich nicht ganz glücklich, denn tatsächlich handelt es sich um die Gegenleistung für die Überlassung der Sache oder des Rechts an andere zur Nutzung (BGH NJW-RR 2009, 1610 Rn 12; Staud/Stieper Rn 18; BeckOGK/Mössner Rn 14). Das Rechtsverhältnis kann sowohl vertraglicher als auch gesetzlicher Natur sein (BeckOK/Fritzsche Rn 13; Staud/Stieper Rn 19; BeckOGK/Mössner Rn 15; NK/Ring Rn 38; vgl die Bsp unten). Erworben werden die Früchte bereits mit Fälligkeit (RG 138, 69, 72; BGH NJW 2011, 1436 Rn 15; BeckOK/Fritzsche Rn 13; MüKo/ Stresemann Rn 6, § 101 Rn 3; abw Staud/Stieper § 101 Rn 2; Erman/Michalski13 § 101 Rn 6). b) Kasuistik. aa) Mittelbare Sachfrüchte. Mietzins (RG 67, 378, 380; 81, 146, 149; 105, 408, 409; 138, 69, 71; BGH NJW 1986, 1340; 2011, 749 Rn 15; NZM 2014, 582 Rn 12; Celle BeckRS 2015, 13142); Untermietzins (BGH NJW-RR 2009, 1522 Rn 23); Pachtzins (RG 67, 116, 119); Unterpachtzins (BGH 1, 176, 179); Überbaurente (Celle BeckRS 2012, 01458; Staud/Stieper Rn 19; MüKo/Stresemann Rn 6); Ausgleichszahlungen für Errichtung eines Windrads (Celle BeckRS 2012, 01458); Erträge aus der Verwertung von Abbildern der Gebäude und Gärten auf einem Grundstück (BGH NJW 2011, 749 Rn 15; KG BeckRS 2013, 01741; AG Hamburg ZUM 2012, 819); nicht: Brandversicherungssumme (BGH NJW 1991, 2836, 2837; Düsseldorf NJW-RR 1997, 604; Brandenburg VIZ 2000, 182, 185); Kaufpreis (BeckOK/Fritzsche Rn 14; Staud/Stieper Rn 18; NK/Ring Rn 39); Enteignungentschädigung (BeckOK/Fritzsche Rn 14; Staud/Stieper Rn 18; NK/Ring Rn 39); Eigenheimzulage (FG Brandenburg DStRE 2007, 437). bb) Mittelbare Rechtsfrüchte. Verzugszinsen (BGH NJW 1981, 2350, 2351); Lizenzgebühr für Überlassung eines Immaterialgüterrechts (Pal/Ellenberger Rn 4; BeckOK/Fritzsche 15; Jauernig/Jauernig Anm zu §§ 99-103 Rn 3; Staud/Stieper Rn 20; BeckOGK/Mössner Rn 16.2; NK/Ring Rn 40). 5. Rechtliche Bedeutung. a) Den Erwerb des Eigentums von Sachfrüchten regeln die §§ 953ff. Sind Früchte Rechte, so entstehen sie in der Person des Fruchtziehungsberechtigten. Mittelbare Früchte werden bereits mit Fälligkeit erworben (s Rn 8). b) Von den Erwerbstatbeständen zu trennen sind die Regelungen über die Fruchtverteilung. Den Grundsatz hierfür bestimmt § 101; speziellere Regelungen finden sich ua in den §§ 987ff, 1039 I 2, 1214, 2133. Die Erstattung von Fruchtgewinnungskosten richtet sich nach § 102. 246

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§ 100

§ 100

Nutzungen

Nutzungen sind die Früchte einer Sache oder eines Rechts sowie die Vorteile, welche der Gebrauch der Sache oder des Rechts gewährt. 1. Überblick und Ratio. § 100 normiert eine Legaldefinition des Begriffs Nutzung, der als Oberbegriff zum einen sämtliche Früchte iSd § 99 (dazu § 99 Rn 1ff), zum anderen die Gebrauchsvorteile einer Sache oder eines Rechts umfasst. 2. Gebrauchsvorteile. a) Grundsätze. Gebrauchsvorteile einer Sache ergeben sich aus ihrem Besitz oder der tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit (BeckOK/Fritzsche Rn 5; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 5). Die Gebrauchsvorteile eines Rechts ergeben sich aus seinem gesetzlichen oder vertraglich determinierten Inhalt (BeckOK/Fritzsche Rn 8; BeckOGK/Mössner Rn 9; NK/Ring Rn 10; MüKo/Stresemann Rn 2). Sie müssen nicht zwingend vermögensrechtlicher Natur sein (Pal/Ellenberger Rn 1; BeckOK/Fritzsche Rn 5; NK/Ring Rn 16; BeckOGK/Mössner Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 3; aA Hamburg MDR 1953, 613, 614). Einstweilen frei. b) Beispiele. Gebrauchsvorteile einer Sache sind zB: Bewohnen eines Hauses bzw einer Wohnung (BGH NJWRR 1988, 1093, 1095; NJW 2006, 1582, Rn 11; 2009, 2523, 2524); gewerbliche Nutzung eines Gebäudes (Düsseldorf ZMR 2009, 443 [Hotel]); Nutzung eines Pkw (BGH NJW 2010, 2426, Rn 16; Karlsruhe NJW 2003, 1950, 1951; München NZV 2007, 210); Nutzung einer Hoffläche (BayObLG NJW-RR 1998, 876), einer Garage (BGH NJW 1986, 1340, 1341) oder eines Dachbodens (LG Saarbrücken WuM 1998, 31); Nutzung eines DSL-Anschlusses (BGH NJW 2013, 1072); Reiten eines Pferdes (BGH NJW 1981, 865, 866); bei Geld nicht nur Zinserträge (BGH NJW 1997, 933, 935; DStR 2012, 1668, Rn 9), sondern auch durch Tilgung ersparte Zinsen (BGH NJW 1998, 2354; DStR 2012, 1668, Rn 9; Hamburg BeckRS 2014, 09381). Zu den Gebrauchsvorteilen eines Rechts gehört zB die Grundstücksnutzung aufgrund eines dinglichen Wohnrechts (BGH NJW-RR 1988, 1093, 1095; Brandenburg BeckRS 2010, 06760). 3. Abgrenzung. a) Keine Gebrauchsvorteile sind hingegen Vorteile aus dem Verbrauch (RG JW 1915, 324; BGH NJW 1954, 1194, 1195; Staud/Stieper Rn 1; BeckOGK/Mössner Rn 7) oder der Zerstörung (BGH NJW 1991, 2836, 2837). Keine Gebrauchsvorteile sind daher zB: Verbrauch von Benzin (BGH NJW 1954, 1194, 1195); Brandversicherungssumme (BGH NJW 1991, 2836, 2837). b) Keine Gebrauchsvorteile sind ferner die nur mittels einer Sache bzw eines Rechts erzielten Vorteile aus der Veräußerung oder sonstigen rechtsgeschäftlichen Verwertung (lucrum ex negotiatione) (RG JW 1915, 324; WarnR 1915, Nr 70; BGH NJW-RR 2010, 885, Rn 11; Frankfurt BeckRS 2016, 08309; Staud/Stieper Rn 4; BeckOGK/Mössner Rn 7), zB: Zahlungsansprüche nach dem BetrPrämDurchfG (BGH NJW-RR 2010, 885, Rn 11); beim Aktienverkauf erzielter Kursgewinn (Bremen WM 1970, 1206, 1207); Bezugsrecht des Aktionärs (KG OLG 24, 139; BayObLG OLG 36, 282, 283; Bremen WM 1970, 1206, 1207; BGH NJW 1972, 1755, 1756). c) Str ist die Einordnung des Stimmrechts eines Gesellschafters. Im sachenrechtlichen Schrifttum wird es unter Berufung auf RG 118, 266, 268 verbreitet unreflektiert als Nutzung qualifiziert (so etwa Pal/Ellenberger Rn 1; BeckOK/Fritzsche Rn 8; Staud/Stieper Rn 7; MüKo/Stresemann Rn 3). Im GmbH- und Aktienrecht wurde zwar teils ebenfalls vertreten, dass das Stimmrecht als Nutzung allein dem Nießbraucher zustehe (so etwa SchmidtRimpler NJW 1953, 1503; von Godin/Wilhelmi4 1971, § 134 AktG Anm 4); andere plädieren für gemeinschaftliche Ausübung (so etwa Schön ZHR 158, 229, 260ff) oder eine Aufspaltung analog §§ 1036 I, 1066 I (so etwa Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und sonstiges Recht, 1996, 111f); nach überzeugender und heute ganz hM steht das Stimmrecht als Verwaltungsrecht jedoch allein dem Gesellschafter zu (Koblenz NJW 1992, 2163; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG19 2016, § 15 GmbHG Rn 119; MüKo/Reichert/Weller § 15 GmbHG Rn 337; K. Schmidt/Lutter/Ziemons § 12 AktG Rn 6; jedenfalls für Grundlagenbeschlüsse auch BGH NJW 1999, 571, 572). d) Unternehmenserträge. S dazu § 99 Rn 7. 4. Rechtliche Bedeutung. a) Definitionsnorm. § 100 ist als Definitionsnorm (vgl Rn 1) für eine Vielzahl von Vorschriften, die den Begriff Nutzungen verwenden, von Bedeutung, zB: §§ 256 S 2, 292 II, 302, 308 Nr 7a, 346 I, 347, 379 II, 446 S 2, 474 V, 508 S 4, 584b S 1, 818 I, 820 II, 987, 988, 990, 991 I, 993, 994 I, 995, 1030, 1039 II, 1213, 1214, 1283 I, 1698 II, 1813 I Nr 4, 2020, 2023 II, 2111 I 1, 2133, 2184, 2379 S 1, 2380 S 2; außerhalb des BGB zB: §§ 13 II, 16, 33 IV Nr 1 WEG; §§ 4 I, 9, 863 ZPO; §§ 56 S 2, 150d S 1, 155 ZVG. b) Wertersatz für Nutzungen. Da Nutzungen idR nicht in natura herausgegeben werden können, begründet die Verpflichtung zur Herausgabe regelmäßig eine Pflicht zum Wertersatz (vgl §§ 346 II 1 Nr 1, 818 II, 987 II). Die Bewertung von Gebrauchsvorteilen richtet sich nach dem objektiven Wert (BGH NJW 1995, 2627, 2628; 2013, 1072, Rn 9; BeckRS 2013, 05337, Rn 28). Bei der Eigennutzung beweglicher Sachen erfolgt die Berechnung grds nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung, dh nach einem Vergleich zw dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Werts der Sache bzw des vereinbarten Kaufpreises (sog Wertverzehr) (BGH NJW 1991, 2484; 1996, 250, 252; 2006, 1582, Rn 12). Bzgl der Eigennutzung eines Grundstücks bzw einer Wohnung ist Bemessungsgrundlage dagegen der übliche Miet- oder Pachtzins für dieses oder ein vergleichbares Objekt (BGH NJW 1983, 2024, 2025; 2006, 1582, Rn 11; 2009, 2523, Rn 30;

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NJW-RR 2009, 1522, Rn 24). Außer Betracht bleiben Vorteile, die auf werterhöhenden Investitionen des Besitzers beruhen (BGH NJW 1990, 447, 450; 1992, 892; 1995, 2627, 2628). Zu Unternehmenserträgen s § 99 Rn 7.

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Verteilung der Früchte

Ist jemand berechtigt, die Früchte einer Sache oder eines Rechts bis zu einer bestimmten Zeit oder von einer bestimmten Zeit an zu beziehen, so gebühren ihm, sofern nicht ein anderes bestimmt ist: 1. die in § 99 Abs. 1 bezeichneten Erzeugnisse und Bestandteile, auch wenn er sie als Früchte eines Rechts zu beziehen hat, insoweit, als sie während der Dauer der Berechtigung von der Sache getrennt werden, 2. andere Früchte insoweit, als sie während der Dauer der Berechtigung fällig werden; bestehen jedoch die Früchte in der Vergütung für die Überlassung des Gebrauchs oder des Fruchtgenusses, in Zinsen, Gewinnanteilen oder anderen regelmäßig wiederkehrenden Erträgen, so gebührt dem Berechtigten ein der Dauer seiner Berechtigung entsprechender Teil. 1. Ratio und Überblick. § 101 regelt, wem die Früchte „gebühren“, dh das schuldrechtliche Verhältnis sukzessiv Fruchtziehungsberechtigter untereinander (RG 80, 311, 316; BGH NJW 1995, 1027, 1029; NZG 2011, 701, Rn 23; NZG 2011, 780, Rn 23; BFH DB 1992, 354; GmbHR 1998, 799, 800). Derjenige, dem die Früchte nach § 101 zustehen, hat einen schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch auf Herausgabe der Früchte, die sein Vorgänger oder Nachfolger gezogen hat bzw zieht (BGH NZG 2011, 701, Rn 21; NZG 2011, 780, Rn 21; Staud/Stieper Rn 1; BeckOGK/Mössner Rn 8; NK/Ring Rn 2; MüKo/Stresemann Rn 2). Nicht Regelungsgegenstand ist hingegen der Fruchterwerb; dazu bereits § 99 Rn 8, 11. 2. Allgemeine Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruchs aus § 101. a) Allg Voraussetzung für einen Ausgleichsanspruch aus § 101 ist zunächst, dass tatsächlich Früchte gezogen werden bzw wurden; dass Früchte hätten gezogen werden könnten, genügt nicht (RG Gruchot 57 [1913], 902, 905; BGH NJW 1995, 1027, 1029; NZG 2011, 701 Rn 21; 2011, 780, Rn 21). b) Zweitens muss dem Schuldner ein Fruchtziehungsrecht zugestanden haben (BGH NJW 1995, 1027, 1029; NZG 2011, 701, Rn 21; 2011, 780, Rn 21). Daran fehlt es zB, wenn der Betreffende im Falle des § 304 AktG gar nicht außenstehender Aktionär ist (BGH NZG 2011, 701, Rn 21; 2011, 780, Rn 21) oder bei einer GmbH, die als Inhaberin eigener Anteile gar kein Gewinnanteilsrecht hat (BGH NJW 1995, 1027, 1029). c) Drittens muss das Fruchtziehungsrecht befristet sein. § 101 findet nicht nur im Verhältnis unmittelbar aufeinander folgender Fruchtziehungsberechtigter Anwendung, sondern überall dort, wo jemand Früchte bis zu einem bestimmten Zeitpunkt oder von einer bestimmten Zeit an zu beziehen berechtigt ist (RG Gruchot 57 [1913], 902, 904; BeckOK/Fritzsche Rn 3; BeckOGK/Mössner Rn 5; MüKo/Stresemann Rn 4). Typische Anwendungsfälle sind zB im Verhältnis Veräußerer/Erwerber, Pächter/Verpächter, Eigentümer/Nießbraucher, Eigentümer/gutgläubiger Besitzer, Vor-/Nacherbe (vgl BeckOK/Fritzsche Rn 1; BeckOGK/Mössner Rn 4; MüKo/Stresemann Rn 4). 3. Regelungen zur Fruchtverteilung. a) Unmittelbare Sachfrüchte (Nr 1). Bei unmittelbaren Sachenfrüchten ist ausschließlich der Zeitpunkt der Trennung maßgebend. Wann und durch wen die Trennung erfolgte oder wer die Früchte gesät hat, ist irrelevant (Staud/Stieper Rn 4; NK/Ring Rn 10; MüKo/Stresemann Rn 5). Gleiches gilt für Rechtsfrüchte, die zugleich unmittelbare Sachfrüchte sind (Bsp: durch Pächter oder Nießbraucher gewonnene Erzeugnisse). b) Andere Früchte (Nr 2). aa) Grundsatz (Hs 1). Andere Früchten – dh Rechtsfrüchte iSd § 99 II, die nicht zugleich Sachfrüchte sind, sowie mittelbare Früchte iSd § 99 III – gebühren grds dem im Zeitpunkt der Fälligkeit Bezugsberechtigten. bb) Wiederkehrende Erträge (Hs 2). Bei regelmäßig wiederkehrenden Erträgen würde eine Verteilung allein nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit jedoch zu zufälligen und unbilligen Ergebnissen führen (vgl Prot III, 24, 25f); hier gebührt daher jedem der Berechtigten ein der Dauer seiner Berechtigung entspr Teil, die Verteilung erfolgt also pro rata temporis. Als Bsp für regelmäßig wiederkehrende Erträge nennt Hs 2 ausdr die Vergütung für die Überlassung des Gebrauchs oder des Fruchtgenusses (zB Miete, Pacht) sowie Zinsen und Gewinnanteile. Bei anderen Erträgen bezieht sich das „regelmäßig wiederkehrend“ auf die zeitliche Komponente; der Betrag kann jew variieren (BeckOK/Fritzsche Rn 6; BeckOGK/Mössner Rn 12; NK/Ring Rn 14; MüKo/Stresemann Rn 11; vgl auch RG 88, 42, 46 zu § 197). Erfasst sind zB: Gewinnanteile eines Gesellschafters (BGH NJW 1995, 2027, 2029; 1998, 1314; Brandenburg BeckRS 2014, 03333); Rentenschuld und Überbaurente (MüKo/Stresemann Rn 11); Leistungen aufgrund einer Reallast (MüKo/Stresemann Rn 11); Dividenden (RG Gruchot 52 [1908], 1093, 1095; BGH NZG 2011, 701, Rn 23; 2011, 780, Rn 23; vgl aber noch unten Rn 8). 3. Subsidiarität des § 101. Die Regeln des § 101 stehen explizit unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Bestimmung. Eine solche kann zum einen rechtsgeschäftlicher Natur sein, zB eine vertragliche Regelung (Pal/Ellenberger Rn 1; BeckOK/Fritzsche Rn 7; Staud/Stieper Rn 7; NK/Ring Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 12) – so wird etwa bei der Veräußerung von börsennotierten Aktien eine etwaige Dividende idR eingepreist (vgl BGH NZG 2011, 701, Rn 23; 2011, 780, Rn 23 mwN) – oder statutarische Klausel (BGH NJW 1995, 1027, 1028) oder auch eine letztwillige Verfügung (RG Gruchot 52 [1908], 1093, 1095; Gruchot 57 [1913], 902, 905). Sie kann sich aber auch aus dem Gesetz ergeben, entweder kraft ausdr Regelung – so zB in zB §§ 987ff, 1039, 1214, 2111, 2133 – oder aufgrund von Ratio und Telos. So begründet § 101 I Hs 2 weder in direkter noch in analoger Anwendung 248

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§ 103

einen Ausgleichsanspruch eines ausgeschlossenen Minderheitsaktionärs, wenn ein Squeeze-out-Beschluss eingetragen wird, bevor der Anspruch auf Ausgleichszahlung gem § 304 AktG entsteht (BGH NZG 2011, 701, Rn 20ff; 2011, 780, Rn 20ff; Bödecker/Fink NZG 2011, 816, 818; BeckOK/Fritzsche Rn 3; Heider/Hirte GWR 2011, 282; Hüffer/Koch § 327b AktG Rn 7; Staud/Stieper Rn 7; BeckOGK/Mössner Rn 7.1; NK/Ring Rn 14a MüKo/Stresemann Rn 11; Wilsing/Paul EWiR 2011, 450f; aA Altmeppen ZIP 2010, 1773ff; Dreier/Riedel BB 2009, 1822ff; Meilicke AG 2010, 561ff).

§ 102

Ersatz der Gewinnungskosten

Wer zur Herausgabe von Früchten verpflichtet ist, kann Ersatz der auf die Gewinnung der Früchte verwendeten Kosten insoweit verlangen, als sie einer ordnungsmäßigen Wirtschaft entsprechen und den Wert der Früchte nicht übersteigen. 1. Ratio und Rechtsnatur. Die Norm ist Ausprägung des Billigkeitsgedankens: Wer von einem anderen die Herausgabe von Früchten verlangen kann, soll auch die Kosten ihrer Gewinnung tragen (Pal/Ellenberger Rn 1; BeckOK/Fritzsche Rn 1; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 2; NK/Ring Rn 1; MüKo/Stresemann Rn 1). § 102 ist nach allg M eine selbständige Anspruchsgrundlage (BGH LM Nr 1 zu § 102; Pal/Ellenberger Rn 1; BeckOK/Fritzsche Rn 9; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 7; NK/Ring Rn 3; MüKo/Stresemann Rn 6). 2. Voraussetzung: Pflicht zur Herausgabe von Früchten. § 102 gilt für jede Art von Früchten und für jede Art von Herausgabepflicht, ohne Rücksicht auf Eigentum und Besitzrecht (BGH LM Nr 1 zu § 102). Sie kann aus Vertrag oder Gesetz (zB §§ 101, 292 II, 346 I, 446 S 2, 818 I, 987ff, 2020, 2023 II, 2184) folgen (BeckOK/Fritzsche Rn 3; Staud/Stieper Rn 3; BeckOGK/Mössner Rn 3; NK/Ring Rn 2; MüKo/Stresemann Rn 2). Voraussetzung ist aber, dass die Sachen gerade wegen ihrer Qualifikation als Früchte herauszugeben sind (RG JW 1938, 3040, 3042). 3. Rechtsfolge: Anspruch auf Ersatz der Gewinnungskosten. Anspruchsinhalt ist der Ersatz der Gewinnungskosten insoweit, als sie einer ordnungsmäßigen Wirtschaft entsprechen und den Wert der Früchte nicht übersteigen. Gewinnungskosten sind alle Aufwendungen von unmittelbarem Vermögenswert, welche der Bestellung, Gewinnung, Erhaltung und Ernte der Früchte dienen (Staud/Stieper Rn 4; BeckOGK/Mössner Rn 10; MüKo/ Stresemann Rn 4). Bsp: Herstellungs- und Erhaltungskosten für Grubenbauten (RG JW 1938, 3040, 3042); Kosten für Saatgut, Feldbestellung, Düngung, Schädlingsbekämpfung, Ernte (BeckOK/Fritzsche Rn 5; BeckOGK/ Mössner Rn 11, 11.1; NK/Ring Rn 10; MüKo/Stresemann Rn 4). Kosten sind auch der Wert der persönlichen Arbeitsleistung des Fruchtschuldners (BGH LM Nr 1 zu § 102) sowie seiner Angehörigen und Angestellten (BGH NJW 1996, 921, 922f zu § 994; zu § 102: BeckOK/Fritzsche Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 10; NK/Ring Rn 10; MüKo/Stresemann Rn 4); ob die Arbeitskraft auch anderweitig nutzbringend verwertet worden wäre, ist irrelevant (BeckOK/Fritzsche Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 10; NK/Ring Rn 10; MüKo/Stresemann Rn 4; offengelassen von BGH LM Nr 1 zu § 1962; aA Erman/Michalski13 Rn 2; RGRK/Kregel Rn 2). Erfasst sind auch Aufwendungen zur Steigerung der Fruchtgewinnung, unabhängig davon, ob sie tatsächlich zu einem Mehrertrag führen (Staud/Stieper Rn 4; abw KG OLG 22, 272, 273; BeckOGK/Mössner Rn 12; MüKo/Stresemann Rn 5). Die Aufwendungen müssen einer ordnungsmäßigen Wirtschaft entsprechen; maßgeblich ist insoweit die Verkehrsanschauung (vgl Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 13; NK/Ring Rn 12; MüKo/Stresemann Rn 5). Obergrenze ist der Wert der Früchte; dies reflektiert die Ratio der Norm. 4. Geltendmachung, Beweislast. § 102 ist eine selbständige Anspruchsgrundlage (Rn 1). Wird die Herausgabe der Früchte verlangt, begründet der Anspruch aus § 102 aber zugleich ein Zurückbehaltungsrecht gem § 273 (Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 8; NK/Ring Rn 4; MüKo/Stresemann Rn 6). Wenn die herauszugebenden Früchte in Geld bestehen, ist Aufrechnung möglich (Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 8; NK/ Ring Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 6; vgl auch BGH LM Nr 1 zu § 102). Die Beweislast für Gewinnungskosten und Wert der Früchte trägt der Anspruchsteller (BeckOK/Fritzsche Rn 11; Staud/Stieper Rn 5; NK/Ring Rn 13; MüKo/Stresemann Rn 4). 5. Abweichende Regelungen. § 102 ist dispositiv (BeckOK/Fritzsche Rn 10; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 16; MüKo/Stresemann Rn 7). Sonderregelungen für den Ersatz der Gewinnungskosten noch nicht getrennter Früchte enthalten §§ 596a, 998, 1055 II, 2130 II.

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Verteilung der Lasten

Wer verpflichtet ist, die Lasten einer Sache oder eines Rechts bis zu einer bestimmten Zeit oder von einer bestimmten Zeit an zu tragen, hat, sofern nicht ein anderes bestimmt ist, die regelmäßig wiederkehrenden Lasten nach dem Verhältnis der Dauer seiner Verpflichtung, andere Lasten insoweit zu tragen, als sie während der Dauer seiner Verpflichtung zu entrichten sind. 1. Ratio und Überblick. § 103 regelt – quasi als Pendant zu § 101 betr die Verteilung der Früchte – die Verteilung der Lasten mehrerer aufeinanderfolgender Berechtigter, und zwar ebenfalls nur mit schuldrechtlicher Wirkung im Innenverhältnis (BeckOK/Fritzsche Rn 1; Staud/Stieper Rn 1; NK/Ring Rn 1; BeckOGK/Mössner Rn 1; MüKo/Stresemann Rn 1ff). Soweit derjenige, der die Lasten entrichtet hat, sie nach § 103 nicht zu tragen hat, gewährt die Norm ihm unmittelbar einen schuldrechtlichen Ausgleichsanspruch (BGH NZI 2009, 572 Rn 10). J. Schmidt

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Wer die Last im Außenverhältnis ggü dem jew Gläubiger zu tragen hat, ergibt sich aus dem Rechtsgrund der Last (BeckOK/Fritzsche Rn 1; Staud/Stieper Rn 1; BeckOGK/Mössner Rn 15; NK/Ring Rn 3; MüKo/Stresemann Rn 3). 2. Lasten. a) Begriff. Lasten sind Leistungspflichten, welche den Eigentümer, Besitzer oder Rechtsinhaber als solchen treffen (BGH BB 1957, 598; NJW 1980, 2465, 2466) und aus der Sache bzw dem Recht selbst zu entrichten sind und damit den Nutzungswert mindern (RG 66, 316, 318; BGH NJW 1990, 111, 112). Ob sie privatoder öffentlich-rechtl Natur sind, ist irrelevant (BeckOK/Fritzsche Rn 3; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 3; NK/Ring Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 5). b) Beispiele. aa) Lasten einer Sache sind zB: Überbau- und Notwegrenten gem §§ 912 II, 917 II (MüKo/Stresemann Rn 6; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 4); Reallasten gem §§ 1105ff (Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 4); Hypotheken- und Grundschuldzinsen (BGH NJW 1986, 2438, 2439); Grundsteuern (§ 12 GrStG); Erschließungsbeiträge (§ 134 II BauGB); Wertausgleich nach BBodSchG (§ 25 VI BBodSchG); Grundstücksbenutzungsgebühren (BGH ZWE 2010, 364 Rn 8) oder Schmutzwasserbeiträge (BGH NJW-RR 2010, 671 Rn 7f) nach Landesrecht, sofern sie auf dem Grundstück lasten; Kfz-Pflichtversicherungsprämien (AG Hamburg VersR 1977, 1042). bb) Lasten eines Rechts sind zB Verpflichtungen eines Erbbauberechtigten (BeckOK/Fritzsche Rn 6; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 8; NK/Ring Rn 10). c) Abgrenzung. aa) Keine Lasten sind persönliche Verpflichtungen des jew Besitzers/Eigentümers/Rechtsinhabers (BGH NJW 1990, 111, 112; Hamm NJW 1989, 839, 840; Köln VersR 1998, 605; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 3), zB Anliegerstreupflicht (BGH NJW 1990, 111, 112; Hamm NJW 1989, 839, 840), die allg Verkehrssicherungspflicht (Köln VersR 1998, 605), eine durch polizeilichen VA angeordnete Pflicht zur Aufstellung von Hydranten und Müllbehältern (RG 129, 10, 12f) oder Verpflichtungen eines Vermieters aus Nebenkostenabrechnungen (Dresden BeckRS 2015, 19890 Rn 18). bb) Ebenso wenig erfasst sind Belastungen, die nur das Eigentums- oder Verfügungsrecht einschränken, jedoch nicht zu einer Leistung verpflichten, wie zB Nießbrauch, Grunddienstbarkeit und dingliches Vorkaufsrecht (RG 66, 316, 318f; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/ Mössner Rn 7). 3. Befristung der Lastentragungspflicht. Korrespondierend mit § 101 (dazu § 101 Rn 4) findet auch § 103 immer dann Anwendung, wenn jemand bis zu einer bestimmten Zeit oder von einer bestimmten Zeit an zur Lastentragung verpflichtet ist. Typische Anwendungsfälle sind zB im Verhältnis Veräußerer/Erwerber, Besitzer/Eigentümer, Vor-/Nacherbe, Erbe/Vermächtnisnehmer (MüKo/Stresemann Rn 4); spezielle Regelungen enthalten zB §§ 436 I, 446 S 2 (Verkäufer/Käufer), § 535 I 3 (Vermieter/Mieter, gilt qua § 581 II auch für Verpächter/Pächter), §§ 2379f (Erbe/Erbschaftskäufer), § 56 S 2 ZVG (Ersteher in der ZV). 4. Verteilung der Lasten. § 103 differenziert zw regelmäßig wiederkehrenden und andere Lasten. a) Regelmäßig wiederkehrende Lasten werden – korrespondierend mit regelmäßig wiederkehrenden Erträgen (vgl dazu § 101 Rn 7) – pro rata temporis verteilt. „Regelmäßig wiederkehrend“ bezieht sich auch hier auf die zeitliche Komponente; der Betrag kann jew variieren (BeckOK/Fritzsche Rn 7a; Staud/Stieper Rn 6; BeckOGK/Mössner Rn 16; NK/Ring Rn 12; MüKo/Stresemann Rn 9; vgl auch RG 88, 42, 46 zu § 197). Bsp: Überbau- und Notwegrenten gem §§ 912 II, 917 II (MüKo/Stresemann Rn 9); Hypotheken- und Grundschuldzinsen (BGH NJW 1986, 2438, 2439); Grundsteuern (BVerwG NJW 1993, 871, 872); Prämien für Sachversicherungen eines Hausgrundstücks (Düsseldorf NJW 1973, 146) oder Kfz-Pflichtversicherungsprämien (AG Hamburg VersR 1977, 1042). b) Andere Lasten sind bei Fälligkeit zu entrichten (RG 70, 263, 265; BGH NJW 1982, 1278). Bsp: Patronatslasten (RG 70, 263, 265); Erschließungsbeiträge (BGH NJW 1982, 1278; 1994, 2283, 2283; hier gilt jedoch § 436 I); bei Veräußerung eines Gewerbebetriebs anfallende Einkommensteuer (BGH NJW 1980, 2465, 2466). 5. Anderweitige Bestimmung. Ebenso wie § 101 steht auch § 103 explizit unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Bestimmung. Eine solche kann rechtsgeschäftlicher Natur sein, zB eine vertragliche oder statutarische Regelung oder letztwillige Verfügung (BeckOK/Fritzsche Rn 10; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 12; NK/ Ring Rn 17; MüKo/Stresemann Rn 11), sich aber auch aus dem Gesetz ergeben (vgl die in Rn 5 genannten leges speciales).

Abschnitt 3 Rechtsgeschäfte Einleitung vor § 104 1

I. Rechtsgeschäft. 1. Grundsatz der Privatautonomie. Das BGB geht auf der Grundlage einer von den Gedanken der Gleichheit und der Freiheit der Menschen geprägten Vorstellung davon aus, dass jeder Mensch seine privaten Lebensverhältnisse regelmäßig in freier Selbstbestimmung und ohne staatliche Hilfe oder Bevormundung selbst am besten zu gestalten vermag. Deshalb gibt es dem Einzelnen grds die Freiheit, seine Lebensverhältnisse unter Anerkennung durch die Rechtsordnung – ggf im Zusammenwirken mit anderen, etwa durch Vertrag – nach den eigenen Vorstellungen selbst zu ordnen. Dieser Grundsatz der Privatautonomie folgt aus dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts des Menschen und wird im Kern durch Art 1, 2 GG geschützt (BVerfG 8, 274, 328; 72, 250

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Wer die Last im Außenverhältnis ggü dem jew Gläubiger zu tragen hat, ergibt sich aus dem Rechtsgrund der Last (BeckOK/Fritzsche Rn 1; Staud/Stieper Rn 1; BeckOGK/Mössner Rn 15; NK/Ring Rn 3; MüKo/Stresemann Rn 3). 2. Lasten. a) Begriff. Lasten sind Leistungspflichten, welche den Eigentümer, Besitzer oder Rechtsinhaber als solchen treffen (BGH BB 1957, 598; NJW 1980, 2465, 2466) und aus der Sache bzw dem Recht selbst zu entrichten sind und damit den Nutzungswert mindern (RG 66, 316, 318; BGH NJW 1990, 111, 112). Ob sie privatoder öffentlich-rechtl Natur sind, ist irrelevant (BeckOK/Fritzsche Rn 3; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 3; NK/Ring Rn 6; MüKo/Stresemann Rn 5). b) Beispiele. aa) Lasten einer Sache sind zB: Überbau- und Notwegrenten gem §§ 912 II, 917 II (MüKo/Stresemann Rn 6; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 4); Reallasten gem §§ 1105ff (Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 4); Hypotheken- und Grundschuldzinsen (BGH NJW 1986, 2438, 2439); Grundsteuern (§ 12 GrStG); Erschließungsbeiträge (§ 134 II BauGB); Wertausgleich nach BBodSchG (§ 25 VI BBodSchG); Grundstücksbenutzungsgebühren (BGH ZWE 2010, 364 Rn 8) oder Schmutzwasserbeiträge (BGH NJW-RR 2010, 671 Rn 7f) nach Landesrecht, sofern sie auf dem Grundstück lasten; Kfz-Pflichtversicherungsprämien (AG Hamburg VersR 1977, 1042). bb) Lasten eines Rechts sind zB Verpflichtungen eines Erbbauberechtigten (BeckOK/Fritzsche Rn 6; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 8; NK/Ring Rn 10). c) Abgrenzung. aa) Keine Lasten sind persönliche Verpflichtungen des jew Besitzers/Eigentümers/Rechtsinhabers (BGH NJW 1990, 111, 112; Hamm NJW 1989, 839, 840; Köln VersR 1998, 605; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/Mössner Rn 3), zB Anliegerstreupflicht (BGH NJW 1990, 111, 112; Hamm NJW 1989, 839, 840), die allg Verkehrssicherungspflicht (Köln VersR 1998, 605), eine durch polizeilichen VA angeordnete Pflicht zur Aufstellung von Hydranten und Müllbehältern (RG 129, 10, 12f) oder Verpflichtungen eines Vermieters aus Nebenkostenabrechnungen (Dresden BeckRS 2015, 19890 Rn 18). bb) Ebenso wenig erfasst sind Belastungen, die nur das Eigentums- oder Verfügungsrecht einschränken, jedoch nicht zu einer Leistung verpflichten, wie zB Nießbrauch, Grunddienstbarkeit und dingliches Vorkaufsrecht (RG 66, 316, 318f; Staud/Stieper Rn 5; BeckOGK/ Mössner Rn 7). 3. Befristung der Lastentragungspflicht. Korrespondierend mit § 101 (dazu § 101 Rn 4) findet auch § 103 immer dann Anwendung, wenn jemand bis zu einer bestimmten Zeit oder von einer bestimmten Zeit an zur Lastentragung verpflichtet ist. Typische Anwendungsfälle sind zB im Verhältnis Veräußerer/Erwerber, Besitzer/Eigentümer, Vor-/Nacherbe, Erbe/Vermächtnisnehmer (MüKo/Stresemann Rn 4); spezielle Regelungen enthalten zB §§ 436 I, 446 S 2 (Verkäufer/Käufer), § 535 I 3 (Vermieter/Mieter, gilt qua § 581 II auch für Verpächter/Pächter), §§ 2379f (Erbe/Erbschaftskäufer), § 56 S 2 ZVG (Ersteher in der ZV). 4. Verteilung der Lasten. § 103 differenziert zw regelmäßig wiederkehrenden und andere Lasten. a) Regelmäßig wiederkehrende Lasten werden – korrespondierend mit regelmäßig wiederkehrenden Erträgen (vgl dazu § 101 Rn 7) – pro rata temporis verteilt. „Regelmäßig wiederkehrend“ bezieht sich auch hier auf die zeitliche Komponente; der Betrag kann jew variieren (BeckOK/Fritzsche Rn 7a; Staud/Stieper Rn 6; BeckOGK/Mössner Rn 16; NK/Ring Rn 12; MüKo/Stresemann Rn 9; vgl auch RG 88, 42, 46 zu § 197). Bsp: Überbau- und Notwegrenten gem §§ 912 II, 917 II (MüKo/Stresemann Rn 9); Hypotheken- und Grundschuldzinsen (BGH NJW 1986, 2438, 2439); Grundsteuern (BVerwG NJW 1993, 871, 872); Prämien für Sachversicherungen eines Hausgrundstücks (Düsseldorf NJW 1973, 146) oder Kfz-Pflichtversicherungsprämien (AG Hamburg VersR 1977, 1042). b) Andere Lasten sind bei Fälligkeit zu entrichten (RG 70, 263, 265; BGH NJW 1982, 1278). Bsp: Patronatslasten (RG 70, 263, 265); Erschließungsbeiträge (BGH NJW 1982, 1278; 1994, 2283, 2283; hier gilt jedoch § 436 I); bei Veräußerung eines Gewerbebetriebs anfallende Einkommensteuer (BGH NJW 1980, 2465, 2466). 5. Anderweitige Bestimmung. Ebenso wie § 101 steht auch § 103 explizit unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Bestimmung. Eine solche kann rechtsgeschäftlicher Natur sein, zB eine vertragliche oder statutarische Regelung oder letztwillige Verfügung (BeckOK/Fritzsche Rn 10; Staud/Stieper Rn 2; BeckOGK/Mössner Rn 12; NK/ Ring Rn 17; MüKo/Stresemann Rn 11), sich aber auch aus dem Gesetz ergeben (vgl die in Rn 5 genannten leges speciales).

Abschnitt 3 Rechtsgeschäfte Einleitung vor § 104 1

I. Rechtsgeschäft. 1. Grundsatz der Privatautonomie. Das BGB geht auf der Grundlage einer von den Gedanken der Gleichheit und der Freiheit der Menschen geprägten Vorstellung davon aus, dass jeder Mensch seine privaten Lebensverhältnisse regelmäßig in freier Selbstbestimmung und ohne staatliche Hilfe oder Bevormundung selbst am besten zu gestalten vermag. Deshalb gibt es dem Einzelnen grds die Freiheit, seine Lebensverhältnisse unter Anerkennung durch die Rechtsordnung – ggf im Zusammenwirken mit anderen, etwa durch Vertrag – nach den eigenen Vorstellungen selbst zu ordnen. Dieser Grundsatz der Privatautonomie folgt aus dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts des Menschen und wird im Kern durch Art 1, 2 GG geschützt (BVerfG 8, 274, 328; 72, 250

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155; 89, 214). Ausprägungen des Grundsatzes der Privatautonomie finden sich in der Vertragsfreiheit (Vor § 145 Rn 26), der Vereinigungsfreiheit (Art 9 I GG), der Eigentumsfreiheit (§ 903) und der Testierfreiheit (§ 1937). Die Grenzen der Privatautonomie ergeben sich aus der verfassungsmäßigen Ordnung, der Gerechtigkeitsidee, dem Sittengesetz sowie der Schutzbedürftigkeit des Einzelnen und aus seiner sozialen Verantwortlichkeit; sie werden insb durch die Gesetze gezogen. Das wichtigste Mittel zur Verwirklichung der Privatautonomie ist das Rechtsgeschäft, von dem der Dritte Abschnitt des Ersten Buches des BGB (§§ 104–185) handelt. Das Rechtsgeschäft ist der Ausgangspunkt der Regeln etwa über die Geschäftsfähigkeit, die Willensmängel, die Formvorschriften, das Wirksamwerden, die Bedingung und die Stellvertretung. 2. Begriff des Rechtsgeschäfts. Das Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand, der aus mindestens einer Willenserklärung sowie oft aus weiteren Elementen besteht und an den die Rechtsordnung den Eintritt des gewollten rechtlichen Erfolges knüpft. Grundlegend zum Verhältnis Rechtsgeschäft/Willenserklärung aus heutiger Sicht Leenen, FS Canaris, 2007, 699ff mwN. a) Kern des Rechtsgeschäfts ist die Willenserklärung (Vor § 116 Rn 1ff). Sie ist nicht mit dem Rechtsgeschäft identisch. Dennoch verwendet das BGB die beiden Begriffe zT gleichbedeutend nebeneinander. Manchmal erschöpft sich der Tatbestand des Rechtsgeschäfts in einer Willenserklärung (zB Kündigungserklärung); häufig enthält ein Rechtsgeschäft mehrere Willenserklärungen (zB Vertrag). b) Nicht immer wird der Rechtserfolg allein von einer oder mehreren Willenserklärungen herbeigeführt. Oft müssen noch als Wirksamkeitsvoraussetzungen andere Tatbestandsmerkmale hinzutreten. Dabei kann es sich etwa um einen tatsächlichen Vorgang (zB Übergabe bei der Übereignung gem § 929) oder um eine behördliche Mitwirkung (zB Eintragung im Grundbuch beim Erwerb von Grundstücksrechten gem § 873) handeln. Man spricht hier von einem Doppeltatbestand des Rechtsgeschäfts. c) Die Rechtsfolge tritt nicht allein deshalb ein, weil sie gewollt ist. Erforderlich ist die Anerkennung der gewollten Rechtsfolge durch die Rechtsordnung. Missbilligt diese den Rechtserfolg, bleibt er trotz eines entspr Willens aus. So ist etwa ein Vertrag nichtig, wenn eine Vertragspartei geschäftsunfähig ist (§ 105), eine gesetzlich vorgeschriebene Form nicht eingehalten ist (§ 125) oder eine erforderliche Zustimmung (§ 182) verweigert worden ist. In diesen Fällen spricht man von Wirksamkeitsvoraussetzungen. Sie gehören nicht zum Tatbestand des Rechtsgeschäfts; dessen Tatbestand ist auch ohne sie gegeben; dem Rechtsgeschäft mangelt es allerdings an der Wirksamkeit (Wolf/Neuner AT § 28 Rn 5f). 3. Abgrenzung. a) Nicht zu den Rechtsgeschäften zählen die Rechtshandlungen. Sie unterscheiden sich vom Rechtsgeschäft dadurch, dass ihre Rechtsfolgen unabhängig von einem entspr Willen des Handelnden kraft Gesetzes eintreten, während das Rechtsgeschäft Rechtswirkungen auslöst, weil sie gewollt sind (vgl Mot I 127). Zu den Rechtshandlungen zählt man allg die geschäftsähnlichen Handlungen und die Realakte. aa) Geschäftsähnliche Handlungen (Einzelheiten Ulrici NJW 2003, 2053ff) sind Willensäußerungen oder Mitteilungen, an die das Gesetz Rechtsfolgen knüpft, selbst wenn sie nicht gewollt sind. Dadurch unterscheiden sie sich von den Rechtsgeschäften. Bsp für geschäftsähnliche Handlungen sind die Mahnung (§ 286 I 1; BGH 47, 357), die Fristsetzung (§§ 281, 323 I), die Aufforderung zur Erklärung über die Genehmigung (§§ 108 II, 177 II, 1366 III), Mitteilungen und Anzeigen (§§ 149, 170, 171, 374 II, 409 I, 411, 415 I 2, 416 BGB, § 377 I HGB), aber auch die Einwilligung in eine Rechtsgutverletzung: Operation (BGH 29, 36; anders BGH 90, 101f; vgl auch Rossner NJW 1990, 2292 sowie im Betreuungsrecht zu § 1904), mit einer Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung (RG WarnRspr 61 Nr 97; BGH NJW 1964, 1177; vgl dazu auch Schwab FamRZ 1990, 687; Schumacher FamRZ 1991, 281; Coeppicus FamRZ 1992, 751). Über die geschäftsähnlichen Handlungen enthält das Gesetz keine allg Regelungen. Regelmäßig werden sie indes in dem Bewusstsein oder gar in der Absicht vorgenommen, dass damit Rechtsfolgen ausgelöst werden. Insoweit besteht eine Ähnlichkeit mit den Rechtsgeschäften. Daher sind vielfach die Regeln über Rechtsgeschäfte entspr anzuwenden (vgl BGH 47, 357; NJW 1989, 1792). Das gilt etwa für die Geschäftsfähigkeit (§§ 104ff), das Wirksamwerden (§§ 130ff), die Auslegung (§ 133), die Stellvertretung (§§ 164ff), die Zustimmung (§§ 182ff). Jedoch werden unter den geschäftsähnlichen Handlungen sehr verschiedenartige Fallgruppen zusammengefasst. Deshalb ist jew zu prüfen, inwieweit sie einem Rechtsgeschäft ähneln und welche Bestimmungen daher einer analogen Anwendung fähig sind; eine Analogie darf also niemals schematisch vorgenommen werden (Wolf/Neuner AT § 28 Rn 10ff). bb) Realakte (Tathandlungen) sind solche Handlungen, bei denen das Gesetz die Rechtsfolge ausschließlich an einen tatsächlichen Vorgang und nicht an den Willen knüpft. Bei ihnen kommt es – im Gegensatz zu den geschäftsähnlichen Handlungen – auf eine Willensäußerung nicht an. Bsp für Realakte sind Verbindung, Vermischung, Verarbeitung (§§ 946ff), Besitzveränderungen (§§ 854, 856; ausgenommen § 854 II), Fund und Schatzfund (§§ 965ff, 984), der Widerruf von Behauptungen (BGH NJW 1952, 417) sowie die Schaffung urheberrechtlich geschützter Werke. Wegen der Bedeutungslosigkeit des Willens ist eine analoge Anwendung der Regeln über das Rechtsgeschäft grds selbst dann ausgeschlossen, wenn der Realakt auf einem Willen beruht, der auf den tatsächlichen Erfolg gerichtet ist. Auch hier kommen allerdings Ausnahmen für Elemente des Realakts in Betracht, die der Willenserklärung angenähert sind. Es gibt zB Realakte, die neben dem äußeren Tatbestand noch einen Willen erfordern (sog gemischte Realakte); dazu gehören zB die Wohnsitzbegründung und -aufhebung (§§ 7, 8), die Rückgabe der Pfandsache Müller

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(§ 1253), das Einbringen von Sachen in Mieträume und bei Gastwirten (§§ 562, 704). Auf sie sind einige der für die Willenserklärung geltenden Vorschriften entspr anwendbar (zB über die Geschäftsfähigkeit, nicht jedoch über die Anfechtung). cc) Die Verzeihung (§§ 532, 1, 2337, 2343) ist eine Rechtshandlung eigener Art, durch die eine Gesinnung zum Ausdruck gebracht wird (vgl Flume § 9, 2c; Staud/Klumpp Vorbem zu §§ 104ff Rn 114; anders – Realakt – Erman/Palm12 Rn 9). Zwar sind die rechtsgeschäftlichen Regeln, insb die Vorschriften über Willensmängel, nicht analog anwendbar; jedoch setzt eine wirksame Verzeihung die Kenntnis der Verfehlung und ihrer Tragweite voraus (RG 154, 255f). b) Nach den Lehren vom fehlerhaften Vertrag (Vor § 145 Rn 39ff) und vom sozialtypischen Verhalten (Vor § 145 Rn 42ff) sollen in bestimmten Fällen vertragliche Schuldverhältnisse auch ohne entspr Willenserklärungen allein durch ein tatsächliches („sozialtypisches“) Verhalten entstehen können (vgl etwa BGH 21, 319; 23, 175; 23, 261). Beim „fehlerhaften Vertrag“ geht es um die Abwicklung nichtiger Dauerschuldverhältnisse. Mit dem „sozialtypischen Verhalten“ soll ein rechtsgeschäftlicher Erfolg ohne Willenserklärungen begründet werden, weil außervertragliche Regelungen (unerlaubte Handlung, ungerechtfertigte Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag) vielfach nicht ausreichen sollen. Die Lehre vom sozialtypischen Verhalten ist abzulehnen, weil nach geltendem Recht allein durch Tathandlungen kein Vertragsverhältnis entstehen kann und sich sachgerechte Ergebnisse auch ohne diese Lehre erreichen lassen: Bei der Inanspruchnahme von öffentlich angedienten Versorgungsleistungen (Gas, Wasser, Elektrizität, Verkehrsmittel, Parkplatz usw) wird vielfach eine konkludente Willenserklärung vorliegen. Selbst wenn ein Autofahrer dem Wärter eines gebührenpflichtigen Parkplatzes erklärt, er wolle zwar parken, aber keine Bewachung und er zahle auch nicht (BGH 21, 319), liegt eine Willenserklärung vor, da sein Verhalten keine andere Auslegung zulässt als die auf Abschluss eines Bewachungsvertrags (protestatio facto contraria). Die Lehre missachtet auch den Schutz des Nichtgeschäftsfähigen (§§ 104ff), weil sie ihn vertraglich bindet (vgl dazu Medicus NJW 1967, 354). In neuerer Zeit arbeitet die Rechtspraxis statt mit der Rechtsfigur des sozialtypischen Verhaltens zumeist mit allg Instrumenten der Rechtsgeschäftslehre (vgl BGH 55, 128; 95, 399; NJW 1965, 387; 1983, 1777; 2016, 863, 864f; zur Kritik der Lehre vom sozialtypischen Verhalten vor allem Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999, 64ff, 302ff, 344f, der die Problematik mit einer Schadensersatzpflicht wegen der Verletzung eines Kontrahierungsgebots lösen will; vgl ferner Lehmann NJW 1958, 1; Bork AT Rn 744f; Flume § 8; Wolf/Neuner AT § 37 Rn 44ff; Staud/Singer § 133 Rn 59f; Brox/Walker Allg SchuldR § 4 Rn 70ff). Bei fehlerhaften Dauerrechtsverhältnissen (zB Arbeitsvertrag, Gesellschaftsvertrag) reichen allerdings außervertragliche Regelungen nicht aus; deshalb sind bis zur Geltendmachung der Nichtigkeit die Nichtigkeitsfolgen teilw eingeschränkt (Staud/Klumpp Vorbem zu §§ 104ff Rn 85ff; vgl auch § 142 Rn 7; § 138 Rn 33). II. Arten der Rechtsgeschäfte. 1. Einseitige und mehrseitige Rechtsgeschäfte. a) Einseitige Rechtsgeschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, die nicht auf eine andere – vorliegende oder erwartete – Willenserklärung bezogen sind (zB Kündigung, nicht Vertragsangebot). Meist enthalten sie die Willenserklärung nur einer Person. Einseitig ist ein Rechtsgeschäft aber auch dann, wenn mehrere Personen auf einer Seite des Rechtsverhältnisses stehen und gemeinsam das Rechtsgeschäft vornehmen (zB beim Rücktritt; § 351); solche Geschäfte werden als Gesamtakte bezeichnet. Streng einseitige Rechtsgeschäfte sind solche, bei denen die Willenserklärung nicht an eine andere Person gerichtet ist (nicht empfangsbedürftige Willenserklärung). Eine Empfangsbedürftigkeit hält das Gesetz dann für nicht erforderlich, wenn die Erklärung nicht unmittelbar auf einen fremden Rechtskreis einwirkt (zB Auslobung, § 657; Aufgabe des Eigentums, § 959; Testamentserrichtung, § 2247). Meist ist jedoch die Willenserklärung auch beim einseitigen Rechtsgeschäft an eine andere Person gerichtet (empfangsbedürftige Willenserklärung). Da der Erklärungsempfänger in der Lage sein muss, sich auf die durch die Erklärung geschaffene Rechtslage einzustellen, ist es zur Wirksamkeit der Erklärung erforderlich, dass er sie wahrnehmen kann; deshalb muss sie ihm zugehen (vgl § 130). Bsp: Anfechtung (§ 143), Rücktritt (§ 349), Vollmachtserteilung (§ 167), Zustimmung (§ 182), Kündigung, Widerruf. Ist eine Behörde Erklärungsempfängerin, spricht man von einer amtsempfangsbedürftigen Willenserklärung (vgl § 130 III; zB Aufgabe des Eigentums an einem Grundstück, § 928 I). b) Mehrseitige Rechtsgeschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, welche korrespondierende, regelmäßig empfangsbedürftige (Ausnahme §§ 151, 152) Willenserklärungen mehrerer Personen enthalten. Dazu gehören vor allem die Verträge (Vor § 145 Rn 1ff); das sind die übereinstimmenden, wechselseitigen Willenserklärungen von mindestens zwei Personen. Mehrseitige Rechtsgeschäfte sind auch die Beschlüsse (zB beim Verein und in Gesellschaften); sie enthalten gleichgerichtete Willenserklärungen von mehreren Personen in einer Personenvereinigung und dienen der Willensbildung in ihr. 2. Rechtsgeschäfte unter Lebenden und von Todes wegen. a) Rechtsgeschäfte von Todes wegen sind Rechtsgeschäfte, die auf den Tod mindestens eines der Beteiligten abstellen und die Ordnung der mit dem Tode dieser Person entstehenden Rechtsverhältnisse bezwecken. Hier scheiden regelmäßig Verkehrsschutzinteressen aus; subjektive Gesichtspunkte sind in verstärktem Maße bestimmend. Solche Rechtsgeschäfte sind Testament (§§ 2064ff), Erbvertrag (§§ 2274ff) und Erbverzichtsvertrag (§§ 2346ff); für sie gelten besondere Formvorschriften. b) Rechtsgeschäfte unter Lebenden sind alle anderen Rechtsgeschäfte, auch wenn sie mit Rücksicht auf den Tod vorgenommen werden. – Besonderheiten ergeben sich bei den lebzeitigen Zuwendungen auf den Todesfall. Der Zuwendende bedient sich der Mittel, die das BGB für Rechtsgeschäfte unter Lebenden zur Verfügung 252

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stellt (zB Schenkungsvertrag, Vertrag zugunsten Dritter). Darin liegt für ihn eine Erleichterung, da er sich dem Form- und Typenzwang der Rechtsgeschäfte von Todes wegen entziehen kann. Da die lebzeitigen Zuwendungen auf den Todesfall sich wirtschaftlich als Zuwendungen aus dem Nachlass darstellen, können die Interessen von Nachlassgläubigern, Erben, Pflichtteilsberechtigten, Vermächtnisnehmern und Auflagebegünstigten beeinträchtigt werden. Diese Problematik hat der Gesetzgeber nicht in seiner ganzen Tragweite gesehen und nur in § 2301 I eine (unzulängliche) Regelung getroffen. Deshalb ist vieles str (Einzelheiten § 2301 Rn 2ff). 3. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte. a) Verpflichtungsgeschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, durch welche die Verpflichtung zu einer Leistung begründet wird. Verpflichtungsgeschäfte sind meist Verträge (zB Kaufvertrag), ausnahmsweise einseitige Rechtsgeschäfte (zB Auslobung, § 657). Das Gesetz regelt die Typen der mehrseitigen Verpflichtungsgeschäfte in §§ 433ff nicht abschließend; es gilt insoweit Vertragsfreiheit. Auch die Fähigkeit, sich zu verpflichten, ist grds nicht beschränkt. So kann sich auch ein Nichteigentümer in einem Kaufvertrag zur Übereignung der (ihm nicht gehörenden) Sache verpflichten. Ausnahmsweise bedarf ein Ehegatte zu bestimmten Verpflichtungsgeschäften der Einwilligung seines Ehepartners (§§ 1365, 1369, 1423–1425). Das Verpflichtungsgeschäft begründet eine schuldrechtliche Rechtsbeziehung von Person zu Person. Der Verpflichtete ist zu einem Tun oder Unterlassen verpflichtet; der Berechtigte erhält den Anspruch (die Forderung), vom Verpflichteten das geschuldete Tun oder Unterlassen zu verlangen. Durch das Verpflichtungsgeschäft (zB den Kaufvertrag) ändert sich an der Rechtslage des Verpflichtungsgegenstandes nichts. So bleibt der Verkäufer trotz des Kaufvertrags weiterhin Eigentümer der Kaufsache; der Käufer erwirbt nur einen Anspruch auf Übereignung. b) Verfügungsgeschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, durch die ein Recht unmittelbar übertragen, belastet, geändert oder aufgehoben wird (BGH 1, 304; 101, 26). Sie bestehen meist aus einem Vertrag (zB Abtretung einer Forderung, § 398; Erlass einer Forderung, § 397 I; Einigung gem §§ 929 S 1, 873 I), ausnahmsweise aus einem einseitigen Rechtsgeschäft (zB Eigentumsaufgabeerklärung, § 959). Oft setzen Verfügungen weitere Tatbestandsmerkmale voraus (zB verlangen §§ 929 S 1, 873 I außer der Einigung noch die Übergabe der Sache bzw die Eintragung in das Grundbuch). Die Wirksamkeit einer Verfügung hängt immer von der Verfügungsmacht des Verfügenden ab. Verfügender ist derjenige, der ein Recht aufhebt, belastet, ändert oder überträgt, nicht dagegen derjenige, der das Recht erwirbt. Unter der Verfügungsmacht versteht man die rechtliche Macht, über ein Recht zu verfügen. Sie steht regelmäßig dem Inhaber des Rechts (zB dem Eigentümer der Sache, dem Inhaber der Forderung) zu, sofern nicht ein Veräußerungsverbot (§§ 135ff) besteht oder die Verfügungsmacht beschränkt ist (zB §§ 1365, 2113, 2211). Ausnahmsweise ist ein anderer verfügungsbefugt; dafür ist Voraussetzung, dass ihm die Verfügungsmacht durch Gesetz oder Rechtsgeschäft eingeräumt ist (zB Insolvenzverwalter, § 80 InsO; Testamentsvollstrecker, § 2205). Fehlt dem Verfügenden die Verfügungsmacht, so ist die Verfügung grds unwirksam. Stimmt jedoch der Verfügungsberechtigte der Verfügung zu, ist diese wirksam (§ 185). Abgesehen davon kann ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten in Betracht kommen; dabei muss sich der gute Glaube darauf beziehen, dass der Verfügende Rechtsinhaber ist (zB §§ 932, 892); der gute Glaube an die Verfügungsmacht des Verfügenden wird regelmäßig nicht geschützt (Ausnahmen zB §§ 135 II, 161 III; § 366 HGB). Wegen der zuordnungsändernden Wirkung der Verfügung gilt der Bestimmtheitsgrundsatz, wonach die Verfügung sich auf einen bestimmten Gegenstand beziehen muss; aus demselben Grund strebt das BGB nach Offenlegung des Erfolgs. c) Der Unterschied zw Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften zeigt sich in Folgendem (vgl Rüthers/Stadler AT § 16 Rn 14ff): aa) Das Verfügungsgeschäft setzt für seine Wirksamkeit eine besondere Macht des Verfügenden („Verfügungsmacht“) voraus; für das Verpflichtungsgeschäft ist eine besondere Macht des sich Verpflichtenden („Verpflichtungsmacht“) nicht erforderlich. bb) Bei Verfügungen gilt der Prioritätsgrundsatz; verfügt jemand mehrmals über einen Gegenstand, ist nur die zeitlich erste Verfügung wirksam, während alle späteren Verfügungen unwirksam sind (Besonderheiten bei gutgläubigem Erwerb vom Nichtberechtigten). Bei Verpflichtungen besteht eine solche Rangordnung nicht; eine mehrmalige Verpflichtung ggü verschiedenen Personen ist möglich, wobei die zeitlich erste Verpflichtung rangmäßig nicht besser steht als die zeitlich Letzte. d) Zu den Verfügungen werden gerechnet: aa) die durch Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung getroffene Verfügung (§§ 161 I 2, 184 II, 458 S 2, 883 II 2, 2115 S 1). Sie steht den rechtsgeschäftlichen Verfügungen gleich; jedoch sind die Gutglaubensregeln nicht anwendbar. Diese gelten nur für den rechtsgeschäftlichen Erwerb. bb) die Gestaltungsgeschäfte (zB Anfechtung, § 143; Rücktritt, § 349; Aufrechnung, § 388 S 1; Kündigung, Widerruf). Sie sind Verfügungen, weil sie das bestehende Recht unmittelbar ändern. Da sie von einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis abhängen, werden sie als abhängige Rechtsgeschäfte bezeichnet (RGRK/Krüger-Nieland Vor § 104 Rn 24). Auch die Genehmigung gehört hierher, da sie die schwebend unwirksame Verfügung wirksam macht. Dagegen sind die Einwilligung und die Vollmachtserteilung keine Verfügungen, da erst die spätere Verfügungshandlung, zu der die Einwilligung oder Vollmacht erteilt wurde, die Rechtsänderung herbeiführt; hier ist eine vorsichtige Analogie der Verfügungsregeln in einzelnen Punkten denkbar. Gestaltungsgeschäfte sind, weil sie die Rechtslage verändern und darüber Klarheit bestehen soll, regelmäßig bedingungsfeindlich. 4. Kausale und abstrakte Rechtsgeschäfte. a) Kausale Rechtsgeschäfte sind Geschäfte, die den Rechtsgrund (die causa) einer Zuwendung enthalten. Rechtsgrund der Zuwendung sind nicht persönliche Beweggründe (Motive), von denen sich der Zuwendende bei der Zuwendung leiten lässt; sie sind rechtlich unbeachtlich. Vielmehr ist nur ein kleiner Kreis von typischen Zuwendungszwecken rechtlich bedeutsam; man nennt sie Rechtsgrund Müller

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der Zuwendung. Nach römischer Rechtstradition unterscheidet man die causa donandi (zB Schenkung, § 516), die causa credendi (aquirendi, obligandi; zB Darlehenshingabe, §§ 488, 607 I) und die causa solvendi (zB Schuldtilgung durch Kaufpreiszahlung). Zu den kausalen Geschäften gehören die meisten Verpflichtungsgeschäfte, vor allem die gegenseitigen oder einseitig verpflichtenden Verträge. Da der Rechtsgrund ein Teil des Kausalgeschäfts ist, liegt kein gültiges Kausalgeschäft vor, wenn die Parteien sich nicht über den Rechtsgrund geeinigt haben. b) Abstrakte Rechtsgeschäfte sind solche Geschäfte, die vom Rechtsgrund der Zuwendung losgelöst sind. Auch ihnen liegt regelmäßig ein Rechtsgrund zugrunde. Jedoch ist dieser nicht Inhalt des abstrakten Geschäfts. Die causa liegt vielmehr in dem einem abstrakten Geschäft zugrundeliegenden Kausalgeschäft. – Zu den abstrakten Geschäften zählen alle Verfügungsgeschäfte sowie einige im Gesetz besonders geregelte Verpflichtungsgeschäfte (zB Schuldversprechen, § 780; konstitutives Schuldanerkenntnis, § 781; Schuldverschreibung auf den Inhaber, § 793; Verpflichtungen aus Wechsel und Scheck). c) Der Unterscheidung zw kausalem und abstraktem Geschäft liegt das aus dem römischen Recht stammende Abstraktionsprinzip zugrunde. Dabei geht es um eine rechtliche Trennung von kausalem und abstraktem Geschäft. So berührt das Fehlen oder die Nichtigkeit des Kausalgeschäfts (zB Kaufvertrags) grds nicht die Wirksamkeit des abstrakten Geschäfts (zB Übereignung der Kaufsache), das zur Erfüllung des Kausalgeschäfts abgeschlossen wird. Gesetzgeberischer Grund für diese Abstraktion ist es also, die Wirksamkeit des abstrakten Geschäfts von den Mängeln des Kausalgeschäfts unabhängig zu machen. Das Abstraktionsprinzip dient demnach der Sicherheit im Rechtsverkehr. Es hat sich – jedenfalls im Prinzip – bewährt (Rother AcP 169, 1; Peters Jura 1986, 449). Im Verhältnis der Beteiligten (zB Vertragsparteien des Kaufvertrags) zueinander folgt aus dem Abstraktionsprinzip bei fehlendem Rechtsgrund eine Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht; so hat etwa der Verkäufer bei nichtigem Kaufvertrag ggü dem Käufer hins der bereits übereigneten Kaufsache keinen Anspruch aus § 985, sondern (nur) einen Anspruch aus § 812. Die eigentliche Bedeutung des Abstraktionsprinzips zeigt sich jedoch im Verhältnis zu Dritten. Da die Nichtigkeit des Kaufvertrags die Übereignung der Kaufsache an den Käufer nicht berührt, erwirbt ein Dritter das Eigentum vom Käufer als Berechtigtem; er braucht sich also nicht darüber zu informieren, ob das Kausalgeschäft zw Verkäufer und Käufer gültig war. Auch die Gläubiger eines Schuldners werden durch das Abstraktionsprinzip geschützt. Sie können die Zwangsvollstreckung in Sachen ihres Schuldners betreiben, die dieser aufgrund von Kaufverträgen erworben hat, ohne Interventionen der Verkäufer, der Kaufvertrag sei nichtig geworden, befürchten zu müssen. Das Abstraktionsprinzip hat vielfach Kritik erfahren. Man hat ihm entgegengehalten, die Trennung von kausalem und abstraktem Geschäft passe nicht für die Bargeschäfte des täglichen Lebens, die einen einheitlichen Vorgang darstellten. Außerdem werde die Sicherheit im Rechtsverkehr schon durch die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten weitgehend gewährleistet. Vor allem aber würden die Interessen des rechtsgrundlos Verfügenden durch das Abstraktionsprinzip nicht hinreichend geschützt, wenn der Verfügungsempfänger weiterveräußere oder wenn seine Gläubiger in den Verfügungsgegenstand die Zwangsvollstreckung betrieben. Deshalb neigen Theorie und Praxis zur Einschränkung des Abstraktionsprinzips. Richtig ist, dass eine Tatsache, die das Kausalgeschäft unwirksam macht, auch zur Unwirksamkeit des abstrakten Geschäfts führen kann (sog Fehleridentität). Das ist etwa bei mangelnder Geschäftsfähigkeit oder bei Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123; RG 66, 390; BGH DB 1966, 818; § 142 Rn 5) möglich, oft auch bei Sittenwidrigkeit (§ 138 Rn 56). Außerdem können die Parteien die Gültigkeit des Kausalgeschäfts zur Bedingung (§ 158) des abstrakten Geschäfts machen. Das setzt aber zunächst voraus, dass eine Bedingung überhaupt zulässig ist (zB nicht in § 925). Abgesehen davon ist eine (auch konkludent mögliche) Bedingung nur dann anzunehmen, wenn die Geschäftspartner mindestens über die Gültigkeit des Kausalgeschäfts im Ungewissen sind, woran es in aller Regel fehlt. Schließlich werden das kausale und das abstrakte Geschäft teilw auch als eine Einheit iSd § 139 angesehen (vgl § 139 Rn 14), so dass die Nichtigkeit des kausalen Geschäfts auch das abstrakte Geschäft nichtig macht. Diese Auslegung des § 139 ist jedoch als unzulässige Umgehung des Abstraktionsprinzips abzulehnen. Das Gesetz will durch die Trennung von kausalem und abstraktem Geschäft das abstrakte Geschäft von den Mängeln des Kausalgeschäfts unabhängig machen; dem widerspricht die Anwendung des § 139 (Flume § 12 III 4; Brox/Walker AT Rn 122f). III. Fehlerhafte Rechtsgeschäfte. 1. Begriff. Fehlerhafte Rechtsgeschäfte sind solche Geschäfte, denen ein Mangel anhaftet. Verstößt das Rechtsgeschäft gegen Rechtsgrundsätze, deren Einhaltung im Interesse der verfassungsmäßigen Ordnung, etwa der Sozialordnung notwendig ist, tritt die beabsichtigte Rechtsfolge (zB nach §§ 134, 138) nicht ein. Das Geschäft ist für und gegen jedermann unwirksam; man spricht von absoluter, endgültiger Unwirksamkeit oder Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. An andere Mängel des Rechtsgeschäfts knüpft das Gesetz nicht so weitreichende Folgen. Verletzt das Rechtsgeschäft nur die Interessen einzelner Personen, so ist es nur diesen ggü, also relativ unwirksam, iÜ dagegen wirksam. Manche Rechtsgeschäfte bedürfen zu ihrer Wirksamkeit noch einer weiteren Voraussetzung, insb der Erklärung eines Dritten oder einer Behörde. Sobald diese Voraussetzung vorliegt, ist das Geschäft wirksam; solange sie fehlt, ist der Vertrag schwebend unwirksam (vgl Vor § 182 Rn 14). Der schwebend unwirksame Vertrag kann also – im Gegensatz zum nichtigen – noch wirksam werden. Schließlich gibt es Willensmängel (Irrtum, Drohung, §§ 119ff), welche die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts nur dann beeinflussen, wenn der durch die gesetzlichen Vorschriften Geschützte durch eine rechtzeitige Erklärung (Anfechtung) den Mangel geltend macht. Das anfechtbare Geschäft ist also wirksam, aber vernichtbar; es wird durch eine Anfechtung des Anfechtungsberechtigten nichtig. 254

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2. Nichtige Rechtsgeschäfte lassen die beabsichtigte Rechtsfolge grds nicht eintreten. In einigen Vorschriften wird anstelle von Nichtigkeit auch von Unwirksamkeit gesprochen (zB §§ 111, 174, 307ff, 388, 925 II, 1253 I, 1831, 1950, 2101 I, 2202 II). Nichtigkeit ist oft auch dann gemeint, wenn das Gesetz bestimmt, dass ein Geschäft nicht vorgenommen werden kann (zB §§ 35, 38, 137, 276 III). a) Gründe. Geschäftsunfähigkeit (§ 105), Scheingeschäft (§ 117 I), Scherzerklärung (§ 118), Formmangel (§§ 125ff), Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134) und gegen die guten Sitten (§ 138); außerdem zB §§ 248 I, 311b, 723 III, 749 III, 1136, 1229, 1297 II. b) Geltendmachung. Die Nichtigkeit muss nicht durch einen besonderen Rechtsakt geltend gemacht werden. Das Gericht hat sie zu beachten, sofern die entspr Tatsachen sich aus dem Parteivorbringen ergeben, selbst wenn keine Partei sich auf die Nichtigkeit beruft (BGH 107, 270). Wer die Nichtigkeit gerichtlich geltend machen will, kann auf Herstellung des Zustands klagen, der ohne die Folgen des Geschäfts bestehen würde; bei einem entspr Feststellungsinteresse kommt auch eine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) in Betracht. Eine besondere Nichtigkeitsklage sieht das Gesetz nur in Spezialfällen vor, bei denen besondere öffentliche Interessen auf dem Spiel stehen (§§ 1313ff; §§ 246ff AktG; §§ 75ff GmbHG; §§ 94ff GenG); die Nichtigkeit tritt dann erst mit der Rechtskraft des Urt ein. c) Folgen. Die mit dem Rechtsgeschäft gewollte Rechtsfolge tritt sowohl im Verhältnis der Beteiligten zueinander als auch zu Dritten von Anfang an nicht ein. Eine Abwicklung ex nunc erfolgt jedoch bei in Vollzug gesetzten Dauerschuldverhältnissen (zB Arbeits- und Gesellschaftsverhältnis). Zur Einschränkung der Nichtigkeitsfolgen insgesamt vgl Cahn JZ 1997, 8ff. Vor allem bei Nichtigkeit wegen Formmangels kann die Berufung auf den Mangel gegen § 242 verstoßen (§ 125 Rn 30ff). Ist das Geschäft teilw nichtig, muss geprüft werden, ob damit das ganze Geschäft nichtig ist (§ 139). Möglicherweise kann das nichtige Geschäft in ein anderes, gültiges Geschäft umgedeutet werden (§ 140). – Die Bestätigung eines nichtigen Geschäfts ist nur durch Neuvornahme möglich (§ 141). Das Gesetz kennt grds keine Heilung des nichtigen Geschäfts; eine Heilung des Formmangels ist ausnahmsweise zB in §§ 311b I 2, 518 II, 766 S 3 vorgesehen. – Das nichtige Rechtsgeschäft kann einen Schadensersatzanspruch etwa wegen cic/§ 311 II und III auslösen. Zu beachten ist, dass trotz eines nichtigen Verfügungsgeschäfts ein Dritter gutgläubig vom Nichtberechtigten erwerben kann. 3. Relativ unwirksame Rechtsgeschäfte sind solche Geschäfte, die nur ggü bestimmten Personen unwirksam sind. Zweck der relativen Unwirksamkeit ist es, einerseits den Begünstigten zu schützen, andererseits aber den Gegenstand nicht durch Ausschluss der Verfügung dem Rechtsverkehr zu entziehen. Die entstehenden Schwierigkeiten der gleichzeitigen Gültigkeit und Unwirksamkeit des Geschäfts je nach der Person des Beteiligten werden in Kauf genommen. a) Gründe. Verstöße gegen ein gesetzliches oder behördliches Veräußerungsverbot (§§ 135 I, 136); außerdem zB §§ 465, 883 II, 1124 II, 1126, 3. b) Geltendmachung. Die relative Unwirksamkeit braucht nicht besonders geltend gemacht zu werden. Das Gericht muss sie auch ohne Geltendmachung berücksichtigen. c) Folgen. Die gewollte Rechtsfolge tritt nur ggü dem Geschützten nicht ein, wohl aber ggü allen anderen Personen. Die relative Unwirksamkeit kann durch Zustimmung des Geschützten geheilt werden. Nach § 135 II wird der gutgläubige Erwerber geschützt. 4. Schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte sind solche Geschäfte, die zu ihrer Wirksamkeit noch eines weiteren Erfordernisses (vor allem einer Genehmigung) bedürfen. Zweck der schwebenden Unwirksamkeit ist es, einerseits die Abhängigkeit des Geschäfts von dem betreffenden Erfordernis zu sichern, andererseits aber die Möglichkeit des Wirksamwerdens offen zu halten. a) Gründe. Verträge eines Minderjährigen ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§ 108), eines Vertreters ohne Vertretungsmacht (§ 177) oder – unter besonderen Voraussetzungen – eines Ehegatten (§§ 1365 I, 1366, 1423ff); außerdem zB §§ 181 (BGH 65, 125), 185, 415. Schwebend unwirksam sind ferner Rechtsgeschäfte bis zum Ablauf einer gesetzlichen Widerrufsfrist § (§ 355 ff). Auch die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung (§ 1829 I) sowie sonstige erforderliche öffentlich-rechtl Genehmigungen gehören hierher. Ein bedingtes oder befristetes Rechtsgeschäft (§§ 158, 163) ist dagegen nicht schwebend unwirksam, sondern gültig; lediglich der Zeitpunkt der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit ist hinausgeschoben. Die Verfügungen eines Vorerben sind nach § 2113 schwebend unwirksam. b) Geltendmachung. Die schwebende Unwirksamkeit ist im Prozess zu beachten, sofern der Parteivortrag entspr Tatsachen enthält. Während des Schwebezustandes kann in der Hauptsache eine Leistungsklage nicht mit Erfolg erhoben werden, wohl aber eine Feststellungsklage. c) Folgen. Solange das erforderliche Wirksamkeitserfordernis (zB die Genehmigung) noch nicht gegeben ist, besteht ein Schwebezustand (näher dazu § 184 Rn 9). Das Geschäft ist unwirksam, so dass hins bereits erbrachter Leistungen ein Anspruch aus § 812 bestehen kann (BGH 65, 126). Andererseits besteht für die Beteiligten bereits eine Bindung an das Geschäft; sie können sich nicht grundlos vom Geschäft lossagen (Ausnahmen: §§ 81 II, 109, 178, 1830). Wegen der Bindung kann das Geschäft unter den Voraussetzungen der §§ 119ff angefochten werden. Während des Schwebezustandes besteht eine Pflicht der Beteiligten zu gegenseitiger Rücksichtnahme; sie sind danach etwa verpflichtet, alles zur Herbeiführung einer behördlichen Genehmigung Erforderliche zu tun (Pal/Ellenberger Überbl v § 104 Rn 31). – Der Schwebezustand endet, wenn das fehlende Erfordernis eintritt oder wenn das nicht mehr möglich ist. Die Erteilung der erforderlichen Genehmigung führt grds zur rückwirkenden Gültigkeit des Geschäfts (§ 184); die Verweigerung der Genehmigung macht das Geschäft endgültig unwirksam (vgl Vor § 182 Rn 15). 5. Anfechtbare Rechtsgeschäfte sind mit Mängeln behaftete Geschäfte, die gleichwohl gültig sind, aber durch Anfechtung von Anfang an nichtig werden. Zweck der Anfechtbarkeit ist es, die Person, deren Willenserklärung auf einem bestimmten Mangel beruht, durch Einräumung eines Anfechtungsrechts zu schützen. Der Anfechtungsberechtigte hat die Wahlmöglichkeit, ob er das abgeschlossene Geschäft für und gegen sich gelten lassen oder ob er es durch Anfechtung vernichten will. Das Anfechtungsrecht ist vererblich, aber nicht selbständig Müller

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übertragbar. Zur Anfechtung nichtiger Geschäfte: § 142 Rn 11. a) Gründe. Erklärungs-, Inhalts- und Eigenschaftsirrtum (§ 119), falsche Übermittlung (§ 120), arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung (§ 123); außerdem im Erbrecht §§ 2078f, 2281. b) Geltendmachung erfolgt durch formlose empfangsbedürftige Willenserklärung des Anfechtungsberechtigten (§ 143) innerhalb einer bestimmten Frist (§§ 121, 124). Besonderheiten gelten für die Anfechtung von Testamenten und Erbverträgen (§§ 2081f, 2281ff) sowie von Annahme und Ausschlagung der Erbschaft (§§ 1954ff). c) Folgen. Solange das Rechtsgeschäft nicht angefochten worden ist, ist es gültig. Mit fristgerechter Anfechtungserklärung ist das Geschäft rückwirkend vernichtet (§ 142 I). Die Nichtigkeit wirkt ggü jedermann. Keine Rückwirkung löst die Anfechtung bei den in Vollzug gesetzten Dauerrechtsverhältnissen aus (§ 142 Rn 7). IV. Anwendungsbereich. 1. Privatrecht. Die Vorschriften des Dritten Abschnitts über die Rechtsgeschäfte gelten grds für das ganze Privatrecht. Besonderheiten finden sich im Familienrecht (zB §§ 1310ff; §§ 1594ff) und im Erbrecht (zB §§ 1949, 1956, 2078ff, 2271, 2281ff). 2. Öffentliches Recht. a) Hoheitsakte (wie Verwaltungsakte, Gerichtsakte) sind keine Rechtsgeschäfte; deshalb sind die Bestimmungen über Rechtsgeschäfte grds nicht anwendbar. Das gilt auch dann, wenn die Hoheitsakte die Ordnung privater Verhältnisse zum Gegenstand haben (zB im Vereinsrecht §§ 22f, 33 II; im Eheschließungsrecht §§ 1303, 1308, 1309, 1310ff; bei der Annahme als Kind §§ 1741ff; bei der familiengerichtlichen Genehmigung §§ 1643, 1821ff; vgl RGRK/Krüger-Nieland Vor § 104 Rn 48). Bei Verwaltungsakten sind §§ 35ff VwVfG zu beachten. Für die Auslegung von Hoheitsakten werden sich vielfach die zu §§ 133, 157 entwickelten Grundsätze heranziehen lassen (vgl zu § 133 Rn 5). b) Für öffentlich-rechtl Verträge gelten §§ 54ff VwVfG; nach § 62 S 2 VwVfG sind beim Fehlen spezieller Vorschriften die des BGB entspr anzuwenden. c) Auf öffentlich-rechtl bedeutsame Erklärungen von Privatpersonen können die Vorschriften für Rechtsgeschäfte entspr angewendet werden, soweit sich nicht aus den sachnäheren öffentlich-rechtl Vorschriften etwas anderes ergibt, so etwa Ausschluss von Anfechtung oder Widerruf bei verfahrensrechtlichen Erklärungen (s zum Ganzen Kluth NVwZ 1990, 608; de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, 1999). 3. Prozessrecht. a) Prozesshandlungen sind keine Rechtsgeschäfte; sie werden im Prozessrecht geregelt. Sie können also nicht wegen Willensmangels nach §§ 119ff angefochten werden (BGH 80, 392). Das gilt zB für den Klageantrag (BGH NJW 1963, 957), die Klagerücknahme (BFH NJW 1970, 632), die Rechtsmitteleinlegung (RG HRR 1930 Nr 825; Karlsruhe NJW 1975, 1933), den Verzicht auf ein Rechtsmittel (RG 105, 355; 161, 359; BGH NJW 1985, 2534) und die Zurücknahme des Rechtsmittels (BGH 12, 285); im letzten Fall ist ein Widerruf zulässig, wenn die Voraussetzungen der Restitutionsklage (§ 581 ZPO) gegeben sind (BGH 12, 285; anders RG 150, 395). Möglich ist dagegen eine entspr Anwendung der §§ 133, 140, da die Regeln über die Auslegung und die Umdeutung Allgemeingültigkeit haben (BGH NJW 1987, 1204 zu § 140; Pal/Ellenberger Überbl Vor § 104 Rn 37; vgl auch zu § 133 Rn 4). Eine Gerichtsstandvereinbarung ist keine Prozesshandlung, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Vertrag (BGH 49, 386; 57, 75; Wirth NJW 1978, 460; aA RG 159, 255); das gilt auch für den Schiedsvertrag (BGH 23, 200; 40, 322). Zu den Prozessverträgen vgl Teubner/Künzel MDR 1988, 720. b) Prozesshandlungen mit Doppelnatur sind solche, die sowohl Prozesshandlungen als auch Rechtsgeschäfte sind (zB Prozessvergleich; ebenso Anfechtung nach §§ 119ff, Rücktritt, Aufrechnung, Kündigung, wenn sie im Prozess erklärt werden). Materiellrechtliche und prozessrechtliche Wirksamkeit sind unabhängig voneinander zu beurteilen; sie bedingen sich nicht gegenseitig. Solche Prozesshandlungen können deshalb materiellrechtlich nichtig oder anfechtbar sein. Die Anfechtung oder andere Unwirksamkeitsgründe sind im bisherigen Rechtsstreit geltend zu machen (BGH 28, 174).

Titel 1 Geschäftsfähigkeit Vorbemerkung vor § 104 1

1. Bedeutung. Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte (Einl § 104 Rn 2ff) selbständig wirksam vorzunehmen. Die Privatautonomie ermöglicht es dem Einzelnen, Rechtsgeschäfte nach seinem eigenen Willen abzuschließen. Dies ist aber nur dann sinnvoll, wenn der Handelnde die Folgen seiner rechtsgeschäftlichen Erklärungen beurteilen kann. Deshalb muss er ein Mindestmaß an Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzen. Daran kann es wegen geringen Lebensalters oder Störung der Geistestätigkeit fehlen. Den §§ 104ff geht es vorrangig darum, die nicht (voll) Geschäftsfähigen vor den möglicherweise nachteiligen Folgen von Willenserklärungen zu schützen. Die von ihnen abgeschlossenen Rechtsgeschäfte werden vom Gesetz grds nicht als wirksam anerkannt. Dieser Schutz wird auch nicht im Interesse des Rechtsverkehrs durchbrochen, wenn etwa der Vertragspartner des nicht Geschäftsfähigen diesen für geschäftsfähig hält und das den Umständen nach darf (Rn 6). Die Interessen des Geschäftsgegners werden immerhin in den §§ 108 II, 109 I und 111 berücksichtigt. Die §§ 104–113 orientieren sich auch an den Erfordernissen der Rechtssicherheit. Es würde zu großer Unsicherheit führen, wenn jeder bei einem Vertragsschluss sich darüber vergewissern müsste, ob sein Vertragspartner im konkreten Einzelfall die erforderliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für den Geschäftsabschluss besitzt. Deshalb stellt das Gesetz star256

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re, generelle Regeln auf. Es sagt zwar nicht positiv, wer geschäftsfähig ist, sondern bestimmt nur, wem die volle Geschäftsfähigkeit fehlt. Dabei macht es die fehlende Geschäftsfähigkeit von festen Altersstufen und bestimmten Störungen der Gesundheit abhängig. Damit wird eine konkrete Würdigung des einzelnen Geschäfts weitgehend vermieden, s zum Ganzen Czeguhn, Geschäftsfähigkeit, beschränkte Geschäftsfähigkeit, Geschäftsunfähigkeit, 2003, Rn 7ff. 2. Abgrenzung. a) Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Sie kommt jedem Menschen zu; sie beginnt mit der Vollendung der Geburt und endet mit dem Tod des Menschen (§ 1 Rn 1ff). b) Deliktsfähigkeit, die mit der Geschäftsfähigkeit unter dem Oberbegriff der Handlungsfähigkeit zusammengefasst wird, ist die Fähigkeit, für ein Tun oder Unterlassen haftungsrechtlich verantwortlich sein zu können (s §§ 827f). c) Verfügungsfähigkeit ist die Fähigkeit, über einen bestimmten Vermögensgegenstand zu verfügen. Regelmäßig kann der (geschäftsfähige) Rechtsinhaber über sein Recht auch verfügen. Ausnahmsweise ist ihm die Verfügungsbefugnis entzogen (zB dem Schuldner im Insolvenzverfahren, §§ 21ff, 81ff InsO; dem Erben bei der Nachlassverwaltung, § 1984 I, oder der Testamentsvollstreckung, § 2211 I). d) Ehefähigkeit und Testierfähigkeit sind Sonderfälle der Geschäftsfähigkeit. Ehefähigkeit ist die Fähigkeit, eine Ehe wirksam einzugehen (§§ 1303f). Testierfähigkeit ist die Fähigkeit, ein Testament wirksam zu errichten (§ 2229; vgl auch § 107 Rn 2). 3. Stufen der Geschäftsfähigkeit. a) Geschäftsunfähig sind nach § 104 Kinder bis zu sieben Jahren und dauernd Geisteskranke. Ihre Willenserklärungen sind nichtig (§ 105 I; vgl aber § 105a). Nichtig sind auch Willenserklärungen, die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben werden (§ 105 II). b) Beschränkt geschäftsfähig sind die Personen, die das siebente Lebensjahr vollendet, das 18. Lebensjahr aber noch nicht vollendet haben (§ 106). Sie sollen entspr ihrer mit zunehmendem Alter wachsenden Erfahrung allmählich an die selbständige Teilnahme am Rechtsverkehr herangeführt werden. Neben die Schutz- tritt die Erziehungsfunktion. Das Gesetz trifft für diese Personengruppe folgende Regelung: aa) Lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäfte kann der beschränkt Geschäftsfähige allein abschließen; sie sind gültig. bb) Geschäfte, durch die der beschränkt Geschäftsfähige nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, bedürfen zur Gültigkeit grds der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§ 107). cc) Ein ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag kann mit ex-tunc-Wirkung genehmigt werden (§§ 108 I, 184 I) dd) Ein vom beschränkt Geschäftsfähigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag ist von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen worden sind (§ 110). ee) Das vom beschränkt Geschäftsfähigen vorgenommene einseitige Rechtsgeschäft bedarf der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters; ohne Einwilligung ist es unwirksam (§ 111 S 1). ff) Unter den Voraussetzungen der §§ 112, 113 ist der beschränkt Geschäftsfähige für alle dort genannten Geschäfte (selbständiger Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, Dienst- oder Arbeitsverhältnis) unbeschränkt geschäftsfähig. c) Voll geschäftsfähig sind alle Personen, die nicht geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig sind. Ihre Willenserklärungen sind wirksam, sofern nicht ein anderer Unwirksamkeitsgrund gegeben ist. 4. Auswirkungen des Schutzzwecks. Gegeneinander abzuwägen sind die Interessen des nicht voll Geschäftsfähigen und die seines Geschäftsgegners. a) Der Geschäftsgegner wird grds in seinem guten Glauben an die Geschäftsfähigkeit nicht geschützt (BGH NJW 1977, 622; 2015, 2497, 2498; vgl dazu K. Schmidt JuS 1990, 517ff – teilw krit – mwN). In Anweisungsfällen gilt das auch zulasten des Leistungsempfängers, der die Unwirksamkeit der Anweisung ggü dem Anweisungsempfänger nicht kennt und beim Empfang der Leistung des Angewiesenen auf die Wirksamkeit der Anweisung vertraut (BGH 152, 307 = NJW 2003, 582; 2004, 1315, 1316). Der Schutz des Geschäftsunfähigen und des beschränkt Geschäftsfähigen hat Vorrang vor dem Vertrauensschutz. Das gilt auch dann, wenn etwa die Geisteskrankheit oder die Minderjährigkeit nicht erkennbar ist (RG 120, 174). Besonderheiten Rn 10ff. aa) Ist das von einem beschränkt Geschäftsfähigen geschlossene und vom gesetzlichen Vertreter nicht genehmigte Verpflichtungsgeschäft (zB Kauf) von beiden Parteien erfüllt worden, steht dem nicht Geschäftsfähigen grds ein Herausgabeanspruch nach § 985 zu, weil sein Verfügungsgeschäft (zB Übereignung der Kaufsache) nichtig ist. Demgegenüber ist das Verfügungsgeschäft des (voll geschäftsfähigen) Vertragspartners gültig, so dass dieser nur einen Bereicherungsanspruch hat. Zweifelhaft ist, ob der beschränkt Geschäftsfähige auch nach § 819 I verschärft haftet. Insoweit ist zu unterscheiden: Geht es – wie bei der Leistungskondiktion – um die Rückabwicklung eines fehlgeschlagenen Vertrags, widerspräche es dem Schutzzweck der §§ 104ff, wenn über die Haftung aus § 819 I der rechtsgeschäftlich unwirksamen Handlung des beschränkt Geschäftsfähigen letztlich doch Wirksamkeit zukäme; über § 819 würde nämlich die Kenntnis des beschränkt Geschäftsfähigen von der Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäftes den Einwand des Wegfalls der Bereicherung (§ 818 III) ausschließen. Deshalb kommt eine verschärfte Haftung des beschränkt Geschäftsfähigen nur dann in Betracht, wenn sein gesetzlicher Vertreter den Mangel des rechtlichen Grundes kannte (Derleder/Thielbar NJW 2006, 3233, 3238f; MüKo/Schmitt § 108 Rn 37ff mwN; ebenso beim Geschäftsunfähigen Nürnberg WM 1990, 307; KG NJW 1998, 2911). Etwas anderes muss dann gelten, wenn der beschränkt Geschäftsfähige den Bereicherungsgegenstand durch eine unerlaubte Handlung erlangt hat, weil er zB bei Vertragsschluss seine Volljährigkeit vorgetäuscht hat; in diesem Fall ist die Verantwortlichkeit nach §§ 827f zu beurteilen. Deshalb kommt es für eine verschärfte Haftung nach § 819 Müller

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in analoger Anwendung des § 828 II darauf an, ob der beschränkt Geschäftsfähige die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht besaß (vgl BGH 55, 136 = NJW 1971, 609). Steht dem beschränkt Geschäftsfähigen ein Bereicherungsanspruch gegen seinen Geschäftsgegner zu, so wäre dieser Anspruch nach der herrschenden Saldotheorie insoweit ausgeschlossen, als die erhaltene Gegenleistung bei ihm untergegangen ist. Auf Bereicherungsansprüche des nicht Geschäftsfähigen ist die Saldotheorie jedoch nicht anzuwenden. Denn aus dem Schutzzweck der §§ 104ff ist zu entnehmen, dass der nicht Geschäftsfähige vor den Folgen seines rechtsgeschäftlichen Handelns geschützt werden soll. Dieser gesetzlichen Wertung würde es nicht entsprechen, wenn der Bereicherungsanspruch um den Wert der Gegenleistung gekürzt und der nicht Geschäftsfähige auf diesem Wege faktisch doch an dem geschlossenen Vertrag festgehalten würde (vgl RG 86, 347). 8 bb) Der Geschäftsgegner hat auch keinen Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss (§ 311 II), da der nicht Geschäftsfähige vor den Folgen seines rechtsgeschäftlichen Handelns bewahrt bleiben soll (BGH NJW 1973, 1791; Canaris NJW 1964, 1987). 9 cc) Dagegen steht dem Geschäftsgegner ein deliktischer Anspruch zu, wenn ein Tatbestand der §§ 823ff erfüllt und der nicht Geschäftsfähige verantwortlich (§§ 827f) ist. Außerdem kommen trotz nichtigem Vertrag Aufwendungsersatzansprüche aus GoA in Betracht (BGH NJW 2015, 1020; Vor § 677 Rn 17). 10 dd) Das Rechtsscheinprinzip besagt generell, dass derjenige, der in zurechenbarer Weise einen Rechtsschein veranlasst hat, weniger schutzwürdig ist als der auf den Schein redlich vertrauende Dritte. Daraus folgt für den Schutz des Geschäftsgegners eines nicht Geschäftsfähigen (s allg zum Verhältnis Vertrauensschutz/Minderjährigenschutz Nitschke JuS 1968, 541): 11 (1) Er wird in seinem Vertrauen auf die Richtigkeit des Grundbuchs (§§ 892f) und des Erbscheins (§ 2366) geschützt; denn bei diesen Tatbeständen kommt es auf eine Veranlassung nicht an. 11a (2) Wenn eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache unrichtig bekannt gemacht ist, wirkt sie nach § 15 III HGB zuungunsten desjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war. Str ist, ob § 15 III HGB auch zulasten eines nicht voll Geschäftsfähigen wirkt. Die wohl hM verneinent dies (v Olshausen BB 1970, 142; Canaris HandelsR § 5 Rn 54; Baumbach/Hopt § 15 HGB Rn 19; Koller/Roth/Morck § 15 HGB Rn 30; aM K. Schmidt HandelsR § 14 Rn 95ff; K. Schmidt JuS 1977, 216f; Staub/J. Koch HGB § 15 Rn 111 mwN). Sie gibt dem Schutz der beschränkt Geschäftsfähigen und der Geschäftsunfähigen den Vorrang vor dem Verkehrsschutz. Diese könnten die Eintragung mangels Zurechnungsfähigkeit nicht zurechenbar veranlassen. Die Anwendbarkeit des § 15 I HGB wird aber ganz überwiegend bejaht (s nur BGH 115, 80; Canaris HandelsR § 5 Rn 21f). 12 (3) Die Anscheinsvollmacht muss der Betroffene durch sein Verhalten zurechenbar veranlasst haben. Der nicht Geschäftsfähige hat sie jedoch nicht zurechenbar veranlasst. Deshalb wird der vertrauende Dritte nicht geschützt (BGH NJW 1977, 623; Stuttgart MDR 1956, 673); andernfalls könnte der nicht Geschäftsfähige wie ein Geschäftsfähiger verpflichtet werden (MüKo/Schmitt Rn 12). 13 (4) Im Wechselrecht kann der Einwand der mangelnden Geschäftsfähigkeit des Schuldners bei der Begebung jedem Wechselinhaber entgegengesetzt werden. Denn der Rechtsschein, den der nicht Geschäftsfähige gesetzt hat, wird diesem wegen der Schutzfunktion der §§ 104ff nicht zugerechnet (Baumbach/Hefermehl/Casper Art 17 WG Rn 35). Anders ist die Frage zu beantworten, ob jemand von einem nicht Geschäftsfähigen im guten Glauben an dessen Geschäftsfähigkeit gem Art 16 II WG den Wechsel erwirbt. Das ist mit der hM (vgl Baumbach/ Hefermehl/Casper Art 16 WG Rn 16) im Interesse der Umlauffähigkeit des Wechsels zu bejahen (BGH WM 1968, 4; zum Scheck BGH NJW 1951, 402). Der Ausgleich zw dem Verkehrsinteresse und dem Schutz des nicht Geschäftsfähigen wird also dadurch erreicht, dass der Wechsel zwar vom Gutgläubigen erworben wird, aber keine Haftung des nicht Geschäftsfähigen begründet wird. Dagegen soll sich die Legitimationswirkung des Versicherungsscheins auch zu Lasten geschäftsunfähiger Versicherungsnehmer durchsetzen (Saarbrücken r+s 2015, 512). 14 (5) Eine in den AGB von Banken und Sparkassen enthaltene Klausel, dass der Kunde den Schaden trägt, der daraus entsteht, dass die Bank oder Kasse von einem später eintretenden Mangel seiner Geschäftsfähigkeit unverschuldet keine Kenntnis erlangt, verstößt gegen § 307 (s zu § 9 AGBG BGH 115, 38ff = NJW 1991, 2414 mwN). 15 b) Der nicht voll Geschäftsfähige wird im Allg durch die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit seiner Rechtsgeschäfte hinreichend geschützt. Diese Folge kann sich aber ausnahmsweise auch zum Nachteil des nicht Geschäftsfähigen auswirken. Das ist insb bei Dauerschuldverhältnissen der Fall, wenn der nicht voll Geschäftsfähige seine Leistung bereits erbracht hat. Dem Schutzgedanken der §§ 104ff entspricht es, bei Ansprüchen des nicht Geschäftsfähigen die Nichtigkeitsfolgen nur für die Zukunft eingreifen zu lassen. Deshalb erhält etwa der beschränkt geschäftsfähige ArbN trotz der Nichtigkeit des Arbeitsvertrags für die Vergangenheit den vereinbarten Lohn (BAG AP § 611 Nr 1, 18; BaRo/Wendtland § 105 Rn 15; jurisPK/Lange § 105 Rn 11; Walker JA 1985, 138, 148f; Franzen JuS 1995, 233 alle mwN). Wird dagegen vom Arbeitgeber ein vertraglicher Schadensersatzanspruch geltend gemacht, kann der ArbN sich auf die Nichtigkeit des Vertrags berufen. Nicht anwendbar sind die Grundsätze des faktischen Arbeitsverhältnisses auch, wenn der nicht Geschäftsfähige als Arbeitgeber einen unwirksamen Arbeitsvertrag abschließt (LSG Rh-Pf NZA 1991, 40; aA MüKo/Schmitt § 105 Rn 57). Der beschränkt Geschäftsfähige, der sich ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters bzw ohne vormundschaftsgerichtliche Genehmigung an einer Personengesellschaft beteiligt, ist weder im Innen- noch im Außenverhältnis verpflichtet; eine solche Verpflichtung unter dem Gesichtspunkt der fehlerhaften Gesellschaft widerspräche dem Schutzzweck der §§ 104ff 258

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(vgl BGH 17, 167; 38, 26; NJW 1983, 748; aA unter Berufung auf die Haftungsbegrenzung des § 1629a C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, 269ff). Die geleistete Einlage kann er nach §§ 812ff, 985ff herausverlangen. Gewinnansprüche stehen ihm nicht zu, da eine Beteiligung am Gewinn ohne Teilnahme am Verlust widersinnig wäre (Soergel/Hefermehl Rn 15; § 705 Rn 76 mwN). Entspr gilt für den gem § 105 II vorübergehend geschäftsunfähigen Gesellschafter (BGH NJW 1992, 1503 m Anm K. Schmidt JuS 1992, 792). c) Nach dem durch das MinderjährigenhaftungsbeschränkungsG (BGBl I 1998, 2487) mWv1.1.1999 eingefüg- 16 ten § 1629a haftet der volljährig gewordene Minderjährige für bestimmte Verbindlichkeiten grds nur mit dem Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens (Einzelheiten bei § 1629a Rn 1ff). Weitere neue Bestimmungen zum Schutz des Minderjährigen finden sich in §§ 723 I und 1793. Die Neuregelung ist durch einen Auftrag des BVerfG an den Gesetzgeber veranlasst (vgl BVerfG 72, 155 = NJW 1986, 1859). 5. Anwendungsbereich. Die §§ 104ff gelten unmittelbar nur für Deutsche. Für die Geschäftsfähigkeit ausl 17 Staatsangehöriger verweist Art 7 EGBGB auf das Heimatrecht. Dies gilt nach ganz hM auch für die Rechtsfolgen mangelnder Geschäftsfähigkeit bei Ausländern (vgl § 106 Rn 3; aM Düsseldorf NJW-RR 1995, 755 = IPrax 96, 199 m abl Anm Baetge IPrax 1996, 186 mwN). a) Im Privatrecht gelten §§ 104ff für alle Rechtsgeschäfte, sofern nicht Spezialregeln bestehen. Auf geschäftsähnliche Handlungen (Einl § 104 Rn 7) sind die Vorschriften grds auch anwendbar (Ulrici NJW 2003, 2053, 2054 mwN), nicht dagegen auf Realakte (Einl § 104 Rn 9f). b) Im Prozessrecht entspricht die Prozessfähigkeit der Geschäftsfähigkeit (§§ 51f ZPO; § 62 VwGO; § 71 SGG; vgl für Ausnahmen §§ 9, 60, 125 FamFG). Wer also geschäftsunfähig oder beschränkt geschäftsfähig ist, kann zwar Prozesspartei sein, den Rechtsstreit aber nicht selbst führen; er wird im Prozess durch seinen gesetzlichen Vertreter vertreten. – Zur Handlungsfähigkeit im Verwaltungsverfahren vgl § 12 VwVfG sowie § 36 SGB I und § 79 AO; dazu Robbers DVBl 1987, 709; zur Wahrnehmung von Grundrechten Hohm NJW 1986, 3107; zur Fürsorgepflicht des Gerichts BSG NJW 2014, 1039. 6. Beweislast. Zwar ist die Geschäftsfähigkeit Voraussetzung für die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts; aber entspr 18 den tatsächlichen Verhältnissen ist das Fehlen der Geschäftsfähigkeit als Ausnahme anzusehen, die zu beweisen ist. Zu den Einzelfällen iÜ vgl § 104 Rn 8; § 108 Rn 9; § 109 Rn 6; § 110 Rn 6; § 111 Rn 6; § 112 Rn 10; § 113 Rn 19.

§ 104

Geschäftsunfähigkeit

Geschäftsunfähig ist: 1. wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, 2. wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist. 1. Bedeutung. § 104 regelt abschließend und zwingend, wer geschäftsunfähig ist (zum Begriff Vor § 104 Rn 3; zu den Rechtsfolgen §§ 105, 105a). 2. Voraussetzungen der Geschäftsunfähigkeit. a) § 104 Nr 1. Die Geschäftsunfähigkeit von Kindern ist rein formal nach dem Alter festgesetzt. Auf die individuelle geistige Entwicklung kommt es nicht an. Gem § 187 II 2 wird das Kind um 0 Uhr des Tages, an dem es sein siebentes Lebensjahr vollendet, beschränkt geschäftsfähig. b) § 104 Nr 2 setzt voraus: aa) Es muss eine dauernde krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorliegen. Erfasst werden sowohl die Fälle der Geisteskrankheit als auch der bloßen Geistesschwäche; zw beiden besteht nur ein gradueller Unterschied (BAG NJW 2009, 3052). Auf die medizinische Einordnung kommt es für die rechtliche Beurteilung nicht an (RG 130, 71; 162, 229; BGH WM 1965, 896; Düsseldorf FamRZ 1998, 1064f; München NJWRR 2009, 1600). Unerheblich ist ferner, ob die Krankheit bereits erkannt oder noch unerkannt ist, ob sie angeboren ist oder später entstand. Zur fortgeschrittenen Cerebralsklerose vgl BayObLG FamRZ 1996, 969; zu einer Demenzerkrankung BayObLG FamRZ 2003, 391; Düsseldorf FamRZ 1998, 1064; Hamm RPfleger 2013, 95; Koblenz NJW-RR 2015, 917; Schmoeckel NJW 2016, 433ff; zu Querulantenwahn LSG Sachsen-Anhalt 3.2.2012 – L 5 AS 276/AS; zu paranoider Schizophrenie VG Düsseldorf 21.11.2011 – 8 K 3314/11; zum Analphabetismus Großfeld/ Hülper JZ 1999, 430, 433; zur Bedeutung neurobiologischer Erkenntnisse Mankowski AcP 211, 153, 178ff; Cording/Roth NJW 2015, 26ff. Der Krankheitszustand muss dauernd sein. Eine bloß vorübergehende Störung der Geistestätigkeit reicht zur Begründung der Geschäftsunfähigkeit nicht aus. Bei Psychopathie, einem psychischen Erschöpfungszustand, Trunksucht oder Rauschgiftsucht ist idR keine dauernde Störung der Geistestätigkeit anzunehmen (BayObLG 56, 381ff; NJW 1990, 774, 775; 2003, 216, 219; FamRZ 2004, 1404, 1406; Naumburg NJW 2005, 2018, 2019; Düsseldorf FamRZ 2005, 216, 217; Wedemann JURA 2010, 587, 588). Willenserklärungen, die in „lichten Augenblicken“ abgegeben werden, sind gültig (krit München ZEV 2013, 504, 506f; zur Beweislast s Rn 8). Ein nur periodisch Geistesgestörter ist somit während solcher Zwischenräume geschäftsfähig (vgl für den Fall des Altersschwachsinns RG HRR 1929 Nr 793; für einen Fall von manisch-depressivem Irresein BGH WM 1956, 1186). Der Ausschluss der Geschäftsfähigkeit nach § 104 Nr 2 erfasst grds alle von dem Geschäftsunfähigen vorgenommenen Rechtsgeschäfte. Jedoch kann sich die Geschäftsunfähigkeit ausnahmsweise auf einen gegenständlich begrenzten Lebensbereich beschränken (sog partielle Geschäftsunfähigkeit; st Rspr, vgl BGH NJW 1953, 1342; BGH 18, 187; 30, 118; WM 1970, 1366; WM 1975, 1280; BayObLG NJW 1992, 2100; s auch Gebauer AcP 153, 332ff). Anerkannt ist eine solche partielle Geschäftsunfähigkeit zB bei Querulantenwahn für die Prozessführung Müller

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(BVerwG 30, 25), bei krankhafter Eifersucht für Fragen der Ehe (RG 162, 229; BGH 18, 186; FamRZ 1971, 244), beim Schock eines Anwalts über die Versäumung einer Frist für die Führung eines bestimmten Rechtsstreits (BGH 30, 112) und bei Spielsucht (BGH 174, 262). Der (nur) partiellen Geschäftsunfähigkeit entspricht eine partielle Geschäftsfähigkeit für die übrigen Lebensbereiche. In Betracht kommt ferner eine partielle Geschäftsfähigkeit für die Eheschließung (vgl BVerfG NJW 2003, 1382f; Brandenburg FamRZ 2011, 216, 217), ob auch für die Erteilung einer Vorsorgevollmacht als Alternative zur Betreuung (München NJW-RR 2009, 1602), erscheint hingegen fraglich. Abzulehnen ist eine auf besonders schwierige Geschäfte beschränkte (relative) Geschäftsunfähigkeit (BGH NJW 1953, 1342; 1961, 261; 1970, 1680; WM 1975, 1280; BAG NJW 2009, 3052; BayObLG NJW 1989, 1678; Köln MDR 1975, 1017; aA Köln NJW 1960, 1389). Eine Beurteilung nach dem Schwierigkeitsgrad wäre zu unbestimmt und würde zu Unsicherheiten im Rechtsverkehr führen. bb) Die krankhafte Störung der Geistestätigkeit muss zu einem Ausschluss der freien Willensbestimmung führen. Der Begriff der freien Willensbestimmung iSd § 104 Nr 2 und des § 1896 Ia ist im Kern deckungsgleich (BGH NJW-RR 2014, 770, 771; 2016, 643). Ein Ausschluss liegt vor, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der gegebenen Geistesstörung zu bilden und nach den unter Abwägung des Für und Wider zutr gewonnenen Einsichten zu handeln. Willensschwäche oder leichte Beeinflussbarkeit (BGH WM 1972, 972; RG JW 1936, 1205; 1937, 35) führen nicht ohne weiteres zum Ausschluss der freien Willensbestimmung. Vielmehr müssen bestimmte Vorstellungen oder Empfindungen oder aber Einflüsse dritter Personen derart übermäßig den Willen beherrschen, dass eine Bestimmbarkeit des Willens durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen ist (RG 103, 401; 130, 71; 162, 228; BGH NJW 1953, 1342; 1970, 1680, 1681; 1996, 918; WM 1984, 1063; 2017, 950, 952; BAG NJW 2009, 3052; 2011, 872, 873; BayObLG NJW 1992, 2101; NJW-RR 2000, 1029; FamRZ 2003, 391; Düsseldorf FamRZ 1998, 1064, 1065; Saarbrücken NJW 1999, 871, 872). Auf die intellektuellen Fähigkeiten zur Einschätzung der Tragweite der Erklärung kommt es nicht entscheidend an (BGH NJW 1953, 1342; 1961, 261). Geringe Intelligenz (Düsseldorf VersR 1996, 1493; Köln MDR 1975, 1017; KG NZFam 2014, 422), Wortfindungsschwierigkeiten (Düsseldorf MDR 2013, 702) sowie fehlende oder eingeschränkte Fähigkeiten zum Lesen, Schreiben oder Rechnen (BAG NJW 2009, 3052) reichen daher für die Annahme von Geschäftsunfähigkeit nicht aus. Die Verstandesschwäche kann aber ein solches Ausmaß erreichen, dass sie eine freie Willensbildung verhindert, was bei einem Intelligenzquotienten von unter 60 der Fall sein kann (Köln MDR 2011, 649). c) Nach dem durch das BtG mWv 1.1.1992 aufgehobenen § 104 Nr 3 aF war der wegen Geisteskrankheit Entmündigte ohne Rücksicht auf seinen Geisteszustand geschäftsunfähig. Seine bis zum 31.12.1991 abgegebene Willenserklärung war und bleibt nichtig (§ 105 I). Seine erst später abgegebene Willenserklärung ist wegen Geschäftsunfähigkeit nur dann nichtig, wenn die Voraussetzungen des § 104 Nr 2 vorliegen. Die Bestellung eines Betreuers (§ 1896) hat keinen Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten (Oldenburg FamRZ 2000, 834f zur Testierfähigkeit; s aber auch § 1903; dazu § 108 Rn 10; zum Verhältnis der §§ 104, 105 zu § 1903 Enderlein JR 1998, 485 und Lipp FamRZ 2003, 721, 723; zur Gesamtproblematik vgl Müller, Betreuung und Geschäftsfähigkeit, 1998, sowie Pawlowski JZ 2004, 13ff). 3. Beweislast. Wer sich auf die Geschäftsunfähigkeit beruft, hat sie zu beweisen (BGH 198, 381, 387; FamRZ 1955, 358; VersR 1967, 341; NJW 1972, 681; BVerwG NJW 1994, 2633 für die wirksame Bekanntgabe von Verwaltungsakten; BAG NJW 2010, 2682; BayObLG Rpfleger 1982, 286 und 309). Gesetzlich wird das Fehlen der Geschäftsfähigkeit somit als zu beweisende Ausnahme behandelt. Zur Darlegungslast BGH NJW-RR 1993, 189; 1995, 1958; 1996, 919; WM 2017, 950, 952. Die Feststellung kann das Gericht idR nur mit sachverständiger Beratung treffen (BGH NJW 2016, 1514, 1515; NJW-RR 2016, 385, 386 und 643), an das Ergebnis psychiatrischer oder psychowissenschaftlicher Gutachten ist es jedoch nicht gebunden und kann demzufolge von ihnen aufgrund seiner richterlichen Überzeugung abweichen (Stuttgart 10.6.2011 – 6 U 130/10). Dabei kann auch die Einschätzung von Personen von Bedeutung sein, die keine medizinische Ausbildung haben oder die den Betroffenen nicht gezielt auf seinen Geisteszustand untersucht haben (BGH FamRZ 2016, 303). Zur Prüfung der Geschäftsfähigkeit oder Testierfähigkeit durch den Notar Frankfurt NJW-RR 1996, 1159; Günther FamRZ 2000, 604f; Huber/Schmieder/Dengler BWNotZ 2012, 150; Müller DNotZ 2006, 325; Stoppe/Lichtenwimmer DNotZ 2005, 806. Zur Prüfung der Ehegeschäftsfähigkeit BayObLG FamRZ 2003, 373f. – Im Fall des § 104 Nr 2 hat bei feststehendem Dauerzustand derjenige, der sich auf einen lichten Augenblick beruft, dafür die Beweislast (BGH NJW 1988, 3011). Bei schwankendem Geisteszustand ist die Geschäftsunfähigkeit zu beweisen (Hamburg MDR 1954, 480). Nach Aufhebung einer Betreuung ist im Zweifel von der Geschäftsfähigkeit der vormaligen Betreuten auszugehen (Hamm RPfleger 2015, 129). – Im Prozess gehen Zweifel an der Prozessfähigkeit zulasten des Klägers (BGH 18, 189; 86, 189; NJW-RR 2011, 284); falls die Prozessfähigkeit einer Partei nach Erschöpfung sämtlicher Beweismöglichkeiten nicht mit Sicherheit festzustellen ist, wird diese als prozessunfähig angesehen, so dass kein Sachurteil ergehen kann (BGH 86, 184, 189; NJW 1962, 1510; NJW-RR 2011, 284; BAG NJW 1958, 1699).

§ 105

Nichtigkeit der Willenserklärung

(1) Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nichtig. (2) Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird. 260

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Geschäftsfähigkeit

§ 105a

1. Folgen der Geschäftsunfähigkeit (Abs I). a) Der Geschäftsunfähige muss vor rechtlichen Folgen seines Handelns im Rechtsverkehr geschützt werden; deshalb ist seine Willenserklärung nichtig. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob das Geschäft für ihn rechtlich oder wirtschaftlich vorteilhaft ist; daher ist auch die Annahme einer Schenkung durch den Geschäftsunfähigen nichtig. Zu den Zweifeln von Canaris an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung (JZ 1987, 993; 1988, 494) zutr abl Bork AT Rn 989 mwN; krit zur Vereinbarkeit mit Art 12 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Lachwitz KJ 2012, 385, 397ff. Modifizierende Sonderregelungen für volljährige Geschäftsunfähige finden sich in § 105a (s dort) und für Wohn- und Betreuungsverträge in § 4 II WBVG, zu weitergehenden Reformüberlegungen Wedemann AcP 209, 669ff. – Der Geschäftspartner eines Geschäftsunfähigen wird in seinem guten Glauben an die Geschäftsfähigkeit nicht geschützt, weil der Geschäftsunfähige einen Rechtsschein nicht zurechenbar veranlasst haben kann (vgl Vor § 104 Rn 6). Das gilt trotz § 15 HGB auch im Handelsrecht (BGH 115, 79). b) Für den Geschäftsunfähigen handelt sein gesetzlicher Vertreter. Da die Willenserklärung des Geschäftsunfähigen nichtig ist, kann sie nicht durch eine Genehmigung des gesetzlichen Vertreters wirksam werden; in einem solchen Fall kann aber § 141 helfen. Schenkungen des gesetzlichen Vertreters an den Geschäftsunfähigen sind trotz § 181 wirksam, weil sie für den Vertretenen lediglich rechtlich vorteilhaft sind (BGH 59, 240; § 181 Rn 23). c) Nichtig ist auch eine Willenserklärung, die der Geschäftsunfähige für einen anderen (§ 165 Rn 5) oder für eine Personengesamtheit abgibt (RG 145, 155 – Handeln für eine OHG; BGH 115, 78 – Geschäftsführer einer GmbH). Das gilt trotz § 15 HGB auch, wenn die Beendigung einer Organstellung durch Geschäftsunfähigkeit nicht im Handelsregister eingetragen ist; in einem solchen Fall kommt allerdings eine Haftung der vertretenen Gesellschaft nach allg Rechtsscheinsgesichtspunkten in Betracht (BGH 115, 81). Ist bei einer Gesamtvertretung einer der Vertreter geschäftsunfähig, ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig (BGH 53, 213; vgl Ostheim AcP 169, 193; aA Hamm NJW 1967, 1041). Auch die Bevollmächtigung durch einen Geschäftsunfähigen ist nichtig; daher handelt der vom Geschäftsunfähigen rechtsunwirksam Bevollmächtigte als Vertreter ohne Vertretungsmacht, so dass eine Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter möglich ist (vgl BGH 53, 214f mwN). – Der Geschäftsunfähige kann Bote (Vor § 164 Rn 24ff) sein, da er keine eigene Willenserklärung abgibt, sondern nur eine fremde Erklärung überbringt. d) § 105 I betrifft nur die Abgabe, nicht den Empfang einer Willenserklärung; dem Geschäftsunfähigen kann eine Willenserklärung nicht wirksam zugehen (§ 131 I). Die Vorschrift ist ferner nicht auf Realakte, wohl aber auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen entspr anwendbar. 2. Nichtigkeit nach Abs II (Sonderregelung für die Eheschließung § 1314 II Nr 1) tritt in zwei Fällen ein: a) Bewusstlosigkeit bedeutet nicht ein völliges Fehlen des Bewusstseins (etwa: Ohnmacht, Schlaf); denn dann ist keine Handlung im Rechtssinne möglich. Vielmehr muss es sich um eine so hochgradige Bewusstseinstrübung handeln, dass eine Erkenntnis des Inhalts der Erklärung ausgeschlossen ist. Sie kann etwa bei starker Übermüdung, Fieberwahn, hochgradiger Trunkenheit (BGH WM 1972, 972; NJW 1991, 852; Nürnberg VersR 1978, 339) oder starkem Drogeneinfluss gegeben sein. § 105 II ist auch dann anwendbar, wenn die Bewusstlosigkeit vorsätzlich herbeigeführt wurde (Nürnberg NJW 1977, 1496). b) Eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit setzt – wie § 104 Nr 2 – eine geistige Anomalie voraus; durch sie muss auch hier die freie Willensbestimmung ausgeschlossen sein (RG 105, 272; BGH FamRZ 1970, 641; Saarbrücken NJW 1999, 871, 872; LAG Köln NZA-RR 1999, 232). Im Unterschied zu § 104 Nr 2 stellt § 105 II auf eine vorübergehende Störung ab. Eine Beschränkung auf ein bestimmtes Lebensgebiet, nicht jedoch auf besonders schwierige Geschäfte, ist auch hier möglich (BGH NJW 1961, 261; OGHZ 4, 71).

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Geschäfte des täglichen Lebens

Tätigt ein volljähriger Geschäftsunfähiger ein Geschäft des täglichen Lebens, das mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden kann, so gilt der von ihm geschlossene Vertrag in Ansehung von Leistung und, soweit vereinbart, Gegenleistung als wirksam, sobald Leistung und Gegenleistung bewirkt sind. Satz 1 gilt nicht bei einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Geschäftsunfähigen. 1. Entstehungsgeschichte und Zweck. Die Vorschrift ist durch Art 25 I des OLGVertrÄndG v 23.7.2002 (BGBl I 1 2850) eingefügt worden und seit dem 1.8.2002 in Kraft. Der Regelungsgedanke ist dem Diskussionsentwurf des von der BReg ursprünglich geplanten, aber damals zunächst zurückgestellten Antidiskriminierungsgesetzes entnommen. Die Bestimmung soll die Integration von geistig Schwerbehinderten in die Gesellschaft fördern und ihre soziale Stellung verbessern. Sie ist jedoch nicht hinreichend in die Systematik des Gesetzes eingefügt, enthält zudem verschiedene unbestimmte Rechtsbegriffe und beschreibt die Rechtsfolgen nicht genau und vollständig. Das erschwert den praktischen Umgang mit der Neuregelung im Rechtsleben und dient nicht der gerade für die betroffenen Menschen wünschenswerten Rechtssicherheit. 2. Personenkreis. Die Vorschrift erfasst nur Geschäfte volljähriger Geschäftsunfähiger. Diese Voraussetzung 2 (§ 104 Nr 2) muss nach dem Schutzzweck der Regelung mindestens eine von zwei an einem Geschäft beteiligten Personen erfüllen. Nach Wortlaut und Zweck gilt die Bestimmung aber auch für Geschäfte, die zwei volljährige Geschäftsunfähige miteinander vereinbaren (ebenso Casper NJW 2002, 3425, 3426). Unter die Vorschrift fallen nur Geschäfte von Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben (§ 2), nicht Geschäfte eines nach § 104 Nr 1

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geschäftsunfähigen Minderjährigen (Bork AT Rn 989a; MüKo/Schmitt Rn 4; krit dazu Löhnig/Schärtl AcP 204, 25, 27). Die Erfüllung der Kriterien von § 105 II (Bewusstlosigkeit oder vorübergehende Störung der Geistestätigkeit) im Zeitpunkt des Geschäfts genügt nach dem Text der Vorschrift nicht (aM Casper NJW 2002, 3425, 3426). In den Einrichtungen für geistig Behinderte leben aber vielfach sowohl Geschäftsunfähige iSv § 104 Nr 2 als auch Personen mit nur vorübergehender Störung der Geistestätigkeit iSv § 105 II, die nicht generell geschäftsunfähig sind. Insb in solchen Einrichtungen kann die unterschiedliche rechtliche Behandlung dieser beiden Personengruppen (etwa bei Geschäften in den Verkaufsstellen oder der Bewohner untereinander, bei denen mindestens ein Beteiligter wegen § 105 II nicht rechtswirksam handelt) zu praktischen Schwierigkeiten und zu unausgewogenen Ergebnissen führen. Der Gedanke an eine entspr Anwendung von § 105a für solche Fälle liegt nahe (ebenso Lipp FamRZ 2003, 721, 725). 3. Sachliche Voraussetzungen. a) Die Vorschrift gilt nur für ein Geschäft des täglichen Lebens. Der Begriff ist als solcher im Gesetz nicht definiert. Zu seiner Ausfüllung kann aber auf die zu dem Begriff „Angelegenheit des täglichen Lebens“ in § 1903 III entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden. Für den Begriffsinhalt wird im Interesse der Rechtssicherheit entscheidend auf die Verkehrsauffassung abzustellen sein. Als Abgrenzungsmerkmale bieten sich dabei vor allem der Geschäftsgegenstand und die Bedingungen des Geschäfts an. Das Geschäft muss sich nach allen in Betracht kommenden Merkmalen als nach der Verkehrsauffassung für einen Personenkreis wie diesen im Alltag üblich darstellen. Unerheblich ist, ob ein solches Geschäft (praktisch) „jeden Tag“ vorgenommen wird. Unter den Begriff fallen nach dem Geschäftsgegenstand in erster Linie alle Geschäfte zur Deckung des persönlichen täglichen Bedarfs des Geschäftsunfähigen. Das gilt sowohl für den Erwerb von Gegenständen (Nahrungsmittel, Getränke, Kosmetika, Textilien) als auch für die Nutzung einfacher Dienstleistungen (Friseur, Post, Telefon, öffentlicher Verkehr, Pflege und Reparatur von Kleidung). Nach dem Zweck der Bestimmung wird man auch die Inanspruchnahme informatorischer und kultureller Dienstleistungen (etwa Presse, Film, Theater, Konzert) oder den Besuch von Sport- oder Unterhaltungsveranstaltungen als Geschäft des täglichen Lebens zu werten haben. Der Erwerb von Gegenständen in einer das übliche Maß überschreitenden Menge ist schon nach dem Geschäftsgegenstand kein Geschäft des täglichen Lebens. Auch Geschäfte, bei denen der Geschäftsunfähige wie ein Unternehmer (§ 14) handelt, fallen nicht unter die Vorschrift (Casper NJW 2002, 3425, 3426; Lipp FamRZ 2003, 721, 725; Löhnig/Schärtl AcP 204, 25, 33). Nach den Geschäftsbedingungen kommen als entgeltliche Geschäfte vor allem (kleinere) Bargeschäfte des täglichen Lebens zu Preisen und sonstigen Bedingungen, wie sie im Geschäftsverkehr jedermann angeboten werden, in Betracht. Nicht erfasst werden Geschäfte, bei denen zulasten des Geschäftsunfähigen Leistung und Gegenleistung nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen oder bei denen die Umstände des Geschäftsabschlusses jedenfalls für den erfassten Personenkreis ungewöhnlich sind (etwa Haustürgeschäft; wohl auch Fernabsatzgeschäft). Kreditgeschäfte scheiden aus der Anwendung von § 105a ohnehin aus, solange sie nicht abgewickelt sind. Sind sie abgewickelt, dann wird es für die Bewertung einerseits auf die Üblichkeit als Alltagsgeschäft für diesen Personenkreis (vielfach wohl zu verneinen; zu bejahen am ehesten beim gewöhnlichen Versandhandel) und andererseits auch auf die Angemessenheit der Kredit- und sonstigen Bedingungen ankommen (ähnlich Lipp FamRZ 2003, 721, 727 mwN; MüKo/Schmitt Rn 13 für Abzahlungsgeschäft). Mit Dauerverpflichtungen verbundene Geschäfte (etwa Telefonanschluss, Fernsehanschluss; Abonnement von Presseerzeugnissen, Pay-TV, Theater, Konzert) wird man allenfalls mit großer Zurückhaltung noch als Geschäft des täglichen Lebens werten können; iÜ beschränkt sich die Wirkung des § 105a in solchen Fällen auf den bereits abgewickelten Teil solcher Geschäfte. Bei unentgeltlichen Geschäften zugunsten des Geschäftsunfähigen wird man nach den Geschäftsbedingungen eher von einem Geschäft des täglichen Lebens sprechen können, als bei Schenkungen, die der Geschäftsunfähige macht (vgl dazu Lipp FamRZ 2003, 721, 727 und Löhnig/Schärtl AcP 204, 25, 32 mwN). b) Es muss sich um ein Geschäft handeln, das mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden kann. Auch für diese Voraussetzung ist der Begriffsinhalt dem Gesetz selbst nicht zu entnehmen, sieht man von den Überlegungen zum Begriff „geringfügige Angelegenheit“ in § 1903 III ab. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit muss der Begriffsinhalt objektiv bestimmt werden; auf die persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des einzelnen Geschäftsunfähigen, die dem anderen Geschäftsbeteiligten häufig nicht bekannt sind und sein können, darf es bei der Normanwendung nicht ankommen (anders die hM zu § 1903 III). Es wird vielmehr auf der Grundlage der allg Preis- und Einkommensverhältnisse wiederum auf die Verkehrsanschauung abzustellen sein (ebenso Casper NJW 2002, 3425, 3426; Heim JuS 2003, 141, 143; MüKo/Schmitt Rn 8; Pal/Ellenberger Rn 4). Als Mittel, mit denen das Geschäft bewirkt werden kann, kommen – auch auf Seiten des Geschäftsunfähigen – sowohl Geldmittel als auch Sach- und Dienstleistungen in Betracht. c) Die Bestimmung erfasst nur Rechtsgeschäfte, die der Geschäftsunfähige selbst vornimmt. Die Bestellung eines Vertreters gestattet das Gesetz dem Geschäftsunfähigen nicht. Allenfalls kommt für die Geschäftsabwicklung die Einschaltung eines Boten in Betracht. d) Das Geschäft muss in Ansehung von Leistung und, soweit vereinbart, Gegenleistung bewirkt sein. Zur Anwendung dieses Merkmals ist zunächst zu klären, was als Leistung und ggf als Gegenleistung vereinbart ist. „Vereinbart“ in diesem Sinne ist, worüber sich die Geschäftsbeteiligten im natürlichen Sinne geeinigt haben. 262

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Geschäftsfähigkeit

§ 105a

Auch für den Einigungsbeitrag des Geschäftsunfähigen müssen die Voraussetzungen einer wirksamen Willenserklärung, von § 105 I abgesehen, erfüllt sein. Eine Einigung, die etwa nach §§ 134 oder 138 nichtig wäre, reicht zur Anwendung von § 105a nicht aus. Die vereinbarten Leistungen müssen bewirkt sein. Erforderlich sind danach vollständige beiderseitige Erfüllungshandlungen. Auch insoweit kommt es aber für die Erfüllung der Voraussetzungen von § 105a nicht darauf an, ob die Erfüllungshandlungen zunächst ganz oder teilw wegen § 105 I rechtlich nicht wirksam sind; entscheidend ist vielmehr, dass sie tatsächlich bewirkt und nicht aus anderen Gründen als der Geschäftsunfähigkeit unwirksam sind. e) Das Geschäft darf nach S 2 nicht zu einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Geschäftsunfähigen führen. Nicht gefährdet werden darf durch das Geschäft einmal die Person des Geschäftsunfähigen. Bei dieser negativen Voraussetzung geht es um den Schutz gerade des am Geschäft beteiligten Geschäftsunfähigen. Der Maßstab für diese Gefährdung ist deshalb seiner individuellen Situation zu entnehmen. Als Quelle einer solchen Gefahr kommt insb die an den Geschäftsunfähigen bewirkte Leistung in Betracht. Zu denken ist vor allem an eine Leistung, die für ihn eine Gefahr für Leib oder Leben bedeuten kann; eine solche Gefahr kann etwa durch für ihn gefährliche Nahrungs- oder Genussmittel (zB Alkohol) entstehen, aber auch durch eine Dienstleistung, die – wie zB ein aufregender Film – für ihn zu einer erheblichen psychischen oder physischen Beeinträchtigung führen kann. Eine Gefährdung des Vermögens des Geschäftsunfähigen kann vor allem durch die Art oder die Höhe der von ihm erbrachten Leistung eintreten. Vielfach wird es in solchen Fällen allerdings schon an einem Geschäft des täglichen Lebens fehlen, das mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden kann. Vorstellbar ist eine Vermögensgefährdung zB durch den mehrfachen Erwerb eines Gegenstands, den der Geschäftsunfähige nur einmal benötigt oder sich vernünftigerweise nur einmal leisten kann, in nacheinander mit unterschiedlichen Beteiligten vereinbarten Geschäften (MüKo/Schmitt Rn 17; Staud/Klumpp Rn 39; aM aus Verkehrsschutzgründen: Löhnig/Schärtl AcP 204, 25, 34). Die Regelung soll in beiden Varianten den Geschäftsunfähigen vor objektiv nicht hinnehmbaren Gefährdungen schützen. Der Schutzzweck verlangt, dass allein auf die objektiv durch das Geschäft verursachte Gefährdungslage abgestellt wird. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der andere Beteiligte die Gefährdung erkennt oder infolge Fahrlässigkeit nicht erkennt. 4. Rechtsfolgen. Bei Erfüllung der persönlichen und sachlichen Voraussetzungen iÜ gilt der von dem Geschäftsunfähigen geschlossene Vertrag in Ansehung von Leistung und, soweit vereinbart, Gegenleistung als wirksam, sobald die vereinbarten Leistungen bewirkt sind. Im Zeitpunkt des Bewirkens treten („ex nunc“) die angeordneten Rechtsfolgen ein. Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Vereinbarung („ex tunc“) sieht das Gesetz nicht vor. Mit dem Eintritt der Rechtsfolgen entfallen insb für Leistung und Gegenleistung die bei nichtigen Geschäften bestehenden bereicherungsrechtlichen Ansprüche auf Rückabwicklung. Darüber herrscht in der Lit Einigkeit. Unklar ist jedoch, ob die Wirkungen des § 105a sich auf das schuldrechtliche Geschäft beschränken. Dies legt der Wortlaut der Norm an sich nahe. Doch würden dann Eigentum und Besitz dauerhaft auseinander fallen, da der fingierte Vertrag ein Recht zum Besitz iSv § 986 BGB gibt (MüKo/Schmitt Rn 18). Um dieses Ergebnis zu vermeiden, sind die Rechtsfolgen des § 105a nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch auf das Verfügungsgeschäft zu erstrecken (Casper NJW 2002, 3425, 3428; PWW/Völzmann-Stickelbrock Rn 7; Staud/Klumpp Rn 33; aA Löhnig/Schärtl AcP 204, 25, 37ff; MüKo/Schmitt Rn 19). Umstr ist ferner, ob mit dem Eintritt der Rechtsfolgen auch über die Leistung und die Gegenleistung hinausgehende vertragliche Rechte und/oder Pflichten, etwa ein Schadensersatzanspruch gem § 280 I (zB wegen sog pFV), ein Gewährleistungsanspruch (zB nach § 437) oder Gestaltungsrechte nach den Verbraucherschutzbestimmungen entstehen können. Dies wird teilw mit dem Arg bejaht, dem Geschäftsunfähigen müssten bei Geschäften des täglichen Lebens i Erg die Rechte und Ansprüche zustehen, die er hätte, wenn er voll geschäftsfähig wäre (Adena, Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens in Deutschland und Österreich, 2009, 74ff; Casper NJW 2002, 3425, 3427; MüKo/Schmitt Rn 21ff; Pal/Ellenberger Rn 6). Doch müssten ihn dann konsequenterweise auch die entspr Pflichten treffen (so in der Tat Erman/Palm12 Rn 14). Die Belastung nur einer Seite erscheint unausgewogen und nicht vertretbar; das zeigt sich besonders deutlich, wenn zwei Geschäftsunfähige, die etwa gemeinsam in einer betreuenden Einrichtung leben, miteinander ein Geschäft iSv § 105a mit Schadensfolgen tätigen. Überzeugender ist es, die Vorschrift von vorneherein nur bei ordnungsgemäß erbrachten Leistungen und Gegenleistungen zur Anwendung zu bringen (Heim JuS 2003, 141, 143f; Lipp FamRZ 2003, 721, 728; Ulrici Jura 2003, 520, 522; BaRo/ Wendtland Rn 7; Jauernig/Mansel Rn 6; Staud/Klumpp Rn 34). Ansonsten bleibt es bei der Gesamtnichtigkeit des Vertrags. Die Rückabwicklung erfolgt über die §§ 812ff. Von dem Geschäftsunfähigen darüber hinaus zu erwarten, über die Ausübung von Rücktritts-, Widerrufs- und Nacherfüllungsrechten zu entscheiden, hieße, ihn zu überfordern (BaRo/Wendtland Rn 7). Eine solche Überforderung will § 105a gerade vermeiden. Der besonderen Problematik, dass ein geleisteter Gegenstand später wegen eines verborgenen Fehlers einen Folgeschaden bei dem Geschäftsunfähigen verursacht, ist über das Institut der cic (§§ 311 II, 241 II, 280) zu begegnen (Löhnig/Schärtl AcP 204, 25, 48f). Derartige Ansprüche können auch bei einem nichtigen Vertrag bestehen (Czeguhn, Geschäftsfähigkeit, beschränkte Geschäftsfähigkeit, Geschäftsunfähigkeit, 2003, Rn 180). Schon nach bisherigem Rechtsverständnis konnte der Geschäftsunfähige in sog lichten Augenblicken bestimmte Rechtsgeschäfte wirksam vornehmen (allg M; § 104 Rn 4). Die Nichtigkeitsfolge des § 105 I tritt in diesen Fällen

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nicht ein. Diese Möglichkeit wird von der Neuregelung nicht berührt (ebenso: Jauernig/Mansel Rn 3, 6; Lipp FamRZ 2003, 721, 725). 5. Beweislast. Wer sich auf die Wirksamkeit eines Geschäfts nach § 105a S 1 beruft, muss alle Voraussetzungen nachweisen. Die Voraussetzungen von S 2 muss beweisen, wer die Unwirksamkeit eines Geschäfts nach dieser Bestimmung geltend macht.

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Ein Minderjähriger, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist nach Maßgabe der §§ 107 bis 113 in der Geschäftsfähigkeit beschränkt. 1. Bedeutung. Die §§ 106ff sollen den Minderjährigen, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, einerseits vor den Folgen rechtlich bindender Willenserklärungen schützen, ihm aber andererseits in beschränktem Umfang die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglichen. Im Interesse der Rechtssicherheit stellen die §§ 106ff nicht individuell auf die Bedeutung des einzelnen Geschäfts oder auf die geistige Reife des Minderjährigen ab; vielmehr gilt ein abstrakt genereller Maßstab. Die Minderjährigkeit endet mit der Vollendung des 18. Lebensjahres (§ 2). 2. Überblick (§§ 107–113). a) Wirksam sind die Willenserklärungen des Minderjährigen auch ohne Beteiligung des gesetzlichen Vertreters in den Fällen der §§ 107 (lediglich rechtlicher Vorteil), 110, 112 und 113.b) In allen anderen Fällen hängt die Wirksamkeit der Willenserklärung von der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters ab: aa) Bei Verträgen bedarf die Willenserklärung der Zustimmung (Einwilligung – § 183 – oder Genehmigung – § 184) des gesetzlichen Vertreters (§§ 108f). bb) Bei einseitigen Rechtsgeschäften ist eine (vorherige) Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich (§ 111). 3. Spezialregeln. a) Die Beschränkungen der §§ 106ff gelten nur, wenn der Minderjährige für sich selbst handelt. Eine vom Minderjährigen als Stellvertreter abgegebene Willenserklärung ist wirksam (§ 165). Eine Haftung des Minderjährigen als Vertreter ohne Vertretungsmacht scheidet gem § 179 III 2 aus. Handelt der Minderjährige zugleich in eigenem und fremdem Namen, ist § 139 zu beachten. b) Weitere Spezialvorschriften enthalten zB: §§ 8, 131 II, 210, 682, 828 II und III, 1303, 1411, 1516 II, 1596ff, 1600a II, 1746, 2229, 2233 I, 2247 IV, 2275 II, 2296 I, 2347 II, 2351. Bei Anordnung einer Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt hat der Betreute eine dem beschränkt Geschäftsfähigen ähnliche Rechtsstellung (§ 1903 I 2, III). c) Beschränkt Geschäftsfähige sind prozessunfähig (§§ 51f ZPO). Im Verfassungsbeschwerdeverfahren kann aber unter dem Gesichtspunkt der Grundrechtsmündigkeit etwas anderes gelten (Kahl JuS 1995, 904). Im FamFG-Verfahren sind die §§ 9, 60, 125 FamFG zu beachten. Eine etwaige Verfahrensfähigkeit führt nicht dazu, dass der beschränkt Geschäftsfähige wirksam einen Anwalt beauftragen kann (vgl AG Münster NJW 1994, 1124 für den Fall eines asylverfahrensfähigen Minderjährigen). d) Für Minderjährige mit fremder Staatsangehörigkeit ist umstr, ob sich die Rechtsfolgen mangelnder Geschäftsfähigkeit nach dem Heimatrecht richten (so die hM, vgl Baetge IPRax 1996, 185; Pal/Thorn Art 7 EGBGB Rn 5, beide mwN) oder nach dem Vertrags- oder Wirkungsstatut (so etwa Düsseldorf NJW-RR 1995, 755 = IPRax 1996, 199). Vgl Vor § 104 Rn 17 und Art 7 EGBGB Rn 14f.

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Beschränkte Geschäftsfähigkeit Minderjähriger

Einwilligung des gesetzlichen Vertreters

Der Minderjährige bedarf zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. 1. Bedeutung. Der Minderjährige kann selbst wirksame Willenserklärungen nur abgeben, wenn er durch sie lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt. Rechtlich nachteilige Geschäfte bedürfen jedoch zum Schutz des Minderjährigen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Für bestimmte außergewöhnliche Geschäfte ist daneben eine Genehmigung des FamG erforderlich (§§ 1643, 1821f; vgl auch § 1812f – Genehmigung des Gegenvormunds). 2. Anwendungsbereich. § 107 gilt für alle Willenserklärungen und findet auch auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen – nicht aber auf Realakte – entspr Anwendung (Vor § 104 Rn 17). Familienrechtliche Willenserklärungen (zB Verlöbnis; hM, RG 61, 272; 98, 15) fallen unter § 107, soweit nicht Spezialvorschriften eingreifen (zB §§ 1303f; 1596ff; 1746). Zur Testamentserrichtung durch einen Minderjährigen §§ 2229, 2233 I, 2247 IV (Brox ErbR Rn 90ff). Die §§ 104ff sind entspr anwendbar bei Eingriffen in Vermögensrechte wie etwa dem Eigentum (Staudinger/Steinrötter JuS 2012, 97, 104), die Wirksamkeit der Einwilligung des Minderjährigen zu einem tatsächlichen Eingriff in höchstpersönliche Rechtsgüter wie Gesundheit und körperliche Integrität (zB durch eine Operation, BGH 29, 35, oder eine Tätowierung, AG München NJW 2012, 2452) beurteilt sich dagegen nach dem Rechtsgedanken des § 828 nach der individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit (BGH 29, 36; NJW 1972, 335, 337; § 823 Rn 147; § 630d Rn 7; aA Beater JZ 2013, 111, 116ff.). Beim Vertragssschluss unter beschränkt Geschäftsfähigen sind die Voraussetzungen der §§ 106ff für jeden der beteiligten Minderjährigen getrennt zu prüfen (näher Lettl WM 2013, 1245, 1248ff). 3. Ob eine Willenserklärung lediglich rechtlich vorteilhaft ist, richtet sich allein nach der rechtlichen Wirkung, nicht jedoch nach den wirtschaftlichen Folgen des Geschäfts (BGH LM Nr 7; BGH 161, 178f; hM, aA Stürner AcP 173, 402ff; Köhler JZ 1983, 225); das Gesetz will nicht auf den für den Rechtsverkehr zu unsicheren Maßstab des wirtschaftlichen Vorteils abstellen. Entscheidend ist daher, ob durch die Willenserklärung selbst oder durch 264

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Geschäftsfähigkeit

§ 107

den Vertrag, zu dessen Abschluss sie abgegeben wird, rechtliche Verpflichtungen des Minderjährigen begründet oder seine Rechte vermindert werden. Soweit ein Geschäft einem Minderjährigen lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt, gilt für Insichgeschäfte der sorgeberechtigten Eltern das Verbot des § 181 nicht (BGH 94, 232). a) Einseitige Rechtsgeschäfte können rechtlich vorteilhaft sein (zB Kündigung eines zinslosen Darlehens durch den Minderjährigen als Darlehensgeber; zur Mahnung vgl BGH 47, 352, 357; 106, 163, 166; KG FamRZ 1989, 537; Köln NJW 1998, 320; Emmerich JuS 1995, 124; zur Annahme eines unbelasteten Vermächtnisses München NJW-RR 2012, 137, 138); meist sind sie jedoch rechtlich nachteilig (zB Kündigung eines Mietvertrags, verzinslichen Darlehens; Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft). b) Verpflichtungsgeschäfte sind rechtlich vorteilhaft und folglich zustimmungsfrei, soweit der Minderjährige selbst keine rechtsgeschäftliche Verpflichtung übernimmt. Somit ist ein gegenseitiger Vertrag wegen seiner synallagmatischen Verpflichtung niemals lediglich rechtlich vorteilhaft. Das gilt auch dann, wenn der Vertrag für den Minderjährigen wirtschaftlich sehr günstig ist; entscheidend sind nicht die wirtschaftlichen, sondern die rechtlichen Nachteile. Rechtliche Nachteile sind dabei auch solche, die kraft Gesetzes eintreten (zB die Haftung aus § 419 aF bei der Vermögensübernahme, BGH 53, 178). Der Abschluss eines Versicherungsvertrags (Bsp: BGH NJW 2003, 514 für Kfz-Haftpflichtversicherung) und Bankgeschäfte eines Minderjährigen sind in aller Regel nicht allein rechtlich vorteilhaft und deshalb zustimmungsbedürftig; im Einzelfall können §§ 110, 112, 113 eingreifen (eingehend zur Teilnahme Minderjähriger am Bankverkehr einschl der Benutzung von Scheck- und Kundenkarten mwN: Hagemeister JuS 1992, 839 und 924; Vortmann WM 1994, 965ff; vgl auch LG Köln NJWRR 1991, 968). Nicht lediglich rechtlich vorteilhaft sind auch unvollkommen zweiseitig verpflichtende Verträge. Deshalb bedürfen sowohl der Leihvertrag (wegen der Verpflichtungen des Entleihers gem §§ 601, 604) als auch der Verwahrungsvertrag (wegen §§ 693, 694) als auch der Darlehensvertrag (vgl Düsseldorf NJW-RR 1995, 755) der Einwilligung. Einseitig verpflichtende Verträge kann der Minderjährige schließen, wenn die Verpflichtung den Vertragspartner und nicht ihn trifft. Der Abschluss eines Schenkungsvertrags mit einem Minderjährigen ist wirksam, auch wenn damit eine Ausgleichsanordnung (§ 2050 III) verbunden ist, weil damit keine Verpflichtung begründet wird (BGH 15, 171; Stuttgart FamRZ 1992, 1423). Dagegen ist die Schenkung unter einer Auflage wegen § 525 nicht lediglich vorteilhaft (Stuttgart aaO; Köln NJW-RR 1998, 363). Ist die Erfüllung eines lediglich rechtlich vorteilhaften Schenkungsversprechens für den Minderjährigen mit rechtlichen Nachteilen verbunden, bedarf nicht das schuldrechtliche, wohl aber das dingliche Geschäft der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Falls dieser als Schenker Vertragspartner des Minderjährigen ist, kann er zwar nach § 181 Hs 1 weder die Willenserklärung für den Minderjährigen abgeben noch die Erklärung des Minderjährigen durch Zustimmung wirksam machen; nach dem Wortlaut des § 181 letzter Hs wäre ihm das jedoch möglich, weil das dingliche Geschäft ausschließlich zur Erfüllung des Schenkungsversprechens erfolgt. Dadurch würde der von §§ 107, 181 Hs 1 bezweckte Minderjährigenschutz umgangen. Um das zu vermeiden, sollte in diesen Fällen nach BGH 78, 28 (ebenso BayObLG 1998, 139) aufgrund einer Gesamtbetrachtung der rechtliche Nachteil des dinglichen Geschäfts dazu führen, das schon das schuldrechtliche Geschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Diese juristische Konstruktion hat der BGH jedoch inzwischen zu Recht wieder aufgegeben (BGH 187, 119, 121). Für die Frage, ob eine Schenkung lediglich rechtlich vorteilhaft ist, hat das von dieser unabhängige dingliche Rechtsgeschäft keine Bedeutung (ebenso Bork AT Rn 1002f). Dem Minderjährigenschutz kann durch eine einschränkende Auslegung des § 181 letzter Hs Rechnung getragen werden (Jauernig JuS 1982, 576; Feller DNotZ 1989, 75; § 181 Rn 23, 31; offengelassen von BGH 161, 174f). c) Ein Verfügungsgeschäft kann der Minderjährige ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abschließen, wenn die Verfügung rechtlich zu seinen Gunsten wirkt. Eine Eigentumsübertragung oder Forderungsabtretung an einen Minderjährigen ist daher wirksam, wenn der Erwerber im Zusammenhang mit dem Erwerb nicht mit Verpflichtungen belastet wird, für die er nicht allein dinglich mit dem erworbenen Gegenstand, sondern auch persönlich mit seinem sonstigen Vermögen haftet (st Rspr seit BGH 78, 28, 33 = NJW 1981, 109; ebenso BayObLG 1979, 49, 53). Stets nachteilig ist die Verfügung des Minderjährigen über Gegenstände seines Vermögens wie etwa die Übertragung von Eigentum, die Abtretung oder der Erlass einer Forderung. Für die Bewertung der Übertragung von Grundeigentum auf den Minderjährigen ist insb auf folgende Kriterien abzustellen: Lediglich rechtlich vorteilhaft ist die Übereignung eines zB mit einem Grundpfandrecht belasteten Grundstücks, da hierdurch der rechtliche Vorteil des Minderjährigen nur gemindert, jedoch kein sonstiges Vermögen belastet wird (BGH 161, 170, 176f; anders bei Reallast wegen § 1108, LG Coburg MittBayNot 2008, 224). Auch eine Auflassungsvormerkung zur Sicherung eines Rückübereignungsanspruchs des Veräußerers begründet keinen rechtlichen Nachteil iSv § 107 (BGH 161, 170, 177; Brandenburg NJW-RR 2014, 1045, 1046). Ebenso wenig kann zumindest im Grundsatz die mit der Eigentumsübertragung regelmäßig verbundene Haftung des Erwerbers für die gewöhnlichen öffentlichen Lasten des Grundstücks als nachteilig qualifiziert werden, weil sie typischerweise keine Gefährdung des vom Gesetz bezweckten Schutzes des beschränkt Geschäftsfähigen mit sich bringt (schutzzweckorientierte einschränkende Auslegung von § 107); eine andere Bewertung kann bei außerordentlichen Lasten, etwa bei Erschließungs- oder Anliegerbeiträgen, in Betracht kommen; die Abgrenzung ist Frage des Einzelfalls (BGH 161, 170, 177ff). – Für die Belastung mit einem Nießbrauch gilt dieselbe Bewertung jedenfalls dann, wenn der Nießbraucher auch die Kosten außergewöhnlicher Ausbesserungen und Erneuerungen sowie die außergewöhnlichen Grundstückslasten zu tragen hat (BGH 161, 170, 176; Celle MitBayNot 2014, 248). Das dingliche Geschäft ist schließlich auch dann rechtlich vorteilhaft, wenn die zugrunde liegende schuldrechtliche Vereinbarung mit rechtlichen Nachteilen verbunden und deshalb (schwebend) unwirksam ist; Müller

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auch bei einer solchen Konstellation ist (anders noch BGH 78, 28 = NJW 1981, 109) über das Vorliegen eines rechtlichen Vorteils oder Nachteils nicht in einer Gesamtbetrachtung von dinglichem und schuldrechtlichem Geschäft zu entscheiden. Die Übertragung eines vermieteten oder verpachteten Grundstücks ist hingegen wegen der mit dem Erwerb nach §§ 566 I, 581 II, 593b iVm zB § 535 I, 536a, 581 I, 585 II, 586 II verbundenen persönlichen Haftung – auch wenn der Veräußerer sich den Nießbrauch vorbehält – nicht lediglich rechtlich vorteilhaft (BGH 162, 137, 140ff, für die Zustimmungsbedürftigkeit auch des schuldrechtlichen Geschäfts J. Hager, FS Leenen, 2012, 43, 46ff). Das gilt wegen der Pflichten aus §§ 1041, 1045, 1047 auch für die Bestellung eines Nießbrauchs zugunsten des Minderjährigen (BFH NJW 1981, 141; offengelassen in BGH LM Nr 7). Die Übertragung eines Grundstücksanteils an einen Minderjährigen im Wege vorweggenommener Erbfolge kann rechtlich nachteilig sein, wenn sie mit der Vereinbarung eines nicht auf Rückgabe der Bereicherung beschränkten Rückforderungsrechts verknüpft ist (BayObLG FamRZ 2004, 1055f; Köln NJOZ 2005, 3046 = Rpfleger 2003, 570 m Anm Bestelmeyer Rpfleger 2004, 162f). Einwilligungsbedürftig ist auch der Erwerb von WE (wegen der Haftung nach § 10 VIII WEG, s BGH 187, 119, 121ff; Hamm ZWE 2010, 370; München ZEV 2008, 246) und einer Photovoltaikanlage (wegen der damit verbundenen öffentlich-rechtl Pflichten s Dresden NJW 2016, 1027, das aber zu Unrecht schon die Schenkung für rechtlich nachteilig hält). Der Erwerb von Anteilen an einer Personengesellschaft ist zumeist mit Haftungsgefahren verbunden und dann nicht lediglich vorteilhaft (BGH 68, 231f). Anders liegt es bei der Einräumung eines voll eingezahlten Kommanditanteils (Bremen NZG 2008, 750; Führ/Nikoleycik BB 2009, 2105ff; Maier-Reimer/Marx NJW 2005, 3025, 3026; Weinbrenner FPR 2009, 265ff; aA Frankfurt NJW-RR 2008, 1568). Ebenfalls lediglich rechtlich vorteilhaft ist der Erwerb von voll eingezahlten Aktien (Maier-Reimer/Marx aaO). Anders ist für die Beteiligung an einer GmbH wegen der Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG zu entscheiden (Maier-Reimer/Marx aaO). d) Die Erfüllung eines Anspruchs des Minderjährigen durch Leistung an ihn ist nicht wirksam, da durch die Erfüllung die Forderung erlischt und somit ein Rechtsnachteil entsteht. Die Eigentumsübertragung an den Minderjährigen ist zwar wirksam, jedoch kann in diesem Fall die Erfüllungswirkung erst mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters eintreten (BGH NJW 2015, 2497, 2498; Brox/Walker AT Rn 286; BaRo/Wendtland § 107 Rn 6; aA Harder JuS 1977, 151). e) Neutrale Geschäfte, dh solche, die für den Minderjährigen weder rechtlich vorteilhaft noch nachteilig sind, bedürfen nach dem Schutzzweck des § 107 (vgl Bork AT Rn 997, 1008) zu ihrer Wirksamkeit nicht der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters. Zu den neutralen Geschäften gehören das Handeln als Vertreter eines anderen (§ 165), die Verfügung über fremde Sachen zugunsten eines Gutgläubigen gem §§ 932ff oder mit Einwilligung des Berechtigten nach § 185 I, wie auch die Leistungsbestimmung gem § 317. 4. Einwilligungserklärung. a) Die Einwilligung ist eine empfangsbedürftige, formfreie Willenserklärung (Vor § 182 Rn 12), die bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts frei widerruflich ist (§ 183 I 1). Der gesetzliche Vertreter kann sie ggü dem Minderjährigen oder dem Geschäftsgegner vor oder bei Geschäftsschluss erklären (bei einseitigen Rechtsgeschäften: § 111). Die Einwilligung kann sowohl ausdr als auch konkludent erteilt werden. So kann in der Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters bei dem Geschäft die Einwilligung liegen (RG 130, 128). b) Umfang. Die Einwilligung kann sowohl für ein einzelnes Geschäft als auch – allerdings nur in den Grenzen des Schutzzwecks des § 107 – als beschränkte Generaleinwilligung (vgl Bork AT Rn 1014ff), insb für einen begrenzten Kreis noch nicht feststehender, jedoch üblicherweise mit einem bestimmten Vorhaben (zB Studium, Reise, Kauf eines Kfz mit Abschluss einer Haftpflichtversicherung) verbundener Rechtsgeschäfte erteilt werden. Der Umfang eines solchen Generalkonsenses ist durch Auslegung zu ermitteln; im Interesse eines wirksamen Minderjährigenschutzes ist die Einwilligung eng auszulegen: der beschränkte Generalkonsens darf nämlich nicht zu einer partiell erweiterten Geschäftsfähigkeit über die Regelung der §§ 112, 113 hinaus führen (vgl BGH 47, 359; NJW 1977, 622). Unzulässig ist daher auch eine Einwilligung in Geschäfte jeglicher Art (Bork aaO; Scherner FamRZ 1976, 673ff). Die Einwilligung zur Ausbildung an einem anderen Ort umfasst idR Rechtsgeschäfte des Minderjährigen zur Deckung des Lebensbedarfs und zur Durchführung der Ausbildung. Erfolgt die Ausbildung am Wohnort der Eltern, deckt die Einwilligung nicht die Anmietung einer Wohnung (LG Mannheim NJW 1969, 239). Die Einwilligung zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel deckt idR keine Schwarzfahrten, so dass auch kein vertraglicher Anspruch auf ein erhöhtes Beförderungsentgelt entsteht (eingehend und überzeugend dazu Diekmann/Schneider ZfJ 2002, 161ff; ferner AG Bergheim NJW-RR 2000, 202; AG Bonn NJW-RR 2010, 417; AG Jena NJW-RR 2001, 1469; aA NK/Baldus Rn 98ff). In der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zum Erwerb des Führerscheins liegt keine Einwilligung zum Abschluss eines Kfz-Mietvertrags (BGH NJW 1973, 1790). Die Einwilligung zum Abschluss eines Mobilfunkvertrags deckt nicht ohne weiteres auch die Vereinbarung von zusätzlichen „Mehrwertdienstleistungen“ durch den Minderjährigen ab (Einzelheiten bei Derleder/Thielbar NJW 2006, 3233 mwN; vgl auch Klees CR 2005, 626, Mankowski/Schreier VuR 2006, 209 und Zagouras MMR 2006, 511; zur Verpflichtung auf Zahlung von Telefonkosten, die durch Entgegennahme von R-Gesprächen Dritter durch Minderjährige entstehen, vgl BGH NJW 2006, 1971; LG Potsdam NJW-RR 2006, 192; Schütz MMR 2006, 7 und Zagouras NJW 2006, 2368). c) Selbst bei einem wirtschaftlich günstigen Geschäft steht dem Minderjährigen kein Anspruch auf Erteilung der Einwilligung zu. Die Erteilung steht im pflichtgemäßen Ermessen des gesetzlichen Vertreters. Die Einwilligung kann nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen (etwa § 113 III, § 1666 III) durch das FamG ersetzt wer266

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Geschäftsfähigkeit

§ 108

den. Bei Verweigerung der Zustimmung kann ein Schadensersatzanspruch des Minderjährigen in Betracht kommen.

§ 108

Vertragsschluss ohne Einwilligung

(1) Schließt der Minderjährige einen Vertrag ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung des Vertreters ab. (2) Fordert der andere Teil den Vertreter zur Erklärung über die Genehmigung auf, so kann die Erklärung nur ihm gegenüber erfolgen; eine vor der Aufforderung dem Minderjährigen gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung wird unwirksam. Die Genehmigung kann nur bis zum Ablauf von zwei Wochen nach dem Empfang der Aufforderung erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert. (3) Ist der Minderjährige unbeschränkt geschäftsfähig geworden, so tritt seine Genehmigung an die Stelle der Genehmigung des Vertreters. 1. Schwebende Unwirksamkeit des Vertrags. Schließt ein Minderjähriger einen nicht lediglich rechtlich vorteilhaften Vertrag ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so ist der Vertrag schwebend unwirksam; der gesetzliche Vertreter hat jedoch die Möglichkeit, durch nachträgliche Zustimmung (= Genehmigung, § 184 I) den Vertrag wirksam werden zu lassen (für einseitige Rechtsgeschäfte gilt § 111; jedoch nimmt ein einseitiges Rechtsgeschäft des Minderjährigen, das mit einem Vertrag eine rechtliche Einheit bildet, an der schwebenden Unwirksamkeit und der Genehmigungsfähigkeit des Vertrags teil, BGH 112, 363 = NJW 1990, 1721f für die Vollmacht). Während der schwebenden Unwirksamkeit (Einl § 104 Rn 35; Vor § 182 Rn 14; § 184 Rn 9) kann der Minderjährige aus dem Vertrag nicht in Anspruch genommen werden (vgl § 184 Rn 4). Der Schwebezustand endet mit der Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung (vgl Vor § 182 Rn 14) durch den gesetzlichen Vertreter (§ 108 I) oder durch den unbeschränkt geschäftsfähig gewordenen Minderjährigen (§ 108 III). Dem Interesse des Vertragspartners an der Abkürzung des Schwebezustands dient § 108 II; außerdem steht dem Vertragspartner das Widerrufsrecht nach § 109 zu. Der Minderjährige ist während des Schwebezustands an seine Erklärung gebunden; er hat kein Rücktritts- oder Widerrufsrecht. Vergleichbare Regelungen für ihren jew Problembereich enthalten § 177 (Genehmigung des Vertreters), § 1366 (Genehmigung des anderen Ehegatten) und § 1829 (Genehmigung des FamG). 2. Beendigung des Schwebezustands durch den gesetzlichen Vertreter (Abs I). Der gesetzliche Vertreter kann den schwebend unwirksamen Vertrag nach freiem Ermessen genehmigen oder die Genehmigung verweigern. a) Die Genehmigung (§ 184; vgl § 184 Rn 1) ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die (§ 182 II) nicht der für den Vertrag erforderlichen Form bedarf (vgl BGH DNotZ 1981, 183; zu Ausnahmen § 182 Rn 7). Sie kann dem Minderjährigen oder dem Vertragspartner ggü (§ 182) ausdr oder durch schlüssiges Verhalten erteilt werden. Die Rspr verlangt als Voraussetzung der konkludenten Genehmigung bislang vielfach, dass der Genehmigende gewusst oder mit der Möglichkeit gerechnet hat, der Vertrag sei unwirksam (BGH 2, 152; 53, 178; NJW 1988, 1199f; BAG NJW 1964, 1643; Düsseldorf IPRax 1996, 200; Koblenz VersR 1991, 209). Mit der neueren Rspr, die das Vorliegen einer Willenserklärung nicht mehr vom Erklärungsbewusstsein abhängig macht (vgl Vor § 116 Rn 15ff), steht das nicht im Einklang. Es muss genügen, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen konnte, dass seine Äußerung nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte als Genehmigung aufgefasst werden durfte und dass der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat (näher dazu § 182 Rn 8ff). – Der gesetzliche Vertreter kann den Vertrag nur so genehmigen, wie ihn der Minderjährige abgeschlossen hat. Eine Abänderung des Vertrags ist ihm nicht möglich; sie kann jedoch uU als Neuvornahme des Geschäfts oder als Einwilligung zu einem erneuten Vertragsschluss durch den Minderjährigen aufgefasst werden. – Die Genehmigung des gesetzlichen Vertreters hat rückwirkende Kraft (§ 184), dh der Vertrag ist von Anfang an gültig. Die einmal erklärte Entscheidung des gesetzlichen Vertreters ist wegen ihrer gestaltenden Wirkung nicht widerruflich (BGH 13, 187). b) Durch die Verweigerung der Genehmigung wird der schwebend unwirksame Vertrag endgültig nichtig (vgl Vor § 182 Rn 15). Ein Widerruf der Verweigerung ist ausgeschlossen (RG 139, 127; RGRK/Krüger-Nieland Rn 6). Bereits erbrachte Leistungen sind gem §§ 812ff zurückzugewähren. UU kann der Geschäftsgegner bei nichtigem Vertrag aus GoA Aufwendungsersatz verlangen (s zur Vergütung eines Schlüsseldienstes BGH NJW 2015, 1020). 3. Abkürzung des Schwebezustands durch den Vertragspartner (Abs II). Der Vertragspartner kann den Schwebezustand abkürzen. a) Voraussetzung ist eine Aufforderung an den gesetzlichen Vertreter zur Erklärung über die Genehmigung. Die Aufforderung ist eine geschäftsähnliche Handlung, da ihre Rechtsfolgen kraft Gesetzes und unabhängig vom Willen des Erklärenden eintreten (Staud/Klumpp Rn 40). b) Folge der Aufforderung. Der gesetzliche Vertreter kann die Genehmigung nur noch ggü dem Vertragspartner erklären. Eine bereits vor der Aufforderung ggü dem Minderjährigen erklärte Genehmigung oder Verweigerung wird unwirksam. Der Schwebezustand wird somit durch die Aufforderung wiederhergestellt; der Vertreter erlangt erneute Entscheidungsfreiheit. Die Erklärung der Genehmigung ist gem § 108 II 2 nur bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Empfang der Aufforderung möglich. Genehmigt der Vertreter während dieser Frist nicht, so ist der Vertrag endgültig unwirksam. Die Zweiwochenfrist kann durch einseitige Erklärung des Vertragspartners verlängert und durch Vereinbarung mit dem gesetzlichen Vertreter verkürzt werden (Prot I 60). Müller

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c) Abs II spricht nur von der Genehmigung. Daraus schließt die hM, dass die Vorschrift auf eine vor Vertragsschluss erteilte Einwilligung nicht anwendbar ist (MüKo/Schmitt Rn 23f; Soergel/Hefermehl Rn 8; Paal/Leyendecker JuS 2006, 25, 26 s auch Prot I 60). Da aber der Vertragspartner bei einer Einwilligung, die nur dem Minderjährigen ggü erteilt worden ist, ebenfalls ein berechtigtes Interesse an der Klärung der ungewissen Lage haben kann, wird Abs II mit guten Gründen teilw entspr angewendet (vgl Jauernig/Mansel Rn 3; Pal/Ellenberger Rn 7; Staud/Klumpp Rn 46). 4. Beendigung des Schwebezustands durch den geschäftsfähig gewordenen Minderjährigen (Abs III). Der schwebend unwirksame Vertrag wird nicht automatisch wirksam, wenn der Minderjährige während des Schwebezustands volljährig wird; vielmehr bleiben Schwebezustand und Genehmigungsbedürftigkeit bestehen. Der volljährig Gewordene kann nunmehr selbst genehmigen oder die Genehmigung verweigern, Erklärungsempfänger ist der Vertragspartner (NK/Baldus Rn 24ff; Empfangsbedürftigkeit verneinend hingegen Paal/Leyendecker JuS 2006, 25, 27ff). Eine Erteilung der Genehmigung durch schlüssiges Verhalten ist möglich, setzt jedoch nach der Rspr voraus, dass der bisher Minderjährige zumindest mit der schwebenden Unwirksamkeit gerechnet hat (BGH 47, 351; 53, 178; Düsseldorf NJW-RR 1995, 755 = IPrax 1996, 200; LG Wiesbaden MDR 2014, 204); vgl zu den Bedenken Rn 3 und § 182 Rn 9. Zur Genehmigung eines Lebensversicherungsvertrags Koblenz VersR 1991, 209; Bayer VersR 1991, 130. Eine Aufforderung gem Abs II ist jetzt an den geschäftsfähig Gewordenen zu richten (BGH NJW 1989, 1728); ein Widerruf ihm ggü zu erklären. Führt ein inzwischen volljährig Gewordener einen weiterhin schwebend unwirksamen Vertrag über lange Zeit nach Eintritt der Volljährigkeit fort (Bsp: Versicherungsvertrag), kann der Berufung auf die (schwebende) Unwirksamkeit § 242 entgegenstehen (LG Regensburg VersR 2004, 722). Endet die gesetzliche Vertretung nicht durch Volljährigkeit, sondern durch den Tod des Minderjährigen, steht dessen Erben das Genehmigungsrecht zu (BaRo/Wendtland Rn 10). 5. Beweislast. Die Genehmigung und deren Rechtzeitigkeit (§ 108 II 2) hat derjenige zu beweisen, der sich auf die Gültigkeit des Vertrags beruft; für die Aufforderung ist der Vertragspartner beweispflichtig. Hat ein Minderjähriger nach Eintritt der Volljährigkeit einen von ihm früher geschlossenen Vertrag genehmigt und beruft er sich nun darauf, dass sein gesetzlicher Vertreter vor Eintritt der Volljährigkeit die Genehmigung verweigert hat, so trägt er dafür die Beweislast (BGH NJW 1989, 1728). 6. Entsprechende Anwendung des § 108. Wenn das Betreuungsgericht gem § 1903 I 1 eine Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt angeordnet hat, ist das vom Betreuten im Aufgabenkreis des Betreuers vorgenommene Rechtsgeschäft dem Geschäft eines beschränkt Geschäftsfähigen vergleichbar. Deshalb gelten nach § 1903 I 1 die §§ 108ff entspr. Der vom Betreuten geschlossene Vertrag bedarf der vorherigen oder nachträglichen Zustimmung des Betreuers (Einzelheiten § 1903 Rn 15ff sowie § 104 Rn 7).

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Widerrufsrecht des anderen Teils

(1) Bis zur Genehmigung des Vertrags ist der andere Teil zum Widerruf berechtigt. Der Widerruf kann auch dem Minderjährigen gegenüber erklärt werden. (2) Hat der andere Teil die Minderjährigkeit gekannt, so kann er nur widerrufen, wenn der Minderjährige der Wahrheit zuwider die Einwilligung des Vertreters behauptet hat; er kann auch in diesem Falle nicht widerrufen, wenn ihm das Fehlen der Einwilligung bei dem Abschluss des Vertrags bekannt war. 1. Bedeutung. Während der schwebenden Unwirksamkeit des Vertrags (§ 108 Rn 1) soll der Vertragspartner die Möglichkeit haben, sich vom Vertrag zu lösen. Deshalb räumt Abs I ihm ein Widerrufsrecht ein; das gilt jedoch nur, soweit er schutzwürdig ist (Abs II). Die Ausführungen zu den vergleichbaren Regelungen in §§ 178, 1366 II, 1830 lassen sich weitgehend auch hier heranziehen. 2. Voraussetzungen des Widerrufsrechts. a) Der Vertrag muss noch schwebend unwirksam sein. Deshalb endet das Widerrufsrecht mit der (wirksamen) Genehmigung des gesetzlichen Vertreters. Unerheblich ist, ob eine erforderliche familiengerichtliche Genehmigung noch fehlt. Hat der gesetzliche Vertreter die Genehmigung bereits verweigert, ist der Vertrag unwirksam (vgl § 108 Rn 4, Vor § 182 Rn 15), so dass der Vertragspartner nicht mehr gebunden ist; dann bedarf er eines Widerrufsrechts nicht. Das Widerrufsrecht besteht aber auch dann, wenn die Genehmigung oder deren Verweigerung nur ggü dem Minderjährigen erklärt worden ist und der Vertragspartner durch seine Aufforderung zur Erklärung über die Genehmigung nach § 108 II 1 den Schwebezustand wieder herbeigeführt hat (hM; Staud/Klumpp Rn 12 mwN; einschränkend MüKo/Schmitt Rn 9; Paal/Leyendecker JuS 2006, 25, 27: Der Vertragspartner muss dem gesetzlichen Vertreter zuvor eine Bedenkzeit einräumen). b) Der Vertragspartner darf die schwebende Unwirksamkeit nicht bewusst in Kauf genommen haben (Abs II). Das ist der Fall, wenn er die Minderjährigkeit oder das Fehlen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters beim Vertragsschluss gekannt hat. Fahrlässige Unkenntnis schadet nicht; den Vertragspartner trifft keine Erkundigungspflicht (Prot I 61). Trotz Kenntnis der Minderjährigkeit ist der Vertragspartner aber schutzwürdig, wenn der Minderjährige objektiv wahrheitswidrig die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters behauptet hat; deshalb steht dem Vertragspartner auch in diesem Falle das Widerrufsrecht zu. 3. Ausübung des Widerrufsrechts. Das Recht wird durch eine empfangsbedürftige, formlose Willenserklärung ausgeübt. Diese kann ggü dem gesetzlichen Vertreter, aber auch ggü dem Minderjährigen (Abs I S 2 in Abweichung von § 131 II) abgegeben werden. 4. Folge des erklärten Widerrufs. Der Vertrag ist endgültig unwirksam. 268

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Geschäftsfähigkeit

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5. Beweislast. Wer die Unwirksamkeit des Vertrags infolge Widerrufs geltend macht, muss den Zugang des Widerrufs während des Schwebezustands beweisen (BGH NJW 1989, 1728). Bringt der Gegner vor, der Widerruf sei nicht wirksam gewesen, da der Vertragspartner die Minderjährigkeit oder das Fehlen der Einwilligung gekannt habe, ist er dafür beweispflichtig. Demgegenüber hat der Vertragspartner zu beweisen, dass der Minderjährige der Wahrheit zuwider die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters behauptet habe. 6. Entspr Anwendung des § 109 bei Rechtsgeschäften eines Betreuten mit Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 Rn 15ff; § 108 Rn 10).

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Bewirken der Leistung mit eigenen Mitteln

Ein von dem Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters geschlossener Vertrag gilt als von Anfang an wirksam, wenn der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen worden sind. 1. Bedeutung des sogenannten Taschengeldparagraphen. Der Minderjährige soll einerseits vor Verträgen ge- 1 schützt werden, die seine wirtschaftlichen Möglichkeiten übersteigen; andererseits soll ihm jedoch – auch aus Erziehungsgründen – eine gewisse Bewegungsfreiheit im Rechtsverkehr verschafft werden. Schließt der Minderjährige ohne die erforderliche Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters einen Vertrag, so treffen ihn, solange er die vereinbarte Leistung nicht erbracht hat, keine vertraglichen Verpflichtungen; der Vertrag ist vielmehr gem § 108 schwebend unwirksam. Bewirkt der Minderjährige allerdings die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung überlassen worden sind, so wird der Vertrag nach § 110 von Anfang an wirksam. Die Wirksamkeit eines vom Minderjährigen geschlossenen Verpflichtungsgeschäfts sowie des Verfügungsgeschäfts hängt also von der vollständigen Erfüllung seitens des Minderjährigen ab. § 110 regelt einen Spezialfall der (konkludenten) Einwilligung nach § 107 (MüKo/Schmitt Rn 2ff; Staud/Klumpp Rn 7ff). Ist in der Überlassung der Mittel eine (konkludente) Einwilligung zum Vertragsschluss zu sehen, ist der Vertrag nach § 107 bereits mit seinem Abschluss und nicht erst mit Bewirkung der Leistung wirksam. Für einen solchen Willen des gesetzlichen Vertreters bedarf es jedoch konkreter Anhaltspunkte (PWW/Völzmann-Stickelbrock Rn 1). 2. Voraussetzungen. a) Der Minderjährige muss die vertragsmäßige Leistung bewirkt haben. Dafür genügen 2 neben der Erfüllung (§ 362) auch die Erfüllungssurrogate wie Leistung an Erfüllungs statt (§ 364), Hinterlegung (§ 378) und Aufrechnung (§ 389). Die Leistung muss jedoch vollständig erbracht worden sein. Eine Teilleistung ist daher grds keine Erfüllung gem § 110, so dass keine Teilwirksamkeit des Vertrags eintritt. Eine Ausnahme gilt dort, wo sowohl Leistung als auch Gegenleistung teilbar sind (Schilken FamRZ 1978, 643; MüKo/Schmitt Rn 13). Bei Abzahlungs- und Kreditgeschäften wird mit Zahlung einer Rate noch keine Teilwirksamkeit des Vertrags herbeigeführt; erst mit Zahlung der letzten Rate wird der gesamte Vertrag wirksam. Bei Versicherungsverträgen lassen sich Leistung und Gegenleistung uU zeitabschnittsweise trennen; daher ist der Vertrag mit Zahlung einer Jahresprämie für das laufende Versicherungsjahr wirksam (LG Bochum VersR 1970, 25). Nicht teilbar sind Lebensversicherungen auf den Todes- und Erlebensfall (Schilken FamRZ 1978, 643). Soll das Versicherungsverhältnis länger als ein Jahr nach Erlangung der Volljährigkeit fortdauern, ist auch im Falle des § 110 für die Wirksamkeit des Versicherungsvertrags gem § 1822 Nr 5 (§ 1643 I) die Genehmigung des FamG erforderlich (BGH VersR 1958, 506; MüKo/Schmitt Rn 15ff; aA Soergel/Hefermehl Rn 3). Teilbar sind auch die Leistungen eines Mietvertrags, so dass er für den Zeitraum wirksam ist, für den der Minderjährige mit ihm überlassenen Mitteln die Miete zahlt (Weimar JR 1969, 219). b) Dem Minderjährigen müssen unter Beteiligung des gesetzlichen Vertreters die Mittel zu diesem Zweck oder 3 zu freier Verfügung überlassen worden sein. aa) Die Überlassung der Mittel kann ausdr oder stillschw erfolgen. Eine konkludente Überlassung liegt zB darin, dass der gesetzliche Vertreter dem Minderjährigen den Arbeitsverdienst nicht abverlangt (BGH NJW 1977, 622, 623; Celle NJW 1970, 1850). Die Mittel können für einen bestimmten Zweck oder zu freier Verfügung überlassen worden sein. Bei Überlassung zu freier Verfügung können bestimmte Verwendungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. Die Bestimmung des Verwendungszwecks liegt im Ermessen des gesetzlichen Vertreters; der Umfang ist jew durch Auslegung zu ermitteln. Auch wenn die Mittel ohne besondere Zweckbindung überlassen worden sind, können sich nach den Umständen des Einzelfalles immanente Beschränkungen ergeben, etwa beim Kauf einer Pistole (AG Freiburg NJW-RR 1999, 637), gewaltverherrlichenden Computerspielen (Staud/Klumpp Rn 29) oder beim Vertrag über eine Tätowierung (Hauck NJW 2012, 2398; aA AG München NJW 2012, 2452). Die Überlassung eines Prepaid-Handys deckt nicht die Inanspruchnahme von Mehrwertdienstleistungen, insb von sog Klingeltönen (AG Düsseldorf MMR 2007, 404 m Anm Mankowski; zur Anwendung von § 110 bei Mobilfunkverträgen eingehend Derleder/Thielbar NJW 2006, 3233). Auch bei zunächst freier Überlassung der Mittel kann der gesetzliche Vertreter später den Verwendungszweck einschränken, solange die Leistung noch nicht bewirkt ist (vgl Wieser FamRZ 1973, 434 Fn 1; Lindacher, FS Bosch, 1976, 542; aA Weimar MDR 1962, 273; Safferling Rpfleger 1972, 124). Im Einzelfall ist zu prüfen, ob die Überlassung der Mittel nicht bereits eine Einwilligung gem § 107 enthält, die sich auch auf andere als Bargeschäfte beziehen kann (Rn 1). Die Mittel können vom gesetzlichen Vertreter oder einem Dritten überlassen worden sein; letzterenfalls ist die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich. Müller

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bb) Als Mittel gem § 110 kommen hauptsächlich Geld, aber auch andere Vermögensgegenstände (zB Guthaben auf Bankkonten, vgl Hagemeister JuS 1992, 840f, 926, 927; Vortmann WM 1994, 967; sonstige Forderungen, Wertpapiere) in Betracht, nicht aber die Arbeitskraft des Minderjährigen (MüKo/Schmitt Rn 19f mN) oder personenbezogene Daten (Staud/Klumpp Rn 23). Die Überlassung der jew Mittel muss rechtlich zulässig sein; soweit eine Veräußerung nach §§ 1644, 1824, 1812ff der Genehmigung des FamG oder des Gegenvormunds bedarf, ist eine solche auch zur Überlassung der betreffenden Mittel erforderlich. Überlassen die Eltern dem Minderjährigen Mittel zu einer Schenkung, die den Umfang einer Anstandsschenkung übersteigen, so kann die Schenkung unwirksam sein (vgl § 1641; Stuttgart FamRZ 1969, 39). – Auch Surrogate, die der Minderjährige mit anderen ihm überlassenen Mitteln erwirbt, können als überlassene Mittel iSd § 110 angesehen werden (zB beim Tausch). Das gilt jedoch nur dann, wenn sich durch Auslegung ermitteln lässt, dass die in der Überlassung der Mittel liegende Einwilligung sich auch auf das Surrogat bezieht. Geschäfte mit Surrogaten, die den Wert der überlassenen Mittel erheblich übersteigen, fallen regelmäßig nicht unter § 110, so dass dazu eine besondere Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich ist. Der Kauf eines Lotterieloses mit überlassenen Mitteln fällt unter § 110, nicht dagegen die Verwendung des Lotteriegewinns, der den Einsatz erheblich übersteigt (RG 74, 236). 3. Rechtsfolge. Erfüllt der Minderjährige mit ihm überlassenen Mitteln den Vertrag, so ist dieser von Anfang an wirksam. Dies gilt sowohl für das Verpflichtungs- als auch (entgegen Leenen FamRZ 2000, 863ff) für das Erfüllungsgeschäft (Bork AT Rn 1018). Zunächst ist das Geschäft schwebend unwirksam; es wird wirksam mit der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters (§ 108) oder mit dem Bewirken der Leistung durch den Minderjährigen (§ 110). Endgültig unwirksam wird das Geschäft, wenn der gesetzliche Vertreter vor dem Bewirken der Leistung sein in der Überlassung der Mittel liegendes Einverständnis widerruft (Celle NJW 1970, 1851; Rn 3). Dem Vertragspartner ist vor der Erfüllung entspr § 109 ein Widerrufsrecht zu gewähren (vgl MüKo/Schmitt Rn 34; aA Soergel/Hefermehl Rn 7). 4. Wer sich auf die Gültigkeit des Geschäfts beruft, hat die Voraussetzungen des § 110 zu beweisen. 5. Entspr Anwendung des § 110 bei Verträgen eines Betreuten mit Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 Rn 15ff; § 108 Rn 10).

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Einseitige Rechtsgeschäfte

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das der Minderjährige ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vornimmt, ist unwirksam. Nimmt der Minderjährige mit dieser Einwilligung ein solches Rechtsgeschäft einem anderen gegenüber vor, so ist das Rechtsgeschäft unwirksam, wenn der Minderjährige die Einwilligung nicht in schriftlicher Form vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vertreter den anderen von der Einwilligung in Kenntnis gesetzt hatte. 1. Bedeutung. Beim einseitigen Rechtsgeschäft des Minderjährigen soll – anders als beim Vertrag (§ 108) – im Interesse der Rechtssicherheit ein Schwebezustand vermieden werden. Deshalb ist das einseitige Rechtsgeschäft entweder von vornherein wirksam oder von vornherein unwirksam, damit Klarheit für die Personen besteht, die durch das Rechtsgeschäft betroffen, an dessen Vornahme aber nicht aktiv beteiligt sind. Wirksam ist das einseitige Rechtsgeschäft des Minderjährigen, wenn es für diesen lediglich rechtlich vorteilhaft ist (§ 107) oder wenn der gesetzliche Vertreter vorher in das Geschäft eingewilligt hat. Ansonsten ist das Rechtsgeschäft unwirksam (S 1), also nichtig; durch eine Genehmigung des gesetzlichen Vertreters kann es demnach nicht nachträglich wirksam gemacht werden. Der Erklärungsempfänger wird besonders geschützt, wenn das einseitige Rechtsgeschäft aus einer empfangsbedürftigen Willenserklärung besteht. Auch wenn der gesetzliche Vertreter eingewilligt hat, kann der Erklärungsempfänger eine Ungewissheit beheben, indem er das Rechtsgeschäft zurückweist und es dadurch unwirksam macht. Das gilt jedoch dann nicht, wenn der Minderjährige die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters in schriftlicher Form vorlegt oder wenn dieser den Erklärungsempfänger vorher von der Einwilligung in Kenntnis gesetzt hatte (S 2 und 3). Vgl auch die Ausführungen zu den ähnlichen Regelungen in §§ 180, 1367, 1831. 2. Unwirksamkeit wegen fehlender Einwilligung (S 1). a) Unter S 1 fallen alle einseitigen, nicht lediglich rechtlich vorteilhaften Rechtsgeschäfte eines Minderjährigen. Dazu gehören sowohl die streng einseitigen Rechtsgeschäfte (Einl § 104 Rn 15) wie die Auslobung (§ 657) und die Eigentumsaufgabe (§ 959) als auch die einem anderen ggü vorzunehmenden einseitigen Rechtsgeschäfte wie Kündigung, Anfechtung, Aufrechnung Rücktritt und Widerruf, aber auch die Vollmachtserteilung durch einen Minderjährigen (KG NJW 2012, 2293; Paal/ Leyendecker JuS 2006, 25, 29; MüKo/Schmitt Rn 10; anders Müller-Freienfels, Die Vertretung im Rechtsgeschäft, 1955, 245). Bildet jedoch die einseitige Willenserklärung, etwa eine von einem Minderjährigen erteilte Vollmacht, mit einem Vertrag eine rechtliche Einheit, nimmt die Bevollmächtigung an der Genehmigungsfähigkeit des Vertrags teil (BGH 112, 363 = NJW 1990, 1721). Auf geschäftsähnliche Handlungen (Einl § 104 Rn 7) ist die Vorschrift entspr anzuwenden (Staud/Klumpp Rn 9). b) Nicht von S 1 erfasste Fälle. Die Anerkennung der Vaterschaft (§§ 1596ff) durch einen Minderjährigen bedarf zwar der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters; diese Zustimmung kann aber auch noch nach der Beurkundung der Anerkennungserklärung erteilt werden. – Die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstre270

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ckung (§ 794 I Nr 5 ZPO) ist kein Rechtsgeschäft, sondern eine prozessuale Erklärung (BGH NJW 1985, 2423); demnach ist sie mit vorheriger Zustimmung des gesetzlichen Vertreters wirksam. Die wechselrechtliche Verpflichtung setzt – entgegen der Kreationstheorie – einen Begebungsvertrag voraus, so dass es sich nicht um ein einseitiges Rechtsgeschäft handelt; vielmehr greift § 108 ein. Die Einwilligung des Minderjährigen in eine tatsächliche Beeinträchtigung persönlicher Rechte und Rechtsgüter (zB Operation) fällt nicht unter § 111, da es sich nicht um ein Rechtsgeschäft handelt (§ 107 Rn 2). – Abw von § 111 ist eine ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abgegebene Willenserklärung doch einer Genehmigung zugänglich, wenn der Erklärungsempfänger mit dem Schwebezustand einverstanden ist (MüKo/Schmitt Rn 8; NK/Baldus Rn 3). Darüber hinaus entfällt – entgegen der hM (vgl MüKo/Schmitt Rn 5) – der Zweck des § 111 auch dann, wenn das Geschäft den Erklärungsempfänger lediglich begünstigt. Sofern also ausnahmsweise eine Genehmigungsmöglichkeit auch beim einseitigen Geschäft gegeben ist, sind §§ 108f, nicht § 111 anwendbar. 3. Unwirksamkeit wegen Zurückweisung (S 2 und 3). Das aus einer empfangsbedürftigen Willenserklärung bestehende Rechtsgeschäft kann trotz Einwilligung des gesetzlichen Vertreters durch Zurückweisung des Geschäfts seitens des Erklärungsempfängers unwirksam werden. a) Voraussetzungen. aa) Der Minderjährige hat eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters abgegeben. bb) Der Minderjährige hat dem Erklärungsempfänger die Einwilligung nicht in schriftlicher Form vorgelegt. Die Vorlage wird regelmäßig vor oder bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts erfolgen; aber auch eine nachträgliche Vorlage steht einer späteren Zurückweisung entgegen (RGRK/ Krüger-Nieland Rn 7). Elektronische Form (§ 126a) reicht wegen der Schwierigkeiten der Kenntnisnahme wohl nicht aus (NK/Baldus Rn 9). cc) Der gesetzliche Vertreter hat den Erklärungsempfänger von der Einwilligung nicht in Kenntnis gesetzt. Für die Kenntnisnahme genügt es, dass die Erklärung des gesetzlichen Vertreters dem Erklärungsempfänger zugegangen ist, da der gesetzliche Vertreter auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Empfänger keinen Einfluss nehmen kann. Darüber hinaus ist der Erklärungsempfänger auch dann nicht schutzwürdig, wenn er auf andere Weise von der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters sichere Kenntnis erlangt hat; allerdings reicht die bloße Mitteilung des Minderjährigen, der gesetzliche Vertreter habe eingewilligt, nicht aus. dd) Der Erklärungsempfänger muss das Rechtsgeschäft des Minderjährigen wegen der Nichtvorlage einer schriftlichen Einwilligung unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121), zurückweisen. Ein schuldhaftes Zögern liegt nicht vor, wenn der Erklärungsempfänger die Zurückweisung für angemessene Zeit verschiebt, weil der Minderjährige die Vorlage einer schriftlichen Bestätigung des gesetzlichen Vertreters in Aussicht stellt. Die Zurückweisung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die ggü dem gesetzlichen Vertreter, aber auch ggü dem Minderjährigen (analog § 109 I 2) abgegeben werden kann. Dabei muss dem Empfänger der Zurückweisungserklärung erkennbar gemacht werden, dass die Zurückweisung wegen der nicht formgerecht nachgewiesenen Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erfolgt (vgl BAG ZIP 2003, 1161, 1162f). b) Folgen. Bei einer wirksamen Zurückweisung ist das Rechtsgeschäft trotz Einwilligung des gesetzlichen Vertreters nichtig. Ist die Zurückweisung (zB mangels Rechtzeitigkeit) unwirksam oder unterbleibt sie, ist das Rechtsgeschäft wirksam. 4. Beweislast. Wer die Wirksamkeit eines einseitigen, für den Minderjährigen nachteiligen Rechtsgeschäfts geltend macht, hat die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zu beweisen. Wer sich dagegen trotz der Einwilligung auf die Unwirksamkeit des Geschäfts beruft, muss die rechtzeitige Zurückweisung beweisen. Demgegenüber hat der sich auf die Gültigkeit des Geschäfts Berufende die Beweislast dafür, dass der Minderjährige vor der Zurückweisung die Einwilligung in schriftlicher Form vorgelegt oder der gesetzliche Vertreter den anderen von der Einwilligung in Kenntnis gesetzt hat. 5. Entspr Anwendung des § 111 bei Rechtsgeschäften eines Betreuten mit Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 Rn 15ff; § 108 Rn 10).

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Selbständiger Betrieb eines Erwerbsgeschäfts

(1) Ermächtigt der gesetzliche Vertreter mit Genehmigung des Familiengerichts den Minderjährigen zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, so ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. Ausgenommen sind Rechtsgeschäfte, zu denen der Vertreter der Genehmigung des Familiengerichts bedarf. (2) Die Ermächtigung kann von dem Vertreter nur mit Genehmigung des Familiengerichts zurückgenommen werden. 1. Bedeutung. Um dem Minderjährigen die Möglichkeit zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts zu 1 geben, kann ihm gem § 112 durch den gesetzlichen Vertreter mit Genehmigung des FamG (bis 31.8.2009 VormG) die volle Geschäftsfähigkeit für solche Rechtsgeschäfte eingeräumt werden, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. § 112 führt somit zur teilw Erweiterung der Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen und damit insoweit zum Ruhen der Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters. Für Geschäfte, die nicht diesem Tätigkeitskreis unterfallen, bleibt der Minderjährige beschränkt geschäftsfähig. – Seit der Vorverlegung des Volljährigkeitsalters von 21 auf 18 Jahre ist § 112 jedoch ohne große praktische Bedeutung. 2. Voraussetzungen. a) Der gesetzliche Vertreter muss den Minderjährigen zum selbständigen Betrieb eines 2 Erwerbsgeschäfts ermächtigen. aa) Die Ermächtigung ist eine formfreie, empfangsbedürftige WillenserkläMüller

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rung, die mit Zugang an den Minderjährigen wirksam wird. Sie steht im Ermessen des gesetzlichen Vertreters und kann regelmäßig nicht durch das FamG ersetzt werden (vgl § 107 Rn 13; Pal/Ellenberger Rn 2; MüKo/ Schmitt Rn 10). bb) Erwerbsgeschäft ist jede berufsmäßig ausgeübte, selbständige, erlaubte und auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tätigkeit (vgl Scheerer BB 1971, 982). Darunter fallen der Betrieb eines landwirtschaftlichen Unternehmens, eines Handelsgeschäfts, eines Industrieunternehmens, eines Handwerks sowie eine freiberufliche Tätigkeit einschl einer künstlerischen oder wissenschaftlichen Betätigung (Mot I 142). Hierher gehört also auch die Tätigkeit eines selbständigen Schauspielers ohne festen Anstellungsvertrag (sonst § 113) oder die eines selbständigen Handelsvertreters gem § 84 I HGB (BAG NJW 1964, 1641; vgl auch Behrendt NJW 2003, 1563, 1564) und die Beteiligung als persönlich haftender Gesellschafter einer GbR, OHG oder KG (Staud/Klumpp Rn 7; vgl §§ 723 I 5, 1643, 1822 Nr 3). cc) Ein selbständiger Betrieb eines Erwerbsgeschäfts liegt vor, wenn der Minderjährige dieses – nicht nur vorübergehend – selbst planmäßig führt. Sofern das Geschäft durch einen anderen oder in dessen Namen betrieben wird, fehlt es an einem selbständigen Betrieb. b) Die Ermächtigung bedarf der familiengerichtlichen Genehmigung. Die Erteilung der Genehmigung kann der Ermächtigung vorausgehen oder ihr nachfolgen; letzterenfalls ist die Wirksamkeit der Ermächtigung aufschiebend bedingt. – Das FamG hat über die Erteilung der Genehmigung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Ausschlaggebend ist, ob der Minderjährige die notwendige geistige Reife und die erforderlichen Fähigkeiten besitzt, sich im Wirtschaftsleben wie ein Volljähriger zu verhalten. Der Minderjährige muss in der Lage sein, die mit dem Geschäft verbundenen Verantwortungen und Verpflichtungen dritten Personen und der Allgemeinheit ggü eigenständig wahrzunehmen (KG JW 1937, 470; Köln NJW-RR 1994, 1450). Unerheblich soll sein, ob eine ausl Rechtsordnung den Minderjährigen für den Betrieb eines im Ausland gegründeten Erwerbsgeschäfts als volljährig erachtet (BayObLG 31, 8; Staud/Klumpp Rn 13). Eine Doppelbelastung von Schule und Erwerbsgeschäft ist nur hinzunehmen, wenn der Erwerbsbetrieb den persönlichen Einsatz des Minderjährigen lediglich in seiner Freizeit erfordert, im Zweifel hat die Schulbildung den Vorrang (Naumburg 26.8.2013 – 8 UF 144/132). 3. Folgen. a) Unter den Voraussetzungen des § 112 ist der Minderjährige unbeschränkt geschäftsfähig für solche Rechtsgeschäfte, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt (Abs I S 1). Bei der Beurteilung des Umfangs ist von der Situation des konkreten Erwerbsgeschäfts auszugehen; entscheidend ist die Verkehrsanschauung. Die Geschäfte müssen in jedem Fall mit den betrieblichen Tätigkeiten zusammenhängen; nicht darunter fallen Geschäfte im privaten Bereich (zur Abgrenzung vgl BGH 83, 80). Der Gewinn aus dem Geschäftsbetrieb ist insoweit der Verwaltung des gesetzlichen Vertreters entzogen, als der Minderjährige darüber im Rahmen der Betriebstätigkeit verfügt. Nicht in den Kreis der Geschäfte, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt, gehört die Aufgabe des Betriebs (arg § 113 I 1). Zu den Folgen bei Beteiligung des Minderjährigen an einer fehlerhaften Gesellschaft (s Vor § 104 Rn 15). b) Die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit führt gem § 52 ZPO und den entspr Regelungen der anderen Verfahrensordnungen (§§ 62 VwGO, 71 SGG, 56 FGO) in gleichem Umfang zur Prozessfähigkeit des Minderjährigen. c) Nicht voll geschäftsfähig ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte, zu denen der gesetzliche Vertreter selbst der Genehmigung des FamG bedarf (Abs I S 2; vgl §§ 1643, 1821f). In diesem Fall sind sowohl die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters als auch die Genehmigung des FamG erforderlich. So kann der Minderjährige zB keine eigenen Wechselverbindlichkeiten eingehen (§§ 1643 I, 1822 Nr 9). Da § 1643 nur auf einen Teil der in §§ 1821f geregelten Fälle verweist, können die Eltern eine größere Zahl von Geschäften ohne Genehmigung des FamG für den Minderjährigen tätigen als der Vormund. Daher ist die Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen bei einer Ermächtigung nach § 112 durch die Eltern größer als bei einer solchen durch den Vormund. Diese Ungleichbehandlung ist im Schrifttum auf Kritik gestoßen (vgl Flume § 13, 2 „wenig sinnvoll“); de lege lata jedoch hinzunehmen (Staud/Klumpp Rn 24; verfassungsrechtliche Bedenken aus Art 3 GG noch bei Erman/ Palm12 Rn 8). 4. Die Rücknahme der Ermächtigung steht im Ermessen des gesetzlichen Vertreters und erfolgt durch formlose Erklärung ggü dem Minderjährigen. Sie ist wie die Erteilung vom FamG zu genehmigen (Abs II). Zwar soll eine teilw Rücknahme nicht zulässig sein; idR wird eine entspr Erklärung aber als vollständige Rücknahme, verbunden mit einer neuen (eingeschränkten) Ermächtigung, aufzufassen sein. 5. Beweislast. Das Vorliegen der Ermächtigung, der Rücknahme und der familiengerichtlichen Genehmigung hat derjenige zu beweisen, der sich auf sie beruft. Ist aber der Minderjährige selbst Prozesspartei und wird er nicht durch seinen gesetzlichen Vertreter vertreten, ist bei der Prüfung der Prozessfähigkeit von Amts wegen zu ermitteln, ob die Voraussetzungen des § 112 vorliegen. 6. Entspr Anwendung des § 112 bei Rechtsgeschäften eines Betreuten mit Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 Rn 15ff; § 108 Rn 10).

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Geschäftsfähigkeit

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Dienst- oder Arbeitsverhältnis

(1) Ermächtigt der gesetzliche Vertreter den Minderjährigen, in Dienst oder in Arbeit zu treten, so ist der Minderjährige für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche die Eingehung oder Aufhebung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses der gestatteten Art oder die Erfüllung der sich aus einem solchen Verhältnis ergebenden Verpflichtungen betreffen. Ausgenommen sind Verträge, zu denen der Vertreter der Genehmigung des Familiengerichts bedarf. (2) Die Ermächtigung kann von dem Vertreter zurückgenommen oder eingeschränkt werden. (3) Ist der gesetzliche Vertreter ein Vormund, so kann die Ermächtigung, wenn sie von ihm verweigert wird, auf Antrag des Minderjährigen durch das Familiengericht ersetzt werden. Das Familiengericht hat die Ermächtigung zu ersetzen, wenn sie im Interesse des Mündels liegt. (4) Die für einen einzelnen Fall erteilte Ermächtigung gilt im Zweifel als allgemeine Ermächtigung zur Eingehung von Verhältnissen derselben Art. 1. Bedeutung. Unter den Voraussetzungen des § 113 erlangt der Minderjährige durch die Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters die volle Geschäftsfähigkeit für die Eingehung, Aufhebung oder Erfüllung eines Dienstoder Arbeitsverhältnisses. Anders als in § 112 bedürfen die Ermächtigung des gesetzlichen Vertreters sowie (Abs II) ihre Einschränkung oder Rücknahme zu ihrer Wirksamkeit nicht der Genehmigung des FamG. 2. Voraussetzungen. Der gesetzliche Vertreter muss den Minderjährigen ermächtigen, in Dienst oder in Arbeit zu treten. a) Die Ermächtigung erfolgt durch empfangsbedürftige, formfreie Willenserklärung ggü dem Minderjährigen (hM; MüKo/Schmitt Rn 15ff). Nur ausnahmsweise ist außerdem eine familiengerichtliche Genehmigung erforderlich (Abs I S 2; Rn 17). aa) Die Ermächtigung kann auch konkludent erteilt werden. Dem Verhalten des gesetzlichen Vertreters muss jedoch zu entnehmen sein, dass er mit dem selbständigen Abschluss eines Arbeits- oder Dienstvertrags und dessen Vollzug durch den Minderjährigen einverstanden ist. Im Einzelfall kann eine Ermächtigung im Schweigen des gesetzlichen Vertreters auf die Kenntnisnahme vom Abschluss eines Arbeitsvertrags durch den Minderjährigen gesehen werden. Das Gleiche gilt regelmäßig, wenn die Eltern die Weiterbeschäftigung des Minderjährigen nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses (vgl § 24 BBiG) dulden. Eine konkludente Ermächtigung lässt sich jedoch nicht daraus herleiten, dass die Eltern eine Tätigkeit des Minderjährigen in einem Nachtlokal resignierend hinnehmen (BAG DB 1974, 2062). bb) Soweit ein Vormund gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen ist, kann die Ermächtigung gem Abs III bei ihrer Verweigerung auf Antrag des Minderjährigen durch das FamG ersetzt werden. Dieses muss dem Antrag stattgeben, wenn die Ermächtigung objektiv im Interesse des Minderjährigen liegt. b) Es muss sich um eine Ermächtigung handeln, in Dienst oder Arbeit zu treten. Erfasst wird jede Art von entgeltlichen Dienst-, Arbeits- oder Werkverträgen. Auch Verpflichtungen zu Diensten höherer Art (zB Schauspielertätigkeit) fallen unter § 113. Erforderlich ist nicht, dass es sich im Gegensatz zu § 112 um unselbständige Tätigkeiten handelt (MüKo/Schmitt Rn 7; Staud/Klumpp Rn 10, 6; Soergel/Hefermehl Rn 2). Bedeutsam ist dies insb für den selbständigen Handelsvertreter (§ 84 I HGB). Der Minderjährige kann dazu nach § 112 oder § 113 ermächtigt werden (BAG NJW 1964, 1642). Der Umfang der Geschäftsfähigkeit ist jedoch verschieden: Im Fall des § 112 kann der Minderjährige alle Rechtsgeschäfte vornehmen, die der Geschäftsbetrieb eines Handelsvertreters mit sich bringt. Im Fall des § 113 ist der Minderjährige zur Eingehung, Aufhebung und Erfüllung eines Handelsvertretervertrags befugt, nicht aber zu eigenen Geschäften mit Dritten (Soergel/Hefermehl Rn 2; MüKo/ Schmitt Rn 9f mwN). Soll ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis mit dem gesetzlichen Vertreter begründet werden, so bedarf es hierzu nach dem Rechtsgedanken des § 181 der Bestellung eines Ergänzungspflegers gem § 1909 (näher dazu MüKo/Schmitt Rn 11–13). Der Begriff der Dienst- oder Arbeitsverträge iSd § 113 umfasst keine Berufsausbildungsverträge (LAG Bremen BB 1958, 738; MüKo/Schmitt Rn 14; aA BAG NJW 2008, 1833, 1834; offengelassen von BAG NZA 2012, 495, 496). Da hier der Ausbildungszweck im Vordergrund steht, muss das Entscheidungsrecht über Abschluss und Beendigung des Vertrags dem sorgeberechtigten gesetzlichen Vertreter zustehen. Dgl werden Volontär- und Praktikantenverhältnisse nicht von § 113 erfasst. Der Abschluss solcher Verträge durch den Minderjährigen bedarf jew der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters; diese deckt regelmäßig auch die zur Durchführung des Ausbildungsverhältnisses erforderlichen Geschäfte. § 113 findet entspr Anwendung auf öffentlich-rechtl Dienstverhältnisse (Staud/Klumpp Rn 13; BVerwG MDR 1970, 355; DVBl 1996, 1143; für den Dienst als Zeitsoldat OVG Münster NJW 1962, 758; für den freiwilligen Wehrdienst nach §§ 58b ff SG NK/Baldus Rn 10f). 3. Rechtsfolge. Bei wirksamer Ermächtigung erlangt der Minderjährige die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit für solche Rechtsgeschäfte, welche die Eingehung, Aufhebung oder Erfüllung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses betreffen. Fehlt es an einer wirksamen Ermächtigung, gelten §§ 107ff. Geschlossene Verträge sind schwebend unwirksam; die Regeln des faktischen Arbeitsvertrags sind zu beachten (s Vor § 104 Rn 15). a) Von der wirksamen Ermächtigung erfasst werden zunächst diejenigen Rechtsgeschäfte, die unmittelbar mit der Durchführung und Abwicklung des Vertrags in Zusammenhang stehen. aa) So kann der Minderjährige selbständig einen Dienst- oder Arbeitsvertrag der gestatteten Art abschließen und dabei Vereinbarungen über Lohn und Arbeitsbedingungen treffen, soweit sie im Rahmen des Verkehrsüblichen liegen. Ungewöhnliche, nicht mit dem konkreten Arbeitsverhältnis zusammenhängende Abreden werden nicht erfasst. Vereinbarte Müller

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Wettbewerbsverbote und Vertragsstrafen sind dann von der Ermächtigung gedeckt, wenn sie branchenüblich sind (LAG Düsseldorf BB 1960, 905); auch dann berührt jedoch die Ermächtigung die Nichtigkeit von Wettbewerbsverboten nach § 74a II 1 HGB bzw § 110 GewO nicht. bb) Geschäftsfähig ist der Minderjährige weiterhin für Rechtsgeschäfte, welche die Erfüllung des jew Dienstoder Arbeitsverhältnisses betreffen. Dazu gehören zB die Entgegennahme des Lohns, der Verzicht auf den Lohn in einer Ausgleichsquittung (LAG Niedersachsen DB 1964, 115; LAG Hamm DB 1971, 779), die Stundung, die Aufrechnung mit dem Lohnanspruch oder der Abschluss eines Vergleichs. cc) Die Ermächtigung deckt weiterhin die Aufhebung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses. So ist der Minderjährige zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung befugt; eine Kündigung des Arbeitsvertrags wird mit Zugang an den Minderjährigen wirksam. Aus der Befugnis zur Aufhebung des Vertrags folgt, dass der Minderjährige erst recht Vertragsänderungen vereinbaren kann. Außergewöhnliche Vereinbarungen sind von § 113 allerdings nicht erfasst, so der Aufhebungsvertrag einer minderjährigen schwangeren Arbeitnehmerin, durch den ihre Vorteile nach dem MuSchG verloren gehen (LAG Bremen DB 1971, 2318), oder eine Abrede, durch die der Minderjährige sich nach einer Kündigung zur Erstattung von Lehrgangskosten verpflichtet (ArbG Wilhelmshaven AuR 1963, 347; ArbG Celle ARST 1971, 2). b) Die Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen erstreckt sich weiterhin auch auf solche Rechtsgeschäfte, die zwar nicht unmittelbar die Eingehung, Aufhebung und Erfüllung des Vertragsverhältnisses betreffen, jedoch notwendige Folge der Durchführung des Vertrags sind (Staud/Klumpp Rn 30ff). aa) Dazu zählen zum Erreichen des Arbeitsplatzes notwendige Beförderungsverträge, Kaufverträge über Arbeitsmaterial und Berufskleidung und entgeltliche Verträge über Kost und Wohnung, sofern sich die Arbeitsstätte nicht am Wohnort des gesetzlichen Vertreters befindet. Dabei darf die Art der angemieteten Wohnung die Verdienstverhältnisse des Minderjährigen nicht in erheblichem Maße übersteigen (vgl LG Mannheim MDR 1969, 670). bb) Dem Minderjährigen steht grds kein Verfügungsrecht über den Lohn zu, da der Verdienst gem §§ 1626ff der elterlichen Vermögenssorge unterliegt. Ausnahmen gelten insoweit, als der Minderjährige den Lohn zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses benötigt (vgl Rn 11). Auch darüber hinaus kann der Verdienst dem Minderjährigen gem § 110 zur freien Verfügung überlassen sein. Der Minderjährige kann wirksam ein zur Lohnzahlung erforderliches Girokonto eröffnen (Hagemeister JuS 1992, 842; Scheerer BB 1971, 983; Vortmann WM 1994, 966; H.P. Westermann FamRZ 1969, 649). Da der Minderjährige gem § 113 zur Entgegennahme des Lohns in bar berechtigt ist (Rn 8), muss er auch zur Barabhebung des Lohns ermächtigt sein (Hagemeister aaO). Da er aber zur Verfügung über den Lohn nicht befugt ist, darf er nicht mittels Banküberweisung oder Ausstellung eines Schecks zugunsten eines Dritten verfügen (Hagemeister aaO; H.P. Westermann aaO). cc) Auch der Gewerkschaftsbeitritt fällt unter § 113 (LG Essen NJW 1965, 2302; LG Düsseldorf FamRZ 1967, 1680; Brill BB 1975, 287; Gilles/Westphal JuS 1981, 899), weil der Minderjährige hierdurch Anspruch auf die tariflichen Leistungen und den Schutz seiner Interessen durch die Gewerkschaft erhält. Nicht hierher gehört jedoch die Aufnahme eines Gewerkschaftsdarlehens (LG Münster MDR 1968, 146). dd) Geschäftsfähig ist der Minderjährige idR auch für die Nutzung tarifvertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten (BAG NZA 2000, 36) sowie im Bereich der Sozialversicherung (vgl § 36 SGB I) einschl der dort bestehenden Wahlmöglichkeiten (Pal/Ellenberger Rn 4). c) Gem § 113 IV erstreckt sich die Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen auch auf die Eingehung gleichartiger Beschäftigungsverhältnisse. Über die Gleichartigkeit entscheidet die Verkehrsanschauung. Entscheidend ist nicht die Rechtsnatur des Vertrags, sondern die Art der Tätigkeit mit Rücksicht auf die Wirkung für die Entwicklung des Minderjährigen. Nicht vergleichbar ist die Tätigkeit einer Kellnerin mit der einer Bardame in einem Nachtlokal, die einer Haushaltshilfe mit der einer Büroangestellten (LAG Altona Recht 1931 Nr 514) oder die Tätigkeit eines Büromaschinentechnikers mit der eines Kraftfahrers (ArbG Wilhelmshaven DB 1965, 1863). d) Soweit der Minderjährige geschäftsfähig ist, erlangt er nach § 52 ZPO und den entspr Regelungen der anderen Verfahrensordnungen auch die Prozessfähigkeit für alle Prozesshandlungen, die zum Kreis der unter § 113 fallenden Geschäfte gehören (zB Lohnklage, Kündigungsschutzklage). Das gilt auch für die Zwangsvollstreckung. e) Die Geschäftsfähigkeit besteht nach Abs I S 2 jedoch nicht für solche Rechtsgeschäfte, zu denen der gesetzliche Vertreter der Genehmigung des FamG bedarf (zB §§ 1643, 1822 Nr 5; für den Vormund auch § 1822 Nr 7). 4. Einschränkung und Rücknahme der Ermächtigung (Abs II) erfolgen durch empfangsbedürftige formlose Willenserklärung und bedürfen nicht der Genehmigung des FamG. Sie ist ggü dem Minderjährigen zu erklären, nicht ggü dem Arbeitgeber (BAG NZA 2000, 36; MüKo/Schmitt Rn 36; Staud/Klumpp Rn 42; aA Feller FamRZ 1961, 420). Einschränkung und Rücknahme können auch konkludent erklärt werden; so ist ein Eingriff des gesetzlichen Vertreters in das Arbeitsverhältnis des Minderjährigen idR als Einschränkung oder Rücknahme anzusehen (LAG Hamm DB 1971, 780). Die Entscheidung über Einschränkung und Rücknahme der Ermächtigung steht grds im Ermessen des gesetzlichen Vertreters (MüKo/Schmitt Rn 38f). Eine gem Abs III vom FamG erteilte Ermächtigung kann jedoch nur von diesem und nicht vom Vormund eingeschränkt oder zurückgenommen werden. – Einschränkung und Rücknahme bewirken, dass die Geschäftsfähigkeit für die Zukunft ein274

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geschränkt wird oder ganz entfällt. Auf die Gültigkeit bereits getätigter Rechtsgeschäfte haben sie keinen Einfluss (BAG NZA 2000, 36). 5. Beweislast. Wer sich auf die Wirksamkeit des von einem Minderjährigen vorgenommenen Rechtsgeschäfts 19 beruft, muss das Vorliegen der Ermächtigung beweisen. Wer die Begrenzung der Ermächtigung auf einen Einzelfall behauptet, ist dafür nach der Vermutungsregel des § 113 IV beweispflichtig. Wer die Unwirksamkeit geltend macht, muss die Einschränkung oder Rücknahme der Ermächtigung dartun. – Zur Frage der Prozessfähigkeit s Rn 16 und § 112 Rn 7, 10. 6. Entspr Anwendung des § 113 bei Rechtsgeschäften eines Betreuten mit Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 20 Rn 15ff; § 108 Rn 10).

§§ 114–115

(weggefallen)

Titel 2 Willenserklärung Vorbemerkung vor § 116 1. Begriff. Das BGB definiert den Begriff der Willenserklärung nicht. Auch trennte der historische Gesetzgeber begrifflich nicht streng zw Rechtsgeschäft und Willenserklärung (s Mot I 126). So regeln etwa die §§ 119–124 die Anfechtbarkeit von Willenserklärungen; § 142 spricht hingegen im Hinblick auf die Wirkung der Anfechtung vom anfechtbaren Rechtsgeschäft. Das Rechtsgeschäft war nach Vorstellung des Gesetzgebers eine Privatwillenserklärung, „gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, der nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist“ (Mot I 126). Der Begriff „Willenserklärung“ wurde insb da gewählt, wo die Willensäußerung als solche im Vordergrund stand oder wo zugleich der Fall behandelt werden sollte, dass eine Willenserklärung nur als ein Bestandteil eines rechtsgeschäftlichen Tatbestands in Frage kommt (Mot I 126). Heute wird üblicherweise strenger zw den beiden Begriffen unterschieden. Dabei wird als Rechtsgeschäft der Tatbestand bezeichnet, der aus mindestens einer Willenserklärung sowie oft aus weiteren Elementen besteht und an den die Rechtsordnung den Eintritt des gewollten rechtlichen Erfolges knüpft (s Einl § 104 Rn 2). Der Begriff der Willenserklärung wird dagegen entspr dem Verständnis des historischen Gesetzgebers als Äußerung eines Willens verstanden, der unmittelbar auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichtet ist (s nur BGH NJW 2001, 289, 290; Jauernig/Mansel Rn 2). Die Willenserklärung besteht somit aus zwei Elementen, nämlich dem (inneren) Willen und der Äußerung dieses Willens (= Erklärung). 2. Wille. Der Wille als innerer Tatbestand der Willenserklärung wird traditionellerweise in drei Komponenten unterteilt, den Handlungswillen, das Erklärungsbewusstsein und den Geschäftswillen. Dabei liegt der praktische Wert dieser Unterscheidung vorrangig in der Beantwortung der Frage, welche Konsequenzen bestimmte Willensmängel haben (s Flume AT II § 4, 3). a) Unter dem Handlungswillen versteht man einen bewussten Willensakt, der auf die Vornahme eines äußeren Verhaltens gerichtet ist. An einem bewussten Handeln fehlt es bei bloßen Reflexbewegungen (im Schlaf, in Hypnose) oder bei einem Verhalten, das durch äußere unwiderstehliche Gewalt unmittelbar erzwungen wird (vis absoluta; zB gewaltsames Führen der Hand bei der Unterschrift). Diese „Handlung“ ist dem „Erklärenden“ nicht zuzurechnen. Er wird geschützt; das Vertrauen des Empfängers, dass eine Willenserklärung vorliege, wird nicht berücksichtigt. Diese Wertung ergibt sich auch aus § 105 II. Anders ist die Rechtslage bei einer unter psychischem Druck abgegebenen Erklärung; es liegt ein bewusstes Handeln vor (vgl § 123). b) Beim Erklärungsbewusstsein (oder Rechtsbindungswillen) geht es um das Bewusstsein des Handelnden, dass sein Verhalten irgendeine rechtserhebliche Erklärung darstellt. An dem Erklärungsbewusstsein fehlt es zB in dem berühmten Schulfall der Trierer Weinversteigerung, in dem jemand auf einer Auktion einem anderen zuwinkt in Unkenntnis dessen, dass das Handaufheben dort als ein höheres Kaufgebot angesehen wird. Die Folgen fehlenden Erklärungsbewusstseins sind umstr, s im Einz Rn 15. c) Als Geschäftswillen (Rechtsfolgewillen) bezeichnet man den Willen, mit der Erklärung eine bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen. Im Gegensatz zum Erklärungsbewusstsein geht es beim Geschäftswillen darum, nicht irgendeine, sondern eine ganz konkrete Rechtsfolge herbeizuführen. Keine Voraussetzung ist, dass der Erklärende eine genaue Vorstellung davon hat, wie der angestrebte wirtschaftliche Erfolg rechtstechnisch verwirklicht wird. Es genügt, dass dieser als rechtlich gesichert und anerkannt gewollt ist (BGH NJW 1993, 2100). 3. Erklärungshandlung. a) Allgemeines. Die Erklärungshandlung ist die Äußerung des Geschäftswillens. Erforderlich ist ein äußeres Verhalten, das den Willen zum Ausdruck bringt, eine bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen. Grds kann eine Willenserklärung in jedem Verhalten eines Menschen liegen, durch das er seinen Willen erkennbar zum Ausdruck bringt. Neben Wort und Schrift kommen als Erklärungsmittel zB auch Gesten und jedes sonstige äußerlich erkennbare Verhalten in Betracht. Willenserklärungen können auch mit Hilfe elektronischer Medien abgegeben werden (s dazu nur statt vieler Borges, Verträge im elektronischen Rechtsverkehr, Müller/Arnold

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2003; Dörner AcP 202, 363; Taupitz/Kritter JuS 1999, 839). Dies hat sich inzwischen auch in gesetzlichen Regelungen niedergeschlagen (vgl zB §§ 126a, 126b, 127, 312i, 312j). Möglich sind auch automatisierte Erklärungen. b) Konkludente Erklärungen. Willenserklärungen können auch durch schlüssiges Verhalten (konkludent) abgegeben werden. In diesem Fall gibt der Erklärende seinen Willen nicht ausdr kund, sondern nimmt Handlungen vor, die aufgrund der Begleitumstände den Rückschluss auf seinen Willen zulassen (Flume AT II § 5, 3a; Wolf/Neuner AT § 31 Rn 7). Bsp sind etwa die Annahme eines Angebots oder das Einverständnis mit den vorher übersandten Geschäftsbedingungen des Leistenden durch Entgegennahme der Leistung oder der Abschluss eines Beförderungsvertrags durch Besteigen einer Straßenbahn (Einl § 104 Rn 13). Konkludente Willenserklärungen sind zulässig, soweit nicht die Parteien etwas Abw vereinbart haben oder das Gesetz für die Erklärung eine bestimmte Form vorsieht (BGH WM 1984, 243). Auf sie finden die gleichen Regeln Anwendung, die auch für ausdr Willenserklärungen gelten (Pal/Ellenberger Rn 6). c) Schweigen als Willenserklärung. Dagegen genügt Schweigen regelmäßig als Erklärungshandlung nicht: Es hat weder die Bedeutung einer Ablehnung noch einer Zustimmung (BGH 1, 353, 355; NJW 2002, 3629, 3630; Wolf/Neuner AT § 31 Rn 11). Allerdings sind von diesem Grundsatz eine Vielzahl von Ausnahmen anerkannt. So liegt eine Willenserklärung vor, wenn die Parteien vereinbart haben, dass Schweigen in einer bestimmten Situation Erklärungswert haben soll. Allerdings sind in AGB insoweit die Grenzen des § 308 Nr 5 zu beachten. Ferner soll Schweigen im Einzelfall auch dann als positive Erklärung zu werten sein, wenn aufgrund der Umstände nach Treu und Glauben eine ausdr Erklärung zu erwarten wäre. So kann etwa der Leiter einer Wohnungseigentümerversammlung das tatsächliche Ergebnis einer Abstimmung grds auch dadurch feststellen, dass er bereits nach der Abstimmung über zwei von drei – auf Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung gerichteten – Abstimmungsfragen die Zahl der noch nicht abgegebenen Stimmen als Ergebnis der dritten Abstimmungsfrage wertet (sog Subtraktionsmethode, BGH NJW 2002, 3629, 3630). Ebenso kann Schweigen als Annahme zu werten sein, wenn in einer bereits länger bestehenden Geschäftsbeziehung frühere Verträge ohne ausdr Annahme durchgeführt wurden (Wolf/Neuner AT § 31 Rn 15). Schließlich soll im Schweigen auf eine verspätete oder unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen erfolgte Annahme, die nach § 150 ein neues Angebot darstellt, eine Annahme liegen können, wenn die Verspätung nur geringfügig (RG 103, 11, 13; BGH NJW 1951, 313, 314; 1986, 1807, 1809) oder die Abweichung nur unwesentlich ist (BGH DB 1956, 474, s § 150 Rn 7). Zu weit geht es hingegen, einen Widerspruch auf eine Offerte bereits dann zu verlangen, wenn die Parteien schon vorher in Geschäftsverbindung standen, zw ihnen ein bis dahin noch nicht aufgelöster Vertrag besteht und der Gegner erkennbar ein Interesse an einer baldigen Antwort hat (so aber BGH 1, 353, 355f; dagegen zu Recht Flume AT II § 35 II 4; Medicus/Petersen AT Rn 392). Schweigen kann auch Erklärungswert kraft Verkehrssitte haben. Den wichtigsten Fall bildet insoweit das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben (s eingehend § 147 Rn 5ff). Gleiches soll beim Schweigen auf die Schlussnote des Handelsmaklers (§ 94 HGB) gelten (s nur Baumbach/Hopt/Roth § 94 HGB Rn 2 mwN). Schließlich kann Schweigen nach verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen Rechtsfolgen haben. So sehen die §§ 108 II 2, 177 II 2, 415 II 2 vor, dass Schweigen auf eine Aufforderung zur Genehmigung als Ablehnung gilt. Freilich ist die Bedeutung dieser Regelungen begrenzt, da mit ihnen letztlich die Möglichkeit zu einer rechtserheblichen Erklärung nur zeitlich beschränkt wird (Staud/Singer Rn 62). Ähnliches gilt für die Genehmigungsfiktion des § 377 II HGB, die in der Sache eine Abkürzung der Mängelgewährleistungsfristen darstellt, und §§ 455 S 2, 1943, da diese Vorschriften in der Sache nur das Rücktritts- bzw Ausschlagungsrecht zeitlich begrenzen. Positive rechtsgeschäftliche Folgen hat das Schweigen dagegen in den Fällen der §§ 149 S 2, 416 I 2, 516 II 2 BGB, § 362 I HGB. Hat das Schweigen aufgrund gesetzlicher Anordnung Rechtsfolgen, fehlt es zwar am Tatbestand einer Willenserklärung. Die genannten Normen begründen aber die Fiktion einer Willenserklärung (Flume AT II § 5, 2d; Wolf/Neuner AT § 31 Rn 23). Freilich wirft diese Konstruktion die Frage auf, inwieweit die für Willenserklärungen geltenden Vorschriften Anwendung finden können. Dies ist für die Fälle, in denen das Gesetz Schweigen als Ablehnung fingiert, zu verneinen: Eine Berufung auf fehlende Geschäftsfähigkeit oder Willensmängel scheidet daher aus (Pal/Ellenberger Rn 12; Hanau AcP 165, 220, 224). Eine differenziertere Betrachtung ist hingegen erforderlich, soweit das Gesetz an das Schweigen positive rechtsgeschäftliche Folgen knüpft. Hier sind die Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit anwendbar (MüKo/Armbrüster Rn 12; Medicus/Petersen AT Rn 352). Ebenso wird man eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung zulassen müssen (Staud/Singer Rn 66). Ausgeschlossen ist dagegen eine Anfechtung wegen eines Irrtums über die Bedeutung des Schweigens (BGH NJW 1969, 1711, 1712; Medicus/Petersen AT Rn 352). Eine Anfechtung wegen Irrtums über die Tatsachen, die die Erklärungswirkung des Schweigens begründen, ist dagegen nicht grds ausgeschlossen; allerdings wird man sie bei § 362 HGB bei einem schuldhaften Irrtum ausschließen müssen (Flume AT II § 10, 2; Medicus/Petersen AT Rn 352; aA Staud/Singer Rn 68ff). Für die Annahme der Erbschaft gilt die Sonderregelung des § 1956, nach der die Versäumung der Ausschlagungsfrist in gleicher Weise wie die Annahme angefochten werden kann. 4. Willensmängel. a) Allgemeines. Beim Auseinanderfallen von Willen und Erklärung (Willensmangel) ist es denkbar, entweder dem Willen des Betreffenden oder dem Vertrauen des Rechtsverkehrs auf den Bestand des Erklärten den Vorzug zu geben. Beide Lösungen wurden im 19. Jahrhundert intensiv diskutiert: Während die Wil276

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lenstheorie beim Auseinanderfallen von Willen und Erklärung grds von der Nichtigkeit der Erklärung ausging, sollte nach der Erklärungstheorie prinzipiell auch das irrtümlich Erklärte gelten (eingehend zur Diskussion Flume AT II § 4, 6 und Staud/Singer Rn 15 mwN). Die Verfasser des BGB wollten den Einfluss des Auseinanderfallens von Willen und Erklärung nicht nach einer Theorie, sondern nach praktischen Gesichtspunkten regeln, die den verschiedenen Interessen gerecht werden; eine Festlegung auf eine Theorie war nicht beabsichtigt (Prot I 197; Denkschr S 20; für ein willenstheoretisches Verständnis der BGB-Regelung Flume AT II § 4, 8; s zur Problematik auch eingehend Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999). In der Sache wurde für fast alle Konstellationen des Auseinanderfallens von Willen und Erklärung eine Bestimmung getroffen. Ungeregelt – und umstr – ist freilich der Fall des fehlenden Erklärungsbewusstseins geblieben (s Rn 15). aa) Bewusstes Auseinanderfallen von Willen und Erklärung. Behält sich der Erklärende insgeheim vor, das Erklärte nicht zu wollen (geheimer Vorbehalt), liegt nach § 116 S 1 dennoch eine wirksame Willenserklärung vor. Dies gilt nach § 116 S 2 allerdings nicht, wenn die Erklärung einem anderen ggü abzugeben ist und dieser den Vorbehalt kennt. Gleiches gilt nach § 117I für den Fall des sog Scheingeschäfts, bei dem eine Willenserklärung, die einem anderen ggü abzugeben ist, mit dessen Einverständnis nur zum Schein abgegeben wird. Schließlich ist nach § 118 auch eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung (Scherzerklärung) nichtig, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden; allerdings kann der Erklärende dem anderen Teil nach § 122 zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet sein. bb) Fehlender Handlungswillen. Fehlt dem Erklärenden der Handlungswillen, liegt keine Willenserklärung vor, auch wenn das Verhalten nach außen wie eine rechtsgeschäftliche Erklärung wirkt. Der Handlungswillen ist unverzichtbare Voraussetzung für eine Zurechnung als Willenserklärung (Pal/Ellenberger Rn 16). b) Fehlendes Erklärungsbewusstsein. Die Frage, wie eine Erklärung ohne Erklärungsbewusstsein zu behandeln ist, wird vom BGB nur für den Fall der Scherzerklärung geregelt (§ 118). Darüber hinaus ist umstritten, wie der Fall zu behandeln ist, dass der Erklärende zwar keine rechtserhebliche Erklärung abgeben will, aber sein Verhalten objektiv den Anschein einer Willenserklärung erweckt. Schulbeispiel ist die „Trierer Weinversteigerung“, bei der eine Person einer anderen zuwinkt und damit ungewollt ein Gebot abgibt. Nach traditioneller Auffassung erfüllt ein derartiges Verhalten nicht den Tatbestand der Willenserklärung, da es an dem notwendigen Erklärungsbewusstsein fehlt (Wieacker JZ 1967, 385, 389; Canaris, Vertrauenshaftung, 427f, 548ff; ders NJW 1984, 2281; Wolf/Neuner AT § 32 Rn 18, 22f; Staud/Singer Rn 37ff); in Betracht komme lediglich eine Haftung des Handelnden entspr § 122. Demgegenüber ist nach heute überwiegender Auffassung auch bei fehlendem Erklärungsbewusstsein eine Willenserklärung anzunehmen, wenn der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung als Willenserklärung aufgefasst werden konnte, und der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat (BGH 91, 324, 329ff; 109, 171, 177; NJW 2002, 3629, 3630f; VersR 2016, 1139, 1140; MüKo/Armbrüster § 119 Rn 97ff; Soergel/Hefermehl Rn 13; Bydlinski JZ 1975, 1, 5; ohne die Einschränkung durch ein Verschuldenserfordernis auch Medicus/Petersen AT Rn 607 und für ausdr Erklärungen Flume AT II § 20, 3 und § 23, 1). Allerdings soll der Erklärende entspr § 119 I berechtigt sein, sich von der Erklärung durch Anfechtung zu lösen. Bei rechtzeitiger Anfechtung droht dem Handelnden damit – nicht anders als nach traditioneller Auffassung – lediglich eine Haftung auf den Vertrauensschaden nach § 122. Erklärt er aber nicht unverzüglich die Anfechtung, bleibt er an die Erklärung gebunden. Entscheidend für die Beantwortung der Frage, welche Rechtsfolgen fehlendes Erklärungsbewusstsein hat, ist das Verständnis der §§ 118, 119. Die Autoren, die das Vorliegen einer Willenserklärung verneinen, sehen in diesen Vorschriften den Beleg, dass eine Willenserklärung Erklärungsbewusstsein voraussetzt; wenn schon eine Scherzerklärung, die bewusst ohne Erklärungsbewusstsein abgegeben werde, nichtig sei, müsse dies erst recht in den übrigen Fällen fehlenden Erklärungsbewusstseins gelten (Canaris, Vertrauenshaftung, 550). Eine bloße Anfechtbarkeit, wie sie § 119 vorsehe, komme nicht in Betracht. Indes hat der historische Gesetzgeber in § 119 die von § 118 abw Rechtsfolge nicht angeordnet, weil es hier – anders als bei der Scherzerklärung – am Erklärungsbewusstsein fehlt. Maßgeblich für die in § 119 vorgesehene bloße Anfechtbarkeit der Erklärung war vielmehr, dass dem Erklärenden die Möglichkeit gegeben werden sollte, an seiner Erklärung festzuhalten (s Denkschr S 22; vgl auch Prot I 221). Die von § 118 angeordnete Nichtigkeit der Scherzerklärung erklärt sich vor diesem Hintergrund damit, dass in diesem Fall der Erklärende die Nichtigkeit wünscht und ihm daher kein Wahlrecht eingeräumt werden muss (Flume AT II § 20, 3 und dem folgend BGH 91, 324, 329). Dies gilt indes für die übrigen Fälle fehlenden Erklärungsbewusstseins nicht. Sie stehen denen der irrtümlichen, als rechtserheblich gewollten Erklärung sehr viel näher. Somit muss auch hier entspr § 119 eine wirksame, aber anfechtbare Erklärung vorliegen. Dabei kann es entgegen der hM nicht darauf ankommen, ob der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, dass seine Äußerung als Willenserklärung aufgefasst werden konnte. Verschulden kann allein eine Zurechnung als Willenserklärung nicht begründen (s Staud/Singer Rn 39). Dementsprechend ist der Gesetzgeber auch von seiner ursprünglichen Absicht abgerückt, die Scherzerklärung bei grober Fahrlässigkeit des Erklärenden als wirksam anzusehen (Prot I 207). Maßgeblich für die Annahme einer Willenserklärung ist vielmehr allein, dass dem Erklärenden die Gelegenheit gegeben werden soll, an seiner Erklärung festzuhalten. Dafür kann es aber keine Rolle spielen, ob der Erklärende seinen Irrtum nicht erkennen konnte. Entscheidend ist lediglich, dass seine Erklärung als Willenserklärung verstanden werden konnte. Hierdurch wird der Erklärende auch nicht unbillig belastet; denn die Anfechtungsfrist des § 121 beginnt erst zu laufen, wenn er seinen Irrtum erkannt hat.

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Auch schlüssiges Verhalten ohne Erklärungsbewusstsein kann nach diesen Grundsätzen als Willenserklärung zu behandeln sein (BGH 109, 171, 177; NJW 1991, 2084f; 1995, 953; BKR 2005, 501, 503; WRP 2015, 198, 201; aA Flume AT II § 23, 1). Allerdings muss das Verhalten vom anderen Teil bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte eindeutig und zweifelsfrei als Willenserklärung aufzufassen sein (BGH NJW 1991, 2084f); der Äußernde muss beim Erklärungsempfänger das Vertrauen auf einen bestimmten Erklärungsinhalt seines Verhaltens geweckt haben. Zu weit geht es allerdings, wenn der BGH (NJW 1995, 953) hieraus ableiten will, dass eine Behandlung schlüssigen Verhaltens ohne Erklärungsbewusstsein als Willenserklärung nicht in Betracht kommen könne, wenn die Erklärung zulasten des Empfängers ginge; hat ein Verhalten einen eindeutigen Erklärungsgehalt, kann es hierauf nicht mehr ankommen (zu Recht krit schon Habersack JuS 1996, 585; vgl nun auch BGH WRP 2015, 198, 201). Keine Willenserklärung liegt dagegen vor, wenn der Erklärungsempfänger den Erklärenden durch Täuschung zu seinem Verhalten veranlasst hat oder ihm bekannt ist, dass das entspr Verhalten nicht selten auf einem Irrtum des Erklärenden über dessen wahre Bedeutung beruht, da er in diesem Fall nicht mehr nach Treu und Glauben eindeutig von einer Willenserklärung ausgehen kann. Keine Willenserklärung liegt daher etwa vor, wenn der Betreiber einer Internetseite die Nutzer darüber täuscht, dass bestimmte, unverfänglich wirkende Handlungen wie zB eine Registrierung tatsächlich zum Abschluss eines kostenpflichtigen Vertrags führen sollen. Gleiches gilt bei sog Dialern, die der Internetnutzer unbewusst herunterlädt und die zu einer – ebenfalls unbewussten – Einwahl über einen regelmäßig äußerst teuren Einwahldienst führen, da Dialer regelmäßig vom Betreiber des Einwahldienstes stammen werden oder diesem die Existenz derartiger Dialer jedenfalls alsbald aufgrund von Reklamationen bekannt werden dürfte (gegen einen Vertragsschluss auch LG Kiel MMR 2003, 422, 423; AG Freiburg NJW 2002, 2959; ferner jurisPK/Franzen § 119 Rn 44 und MüKo/Armbrüster § 119 Rn 97, die das Vorliegen einer Willenserklärung ablehnen, da der Nutzer nicht habe erkennen können, dass sein Verhalten als Willenserklärung verstanden werden konnte; hierauf kommt es aber nach der hier vertretenen Auffassung nicht an). c) Fehlender Geschäftswillen. War der Erklärende sich darüber bewusst, dass er eine rechtserhebliche Erklärung abgibt, stimmen aber der durch Auslegung ermittelte Inhalt der Erklärung und sein Wille nicht überein, ist die Willenserklärung wirksam. Der Schutz des Erklärenden wird dadurch gewährleistet, dass das Gesetz ihm die Möglichkeit einräumt, seine zunächst gültige Willenserklärung durch Anfechtung rückwirkend zu vernichten (§§ 119, 142 I). Im Interesse des Erklärungsempfängers muss die Anfechtung unverzüglich nach Aufdeckung des Irrtums erklärt werden (§ 121). Das Gesetz regelt drei Fälle, in denen die Erklärung unbewusst vom Geschäftswillen abweicht: (1) Beim Erklärungsirrtum (= Irrtum in der Erklärungshandlung) erklärt der Erklärende nicht das, was er erklären will (§ 119 I Fall 2). Er verspricht, verschreibt, vergreift sich. (2) Beim Inhaltsirrtum erklärt der Erklärende zwar, was er erklären will; er irrt aber über die rechtliche Bedeutung seiner Erklärung (§ 119 I Fall 1). Er misst seiner Erklärung einen anderen Sinn bei, als sie in Wirklichkeit hat. (3) Bei der unrichtigen Übermittlung des Willens durch eine Person (einen Boten) oder eine Übermittlungseinrichtung (zB Post) liegt ebenfalls ein Irrtum bei der Willensäußerung vor. Dieser Fall wird wie ein Erklärungsirrtum behandelt (§ 120). d) Mängel bei der Willensbildung. Stimmen Geschäftswille und Erklärung überein, so kann aber ein Irrtum bei der Willensbildung (Motivirrtum) gegeben sein. Ein solcher Irrtum liegt vor, wenn der Erklärende irrtümlich von einem falschen Umstand ausgeht, der für den Geschäftswillen bedeutsam ist. Geht nur eine Partei (der Erklärende) von einem falschen Motiv aus (einseitiger Motivirrtum), so ist dieser Irrtum im Interesse der anderen Partei (des Erklärungsempfängers) grds unbeachtlich. Die Erklärung ist gültig. Als Fehler bei der Willensbildung sind ausnahmsweise beachtlich: (1) Der Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften der Person oder der Sache berechtigt den Irrenden zur Anfechtung (§ 119 II). (2) Der Motivirrtum, der auf einer arglistigen Täuschung beruht, berechtigt den Getäuschten ebenfalls zur Anfechtung (§ 123 I). In diesem Falle ist der Getäuschte besonders schutzwürdig. Deshalb ist die Anfechtungsfrist länger (§ 124); zum Ersatz des Vertrauensschadens ist der Getäuschte nicht verpflichtet. (3) Bei widerrechtlicher Drohung liegt zwar kein Irrtum des Erklärenden vor. Jedoch soll der Erklärende in der Freiheit der Willensentschließung geschützt werden. Deshalb kann er seine Willenserklärung, die auf der widerrechtlichen Drohung beruht, wie im Fall der arglistigen Täuschung anfechten (§ 123 I). Gehen bei einem Vertragsschluss beide Vertragspartner von einem bestimmten unrichtigen Motiv aus, ist kein Raum für den Vertrauensschutz einer Partei. Die Parteien hätten ohne den beiderseitigen Motivirrtum den Vertrag überhaupt nicht oder jedenfalls nicht zu den vereinbarten Bedingungen geschlossen. Da beide von einem unrichtigen Motiv ausgegangen sind, besteht für eine Bindung an das Erklärte kein Grund. Daher ist in diesem Fall der Vertrag nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 II) anzupassen oder aufzulösen (s nur BT-Drs 14/6040, 176 und § 313 Rn 30). Unklar ist freilich, ob dies auch dann gilt, wenn beide Parteien den Vertrag nach § 119 II anfechten können. Man wird insoweit einen Vorrang des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vor der Irrtumsanfechtung annehmen müssen (dahingehend wohl schon die Intention des Gesetzgebers, s BT-Drs 14/6040, 176; ferner BeckOK/Unberath § 313 Rn 69; Pal/Ellenberger § 119 Rn 30; aA Medicus/Petersen BürgR Rn 162; für eine Anwendbarkeit sowohl des § 119 II als auch des § 313 MüKo/Finkenauer § 313 Rn 150; NK/Krebs/Jung § 313 Rn 23); denn bei einem beiderseitigen Irrtum ist es nicht interessengerecht, einer Partei über den Schadensersatzanspruch nach § 122 die finanziellen Folgen des Irrtums aufzubürden. e) Sonderregelungen. Die Vorschriften über Willensmängel gelten grds für das gesamte Zivilrecht. Freilich gelten in bestimmten Bereichen Sonderregelungen. So sind etwa im Eherecht die §§ 1310ff, 1313ff zu beachten, die die Eheaufhebungsgründe im Einz regeln und für die Aufhebung eine richterliche Entscheidung verlangen. Im 278

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Erbrecht sind die Sonderregelungen der §§ 2078ff zu beachten. Einschränkungen bei der Berücksichtigung von Willensmängeln bestehen auch im Gesellschaftsrecht aufgrund der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft: Leidet beim Abschluss eines Vertrags über die Gründung einer Personengesellschaft die Erklärung eines Beteiligten an einem Willensmangel, so führt dieser Mangel nach Invollzugsetzung der Gesellschaft nicht mehr zur Nichtigkeit der Gesellschaft ex tunc; vielmehr ist die Gesellschaft aufzulösen und abzuwickeln (s nur statt vieler MüKoHGB/K. Schmidt § 105 Rn 228ff). Ist eine Kapitalgesellschaft bereits ins Handelsregister eingetragen worden und damit entstanden, sind Willensmängel eines Beteiligten bei der Gründung sogar regelmäßig unbeachtlich (KKAktG/Arnold § 23 Rn 164ff mwN). Schließlich ergeben sich auch im Wertpapierrecht Einschränkungen: So können Willensmängel bei Inhaberpapieren regelmäßig nur dem Nehmer, nicht aber späteren gutgläubigen Erwerbern entgegengehalten werden (§ 796). Entspr gilt bei Wechsel und Scheck (eingehend MüKo/Armbrüster § 119 Rn 22). 5. Beweislast. Wer Rechte aus einer Willenserklärung herleitet, hat die Darlegungs- und Beweislast für das Vor- 23 liegen einer Willenserklärung. Für die zur Unwirksamkeit oder Anfechtbarkeit führenden Tatsachen trägt der Behauptende die Beweislast (Pal/Ellenberger Rn 21).

§ 116

Geheimer Vorbehalt

Eine Willenserklärung ist nicht deshalb nichtig, weil sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. Die Erklärung ist nichtig, wenn sie einem anderen gegenüber abzugeben ist und dieser den Vorbehalt kennt. 1. Normzweck und Abgrenzung. Die Vorschrift erklärt es im Interesse des Verkehrsschutzes für unerheblich, wenn der Erklärende insgeheim seine Erklärung nicht gelten lassen will (geheimer Vorbehalt, Mentalreservation); die Erklärung ist dennoch wirksam. Der Verkehrsschutz gebietet allerdings keine Wirksamkeit der Willenserklärung mehr, wenn dem anderen Teil der von der Erklärung abw Wille des Erklärenden bekannt ist. Daher ist in diesem Fall die Erklärung gem S 2 ausnahmsweise nichtig (zur rechtspolitischen Kritik MüKo/Armbrüster Rn 8 mwN). Ein geheimer Vorbehalt liegt nach § 116 vor, wenn der der Erklärende sich insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. Dies verbindet ihn mit der Scherzerklärung (§ 118). Anders als bei der Scherzerklärung geht der Erklärende beim geheimen Vorbehalt aber davon aus, dass der andere Teil die Erklärung ernst nimmt („böser Scherz“). Ebenso behält sich der Erklärende auch beim Scheingeschäft (§ 117) vor, das Erklärte nicht zu wollen. Anders als bei § 116 ist der Vorbehalt jedoch nicht geheim, da das Scheingeschäft beiden Beteiligten bekannt und von ihnen gewollt ist. Abgrenzungsprobleme können sich zw dem geheimen Vorbehalt und § 123 ergeben, wenn der Drohende weiß, dass der Bedrohte seine Willenserklärung nur unter geheimem Vorbehalt abgibt. Teilw wird hier für einen Vorrang des § 123 plädiert, da die Vorschrift andernfalls für den Fall der Drohung weitgehend leerliefe und dem Bedrohten ein Wahlrecht eingeräumt werden sollte, ob er seine Erklärung gelten lassen wolle (Staud/Singer Rn 15). Die besseren Gründe sprechen indes dafür, auch in diesem Fall § 116 S 2 anzuwenden (MüKo/Armbrüster Rn 14; Flume AT II § 27, 1). Weder lässt sich ein Vorrang des § 123 dem Gesetz entnehmen, noch erscheint ein Wahlrecht des Bedrohten sinnvoll, wenn er schon bei Abgabe der Willenserklärung das Erklärte nicht will. 2. Satz 1. a) Willenserklärung. S 1 gilt für alle Arten von Willenserklärungen, ungeachtet dessen, ob es sich um ausdr oder konkludente, empfangsbedürftige oder nicht empfangsbedürftige handelt. Er ist damit insb auch auf letztwillige Verfügungen anwendbar (Frankfurt OLG 1993, 461, 466; Staud/Singer Rn 2; aA Lange/Kuchinke, Erbrecht4 1995, § 35 I 1b). Auf geschäftsähnliche Handlungen ist die Regelung entspr anwendbar. Ebenso gilt die Vorschrift im öffentlichen Recht (vgl nur § 62 VwVfG). b) Geheimer Vorbehalt. § 116 setzt voraus, dass der Erklärende nicht gelten lassen will, was er erklärt hat. Dabei muss sich der Vorbehalt gerade auf die erklärte Rechtsfolge beziehen. Allerdings kann ein Fall des § 116 auch dann vorliegen, wenn der Erklärende bewusst eine mehrdeutige Erklärung abgibt und eine der möglichen Bedeutungen nicht gegen sich gelten lassen oder sich auf die Mehrdeutigkeit als Nichtigkeitsgrund berufen will (Flume AT II § 20, 1). Voraussetzung ist allerdings, dass die Willenserklärung objektiv in einem vom Erklärenden nicht gewollten Sinn auszulegen ist: Ist die Erklärung objektiv mehrdeutig, liegt ohnehin keine Willenserklärung vor (MüKo/Armbrüster Rn 5). Der Vorbehalt muss nach dem Willen des Erklärenden geheim sein (hM, s nur MüKo/Armbrüster Rn 3; aA für S 2 noch RG 78, 371, 376f). Erklärt er seinen Vorbehalt offen, gilt die Erklärung nur mit dieser Einschränkung, oder es liegt gar keine rechtsverbindliche Erklärung vor (s Staud/Singer Rn 11). Geheim ist der Vorbehalt dabei, wenn er vor demjenigen verheimlicht wird, für den die Willenserklärung bestimmt ist (Pal/Ellenberger Rn 2). Dies ist entweder der Empfänger oder ein Dritter, in dessen Person die Wirkungen der Erklärung eintreten sollen. Unerheblich ist es, wenn der Erklärende einem unbeteiligten Dritten seinen Vorbehalt offenlegt. Ebenso sind die Gründe des Erklärenden für den Vorbehalt unbeachtlich. Besonderheiten gelten für den Fall der Stellvertretung: Schließt der Vertreter ein Geschäft als eigenes ab, obwohl er eigentlich für den Vertretenen handeln will, ist dieser Vorbehalt bereits nach § 164 II unbeachtlich; dagegen ist § 116 einschlägig, wenn der Vertreter ein für den Vertretenen geschlossenes Geschäft insgeheim für sich abschließen will oder die Willenserklärung überhaupt nicht will (MüKo/Armbrüster Rn 4). Bei einem kollusiven Arnold

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Scheingeschäft zw Vertreter und Geschäftspartner ist § 116 im Hinblick auf den Vertretenen entspr anwendbar; ihm kann die Unwirksamkeit des Geschäfts nicht entgegengehalten werden (BGH NJW 1999, 2882; Flume AT II § 20, 1). 3. Satz 2. a) Empfangsbedürftige Willenserklärung. Anders als S 1 gilt S 2 nach seinem Wortlaut nur für empfangsbedürftige Willenserklärungen. Darüber hinaus ist eine entspr Anwendung auf die Auslobung (§ 657) möglich; sie führt indes nur dazu, dass die Erklärung lediglich ggü den Personen unwirksam ist, denen der Vorbehalt bekannt ist (Pal/Ellenberger Rn 5; PWW/Ahrens Rn 4; aA MüKo/Armbrüster Rn 10). Dagegen scheidet eine entspr Anwendung auf amtsempfangsbedürftige Willenserklärungen aus (so für die Erbausschlagung BayObLG DtZ 1992, 284, 285; ferner Jauernig/Mansel Rn 2; dagegen Pohl AcP 177, 52, 62). Gleiches gilt für letztwillige Verfügungen (Frankfurt OLG 1993, 461, 466; LG Köln DtZ 1993, 215; Staud/Singer Rn 12) und für Prozesshandlungen (Soergel/Hefermehl Rn 10; Staud/Singer Rn 12). Bei der Eheschließung ist S 2 nicht anwendbar, obwohl hier empfangsbedürftige Willenserklärungen vorliegen; denn die §§ 1310, 1313ff enthalten insoweit abw Sonderregelungen. Auch im Wertpapierrecht ist die Geltung der Vorschrift aufgrund der wertpapierrechtlichen Einwendungslehre begrenzt. Schließlich erfährt die Regelung auch im Gesellschaftsrecht durch die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft eine Einschränkung (s § 705 Rn 73ff). b) Kenntnis. Die Erklärung ist nur dann nach S 2 nichtig, wenn der andere den geheimen Vorbehalt kennt; Kennenmüssen genügt nicht. Unerheblich ist es dagegen, wie der andere Teil Kenntnis erlangt hat. Maßgebend ist dabei die Kenntnis desjenigen, für den die Erklärung bestimmt ist. Dies muss nicht notwendig allein der Erklärungsempfänger sein. So ist bei der Erteilung einer Innenvollmacht unter geheimem Vorbehalt auf den Geschäftsgegner abzustellen, ggü dem der Bevollmächtigte seine Erklärung abgeben soll: Ist diesem der geheime Vorbehalt nicht bekannt, ist das Geschäft wirksam, auch wenn der Bevollmächtigte den Vorbehalt kennt (BGH NJW 1966, 1915, 1916). Bei Erklärungen ggü einem Vertreter kommt es nach § 166 I auf dessen Kenntnis an; bei mehreren Vertretern ist die Kenntnis eines oder einiger Vertreter den anderen zuzurechnen (Soergel/Hefermehl Rn 8). 4. Beweislast. Wer sich auf die Nichtigkeit der Erklärung nach S 2 berufen will, muss sowohl das Bestehen des geheimen Vorbehalts als auch die Kenntnis des anderen Teils von diesem Vorbehalt beweisen.

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Scheingeschäft

(1) Wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, mit dessen Einverständnis nur zum Schein abgegeben, so ist sie nichtig. (2) Wird durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so finden die für das verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung. 1. Normzweck und Abgrenzung. Eine Scheinerklärung (simulierte Erklärung) liegt vor, wenn der Erklärende mit Einverständnis des Erklärungsempfängers zwar den äußeren Schein einer wirksamen Willenserklärung hervorrufen will, die Erklärung aber keine Rechtswirkung herbeiführen soll (BGH 36, 84, 88; 67, 334, 339; MüKo/ Armbrüster Rn 1). Anders als beim geheimen Vorbehalt und der Scherzerklärung (§§ 116, 118) ist also der andere Teil damit einverstanden, dass die Erklärung nicht ernst gemeint ist. Damit fehlt es bereits an einem äußeren Tatbestand, der auf einen Geschäftswillen schließen lässt, und es liegt – entgegen dem Wortlaut der Vorschrift – schon gar keine Willenserklärung vor (Soergel/Hefermehl Rn 1; Pal/Ellenberger Rn 1). Konsequenterweise werden derartige Scheinerklärungen durch § 117 für rechtlich unerheblich erklärt. Das Verkehrsschutzinteresse ist hier von vornherein nicht betroffen, weil der Erklärungsempfänger mit der Abgabe der Erklärung zum Schein einverstanden ist. Kein Scheingeschäft stellt das Umgehungsgeschäft dar. Bei ihm versuchen die Parteien, mit einem Rechtsgeschäft einen rechtlichen Erfolg zu erreichen, der mit dem zur Regelung des Tatbestandes eigentlich vorgesehenen Rechtsgeschäft nicht oder nur mit Belastungen zu erreichen wäre (Soergel/Hefermehl Rn 12). Anders als beim Scheingeschäft sind damit die vereinbarten Rechtsfolgen von den Parteien ernsthaft gewollt (BHG NJWRR 2007, 1209; MüKo/Armbrüster Rn 19). Umgehungsgeschäfte sind damit nicht nach § 117 I nichtig; freilich kann sich diese Rechtsfolge aus anderen Vorschriften – etwa §§ 134, 138 – ergeben. Nicht dem § 117 unterfallen auch die Fälle der „falsa demonstratio“ (s § 133 Rn 18). Bei ihnen wählen die Parteien lediglich die falsche Bezeichnung, handeln aber mit Rechtsbindungswillen. Auch Treuhandgeschäfte fallen nicht unter § 117. Zwar soll der Treunehmer von dem ihm übertragenen Recht nur nach Maßgabe der Vereinbarung mit dem Treugeber Gebrauch machen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Übertragung ernsthaft gewollt ist (MüKo/Armbrüster Rn 15; Soergel/Hefermehl Rn 10). Gleiches gilt idR auch für das Strohmanngeschäft: Bei ihm handelt es sich letztlich nur um ein Treuhandverhältnis besonderer Art, bei dem ein vorgeschobener „Strohmann“ nach außen in Erscheinung tritt und allein aus dem Geschäft berechtigt und verpflichtet werden soll, aber auf Rechnung und im Interesse des Hintermanns handelt. Da sich die mit dem Vorschieben des Strohmanns verfolgten Zwecke in den meisten Fällen nur bei Wirksamkeit des Geschäfts erreichen lassen, ist dieses von den Parteien idR ernsthaft gewollt; dabei spielt es keine Rolle, ob der dritte Vertragspartner die Strohmanneigenschaft kannte (BGH 21, 378, 381; NJW 1959, 332, 333; 1980, 1572; 2002, 2030, 2031; Soergel/Hefermehl Rn 11). Ein Scheingeschäft liegt nur dann vor, wenn der Strohmann die sich aus 280

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Willenserklärung

§ 117

dem Rechtsgeschäft ergebenden Rechte und Pflichten im Außenverhältnis nicht übernehmen will und der Vertragspartner dies weiß (BGH NJW 1982, 569, 570; NJW-RR 1997, 238; 2007, 1209, 1210; BAG NJW 1993, 2767). Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt daher insb auch kein Scheingeschäft vor, wenn ein Unternehmer bei einem Kaufvertrag eine andere Person als Strohmann vorschiebt, um eine Anwendung der §§ 474ff zu vermeiden (BGH NJW-RR 2013, 687, 688). 2. Unwirksamkeit des Scheingeschäfts (Abs I). a) Voraussetzungen. aa) Empfangsbedürftige Willenserklärung. Es muss sich bei der Scheinerklärung um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handeln; andernfalls würde es an einem Erklärungsempfänger fehlen, der mit dem Scheincharakter einverstanden sein könnte. Daher gilt § 117 nicht für Testamente (BayObLG FamRZ 1977, 348; Düsseldorf FamRZ 1969, 677; Frankfurt OLG 1993, 461, 467): Hält sich der Erklärende insgeheim vor, das im Testament Erklärte nicht zu wollen, handelt es sich vielmehr um einen Fall des § 116, und es liegt ein wirksames Testament vor (Staud/Olzen Vor § 2064 Rn 16; s auch MüKo/Leipold Vor § 2064 Rn 8; aA MüKo/Armbrüster Rn 2 Fn 6; Brox/Walker ErbR Rn 259, da kein Bedürfnis für einen Vertrauensschutz Dritter bestehe). Dies gilt auch dann, wenn der geheime Vorbehalt einem anderen bekannt ist, da bei § 116 I 2 bei nichtempfangsbedürftigen Willenserklärungen wie dem Testament nicht anwendbar ist (s § 116 Rn 8). Geht der Testierende dagegen davon aus, dass die fehlende Ernstlichkeit seiner Erklärung nicht verkannt werden wird, ist das Testament dagegen als Scherzerklärung nichtig (§ 118). Ausgeschlossen ist die Anwendung des § 117 bei der Eheschließung (vgl § 1314 II Nr 5) und der Anerkennung der Vaterschaft, da hier vorrangige Sonderregeln bestehen. Besonderheiten gelten, wenn eine Behörde beteiligt ist. Bedarf eine empfangsbedürftige Willenserklärung der Beteiligung der Behörde (Beurkundung, Eintragung), ist die Vorschrift zwar anwendbar; indes ist das Einverständnis der – nur formal beteiligten – Amtsperson unerheblich, sondern es kommt auf den Empfänger an (MüKo/Armbrüster Rn 7). Dagegen findet § 117 auf (nur) amtsempfangsbedürftige Willenserklärungen keine Anwendung; sie sind also wirksam, auch wenn die zuständige Amtsperson mit der Scheinerklärung einverstanden ist (MüKo/Armbrüster Rn 7; Staud/Singer Rn 3). Dies folgt daraus, dass die Behörde auch hier nur formalrechtlicher Adressat und daher ihr Einverständnis bedeutungslos ist. Weiterhin ist es auch nicht möglich, auf das Einverständnis der materiellrechtlich Beteiligten abzustellen, da dieser Personenkreis kaum abgrenzbar wäre (so überzeugend Staud/Singer Rn 3; aA Pohl AcP 177, 52, 64). Kann eine Erklärung zuletzt wahlweise ggü einer anderen Person oder der Behörde abgegeben werden (§§ 875 I 2, 876 S 3, 880 II 3, 1168 II 2, 1180 I 2), so ist sie bei Einverständnis des anderen Teils mit dem Scheincharakter auch dann nach Abs I nichtig, wenn sie ggü der Behörde abgegeben wird (Flume AT II § 20, 2a; Staud/Singer Rn 3). bb) Fehlender Rechtsbindungswille. Ein Scheingeschäft iSd Abs I liegt vor, wenn Erklärender und Erklärungsempfänger einvernehmlich zwar den äußeren Schein eines Rechtsgeschäfts erzeugen wollen, die mit dem Rechtsgeschäft verbundenen Rechtsfolgen aber nicht eintreten sollen; ein Rechtsbindungswille fehlt (s Rn 1). Der Absicht, einen Dritten zu täuschen, bedarf es nicht (RG 90, 273, 277; 95, 160, 162; Soergel/Hefermehl Rn 8; MüKo/Armbrüster Rn 13). Die unrichtige Angabe einer Tatsache (zB eine Falschdatierung) genügt dagegen allein nicht (MüKo/Armbrüster Rn 4; Pal/Ellenberger Rn 3). Wird in einem Vertrag nur ein Teil der dort geregelten Pflichten zum Schein übernommen, bestimmt es sich nach § 139, ob die gesamte Vereinbarung nichtig ist (BGH NJW-RR 2002, 1527). Kein Scheingeschäft liegt vor, wenn der von den Parteien bezweckte Erfolg gerade die Gültigkeit des Geschäfts voraussetzt (BGH 36, 84, 88; NJW-RR 2006, 1555, 1556). Ein Scheingeschäft kann daher insb dann nicht angenommen werden, wenn die von den Parteien mit dem Geschäft angestrebten steuerlichen Vorteile die Wirksamkeit des Geschäfts voraussetzen, da eine vertragliche Regelung nicht gleichzeitig steuerlich gewollt und zivilrechtlich nicht gewollt sein kann (BGH 67, 334, 338; NJW-RR 1990, 386, 387; 2006, 1555, 1556; NZG 2009, 659, 661). Abw gilt allein dann, wenn die Parteien die steuerlichen Vorteile lediglich durch Vortäuschung einer entspr Vereinbarung ggü den Finanzbehörden erreichen wollen: In diesem Fall ist die zivilrechtliche Regelung nicht ernsthaft gewollt, und es liegt ein Scheingeschäft mit dem Ziel der Steuerhinterziehung vor (BGH 67, 334, 337f; NJW-RR 2006, 283). Ebenso stellen Arbeitsverträge, mit denen einer Partei der Zugang zur Arbeitslosen- und Krankenversicherung eröffnet werden soll, kein Scheingeschäft dar (BAG NJW 2007, 1485). Dient ein Arbeitsvertrag zw geschiedenen Ehegatten dagegen allein dazu, der Ehefrau den geschuldeten Unterhalt als Arbeitslohn zuzuwenden, und wird mit ihm keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung angestrebt, liegt ein Scheingeschäft vor (BGH NJW 1984, 2350). Ebenso ist ein Architektenvertrag als Scheingeschäft nichtig, wenn die Parteien lediglich durch den äußeren Schein eines wirksamen Vertrags Versicherungsschutz durch die Haftpflichtversicherung des Architekten erstreben (Hamm NJW-RR 1996, 1233). cc) Einverständnis. Der Empfänger muss mit der Scheinerklärung einverstanden sein; anders als bei § 116 S 2 ist also mehr als die bloße Kenntnis des Vorbehalts erforderlich (Staud/Singer Rn 7). Das Einverständnis ist aber keine mit der eigentlichen Erklärung einhergehende eigenständige Willenserklärung; vielmehr müssen sich beide Teile nur bewusst sein, dass ihren Erklärungen kein Wille entsprechen soll (RG 134, 33, 37; BGH NJW 1999, 2882; 2000, 3127, 3128). Dieser Scheingeschäftswille muss grds bei den vertragschließenden Parteien selbst bestehen. Daher liegt kein Scheingeschäft vor, wenn eine Vertragspartei den Vertrag selbst schließt und dabei die vorherige Abrede ihres Verhandlungsbevollmächtigten mit der anderen Seite zum Abschluss eines Scheingeschäfts nicht kennt; über eine Wissenszurechnung analog § 166 lässt sich der fehlende Scheingeschäftswille nicht ersetzen (BGH 144, 331, 333; NJW 2001, 1062; Staud/Singer Rn 9; vgl auch Thiessen NJW 2001, 3025). Ist die Erklärung ggü mehreren Personen abzugeben, ist das Einverständnis aller erforderlich; andernfalls ist die Erklärung wirksam Arnold

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(Celle NJW 1965, 399, 400). Wird für eine Partei ein Vertreter tätig, so ist ihr allerdings grds nach § 166 I dessen Einverständnis zuzurechnen. Bei Gesamtvertretung genügt es für das Einverständnis, wenn lediglich ein Vertreter wusste, dass der Vertragspartner seine Erklärung nur zum Schein abgeben wollte (RG 134, 33, 37; BGH NJW 1996, 663, 664; 1999, 2882; MüKo/Armbrüster Rn 11; Staud/Singer Rn 8; aA v Hein ZIP 2005, 191, 197). Allerdings kann der Vertragspartner den Einwand des Scheingeschäfts entspr § 116 dem Vertretenen nicht entgegenhalten, wenn die Simulationsabrede ggü diesem kollusiv mit dem Vertreter geheim gehalten werden sollte (RG 134, 33, 37; BGH NJW 1999, 2882, 2883; Medicus/Petersen AT Rn 599). b) Rechtsfolge. Scheingeschäfte sind nach § 117 ohne weiteres nichtig. Dies gilt grds auch im Gesellschaftsrecht. Die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft finden auf eine zum Schein gegründete Gesellschaft keine Anwendung (BGH NJW 1953, 1220; vgl ferner MüKo-HGB/K. Schmidt § 105 Rn 257f; aA MüKo/Schäfer § 705 Rn 377f). Ist eine GmbH oder AG bereits ins Handelsregister eingetragen worden, bleibt allerdings nur noch die Klage auf Nichtigerklärung nach § 275 I AktG bzw § 75 I GmbHG wegen Nichtigkeit der Bestimmungen über den Unternehmensgegenstand (s nur Baumbach/Hueck/Haas § 75 GmbHG Rn 15; vgl auch BGH 21, 378, 381). Einschränkungen bestehen auch im Wertpapierrecht. So kann bei Inhaberpapieren der Einwand des Scheingeschäfts nur dem Nehmer, nicht aber späteren gutgläubigen Erwerbern entgegengehalten werden (§ 796 BGB). Entspr gilt bei Wechsel und Scheck, da es sich um ausschließbare Gültigkeitseinwendungen handelt (eingehend MüKo/Armbrüster § 119 Rn 22). Die Nichtigkeit nach § 117 wirkt auch ggü Dritten. Einen allg Schutz gutgläubiger Dritter vor Scheingeschäften sieht die Vorschrift nicht vor. Allerdings trägt eine Vielzahl von Einzelregelungen im BGB den Interessen des Dritten, der auf die Wirksamkeit des Scheingeschäfts vertraut hat, Rechnung. So kann eine deliktische Haftung der an dem Scheingeschäft Beteiligten ggü dem gutgläubigen Dritten nach §§ 823 II, 826 in Betracht kommen. Erwirbt der Dritte rechtsgeschäftlich von einem Veräußerer eine Sache, die dieser selbst nur zum Schein erworben hat, schützen ihn die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb (§§ 932ff, 892f). Entspr gilt wegen §§ 1032, 1207 bei der Einräumung eines Nießbrauchs oder Pfandrechts. Wird eine Forderung unter Vorlegung einer vom Schuldner ausgestellten Urkunde abgetreten, so kann sich dieser nach § 405 dem neuen Gläubiger ggü nicht darauf berufen, dass die Eingehung oder Anerkennung des Schuldverhältnisses nur zum Schein erfolgt ist. Zeigt der Gläubiger dem Schuldner eine Abtretung an, die tatsächlich nur zum Schein erfolgt ist, oder fertigt er hierüber eine Urkunde an, in der der angebliche neue Gläubiger bezeichnet ist, muss er dies nach § 409 dem Schuldner ggü gegen sich gelten lassen. Ebenso muss nach § 566e der Vermieter, der dem Mieter die – tatsächlich nur zum Schein erfolgte – Übertragung des Eigentums an dem vermieteten Wohnraum angezeigt hat, dies in Ansehung der Mietforderung dem Mieter ggü gegen sich gelten lassen. Schließlich darf der Dritte auf Scheinvollmachten nach Maßgabe der § 171f vertrauen. Über diese gesetzlich geregelten Fälle des Drittschutzes hinaus nimmt Flume (AT § 20, 2) an, der Rechtsinhaber ermächtige mit der Scheinübertragung den anderen Teil, über das Recht im eigenen Namen zu verfügen. In diesem Sinne hat auch bereits das RG angenommen, dass der Gläubiger einer Briefhypothek, der dem Zessionar eine privatschriftliche Urkunde über die Abtretung der Hypothek und den Hypothekenbrief ausgehändigt habe, sich einem dritten Erwerber ggü nicht darauf berufen könne, dass es sich in Wirklichkeit um ein Scheingeschäft gehandelt habe (RG 90, 273, 278f). Demgegenüber will Canaris dem Rechtsinhaber den Einwand des Scheingeschäfts ggü einem gutgläubigen Dritten immer dann nach Rechtsscheinsregeln versagen, wenn dieser die Gültigkeit des Geschäfts irgendwie nach außen kundgetan habe (Canaris, Vertrauenshaftung, 89ff; dem folgend MüKo/Armbrüster Rn 25; Staud/Singer Rn 24). Diese Ansätze überzeugen indes nicht. Die Annahme einer Ermächtigung zugunsten des Scheinerwerbers stellt letztlich eine Fiktion dar, da die Parteien beim Scheingeschäft gerade keine rechtlich erheblichen Handlungen vornehmen wollen (s schon Canaris aaO, 89f). Aber auch der Rückgriff auf Rechtsscheinsregeln überzeugt nicht. Der Gesetzgeber hat sich ausdr gegen einen generellen Drittschutz bei Scheingeschäften entschieden (Mot I 193; Prot I 204). Auch ist nicht ersichtlich, dass hieraus unerträgliche Schutzlücken resultierten. Dies zeigt der vom RG entschiedene Fall des Hypothekenerwerbs sehr anschaulich. Das Vertrauen eines Dritten auf den Erwerb der Briefhypothek ist generell nicht geschützt, wenn der Veräußerer nur durch eine privatschriftliche Urkunde über die Abtretung der Hypothek an ihn legitimiert ist. Die Argumentation mit allg Rechtsscheinsgrundsätzen überspielt letztlich das differenzierte System des Gesetzes beim gutgläubigen Erwerb und den insoweit hinreichenden Rechtsscheinsträgern. Ein über die gesetzlichen Regelungen hinausgehender Vertrauensschutz des Dritten bei Scheingeschäften ist daher abzulehnen. 3. Verdecktes Geschäft (Abs II). Vielfach wird mit dem Scheingeschäft ein anderes Geschäft verdeckt. Abs II stellt klar, dass dieses Geschäft nicht deshalb nichtig ist, weil die Parteien versucht haben, es durch ein Scheingeschäft zu verbergen (BGH NJW 1983, 1843, 1844; MüKo/Armbrüster Rn 26). Vielmehr ist es wirksam, sofern seine Gültigkeitsvoraussetzungen vorliegen. Eine Nichtigkeit des verdeckten Geschäfts kann sich freilich insb aus §§ 125, 134, 138 BGB ergeben. Das verdeckte Geschäft verstößt aber nicht bereits deshalb gegen ein gesetzliches Verbot, weil mit dem Scheingeschäft eine Steuerhinterziehung beabsichtigt wird, da die Steuerverkürzung nicht den Hauptzweck des Vertrags darstellt (BGH NJW 1983, 1843, 1844; Staud/Singer Rn 27). Der praktisch bedeutendste Anwendungsfall des Abs II ist der sog Schwarzkauf, bei dem ein niedrigerer als der vereinbarte Kaufpreis beurkundet wird (zur Anwendbarkeit des § 117 bei Beurkundung eines zu hohen Kaufpreises Düsseldorf 20.10.2014, I-9 U 8/14, nv). In diesem Fall ist der notariell beurkundete Vertrag über den niedrigeren Preis nach Abs I nichtig, während der verdeckte mündliche Vertrag wegen Formmangels nach §§ 125, 311b I nichtig ist (RG 78, 115, 120). Dies gilt auch dann, wenn der Käufer wusste, dass der Verkäufer den Vertrag nur ab282

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zuschließen bereit war, wenn er von Seiten eines wirtschaftlich interessierten Dritten – der später Mieter der Wohnung geworden ist – eine Schwarzgeldzahlung erhält (BGH NJW-RR 1998, 950). Die Nichtigkeit des nur mündlich vereinbarten Kaufvertrags wird nach § 311b I 2 durch Auflassung und Eintragung ins Grundbuch geheilt (RG 104, 102, 105; BGH NJW-RR 1991, 613, 615). Eine zur Sicherung des Auflassungsanspruchs aus dem Scheingeschäft eingetragene Vormerkung erstreckt sich auch bei späterer Heilung des Formmangels des daneben mündlich abgeschlossenen Vertrags nicht auf den mündlich vereinbarten Auflassungsanspruch (BGH 54, 56, 64; MüKo/ Armbrüster Rn 27). Kein Fall des Schwarzkaufs liegt vor, wenn die Parteien lediglich infolge eines Versehens bei der Beurkundung einen falschen Kaufpreis erklären. Es handelt sich vielmehr um eine unschädliche einverständliche Falschbezeichnung (falsa demonstratio, s § 133 Rn 18). Der Kaufvertrag ist wirksam mit dem tatsächlich gewollten Kaufpreis zustande gekommen (RG 60, 338, 340; 109, 334, 336; MüKo/Armbrüster Rn 28; Flume AT II § 20, 2a). Ebenso genügt es nicht, wenn in einem Grundstückskaufvertrag die Kaufpreiszahlung bestätigt wird, obwohl diese erst später erfolgen soll (BGH NJW 2011, 2785). 4. Beweislast. Wer sich auf die Nichtigkeit des Scheingeschäfts berufen will, muss den fehlenden Rechtsbin- 13 dungswillen beweisen, da grds von der Ernstlichkeit rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen auszugehen ist (BGH NJW 1988, 2597, 2599; 1991, 1617, 1618; 1999, 3481; BAG NJW 2003, 2930, 2931). Wer sich auf das verdeckte Geschäft beruft, muss einen entspr Willen der Parteien beweisen (BGH JZ 1977, 341, 342; Pal/Ellenberger Rn 9). Dabei kann für die Ermittlung des Willens der Parteien auch ihr nachträgliches Verhalten von Bedeutung sein (BGH NJW-RR 1997, 238; Staud/Singer Rn 30).

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Eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden, ist nichtig. 1. Normzweck und Abgrenzung. Die praktisch nicht sehr bedeutsame Regelung sieht vor, dass Scherzerklärungen nichtig sind. Diese Rechtsfolge ist rechtspolitisch umstr, da der Erklärende – anders als beim Irrtum – nicht zur unverzüglichen Anfechtung verpflichtet ist (s nur MüKo/Armbrüster Rn 1). Dem Verkehrsschutz wird freilich dadurch Rechnung getragen, dass der andere Teil nach § 122 Schadensersatz verlangen kann. Bei der Scherzerklärung geht der Erklärende davon aus, dass der andere die Nichternstlichkeit erkennen wird. Anders als beim geheimen Vorbehalt (§ 116) will er die Nichternstlichkeit also gerade nicht geheim halten („guter Scherz“). Vom Scheingeschäft unterscheidet sich die Scherzerklärung dadurch, dass sich bei § 117 beide Seiten über die fehlende Ernstlichkeit einig sind, während bei § 118 nur eine entspr Erwartung des Erklärenden besteht. Damit wird von der Vorschrift insb auch das misslungene Scheingeschäft erfasst, bei dem der andere Teil die Erklärung entgegen der Erwartung des Erklärenden ernst nimmt. 2. Anwendungsbereich. § 118 gilt gleichermaßen für empfangsbedürftige wie für nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen, also zB auch für ein Testament (RG 104, 320, 322). Die Vorschrift gilt auch bei beurkundeten Erklärungen (BGH 144, 331, 334; Thiessen NJW 2001, 3025f; aA etwa RG 68, 204, 205f; München NJW-RR 1993, 1168, 1169). Allerdings ist § 118 selbstverständlich nicht einschlägig, wenn der Erklärende in Täuschungsabsicht handelte, also gerade nicht erwartete, dass die fehlende Ernstlichkeit erkannt werden würde. Dagegen ist die Vorschrift auf die Willenserklärungen bei einer Eheschließung (§§ 1310ff) und bei einer Anerkennung der Vaterschaft (§§ 1594ff) wegen der abschließenden Spezialregelungen in diesen Bereichen nicht anzuwenden. Auch im Gesellschaftsrecht gilt sie wegen der Grundsätze zur fehlerhaften Gesellschaft nur eingeschränkt (s schon § 117 Rn 8); Ähnliches gilt im Wertpapierrecht (§ 117 Rn 8). Zur Bedeutung von § 118 für Willenserklärungen, die ohne Erklärungsbewusstsein abgegeben werden, s Vor § 116 Rn 15. 3. Voraussetzungen. a) Nichternstlichkeit bedeutet, dass der für die Willenserklärung kennzeichnende Wille fehlt, den Rechtserfolg herbeizuführen. Als Motiv für die nicht ernstliche Erklärung kommt nicht nur ein Scherz in Betracht; unter § 118 fallen zB auch Erklärungen in spöttischer Übertreibung, aus Ironie, Prahlerei, bloßer Höflichkeit oder aus Gründen einer reißerischen Reklame. Hingegen kommt eine Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Willenserklärungen, die in einem Zustand der Provokation oder der Demütigung abgegeben werden, nicht in Betracht, da diese idR ernst gemeint sind (Weiler NJW 2008, 2608; aA Tscherwinka NJW 1995, 308; Staud/Singer Rn 1). b) Der Erklärende muss bei der Erklärung die Erwartung haben, dass das Fehlen der Ernstlichkeit nicht verkannt werden wird. Diese Erwartung muss uneingeschränkt bestehen. Es ist aber nicht erforderlich, dass sie objektiv berechtigt ist; ein Verschulden des Erklärenden bei der Fehleinschätzung ist unbeachtlich (MüKo/Armbrüster Rn 6). Dementsprechend muss die Erwartung, die fehlende Ernstlichkeit werde erkannt werden, nicht erkennbar geworden sein; der unerkannte Wille reicht aus (Flume AT II § 20, 3; Staud/Singer Rn 3). Umstr sind die Konsequenzen, wenn der Erklärende nachträglich erkennt, dass derjenige, der an der Erklärung interessiert ist, den Mangel der Ernstlichkeit verkennt, und er diesen trotzdem nicht darüber aufklärt. Teilw wird angenommen, dass dann aus dem „guten Scherz“ ein „böser Scherz“ werde, der nach § 116 I unbeachtlich sei (Flume AT II § 20, 3; MüKo/Armbrüster Rn 10). Andere nehmen an, der Erklärende könne sich in diesem Fall nach Treu und Glauben auf den Mangel der Ernstlichkeit nicht berufen (Wolf/Neuner AT § 40 Rn 13; Pal/Ellenberger Rn 2). Diese Einschränkungen des § 118 sind jedoch abzulehnen; die aus ihnen folgende Aufklärungsobliegenheit käme einer Obliegenheit zur Anfechtung der Scherzerklärung nahe, die § 118 jedoch gerade nicht vorsieht (überzeuArnold

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gend Staud/Singer Rn 8). IÜ ergäbe sich das merkwürdige Ergebnis, dass die Erklärung nachträglich wirksam würde. Es muss daher auch in diesem Fall bei der Schadensersatzpflicht des Erklärenden nach § 122 bleiben. 4. Folgen. Die Scherzerklärung ist nichtig. Den Erklärenden trifft aber – unabhängig von seinem Verschulden – nach § 122 die Verpflichtung, demjenigen, der auf die Gültigkeit der Erklärung vertraute, den Vertrauensschaden bis zur Höhe des Erfüllungsinteresses zu ersetzen. 5. Beweislast. Wer sich auf die Nichtigkeit der Willenserklärung beruft, muss die Nichternstlichkeit sowie die Erwartung des Erklärenden, die Nichternstlichkeit werde erkannt, beweisen. Da es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, ist dieser Beweis naturgemäß schwierig. IÜ wird man im Prozess bereits konkreten Vortrag erwarten müssen, weshalb nur eine scheinbare Verpflichtung begründet werden sollte; die allg, unsubstantiierte Behauptung, das Rechtsgeschäft sei nicht gewollt, ist von vornherein unbeachtlich (Staud/Singer Rn 9).

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Anfechtbarkeit wegen Irrtums

(1) Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. (2) Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. I. Bedeutung. Das Gesetz misst mit Rücksicht auf den Verkehrsschutz nicht jedem bei der Willenserklärung unterlaufenen Irrtum Bedeutung im Hinblick auf die Wirksamkeit der Erklärung bei (Denkschr S 21). Auch wenn bei der Abgabe einer Willenserklärung der Wille des Erklärenden durch einen Irrtum verfälscht ist, die Erklärung also nicht dem wahren oder nur einem fehlerhaft gebildeten Willen entspricht, ist der Erklärende daher grds an die Willenserklärung gebunden. Die Erklärung gilt im Interesse des Erklärungsempfängers so, wie dieser sie verstanden hat und bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt verstehen durfte (Rn 4, 5). Lediglich bestimmte Irrtümer erklärt das Gesetz für beachtlich. In § 119 ist das für den Irrtum in der Erklärungshandlung (§ 119 I Fall 2), den Irrtum über den Erklärungsinhalt (§ 119 I Fall 1) sowie den Irrtum über wesentliche Eigenschaften der Person oder Sache (§ 119 II) geschehen. Vorausgesetzt wird dabei stets, dass ein beachtlicher Ursachenzusammenhang zw Irrtum und Erklärung besteht. Zur Beseitigung der fehlerhaften Willenserklärung ist eine Anfechtungserklärung erforderlich. Auch soweit ein nach § 119 beachtlicher Irrtum vorliegt, ist die Erklärung also nicht ohne weiteres nichtig. Vielmehr muss der Erklärende die Anfechtung erklären, um sich von der Erklärung rückwirkend zu befreien. Hiermit soll dem Erklärenden die Möglichkeit gegeben werden, an seiner Erklärung festzuhalten (s Denkschr S 22; vgl auch Prot I 221). II. Anwendungsbereich. Die Anfechtung nach § 119 ist grds bei allen privatrechtlichen Willenserklärungen zulässig, soweit keine vorrangigen Spezialregeln eingreifen (vgl Rn 8ff). Für reine Prozesshandlungen gilt § 119 nicht (BGH 80, 389, 392; BFH NJW 1970, 631, 632; BVerwG NJW 1980, 135, 136; 1997, 2897; BayObLG DB 1990, 168f für das Registerverfahren). Sie sind keine rechtsgeschäftlichen Erklärungen. Irrtümer bei Prozesshandlungen sind vielmehr ausschließlich nach prozessualen Grundsätzen zu behandeln (vgl Einl § 104 Rn 39). Dagegen ist der Prozessvergleich wegen seiner Doppelnatur (Willenserklärung und Prozesshandlung) durch Fortsetzung des bisherigen Rechtsstreits anfechtbar, soweit nicht § 779 als Spezialvorschrift entgegensteht; mit der Anfechtung entfallen auch die prozessualen Wirkungen (BGH 16, 388, 390; 28, 171, 174; 41, 310, 311; 51, 141, 144). Gem § 62 VwVfG finden die Vorschriften über die Irrtumsanfechtung auf öffentlich-rechtl Verträge entspr Anwendung. Anfechtbar sind auch die verwaltungsrechtlichen Willenserklärungen eines Bürgers (vgl OVG Koblenz NVwZ 1984, 316, 317; VG Frankfurt aM NVwZ-Beil 1997/11, 88; Kluth NVwZ 1990, 608, 613). Auf Hoheitsakte, insb Verwaltungsakte, sind die §§ 119ff hingegen nicht einmal entspr anwendbar (NK/Feuerborn Rn 10; PWW/Ahrens Rn 11; vgl für eine Baulast auch VGH Mannheim NJW 1985, 1723). III. Abgrenzung. Verhältnis von Anfechtung und Auslegung. Die Auslegung (§ 133 Rn 14) geht der Anfechtung stets vor. Eine Anfechtung kommt nur in Betracht, wenn sich der Erklärende an seinem vom Willen abw Erklärten, wie es sich mit Hilfe der Auslegung ergibt, festhalten lassen muss. Das ist der Fall, wenn der Erklärungsempfänger den wahren Willen des Erklärenden nicht erkannt hat und auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht erkennen konnte. Eine Anfechtung scheidet hingegen aus, wenn sich durch Auslegung ergibt, dass das Gewollte – und nicht das Erklärte – als Inhalt der Erklärung gilt. Erkannte der Erklärungsempfänger den Willen, gilt das Gewollte und nicht das irrtümlich Erklärte (erkannter oder erkennbarer Irrtum, s BGH NJW-RR 1995, 859). Kein Raum für eine Anfechtung bleibt danach bei der falsa demonstratio (vgl zu § 133 Rn 18); der Erklärende gebraucht (bewusst oder unbewusst) hier einen unzutreffenden Erklärungstatbestand, der vom Erklärungsempfänger richtig verstanden wird. Nur der hinter dem unzutreffenden Erklärungstatbestand stehende Wille gilt. Führt beim Vertragsschluss die Auslegung nicht zu einer Übereinstimmung der Willenserklärungen, zB weil eine Erklärung auch nach der Auslegung objektiv mehrdeutig ist, so liegt ein versteckter Dissens (§ 155) vor; da ohnehin keine vertragliche Bindung eintritt, bedarf es keiner Anfechtung. Anders als bei einem zur Anfechtung berechtigenden Irrtum bezieht sich die Fehlvorstellung beim Dissens auf die Erklärung des anderen Teils; diese stimmt mit der eigenen Erklärung nicht überein (Pal/Ellenberger Rn 8). 284

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IV. Sonderregelungen und Ausschluss der Anfechtung. 1. Sondervorschriften. Das BGB enthält teilw Spezialbestimmungen, die die §§ 119ff modifizieren. So ist nach § 779 ein Vergleich unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrags als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre, ohne dass es einer Anfechtung durch eine Partei bedürfte. IÜ schließt § 779 die Irrtumsanfechtung grds nicht aus (eingehend § 779 Rn 33). Unzulässig ist die Anfechtung allein, soweit sich der Irrtum auf den Gegenstand des Vergleichs bezieht, da sie mit dem Zweck des Vergleichs, der auf eine endgültige Streitbeilegung ohne weitere Sachverhaltsaufklärung gerichtet ist, nicht vereinbar wäre (RG 162, 198, 201; BGH NJW 2007, 838). Auch das Familien- und das Erbrecht enthalten Bestimmungen, die die allg Regelungen der Irrtumsanfechtung modifizieren. So können Willensmängel bei der Eheschließung nur nach Maßgabe des § 1314 im Wege der Aufhebung geltend gemacht werden. Ähnliches gilt im Hinblick auf die Anerkennung der Vaterschaft (§ 1592 Nr 2): Bei ihr ist eine Berufung auf Irrtümer nur im Wege der Vaterschaftsanfechtung (§§ 1599ff) möglich. Modifiziert werden die §§ 119ff auch durch die Regelungen über die Anfechtung letztwilliger Verfügungen (§§ 2078ff) und die Vorschriften über die Anfechtung der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft (§§ 1954ff). 2. Ausschluss oder Modifikation durch Sonderwertungen. a) Schuldrecht. Neben diesen ausdr Sonderregelungen werden aus vielen weiteren Vorschriften innerhalb und außerhalb des BGB eine Beschränkung oder der Ausschluss der Irrtumsanfechtung abgeleitet. Derartige Sonderwertungen finden sich namentlich im Schuldrecht. So kann sich der Schuldner bei anfänglicher Unmöglichkeit seiner Haftung nach § 311a II nicht entziehen, indem er den Vertrag wegen Irrtums über seine Leistungsfähigkeit anficht (BT-Drs 14/6040, 65; Canaris JZ 2001, 499, 506; NK/Dauner-Lieb § 311a Rn 27). Ferner wird die Irrtumsanfechtung bei beiderseitigen Irrtümern über verkehrswesentliche Eigenschaften durch § 313 II ausgeschlossen (str, s Vor § 116 Rn 21). Ebenso geht die Unsicherheitseinrede nach § 321 BGB der Anfechtung nach § 119 II vor: Verpflichtet sich also in einem Vertrag die eine Seite zur Vorleistung und irrt sich dabei über die mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit des anderen Teils, so kann sie nur unter den Voraussetzungen des § 321 die Leistung verweigern oder vom Vertrag zurücktreten (Soergel/Gsell Rn 23; zum alten Recht auch schon Flume AT II § 24, 3b). Die hL steht freilich im Anschluss an die Gesetzesbegründung (BT-Drs 14/6040, 179) auf dem Standpunkt, dass der Vorleistungspflichtige wählen könne, ob er sich auf § 321 oder die Irrtumsanfechtung beruft (NK/Tettinger § 321 Rn 15; MüKo/Emmerich § 321 Rn 30; PWW/Stürner § 321 Rn 13; Staud/Schwarze § 321 Rn 20). Dem ist indes aus systematischen Gründen nicht zu folgen. § 321 erlaubt dem Vorleistungspflichtigen die Berufung auf die anfängliche Leistungsunfähigkeit des anderen Teils nur dann, wenn diese erst nach Vertragsschluss erkennbar wurde, und gibt ihm regelmäßig erst nach Ablauf einer angemessenen Nachfrist das Recht, sich vom Vertrag durch Rücktritt zu lösen. Diese Einschränkungen wären bedeutungslos, wenn sich der Vorleistungspflichtige unabhängig von der Erkennbarkeit der mangelnden Leistungsfähigkeit des anderen Teils sofort nach § 119 II vom Vertrag lösen könnte. Praktisch erhebliche Bedeutung hat die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis zw Anfechtung und Gewährleistung. Sie stellt sich insb im Kaufrecht. Hier wird überwiegend angenommen, dass eine Anfechtung des Käufers wegen eines Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften durch die §§ 434ff jedenfalls ab Gefahrübergang ausgeschlossen wird (s nur Vor § 437 Rn 23; MüKo/H. P. Westermann § 437 Rn 53; aus der Rspr zum alten Recht nur BGH 60, 319, 320; vgl auch BGH NJW-RR 2008, 222, 223 zum Erwerb im Rahmen der Zwangsversteigerung; aA etwa BeckOK/Faust § 437 Rn 182). Dem ist zu folgen; denn mit einer Anfechtung könnte der Käufer eine Vertragsauflösung herbeiführen, ohne dass er die kurze Frist des § 438 I Nr 3 beachten oder dem Verkäufer zuvor die Gelegenheit zur Nacherfüllung geben müsste; auch käme es entgegen § 442 nicht mehr darauf an, ob dem Käufer der Mangel aufgrund grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist. Problematisch ist freilich, ob die Anfechtung nach § 119 II auch vor Gefahrübergang ausgeschlossen ist. Dabei kann, soweit es sich um einen behebbaren Mangel handelt und der Verkäufer auch zur Behebung des Mangels bereit ist, nicht mit dem Vorrang des Gewährleistungsrechts argumentiert werden; denn in diesem Fall gelten die §§ 437ff unstr nicht (s nur § 434 Rn 68 und Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, Rn 70). Jedoch kann sich der Verkäufer auch hier den Kaufpreis noch verdienen, indem er mangelfrei leistet. Diese Möglichkeit würde ihm durch die Anfechtung genommen. Daher kann eine Berufung auf § 119 II nicht zulässig sein (MüKo/H. P. Westermann § 437 Rn 53; Staud/Matusche-Beckmann § 437 Rn 28). Erheblich komplizierter liegen die Dinge dagegen, wenn der Mangel unbehebbar ist oder der Verkäufer ernsthaft und endgültig die mangelfreie Leistung verweigert. Hier kann nicht damit argumentiert werden, dass dem Verkäufer die Möglichkeit erhalten werden muss, mangelfrei zu leisten. Zudem ist umstr, ob die Gewährleistungsvorschriften bereits ausnahmsweise vor Gefahrübergang gelten (so etwa § 434 Rn 68; dagegen etwa Pal/Weidenkaff § 437 Rn 50; Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, Rn 70). Freilich ist dieser Streit letztlich für das Problem der Anwendbarkeit des § 119 II irrelevant: So wird im Anschluss an die Rspr des BGH zum alten Recht (s nur BGH 34, 32, 37) teilw angenommen, dass die Anwendung der Gewährleistungsvorschriften vor Gefahrübergang die Anfechtung nach § 119 II nicht ausschließe (Vor § 437 Rn 25), während umgekehrt auch Autoren, die vor Gefahrübergang allein die Regeln des allg Leistungsstörungsrechts anwenden wollen, dem Käufer den Rückgriff auf § 119 II verwehren (Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, Rn 271). I Erg sprechen die besseren Gründe auch in diesem Fall für einen Ausschluss der Anfechtung. Selbst wenn man die §§ 437ff auch bei unbehebbaren Mängeln vor Gefahrübergang nicht anwenden will, müsste man jedenfalls die Wertung des § 442 berücksichtigen (vgl dazu Looschelders SchuldR BT, Rn 174). Andernfalls stünden dem Käufer, der aus grober Fahrlässigkeit den Mangel verkannt hat, vor Gefahrübergang die Rechte nach dem allg Leistungsstörungsrecht und das Anfechtungsrecht nach § 119 II zu. Er würde diese Rechte aber mit GefahrüberArnold

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gang verlieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es vorzugswürdig, die Anfechtung nach § 119 II bereits generell vor Gefahrübergang auszuschließen. Dagegen sperrt das Mängelgewährleistungsrecht nicht die Anfechtung nach §§ 119 I, 120, 123 (eingehend Vor § 437 Rn 20, 30). Gleichfalls ist eine Anfechtung durch den Verkäufer grds nicht ausgeschlossen; die Berufung auf § 119 II kommt freilich dann nicht in Betracht, wenn der Verkäufer sich damit seiner Gewährleistungspflicht entziehen könnte (BGH NJW 1988, 2597, 2598). Die kaufrechtlichen Grundsätze für das Verhältnis von Mängelgewährleistung und Anfechtung nach § 119 II gelten auch im Werkvertragsrecht (MüKo/Armbrüster Rn 36; PWW/Leupertz/Halfmeier § 633 Rn 8; Pal/Sprau vor § 633 Rn 15; für das alte Recht auch BGH NJW 1967, 719). Der Besteller kann daher auch seine Abnahmeerklärung nicht wegen Irrtums über den erreichten Zustand des Werks anfechten (München NJW 2012, 397, 398). Im Mietrecht ist es hingegen umstr, ob die Gewährleistungsregeln § 119 II verdrängen (dafür etwa Flume AT II § 24, 3b und – auch für die Zeit vor der Übergabe – MüKo/Häublein vor § 536 Rn 24; aA Dötsch NZM 2011, 457, 458ff; Emmerich NZM 1995, 692, 694f; Fischer NZM 2005, 567, 570; BeckOK/Ehlert § 536 Rn 21). Das RG (157, 173) hat einen Vorrang des Mietmängelgewährleistungsrechts abgelehnt, sah allerdings entspr § 539 aF (§ 536b) eine Anfechtung bei grob fahrlässiger Unkenntnis des Mieters über den Mangel als unzulässig an; der BGH hatte über die Frage bislang nicht zu entscheiden. Indes sprechen auch im Mietrecht die besseren Gründe für einen Ausschluss des § 119 II, da andernfalls dem Vermieter die Gelegenheit zur Nachbesserung genommen würde. Darüber hinaus bleibt eine Anfechtung etwa nach §§ 119 I, 120, 123 und nach § 119 II wegen Eigenschaften, die keinen Sachmangel begründen, auch nach Gefahrübergang möglich (BGH NJW 2009, 1266, 1268). Zur Frage, ob die Anfechtung nach Übergabe nur noch ex nunc wirkt, s Rn 13. b) Außerhalb des BGB enthält etwa § 19 VVG eine Sonderregelung im Hinblick auf Irrtümer des Versicherers über gefahrerhebliche Umstände. Beim Irrtum über wesentliche Eigenschaften eines Schiedsrichters gehen die Vorschriften über die Ablehnung (§§ 1036ff ZPO) § 119 vor (BGH 17, 7, 8). c) Einschränkungen der Irrtumsanfechtung bestehen teilw bei Dauerrechtsverhältnissen. So sind im Gesellschaftsrecht die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft zu beachten: Leidet beim Abschluss eines Vertrags über die Gründung einer Personengesellschaft die Erklärung eines Beteiligten an einem Willensmangel, so führt dieser Mangel nach Invollzugsetzung der Gesellschaft im Hinblick auf den notwendigen Schutz des Verkehrs nicht mehr zur Nichtigkeit der Gesellschaft ex tunc; vielmehr ist die Gesellschaft aufzulösen und abzuwickeln (s nur statt vieler MüKo-HGB/K. Schmidt § 105 Rn 228ff). Ist eine Kapitalgesellschaft bereits ins Handelsregister eingetragen worden und damit entstanden, sind Willensmängel eines Beteiligten bei der Gründung sogar regelmäßig unbeachtlich (KK-AktG/Arnold § 23 Rn 164ff mwN). Ebenso wirkt bei in Vollzug gesetzten Arbeitsverträgen die Anfechtung wegen der besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des ArbN idR nur ex nunc (Einzelheiten § 611 Rn 267ff). Dagegen ist die Anfechtung eines Mietvertrags auch nach Übergabe der Mietsache uneingeschränkt möglich, da die Schwierigkeiten, die sich bei der Rückabwicklung ergeben, keine Ausnahme von der gesetzlich vorgesehenen Rückwirkung der Anfechtung rechtfertigen können (BGH NJW 2009, 1266, 1268 mwN). Zur Anfechtung einer bereits betätigten Innenvollmacht s § 167 Rn 44. d) Schließlich ist die Anfechtung auch im Wertpapierrecht nur eingeschränkt möglich: Irrtümer können bei Inhaberpapieren regelmäßig nur dem Nehmer, nicht aber späteren gutgläubigen Erwerbern entgegengehalten werden (§ 796 BGB). Entspr gilt bei Wechsel und Scheck (eingehend MüKo/Armbrüster Rn 22). e) Die Anfechtbarkeit einer Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 schließt die Anfechtung nach § 119 nicht aus, vielmehr kann in der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung auch eine Anfechtung wegen Irrtums enthalten sein (RG 57, 358, 362; 100, 205, 207; BGH 34, 32, 38f). Ob der Erklärende wegen Irrtums oder wegen arglistiger Täuschung anfechten will, ist – mangels entspr ausdr Erklärung – durch Auslegung zu ermitteln. Liegen beide Anfechtungsgründe vor und hat der Erklärende wegen Irrtums angefochten, ist bei seiner Ersatzpflicht nach § 122 zu berücksichtigen, dass er die Möglichkeit hatte, nach § 123 ohne entspr Ersatzpflicht anzufechten. f) Besteht für den Erklärenden ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht (etwa nach §§ 355ff iVm §§ 312g, 485, 495), wird dadurch die Anfechtung nach § 119 nicht ausgeschlossen. Auch wenn der Erklärende das Rücktrittsoder Widerrufsrecht bereits ausgeübt hat, besteht noch die Möglichkeit der Anfechtung (s nur Schreiber AcP 211, 35, 52). Ein Widerrufsrecht wird allerdings vielfach im Vergleich zur Irrtumsanfechtung der einfachere Weg sein, sich auch von den Folgen einer irrtumsbedingten Willenserklärung zu lösen; iÜ führt die Ausübung dieser Rechte nicht zur Schadensersatzpflicht aus § 122. V. Voraussetzungen. 1. Willenserklärung. Alle Tatbestände des § 119 setzen das Vorliegen einer Willenserklärung voraus. Allerdings soll die Vorschrift auf geschäftsähnliche Handlungen grds entspr Anwendung finden (BGH NJW 1989, 1792; Ulrici NJW 2003, 2053, 2054f; Medicus/Petersen AT Rn 198; differenzierend MüKo/Armbrüster Vor § 116 Rn 30), nicht aber auf Realakte (NK/Feuerborn Rn 8). Keine Rolle spielt es, ob es sich um eine empfangsbedürftige oder nicht empfangsbedürftige Willenserklärung handelt (Pal/Ellenberger Rn 4). Ebenso ist es unerheblich, ob eine ausdr oder stillschw Willenserklärung vorliegt (RG 134, 195, 197; BGH 11, 1, 5). Zu differenzieren ist dagegen hins der Anfechtbarkeit bloßen Schweigens. Grds hat Schweigen keinen Erklärungswert; die Nichtabgabe einer Willenserklärung stellt keine Willenserklärung dar und ist daher nicht anfechtbar (Celle NJW 1970, 48; Soergel/Hefermehl Rn 7; s auch BVerwG NJW 2010, 3048, 3049 für den unterbliebenen Widerruf eines Prozessvergleichs). Das Gleiche gilt, wenn das Gesetz Schweigen als Ablehnung behandelt (zB §§ 108 II, 286

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177 II); denn eine Anfechtung könnte nur zur Beseitigung der Ablehnung, nicht aber zu einer Zustimmung führen (NK/Feuerborn Rn 7; Hanau AcP 165, 220, 224). Soweit Schweigen dagegen ausnahmsweise positive Erklärungswirkung hat, ist eine Anfechtung grds möglich (s Vor § 116 Rn 11). 2. Beachtlicher Irrtum. a) Irrtum. Der Irrtum ist die unbewusst unrichtige Vorstellung von der Wirklichkeit. Er muss nicht nur auf einer falschen, sondern kann auch auf einer fehlenden Vorstellung von einem Sachverhalt beruhen (BAG NJW 1960, 2211, 2212). Ein Irrtum liegt dagegen nicht vor, wenn der Erklärende die Möglichkeit bewusst in Kauf nimmt, dass seine Vorstellung unrichtig oder lückenhaft ist, zB weil er sich darüber im Klaren ist, dass er die wirtschaftliche und rechtliche Tragweite der Erklärung nicht übersieht oder weil er bewusst die Unkenntnis des Inhalts in Kauf nimmt (BGH NJW 1951, 705). Daher kann der Unterzeichner einer Urkunde nicht anfechten, wenn er bewusst weder Kenntnis von dem Inhalt genommen hat noch eine Vorstellung über den Inhalt der Urkunde hat; denn es ist kein Geschäftswille vorhanden, der von der Erklärung abweichen könnte (RG 77, 309, 312; BAG NJW 1971, 639, 640; BGH NJW 2002, 956, 957). Dies soll auch dann gelten, wenn die Unkenntnis darauf beruht, dass der Erklärende die Sprache nicht versteht, in der die Urkunde abgefasst worden ist (Köln VersR 2000, 243; LG Memmingen NJW 1975, 451, 452). Dagegen ist eine Anfechtung möglich, wenn der Erklärende zwar ein Schriftstück unterzeichnet hat, ohne es zu lesen, aber über dessen Inhalt eine Vorstellung hatte, die sich als falsch herausstellt (BAG NJW 1971, 639, 640; BGH 1995, 190, 191; differenzierend Flume AT II § 23, 2b). Praktisch führt diese Abgrenzung dazu, dass eine Anfechtung jedenfalls dann in Betracht kommen wird, wenn die Urkunde einen Inhalt hatte, mit dem der Unterzeichner unter keinen Umständen rechnen musste; denn gewisse Mindestvorstellungen über den Inhalt der Urkunde wird der Erklärende stets haben (Staud/Singer Rn 11f). Möglich ist eine Anfechtung entspr diesen Grundsätzen ferner dann, wenn der Unterzeichnende eine Urkunde in der irrigen Annahme, es handele sich um eine gegenständlich andere Urkunde, unterschreibt, oder eine nach seinem Diktat fehlerhaft abgefasste Urkunde ohne weitere Prüfung abzeichnet (Flume AT II § 23, 2b). Ging der Erklärende schließlich irrtümlich davon aus, die von ihm ungelesen unterschriebene Urkunde enthalte keine rechtserhebliche Erklärung, kann er bereits entspr § 119 wegen fehlenden Erklärungsbewusstseins anfechten (s Vor § 116 Rn 15). Die gleichen Grundsätze gelten bei der Vereinbarung von AGB, die der Erklärende zuvor nicht gelesen hat (Pal/ Ellenberger Rn 9). Hat der Vertragspartner des Verwenders von dem Inhalt der AGB weder konkrete Vorstellungen noch Kenntnis, so liegt kein zur Anfechtung berechtigender Irrtum vor, wenn die AGB von seinen Vorstellungen abweichen. Handelt es sich allerdings um überraschende Klauseln, werden sie nicht Vertragsbestandteil (§ 305c), so dass es einer Anfechtung nicht bedarf. Hatte der Erklärende dagegen konkrete Vorstellungen vom Inhalt der AGB und stimmten diese Vorstellungen nicht mit dem tatsächlichen Inhalt überein, liegt ein Inhaltsirrtum vor (Soergel/Hefermehl Rn 14; Staud/Singer Rn 26). Abw sind dagegen die Fälle eines abredewidrig unterzeichneten Blanketts zu behandeln. Zwar hat auch hier die Urkunde einen anderen Inhalt als der Erklärende annimmt, und der Erklärende ist dieses Risiko bewusst eingegangen, indem er die vollständige Urkunde nicht vor der Unterzeichnung gelesen hat. Jedoch ergibt sich die Haftung des Blankettausstellers ggü (gutgläubigen) Dritten bei abredewidriger Ausfüllung des Blanketts entspr § 172 aus dem von ihm durch die Weitergabe gesetzten Rechtsschein (BGH 40, 65, 68; 40, 297, 304f; 113, 48, 53; BGH NJW 1996, 1467, 1469; Staud/Singer Rn 31; Medicus/Petersen AT Rn 913); eine Anfechtung scheidet daher aus (aA noch RG 105, 83, 185). Ist der Blankettnehmer zugleich Erklärungsempfänger, erwirbt dieser durch die abredewidrige Ausstellung von vornherein keine Rechte; einer Anfechtung bedarf es nicht (Soergel/Hefermehl Rn 16). Eine Anfechtung kommt entspr § 166 I allerdings in Betracht, wenn der Blankettnehmer nicht absichtlich, sondern irrtümlich falsch ausfüllt (Staud/Singer Rn 31f). b) Beachtlichkeit des Irrtums. Nicht alle Irrtümer des Erklärenden sind relevant. Beachtlich sind nach § 119 drei Fälle des Irrtums. § 119 I behandelt den Fall, dass jemand „bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war“ (Inhaltsirrtum) und den Fall, dass der Erklärende „eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte“ (Erklärungsirrtum). Nach § 119 II ist dem Inhaltsirrtum der Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften der Person oder der Sache gleichgestellt. aa) Erklärungsirrtum (Abs I Fall 2). Beim Erklärungsirrtum wählt der Erklärende unbewusst ein falsches Erklärungszeichen. Er äußert tatsächlich etwas anders, als er äußern wollte, zB weil er sich verspricht, verschreibt oder vergreift. Notwendig ist also ein Fehler bei der Erklärung. Kein Erklärungsirrtum liegt daher vor, wenn der Erklärende ein Preisschild falsch abliest und deswegen in seinem Angebot einen zu niedrigen Preis nennt (Staud/ Singer Rn 34; Habersack JuS 1991, 548, 551; aA LG Hannover NJW-RR 1986, 156; Pal/Ellenberger Rn 10); der Irrtum erfolgt in diesem Fall bereits im Vorfeld der Erklärung und stellt daher einen unbeachtlichen Motivirrtum dar. Gleiches gilt, wenn der Erklärende einen zu niedrigen Preis angibt, weil er eine veraltete Preisliste benutzt (LG Bremen NJW 1992, 915). Bei elektronischen (automatisierten) Willenserklärungen sind dagegen teilw auch Fehler im Vorfeld der Erklärung beachtlich: So soll ein Erklärungsirrtum auch dann vorliegen, wenn sich der Erklärende bei der Eingabe der Daten in das System vertippt (Hamm NJW 1993, 2321; AG Lahr NJW 2005, 991; Mehrings MMR 1998, 30, 31) oder die Erklärung durch einen Computerfehler verfälscht wird (BGH NJW 2005, 976, 977, wo allerdings wohl eher ein Inhaltsirrtum vorlag, s Singer LMK 2005, 67, 68). Dagegen liegt ein unbeachtlicher Motivirrtum vor, wenn die falschen Daten in das System eingegeben werden (BGH NJW-RR 2009, 1641, 1643; Staud/Singer Rn 36f; Mehrings MMR 1998, 30, 32). Ebenso bilden Softwarefehler keinen Erklärungs-, sondern einen Motivirrtum (Frankfurt BKR 2005, 117, 119; skeptisch Spindler JZ 2005, 793, 794). Arnold

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bb) Inhaltsirrtum (Abs I Fall 1). Beim Inhaltsirrtum (Bedeutungsirrtum) verwendet der Erklärende zwar die Erklärungszeichen, die er gebrauchen will; er misst diesem Erklärungstatbestand aber einen anderen Sinn (Bedeutung, Tragweite) bei, als ihm objektiv (am Erklärungsort) zukommt. Bei objektiver Mehrdeutigkeit liegt hingegen bei Verträgen Dissens vor; zur Abgrenzung vgl Rn 5. Um festzustellen, ob der in der Erklärung nicht zum Ausdruck gekommene Wille von dem objektiven Erklärungstatbestand abweicht, ist zunächst durch Auslegung (§§ 133, 157) zu ermitteln, was Inhalt der abgegebenen Willenserklärung ist (zum Verhältnis von Auslegung und Anfechtung vgl Rn 4 sowie Staud/Singer Rn 39ff). Typischer Fall für einen Inhaltsirrtum ist der sog Verlautbarungsirrtum, bei dem der Erklärende einen Begriff in Unkenntnis seiner objektiven Bedeutung in einem anderen als dem objektiven Sinne verwendet. Hierunter fällt etwa die Verwechselung von Münzbezeichnungen oder Gewichts- oder Maßeinheiten (LG Hanau NJW 1979, 721: 25 Gros Rollen Toilettenpapier). Ferner kommt die falsche Verwendung fach- oder fremdsprachlicher Ausdrücke in Betracht (BeckOK/Wendtland Rn 31). Freilich ist der Anwendungsbereich des Abs I Fall 1 nicht auf die Fälle des Verlautbarungsirrtums beschränkt. Ein Inhaltsirrtum ist vielmehr auch dann möglich, wenn der Erklärende die Erklärungszeichen zwar in ihrem objektiv richtigen Sinn verwendet, aber sich bei der Auslegung ein vom Willen des Erklärenden abw Inhalt der Erklärung ergibt. (1) Identitätsirrtum. Eine Erklärung ist auch dann nach Abs I Fall 1 anfechtbar, wenn sich der Erklärende über die Identität des Geschäftspartners oder des Geschäftsgegenstands (error in persona/error in objecto) irrt. So liegt ein derartiger Identitätsirrtum etwa vor, wenn die falsche Grundbuchbezeichnung für ein Grundstück verwendet wird oder versehentlich der falsche Handwerker beauftragt wird (Pal/Ellenberger Rn 11, 13; Staud/Singer Rn 45). Ebenso kann der Irrtum über den Inhalt des erworbenen Rechts nach Abs I beachtlich sein (RG 95, 112, 115). Im Einzelfall kann sich hier allerdings das Problem der Abgrenzung zum Eigenschaftsirrtum nach Abs II ergeben. Insoweit wird man unterscheiden müssen, ob mit der Erklärung der Geschäftsgegenstand oder -gegner körperlich zutr identifiziert worden ist (Flume AT II § 23, 4b; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 52f; Jauernig/Mansel Rn 9): Ist bereits dies nicht gelungen, liegt ein Inhaltsirrtum vor. Ist dagegen der Gegenstand bzw die Person körperlich zutr identifiziert worden, weist aber nicht die erwarteten Eigenschaften auf, so kann sich eine Anfechtbarkeit allein aus Abs II ergeben. Entspr muss bei Gattungskäufen gelten: Eine Anfechtung nach Abs I kann nur in Betracht kommen, wenn das benutzte Erklärungszeichen nicht die Gattung kennzeichnet, die der Erklärende meinte. Dagegen genügt es nicht, wenn der Erklärende bei seiner Erklärung die Vorstellung hatte, die Gattung weise Eigenschaften auf, die diese tatsächlich nicht hat (vgl Flume AT II § 23, 4c; Medicus/Petersen AT Rn 764; teilw abw wohl MüKo/Armbrüster Rn 79 und die sogleich zu erörternde Lehre von der Sollbeschaffenheit). (2) Irrtum über die Sollbeschaffenheit? Zu abw Ergebnissen kommt in diesem Zusammenhang freilich die sog Lehre vom Irrtum über die Sollbeschaffenheit. Ein solcher soll vorliegen, wenn die Eigenschaften, die die Person oder Sache nach dem Inhalt der Willenserklärung haben sollen, nicht mit den Eigenschaften übereinstimmen, die der Erklärende zum Inhalt seiner Erklärung machen wollte (s nur Soergel/Hefermehl Rn 25f). Eine derartige Erweiterung des Inhaltsirrtums ist indes abzulehnen (Flume AT II § 23, 4c; Staud/Singer Rn 48). Der Erklärende irrt sich in diesen Fällen nicht über die Bedeutung des von ihm benutzten Erklärungszeichens, sondern nur über die Beschaffenheit des damit beschriebenen Erklärungsgegenstands. Dies ist aber kein Irrtum bei der Erklärungshandlung, sondern ein bloßer Motivirrtum. (3) Irrtum über den Geschäftstyp. Der Irrtum des Erklärenden kann sich auch auf den Geschäftstyp beziehen. So kann ein Patient anfechten, der sich über die wahre Bedeutung des von ihm unterzeichneten Krankenhausvertrags geirrt hat (LG Köln NJW 1988, 1518). Geht der Erklärende irrtümlich davon aus, dass durch seine Erklärung kein Vertrag, sondern lediglich ein Gefälligkeitsverhältnis begründet wird, liegt ein Fall fehlenden Erklärungsbewusstseins vor, und die Anfechtung ist entspr § 119 I möglich (s Vor § 116 Rn 15; aA Karlsruhe NJW 1989, 907, 908; Pal/Ellenberger Rn 12, die eine Anfechtung für ausgeschlossen halten). Soweit der Erklärende iÜ über die Geschäftsart irrt, handelt es sich vielfach um einen – sogleich zu behandelnden – Irrtum über die Rechtsfolge (s dazu auch Jauernig/Mansel Rn 8). (4) Irrtum über die Rechtsfolge. Irrtümer über die Rechtsfolge stellen einen unbeachtlichen Motivirrtum dar, wenn der Erklärende über Rechtsfolgen irrt, die das Gesetz zusätzlich an seine Willenserklärung knüpft (RG 88, 278, 284; BGH 70, 47, 48; 134, 152, 156; NJW 2008, 2441, 2443; Staud/Singer Rn 68; Flume AT II § 23, 4d). Da die Rechtsfolge in diesem Fall nicht Inhalt der rechtsgeschäftlichen Erklärung geworden ist, fallen Wille und Erklärung nicht auseinander. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob der Erklärende die fragliche Rechtsfolge überhaupt nicht kennt oder irrtümlich Tatsachen annimmt, bei deren Vorliegen die gesetzliche Rechtsfolge nicht einträte (Flume AT II § 23, 4d). Unbeachtlich ist daher der Irrtum über das Bestehen eines gesetzlichen Rücktrittsrechts (BGH NJW 2002, 3100, 3103). Kein Anfechtungsrecht besteht ferner, wenn der Verkäufer irrtümlich der Ansicht ist, er hafte nicht für Mängel (Flume AT II § 23, 4d; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 89), oder der Übernehmer über einzelne Regelungen des übernommenen Vertrags irrt (BGH NJW 1999, 2664, 2665). Ebenso ist es unerheblich, wenn den Parteien ein bestehendes Vorkaufsrecht nicht bekannt ist (Stuttgart NJW 1987, 571, 572) oder jemand in das Handelsgeschäft eines Einzelkaufmanns eintritt, ohne die damit verbundene Haftung für die Altschulden nach § 28 HGB zu kennen (RG 76, 439, 440; Flume AT II § 23, 4d). Kein Anfechtungsrecht soll auch bestehen, wenn eine schwangere Arbeitnehmerin nicht weiß, dass sie durch den Aufhebungsvertrag oder die eigene Kündigung auch ihre Ansprüche nach dem Mutterschutzgesetz verliert (BAG NJW 1983, 2958; 1992, 2173; anders Staud/Sin288

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ger Rn 75). Bei einer Zwangsversteigerung kann der Bieter sein Gebot nicht wegen eines Irrtums über den Umfang der nach den Versteigerungsbedingungen bestehen bleibenden Rechte anfechten (BGH NJW 2008, 2442, 2443). Bildet dagegen der erstrebte rechtliche Erfolg einen Bestandteil der Erklärung, stellt eine irrige Vorstellung von dieser Rechtsfolge einen Inhaltsirrtum dar (RG 88, 278, 284; 89, 29, 33f; BGH NJW 2006, 3353, 3355; Soergel/Hefermehl Rn 24; Staud/Singer Rn 67f); denn die Erklärung hat einen anderen Sinn, als der Erklärende mit ihr verbindet. Daher ist derjenige zur Anfechtung berechtigt, der eine Sache in der irrigen Annahme „verleiht“, dass damit eine entgeltliche Gebrauchsüberlassung gemeint sei (Staud/Singer Rn 69). Wer vertragliche Erklärungen abgibt oder ihnen zustimmt, ohne zu wissen und zu wollen, dass hierdurch ein bereits bestehender Vertrag abgeändert wird, kann ebenso anfechten (Pal/Ellenberger Rn 15). Ein Inhaltsirrtum liegt ferner vor, wenn eine Hypothek in der irrigen Annahme bestellt wird, sie erhalte die zweite Rangstelle, während sie tatsächlich die erste Rangstelle erhält (RG 89, 29, 33f; Flume AT II § 23, 4d). Gleiches soll gelten, wenn der Inhaber einer erstrangigen Eigentümergrundschuld diese löschen lässt und gleichzeitig beantragt, dass hierdurch eine drittrangige Hypothek den ersten Rang erhalten soll (RG 88, 278, 284ff; Pal/Ellenberger Rn 15; anders Flume AT II § 23, 4d, der den Fall bereits im Wege Auslegung lösen will). Im Erbrecht soll ein Anfechtungsrecht nach § 119 I bestehen, wenn der Erblasser die gesetzlichen Erben als Erben einsetzt und dabei über den Kreis der gesetzlichen Erben irrt (RG 70, 391, 394; i Erg auch Flume AT II § 23, 4d). Zur Anfechtung der Annahme der Erbschaft s § 1954 Rn 3ff. (5) Kalkulationsirrtum. Beim Kalkulationsirrtum (Berechnungsirrtum) irrt der Erklärende entweder über einen Umstand (Rechnungsfaktor), den er seiner Berechnung (Kalkulation) zugrunde legt, oder er irrt bei der Berechnung selbst. Wird dem Geschäftsgegner in einer Willenserklärung lediglich das Ergebnis einer Berechnung bekannt gegeben, nicht aber die Kalkulationsgrundlage (interner bzw verdeckter Kalkulationsirrtum), so handelt es sich nur um einen unbeachtlichen Motivirrtum; eine Anfechtung ist nicht möglich (BGH 139, 177, 180f; NJW-RR 1986, 569, 570; 2003, 921, 923; NJW 2002, 2312; Staud/Singer Rn 51; Pawlowski JZ 1997, 741; aA Birk JZ 2002, 446, 449f). Hat der andere Teil den Fehler erkannt, kann ihn jedoch eine Pflicht treffen, den anderen Teil auf den Berechnungsfehler hinzuweisen; andernfalls haftet er nach §§ 311 II, 280 I (BGH 139, 177, 184; NJW 1980, 180; 2015, 1513; NJW-RR 1986, 569; für teleologische Extension der Irrtumsvorschriften Staud/Singer Rn 64). IÜ kann der Empfänger wegen unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) die Durchführung des Vertrags nicht verlangen, wenn er ein Vertragsangebot annimmt und auf der Durchführung des Vertrags besteht, obwohl er weiß (oder sich treuwidrig der Kenntnisnahme entzieht), dass dem Angebot ein Kalkulationsirrtum des Erklärenden zugrunde liegt, und die Vertragsdurchführung für den Erklärenden schlechthin unzumutbar ist (BGH 139, 177, 184; München NJW 2003, 367; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 83). Für den Fall, dass die fehlerbehaftete Kalkulation im Zusammenhang mit der Willenserklärung offengelegt wird (offener oder externer Kalkulationsirrtum) und damit der Fehler für den Geschäftsgegner erkennbar war, ließ das RG die Anfechtbarkeit wegen Inhaltsirrtums zu, da die Kalkulation Inhalt der Erklärung geworden sei (RG 64, 266, 268; 90, 268, 271; 162, 198, 201). Das sollte zB für einen Kaufpreis gelten, der nach einem unrichtigen Börsenkurs (RG 116, 15, 17) oder nach einem falschen Devisenkurs (RG 105, 406, 407) berechnet wurde, oder auch für den Fall, dass der Kalkulationsirrtum auf einem Rechenfehler beruhte, der bei der Preisberechnung in Gegenwart des Geschäftsgegners unterlief (RG 101, 107, 108). Diese Ansicht ist indes überholt. Inzwischen hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass es sich bei dem erkennbaren externen Kalkulationsfehler ebenfalls um einen schon zum Stadium der Willensbildung des Erklärenden gehörenden (einseitigen) Irrtum im Beweggrund handelt, der von keinem der gesetzlichen Anfechtungsgründe erfasst wird (BGH 139, 177, 182f; Staud/Singer Rn 53; Flume AT II § 23, 4e; Medicus/Petersen AT Rn 757ff). Dem ist zuzustimmen: Nicht jede Information, die ein Teil in Vertragsverhandlungen einbringt, ist schon dadurch Inhalt seiner Willenserklärung. Der externe Kalkulationsirrtum ist idR wie der interne ein Irrtum im Motiv. Das Motiv wird nicht ohne weiteres schon dadurch zum Inhalt der Erklärung, dass der Erklärende es dem Erklärungsempfänger mitteilt. Die gewollte und die objektive Bedeutung der Erklärungshandlung stimmen in diesen Fällen überein. Das Risiko einer einseitigen unrichtigen Kalkulation muss im Regelfall der Erklärende tragen. IÜ lässt sich der Schutz des Erklärenden beim offenen Kalkulationsirrtum auch ohne Rückgriff auf die Irrtumsanfechtung sicherstellen. Insb kann die Auslegung vielfach bereits zu dem Ergebnis führen, dass die Parteien nicht zu dem falsch berechneten Endbetrag abschließen wollten; die Angabe des unrichtigen Betrags stellt in diesem Fall eine unschädliche falsa demonstratio dar (Frankfurt WM 2001, 565; LG Aachen NJW 1982, 1106; MüKo/Armbrüster Rn 89; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 74f; vgl auch BGH NJW 2006, 3139). Voraussetzung ist freilich, dass beide Parteien übereinstimmend nicht das konkrete Ergebnis, sondern die Berechnungsgrundlagen für wesentlich halten. Dem nah verwandt sind Fälle, in denen sich beide Parteien gemeinschaftlich über die Berechnungsgrundlage geirrt haben. Sie lassen sich unschwer über die Grundsätze zum Fehlen der Geschäftsgrundlage (§ 313) lösen (BGH 46, 268, 273; Staud/Singer Rn 60; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 76ff). Handelt es sich dagegen um eine einseitige Kalkulation, soll § 313 nur anwendbar sein, wenn der Vertragspartner sich die unrichtige Kalkulation soweit zu eigen gemacht hat, dass eine Verweigerung der Anpassung gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen würde (BGH NJW-RR 1995, 1360; s auch BGH NJW 1981, 1551, 1552). Bestand zw den Parteien kein Einvernehmen hins der Berechnungsgrundlagen, so kann bei offengelegter Kalkulation zunächst eine Perplexität der Erklärung des Irrenden in Betracht kommen (Medicus/Petersen AT Rn 759). Ergibt die Auslegung der Erklärung des einen Teils, dass dieser nur zum korrekten Preis kontrahieren wollte, während der andere Teil zum – falsch berechneten – Endpreis abschließen wollte, ist infolge Dissenses bereits kein Vertrag zustande gekommen (Pal/Ellenberger Rn 21). IÜ sind die Grundsätze über das Verschulden bei VerArnold

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tragsverhandlungen heranzuziehen: Hat der Erklärungsgegner selbst in zurechenbarer Weise den Kalkulationsirrtum herbeigeführt, haftet er dem Erklärenden nach §§ 311 II, 280 I auf Vertragsaufhebung (Wolf/Neuner AT § 41 Rn 85; Medicus/Petersen AT Rn 761; für Anfechtungsrecht Staud/Singer Rn 57). Ferner kann ein derartiger Anspruch aus cic im Einzelfall bestehen, wenn der Erklärungsgegner es unterlassen hat, den Erklärenden auf einen erkannten Kalkulationsirrtum hinzuweisen (s schon oben Rn 30). Zuletzt kann es dem Erklärungsgegner nach Treu und Glauben verwehrt sein, bei einem erkannten Kalkulationsirrtum Vertragsdurchführung zu verlangen (s oben Rn 30). Notwendig ist freilich stets die Kenntnis des Irrtums; bloße Erkennbarkeit genügt nicht (BGH 139, 177, 184; NJW 1980, 180). Dem soll es allerdings gleichstehen, wenn der Erklärungsempfänger sich bewusst einer Kenntnisnahme verschlossen hat (BGH 139, 177, 180; Staud/Singer Rn 66). cc) Eigenschaftsirrtum (Abs II). Anders als bei den in Abs I geregelten Irrtümern fallen bei Eigenschaftsirrtum gem Abs II Wille und Erklärung nicht auseinander. Vielmehr irrt der Erklärende über außerhalb der Erklärung liegende Umstände, die ihn zur Abgabe der Erklärung bewegt haben. Daher liegt es nahe, den Erklärungsirrtum als ausnahmsweise beachtlichen Motivirrtum anzusehen (so Wolf/Neuner AT § 41 Rn 51; Pal/Ellenberger Rn 23; Staud/Singer Rn 79). Freilich ist diese Einordnung nicht unstr. Nach anderer Auffassung soll es sich um einen Erklärungsirrtum eigener Art handeln (Schmidt-Rimpler, FS Lehmann, 1956, 213, 220ff; Soergel/Hefermehl Rn 35). § 119 II diene als Auslegungsregel nur der Klarstellung, dass Eigenschaften einer Person oder Sache auch dann zum gewollten Inhalt der Willenserklärung gehörten, wenn der Erklärende es unterlassen habe, die Eigenschaft, die er sich vorstelle, „unmittelbar“ in seiner Erklärung zu bezeichnen. Schließlich wird vertreten, dass auch die Vorstellungen über die Eigenschaften einer Person oder Sache Bestandteil der Willenserklärung sein könnten; beachtlich sei der Eigenschaftsirrtum nicht infolge des Irrtums, sondern aufgrund der Tatsache, dass der Gegenstand oder die Person hins ihrer Eigenschaften nicht dem Rechtsgeschäft entspreche (Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum, s Flume AT II § 24, 2b). Konsequenzen hat diese Kontroverse für den Anwendungsbereich der Vorschrift und dabei insb für das Merkmal der „Verkehrswesentlichkeit“ (Medicus/Petersen AT Rn 768). Allerdings haben sich hier inzwischen praktisch die unterschiedlichen Standpunkte weitgehend angenähert (s sogleich Rn 36). (1) Eigenschaften. Unter den Eigenschaftsbegriff des Abs II fallen neben den auf der natürlichen Beschaffenheit beruhenden Merkmalen auch die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse der Sache oder der Person zur Umwelt, soweit sie nach der Verkehrsanschauung Bedeutung für die Wertschätzung oder Verwendbarkeit haben (BGH 16, 54, 57; 34, 32, 41; 88, 240, 245). Ganz vorübergehende Erscheinungen scheiden regelmäßig als Eigenschaften iSd § 119 II aus (Pal/Ellenberger Rn 24); ebenso zählen zukünftige Umstände nicht zu den Eigenschaften (RG 85, 322, 324f; Stuttgart MDR 1983, 751). Zudem sollen die Beziehungen einer Sache zu ihrer Umwelt nach Auffassung der Rspr nur dann eine Eigenschaft darstellen, wenn sie in der Sache selbst ihren Grund haben, von ihr ausgehen und den Kaufgegenstand kennzeichnen oder näher beschreiben (BGH 16, 54, 57; 70, 47, 48; aA Staud/Singer Rn 88). (2) Verkehrswesentlichkeit. Das Merkmal der Verkehrswesentlichkeit bildet die entscheidende Grenze für die Irrtumsanfechtung. Seine Auslegung wurde lange kontrovers diskutiert (s Staud/Singer Rn 80f und Erman/ Palm12 Rn 43). Inzwischen dürfte freilich im Grundsatz Einigkeit darüber bestehen, dass der Begriff weder rein subjektiv noch rein objektiv bestimmt werden kann. So sind nach Auffassung der Rspr zwar grds nur solche Eigenschaften als verkehrswesentlich anzusehen, die infolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach den Anschauungen des Verkehrs Einfluss auf die Wertschätzung der Person oder Sache auszuüben pflegen (BGH 16, 54, 57; 88, 240, 245f). Doch verlangt der BGH weiterhin, dass auf das angefochtene Geschäft und seine Zielsetzung abgestellt wird. Als verkehrswesentlich dürften „nur solche Eigenschaften … berücksichtigt werden, die von dem Erklärenden in irgendeiner Weise erkennbar dem Vertrag zugrunde gelegt worden sind“ (BGH 88, 240, 246; s auch schon BGH 16, 54, 57). Damit kommt die Rspr regelmäßig zu den gleichen Ergebnissen wie die Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum, die nur solche Eigenschaften als verkehrswesentlich ansieht, auf welche sich das Rechtsgeschäft kraft besonderer Bestimmung oder nach der Art des Geschäftstypus bezieht (Flume AT II § 24, 2d; s zur Abgrenzung auch Staud/Singer Rn 80 und zu möglichen Unterschieden im Detail Medicus/ Petersen AT Rn 768 f). Gehört eine Eigenschaft zu dem (durch Auslegung ermittelten) Inhalt der Erklärung, so kann damit auch ein nur subjektiv erheblicher Umstand eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellen (s nur BGH 88, 240, 245f: Werkvertrag mit einem nicht in die Handwerksrolle eingetragenen gewerblichen Bauhandwerker). Liegt keine entspr Erklärung vor, gelten die typischen Eigenschaften als vereinbart. Einschränkungen hins Verkehrswesentlichkeit könnten sich freilich im Anwendungsbereich des AGG ergeben (vgl dazu auch Pal/ Ellenberger Rn 26): Wenn dieses eine Benachteiligung aufgrund bestimmter Umstände verbietet, liegt es nahe, auch eine auf entspr Gründe gestützte Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums nicht zuzulassen (s dazu schon Erman/Palm12 Rn 45). (3) Person. Als Person iSv Abs II ist zunächst derjenige anzusehen, auf den sich die fehlerhafte Willenserklärung bezieht; es kann aber auch ein Dritter sein (RG 98, 206, 207; 158, 166, 170; Staud/Singer Rn 89), wenn es nach dem Sinn und Zweck des Geschäfts um dessen Eigenschaften geht, zB bei einem Vertrag zugunsten Dritter. Ausnahmsweise kann es auch auf die Eigenschaften des Erklärenden selbst ankommen, zB wenn er bei einem Vertrag über eine persönliche Leistung irrtümlich annimmt, dass er die zur Erbringung der Leistung erforderlichen persönlichen Eigenschaften besitzt (Flume AT II § 24, 4; MüKo/Armbrüster Rn 126), oder wenn er bei der Übernahme einer Nebentätigkeit nicht wusste, dass sie mit seiner Haupttätigkeit nicht vereinbar ist (Düsseldorf JW 1921, 537). 290

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Als verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person kann etwa der Gesundheitszustand in Betracht kommen; dies gilt jedoch nur, soweit dadurch die Erfüllung der Vertragspflichten ausgeschlossen wird (BAG AP Nr 3 § 119; skeptisch Staud/Singer Rn 93). Schon im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung begründen dagegen bei Arbeitsverträgen grds weder die Schwangerschaft (EuGH NJW 1996, 2077) noch das Geschlecht (Staud/Singer Rn 94) eine verkehrswesentliche Eigenschaft. Auch die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit können relevant sein (RG 90, 342, 344; MüKo/Armbrüster Rn 127). Ist eine jur Pers Vertragspartner, kommt es dabei auf ihren maßgeblichen Vertreter an (Soergel/Hefermehl Rn 40). Voraussetzung für eine Anfechtbarkeit ist aber, dass der Vertrag eine vertrauensvolle Zusammenarbeit voraussetzt. Verkehrswesentlichkeit ist daher bei Baubetreuungsverträgen (BGH WM 1970, 906f), Miet- und Pachtverträgen (RG 102, 225, 226) und Maklerverträgen (Staud/Singer Rn 90; Pal/Ellenberger Rn 26) zu bejahen, regelmäßig aber nicht bei Güteraustauschverträgen (RG 107, 208, 212). Vorstrafen können eine verkehrswesentliche Eigenschaft eines ArbN darstellen, wenn sie einen Bezug zu seiner Tätigkeit haben (BAG AP Nr 2 zu § 123; Staud/Singer Rn 91). Irrelevant soll mangelnde Wahrheitsliebe bei einem ungelernten Arbeiter sein (BAG NJW 1970, 1565, 1566). Beim Abschluss eines Personalberatungsvertrags soll die Zugehörigkeit der eingestellten Person zur Scientology-Sekte eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellen (LG Darmstadt NJW 1999, 365, 366). Verkehrswesentlich kann schließlich auch die fehlende berufliche Qualifikation sein. So kann ein Werkvertrag mit einem Handwerkerbetrieb, der nicht in die Handwerkerrolle eingetragen ist, anfechtbar sein, wenn der Betrieb als Meisterbetrieb dargestellt wird und es dem Kunden gerade darauf ankam (Hamm NJW-RR 1990, 523). Hat der Besteller nicht deutlich gemacht, dass er hierauf Wert legt, scheidet eine Anfechtung jedoch aus (BGH 88, 240, 246; LG Görlitz NJW-RR 1994, 117, 118). Die Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit eines Darlehensnehmers sollen eine verkehrswesentliche Eigenschaft darstellen (RG 66, 385, 389; Staud/Singer Rn 92; MüKo/Armbrüster Rn 128; Soergel/Hefermehl Rn 42). Soweit es um Vorleistungspflichten im gegenseitigen Vertrag geht, ist dabei allerdings der Vorrang des § 321 zu beachten (s Rn 8). Bei Bargeschäften spielt die Kreditwürdigkeit dagegen regelmäßig keine Rolle (RG 105, 206, 208f). Ferner kann die Übernahme einer Bürgschaft nicht wegen Irrtums über die Solvenz des Hauptschuldners angefochten werden, da der Bürge nach dem Sinn des Vertrags gerade auch für dieses Risiko einstehen soll (RG 134, 126, 129; MüKo/Habersack § 765 Rn 37; Flume AT II § 24, 4). Ebenso sind der Irrtum des Bürgen über die Verwendung des Kredits, das Bestehen von Ausgleichsansprüchen bei Zahlung oder andere Sicherheiten unbeachtlich (Staud/Singer Rn 89). Dagegen berechtigt den Gläubiger der Irrtum über die Zahlungsfähigkeit des Bürgen zur Anfechtung des Kreditgeschäfts mit dem Hauptschuldner (MüKo/Armbrüster Rn 128; Medicus/Petersen BürgR Rn 137). (4) Sachen. Der Sachbegriff des Abs II ist nicht mit dem des § 90 identisch. Erfasst sind nicht nur körperliche Gegenstände, sondern jeder Gegenstand, der von der Verkehrsanschauung als Objekt des Rechtsverkehrs anerkannt ist (RG 149, 235, 238; BGH WM 1963, 252, 253; BGH LM § 779 Nr 2; Staud/Singer Rn 95), zB Forderungen, Rechte oder auch Sachgesamtheiten wie Unternehmen. Die Sache muss aber Objekt des Rechtsgeschäfts sein (Pal/Ellenberger Rn 27). Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache sind etwa: ihr Alter (BGH 78, 216, 221; NJW 1979, 160, 161); ihre Herkunft oder ihre Echtheit (BGH NJW 1989, 2597, 2599) sowie das Vorhandensein eines Gutachtens, das die Echtheit bestätigt (BGH NJW 1972, 1658), nicht aber die gemeinsame Überzeugung der Vertragsparteien von der Echtheit (Düsseldorf NJW 1992, 1326); Stoff und Bestand (RG 101, 64, 68); der Umfang eines Nachlasses (BGH 106, 359, 363; Düsseldorf NJWE-FER 1999, 242; BayObLG NJW-RR 1999, 590, 592) und die Höhe einer Forderung, die Gegenstand eines Rechtsgeschäfts ist (str, Soergel/Hefermehl Rn 53; Pal/Ellenberger Rn 27; aA BGH LM Nr 2 § 779). Keine wesentlichen Eigenschaften bilden dagegen zB künftige Änderungen in der Rspr oder der Gesetze in einer Frage, die die Sache betreffen (RG 112, 329, 332), behauptete, wissenschaftlich aber nicht belegte Gesundheitsgefahren (LG Karlsruhe MMR 2005, 860, 862), das Eigentum an einer Sache (BGH 34, 32, 41) sowie die Nichtexistenz der Sache und schließlich im Gegensatz zu den wertbildenden Faktoren der Wert oder Marktpreis einer Sache (BGH 16, 54, 57; WM 1963, 252, 253); die Kaufkraft des Geldes (RG 11, 257, 259). Bei Grundstücken und Grundstücksrechten sind – bezogen auf den Käufer – die Grenzen (RG Recht 1912 Nr 2797), der Umfang und die Lage (RG 161, 330, 333), die Bebaubarkeit (BGH 34, 32, 41), die Freiheit des Grundstücks von Baubeschränkungen und Straßenbaukosten (RG JW 1912, 850) oder von öffentlichen Lasten, Festlegungen eines Bebauungsplans (Köln VersR 2000, 243), das Recht, die Bebauung des Nachbargrundstücks zu verbieten (RG 61, 84, 87) oder die Kinderfreundlichkeit einer vermieteten Wohnung (LG Essen NZM 2006, 294) als wesentliche Eigenschaften angesehen worden. Aus der Sicht des Verkäufers sollen die Genehmigungsfähigkeit des Grundstückskaufpreises und die Höhe von Grundstücksbelastungen keine verkehrswesentlichen Eigenschaften sein (Schleswig VIZ 1993, 34, 35f). Für die Eigenschaft eines Grundpfandrechts kommt es nur auf das Recht selbst, nicht aber auf die wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse des belasteten Grundstücks an (RG 149, 235, 238). dd) Motivirrtum. Außerhalb des Abs II berechtigen Irrtümer im Beweggrund (Motivirrtümer) nicht zur Anfechtung. Vielmehr ist der einseitige Motivirrtum regelmäßig unbeachtlich (s schon Vor § 116 Rn 19; anders für vom Geschäftspartner verschuldete oder erkannte Motivirrtümer Staud/Singer Rn 78). Ausnahmen von diesem Grundsatz sieht das Erbrecht in den §§ 2078 II, 2079, 2308 vor. Unerhebliche Motivirrtümer sind demnach etwa Irrtum über den Wert einer Sache (s Rn 41), ein Irrtum über die Entwicklung der Kaufkraft des Geldes Arnold

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(RG 111, 257, 260), der Irrtum über das Bestehen einer Verpflichtung beim Anerkenntnis (RG 156, 70, 74), Kalkulationsirrtümer (s Rn 38) oder Irrtümer über eine kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge (Rn 28). Grds beachtlich sind dagegen beiderseitige Motivirrtümer. Hier gehen beide Vertragspartner übereinstimmend von einem bestimmten unrichtigen Motiv aus. Derartige Irrtümer sind gem § 313 II nach den Grundsätzen über das Fehlen der Geschäftsgrundlage zu beurteilen (s Vor § 116 Rn 21). 3. Kausalzusammenhang. Voraussetzung für das Anfechtungsrecht nach § 119 ist, dass der Irrende seine Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde (§ 119 I). Damit stellt das Gesetz auf die subjektive und objektive Erheblichkeit des Irrtums ab (s auch Staud/Singer Rn 101). Auf ein Verschulden des Erklärenden kommt es nicht an, so dass auch ein grob fahrlässiger Irrtum eine Anfechtung nicht ausschließt. Die Kausalität des Irrtums für die Willenserklärung ist demnach zunächst subjektiv zu ermitteln. Die subjektive Erheblichkeit des Irrtums ist zu verneinen, wenn der Erklärende auch ohne den Irrtum die Erklärung abgegeben hätte. Hat der Erklärende zB bei seiner Erklärung ein Risiko bewusst in Kauf genommen und verwirklicht sich dieses Risiko, so fehlt es bereits an der subjektiven Kausalität. Ist die subjektive Erheblichkeit gegeben, ist das objektive Element der verständigen Würdigung zu prüfen. Hierfür kommt es darauf an, ob der Erklärende aus nachvollziehbaren Motiven, also „frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen“ (RG 62, 201, 206; BGH NJW 1988, 2597, 2599; BAG NJW 1991, 2723, 2726) gehandelt hat. Notwendig ist also eine Beurteilung der individuellen Umstände des Erklärenden aus der Sicht eines vernünftigen Dritten. Die objektive Kausalität wird idR fehlen, wenn der Erklärende wegen des Irrtums wirtschaftlich keine Nachteile erleidet (RG 128, 116, 121; Zweibrücken FGPrax 1996, 113, 114). Doch kann etwa beim Verkauf von Kunstgegenständen eine abw Beurteilung geboten sein (BGH NJW 1988, 2597, 2599). An der objektiven Erheblichkeit fehlt es ferner, wenn der Irrtum sich lediglich auf unwesentliche Vertragspunkte bezieht (RG Recht 1915 Nr 2214; Staud/Singer Rn 101) oder wenn der Anfechtende zur Abgabe der entspr Willenserklärung verpflichtet war (München WRP 1985, 237, 238). VI. Verzicht, Abdingbarkeit und Verwirkung. Der Erklärende kann auf ein bereits entstandenes Anfechtungsrecht verzichten (s nur Staud/Singer Rn 105). Große praktische Bedeutung hat dies wegen der kurzen Anfechtungsfrist freilich nicht. Möglich ist auch eine nachträgliche Bestätigung (§ 144). Daneben kann die Irrtumsanfechtung auch individualvertraglich im Voraus abbedungen werden (MüKo/Armbrüster Rn 140; Staud/Singer Rn 105). Dagegen wird ein Verzicht in AGB regelmäßig an § 307 I scheitern (so für den Ausschluss des Einwands von Preis- und Kalkulationsirrtümern im Bauträgervertrag BGH NJW 1983, 1671; ferner Pal/Ellenberger Rn 3; Staud/Singer Rn 105). Wird vertraglich die Gewährleistung wegen Sachmängeln wirksam ausgeschlossen, so ist damit auch eine Irrtumsanfechtung nach § 119 II ausgeschlossen (BGH 63, 376f; Soergel/Hefermehl Rn 73); denn der Vorrang der §§ 434ff vor der Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtum muss auch dann bestehen, wenn im konkreten Fall keine Rechte wegen eines Sachmangels geltend gemacht werden können (vgl Staud/Singer Rn 111). Nach allg Grundsätzen kann auch eine Verwirkung eines bereits entstandenen Anfechtungsrechts in Betracht kommen (vgl § 242 Rn 101ff; ferner MüKo/Armbrüster Rn 140). Daneben kann ein Anfechtungsrecht wegen eines Irrtums von vornherein nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein. Das Anfechtungsrecht scheidet insb aus, wenn der Erklärungsempfänger damit einverstanden ist, dass das vom Erklärenden Gewollte statt des irrtümlich Erklärten gilt (Verbot des venire contra factum proprium); die Anfechtung gewährt dem Irrenden kein Reurecht (Pal/Ellenberger Rn 2; Flume AT II § 21, 6; Lobinger AcP 195, 274ff). VII. Beweislast. Wer sich auf die Nichtigkeit einer Willenserklärung wegen Irrtumsanfechtung beruft, muss sämtliche Voraussetzungen der Anfechtung beweisen (LAG Düsseldorf NZA-RR 2002, 12, 14; NK/Feuerborn Rn 80). Dazu zählt neben dem Vorliegen des Irrtums auch die Erheblichkeit des Irrtums. Für den Nachw, dass der Erklärende die irrtumsbedingte Willenserklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung nicht abgegeben haben würde, reicht es aus, wenn er die Tatsachen beweist, die diesen Schluss rechtfertigen (RG HRR 1935 Nr 1372; Staud/Singer Rn 119).

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Anfechtbarkeit wegen falscher Übermittlung

Eine Willenserklärung, welche durch die zur Übermittlung verwendete Person oder Einrichtung unrichtig übermittelt worden ist, kann unter der gleichen Voraussetzung angefochten werden wie nach § 119 eine irrtümlich abgegebene Willenserklärung. 1. Bedeutung. Benutzt der Erklärende eine Mittelsperson oder eine Einrichtung, um seine Willenserklärung zu übermitteln, und wird die Erklärung unrichtig übermittelt, so behandelt das Gesetz diesen Übermittlungsfehler wie einen Irrtum in der Erklärungshandlung nach § 119 I Fall 2. Die Erklärung ist anfechtbar; solange sie nicht angefochten ist, bleibt sie wirksam. Das Risiko der Falschübermittlung trifft also im Verkehrsschutzinteresse den Erklärenden; das gilt unabhängig davon, ob der Erklärende sich der Übermittlung auf eigenen Wunsch bedient oder ob er dabei nach den Vorstellungen des Erklärungsempfängers handelt. 2. Voraussetzungen. a) Zur Übermittlung einer fremden Willenserklärung muss eine Übermittlungsperson oder Einrichtung eingesetzt werden. Als Übermittlungspersonen kommen auch Dolmetscher (BGH WM 1963, 165, 166) in Betracht. Die Übermittlungsperson überbringt keine eigene, sondern eine fremde Willenserklärung. 292

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§ 120

Deshalb greift § 120 nicht ein, wenn die Erklärung durch einen Stellvertreter abgegeben wird; dieser gibt eine eigene Erklärung ab (§ 164). In diesem Fall kommt es nur auf die Willensmängel des Vertreters an (§ 166 I). Ebenso ist die Vorschrift nicht auf die Falschübermittlung durch einen Empfangsboten anwendbar; dieses Risiko trägt der Empfänger. Der Begriff Einrichtung soll eine umfassende Regelung auch für die Fälle sicherstellen, in denen sich der Erklärende zur Übermittlung seiner Willenserklärung nicht einer bestimmten Person, sondern einer organisatorischen Einheit bedient. Der Begriff ist entspr weit zu interpretieren. Er umfasst unabhängig von der jew Organisation und Übermittlungstechnik alle – öffentlichen und privaten – Einrichtungen, die – auf welche Weise auch immer – eine fremde Willenserklärung an den Adressaten übermitteln. Dazu gehören insb Post und Telekom und alle anderen Anbieter, die Briefe, E-Mails, Fax, SMS etc übermitteln (vgl Fritzsche/Malzer DNotZ 1995, 3, 13f). Unter § 120 fallen auch automatisierte, von einem Computer erstellte Erklärungen (Frankfurt MMR 2003, 405, 406; Hamm NJW 2004, 2601; Hoffmann NJW 2003, 2576, 2577); auch solche Erklärungen haben ihren Ursprung in einer willensgetragenen menschlichen Handlung. Eine fernmündliche Erklärung (zB über Telefon) ist hingegen regelmäßig nach § 119 zu behandeln, weil keine Fremdübermittlung stattfindet. b) Der Bote oder die Einrichtung müssen die Erklärung unrichtig übermitteln. Dabei spielt das Maß der Verfälschung im Interesse des Verkehrsschutzes keine Rolle. Eine unrichtige Übermittlung liegt daher selbst dann vor, wenn die Erklärung völlig verändert wird (Soergel/Hefermehl Rn 5). Ebenso liegt eine unrichtige Übermittlung auch noch bei einer Übermittlung an den falschen Empfänger vor (Pal/Ellenberger Rn 3). Allerdings wird in derartigen Fällen vielfach die Erklärung aus Sicht des Empfängers keinen Sinn ergeben, so dass es bereits an einer Willenserklärung fehlt. Die Unrichtigkeit freilich muss gerade im Übermittlungsprozess verursacht sein (vgl auch BGH NJW 2005, 976, 977 zum Fortwirken eines Fehlers bei der Übermittlung einer Aufforderung zum Angebot). Bei der Übermittlung an einen falschen Empfänger ist daher eine Berufung auf § 120 nicht möglich, wenn dieser vom Erklärenden selbst versehentlich benannt worden ist. Ebenso werden Fehler bei der Erklärung, die auf technischen Mängeln des Eingabegeräts oder die vom Erklärenden verwendete Software zurückzuführen sind, von der Vorschrift nicht erfasst; in diesen Fällen kommt aber ggf eine Anfechtung gem § 119 I in Betracht (Hamm NJW 1993, 2321). Die Falschübermittlung muss unbewusst erfolgt sein. Bei der bewussten Falschübermittlung (zB bei vorsätzlicher Verfälschung oder freier Erfindung der Willenserklärung) ist § 120 dagegen nicht anwendbar; denn in diesem Fall gibt der „Bote“ eine eigene Willenserklärung ab, die dem Erklärenden nicht zurechenbar ist. Deshalb wird der Geschäftsherr nicht gebunden; eine Anfechtung ist nicht erforderlich (hM, vgl BGH BB 1963, 204; Hamm VersR 1984, 173; Koblenz BB 1994, 819, 820; Oldenburg NJW 1978, 951; Kiehnle RabelsZ 2001, 317, 330ff; aA Marburger AcP 173, 137, 143ff; ähnlich MüKo/Armbrüster Rn 4). Der Bote wird in diesem Fall wie ein vollmachtloser Vertreter behandelt (Oldenburg NJW 1978, 951; Pal/Ellenberger Rn 4); wenn also der Erklärende die unrichtige Erklärung nicht genehmigt (§ 177), haftet der bewusst falsch Übermittelnde nach § 179. Entspr gilt, wenn der Bote gar nicht zur Übermittlung der Erklärung beauftragt worden war oder der Übermittlungsauftrag noch vor Weiterleitung der Willenserklärung widerrufen worden ist (BGH NJW 2008, 2702, 2705). Im letzten Fall wird man aber nach dem Rechtsgedanken des § 172 II dennoch eine Bindung des Erklärenden annehmen müssen, wenn der Bote von einer urkundlich verkörperten Willenserklärung Gebrauch macht (Staud/ Singer Rn 3). c) Der Erklärungsempfänger darf keine Kenntnis vom wahren Willen des Geschäftsherrn haben. Denn dann liegt eine falsa demonstratio vor (§ 133 Rn 18), so dass für eine Anfechtung kein Bedürfnis besteht. Dagegen soll nach verbreiteter Auffassung die Anwendbarkeit des § 120 nicht ausgeschlossen sein, wenn der Empfänger den Übermittlungsfehler erkennen hätte können oder müssen (so Erman/Palm12 Rn 4; ferner NK/Feuerborn Rn 9; BeckOK/Wendtland Rn 7); das Kennenmüssen des Erklärungsempfängers sei allein im Rahmen des § 122 II von Bedeutung. Dies trifft freilich in dieser Allgemeinheit nicht zu. Wenn der Empfänger den Übermittlungsfehler erkennen konnte, wird die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont vielfach dazu führen, dass die Erklärung in dem vom Erklärenden gemeinten Sinn auszulegen ist oder es bereits an einer eindeutigen Erklärung fehlt. Dann bedarf es aber gar keiner Anfechtung mehr. Ebenso bedarf es selbstverständlich keiner Anfechtung mehr, wenn die Erklärung aufgrund der Verfälschung bei der Übermittlung keinen Sinn mehr ergibt. 3. Rechtsfolge. a) Die Willenserklärung ist vom Geschäftsherrn anfechtbar. Macht er von seinem Anfechtungsrecht rechtzeitig Gebrauch (§ 121), ist die Willenserklärung rückwirkend vernichtet (§ 142). b) Der Anfechtende ist dem Anfechtungsgegner nach § 122 zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet; dabei kommt es auf ein Verschulden des Boten nicht an. Es kann auch eine Haftung des Geschäftsherrn aus cic (§ 311 II) in Betracht kommen, wenn er sich bei der Übermittlung einer unzuverlässigen Person bedient hat oder sonstige ihm zurechenbare Fehler vorliegen (skeptisch Staud/Singer Rn 4). c) Der Übermittler haftet dem Geschäftsherrn aus dem Rechtsverhältnis, das die Übermittlerstellung begründet (Soergel/Hefermehl Rn 10); bei bewusster Entstellung kommt auch eine Schadensersatzpflicht nach § 826 in Betracht (RG SeuffA 94 Nr 70). Auch ggü dem Erklärungsempfänger kann sich eine Haftung des Boten aus unerlaubter Handlung ergeben. Bei der Haftung der Anbieter von Telekommunikationsleistungen wegen unrichtiger Übermittlung einer Willenserklärung ist § 44a TKG zu beachten.

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Anfechtungsfrist

(1) Die Anfechtung muss in den Fällen der §§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung gilt als rechtzeitig erfolgt, wenn die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet worden ist. (2) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind. 1. Bedeutung. Die Vorschrift setzt dem Wahlrecht des Anfechtungsberechtigten, ob er sich von seiner irrtumsbedingten Erklärung lösen will, in den Fällen der §§ 119, 120 zeitliche Grenzen. Die von der Norm angeordneten äußerst kurzen Fristen sollen den Anfechtungsgegner schützen und verhindern, dass der Anfechtungsberechtigte zB bei Verträgen über Waren, die starken Preisschwankungen unterliegen, auf Kosten des Anfechtungsgegners spekulieren kann (Prot S 235). Erfolgt die Anfechtung nicht innerhalb der von § 121 bestimmten Fristen, so ist der Erklärende an seine Erklärung gebunden. Es handelt sich um eine Ausschlussfrist: Der Verlust des Anfechtungsrechts durch Zeitablauf ist im Prozess von Amts wegen zu beachten (MüKo/Armbrüster Rn 17). 2. Ausschlussfrist des Abs I. a) Kenntnis des Anfechtungsgrundes. Der Anfechtungsberechtigte muss nach Abs I die Anfechtung unverzüglich erklären, sobald er positive Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt hat. Dabei ist ihm die Kenntnis seines Vertreters gem § 166 zuzurechnen, soweit dieser auch zur Anfechtung berechtigt ist (BGH MDR 1965, 646; BVerwG NJW 2010, 3048, 3049). Die Kenntnis des Anfechtungsgrundes muss freilich nicht den Grad voller Wahrheitsüberzeugung erreicht haben (Wolf/Neuner AT § 41 Rn 25; zu § 1954 auch BayObLG NJW-RR 1998, 797, 798; KG NJW-RR 2004, 941, 942f). Ggf soll der Anfechtungsberechtigte daher auch zu einer Eventualanfechtung verpflichtet sein (Pal/Ellenberger Rn 2; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 25; vgl zu einer derartigen vorsorglichen Anfechtung BGH NJW 1968, 2099; 1979, 765). Einfache Zweifel, Vermutungen sowie das bloße Bestehen von Verdachtsgründen genügen dagegen ebenso wenig wie die fahrlässige Unkenntnis des Irrtums (BGH WM 1973, 750, 751; vgl ferner ebenso zu § 123 BAG NJW 1984, 446, 447 und zu § 1954 BayObLG NJW-RR 1998, 797, 798; MüKo/Armbrüster Rn 6). Den Anfechtungsberechtigten trifft auch keine Nachforschungspflicht. Positive Kenntnis ist aber ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn der Anfechtungsberechtigte vor dem sich aufdrängenden Anfechtungsgrund geradezu die Augen verschlossen hat (Staud/Singer Rn 5; MüKo/Armbrüster Rn 5). Relevant ist iÜ allein die Kenntnis des Anfechtungsgrundes, nicht aber der Anfechtungsbedürftigkeit: Kennt der Anfechtungsberechtigte also die die Anfechtbarkeit begründenden Tatsachen, irrt aber über die Anfechtungsbedürftigkeit, ist seine Kenntnis zu bejahen (RG 134, 29, 32; zu § 1954 auch BayObLG NJW-RR 1997, 72, 74; DNotZ 1999, 78, 80; MüKo/Armbrüster Rn 6). Liegen mehrere Anfechtungsgründe vor, so beginnt die Frist jew mit Kenntnis des einzelnen Grundes (BGH NJW 1966, 39; Staud/Singer Rn 4). b) Unverzüglichkeit. Die Anfechtung muss unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern, erklärt werden. Hierbei handelt es sich um eine Legaldefinition, die für das gesamte Privatrecht wie auch für das öffentliche Recht gilt (zB § 377 I, III HGB, § 92 I AktG, § 9 I MuSchG, § 216 II ZPO, § 68b I Nr 8 StGB, § 23 II 3 VwVfG). Die Definition des § 121 I 1 ist im Zweifel auch dann maßgeblich, wenn der Begriff „unverzüglich“ in einem Rechtsgeschäft verwendet wird (RG 75, 354, 357; Bamberg NJW 1993, 2813, 2814; Hamm NJW-RR 2004, 58, 59; s ferner etwa zu § 2 VIII Nr 2 VOB/B BGH NJW 1994, 1108, 1109). Ob ein Zögern schuldhaft, dh vorsätzlich oder fahrlässig ist, lässt sich nur nach einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles entscheiden; dabei müssen die Interessen des Anfechtungsgegners nach Beschleunigung mit der für den Anfechtenden gegebenen Notwendigkeit zur Prüfung und Überlegung abgewogen werden. Unverzüglich bedeutet nicht „sofort“ (s nur RG 124, 116, 118); vielmehr steht dem Anfechtungsberechtigten eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende Prüfungs- und Überlegungsfrist zu (BGH NJW 2005, 1869; Staud/ Singer Rn 9). Soweit dies erforderlich ist, kann der Anfechtungsberechtige vorher Rechtsrat einholen (BAG NJW 1991, 2723, 2725; Oldenburg NJW 2004, 168). Allerdings wird in diesen Fällen als zeitliche Obergrenze vielfach eine Frist von zwei Wochen angenommen (Düsseldorf NJOZ 2004, 2078; Hamm NJW-RR 1990, 523; Oldenburg NJW 2004, 168; LG Hamburg NJW-RR 2004, 1568, 1569; skeptisch Staud/Singer Rn 9). Darüber hinaus kann eine Verzögerung durch einen Rechtsirrtum über die Anfechtungsbedürftigkeit gerechtfertigt sein (RG 152, 232); jedoch ist hier beim Verschulden ein strenger Maßstab anzulegen. IÜ soll bei der Anfechtung von Arbeitsverträgen generell die in § 626 II für die außerordentliche Kündigung festgelegte Frist von zwei Wochen heranzuziehen sein; dabei soll es sich allerdings nur um eine Höchstfrist handeln, die nicht generell ausgeschöpft werden darf (BAG NJW 1980, 1302, 1303; 1991, 2725, 2726 mwN; WM 1984, 353). Muss für den minderjährigen Erklärungsgegner ein Pfleger bestellt werden, hat dies ebenfalls unverzüglich zu erfolgen (RG 156, 334, 336f). c) Relevanter Zeitpunkt für die Anfechtungserklärung. Für die Anfechtung unter Abwesenden enthält Abs I S 2 zur Risikoverteilung eine Sonderregelung: Abw von sonstigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen kommt es für die Rechtzeitigkeit der Anfechtungserklärung nicht auf den Zugang, sondern auf deren unverzügliche Absendung an den Anfechtungsgegner (§ 143 II–IV) an; das Verzögerungsrisiko trägt in diesem Fall der Anfechtungsgegner. Diese Regelung gilt allerdings dann nicht, wenn der Anfechtende schuldhaft einen umständlichen Übermittlungsweg wählt; nicht rechtzeitig ist daher die Anfechtung in einer bei Gericht eingereichten Klageschrift (BGH NJW 1975, 39; BVerwG NJW 2010, 3048, 3050; Staud/Singer Rn 11). Die Anfechtungserklärung wirkt nach allg Regeln mit dem Zugang; erst zu diesem Zeitpunkt tritt die (rückwirkende) Nichtigkeit ein. 294

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§ 122

§ 121 I 2 betrifft nur die Verzögerungsgefahr, nicht aber die Verlustgefahr. Bei Verlust der Anfechtungserklärung soll aber der Erklärende sich dennoch von seiner Erklärung lösen können, indem er die Anfechtung unverzüglich erneut erklärt (Pal/Ellenberger Rn 4; Soergel/Hefermehl Rn 10; ähnlich auch die hM beim entspr § 355 I 5, s nur Dresden NJW-RR 2000, 354; MüKo/Fritsche § 355 Rn 48). d) Die Beweislast für Kenntnis des Anfechtungsberechtigten vom Anfechtungsgrund und für Verzögerung der 6 Anfechtungserklärung trägt der Anfechtungsgegner (BGH NJW 1983, 2034, 2035; BAG NJW 1980, 1302, 1303). Für mangelndes Verschulden hins der Verzögerung ist der Anfechtende beweispflichtig (BGH WM 1959, 348, 349; BAG NJW 1980, 1302, 1304; München NJW-RR 1988, 497, 498; Brandenburg NJW-RR 2002, 578, 580). 3. Ausschlussfrist nach Abs II. Das Anfechtungsrecht erlischt endgültig mit Ablauf der in Abs II bestimmten 7 Frist; diese betrug entspr der Höchstfrist der regelmäßigen Verjährung bis zum 31.12.2001 30 Jahre, seither 10 Jahre (Überleitungsvorschrift Art 229 § 6 I, V EGBGB). Die Rechtsfolge tritt unabhängig davon ein, ob der Anfechtungsberechtigte den Anfechtungsgrund kannte oder nicht. Die Frist kann weder gehemmt noch unterbrochen werden; sie wird nur gewahrt, wenn die Anfechtungserklärung innerhalb der Höchstfrist nach Abgabe der Willenserklärung zugeht. Abs I S 2 ist auf diese Ausschlussfrist auch nicht entspr anwendbar.

§ 122

Schadensersatzpflicht des Anfechtenden

(1) Ist eine Willenserklärung nach § 118 nichtig oder aufgrund der §§ 119, 120 angefochten, so hat der Erklärende, wenn die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben war, diesem, andernfalls jedem Dritten den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat. (2) Die Schadensersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Beschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste). 1. Bedeutung. § 122 schützt das Vertrauen auf die Gültigkeit einer gem § 118 nichtigen Scherzerklärung oder einer nach §§ 119, 120 mit Erfolg angefochtenen Willenserklärung. Zum Ausgleich dafür, dass der Erklärende nicht (mehr) an den objektiven Erklärungstatbestand gebunden ist, hat derjenige, der auf die Gültigkeit der Willenserklärung vertraut hat, unabhängig vom Verschulden des Erklärenden einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens. Der Grund für diese Haftung nach dem Veranlassungsprinzip (BGH NJW 1969, 1380) liegt in der Risikoverteilung; der Mangel der Erklärung gehört zum Risikobereich des Erklärenden. Kennt der Anspruchsteller den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit oder musste er ihn kennen, so tritt die Schadensersatzpflicht nach Abs II nicht ein, da kein schutzwürdiges Vertrauen zu berücksichtigen ist. 2. Anwendungsbereich. Die Schadensersatzpflicht besteht nach dem Gesetzeswortlaut nur, wenn die Willenserklärung nach § 118 (Scherzerklärung) nichtig ist oder wenn sie durch Anfechtung nach §§ 119, 120 rückwirkend vernichtet wurde. Dies gilt allerdings nicht, wenn neben den §§ 118, 119 oder 120 zugleich andere Nichtigkeits- oder Anfechtungsgründe vorliegen. Für die Testamentsanfechtung ist die Vorschrift aufgrund der ausdr Anordnung des § 2078 III nicht anwendbar. Von jeher wird aber über eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Vorschrift durch Analogie diskutiert. Weitgehend unstr ist eine entspr Anwendung inzwischen bei fehlendem Erklärungsbewusstsein (s Vor § 116 Rn 15). Möglich soll eine analoge Anwendung der Vorschrift auch in Fällen einer abhanden gekommenen Willenserklärung sein, in denen der Erklärende die Erklärung noch zurückhalten wollte, diese aber aufgrund eines in seine Risikosphäre fallenden Umstands dennoch abgeschickt worden ist (MüKo/Armbrüster Rn 6; Canaris JZ 1976, 134; für cic aber wohl Medicus/Petersen AT Rn 267 iVm 608). Ebenso soll die Vorschrift entspr angewendet werden, wenn eine Gutschrift von der Bank storniert werden kann (eingehend Staud/Singer Rn 5). Dagegen kann der Regelung nicht der allg Grundsatz entnommen werden, dass derjenige, der auf die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts vertraut hat, vom anderen Teil Schadensersatz verlangen kann, wenn das Rechtsgeschäft aufgrund eines allein in dessen Person liegenden Grundes nichtig ist (Soergel/Hefermehl Rn 2; Pal/Ellenberger Rn 2; aA noch RG 170, 65, 69). Daher lässt sich etwa über eine entspr Anwendung der Vorschrift keine Haftung des Vertretenen bei Geschäftsunfähigkeit des Vertreters herleiten (ebenso Staud/Singer Rn 6; aA Ostheim AcP 169, 193, 222; MüKo/Armbrüster Rn 8). Vielmehr trägt nach der gesetzlichen Regelung grds jeder das Risiko dafür, dass der mit ihm Verhandelnde geschäftsfähig ist. Eine Haftung des Vertretenen lässt sich nur aus Verschulden bei Vertragsschluss ableiten, wenn er schuldhaft die Geschäftsunfähigkeit des Vertreters übersehen hat. Ebenso ist eine analoge Anwendung des § 122 bei absichtlicher Falschübermittlung durch den Boten abzulehnen (aA Marburger AcP 173, 137, 155f; MüKo/Armbrüster § 120 Rn 4; s zu der Problematik auch § 120 Rn 5). Schließlich ist eine entspr Anwendung beim Dissens nicht zu begründen, da in diesem Fall kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Inhalt einer Erklärung denkbar ist (Staud/Singer Rn 6; aA RG 104, 265, 268). 3. Anspruchsberechtigter. Bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung (Einl § 104 Rn 15) ist immer nur der Erklärungsempfänger anspruchsberechtigt. Das gilt auch für den Vertrag zugunsten Dritter. Ebenso besteht bei der Anfechtung einer Forderungsabtretung für den Schuldner, der an den vermeintlichen Gläubiger gezahlt hat, kein Anspruch nach § 122; er ist aber durch §§ 409f geschützt. Bei einer amtsempfangsbedürftigen oder nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung ist jeder ersatzberechtigt, der auf die Gültigkeit der Willenserklärung vertraut und deshalb einen Schaden erleidet. Daher kann auch der Gläubiger des Eigentümers eines Arnold

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zwangsversteigerten Grundstücks Anspruchsberechtigter sein, wenn der Meistbietende sein Gebot angefochten hat und dem Gläubiger ein Vertrauensschaden entstanden ist (BGH NJW 1984, 1950). 4. Ersatzpflicht. a) Umfang. Der Anspruch richtet sich auf den Vertrauensschaden (das negative Interesse). Der Ersatzberechtigte ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Gültigkeit der Willenserklärung vertraut hätte. Erfasst werden also zB die Aufwendungen des Ersatzberechtigten im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss wie Beurkundungskosten, die eigenen Ersatzleistungen, die der Anspruchsteller ggü Dritten erbringen muss, oder die Aufwendungen, die mit der Durchführung des Vertrags entstanden sind. Auch die Kosten eines Prozesses, der infolge der Anfechtung verloren wird, sind zu ersetzen, wenn die Anfechtung im Prozess erklärt wird (Pal/Ellenberger Rn 4; Staud/Singer Rn 14; BeckOK/Wendtland Rn 8; NK/Feuerborn Rn 10; abl BGH NJW 1962, 1670; Celle OLG 1972, 193, 195; J. Prütting/Fischer Jura 2016, 511, 515 f unter Hinw auf den Vorrang der §§ 91ff ZPO). Ferner sind im Vertrauen auf die Gültigkeit des angefochtenen Geschäfts ausgeschlagene Gewinnmöglichkeiten durch ein anderes Geschäft zu den als Vertrauensschaden ersatzfähigen Positionen zu rechnen (BGH NJW 1984, 1950, 1951; Hamm NJW 2004, 2601, 2602). Allerdings besteht zugunsten des Geschädigten keine Vermutung, dass dieser ein anderweitiges Geschäft hätte abschließen können, mit dem er den gleichen Gewinn wie mit dem angefochtenen Geschäft hätte erzielen können, da damit aus § 122 praktisch eine Haftung auf das Erfüllungsinteresse abgeleitet würde (für eine derartige Vermutung aber Harke JR 2003, 1, 3ff; dagegen zu Recht Staud/Singer Rn 15). Hat der Ersatzberechtigte in Erfüllung eines nichtigen Vertrags etwas geleistet, kann er das Geleistete nach § 122 zurückfordern (s nur Flume AT II § 21, 7; Willems JuS 2015, 586, 587). Dieser Anspruch geht weiter als der ebenfalls bestehende Bereicherungsanspruch nach § 812, da der Anspruch nach § 122 auch den Ersatz zufälliger Beschädigungen des geleisteten Gegenstandes umfasst. Dem Anfechtenden, der in Vollzug des angefochtenen Vertrags geleistet hat, steht dagegen nur der durch § 818 III gefährdete Anspruch aus § 812 zu (Staud/Singer Rn 13; J. Prütting/Fischer Jura 2016, 511, 514). b) Maßgeblicher Zeitpunkt. Für den Umfang des zu ersetzenden Vertrauensinteresses ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Ersatzberechtigte von der Unwirksamkeit der Willenserklärung erfährt oder in dem er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt die Unwirksamkeit hätte erkennen können. Das ergibt sich aus § 122 II (RG Gruch 57, 907; Staud/Singer Rn 16). Schäden, die nach der Kenntnis entstehen, sind also nicht zu ersetzen. c) Begrenzung durch das Erfüllungsinteresse. Begrenzt wird der Ersatz des Vertrauensschadens durch das Erfüllungsinteresse. Dieses richtet sich auf den Zustand, der bei Gültigkeit der Erklärung und ordnungsgemäßer Erfüllung der versprochenen Leistung eingetreten wäre. Der Anfechtungsgegner kann daher insb nicht den Schaden geltend machen, der ihm dadurch entstanden ist, dass er infolge des angefochtenen Geschäfts auf den Abschluss eines anderen Geschäfts verzichtet hat, mit dem er einen höheren Gewinn erzielt hätte (Medicus/Petersen AT Rn 784; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 156f). Dagegen ist ein Ersatz von im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Geschäfts getätigten Aufwendungen nicht schon allein deshalb ausgeschlossen, weil der Anfechtungsgegner mit dem Geschäft keinen Gewinn erzielt hätte. Eine solches Verständnis wäre mit dem Zweck der Norm, den Anfechtungsgegner so zu stellen, als hätte er nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut, nicht vereinbar (vgl überzeugend Höpfner AcP 212, 853, 866ff, der insoweit die Wertung des § 284 berücksichtigen will). 5. Ausschluss der Ersatzpflicht nach Abs II. Die Ersatzpflicht tritt nach Abs II nicht ein, wenn der Geschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, da in diesem Fall das Vertrauen in die Wirksamkeit der Willenserklärung nicht schutzwürdig ist. Die praktische Bedeutung der Vorschrift für den Fall der Kenntnis ist freilich gering: Hat der Anspruchsteller den Irrtum erkannt, so wird die Erklärung regelmäßig unabhängig von dem objektiven Erklärungstatbestand bereits so gelten, wie sie gewollt (und verstanden) war, und eine Anfechtung ausscheiden. Für das Kennenmüssen genügt jede Form von Fahrlässigkeit (RG 83, 348, 353). Es reicht zB aus, dass der Anspruchsteller ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Erklärungsübermittlung hat, aber nicht beim Erklärenden rückfragt. Durch § 122 II wird § 254 teilw verdrängt. § 254 findet aber unstr Anwendung, soweit es um den Umfang des Anspruchs geht, zB wenn der Ersatzberechtigte ihm mögliche Maßnahmen zur Minderung des Schadens unterlassen hat (RG 116, 15, 19; Staud/Singer Rn 19). Unklar ist, ob darüber hinaus entspr § 254 der Anspruch aus § 122 zu kürzen ist, wenn der Geschädigte den Anfechtungsgrund zwar nicht kannte und nicht kennen musste, er aber den Irrtum des Anfechtungsberechtigten durch sein (schuldloses oder schuldhaftes) Verhalten mit veranlasst hat (so BGH NJW 1969, 1380; Soergel/Hefermehl Rn 6). Vorzugswürdig dürfte die Auffassung sein, nach der in diesen Fällen der Anspruch aus § 122 nicht gekürzt wird, sondern aus teleologischen Gründen ganz entfallen muss (MüKo/Armbrüster Rn 23; Staud/Singer Rn 19; Flume AT II § 21, 7; ähnlich auch schon RG 81, 395, 399, das mit der exceptio doli argumentierte). 6. Verhältnis zur cic. Da der Ersatzanspruch nach § 122 keinen Fall der Verschuldenshaftung darstellt, ist er von der Haftung aus cic zu trennen. Beide Ansprüche schließen einander nicht aus (s nur MüKo/Armbrüster Rn 13; Staud/Singer Rn 20). Die schuldhafte Abgabe der nichtigen oder anfechtbaren Erklärung kann daher eine Verletzung der vorvertraglichen Sorgfaltspflicht sein. Dabei soll auch im Überschneidungsbereich mit § 122 keine Begrenzung der Haftung aus cic auf das Erfüllungsinteresse bestehen, und statt Abs II soll § 254 gelten (MüKo/Armbrüster Rn 13; Pal/Ellenberger Rn 6; Faust AT § 23 Rn 15 aA mit beachtlichen Gründen Staud/Singer Rn 22; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 158; Höpfner AcP 212, 853, 858).

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§ 123

7. Verjährung. Vor der Schuldrechtsreform wurde angenommen, dass der Anspruch aus § 122 derselben Verjäh- 12 rung unterliegt wie der Erfüllungsanspruch aus dem angefochtenen Geschäft (BGH 57, 191, 196). An diesem Grundsatz wird man auch jetzt festhalten müssen (Staud/Singer Rn 23; aA Erman/Palm12 Rn 11). Andernfalls wäre es wegen § 199 I Nr 2 möglich, dass der Schadensersatzanspruch später verjährte und damit weiter reichen würde als der Erfüllungsanspruch. 8. Beweislast. Wer den Anspruch aus § 122 geltend macht, muss die Nichtigkeit der Erklärung nach § 118 bzw 13 die wirksame Anfechtung nach §§ 119f, seine Zugehörigkeit zum Kreis der Anspruchsberechtigten, die Kausalität der Erklärung für den Schaden und die Schadenshöhe beweisen. Der Anspruchsgegner hat die Voraussetzungen für einen Wegfall des Anspruchs zu beweisen sowie die Behauptung, das Erfüllungsinteresse sei geringer als der geltend gemachte Schadensersatzanspruch (MüKo/Armbrüster Rn 27).

§ 123

Anfechtbarkeit wegen Täuschung oder Drohung

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten. (2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste. I. Bedeutung. § 123 will die Freiheit der rechtsgeschäftlichen Willensentschließung schützen (vgl Mot I, 204). Die Vorschrift beruht auf dem Gedanken, dass sich eine rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung, wie sie von der Privatautonomie vorausgesetzt wird, nur verwirklichen lässt, wenn sich die Willensbildung frei von Täuschung und Zwang vollziehen kann. Sie schützt nicht das Vermögen, setzt also keinen Vermögensschaden voraus (BGH 51, 141, 147). Freilich ist die auf arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung beruhende Willenserklärung nicht von vornherein (etwa nach § 134, § 138) nichtig. Vielmehr kann der Getäuschte oder Bedrohte sich entscheiden, ob er die Willenserklärung gelten lassen will oder nicht. Will er sich von seiner Erklärung lösen, muss er sie anfechten (§ 123 I); dafür stellt ihm § 124 eine längere Frist als in den übrigen Anfechtungsfällen zur Verfügung. Auch ein Ersatz des Vertrauensschadens (§ 122 I) entfällt. Bei der Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen von Erklärendem und Erklärungsempfänger macht § 123 zw den beiden Tatbeständen einen Unterschied: Bei arglistiger Täuschung wird der Erklärende grds nur dann geschützt, wenn der Erklärungsempfänger die Täuschung selbst begangen hat; bei Täuschung durch einen Dritten greift der Schutz des Erklärenden nur ausnahmsweise ein (§ 123 II). Demgegenüber spielt es bei der widerrechtlichen Drohung keine Rolle, von wem sie verübt wurde. II. Anwendungsbereich. Die Anfechtung nach § 123 ist grds bei allen privatrechtlichen Willenserklärungen, bei öffentlich-rechtl Verträgen (§ 62 VwVfG), sowie bei Willenserklärungen des Bürgers ggü der Verwaltung, auch bei einem gerichtlichen Vergleich (OVG Hamburg NJW 2004, 2111), nicht aber bei reinen Prozesshandlungen und Verwaltungsakten zulässig (Einzelheiten § 119 Rn 2f). III. Abgrenzung. 1. Spezialvorschriften. Im Erbrecht (vgl auch § 119 Rn 7) gelten für die Anfechtung der Verfügungen von Todes wegen die Vorschriften der §§ 2078ff, 2281ff. Bei Annahme und Ausschlagung sind §§ 1949, 1954, 2308 zu beachten. Im Familienrecht ist die Aufhebung der Ehe wegen Täuschung oder widerrechtlicher Drohung spezialgesetzlich geregelt (§§ 1313ff). Für den Versicherungsvertrag gelten hins der aufklärungspflichtigen Gefahrumstände die Regeln der §§ 19ff VVG; eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung ist aber nicht ausgeschlossen (§ 22 VVG; BGH NJW 2016, 394). Spezialregelungen können sich auch aus den Grundsätzen über die fehlerhafte Gesellschaft ergeben (s schon § 119 Rn 13). 2. Konkurrenzen. a) Irrtumsanfechtung. Eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und eine solche wegen Drohung schließen sich nicht gegenseitig aus (BGH NJW-RR 1996, 1281, 1282). Neben § 123 kann zugleich ein Anfechtungsrecht nach § 119 gegeben sein: Da eine auf arglistige Täuschung gestützte Anfechtung zugleich die Behauptung eines Irrtums über diejenigen Tatsachen enthält, über die getäuscht worden sein soll, kann sie regelmäßig – auch ohne ausdr Erklärung – eine Irrtumsanfechtung nach § 119 enthalten (BGH 34, 32, 38f; 78, 216, 221; NJW 1979, 160, 161; 1981, 224, 225). Ob dies der Fall ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. b) Sittenwidriges Rechtsgeschäft. Eine arglistige Täuschung ggü dem Vertragspartner allein macht ein Rechtsgeschäft noch nicht iSv § 138 sittenwidrig. Kommen neben der arglistigen Täuschung oder der widerrechtlichen Drohung weitere Umstände hinzu, kann jedoch Sittenwidrigkeit nach § 138 vorliegen (Staud/Singer/v Finckenstein Rn 101). c) Rücktritts- und Kündigungsrechte. Das Anfechtungsrecht gem § 123 wird auch durch etwaige Rücktrittsrechte (zB §§ 323f), das Bestehen eines Verbraucherwiderrufsrechts (§ 355) und – bei Dauerschuldverhältnissen – durch ein Kündigungsrecht (zB § 543) nicht ausgeschlossen. Diese Rechte können vielmehr wahlweise anstelle der Anfechtung geltend gemacht werden (MüKo/Armbrüster Rn 86; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 102). Dabei wird durch die Erklärung des Rücktritts oder der Kündigung eine nachträgliche Anfechtung nicht ausgeschlossen (s nur Schreiber AcP 211, 35, 52). Diese Grundsätze gelten insb auch für Arbeitsverhältnisse: Bei ihnen wird die Anfechtung nach § 123 nicht durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung ausgeschlossen Arnold

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(BAG NJW 1980, 1302, 1303; NJOZ 2006, 2031, 2034). Ferner wird auch im Mietrecht die Anfechtung nach § 123 nicht durch die Gewährleistungs- und Kündigungsregeln (§ 543) verdrängt (BGH NJW 2009, 1266, 1268). Entspr gilt im Kaufrecht: Die Anfechtung nach § 123 wird nicht durch die §§ 434ff verdrängt (vgl BGH NJW 2006, 2839 und – zur entspr Lösung bei der cic – BGH NJW 2009, 2120, 2122; ferner MüKo/H. P. Westermann § 437 Rn 55; Looschelders SchuldR BT, Rn 177; für das alte Schuldrecht s nur BGH 110, 220, 222). Ist der Vertrag wirksam angefochten, so sind Gewährleistungsansprüche allerdings grds ausgeschlossen (BGH NJW 1960, 237; Soergel/Hefermehl Rn 62; aM Flume AT II § 31, 6; Derleder NJW 2004, 969, 970). Wird gleichzeitig neben der Anfechtung auch Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend gemacht, wird das dahin auszulegen sein, dass der Erklärende nicht anfechten, sondern unter Ablehnung der Erfüllung das positive Interesse verlangen will (MüKo/Armbrüster Rn 89). Wird eine Klage auf Rückabwicklung eines Kaufvertrags wegen eines Mangels abgewiesen, so soll die Rechtskraft dieser Entscheidung eine spätere, auf eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gestützte Klage ausschließen (BGH NJW 2004, 1252, 1253; krit Schulze-Schröder NJW 2004, 1364). d) Deliktische Haftung. Das Anfechtungsrecht nach § 123 konkurriert häufig mit einem Anspruch auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung gem §§ 823 II (§§ 263, 240 StGB), 826. Bedeutsam ist das insb wegen der im Vergleich zu § 124 längeren Frist (§ 195); zudem kann der Geschädigte auch nach Fristablauf gem § 853 die Leistung verweigern. Deliktische Ansprüche führen idR nur zum Ersatz des Vertrauensschadens (BGH 57, 137, 139; NJW 1998, 983, 984). Der Geschädigte kann also verlangen, so gestellt zu werden, wie wenn die Täuschung oder Drohung nicht verübt worden wäre. Hat er wegen des durch Täuschung oder Drohung zustande gekommenen Geschäfts es unterlassen, ein anderes Geschäft abzuschließen, so ist ihm im Rahmen des negativen Interesses auch der dadurch entgangene Gewinn zu ersetzen. Darüber hinaus soll ausnahmsweise das Erfüllungsinteresse geschuldet sein, wenn die Täuschung sich auf eine werterhöhende Eigenschaft bezog (RG 103, 154, 160; BGH NJW 1960, 237, 238; krit Flume AT II § 31, 6). Hat ein Dritter getäuscht oder gedroht, kann – abgesehen von §§ 830f – nur von diesem ein Ersatz des Interesses verlangt werden. e) Verschulden bei Vertragsschluss. Neben einer Anfechtung nach § 123 kann wegen Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten auch ein Schadensersatzanspruch aus §§ 311 II, 280, 241 II in Betracht kommen. Problematisch ist, ob dieser Anspruch auch auf Befreiung von der Vertragspflicht gerichtet sein kann. Das wird von der Rspr mit Billigung durch einen Teil der Lit seit langer Zeit bejaht, und zwar auch für Fälle nur fahrlässiger Irreführung (BGH NJW 1962, 1196, 1198; 1968, 986, 987; 1998, 302, 303f; 1998, 898, 899; 2001, 436, 438; 2006, 845, 847; NZM 2008, 379; im Grundsatz zust etwa Canaris AcP 200, 273, 304ff; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, 426ff; Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997; ähnlich auch Grigoleit, Vorvertragliche Informationshaftung, 1997, der eine rechtsfortbildende Ausweitung des § 123 vorschlägt). Diese Rspr ist indes im Hinblick auf die gesetzliche Wertung der §§ 123f höchst problematisch (abl etwa Lieb, FS Rechtswissenschaftliche Fakultät Köln, 1988, 252, 261ff, nach dem ein Anspruch aus cic nicht auf Vertragsaufhebung, sondern nur auf Geldersatz gerichtet sein könne; s auch Erman/Palm12 Rn 8). Sie lässt sich schwer mit der aus § 123 folgenden Wertung vereinbaren, dass allein die vorsätzliche Täuschung zur Vertragsaufhebung berechtigen soll. Zudem gerät sie in Konflikt mit § 124, da der auf cic gestützte Anspruch auf Vertragsauflösung nach Auffassung der Rspr der längeren Regelverjährung des § 195 unterliegen soll (s nur BGH NJW 1962, 1196, 1198; 1979, 1983, 1984; NJW-RR 1988, 744, 745; für eine entspr Anwendung des § 124 dagegen etwa Hamm NJW-RR 1995, 205, 206; Canaris AcP 200, 273, 319; Fleischer AcP 200, 91, 119; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 104). Diesen Bedenken ist der BGH indes mit dem Hinw entgegengetreten, dass eine Aushöhlung der §§ 123, 124 schon deshalb nicht gegeben sei, weil das Anfechtungsrecht die freie Selbstbestimmung schütze, während eine Vertragsaufhebung aus cic das Bestehen eines Vermögensschadens voraussetze; ein solcher liege allerdings nicht nur dann vor, wenn der Vertragsgegenstand den Kaufpreis nicht wert sei, sondern auch, wenn der Betroffene in seinen Vermögensdispositionen beeinträchtigt werde (BGH NJW 1998, 302, 304; 898, 899; abl etwa Lieb, FS Medicus, 1999, 337, 342ff; ferner krit gegen diese Abgrenzung und für einen generellen Schutz der Entscheidungsfreiheit auch im Rahmen der cic etwa Canaris AcP 200, 273, 314; Fleischer AcP 200, 91, 108ff; Grigoleit NJW 1999, 900, 901f; Lorenz ZIP 1998, 1053, 1055ff). An dieser Linie hält die Rspr auch nach der Schuldrechtsreform fest (s nur BGH NJW 2006, 845, 847; NZM 2008, 379; NJW-RR 2008, 564, 565). Unverändert sollen dabei allerdings Ansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluss im Sachbereich der §§ 434ff nach Gefahrübergang ausgeschlossen sein, soweit der Verkäufer den Käufer über die Beschaffenheit der Sache nicht arglistig getäuscht hat (BGH NJW 2009, 2120, 2120; zum alten Recht s schon BGH 136, 102, 109; aA BeckOK/Faust § 437 Rn 190). Dies entspricht wohl im Grundsatz der Intention des Gesetzgebers, der mit der Kodifikation der cic in § 311 II auch die Fallgruppe des nicht erwartungsgerechten Vertrags erfassen wollte. Insb wird die Problematik nicht durch § 324 erfasst, da diese Vorschrift vorvertragliche Schutzpflichtverletzungen nicht erfasst und es überdies nicht sachgerecht wäre, eine Vertragsauflösung nur bei Unzumutbarkeit für den Betroffenen zuzulassen (NK/Dauner-Lieb § 324 Rn 9; Mankowski ZGS 2003, 91ff; aA BeckOK/H. Schmidt § 324 Rn 5; Grunewald, FS Wiedemann, 2002, 75ff). Fraglich erscheint es indes, ob noch am Erfordernis eines Vermögensschadens festgehalten werden kann; denn nach der Gesetzesbegründung soll zu den nach § 241 II geschützten Interessen auch die Entscheidungsfreiheit gehören (BT-Drs 14/6040, 126, 163); folgt man dem, müsste ein Anspruch aus §§ 311 II, 241 II wegen Herbeiführung eines nicht erwartungsgerechten Vertrags unabhängig vom Vorliegen eines Vermögensschadens eröffnet sein (vgl auch Staud/Singer/v Finckenstein Rn 104; Kersting JZ 2008, 714, 717f).

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§ 123

IV. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. 1. Willenserklärung. Dem Erklärenden steht ein Anfechtungsrecht zu, wenn er durch ein Verhalten des Erklärungsgegners arglistig zu der Abgabe einer Willenserklärung motiviert worden ist, die er sonst nicht oder mit anderem Inhalt abgegeben hätte. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine ausdr oder eine stillschw oder empfangsbedürftige oder nicht empfangsbedürftige Willenserklärung handelt. Auch eine gesetzlich fingierte Willenserklärung ist anfechtbar (MüKo/Armbrüster Rn 10). Verfügungsgeschäfte sind anfechtbar, wenn sie selbst auf einer arglistigen Täuschung beruhen (Grigoleit AcP 199, 379, 404f, 419). Eine Tatsachenerklärung (zB Widerruf ehrenkränkender Behauptung) ist hingegen keine Willenserklärung; deshalb greift § 123 nicht ein (BGH NJW 1952, 417). 2. Täuschungshandlung. § 123 setzt keine besondere Art von Täuschungshandlung voraus. Man versteht darunter – wie beim Betrug (§ 263 StGB) – jedes Verhalten (Vorspiegelung falscher, Entstellung bzw Unterdrückung wahrer Tatsachen), das in dem Erklärenden eine unrichtige Vorstellung hervorrufen, bestärken oder unterhalten soll (s Staud/Singer/v Finckenstein Rn 6). Die Täuschung kann durch positives Tun oder durch Unterlassen begangen werden. a) Täuschung durch positives Tun. Die Täuschung durch positives Tun liegt in der – ausdr oder konkludenten – wahrheitswidrigen Behauptung von Tatsachen. Als Tatsachen kommen dabei alle objektiv nachprüfbaren – auch rechtlichen – Umstände in Betracht, die für den Entschluss des Erklärenden, das Geschäft vorzunehmen, von Bedeutung gewesen sind; bloße Werturteile oder marktschreierische Anpreisungen genügen nicht (BGH NJW 2007, 357, 359; NJW-RR 2007, 1202, 1204). IÜ kann es sich sowohl um äußere, sinnlich wahrnehmbare Umstände wie auch sog innere, die Einstellung eines Menschen betreffende Tatsachen wie etwa die Absicht, den Vertrag nicht erfüllen zu wollen, handeln (BGH LM Nr 12 § 123; NK/Feuerborn Rn 26). Ob der Erklärungsgegner verpflichtet war, bestimmte Umstände zu offenbaren, ist dagegen ohne Belang; macht er von sich aus Angaben über bedeutsame Umstände, müssen diese der Wahrheit entsprechen (BGH NJW 1964, 811). Der täuschende Inhalt der vom Erklärungsgegner gemachten Angaben ist durch Auslegung zu ermitteln. Er kann sich nicht nur aus objektiv unrichtigen oder unvollständigen Angaben, sondern – vor allem bei schriftlichen Äußerungen – auch aus der Aufmachung der Äußerung und/oder aus einer unklaren, irreführenden, verzerrenden oder entstellenden Darstellungsweise ergeben (BGH NJW-RR 1998, 904, 905; 2005, 1082, 1083f; vgl auch BGH NJW 2001, 2187, 2188 zu § 263 StGB). Getäuscht werden kann etwa über den Namen des Geschäftspartners (vgl RG Recht 1918 Nr 471), seine berufliche Stellung oder seine Qualifikation, über Eigenschaften des Geschäftsgegenstandes (BGH NJW 1960, 237 – Kilometerstand eines Pkw; NJW 1995, 955 = LM Nr 76 „generalüberholt“; NJW 2006, 2839 – „unfallfrei“; KG OLG 1972, 402, 403 – Bezeichnung als „neu“; Düsseldorf NJW-RR 1995, 686 – Qualität einer Ferienwohnanlage bei Timesharing), selbst wenn sie nicht verkehrswesentlich (§ 119 II) sind, über die Erfolgsaussichten bei der Rechtsverfolgung aus einer Forderung (BGH VIZ 2001, 485, 487), über die Möglichkeit, den Erwerb einer Immobilie durch Erträge und Steuervorteile zu finanzieren (KG NJW 1998, 1082, 1083), durch unrichtige Angaben über die Schutzrechtslage bei einem Lizenzvertrag (BGH NJW-RR 1998, 904, 905), über die Echtheit und/oder das Alter eines Kunstwerks oder einer Antiquität, durch die Bezeichnung eines wesentlich überhöhten Preises als „ordentlicher Preis“ (Saarbrücken OLG 1981, 248, 249) oder die unrichtige Vorspiegelung eines günstigen Preises aufgrund der Herkunft eines Kunstwerks (Hamm NJW-RR 1993, 628, 629), durch irreführende unwahre Werbung (Frankfurt NJW-RR 2005, 1145), durch die Bezeichnung eines über der Preisempfehlung des Herstellers liegenden Preises als „Sonderpreis“ (Frankfurt DAR 1982, 294), durch Anpreisen überteuerter Diamanten als Ersatzwährung (LG Frankfurt aM NJW-RR 1994, 241), durch Verteuerung eines Darlehens durch verstecktes „packing“ (Stuttgart NJW 1985, 2597, 2598), durch Äußerung einer falschen Rechtsansicht (KG OLG 1972, 257, 261; vgl auch Karlsruhe ZIP 2006, 557, 558). Eine Täuschungshandlung liegt auch darin, dass ein Stellenbewerber, von dem ein handgeschriebener Lebenslauf erbeten wird, einen Lebenslauf einreicht, den er nicht eigenhändig geschrieben hat (BAG AP Nr 24). b) Täuschung durch Unterlassen (Aufklärungspflichten). Die Täuschungshandlung kann auch in einem Unterlassen (Verschweigen) liegen, wenn ggü dem Vertragspartner – trotz der gegensätzlichen Interessen, die sich bei Vertragsverhandlungen gegenüberstehen – eine Offenbarungspflicht hins des verschwiegenen Umstandes besteht. Aufklärungspflichten sind teilw gesetzlich geregelt (zB Art 246ff EGBGB, §§ 4ff BGB-InfoV, § 19 VVG). Darüber hinaus bestehen aber auch in vielen Bereichen (ungeschriebene) Aufklärungspflichten, wenn der Erklärende nach Treu und Glauben und den im Verkehr herrschenden Anschauungen im Einzelfall wegen der Bedeutung des verschwiegenen Umstandes für seine Entschließung mit einer Aufklärung rechnen durfte (BGH NJW 1970, 653, 655; 1971, 1795, 1799; 1989, 763, 764; 1998, 1315, 1316; NJW-RR 1991, 439, 440; 2008, 258, 259; BAG NZA 1991, 719; NJOZ 2004, 4096, 4098). Freilich besteht keine allg Pflicht, ungefragt alle Umstände offenzulegen (s nur BGH NJW 1983, 2493, 2494; MüKo/Armbrüster Rn 38). Vielmehr muss jede Partei grds die für ihre Entscheidung maßgeblichen Umstände selbst ermitteln (BGH NJW 2010, 3362). Eine Aufklärungspflicht kann sich daher immer nur aus besonderen Gründen anhand der Umstände des Einzelfalles ergeben (statt vieler BGH NJW 1983, 2493, 2494). Dabei kann der Pflicht zur Aufklärung auch eine Untersuchungspflicht vorausgehen (Köln NJW-RR 1997, 1214). Bestand und Umfang der jew Aufklärungspflicht werden auch vom Kenntnisstand der anderen Seite bestimmt (vgl zB Brandenburg NJOZ 2003, 3104, 3108). Eine Aufklärung kann nicht erwarten, wer über die erforderlichen Informationen in eigenen Akten oder Datenspeichern verfügt oder etwa den Mangel einer Kaufsache bei einer Aufmerksamkeit, wie sie im eigenen Interesse geboten ist, selbst feststellen kann (BGH 132, 30, 34; NJW 2001, 64). Keine Aufklärungspflicht besteht überdies allg bei Geschäften mit spe-

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kulativem Charakter hins der spezifischen Risiken derartiger Geschäfte (NK/Feuerborn Rn 36; Pal/Ellenberger Rn 5c). aa) Gezielte Nachfrage. Zu einer wahrheitsgemäßen Aufklärung ist der Erklärungsgegner stets verpflichtet, wenn eine Nachfrage zu einem bestimmten Punkt oder zu einem Fragenkomplex erfolgt (BGH 74, 383, 392; NJW 1977, 1914, 1915; BAG NJW 1994, 1363, 1364). Durch ein solches Verhalten bringt der Erklärende zum Ausdruck, dass dieser Umstand für seine Entschließung von Bedeutung ist. Dem Befragten steht es zwar frei, die Beantwortung ausdr abzulehnen. Schon die unvollständige Beantwortung kann aber eine Täuschungshandlung begründen (Mankowski JZ 2004, 121; Nürnberg DAR 1978, 198; LG Köln VersR 1978, 957); freilich wird es sich hierbei regelmäßig bereits um eine Täuschung durch positives (konkludentes) Tun handeln. Bei einer objektiv unrichtigen oder unvollständigen Antwort liegt gleichwohl keine Täuschung vor, soweit die Nachfrage über die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen aufmerksamen und gewissenhaften Adressaten einer solchen Frage hinausgeht (Celle NJW-RR 2006, 681, 682). Keine Täuschung liegt auch in der wahrheitswidrigen Antwort auf die Frage eines Arbeitgebers nach einer Schwerbehinderung, wenn diese offensichtlich war (BAG NJW 2001, 1885). Zur unwahren Beantwortung einer unzulässigen Frage vgl Rn 20. bb) Besonderes Vertrauensverhältnis. Besteht zw dem Erklärungsempfänger und dem Erklärenden ein besonderes Vertrauensverhältnis, kann dies auch für das Bestehen einer Offenbarungspflicht sprechen (NK/Feuerborn Rn 34; Pal/Ellenberger Rn 5c). Ein solches Verhältnis ist aber stets nur aus besonderen Gründen anzunehmen. Es kann vorliegen bei persönlicher, familiärer Verbundenheit der Geschäftspartner (BGH NJW 1992, 300, 302), bei langjähriger Geschäftsbeziehung der Parteien, bei Dauerschuldverhältnissen mit enger, persönlicher Vertrauensbeziehung und innerhalb von Gesellschaftsverhältnissen, insb bei Personengesellschaften (NK/Feuerborn Rn 34). cc) Besondere Stellung des Erklärenden. Aufklärungspflichten können sich auch aus der besonderen Stellung des Erklärenden und des Erklärungsgegners im Wirtschaftsverkehr ergeben. Das ist einmal der Fall, wenn dem Erklärungsgegner aufgrund seiner Fachkunde eine besondere Vertrauensstellung zukommt, auf die sich der nicht sachkundige und/oder unerfahrene Erklärende verlassen darf (zB Architekt: BGH MDR 1978, 1009; Bankier: RG 111, 233, 234; gewerblicher Vertreiber von Warentermin- oder Optionsgeschäften uÄ: BGH 80, 80, 82; 124, 151, 155; NJW 1994, 997; NJW-RR 1996, 947; 1997, 176; 1998, 1271, 1272; Gebrauchtwagenhändler: Düsseldorf VersR 1993, 1027; Köln NJW-RR 1997, 1214). Aus dieser Stellung kann die Pflicht folgen, über die maßgeblichen fachlichen Umstände aufzuklären und einen zutr Rat zu erteilen. Zum anderen kann diese Pflicht auch aus einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Erklärenden folgen. Ist für den Erklärungsgegner erkennbar, dass die Erklärung maßgeblich auf der geschäftlichen Unerfahrenheit des Erklärenden beruht, trifft den Erklärungsgegner nach Treu und Glauben die Pflicht, Rücksicht zu nehmen und den unerfahrenen Geschäftspartner zunächst aufzuklären (BGH 47, 207, 211; NJW 1992, 300, 302; 1997, 3230, 3231). Auch im Arbeitsverhältnis können sich Aufklärungspflichten des Arbeitgebers aus der besonderen Schutzbedürftigkeit des ArbN ergeben (BAG NJW 1989, 247 – Aufklärungspflicht bei Aufhebungsvertrag). Allerdings begründet die besondere fachliche Kenntnis oder Erfahrung eines Vertragsteils keine Pflicht, einen Kunden, der sich erfahren gibt und eine Aufklärung ausdr nicht wünscht, vor sich selbst zu schützen (BGH NJW-RR 1996, 947, 948; 1997, 176, 177). dd) Offensichtliche Bedeutung für den anderen Teil. Eine Aufklärungspflicht kann auch für solche Umstände bejaht werden, die nach der Interessenlage der Parteien und den Verkehrserfordernissen eine herausragende Bedeutung für den Vertrag haben. Das sind die für die Entschließung des anderen Teils offensichtlich bedeutsamen Umstände, insb solche, die den Vertragszweck vereiteln oder gefährden können (BGH NJW 1979, 2243; NJW-RR 1998, 1406). Sie müssen so bedeutsam sein, dass der Erklärungsempfänger vernünftigerweise nicht davon ausgehen konnte, der Erklärende lege auf deren Vorhandensein keinen Wert. So hat etwa der Übernehmer von Dienstleistungen, Werkleistungen oder Geschäftsbesorgungen, bei dem nach Rechtsvorschriften oder der Verkehrsüblichkeit eine bestimmte Qualifikation erwartet werden kann, den Vertragspartner darüber aufzuklären, wenn er diese Qualifikation nicht hat (Bsp bei Übernahme von Architektenleistungen: Düsseldorf NJW-RR 1993, 1173, 1175; Nürnberg NJW-RR 1998, 1713, 1714). Beim Kaufvertrag hat der Verkäufer den Käufer über solche Eigenschaften des Vertragsgegenstandes aufzuklären, die nach der Verkehrsauffassung Voraussetzung für eine sachgemäße Benutzung sind. Dabei genügt es, wenn der Verkäufer einen Mangel der Kaufsache für möglich hält und zumindest billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Kenntnis über diesen Umstand den Vertrag nicht oder nicht zu diesen Bedingungen abschließen würde (BGH NJW 2015, 1669, 1670). Hiernach besteht bei Verträgen über gebrauchte Fahrzeuge, Maschinen oÄ eine Aufklärungspflicht über einen begründeten Verdacht auf Unfallschäden (Frankfurt NJW-RR 1999, 1064), über Schwere und Ausmaß von Unfallschäden (BGH 29, 148, 150; 63, 382, 386; Köln NJW-RR 1995, 51; nicht dagegen bei bloßen Bagatellschäden: BGH NJW 1982, 1386), über Umstände, welche die Verkehrssicherheit und Verkehrszulassung betreffen, im Einzelfall auch über die uneingeschränkte Brauchbarkeit (BGH NJW 1971, 1795, 1799) oder über ungewöhnliche Besonderheiten der Ausstattung (Düsseldorf NJW-RR 1993, 1463), nicht aber ohne weiteres über die Herstellung im Ausland (Köln NZV 1995, 485, 486; anders bei einem Gebrauchtwagen Saarbrücken NJW-RR 1999, 1063) oder über die bisherige Nutzung (Düsseldorf NJW-RR 1997, 427). Zu informieren ist ferner: über den fabrikneuen oder nicht fabrikneuen Zustand des Kaufgegenstandes (Zweibrücken NJW-RR 1998, 1211, 1212); über das Fehlen einer notwendigen öffentlich-rechtl Genehmigung (BGH NJW 1979, 2243; 1990, 1661, 1662; 2003, 2380, 2381) oder für eine vertragsgemäße Nutzung der Kaufsache erforderliche Anzeige bei der Behörde (BGH NJW 2014, 3296, 3297); über bestandskräftige öffentlich-rechtl Nutzungsbeschränkungen (BGH NJW-RR 1988, 1290); beim Verkauf eines 300

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Grundstücks über massive alte Fundamentreste (Köln NJW-RR 2000, 1264, 1265); über die Lage eines Grundstücks im Landschaftsschutzgebiet (Oldenburg NJW-RR 2003, 448, 449); über Feuchtigkeitsschäden eines Hauses (KG MDR 2006, 200; vgl auch BGH NJW 1993, 1703, 1704); über das Fehlen einer notwendigen Hochwasserabsicherung (BGH NJW-RR 1992, 334); über Mängel der Fäkalienhebeanlage eines Hauses (BGH NJW 1990, 847); über schikanöses Verhalten von Nachbarn oder Miteigentümern (BGH NJW 1991, 1673, 1675; Hamm NJW-RR 1997, 1168); bei einem Vertrag über ein Mietobjekt über mangelnde Bonität eines Mieters (BGH NJWRR 2003, 700, 701), nicht hingegen über eine bereits einige Zeit zurückliegende bordellähnliche Nutzung eines Gebäudes (Hamm NJW-RR 2000, 1183); über die Kontaminierung eines Grundstücks mit Altölrückständen (BGH NJW 2001, 64); über die vorherige Nutzung eines Grundstücks als wilde Müllkippe oder Deponie (BGH NJW 1991, 2900, 2901; 1995, 1549, 1550), nicht dagegen ohne weiteres über den vorherigen Betrieb einer chemische Reinigung (Celle NJW-RR 1997, 848); über erheblichen Holzbockbefall (vgl BGH NJW 1965, 34), nicht dagegen über die Gefahr eines Befalls mit Hausschwamm, wenn der Käufer die gefahrbegründenden Umstände kennt (BGH NJW-RR 2003, 772). Bei einem Unternehmenskauf ist der Stand der Verbindlichkeiten zu offenbaren, wenn ihr Umfang zur Insolvenz führen und die Überlebensfähigkeit des Unternehmens gefährden kann (BGH NJW-RR 1998, 1406, 1407; NZG 2002, 644, 645). Nimmt ein Verkäufer an, dem Käufer sei es möglich, aus Indizien auf einen Mangel der Kaufsache zu schließen, so muss er von sich aus tätig werden, wenn er erkennt, dass der Käufer gleichwohl eine entspr Untersuchung der Kaufsache unterlässt (BGH NJW-RR 1997, 270). Bei Bauherrenmodellen ist über die Anhängigkeit eines finanzgerichtlichen Verfahrens hins der Steuervorteile 19 (Düsseldorf NJW-RR 1986, 320, 321; vgl auch Nürnberg NJW-RR 2002, 1705, 1706), nicht hingegen ohne weiteres über die Risiken des Beitritts zu einem Mietpool zu informieren (BGH NJW 2007, 2396, 2397; BKR 2008, 243, 244). Beim Beitritt zu einem Fonds ist darüber zu informieren, wenn höhere Vertriebsprovisionen anfallen, als es im Prospekt angegeben ist (BGH NJW 2007, 2407, 2408; 3272, 3273; NZG 2009, 710, 713; BKR 2013, 280, 282). Dagegen liegt beim Vertrieb einer Immobilie als Kapitalanlage keine arglistige Täuschung vor, wenn auf weitere Vertriebskosten hingewiesen wird, aber deren Höhe nicht genannt wird (BGH NJW-RR 2013, 167, 169). Der (Unter-)Vermieter hat ggü dem Untermieter einen Mietrückstand im Hauptmietverhältnis zu offenbaren (BGH NJW-RR 1999, 882). Bei der Gewerberaummiete hat der Mieter den Vermieter über außergewöhnliche Umstände zu informieren, mit denen dieser nicht rechnen kann (BGH NJW 2010, 3662: geplanter Verkauf von Waren mit rechtsradikalem Bezug in einem Ladenlokal). Beim Abschluss von Versicherungsverträgen, die mit der Gesundheit des Versicherten zu tun haben (Lebensversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Krankenversicherung), bestehen weitgehende Offenbarungspflichten zu Vorerkrankungen, auch wenn nach diesen nicht gefragt worden ist (Bsp: BGH NJW-RR 1995, 216, 217; NJW 2010, 289, 290; Köln VersR 1996, 831; Saarbrücken VersR 1996, 488; KG r+s 2008, 209). Beim Abschluss einer Feuerversicherung ist über ernsthafte Brandstiftungsdrohungen aufzuklären (KG NJW-RR 1999, 100). Dabei verlieren Versicherer das Anfechtungsrecht in den genannten Fällen auch nicht dadurch, dass sie ihrer Nachfrageobliegenheit nicht nachgekommen sind (BGH NJWRR 2007, 1519). Ebenso kann eine Anfechtung zulässig sein, obwohl der Versicherer von dem Anfechtungsgrund aufgrund einer zu weit gefassten und daher unwirksamen Schweigepflichtentbindung erfahren hat (BGH NJW 2010, 289, 290; 2011, 3149, 3150). Bei Abschluss eines Unterhaltsvergleichs ist der Unterhaltsgläubiger zur Offenlegung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet (BGH NJW 1999, 2804). Im Fall einer Schenkung unter Ehegatten kann die Ehefrau zur Aufklärung darüber, dass das während der Ehe geborene Kind möglicherweise nicht vom Ehemann abstammt, verpflichtet sein (BGH NJW 2012, 2728, 2729). 3. Widerrechtlichkeit der Täuschung. Nach dem Gesetzeswortlaut wird nur bei der Anfechtung wegen Dro- 20 hung, nicht dagegen bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung Widerrechtlichkeit vorausgesetzt. Dieser Unterschied erklärt sich daraus, dass der Gesetzgeber davon ausging, eine vorsätzliche Täuschung sei stets widerrechtlich (Mugdan I, 965). Dabei hat der Gesetzgeber indes eine Problematik übersehen, die besonders im Arbeitsvertragsrecht eine Rolle spielt: Fragen des Arbeitgebers an den (zukünftigen) ArbN sind grds nur zulässig, soweit der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Antwort im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis hat (BAG NJW 1958, 516, 517; 1985, 645; 1994, 1363, 1364; 1996, 2323, 2324; 2001, 1885). Da der Bewerber, wenn er eine nach diesen Grundsätzen unzulässige Frage wahrheitsgemäß beantwortete oder die Antwort verweigerte, im Regelfall die Stelle nicht bekäme, muss er zur Lüge berechtigt sein. Eine Chance, eingestellt zu werden, hat er nur, wenn er die unzulässige Frage bewusst wahrheitswidrig beantwortet. Wird er daraufhin eingestellt, kann der Arbeitgeber nicht mit Erfolg wegen arglistiger Täuschung anfechten. Das BAG hat in derartigen Fällen zunächst eine Anfechtung nach § 123 mangels Arglist abgelehnt (BAG NJW 1958, 516, 517; 1962, 74, 75). Richtigerweise fehlt es indes an der Widerrechtlichkeit der Täuschung (hL, s nur Staud/Singer/v Finckenstein Rn 33; ebenso wohl auch BAG NJW 1991, 2723, 2724). Eine Täuschung durch Unterlassen ist stets rechtswidrig, da sie eine Offenbarungspflicht voraussetzt. Bei einer 21 Täuschung durch positives Tun scheidet eine Rechtswidrigkeit dagegen aus, wenn eine unzulässige Frage wahrheitswidrig beantwortet wird. Unzulässig ist eine Frage, wenn der andere Teil an der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage kein „berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse“ hat (s die Nachw in Rn 20). Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob der Umstand für den angestrebten Arbeitsplatz von Bedeutung ist (s schon BAG NJW 1968, 516, 517; ferner BAG NJW 1984, 645). Andernfalls überwiegt das Interesse des ArbN am Schutz seines Persönlichkeitsrechts und an der Unverletzlichkeit seiner Individualsphäre. IÜ sind aber auch die aus speziellen Arbeitnehmerschutzgesetzen folgenden Wertungen sowie die Vorgaben des AGG zu beachten; auf Arnold

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Fragen, die sich auf die nach § 1 AGG unzulässigen Differenzierungsmerkmale beziehen, darf auf jeden Fall eine falsche Antwort gegeben werden (ErfK/Preis § 611 BGB Rn 272; Wisskirchen/Bissels NZA 2007, 169, 170f, dort auch zu dem Problem, ob bereits die Frage § 7 AGG unterfällt). Im Einz ist nach diesen Grundsätzen bei Begründung eines Arbeitsverhältnisses die Frage nach früheren Arbeitgebern und der Dauer der Beschäftigung stets zulässig (LAG Köln NZA-RR 1996, 403, 404). Nach Vorstrafen darf nur gefragt werden, wenn dies objektiv für die Eigenart des zu besetzenden Arbeitsplatzes erforderlich ist (BAG NJW 1958, 516, 517; 1999, 3653, 3654; 2013, 1115, 1116). Werden die Vorstrafen nach §§ 33ff BZRG nicht in das Führungszeugnis aufgenommen oder sind sie getilgt (§§ 45ff BZRG), darf sich der ArbN insoweit als unbestraft bezeichnen (BAG NZA 2014, 1131, 133; ErfK/Preis § 611 BGB Rn 281). Ebenso darf nach anhängigen Straf- oder Ermittlungsverfahren nur gefragt werden, wenn diese Zweifel an der persönlichen Eignung des ArbN begründen können (BAG NJW 2013, 1115, 11116). Nach der Behinderung bzw Schwerbehinderung darf der Arbeitgeber dagegen im Hinblick auf die Regelungen des AGG und § 81 SGB IX grds nicht fragen (LAG Hamm 19.10.2006 – 15 Sa 740/06; ErfK/Preis § 611 BGB Rn 274a; Pal/Weidenkaff § 611 Rn 6; Joussen NJW 2003, 2857, 2859f; aA noch BAG NZA 1996, 371, 372; NJW 2001, 1885). Dies soll allerdings nicht gelten, wenn die Behinderung die Erbringung der Arbeitsleistung unmöglich macht (ErfK/Preis § 611 BGB Rn 274). Dagegen sind Fragen nach Krankheiten in weiterem Umfang zulässig (zur Abgrenzung ErfK/Preis, § 611 BGB Rn 274b ff). Zwar darf nach ausgeheilten früheren Krankheiten vom Arbeitgeber nicht gefragt werden (Soergel/Hefermehl Rn 18); im Hinblick auf bestehende Krankheiten sind dagegen Fragen zulässig, soweit sie der Erfüllung der Arbeitspflicht entgegenstehen können (BAG NJW 1964, 1197, 1198; 1985, 645). Zulässig soll auch die Frage nach einer AIDS-Erkrankung sein (Richardi NZA 1988, 73, 74). Unzulässig ist dagegen die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit (BAG NZA 2000, 1294, 1295). Auch Fragen, die in die Intimsphäre eingreifen, müssen nicht beantwortet werden (LAG Düsseldorf BB 1972, 706). Nach einer Bereitschaft zum Wechsel des Wohnortes darf nur gefragt werden, wenn eine Vereinbarung über den zukünftigen Wohnort rechtswirksam wäre (LAG Nürnberg NZA-RR 2004, 298). Unzulässig ist auch die Frage nach dem in der vorherigen Stellung bezogenen Gehalt, wenn die bisherige Vergütung für die erstrebte Stelle keine Aussagekraft und der Bewerber sich bei seiner Gehaltsforderung auch nicht auf sein bisheriges Gehalt bezogen hat (BAG AP Nr 25). Unzulässig ist die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft (EuGH NJW 1991, 628; 2001, 123, 124; 2003, 1107; BAG NJW 1993, 1154, 155; NZA 2003, 848, 849). Im Zusammenhang mit einem Vergleich im Kündigungsschutzprozess soll auch die Frage nach einer Anschlussbeschäftigung unzulässig sein (ArbG Rheine BB 1993, 1810; aA Liebscher BB 1993, 2236, 2237). Fragen nach einer früheren MfS-Tätigkeit in der DDR sind bei Einstellung im öffentlichen Dienst grds zulässig (BVerfG NJW 1997, 2307, 2308; BAG NZA 1994, 25, 26; 1998, 1052; NJOZ 2006, 2031, 2035f). Abw gilt allerdings im Hinblick auf das APR des Betroffenen für Vorgänge, die vor dem Jahr 1970 abgeschlossen waren (BVerfG NJW 1997, 2307, 2309; anders bei schwerwiegender Mitarbeit BAG NJW 2001, 701, 702). Auch außerhalb des Arbeitsrechts kann eine Frage gelegentlich unzulässig sein. In Betracht kommt dies insb im Mietrecht. Auch hier wird man das Persönlichkeitsrecht des Mieters berücksichtigen müssen und nur solche Fragen für berechtigt halten können, die für das Mietverhältnis relevant sind (eingehend Staud/Singer/v Finckenstein Rn 47; Fischer NZM 2005, 567, 573). Zulässig können danach etwa Fragen über die Bonität des Mieters sein (LG Köln ZMR 1984, 278, 279; AG Bonn WuM 1992, 597; AG Wolfsburg NZM 2001, 987, 988). Unzulässig ist dagegen etwa die Frage nach dem Familienstand (überzeugend Staud/Singer/v Finckenstein Rn 47; aA LG Landau WuM 1986, 133; Fischer NZM 2005, 567, 574). Ebenso besteht keine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Auskunft über die Aufenthaltsberechtigung (AG Wiesbaden WuM 1992, 597; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 47). Fragen zum höchstpersönlichen Bereich wie Religionszugehörigkeit, nach Heiratsabsichten oder Kinderwünschen, Vereins- oder Parteizugehörigkeit müssen ebenfalls nicht beantwortet werden (Emmerich NZM 1998, 692, 696; Fischer NZM 2005, 567, 574). Gleiches gilt für Fragen über vorangegangene Mietverhältnisse (AG Kerpen WuM 1990, 62; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 47). 4. Verursachung eines Irrtums. Der Erklärende muss zur Abgabe der Willenserklärung durch Täuschung bestimmt worden sein. Erforderlich ist also, dass die Täuschung für einen Irrtum des Getäuschten und dieser Irrtum für die Abgabe der Willenserklärung ursächlich ist. a) Irrtum ist die Abweichung der Vorstellung von der Wirklichkeit. An einem Irrtum fehlt es, wenn derjenige, der getäuscht werden soll, die Wahrheit kennt. Dem steht es gleich, wenn der Erklärende mit dem Vorliegen einer Täuschung rechnet und dies bei Abgabe der Erklärung in Kauf nimmt oder die Erklärung bewusst auf die Gefahr einer Täuschung hin abgibt (MüKo/Armbrüster Rn 20, 25; Soergel/Hefermehl Rn 21). Ein Irrtum ist allerdings in diesem Fall dennoch möglich, wenn die Fehlvorstellung erheblich über das hinausgeht, was bei Abgabe der Willenserklärung erwartet werden konnte (BGH NJW-RR 1986, 1258, 1259; BAG NZA 1998, 33, 34; MüKo/Armbrüster Rn 25). Anders liegt es, wenn der Getäuschte an der Gewissheit der behaupteten Umstände zweifelt, trotz seines Zweifels aber die Willenserklärung abgibt, weil er nach Abwägung der Risiken auf die Wahrheit der behaupteten Umstände vertraut. Ein Irrtum ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Getäuschte die wahre Sachlage nur aus Fahrlässigkeit oder grober Fahrlässigkeit nicht kannte (BGH NJW 1971, 1795, 1798; 1989, 287, 288; 1997, 1845, 1847). Auch ist keine objektive Erheblichkeit des Irrtums erforderlich, sondern es ist auf die Sicht des Erklärenden abzustellen (BGH WM 1978, 221, 222; MüKo/Armbrüster Rn 22). b) Kausalität. Der Irrtum ist nur dann durch die Täuschungshandlung verursacht, wenn die Fehlvorstellung beim Erklärenden sich auf Umstände bezieht, über die der Erklärungsgegner getäuscht hat. Der Irrtum muss al-

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so der Täuschungshandlung entsprechen. Eine reine „Selbsttäuschung“, der der Erklärende unterliegt, ist dem Erklärungsgegner nicht zuzurechnen. Ferner muss der Irrtum für die Abgabe der Willenserklärung kausal sein. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn der Getäuschte die Willenserklärung ohne den Irrtum überhaupt nicht oder mit einem anderen Inhalt abgegeben hätte. Vielmehr genügt es, wenn der Erklärende ohne die Täuschung die Willenserklärung nicht zu dieser Zeit abgegeben hätte und damit die Täuschung das Geschäft beschleunigt hat (BGH NJW 1964, 811; BGH NJW-RR 2015, 158, 159; MüKo/Armbrüster Rn 25). Auch muss der Irrtum nicht allein auf der Täuschung beruhen, sondern es genügt, dass der durch die Täuschung hervorgerufene Irrtum für die Willenserklärung mit ursächlich gewesen ist (RG 77, 309, 314; Soergel/Hefermehl Rn 20). Keinesfalls genügt eine Täuschung nach Abgabe der Willenserklärung, da sie nicht mehr kausal werden kann (Staud/Singer/v Finckenstein Rn 48). 5. Arglist. Für die Arglist des Täuschenden ist keine Absicht notwendig, vielmehr genügt auch bedingter Vorsatz (BGH 7, 301, 302; NJW 2007, 3057, 3059; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 50). Dies setzt bei der Täuschung durch aktives Handeln zunächst voraus, dass der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Tatsachenbehauptung kennt oder zumindest für möglich hält (BGH NJW 2006, 2839, 2840; 2007, 3057, 3059). Dies ist auch dann der Fall, wenn er ohne hinreichende Erkenntnisgrundlage „ins Blaue hinein“ Angaben macht und folglich mit der Möglichkeit rechnet, dass seine Behauptungen unrichtig sind (BGH 63, 382, 388; NJW 1981, 1441, 1442; 2006, 2839, 2840; 2008, 644, 648). Der gute Glaube an die Richtigkeit des Erklärten soll dabei die Arglist nicht ausschließen (BGH NJW 1980, 2460, 2461). Dagegen kann bei einem Rechtsirrtum der Vorsatz ausnahmsweise ausgeschlossen sein (BGH NJW 2007, 2407, 2409; NJW-RR 2011, 270, 274). Geht es um eine Täuschung durch Unterlassen, so müssen dem Untätigen die Tatsachen bekannt sein, die seine Aufklärungspflicht begründen (NK/Feuerborn Rn 62). Nicht arglistig handelt insb derjenige, dem die offenbarungspflichtigen Tatsachen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht mehr bekannt sind (BGH NJW 2001, 2326, 2327). Weiterhin muss der Vorsatz auf die Erregung eines Irrtums und die Abgabe einer irrtumsbedingten Willenserklärung gerichtet sein. Auch insoweit genügt bedingter Vorsatz. Der Handelnde muss also wissen oder es für möglich halten, dass aufgrund seiner unrichtigen Tatsachenbehauptung der Erklärende eine falsche Vorstellung von der Wirklichkeit erhält und deswegen eine Erklärung abgibt, die er bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht oder nicht mit diesem Inhalt abgegeben hätte (BGH NJW 1957, 988; 1974, 1505, 1506; NJW-RR 2005, 1082, 1083; Hamm NJW-RR 1995, 286, 287). Geht es um eine Täuschung durch Unterlassen, so muss der Untätige wissen oder es für möglich halten, dass der Erklärende die betreffenden Umstände nicht kennt und deswegen eine Willenserklärung abgibt, die er bei Kenntnis der wahren Umstände nicht oder nicht so abgegeben hätte (BGH NJW 1995, 1549, 1550; NJW-RR 1996, 690; NJW 1998, 1315, 1316; Koblenz NJW-RR 2003, 119, 120). Arglist ist dabei selbst dann zu bejahen, wenn der Schweigende zwar davon ausgeht, dass der Erklärende aufgrund von Indizien die wahren Umstände erkennen kann, es aber für möglich hält, dass der Erklärende eine entspr Prüfung unterlässt (BGH NJW 1990, 42f; NJW-RR 1997, 270). Nicht erforderlich ist eine verwerfliche Gesinnung (Soergel/Hefermehl Rn 25; MüKo/Armbrüster Rn 17; Staud/ Singer/v Finckenstein Rn 49; aA BGH LM Nr 9). Nach dem Schutzzweck der Vorschrift kommt es nicht auf die Gesinnung des Täuschenden, sondern auf die Beeinflussung der Entschließungsfreiheit des Erklärenden an. Auch die Täuschung in „wohlmeinender Absicht“ ist deshalb arglistig, selbst wenn der Täuschende nur das Beste gewollt hat. Da die Vorschrift auch nicht den Schutz des Vermögens bezweckt, ist eine Schädigungs- oder Bereicherungsabsicht ebenso wenig erforderlich (BGH NJW 1974, 1505, 1506; WM 1977, 343). 6. Besonderheiten bei Täuschung durch Dritte (§ 123 II 1). a) Nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Handelt es sich um eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung, so spielt es für die Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung keine Rolle, wer die Täuschung verübt hat (hL, s nur Staud/Singer/v Finckenstein Rn 51; teilw für eine entspr Anwendung des § 123 II Windel AcP 199, 422, 439ff); denn es sind in diesem Fall keine schutzwürdigen Interessen anderer Beteiligter zu berücksichtigen. b) Empfangsbedürftige Willenserklärungen. Ein vollständiger Schutz der Willensentschließungsfreiheit des Erklärenden kann dagegen bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen mit den schutzwürdigen Interessen des Erklärungsempfängers kollidieren. Unbillige Ergebnisse würden sich hier ergeben, wenn der Erklärungsempfänger an der Willensbeeinflussung des Erklärenden nicht beteiligt war (Mot I, 206). In diesem Fall soll daher nach Abs II das Vertrauen des Erklärungsempfängers auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts grds nicht enttäuscht werden. In zwei Fällen ist die Täuschung durch eine andere Person als den Erklärungsempfänger jedoch beachtlich: aa) Bösgläubigkeit des Erklärungsempfängers. Kannte der Erklärungsempfänger die Täuschung des Erklärenden durch einen Dritten oder musste er sie kennen, ist die Willenserklärung stets anfechtbar (§ 123 II S 1). Auf die Frage, ob der Täuschende tatsächlich „Dritter“ war, kommt es in diesem Fall nicht an. Fahrlässige Unkenntnis kann sich dabei auch daraus ergeben, dass der Erklärungsempfänger sich nicht nach dem Verhalten des Dritten erkundigt hat, obwohl dazu Anlass bestand (BGH NJW-RR 1992, 1005; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 48; aA Flume AT II § 29, 3). bb) Zurechnung der Täuschung. Bei einem gutgläubigen Erklärungsempfänger ist entscheidend, ob die Täuschung als die eines „Dritten“ angesehen werden kann. Ist die Täuschung dagegen dem Erklärungsempfänger zuzurechnen, ist sie unbeschadet seiner Gutgläubigkeit möglich. Nach allg Ansicht liegt die Täuschung eines „Dritten“ dabei nur dann vor, wenn sie durch einen am Geschäft Unbeteiligten verübt wurde (vgl schon Mot. I, Arnold

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206). Str ist, unter welchen Voraussetzungen beim Erklärungsempfänger eine Zurechnung des arglistigen Verhaltens möglich ist. Die Rspr stellt darauf ab, ob das Verhalten des Täuschenden dem des Anfechtungsgegners gleichzusetzen ist; iÜ soll eine Zurechnung aber auch dann in Betracht kommen, wenn der Erklärungsempfänger sich die Täuschung „nach Billigkeitsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der Interessenlage zurechnen lassen muss“ (BGH NJW 1990, 1661, 1662; s ferner etwa BGH NJW 1978, 2144f; 1996, 1051). Nach anderer Auffassung soll es etwa darauf ankommen, ob der Täuschende bei wertender Betrachtung auf Seiten des Erklärungsempfängers steht (Flume AT II § 29, 3; ähnlich auch Soergel/Hefermehl Rn 32). Schließlich wird vorgeschlagen, für die Zurechnung allein auf § 278 abzustellen (Schubert AcP 168, 471, 476ff). In den praktischen Ergebnissen kommen die verschiedenen Ansätze freilich vielfach zu gleichen Ergebnissen. IÜ dürfte Einigkeit bestehen, dass der Begriff des „Dritten“ eher restriktiv zu bestimmen und im Zweifel eine Zurechnung anzunehmen ist (s nur Pal/Ellenberger Rn 13; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 52ff). Im Einz ist dem Erklärungsempfänger zunächst die Täuschung durch einen Vertreter zuzurechnen (s nur RG 76, 107, 108; BGH 20, 36, 39). Dabei genügt auch Vertretung ohne Vertretungsmacht, sofern sie nachfolgend vom Erklärungsempfänger genehmigt wird (BGH WM 1979, 237). Ebenso sind die vertretungsberechtigten Gesellschafter von Personengesellschaften und die Organe jur Pers im Verhältnis zur Gesellschaft keine Dritten (Staud/Singer/v Finckenstein Rn 54). Dritte sollen ferner nicht vom Erklärungsempfänger beauftragte Verhandlungsführer oder -gehilfen sein (BGH 47, 224, 229; NJW 1962, 2195; 1978, 2144; 1989, 2879, 2880; 2001, 358, 359), und zwar wohl auch bei nachträglicher Billigung eines auftragslosen Auftretens als Verhandlungsgehilfe (Schubert AcP 168, 470, 482; vgl dazu BGH NJW 1996, 1051). Gleiches gilt für mittelbare Stellvertreter und Strohmänner (Staud/Singer/v Finckenstein Rn 54). Auch der Versicherungsvermittler ist bei Abschluss eines Versicherungsvertrags in Bezug auf den Versicherer nicht Dritter, wohl aber in Bezug auf den Versicherungsnehmer, wenn er den Antrag falsch ausfüllt, um sich eine Provision zu verschaffen (Hamm VersR 1974, 562; vgl auch KG MDR 2015, 513). Ein Makler ist dagegen grds als Dritter anzusehen (BGH 33, 302, 309). Dies gilt aber nicht, wenn er Aufgaben übernimmt, die typischerweise einer Partei obliegen (BGH NJW 1996, 451; 2001, 358). Nicht als Dritter wurde ferner der Alleingesellschafter einer GmbH angesehen, der aufgrund seiner Weisungsbefugnis einen Geschäftspartner der GmbH in mittelbarer Täterschaft arglistig täuscht (BGH NJW 1990, 1915; Grunewald ZGR 1991, 452, 455). In den Fällen eines finanzierten Geschäfts ist der Verkäufer, der das Darlehen an den Kunden vermittelt, im Verhältnis zur Bank nicht als Dritter anzusehen (BGH 20, 36, 40f; 33, 302, 308; 47, 224, 227f; NJW 1978, 2144, 2145; 1979, 1593, 1594). Auch die von einem gemeinschaftlichen Vertreter von Verkäufer und Kreditgeber verübte Täuschung berechtigt ohne weiteres zur Anfechtung (BGH NJW 1978, 2144, 2145). Ebenso ist beim Finanzierungsleasing der Lieferant, der für den Leasinggeber die Verhandlungen führt und dabei den Leasingnehmer täuscht, kein Dritter iSv § 123 II (BGH NJW 1989, 287, 288; anders aber im Hinblick auf die Verleitung zum Abschluss eines weiteren, mit dem Leasingvertrag nicht in sachlichem Zusammenhang stehenden Vertrags, BGH NJW 2011, 2874, 2875). Beim verbundenen Geschäft iSv §§ 358f ist der täuschende Anlagevermittler für die kreditgebende Bank von vornherein nicht Dritter iSv § 123 II (BGH NJW 2006, 1955, 1957; 2007, 2407, 2408; 2010, 596, 598; 602, 603). Liegt kein verbundenes Geschäft vor, soll bei einem „institutionellen Zusammenwirken“ von Veräußerer/Vertreiber und Bank widerleglich vermutet werden, dass die Bank Kenntnis von der arglistigen Täuschung durch die Fondsinitiatoren hatte, und damit eine Aufklärungspflicht der Bank anzunehmen sein, deren Verletzung sie zum Schadensersatz verpflichten kann (BGH NJW 2006, 2099, 2103ff; 2007, 357, 358; 2008, 640, 643; NJW-RR 2009, 1275, 1278). Dieselben Grundsätze gelten unter bestimmten Voraussetzungen auch bei einem verbundenen Geschäft im Hinblick auf Täuschungen durch außerhalb des Verbunds stehende Personen (BGH NJW 2007, 1127, 1129; 2407, 2408). Demgegenüber ist ein den Sicherungsgeber täuschender Schuldner Dritter iSd Abs II, da er regelmäßig eigene Interessen verfolgt und nicht auf Seiten des Sicherungsnehmers (Gläubigers) steht (BGH NJW 1962, 1907, 1908; 1968, 986, 987); das gilt auch dann, wenn der Gläubiger die Bürgschaftsurkunde entworfen und den Anstoß für die Verhandlungen mit dem Bürgen gegeben hat (BGH NJW-RR 1992, 1005, 1006). Der Schuldner soll in diesen Fällen allein dann nicht als Dritter anzusehen sein, wenn er vom Gläubiger mit den Verhandlungen beauftragt worden war (BGH NJW 1962, 2195, 2196; Köln OLG 1968, 130, 131). Ebenfalls Dritter iSd Abs II ist in Bezug auf den Gläubiger ein Schuldner, der den Schuldübernehmer täuscht, um ihn zum Abschluss eines Schuldübernahmevertrags mit dem Gläubiger zu bewegen (§ 414, s nur Soergel/ Hefermehl Rn 38). Im Fall einer genehmigten Schuldübernahme nach § 415 scheint bei einer Täuschung des Schuldners dagegen eine Anfechtung nach Abs I möglich, auch wenn der Gläubiger gutgläubig war (so in der Tat BGH 31, 321, 324ff; MDR 1976, 388). Indes ist auch in diesem Fall schon im Hinblick auf die Wertung des § 417 II eine Anfechtung ggü dem nicht beteiligten Gläubiger nur zuzulassen, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste (Flume AT II § 29, 3; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 66; MüKo/Armbrüster Rn 75). Bei der Vertragsübernahme durch Vereinbarung zw dem ausscheidenden und dem eintretenden Vertragspartner soll der im Vertrag verbleibende Teil seine Zustimmungserklärung ebenfalls nur anfechten können, wenn in der Person beider Adressaten der Zustimmungserklärung ein Anfechtungsgrund iSv § 123 I/II gegeben ist; beide Partner der Übernahmevereinbarung müssen also entweder selbst arglistig handeln oder aber mindestens bösgläubig iSv § 123 II sein (BGH 137, 255, 261). 7. Anfechtung gegenüber dem Begünstigten (Abs II S 2). § 123 II 2 lässt eine Anfechtung zu, wenn ein anderer aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat und dieser Begünstigte die Täuschung kannte 304

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oder kennen musste. Im Regelfall des § 123 II 2 sind damit vier Personen beteiligt: Der Erklärende gibt ggü dem Erklärungsempfänger eine Erklärung ab, wodurch ein „anderer“ unmittelbar ein Recht erwirbt. Diese Erklärung beruht auf der arglistigen Täuschung eines Unbeteiligten. Der Erklärende kann dann nach § 123 II 2 durch Erklärung ggü dem Begünstigten anfechten, soweit dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Täuscht der Begünstigte selbst den Erklärenden, kann dieser erst recht nach § 123 II 2 anfechten (Flume AT II § 29, 3; BGH NJW-RR 2006, 1210, 1212), auch wenn der Erklärungsempfänger die Täuschung weder kannte noch kennen musste. Täuscht ein Unbeteiligter und kannte der Erklärungsempfänger die Täuschung oder musste er sie kennen, ist eine Anfechtung nach § 123 II 1 ggü dem Erklärungsempfänger möglich, selbst wenn der Begünstigte gutgläubig war. Täuscht der Erklärungsempfänger selbst oder eine Person, deren Verhalten dem Erklärungsempfänger zuzurechnen ist, ist § 123 II nicht anwendbar. Die Anfechtung richtet sich nach § 123 I. Hauptanwendungsfälle des § 123 II 2 sind Verträge zugunsten Dritter, insb Lebensversicherungsverträge, wenn der Erklärungsempfänger gutgläubig und der Begünstigte bösgläubig ist. Kein Anfechtungsrecht soll allerdings ggü dem bloß widerruflich Bezugsberechtigten bestehen (Hamm NJW 1987, 1170, 1172). Mit der Anfechtung ggü dem Begünstigten verliert dieser seinen Anspruch gegen den Erklärenden (Versprechenden, Versicherer). Dessen Verpflichtung ggü dem Erklärungsempfänger (Versprechensempfänger) bleibt zwar wegen der nur teilw Wirkung der Anfechtung („soweit“) grds bestehen. Doch ist insoweit § 139 anzuwenden (Soergel/Hefermehl Rn 37; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 64). V. Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung. 1. Drohung. Unter einer Drohung versteht man das Inaussichtstellen eines zukünftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluss zu haben vorgibt (BGH 2, 287, 295; NJW 1988, 2599, 2600f; NJW-RR 1996, 1281, 1282; BAG NZA 2002, 731, 732; NJW 2004, 2401, 2402). Als Übel genügt jeder Nachteil. Die strafrechtliche Unterscheidung zw Drohung (zukünftiges Übel) und gegenwärtiger Gewalt (vis compulsiva) ist ohne Bedeutung. Gewalt ist zivilrechtlich zugleich auch immer eine Drohung mit der Fortsetzung des gegenwärtigen Übels (Mot I 207). Erforderlich ist nur, dass der Erklärende durch das Übel in eine Zwangslage versetzt wird. Nicht in Betracht kommt freilich die Anwendung physischer, unwiderstehlicher Gewalt (vis absoluta), da es in diesem Fall schon an einer Willenserklärung fehlt. IÜ spielt es keine Rolle, ob das Übel materieller oder ideeller Natur ist, ob es sich auf den Erklärenden selbst oder auf andere Personen (vgl BGH 25, 217, 218) bzw auf Sachen bezieht oder ob es durch Tun oder Unterlassen verwirklicht werden soll. Aus der Sicht des Bedrohten muss das Übel vom Willen des Drohenden abhängig sein. Eine Willensbeeinflussung ist deshalb auch gegeben, wenn die Drohung nicht ernst gemeint ist, der Bedrohte sie aber für ernst gemeint hält und halten soll (BGH NJW 1982, 2301, 2302; NJW-RR 1996, 1281, 1282). Ebenso genügt eine „versteckte Drohung“ (BGH NJW 1988, 2599, 2601; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 69), sofern das Übel für den Bedrohten erkennbar wird. Erweckt der Drohende den Eindruck, er könne einen Dritten zur Verwirklichung eines Übels veranlassen, kann darin eine Drohung liegen (RGRK/Krüger-Nieland Rn 41). Der bloße Hinw auf eine vom Willen des Drohenden unabhängige Zwangslage genügt jedoch nicht (BGH 6, 348, 351). Keine Drohung ist deshalb auch die Mitteilung bereits vollzogener Maßnahmen (Soergel/Hefermehl Rn 40). Wird die Zwangslage nicht vom Drohenden herbeigeführt, ist die bloße Ausnutzung der Not – soweit nicht eine „versteckte Drohung“ vorliegt, den Zwangszustand aufrechtzuerhalten oder pflichtwidrig nicht zu verkürzen – nicht ausreichend (BGH NJW 1988, 2599, 2601). Es kann dann aber § 138 eingreifen. 2. Kausalität. Der Erklärende muss zur Abgabe der Willenserklärung durch Drohung bestimmt worden sein. Die Drohung muss also für die Zwangslage des Bedrohten und diese wiederum für die Willensbildung ursächlich gewesen sein. Mitursächlichkeit genügt (st Rspr, BGH NJW 1991, 1673, 1674). Ebenso reicht es aus, wenn der Bedrohte die Erklärung ohne die Drohung mit einem anderen Inhalt oder zu einer anderen Zeit abgegeben hätte (BGH 2, 287, 299). Die bestimmende Wirkung der Zwangslage auf die Willensbildung hängt allein von der individuellen Wirkung auf den Erklärenden ab. Eine objektive Erheblichkeit iSd Wirkung der Drohung auf einen „besonnenen Menschen“ ist nicht erforderlich (Mot I, 208). Kausal kann die Drohung deshalb auch dann sein, wenn gerade nur der Erklärende aufgrund seiner psychischen Verfassung die Zwangslage als bestimmend empfinden musste. Gibt der Erklärende die Willenserklärung aber aufgrund eigener, selbständiger Überlegung ab, fehlt es an der Ursächlichkeit (BGH WM 1974, 1023). Kausalität ist jedoch gegeben, wenn der Drohende dies durch die Zwangslage gerade erreichen wollte, da er dann auch für diesen Willensentschluss eine Ursache gesetzt hat (vgl Soergel/Hefermehl Rn 43). Keine Rolle spielt es grds, ob dem widerrechtlich Bedrohten Bedenkzeit eingeräumt wurde (BAG NZA 2008, 348, 354). 3. Widerrechtlichkeit. Die Drohung muss den Erklärenden widerrechtlich zur Abgabe der Willenserklärung bestimmt haben. Soweit ein Recht besteht, einen anderen zur Abgabe der Erklärung zu nötigen, ist die abgenötigte Erklärung nicht anfechtbar (Mot I, 207); greift also ein allg Rechtfertigungsgrund (zB §§ 227ff) ein, kann der Erklärende sich von der abgegebenen Willenserklärung nicht lösen. Ansonsten ist die Widerrechtlichkeit positiv festzustellen. Sie kann sich aus dem angedrohten Übel (Mittel), dem erstrebten Erfolg (Zweck) oder aus dem Verhältnis von beiden zueinander (Mittel-Zweck-Relation) ergeben. a) Widerrechtlichkeit des Mittels. Widerrechtlich ist die Willensbeeinflussung schon dann, wenn das Nötigungsmittel gegen die Rechtsordnung verstößt; das ist zB der Fall, wenn das in Aussicht gestellte Übel eine strafbare Handlung darstellt oder die Androhung sonst gegen Rechtsvorschriften verstößt. Auch wenn das angedrohte Mittel (nur) einen Verstoß gegen die Sittenordnung (zB Drohung mit Selbsttötung) oder einen bloßen Arnold

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Vertragsbruch begründet, ist die Willensbeeinflussung bereits deshalb widerrechtlich (BGH WM 1983, 1017, 1019; NJW 1995, 3052, 3053). Die Drohung eines Richters, er werde ein der Partei nachteiliges Urt erlassen müssen, falls es nicht zu einem Vergleichsabschluss komme, soll widerrechtlich sein (so BGH NJW 1966, 2399; krit Schneider NJW 1966, 2401; Kubisch NJW 1967, 1605). Rechtmäßig ist der Einsatz von Mitteln, welche die Rechtsordnung vorsieht oder jedenfalls nicht verbietet (zB BGH WM 1972, 946, 947 – Klageerhebung; BGH WM 1985, 1249 – Zwangsvollstreckung; BAG NJW 1977, 318, 319 – Boykottaufruf im Arbeitskampf; BAG NJW 1999, 2059 – Strafanzeige). 46 b) Widerrechtlichkeit des Zwecks. Ist der mit der Drohung angestrebte Zweck rechtswidrig, folgt bereits daraus die Widerrechtlichkeit der Drohung, selbst wenn diese hierzu ein erlaubtes Mittel darstellt. Mit dem Zweck ist zunächst die subjektive Zielsetzung des Drohenden gemeint. Der Zweck kann aber auch durch den objektiv erstrebten Erfolg bestimmt werden. So ist zB die Androhung einer ordentlichen Kündigung, um die Mitwirkung an einer Steuerhinterziehung zu erreichen, wegen des objektiv widerrechtlichen Erfolgs rechtswidrig. Nicht ausreichend ist es, dass der Drohende keinen Rechtsanspruch auf die angestrebte Willenserklärung hat (BGH 25, 217, 219; BAG NJW 1970, 775). 47 c) Widerrechtlichkeit der Mittel-Zweck-Relation. Wird die Drohung mit Hilfe eines erlaubten Mittels zu einem nicht verbotenen Zweck eingesetzt, kann die Bestimmung des Erklärenden zur Abgabe der Willenserklärung gleichwohl rechtswidrig sein. Es kommt dann darauf an, ob im Einzelfall der Einsatz des konkreten Mittels zur Erreichung des konkreten Zwecks unangemessen (inadäquat) ist (s nur BGH NJW 1983, 384f; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 78). 48 aa) Die Verwerflichkeit ergibt sich – wie im Strafrecht (§ 240 StGB) – aus der sozial-ethischen Missbilligung der Verbindung von Mittel und Zweck. Hierfür sind die Grundsätze von Treu und Glauben sowie die herrschenden Anschauungen (Verkehrssitte, Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden: BGH 25, 217, 221; NJW 1983, 384, 385) im Rahmen einer Gesamtwürdigung heranzuziehen. So verstößt es etwa gegen die Billigkeit und die guten Sitten, die – sonst erlaubte – Drohung einzusetzen, um eine bestehende Notsituation oder eine Unerfahrenheit beim Geschäftsgegner auszunutzen. 49 bb) Neben diesem allg Maßstab ist aber zu fragen, ob die Entschließungsfreiheit des Erklärenden konkret so beeinträchtigt ist, dass man dem Bedrohten zum Schutze seiner Selbstbestimmung das Recht einräumen muss, sich von dem Rechtsgeschäft zu lösen. Dies ist nur bei Berücksichtigung der konkreten Belange des Bedrohten und des Drohenden zu entscheiden (vgl BGH 25, 217, 223). Die Widerrechtlichkeit hängt deshalb insoweit auch von der Abwägung der Interessen dieser Beteiligten ab (vgl Soergel/Hefermehl Rn 47). Besteht etwa ein Rechtsanspruch auf den erstrebten Erfolg oder hat der Drohende daran ein berechtigtes Interesse, besteht idR keine Inadäquanz von Mittel und Zweck. Deshalb ist zB die durch Androhung der Mandatsniederlegung erreichte Vergütungserhöhung nicht widerrechtlich (BGH MDR 1978, 558 für die Erzwingung einer Haftungsübernahme; anders aber BGH NJW 2010, 1364, 1367 für die Androhung der Mandatsniederlegung unmittelbar vor der Hauptverhandlung, ebenso BGH NJW 2013, 1581, 1582 für den Zivilprozess). Ebenso liegt keine widerrechtliche Drohung vor, wenn der Grundstücksverkäufer dem Makler erklärt, er werde den Grundstückskauf nur abschließen, wenn der Makler auf die Verkäuferprovision verzichte und sich mit der Käuferprovision begnüge (BGH NJW 1969, 1627). Widerrechtlichkeit soll dagegen zu bejahen sein, wenn die Übergabe eines Hauses von der Anerkennung einer Forderung (BGH NJW 1982, 2301, 2302), nicht dagegen, wenn sie von der Abnahme durch den Bauherrn (BGH NJW 1983, 384, 385) abhängig gemacht wird. 50 cc) Einzelfälle. (1) In einer privatrechtlichen Auseinandersetzung ist die Drohung, die Presse zu informieren, nicht widerrechtlich, wenn damit auf die Erfüllung eines vertretbar für berechtigt gehaltenen Anspruchs hingewirkt werden soll und der angedrohte Pressebericht seinerseits nicht rechtswidrig wäre; soweit die Pressefreiheit reicht (Art 5 II 2 GG), ist auch die Information der Presse durch die Meinungsäußerungsfreiheit des Informanten (Art 5 I 1 GG) gedeckt (BGH NJW 2005, 2766, 2768). 50a (2) Die Drohung mit einer Strafanzeige ggü dem Täter ist nicht inadäquat, wenn sie ihn zu einer Ersatzleistung wegen seiner verübten Straftat anhalten soll (BGH WM 1963, 511, 512). Nicht widerrechtlich ist insb im Allg bei begründetem Anfangsverdacht die Drohung des Arbeitgebers mit einer Strafanzeige, um einen ArbN zur Wiedergutmachung des angerichteten Schadens zu veranlassen (BAG AP § 781 Nr 1; NZA 1999, 417, 418; NJW 1999, 2059). Dasselbe gilt in einer solchen Lage, wenn der Arbeitgeber mit der Drohung auf den Abschluss eines Aufhebungsvertrags hinwirkt (LAG Köln NZA-RR 1999, 12), nicht jedoch, wenn der mit der Anzeige Drohende die Erfüllung eines Geschäfts verlangt, bei dem er den Täter übervorteilt hat (BGH WM 1964, 1296, 1297). Fehlt es an einem inneren Zusammenhang zw Straftat und geltend gemachter Forderung, liegt Widerrechtlichkeit vor, so zB bei der Drohung mit einer Anzeige wegen eines zufällig beobachteten Verkehrsdelikts, um die Bezahlung einer fälligen Schuld zu erreichen (Wolf/Neuner AT § 41 Rn 136). 51 (3) Die Drohung mit einer Strafanzeige ggü einem Dritten kann rechtmäßig sein, wenn der Dritte in einer strafrechtlich oder zivilrechtlich nicht erfassbaren Weise an der Straftat mitgewirkt hat, durch die der Schaden verursacht worden ist oder wenn er Vorteile daraus gezogen hat (BGH 25, 217, 221; WM 1973, 36). Die Drohung mit einer Strafanzeige gegen den Täter ist aber jedenfalls dann widerrechtlich, wenn sie sich gegen einen Dritten allein mit Rücksicht auf dessen persönliche Beziehung zum Täter richtet (Bsp: Die Ehefrau des Betrügers wird durch Drohung mit einer Strafanzeige gegen den Ehemann zur Bürgschaft für den durch den Betrug entstandenen Schadensersatzanspruch gezwungen); denn der Drohende missbraucht die verwandtschaftlichen Be306

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ziehungen des Dritten zum Täter zu eigennützigen Zwecken (Karlsruhe VersR 1992, 703; MüKo/Armbrüster Rn 110; aA Flume AT II § 28, 2c). (4) Die Drohung mit einer (außerordentlichen) Kündigung ist widerrechtlich, wenn sie etwa den Zweck verfolgt, schlechtere Vertragsbedingungen für den ArbN zu erreichen, obwohl die Kündigung jeder Grundlage entbehrt und ein verständiger Arbeitgeber sie nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte (BAG NJW 1970, 775; 1994, 1021; 2004, 2401, 2402; 2006, 3020, 3021). Glaubt der Arbeitgeber, eine außerordentliche Kündigung sei möglich, obwohl sie aufgrund des Verhaltens des ArbN nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann, ist die Drohung mit ihr rechtswidrig, wenn sie den Zweck verfolgt, den ArbN zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eigene Kündigung oder Aufhebungsvertrag zu bestimmen. Das gilt insb, wenn der Arbeitgeber kein berechtigtes Interesse an der erstrebten ordentlichen Kündigung des Arbeitsnehmers hat oder die Androhung sich nicht (mehr) als angemessenes Mittel zur Verfolgung des erstrebten Ziels darstellt. Anders ist es, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung in Betracht gezogen hätte (für Einzelheiten zum Vorstehenden BAG NJW 1980, 2213; 1997, 676, 677; NZA 2003, 1055). Einen Verdachtsgrund, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnte, muss der Arbeitgeber aufzuklären versuchen, ehe er eine fristlose Kündigung androht (BAG NJW 1997, 676). 4. Subjektiver Tatbestand. § 123 I setzt voraus, dass jemand zur Abgabe einer Willenserklärung durch Drohung „bestimmt“ worden ist. Daraus folgt, dass der Drohende bewusst den Zweck verfolgen muss, den Willen des Bedrohten zu beeinflussen (BGH NJW-RR 1996, 1281, 1282; BAG NZA 2006, 841, 843; 2008, 348, 353). Er muss sich darüber bewusst sein, dass sein Verhalten geeignet ist, den Willen des anderen Teils zu beeinflussen (RG 104, 79, 80). Nicht erforderlich ist die Absicht, die Drohung zu verwirklichen oder den Bedrohten zu schädigen. Bei einem Irrtum des Drohenden über die Widerrechtlichkeit der Drohung wird zw Sachverhalts- und Wertungsirrtum unterschieden. Bei einem Sachverhaltsirrtum irrt der Drohende über tatsächliche Umstände, die der Drohung den sittlich anstößigen Charakter geben. Hier soll es darauf ankommen, ob der Irrtum des Drohenden verschuldet oder nicht verschuldet ist. Ein verschuldeter Sachverhaltsirrtum, der dann vorliegt, wenn der Drohende die Umstände zwar nicht kennt, aber doch kennen muss, soll den Bedrohten zur Anfechtung berechtigen. Dagegen soll ein unverschuldeter Sachverhaltsirrtum nicht so schwerwiegend sein, dass dem Drohenden deswegen der „Makel“ einer rechtswidrigen Drohung angelastet werden müsse (so BGH 25, 217, 224; JZ 1963, 318, 319; vgl auch RG 108, 102, 104). Diese Rspr ist abzulehnen. Eine schuldlose Unkenntnis ändert nichts an der Rechtswidrigkeit. Es geht hier nicht darum, den Drohenden vor einem „Makel“ zu bewahren, sondern den Bedrohten in seiner Entschließungsfreiheit zu schützen (gegen die Rspr zB Flume AT II § 28, 3; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 137; Jauernig/Mansel Rn 16; Medicus/Petersen AT Rn 820). Bei einem Wertungsirrtum zieht der Drohende aus den tatsächlichen Umständen einen falschen rechtlichen Schluss. Ein solcher Rechtsirrtum ist anerkanntermaßen unbeachtlich. Ein Bewusstsein der Rechtswidrigkeit wird von § 123 nicht vorausgesetzt (RG 104, 79, 80; 108, 102, 104; vgl auch BGH 25, 217, 223; NJW 1982, 2301, 2302; Flume AT II § 28, 3). Etwas anderes hat für die Androhung einer Klage zu gelten (vgl BGH WM 1972, 946). Diese stellt die Rechtsordnung jedem auch dann zur Verfügung, wenn sein Recht nicht besteht oder nicht bewiesen werden kann. Deshalb ist die Drohung mit einer Klage grds nicht rechtswidrig. Ausnahmsweise ist eine solche Drohung rechtswidrig, wenn der Drohende weiß, dass das geltend gemachte Recht nicht besteht (vgl Flume AT II § 28, 3 aE; Soergel/Hefermehl Rn 53 mwN). 5. Drohung durch Dritte. Anders als bei der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung kommt es für die Anfechtung wegen Drohung nach dem Gesetzeswortlaut und der hM nicht darauf an, ob der Erklärungsempfänger oder ein Dritter droht (BGH NJW 1966, 2399, 2401; MüKo/Armbrüster Rn 115; einschränkend Martens AcP 207, 371ff und Erman/Palm12 Rn 72). Ist der Erklärungsempfänger hins der widerrechtlichen Drohung gutgläubig, ist danach gleichwohl § 123 I anwendbar. Das folgt im Umkehrschluss aus § 123 II und ist sachlich dadurch gerechtfertigt, dass die Regelung einen allg Schutz der rechtsgeschäftlichen Entschließungsfreiheit gegen Zwang bezweckt (Prot I 120). Demnach kann auch eine politische Kollektivdrohung zur Anfechtung ggü dem Erklärungsempfänger berechtigen (Pal/Ellenberger Rn 18). War der Erklärungsempfänger gutgläubig, ist ihm gleichwohl nicht analog § 122 der Vertrauensschaden zu ersetzen (aA MüKo/Armbrüster Rn 117). Das Gesetz hat gerade wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit des Bedrohten auf den Schutz des guten Glaubens beim Erklärungsempfänger verzichtet (Prot I, 120). VI. Folgen der Anfechtung. Grds ist die wirksam angefochtene Willenserklärung als von Anfang an nichtig anzusehen (§ 142 I). Die Einschränkungen der Anfechtungsmöglichkeit bei in Vollzug gesetzten Dauerrechtsverhältnissen gelten auch im Fall einer arglistigen Täuschung und widerrechtlichen Drohung (vgl § 119 Rn 13). Die Anfechtung kann auch das Erfüllungsgeschäft betreffen (vgl § 142 Rn 5). Betrifft die Anfechtung nur den selbständigen Teil eines einheitlichen Rechtsgeschäfts, ist nach § 139 zu entscheiden, ob das gesamte Geschäft unwirksam ist (vgl zB beim Arbeitsvertrag BAG NJW 1970, 1941, 1942). Der wegen arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung Anfechtende braucht keinen Ersatz des Vertrauensschadens zu leisten. Das ergibt sich aus Wortlaut und Stellung des § 122. Aus der Täuschung bzw Drohung folgen allerdings regelmäßig Ansprüche des Anfechtenden. So kommen, soweit das dingliche Erfüllungsgeschäft unwirksam ist, Ansprüche nach §§ 985ff in Betracht. Daneben sind aus §§ 812ff Bereicherungsansprüche begründet, wobei der arglistig Täuschende bzw widerrechtlich Drohende nach § 819 vom Zeitpunkt des Empfanges der Leistung an verschärft haftet. Ferner soll für den arglistig Getäuschten die Saldotheorie nicht Arnold

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gelten: Dem Anfechtungsberechtigten steht damit auch dann noch ein Bereicherungsanspruch zu, wenn er selbst die empfangene Leistung nicht mehr zurückgewähren kann (Einzelheiten § 818 Rn 41ff, 46). Schließlich bestehen regelmäßig auch Schadensersatzansprüche aus §§ 823ff oder aus §§ 311 II, 241 II, 280 I. VII. Ausschluss der Anfechtung. Die Frage der Abdingbarkeit des § 123 kann sich nur im Hinblick auf die arglistige Täuschung stellen (Flume AT II § 19). Gestaltungsspielraum besteht hier allenfalls in engen Grenzen. Unwirksam ist ein solcher Ausschluss auf jeden Fall, wenn die Täuschung von dem Geschäftspartner selbst oder von einer Person verübt worden ist, die nicht Dritter iSv § 123 II ist (BGH NJW 2007, 1058f; 2012, 296, 298; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 96). Aber auch bei einer Täuschung durch einen Dritten muss ein vertraglicher Ausschluss der Anfechtung unzulässig sein, wenn dem Erklärungsempfänger die Täuschung bekannt war (Flume AT II § 19; MüKo/Armbrüster Rn 77; enger Staud/Singer/v Finckenstein Rn 96, die auch bei fahrlässiger Unkenntnis einen Ausschluss der Anfechtung für unzulässig halten). IÜ kann das Anfechtungsrecht im Einzelfall wegen Verzichts oder Verwirkung (s § 124 Rn 2) ausgeschlossen sein. VIII. Beweislast. Die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Anfechtungsvoraussetzungen trägt derjenige, der sich auf die Anfechtung beruft (BGH NJW 1957, 988; BAG NZA 2008, 348, 354; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 89). Das gilt auch für die Fälle einer nicht gehörigen Aufklärung (BGH NJW 2001, 64, 65; Pal/Ellenberger Rn 30). Allerdings muss der Anfechtende nicht beweisen, dass zu keinem denkbaren Moment die erforderliche Aufklärung stattgefunden hat. Vielmehr hat zunächst der andere Teil vorzutragen, wann und wo die erforderliche Aufklärung erfolgt sein soll. Widerlegt der Anfechtende diese Behauptung, hat er seiner Darlegungs- und Beweislast genügt (BGH NJW 2001, 64, 65; 2014, 3296, 3297). Die gleichen Grundsätze gelten, wenn der Irrtum zunächst durch aktiven Handelns des anderen Teils verursacht wird, dieser sich aber darauf beruft, die Fehlvorstellung beim Anfechtenden durch spätere Aufklärung wieder beseitigt zu haben; jedoch sollen dem Anfechtenden Erleichterungen hinsichtlich des Beweismaßes zugute kommen können (BGH NJW 2014, 3296, 3297). Da die Ursächlichkeit der Täuschung häufig von unbestimmten, nach außen nicht in Erscheinung tretenden, individuellen Umständen abhängt, ist dafür ein Beweis des ersten Anscheins nur im Ausnahmefall möglich (so BGH NJW 1957, 988f; 1958, 177; 1968, 2139; 1996, 1051; tendenziell großzügiger BGH NJW 1995, 2361, 2362; WM 1976, 111, 112; eingehend Staud/Singer/v Finckenstein Rn 89), so zB bei typischen Umsatzgeschäften (vgl BGH NJW 1958, 177). Es genügt aber, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss bedeutsam sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Geschäfts Einfluss auf die Entschließung hat. Dafür kann auch von Bedeutung sein, dass ein Umstand zugleich Gegenstand einer vertraglichen Zusicherung war (BGH NJW 1995, 2361, 2362). Ebenso hat derjenige, der sich auf die Anfechtung wegen Drohung beruft, grds alle Tatsachen zu beweisen, aus denen sich das Anfechtungsrecht ergibt; das gilt auch für die Tatsachen, welche die Widerrechtlichkeit der Drohung begründen (BGH NJW 1983, 1266, 1267; BAG NZA 2008, 348, 354). Wird mit der Drohung ein Rechtsstandpunkt verfolgt, ist dessen sachliche Vertretbarkeit primär vom Drohenden darzulegen und zu beweisen (BGH NJW 2005, 2766, 2768). Für die Kausalität ist bei einem objektiv geeigneten Übel ein Beweis des ersten Anscheins möglich (vgl Pal/Ellenberger Rn 30).

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(1) Die Anfechtung einer nach § 123 anfechtbaren Willenserklärung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen. (2) Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, im Falle der Drohung mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört. Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206, 210 und 211 entsprechende Anwendung. (3) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind. 1. Bedeutung. Bei arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung ist die Anfechtungsfrist länger bemessen als in den übrigen Anfechtungsfällen (vgl § 121); der Getäuschte oder Bedrohte verdient besonderen Schutz; er soll deshalb besser gestellt werden. Andererseits soll das Geschäft im Interesse des Rechtsverkehrs nicht zu lange in der Schwebe bleiben. Bei den Anfechtungsfristen des § 124 I, III handelt es sich – wie bei denen des § 121 – um Ausschlussfristen. Das Anfechtungsrecht geht also mit Fristablauf ersatzlos unter; der Ablauf ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Vorschrift gilt auch für die Anfechtung von Arbeitsverträgen (BAG ZIP 1984, 210, 211f). Der Erklärende kann die ihm von § 124 eingeräumte Anfechtungsfrist grds voll ausschöpfen; der Anfechtungsgegner ist nicht berechtigt, ihm eine Frist zur Erklärung der Anfechtung zu setzen (aA Flume AT II § 27, 3 für den Fall, dass ein anderer als der Drohende oder Täuschende Anfechtungsgegner ist oder durch die Anfechtung betroffen wird). Allerdings kann das Anfechtungsrecht ausnahmsweise bereits vorher durch Verwirkung ausgeschlossen sein. Dies ist zu bejahen, wenn in der Ausübung ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt, zB weil der Anfechtungsgegner schon vor Ablauf der Jahresfrist mit einer Anfechtung nicht mehr zu rechnen brauchte (BGH NJW 1971, 1795, 1800). Bei Arbeitsverträgen kann die (fristgerechte) Anfechtung ausgeschlossen sein, wenn der Anfechtungsgrund für die Vertragsdurchführung keine Bedeutung mehr hat (BAG NJW 1970, 1565, 1566; ZIP 1984, 210, 212). Nicht gegen Treu und Glauben verstößt es hingegen, wenn der Anfechtungsberechtig308

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te sich auf einen zwischenzeitlich vorübergehend weggefallenen Anfechtungsgrund beruft (BGH NJW 1992, 2346, 2347). IÜ ist eine Anfechtung selbstverständlich auch bei Bestätigung des anfechtbaren Geschäfts (§ 144) ausgeschlossen. 2. Ausschlussfrist des Abs I. a) Beginn bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Der nach § 123 Anfechtungsberechtigte muss die Anfechtung binnen Jahresfrist erklären. Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen beginnt diese Frist im Fall der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt (§ 124 II 1). Die Frist wird also erst mit der positiven Kenntnis in Lauf gesetzt. Dabei genügt nicht die Kenntnis des Irrtums, sondern der Erklärende muss auch dessen arglistige Herbeiführung erkannt haben (RG 59, 94, 96; 65, 86, 89). Bloße Verdachtsmomente oder fahrlässige Unkenntnis reichen nicht aus (BGH WM 1973, 750, 751; NJW 2012, 296, 300; VersR 2012, 615, 617; MüKo/Armbrüster Rn 3). Auch ist der Erklärende nicht gehalten, nähere Nachforschungen anzustellen (RG JW 1936, 1950). Allerdings soll ein Versicherer, der die Anfechtung eines Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung (Verschweigen von Krankheiten beim Abschluss) erklärt, verpflichtet sein, seine Datenbanken und Akten darauf zu überprüfen, ob weitere Versicherungsverträge von dem Anfechtungsgrund betroffen sind (BGH NJW-RR 2003, 1603) Nicht erforderlich ist es, dass der Anfechtungsberechtigte alle Einzelheiten der Täuschung kennt; es entscheidet der Gesamteindruck (BGH NJW 2009, 2532, 2534; Soergel/Hefermehl Rn 2). Auch beginnt die Frist bereits mit der erforderlichen Kenntnis und nicht erst mit der Beschaffung der notwendigen Beweismittel (Staud/Singer/v Finckenstein Rn 4). Im Fall der widerrechtlichen Drohung beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem die Zwangslage aufhört (§ 124 II 1). Entscheidend ist also der Augenblick, in dem der Erklärende nicht mehr unter dem Einfluss des angedrohten Übels steht (RG 90, 411); dies muss vom subjektiven Standpunkt des Bedrohten aus beurteilt werden (RG JW 1929, 242; Staud/Singer/v Finckenstein Rn 5). Demnach kann die Zwangslage enden, wenn der Bedrohte eine Erstattung der angedrohten Strafanzeige nicht mehr glaubt fürchten zu müssen (RG 90, 411) oder wenn er weiß, dass die Anzeige bereits erstattet worden ist (RG 60, 371, 374). b) Beginn bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen. Für eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf Täuschung oder Drohung beruht, enthält das Gesetz bewusst keine Regelung über den Fristbeginn (Mot I, 209). Anfechtungsgegner ist in einem solchen Fall derjenige, der aufgrund des anfechtbaren Rechtsgeschäfts unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat (§ 143 Rn 11). Deshalb kann die Anfechtungsfrist des § 124 II 1 erst dann beginnen, wenn dem Anfechtungsberechtigten die Person des Anfechtungsgegners bekannt ist (Staud/Singer/v Finckenstein Rn 6). c) Zugang der Anfechtungserklärung. Die Anfechtungserklärung muss innerhalb der Frist dem Anfechtungsgegner zugegangen sein (§ 130). Es genügt also – anders als bei § 121 I 2 – für die Rechtzeitigkeit nicht, dass die Anfechtungserklärung an den Anfechtungsgegner fristgemäß abgesandt worden ist. Auch das rechtzeitige Vorbringen in einem an das Gericht gerichteten Schriftsatz reicht nicht aus, wenn der Schriftsatz dem Anfechtungsgegner erst nach Fristablauf zugestellt wird (LG Nürnberg-Fürth MDR 2006, 413). d) Fristberechnung. Die Frist gem Abs I berechnet sich nach §§ 187 I, 188 II. IÜ bestimmt Abs II S 2, dass auf den Lauf der Frist §§ 206, 210, 211 anwendbar sind. Die Frist ist damit gehemmt bei Verhinderung durch höhere Gewalt; ferner besteht eine Ablaufhemmung bei einer geschäftsunfähigen oder beschränkt geschäftsfähigen Person ohne gesetzlichen Vertreter sowie in Nachlassfällen. Andere als die in § 124 II 2 genannten Hemmungsgründe sind nicht anwendbar (Soergel/Hefermehl Rn 4). 3. Ausschlussfrist des Abs III. Entspr § 121 I erlischt das Anfechtungsrecht nach § 124 III spätestens zehn Jahre nach Abgabe der Willenserklärung (Frist bis zum 31.12.2001: 30 Jahre, Übergangsregelung Art 229 § 6 EGBGB), sofern es nicht schon früher nach Abs I, II erloschen ist. Anders als bei der Einjahresfrist sind dabei Hemmungstatbestände nicht entspr anwendbar (MüKo/Armbrüster Rn 10). Die Regelung gilt für die Anfechtung von Versicherungsverträgen wegen arglistiger Täuschung; eine Verdrängung durch § 21 III VVG findet nicht statt (BGH NJW 2016, 394). 4. Folgen des Fristablaufs. Nach Fristablauf ist eine Anfechtung ausgeschlossen. Jedoch bleiben dem Getäuschten oder Bedrohten Schadensersatzansprüche aus cic, die nach der Rspr auch auf Vertragsaufhebung gerichtet sein können (vgl näher dazu § 123 Rn 8), und aus unerlaubter Handlung (§§ 823 II, 826), die auch mit der Einrede gem § 853 geltend gemacht werden können (BGH NJW 1969, 604, 605). Liegt nicht zugleich eine unerlaubte Handlung vor, kann der Getäuschte oder Bedrohte dagegen die Erfüllung nicht unter Hinw auf die Arglisteinrede verweigern, wenn lediglich der Tatbestand des § 123 verwirklicht ist; denn damit würde § 124 umgangen. Der Arglisteinwand kann jedoch dann durchgreifen, wenn über den Tatbestand des § 123 hinaus noch weitere Umstände gegeben sind, die eine Berufung auf den Fristablauf als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Staud/Singer/v Finckenstein Rn 11; vgl auch BGH NJW 1969, 604f; s aber BGH NJW 1979, 1983 zur Verweigerung der Vertragsdurchführung wegen eines Anspruchs aus cic). 5. Beweislast. Wer den Verlust des Anfechtungsrechts durch Fristablauf geltend macht, ist dafür beweispflichtig (Nürnberg VersR 2001, 1368). Wird also etwa wegen arglistiger Täuschung angefochten, so hat der Anfechtungsgegner zu beweisen, dass der Anfechtende bereits länger als ein Jahr vor seiner Anfechtungserklärung Kenntnis von der Täuschung hatte (vgl BGH NJW 1992, 2346, 2347f).

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Nichtigkeit wegen Formmangels

Ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, ist nichtig. Der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form hat im Zweifel gleichfalls Nichtigkeit zur Folge. I. Zwecke des Formzwangs. Rechtsgeschäfte sind nach dem Gesetz grds formfrei wirksam; die Erklärenden sind also in der Wahl des Erklärungsmittels frei. Die Einhaltung einer bestimmten Form ist nur ausnahmsweise – kraft Gesetzes oder kraft Rechtsgeschäfts – erforderlich. Dabei kann die Formbedürftigkeit eines Rechtsgeschäfts sehr verschiedenen Zwecken dienen, die nicht selten nebeneinander bestehen. Die gesetzgeberischen Motive für die Anordnung eines Formzwangs sind aber nicht Tatbestandsvoraussetzung der jew Normen; das Rechtsgeschäft ist daher auch dann formbedürftig, wenn den Formzwecken bereits auf andere Weise genügt ist (BGH 53, 189, 195; BAG NJW 2005, 844; MüKo/Einsele Rn 11). 1. Warnfunktion. Der Erklärende soll bei für ihn riskanten Geschäften vor einer unüberlegten oder übereilten Bindung gewarnt werden. Deshalb bedarf zB die Willenserklärung des Bürgen beim Bürgschaftsvertrag der Schriftform (§ 766); diese Form ist entbehrlich, wenn für den Bürgen die Übernahme der Bürgschaft ein Handelsgeschäft ist, § 350 HGB; ein Kaufmann ist wegen seiner vom Gesetz vorausgesetzten Geschäftserfahrung nicht schutzbedürftig. 2. Klarstellungs- und Beweisfunktion. Durch das Formerfordernis soll gesichert werden, dass und mit welchem Inhalt das Geschäft zustande gekommen ist. Die Form führt zur Klarstellung des Erklärten und zu einer leichteren Beweisbarkeit (Bsp: die in § 311b geregelte Formbedürftigkeit ua von Grundstücksgeschäften; zur Beweiskraft von Urkunden vgl auch §§ 415ff ZPO). Ausnahmsweise kann die Form in dieser Funktion auch Interessen Dritter dienen. So bedarf ein Wohnungs- oder Grundstücksmietvertrag, der für eine bestimmte Zeit von mehr als einem Jahr geschlossen wird, der Schriftform (§§ 550, 578); dadurch soll bei einer Veräußerung des Grundstücks dem Erwerber, der anstelle des Vermieters in dessen Rechte und Pflichten eintritt (§§ 566, 578), sicherer Aufschluss über den Inhalt des Mietvertrags gegeben werden. Im Hinblick auf das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift wird der Inhalt der Beweisfunktion weiter konkretisiert (BT-Drs 14/4987, 16): Danach wird durch die eigenhändige Unterschrift der Aussteller der Urkunde erkennbar (Identitätsfunktion). Ferner gewährleistet sie, dass die Erklärung vom Unterzeichner stammt (Echtheitsfunktion) und erlaubt es dem Empfänger zu überprüfen, ob die Unterschrift echt ist (Verifikationsfunktion). 3. Beratungsfunktion. Mit der Formvorschrift kann auch eine Beratung über die Auswirkungen des Geschäfts angestrebt werden. Deshalb bedürfen zB Eheverträge (§ 1410) und Erbverträge (§ 2276) der notariellen Beurkundung. Ein Minderjähriger, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, kann zwar ein Testament errichten (§ 2229), aber nur in den Formen, bei denen ihm eine Amtsperson beratend zur Seite steht. Deshalb kommt für ihn ein eigenhändiges Testament nicht in Betracht (§ 2247 IV). Da eine Beratung beim öffentlichen Testament auch dann fehlt, wenn der Minderjährige dem Notar eine verschlossene Schrift übergibt, kann der Minderjährige ein notarielles Testament nur durch mündliche Erklärung oder durch Übergabe einer offenen Schrift errichten (§§ 2232, 2233 I). 4. Kontrollfunktion. Ausnahmsweise soll die gesetzlich vorgeschriebene Form auch eine behördliche Kontrolle des Geschäfts ermöglichen. Ein Bsp bildet heute etwa noch das Schriftformerfordernis für Vereinbarungen über vertikale Preisbindungen bei Zeitungen und Zeitschriften gem § 30 II GWB (MüKo/Einsele Rn 10). II. Arten der Formen. Die gesetzlichen Formen sind abschließend geregelt. Die rechtsgeschäftlich vereinbarten Formen können aufgrund der Privatautonomie frei bestimmt werden; meist wird dabei aber eine der gesetzlichen Formen vereinbart. Neben Sonderregelungen für bestimmte Bereiche (zB Auflassung, § 925; Eheschließung, § 1310; eigenhändiges Testament, § 2247) kennt des Gesetz allg folgende Formarten: 1. Schriftform. Es muss eine Urkunde erstellt und von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder durch notariell beglaubigtes Handzeichen unterzeichnet werden (Einzelheiten § 126). Für die rechtsgeschäftlich vereinbarte Schriftform enthält das Gesetz ggü der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform oder der elektronischen Form gewisse Erleichterungen (Einzelheiten § 127 II und III). 2. Elektronische Form. Sie kann die schriftliche Form ersetzen, soweit sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt (§ 126 III). Der Aussteller muss seiner elektronischen Erklärung seinen Namen beifügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten Signatur nach dem Signaturgesetz (SigG) versehen (Einzelheiten § 126a). 3. Textform. Sie besteht aus einer in einer Urkunde oder in einer auf dauerhafte Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise abgegebenen Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht wird. Es handelt sich um einen neuen unterschriftslosen Formtyp, der lesbar ist (Einzelheiten § 126b). 4. Öffentliche Beglaubigung. Die Erklärung muss schriftlich abgefasst und die Unterschrift oder das Handzeichen des Erklärenden von einem Notar beglaubigt werden (Einzelheiten § 129). 5. Notarielle Beurkundung. Die Erklärung wird nach Beratung durch einen Notar diesem ggü abgegeben, niedergeschrieben, dem Erklärenden vorgelesen, von ihm genehmigt und unterschrieben; der Notar unterzeichnet anschließend die Niederschrift (vgl §§ 8, 13 BeurkG). III. Gesetzliche Form. 1. Anwendungsbereich. § 125 S 1 gilt für alle gesetzlichen Formvorschriften. Erfasst sind damit zunächst die Formvorschriften des BGB. Darüber hinaus gilt § 125 S 1 aber grds auch für alle weiteren Formvorschriften in Gesetzen in formellem Sinn und Rechtsverordnungen; denn der Begriff des Gesetzes ist iSd 310

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Willenserklärung

§ 125

Art 2 EGBGB zu verstehen und erfasst daher jede Rechtsnorm (BGH NJW 2001, 600, 601). Erfasst sind namentlich auch die Formvorschriften im Arbeitsrecht. So verlangen etwa § 1 II TVG, § 77 II BetrVG die Schriftform für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Ebenso bedarf bei der ArbN-Überlassung der Vertrag zw Entleiher und Verleiher gem § 12 I AÜG der Schriftform. Auch die Kündigung eines Arbeitsvertrags hat nach § 623 schriftlich zu erfolgen; andernfalls ist sie unwirksam. Schließlich können auch Formerfordernisse, die Tarifverträge für den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverträgen vorsehen, gesetzliche Formvorschriften iSd des § 125 sein (BAG NJW 1958, 397, 398; NZA 1999, 602, 603; NJOZ 2003, 2480, 2482; s dazu aber sogleich Rn 9). § 125 ist auf eine gesetzliche Formvorschrift aber nur anwendbar, wenn diese die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts 9 von der Einhaltung der Form abhängig machen will (BGH NJW 2001, 600, 601; Pal/Ellenberger Rn 8). Teilw stellt das Gesetz bereits selbst klar, dass die Verletzung einer Formvorschrift nicht zur Nichtigkeit des betreffenden Rechtsgeschäfts führt. So gilt nach § 550 ein Mietvertrag, der für längere Zeit als ein Jahr nicht in schriftlicher Form geschlossen wird, als für unbestimmte Zeit geschlossen. Wird das Schriftformerfordernis für die Befristung eines Arbeitsvertrags (§ 14 IV TzBfG) nicht eingehalten, gilt der Vertrag nach § 16 TzBfG als auf unbestimmte Zeit geschlossen. IÜ ist durch Auslegung der jew Bestimmung zu ermitteln, ob die Verletzung des Formerfordernisses die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge haben soll. Daher führt etwa die Verletzung des § 1 S 1 VerstV nicht zur Nichtigkeit des Versteigerungsauftrags (BGH NJW 2001, 600, 602). Ebenso bedarf es bei tarifvertraglichen Bestimmungen, die für den Abschluss oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Formerfordernisse vorsehen, der Auslegung, ob ein Verstoß zur Nichtigkeit führt oder ob die Formvorschrift nur Beweiszwecken dient und lediglich ein Anspruch auf schriftliche Festlegung besteht (BAG AP Nr 1 § 32 AOG Tarifordnung; ErfK/Preis §§ 125–127 BGB Rn 32). Ferner soll das Unterbleiben der in § 74 I HGB vorgeschriebenen Aushändigung der Originalurkunde über ein vertraglich vereinbartes Wettbewerbsverbot keinen Formmangel iSv § 125 S 1 darstellen (BAG NJW 2005, 2732, 2733). 2. Sonderproblem: Öffentlich-rechtl Formvorschriften. Besondere Zweifelsfragen wirft die Anwendung des 10 § 125 auf, soweit Vorschriften des öffentlichen Rechts für den Abschluss von Rechtsgeschäften Formerfordernisse vorsehen. Für privatrechtliche Geschäfte von jur Pers des öffentlichen Rechts (insb von Gemeinden und Gemeindeverbänden, aber auch von Kirchen) ist im Landesrecht vielfach Schriftform vorgeschrieben. Teilw ist außerdem vorgesehen, dass zB das Dienstsiegel beizufügen ist, zwei oder mehrere Organpersonen zu unterzeichnen haben, die Amtsbezeichnung angegeben werden muss, ein zust Beschl eines weiteren Organs der Körperschaft vorliegen muss oder eine Genehmigung der Aufsichtsbehörde erforderlich ist. Diese Vorschriften dienen zwar dem besonderen Sicherheitsbedürfnis zum Schutze der Körperschaft oder Anstalt; insofern deckt sich ihr Zweck teilw mit dem Zweck bürgerlich-rechtlicher Formvorschriften. Die Nichtbeachtung solcher Vorschriften fällt aber gleichwohl nicht unter § 125. Es handelt sich nicht um bürgerlich-rechtliche Bestimmungen über die Form von Rechtsgeschäften. Dem Landesgesetzgeber wäre der Erlass derartiger Vorschriften nach Art 55 EGBGB verwehrt; seine Kompetenz beschränkt sich hins der privatrechtlichen Willenserklärungen jur Pers des öffentlichen Rechts auf die Regelung der Zuständigkeit und der Vertretungsmacht ihrer Organe, also auf öffentliches (Organisations-)Recht. Die in Rede stehenden Vorschriften enthalten demnach Zuständigkeits- oder Vertretungsregelungen (st Rspr, vgl etwa BGH DtZ 1997, 222, 223 und NJW 1998, 3058, 3060; 2001, 2626; krit MüKo/Einsele Rn 31). Ihre Verletzung führt demnach nicht zur Formnichtigkeit iSd § 125, sondern es liegt ein Mangel in der Vertretungsmacht vor. Eine Haftung des handelnden Organs nach § 179 I soll aber nicht in Betracht kommen (BGH NJW 2001, 2626, 2627). IÜ soll es wegen der gleichartigen Interessenlage, wie sie bei der Missachtung von Formvorschriften besteht, geboten sein, den Grundsatz von Treu und Glauben auch hier in demselben Umfang wie bei der eigentlichen Formnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts (Rn 30) anzuwenden (BGH 21, 59, 65; NJW 1980, 117, 118; 1984, 606, 607; 1994, 1528; 1998, 3058, 3060). Erst recht betrifft es nicht die privatrechtliche Form des Rechtsgeschäfts, sondern die organisationsrechtliche 11 Vertretungsmacht, wenn für das Handeln des Vertretungsorgans nicht nur im Innenverhältnis, sondern mit Außenwirkung die Zustimmung eines anderen Organs (etwa der gewählten Gemeindevertretung) erforderlich ist, wie das die Rspr der Instanzgerichte insb für das Bayerische Kommunalrecht (BayObLG NJW-RR 1986, 1080; 1998, 161; NVwZ-RR 1998, 510, 512) und zunächst auch für einen Teil der Länder im Beitrittsgebiet angenommen hat (vgl die Hinw auf Lit und Rspr dazu bei Erman/Palm10 Rn 13). Häufig soll freilich der Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Gemeinderats die Vertretungsmacht des Bürgermeisters ohnehin im Außenverhältnis nicht beschränken (so für Baden-Württemberg BGH MDR 1966, 669 und – für den Landrat – BAG NJW 1986, 2271, 2272; für die Kommunalverfassung der DDR BGH 137, 89, 93f; DtZ 1997, 358; NJW 1998, 3056, 3057; 3058, 3059). Ist die Regelung auch für das Außenverhältnis relevant und sind ihre Vorgaben nicht eingehalten worden, liegt ein Handeln ohne Vertretungsmacht vor. Es kommt aber eine Genehmigung des Vertretenen oder des zunächst nicht beteiligten weiteren Organvertreters oder Organs in Betracht (BGH 32, 375, 381; NJW 1966, 2402, 2403; 1982, 1036, 1037; 1999, 3335, 3337). Dagegen kann das Fehlen der Vertretungsmacht nicht nach § 242 überwunden werden (BGH 47, 30, 39; 92, 162, 174). Auch eine Anwendung der Grundsätze zur Duldungs- und Anscheinsvollmacht soll nicht generell zulässig sein, sondern lediglich dann denkbar sein, wenn das duldende Organ nach der geltenden Zuständigkeitsordnung zu einer formlosen Bevollmächtigung berechtigt ist (BGH NJW 1972, 940, 941; Pal/Ellenberger Rn 16; Staud/Schilken § 167 Rn 49; enger § 167 Rn 38). In Betracht kommen kann allerdings eine Haftung der Körperschaft aus §§ 311 II, 241 II, 280 I (s nur BGH 6, 330, 332f; NJW 1999, 3335, 3338f). Arnold

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Die Ausführungen zur rechtlichen Bedeutung der formalen und materiellen Bindungen für die Organe öffentlich-rechtl Körperschaften des Landesrechts gelten entspr für das Handeln von Vertretungsorganen im kirchlichen Bereich (Frankfurt NVwZ 2001, 958; Peglau NVwZ 1996, 767 mwN). Landesrechtliche Formvorschriften für das rechtsgeschäftliche Handeln von Sparkassen sind dagegen wegen Art 99 EGBGB wirksam (Pal/Ellenberger Rn 15). 3. Umfang des Formzwangs. a) Formbedürftigkeit des gesamten Rechtsgeschäfts. Der gesetzlich vorgeschriebene Formzwang erstreckt sich seinem Umfang nach auf das ganze Rechtsgeschäft, so dass bei einem formbedürftigen Vertrag sowohl das Angebot als auch die Annahme formbedürftig sind. Ausnahmsweise unterwirft das Gesetz nur die Willenserklärung einer Vertragspartei der Form (zB §§ 766, 780, 781, 1154). Enthält ein an sich formfreier Vertrag eine formbedürftige Einzelverpflichtung, so bedarf der ganze Vertrag der Form (MüKo/Einsele Rn 32). Formbedürftig sind alle Abreden, die den Vertragsinhalt bilden sollen (BGH 40, 252, 262; WM 1978, 846, 847; NJW 2005, 1356; NK/Noack/Kremer Rn 11). Ferner erstreckt sich das Formerfordernis auch auf die Bezeichnung der Parteien (BGH NJW 2002, 3389, 3391). b) Nebenabreden. Formbedürftig sind insb auch Nebenabreden, die für den Vertragsschluss nicht unmittelbar wesentlich sind (s nur – zu § 15 GmbHG – BGH NJW 2002, 142, 143; Soergel/Hefermehl Rn 5; Staud/Hertel Rn 58). Das gilt allerdings nicht für solche Abreden, deren Inhalt sich bereits aus dem Gesetz ergibt (BGH 84, 124, 126; NJW 2000, 354, 357; MüKo/Einsele Rn 32). Gleiches soll wegen § 139 auch gelten, wenn die Parteien den Vertrag auch ohne die Abrede geschlossen hätten (BGH NJW 1981, 222). Zudem unterliegen auch bloße Erläuterungen nicht der Form (BGH NJW 1997, 2182, 2183; 1999, 2591, 2592). IÜ kann sich im Einzelfall eine Einschränkung der Formbedürftigkeit von Nebenabreden aus dem Zweck der jew Formvorschrift ergeben (vgl BGH 57, 53, 57; 67, 267, 269). So gilt etwa das Formerfordernis nach § 55 I GmbHG nicht für schuldrechtliche Nebenabreden (BGH NJW 1977, 1151). Beim Mietvertrag sollen völlig unwesentliche Nebenpunkte nicht der Form des § 550 bedürfen (BGH NJW 2008, 1661, 1662). Dagegen ist bei Grundstücksgeschäften ein eher strenger Formzwang anzunehmen (s NK/Noack/Kremer Rn 19). Im Einz bedarf etwa die Zusicherung einer Eigenschaft des verkauften Grundstücks der notariellen Beurkundung (RG 52, 1, 3; Soergel/Hefermehl Rn 5), ebenso Verrechnungsabreden zum Grundstückskaufpreis (BGH 85, 315, 318; NJW 2000, 2100; krit MüKo/Einsele Rn 32 Fn 130), eine Freistellungsvereinbarung beim Kauf eines GmbH-Anteils (BGH NJW 2002, 142, 143), Bedingungen (BGH NJW 1996, 2792, 2793) oder ein Verzicht auf das Recht zur Kündigung wegen Eigenbedarfs im Wohnungsmietrecht (BGH NJW 2007, 1742). Ergibt sich der Umfang der Pflichten einer Vertragspartei aus einer Baubeschreibung oder aus Bauplänen, so fallen auch diese unter den Beurkundungszwang (BGH 69, 266, 268; 74, 346, 349; NJW 2002, 1050, 1051; 2005, 1356). c) Geschäftseinheit. Ein grds formfrei mögliches Rechtsgeschäft kann dadurch formbedürftig werden, dass es mit einem anderen rechtlich zu einem Geschäft verbunden wird (sog „Geschäftseinheit“, s BGH 78, 346, 349; 84, 322, 324; 101, 393, 396; NJW-RR 1998, 1502f; NJW 2004, 3330). Entscheidend ist hier der Verknüpfungswille der Parteien; er muss darauf gerichtet sein, dass die verbundenen Geschäfte miteinander „stehen und fallen“ sollen (BGH 76, 43, 49; 101, 393, 396; NJW 2000, 951). Damit ist keine wechselseitige Abhängigkeit gemeint. Vielmehr kommt es darauf an, ob das formbedürftige Rechtsgeschäft auch ohne das grds nicht formbedürftige Rechtsgeschäft abgeschlossen worden wäre (NK/Noack/Kremer Rn 17; MüKo/Einsele Rn 33). Umgekehrt genügt die einseitige Abhängigkeit des grds formfreien Rechtsgeschäfts vom formbedürftigen nicht (BGH NJW 2000, 951; 2001, 226, 227; 2002, 2559, 2560). Praktische Bedeutung hat die Figur der Geschäftseinheit insb im Hinblick auf § 311b I erlangt (s eingehend § 311b Rn 43). Dabei hat die Rspr teilw sogar ein zusammengesetztes einheitliches Grundstücksgeschäft angenommen, wenn das Geschäft von (zusätzlichen) Leistungen eines nicht unmittelbar beteiligten Dritten abhängen soll (Bsp: Schwarzgeldzahlung eines Dritten beim Grundstückskauf, BGH NJW-RR 1998, 950, 951). Ebenso soll nach diesen Grundsätzen ein Bauvertrag beurkundungsbedürftig sein, wenn ein später zu schließender Grundstückskaufvertrag von ihm abhängig sein soll (BGH NJW-RR 2009, 953, 954; NZBau 2011, 154; zu den Rechtsfolgen s Rn 21). In Betracht gezogen wird die Annahme einer Geschäftseinheit daneben etwa weiterhin bei der GmbH-Anteilsveräußerung (s nur BGH NJW 1986, 2642, 2643) und bei Erb- und Eheverträgen (krit Kanzleiter NJW 1997, 217ff). d) Vorvertrag. Der Vorvertrag zu einem formbedürftigen Vertrag unterliegt grds ebenfalls dem Formzwang, da sonst der Zweck der Form auf dem Umweg über die Bindung an den formlos gültigen Vorvertrag vereitelt werden könnte (BGH 61, 48; NJW 1975, 1170; 1981, 2293; 2004, 3626; 2006, 2843, 2844; vgl auch eingehend Freitag AcP 207, 288, 294ff). Jedoch kann sich aus dem Zweck der Vorschrift ergeben, dass der Vorvertrag formlos gültig ist; so bedarf der Vorvertrag zum Abschluss eines Mietvertrags (§§ 550, 578) nicht der Schriftform, weil der Erwerber des Grundstücks in den Vorvertrag nicht eintritt (RG 86, 30, 32; BGH NJW 1954, 71; 2007, 1817; Heile NJW 1991, 6ff; aM etwa Derleder/Pellgrino NZM 1998, 550, 554). Formbedürftig soll auch die Ausübung einer Mietoption sein, wenn auch der Mietvertrag, aus dem sich das Optionsrecht ergibt, formbedürftig war (Frankfurt NZM 1998, 1006). Dagegen bedarf die Ausübung eines Vorkaufsrechts nach § 464 I 2 nicht der für den Kaufvertrag bestimmten Form. e) Vollmacht und Zustimmung. Formfrei ist grds auch die Erteilung einer Vollmacht zu einem formbedürftigen Geschäft (§ 167 II). Von diesem Grundsatz gibt es inzwischen jedoch bedeutsame Ausnahmen (eingehend § 167 Rn 4ff). Ebenso bedarf nach § 182 II die Zustimmung nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form.

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f) Nachträgliche Änderungen und Ergänzungen. Formbedürftig sind grds auch spätere Änderungen oder Ergänzungen eines formbedürftigen Vertrags (BGH NJW 1974, 271; NJW-RR 1988, 185, 186; NK/Noack/Kremer Rn 13). Da die Formvorschrift des § 311b I beide Seiten schützen soll, gilt dies auch bei Änderungen zugunsten des Veräußerers (BGH NJW 1974, 271). Kein Formzwang besteht, wenn durch die Änderung entweder nur unerwartet aufgetretene Abwicklungsprobleme behoben werden, die beurkundeten Rechte und Pflichten in ihrem Kern aber nicht berührt werden oder die Verpflichtung desjenigen, der durch die Form geschützt wird (zB des Bürgen; § 766 S 1), nur eingeschränkt werden soll (RG 71, 415, 416; BGH NJW 1973, 37; 1976, 1842; 1996, 452; 2001, 1932, 1933; NJW-RR 1988, 185, 186). Der Neuabschluss eines aufgehobenen formbedürftigen Vertrags ist immer formbedürftig. Ebenso besteht immer Formzwang für die Bestätigung eines formnichtigen Vertrags; allerdings sind Bezugnahmen erlaubt (vgl § 141 Rn 5). Bedeutung hat der Formwechsel schließlich auch für die Auswechselung einer Vertragspartei. So unterfällt etwa bei der Wohnraummiete sowohl die Auswechselung des Mieters als auch des Vermieters § 550 (BGH NJW 2014, 1083, 1084f; NZM 2005, 340, 341). Bei formgerecht vereinbartem Vermieterwechsel in einem langfristigen Mietvertrag bedarf aber die Zustimmung der Mieter keiner Form (BGH NJW 2003, 2158, 2160f); dasselbe gilt für die Zustimmung des Neumieters, wenn Vermieter und Altmieter einen Übergang des Mietverhältnisses vereinbaren (BGH NJW-RR 2005, 958, 959). g) Aufhebung. Die Aufhebung eines Rechtsgeschäfts ist grds formlos möglich (s nur BAG AP Nr 5 § 1 TVG Form; MüKo/Einsele Rn 15). Ausnahmen bestehen aber zB nach § 2290 IV für die vertragliche Aufhebung eines Erbvertrags und nach §§ 2351, 2348 für die vertragliche Aufhebung eines Erbverzichts. Ferner bedarf auch die Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses nach § 623 der Schriftform (s nur ErfK/Müller-Glöge § 623 BGB Rn 4f mwN). Ausnahmen können sich überdies aus dem Zweck der Formvorschrift ergeben. So ist etwa die Aufhebung eines Grundstückskaufvertrags formbedürftig, wenn der Vertrag bereits vollzogen und damit das Grundstück übereignet wurde, weil damit eine Verpflichtung zur Rückabwicklung des Grundstück begründet wird; gleiches gilt, wenn der Erwerber bereits ein Anwartschaftsrecht an dem Grundstück erworben hat (BGH 83, 395, 397ff). 4. Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung einer gesetzlichen Formvorschrift. a) Nichtigkeit. Die Nichtbeachtung einer gesetzlichen Formvorschrift macht das Rechtsgeschäft grds nichtig (§ 125 S 1). Das gilt wegen § 139 grds auch dann, wenn einer Nebenabrede die gesetzlich vorgesehene Form fehlt. In den Fällen der Geschäftseinheit (Rn 16) soll sich Nichtigkeit auf das verbundene Geschäft erstrecken können, auch wenn dies selbst keiner Formpflicht unterliegt (so BGH NZBau 2011, 154 für die Verknüpfung eines Bau- mit einem Grundstückskaufvertrag; Drescher/Pichler NZBau 2015, 752; dagegen mit guten Gründen krit Maier-Reimer NJW 2015, 273, 276). Auf die Nichtigkeit kann sich jede Vertragspartei, aber auch jeder Dritte (RG 93, 76) berufen. Im Rechtsstreit ist die Nichtigkeit wegen Formmangels selbst dann zu beachten, wenn beide Prozessparteien den formwidrig geschlossenen Vertrag als wirksam behandelt wissen wollen. Wegen der Nichtigkeit besteht auch kein Erfüllungsanspruch und kein Anspruch auf formgerechten Abschluss des Geschäfts. Hat bereits eine Partei den formnichtigen Vertrag erfüllt, kann sie das Geleistete nach § 812 I 1 Alt 1 zurückverlangen, sofern nicht § 814 entgegensteht (zur Heilung des Formmangels durch Erfüllung: Rn 23). Außerdem können Schadensersatzansprüche aus §§ 311 II, 241 II, 280 I oder §§ 823ff in Betracht kommen (MüKo/Einsele Rn 54f). b) Abweichende gesetzliche Regelung. Ausnahmsweise führt der Verstoß gegen eine gesetzliche Formvorschrift nicht zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. So gilt ein Mietvertrag über Wohnraum, der ohne Einhaltung der Schriftform für längere Zeit als ein Jahr geschlossen wird, als für unbestimmte Zeit geschlossen (§ 550). Diese Folge tritt auch dann ein, wenn die Vertragsparteien diese Rechtsfolge des Formmangels nicht gekannt (RG JW 1929, 3226) oder eine zeitliche Unbestimmtheit nicht gewollt haben (RG JW 1929, 318). Für Mietverhältnisse über Grundstücke und Räume gilt das entspr (§ 578). Ähnliches gilt für den Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags: Wird der Form des § 14 IV TzBfG nicht genügt, gilt der Vertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen (§ 16 TzBfG). Ist ein formnichtiger Gesellschaftsvertrag in Vollzug gesetzt worden, wirkt sich die Formnichtigkeit nur für die Zukunft aus; ist eine Kapitalgesellschaft trotz eines formunwirksamen Gesellschaftsvertrags ins Handelsregister eingetragen worden, ist der Formmangel sogar unbeachtlich (eingehend KK-AktG/Arnold § 23 AktG Rn 160, 165). Ebenso kann bei einem in Vollzug gesetzten Arbeitsverhältnis die Formnichtigkeit nur für die Zukunft geltend gemacht werden (s nur BAG NJW 1958, 397, 398). c) Heilung des Formmangels. Für bestimmte Fälle sieht das Gesetz eine Heilung des Formmangels vor (zB §§ 311b I 2; § 494 II; 518 II; 766 S 3; 2301 II BGB; § 15 IV 2 GmbHG). Werden die formnichtigen Rechtsgeschäfte erfüllt, erledigen sich die Hauptzwecke mancher Formvorschriften (Warn- und Beweisfunktion). Aber auch dann, wenn die Formvorschrift ihre Warnfunktion nicht erfüllt, weil etwa der Schuldner sich irrtümlich aufgrund des formwidrigen Vertrags zur Leistung verpflichtet glaubt und deshalb leistet, tritt die Heilung aus Gründen der Praktikabilität ein (Mugdan II, 741). Die Heilung lässt, soweit das Gesetz keine Einschränkungen vorsieht (zB § 494), das gesamte Geschäft einschl aller Nebenabreden wirksam werden. Eine teilw Erfüllung (zB des Bürgen) bewirkt auch nur eine teilw Heilung des Geschäfts. Immer betrifft die Heilung nur den Formmangel, nicht andere Nichtigkeitsgründe (zB §§ 105, 134, 138). Die Heilung wirkt nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses des formnichtigen (Verpflichtungs-)Geschäfts zurück; jedoch haben die Parteien sich entspr § 141 II das zu gewähren, was sie haben würden, wenn der Vertrag von Anfang an gültig gewesen wäre (BGH 32, 11, 13; 54, 56, 63f). Eine entspr Anwendung der Heilungsvorschriften auf andere Fälle der Erfüllung kommt grds nicht in Betracht, da die entspr Einzelregeln keinen allg Rechtsgedanken enthalten (hM, s nur BGH NJW 1967, 1128, 1131; MüKo/Einsele Rn 48 mwN). Allerdings sollen im Einzelfall Ausnahmen möglich sein. So soll ein formunwirkArnold

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samer Vorvertrag über eine Grundstücksveräußerung durch den formgerechten Abschluss des entspr Vertrags analog § 311b I S 2 geheilt werden (BGH 82, 398, 403; s aber auch BGH NJW 2004, 3626ff). Gleiches gilt bei einer formlosen Verpflichtung zur Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts bei Einigung und Eintragung in das Grundbuch (BGH WM 1967, 935, 936). Ferner wird die Formunwirksamkeit eines Maklervertrags, der nach § 311b I formbedürftig ist, weil ein unangemessener Druck zum Erwerb eines Grundstücks ausgeübt wird, durch die Auflassung und Eintragung der Auftraggeberin als Eigentümerin geheilt (BGH NJW-RR 1989, 760). Bei einer formlosen Verpflichtung zur Übertragung des Erbbaurechts wurde § 11 II ErbbauRG iVm § 313 S 2 aF entspr angewandt, wenn der Erwerber nicht als Inhaber des Erbbaurechts eingetragen wurde, er aber, nachdem er inzwischen Eigentümer des mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstücks geworden war, den im Grundbuch als Erbbauberechtigten eingetragenen Veräußerer mit Erfolg veranlasst hatte, das Erbbaurecht löschen zu lassen (BGH 32, 11, 12). Hat der Ehemann seiner Frau Geld zum Kauf eines bestimmten Grundstücks geschenkt und mit ihr mündlich vereinbart, ihr Erbe müsse ihm das Grundstück zurückübereignen, wenn die Frau vor dem Mann sterbe, so wird diese mündliche Abrede in analoger Anwendung des § 311b I 2 wirksam, wenn die Frau mit Auflassung und Eintragung Eigentümerin des Grundstücks geworden und das Grundstück mittelbar Gegenstand der unentgeltlichen Zuwendung gewesen ist (BGH NJW 1952, 1171 – Fall der mittelbaren Schenkung). Dagegen wird der Formmangel eines Kaufvertrags über den Anteil eines Miterben am Nachlass durch ein formgerechtes Erfüllungsgeschäft nicht geheilt (RG 137, 171, 175; BGH NJW 1967, 1128, 1131; aA MüKo/Einsele Rn 49). Eine § 311b I nicht genügende Vereinbarung zw künftigen Miteigentümern über Realteilung eines gemeinschaftlich zu erwerbenden Grundstücks wird durch dessen Auflassung an sie und ihre Grundbucheintragung als Miteigentümer nicht geheilt (BGH NJW 2002, 2560, 2561). Ebenso soll bei einem Leibrentenvertrag (§ 761) der Formmangel nicht durch vollständige beiderseitige Erfüllung geheilt werden (RG 67, 208, 212). IV. Rechtsgeschäftlich vereinbarte Form. 1. Bedeutung des Formzwangs. Bei einer rechtsgeschäftlich bestimmten Form ergibt sich der Umfang des Formzwangs aus der getroffenen Vereinbarung. Die Form kann vereinbarungsgemäß Wirksamkeitsvoraussetzung sein, also konstitutive Bedeutung haben, so dass bei Nichteinhaltung der Form das Geschäft nichtig ist (§ 125 S 2). Sie kann auch nur zur Sicherung des Beweises gewollt sein, also nur deklaratorische Bedeutung haben, so dass das Geschäft auch formlos gültig ist, jede Partei aber einen Anspruch darauf hat, dass das Geschäft urkundlich festgelegt wird. Was die Parteien im Einzelfall gewollt haben, ist durch Auslegung (§§ 133, 157) zu ermitteln. Ergibt die Auslegung, dass nur eine Beweissicherung oder Klarstellung beabsichtigt war, spricht das für eine lediglich deklaratorische Bedeutung der Form (BAG NZA 2013, 900, 902). Ist vereinbart, dass eine Kündigung mit Einschreiben zu versenden sei, hat idR allein die Schriftform konstitutiven Charakter, während die Versendung als eingeschriebener Brief nur den Zugang sichern soll (BGH NJW-RR 1996, 866, 867; NJW 2004, 1320; BAG NJW 1980, 1304). Wenn gerichtliche Protokollierung eines Vergleichs in einer Familiensache vereinbart ist, ist die vorhergehende mündliche Einigung über den Inhalt des Vergleichs nicht wirksam (Karlsruhe NJW 1995, 1561, 1562). Dagegen haben Schriftformklauseln in Gesellschaftsverträgen idR nur Klarstellungsfunktion (BGH 49, 364, 366). Unter die Vereinbarung eines Formzwangs für Vertragsänderungen oder -ergänzungen (sog einfache Schriftformklausel) fällt im Zweifel nicht die Zustimmung zu einer Vertragsübernahme (BGH DtZ 1996, 56, 58). Führt die Auslegung zu keinem Ergebnis, greift die Auslegungsregel des § 125 S 2 ein, wonach das formlose Geschäft im Zweifel nichtig ist (vgl auch § 154 II). 2. Aufhebung der vereinbarten Form. Der rechtsgeschäftlich bestimmte Formzwang kann durch Vereinbarung der Parteien wieder aufgehoben werden (hM, vgl BGH 66, 378, 381; Flume AT II § 15 III 2). Gleiches gilt auch für Schriftformklauseln in AGB (vgl § 305b). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Aufhebung durch eine die Form wahrende Vereinbarung erfolgt (BGH NJW 1962, 1908). Die Aufhebung kann auch konkludent (zB Bewirken der Leistungen durch die Parteien) erfolgen; dabei genügt es, dass die Parteien die mündliche Vereinbarung übereinstimmend als maßgeblich wollen, selbst wenn sie an die früher vereinbarte Formklausel nicht mehr denken (BGH 71, 162, 164; WM 1974, 105; NJW 2006, 138, 139; BAG NJW 1989, 2149, 2150; NZA 2007, 801, 803; Flume AT II § 15 III 2; krit MüKo/Einsele Rn 70); denn die Parteien müssen ggü ihrer eigenen Bestimmung einer Form, wenn sie einverständlich handeln, frei sein. Bei Vereinbarung einer qualifizierten Schriftformklausel, die entweder allg für Vertragsänderungen oder aber für eine Änderung oder Aufhebung der Formvereinbarung ausdr Schriftform verlangt, ist eine mündliche Abrede dagegen unwirksam (BGH 66, 378, 380; BAG NJW 2003, 3725, 3727; aA Erman/Palm12 Rn 9). In AGB verstoßen derartige Klauseln aber gegen §§ 305b, 307; damit haben individuelle mündliche Abreden Vorrang (BGH NJW 1995, 1488, 1489; 2006, 138, 139; BAG NJW 2009, 316, 317). 3. Rechtsfolgen bei Nichtbeachtung einer rechtsgeschäftlichen Formvorschrift. Entscheidend ist zunächst, ob die rechtsgeschäftlich bestimmte Form konstitutive oder lediglich deklaratorische Bedeutung haben soll (Rn 25). Im letzten Fall ist das formlose Geschäft gültig. Sofern eine konstitutive Bedeutung gewollt ist, was im Zweifel anzunehmen ist, ist das formlos geschlossene Geschäft nichtig (§ 125 S 2). Jedoch ist dann zu prüfen, ob mit dem formlosen Abschluss des Geschäfts die rechtsgeschäftlich bestimmte Form aufgehoben worden ist (vgl Rn 26), so dass das Geschäft gültig ist. V. Inhalt der Urkunde. 1. Auslegung. Der Inhalt des in der Urkunde enthaltenen Geschäfts wird durch den Willen des oder der Erklärenden bestimmt. Dieser Wille ist durch Auslegung der Urkunde zu ermitteln. Dafür gelten dieselben Grundsätze wie für die Auslegung formfreier Erklärungen (vgl §§ 133, 157). Es ist also der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 Rn 15). Dabei sind auch die außerhalb der Urkunde liegenden Umstände (zB Vorkorrespondenz, Entwürfe, Besprechungen, 314

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sonstiges Verhalten der Erklärenden, Sinn und Zweck) mit zu berücksichtigen (BGH 63, 359, 362; NJW 1969, 131, 132; 1995, 1886, 1887; 1996, 2792, 2793). Allerdings wird von der Rspr die Auffassung vertreten, die außerhalb der Urkunde liegenden Umstände seien nur dann zu berücksichtigen, wenn der sich daraus ergebende Wille irgendeinen, wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck in der Urkunde gefunden habe („Andeutungstheorie“, BGH 63, 359, 362; 87, 150, 154; NJW 1993, 724, 725; 1996, 2792, 2793; 2000, 1569, 1570; BAG NJW 2007, 250, 252; krit etwa Flume AT II § 16, 2a; s auch Medicus/Petersen AT Rn 330). Dies soll allerdings nicht für die erg Vertragsauslegung gelten (Pal/Ellenberger § 133 Rn 19); sie bleibt auch bei formbedürftigen Erklärungen möglich. IÜ soll die Andeutungstheorie der Anwendung der Grundsätze zur irrtümlichen Falschbezeichnung (falsa demonstratio; § 133 Rn 18) nicht entgegenstehen: In diesem Fall gilt nicht das Erklärte, sondern das Gewollte; dieses ist formgerecht zum Ausdruck gebracht (BGH 74, 116, 119; 87, 150, 153; NJW 2008, 1658, 1659; Medicus/Petersen AT Rn 331). Bezeichnen dagegen die Parteien in einem notariellen Grundstückskaufvertrag den Kaufpreis bewusst falsch, ist das beurkundete Geschäft als Scheingeschäft (§ 117 I) und das verdeckte Geschäft wegen Formmangels (§§ 117 II, 311b I) nichtig (§ 117 Rn 12). 2. Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Urkunde. Die Auslegung einer formgebundenen Willenserklärung hat von der Urkunde auszugehen. Diese hat, wenn sie nach Wortlaut und innerem Zusammenhang unter Berücksichtigung der Verkehrssitte einen bestimmten Geschäftsinhalt zum Ausdruck bringt, die Vermutung für sich, dass sie das Rechtsgeschäft richtig und vollständig wiedergibt, also insb keine weiteren Abreden getroffen worden sind (BGH NJW 1980, 1680, 1681; 1989, 898; 2000, 207; 2002, 3164, 3165). Diese Vermutung erstreckt sich auf alle Erklärungen in der Urkunde, die Regelungen enthalten (BGH NJW-RR 1998, 1470). Sie gilt nicht, wenn die Parteien unstr eine Nebenabrede außerhalb der Urkunde getroffen haben (BGH NJW 1989, 898). IÜ ist die Vermutung widerlegbar. Wer ein bestimmtes Auslegungsergebnis auf Umstände außerhalb der Urkunde stützt, muss diese aber beweisen (BGH NJW 1999, 1702f). Wer behauptet, dass die Urkunde das Rechtsgeschäft unzutreffend darstelle oder eine getroffene Nebenabrede nicht enthalte, ist dafür ebenfalls beweispflichtig. An diesen Beweis sind strenge Anforderungen zu stellen (Köln WM 1976, 362). Es reicht nicht der Beweis aus, dass eine mündliche Nebenabrede überhaupt getroffen wurde; erforderlich ist ferner der Beweis, dass die Parteien die Nebenabrede auch noch bei Errichtung der Urkunde als Vertragsbestandteil wollten (RG WarnRsp 1918 Nr 50). Bei ungewöhnlichen Abreden oder solchen von erheblicher Bedeutung ist auch darzulegen, weshalb eine Aufnahme in die Urkunde unterblieben ist. VI. Formnichtigkeit und Treu und Glauben. 1. Grundlagen. Die Formnichtigkeit nach § 125 steht regelmäßig nicht im Widerspruch zu dem das ganze Recht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242). Im Einzelfall können aber die Folgen der Formstrenge mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar sein. Dafür genügt es aber nicht, dass die Ergebnisse für den Betroffenen hart sind; vielmehr darf nach der Rspr nur „zur Vermeidung schlechthin untragbarer Ergebnisse“ aufgrund des § 242 von der Nichtigkeit abgesehen werden (BGH 26, 142, 151; 29, 6, 10; 85, 315, 319; 121, 224, 233; 138, 339, 348; NJW 2004, 3330, 3331f; NJWRR 1990, 519; BAG NJW 2005, 844). Eine Korrektur der Nichtigkeitsfolge des § 125 durch § 242 ist nur dann erforderlich, wenn nicht auf einem anderen Wege ein sachgemäßer Interessenausgleich geschaffen wird. Das ist zB der Fall, wenn durch Erfüllung eine Heilung des Geschäfts eintritt, einem Bereicherungsanspruch § 814 entgegensteht oder ein Schadensersatzanspruch (aus §§ 311 II, 241 II, 280 I oder unerlaubter Handlung) gegeben ist (Wolf/Neuner AT § 44 Rn 77; vgl auch BGH 12, 286, 304; aA MüKo/Einsele Rn 68; NK/Noack/Kremer Rn 47). IÜ können Entscheidungskriterien für eine Überwindung der Formnichtigkeit gem § 242 die schwere Treuepflichtverletzung des einen Vertragsteils und die bei Nichtigkeit drohende Existenzgefährdung des anderen Vertragsteils sein (vgl etwa BGH NJW 1989, 166, 167; 2007, 3202, 3203; 2008, 2181, 2183). Bedeutsam kann es ferner sein, dass eine Seite über längere Zeit aus dem formunwirksamen Vertrag unmittelbar oder mittelbar Vorteile gezogen hat (vgl etwa BGH 121, 224, 233 = NJW 1993, 1126; NJW 1997, 3169, 3170f; 1999, 2664, 2667). Ist ein Formmangel unbeachtlich, ist dies von Amts wegen zu beachten (Pal/Ellenberger Rn 22). 2. Fallgruppen. Es lassen sich folgende Fallgruppen bilden, die nicht abschließend sein können (eingehend Armbrüster NJW 2007, 3317ff): a) Bewusster Verstoß gegen das Formgebot. Haben beide Parteien die Formbedürftigkeit gekannt und dennoch die Formvorschrift nicht eingehalten, so ist das Geschäft nichtig. Der durch den Formmangel Geschädigte verdient nicht den Schutz, dass das Geschäft als wirksam angesehen wird, da er den Formmangel kannte (BGH NJW 1969, 1167, 1170; 1973, 1455, 1456). Das gilt auch dann, wenn der Geschädigte sich auf das Wort des Vertragspartners als eines „Edelmannes“ oder auf den Hinw „kaufmännischer Ehrbarkeit“ verlässt und deshalb in Kenntnis der Formvorschrift einen formgerechten Abschluss des Vertrags nicht durchsetzt (RG 117, 121, 124; anders BGH 48, 396, 399, dagegen mit Recht Medicus/Petersen BürgR Rn 181; MüKo/Einsele Rn 61). Auch wenn auf beiden Seiten ein gesetzwidriges Verhalten (zB Schwarzkauf) vorliegt, kommt eine Durchbrechung der Nichtigkeitsfolge gem § 242 nicht in Betracht (BGH NJW 1980, 451). b) Arglistige Täuschung über die Formbedürftigkeit. Hat eine Partei die andere über die Formbedürftigkeit des Vertrags arglistig getäuscht, so muss die getäuschte Partei geschützt werden. Dazu reichen Schadensersatzansprüche aus §§ 311 II, 280 I oder unerlaubter Handlung nicht aus, da sie auf Ersatz des negativen Interesses gehen; dieses deckt sich nicht mit dem Erfüllungsinteresse, weil die arglistige Partei den Vertrag nicht formgerecht geschlossen hätte. Deshalb ist der formnichtige Vertrag nach § 242 wie ein gültiger zu behandeln (BGH NJW 1969, 1167, 1169; anders in der Begründung Flume AT II § 15 III 4c cc). Allerdings gilt das nur dann, wenn die Aufrechterhaltung des formnichtigen Geschäfts dem Willen der getäuschten Partei entspricht; der TäuschenArnold

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de kann vom Getäuschten nicht gegen dessen Willen Vertragserfüllung verlangen (Flume AT II § 15 III 4c cc; Medicus/Petersen BürgR Rn 182). c) Fahrlässige Unkenntnis der Form. Haben beide Parteien die Formbedürftigkeit nicht gekannt, bleibt es bei der Nichtigkeit, selbst wenn eine Partei fahrlässig in der anderen den Irrtum erweckt oder erhalten hat, das Geschäft bedürfe keiner Form (BGH NJW 1965, 812, 813; 1969, 1167, 1169; 1989, 166, 167). Es kann jedoch ein Schadensersatzanspruch aus §§ 311 II, 280 I in Betracht kommen (Medicus/Petersen AT Rn 633; s auch MüKo/ Einsele Rn 54); der Anspruchsberechtigte ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hätte. Jedoch kann das negative Interesse sich mit dem positiven decken, wenn ohne Verschulden des anderen Vertragspartners ein formgültiger Vertrag geschlossen worden wäre. Allerdings hat in einem solchen Fall zB der Käufer eines formnichtigen Kaufvertrags keinen Anspruch auf Übereignung des Grundstücks; vielmehr soll er in Geld so zu entschädigen sein, dass er sich ein gleichwertiges anderes Grundstück verschaffen kann (BGH NJW 1965, 812, 814; str). d) Fürsorgepflicht. Beruht die Nichtbeachtung der Formvorschrift auf der Verletzung einer besonderen Fürsorgepflicht/Treuepflicht des einen Vertragspartners ggü dem anderen, so muss die Nichtigkeitsfolge bei dessen Existenzgefährdung ggü dem Grundsatz von Treu und Glauben zurücktreten (MüKo/Einsele Rn 58). Ein solches Betreuungsverhältnis hat die Rspr im Einzelfall etwa zw Siedlungsunternehmen und Siedler (BGH 16, 334), Behörde und Bürger (BezG Potsdam VersR 1992, 1525 für einen Fall aus der DDR) oder zw Auftraggeber und Auftragnehmer angenommen (BGH 85, 245, 251; NJW 1994, 3346, 3347; anders NJW 1996, 1960, 1961). Im Hinblick auf eine Wohnungsbaugesellschaft besteht dagegen ein solches Verhältnis regelmäßig nicht (BGH NJW 1965, 812, 813; 1969, 1167, 1169; anders BGH NJW 1972, 1189, 1190). Auch aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht folgt keine Fürsorgepflicht, die ein Zurücktreten des Formzwangs rechtfertigen könnte (BGH NJW 1989, 166, 167). e) Einseitige Rechtsgeschäfte. Bei einseitigen Rechtsgeschäften (etwa Kündigung) wird sich der Erklärungsempfänger ggü dem Formmangel auf § 242 berufen können, wenn er in seinem Vertrauen auf die Wirksamkeit der formlosen Erklärung Schutz verdient und der Erklärende sich in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise zu seinem Verhalten bei und/oder nach Vornahme des Rechtsgeschäfts in Widerspruch setzt (vgl das Bsp einer formunwirksamen außerordentlichen Kündigung eines ArbN in BAG NJW 1998, 1659, 1660f). f) Besonderheiten bei Verfügungen. Bei Verfügungen kann der Formzwang nicht durch § 242 durchbrochen werden; denn sie wirken absolut und berühren die Interessen Dritter. Hier geht das Interesse an der Verkehrssicherheit vor (hM; NK/Noack/Kremer Rn 46; Flume AT II § 15 III 4a; Medicus/Petersen BürgR Rn 186; anders Soergel/Teichmann § 242 Rn 177).

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(1) Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden. (2) Bei einem Vertrag muss die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen. Werden über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen, so genügt es, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet. (3) Die schriftliche Form kann durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. (4) Die schriftliche Form wird durch die notarielle Beurkundung ersetzt. 1. Bedeutung. § 126 bestimmt die Voraussetzungen für die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform. Für die rechtsgeschäftlich vereinbarte Schriftform gilt § 127. Die gesetzliche Bezeichnung des Schriftformerfordernisses ist uneinheitlich (vgl MüKo/Einsele Rn 3): schriftliche Erklärung (zB § 32 II), schriftliche Form (zB § 550), Ausstellung einer Urkunde (zB § 409), schriftliche Mitteilung (§ 416 I), schriftliche Erteilung einer Erklärung (zB § 766). 2. Anwendungsbereich. § 126 gilt für Rechtsgeschäfte. Darüber hinaus ist die Vorschrift aber auch auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen zumindest entspr anzuwenden (MüKo/Einsele Rn 4; Röger NJW 2004, 1764, 1765; Ulrici NJW 2003, 2053, 2055; aA BAG NJW 2001, 989, 990; 2003, 843, 844). Das BGB sieht die Schriftform zB in folgenden Fällen vor: §§ 32 II, 37 I, 81 I, 111 S 2, 368, 409 I, 410 I und II, 416 II, 484 I, 492 I, 550, 568 I, 574b I, 577 I, 585a, 594f, 623, 655b I, 761, 766, 780, 781, 792 I, 793 I, 1154 I, 1906 V. Die Regelung des § 126 gilt auch für andere gesetzliche Schriftformerfordernisse des Privatrechts, etwa im Arbeitsrecht (zB § 12 AÜG, §§ 77 II, 112 III BetrVG, § 14 IV TzBfG), in den gesetzlichen Gebührenregelungen der freien Berufe (zB § 7 I HOAI, § 2 II GOÄ, § 2 II GOZ) oder im Handels- und Gesellschaftsrecht (zB §§ 74 I, 86b HGB, § 32 AktG, §§ 5, 76 GenG, § 3 PartGG). § 126 gilt ferner bei öffentlich-rechtl Verträgen, §§ 57, 62 VwVfG (vgl OVG Lüneburg NJW 1992, 1404, 1405; 1998, 2921; OVG Saarlouis NJW 1993, 1612); iÜ ist die Vorschrift aber im öffentlichen Recht nicht entspr anwendbar (MüKo/Einsele Rn 5). Ebenso gelten im Prozessrecht vorrangig die Sondervorschriften des Verfahrensrechts (vgl BGH 107, 129, 131; GmS-OGB NJW 2000, 2340). Für das Schriftformerfordernis nach Europäischem Unionsrecht gilt § 126 nicht (BGH NJW 1983, 519, 521; 2006, 681, 683).

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3. Erfordernisse der Schriftform. a) Urkunde. Die rechtsgeschäftliche Erklärung muss in einer Urkunde, also schriftlich niedergelegt sein. Die Art und Weise der Herstellung ist nicht vorgeschrieben. Die Urkunde kann nach Belieben von den Parteien oder einem Dritten handschriftlich, mit Schreibmaschine oder PC, durch Druck oder Vervielfältigung erstellt werden. Jeder Stoff, der geeignet ist, die schriftliche Erklärung auf Dauer festzuhalten, kann benutzt werden (vgl RG DJZ 1910, 594: Testament auf Schiefertafel). Zulässig ist auch die Benutzung einer alten, inzwischen unwirksam gewordenen Urkunde (RG 78, 26, 31). Nicht ausreichend ist für die Wahrung der Schriftform aber die Unterzeichnung auf einem elektronischen Schreibtablett (München NJW 2012, 3584, 3585). Die Angabe von Ort und Zeit der Abfassung ist nicht erforderlich (LG Frankfurt WM 2009, 947). IÜ muss die Urkunde auch nicht in dt Sprache abgefasst sein (Pal/Ellenberger Rn 2). aa) Inhalt der Urkunde. In der Urkunde muss die formbedürftige, rechtsgeschäftliche Erklärung grds vollständig und bestimmt, zumindest bestimmbar enthalten sein. Danach sind alle Einzelheiten, die nach dem Willen der Parteien den Vertrag kennzeichnen, schriftlich niederzulegen (MüKo/Einsele Rn 7; vgl auch BGH NJW 2003, 1248). Teilw regelt auch das Gesetz im Einz selbst, welchen Inhalt die Urkunde enthalten muss (zB §§ 484, 492). IÜ ist der notwendige Inhalt unter Berücksichtigung der Formzwecke zu ermitteln (vgl BGH 57, 53, 57; ferner Pal/Ellenberger Rn 3). So muss die Bürgschaftserklärung außer dem Willen, für eine fremde Schuld einzustehen, den Gläubiger, den Schuldner und die gesicherte Forderung nennen (BGH 132, 119, 122f). Dagegen soll beim Mietvertrag der Form des § 550 bereits genügt sein, wenn die Parteien des Mietvertrags, die vermieteten Räume und der Mietbeginn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestimmbar sind (BGH NJW 1999, 3257, 3259; 2006, 139, 140; 140, 141). IÜ sollen erforderliche Zustimmungserklärungen zu einem Mieter- bzw. Vermieterwechsel ohne Wahrung der Form wirksam sein (BGH NJW 2003, 2158, 2160; NJW-RR 2005, 958, 959; s schon § 125 Rn 19). Gleichgültig ist, ob die Urkunde neben der formbedürftigen noch andere Erklärungen enthält (zB im Privatbrief). bb) Einheitlichkeit der Urkunde. Die gesamte rechtsgeschäftliche Erklärung muss in einer Urkunde enthalten sein. Besteht die Urkunde aus mehreren Blättern, setzt dies nach der neueren, zu § 550 ergangenen Rspr allerdings nicht mehr voraus, dass eine von den Vertragsparteien übereinstimmend hergestellte dauernde äußere (körperliche) Verbindung (zB Anheften mit einem Faden, Zusammenleimen, Heften) besteht (dahingehend noch BGH 40, 255, 263). Vielmehr soll es ausreichend sein, wenn sich die Einheit der Urkunde etwa aus fortlaufender Seitenzahl, fortlaufender Nummerierung der einzelnen Bestimmungen, einheitlicher graphischer Gestaltung, inhaltlichem Zusammenhang des Textes oder vergleichbaren Merkmalen zweifelsfrei ergibt (BGH 136, 357, 363ff; NJW-RR 2004, 586, 587; s zu § 34 aF GWB auch schon BGH NJW 1997, 2182, 2183; eingehend zur Entwicklung der Rspr Erman/Palm12 Rn 6). Zulässig ist es auch, wenn sich der formbedürftige Inhalt erst aus mehreren Urkunden (zB Vertrag mit Anlagen, Nachtrags- und Ergänzungsvereinbarungen) ergibt. Dabei ist es nicht erforderlich, dass beide Urkunden verbunden sind. Vielmehr soll es nach der – wiederum zu § 550 ergangenen – Rspr des BGH genügen, wenn der Vertrag auf die Anlage Bezug nimmt und diese so genau kennzeichnet, dass eine eindeutige Identifizierung möglich ist (BGH NJW 1999, 1104, 1105; 2003, 1248, 1249; 2007, 288, 290; 3202, 3203; 2009, 2195, 2196; eingehend Lindner-Figura NZM 2007, 705, 709; ähnlich für Tarifverträge BAG NJW 1981, 1574; enger für § 112 BetrVG aber offensichtlich BAG NJW 2007, 266, 269). Eine Rückverweisung der Anlage auf den eigentlichen Vertrag ist dagegen nicht erforderlich (BGH NJW 2000, 354, 357; 2003, 1248, 1249). Ferner muss die Anlage von den Parteien nicht unterschrieben oder paraphiert worden sein (BGH NJW 2003, 1248, 1249, noch offenlassend BGH NJW 1999, 1104, 1105; 2000, 354, 357). Daher ist es auch unschädlich, wenn die Anlage in einem Vertrag besteht, der von anderen Parteien geschlossen worden ist (BGH NJW 2003, 1248, 1249). Umgekehrt kann die Schriftform im Einzelfall auch dann gewahrt sein, wenn nur die Anlage, nicht aber der eigentliche Vertrag unterschrieben wurde (BAG NJW 2016, 2134, 2136). Unproblematisch sind iÜ von vornherein solche Anlagen, die für den Inhalt des Vertrags lediglich von nebensächlicher Bedeutung sind oder den Inhalt der eigentlichen Vertragsurkunde nicht ergänzen oder modifizieren, sondern lediglich erläutern oder veranschaulichen sollen, da für sie das Schriftformerfordernis nicht gilt (BGH NJW 1999, 2591, 2592; 2000, 354, 357f). Bei nachträglichen Änderungen und Ergänzungen ist es zur Wahrung der Schriftform erforderlich, dass die Nachtragsurkunde auf den ursprünglichen Vertrag Bezug nimmt und zum Ausdruck bringt, es solle unter Einbeziehung des Nachtrags bei dem verbleiben, was früher bereits formgültig niedergelegt war, und von beiden Parteien unterzeichnet ist (BGH NJW 1992, 2283, 2284; 1999, 2517, 2519; NJW-RR 2000, 744, 745). Entspr gilt auch für die Vereinbarung eines Parteiwechsels (BGH NJW 1998, 62; 2013, 1083, 1084) oder die Auswechslung des Mietobjekts (so für § 550 BGH NJW-RR 2012, 909). Ist die ursprüngliche Vereinbarung wegen unzureichender Angaben formunwirksam, kann dieser Mangel durch eine Nachtragsvereinbarung geheilt werden, die die erforderlichen Angaben enthält und auf die ursprüngliche Abrede Bezug nimmt (so zu § 550 BGH NJW 2007, 3273, 3275; 2009, 2195, 2196). b) Unterzeichnung der Urkunde. aa) Abschluss der Urkunde. Die Urkunde muss die Unterschrift des Ausstellers enthalten. Die Unterschrift muss die ihr voranstehende Erklärung decken (Abschluss- und Deckungswirkung). Erforderlich ist daher, dass die Unterschrift des Ausstellers sich unter der Urkunde befindet und den Text räumlich abschließt (RG 52, 277, 280; 57, 66, 67; 110, 166, 168); eine „Oberschrift“ reicht – selbst bei entspr gestalteten Vordrucken (Bsp zeitweilig üblicher Vordruck für Banküberweisungen) – für die gesetzlich geforderte Schriftform nicht aus (BGH 113, 48, 51; aA Köhler JZ 1991, 408, 409). Nicht ausreichend ist ferner die Unterzeichnung am Rand des Urkundentextes (BGH NJW 1992, 829, 830) oder auf einem offenen oder verschlosseArnold

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nen Briefumschlag, es sei denn, dass es sich bei dem Text des Umschlags um die Fortsetzung des Urkundentextes handelt (RG 110, 166, 168f). Dagegen liegt eine wirksame Unterschrift vor, wenn die Erklärung räumlich aE der Urkunde unterzeichnet wird, sich aber erst danach ergibt, in welcher rechtlichen Eigenschaft der Erklärende gehandelt hat (BGH NJW 1995, 43). Nachträge zu einer urkundlichen Erklärung müssen erneut unterschrieben werden (BGH NJW-RR 1990, 518). Bei nachträglicher Änderung des über der Unterschrift stehenden Urkundeninhalts ist eine neue Unterschrift entbehrlich, falls die Parteien sich über die Verbindlichkeit der bestehenden Unterschrift einig sind (BGH WM 1973, 386, 387; NJW 1994, 2300, 2301; vgl auch Flume AT II § 15 II 1a). Bei Urkunden mit mehreren Seiten genügt die Unterschrift am Textende. bb) Blankounterschrift. Die Unterschrift kann auch zeitlich vor Abfassung des Urkundentextes geleistet werden. Es ist somit zulässig, ein zunächst unausgefülltes Blatt mit einer Blankounterschrift zu versehen und die Erklärung später hinzuzufügen (RG 78, 26, 30; BGH 22, 128, 132; NJW 1984, 798). Mit Ausfüllung der Blankourkunde durch den Aussteller oder einen Dritten ist die Schriftform gewahrt. Auf eine abredewidrige Ausfüllung der Urkunde durch Dritte kann sich der Unterzeichnende regelmäßig nicht berufen (BGH 40, 65, 68; Medicus/ Petersen AT Rn 913). Eine formbedürftige Bürgschaftserklärung kann indes nicht in der Weise erteilt werden, dass der Bürge ein Blankett ausfüllt und einen Dritten mündlich ermächtigt, dieses auszufüllen; vielmehr soll hier eine schriftliche Ermächtigung zur Ausfüllung des Blanketts erforderlich sein (BGH 132, 119, 125ff; krit Pawlowski JZ 1997, 309, 311f). Ebenso genügt eine Blankounterschrift dem Schutzzweck der von § 492 geforderten Schriftform nicht (BGH 132, 119, 126f; 140, 167, 171; NJW-RR 2005, 1141, 1142). Auch beim Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung reicht entspr dem Rechtsgedanken von § 150 II 1 VVG eine Blankounterschrift nicht aus (BGH 140, 167, 171f). Dagegen bedarf die Ermächtigung zum Ausfüllen eines Wechselblanketts keiner besonderen Form (Hamburg NJW-RR 1998, 407); die Zulässigkeit derartiger Blankowechsel folgt bereits aus Art 10 WG. cc) Namensunterschrift oder Unterschrift mittels notariell beglaubigten Handzeichens. Die Urkunde muss entweder mit dem Namen des Unterzeichnenden oder durch notariell beglaubigtes Handzeichen unterschrieben werden. Mit der Namensunterschrift soll die Person des Unterzeichnenden zur Unterscheidung von anderen Personen erkennbar gemacht werden. Unterzeichnet wird daher idR mit dem Familiennamen. Die Hinzufügung des Vornamens ist selbst bei Verwechslungsgefahr nicht erforderlich (so zur notariellen Beurkundung BGH NJW 2003, 1120; ferner nur MüKo/Einsele Rn 16). Die Angabe des Vornamens allein genügt hingegen nur, wenn er die Person des Unterzeichnenden im Verkehr eindeutig kennzeichnet, was bei kirchlichen Würdenträgern und Angehörigen des Hochadels anzunehmen sein kann (so für die notarielle Beurkundung BGH NJW 2003, 1120; weiterhin Soergel/Hefermehl Rn 15; teilw weiter Staud/Hertel Rn 141, der den Vornamen auch bei Geschäften unter nahen Angehörigen genügen lassen will). Ebenso ist die Unterschrift mit dem Vornamen und dem Anfangsbuchstaben des Nachnamens idR nicht ausreichend (Stuttgart NJW 2002, 832). Bei Kaufleuten ist die Angabe ihrer Firma ausreichend (vgl § 17 I HGB), sofern sie vollständig verwendet wird (Pal/Ellenberger Rn 10). Zulässig ist auch die Verwendung eines Pseudonyms (Deckname, Künstlername), das der Unterzeichnende tatsächlich führt und durch welches er im Rechtsverkehr individualisierbar ist (MüKo/Einsele Rn 16; Flume AT II § 15 II 1; enger für notarielle Urkunden BGH NJW 2003, 1120, 1121). Die versehentliche Verwendung eines falschen Familiennamens (Bsp: Ehegatte unterzeichnet mit dem Namen, den er nur bis zur Ehe geführt hat) ist unschädlich, sofern die Identität des Unterzeichnenden feststellbar bleibt (BayObLG NJW 1956, 24, 25). Ebenso reicht es aus, wenn nur mit einem Teil eines Doppelnamens unterzeichnet wird (BGH NJW 1996, 997). Unzureichend ist hingegen die Angabe einer Verwandtschaftsstellung (RG 134, 308, 310), einer Rechtsstellung oder eines Titels. Für eigenhändige Testamente gilt jedoch die Ausnahme des § 2247 III 2. Der Name muss ausgeschrieben sein; die Verwendung von Anfangsbuchstaben/Initialen oder sonstigen Buchstabenfolgen sowie Namenskürzeln reicht nicht (BGH NJW 1967, 2310; 1978, 1255; 1994, 55; NJW-RR 2007, 351). Die Namensunterschrift kann auch in ausl – etwa arabischen – Schriftzeichen erfolgen (VGH München NJW 1978, 510, 511; Staud/Hertel Rn 136). Auf die Leserlichkeit der Unterschrift kommt es nicht an (BGH NJW 1987, 1333, 1334; BAG NJW 2008, 2521). Nach der – zumeist zur Wahrung der Schriftform bei Prozesshandlungen ergangenen – Rspr (BGH NJW 1974, 1090; 1982, 1467; 1985, 1227; 1987, 1333, 1334; 1992, 243; 1994, 55; 1997, 3380, 3381; 2005, 3773, 3774; NJW-RR 2007, 351; BAG NJW 1982, 1016; 1996, 3164; BFH DB 1983, 1694; skeptisch E. Schneider NJW 1998, 1844ff) genügt es für eine Namensunterschrift, dass ein Schriftzug vorliegt, der nach dem objektiven Erscheinungsbild individuell und einmalig ist, entspr charakteristische Merkmale aufweist und sich so als eine die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnende Unterschrift seines Namens darstellt. Wenn die Autorenschaft gesichert ist, soll dabei ein großzügiger Maßstab angelegt werden (BGH NJW 1997, 3380, 3381; 2005, 3775; NJW-RR 2007, 351). Allerdings wird es für notwendig gehalten, dass einzelne Buchstaben wenigstens andeutungsweise erkennbar sind (BGH NJW 1974, 1090; 1988, 1227; 1988, 1333, 1334; BAG NJW 1996, 3164). Ausgehend von diesen Grundsätzen soll etwa eine Unterschrift nach Art einer „Wellenlinie“ wirksam sein, wenn die ersten beiden „Wellen“ den Buchstaben „W“ und damit den Anfangsbuchstaben des Namens ergeben und wenn die weiteren „Wellen“ ersichtlich für den Rest dieses Namens stehen (Köln NJW-RR 2005, 1252); ein aus drei steil und gerade verlaufenden Ab- und Aufstrichen bestehendes handschriftliches Gebilde kann nicht nur als „K“, sondern als gesamter Name zu deuten sein (BGH NJW 1997, 3380, 3381). IÜ kann es für die Anerkennung als Unterschrift auch von Bedeutung sein, ob der Schriftzug mit einer Namensangabe in Druckschrift versehen ist (BGH NJW 1992, 243, 244; 1997, 3380, 3381). Der übereinstim-

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menden Auffassung der Parteien, dass die Unterschrift als bloßes Handzeichen anzusehen ist, kommt dagegen keine Bedeutung zu (BGH NJW 1978, 1255). Wahlweise kann die Unterschrift auch mit einem Handzeichen erfolgen. Dieses bedarf allerdings der notariellen Beglaubigung. Die Art des verwendeten Handzeichens ist gleichgültig (Kreuze, Initiale). Da § 126 I die Unterzeichnung mit Namensunterschrift oder mittels beglaubigten Handzeichens zur freien Wahl stellt, ist die Schreibunkundigkeit keine Voraussetzung für die Verwendung eines Handzeichens (Hamm NZG 2001, 942, 943). dd) Eigenhändigkeit. Die Urkunde muss vom Aussteller zwar nicht vollständig eigenhändig erstellt werden (anders etwa § 2247), wohl aber eigenhändig (handschriftlich) unterzeichnet werden. Aussteller ist dabei derjenige, von dem die Erklärung herrührt, der sie also selbst oder als Vertreter für einen anderen abgegeben hat (MüKo/Einsele Rn 12). Eine Schreibhilfe (zB Führen der Hand) ist aber soweit zulässig, als der Aussteller lediglich unterstützt wird und die Unterzeichnung noch auf seinem Willen beruht (BGH 47, 68, 71; NJW 1981, 1900, 1901; BayObLG DNotZ 1986, 299). Unzureichend ist hingegen die Unterzeichnung durch Maschinenschrift, Stempel oder Faksimile (RG 74, 339, 340f; BGH NJW 1970, 1078, 1080; Staud/Hertel § 126 Rn 133; Wolf/Neuner AT § 44 Rn 33; Medicus/Petersen AT Rn 618; vgl aber auch Köhler AcP 182, 126, 147ff). Ebenso fehlt es bei einem Telegramm (BGH 24, 297, 298; Flume AT II § 15 II 1b) und einem Telefax (BGH 121, 224, 229; NJW 1997, 3169, 3170; BAG NZA 2016, 361, 365) an der eigenhändigen Unterschrift. Zuletzt genügt auch ein elektronisches Dokument nicht (BGH NJW 2008, 506f). Freilich kann die Schriftform nach Abs III durch die elektronische Form ersetzt werden, soweit das Gesetz dies nicht ausschließt. In diesem Fall muss das elektronische Dokument aber mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden (§ 126a). IÜ trägt das Gesetz teilw den Bedürfnissen des Massenverkehrs dadurch Rechnung, dass es auf die Eigenhändigkeit der Unterschrift verzichtet und die Verwendung einer mechanisch vervielfältigten Unterschrift zulässt: so zB bei der Schuldverschreibung auf den Inhaber (§ 793 II), bei Aktien und Zwischenscheinen (§ 13 S 1 AktG). ee) Unterschrift durch einen Vertreter. Wird die formbedürftige Erklärung durch einen Vertreter abgegeben, muss dieser als Aussteller nach dem Gesetzeswortlaut die Urkunde mit seinem Namen unterzeichnen. Freilich wird es auch für zulässig gehalten, dass der Vertreter mit dem Namen des Vertretenen unterzeichnet (RG 74, 69, 70ff; 76, 99, 100; BGH 45, 193, 195; Soergel/Hefermehl Rn 18; Wolf/Neuner AT § 44 Rn 29; skeptisch MüKo/Einsele Rn 12; Staud/Hertel Rn 149). Unterschreibt der Vertreter mit seinem eigenen Namen, muss seine Vertreterstellung sich aus einem Zusatz oder dem sonstigen Inhalt der Urkunde entnehmen lassen (RG 96, 286, 289; BGH 125, 175, 178f; NJW 2002, 3389, 3391; 2008, 2178, 2180; BAG NJW 2005, 2572). Hierfür kann es indes bereits ausreichen, dass der Vertreter nach dem Inhalt der Urkunde nicht Vertragspartei werden sollte, da seine Unterschrift in diesem Fall nur bedeuten kann, dass er eine Vertragspartei vertreten wollte (BGH NJW 2005, 2225, 2226; 2007, 3346). Bei Prokuristen reicht der Zusatz „ppa“ (LAG Hamm NZA-RR 2005, 428, 429; Köln MDR 2006, 145). Ausreichend kann auch eine Zeichnung mit dem Zusatz „i.A.“ (im Auftrag) statt „i.V.“ (in Vertretung) sein, da sich hieraus noch nicht zwingend ergibt, dass der Erklärende als Bote gehandelt hat (BAG NJW 2008, 1243, 1244). Will der Vertreter die Erklärung sowohl für den Vertretenen als auch für sich abgeben, genügt zwar eine einzige Unterschrift (RG 75, 1, 4). Allerdings muss die Urkunde in diesem Fall erkennen lassen, ob auch für den Vertretenen gehandelt werden sollte, da andernfalls nicht klar ist, ob noch eine Unterschrift fehlt (BGH 125, 175, 178ff für den Fall der Unterzeichnung eines Vertrags mit Eheleuten nur durch den Ehemann; BGH NJW 2002, 3389, 3391 für den Vertragsschluss durch einen Miterben für alle Mitglieder einer Erbengemeinschaft). Entspr gilt für den Fall der Gesamtvertretung: Vertritt ein Gesamtvertreter beim Vertragsschluss für den Vertretenen zugleich den anderen, so genügt zwar eine Unterschrift (so schon RG 106, 268, 269); doch muss in der Urkunde zum Ausdruck kommen, dass auch für den oder die anderen Gesamtvertreter gehandelt werden sollte, womit es regelmäßig eines entspr Vertretungszusatzes bedarf (so – jew für die GbR – BGH NJW 2003, 3053, 3054; 2004, 1103; BAG NJW 2005, 2572, 2573; NZA 2008, 348, 349; krit zur Rspr für die Vertretung einer GbR Weitemeyer NZG 2006, 10ff). Dem Schriftformerfordernis ist genügt, wenn der Unterschrift eines Gesellschafters ein Firmenstempel hinzugesetzt wird, weil damit seine Vertretungsberechtigung für die Gesellschaft ausgewiesen wird (für § 550 BGH NJW 2013, 1082, 1083). Bei juristischen Personen genügt grds die Unterzeichnung durch ein Mitglied des vertretungsberechtigten Organs ohne einen Vertretungszusatz (so für die AG BGH NJW 2015, 2034, 2045). Abw soll gelten, wenn im Rubrum des Vertrags, der der Schriftform unterliegt, alle (gesamtvertretungsberechtigten) Mitglieder des Vertretungsorgans benannt werden, da in diesem Fall nicht klar sei, ob das unterzeichnende Organmitglied die anderen vertreten wollte (so – ebenfalls für die AG – BGH NJW 2010, 1453f). c) Empfangsbedürftige Erklärungen. Ist die Erklärung, die schriftlich erfolgen muss, empfangsbedürftig, so muss dem Empfänger eine formgerechte Erklärung zugehen. Daher genügt – anders als im Prozessrecht (vgl nur § 130 Nr 6 ZPO und zu bestimmenden Schriftsätzen iÜ Musielak/Voit/Stadler § 129 ZPO Rn 11) – etwa die Übermittlung per Telefax nicht (BGH 121, 224, 228f; NJW 1997, 3169, 3170; MüKo/Einsele Rn 20; aA Schippers DNotZ 2006, 726ff). Denn dem Empfänger wird elektronisch nur eine Kopie übermittelt. Erst recht genügt es nicht, wenn – wie etwa bei Telegramm oder Fernschreiben – nicht einmal eine Kopie der Unterschrift, sondern nur der Text der Urkunde übermittelt wird (BGH 24, 297, 298f). Wirksam wird die Erklärung in diesen Fällen erst, wenn das Original der Kopie nachgesandt wird und dem Adressaten zugeht. Etwas anderes gilt nur, wenn auf den fehlenden Zugang im Original wirksam verzichtet wurde, da die Zugangsregeln – anders als gesetzliche Arnold

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Formvorschriften – von den Parteien grds abbedungen werden können (dazu nur BGH 130, 71, 75 und – zu § 34 aF GWB – GH NJW-RR 1986, 1300, 1301). Doch wird man, wenn der Schriftform eine Warnfunktion zukommt, es für unabdingbar halten müssen, dass die Abgabe der formbedürftigen Erklärung im Original erfolgt ist (so überzeugend MüKo/Einsele Rn 20 unter Hinw auf BGH 121, 224, 228ff). d) Besonderheiten beim Vertrag (Abs II). Bei einem Vertrag ist die Unterzeichnung aller Vertragsparteien auf derselben Urkunde erforderlich. Dies gilt freilich nur, wenn der Vertrag insgesamt der Schriftform bedarf. Die in § 126 II geregelten Besonderheiten gelten hingegen nicht, sofern nur eine Vertragserklärung formbedürftig ist (zB § 766); hier ist eine Unterzeichnung durch die andere Partei nicht erforderlich (MüKo/Einsele Rn 19). Eine Ausnahme enthält überdies § 492 I für Verbraucherdarlehensverträge. Danach ist der Schriftform genügt, wenn Antrag und Annahme durch die Vertragsparteien jew getrennt schriftlich erklärt werden. Die Erklärung des Darlehensgebers bedarf zudem keiner Unterzeichnung, wenn sie mit Hilfe einer automatischen Einrichtung erstellt wird. § 126 II verlangt, dass der gesamte Inhalt des Vertrags von der Unterschrift der Parteien gedeckt wird. Es reicht somit nicht aus, dass jeder Vertragspartner nur die von ihm abgegebene Erklärung (Angebot, Annahme) unterzeichnet (BGH NJW-RR 1989, 786, 787; 1994, 280, 281; Hamm NJW-RR 1998, 811, 812; anders § 127 II für die gewillkürte Schriftform). Ebenso genügt es nicht, wenn eine Partei das in Form eines fertigen, bereits unterschriebenen Vertragsentwurfs gemachte Angebot nur mit Änderungen annimmt und der Vertragspartner diesen Änderungen mit einem gesonderten Schreiben zustimmt (BGH NJW 2001, 221, 222f). Ausreichen soll dagegen ein Schreiben einer Vertragspartei, das die Vertragsbestimmungen vollständig enthält und das die andere Vertragspartei mit unterzeichnet; ihr uneingeschränktes Einverständnis muss sie dabei nicht ausdr vermerken (BGH NJW 2004, 2962, 2963f; BAG NJW 2007, 315, 316; Koblenz NJOZ 2005, 2919, 2923; aA noch RG 105, 60, 62). Dabei soll dem Formerfordernis des § 550 selbst dann genügt sein, wenn das Angebot verspätet angenommen wird (§ 147 II) und damit der Vertrag erst durch die konkludente Annahme des in der verspäteten Annahme liegenden neuen Angebots (§ 150 I) zustande kommt (BGH NJW 2010, 1518, 1519f; 2015, 2648, 2649; aA etwa KG NZM 2007, 517). Bei der Abfassung eines Vertrags auf verschiedenen Blättern ist erforderlich, dass die Unterschrift den Gesamtinhalt deckt (RG JW 1924, 796). Bei Ausstellung mehrerer gleich lautender Urkunden genügt es, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet (§ 126 II 2). Die Urkunden müssen aber den gesamten Vertragsinhalt enthalten. Gleichzeitige Unterzeichnung in Gegenwart des Vertragspartners ist nicht erforderlich. 4. Ersetzung der Schriftform (Abs III und IV). Die Schriftform kann stets durch notarielle Beurkundung der Erklärung (§ 126 IV; § 128) und damit auch durch protokollierten gerichtlichen Vergleich (§ 127a) ersetzt werden. Die elektronische Form (§ 126a) kann an die Stelle der Schriftform treten, soweit im Gesetz nichts anderes bestimmt ist (§ 126 III). Die Textform (§ 126b) ersetzt die gesetzliche Schriftform hingegen nicht.

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(1) Soll die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form durch die elektronische Form ersetzt werden, so muss der Aussteller der Erklärung dieser seinen Namen hinzufügen und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen. (2) Bei einem Vertrag müssen die Parteien jeweils ein gleichlautendes Dokument in der in Absatz 1 bezeichneten Weise elektronisch signieren. 1 1. Allgemeines. Die Regelung stellt in ihrem Anwendungsbereich die elektronische Form gleichwertig neben die Schriftform des § 126. Damit soll es ermöglicht werden, dass die Vorteile des elektronischen Geschäftsverkehrs auch da genutzt werden können, wo das Gesetz die Schriftform verlangt (BT-Drs 14/4987, 15); denn die elektronische Form soll gewährleisten, dass sowohl die Authentizität des Geschäftspartners als auch die Unverfälschtheit der Erklärung mit hoher Sicherheit festgestellt werden können (Hk/Dörner Rn 1). Der Bestimmung liegen die EU-RL 1999/93/EG über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (ABl 2000 L 13/12) und 2000/31/EG über den elektronischen Rechtsverkehr (ABl 2000 L 178/1) zugrunde. 1a Die EU-RL 1999/93/EG über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (ABl 2000 L 13/12) ist inzwischen auf europäischer Ebene durch VO Nr 910/2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der RL 1999/93/EG (ABl 2014 L 257/73, elDAS-VO) abgelöst worden. Diese enthält nunmehr als unmittelbar geltendes Unionsrecht etwa Bestimmungen zu Vertrauensdiensteanbietern und zu elektronischen Signaturen. Daher sieht der Entwurf des elDAS-Durchführungsgesetzes (BR-Drs 266/17) die Aufhebung des SigG vor. Dementsprechend soll in § 126a auch der Verweis auf das Signaturgesetz gestrichen werden. 2 2. Anwendungsbereich. Die elektronische Form kann im gesamten Bereich des Privatrechts an die Stelle der Schriftform treten, wenn sich nicht aus dem Gesetz etwas anderes ergibt (§ 126 III). Ausdr ausgenommen ist die Anwendung von § 126a aus unterschiedlichen Gründen in den §§ 623, 630, 761, 766, 780, 781 BGB, § 2 I 3 NachwG. 3 3. Allgemeine Voraussetzungen. a) Elektronische Erklärung. Der Aussteller muss eine (elektronische) Erklärung abgeben. Die Erklärung muss also in digitaler Gestalt vorliegen (NK/Noack/Kremer Rn 50; Staud/Hertel Rn 40). In Betracht kommen insoweit etwa Textdateien oder eine E-Mail. Allerdings soll es erforderlich sein, 320

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dass die Erklärung in Schriftzeichen dargestellt werden kann (Staud/Hertel Rn 41; MüKo/Einsele Rn 3; aA NK/ Noack/Kremer Rn 50). Zudem muss die Erklärung auf einem Datenträger gespeichert werden können, so dass eine dauerhafte Wiedergabe möglich ist (MüKo/Einsele Rn 3). Andernfalls wäre die Beweisfunktion der Form nicht gewahrt. Aus dieser folgt weiterhin, dass – wie bei der Schriftform – das elektronische Dokument die gesamte formbedürftige Erklärung einschl etwaiger Nebenabreden enthalten muss (NK/Noack/Kremer Rn 46). b) Hinzufügung des Namens. Der Aussteller muss der Erklärung seinen Namen (nicht wie bei § 126 seine Namensunterschrift) hinzufügen. Aussteller ist dabei derjenige, der die Erklärung in eigener Verantwortung abgibt; bei Stellvertretung ist daher der Vertreter Aussteller (MüKo/Einsele Rn 5). Die unter diesem Gesichtspunkt an die Namensunterschrift gem § 126 I gestellten Anforderungen (§ 126 Rn 9) gelten für Inhalt und Umfang der Namensangabe gem § 126a entspr. Der Name muss – anders als die Namensunterschrift gem § 126 I – nicht unter der Erklärung stehen. Das Gesetz legt nicht fest, an welcher Stelle der Erklärung der Name hinzugefügt werden muss. Der Aussteller ist in der Wahl des Standortes der Namensangabe im Grundsatz frei; sie muss nur – auch nach der Wahl des Standorts – dem Identifikationszweck genügen. c) Qualifizierte elektronische Signatur. Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz (SigG) versehen werden (vgl § 2 Nr 3 SigG). Die Nutzung der elektronischen Form setzt damit den Besitz der zur Erzeugung einer entspr Signatur erforderlichen Hard- und Software voraus. Zudem muss bei einem „Zertifizierungsdiensteanbieter“ iSv §§ 4ff SigG ein qualifiziertes Zertifikat (Voraussetzungen § 7 SigG) erworben werden. Als Zertifizierungsdiensteanbieter sind etwa die Deutsche Post AG, die Telekom AG, die Datev eG und die Bundesnotarkammer tätig. Das Zertifikat kann zB in monetärer Hinsicht beschränkt werden (vgl § 7 I Nr 7 SigG). Hiermit kann der Erklärende seine Möglichkeiten, formwirksame elektronische Erklärungen abzugeben, von vornherein nach Art und Umfang beschränken (Hk/Dörner Rn 7). Doch soll eine derartige monetäre Beschränkung der Wirksamkeit einer elektronisch übermittelten Klageerhebung nicht entgegenstehen (BFH DStRE 2007, 515, 516; Fischer-Dieskau/Hornung NJW 2007, 2897). Signiert der Erklärende ein elektronisches Dokument, so wird aus dem Dokument zunächst eine Prüfsumme („Hashwert“) ermittelt; diese wird sodann mit dem – nur dem Signaturschlüsselinhaber zugänglichen – privaten Schlüssel verknüpft. Das Ergebnis dieses Vorgangs wird mit der elektronischen Signatur versendet, die dem elektronischen Dokument beigefügt wird (eingehend zu diesen technischen Zusammenhängen NK/Noack/ Kremer Rn 33ff). Erhält der Empfänger die Erklärung, kann er deren Authentizität überprüfen, indem er selbst den Hashwert des ihm zugegangenen Dokuments durch geeignete Software ermittelt und mit dem ihm in der Signatur verschlüsselt übermittelten Hashwert, den er mittels eines öffentlichen Schlüssels (Signaturprüfschlüssel) entschlüsseln kann, vergleicht (s MüKo/Einsele Rn 10; Dörner AcP 202, 363, 384f). Stimmen beide Werte überein, ist davon auszugehen, dass die Erklärung vom Absender stammt und bei der Übermittlung nicht verfälscht wurde (NK/Noack/Kremer Rn 38). Durch die qualifizierte elektronische Signatur wird damit der auch für die Schriftform wesentlichen Beweisfunktion genügt (s nur MüKo/Einsele Rn 23); denn es wird sichergestellt, dass die Erklärung vom Unterzeichner stammt und nicht verändert worden ist. Weiterhin soll das Verfahren aber auch der Warnfunktion genügen. Da der Erklärende zur Signierung des Dokuments eine Chipkarte in ein Kartenlesegerät einlegen, eine PIN-Nr eingeben und den Signiervorgang auslösen muss, wird ihm durch einen aufwendigen Vorgang die Bedeutung seines Verhaltens vor Augen geführt (BT-Drs 14/4987, 17; Pal/Ellenberger Rn 5). d) Einverständnis des anderen Teils. Über die im Gesetz enthaltenen Voraussetzungen hinaus ist zu verlangen, dass der Adressat des elektronischen Dokuments sich (formlos, auch konkludent) mit der Verwendung der elektronischen Form einverstanden erklärt (BT-Drs 14/4987, 41; Pal/Ellenberger Rn 6; Rossnagel NJW 2001, 1817, 1825; Steinbeck DStR 2003, 644, 645; str, teilw anders MüKo/Einsele § 126 Rn 27ff). Bei Verträgen folgt das i Erg schon aus den in § 126a II gestellten Anforderungen. Es muss aber auch für einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen gelten. Dafür spricht schon, dass technische Voraussetzung für die Verwendung der elektronischen Form die erforderlichen Empfangseinrichtungen beim Adressaten sind. Überdies muss der Adressat die Möglichkeit haben, den Empfang einer Erklärung in elektronischer Form davon abhängig zu machen, dass er die Überprüfungsmöglichkeiten des SigG für ausreichend hält und/oder dass er die elektronische Form für das konkrete Dokument in seiner Einschätzung für hinnehmbar hält oder nicht. 4. Elektronische Form beim Vertrag. Um einen Vertrag in elektronischer Form zu schließen, müssen zumindest im Regelfall beide Vertragsparteien jew ein gleich lautendes Dokument in der in § 126a I bezeichneten Weise elektronisch signieren (§ 126a II) und dieses der anderen Seite übermitteln. Die Bestimmung entspricht sachlich der Regelung des § 126 II 2. Eine Kombination von Schriftform (§ 126 II 2) auf der einen Seite und elektronischer Form (§ 126a I) auf der anderen Seite erfüllt bei einem Vertrag die Funktionen der Form und erscheint deshalb möglich (Pal/Ellenberger Rn 10). Darüber hinaus wird man es auch für zulässig halten müssen, dass beide Parteien ein elektronisches Dokument, das den Vertrag enthält, signieren, auch wenn § 126a keine § 126 II 1 entspr Regelung enthält (NK/Noack/Kremer Rn 56). 5. Beweiskraft. Gem § 371a I 1 ZPO finden auf private elektronische Dokumente, die mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, die Vorschriften über die Beweiskraft privater Urkunden entspr Anwendung (s dazu nur Rossnagel/Fischer-Dieskau NJW 2006, 806ff). Ferner kann, wenn für ein privates elektronisches Dokument die im SigG vorgesehene Prüfung den Anschein der Echtheit einer in elektronischer Form abgegebenen Willenserklärung ergibt, dieser Anschein nach § 371a I 2 ZPO nur durch Tatsachen erschüttert werden, die Arnold

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ernsthafte Zweifel daran begründen, dass die Erklärung von dem Signaturschlüsselinhaber abgegeben worden ist. Gelingt es, den Anschein der Echtheit zu erschüttern, dann muss die Partei die Echtheit beweisen, die aus dem elektronischen Dokument Rechte herleitet. Öffentliche elektronische Dokumente sind in § 371a III ZPO öffentlichen Urkunden gleichgestellt. 6. Rechtsfolgen bei Missbrauch. Benutzt ein Dritter mit Einverständnis des Schlüsselinhabers den Schlüssel, so wird letzterer entspr § 164 aus dem Geschäft berechtigt und verpflichtet (Dörner AcP 202, 363, 387; zweifelnd im Hinblick auf den Formzweck MüKo/Einsele Rn 21). Gibt der Schlüsselinhaber den Schlüssel an einen Dritten, nutzt dieser ihn aber abredewidrig, haftet der Schlüsselinhaber aus dem Geschäft infolge des zurechenbar gesetzten Rechtscheins entspr den Grundsätzen der Duldungsvollmacht, auch wenn er das Handeln des Dritten nicht genehmigt (NK/Noack/Kremer Rn 68; Dörner AcP 202, 363, 388). Entspr muss für den Fall gelten, dass der Schlüsselinhaber den Schlüssel nicht willentlich weitergegeben hat, aber durch fahrlässiges Verhalten die unbefugte Schlüsselbenutzung durch den Dritten ermöglicht hat, wenn man nach den Regeln der Anscheinsvollmacht auch eine Erfüllungshaftung bei fahrlässig gesetztem Rechtsschein bejaht (Pal/Ellenberger Rn 12; MüKo/ Einsele Rn 21). Der weiterhin diskutierten Haftung nach §§ 311 II, 280 I, 241 II (s nur Wolf/Neuner AT § 44 Rn 43) dürfte neben dieser Erfüllungshaftung keine besondere Bedeutung mehr zukommen, zumal die Annahme eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses in diesen Fällen nicht unproblematisch erscheint (s dazu Dörner AcP 202, 363, 391). IÜ wird der Nachw des Missbrauchs für den Schlüsselinhaber wegen § 371a ZPO ohnehin häufig schwierig sein. In Missbrauchsfällen kommt auch eine Haftung des Zertifizierungsanbieters in Betracht. Verletzt dieser die Anforderungen des SigG oder der Rechtsverordnung nach § 24 SigG oder versagen seine Produkte, hat er nach § 11 SigG einem Dritten den Schaden zu ersetzen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf die Angaben in einem qualifizierten Zertifikat vertraut. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Dritte die Fehlerhaftigkeit der Angabe kannte oder kennen musste. § 12 SigG regelt eine Deckungsvorsorge für eine solche Ersatzpflicht.

§ 126b

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Textform

Ist durch Gesetz Textform vorgeschrieben, so muss eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Ein dauerhafter Datenträger ist jedes Medium, das 1. es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und 2. geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben. 1. Allgemeines. Die Vorschrift regelt die Form einer lesbaren, aber unterschriftslosen Erklärung (NK/Noack/ Kremer Rn 1). Von allen in den §§ 126ff geregelten Formen stellt sie damit die geringsten Anforderungen. Durch den Verzicht auf eine eigenhändige Unterschrift iSv § 126 I oder eine Signatur iSv § 126a I soll es dem Geschäftsverkehr vor allem ermöglicht werden, bestimmte rechtserhebliche Erklärungen als Serienbrief (etwa per Fax, als computergefertigten Ausdruck oder als E-Mail) ohne Unterschrift zu versenden. Der Sicherheitsstandard der Textform bleibt insgesamt deutlich hinter dem anderer gesetzlicher Formen zurück. Die üblichen Formzwecke (§ 125 Rn 2ff) erfüllt die Textform deshalb nicht oder nur in geringem Maße (Pal/Ellenberger Rn 1). Ihr kommt vorrangig Informations- und Dokumentationsfunktion zu (BT-Drs 14/4987, 19). § 126b ist durch das Gesetz zur Umsetzung der VerbraucherrechteRL und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung v 20.9.2013 (BGBl I 3642) neu gefasst worden. Die Änderung diente der Anpassung der Vorschrift an die Terminologie der neuen VerbraucherrechteRL (ABl 2011 L 304/64); inhaltliche Änderungen sind nicht beabsichtigt (BT-Drs 17/12637, 44). 2. Anwendungsbereich. Die Bestimmung gilt für alle „Erklärungen“ im Rechtsverkehr; ihr Anwendungsbereich geht also über rechtsgeschäftliche Willenserklärungen hinaus und erstreckt sich damit insb auch auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen (Röger NJW 2004, 1764, 1765f). Sie lässt den Einsatz der Textform aber nur zu, wo sie explizit im Gesetz vorgeschrieben ist. Das ist im BGB in §§ 312h, 477 II, 482 I, 482a, 484 II, 486a I, 555c I, 555d III, 556a II, 556b II, 556c II, 557b III, 558a I, 559b I, 560 I und IV, § 613a V, 630c III, 630e II und 655b I der Fall. Ferner ist die Textform zB in §§ 410 I, 438 IV, 455 I und 468 I HGB, § 24 IV WEG und einer Vielzahl von Vorschriften im VVG (vgl nur §§ 3, 5, 6, 8, 15, 19 VVG) vorgesehen. Dagegen hat die Bedeutung der Textform im Verbraucherrecht deutlich abgenommen; so wird bei Widerruf etwa nicht mehr auf die Einhaltung der Textform abgestellt (s nur BT-Drs 17/12637, 60). 3. Anforderungen. a) Lesbare Erklärung. § 126b verlangt eine Erklärung in Schriftzeichen. Bildsymbole sind daher nicht ausreichend. Ebenso genügen gesprochene Mitteilungen (Hinterlassen der Erklärung auf dem Anrufbeantworter, Audiofiles) nicht (BT-Drs 14/4987, 20). b) Nennung der Person des Erklärenden. Anders als bei der Schriftform nach § 126 ist eine (eigenhändige) Unterschrift des Ausstellers nicht erforderlich. Es reicht aus, dass die Person des Erklärenden genannt wird. Dabei ist der Begriff des Erklärenden mit dem des Ausstellers identisch (MüKo/Einsele Rn 5). Wie der Erklärende genannt wird, bleibt diesem überlassen: Er kann seine Person sowohl zu Beginn oder aE der Erklärung als auch im Text angeben. Im Regelfall wird und sollte er im Interesse der sicheren Information über seine Person seinen Na322

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Willenserklärung

§ 127

men nennen. Zwingend notwendig ist das aber nicht; vielmehr genügt es, dass sich die Person des Erklärenden aus dem Gesamtinhalt der Erklärung bestimmen lässt (Bsp: Jemand gibt eine Erklärung als der dem Adressaten bekannte Vermieter ab). Ein unleserlicher Schriftzug genügt aber als Nennung der Person des Erklärenden nicht (LG Berlin WuM 2003, 568). c) Abgabe auf einem dauerhaften Datenträger. Die formbedürftige Erklärung muss auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden. Dieses Erfordernis, das auf Art 2 Nr 10 und dem 23. Erwägungsgrund der VerbraucherrechteRL beruht, wird in S 2 näher definiert. Ein dauerhafter Datenträger ist danach ein Medium, das es dem Empfänger ermöglicht, eine auf dem Datenträger befindliche, an ihn persönlich gerichtete Erklärung so aufzubewahren oder zu speichern, dass sie ihm während eines für ihren Zweck angemessenen Zeitraums zugänglich ist, und das geeignet ist, die Erklärung unverändert wiederzugeben. Dieses Erfordernis erfüllen Erklärungen in Papierform, aber auch Datenträger wie Festplatten, USB-Sticks, Speicherkarten, CD-ROM oder DVD und eine E-Mail (BT-Drs 17/12637, 44); denn die Erklärung kann vom Adressaten am Bildschirm und/oder durch Ausdruck lesbar gemacht werden (vgl LG Kleve NJW-RR 2003, 196; Pal/Ellenberger Rn 3). Ob der Adressat die Erklärung ausdruckt oder nicht, entscheidet er nach seinem Ermessen; der Ausdruck ist nicht Voraussetzung für die Wahrung der Form (MüKo/Einsele Rn 6). Nicht ausreichend sind dagegen Erklärungen im Videotext eines Fernsehsenders, da diese nicht gespeichert werden können (NK/Noack/Kremer Rn 16). Auch Texte, die ins Internet eingestellt, dem Empfänger aber nicht übermittelt worden sind, genügen der Textform nicht (BT-Drs 17/12637, 44). Mit der Neuregelung wird daher der Streit zu § 126b aF (dazu etwa Erman/ Arnold13 Rn 3 und Reiff ZJS 2012, 432, 438ff) iSd restriktiven Auffassung entschieden, die auch bereits der EuGH (NJW 2012, 2637) zur alten FernabsatzRL vertreten hatte (teilw anders MüKo/Einsele Rn 5, 11). Entgegen verbreiteter Auffassung zu § 126 aF (vgl BGH NJW 2010, 3566, 3567f; 2014, 2857, 2858; KG NJW 2006, 3215, 3216; Hamburg NJW-RR 2007, 839, 840) genügt ein ins Internet eingestellter Text der Textform auch dann nicht, wenn der Empfänger ihn tatsächlich abgespeichert oder ausgedruckt hat; denn dies ändert nichts daran, dass die Erklärung nicht vom Erklärenden auf einem dauerhaften Datenträger „abgegeben“ wurde, sondern dem Empfänger nur auf einer jederzeit veränderbaren Website zur Verfügung steht. Anders sollte hingegen bei sog fortgeschrittenen Webseiten entschieden werden, die dem Empfänger den Zugriff auf die Erklärung in einem vom Erklärenden nicht mehr veränderbaren, individuell durch Passwort und Benutzernamen zugänglichen Bereich auf der Webseite ermöglichen oder ihn zum Download der Erklärung zwingen (so zu § 126b aF schon Reiff, FS v Hoffmann, 2012, 824, 831ff und ders ZJS 2012, 432, 442f unter Bezugnahme auf EFTA-Gerichtshof VersR 2010, 793ff; insoweit offenlassend EuGH NJW 2012, 2637, 2639). d) Kein Abschluss der Erklärung? Anders als § 126b aF setzt die Vorschrift nunmehr nach ihrem Wortlaut nicht mehr voraus, dass der Abschluss der Erklärung erkennbar gemacht werden muss. Obwohl nach der Gesetzesbegr mit der Reform keine sachlichen Änderungen verbunden sein sollten (BT-Drs 17/12637, 44), wird man daher davon ausgehen müssen, dass ein derartiger formaler Abschluss der Erklärung nicht notwendig ist, sondern es wie bei jeder anderen Erklärung genügt, dass sich ermitteln lässt, wo die Erklärung endet (aA MüKo/Einsele Rn 8; Pal/Ellenberger Rn 5; wie hier NK/Noack/Kremer Rn 14) . Große praktische Bedeutung kam dem Erfordernis eines Abschlusses der Erklärung ohnehin nicht zu, da dieser nach dem Gesetzeswortlaut „durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders“ erkennbar gemacht werden konnte und daher neben einer eingescannten Unterschrift etwa auch eine maschinenschriftliche Namensangabe, Datumszeile, Grußformel oder eine abschließende Formulierung wie „Diese Erklärung wird nicht unterschrieben“ genügen sollten (BGH NJW 2011, 295; NJOZ 2012, 926, 928). Allerdings sollte § 126 aF nicht genügt sein, wenn nach dem Abschluss der Erklärung noch weitere handschriftliche Vermerke folgten, ohne dass im Anschluss an diese der Abschluss der Erklärung erneut verdeutlicht wurde (BGH NJOZ 2012, 926, 928). e) Zugang. Auch bei der Übermittlung in Textform müssen die allg Anforderungen für den Zugang einer Willenserklärung gem § 130 erfüllt sein; dazu gehört, dass der Adressat sich ausdr oder konkludent, allg oder für den Einzelfall mit der Übermittlung auf das gewählte Empfangs- und/oder Speichermedium einverstanden erklärt hat (Staud/Hertel Rn 33; differenzierend MüKo/Einsele Rn 12). 4. Ersatz der Textform. Die vorgeschriebene Textform wird nach dem übertragbaren Rechtsgedanken des § 126 IV durch Abgabe der Erklärung in einer anderen Form, die höhere Anforderungen stellt, insb in Schriftform oder in notarieller Beurkundung, gewahrt. 5. Beweislast. Wer aus einer Erklärung in Textform Rechte herleitet, muss alle Voraussetzungen für die Wahrung der Textform darlegen und beweisen (MüKo/Einsele Rn 13). Die prozessualen Regeln über den Nachw der Echtheit und über die Beweiskraft von Privaturkunden (§§ 416, 440 ZPO) gelten für Erklärungen in Textform nicht.

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Vereinbarte Form

(1) Die Vorschriften des § 126, des § 126a oder des § 126b gelten im Zweifel auch für die durch Rechtsgeschäft bestimmte Form. (2) Zur Wahrung der durch Rechtsgeschäft bestimmten schriftlichen Form genügt, soweit nicht ein anderer Wille anzunehmen ist, die telekommunikative Übermittlung und bei einem Vertrag der Briefwechsel. Wird eine solche Form gewählt, so kann nachträglich eine dem § 126 entsprechende Beurkundung verlangt werden. Arnold

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(3) Zur Wahrung der durch Rechtsgeschäft bestimmten elektronischen Form genügt, soweit nicht ein anderer Wille anzunehmen ist, auch eine andere als die in § 126a bestimmte elektronische Signatur und bei einem Vertrag der Austausch von Angebots- und Annahmeerklärung, die jeweils mit einer elektronischen Signatur versehen sind. Wird eine solche Form gewählt, so kann nachträglich eine dem § 126a entsprechende elektronische Signierung oder, wenn diese einer der Parteien nicht möglich ist, eine dem § 126 entsprechende Beurkundung verlangt werden. 1. Allgemeines. Die Formbedürftigkeit eines Rechtsgeschäfts kann auch rechtsgeschäftlich begründet werden. In diesem Fall greift die Auslegungsvorschrift des § 127 I ein. Danach gelten grds die Regeln über die gesetzliche Schriftform, die elektronische Form und die Textform (§§ 126, 126a, 126b). Es steht den Parteien jedoch frei, ihre Anforderungen an die Form eines (kraft Gesetzes formlos gültigen) Rechtsgeschäfts autonom selbst zu bestimmen; sie können von §§ 126, 126a und 126b abweichen und dabei sowohl Erleichterungen als auch Erschwerungen vorsehen. Soweit für die Schriftform keine Besonderheiten vereinbart werden, gewährt § 127 II als Ausnahme zu § 126 Erleichterungen für die Einhaltung der Form. Die praktische Bedeutung des § 127 wird dadurch vermindert, dass auch ein ohne Einhaltung der rechtsgeschäftlich bestimmten Form geschlossenes Geschäft wirksam sein kann (vgl Rn 5). Auch die Berufung auf eine rechtsgeschäftlich bestimmte Form kann im Einzelfall aus ähnlichen Gründen wie bei der gesetzlichen Form gegen Treu und Glauben verstoßen (BGH NJWRR 1987, 1073, 1074; Koblenz NJW-RR 2006, 554, 555; vgl § 125 Rn 30). 2. Rechtsgeschäftliche Begründung des Formerfordernisses. Die Formbedürftigkeit wird idR durch vertragliche Vereinbarung der Parteien festgelegt. Sie kann in den Grenzen der §§ 307ff (vgl etwa § 309 Nr 13) auch durch AGB bestimmt werden (vgl etwa BGH NJW 1999, 1633, 1634 für den Versicherungsvertrag). Sofern ein Handelsbrauch (§ 346 HGB) die Schriftform eines Rechtsgeschäfts vorsieht, gilt diese Form als vereinbart, soweit die Parteien nicht die formlose Gültigkeit des Geschäfts bestimmt haben (BGH NJW 1964, 1269, 1270). Eine Formvereinbarung wird jedoch nicht schon dadurch entbehrlich, dass für bestimmte Geschäfte im Rechtsleben ein schriftlicher Abschluss üblich ist (BGH BB 1966, 140). Eine einseitige Bestimmung der Form ist dagegen grds nicht möglich. So kann in einem Vertrag zulasten eines nicht am Vertrag beteiligten Bürgen keine Form begründet werden (BGH NJW 1986, 1681, 1682). Allerdings kann der Antragende beim Vertragsangebot bestimmen, in welcher Form die Annahme zu erfolgen hat (Flume AT II § 15 II 2a). Erklärt der Vollmachtgeber bei der Vollmachtserteilung, dass das Vertretergeschäft schriftlich abgeschlossen werden müsse, so ist der Vertreter nur zum schriftlichen Geschäftsabschluss bevollmächtigt. 3. Ausgestaltung des Formerfordernisses. Die Regel des § 127 I greift nur „im Zweifel“ ein. Die Parteien können also sowohl strengere als auch schwächere Voraussetzungen als die gesetzlichen Formen vereinbaren. Die Art der gewollten Form ist durch Auslegung der Vereinbarung, ggf unter Berücksichtigung des mit dem Formzwang beabsichtigten Zwecks, zu ermitteln. So kann etwa bei Massenschreiben eine Formerleichterung wegen der Verkehrsüblichkeit konkludent vereinbart sein; deshalb kann eine – für die Textform des § 126b ohnehin ausreichende – Faksimileunterschrift (RG 106, 330, 332) oder eine gedruckte Unterschrift (RG 125, 68, 74) ausreichen (zu weitgehend aber wohl Saarbrücken VersR 2004, 773, 775, wonach dies die Regel darstellen soll; generell zweifelnd NK/Noack/Kremer Rn 9). Die vereinbarte Schriftform einer Erklärung kann trotz Fehlens einer Unterschrift im Einzelfall auch dann gewahrt sein, wenn die mit der Formvereinbarung bezweckte Klarheit erreicht wird (BGH NJW-RR 1996, 641, 642). Ferner kann es ausreichen, dass einem ArbN die Kopie einer Kündigung übergeben und zugleich Einsicht in das vorliegende schriftliche Original gewährt wird (BAG NZA 1998, 1330; LAG Hamm NZA-RR 2004, 189, 191). IdR wird man indes wie bei der gesetzlichen Form mit den aus § 127 II ersichtlichen Modifikationen die Unterzeichnung der Erklärung fordern müssen (vgl zB Koblenz NJOZ 2005, 2919, 2923 zur Änderung wesentlicher Bestimmungen eines Pachtvertrags; LAG Schl-Holst NZA-RR 1998, 102 zur Ergänzung eines schriftlichen Arbeitsvertrags). Soweit ein Gesellschaftsvertrag die Schriftform für Vertragsänderungen vorsieht, soll die Form bereits durch die bloße privatschriftliche Protokollierung gewahrt sein, falls es sich um solche Änderungen handelt, die durch Mehrheitsbeschluss getroffen werden können; die Protokollierung ersetzt die Schriftform jedoch nicht bei der Verpflichtung eines Gesellschafters zur Erhöhung seiner Einlage (BGH 66, 82, 86f). Klauseln, nach denen „Änderungen und Ergänzungen“ des Vertrags der Schriftform bedürfen, beziehen sich nicht ohne weiteres auch auf die Vereinbarung einer Vertragsbeendigung/eines Aufhebungsvertrags (BAG NJW 2000, 3155; Düsseldorf NJOZ 2004, 35, 38). 4. Wirkung des rechtsgeschäftlich bestimmten Formerfordernisses. Das Formerfordernis kann nach dem Willen der Parteien konstitutive oder nur deklaratorische Bedeutung haben; entscheidend ist, ob die Einhaltung der Form Voraussetzung für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts sein oder lediglich dessen Abschluss und Inhalt zu Beweiszwecken festhalten soll (§ 125 Rn 25). Haben die Parteien die Beurkundung eines Vertrags vorgesehen, hat dieses Formerfordernis gem § 154 II im Zweifel konstitutive Bedeutung. Die Nichteinhaltung der konstitutiven Form führt gem § 125 S 2 zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Demgegenüber stellt das rein deklaratorische Formerfordernis keine Wirksamkeitsvoraussetzung dar; es begründet lediglich einen Anspruch auf Einhaltung der Form. Ist vereinbart, dass eine Kündigung mit Einschreiben zu versenden sei, hat idR allein die Schriftform konstitutiven Charakter, während die Versendung als eingeschriebener Brief nur den Zugang sichern soll (BGH NJW-RR 1996, 866, 867; NJW 2004, 1320; BAG NJW 1980, 1304). Auch bei vereinbarter konstitutiver Form ist die Zustimmung zur Vertragsübernahme aber nicht formgebunden (BGH DtZ 1996, 56, 57). 324

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5. Aufhebung des Formerfordernisses. Die Parteien können eine einmal getroffene Vereinbarung über die Form einverständlich aufheben. Bei der Annahme, eine qualifizierte Schriftformvereinbarung sei formfrei aufgehoben worden, ist jedoch regelmäßig Zurückhaltung geboten (BGH 66, 378, 381; Koblenz NJOZ 2005, 2919, 2923). Formerleichterungen (§ 127 II und III). Gem § 127 II und III werden die Anforderungen an die Schriftform oder die elektronische Form durch Ausnahmen erleichtert, sofern nicht ein anderer Wille anzunehmen ist; die Vorschriften sind also dispositiv. Im Unterschied zu § 126 I kann die Schriftform auch durch telekommunikative Übermittlung der Erklärung gewahrt werden. Hierzu zählt etwa die Übermittlung durch Fernschreiben, Telefax oder E-Mail. Eine telefonische Durchsage reicht aber nicht (s schon BT-Drs 14/4987, 43). Notwendig ist vielmehr, dass die Erklärung dauerhaft aufbewahrt werden kann. Entbehrlich wird durch die Vorschrift nur die eigenhändige Unterschrift (aA LG Köln 7.1.2010 – 8 O 120/09, das die Übermittlung einer eingescannten Unterschrift verlangt; enger auch Bloching/Ortolf BB 2011, 2571). Ein Vertragsschluss ist nach § 127 II 1 durch Briefwechsel möglich. Die Unterzeichnung gleichlautender Urkunden durch die Parteien (vgl § 126 II) ist also nicht notwendig. Vielmehr reicht die gesonderte Erklärung von Angebot und Annahme im Briefverkehr aus. Ein formgerechter Vertragsschluss ist über den Wortlaut hinaus auch durch Austausch von Telefaxschreiben oder E-Mails möglich (Hk/Dörner Rn 6; MüKo/Einsele Rn 11). Ferner ist die Verwendung eines Briefs von einer Partei und eines Telefax/einer E-Mail von der anderen Partei zulässig. Erfolgt ein Briefwechsel, soll nach überwiegender Auffassung allerdings die eigenhändige Unterzeichnung des Briefs erforderlich sein (RG 106, 268, 269; Soergel/Hefermehl Rn 6; Staud/Hertel Rn 28, 45; ähnlich Flume AT II § 15 II 2b; aM NK/Noack/Kremer Rn 19; MüKo/Einsele Rn 11). Dies erscheint freilich inkonsequent, wenn man über den Wortlaut hinaus auch den Austausch von E-Mails etc genügen lässt. Richtigerweise ist daher eine eigenhändige Unterschrift regelmäßig entbehrlich (so überzeugend NK/Noack/Kremer Rn 18f). Zur Wahrung einer vereinbarten elektronischen Form genügt nach § 127 III 1 im Zweifel auch eine andere als die in § 126a bestimmte qualifizierte elektronische Signatur; in Betracht kommen dafür insb die einfache oder die fortgeschrittene elektronische Signatur nach § 2 Nr 1 und 2 SigG. Die Vertragsparteien können aber entspr ihrer Gestaltungsfreiheit auch einen vollständigen Verzicht auf eine Signatur vereinbaren. Für einen Vertragsschluss in vereinbarter elektronischer Form genügt abw von § 126a II und entspr der Regelung zur vereinbarten Schriftform in § 127 II 1 der elektronisch bewirkte Austausch von Angebot und Annahme; auch hier ist eine Kombination der in § 127 II 1 und III 1 geregelten Formen ausreichend. Wenn von den Formerleichterungen des § 127 II 1 und III 1 Gebrauch gemacht worden ist, kann jede Partei bei vereinbarter Schriftform eine dem § 126 entspr Beurkundung, bei vereinbarter elektronischer Form eine § 126a entspr Signierung und hilfsweise ebenfalls eine § 126 entspr Beurkundung verlangen (§ 127 II 2 und III 2). Eine solche nachträgliche Beurkundung/Signierung dient lediglich Beweiszwecken; denn das Rechtsgeschäft war bereits vor der Beurkundung wirksam. 6. Beweislast. Wer einen Anspruch aus einem Vertrag geltend macht, für den kraft Gesetzes keine Form vorgeschrieben ist, muss behaupten und notfalls beweisen, dass eine Form zw den Parteien vereinbart war (Pal/Ellenberger Rn 7; Staud/Hertel Rn 84). Ebenso ist beweispflichtig, wer behauptet, dass für die Form von § 127 abw Vereinbarungen erfolgt seien (RG JW 1919, 304).

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Gerichtlicher Vergleich

Die notarielle Beurkundung wird bei einem gerichtlichen Vergleich durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung errichtetes Protokoll ersetzt. 1. Bedeutung. Nach dem BeurkG sind für die öffentliche Beurkundung grds nur noch die Notare zuständig; eine gerichtliche Beurkundung ist nicht mehr vorgesehen. § 127a gibt jedoch entspr einer bereits vorher anerkannten Praxis weiterhin die Möglichkeit, Erklärungen, die der öffentlichen Beurkundung bedürfen, in einen gerichtlichen Vergleich aufzunehmen. Danach ersetzt die Protokollierung in einem wirksamen Prozessvergleich die notarielle Beurkundung. Dies hat wegen §§ 126 IV, 129 II zur Konsequenz, dass auch die Schriftform wie die Form der öffentlichen Beglaubigung durch den gerichtlichen Vergleich gewahrt werden können. Entspr Regelungen gelten für Schiedssprüche mit vereinbartem Inhalt (§ 1053 II ZPO) und Erklärungen in Insolvenzplänen (§ 254a I InsO). 2. Voraussetzungen. a) Bei einem Gericht anhängiges Verfahren. § 127a erfordert einen formell und materiell wirksamen Prozessvergleich. Dies setzt zunächst voraus, dass der Vergleich in einem bei einem Gericht anhängigen Verfahren geschlossen wird. In Betracht kommt insoweit nicht nur ein ordentliches Gericht, sondern auch ein Gericht einer Fachgerichtsbarkeit, zB ArbG, FG, SozG, VerwG (s BVerwG NJW 1995, 2179 für einen Vergleich vor dem VerwG im Hinblick auf § 925 I 3). Es braucht sich nicht um ein Streitverfahren zu handeln; die anzuwendende Verfahrensordnung muss aber den Abschluss eines Vergleichs gestatten (vgl zB §§ 54 ArbGG, 101 SGG, 106 VwGO, 36 FamFG, 19f LwVfG); der Vergleich ist damit zB zulässig im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, vor dem Landwirtschaftsgericht (BGH NJW 1999, 2806) oder im Adhäsionsverfahren (§§ 403ff StPO; Stuttgart NJW 1964, 110). Ebenso in Betracht kommen Vergleiche im Rahmen eines PKH/VKH-Verfahrens (§ 118 I ZPO), des einstw Rechtsschutzes (Staud/Hertel Rn 7), im Zwangsvollstreckungsverfahren (RG 165, 161, 162), vor dem ersuchten oder beauftragten Richter (BGH 14, 381, 387) und vor dem Rechtspfleger, sofern Arnold

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diesem nach dem RpflG das Verfahren übertragen worden ist (vgl Nürnberg RPfleger 1972, 305; MüKo/Einsele Rn 4). Schließlich kann auch der Vergleich vor einem ausl Gericht genügen, wenn der Beurkundungsvorgang gleichwertig ist (Bamberg NJW-RR 2002, 1153, 1154). Mangels eines gerichtlichen Verfahrens erfüllen dagegen ein Vergleich vor der Gütestelle (vgl § 794 I Nr 1 ZPO; Staud/Hertel Rn 9), der Vergleich in einem verwaltungsrechtlichen Vorverfahren (vgl VGH Kassel NVwZ 1997, 618, 619) und ein Anwaltsvergleich (§§ 796a ff ZPO; Ziege NJW 1991, 1580, 1581) die Voraussetzungen des § 127a nicht. Es ist nicht notwendig, dass der Vergleich den Rechtsstreit ganz oder teilw beendet; es reicht aus, wenn er jedenfalls im inneren Zusammenhang mit dem Rechtsstreit steht (BGH 84, 333, 335; Koblenz NJW 2015, 1316). Daher kann auch ein Vergleich genügen, der Vereinbarungen enthält, die über den Streitgegenstand hinausgehen (BGH 35, 309, 316); freilich steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es in diesem Fall die Protokollierung vornimmt (BGH NJW 2011, 3451, 3452). Ebenso kann bei einer vor Rechtskraft der Ehescheidung geschlossenen Vereinbarung zum nachehelichen Unterhalt die nach § 1585c S 3 erforderliche notarielle Beurkundung auch nach § 127a ersetzt werden, wenn eine Vereinbarung im Verfahren über den Trennungsunterhalt erfolgt (BGH NJW 2014, 1231, 1232). Unerheblich ist es ferner, dass das Gericht nicht zuständig ist (LAG Bremen BB 1964, 1125), dass es fehlerhaft besetzt ist (BGH 35, 309, 315f) oder dass andere Prozessvoraussetzungen fehlen (Staud/Hertel Rn 13). Erforderlich ist es allerdings, dass der Rechtsstreit noch anhängig ist. Ist das gerichtliche Verfahren rechtskräftig abgeschlossen, scheidet daher grds ein Abschluss durch Vergleich aus (BGH 15, 190, 195); doch genügt für § 127a, auch ein erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens protokollierter, von den Parteien aber bereits vorher gewollter Vergleich, wenn die Protokollierung noch im Zusammenhang mit dem Verfahren erfolgt (BGH NJW 2011, 3451; München NJW 1997, 2331, 2332). b) Prozessrechtliche Wirksamkeit. Bei der Protokollierung müssen die Vorschriften der ZPO (§§ 159ff) beachtet werden. Danach muss der ganze Wortlaut des Vergleichs in das Protokoll aufgenommen (§ 160 III Nr 1 ZPO) sowie den Beteiligten vorgelesen (bei vorläufiger Aufzeichnung gem § 160a ZPO auch: vorgespielt) oder zur Einsicht vorgelegt und von diesen genehmigt werden, wobei im Protokoll zu vermerken ist, dass dies geschehen ist (§ 162 ZPO). Die Wirkung des § 127a tritt allerdings auch dann ein, wenn dieser Vermerk fehlt (BGH 142, 84, 88; anders Düsseldorf NJW 2007, 1290 für den Fall, dass der protokollierte Vergleich einen Erbvertrag enthält). Schließlich ist das Protokoll vom Vorsitzenden und ggf vom Urkundsbeamten zu unterschreiben (§ 163 ZPO). Weil § 127a von einer gerichtlichen Protokollierung des Vergleichs ausgeht, ist zweifelhaft und str, ob die Bestimmung auch für einen gem § 278 VI ZPO schriftlich geschlossenen Vergleich gilt. Teilw wird dafür plädiert, § 127a in diesem Fall zumindest entspr anzuwenden (Hk/Dörner Rn 2; Jauernig/Mansel Rn 2; s auch BAG NJW 2007, 1831, 1832f, wo es freilich im konkreten Fall nur um die Erfüllung der Schriftform – §§ 126 IV, 127a – ging; für § 7 VersAusglG Frankfurt NZFam 2016, 563 und Brandenburg FamRZ 2014, 1202; teilw auch Deckenbrock/Dötsch MDR 2006, 1325ff; vgl auch Bergschneider FamRZ 2013, 260 und Cordes MDR 2016, 64). Nach aA kann ein derartiger Vergleich dagegen die notarielle Beurkundung nicht ersetzen (PWW/Ahrens Rn 2; Staud/ Hertel Rn 20; Zimmer NJW 2013, 3280; vgl auch Celle NJW 2013, 2979, 2980). Die besseren Gründe sprechen indes für eine entspr Anwendung des § 127a (so jetzt auch BGH MDR 2017, 416, 417). Hat das Gericht den Parteien einen derartigen Vergleich unterbreitet, gibt es keinen Grund, diesen anders zu behandeln als einen in der Verhandlung geschlossenen Vergleich. Anders könnten die Dinge dagegen bei einem von den Parteien initiierten Vergleich liegen, da hier kaum eine Beratung durch das Gericht stattfinden dürfte. Da das Belehrungserfordernis indes auch nach § 17 BeurkG nur eine Sollvorschrift darstellt, besteht auch in diesem Fall kein Anlass, § 127a nicht entspr anzuwenden. Die notarielle Beurkundung wird also auch durch einen schriftlich geschlossenen Vergleich iSd § 278 VI ZPO ersetzt. Dagegen kann in einem derartigen Vergleich nicht wirksam die Auflassung erklärt werden, da es an der Anwesenheit beider Parteien fehlt (Düsseldorf NJW-RR 2006, 1609, 1610). Weiterhin ist es erforderlich, dass die Parteien wirksame prozessuale Erklärungen abgeben. Das können sie nur, wenn sie selbst postulationsfähig sind. Deshalb müssen die Erklärungen im Anwaltsprozess (§ 78 ZPO) von einem Rechtsanwalt abgegeben werden (BGH NJW 1991, 1743; Köln NJW-RR 1997, 965, 966). Dagegen soll der Anwaltszwang nicht für einen Dritten gelten, der sich an einem Prozessvergleich beteiligt (BGH 86, 160, 163; krit Bergerfurth JR 1983, 371). c) Materiellrechtliche Voraussetzungen. Da der gerichtliche Vergleich eine Doppelnatur hat (Prozesshandlung und privatrechtlicher Vertrag, BGH 16, 388, 390; 46, 277, 278), müssen auch die materiellrechtlichen Voraussetzungen eines Vergleichs gegeben sein; insb muss es sich um ein gegenseitiges Nachgeben (§ 779) handeln. Dafür genügt es jedoch, dass eine Partei zB einen Teil der Kosten übernimmt oder Ratenzahlungen einräumt. Ist nach materiellem Recht die Erklärung persönlich abzugeben (§§ 2274, 2347 II), muss die Prozesspartei beim Vergleich selbst – ggf mit dem Rechtsanwalt gemeinsam – handeln (BayObLG NJW 1965, 1276; Düsseldorf NJW 2007, 1290, 1291; Staud/Hertel Rn 28; Zempel NJW 2015, 2859, 2860). Wird ein Erbvertrag im Wege des Vergleichs geschlossen, kann damit gleichzeitig eine Testamentsaufhebung verbunden sein (Köln OLG 1970, 115). Dagegen sollen die Testamentserrichtung und der einseitige Widerruf eines Testaments in einem Vergleich nicht möglich sein (BGH FamRZ 1960, 30; Staud/Hertel Rn 31; aA MüKo/Einsele Rn 2; Pal/Ellenberger Rn 3).

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Willenserklärung

§ 128

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Notarielle Beurkundung

Ist durch Gesetz notarielle Beurkundung eines Vertrags vorgeschrieben, so genügt es, wenn zunächst der Antrag und sodann die Annahme des Antrags von einem Notar beurkundet wird. 1. Anwendungsbereich. § 128 greift ein bei Verträgen, für die gesetzlich eine notarielle Beurkundung von Angebot und Annahme vorgeschrieben ist, und lässt eine sukzessive Beurkundung – auch an verschiedenen Orten und durch verschiedene Notare – ausreichen. Hierher gehören etwa §§ 311b I, III, V, 1491 II, 1501 II, 2033 I, 2348, 2351, 2371, 2385, § 11 II ErbbauRG, §§ 2, 15 GmbHG. In den Fällen der §§ 873 II, 877 besteht zwar kein Beurkundungszwang, jedoch ist die Bindung an die Erklärung von der Beurkundung abhängig; deshalb ist § 128 auch hier anwendbar. Keine Rolle spielt die Vorschrift demgegenüber naturgemäß in Fällen, in denen nur die Willenserklärung einer Partei der notariellen Beurkundung bedarf wie etwa bei §§ 518, 1516 II, 2282 III, 2291 II, 2296 II, 2301. Ferner gilt sie dann nicht, wenn das Gesetz ausdr die notarielle Beurkundung des Vertrags bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Parteien vorschreibt (§§ 1410, 2276, 2290 IV). Bei einer rechtsgeschäftlich vereinbarten notariellen Beurkundung ist § 128 ebenfalls nicht direkt anwendbar. Hier ist jedoch durch Auslegung zu ermitteln, ob eine sukzessive Beurkundung zulässig sein soll, was im Zweifel anzunehmen ist. 2. Beurkundungsverfahren. Zuständig ist jeder Notar in Deutschland und – im Rahmen von Art 11 I Rom I-VO, 11 I EGBGB – auch ein Notar im Ausland. Selbst wenn der Notar die Beurkundung außerhalb seines Amtsbezirks vorgenommen hat, ist sie nicht deshalb unwirksam (§ 2 BeurkG). Ein gerichtlicher Vergleich ersetzt die notarielle Beurkundung (§ 127a). Über die Verhandlung vor dem Notar muss eine Niederschrift aufgenommen werden (§ 8 BeurkG); diese muss die Bezeichnung des Notars und der Beteiligten sowie deren Erklärungen enthalten (§ 9 I BeurkG). Die Niederschrift muss in Gegenwart des Notars den Beteiligten vorgelesen, von ihnen genehmigt und von ihnen und dem Notar eigenhändig unterschrieben werden (§ 13 I, III BeurkG). Beim Fehlen einer dieser Wirksamkeitsvoraussetzungen (Mussvorschriften) ist der Beurkundungsakt nichtig. Die Verletzung von Sollvorschriften (zB §§ 9 II, 10 II 1, 13 III 2 BeurkG) führt hingegen nicht zur Unwirksamkeit der Beurkundung. Dies gilt auch, wenn die besonderen Pflichten bei der Beurkundung von Verbraucherverträgen nach § 17 IIa BeurkG nicht beachtet werden; die Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im notariellen Beurkundungsverfahren v 15.7.2013 (BGBl I 2378) dürfte hieran nichts geändert haben (vgl Vetter AnwBl Berlin 2013, 132, 133). Der Wirksamkeit einer in eine notariell beurkundete Erklärung aufgenommenen Klausel steht es ferner nicht ohne weiteres entgegen, dass der Notar die Klausel eingefügt und der Erklärende sie bei der Verlesung durch den Notar überhört hatte; vielmehr kann erst eine Irrtumsanfechtung zur Nichtigkeit führen (BGH 71, 260, 263). 3. Zustandekommen des Vertrags. Der Vertrag kommt nach § 152 mit der Beurkundung der Annahme zustande, wenn nicht ein anderes bestimmt ist. Dies kann insb dann der Fall sein, wenn im Antrag eine Frist für die Annahme gesetzt ist. Eine derartige Fristbestimmung kann dahingehend auszulegen sein, dass die Annahmeerklärung innerhalb der Frist dem Antragenden zugehen muss. Doch wird man dies nicht ohne weiteres, sondern nur bei Hinzutreten weiterer Umstände annehmen können (s § 152 Rn 3; ferner nur Flume AT II § 35 II 1; weiter RG 49, 127, 132; 76, 364, 366; 96, 273, 275, wo angenommen wird, dass in derartigen Fällen § 152 regelmäßig abbedungen sei; offenlassend BGH NJW-RR 1989, 198, 199). 4. Beweiskraft. Die Beweiskraft einer ordnungsgemäß beurkundeten Erklärung richtet sich nach § 415 ZPO. Sie erbringt damit den vollen Beweis dafür, dass die in ihr bezeichneten Erklärungen von den bezeichneten Personen vor dem beurkundenden Notar abgegeben worden sind (MüKo/Einsele Rn 8). Der Beweis einer unrichtigen Beurkundung bleibt freilich nach § 415 II ZPO möglich.

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Öffentliche Beglaubigung

(1) Ist durch Gesetz für eine Erklärung öffentliche Beglaubigung vorgeschrieben, so muss die Erklärung schriftlich abgefasst und die Unterschrift des Erklärenden von einem Notar beglaubigt werden. Wird die Erklärung von dem Aussteller mittels Handzeichens unterzeichnet, so ist die in § 126 Abs. 1 vorgeschriebene Beglaubigung des Handzeichens erforderlich und genügend. (2) Die öffentliche Beglaubigung wird durch die notarielle Beurkundung der Erklärung ersetzt. 1. Begriff. Die öffentliche Beglaubigung ist das Zeugnis eines Notars darüber, dass die Unterschrift oder das 1 Handzeichen von dem herrührt, der die Erklärung wirklich abgegeben hat. In seinem Beglaubigungsvermerk bezeichnet der Notar die Person, welche die Unterschrift oder das Handzeichen vollzogen hat (§§ 39, 40 III BeurkG). Die Beglaubigung bezieht sich also nur auf die Echtheit der Unterzeichnung und den Zeitpunkt der Beglaubigung (nur insoweit ist sie öffentliche Urkunde iSv § 415 ZPO), nicht dagegen auf den Inhalt der schriftlichen Erklärung (BGH 37, 79, 86). 2. Zweck. Die öffentliche Beglaubigung soll dazu dienen, die Echtheit der Unterschrift (des Handzeichens) zu 2 beweisen. Deshalb ist sie gesetzlich vor allem für Erklärungen ggü dem Gericht oder einer Behörde vorgeschrieben, zB: §§ 77, 411, 1355 III und IV, 1491 I, 1492 I, 1560, 1617, 1617a II, 1617b II, 1617c I, 1618, 1945, 1955, 2198 I; § 12 HGB; §§ 29, 30–32 GBO; §§ 726 I, 727 I, 750f, 756 ZPO; §§ 71, 81 II, 84 II, 91 II, 143, 144 ZVG. Auch im eigenen Interesse kann ein Beteiligter eine öffentliche Beglaubigung verlangen, zB §§ 371, 403, 1035, 1155, 2120, 2121 I, 2215 II. Schließlich ist es möglich, eine öffentliche Beglaubigung rechtsgeschäftlich zu verArnold

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einbaren. Bei empfangsbedürftigen Erklärungen ist zur Wirksamkeit Zugang in der Form des § 129 nötig. Die Zusendung einer beglaubigten Abschrift ist nicht ausreichend (BayObLG DtZ 1992, 284, 285; Pal/Ellenberger Rn 1). 3. Beglaubigungsverfahren. Zuständig sind grds nur Notare. Freilich enthalten verschiedene bundesrechtliche Regelungen Sonderzuständigkeiten (§ 6 BtBG, § 2 PStG), und landesrechtlich können weitere Zuständigkeiten begründet sein (§§ 1 II, 63 BeurkG). Entspr Beglaubigungen sind auch außerhalb des entspr Bundeslandes wirksam (LG Bonn RPfleger 1983, 309). Eine Beglaubigung durch Behörden und öffentliche Körperschaften genügt hingegen im Allg nur für den Behördenverkehr (vgl § 34 VwVfG; s auch Zweibrücken NJW-RR 2014, 1128); sie ist hingegen ohne besondere Regelung keine Beglaubigung iSv § 129. Allerdings bedürfen die Erklärungen öffentlicher Behörden, die diese im Rahmen ihrer besonderen Amtstätigkeit in amtl Eigenschaft formell abgeben, keiner weiteren Beglaubigung (BGH 45, 362, 365; Staud/Hertel Rn 49ff mwN; str). Der Beglaubigungsvermerk muss das Zeugnis (insb auch die Bezeichnung der Person, welche die Unterschrift – das Handzeichen – vollzogen oder anerkannt hat), die Unterschrift und das Siegel des Notars enthalten (§§ 39, 40 III BeurkG). Möglich ist auch die elektronische Beglaubigung (§ 39a BeurkG). Blankounterschriften sollen nur beglaubigt werden, wenn dargelegt wird, dass die Beglaubigung vor der Festlegung des Urkundeninhalts benötigt wird (§ 40 V BeurkG; Sollvorschrift, deren Verletzung die Gültigkeit nicht beeinträchtigt). Auch nachträgliche Textänderungen sind ohne erneute Unterschriftsbeglaubigung zulässig (BayObLG DNotZ 1985, 220, 222; Frankfurt DNotZ 2006, 767; LG Itzehoe DNotZ 1990, 519, 520; Staud/Hertel Rn 128ff; Reithmann DNotZ 1999, 27, 36; aM Flume AT II § 15 II 4). Allerdings mag dadurch der Beweiswert der Urkunde beeinträchtigt werden (vgl § 440 II ZPO); die Beweiskraft der öffentlichen Beglaubigung bezieht sich jedoch ohnehin nur auf die Echtheit der Unterschrift. Unterzeichnet ein Vertreter mit seinem eigenen Namen, wird die Unterschrift des Vertreters beglaubigt; die Vertretungsmacht muss auf andere Weise nachgewiesen werden. Auch die Unterschrift des Vertreters mit dem Namen des Vertretenen oder des Kaufmanns mit seiner vom Namen abw Firma ist beglaubigungsfähig; dann muss der Notar in seinem Beglaubigungsvermerk den Namen der unterzeichnenden Person angeben (§ 40 III 1 BeurkG). 4. Verhältnis zur notariellen Beurkundung. Da die öffentliche Beglaubigung der Unterschrift als ein Weniger in der notariellen Beurkundung enthalten ist, wird sie durch diese ersetzt (§ 129 II). Das gilt auch im Verhältnis zum gerichtlichen Vergleich, der die notarielle Beurkundung ersetzt (§ 127a).

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Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber Abwesenden

(1) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. (2) Auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ist es ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird. (3) Diese Vorschriften finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist. 1. Überblick. Ob und wann eine Willenserklärung wirksam wird, hängt zunächst davon ab, ob es sich um eine nicht empfangsbedürftige oder um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt. a) Nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung (Einl § 104 Rn 15) wird regelmäßig bereits mit ihrer Abgabe wirksam. Dazu ist erforderlich, dass der Erklärende sich der Erklärung willentlich entäußert (sie vollendet, fertiggestellt) hat; auf die Kenntnisnahme durch einen anderen kommt es nicht an (MüKo/Einsele Rn 5; Flume AT II § 14, 1). b) Empfangsbedürftige Willenserklärung. Eine empfangsbedürftige Willenserklärung (zB Kündigungserklärung, Vertragsangebot) wird durch Abgabe und Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam. aa) Abgabe. Für die Abgabe einer empfangsbedürftigen Willenserklärung reicht es nicht aus, dass der Erklärende sich der Erklärung entäußert; sie muss vielmehr mit seinem Willen in den Verkehr gelangen. Erforderlich ist dazu, dass der Erklärende die Erklärung willentlich in Richtung auf den Empfänger in Bewegung setzt und dass er mit der Empfangnahme durch den Adressaten rechnet und bei Zugrundelegung normaler Verhältnisse rechnen darf (BGH 65, 13, 14f; WM 1983, 712; München NJW-RR 2005, 1470f). Der Erklärende muss davon ausgehen, dass die Willenserklärung den gewollten Empfänger, wenn auch auf Umwegen, erreicht (BGH NJW 1979, 2032, 2033; Pal/Ellenberger Rn 4). Bei Einsatz moderner technischer Kommunikationsmittel ist die Willenserklärung abgegeben, sobald der Erklärende die vollständige Übermittlung an den Adressaten veranlasst hat („willentlicher endgültiger Sendebefehl“; vgl Fritzsche/Malzer DNotZ 1995, 3, 11; Ultsch NJW 1997, 3007). Gelangt eine Erklärung – sei sie schriftlich, elektronisch oder auf sonstige Weise verkörpert – ohne Wissen und Willen des Erklärenden in den Verkehr, so fehlt es grds an einer Abgabe der Erklärung (hM, s nur BGH 65, 13, 14; MüKo/Einsele Rn 13; s auch schon Motive I, 157f). Dies gilt aber nach neuerer, zutr Auffassung nicht, wenn die Erklärung aufgrund eines fahrlässigen Verhaltens des Erklärenden in den Verkehr gelangt ist; in diesem Fall ist entspr der Grundsätze, die für Erklärungen ohne Erklärungsbewusstsein gelten (s Vor § 116 Rn 15) eine wirksame Erklärung anzunehmen, die vom Erklärenden analog § 119 I innerhalb der Frist des § 121 angefochten werden kann. Erklärt der Erklärende die Anfechtung, bleibt er dem Erklärungsempfänger aber nach Maßgabe 328

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des § 122 zum Schadensersatz verpflichtet. (NK/Faust Rn 9; Pal/Ellenberger Rn 4; Medicus/Petersen AT Rn 267; aA Wolf/Neuner AT § 32 Rn 22, 24: keine wirksame Erklärung, aber Haftung des Erklärenden entspr § 122). bb) Zugang. Die empfangsbedürftige Willenserklärung wird nach ihrer Abgabe erst mit dem Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam (§ 130 I 1). Die Abgabe der Willenserklärung reicht zu deren Wirksamkeit nicht aus, weil der Erklärungsempfänger wenigstens in die Lage versetzt werden muss, die Erklärung wahrzunehmen. Hinge andererseits das Wirksamwerden einer empfangsbedürftigen Willenserklärung von der wirklichen Kenntnisnahme durch den Erklärungsempfänger ab, müsste der Erklärende zB die Gefahr einer Verspätung oder eines Verlustes tragen. Deshalb stellt § 130 I 1 auf den Zugang der Erklärung beim Erklärungsempfänger ab. Damit wird eine interessengerechte Risikoabgrenzung (vgl schon Motive I, 157) erzielt: Der Verlust (die Veränderung, Verfälschung, Zerstörung) der Erklärung auf dem Wege zum Empfänger und Zugangshindernisse außerhalb des Einwirkungsbereichs des Empfängers gehen zulasten des Erklärenden. Andererseits ist für das Wirksamwerden der Erklärung die Kenntnisnahme durch den Empfänger nicht erforderlich; es genügt vielmehr, dass die Erklärung in den Bereich des Empfängers gelangt und dieser die Möglichkeit hat, von ihr Kenntnis zu nehmen. Nimmt er keine Kenntnis, geht das zu seinen Lasten (Wolf/Neuner AT § 33 Rn 13). Abw vertragliche Regelungen des Zugangs von Willenserklärungen sind grds zulässig. Für Regelungen in AGB sind insb die Grenzen der §§ 308 Nr 6 und 309 Nr 13 zu beachten. c) Anwendungsbereich der Vorschrift. § 130 betrifft nur Erklärungen unter Abwesenden. Abgrenzungskriterium ist dabei allerdings im Zweifelsfall nicht die räumliche Distanz, sondern die Speicherung der Erklärung (MüKo/Einsele Rn. 2; Medicus/Petersen AT Rn 291; aA NK/Faust Rn 13). Daher sind telefonische Erklärungen solche unter Anwesenden, es sei denn, der Erklärende spricht auf einen Anrufbeantworter. Ebenso sind elektronische oder elektronisch übermittelte Willenserklärungen in aller Regel (Ausnahme nur bei direkter Kommunikation, etwa bei einer Videokonferenz, uU auch im Internet, vgl dazu Wolf/Neuner AT § 33 Rn 34) Erklärungen ggü Abwesenden. Für geschäftsähnliche Handlungen gilt § 130 entspr (Pal/Ellenberger Rn 3). Die Vorschrift ist auch auf Erklärungen anwendbar, die ggü dem Gericht erfolgen müssen (zB Widerruf eines gerichtlichen Vergleichs, BGH NJW 1980, 1752, 1753), nicht aber auf Prozesshandlungen (vgl NK/Faust Rn 15). 2. Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber einem Abwesenden (Abs I). a) Allgemeine Voraussetzungen des Zugangs. Für den Zugang ist es zunächst erforderlich, dass die Erklärung in den Machtbereich des Erklärungsempfängers gelangt ist. Das ist vielfach der räumliche Machtbereich (Wohnung, Geschäftsräume). In Betracht kommt auch die Übermittlung an den Adressaten an einem anderen Ort sowie an etwaige vom Empfänger getroffene Empfangsvorkehrungen (zB Hausbriefkasten, vgl BGH NJW 1979, 2032, 2033; Postschließfach, vgl Celle NJW 1974, 1386). Notwendig ist nur, dass der Empfänger grds in der Lage ist, von dem Inhalt der Willenserklärung Kenntnis zu nehmen. Das ist zB auch der Fall, wenn jemand beim Empfänger mit einem telefonischen Anrufbeantworter verbunden wird und seine Erklärung auf das angeschlossene Band spricht; denn damit ist die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt für den Zugang jedoch allein noch nicht; erforderlich ist ferner, dass mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme unter normalen Umständen gerechnet werden kann (BGH 67, 271, 275; 137, 205, 208; NJW 2004, 1320; NJW-RR 2011, 1184, 1185; BAG NJW 1989, 606; 1993, 1093; Wolf/ Neuner AT § 33 Rn 21ff). Der Gegenauffassung (s Staud/Singer/Benedict Rn 45, 68ff; Effer-Uhe JZ 2016, 770, 778), die dieses zusätzliche Erfordernis ablehnt, ist zwar zuzugestehen, dass dadurch eine klare Bestimmung des Zugangszeitpunkts erschwert wird. Indes wäre es nicht sachgerecht, zugunsten des Erklärenden einen Zugang schon dann anzunehmen, wenn offensichtlich noch gar nicht mit der Kenntnisnahme durch den Empfänger gerechnet werden konnte. Abzulehnen ist auch die in der Lit teilw vertretene Unterscheidung zw dem Zugang und der Rechtzeitigkeit der Erklärung: Für den Zugang soll es danach ausreichen, dass die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers gelangt; nur für die Rechtzeitigkeit des Zugangs komme es auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme an (Soergel/Hefermehl Rn 8; Flume AT II § 14, 3b). Diese Unterscheidung erscheint unnötig kompliziert; zudem wäre mit ihr ein zu weitreichender Schutz des Empfängers verbunden, da der Erklärende nach Zugang seine Erklärung nicht mehr widerrufen könnte (vgl NK/Faust Rn 25; Medicus/Petersen AT Rn 275). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist ein Brief, der am späten Nachmittag oder gar zur Nachtzeit in einen Hausbriefkasten geworfen wird, erst am nächsten Morgen zugegangen (s auch BGH NJW 2008, 843: Zugang eines am Nachmittag eingeworfenen Geschäftsschreibens erst am nächsten Werktag). Ein außerhalb der Geschäftsstunden von einem Telefonanrufbeantworter aufgezeichnetes Gespräch geht erst mit Beginn der Geschäftszeit zu. Dasselbe gilt für andere, etwa zur Entgegennahme eines Fernschreibens, eines Telefax oder einer E-Mail bestimmte technische Empfangsgeräte (vgl BGH VersR 1994, 586; Rostock NJW-RR 1998, 526, 527; vgl aber für einen Telefaxeingang in größeren Anwaltskanzleien München NJOZ 2005, 2883, 2887). Nimmt der Empfänger aber vor dem Zeitpunkt, an dem unter gewöhnlichen Umständen die Kenntnisnahme erwartet werden kann, Kenntnis, ist die Erklärung bereits in diesem Moment zugegangen (Medicus/Petersen AT Rn 276). Gerade bei der Nutzung moderner Kommunikationsmittel setzt die Erwartbarkeit der Kenntnisnahme weiterhin voraus, dass der Empfänger mit einer Erklärung auf diesem Weg rechnen musste. Der Empfänger muss Erklärungen über von ihm selbst geschaffene technische Einrichtungen (etwa der Telekommunikation, zB Telefon-, Telefaxanschluss, E-Mailadresse) nur gegen sich gelten lassen, wenn er diese allg oder im Einzelfall bekannt gegeben und dadurch für den Rechtsverkehr angeboten („gewidmet“) hat (NK/Faust Rn 43f). Arnold

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Individuelle Kenntnisnahmehindernisse, die ihre Ursache in der Sphäre des Empfängers haben und mit denen der Erklärende nicht zu rechnen braucht, bleiben unberücksichtigt. So ist es für den Zeitpunkt des Zugangs zumindest im inl Rechtsverkehr regelmäßig unerheblich, dass der der dt Sprache nicht mächtige (oder leseunkundige; vgl dazu Großfeld/Hülper JZ 1999, 430, 431f) Adressat sich die Erklärung erst noch durch einen Dolmetscher übersetzen lassen muss (LAG Köln NJW 1988, 1870, 1871; für einen Zugang erst nach einer ausreichenden Zeit zur Übersetzung dagegen LAG Hamm NJW 1979, 2488). Allg wird bei sprachlichen Verständnisproblemen entscheidend sein müssen, ob die Erklärung in einer vereinbarten Sprache gehalten ist und ob – mangels einer solchen Vereinbarung – von dem Adressaten die Kenntnis der benutzten Sprache zumutbarerweise erwartet werden kann (vgl auch NK/Faust Rn 45; Medicus/Petersen AT Rn 295f mwN). Ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt, wird ein Zugang erst für den Zeitpunkt einer zumutbaren Übersetzungsmöglichkeit anzunehmen sein. Die Ortsabwesenheit des Empfängers – etwa infolge von Urlaub oder Krankheit – ist, weil es auf die üblicherweise zu erwartende Möglichkeit der Kenntnisnahme ankommt, für den Zugang einer Willenserklärung, etwa der Kündigung des Arbeitsvertrags, grds unerheblich (BGH NJW 2004, 1320f; BAG NJW 1989, 2213; 1993, 1093f; NZA 2004, 1330, 1331; EzA § 5 KSchG Nr 41 in Abkehr von der früher gegenteiligen Rspr). Dies soll auch für Fälle gelten, in denen der Erklärende die Abwesenheit des Adressaten, evtl auch seinen tatsächlichen vorübergehenden Aufenthalt, zB die Urlaubsanschrift, kennt (BAG NZA 1988, 875, 876; 2004, 1330, 1331). Doch kann ein ArbN, der wegen Abwesenheit von der Kündigung zu spät erfährt, um rechtzeitig Kündigungsschutzklage erheben zu können, uU eine nachträgliche Klagezulassung gem § 5 KSchG mit Erfolg beantragen (BAG NZA 1988, 875, 876; eingehend ErfK/Kiel § 5 KSchG Rn 16). Einzelfälle: Ist die Willenserklärung in einem Brief enthalten, geht sie dem Empfänger mit dessen Aushändigung zu. Bei dem Einwurf in einen Haus- oder Geschäftsbriefkasten (auch in einen für alle Bewohner eines Hauses bestimmten Briefschlitz in der Haustür, LAG Düsseldorf NZA 2001, 408) tritt Zugang zu dem Zeitpunkt ein, in dem mit der Leerung nach der Verkehrsauffassung zu rechnen ist; das ist bei Einwurf während der Nacht oder am späten Nachmittag (16:30 Uhr) der nächste Morgen (RG Warn Rspr 1921, 131; BAG NJW 1984, 1651, 1652; Hamm NJW-RR 1995, 1187, 1188) bzw der Wiederbeginn der Geschäftsstunden (RG 99, 20, 23; 142, 402, 407f). Anderes kann gelten, wenn der Adressat mit einem Zugang zu ungewöhnlicher Zeit rechnen musste (LAG Berlin NZA-RR 2004, 528, 529). Wird der Brief unter der Eingangstür durchgeschoben oder an die Eingangstür gesteckt, gelangt er in den Machtbereich des Empfängers, so dass er zugeht, wenn normalerweise mit der Entdeckung zu rechnen ist (LAG Hamm NZA 1994, 32, 33). Mit dem Einlegen in ein Postschließfach des Empfängers ist der Brief zu dem Zeitpunkt zugegangen, in dem das Fach verkehrsüblicherweise nachgesehen werden kann (RG 142, 402, 408f), nicht also kurz vor Schließung der Post. Die Einsortierung in ein falsches Fach bewirkt keine Zustellung. Bei einer postlagernden Sendung kommt ein Zugang nur in Betracht, wenn der Empfänger mit dieser Art der Zustellung einverstanden war. Dann gilt das zum Postschließfach Gesagte. Die Zustellung ist selbst dann erfolgt, wenn der Empfänger den Brief nicht abholt und dieser nach Ablauf der Lagerfrist an den Absender zurückgeht (RG 144, 289, 293). Eine bei der Post aufbewahrte briefliche Erklärung geht spätestens zu, wenn der Adressat den Brief bei der Post abholt oder abholen lässt (LG Stade NJOZ 2003, 2359, 2360). Hat der Empfänger wegen seiner Abwesenheit einen Nachsendeantrag gestellt, so ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Erklärung an der ursprünglichen Adresse zugegangen wäre (s unten Rn 31). Bei undeutlicher oder mehrdeutiger Anschrift ist der Brief erst bei Zustellung an den richtigen Empfänger zugegangen. Für ein „Einwurfeinschreiben“, das dem Empfänger von der Post mit der übrigen Briefpost – etwa durch Einwurf in den Briefkasten – übermittelt wird, gelten für den Zugang dieselben Regeln wie beim gewöhnlichen Brief (Dübbers NJW 1997, 2503, 2504). Beim Übergabeeinschreiben (mit oder ohne Rückschein) ist der Zugang erfolgt, wenn die Sendung dem Empfänger übergeben wird; dagegen genügt die Hinterlassung des Benachrichtigungsscheins nicht (BGH 67, 271, 275; 137, 205, 208; aA Flume AT II § 14, 3c). Vielmehr geht die Erklärung erst zu, wenn der Empfänger das Schreiben vom Postamt abholt. Das gilt auch dann, wenn der Einschreibebrief in der gegebenen Frist nicht abgeholt wird und die Sendung als unzustellbar an den Absender zurückgeht. Ausnahmsweise muss sich der Empfänger jedoch unter dem Gesichtspunkt der Zugangsverzögerung so behandeln lassen, wie wenn das Einschreiben in der Abholfrist zugegangen wäre (s Rn 29f). Die in einem – heute freilich vollkommen ungebräuchlich gewordenen – Telegramm enthaltene Willenserklärung ist mit Aushändigung an den Empfänger zugegangen. Wird diesem der Text vorher telefonisch durchgesagt, so ist sie bereits zu diesem Zeitpunkt zugegangen (RG 105, 255, 256). Die Willenserklärung in einem Telefongespräch mit dem Erklärungsempfänger wird vom Gesetz wie eine Erklärung unter Anwesenden behandelt (vgl § 147 I 2). Zur Entgegennahme eines Telefongesprächs mit einem Anrufbeantworter vgl Rn 6f. Ein Fernschreiben oder Telefax gelangt in den Machtbereich des Empfängers, wenn es auf dem Empfangsapparat ausgedruckt ist (BGH NJW 2004, 1320; MüKo/Einsele Rn 20; Soergel/Hefermehl Rn 13a und b). Soweit das Empfangsgerät über eine Speichermöglichkeit verfügt, genügt insoweit auch die Speicherung (Burgard AcP 195, 74, 123f). Hinzukommen muss allerdings auch in diesem Fall, dass nach gewöhnlichen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist (BGH NJW 2004, 1320). Ein Fax geht im Geschäftsverkehr daher nur sofort zu, wenn es während der Geschäftsstunden eingeht, sonst mit dem nächsten Geschäftsstundenbeginn (BGH VersR 1994, 586; Wolf/Neuner AT § 33 Rn 24; MüKo/Einsele Rn 20; Pal/Ellenberger Rn 7; krit dazu Staud/Singer/Benedict Rn 73ff). Ebenso wird man annehmen müssen, dass ein zur Nachtzeit an eine Privatperson gesendetes Fax erst am nächsten Morgen zugeht (NK/Faust Rn 58). Entspr gilt für die Übermittlung mit einer anderen Einrichtung der Telekommunikation (E-Mail, SMS etc); dabei ist für den Zugang auf die mit dem vollständigen Ein330

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treffen der Sendesignale im Empfangsgerät verbundene Möglichkeit der Speicherung und/oder des vollständigen Ausdrucks oder sonstigen Abrufs beim Empfänger zu verkehrsüblicher Zeit abzustellen; ob der Adressat speichert und/oder abruft, liegt nicht mehr im Risikobereich des Erklärenden (Staud/Singer/Benedict Rn 51; Herwig MMR 2001, 145, 146; Ultsch NJW 1997, 3007). Wird eine E-Mail-Adresse im Rechtverkehr genutzt, ist ein Zugang auch dann abzunehmen, wenn eine eingehende Mail im Spam-Ordner des Empfängers abgelegt wird; von diesem ist zu erwarten, dass er den Spam-Ordner täglich auf irrtümlich dorthin verschobene Mails überprüft (vgl LG Bonn MMR 2014, 709, 711). Der Aushang (zB am Schwarzen Brett im Betrieb oder in einem Mietshaus) bewirkt den Zugang, sofern die Adressaten in der Lage sind, davon Kenntnis zu nehmen. Damit scheidet ein Zugang an die (wegen Krankheit, Urlaub) nicht anwesenden Personen aus. Da aber § 130 abdingbar ist, kann anstelle des Zugangs ein Anschlag im Betrieb als Wirksamkeitserfordernis (zB durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung) vereinbart werden; dann ist die Erklärung mit dem Anschlag ggü allen ArbN wirksam (Soergel/Hefermehl Rn 14). b) Übermittlung durch eine Mittelsperson. Beim Zugang einer Willenserklärung, die über eine Mittelsperson an den Empfänger gelangen soll, ist zu unterscheiden. aa) Handelt es sich bei der Mittelsperson um einen Empfangsvertreter (§ 164 III), so ist die Erklärung mit dem Zugang beim Vertreter dem Vertretenen zugegangen (BGH NJW 1965, 965, 966; 2003, 3270). Auf eine Weitergabe an den Adressaten kommt es nicht an (BAG AP Nr 8). bb) Ist die Mittelsperson ein Empfangsbote, dann ist die Erklärung dem Adressaten zu dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem regelmäßig die Weitergabe an den Empfänger zu erwarten ist (BGH NJW 1965, 965, 966; NJW-RR 1989, 757f). Übermittelt der Empfangsbote die Erklärung falsch, verspätet oder überhaupt nicht an den Erklärungsempfänger, so geht das zu dessen Lasten (Hamm VersR 1980, 1164). Empfangsbote ist, wer vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen bestellt worden ist oder (ohne besondere Vollmacht oder Ermächtigung) nach der Verkehrsanschauung als dazu bestellt und geeignet anzusehen ist (allg M). Bei einer verkörperten Erklärung sind an die Geeignetheit der Mittelsperson geringere Anforderungen zu stellen als bei einer nicht verkörperten (mündlichen) Erklärung. Regelmäßig sind nach der Verkehrsanschauung der Ehegatte (BGH NJW 1951, 313; 2011, 2604f; allerdings nicht ohne weiteres, wenn sich der Empfänger auf hoher See befindet, BGH NJW 1994, 2613), die in der Wohnung des Empfängers oder im selben Hause lebenden Familienangehörigen und Haushaltsmitglieder (RG 60, 334, 336; BAG NJW 1993, 1093, 1094), der Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (BGH NJW 1990, 1666; NJW 2014, 1010, 1011), die Zimmervermieterin (BAG AP Nr 7) und die Angestellten eines Geschäftsmanns (RG 102, 295, 296; BGH NJW 1965, 965, 966) als zum Empfang ermächtigt anzusehen, ferner auch der Mitarbeiter eines Unternehmens, der anstelle des an sich zuständigen Mitarbeiters eine telefonische Erklärung im Wege der intern veranlassten Anrufweiterschaltung erhält und entgegennimmt (BGH NJW 2002, 1565, 1566), nicht aber ohne weiteres beim Leasing der Lieferant im Verhältnis zum Leasinggeber (Koblenz BB 1994, 819f). Bei einer mündlichen Erklärung muss die Mittelsperson fähig sein, die Erklärung richtig zu erfassen und weiterzugeben. Das ist bei erwachsenen Haushaltsmitgliedern oder Angestellten regelmäßig der Fall (RG 60, 334, 337; enger Medicus/Petersen AT Rn 286). Wird die Erklärung ggü einer ungeeigneten Person (zB einem Kind) oder einer aus einem sonstigen Grunde nicht als ermächtigt anzusehenden Person (zB einem in der Wohnung des Empfängers arbeitenden Handwerker) abgegeben und wird sie dem Empfänger richtig übermittelt, ist sie diesem im Zeitpunkt der Übermittlung zugegangen (RG 60, 334, 337); unterbleibt eine richtige Weitergabe, fehlt es an einem Zugang. Kein Zugang soll nach der Rspr des BAG ferner anzunehmen sein, wenn ein Empfangsbote die Entgegennahme der Erklärung ablehnt; dies soll nur nicht gelten, wenn Empfangsbote und Adressat bei der Annahmeverweigerung zusammenwirken (BAG NJW 1993, 1093; 1094; aA Draschka BB 1993, 1290; Schwarz NJW 1994, 891). cc) Ist die Mittelsperson weder Empfangsvertreter noch Empfangsbote, trägt der Erklärende die Gefahr der richtigen und rechtzeitigen Übermittlung. Die Mittelsperson ist als Erklärungsbote des Erklärenden anzusehen. Bei einer Falschübermittlung kommt eine Anfechtung nach § 120 in Betracht. c) Zugang bei formbedürftigen Erklärungen. Formbedürftige Willenserklärungen gehen nur dann zu, wenn der Empfänger sie in der vorgeschriebenen Form übermittelt (BGH NJW 1962, 1388, 1389; 1997, 3169, 3170; BAG NJW 2007, 250, 253). Notwendig ist also der Zugang des Originals oder – bei öffentlichen Urkunden – einer Ausfertigung (BGH 31, 5, 7; 130, 71, 73). Die Zustellung einer beglaubigten Abschrift oder einer Kopie reicht nicht aus (BGH 31, 5, 7; 48, 374, 377; 121, 224, 229f; Koblenz MittBayNot 2006, 35; Hamm NJOZ 2006, 428, 431f). Allerdings soll im Rahmen einer Parteivereinbarung über die Zugangsvoraussetzungen auch ein Verzicht auf einen formgerechten Zugang möglich sein (BGH 130, 71, 75; Armbrüster NJW 1996, 438). Ist jemand zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt, so gilt die Erklärung mit der Rechtskraft des Urt als abgegeben (§ 894 S 1 ZPO), aber nicht als zugegangen. Für den Zugang genügt es, dass dem Gegner das Urt zugestellt wird oder dass er bei der Verkündung anwesend war (RG 160, 321, 325). d) Widerruf. Trotz des Zugangs wird die Willenserklärung nicht wirksam, wenn dem Empfänger vor dem Zugang oder gleichzeitig mit diesem ein Widerruf zugeht (§ 130 I 2). Dieser Widerruf ist vom Widerruf bei Verbraucherverträgen (§ 355) zu unterscheiden. Entscheidend für die Wirksamkeit des Widerrufs nach § 130 I 2 ist allein dessen Zugang. Der Widerruf ist also auch dann wirksam, wenn er gleichzeitig mit der Willenserklärung dem Empfänger zugeht, dieser aber von der Willenserklärung früher Kenntnis nimmt (BGH NJW 1975, 382, 384). Geht der Widerruf später als die Willenserklärung zu, bleibt diese wirksam. Das gilt auch dann, wenn der Arnold

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Empfänger tatsächlich den Widerruf vor der widerrufenen Erklärung zur Kenntnis nimmt (RG 91, 63; Pal/Ellenberger Rn 11; Soergel/Hefermehl Rn 29; aA Erman/Palm12 Rn 15). Ausgehend von diesen Grundsätzen stellt etwa die vorzeitige Auktionsbeendigung keinen wirksamen Widerruf des in der Veranlassung einer Internetauktion liegenden Kaufvertragsangebots dar (LG Koblenz NJW 2010, 159, 160). Ebenso lässt die in den eBay-Grundsätzen vorgesehene „Löschung“ der Bieterangebote die Wirksamkeit des zuvor abgegebenen Verkaufsangebots unberührt (KG NJW 2005, 1053, 1054). 3. Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber einem Anwesenden. Für das Wirksamwerden einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ggü einem Anwesenden fehlt eine gesetzliche Regelung. Hier ist der Grundgedanke des § 130 zu berücksichtigen und danach zu unterscheiden, ob es sich um eine verkörperte (schriftliche) oder eine nichtverkörperte (mündliche) Erklärung handelt. a) Verkörperte Erklärung. Bei einer verkörperten Erklärung kommt es auf den Zugang beim Empfänger an. Demnach wird die Erklärung regelmäßig mit der Übergabe an den Empfänger wirksam (RG 61, 414, 415; BGH NJW-RR 1996, 641, 642; NJW 1998, 3344); denn damit kommt die Erklärung in den Machtbereich des Empfängers, und dieser hat in diesem Zeitpunkt die Möglichkeit der Kenntnisnahme; dauerhafte Verfügungsgewalt über das Schriftstück ist nicht erforderlich (BAG NJW 2005, 1533). Wird aber die schriftliche Erklärung dem Empfänger heimlich in die Tasche gesteckt, ist sie zwar in seinen Machtbereich gelangt, aber doch nicht zugegangen, weil der Empfänger mit einer solchen „Art der Zustellung“ nicht zu rechnen braucht. § 130 soll auch für die Stimmabgabe in der Wohnungseigentümerversammlung gelten; daher kann die Stimmabgabe nicht mehr widerrufen werden, wenn der Stimmzettel dem Versammlungsleiter zugegangen ist (BGH NW 2012, 3372, 3373). b) Nicht verkörperte Erklärung. Eine nicht verkörperte Erklärung ggü einem Anwesenden wird mit der Abgabe regelmäßig auch wirksam, da der Adressat die Erklärung normalerweise in diesem Zeitpunkt empfängt und zur Kenntnis nimmt. Ob er sie (richtig) verstanden hat, ist idR unerheblich; nicht gelten kann das allerdings, wenn der Adressat taub ist oder die Sprache nicht versteht. Nach der Vernehmungstheorie soll es insoweit darauf ankommen, ob der Erklärungsempfänger die Erklärung wahrgenommen hat (s nur BGH WM 1989, 652f; BAG ZIP 1982, 1466, 1467). Die genannten Risiken gingen also ausnahmslos zulasten des Erklärenden. Dem ist für den Regelfall zuzustimmen. Wenn jedoch die Erklärung vom Empfänger nicht vernommen worden ist, sie aber für ihn vernehmbar war und der Erklärende annehmen konnte, dass der Empfänger sie verstanden hat, wäre die Erklärung nach der Vernehmungstheorie nicht zugegangen. Diese Entscheidung zuungunsten des Erklärenden ist nicht interessengerecht und widerspricht der Wertung des § 130 I. Danach kommt es auch nicht auf die Kenntnisnahme der Erklärung durch den Erklärungsempfänger, sondern darauf an, ob dieser unter normalen Umständen Kenntnis nehmen kann. Wendet man diesen Gedanken hier an, muss ein Zugang jedenfalls dann angenommen werden, wenn der Erklärende vernünftigerweise keinen Zweifel daran haben kann, dass der Empfänger die Erklärung verstanden hat (so auch MüKo/Einsele Rn 28; Pal/Ellenberger Rn 14). 4. Tod oder Geschäftsunfähigkeit des Erklärenden (Abs II). Stirbt der Erklärende nach Abgabe der Willenserklärung oder wird er geschäftsunfähig, so wird die Erklärung dennoch durch Zugang beim Erklärungsempfänger wirksam (§ 130 II). Die Erben des Verstorbenen oder der gesetzliche Vertreter des Geschäftsunfähigen sind an die Erklärung gebunden. Sie haben bis zum Zugang der Erklärung das Recht zum Widerruf nach § 130 I 2. Ob ein wirksames Angebot des Erklärenden vom Erklärungsempfänger noch angenommen werden kann, richtet sich nach § 153. § 130 II ist entspr anwendbar, wenn der Erklärende zw Abgabe und Zugang seiner Willenserklärung beschränkt geschäftsfähig wird; das gilt auch für die Beschränkung der Geschäftsfähigkeit durch Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gem § 1903 (Celle NJW 2006, 3501f; Pal/Ellenberger Rn 12). Wenn der Eintritt der Geschäftsunfähigkeit auf die Wirksamkeit der Erklärung keinen Einfluss hat, so muss das im Falle des Eintritts der beschränkten Geschäftsfähigkeit erst recht gelten. Verliert dagegen der Erklärende zw Abgabe und Zugang seiner Erklärung seine Verfügungsbefugnis (zB durch ein Insolvenzverfahren), scheidet eine analoge Anwendung des § 130 II aus (BGH 27, 360, 366; MüKo/Einsele Rn 43), da die Verfügungsbefugnis im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verfügung bestehen muss. 5. Amtsempfangsbedürftige Willenserklärung (Abs III). Die Willenserklärung, die ggü einer Behörde (zB Hinterlegungsstelle, Stiftungsbehörde, Grundbuchamt, VormG, Nachlassgericht; Planfeststellungsbehörde) abzugeben ist, wird wie eine empfangsbedürftige Willenserklärung unter Abwesenden behandelt; denn § 130 III verweist auf § 130 I, II. Das gilt auch für eine Willenserklärung, die wahlweise ggü einer Privatperson oder ggü einer Behörde (zB Grundbuchamt, § 876 S 3, § 880 II 3) abgegeben werden kann, sofern sie tatsächlich ggü der Behörde abgegeben wird. Nicht gemeint ist die Willenserklärung, die vor einer Behörde, aber ggü einem privaten Erklärungsempfänger abzugeben ist (zB §§ 925, 2276 I). Für den Zugang bei der Behörde reicht es aus, dass die Erklärung bei der für den Empfang von Erklärungen eingerichteten Stelle angelangt ist (etwa Posteingangsstelle); der weitere Verbleib liegt im Risikobereich der Behörde. Dagegen tritt die Zugangswirkung nicht ein, wenn ein unzuständiger Bediensteter die Erklärung in Empfang nimmt (RG JW 1925, 2444). Der Berufung auf die Versäumung einer Frist kann jedoch § 242 entgegenstehen, wenn eine zur Entgegennahme der Erklärung selbst unzuständige Behörde zur rechtzeitigen Weiterleitung an die zuständige Behörde in der Lage und verpflichtet war (KG NJW-RR 1997, 643, 644). 6. Zugangshindernisse. a) Annahmeverweigerung. Gesetzlich nicht geregelt sind die Fälle, in denen die Willenserklärung dem Empfänger wegen seines eigenen Verhaltens oder wegen eines Störfaktors in seinem Risiko332

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bereich nicht oder verspätet zugeht (krit gegen entspr Sonderregeln aber Staud/Singer/Benedict Rn 83ff). Verweigert der Empfänger die Annahme der schriftlichen oder das Anhören der mündlichen Erklärung berechtigterweise, ist die Erklärung nicht zugegangen (OVG Hamburg NJW 1995, 3137, 3138; MüKo/Einsele Rn 36). Das ist etwa der Fall, wenn der Adressat wegen ungenügender Frankierung Strafporto bezahlen soll, das Schreiben eine mehrdeutige Anschrift aufweist (RG 125, 68, 75) oder die mündliche Erklärung Beleidigungen des Erklärungsempfängers enthält und dieser sich deshalb die Ohren zuhält. Dagegen geht eine unberechtigte Verweigerung zulasten des Erklärungsempfängers. Die Erklärung ist ihm zugegangen; denn er war in der Lage, sich vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu verschaffen, und damit konnte unter normalen Umständen auch gerechnet werden (BGH 137, 205, 209; NJW 1983, 929, 930). Ein wiederholter Zustellungsversuch des Erklärenden ist in diesem Fall sinnlos und daher entbehrlich. Dabei wird aber teilw angenommen, dass ein Zugang bei Verweigerung der Annahme einer (verkörperten) Erklärung nur anzunehmen sei, wenn diese in unmittelbarer Nähe des Empfängers abgelegt werde; nehme der Erklärende die Erklärung dagegen wegen der Weigerung des Empfängers wieder an sich, sei das Schreiben zu keinem Zeitpunkt den Machtbereich des Empfängers gelangt (BAG NZA 2015, 1183, 1184). Praktisch dürfte dieser Abgrenzung aber kaum Bedeutung zukommen, da sich der Empfänger in derartigen Fällen jedenfalls nach den Grundsätzen zur Zugangsstörung (s Rn 28) so behandeln muss, als ob die Erklärung zugegangen ist (vgl dazu auch ArbG Berlin BB 2016, 634, 635f). b) Zugangsstörung. Bei einer Zugangsstörung im Einflussbereich des Empfängers verdient dieser keinen Schutz, wenn er den Zugang bewusst vereitelt (Rechtsgedanke der §§ 162, 815 II; Wolf/Neuner AT § 33 Rn 53; Medicus/Petersen AT Rn 282). In diesem Fall ist ein erneuter Zustellungsversuch des Erklärenden sinnlos und daher entbehrlich (BGH 137, 205, 209f). Der Empfänger ist aber auch dann nicht schutzwürdig und muss das Risiko eines (verspäteten) Zugangs tragen, wenn er es unterlässt, Vorkehrungen zur Ermöglichung des Zugehens zu treffen, sofern ihn dafür eine Obliegenheit trifft. So ist etwa der Kaufmann gehalten, für die Zeit seiner Abwesenheit einen Empfangsbevollmächtigten zu bestellen (RG 95, 315, 317) Der Geschäftsmann muss die Verlegung seines Geschäftslokals der Post ordnungsgemäß anzeigen (Hamm NJW-RR 1986, 699). Auch aus einem Arbeitsvertrag kann sich bei entspr Vereinbarung die Verpflichtung ergeben, Empfangsvorrichtungen bereitzuhalten (LAG Hamm ZIP 1993, 1109, 1110). Dagegen besteht keine allg Pflicht, Empfangsvorkehrungen für den Eingang von Erklärungen zu treffen; doch hat derjenige, der mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechnen muss, dafür zu sorgen, dass die Erklärungen ihn auch erreichen (BGH 67, 271, 278; NJW 1996, 1967, 1968; BAG NZA 2006, 204, 205). Ferner ist derjenige, der ein Benachrichtigungsschreiben erhält, nach dem ihm ein Einschreibebrief nicht zugestellt werden konnte, gehalten, dieses abzuholen (vgl BGH 137, 205, 210). Technische Störungen bei den Empfängereinrichtungen der Telekommunikation gehen unter den genannten Voraussetzungen zulasten des Empfängers (Burgard AcP 195, 74, 104ff; Fritzsche/Malzer DNotZ 1995, 3, 14; Ultsch NJW 1997, 3007, 3008). Auf ein Verschulden des Adressaten kommt es nicht an; es genügt, dass die Zugangsstörung in seiner Sphäre liegt und ihm zuzurechnen ist (LAG Hamm ZIP 1993, 1109, 1110; Flume AT II § 14, 3e). Geht unter den genannten Voraussetzungen die Erklärung dem Empfänger nicht zu, hat nach heute hM (BGH 137, 205, 209; Wolf/Neuner AT § 33 Rn 54; Medicus/Petersen AT Rn 278f; skeptisch für den Fall der Nichtabholung eines Einschreibens MüKo/Einsele Rn 38) der Erklärende eine Wahlmöglichkeit: Bemüht er sich nicht um eine Zustellung, treten die Rechtsfolgen der Erklärung nicht ein. Will er aber, dass seine Erklärung wirksam wird, muss er alles ihm Zumutbare und nach der Sachlage Erforderliche unternehmen, um die Willenserklärung in den Machtbereich des Erklärungsempfängers gelangen zu lassen (BGH 137, 205, 209; BAG NZA 2006, 204, 205). Er muss also so schnell wie möglich den Zugang bewirken; notfalls kommt eine Zustellung nach § 132 in Betracht. Einen verspäteten Zugang muss der Erklärungsempfänger dann nach Treu und Glauben als rechtzeitig gegen sich gelten lassen (BGH 137, 205, 209). Geht die Erklärung aufgrund eines Zugangshindernisses im Bereich des Empfängers verspätet zu, bedarf es hierfür aber keines weiteren Zustellungsversuchs durch den Empfänger, kann sich der Empfänger auf die entstandene Verzögerung nicht berufen. Daher gehen Verzögerungen, die dadurch entstehen, dass der Empfänger einen Nachsendeauftrag gestellt hat, zulasten des Empfängers (NK/Faust Rn 72; MüKo/Einsele Rn 37; aA BGH NJW 1996, 1967, 1968; Erman/Palm12 Rn 7). Die gegenteilige Auffassung würde gerade in den viel diskutierten Fällen der Kündigung während des Urlaubs des Empfängers kaum zu rechtfertigende Konsequenzen haben. Der Zeitpunkt, zu dem die Kündigung wirksam würde, hinge davon ab, ob der Empfänger zufällig einen Nachsendeauftrag gestellt hat oder nicht. 7. Abweichende Vereinbarungen. Eine von § 130 abw Regelung kann sich aus dem Gesetz und aus der getroffenen Parteivereinbarung ergeben. Für die Rechtzeitigkeit der Erklärung stellen etwa §§ 121 I 2, 355 I 5 und § 377 IV HGB auf die Absendung ab; ein Zugang ist dennoch erforderlich. Nach § 151 S 1, § 152 S 1 ist ein Zugang zur Wirksamkeit nicht erforderlich. Die Voraussetzungen und der Zeitpunkt des Zugangs können auch durch Parteivereinbarung abw geregelt werden (RG 108, 91, 96; BGH 130, 71, 75; Armbrüster NJW 1996, 438). Bei Regelungen in AGB sind die § 308 Nr 6 und § 309 Nr 13 zu beachten. 8. Beweislast. Wer sich auf die Wirksamkeit einer empfangsbedürftigen Willenserklärung beruft, muss deren Zugang beweisen (Saarbrücken NJW 2004, 2908, 2909; Rostock NJOZ 2004, 2121ff). Die Grundsätze über den Anscheinsbeweis sind regelmäßig nicht anwendbar. Insb ist durch den Beweis, dass der Brief bei der Post eingeliefert wurde, der Beweis des Zugangs nicht geführt (anders uU bei Serienbriefen, vgl das Bsp LG Hamburg Arnold

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VersR 1992, 85). Es bestehen keine Vermutung und kein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass eine zur Post gegebene Sendung den Empfänger auch erreicht (BGH NJW 1964, 1176; BAG NJW 1961, 2132; Frankfurt VersR 1996, 90; Mrosk NJW 2013, 1481, 1482); denn es kommt vor, dass Postsendungen beim Adressaten nicht ankommen. Auch der Einlieferungsbeleg beim Einschreibebrief erbringt keinen Anscheinsbeweis für den Zugang (BGH 24, 308, 313; NJW 1996, 2033, 2035). Beim Einwurfeinschreiben sollen Einlieferungs- und Auslieferungsbeleg keine ausreichende Grundlage für einen Anscheinsbeweis hins des Zugangs der Sendung beim Empfänger bilden (LG Potsdam NJW 2000, 3722; AG Kempen NJW 2007, 1215; Bauer/Diller NJW 1998, 2795, 2796; aA AG Paderborn NJW 2007, 3722; Pal/Ellenberger Rn 21). Dagegen begründet beim Einschreiben mit Rückschein der Rückschein den Anscheinsbeweis für den Zugang (Pal/Ellenberger Rn 21); der Inhalt des Schreibens bleibt freilich vom Erklärenden zu beweisen. Bei der Übermittlung mit Telefax begründet das Sendeprotokoll keinen Anscheinsbeweis für den Zugang (BGH NJW 1995, 665; BAG NZA 2003, 158, 159; KG NJW 1994, 3172; Dresden NJW-RR 1994, 1485; aA München NJW 1994, 527; MDR 1999, 286). Liegt jedoch ein Sendeprotokoll vor, das durch den OK-Vermerk das Zustandekommen der Verbindung mit der Nummer des Empfängers bestätigt, darf dieser nicht lediglich den Zugang bestreiten, sondern muss nähere Angaben zu seiner Empfangseinrichtung machen (BGH NJW-RR 2014, 683, 685). Bei einer E-Mail begründet die Absendung nicht bereits einen Anscheinsbeweis für den Zugang (LAG Brandenburg 27.11.2012 – 15 Ta 2066/12; s auch Willems MMR 2013, 551, 552; aA AG Frankfurt MMR 2009, 507). Gleichfalls genügt es nicht, dass die Erklärung zugleich in „cc“ oder „bcc“ an einen Dritten geschickt wurde und bei diesem nachweisbar eingegangen ist (Willems MMR 2013, 551, 553; aA LG Hamburg MMR 2010, 554).Dagegen dürfte das Vorliegen einer Empfangs- oder Lesebestätigung des Empfängers einen Anscheinsbeweis für den Zugang der Erklärung begründen (Pal/Ellenberger Rn 21; Mankowski NJW 2004, 1901, 1902). Ist die Rechtzeitigkeit des Zugangs str, muss derjenige, der sich auf den Zugang beruft, auch die Rechtzeitigkeit beweisen (BGH NJW 1978, 886). Durch Anscheinsbeweis kann nicht dargetan werden, dass eine Postsendung nach einer bestimmten Zeit beim Adressaten abgeliefert zu werden pflegt (BGH NJW 1964, 1176, 1177; Braunschweig NJOZ 2004, 1866, 1868).

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Wirksamwerden gegenüber nicht voll Geschäftsfähigen

(1) Wird die Willenserklärung einem Geschäftsunfähigen gegenüber abgegeben, so wird sie nicht wirksam, bevor sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht. (2) Das Gleiche gilt, wenn die Willenserklärung einer in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person gegenüber abgegeben wird. Bringt die Erklärung jedoch der in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person lediglich einen rechtlichen Vorteil oder hat der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung erteilt, so wird die Erklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihr zugeht. 1. Bedeutung. § 131 regelt das Wirksamwerden einer empfangsbedürftigen Willenserklärung, die ggü einem nicht voll Geschäftsfähigen abgegeben wird; die Norm gilt auch für geschäftsähnliche Handlungen (AG Melsdorf NJW 1989, 2548; MüKo/Einsele Rn 1) und gesetzliche Informationspflichten (Schleswig NJW-RR 2016, 1245, 1248 zu § 676b II 2). Die Vorschrift dient dem Schutz dieser Personen und entspricht den Regeln über die Wirksamkeit der Willenserklärung eines nicht voll Geschäftsfähigen. Wie die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ohne Rechtswirkung ist (§ 105 I), so kann auch die ggü einem Geschäftsunfähigen abzugebende Willenserklärung nicht durch Zugang an ihn wirksam werden (§ 131 I). Wie die Willenserklärung eines beschränkt Geschäftsfähigen idR ebenfalls unwirksam und nur in Ausnahmefällen wirksam ist (§§ 106ff), so kann auch die ggü einem beschränkt Geschäftsfähigen abzugebende Willenserklärung idR nicht durch Zugang an ihn wirksam werden (§ 131 II 1); in Ausnahmefällen genügt jedoch der Zugang an ihn (§ 131 II 2). 2. Willenserklärung ggü einem Geschäftsunfähigen (vgl § 104 Rn 2–7). Sie wird wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter zugeht (§ 131 I). Bei gesetzlicher Vertretung von Kindern genügt der Zugang an einen Elternteil. Es spielt keine Rolle, ob es sich um eine Erklärung unter Anwesenden oder Abwesenden handelt. Mit dem Zugang an den gesetzlichen Vertreter wird die Willenserklärung ggü dem Geschäftsunfähigen wirksam; der Zeitpunkt des Zugangs an den gesetzlichen Vertreter ist auch für eine Fristwahrung maßgebend. Die Willenserklärung muss an den gesetzlichen Vertreter gerichtet werden oder wenigstens auch für diesen bestimmt sein (BAG NJW 2011, 872, 873). Der Geschäftsunfähige kann jedoch Erklärungsbote des Erklärenden sein; leitet er die Erklärung an seinen gesetzlichen Vertreter weiter, gelangt sie in dessen Machtbereich und hat der gesetzliche Vertreter die Möglichkeit der Kenntnisnahme (vgl § 130 Rn 18), ist sie diesem zugegangen und damit wirksam. Dagegen reicht es nicht aus, dass der gesetzliche Vertreter nur zufällig vom Inhalt der an den Geschäftsunfähigen gerichteten Erklärung Kenntnis erlangt, weil er etwa mit dem Geschäftsunfähigen im selben Haushalt lebt (Düsseldorf VersR 1961, 878; Berlin MDR 1982, 321; MüKo/Einsele Rn 3; aA Staud/Singer/Benedict Rn 3). Als Empfangsbote seines gesetzlichen Vertreters ist der Geschäftsunfähige nur dann anzusehen, wenn er vom gesetzlichen Vertreter dazu bestellt worden ist (Soergel/Hefermehl Rn 3; aA Staud/Singer/Benedict Rn 4, nach denen der beschränkt Geschäftsfähige generell nicht Empfangsbote sein kann). Eine Bestellung zum Empfangsvertreter ist nicht möglich (Pal/Ellenberger Rn 2).

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Willenserklärung

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3. Willenserklärung ggü einem beschränkt Geschäftsfähigen (§ 106). Hier ist zu unterscheiden: a) Grds gilt das Gleiche wie bei der Willenserklärung ggü einem Geschäftsunfähigen (§ 131 II 1); zur Wirksamkeit der Willenserklärung ist es also erforderlich, dass diese dem gesetzlichen Vertreter zugeht (Rn 2). b) Ausnahmsweise wird die Willenserklärung mit dem Zugang an den beschränkt Geschäftsfähigen wirksam (§ 131 II 2). aa) Ebenso wie ein beschränkt Geschäftsfähiger eine wirksame Willenserklärung abgeben kann, wenn diese ihm einen lediglich rechtlichen Vorteil bringt (§ 107), so ist auch eine Willenserklärung ggü dem beschränkt Geschäftsfähigen, die für ihn lediglich rechtlich vorteilhaft ist, mit dem Zugang an ihn wirksam. So ist zB das dem beschränkt Geschäftsfähigen ggü gemachte Vertragsangebot – unabhängig vom Inhalt – immer lediglich rechtlich vorteilhaft, weil dem Empfänger damit die Möglichkeit gegeben wird, es anzunehmen und dadurch den Vertrag zustande zu bringen (Lettl WM 2013, 1245, 1246). Hierher gehören ferner die rechtlich neutralen Geschäfte (§ 107 Rn 10); deshalb wird die Bevollmächtigung eines beschränkt Geschäftsfähigen mit dem Zugang der Erklärung an diesen wirksam (Frankfurt MDR 1964, 756; Staud/Singer/Benedict Rn 5). bb) Wenn der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung erteilt, ist der beschränkt Geschäftsfähige ebenfalls hinreichend geschützt. Deshalb wird auch in diesem Fall die Erklärung mit Zugang an den beschränkt Geschäftsfähigen wirksam. Mit der Einwilligung ist die vorherige Zustimmung gemeint (§ 183 S 1). Dem ist angesichts des Wortlauts des § 131 II 2 und des Strebens nach Rechtssicherheit die Genehmigung (nachträgliche Zustimmung; § 184 I) nicht gleichzustellen. Zu Problemen führt dies auf dem ersten Blick, wenn dem beschränkt Geschäftsfähigen die Annahme eines Vertragsangebots zugeht und der Vertrag nicht lediglich vorteilhaft ist: In diesem Fall scheint § 131 II die Möglichkeit einer Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter nach § 108 auszuschließen. Dieses Ergebnis stößt indes zu Recht allg auf Ablehnung: Ein Teil des Schrifttums nimmt stattdessen an, dass der gesetzliche Vertreter mit dem Vertrag ausnahmsweise auch den Zugang der Annahme genehmigen könne (BeckOK/Wendtland Rn 8; Pal/Ellenberger Rn 3 und Voraufl Rn 6). Nach aA soll § 131 II insoweit durch § 108 verdrängt werden (Jauernig/Mansel Rn 3; Köhler AT § 6 Rn 27; ferner wohl auch BGH 47, 352, 358; Flume AT II § 14, 3g; vgll auch Lettl WM 2013, 1245, 1246f und Staud/Singer/Benedict Rn 7, nach denen § 131 II 2 gelten soll, da die Annahme eines Vertrags, auch wenn dieser Pflichten für den Minderjährigen vorsehe, für diesen wegen § 108 i Erg nicht nachteilig sei. Der letztgenannte Ansatz erscheint vorzugswürdig. Der Minderjährige bedarf, wenn ihm ggü die Annahme eines Vertrags erklärt wird, nicht des Schutzes durch § 131 II, da dieser bereits durch § 108 gewährleistet wird. Eine Anwendung des § 131 II würde vielmehr dem anderen Teil einen durch die Vorschrift nicht bezweckten Vorteil verschaffen, da dieser bis zu einer Genehmigung seine Erklärung nach § 130 I 2 auch dann noch widerrufen könnte, wenn ein Widerruf nach § 109 ausgeschlossen wäre (vgl dazu schon Köhler AT § 6 Rn 27). Die Einwilligung kann in schlüssigem Verhalten liegen. Liegt zugunsten des Minderjährigen eine Einwilligung zum Abschluss eines Vertrags vor, liegt darin auch eine Einwilligung zum Zugang von Vertragserklärungen an den beschränkt Geschäftsfähigen (MüKo/Einsele Rn 6). Dagegen deckt eine derartige Einwilligung den Zugang von Erklärungen, die der Abwicklung des Vertrags dienen, grds nicht mehr ab (Staud/Singer/Benedict Rn 5). Daher lässt die Einwilligung zum Abschluss eines Versicherungsvertrags regelmäßig solche Erklärungen des Versicherers, die dessen Leistungsfreiheit zur Folge haben, nicht mit Zugang an den beschränkt Geschäftsfähigen wirksam werden (BGH 47, 352, 359). Selbst wenn eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vorliegt und deshalb die Willenserklärung durch Zugang an den beschränkt Geschäftsfähigen wirksam wird, kann das Wirksamwerden auch durch Zugang an den gesetzlichen Vertreter erreicht werden; denn durch die Ermächtigung wird die Vertretungsmacht des gesetzlichen Vertreters nicht eingeschränkt (anders in den Fällen der §§ 112, 113). cc) Kraft gesetzlicher Vorschrift können der Widerruf (§ 109 I S 2) und die Zurückweisung (§ 111) ggü dem beschränkt Geschäftsfähigen erfolgen, so dass hier ein Zugang an diesen zum Wirksamwerden genügt. c) § 131 II gilt gem § 1903 I 2 entspr, wenn die Willenserklärung einem Betreuten ggü abgegeben wird und sie zum Bereich des Einwilligungsvorbehalts gehört. Die Willenserklärung ist dann an den Betreuer zu richten (LG Dresden WuM 1994, 377). 4. Willenserklärung ggü einem Bewusstlosen oder vorübergehend Geistesgestörten (§ 105 II). Ist der Erklärungsempfänger bewusstlos oder liegt eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit vor, so ist zu unterscheiden, ob es sich um eine Willenserklärung unter Abwesenden handelt oder nicht. Bei einer Erklärung unter Abwesenden kommt es nach § 130 auf den Zugang der Erklärung an. Beim Einwurf einer schriftlichen Willenserklärung in den Hausbriefkasten ist damit zB entscheidend, wann der Empfänger unter normalen Umständen davon Kenntnis nehmen kann, gleichgültig, ob er zu diesem Zeitpunkt bewusstlos ist oder ob eine vorübergehende Störung der Geistestätigkeit vorliegt (MüKo/Einsele Rn 2). Bei einer Erklärung unter Anwesenden gilt das zu § 130 Rn 23 Gesagte. Ist die Erklärung nicht verkörpert, kann der Empfänger die Erklärung wegen seines Zustandes regelmäßig nicht verstehen, was für den Erklärenden auch erkennbar ist, so dass die Erklärung nicht wirksam ist.

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Ersatz des Zugehens durch Zustellung

(1) Eine Willenserklärung gilt auch dann als zugegangen, wenn sie durch Vermittlung eines Gerichtsvollziehers zugestellt worden ist. Die Zustellung erfolgt nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung. Arnold

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(2) Befindet sich der Erklärende über die Person desjenigen, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben ist, in einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Unkenntnis oder ist der Aufenthalt dieser Person unbekannt, so kann die Zustellung nach den für die öffentliche Zustellung geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung erfolgen. Zuständig für die Bewilligung ist im ersteren Fall das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Erklärende seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines inländischen Wohnsitzes seinen Aufenthalt hat, im letzteren Fall das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Person, welcher zuzustellen ist, den letzten Wohnsitz oder in Ermangelung eines inländischen Wohnsitzes den letzten Aufenthalt hatte. 1. Zweck. Die Vorschrift stellt die Zustellung der Willenserklärung als Ersatz für den Zugang zur Verfügung. Dabei kann der Erklärende frei entscheiden, ob er die Willenserklärung unter Vermittlung des Gerichtsvollziehers zustellen lässt, während die öffentliche Zustellung nach Abs II nur unter zusätzlichen Voraussetzungen möglich ist. Wird die Zustellung gewählt, wird die Willenserklärung wirksam, auch wenn die Voraussetzungen für den Zugang iSd § 130 (Möglichkeit der Kenntnisnahme) nicht vorliegen. Die Zustellung macht damit den Zugang vom Verhalten des Empfängers (zB Verweigerung der Annahme) unabhängig und bietet eine verhältnismäßig sichere Möglichkeit, den Zugang nachzuweisen. Setzt aber ein Tatbestand (zB § 407) Kenntnisnahme des Empfängers voraus, so genügt eine Zustellung nicht (RG 87, 412, 417; vgl auch RG 135, 247, 251; MüKo/Einsele Rn 1). 2. Zustellungsarten. a) Zustellung durch Vermittlung des Gerichtsvollziehers (Abs I). Abs I gibt dem Erklärenden ein Wahlrecht, ob er die Erklärung durch Vermittlung des Gerichtsvollziehers zustellen lässt. Dabei kann ein Anwalt aber verpflichtet sein, im Interesse seiner Mandantschaft nach § 132 vorzugehen (Nürnberg NJW-RR 1991, 414). Die Einschaltung des Gerichtsvollziehers ist unabdingbar; eine Zustellung im Parteiauftrag reicht nicht aus (BGH 67, 271, 277). Ebenso soll die Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO) nicht genügen (BeckOK/Wendtland Rn 4; MüKo/Einsele Rn 2; aA für eine Prozessbürgschaft LG Augsburg NJW-RR 1998, 1368, 1369). Zugestellt werden muss die Erklärung in der vorgeschriebenen Form. Bei öffentlichen Urkunden ist daher eine Ausfertigung zuzustellen (BGH 31, 5, 7; 36, 201, 206; NJW 1981, 2299, 2300; KG DGVZ 1994, 154; Hamm DNotZ 1992, 261, 263). Bei Erklärungen, die in Schriftform erfolgen müssen, soll nach hM die Zustellung einer beglaubigten Abschrift genügen (so im Anschluss an BGH NJW 1967, 823, 824 etwa BeckOK/Wendtland Rn 5; MüKo/ Einsele Rn 4; Pal/Ellenberger Rn 2; aA wegen der Aufhebung des § 170 II aF ZPO PWW/Ahrens Rn 2). Das Verfahren der Zustellung unter Vermittlung des Gerichtsvollziehers richtet sich iÜ nach §§ 192ff ZPO iVm den Bestimmungen der §§ 166ff ZPO über die Zustellung von Amts wegen, § 191 ZPO. Die Zustellung ist an den Erklärungsgegner, bei nicht voll Geschäftsfähigen an den gesetzlichen Vertreter zu richten (Pal/Ellenberger Rn 1). Der Gerichtsvollzieher kann die Zustellung selbst ausführen (§ 193 ZPO) oder die Post mit der Ausführung der Zustellung beauftragen (§ 194 ZPO). Unter den Voraussetzungen der §§ 178ff ZPO kommt auch eine Ersatzzustellung in Betracht, nicht hingegen eine Zustellung gegen Empfangsbekenntnis oder durch Einschreiben mit Rückschein (§§ 174, 175 ZPO); diese Zustellungsarten sind der Geschäftsstelle des Gerichts vorbehalten (NK/ Faust Rn 6). Zustellungsmängel werden nach § 189 ZPO geheilt (MüKo/Einsele Rn 5; zweifelnd NK/Faust Rn 7). b) Öffentliche Zustellung (Abs II). Die öffentliche Zustellung (§§ 185ff ZPO) ist nicht ins Belieben des Erklärenden gestellt. Sie ist nur möglich bei unverschuldeter Unkenntnis über die Person des Erklärungsempfängers (zB des unbekannten Erben) oder bei Unkenntnis über den Aufenthalt des Empfängers (vgl § 185 ZPO). Letzteres setzt voraus, dass der Aufenthalt nicht nur dem Erklärenden, sondern generell unbekannt ist. Den Erklärenden trifft insoweit eine Nachforschungspflicht. Er wird den unbekannten Aufenthalt dem Gericht zumindest durch eine ergebnislose Auskunft beim Einwohnermeldeamt nachzuweisen haben (MüKo/Einsele Rn 6). Über den Antrag auf Bewilligung einer öffentlichen Zustellung wird im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit entschieden; wird der Antrag abgewiesen, ist hiergegen die Beschwerde nach § 59 FamFG statthaft (Köln 6.12.2010 – 16 Wx 88/10; Düsseldorf NZG 2015, 1111; jurisPK/Reichold Rn 10; Keidel/Sternal § 1 FamFG Rn 27; aA BeckOK/Wendtland Rn 7 und Voraufl Rn 3: § 567 ZPO). Die öffentliche Zustellung bewirkt die Fiktion des Zugangs. Auch eine durch unzutreffende Angaben erschlichene öffentliche Zustellung ist wirksam. In Anlehnung an die Grundsätze, die die Rspr für die Unwirksamkeit einer öffentlichen Zustellung im Prozess entwickelt hat (BGH NJW 2002, 827, 828ff; 2007, 303), gilt dies jedoch nicht, wenn das Gericht bei der Bewilligung hätte erkennen können, dass die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nicht vorlagen (KG NJW-RR 2006, 1380, 1381; Pal/Ellenberger Rn 3; aA NK/Faust Rn 10; PWW/Ahrens Rn 3). Bei einer danach wirksamen öffentlichen Zustellung kann zudem der Berufung auf die eingetretene Rechtsfolge der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen (BGH 64, 5, 8; KG NJW-RR 2006, 1380, 1381f; einschränkend Staud/Singer/Benedict Rn 11). Das gilt nicht nur ggü dem, der die öffentliche Zustellung arglistig veranlasst hat, sondern kann im Einzelfall auch ggü einem Dritten gelten. Hat etwa ein Ehegatte den Widerruf eines wechselbezüglichen gemeinschaftlichen Testaments durch erschlichene öffentliche Zustellung bewirkt, so kann ggü dem, der Rechte aus einer nach der öffentlichen Zustellung errichteten Verfügung von Todes wegen geltend macht, der Arglisteinwand durchgreifen (BGH 64, 5, 8).

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Auslegung einer Willenserklärung

Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. 1. Bedeutung. Mit der im Rechtsgeschäft enthaltenen Willenserklärung will der Erklärende einen bestimmten Rechtserfolg herbeiführen. Der (innere) Geschäftswille (Vor § 116 Rn 5) erscheint in der (äußeren) Gestalt der 336

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Willenserklärung

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Erklärung. Ziel der Auslegung ist es, den hinter der Erklärung stehenden Geschäftswillen des Erklärenden zu ermitteln. Auf diesen Willen kommt es nach dem Grundsatz der Privatautonomie zunächst an; denn der Einzelne soll seine privaten Lebensverhältnisse nach seinem Willen selbst gestalten können. In den meisten Fällen geht es aber nicht nur um die Interessen des Erklärenden, sondern auch um die des Erklärungsempfängers. Dieser verdient Schutz, wenn er den wahren Willen des Erklärenden nicht erkennt und nicht erkennen kann; dann muss der Erklärende sich an dem festhalten lassen, was der Empfänger der Erklärung vernünftigerweise als Willen des Erklärenden entnehmen konnte. Die Auslegung, die in §§ 133, 157 und in einigen Spezialvorschriften geregelt ist, hat zunächst für die Frage Bedeutung, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt. Ferner kommt es auf die Auslegung an, wenn es darum geht, ob durch Willenserklärungen ein Vertrag zustande gekommen ist. Schließlich sind auch der abgeschlossene Vertrag und das einseitige Rechtsgeschäft auszulegen, um dadurch festzustellen, welchen Inhalt sie haben und welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben. 2. Anwendungsbereich des § 133. a) Zivilrecht. Die Vorschrift gilt für alle Willenserklärungen. Bei der Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen ist auf den Schutz des Erklärungsempfängers Bedacht zu nehmen (Rn 19). Formgebundene Erklärungen sind ebenso auslegungsfähig (vgl § 125 Rn 28; NK/Looschelders Rn 74; MüKo/Busche Rn 29; zur Bürgschaft BGH NJW 1995, 959; NJW-RR 1998, 259f) wie schlüssige (konkludente) Erklärungen. Der Auslegung zugänglich sind auch die Willenserklärungen in einem abstrakten Rechtsgeschäft (zB Wechsel, BGH 21, 155, 161; Schuldversprechen BGH NJW-RR 1996, 1458), in Verfügungen (zB Auflassung, RG 152, 189, 192) und in einem Normenvertrag (zB Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung, MüKo/Busche Rn 40) sowie in einer Satzung und sonstigen normähnlichen Regelungen des Privatrechts (vgl BayObLG WuM 1996, 362 – Gemeinschaftsordnung nach dem WEG; s auch Rn 34). Auch geschäftsähnliche Handlungen wie Mahnungen, Fristsetzungen, Mitteilungen und Anzeigen sind der Auslegung zugänglich, um das Gewollte zu ermitteln (BGH NJW 1995, 45, 46). b) Prozessrecht. Auch auf Prozesshandlungen/Prozesserklärungen einer Partei (zB Klageantrag, Geständnis, Anerkenntnis, Rechtsmittelverzicht, Rechtsmitteleinlegung, Rechtsmittelbegründung) ist § 133 anwendbar (BGH 22, 267, 269; NJW-RR 1994, 568; 1996, 1210; 1998, 507; BAG NZA 2016, 124, 125; BVerwG NJW 1990, 508, 509; Naumburg NStZ-RR 1997, 340; für Anmeldung zum Handelsregister BayObLG NJW-RR 2000, 990, 991); dabei sind alle – insb aus den Akten – erkennbaren Umstände zu beachten (Rosenberg/Schwab/Gottwald Zivilprozessrecht § 65 Rn 22; Staud/Singer Rn 27f); unklare Erklärungen sind im Zweifel so auszulegen, dass das Ergebnis dem Willen eines verständigen Prozessbeteiligten entspricht (BFH/NV 2006, 1852 und 2269). Auszulegen sind auch Prozesshandlungen des Gerichts, insb Entscheidungen (BGH 5, 189, 192; 34, 337, 339; NJW 1997, 3447, 3448; Staud/Singer Rn 28) und Registereintragungen (BGH 47, 190, 195; 59, 205, 208; zum Grundbuch vgl Rn 36). Zur Auslegung eines Urteilstenors sind Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen (BGH 2, 164, 170; 5, 189, 192); bei Divergenz gebührt dem Tenor idR der Vorzug (BGH NJW 1997, 3447, 3448; Celle OLG 1979, 194, 196). c) Öffentliches Recht. Für die Auslegung eines öffentlich-rechtl Vertrags ist § 133 schon nach § 62 S 2 VwVfG anzuwenden. Die Grundsätze des § 133 gelten aber auch sowohl für Erklärungen des Bürgers (BVerwG DVBl 1963, 894; NJW 1990, 1926, 1928; BFH WM 1982, 1138, 1139) als auch für solche der Behörde (BVerwG 12, 87, 91; NJW 1976, 304). Bei der Erklärung eines rechtsunerfahrenen Bürgers hat die Behörde ohne Formalismus das Gewollte zu ermitteln (BVerwG DVBl 1963, 894). Verbleiben bei der Erklärung einer Behörde trotz der Auslegung Unklarheiten, müssen diese zulasten der Verwaltung gehen (BVerwG 41, 305, 306). 3. Abgrenzungen. § 157 behandelt nach seinem Wortlaut die Auslegung von Verträgen, § 133 die Auslegung von Willenserklärungen. Daraus folgt jedoch kein materieller Unterschied. Vielmehr sind Treu und Glauben sowie die Verkehrssitte auch für § 133 von Bedeutung (RG 169, 122, 124; BGH 21, 319, 328). § 133 und § 157 ergänzen sich (Flume AT II § 16, 3a). § 133 will die Ermittlung des Willens des Erklärenden ermöglichen; § 157 behandelt die Zusammenfassung und Anpassung der Erklärungen und ermöglicht eine Lückenausfüllung durch erg Auslegung (vgl Rn 20ff). § 242 regelt nach seinem Wortlaut, wie der Schuldner leisten soll. Dieses rechtliche Sollen kann erst bestimmt werden, wenn zuvor die Frage nach dem rechtlichen Wollen beantwortet ist, das durch Auslegung zu ermitteln ist. § 242 greift danach erst nach § 133 und § 157 ein (vgl BGH 16, 4, 8); gleichwohl ist allg anerkannt, dass der in § 242 enthaltene Grundsatz von Treu und Glauben das ganze Privatrecht beherrscht, also auch bei der Auslegung zu berücksichtigen ist (vgl § 157 Rn 3). § 139 ist eine Auslegungsregel. Danach ist bei Nichtigkeit eines Teils des Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsgeschäft nichtig, „wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde“. Zunächst ist also durch Auslegung (§§ 133, 157) zu ermitteln, ob die Parteien für den Fall der Teilnichtigkeit eine Regelung getroffen haben. Führt diese Auslegung zu einem positiven Ergebnis, bleibt kein Raum für § 139. Nur wenn die Auslegung nicht weiterhilft, greift § 139 ein. § 140 sieht die Umdeutung eines nichtigen Rechtsgeschäfts vor, „wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde“. Maßgebend ist der hypothetische Wille der Parteien, der durch erg Auslegung (Rn 20ff) zu ermitteln ist. Die Auslegung nach § 133 stellt dagegen zunächst auf den wirklichen Willen ab. Arnold

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Spezialvorschriften gibt es für die Auslegung von Testamenten (§ 2084) und von AGB (§ 305c II). Führt in diesem Fällen die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis, ist beim Testament im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei der die Verfügung Erfolg haben kann. Zweifel bei der Auslegung von AGB gehen zulasten des Verwenders. 4. Gegenstand der Auslegung. Nach § 133 ist die Willenserklärung Gegenstand der Auslegung. Diese muss aber schon vorher ansetzen. Aus dem Verhalten eines Menschen ist zunächst zu ermitteln, ob es sich dabei um eine Willenserklärung handelt (BGH NJW 2014, 1951, 1952; 2016, 3015, 3018). Das ist wichtig für die Frage, ob zB ein Nichtstun (Schweigen) als Willenserklärung oder ob ein Tun als rechtsgeschäftliches oder außerrechtliches zu qualifizieren ist (BGH 21, 102, 106f; 91, 324, 330; 109, 171, 177; NJW 1984, 721; 1994, 188, 189; 1996, 2574, 2575; Jauernig/Mansel Rn 1). Erst wenn nach dem Ergebnis der Auslegung die Existenz einer Willenserklärung feststeht, folgt als nächster Schritt die Ermittlung des Inhalts dieser Willenserklärung. In der Praxis lassen sich die Prüfung der Existenz und die des Inhalts der Willenserklärung allerdings meist nicht scharf voneinander trennen. Zwar unterliegen nur auslegungsbedürftige Willenserklärungen der Auslegung. Jedoch ist im Grunde jede Willenserklärung auslegungsbedürftig, da stets der mit ihr verbundene Sinn ermittelt werden muss. Die Ansicht, bei absoluter Eindeutigkeit der Erklärung sei kein Raum für die Auslegung (so etwa BGH NJW 1996, 2648, 2650; Pal/Ellenberger Rn 6), ist abzulehnen (Staud/Singer Rn 9; MüKo/Busche Rn 53; Soergel/Hefermehl Rn 27; s auch BGH NJW 2002, 1260, 1261; NJW-RR 1996, 1458; BAG NJW 2005, 1144, 1145; ferner BayObLG NJW-RR 1997, 329f). Ob eine Erklärung eindeutig ist, kann nur durch Auslegung ermittelt werden. Auch bei einem eindeutigen Wortlaut können Umstände vorliegen, die der Erklärung einen anderen als den Wortsinn geben. Nur auslegungsfähige Willenserklärungen sollen der Auslegung zugänglich sein. Damit sollen mehrdeutige, widersprüchliche und unverständliche Erklärungen von einer Auslegung ausgeschlossen sein (RG 59, 217, 219; JW 1910, 801). Auch dem ist nicht zu folgen (BGH 20, 109, 110f; MüKo/Busche Rn 52; Staud/Singer Rn 10; Jauernig/Mansel Rn 2). Hinter einem widersprüchlichen Wortlaut muss nicht auch ein widersprüchlicher Sinn stecken. So kann sich aus den Umständen ergeben, dass trotz widersprüchlichen Wortlauts ein eindeutiger Sinn vorhanden ist (BGH 20, 109, 110; NJW 2005, 2618, 2619). Ob tatsächlich ein widersprüchlicher Sinn vorliegt, muss durch Auslegung ermittelt werden. Erst wenn diese ergibt, dass der Sinn unverständlich bleibt, entfaltet die Willenserklärung keine Rechtsfolgen. 5. Arten der Auslegung. a) Einfache (erläuternde) Auslegung. Dabei geht es um die Ermittlung des rechtlich maßgebenden Sinns der Willenserklärung. Aufgabe der Auslegung ist es, die richtige Entscheidung zu finden im Streit zw dem Interesse des Erklärenden, nur nach Maßgabe seines subjektiven Willens gebunden zu sein, und dem Interesse des Erklärungsempfängers, den Erklärenden an den ersichtlichen, objektiven Gehalt der Erklärung zu binden. Stellt man nur auf die Interessen des Erklärenden ab, ermittelt man dessen wirklichen Willen; stellt man dagegen auf die Interessen des Erklärungsempfängers ab, ermittelt man einen normativen Willen, der nicht mit dem wirklichen Willen des Erklärenden übereinzustimmen braucht. Dementsprechend kann man im ersten Fall von einer natürlichen, im Zweiten von einer normativen Auslegung sprechen (Pal/Ellenberger Rn 7; vgl auch Staud/Singer Rn 11, der statt natürlicher von Auslegung nach dem „empirischen Willen“ spricht). aa) Natürliche Auslegung. Es wird der wirkliche Wille des Erklärenden festgestellt (vgl § 133). Damit wird nur den Erfolgsinteressen des Erklärenden Rechnung getragen, während die Interessen des Erklärungsempfängers (Schutz seines Vertrauens auf das Erklärte) unberücksichtigt bleiben. Das ist dann berechtigt, wenn außer dem Erklärenden keine Person vorhanden ist, deren Interessen geschützt werden müssten, oder wenn zwar generell eine andere Person (der Erklärungsempfänger) zu schützen ist, diese aber im Einzelfall ausnahmsweise nicht schutzbedürftig bzw nicht schutzwürdig ist. Es gibt Rechtsgeschäfte, bei denen immer nur die Interessen des Erklärenden auf dem Spiel stehen. Hauptbeispiel ist das Testament. Hier gibt es keine Person, die geschützt werden muss. Auch der im Testament Bedachte (Erbe, Vermächtnisnehmer) ist in seinem Vertrauen auf das im Testament Erklärte nicht schutzwürdig. Er ist nicht Erklärungsempfänger; er erwirbt unentgeltlich, da er keine Gegenleistung erbringt, und zwar auch dann nicht, wenn er etwa mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert ist. Deshalb ist bei der Testamentsauslegung nur auf die Interessen des Erklärenden abzustellen und dessen wirklicher Wille zu ermitteln, gleichgültig, ob dieser im Wortlaut des Testaments zum Ausdruck kommt oder nicht (BGH 86, 41, 46; NJW-RR 2009, 1455, 1457; BayObLG NJW-RR 1997, 327, 328; Soergel/Hefermehl Rn 11). Allerdings soll nach der Rspr im Hinblick auf die Formbedürftigkeit von Testamenten der so ermittelte wirkliche Wille nur berücksichtigungsfähig sein, wenn er im Testament wenigstens einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat (sog Andeutungstheorie, s nur BGH 80, 246, 248; 86, 41, 47; NJWE-FER 1997, 252; ferner § 125 Rn 28). Bei den meisten Rechtsgeschäften kommt es außer auf die Interessen des Erklärenden auf die Interessen des Erklärungsempfängers an. Die empfangsbedürftigen Willenserklärungen berühren auch die Interessen des Empfängers, da dieser in der Lage sein muss, sich auf die durch die Erklärung geschaffene Rechtslage einzustellen. Deshalb ist er regelmäßig in seinem Vertrauen auf das Erklärte zu schützen (Rn 19). Der Erklärungsempfänger ist aber dann nicht schutzbedürftig, wenn er trotz der vom Willen des Erklärenden abw Erklärung richtig erkennt, was der Erklärende gewollt hat (BGH 71, 243, 247; NJW 1984, 721; NJW-RR 1987, 1284; MüKo/Busche Rn 14; Pal/Ellenberger Rn 8). Dabei spielt es keine Rolle, ob der Erklärende bewusst oder irrtümlich einen Wortlaut gewählt hat, der seinem wirklichen Willen nicht entspricht. Wenn der Erklä338

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rungsempfänger weiß, was der Erklärende will, vertraut er nicht auf das Erklärte, so dass trotz seiner grds Schutzbedürftigkeit entgegen dem Wortlaut das vom Erklärenden Gewollte gelten kann. Der übereinstimmende Wille von Vertragsparteien geht danach sowohl einem völlig eindeutigen Wortlaut als auch jeder anderen möglichen Interpretation vor. Hauptbeispiel ist der Fall der irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung (falsa demonstratio, RG 99, 147, 148; BGH 71, 243, 247; 87, 150, 152; NJW 2008, 1658, 1659; Staud/Singer Rn 13f). Diese Grundsätze gelten auch für formgebundene Geschäfte: Sie dürfen gleichfalls nicht in einem anderen als dem von den Parteien übereinstimmend gewollten Sinne ausgelegt werden (BGH 74, 116, 119; 87, 150, 153; NJW 1988, 265; 2008, 1658, 1659); das gilt auch für die Auflassung als Grundlage einer Grundbucheintragung (BGH NJW 2002, 1038, 1039). Die Grundsätze der falsa demonstratio sind ferner auch auf In-sich-Geschäfte anwendbar (BGH LM § 166 Nr 5; NJW 1991, 1730, 1731). Mangels eines feststellbar übereinstimmenden Parteiwillens kann auf einseitige Vorstellungen einer Partei abzustellen sein, wenn der Erklärungsempfänger den wirklichen Willen des Erklärenden erkennt und in dieser Kenntnis den Vertrag abschließt; nicht erforderlich ist, dass er sich den erkannten Willen des anderen auch zu eigen macht (BGH NJW-RR 1989, 931; NJW 1997, 1778, 1779; 1998, 3196). bb) Normative Auslegung. Hier wird nicht der wirkliche Wille des Erklärenden, sondern die objektive Bedeutung der Erklärung ermittelt. Ziel dieser Auslegung ist es, den Interessen des Erklärungsempfängers gerecht zu werden. Dieser muss zwar auch die Erklärung auslegen, um den wirklichen Willen des Erklärenden zu ermitteln; er hat dabei alles zur Auslegung geeignete Material (zB die Vorkorrespondenz) heranzuziehen. Gelangt der Empfänger i Erg trotzdem zu einem anderen als dem wirklichen Willen des Erklärenden, so ist es interessengerecht, dem Vertrauensschutz des Empfängers den Vorrang vor den Erfolgsinteressen des Erklärenden zu geben, zumal dieser den Fehler bei der Erklärung verursacht hat. Deshalb gilt nicht das vom Erklärenden wirklich Gewollte, sondern ausschließlich das, was der Empfänger aufgrund der Erklärung als das vom Erklärenden Gewollte ansehen kann. Demnach ist für die normative Auslegung entscheidend, wie die Erklärung bei der dem Erklärungsempfänger zumutbaren Sorgfalt zu verstehen ist (Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont, RG 119, 21, 25; BGH 36, 30, 33; 47, 75, 78; 103, 275, 280; NJW-RR 1997, 669; Pal/Ellenberger Rn 9; Soergel/Hefermehl Rn 14; Staud/Singer Rn 18ff). Maßgeblich sind nur solche Umstände, die dem Erklärungsempfänger bekannt oder zumindest für ihn erkennbar waren (BGH NJW 2006, 3777, 3778). Dies bedeutet freilich auch, dass der Erklärungsempfänger gehalten ist, unter Berücksichtigung aller für ihn erkennbaren Umstände zu ermitteln, in welchem Sinn die Erklärung gemeint ist (BAG NJW 2006, 2284, 2286; Pal/Ellenberger Rn 9). b) Ergänzende Auslegung. Sie bedeutet die Ergänzung des lückenhaften Rechtsgeschäfts. Ergänzt werden kann sowohl ein Vertrag als auch ein einseitiges Rechtsgeschäft (zB Testament, vgl etwa BayObLG NJW 1988, 2744; NJW-RR 1997, 1438). Die erg Auslegung des Vertrags setzt erst ein, nachdem durch natürliche oder normative Auslegung der einzelnen Willenserklärung ein Vertragsschluss bejaht worden ist. Die erg Auslegung darf allerdings weder zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen (BGH 9, 273, 278; 40, 91, 103; NJW 1982, 2190, 2191; NJW-RR 2015, 183, 184f) noch in sonstiger Weise von der erkennbaren Gestaltung der vertraglichen Beziehungen durch die Parteien abweichen. Der geäußerte Wille der Parteien ist stets zu respektieren; er ist bei der erg Auslegung konsequent weiterzudenken (BGH NJW 1995, 1212, 1213; Medicus/Petersen AT Rn 343). Die erg Auslegung setzt eine Lücke im Rechtsgeschäft = planwidrige Unvollständigkeit voraus (BGH 40, 91, 103; 77, 301, 304; NJW 2002, 1261, 1262; NJW-RR 2007, 687, 690). Ob das der Fall ist, muss durch Auslegung des Rechtsgeschäfts ermittelt werden. Sie darf jedoch nicht bei der Ermittlung des Geschäftswillens stehen bleiben; sie muss darüber hinaus die Motive und Umstände erforschen, die zu dem Geschäftswillen geführt haben. Eine Lücke liegt dann vor, wenn das Rechtsgeschäft eine Regelung nicht enthält, die notwendig ist, um den ihm zu Grunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre (BGH NJW 2001, 600, 602; NJW-RR 2005, 205, 206; 2007, 687, 690). Eine Lücke liegt nicht vor, wenn die Regelung nach dem Willen der Parteien abschließend sein sollte (BGH 2, 379, 385; Pal/Ellenberger § 157 Rn 8). Keine Rolle spielt es, ob die Lücke von Anfang an bestand oder erst später entstand (BGH 84, 1, 7; NJW-RR 2008, 562, 563; NJW 2016, 1718, 1725). Eine erg Auslegung kommt nur dann in Betracht, wenn die Lücke nicht durch Anwendung des dispostiven Gesetzesrechts geschlossen werden kann (BGH 40, 91, 103; 77, 301, 304; NJW 1982, 2190, 2191; NK/Looschelders § 157 Rn 20). Für die erg Vertragsauslegung ist daher nur Raum, wenn das dispostive Gesetzesrecht keine oder keine interessengerechte Lösung für das Problem enthält (Pal/Ellenberger § 157 Rn 6) oder der Rückgriff auf das dispositive Gesetzesrecht dem mutmaßlichen Parteiwillen widerspricht (BGH NJW 1975, 1116, 1117; NJW-RR 1990, 817, 818f). Für die Schließung der regelungsbedürftigen Lücke ist bei einem Vertrag zu ermitteln, was beide Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen gewollt hätten, wenn sie den nicht bedachten Umstand berücksichtigt und hierbei die Gebote von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte beachtet hätten (BGH 9, 273, 278f; NJW 2002, 2310, 2311; NJW 2006, 54, 55; NJW-RR 2008, 562, 563). Entscheidend ist also nicht der wirkliche, sondern der hypothetische Wille beider Vertragsparteien. Zur Ermittlung dieses Willens ist von den im Vertrag getroffenen Wertungen der Parteien auszugehen (BGH NJW 2002, 2310, 2311; NJW-RR 2005, 1421, 1422; 2013, 494, 495). Ausnahmsweise ausgeschlossen ist die erg Auslegung, wenn die Lücke auf verschiedene Weisen geschlossen werden kann und keine Anhaltspunkte bestehen, welche Alternative die Parteien gewählt hätten (BGH 62, 83, 89f; NJW-RR 2005, 1619, 1621; NK/Looschelders § 157 Rn 26). Arnold

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6. Einzelheiten zur Auslegung. a) Maßgeblichkeit des Wortlauts und der Begleitumstände. Für die Auslegung der Willenserklärung ist letztlich das Gesamtverhalten des Erklärenden maßgeblich (MüKo/Busche Rn 55). Den Ausgangspunkt bildet dabei der Wortlaut der Erklärung (BGH 124, 39, 44f; NJW 1998, 900, 901; 2001, 144; BAG NJW 2010, 394, 396; NJW-RR 2016, 1032, 1033). Diese wird regelmäßig im üblichen Wortsinn zu verstehen sein (BGH 121, 14, 16; München NJW-RR 1996, 239). Jedoch warnt § 133 selbst vor einer Überschätzung des Wortlauts; es hat keine „Buchstabeninterpretation“ zu erfolgen (BAG NJW 2010, 394, 396; Pal/Ellenberger Rn 14). Spracheigentümlichkeiten des Erklärenden, insb mangelnde Beherrschung von Fachterminologie bei Laien, sind zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 1996, 1044). Auch die Verwendung juristischer Fachausdrücke zwingt nicht zu der Annahme eines entspr präzisierten Willens, insb nicht bei der Erklärung eines juristischen Laien (vgl RG 89, 398, 400 – Rücktritt als Kündigung; BAG NJW 1998, 3515, 3516f – kein Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts durch Vereinbarung eines Kündigungsrechts aus bestimmten, als wichtig bezeichneten Gründen; vgl aber auch LAG Köln NZA 1996, 319 – Bezeichnung eines Vertrags als „Arbeitsvertrag“ als bindend). Die Auslegung hat nicht beim Wortlaut der Erklärung stehenzubleiben. Vielmehr sind auch die Begleitumstände zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003; NJW 2013, 598, 599; MüKo/Busche Rn 55). Das gilt auch für die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen, soweit der Erklärungsempfänger die Umstände kannte oder erkennen konnte (BGH NJW 2006, 3777, 3778; Pal/Ellenberger Rn 15). In Betracht kommen alle, auch außerhalb der Erklärung liegenden Umstände wie Äußerungen ggü anderen Personen, Prospekte, Inhalt der Vertragsverhandlungen (BGH 86, 41, 47; NJW 2002, 1260, 1261; 2004, 2232, 2233), Entwürfe, die Entstehungsgeschichte insgesamt (BGH NJW 1987, 2437, 2438; 1999, 3191) sowie dem Vertragsschluss nachfolgendes Verhalten von Beteiligten, soweit es Rückschlüsse auf den wirklichen Vertragswillen erlaubt (BGH NJW 2005, 3205, 3207; NJW-RR 1997, 238; 1998, 259). b) Zweck. Der Zweck des Geschäfts ist für die Auslegung von besonderer Bedeutung (BGH 2, 379, 385; 109, 19, 22; NJW 2007, 2320, 2322; NJW-RR 2016, 1032, 1033). Es ist von dem Erfahrungssatz auszugehen, dass die Vertragsparteien auch bei einem unzulänglichen oder widerspruchsvollen Wortlaut mit dem Vertragsabschluss einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck ins Auge gefasst und verfolgt haben (BGH 20, 109, 110). c) Interessenlage. Die Interessen der Beteiligten sind als Motive der Erklärung von besonderer Bedeutung zur Aufklärung von Zweifelsfragen (BGH 21, 319, 328; 109, 19, 22). Auch Treu und Glauben erfordern die Berücksichtigung der von den Beteiligten mit der Erklärung verfolgten billigenswerten Interessen als Abgrenzungsmerkmal. Verträge sind deshalb beiderseits interessengerecht auszulegen (BGH 131, 136, 138; 146, 280, 284; NJW 1994, 2228, 2229; 2002, 747, 748). Bestehen mehrere Möglichkeiten der Auslegung, so ist derjenigen der Vorrang einzuräumen, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führt (BGH NJW-RR 2006, 237, 238). Abzustellen ist dabei auf den Einfluss, den das Interesse beider Seiten auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen hatte (BGH NJW 1998, 3268, 3269f; 2001, 1928f; NJW-RR 2010, 773, 774). Maßgebend ist die Interessenlage bei Abgabe der auszulegenden Willenserklärung, nicht die Interessenlage bei der späteren richterlichen Entscheidung (BGH NJW 1998, 3268, 3269f; 2001, 1928f). d) Verkehrssitte. Die Verkehrssitte (§ 157 Rn 8ff) ist auch im Rahmen des § 133 bedeutsam. Dabei kann es sich um einen allg, aber auch um einen örtlich (betrieblich) begrenzten Brauch der beteiligten Kreise handeln. Erforderlich für die Annahme einer Verkehrssitte ist es allerdings, dass diese bei den beteiligten Verkehrskreisen Zustimmung gefunden und während eines längeren Zeitraums bestanden hat (BGH NJW 1952, 257; 1990, 1723, 1724). Bei Kaufleuten sind die Handelsbräuche zu beachten (vgl § 346 HGB), beim Börsenhandel die dortigen Bräuche (vgl RG JW 1922, 707; BGH 28, 259, 264). Verkehrssitten sind bei der Auslegung nicht zu berücksichtigen, wenn ein entgegenstehender Wille der Parteien erkennbar ist (RG 114, 9, 12). Dagegen spielt es keine Rolle, dass eine Partei die Verkehrssitte nicht kannte (vgl Frankfurt NJW-RR 1986, 911, 912). e) Gesetzeskonforme Auslegung. Willenserklärungen sind möglichst gesetzeskonform auszulegen. Der Erklärende will im Zweifel im eigenen wohlverstandenen Interesse den angestrebten rechtlichen Erfolg mit rechtswirksamen Mitteln herbeiführen. Dem entspricht nur eine Auslegung, die zwingend vorgegebenen rechtlichen Möglichkeiten Rechnung trägt (BGH NJW 2003, 819, 820; 2004, 1240; BGH 17.3.2011 – I ZR 93/09; BAG ZIP 1996, 1912, 1913). Allerdings müssen bei diesem Ansatz die Grenzen der (erg) Auslegung beachtet werden. Nicht jeder Konflikt einer Willenserklärung mit zwingenden rechtlichen Vorgaben lässt sich mit Hilfe der (erg) Auslegung ausräumen (vgl Tiedtke ZIP 1987, 1089, 1092). f) Vernünftige Auslegung. Zu berücksichtigen sind auch der Regelungszusammenhang, die Systematik, die Grundtendenzen sowie das Gesamtbild eines Vertrags und/oder sonstiger Vertrags- oder Geschäftsbeziehungen zw den Beteiligten. Komplexe Regelungen – etwa eines Bauvertrags – sind als sinnvolles Ganzes auszulegen (BGH NJW 1999, 2432, 2433; 2005, 2618, 2619). Im Zweifel ist davon auszugehen, dass die Parteien das Vernünftige gewollt haben (BGH 79, 16, 18; NJW-RR 2003, 1136). g) Sonderregeln für formgebundene Rechtsgeschäfte? Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für die Auslegung formgebundener Erklärungen; eine Andeutung in der Urkunde ist nicht erforderlich (gegen die Andeutungstheorie: § 125 Rn 28; vgl zur Auslegung formgebundener Erklärungen auch oben Rn 3). 7. Besondere Auslegungsregeln. Das Gesetz hält für Einzelfälle besondere Auslegungsregeln bereit. Ihr Zweck kann ua darin liegen, ein bestimmtes Auslegungsergebnis zu erreichen, wenn die Erklärung von den Beteiligten 340

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Willenserklärung

§ 133

in verschiedener Bedeutung gemeint und verstanden war und keine dieser Bedeutungen sich zweifelsfrei als maßgebende erkennen lässt (sog materiale Auslegungsregeln; Wolf/Neuner AT § 35 Rn 52ff). Bsp: §§ 186ff; 311c; 364 II. a) Normenverträge. Tarifverträge gelten nicht nur für die Vertragsparteien, sondern hins ihres normativen Teils für eine große Zahl von Personen. Deshalb sollen insoweit die Regeln über die Gesetzesauslegung Anwendung finden (BAG NJW 1961, 1837; NZA 1989, 351, 352). Jedenfalls ist bei einer Auslegung vom Empfängerhorizont aus darauf abzustellen, wie jeder beliebige Normadressat das Erklärte verstehen musste (MüKo/Busche Rn 40), so dass idR solche Verträge aus sich selbst heraus auszulegen sind (BAG AP Nr 121, 124 § 1 TVG Auslegung). Eine erg Auslegung von Tarifverträgen bei zwischenzeitlich geänderten Umständen kommt im Regelfall nicht in Betracht; denn die Anpassung der Tarifregelungen an die veränderten Umstände ist grds Sache der Tarifpartner (BAG DB 1967, 820; 1982, 608). Die gleichen Grundsätze gelten für die Auslegung des normativen Teils von Betriebsvereinbarungen (ErfK/Kania § 77 BetrVG Rn 30; Pal/Ellenberger Rn 28). b) Vereins- und Gesellschaftsrecht. Die körperschaftlichen (materiellen) Regelungen in Satzungen von Vereinen (BGH 47, 173, 180; 96, 245, 250) und Aktiengesellschaften (BGH 123, 347, 350; KK-AktG/Arnold § 23 Rn 20 mwN; s allg zur Auslegung von Gesellschaftsverträgen auch Fleischer DB 2013, 1366ff; Schockenhoff ZGR 2013, 76ff) sowie in GmbH-Gesellschaftsverträgen (s etwa Baumbach/Hueck/Fastrich § 2 GmbHG Rn 29 mwN) sind objektiv auszulegen: Maßgeblich sind damit Wortlaut, systematische Stellung und Zweck der fraglichen Bestimmung (BGH 96, 247, 259; 123, 347, 350). Daneben können auch Unterlagen, die zum Handels- oder Vereinsregister eingereicht wurden und damit der Allgemeinheit zugänglich sind, für die Auslegung herangezogen werden (BGH 116, 359, 366; skeptisch Grunewald ZGR 1995, 68, 84). Dagegen können außerhalb der Satzung liegende Umstände nur berücksichtigt werden, wenn ihre Kenntnis allg vorausgesetzt werden kann (BGH 63, 282, 290; 123, 347, 350). Der Wille der Gründer ist also grds irrelevant. Diese Grundsätze gelten allerdings nicht für lediglich formelle Satzungsbestimmungen (s eingehend KK-AktG/Arnold § 23 Rn 19). Objektiv auszulegen sind auch die Gesellschaftsverträge von Publikumspersonengesellschaften (BGH NJW-RR 2005, 1347, 1348; 2008, 419, 420; 2011, 3087, 3088). c) Wertpapierrecht. Bei Wechseln und anderen Umlaufpapieren muss der Erwerber sich regelmäßig auf den Inhalt der Urkunde verlassen können; nur ausnahmsweise dürfen bei der Auslegung Umstände außerhalb der Urkunde herangezogen werden, wenn sie dem Erwerber mutmaßlich bekannt sind oder von ihm ohne Schwierigkeit erkannt werden können (BGH 21, 155, 162; 64, 11, 14). d) Grundbuchverkehr. Für Grundbucherklärungen gelten nach hM wegen des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs einschränkende Grundsätze. Die Eintragung selbst ist einer Auslegung nur zugänglich, soweit sie unklar oder widersprüchlich ist (BGH 123, 297, 301f; NJW-RR 1998, 158). Zur Auslegung dürfen neben der Eintragung selbst nur die offenkundigen und die aus den Eintragungsunterlagen, insb aus der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung ersichtlichen Umstände herangezogen werden; die außerhalb dieser Urkunden liegenden Umstände dürfen nur berücksichtigt werden, wenn sie für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BGH 47, 190, 196; 59, 205, 209; 92, 351, 355; 113, 374, 378). Für die Auslegung von Vollmachten zur Abgabe von Grundbucherklärungen gelten die für diese Erklärungen selbst aufgestellten Grundsätze entspr (BayObLG NJW-RR 1995, 209, 210; 1998, 737, 738). e) Zur Auslegung von AGB und Formularverträgen § 157 Rn 26; § 305c Rn 19ff; § 306 Rn 13f. f) Unterlassungsverpflichtungen. Die Auslegung von Unterlassungsverträgen richtet sich nach den allg Grundsätzen der Vertragsauslegung (BGH 121, 13, 16; NJW 1997, 3087; NJW 2015, 1246, 1247). Auf die Grundsätze zur Auslegung eines Unterlassungstitels ist hingegen nicht zurückzugreifen (BGH NJW-RR 1991, 1318, 1319). Der Zweck des Unterlassungsvertrags, nach einer Verletzungshandlung eine Wiederholungsgefahr durch eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungserklärung auszuräumen, spricht vielfach für eine Auslegung des Vertrags, durch die auch gleichartige Verletzungsformen erfasst werden (BGH NJW 1996, 723, 724; 1997, 3087f). 8. Auslegung im Rechtsstreit. a) Allgemeines. Die Auslegung der Willenserklärung ist rechtliche Würdigung (BGH NJW 1984, 721) und im Prozess von Amts wegen vorzunehmen (RG 131, 343, 350). Der Richter ist insoweit an das Vorbringen der Parteien nicht gebunden (RG LZ 1930, 513); die Prozesspartei hat keine Behauptungs- und Beweislast für eine bestimmte Auslegung (RG Recht 1931 Nr 840), sondern nur für die von ihr geltend gemachten auslegungsrelevanten tatsächlichen Umstände (Rn 39). Bei widersprüchlich erscheinenden Willenserklärungen muss der Richter zu ergründen versuchen, welche Überlegungen und Vorstellungen ihnen zugrunde lagen (BGH NJW 1986, 1035). Behauptet eine Partei einen für die Auslegung relevanten Umstand (zB ein vor Vertragsschluss geführtes Telefongespräch, einen übereinstimmenden Parteiwillen, eine Verkehrssitte) und wird dieser vom Gegner bestr, so hat sie dafür die Beweislast (BGH 20, 109, 111); denn es handelt sich um eine Tatsachenbehauptung. Ist die Existenz einer Urkunde unstr oder zur Überzeugung des Gerichts bewiesen und bringt der Urkundentext nach Wortlaut und innerem Zusammenhang unter Berücksichtigung der Verkehrssitte einen bestimmten Geschäftsinhalt zum Ausdruck, greift die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Urkunde ein (BGH NJW 2002, 3164, 3165; s auch § 125 Rn 29); wer also – gestützt auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände – behauptet, dass die Urkunde das Geschäft unrichtig darstelle oder eine Nebenabrede nicht enthalte, ist für diese Umstände beweispflichtig (BGH NJW 1999, 1702f; 2002, 3164, 3165). Das gilt auch für den, der eine Abweichung von einer gesetzlichen Auslegungsregel vorbringt. Arnold

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b) Besonderheiten in der Revisionsinstanz. Für die Nachprüfung in der Revisionsinstanz gilt auch hier die Unterscheidung zw nicht revisiblen Tatsachenfeststellungen und revisiblen Rechtsausführungen. Danach ist die Auslegung als rechtliche Würdigung überprüfbar. Sofern es sich um eine individuelle, nichttypische Erklärung handelt, wird vom Revisionsgericht aber nur geprüft, ob (gesetzlich oder allg anerkannte) Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt worden sind (RG 131, 347, 350; BGH NJW 1992, 1967, 1968; 2001, 1859, 1861; 2010, 64, 65; BAG NZA 2003, 149, 153; NJW 2006, 1832, 1833; 2007, 250, 253; NJW 2015, 1246, 1247). Zu den Erfahrungssätzen wird auch ein allg Sprachgebrauch gerechnet (RG 105, 417, 419). Überprüfbar ist ebenfalls, ob der Tatrichter das wesentliche Auslegungsmaterial berücksichtigt hat (BAG AP Nr 2; BGH NJW 1995, 45, 46; 1998, 3268, 3269f; 2010, 2648). Wenn das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler zu einem bestimmten Auslegungsergebnis gekommen ist, darf das Revisionsgericht kein anderes Ergebnis an dessen Stelle setzen (BGH NZM 1998, 196, 197). Falls der Tatsachenrichter in einer Auslegungsfrage fehlerhaft rechtlich gewertet oder eine abgegebene Erklärung überhaupt nicht ausgelegt hat, kann das Revisionsgericht die Auslegung selbst vornehmen, wenn die Feststellung weiterer Umstände sowie von Erfahrungswissen oder Verkehrssitten durch die Tatsacheninstanz nicht mehr in Betracht kommt (BGH 65, 107, 112; NJW 1974, 1082; 1997, 652); ansonsten ist der Rechtsstreit an den Tatrichter zurückzuverweisen. Das gilt auch für die erg Vertragsauslegung (BGH NJW 1998, 1219f). Bei einer typischen Erklärung (zB AGB, Formularabrede, Vordruck, im Geschäftsverkehr häufig verwendete Klausel) soll dagegen im Interesse der Rechtssicherheit eine uneingeschränkte Überprüfung erfolgen, wenn die Klausel nicht nur im Bezirk eines OLG (vgl § 549 I ZPO) verwandt wird (BGH 62, 251, 254; 105, 24, 27; NJW 2001, 1270, 1271; 2009, 2054, 2055; BAG NZA 2000, 771, 772; NZA-RR 2005, 672; einschränkend für Klauseln aus einem Formularbuch BGH NJW-RR 2015, 67, 68). Ebenso ist bei Satzungen jur Pers eine vollständige Überprüfung möglich (BGH 14, 25, 36; NJW 1994, 184, 185).

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Gesetzliches Verbot

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. I. Bedeutung. § 134 schränkt die Privatautonomie zum Schutze der Allgemeinheit ein (BGH 13, 180, 182). In der Regelung schlägt sich das Prinzip nieder, dass es Vertragsfreiheit nur in den Grenzen der ihr vorgegebenen Rechtsordnung geben kann. Deshalb wird einem Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt – unabhängig vom Willen der Beteiligten (RG 111, 26, 28; BGH 58, 231, 235) – die Wirksamkeit versagt, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. II. Abgrenzung. 1. Spezialvorschriften. Bezeichnet eine Norm ein Rechtsgeschäft ausdr als nichtig oder unwirksam (zB im BGB §§ 248 I, 306ff, 311b II und IV, 451, 723 III, 925 II, 1136, 1229, 2289 I 2; ferner etwa § 12 ApG oder § 297 SGB III für den Bereich der Arbeitsvermittlung), so ist für eine Anwendung des § 134 kein Raum mehr. 2. Beschränkungen der Gestaltungs- und Verfügungsmacht. Rechtsnormen, die rechtsgeschäftliche Gestaltungs- und Verfügungsmacht von vornherein beschränken, unterfallen nicht § 134. So begründet der sachenrechtliche Typenzwang kein Verbotsgesetz (NK/Looschelders Rn 42). Auch der Ausschluss der Übertragbarkeit bestimmter Rechte (zB §§ 399, 400, 473, 719, 1059) wird von § 134 nicht erfasst. Gleiches gilt für personenbezogene Einschränkungen der Verfügungsbefugnis (zB §§ 21 II 1 Nr 2, 80 InsO; §§ 1984, 2211). Sie verbieten Rechtsgeschäfte nicht wegen ihres Inhalts, sondern entziehen die Rechtsmacht, sie vorzunehmen, so dass § 134 nicht eingreift. 3. Relative Veräußerungsverbote (§§ 135f) bezwecken – im Gegensatz zum absoluten Veräußerungsverbot – nicht den Schutz der Allgemeinheit, sondern den Schutz bestimmter Personen. Deshalb ist § 134 nicht anwendbar. 4. Zustimmungserfordernisse und öffentlich-rechtl Genehmigungserfordernisse. Ist die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von der (privatrechtlichen) Zustimmung (Einwilligung/Genehmigung) einer weiteren Person abhängig (Bsp: §§ 177, 1365f), ist § 134 nicht anwendbar, da auch in diesem Fall allein das rechtsgeschäftliche Können beschränkt ist (NK/Looschelders Rn 44). Das Gleiche gilt i Erg, wenn zur Gültigkeit des Rechtsgeschäfts eine öffentlich-rechtl Genehmigung erforderlich ist; denn das Erfordernis der Genehmigung soll nicht – wie ein Verbotsgesetz oder zB das absolute Veräußerungsverbot – den Abschluss des Rechtsgeschäfts verhindern. Vielmehr soll eine Überprüfung sichergestellt werden mit dem Ziel, zu klären, ob das Geschäft mit den Allgemeininteressen übereinstimmt. Deshalb ist zumindest das mehrseitige Geschäft bis zur Entscheidung schwebend unwirksam (BGH 32, 383, 389; NJW 1993, 648, 650; 1995, 318, 320). Das gilt auch für einen kirchlichen Genehmigungsvorbehalt (BayObLG NJW-RR 1990, 476, 477). Erst bei bestandskräftiger Versagung der Genehmigung liegt ein der Regelungssituation des § 134 vergleichbarer Sachverhalt vor (Verbotsgesetz mit Genehmigungsvorbehalt); die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts folgt dann idR freilich nicht aus § 134, sondern aus dem Fehlen der Genehmigung als einer gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzung. Auch ohne Bestandskraft soll nach BGH 127, 368 Nichtigkeit eintreten, wenn die oberste Genehmigungsbehörde förmlich bekanntmacht, dass Genehmigungen der betr Art generell versagt würden und an der Rechtmäßigkeit der Versagung keine Zweifel bestünden (BGH NJW 1995, 318, 320; s auch K. Schmidt NJW 1995, 2255, 2258). Wird einem Geschäft 342

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die Genehmigung – bestandskräftig – versagt, das tatsächlich gar nicht genehmigungsbedürftig ist, ist das Geschäft zivilrechtlich dennoch wirksam (BGH NZI 2013, 483). 5. Handlungen juristischer Personen des öffentlichen Rechts. Bei Handlungen jur Pers des öffentlichen Rechts, die ihren Wirkungskreis überschreiten, ist für § 134 kein Raum. Dagegen findet § 134 über § 59 I VwVfG auf öffentlich-rechtl Verträge Anwendung Doch soll insoweit nach hM nicht jede Gesetzeswidrigkeit zur Nichtigkeit führen, sondern es soll eines sog qualifizierten Gesetzesverstoßes bedürfen, der erfordert, dass der Vertrag einer zwingenden Rechtsnorm widerspricht, die den mitbezweckten Rechtserfolg unbedingt ausschließt, und dadurch öffentliche Belange von einigem Gewicht tangiert werden (str, BVerwG NJW 1996, 608, 609; Stelkens/Bonk/Sachs/ Bonk/Neumann § 59 VwVfG Rn 49ff; Maurer, Allg Verwaltungsrecht18 § 14 Rn 42ff mwN). Daneben gilt § 134 auch für sonstige Erklärungen im öffentlichen Recht (vgl Einl § 104 Rn 38). III. Voraussetzungen. 1. Rechtsgeschäft. § 134 gilt für alle Rechtsgeschäfte. Darunter fallen Verträge aller Art, auch Tarifverträge (BAG AP Nr 8 § 1 TVG) und Betriebsvereinbarungen, Satzungen und Beschl von Vereinen oder Gesellschaften (MüKo/Armbrüster Rn 23) sowie einseitige Rechtsgeschäfte, etwa ein Testament oder eine Kündigung. Nicht erfasst ist entgegen verbreiteter Auffassung das Vertragsangebot; denn es stellt erst die Vorstufe zu einem Vertrag dar (MüKo/Armbrüster Rn 25; aA Pal/Ellenberger Rn 12). 2. Verstoß gegen eine Verbotsnorm. a) Begriff des Verbotsgesetzes. Gesetz iSd § 134 kann jede Rechtsnorm sein (vgl Art 2 EGBGB). Verbotsgesetze können damit nicht nur förmliche Gesetze des Bundes wie auch der Länder (zu letzterem BGH 75, 366, 368), sondern auch Rechtsverordnungen und Satzungen öffentlich-rechtl Körperschaften sein (BGH NJW 1986, 2360, 2361; Hamm NJW 1985, 679, 681). In Betracht kommen sollen auch öffentlich-rechtl berufsständische Satzungen etwa der Kammern (BayObLG 2000, 301, 308; MüKo/Armbrüster Rn 30; aATaupitz JZ 1994, 221ff, da den Kammern die Kompetenz zur Regelung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse fehlen). Schließlich kann auch Gewohnheitsrecht genügen, sofern es ein bestimmtes Rechtsgeschäft unmissverständlich verwirft (BGH NJW 2007, 2106, 2108). Unklar ist, ob auch Tarifverträge als Verbotsgesetze anzusehen sind (bejahend BAG 1, 348, 352; NZA 2007, 881, 882; 2009, 679, 680; aA MüKo/Armbrüster Rn 31; Staud/Sack/Seibl Rn 24; offenlassend BGH NJW 2000, 1186, 1188). Dagegen spricht indes schon, dass Tarifverträge gem § 4 III Alt 2 TVG keine vollständig zwingenden Regelungen beinhalten; iÜ wird die Geltung der tarifvertraglichen Regelungen aber ohnehin bereits durch § 4 I, III Alt 1 TVG gewährleistet (so überzeugend Staud/Sack/Seibl Rn 24). Entspr gilt für Betriebsvereinbarungen: Auch sie müssen wegen der Spezialregelung des § 77 IV BetrVG nicht als Verbotsgesetz eingeordnet werden (Staud/ Sack/Seibl Rn 26; aA BAG 1, 3, 4; LAG Saarbrücken NJW 1966, 2136, 2137). Aus dem Grundgesetz selbst ergeben sich nur im Ausnahmefall Verbotsgesetze. Insb wirken die Grundrechte grds nur mittelbar über die Generalklauseln (§§ 138, 242, 826) auf das Zivilrecht ein (eingehend MüKo/Armbrüster Rn 34); eine Ausnahme bildet allein Art 9 III 2 GG, aus dem sich freilich die Unwirksamkeit von Abreden, die auf eine Beschränkung der Vereinigungsfreiheit zielen, bereits unmittelbar ergibt. Zudem führt die Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand zur Nichtigkeit grundrechtswidriger Rechtsgeschäfte, an denen ein öffentlich-rechtl Vertragspartner beteiligt ist (s nur BGH NJW 2003, 1658: Kündigung eines Girokontos wegen Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei). Als Verbotsgesetze anerkannt sind daneben Art 38 I 2 (LG Braunschweig DVBl 1970, 591, 592) und Art 48 II GG (BGH 43, 384, 387). Auch Regelungen des Europarechts können Verbotsgesetze darstellen. Für das Kartellverbot des Art 101 AEUV ergibt sich die Unwirksamkeit entspr Rechtsgeschäfte freilich bereits aus der Norm selbst. Ein Verbotsgesetz iSd § 134 soll aber das Beihilfeverbot der Art 107f AEUV darstellen (BGH EuZW 2003, 444, 445; 2004, 252, 253; aM im Hinblick auf die nach Art 108 AEUV gebotene Umsetzung Staud/Sack/Seibl Rn 43; Schmidt-Räntsch NJW 2005, 106, 107). Dabei genügt i Erg auch der Verstoß gegen die Notifizierungspflicht nach Art 108 III AEUV; denn selbst wenn sich es im Grundsatz nur um eine Ordnungsvorschrift handelt, ist doch zumindest das in Abs III S 3 angeordnete Durchführungsverbot als Verbotsgesetz anzusehen (BGH EuZW 2003, 444, 445). Unklar ist, ob auch die Grundfreiheiten des AEUV als Verbotsgesetze anzusehen sind oder nur mittelbar, zB über die Auslegung von Generalklauseln wie § 138 auf den Privatrechtsverkehr einwirken. Der EuGH hat namentlich eine unmittelbare Drittwirkung des aus der ArbN-Freizügigkeit folgenden Diskriminierungsverbots angenommen (etwa EuGH NJW 1975, 1093, 1094; 1996, 505ff; EuZW 2000, 375, 378 und 468, 469). Als Verbotsgesetz iSd § 134 ist ferner Art 56 AEUV angesehen worden (BVerfG NJW 2016, 3153, 3156). Vieles spricht jedoch dafür, grds wie bei den Grundrechten des GG lediglich von einer mittelbaren Drittwirkung auszugehen (wie hier MüKo/Armbrüster Rn 38 mwN). Entspr gilt für die Europäische Grundrechtecharta (Pal/Ellenberger Rn 4). Daneben können sich auch aus dem europäischen Sekundärrecht Verbotsgesetze ergeben. Dies gilt insb für die unmittelbar in jedem Mitgliedstaat geltenden Verordnungen (vgl als Bsp BGH NJW 1994, 858). RL wenden sich dagegen primär an die Mitgliedstaaten. Zwar soll ihnen bei nicht rechtzeitiger Umsetzung ausnahmsweise unmittelbare Geltung zukommen, wenn sie hinreichend bestimmt sind (vgl dazu EuGH 86, 737, 748ff; NJW 1994, 2473, 2474). Diese unmittelbare Geltung beschränkt sich aber wohl immer noch auf das Verhältnis zw Staat und Bürger. Daher kann aus einer nicht umgesetzten RL nicht generell ein Verbotsgesetz folgen, sondern allenfalls im Hinblick auf Rechtsgeschäfte zw dem Staat und Privatpersonen (Staud/Sack/Seibl Rn 45). Auch Vorschriften des Völkerrechts können Verbotsgesetze darstellen. Dies gilt insb dann, wenn ein völkerrechtlicher Vertrag über Art 59 II GG ins nationale Recht transformiert worden ist (MüKo/Armbrüster Rn 39).

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Gleiches gilt für die allg Regeln des Völkerrechts, soweit sie über Art 25 I 2 GG Bestandteil des Bundesrechts sind (Flume AT II § 17, 1, S 342). b) Anordnung eines Verbots. § 134 setzt voraus, dass die fragliche Norm das Rechtsgeschäft verbietet. Ob eine Rechtsnorm ein Verbot enthält, lässt sich nicht aus § 134 entnehmen, sondern ist durch Auslegung der einzelnen Rechtsvorschrift zu ermitteln (BGH 85, 39, 43). Anhaltspunkt kann der Wortlaut sein. So deuten idR Formulierungen wie „kann nicht“, „darf nicht“ auf eine Verbotsnorm hin, während „soll nicht“ regelmäßig kein Verbot bedeutet; jedoch ist stets zu prüfen, ob zB mit den Worten „kann nicht“ schon das Können, also die Rechtsmacht, eingeschränkt wird (s schon Rn 3f). Soweit eine Vorschrift abdingbar ist, handelt es sich nicht um ein Verbotsgesetz. Andererseits darf aus dem zwingenden Charakter einer Rechtsnorm nicht allg auf das Vorliegen eines Verbotsgesetzes geschlossen werden (NK/Looschelders Rn 49). c) Verstoß gegen das Verbot. Für die Anwendung des § 134 reicht ein objektiver Verstoß gegen das Verbotsgesetz grds aus (st Rspr, vgl BGH 37, 363, 366; 122, 115, 122); auf die Kenntnis der Verbotswidrigkeit kommt es nicht an. Bei einem Verstoß gegen eine Strafvorschrift muss allerdings idR der Straftatbestand objektiv und subjektiv erfüllt sein (BGH NJW 1996, 1812, 1813; Flume AT II § 17, 3); dies kann jedoch nicht gelten, wenn es – wie zB bei § 203 StGB – mit dem Schutzzweck des Gesetzes nicht vereinbar wäre, das Rechtsgeschäft mit seinen vertraglichen Pflichten wegen fehlenden Verschuldens gelten zu lassen (BGH 115, 123, 130; s auch differenzierend NK/Looschelders Rn 52). d) Maßgeblicher Zeitpunkt. In zeitlicher Hinsicht ist es erforderlich, dass das Verbotsgesetz bereits bei Vornahme des Rechtsgeschäfts erlassen war (Düsseldorf NJW-RR 1993, 249, 250; MüKo/Armbrüster Rn 20; offenlassend BGH 45, 322, 326). Eine abw Lösung ist grds nur denkbar, soweit es sich ausnahmsweise um einen Fall zulässiger Gesetzesrückwirkung handelt. Bei Dauerschuldverhältnissen kann der Erlass eines Verbotsgesetzes aber zur Nichtigkeit ex nunc führen, wenn der Zweck des Verbotsgesetzes dies erfordert (BGH WRP 2003, 1131, 1133). Zum nachträglichen Wegfall des Verbotsgesetzes s Rn 21. 3. Reichweite des Verbotsgesetzes. Nicht jeder Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot führt zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Nach § 134 ist ein Rechtsgeschäft wegen Gesetzesverstoßes nur dann nichtig, „wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“. Ob trotz Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot das Rechtsgeschäft gültig ist, muss durch Auslegung der Verbotsnorm ermittelt werden. Dabei ist entscheidend auf den Sinn und Zweck der Verbotsnorm abzustellen (vgl BGH 45, 322, 326; 53, 152, 156; 115, 123, 125; NJW 2000, 1186, 1187; Medicus/Petersen AT Rn 646). § 134 greift vor allem ein, wenn ein Rechtsgeschäft einen verbotenen Inhalt hat. Ein Verpflichtungsgeschäft wird deshalb regelmäßig gegen § 134 verstoßen, wenn seine Ausführung, also die geschuldete Handlung, dem gesetzlichen Verbot widerspräche. Richtet ein Verbotsgesetz sich hingegen nur gegen die Art und Weise des Abschlusses des Rechtsgeschäfts, so führt ein Verstoß im Zweifel nicht zur Nichtigkeit des Geschäfts (zB Verkauf nach gesetzlicher Ladenschlusszeit, etwa am Sonntag; Ausschank nach Polizeistunde, RG 103, 263, 264; Verkauf rezeptpflichtiger Arznei ohne Rezept, BGH NJW 1968, 2286). Dasselbe gilt idR, wenn sich ein Verbotsgesetz nur gegen einen Vertragspartner richtet (RG 100, 39, 40f; BGH 37, 258, 262; 46, 24, 26; 53, 152, 157; 71, 358, 360f; 78, 263, 264; 93, 264, 267; 115, 123, 125; 118, 142, 145; NJW 1968, 2286f; 1981, 1204, 1205; 1984, 230, 231; 1994, 728f; 2000, 1186), es sei denn, dass es mit Sinn und Zweck des Verbots nicht vereinbar wäre, die durch das Geschäft getroffene Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen (BGH 37, 258, 262; 46, 24, 26; 65, 368, 370; 71, 358, 360f; 78, 263, 265; 88, 240, 243; 93, 264, 267; 110, 235, 240; 115, 123, 125; 118, 142, 145; NJW 2000, 1186, 1187). Danach ist ein Rechtsgeschäft grds wirksam, wenn die Handlung nur eines Vertragspartners unter Strafe gestellt ist. Allerdings kann sich auch hier aus Sinn und Zweck des Gesetzes, vor allem aus dem angestrebten Schutz des Vertragsgegners (BGH 89, 369, 373; 93, 264, 267; NJW 1979, 2092), Dritter (BGH 115, 123, 129f; BGH VersR 1992, 448f) oder der Allgemeinheit die Nichtigkeit des Geschäfts ergeben. IV. Einzelheiten zur Nichtigkeit. 1. Einschränkung über § 242. Der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz führt zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts von Anfang an; die Nichtigkeit ist danach die regelmäßige, nicht von weiteren Voraussetzungen abhängige Folge des Gesetzesverstoßes. Allerdings kann die Berufung auf die Nichtigkeit im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen, so etwa, wenn ein Vertrag über ärztliche Wahlleistungen zwar unwirksam ist, die Leistungen jedoch über einen langen Zeitraum abgerufen, beanstandungsfrei erbracht und honoriert worden sind (BGH NJW-RR 2007, 710, 711). Ebenso nahm die Rspr früher an, dass sich ein Bauunternehmer treuwidrig verhalte, wenn er die Beseitigung von Baumängeln unter Hinw auf die Nichtigkeit des Vertrags wegen einer „Ohne-Rechnung-Abrede“ verweigert (BGH NJW-RR 2008, 1050, 1051). Von dieser Linie ist der BGH jedoch inzwischen vor dem Hintergrund des § 1 II Nr 2 SchwarzArbG zu Recht abgerückt (BGH NJW 2013, 3167, 3169f). Die Regelung soll jedenfalls dann die Vertragsnichtigkeit zur Folge haben, wenn ein vorsätzlicher Verstoß des Unternehmers vorliegt und der Besteller diesen kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt; Mängelansprüche des Bestellers sollen in diesem Fall ausgeschlossen sein. 2. Reichweite der Nichtigkeit. Der Verstoß gegen das Verbotsgesetz kann zur Nichtigkeit des Verpflichtungs-, aber auch des Verfügungsgeschäfts führen. Richtet sich das Verbotsgesetz gegen den Inhalt des Rechtsgeschäfts, führt ein Gesetzesverstoß grds zur Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts. Verbietet das Gesetz etwa eine bestimmte Tätigkeit (zB grds die Beschäftigung Jugendlicher unter 15 Jahren, § 7 I JArbSchG), so ist ein darauf gerichtetes Rechtsgeschäft (zB Arbeitsvertrag mit einem solchen Jugendlichen) nichtig. Wenn durch das Verbotsgesetz dagegen nicht allein der Inhalt des Verpflichtungsgeschäfts missbilligt, sondern darüber hinaus auch eine 344

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Willenserklärung

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Verschiebung der Güter untersagt wird, führt das zur Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts; typisches Bsp ist die Nichtigkeit von Forderungsabtretungen, die in ihrem Kontext mit § 203 StGB unvereinbar sind (BGH 115, 123, 130f; NJW 1992, 2348). Gleiches gilt für das Verbot des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, aus dem auch die Nichtigkeit der Übereignung des als Kaufpreis gezahlten Geldes folgt (BGH NJW 1983, 636). Umgekehrt erfasst die Nichtigkeit des Erfüllungsgeschäfts idR auch das Verpflichtungsgeschäft (BGH 116, 268, 276f; NJW 1995, 2026, 2027). Im Zweifel führt der Verstoß gegen das Verbot nicht nur zur Teilnichtigkeit, sondern zur Gesamtnichtigkeit des Geschäfts. Es entfällt also nicht nur der Anspruch auf die verbotene Vornahme der Leistungshandlung; vielmehr ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig (BGH LM Nr 70 gegen Flume AT II § 17, 4). Der Gesetzeswortlaut „wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“ bedeutet allerdings auch „soweit sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“. Die Regelung eröffnet damit die Möglichkeit zu Lösungen zw den Alternativen Gesamtnichtigkeit und Gesamtwirksamkeit. Die Rechtspraxis kommt zu einer quantitativen Beschränkung der Nichtigkeit etwa im Preisrecht. So kann der Verstoß gegen eine Preisvorschrift dazu führen, dass das Rechtsgeschäft als zum zulässigen Preis abgeschlossen gilt (BGH 51, 174, 181; 89, 316, 319). Einschränkungen der Nichtigkeitsfolge ergeben sich iÜ regelmäßig im Arbeits- und Gesellschaftsrecht aufgrund der Grundsätze über das fehlerhafte Arbeitsverhältnis bzw die fehlerhafte Gesellschaft. In diesen Fällen wird die Nichtigkeitsfolge zumindest für die zu schützende Vertragspartei zeitlich (auf die Zukunft) verschoben (Nichtigkeit ex nunc; vgl nur Staud/Sack/Seibl Rn 121ff, 128ff). 3. Keine spätere Heilung. Das nichtige Geschäft bleibt auch bei nachträglicher Aufhebung des Verbots nichtig (RG 138, 52, 55; Brandenburg MDR 1995, 30). Etwas anderes gilt, wenn das Rechtsgeschäft für den Fall der Aufhebung des Verbots geschlossen wurde (BGH LM Nr 7). Nach Aufhebung des Verbots ist im jeden Fall eine – auch konkludente – Bestätigung des nichtigen Geschäfts möglich (§ 141; BGH 11, 59, 60; Brandenburg MDR 1995, 30). 4. Rückabwicklung. Als Folge der Nichtigkeit kommen neben dinglichen Ansprüchen insb Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung in Betracht, wenn sich der Leistende nicht bewusst war, dass er gegen ein gesetzliches Verbot verstieß. Dabei haftet der Empfänger neben § 812 I 1 Alt 1 auch aus § 817 S 1 und unterliegt der verschärften Haftung nach § 819 II, wenn er durch die Annahme der Leistung im Bewusstsein der Gesetzwidrigkeit gegen das gesetzliche Verbot verstoßen hat. Die Rückforderung kann jedoch nach § 817 S 2 ausgeschlossen sein, wenn sich der Leistende ebenfalls des Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot bewusst war. Allerdings bezieht sich der Ausschluss der Rückforderung nur auf das, was aus den vom Gesetz missbilligten Vorgängen geschuldet wird; an sich erlaubte, aber gem § 139 nichtige Nebenleistungen fallen nicht darunter (BGH 19, 205, 208; 50, 90, 92). § 817 S 2 ist zudem ausnahmsweise dann nicht anwendbar, wenn der Ausschluss des Rückforderungsrechts dem Zweck des gesetzlichen Verbots widerspricht, weil § 817 S 2 etwa zu einer Aufrechterhaltung der Güterverschiebung führen würde, die das Verbotsgesetz gerade verhindern will (s eingehend § 817 Rn 15ff). V. Umgehungsgeschäfte sind Rechtsgeschäfte, die unter Ausnutzung der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsfreiheit den vom Verbotsgesetz missbilligten Erfolg auf einem Weg zu erreichen suchen, den jedenfalls der Wortlaut der Verbotsnorm nicht erfasst. Die Parteien können grds alle zulässigen rechtlichen Mittel für ihre Ziele einsetzen. Deshalb ist einem derartigen Geschäft nur dann die Wirksamkeit zu versagen, wenn die Verbotsnorm den mit dem Geschäft angestrebten Erfolg schlechthin – dh unabhängig von dem gewählten rechtlichen Mittel – verhindern will; die gewählte Gestaltung darf nicht den Zweck einer Rechtsnorm vereiteln (vgl etwa RG 155, 138, 146; BGH NJW 1959, 332, 334; 1991, 1060, 1061; Brox/Walker AT Rn 328). Teilw ordnet das Gesetz die Unwirksamkeit von Umgehungsgeschäften auch an (§ 8 FernUSG; § 75d S 2 HGB). Die Problematik der Umgehungsgeschäfte ist weitgehend eine Auslegungsproblematik (BGH 110, 47, 64; Flume AT II § 17, 5; Medicus/Petersen AT Rn 660). Wo eine ausdr Regelung fehlt, ist daher zunächst durch eine an Sinn und Zweck der Verbotsnorm orientierte Auslegung im Einzelfall zu ermitteln, ob diese das Rechtsgeschäft wegen des mit ihm erstrebten Erfolgs ohne Rücksicht auf den konkret beschrittenen rechtlichen Weg schlechthin untersagt oder nicht (Soergel/Hefermehl Rn 37; Staud/Sack/Seibl Rn 146). Bei dieser Auslegung ist insb zu fragen, ob mit dem jew Rechtsgeschäft der Zweck des Verbotsgesetzes vereitelt würde (vgl etwa BGH 44, 171, 176; 51, 255, 262; 56, 285, 289; 58, 60, 65; 59, 343, 348; 85, 39, 46; NJW 1991, 1060, 1061; Frankfurt NJW 2001, 1504, 1505). Ergibt die Auslegung, dass das Gesetz nur eine bestimmte rechtliche Gestaltung, nicht aber generell den angestrebten Erfolg verbieten will, liegt kein Umgehungsgeschäft vor, sofern die Beteiligten einen anderen zulässigen rechtlichen Weg beschritten haben. Für die Nichtigkeit eines Umgehungsgeschäfts genügt der objektive Verstoß gegen die umgangene Verbotsvorschrift (BGH 51, 255, 262; 56, 285, 289; WM 1990, 222, 227; BAG 10, 65, 70; 13, 129, 134; 39, 67, 70); es sind weder Umgehungsabsicht noch das Bewusstsein der Umgehung erforderlich; es genügt, dass ohne die Sanktion der Nichtigkeit der Gesetzeszweck nicht zu erreichen ist (Staud/Sack/Seibl Rn 145; Soergel/Hefermehl Rn 40). VI. Einzelbeispiele P Abtreibung. Ein Vertrag über eine nach §§ 218ff StGB strafbare Abtreibung ist nach § 134 nichtig (Bremen VersR 1984, 288; AG Bad Oeynhausen NJW 1998, 1799 – für Vertrag vor Beratung durch anerkannte Beratungsstelle; Pal/Ellenberger Rn 14; Deutsch NJW 1993, 2361, 2362). Dagegen erfasst § 134 Vereinbarungen über einen rechtswidrigen, aber nicht strafbaren Schwangerschaftsabbruch nicht (BVerfG NJW 1993, 1751, 1764).

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Arbeitsrecht. Für die Fragen der ArbN-Vermittlung bzw -Überlassung enthalten § 297 SGB III und §§ 9f AÜG Sonderregeln, neben denen für die Anwendung des § 134 kein Platz mehr ist. Auch das TzBfG regelt für den Bereich der Teilzeitarbeit die Folgen von Verstößen teilw selbst (§§ 11, 13, 16 TzBfG). Gleiches gilt für das Berufsbildungsgesetz (§ 12 BBiG). Aus dem BGB sind insb noch §§ 612a, 613a, 617ff Verbotsgesetze iSv § 134. Zu § 613a als Verbotsgesetz vgl BAG 27, 291, 298; 32, 326, 336; 48, 40, 49ff; 55, 228, 232f; AP § 613a Nr 4, 5; BB 1986, 1644, 1646; NJW 1996, 213, 214; NZA 1997, 148, 149; NZA 1999, 262, 263; 2005, 405, 407. Ein Arbeitsvertrag daneben kann nach § 134 etwa wegen Verletzung von Schutzvorschriften, die für ArbN schlechthin oder für bestimmte Gruppen von ArbN gelten (zB Frauen, Jugendliche, Kranke, Schwerbehinderte, bestimmte Berufe), oder wegen der Vereinbarung von Tätigkeiten, die gegen ein Strafgesetz oder ein sonstiges Verbot verstoßen, nichtig sein. Ob ein Verbotsgesetz vorliegt und ob der Verstoß zur Nichtigkeit führt, lässt sich nicht allg, sondern nur durch Auslegung der jew Schutznorm nach den allg Grundsätzen bestimmen; vielfach ist Rechtsfolge eines Verstoßes nur ein Beschäftigungsverbot, das die Wirksamkeit der vertraglichen Vereinbarung nicht berührt. Im Falle der Nichtigkeit von arbeitsvertraglichen Regelungen sind regelmäßig die Grundsätze des fehlerhaften Arbeitsvertrags zu beachten: Das vollzogene Arbeitsverhältnis ist idR für die Rechte und Pflichten aus der Vergangenheit wie ein wirksames zu behandeln; die Nichtigkeitswirkungen treten erst für die Zukunft ein. Zu einer Nichtigkeit ex tunc wird man nur im Ausnahmefall kommen, etwa bei bewusstem Gesetzesverstoß beider Vertragsseiten (BAG 8, 47, 50; BGH 53, 152, 158; Staud/Sack/Seibl Rn 120–127). Ob Vereinbarungen, die – auch bei Berücksichtigung der im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) vorgesehenen Sonderregelungen, abw Regelungen und Ausnahmen – nicht im Einklang mit dem ArbZG stehen, unwirksam sind oder ob nur ein für die Wirksamkeit der Vereinbarung bedeutungsloses Beschäftigungsverbot besteht, ist umstr (vgl Staud/Sack/Seibl Rn 199ff). Nach der hM ist jedenfalls die Vereinbarung einer erheblichen Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit für die Zukunft unwirksam (BAG 8, 47, 50; BGH NJW 1986, 1486, 1487; 2005, 3447, 3448; Staud/Sack/Seibl Rn 200; Pal/Ellenberger Rn 15). Ebenso soll das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit (§ 9 ArbZG) ein Verbotsgesetz darstellen, wenn keine Ausnahmebewilligung der Aufsichtsbehörde vorliegt (BAG NJW 2010, 394, 395f). Gültig soll es hingegen sein, wenn die vereinbarte Überschreitung nur vorübergehend ist (BAG AP Nr 2 § 1 AZO). Dem Schutzzweck der Arbeitszeitvorschriften wird es zumeist genügen, nur die Arbeitszeitvereinbarung im Umfang der Überschreitung der höchstzulässigen Arbeitszeit, nicht aber den gesamten Arbeitsvertrag für unwirksam zu halten und Nichtigkeit nur für die Zukunft anzunehmen (so BAG 8, 47, 50; BGH NJW 1986, 1486, 1487; Staud/Sack/Seibl Rn 200); eine Unwirksamkeit des gesamten Arbeitsvertrags wird nur ausnahmsweise und nur ex nunc in Betracht kommen (Staud/Sack/Seibl Rn 201; BAG 8, 47, 49f). Die Abrede, nach der bei arbeitszeitabhängiger Vergütung der Arbeitgeber berechtigt ist, die zunächst festgelegte Arbeitszeit später einseitig zu reduzieren, stellt eine objektive Umgehung von zwingenden Vorschriften des Kündigungs-(schutz)rechts dar und ist daher nach § 134 nichtig (BAG NJW 1985, 2151). Bei Fehlen der für die Beschäftigung eines ausl ArbN erforderlichen Arbeitserlaubnis (§§ 4, 18, 39 AufenthG, § 284 SGB III) ist ein Arbeitsvertrag nur dann gem § 134 nichtig, wenn beide Beteiligten absichtlich gegen das Beschäftigungsverbot verstoßen (BAG NJW 1969, 2111, 2112; weiter Staud/Sack/Seibl Rn 284: Nichtigkeit auch, wenn die Erlaubnis bestandskräftig verweigert wird oder aus anderen Gründen ausgeschlossen ist). Weitergehend soll das Fehlen eines erforderlichen Gesundheitszeugnisses die Wirksamkeit eines abgeschlossenen Arbeitsvertrags von vornherein nicht berühren (BAG AP Nr 1, 2 § 18 BSeuchG; aA für die §§ 42, 43 IfSG MüKo/Armbrüster Rn 76). Ein Arbeitsvertrag unter Verletzung des Beschäftigungsverbots für Kinder (§§ 5, 7 JArbSchG) ist ex nunc nichtig (BAG JZ 1973, 375, 382; NK/Looschelders Rn 108). Allerdings sind insoweit die Grundsätze über fehlerhafte Arbeitsverhältnisse (Nichtigkeit idR nur für die Zukunft, s schon Rn 27) zu beachten. Nach § 134 nichtig sollen die Erschwerung einer Kündigung ggü den gesetzlichen Voraussetzungen des § 626 (BGH NJW 2000, 2983, 2384; NJW-RR 2008, 1488, 1489 – Vereinbarung, nach der im Fall einer außerordentlichen Kündigung ein Übergangsgeld zu zahlen ist; BAG 99, 24, 29; NJW 2005, 3230, 3231) sowie Verträge sein, die der Umgehung des Kündigungsschutzes (etwa §§ 620ff; KSchG) dienen (vgl BAG 26, 417, 419 – bedingter Aufhebungsvertrag; 10, 65, 67 f; 25, 125, 127; 47, 314, 319; 82, 101, 104; 83, 82, 87; NJW 1998, 2237, 2238; 1999, 597, 598; NZA 1997, 313, 314; 1997, 941, 942; 1997, 1222, 1223; 1998, 1118, 1119; NJW 2001, 532, 533). Eine Änderungskündigung ist (§ 4 IV TVG, § 13 III KSchG) unwirksam, wenn sie auf den Abbau tarifvertraglich gesicherter Leistungen oder eine sonstige tarifwidrige Gestaltung des Arbeitsvertrags abzielt (BAG NJW 1999, 2541 mwN aus der früheren Rspr; vgl auch BAG NZA 1999, 255). Vereinbarungen, die gegen die zwingenden Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzs (BUrlG) verstoßen, sind – auch wenn sie sich erst auf die Zeit nach Ende des Arbeitsverhältnisses beziehen – gem § 134 unwirksam (BAG 20, 24, 25; vgl auch BAG DB 1985, 48, 49; NJW 2001, 460, 461). Das soll auch für Arbeitsverträge gelten, die ArbN für die Dauer des Urlaubs unter Verstoß gegen § 8 BUrlG schließen (MüKo/Armbrüster Rn 81; Staud/ Sack/Seibl Rn 223 mwN; aA wohl BAG AP Nr 3 § 8 BUrlG; Dieckhoff DB 1966, 1235). Nichtig nach § 134 sind auch Vereinbarungen, die gegen die Beschränkungen des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) hinsichtlich der Zulässigkeit von Vereinbarungen über eine Abfindung (§ 3) oder über die Übertragung unverfallbarer Anwartschaften (§ 4) verstoßen (für Abfindung: BAG NZA 1985, 218). P Arzneimittelrecht. Verträge zum Erwerb apotheken- oder rezeptpflichtiger Arzneimittel sind idR auch dann wirksam, wenn dabei Bestimmungen des Arzneimittelrechts über die Abgabe von Arzneimitteln (etwa §§ 43ff AMG) verletzt werden (BGH NJW 1968, 2286; aM MüKo/Armbrüster Rn 90; differenzierend Staud/Sack/Seibl Rn 203). Nach wie vor iSv § 134 verboten ist ein Arzneimittelverkauf im Reisegewerbe unter Verstoß gegen § 51 P

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§ 134

I AMG (Staud/Sack/Seibl Rn 203; LG Stuttgart NJW 1965, 354, 355 zu § 36 AMG aF; LG Düsseldorf, NJW 1980, 647). Ferner kann ein Verstoß gegen das Importverbot für nicht zugelassene bzw registrierte Arzneimittel gem § 73 AMG zur Nichtigkeit gem § 134 führen (Karlsruhe NJW-RR 2002, 1206, 1207; vgl auch KG MMR 2005, 246). P Ärzte. Verträge, die die Übernahme ärztlicher Leistungen durch eine Person, der die erforderliche Approbation oder Erlaubnis (§ 2 BÄO) weder erteilt ist noch erteilt werden kann, vorsehen, sind nach § 134 nichtig; das gilt sowohl für Heilbehandlungsverträge mit einem Patienten als auch für Arbeitsverträge, die auf eine ärztliche Tätigkeit gerichtet sind (BAG MedR 2005, 362, 363; Düsseldorf NJW 1988, 2308; Spickhoff NJW 2006, 1630, 1632), als auch für einen Gesellschaftsvertrag, in dem eine solche Person die Verpflichtung zu ärztlichen Leistungen übernimmt (vgl München MedR 2006, 172, 173). Nach § 134 nichtig sind auch Verträge über Wahlleistungen entgegen § 17 III 1 KHEntG (BGH NJW 2015, 1375, 1376). Unwirksam ist auch – wegen Verstoßes gegen die Zulassungsverordnung für Vertragsärzte – die Übernahme einer kassenärztlichen Praxis durch einen Arzt ohne Kassenzulassung (München NJW-RR 1998, 1441, 1442). Ein Arzt oder Zahnarzt kann ohne Zustimmung des Patienten seinen aus privatärztlicher Behandlung entstehenden Anspruch auf Vergütung oder Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns nicht wirksam unter Übergabe der Abrechnungsunterlagen zur Rechnungserteilung und Einziehung an eine (gewerbliche oder auch privatärztliche) Verrechnungsstelle abtreten, weil er damit unter Verletzung von § 203 I Nr 1 StGB gegen seine ärztliche Schweigepflicht verstößt (vgl BGH 115, 123, 138; NJW 1992, 2348, 2349; LM Nr 145; NJW 1996, 775 für einen Schadensersatzanspruch). Ebenfalls wegen Verstoßes gegen § 203 I Nr 1 StGB nichtig ist die bei Veräußerung einer Arztpraxis übernommene Verpflichtung, dem Erwerber – auch ohne Zustimmung der betroffenen Patienten – die Patienten- und Beratungskartei zu übergeben (vgl BGH NJW 1974, 602: BGH 116, 268, 272; KG NJW-RR 1996, 431, 432; vgl auch BGH NJW 1995, 2026, 2027). Die Nichtigkeit trifft in diesen Fällen gerade auch das Erfüllungsgeschäft. Die Nichtigkeit der Vereinbarung zur Übergabe der Kartei kann über § 139 trotz einer salvatorischen Klausel zur Gesamtnichtigkeit des Veräußerungsvertrags führen (BGH NJW 1996, 773, 774 mwN; KG NJW-RR 1996, 431, 432). Verträge zw Ärzten über die gegenseitige Patientenzuweisung sind bei Verstoß gegen die Berufsordnung für Ärzte nichtig (BGH NJW 1986, 2360, 2361; LG Heidelberg MedR 1998, 273, 275; aM Taupitz JZ 1994, 221ff mwN). P Bauordnungsrecht. Ein Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften führt grds nicht über § 134 zur Unwirksamkeit des Vertrags über Werkleistungen an einem Bauwerk (BGH 75, 366, 368; KG JW 1938, 2349; Köln NJW 1961, 1023, 1024). Insb ist ein Bauvertrag trotz (noch) fehlender Baugenehmigung wirksam. Nichtigkeit kommt in Betracht, wenn von vornherein vereinbart wird, ohne Baugenehmigung oder unter Verstoß gegen Bauordnungsrecht zu bauen. Ein Mietvertrag ist auch bei Verstoß gegen ein bauordnungsrechtliches Nutzungsverbot wirksam (BGH 75, 366, 368; VGH Kassel NJW 1964, 2444; OVG Lüneburg DÖV 1968, 699; LG Frankfurt NJW 1977, 1885; aM AG Celle NZM 1999, 473; AG Hamburg NZM 1999, 460; vgl auch zu § 536 Düsseldorf ZMR 1993, 275, 276 und NJOZ 2006, 2978, 2980). P Bauträgerverträge/Baubetreuungsverträge. Eine § 3 MaBV widersprechende Fälligkeitsvereinbarung soll gem § 12 MaBV, § 134 mit der Wirkung nichtig sein, dass an ihre Stelle die Regelung des § 641 I tritt (BGH 146, 250, 257; NJW 2007, 1947, 1948; Naumburg NJW-RR 2010, 1323, 1324; vgl auch Koblenz NJW-RR 2003, 1173, 1174; vgl iÜ auch zu den Rechtsfolgen von Abweichungen von § 3 MaBV BGH ZIP 2014, 227, 229). Wegen Verstoßes gegen §§ 3, 12 MaBV nichtig ist ferner die in einem Bauträgervertrag getroffene Vereinbarung, nach der sich der Erwerber der Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen unterwirft und der Notar die Vollstreckungsklausel ohne besonderen Nachw erteilen darf (BGH 139, 387, 389; zur Problematik ferner BGH NJW 2002, 138, 139). P Beamtenrecht/öffentlicher Dienst. Die Nebentätigkeit eines Beamten oder Angestellten ohne die nach dem Beamtenrecht oder dem Tarifvertrag erforderliche Erlaubnis führt nicht zur Nichtigkeit des über die Nebentätigkeit geschlossenen Vertrags (BGH NJW 1974, 1374, 1377; Schleswig SchlHA 1974, 205). Dagegen folgt aus einem Verstoß gegen das Verbot der Vorteilsannahme (§ 331 StGB) die Unwirksamkeit der Vereinbarung (Stach NJW 1988, 943, 945). P Datenschutzrecht. Das Datenschutzrecht iVm dem Bankgeheimnis verbietet nicht die Abtretung von Darlehnsrückzahlungsansprüchen einer Bank gegen ihre Kunden ohne deren Zustimmung (BGH NJW 2007, 2106, 2107). Ebenso verstößt die Abtretung von Darlehensforderungen durch eine als Anstalt des öffentlichen Rechts organisierte Sparkasse nicht gegen § 203 II 1 Nr 1 StGB (BGH NJW 2010, 361, 362). P Gesellschafts- und Vereinsrecht. § 134 ist insb von Bedeutung, wenn der Gesellschafts- oder Vereinszweck oder der Unternehmensgegenstand einem Verbotsgesetz zuwiderläuft (Bsp: Verstoß gegen gesetzliche Berufsordnungen; BGH 62, 234, 240 – Inkassotätigkeit/RBerG; BGH 75, 214, 217 – Apothekenrecht; BGH 97, 243, 250 – Berufsrecht für Vermessungsingenieure; BGH WM 1967, 229, 230 – Güterfernverkehr; Verstoß gegen Strafgesetze; Hamm NJW-RR 2000, 1565, 1566 – Umgehung der Handwerksordnung; Koblenz WM 1979, 1435, 1436 – Steuerhinterziehung). Zu beachten ist, dass bei manchen Gesellschaften eine Nichtigkeit aus diesem Grund nur mit einer befristeten Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden kann (vgl zB § 94 GenG, § 75 GmbHG, § 275 AktG). Bei Nichtigkeit des gesamten Gesellschaftsvertrags einer in Vollzug gesetzten Gesellschaft sind die Grundsätze von der fehlerhaften Gesellschaft zu beachten. Gleiches gilt für einen unwirksamen Geschäftsführeranstellungsvertrag bei einer GmbH (BGH NJW 2000, 2983, 2984 mwN). Kein Verbotsgesetz stellt das aktienrechtliche Arnold

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Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG) dar (BGH NZG 2013, 496, 497). Ebenso stellen die §§ 30f GmbHG kein Verbotsgesetz dar (BGH NJW 1997, 2599, 2600). Beraterverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern einer AG, die sich auf die Aufsichtsratstätigkeit beziehen, sind nach § 134 wegen Verstoßes gegen § 113 I 2 AktG nichtig (BGH NZG 2006, 712, 716; NZG 2007, 103, 104). Dies gilt auch dann, wenn der Vertrag von der AG mit einer Gesellschaft geschlossen wird, an der das Aufsichtsratsmitglied – nicht notwendig maßgeblich – beteiligt ist. P Gewerberecht/Handwerksrecht. Ein Verstoß gegen gewerberechtliche Vorschriften führt nach der Rspr grds nicht zur Nichtigkeit (BGH 53, 152, 157; 78, 269, 272; 88, 240, 243; 93, 264, 267; 108, 364, 368; NJW 1968, 2286, 2287; 1990, 1354, 1355), weil diese Vorschriften weitgehend nur eine allg Ordnungsfunktion erfüllen, ohne das einzelne Rechtsgeschäft treffen zu wollen (krit dazu Staud/Sack/Seibl Rn 77). Gültig sind nach der hM insb Verträge von Kunden mit Gewerbetreibenden, die nicht Inhaber einer zur Ausführung ihres Gewerbes notwendigen Erlaubnis sind (zB §§ 29ff, 55ff GewO; § 2 GastG; § 3 GüKG; §§ 1, 6ff HwO; hierzu BGH 88, 240, 242; NJW 1985, 2403, 2404; NJW-RR 2002, 557; Düsseldorf NJW-RR 1996, 661; Hamm NJW-RR 1990, 523). Nach § 134 unwirksam sind Verträge, deren Ziel es ist, das Erfordernis einer öffentlich-rechtl Erlaubnis für eine Tätigkeit zu umgehen (in der Praxis besonders häufig bei Verträgen zum Betrieb von Gastwirtschaften – Kastellanvertrag, vgl Hamm NJW 1986, 2440, 2441; LG Berlin NJW 1977, 1826, 1827; RG 155, 138, 142 – vorgetäuschtes Vertreterverhältnis zur Umgehung der Staatsaufsicht im Versicherungswesen; BGH WM 1967, 229, 230; NJW 1990, 1354; Hamm BB 1988, 236; ArbG Ludwigshafen DB 1996, 1527 – konzessionierter Güterkraftverkehr). Wirksam sind Rechtsgeschäfte, bei denen die Rechtsordnung zwar den Abschluss eines Rechtsgeschäfts aus Ordnungsgründen verhindern will, das Ergebnis des gleichwohl vollzogenen Geschäfts aber nicht missbilligt; das gilt zB für Geschäfte, die unter Verstoß gegen Ladenschlussvorschriften, § 18 GastG (Sperrzeit; vgl RG 103, 263, 264) oder § 5 LFGB (Inverkehrbringen verdorbener oder irreführend bezeichneter Lebensmittel; vgl RG 100, 39, 40; 170, 156) zustande kommen. Ebenso zu bewerten sind Geschäfte, die an die Verletzung von Preisauszeichnungsvorschriften anschließen (vgl etwa BGH NJW 1982, 2436, 2437; ZIP 1982, 1044, 1045), und der Verkauf unter Verstoß gegen das Saatgutverkehrsgesetz (Köln NJW-RR 2000, 136). Bei Haustürgeschäften im Reisegewerbe ist infolge der Einführung eines Widerrufsrechts für Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, § 312b, für § 134 bei einem Verstoß gegen die auf die entgeltliche Vermittlung beschränkte Bestimmung des § 56 I Nr 6 GewO kaum noch Raum (BGH 131, 385, 388; 133, 254, 257; München NJW-RR 1990, 1528, 1529; Hamm NJW 1994, 2159; aber str, vgl Staud/Sack/Seibl Rn 238). P Handelsrechtliche Vorschriften. Unwirksam ist wegen §§ 238ff, 257ff HGB, 162 AO die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts an Teilen von Handelsbüchern (KG Rpfleger 1972, 441, 442) sowie die Bestellung eines nach § 319 II HGB ausgeschlossenen Abschlussprüfers (BGH NJW 1992, 2021). Verbotsgesetz ist ferner § 89b HGB; unzulässig sind daher etwa der Vorausverzicht des Handelsvertreters auf seinen Ausgleichsanspruch (BGH 152, 121, 133) oder eine Anrechnung eines Teils der laufenden Vergütung auf den Ausgleichsanspruch (BGH NJW 2016, 3439, 3490). Ein Verbotsgesetz stell auch § 89 II 1 HGB im Hinblick auf einseitige Erschwerungen des Kündigungsrechts des Handelsvertreters dar (BGH NJW 2016, 242, 245). P Haushaltsrecht. Die im öffentlichen Haushaltsrecht des Bundes und der Länder für öffentlich-rechtl Körperschaften enthaltenenweitgehenden Verbote von unentgeltlichen Zuwendungen oder der Veräußerung unter Wert (§§ 44, 23 BHO) stellen Verbotsgesetze iSv § 134 dar (dahingehend BGH 47, 30, 40 für Art 81 BayVerf; BayObLG 95, 225, 226 zu Art 75 BayGO; Pal/Ellenberger Rn 23:). Dagegen ist ein Rechtsgeschäft mit einem öffentlichen Auftraggeber nicht bereits deshalb nichtig, weil dieser Vorschriften über die Aufstellung des Haushaltsplans nicht berücksichtigt hat (BAG AP Nr 21 § 1 TVG; BGH NJW 2014, 2354, 2355); denn derartige Bestimmungen sind lediglich intern für das Verwaltungshandeln verbindlich. P Heimgesetz. Infolge des Übergangs der Gesetzgebungskompetenz auf die Länder haben diese inzwischen das HeimG durch eigene gesetzliche Regelungen ersetzt. Diese enthalten aber durchweg Bestimmungen, die § 14 I und V HeimG (Verbot der Gewährung oder des Versprechens von Geld oder geldwerten Leistungen) entsprechen (§ 16 BaWürttWTPG, Art 8 BayPfleWoqG, § 12 BlnWTG, § 14 BbgPBWoG, § 20 BremWoBeG, § 5a HmbWBG, § 7 HessGBP, § 6 M-PEQG, § 2 I NiedNuWG iVM § 14 HeimG, § 10 NWWTG, § 11 RhPfWTG, § 8 SaarHeimG, § 7 SächsBeWoG, § 15 SachsAnhWTG, § 28 SchlHolSbStG, § 12 ThürWTG). Die hM, die § 14 I und V HeimG als Verbotsgesetz iSv § 134 ansah, kann daher auch auf die neuen landesrechtlichen Vorschriften übertragen werden (s für § 7 HessGBP auch Frankfurt NJW 2015, 2351, 2352). Die in diesen Regelungen untersagten Rechtsgeschäfte von Heimbewohnern oder Bewerbern um einen Heimplatz zugunsten des Heimträgers, der Heimleitung oder des Heimpersonals sind nichtig (BGH 110, 235, 237 zu § 14 aF). Auch letztwillige Verfügungen können nach dieser Bestimmung unwirksam sein (vgl BGH 110, 235, 240; NJW-RR 1995, 1272; 2012, 155; BVerwG NJW 1990, 2268; BayObLG NJW 1992, 55, 56; 93, 1143, 1144; 2000, 1875, 1876; NJW-RR 2004, 1591, 1593; KG NJW-RR 1999, 2; Frankfurt NJW-RR 1994, 312; VGH Mannheim NJW 2004, 3792, 3794); Voraussetzung ist allerdings, dass der Bedachte Kenntnis hat (BGH NJW 2012, 155). Das Verbot gilt auch für die Umgehung der Regelung durch Zuwendungen an/durch Personen, die mit den im Gesetz genannten Empfängern bzw mit dem Heimbewohner verbunden sind (Bsp: BayObLG NJW 2000, 1875, 1877 – Erbeinsetzung des Alleingesellschafters einer GmbH als Heimträgerin oder dessen Ehefrau; Düsseldorf NJWE-FER 1997, 253, 254 – Einsetzung der Kinder des Heimleiters als Nacherben; Frankfurt NJW 2001, 1504, 1505 – Erbeinsetzung der Ehefrau eines Heimbediensteten; vgl auch BayObLG NJW 2000, 1959, 1961 – mittelbare Begünstigung durch Zuwendung an einen Dritten; München NJW 2006, 2642, 2643 – Vermächtnis zugunsten des Heimträgers durch einen Angehörigen des Heimbewohners; zur Abgrenzung BayObLG FamRZ 2003, 1882, 1883 – letztwillige Zuwen348

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dung an eine Stiftung, von der das Heim gemietet ist, fällt nicht unter das Verbot). Auf das Verhältnis zw Betreuer und Betreutem sind die heimrechtlichen Verbote nicht analog anwendbar (BayObLG NJW 1998, 2369, 2370), ebenfalls nicht auf die häusliche Pflege (BayObLG NJW-RR 1999, 1454, 1455; LG Bonn NJW 1999, 2977). Sie gelten auch nicht für Träger und Personal von Heimen im Ausland (Oldenburg NJW 1999, 2448). P Jagdrecht. Ein Jagdpachtvertrag, mit dem sich der Verpächter einen Anteil von 50 % am Jagdausübungsrecht vorbehält, ist mit § 11 BJagdG unvereinbar und deshalb nichtig (BGH 115, 116, 117). Vereinbarungen, in denen ein Teil sich dazu verpflichtet, gegen sachliche Verbote des § 19 BJagdG zu handeln, sind idR ebenfalls gem § 134 unwirksam. P Kartellrecht. Unzulässige Kartellverträge sind nach Maßgabe von Art 101f AEUV unwirksam. Diese Verbotsnormen regeln die Folgen eines Verstoßes selbst; daher ist § 134 insoweit nicht anzuwenden. Das GWB enthält zwar weiterhin Verbotsgesetze, verzichtet aber auf eine eigenständige Regelung der unmittelbaren Rechtsfolgen von Verstößen. Insoweit ist – unbeschadet etwaiger Eingriffsmöglichkeiten der Kartellbehörden (etwa nach §§ 32ff GWB) – § 134 anzuwenden. Verbotsgesetze iSv § 134 sind das allg Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (§ 1 GWB) und die Verbote des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB), das Diskriminierungsverbot und das Verbot unbilliger Behinderung (§ 20 GWB), das Boykottverbot sowie das Verbot sonstigen wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens (§ 21 GWB). Keine gesetzlichen Verbote enthalten demgegenüber die Regelungen über die Zusammenschlusskontrolle (§§ 35ff GWB). P Kreditwesen. Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und weitere Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungsbereich iSv §§ 1ff KWG bedürfen für ihre Geschäftstätigkeit gem § 32 KWG einer Erlaubnis; der Abschluss von Geschäften mit Kunden ohne diese Erlaubnis ist gem § 54 KWG verboten. Diese Regelung stellt aber kein Verbotsgesetz iSv § 134 dar, weil es sich um eine Ordnungsregelung für die Finanzdienstleistungsbranche handelt, die nur einen der beiden Geschäftspartner betrifft (BGH WM 1966, 1101, 1102; 1972, 853; WM 1978, 1268, 1269; 1980, 374, 376; Köln VersR 1974, 1185). Die Abtretung von Darlehensforderungen an eine Nichtbank ist nicht gem § 32 Abs I 1 KWG iVm § 134 nichtig (BGH NJW 2011, 3024). P Maklervertrag. Wirksam ist ein Maklervertrag auch dann, wenn der Makler sein Gewerbe ohne die gem § 34c GewO erforderliche Erlaubnis ausführt (BGH 78, 269, 271ff; NJW 1998, 62, 64). Ebenso ist die Wohnungsvermittlung ohne den dazu gem § 6 I WoVermG vorgeschriebenen Auftrag nicht nichtig (BGH 152, 10, 11; Karlsruhe NJW 1976, 1408; aA MüKo/Armbrüster Rn 85). Nichtig ist jedoch der gegen § 14 IV BNotO verstoßende Maklervertrag des beurkundenden Notars (BGH WM 1990, 1250, 1251) und – wegen §§ 45 III, 46 III BRAO – eines mit einem Anwaltsnotar zu gemeinsamer Berufsausübung verbundenen Rechtsanwalts (BGH 147, 39, 41). P Mietrecht. Ein Vertrag, insb ein Mietvertrag, über die Nutzung einer dem Zweckentfremdungsverbot unterliegenden Wohnung ist allein wegen des Fehlens der erforderlichen Genehmigung der zuständigen Behörde noch nicht nach § 134 iVm Art 6 § 1 Mietrechtsverbesserungsgesetz nichtig (BGH NJW 1994, 320 mwN; Köln VersR 1992, 361, 362; VGH München NJW-RR 1993, 1422; Staud/Sack/Seibl Rn 264). Auch ein Mietvertrag, der gegen das zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen erlassene Wohnungsbindungsgesetz verstößt (§§ 4, 7 WoBindG; Abschluss mit einem nicht wohnberechtigten Mieter), ist wirksam (LG Aachen ZMR 1973, 379; Weimar MDR 1967, 806). P Preisrecht. Im Preisrecht haben gesetzliche Verbote nach der weitgehenden Liberalisierung der Märkte praktische Bedeutung vor allem noch im Wohnungsmietrecht (§ 8 WoBindG; § 5 WiStG), im Kleingartenpachtrecht (§ 5 KleingartenG), in der BundespflegesatzVO und im Bereich der staatlichen Gebührenordnungen (etwa: RVG, GOÄ, GOZ). Rechtsgrundlagen für eine Tarif- oder Entgeltregulierung finden sich ferner im EnWG (vgl etwa § 39 EnWG), in §§ 19ff, 23 PostG und im Telekommunikationsrecht (vgl §§ 27–43 TKG). Als Preisvorschrift soll ferner auch § 3 KAV anzusehen sein (BGH NZBau 2015, 115, 118). Allg anerkannt ist heute, dass preisrechtliche Vorschriften nur die Vereinbarung eines unzulässigen Preises verhindern wollen, nicht jedoch das Rechtsgeschäft insgesamt. Dieser Verbotszweck bedeutet, dass die Nichtigkeitsfolge des § 134 – mangels abw Regelungen im Einzelfall – auf die verbotswidrige Preisvereinbarung zu beschränken ist und dass es für den Fortbestand des Rechtsgeschäfts insgesamt – abw von der Regel des § 139 – nicht auf den (hypothetischen) Parteiwillen des Vertragsteils ankommen darf, der einen unzulässigen Preis durchgesetzt hat (MüKo/Armbrüster Rn 63, 107f; Staud/Sack/Seibl Rn 269ff). Eine Überschreitung des zulässigen Preises führt deshalb grds nicht zur Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts; nichtig ist vielmehr nur der über den zulässigen Preis hinausgehende Teil der Preisvereinbarung (vgl BGH 51, 174, 181 – zu § 5 BaupreisVO; 60, 199, 205 und NJW 2008, 55, 56 – zu § 4 HOAI; 89, 316, 319ff – zu § 5 WiStG; 108, 147, 150 – zu § 5 KleingartenG; BGH NZBau 2015, 115, 118f – zu § 3 KAV; Hamburg NJW-RR 2000, 458, 459 und Hamm WuM 1982, 302 – zu § 5 WiStG; vgl auch BGH 116, 77, 85 zu einem devisenrechtlich genehmigten Preis; MüKo/Armbrüster Rn 107; Staud/Sack/Seibl Rn 269, 270). Im Wohnungsmietpreisrecht ist für die Fälle des Mietwuchers allerdings str, ob die vereinbarte Miete auf den höchstzulässigen Betrag (so, von BVerfG NJW 1994, 993, 994 gebilligt: BGH 89, 316, 321; ferner BGH NJW 2004, 1740, 1741; NZM 2006, 291, 292; Frankfurt ZMR 2000, 753, 754; vgl die ausdr Regelung in § 8 II WoBindG) oder auf den angemessenen, marktüblichen oder ortsüblichen Betrag (so Stuttgart NJW 1981, 2365; Karlsruhe NJW 1982, 1161; Hamburg ZMR 1983, 100, 102; MüKo/Armbrüster Rn 107) zu reduzieren ist. Der Verbotszweck, der sich allein gegen die Vereinbarung einer unzulässig hohen Miete richtet, rechtfertigt nach richtiger Ansicht nur die Zurückführung der Miete auf den höchstzulässigen Betrag; deshalb ist der erstgenannten Meinung zu folgen. Arnold

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Für die Fälle der Vereinbarung eines unzulässig niedrigen Preises ist gleichfalls davon auszugehen, dass sich die Nichtigkeitswirkung nur auf die Vereinbarung einer zu niedrigen Vergütung erstreckt, während der Vertrag iÜ – wiederum unabhängig von den Voraussetzungen des § 139 – einschl der Vereinbarung einer Vergütungspflicht dem Grunde nach erhalten bleibt; die Höhe der Vergütung folgt dann etwa über §§ 612 II, 632 II (direkt oder analog) aus dem jew Preisrecht, etwa der staatlichen Gebührenordnung. Es bleibt allerdings allein Sache des Gläubigers, ob er den danach gegebenen höheren Vergütungsanspruch wirklich durchsetzt. Bei unzulässigen Preisunterschreitungen kann der Zahlungspflichtige einer etwaigen Nachforderung uU mit dem Einwand aus § 242 (widersprüchliches Verhalten) begegnen (vgl BGH NJW 1997, 2329, 2330 zu § 4 HOAI). Wenn beide Vertragsparteien bewusst gegen eine materielle Preisvorschrift verstoßen, soll nach einer früher vertretenen Ansicht eine Preisanpassung ausscheiden und das gesamte Rechtsgeschäft nichtig sein (RG DR 1939, 1633; 1942, 1409, 1410). Nach dem Verbotszweck ist das weder geboten noch sinnvoll. P Rechtsanwalt. Auch bei einem Rechtsanwalt verstößt die Abtretung von Honoraransprüchen ohne Zustimmung des Mandanten idR gegen § 203 I Nr 3 StGB und gegen das Recht des Mandanten auf informationelle Selbstbestimmung; die Abtretung und die zugrundeliegende Verpflichtung sind deshalb unwirksam (vgl ua BGH 122, 115, 119; 148, 97, 101; NJW 2005, 507, 508). Abtretungen mit Zustimmung des Mandanten sind dagegen unbedenklich (BGH NJW-RR 2008, 1647, 1648). Die Abtretung von Vergütungsforderungen oder die Übertragung ihrer Einziehung an Rechtsanwälte oder rechtsanwaltliche Berufsausübungsgemeinschaften wird von § 49b IV 1 BRAO ebenfalls ausdr für zulässig erklärt. Aus denselben Gründen wie die Abtretung einer Honorarforderung ist auch die Verpflichtung eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters zur Überlassung von Handakten und Mandantenunterlagen verboten, vor allem bei einem Praxisverkauf (BGH NJW 1995, 2026 im Anschluss an BGH 116, 268, 272; NJW 1995, 2915; 2001, 2462, 2463). Im Einzelfall kann aber beim Praxisverkauf eine andere Bewertung angezeigt sein (Bsp: BGH NJW 1995, 2915; 1997, 188). Ob und inwieweit § 49b IV BRAO auch beim Praxisverkauf aus den vom BGH für die Zulässigkeit der Abtretung einer Honorarforderung angeführten Gründen (BGH NJW 2007, 1196ff) zu einer von der bisherigen Praxis abw Bewertung führen wird, bleibt abzuwarten. Nicht unter das Verbot fallen Verträge, die nicht mit einer Preisgabe geschützter Daten des Mandanten verbunden sind; dies wird in der Rspr zu Recht auch bejaht, wenn ein Rechtsanwalt seine Praxis an einen anderen Rechtsanwalt veräußert, mit dem er in einer Außensozietät verbunden war oder in Zukunft – als freier Mitarbeiter – verbunden bleibt (BGH 124, 47, 51; 148, 97, 102; aM München NJW 2000, 2592, 2593). Tritt ein zum Betreuer bestellter Rechtsanwalt seine Betreuervergütung an eine anwaltliche Verrechnungsstelle ab, verstößt dies nicht gegen ein gesetzliches Verbot, selbst wenn es ohne Zustimmung des Betroffenen erfolgt (BGH NJW 2013, 2961, 2962). Ein gegen das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen (§ 43a IV BRAO; vgl auch § 3 II BORA) verstoßender Anwaltsvertrag ist nach § 134 nichtig (BGH NJW 2016, 2561; KG NJW 2008, 1458, 1459; München NJW-RR 2010, 131, 132). Entspr gilt im Hinblick auf § 45 I Nr 1 BRAO: Ein Anwaltsvertrag, den ein mit der Sache zuvor als Notar befasster Anwaltsnotar schließt, ist daher nichtig (BGH NJW 2011, 373, 374). Ein Verbotsgesetz ist auch § 45 I Nr 2 BRAO, nach dem ein Rechtsanwalt nicht tätig werden darf, wenn er als Notar eine Urkunde aufgenommen hat, deren Rechtsbestand oder Auslegung streitig ist oder aus der die Vollstreckung betrieben wird (Hamm DNotZ 1989, 632, 634; Köln AnwBl 1980, 70, 71). Nichtig wegen Verstoßes gegen § 45 I Nr 4 BRAO ist auch ein Anwaltsvertrag, wenn der Anwalt in der gleichen Sache bereits außerhalb seiner Funktion als Anwalt beruflich tätig war (BGH NW 2016, 2561, 2564). Entspr gilt wegen § 45 II Nr 2 BRAO auch im umgekehrten Fall, dass der Anwalt zunächst außerhalb seiner anwaltlichen Tätigkeit mit der Angelegenheit beruflich befasst war und nunmehr anwaltlich tätig werden soll. Ferner kommt bei einem Verstoß gegen § 146 S 1 StPO (Verbot der Mehrfachvertretung) die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags in Betracht (München NJW 1983, 1688; AG Arnsberg NJW-RR 1999, 63, 64; offenlassend BGH NStZ 1991, 398, 399). Die Nichtigkeit erfasst aber nicht die aufgrund des Vertrags erteilte Prozessvollmacht (Hamm DNotZ 1989, 634; AnwBl 1989, 397; NJW 1992, 1174, 1176 mwN gegen Hamm DNotZ 1989, 632, 633; Köln MDR 1974, 310). Kein Verbotsgesetz ist § 14 II Nr 8 BRAO: Übt ein Rechtsanwalt eine standesrechtlich unzulässige Tätigkeit aus, sind die im Rahmen dieser Tätigkeit abgeschlossenen Verträge daher nicht nichtig (BGH NJW 2016, 2561, 2563). Gleiches gilt für § 59c I BRAO (Unternehmensgegenstand von Rechtsanwalts-GmbH, BGH NW 2016, 2561, 2564). Die im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz für die Vergütung von Anwaltstätigkeiten noch festgelegten Gebühren sind bindende Mindestsätze (§ 49b I 1 BRAO); Vereinbarungen über niedrigere Gebühren sind unzulässig und damit iSv § 134 verboten, soweit nicht ein Ausnahmetatbestand eingreift. Nach dem Verbotszweck ist idR nicht der Anwaltsvertrag insgesamt, sondern nur die unzulässige Gebührenvereinbarung unwirksam (München NJW 2002, 3641, 3642 mwN). Verboten ist auch eine Vereinbarung von Vorteilen für die Vermittlung von Aufträgen (§ 49b III 1 BRAO). Genügt die Vereinbarung eines Erfolgshonorars nicht den Vorgaben der § 49b II BRAO, § 4a RVG, ist die Vergütungsvereinbarung wegen § 4b RVG nicht nichtig, und geschuldet ist die vereinbarte Vergütung bis zur Grenze der gesetzlichen Gebühr (BGH NJW 2014, 2653, 2654). P Rechtsdienstleistung. Der Bereich der Rechtsberatung hat durch das RDG, das mWv 1.7.2008 das RBerG abgelöst hat, eine grundlegende Neuregelung erfahren. Während § 1 RBerG an die „Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten“ anknüpfte, geht § 2 RDG vom Begriff der „Rechtsdienstleistung“ aus. Er wird in § 2 I RDG definiert als jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Erfasst werden nach § 2 II RDG auch Inkassodienstleistungen, gem § 2 III RDG aber nicht die Erstattung wissenschaftlicher Gutachten, die Tätigkeit als Schiedsrichter, Schlichter oder Mediator, die Erörterung 350

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von arbeitsrechtlichen Fragen in von Beschäftigten gewählten Interessenvertretungen (Betriebs- oder Personalräte) sowie die Darstellung von Rechtsfragen und Rechtsfällen in den Medien. Geregelt wird vom RDG gem § 1 RDG nur die Befugnis, außergerichtliche Rechtsdienstleistungen zu erbringen. Diese Befugnis besteht nach § 3 RDG nur in dem Umfang, in dem sie durch das RDG oder durch andere Gesetze erlaubt wird; ein anderes Gesetz idS ist insb § 3 BRAO, der Rechtsanwälten die Beratung und Vertretung in allen Rechtsangelegenheiten erlaubt. Gestattet sind gem § 5 RDG von vornherein Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit, wenn sie als Nebenleistung zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören; als erlaubte Nebenleistungen gelten dabei gem § 5 II RDG insb Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit der Testamentsvollstreckung, Haus- und Wohnungsverwaltung und der Fördermittelberatung. IÜ unterscheidet das Gesetz zw Rechtsdienstleistungen durch nicht registrierte Personen (§§ 6–9 RDG) und registrierte Personen. Ohne Registrierung sind danach insb unentgeltliche Dienstleistungen zulässig (§ 6 RDG); außerhalb familiärer, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger persönlicher Beziehungen muss allerdings sichergestellt sein, dass die Rechtsdienstleistung durch eine Person, der die entgeltliche Erbringung dieser Rechtsdienstleistung erlaubt ist, durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt oder unter Anleitung einer solchen Person erfolgt. Ferner erlaubt das Gesetz Rechtsdienstleistungen durch nicht registrierte Personen bei Berufs- und Interessenvereinigungen (§ 7 RDG, Bsp: BGH GRUR 2012, 79) und durch öffentliche und öffentlich anerkannte Stellen (§ 8 RDG, zB Verbraucherzentralen, s zur Reichweite BGH NJW 2013, 3580f). Daneben gestattet § 10 RDG die Erbringung von Rechtsdienstleistungen von registrierten Personen aufgrund besonderer Sachkunde bei Inkassodienstleistungen, in der Rentenberatung und bei Rechtsdienstleistungen in einem ausl Recht. Die grundlegende Änderung der Vorschriften über die Rechtsberatung führt dazu, dass die frühere Rspr zum 57 RBerG nicht ohne weiteres auf das RDG übertragen werden kann (eingehend zur Reichweite des RBerG als Verbotsgesetz Erman/Palm12 Rn 85). Es unterliegt jedoch im Grundsatz keinem Zweifel, dass auch die Regelungen des RDG Verbotsgesetze iSd § 134 darstellen und daher Verträge, die unter Verstoß gegen die Vorgaben des RDG geschlossen werden, nichtig sind (s nur BGH VersR 2017, 277, 280; LG Stuttgart NZV 2011, 131; jurisPK/ Nasall Rn 169; zum RBerG BGH 37, 258, 261; 70, 12, 17; NJW 2008, 3069, 3070); denn auch wenn sich das Verbot nur gegen die beratende Person richtet, kann der Zweck des RDG, eine unsachgemäße Beratung der Rechtssuchenden zu verhindern, nur durch die Nichtigkeit entspr Vereinbarungen erreicht werden. Die Nichtigkeit erstreckt sich auch auf eine mit der verbotenen Rechtsbesorgung verbundenen Vollmacht; allerdings kommt uU eine Rechtsscheinshaftung nach §§ 171, 172 in Betracht (BGH NJW 2002, 66; 2002, 2325, 2326; 2003, 1252, 1254; 2003, 2088, 2089; 2004, 59, 60; 2004, 2378, 2379; 2006, 1957, 1959; NZG 2007, 179, 180; NJW-RR 2007, 395, 396). Ferner wird man wie früher annehmen müssen, dass der Vertrag gem § 139 als Ganzes nichtig ist, auch wenn er zugleich erlaubte Tätigkeiten enthält (so zum RBerG etwa BGH 50, 90, 92; NJW 2000, 1560, 1562). Wird eine Rechtsdienstleistung ohne die entspr Erlaubnis erbracht, wird die Beratung auch nicht dadurch zulässig, dass der Handelnde sich dabei der Hilfe eines Anwalts bedient (BGH NJW 2009, 3242, 3244). Schwierig ist vor allem die Bewertung von solchen (inhaltlich „gemischten“) Rechtsgeschäften, die neben der 58 Wahrnehmung rechtlicher Interessen auch einen anderen Leistungsinhalt etwa kaufmännisch-wirtschaftlicher Art haben. In diesen Fällen muss letztlich vor allem mit der durch Art 12 GG geschützten Berufsfreiheit abgewogen werden, ob sich die angebotene Dienstleistung in einer wertenden Gesamtschau (noch) als überwiegend nicht-rechtliche, etwa wirtschaftliche Interessenwahrnehmung oder im Wesentlichen (schon) als erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung darstellt (vgl zum RBerG BGH NJW 2002, 2877, 2278; 2003, 3046, 3047f; 2005, 969, 970). Diese verfassungsrechtlich vorgegebene Abgrenzung liegt letztlich auch § 5 RDG zugrunde, der darauf abstellt, ob die Rechtsdienstleistung als Nebenleistung zum Berufs- und Tätigkeitsbild einer anderen Tätigkeit gehört (vgl BT-Drs 16/3655, 51). Daher ist bei gefestigten Berufsbildern mit nur kleinen und leicht beherrschbaren Elementen rechtlicher Interessenwahrnehmung regelmäßig keine ohne Erlaubnis verbotene Tätigkeit anzunehmen. Teilw entspr den bisherigen Grundsätzen werden daher auch in Zukunft nicht erlaubnispflichtig sein: Überwachung, Mitteilung der Fälligkeit, Berechnung der Höhe und Einzahlung der von Patentinhabern geschuldeten Aufrechterhaltungsgebühren (BVerfG 97, 12, 16); Rechtsberatung von Kunden durch einen zugelassenen Inkassounternehmer darüber, ob und unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten ihnen die zum Inkasso abgetretene Forderung zusteht (BVerfG NJW 2002, 1190, 1191); Einholung eines Gutachtens zu einem KfzSchaden, Mitteilung des Gutachtens an den Unfallgegner und Reservierung eines Ersatzwagens durch den Inhaber einer Kfz-Werkstatt (BGH NJW 2000, 2108, 2109); Beschaffung von Informationen und Tatsachenmaterial im Rahmen der Erbensuche durch ein Unternehmen oder sonstige berufsmäßige Erbenermittler (BGH NJW 2003, 3046, 3048; s ferner auch zu § 5 RDG BT-Drs 16/3655, 53); Zeichnungsschein mit Vollmacht zur Beschaffung eines Darlehens (BGH 167, 223, 228; NZG 2007, 179, 180; NJW-RR 2007, 395); fachtechnische Überprüfung von Architektenleistungen und der Berechnung durch ein Architekturbüro (BGH NJW 2007, 842, 843); Hilfe eines Bausachverständigen bei der Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen (Düsseldorf NJWRR 2006, 562, 563); die gewerbliche Baubetreuung (BGH 70, 12, 17; 145, 265, 272); rechtliche Beratung zur vorzeitigen Beendigung von Darlehensverträgen durch ein Finanzdienstleistungsunternehmen im Rahmen der Umschuldung (BGH NJW 2012, 1589, 1590); nicht aber ein Geschäftsbesorgungsvertrag zur Abwicklung des Erwerbs eines Grundstücks oder von WE im Rahmen eines steuerlich begünstigten Bauträger- oder Bauherrenmodells, wenn der Abschluss von Kauf-, Finanzierungs- und Mietgarantievereinbarungen, die dingliche Belastung des Eigentums und ggf die Bildung der WE-Gemeinschaft im Vordergrund stehen (BGH 145, 265, 269ff; Arnold

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ferner BGH NJW 2001, 756; 2002, 66, 67; 2002, 2325, 2326; 2007, 1130, 1131; NJW-RR 2007, 395, 396). Entspr gilt für einen Treuhandvertrag, der den Treuhänder nicht primär zur Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange des Treugebers verpflichtet, sondern ihm umfassende Befugnisse zur Vornahme und Änderung von Rechtsgeschäften im Zusammenhang mit dem Beitritt des Treugebers zu einem geschlossenen Immobilienfonds einräumt (BGH NJW 2001, 3774, 3775; 2003, 1252, 1253). Ebenso handelt es sich nicht um eine bloße Nebenleistung iSd § 5 RDG bei der Einziehung der Forderungen geschädigter Kapitalanleger durch eine Gesellschaft, die die Interessen der geschädigten Anleger bündeln und der Informationsbeschaffung dienen soll (BGH NJW 2013, 59, 61), der Patentanmeldung durch einen Entwicklungsingenieur (BGH NJW 2016, 3441, 3442) oder bei der Anfertigung gerichtlicher Schriftsätze durch einen Hausverwalter für seine Kunden (Düsseldorf NJW-RR 2014, 1387). Für die Abgrenzung einer nach § 2 II und § 3 RDG unter Erlaubnisvorbehalt stehenden Inkassodienstleistung zum (erlaubnisfreien) echten Forderungskauf ist maßgeblich, ob die Forderung endgültig auf den Erwerber übertragen wird und dieser das volle wirtschaftliche Risiko der Beitreibung der Forderung übernimmt (BGH NJW 2013, 59, 60; 2015, 397, 398; ZIP 2014, 130, 131; VersR 2017, 277, 279). Verneint worden ist eine unerlaubte Rechtsberatung schon nach bisherigem Recht ferner: Wenn der Verwalter einer Wohnungseigentumsanlage Ansprüche der WE mit deren Ermächtigung geltend macht (BGH 122, 327, 328f); wenn eine Gemeinschaft von WE in Prozessstandschaft bestimmte Ansprüche von Erwerbern von WE geltend macht (BGH NJW 2007, 1957, 1959; vgl auch BGH NJW 2007, 842, 843); wenn für eine Gesellschaft ein Treuhandgesellschafter bestellt wird (BGH NJW-RR 2006, 1182, 1183); wenn eine Gesellschaft zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen die Führung ihrer Geschäfte – verbunden mit der Erteilung einer umfassenden Vollmacht – einem Geschäftsbesorger überträgt, der selbst nicht Gesellschafter ist (BGH NJW 2004, 839, 840; ZIP 2005, 1361, 1363; NJW 2006, 2980, 2981; NZG 2007, 140, 142 – jew mwN; aA dazu vor allem Ulmer ZIP 2005, 1341, 1345f; vgl auch Altmeppen ZIP 2006, 1, 4; Habersack BB 2005, 1695, 1697; Schimansky WM 2005, 2209, 2210); für den Betrieb einer Telefonhotline, über die bundesweit Rechtsberatung durch Rechtsanwälte eingeholt werden kann (München NJW 1999, 150, 151; vgl dazu aber auch München NJW 2000, 1651, 1652 zu § 1 UWG); für die Übernahme der Veröffentlichung von Titelschutzanzeigen in dafür üblichen Veröffentlichungsblättern (BGH NJW 1998, 3563, 3564); für die öffentliche Ausschreibung eines Auftrags durch ein Bundesland, der die auch rechtliche Klärung von Restitutionsansprüchen zum Gegenstand hat (BGH NJW 1999, 497, 498). Bei einem Wirtschaftsprüfer fällt eine rechtliche Beratung nicht unter das Verbot, soweit sie im unmittelbaren Zusammenhang mit Aufgaben stattfindet, die zum anerkannten herkömmlichen Berufsbild des Wirtschaftsprüfers gehören (BGH NJW 1988, 561, 562; Koblenz NJW-RR 1998, 1675). Häufig findet sich eine Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten im Zusammenhang mit der Abwicklung von Verkehrsunfällen. Geschäftsbesorgungsverträge, Einziehungsermächtigungen und Forderungsabtretungen, die Schadensersatzansprüche aus Kfz-Unfällen und sonstigen Vorgängen im Straßenverkehr zum Gegenstand haben, waren unter Geltung des RBerG unwirksam, wenn sie auf eine geschäftsmäßige Durchsetzung des Anspruchs auf fremde Rechnung oder auf eine geschäftsmäßige Schadensregulierung – etwa durch einen Autovermieter (st Rspr seit BGH 47, 364, 366 und 61, 317, 320f; BGH NJW 2003, 1938, 1939; 2006, 1726f; 2006, 1804, 1805) oder einen sog Unfallhelferring (vgl dazu Buschbell AnwBl 1994, 108) – abzielten (BGH 47, 364, 369; 2003, 1938, 1940). Sie waren gültig, wenn sie auf eigene Rechnung erfolgten, zB wenn die Abtretung im Wesentlichen der Sicherung des Forderungserwerbers = Unternehmers und der Verwirklichung seiner Forderung gegen den Zessionar dienten (BGH NJW 1974, 1246, 1246; 2005, 135f; NJW-RR 2005, 1371; NJW 2005, 3570; 2006, 1726). Für die Tätigkeit von anderen im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall eingeschalteten Unternehmern (etwa Abschleppunternehmen; Reparaturwerkstatt; Unfallsachverständiger; Transportversicherer – Saarbrücken NJOZ 2004, 347, 348) galt dies entspr, ebenso im Regelfall für das Anbieten von „Schadensmanagement“ (Frankfurt NJW-RR 2005, 786; vgl auch Naumburg NJW-RR 2006, 764). Nichtig waren auch die Abtretung an eine Bank im Rahmen der Vorfinanzierung (BGH 61, 317, 324) und ein mit einer Bank im Rahmen einer organisierten Unfallhilfe geschlossener Kreditvertrag (BGH VersR 1977, 250, 251; 1978, 1041, 1942; NJW 1977, 38, 40), dies selbst dann, wenn die Ersatzforderung aus dem Verkehrsunfall nicht an die Bank abgetreten worden war (BGH NJW 1977, 431). Etwas anderes galt jedoch, wenn die Einziehung dem Unfallgeschädigten überlassen blieb (München AnwBl 1974, 84, 85). Nach dem RDG ist nunmehr gem § 2 I RDG darauf abzustellen, ob es sich um eine Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten handelt, die eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Dies dürfte in den genannten Fällen zu bejahen sein. Allerdings ist § 5 RDG zu beachten. Nach dieser Norm soll jetzt die Einziehung einer an ein Mietwagenunternehmen zedierten Schadensersatzforderung des Geschädigten auf Erstattung von Mietwagenkosten zulässig sein, wenn lediglich die Höhe der Mietwagenkosten str ist, nicht aber, wenn die Haftung dem Grunde oder der Haftungsquote nach str ist (BGH NJW 2012, 1005, 1006f; NZV 2013, 31; zur zeitlichen Abgrenzung zw RBerG und RDG insoweit auch BGH NJW 2013, 62, 63). Dabei ist die Abtretung bereits zulässig, bevor klar ist, wie sich der Unfallgegner bzw dessen Haftpflichtversicherung einlässt, wenn nicht bereits ohne weiteres erkennbar ist, dass die Einziehung der Forderung durch das Mietwagenunternehmen unzulässig ist (BGH NJW 2013, 1870). P Scheckrecht. Eine über Art 4 ScheckG hinausgehende Einlösungsvereinbarung ist gültig (BGH WM 1956, 1293, 1294; BGH 64, 79, 81). Gleiches gilt für die schuldrechtliche Verpflichtung des Bezogenen, entgegen Art 32 ScheckG einen Widerruf vor Ablauf der Vorlegungsfrist zu beachten (BGH 35, 217, 220); insb gilt dies für die

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§ 134

Vereinbarung einer Verpflichtung, eine Schecksperre (= Scheckwiderruf) vor Ablauf der Vorlegungsfrist zu beachten (BGH NJW 1988, 3149, 3150; dazu ua Ahlers NJW 1990, 1149 und Huff NJW 1990, 1160). P Schwarzarbeitsgesetz. Auch die Vorschriften zum Verbot der Schwarzarbeit stellen ein Schutzgesetz dar. Rechtsgeschäfte, mit denen diese Bestimmungen missachtet werden, sind nach § 134 nichtig, wenn beide Vertragspartner dem Gesetz bewusst zuwiderhandeln (BGH NJW 2013, 3167, 3168). Bei einem bloß einseitigen Verstoß des Unternehmers ist eine Nichtigkeit des Vertrags dann anzunehmen, wenn der Unternehmer vorsätzlich gegen das Verbot verstößt und der Besteller davon weiß und dies bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt (BGH NJW 2013, 3167, 3168; 2014, 1805; 2015, 2406). Treffen die Parteien nachträglich einen „Ohne-Rechnung-Abrede“, ist regelmäßig nicht nur die Abänderungsvereinbarung, sondern der gesamte Vertrag unwirksam (BGH 16.3.2017 – VII ZR 197/16; Stuttgart NJW 2016, 1394, 1396; aA St. Lorenz NJW 2013, 3132, 3134; Jerger NZBau 2016, 137, 138). Ist der Vertrag nichtig, so kann ein Anspruch aus Vergütung auch nicht aus GoA abgeleitet werden (BGH NJW 2014, 1805). Ferner steht dem Unternehmer auch kein bereicherungsrechtlicher Anspruch zu, weil diesem § 817 S 2 entgegensteht (BGH NJW 2014, 1805ff unter Aufgabe der bisherigen Rspr; ferner BGH NJW 2015, 2406f; s auch Stamm NJW 2014, 2145). Umgekehrt stehen dem Auftraggeber keine Mängelgewährleistungsansprüche zu (BGH NJW 2013, 3167, 3169; 2015, 2406). Bei einem Arbeitsverhältnis, das den Tatbestand der Schwarzarbeit erfüllt, erfasst die Nichtigkeit mit Rücksicht auf die Schutzbedürftigkeit des ArbN idR nur die verbotswidrige Abrede, keine Steuern und/oder Sozialabgaben abzuführen (sofern diese nicht der Hauptzweck der Vereinbarung war), nicht hingegen den eigentlichen Arbeitsvertrag (BAG 105, 187, 190ff; BAG NZA 2010, 881, 882). P Steuerberatungsgesetz. § 5 II StBerG verbietet die unbefugte geschäftsmäßige Hilfe in Steuersachen. Die Regelung schützt nicht nur die Interessen der ratsuchenden Steuerpflichtigen, sondern darüber hinaus wichtige Gemeinschaftsgüter. Sie ist deshalb Verbotsgesetz iSv § 134. Ein Vertrag, durch den sich eine dazu nach §§ 2ff, 6 StBerG nicht befugte Person zur Hilfeleistung in Steuersachen verpflichtet, ist nichtig (BGH NJW 1996, 1954, 1955; NJW-RR 2005, 1290, 1291 für einen Vertrag mit einem Kontierer iSv § 6 Nr 4 StBerG; Düsseldorf NJOZ 2002, 527). Auch ein Steuerberater kann im Hinblick auf § 64 II StBerG und § 203 I Nr 3 StGB ohne Zustimmung seiner Mandanten weder Honoraransprüche wirksam abtreten noch eine wirksame Verpflichtung zur Honorarabtretung oder zur Übergabe von Handakten, Mandantenunterlagen usw eingehen (vgl BGH NJW 1996, 2087, 2088; Rostock NJOZ 2006, 1263, 1267; BGH NJW 1999, 1544, 1546; Jena MDR 2005, 1180; LG Konstanz NJW 1992, 1241, 1242 für die Abtretung des Honoraranspruchs; Frankfurt DB 2006, 1839 für die Abtretung an eine Sozietät aus Steuerberatern und Rechtsanwälten; München NJW-RR 2001, 1145, 1146 für die Abtretung an eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft). Dagegen ist die Pfändung von Honorarforderungen wirksam (BGH 141, 173, 176). Ebenso führt der Verstoß gegen das für Steuerberater geltende Verbot einer gewerblichen Betätigung (§ 57 IV 1 StBerG) regelmäßig nicht zur Nichtigkeit entsprechender Verträge (s nur BGH NJW-RR 2011, 1426f für einen „Beratungsvertrag Sanierung“; BGH NJW 2014, 3568, 3569 für Forderungsabtretungen im Rahmen einer unzulässigen Inkassotätigkeit einer Steuerberatungsgesellschaft). Eine auf eine Steuerstraftat (§§ 369ff AO), insb auf eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder Steuerhehlerei (§ 374 AO), gerichtete Vereinbarung ist nach hM nur dann nichtig, wenn die Steuerstraftat Hauptzweck des Vertrags war (Bsp: BGH 14, 25, 30f; WM 69, 163, 164; NJW 1983, 1843, 1844; BGH 136, 125, 132; NJW 2003, 2742; NJW-RR 2001, 380, 381; 2008, 1051, 1052; Hamm BB 1989, 651; Koblenz WM 1979, 1435, 1436; Köln MDR 1957, 34; MüKo/Armbrüster Rn 57; Staud/Sack/Seibl Rn 287). Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, wenn etwa bei einem Grundstückskaufvertrag oder bei einem Mietvertrag der vereinbarte Preis mit dem Ziel der Steuerersparnis zu niedrig angegeben wird, lässt sich sachgerecht nur nach den Umständen des Einzelfalls entscheiden (BGH NJW 2003, 2742 – für Mietvertrag; für Grundstückskaufvertrag idR verneinend BGH NJW-RR 2002, 1527). Ist ein Vertrag nichtig, weil er auf eine Steuerverkürzung gerichtet war, soll die Rückforderung der erbrachten Leistung nach § 817 S 2 nur insoweit ausgeschlossen sein, wie diese die Gegenleistung für die steuerverkürzende Abrede bilden sollte (BGH DStR 2017, 163, 167). P Strafrecht. Vereinbarungen, die auf die gemeinsame Begehung einer Straftat oder auf die strafbare Teilnahme eines Vertragsteils an einer Straftat des anderen Vertragsteils zum Nachteil der Allgemeinheit oder eines Dritten abzielen, sind in aller Regel als beiderseitige Verletzung des allg in den Strafgesetzen liegenden Verbots, Straftaten zu begehen, gem § 134 unwirksam (MüKo/Armbrüster Rn 52). Ferner sind nicht alle (BGH 53, 152, 157), aber doch die meisten Strafnormen nach ihrer Zweckbestimmung inhaltlich Verbotsgesetze iSv § 134. Ein strafbewehrtes Verbot führt aber grds nur dann zur Nichtigkeit des mit dem Inhalt der Verbotsnorm unvereinbaren Rechtsgeschäfts insgesamt, wenn der Straftatbestand von allen Vertragsbeteiligten objektiv und subjektiv erfüllt wird (BGH 89, 369, 373; 115, 123, 125; 132, 313, 318). Verstößt hingegen nur ein Vertragsteil mit einem Vertrag gegen ein Strafgesetz, dann ist zu unterscheiden: Nichtigkeit tritt allein dann ein, wenn der Verbotszweck nur so erreicht werden kann. Keine Nichtigkeit ist idR anzunehmen, wenn das strafbare Verhalten des einen Teils für den anderen Teil eine Möglichkeit eröffnet, sich einseitig vom Vertrag zu lösen (Bsp: Anfechtbarkeit aus § 123 bei Betrug; anders, wenn zwei zum Nachteil eines Dritten einen Betrug vereinbaren, vgl Karlsruhe DAR 1990, 183, 184; MüKo/Armbrüster Rn 53; Staud/Sack/Seibl Rn 15); in diesen Fällen überlässt das Gesetz dem durch die Straftat benachteiligten Vertragspartner durch § 123 die Entscheidung, ob der Vertrag gelten soll oder nicht (teilw aM für einen Submissionsbetrug München NJW-RR 2002, 886, 887). Arnold

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Anwendungsbsp: Verträge, die eine wegen eines Berufsverbotes nach § 70 StGB verbotene Tätigkeit zum Inhalt haben, sind ungültig, da sie gegen § 145c StGB verstoßen (Staud/Sack/Seibl Rn 290). Zu § 168 StGB als Verbotsgesetz vgl BGH NJW 1994, 2613 – Vertrag über die Bergung eines gesunkenen U-Bootes. Die Veräußerung einer unterschlagenen oder veruntreuten Sache (§§ 246, 266 StGB) an einen Gutgläubigen ist wirksam (RG 78, 347, 353); dagegen ist schon das Verpflichtungsgeschäft nichtig, wenn der Erwerber Hehler (§ 259 StGB) ist oder zu der vorausgegangenen Unterschlagung oder der Untreue Beihilfe geleistet hat (MüKo/Armbrüster Rn 53; Soergel/Hefermehl Rn 24). Eine mittelbare Falschbeurkundung (§ 271 StGB) in einer Vertragsurkunde führt ebenfalls nicht zur Nichtigkeit des Vertrags (RG HRR 1931 Nr 579). Ein Rechtsgeschäft, das wegen Gläubigerbegünstigung oder Schuldnerbegünstigung unter §§ 283c oder 283d StGB oder wegen Zwangsvollstreckungsvereitelung unter § 288 StGB fällt und nach den Sonderregeln der §§ 129ff InsO, §§ 1ff AnfG angefochten werden kann, ist idR nicht nach § 134 nichtig (vgl für die Gläubigerbenachteiligung BGH NJW-RR 2002, 1359, 1361; 2007, 121; MüKo/Armbrüster Rn 58; Staud/Sack/Seibl Rn 255, 295). IÜ sind aber wegen Verstoßes gegen § 288 StGB Vereinbarungen nichtig, die darauf abzielen, eine Zwangsvollstreckung zu vereiteln (vgl RG 142, 373, 377; Schleswig SchlHA 1957, 96; MüKo/Armbrüster Rn 58), sofern nicht ein Gutgläubiger beschenkt wird (Staud/ Sack/Seibl Rn 295 mwN). Ungültig ist ein Vertrag, der gegen § 284 StGB verstößt (Nürnberg MDR 1978, 669; Staud/Sack/Seibl Rn 295; zur Abgrenzung BGH 47, 393, 397f – keine Nichtigkeit bei Verstoß gegen Auflagen oder Zulassungsbedingungen). Eine wucherische Vereinbarung unter Verstoß gegen § 291 StGB ist idR nur ungültig, wenn entweder die Leistung des Bewucherten nicht teilbar ist oder eine Beschränkung der Nichtigkeit auf den über das höchstzulässige Maß hinausgehenden Teil seiner Leistung im Einzelfall nicht in Betracht kommt (Staud/ Sack/Seibl Rn 295). Nichtig sind die einer Bestechung oder unzulässigen Vorteilsannahme (§§ 331ff, 299ff StGB) dienenden Rechtsgeschäfte (BGH 141, 357, 359; BFH NJW 2001, 2280; Karlsruhe BB 2000, 635f; Soergel/Hefermehl Rn 25; Staud/Sack/Seibl Rn 295, 299). P UWG. Rechtsgeschäfte, die selbst zu unlauterem Wettbewerb unter Verstoß gegen zwingende Verbote etwa des UWG verpflichten, sind regelmäßig nach § 134 nichtig (Bsp: BGH 110, 156, 175; 141, 357, 360f; NJW 1998, 2531, 2533; München AfP 1995, 655, 656; NJW-RR 2006, 768f; Stuttgart BB 1996, 2060; NJW-RR 1997, 236, 237; MüKo/Armbrüster Rn 67; Staud/Sack/Seibl Rn 298ff; Körner WRP 1979, 774, 775; Sack WRP 1974, 445, 447; vgl auch BGH NJW 2002, 2093, 2094f). Dagegen sind Rechtsgeschäfte, die mit Hilfe wettbewerbsrechtlich unlauteren Verhaltens zustande kommen („Folgeverträge“), nicht ohne weiteres unwirksam; das gilt insb, wenn das Verbotsgesetz, wie es die Regel ist, nicht gerade den Abschluss von Rechtsgeschäften mit diesem Inhalt verhindern will (Bsp: BGH 110, 156, 174f; 123, 330, 336; MüKo/Armbrüster Rn 67; Staud/Sack/Seibl Rn 304); Voraussetzung für eine Nichtigkeit gem § 134 aus wettbewerbsrechtlichen Gründen ist in diesen Fällen, dass der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung selbst die Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens innewohnt (BGH 110, 156, 175; NJW 1998, 2531, 2532; 1999, 2266, 2267). Möglicherweise kann der unlauter geworbene Vertragspartner sich allerdings je nach Lage des Einzelfalls nach den hierfür vorgesehenen Regeln – etwa durch Anfechtung oder Widerruf nach den besonderen Bestimmungen für Verbraucherverträge – einseitig aus dem Vertrag lösen (vgl Staud/Sack/Seibl Rn 304). P Vergaberecht. Im Vergaberecht (§§ 97ff GWB; VgV) führen materielle oder verfahrensmäßige Rechtsverstöße regelmäßig nicht zur Anwendung von § 134. Ihre Auswirkungen sind vielmehr in Nachprüfungsverfahren von den Vergabekammern (§§ 155ff GWB) und den zuständigen Gerichten (§ 171 GWB) zu klären. Denkbar ist, dass eine Bietergemeinschaft vom Wettbewerb ausgeschlossen wird, wenn der Zusammenschluss etwa gegen § 1 GWB verstößt und daher gem § 134 unwirksam ist (vgl BGH NZBau 2006, 809 mwN; Düsseldorf NZBau 2006, 810; Byok NJW 2004, 198, 200; Kämper/Hesshaus NZBau 2003, 303 und Wiedemann ZfBR 2003, 240, 241). Während des Vergabeverfahrens und des Verfahrens vor der Vergabekammer gelten zur (EU-rechtlich gebotenen, vgl EuGH NJW 2000, 569, 570) Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes für unterlegene Bieter befristete Zuschlagsverbote (§ 134 GWB für das Vergabeverfahren; § 169 GWB für das Verfahren vor der Vergabekammer).Verbotswidrig vergebene Aufträge sind nichtig; allerdings wird in § 135 GWB die Nichtigkeitsfolge unmittelbar angeordnet und von einer Feststellung des Verstoßes im Nachprüfungsverfahren abhängig gemacht. Nichtigkeit nach § 134 (oder § 138) kann im Einzelfall aber begründet sein, wenn durch wettbewerbsbeschränkende Abreden bei der Ausschreibung strafbar oder in kollusivem Zusammenwirken gehandelt wird (§§ 263, 298 StGB; Bsp: BGH NJW 2001, 3718, 3719; München NZBau 2002, 509, 510; Portz VergabeR 2002, 211, 218). P Versicherungsrecht. Auch ein Versicherungsvertrag kann wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig sein. Das Schwergewicht der Inhaltskontrolle von Versicherungsverträgen liegt in der Rechtspraxis aber nicht bei der Prüfung von Verbotsgesetzen iSv § 134, sondern im AGB-Recht sowie bei der verfassungskonformen Auslegung von einzelnen Vertragsregelungen, etwa unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Versicherungsnehmers. Die Frage, ob bei einer Lebensversicherung Provisionsteilungsvereinbarungen wegen des Verbots der Gewährung von Sondervergütungen unwirksam sind ist vom BGH (159, 334) verneint worden (zust MüKo/Armbrüster Rn 68). – Zur Wirksamkeit der Vereinbarung einer Gebäudeversicherung trotz Vermögensbeschlagnahme nach § 290 StPO Düsseldorf NJW-RR 2004, 468. P Versteigerung. Unwirksam ist ein Vertrag über eine Versteigerung ohne die nach § 34b I GewO erforderliche Genehmigung (Hamm NJW-RR 1994, 546, 547; vgl zur Abgrenzung – keine Nichtigkeit bei Verletzung von Vorschriften für die Versteigerung RG 60, 273, 275; BGH NJW 1981, 1204, 1205; Celle NJW 1969, 1764, 1765).

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Willenserklärung

§§135, 136

Umstr ist, ob § 34b I GewO auch für die sog Internetauktionen gilt (bejahend LG Hamburg MMR 1999, 678, 679; Klinger DVBl 2002, 810; verneinend KG NJW 2001, 3272; Hösch GewA 2002, 257; Merten GewA 2006, 55; vgl auch Krugmann NVwZ 2001, 651). Zur Wirksamkeit eines bei einer Internetauktion geschlossenen Kaufvertrags BGH MMR 2002, 95, 96; Hamm NJW 2001, 1142.

§ 135

Gesetzliches Veräußerungsverbot

(1) Verstößt die Verfügung über einen Gegenstand gegen ein gesetzliches Veräußerungsverbot, das nur den Schutz bestimmter Personen bezweckt, so ist sie nur diesen Personen gegenüber unwirksam. Der rechtsgeschäftlichen Verfügung steht eine Verfügung gleich, die im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung erfolgt. (2) Die Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, finden entsprechende Anwendung.

§ 136

Behördliches Veräußerungsverbot

Ein Veräußerungsverbot, das von einem Gericht oder von einer anderen Behörde innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassen wird, steht einem gesetzlichen Veräußerungsverbot der in § 135 bezeichneten Art gleich. 1. Allgemeines. Die §§ 135f regeln über ihren Wortlaut hinaus nicht nur die Rechtsfolgen von Veräußerungsverboten, sondern allg von – praktisch freilich kaum vorkommenden (s Rn 5) – gesetzlichen und behördlichen relativen Verfügungsverboten (allg M). Diese dienen dem Schutz bestimmter (einzelner) Personen. Deshalb ist die Verfügung, die gegen ein solches Verbot verstößt, nur ggü den geschützten Personen unwirksam, ggü anderen aber wirksam; sie ist also nach §§ 135, 136 relativ unwirksam. 2. Abgrenzung. a) Absolute Verfügungsverbote. Nicht anwendbar sind die § 135f auf absolute Verfügungsverbote. Sie dienen idR dem Schutz überragender Interessen der Allgemeinheit und verbieten mit ihnen unvereinbare Rechtsgeschäfte; sie wirken ggü jedermann. Deshalb ist eine Verfügung, die gegen ein absolutes Veräußerungsverbot verstößt, nach § 134 nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt (BGH 19, 355, 359; NJW 1983, 636). Bsp für absolute Verfügungsverbote bilden etwa § 111b StPO, § 290 StPO (Düsseldorf NJW-RR 2004, 468), §§ 43, 50–52 AMG (MüKo/Armbrüster § 135 Rn 9), § 3 BtMG und § 55 II 3 BNotO (BGH NJW 2006, 294, 296). Auch § 81 InsO enthält ein absolutes Verfügungsverbot (s nur MüKo-InsO/Ott/Vuia § 81 Rn 13; zur Diskussion zur KO s Erman/Palm11 Rn 5); dasselbe gilt für § 88 InsO (BGH NJW 2006, 1286f). Als absolute Verfügungsverbote werden insb von der Rspr auch die §§ 1365, 1369 angesehen (s nur BGH 40, 218, 219f; zum Streitstand s § 1365 Rn 29, § 1369 Rn 9 mwN). Demgegenüber wird in der Lit vielfach angenommen, es handele sich um sog Verfügungsbeschränkungen (s Rn 3), da durch die Regelungen nicht das Allgemeininteresse geschützt werde (MüKo/Armbrüster § 135 Rn 22; Medicus/Petersen AT Rn 670). Praktische Konsequenzen hat die Kontroverse freilich nicht, da die §§ 1366f die Rechtsfolgen von gegen §§ 1365, 1369 verstoßenden Verfügungen gesondert regeln. b) Verfügungsbeschränkungen. Von den relativen Verfügungsbeschränkungen zu unterscheiden sind auch die sog Verfügungsbeschränkungen, die zwar nur dem Schutz individueller Interessen dienen, aber – im Gegensatz zu den relativen Verfügungsbeschränkungen – absolut wirken, weil dem Verfügenden die erforderliche Verfügungsmacht fehlt. Eine dagegen verstoßende Verfügung ist absolut unwirksam; nicht nur der Geschützte, sondern jedermann kann sich auf die Unwirksamkeit berufen. Hierher gehören zB die Verfügungsbeschränkungen der Eltern (§§ 1643ff), des Vormunds (§§ 1804ff), des Vorerben (§ 2113) und des Erben bei Testamentsvollstreckung (§ 2211; BGH 48, 214, 219). Auch §§ 717, 719, die Verfügungen eines Gesellschafters über seine Mitgliedschaftsrechte an einer Personengesellschaft oder über seinen Anteil am Gesellschaftsvermögen ausschließen, stellen Verfügungsbeschränkungen dar (BGH 13, 179, 183; 24, 106, 114). Gleiches gilt für Verfügungen über vereinbarungsgemäß nicht abtretbare Forderungen oder Rechte, §§ 399, 413 (BGH 56, 228, 231; Jauernig/Mansel Rn 3). c) Verpflichtungsbeschränkungen. Erst recht nicht von §§ 135f erfasst werden Verpflichtungsbeschränkungen, wie sie zB § 311b II, IV für Verträge über künftiges Vermögen oder den Nachlass eines lebenden Dritten vorsehen. Soweit in den Fällen des § 311b IV auch das Verfügungsgeschäft unwirksam ist (s nur BGH 37, 319, 324f), beruht dies darauf, dass Verfügungen über den Nachlass eines Dritten zu dessen Lebzeiten nach den Grundsätzen des BGB von vornherein ausgeschlossen sind; mit § 135 hat daher auch dieser Fall nichts zu tun (vgl MüKo/Armbrüster § 135 Rn 14). 3. Relative Verfügungsverbote. a) Gesetzliche Verfügungsverbote. Relative Veräußerungsverbote können auf Gesetz (§ 135) oder auf gerichtlicher bzw behördlicher Anordnung (§ 136) beruhen; durch Rechtsgeschäft können sie dagegen nicht begründet werden. Gesetzliche relative Verfügungsverbote sind freilich äußerst selten. Zwar stellen etwa die §§ 1124ff relative Verfügungsverbote dar; doch enthalten sie zugleich eigene Regelungen hins der Rechtsfolgen, so dass für die Anwendung des § 135 kein Raum bleibt. Letztlich wird für das BGB eine Anwendung des § 135 allein im Hinblick auf § 473 diskutiert (s RG 114, 105, 111; Pal/Weidenkaff § 473 Rn 2; aA MüKo/Armbrüster § 135 Rn 16f). Auch außerhalb des BGB sind relative Veräußerungsverbote äußerst selten:

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Als Bsp werden etwa §§ 17, 108 VVG genannt (Medicus/Petersen AT Rn 671; Prölss/Martin/Lücke § 108 VVG Rn 15). b) Behördliche Verfügungsverbote. Der Hauptanwendungsbereich der §§ 135, 136 liegt daher bei den gerichtlichen oder behördlichen Verfügungsverboten. Die wichtigsten Bsp bilden die Beschlagnahmen im Zwangsvollstreckungsrecht (§§ 829, 857 ZPO, s BGH 58, 25, 26; 100, 36, 45; NJW 1998, 746; 2007, 81) sowie nach ZVG (§§ 23, 146 ZVG, s BGH NJW 1997, 1582), die Zahlungssperre nach § 480 FamFG und die einstw Verfügungen (vgl § 938 II ZPO), durch die ein relatives Veräußerungsverbot ausgesprochen wird. In Betracht kommen auch entspr strafprozessuale Maßnahmen gem § 111d I StPO (§ 111c V StPO aF) und § 75 III StGB (§§ 73e, 74e III StGB aF), etwa die Beschlagnahme von Geld (Düsseldorf NJW 1995, 2239) oder von Wertpapieren (Düsseldorf NJOZ 2004, 1213, 1218). c) Entsprechende Anwendung auf Erwerbsverbote. Gesetzliche Erwerbsverbote sieht das BGB nicht vor. Dagegen werden gerichtliche Erwerbsverbote von der Rspr (RG 117, 287, 291; 120, 118, 119; BGH NJW 1983, 565) zugelassen (ebenso MüKo/Armbrüster § 136 Rn 8f; aA Flume AT II § 17, 6e; Medicus/Petersen AT Rn 665; Staud/ Kohler § 136 Rn 29ff). Sie sollen zB verhindern, dass der Grundstückskäufer bei einem formnichtigen Kaufvertrag und bereits erfolgter Auflassung als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen wird, wodurch der Formmangel des Kaufvertrags nach § 311b S 2 geheilt würde. Durch einstw Vfg (§§ 935, 938 ZPO) wird dem Käufer verboten, das Grundstück zu erwerben. Das Verbot bildet ein Eintragungshindernis (BayObLG NJW-RR 1997, 913, 914). Wird der Käufer dennoch als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen, so ist in entspr Anwendung der §§ 135, 136 der Erwerb des Eigentums dem durch das Verbot geschützten Verkäufer ggü relativ unwirksam; das gilt auch für die Heilung des Kaufvertrags (RG 117, 287, 294). 4. Folgen relativer Unwirksamkeit. Besteht kraft Gesetzes, gerichtlicher oder behördlicher Anordnung ein relatives Veräußerungs- oder Verfügungsverbot, so darf der Rechtsinhaber über den Gegenstand nicht zum Nachteil des durch das Verbot Geschützten verfügen. Tut er es doch, ist die Übereignung ggü jedermann wirksam, ggü dem Geschützten jedoch unwirksam. Die Verbotswirkung endet und die verbotswidrige Verfügung wird in vollem Umfang wirksam, wenn das Verbot aufgehoben wird, der von ihm Geschützte die Verfügung genehmigt oder das durch das Verbot geschützte Recht entfällt (BGH NJW 1997, 1581, 1582; 2007, 81; Staud/Kohler § 135 Rn 68). Verpflichtungsgeschäfte über den Gegenstand, der einem relativen Verfügungsverbot unterliegt, sind wirksam. Werden sie nicht erfüllt, kommen Ansprüche wegen Nichterfüllung in Betracht. Auch Verfügungsgeschäfte über den Gegenstand, der einem relativen Verfügungsverbot unterliegt, sind trotz des Verbots möglich. Dieses bewirkt keinen Verlust der Verfügungsmacht und – selbst wenn es im Grundbuch eingetragen ist – keine Grundbuchsperre (BGH NJW 1997, 1581, 1582). Durch die verbotswidrige Verfügung treten die gewöhnlichen Wirkungen der Verfügung ein, so dass der Erwerber Eigentümer der Sache oder Inhaber des Rechts wird. Die Verfügung ist aber relativ, dh nur dem Geschützten ggü, unwirksam (anders beim gutgläubigen Erwerb; vgl Rn 12ff). Über die Geltendmachung der relativen Unwirksamkeit ergibt sich aus §§ 135f nichts. Ein direktes Vorgehen des Geschützten gegen einen nicht gutgläubigen Dritten, der durch eine verbotswidrige Verfügung ggü dem Geschützten relativ unwirksam erworben hat, wird jedoch abgelehnt (s nur BGH 111, 364, 368; NK/Looschelders § 135 Rn 25f). Vielmehr muss der Geschützte gegen den verbotswidrig Verfügenden vorgehen. Gegen diesen hat der Geschützte regelmäßig aufgrund des zw beiden bestehenden Rechtsverhältnisses (zB Kaufvertrag) weiterhin einen Anspruch auf Übertragung des Rechts, da wegen der relativen Unwirksamkeit der Verfügende im Verhältnis zum Geschützten immer noch Inhaber des Rechts ist. Der Verfügende hat daher die ihm verbliebene Rechtsmacht auf den Geschützten zu übertragen. Hierzu soll bei beweglichen Sachen eine dingliche Einigung zw dem Verfügenden und den Geschützten genügen; dagegen soll die Abtretung von – ohnehin idR nicht gegebenen – Ansprüchen gegen den Erwerber gem § 931 nicht erforderlich sein (BGH 111, 364, 368; anders Erman/Palm12 Rn 10 und Staud/Kohler § 135 Rn 121, der annimmt, ein entspr Anspruch des Verfügenden gegen den Erwerber folge aus leistungsstörungsrechtlichen Grundsätzen; krit auch Jauernig/Mansel Rn 6). Sodann kann der Geschützte vom Dritten die Herausgabe der Sache verlangen. Ist über ein Grundstück relativ unwirksam verfügt worden, kann der Geschützte vom Verfügenden die Auflassung verlangen und hat gegen den Erwerber einen Anspruch auf Zustimmung zu seiner Eintragung und zur Löschung des Erwerbs (§ 888 II; Pal/Ellenberger Rn 7). Bei der verbotswidrigen Abtretung einer Forderung kann der Geschützte von dem Verfügenden, der trotz der Abtretung ihm ggü noch Inhaber der Forderung ist, Abtretung der Forderung verlangen (NK/Looschelders § 135 Rn 29). Hat allerdings der Schuldner, der das Verfügungsverbot nicht kannte, inzwischen an den, der durch die verbotswidrige Verfügung relativ unwirksam erworben hat, geleistet, wird er in analoger Anwendung der §§ 407f geschützt (BGH 86, 337, 339; Staud/Kohler § 135 Rn 71; Flume AT II § 17, 6d). Den Verfügungsgeschäften stehen Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung und der Arrestvollziehung gleich (§§ 135 I 2, 136). Die Zwangsvollstreckungsmaßnahme, die gegen ein Verfügungsverbot verstößt, ist relativ unwirksam. Der Geschützte hat nach § 772 ZPO die Möglichkeit, Drittwiderspruchsklage zu erheben (§ 771 ZPO). Daneben soll auch die Erinnerung (§ 766 ZPO) zulässig sein (NK/Looschelders § 135 Rn 17; MüKo/Armbrüster § 135 Rn 41). Im Insolvenzverfahren ist nach § 80 II 1 InsO ein Verfügungsverbot dagegen wirkungslos. 5. Gutglaubensschutz des Erwerbers (§ 135 II). a) Grund. Die relative Unwirksamkeit kann den Interessen dessen zuwiderlaufen, der durch eine verbotswidrige Verfügung erwirbt. Wenn das Gesetz schon denjenigen schützt, der gutgläubig vom Nichtberechtigten erwirbt, dann muss erst recht derjenige geschützt werden, der 356

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Willenserklärung

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vom Berechtigten, dessen Verfügung nur relativ unwirksam ist, erwirbt. Deshalb sind nach § 135 II die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb (§§ 892f, 932ff, 1032, 1138, 1155, 1207, 1244; § 366 HGB) entspr anwendbar. b) Voraussetzungen. Es muss sich um einen rechtsgeschäftlichen Erwerb handeln. § 135 II ist also nicht bei einem Erwerb im Wege der Zwangsvollstreckung anwendbar, da das Gesetz für solche Fälle keinen Gutglaubensschutz vorsieht (RG 90, 335, 338; Pal/Ellenberger Rn 9; Soergel/Hefermehl Rn 22; aA NK/Looschelders § 135 Rn 31f; MüKo/Armbrüster § 135 Rn 49). Wie in jedem Fall des gutgläubigen Erwerbs ist ein Verkehrsgeschäft erforderlich. Der Erwerber muss gutgläubig in Bezug auf das Nichtbestehen des relativen Verfügungsverbots sein (RG 90, 335, 338). Demnach schadet beim Erwerb von Rechten an beweglichen Sachen Kenntnis und grobfahrlässige Unkenntnis (vgl §§ 932ff, 1032, 1207, 1244; § 366 HGB), beim Erwerb von Grundstücken oder Grundstücksrechten nur positive Kenntnis (vgl §§ 892, 893, 1138, 1155). Ein gutgläubiger Erwerb von Grundstücken oder Grundstücksrechten kann durch Eintragung des relativen Verfügungsverbots im Grundbuch ausgeschlossen werden (§ 892 I 2). Für das ZVG kommt es auf die Kenntnis der Beschlagnahme an, der die Kenntnis des Versteigerungsantrags gleichsteht (vgl § 23 II ZVG).

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Rechtsgeschäftliches Verfügungsverbot

Die Befugnis zur Verfügung über ein veräußerliches Recht kann nicht durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen oder beschränkt werden. Die Wirksamkeit einer Verpflichtung, über ein solches Recht nicht zu verfügen, wird durch diese Vorschrift nicht berührt. 1. Bedeutung. S 1 soll den numerus clausus der Sachenrechte und die Zwangsvollstreckung sichern (eingehend dazu BGH 134, 182, 186). Die Vorschrift soll verhindern, dass Gegenstände durch Rechtsgeschäft dem Rechtsverkehr entzogen werden. Damit dient sie der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit; im Rechtsverkehr muss man sich darauf verlassen können, dass der Rechtsinhaber an der Verfügung über das Recht zumindest durch Parteivereinbarung nicht wirksam gehindert ist. Ferner soll durch die Vorschrift vermieden werden, dass der Schuldner durch Vereinbarung eines Verfügungsverbots mit einem Dritten Vermögensstücke dem Zugriff des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung entzieht (Staud/Kohler Rn 11). Dagegen schützt die Vorschrift nicht auch die Verfügungsfreiheit des Inhabers (BGH 134, 182, 186; NBGB/Looschelders Rn 4; aA BayObLG NJW 1978, 700, 701; Pal/Ellenberger Rn 1 und Erman/Palm12 Rn 1), denn S 1 verbietet eine Verfügungsbeschränkung nur mit Wirkung gegen Dritte; dagegen ist nach S 2 eine bloß schuldrechtliche Verpflichtung, nicht zu verfügen, wirksam. Eine Verletzung dieser Verpflichtung kann einen Schadensersatzanspruch gegen den Verfügenden auslösen. Nach § 137 kann also nicht das rechtliche Können, wohl aber das rechtliche Dürfen durch Rechtsgeschäft beschränkt werden. 2. Unzulässigkeit einer rechtsgeschäftlichen Verfügungsbeschränkung (S 1). a) Voraussetzungen. Die Vorschrift erfasst grds alle veräußerlichen Rechte, auch Anwartschaftsrechte (BGH NJW 1970, 699; Liebs AcP 175, 1, 41). Kraft Gesetzes unveräußerliche Rechte wie das Vorkaufsrecht (§ 473), der Nießbrauch (§ 1059), eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit (§ 1092 I) und eine Vereinsmitgliedschaft (§ 38) werden dagegen von der Vorschrift nicht erfasst. Gleiches gilt auch für den Anspruch auf eine Dienstleistung, wenn dieser – wie im Zweifel (§ 613 S 2) – nicht übertragbar ist. Unzulässig sind nach § 137 S 1 rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen. Zu den Rechtsgeschäften gehören dabei auch die Verfügungen von Todes wegen (MüKo/Armbrüster Rn 13; vgl aber Rn 5). Auf Verfügungsbeschränkungen kraft Gesetzes oder gerichtlicher bzw behördlicher Anordnung (§§ 135f) findet § 137 keine Anwendung. Ein rechtsgeschäftlich vereinbartes Erwerbsverbot fällt nicht unter § 137 S 1 (Koblenz NJW-RR 2005, 570). b) Folgen. Rechtsgeschäftliche Verfügungsverbote mit dinglicher Wirkung gegen Dritte sind nichtig. Die Nichtigkeit kann über § 139 auch zur Nichtigkeit der mit dem Verfügungsverbot verknüpften Verfügung selbst führen (BGH NJW 1993, 1640). Die verbotswidrige Verfügung ist wirksam. Der Dritte erwirbt trotz des Verbots und unabhängig von seinem guten oder bösen Glauben in Bezug auf das Verbot. c) Spezialnormen. Nach § 399 kann die Abtretung einer Forderung durch Vereinbarung ausgeschlossen werden. Eine vereinbarungswidrige Abtretung ist absolut unwirksam (BGH 102, 293, 301; zur Frage, ob hierin eine wirkliche Ausnahme von § 137 liegt MüKo/Armbrüster Rn 20). Das gilt auch für eine Vereinbarung, dass eine Hypothek oder Grundschuld nicht oder nur beschränkt übertragbar sein soll; hier sind §§ 413, 399, nicht § 137 S 1 einschlägig (Stuttgart OLG 1965, 96, 97; Staud/Kohler Rn 21). Im Erbrecht werden Verfügungsbeschränkungen durch Anordnung einer Testamentsvollstreckung (§ 2211) sowie einer Vor- und Nacherbschaft (§§ 2113ff), nicht dagegen andere Verfügungsbeschränkungen zugelassen. Der Erblasser kann etwa nicht wirksam ausschließen, dass Vor- und Nacherbe oder Testamentsvollstrecker und Erbe gemeinsam über einen Nachlassgegenstand verfügen (BGH 40, 115, 118; 56, 278, 280). Im Wohnungseigentumsrecht kann nach § 12 WEG vorgesehen werden, dass die Veräußerung des Wohnungseigentums der Zustimmung der anderen Eigentümer oder eines Dritten bedarf; eine entsprechende Regelung enthält § 35 WEG für die Veräußerung des Dauerwohnrechts. Schließlich können im Gesellschaftsrecht auch § 68 II AktG, § 15 V GmbHG als Abweichungen vom Grundsatz des § 137 verstanden werden (s MüKoArmbrüster Rn 23). Arnold

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d) Einzelfälle. Beim Treuhandverhältnis ist ein Verfügungsverbot oder eine Verfügungsbeschränkung des Treuhänders wegen Verstoßes gegen § 137 S 1 unwirksam (BGH 11, 37, 43; NJW 1968, 1471; BB 1982, 890, 891; MüKo/Armbrüster Rn 18; Henssler AcP 196, 37, 66; aM Schlosser NJW 1970, 681, 684f; Assfalg NJW 1970, 1902). Eine Verfügung des Treuhänders ist daher auch dann wirksam, wenn der Erwerber die Abrede zw Treuhänder und Treugeber kennt (BGH NJW 1968, 1471; MüKo/Armbrüster Rn 18; Medicus/Petersen BürgR Rn 502; Henssler AcP 196, 37, 68; aA unter Heranziehung der Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht etwa Gruber AcP 202, 435ff; Kötz NJW 1968, 1471f). Zulässig ist nur eine Verpflichtung des Treuhänders ggü dem Treugeber, über das Treugut nicht oder nur in bestimmter Weise zu verfügen (S 2). Eine verdrängende unwiderrufliche Vollmacht oder Verfügungsermächtigung verstößt wegen der dinglichen Bindungswirkung gegen § 137 S 1 (BeckOK/Wendtland Rn 11; Soergel/Hefermehl Rn 10; Flume AT II § 53, 6; Medicus/Petersen AT Rn 936). Ebenso bleibt eine Sperrkonto-Abrede, wonach ein Kontoinhaber nur mit Zustimmung eines Dritten über die Guthabenforderung verfügen kann, wegen S 1 ohne dingliche Wirkung (Pal/Ellenberger Rn 2; Kollhosser ZIP 1984, 389, 391ff). Dagegen verstößt eine auflösende Bedingung für den Fall einer vereinbarungswidrigen Verfügung mit der Folge, dass das Recht bei Eintritt der Bedingung an den Übertragenden zurückfällt, nicht gegen § 137 (MüKo/Armbrüster Rn 15; Soergel/Hefermehl Rn 14; Kohler DNotZ 1989, 339ff; aA Erman/Palm12 Rn 5; Flume AT II § 17, 7; differenzierend Medicus/Petersen AT Rn 852). Zulässig ist bei Grundstücken auch die Vereinbarung eines durch eine unzulässige Verfügung aufschiebend bedingten, durch Vormerkung gesicherten Rückübereignungsanspruchs (BGH 134, 182, 186f; BayObLG NJW 1978, 700; DNotZ 1996, 374, 377; Düsseldorf OLG 1984, 90, 91; NK/Looschelders Rn 16; aA Erman/Palm12 Rn 9). Eine derartige Abrede kann nicht nur mit der Übertragung eines Grundstücks, sondern auch mit einem Erbvertrag verbunden werden, um zu verhindern, dass der Erblasser noch zu Lebzeiten über das Grundstück verfügt (vgl den Fall BGH NJW 2011, 224). 3. Zulässigkeit einer rechtsgeschäftlichen Verpflichtung, nicht zu verfügen (Satz 2). a) Allgemeines. Zulässig sind nach S 2 regelmäßig Abreden, in denen sich der Rechtsinhaber – lediglich schuldrechtlich – verpflichtet, nicht über ein Recht zu verfügen. Sie erklärt das Gesetz allein in den Fällen des § 1136 (Verpflichtung des Eigentümers ggü dem Hypothekengläubiger, das belastete Grundstück nicht zu veräußern oder nicht weiter zu belasten) und § 2302 (Beschränkungen der Testierfreiheit) für unzulässig. Regelmäßig bedürfen Vereinbarungen, in denen sich ein Teil verpflichtet, über ein Recht nicht zu verfügen, keiner besonderen Form; das gilt auch dann, wenn die Unterlassungsverpflichtung ein Grundstück betrifft (BGH 103, 235, 238; NJW 1963, 1602, 1603). Abw soll nur ausnahmsweise gelten, wenn die Verpflichtung, nicht zu verfügen, mit einem formbedürftigen Geschäft eine rechtliche Einheit bildet (BGH FamRZ 1967, 470; Pal/Ellenberger Rn 5). Eine gesetzliche Regelung hins der Höchstdauer eines schuldrechtlichen Verfügungsverbots besteht nicht. Ein Verfügungsverbot wird daher nicht nach 30 Jahren unwirksam (BGH NJW 2012, 3162, 3163; aA MüKo/Armbrüster Rn 25). Grenzen für schuldrechtliche Verfügungsverbote können sich allerdings aus § 138 I ergeben (s BGH NJW 2012, 3162, 3164). b) Einzelfälle. Der Vermieter kann sich ggü dem Mieter verpflichten, das vermietete Grundstück nicht an einen Dritten zu veräußern (BGH DB 1958, 1070). Auch die schuldrechtliche Verpflichtung des Vorbehaltskäufers ggü dem Verkäufer, über das Anwartschaftsrecht nicht zu verfügen, ist wirksam (BGH NJW 1970, 699). Zwar wird durch einen Erbvertrag das Recht des Erblassers, über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfügen, nicht beschränkt (§ 2286); der Erblasser kann sich aber schuldrechtlich verpflichten, über Vermögensgegenstände auch unter Lebenden nicht zu verfügen (BGH 31, 13, 19; NJW 1963, 1602, 1603). Wirksam ist auch die schuldrechtliche Verpflichtung des Treuhänders ggü dem Treugeber, über das Treugut nicht oder nur in bestimmter Weise zu verfügen. c) Folgen. Die wirksame Verpflichtung begründet einen Unterlassungsanspruch des Gläubigers gegen den Schuldner der Unterlassungspflicht. Verletzt der Schuldner diese Verpflichtung, ist die Verfügung zwar wirksam; der Schuldner haftet dem Gläubiger der Unterlassungspflicht aber auf Schadensersatz (BGH 31, 13, 19; Medicus/Petersen AT Rn 677). Ansprüche des Gläubigers ggü dem Erwerber des Gegenstandes bestehen dagegen grds nicht. Abw gilt allein dann, wenn der Erwerber sich selbst iSv § 137 S 2 verpflichtet hat (Köln NJW-RR 1996, 327) oder die Voraussetzungen des § 826 gegeben sind. Möglich ist auch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe zw Schuldner und Gläubiger. Der Unterlassungsanspruch des Gläubigers soll durch ein Verfügungsverbot im Wege der einstw Vfg (§§ 935ff ZPO) gesichert werden können (BGH LM Nr 2; BGH 134, 182, 187; BayObLG NJW 1978, 700, 701; BeckOK/ Wendtland Rn 15; Soergel/Hefermehl Rn 13; aA MüKo/Armbrüster Rn 31; Staud/Kohler Rn 53); ein solches gerichtliches Veräußerungsverbot fällt unter § 136 und kann ins Grundbuch eingetragen werden. Dagegen kann der Anspruch auf Unterlassung einer Verfügung über ein Grundstück nicht durch eine Vormerkung gesichert werden, weil es sich nicht um einen Anspruch auf dingliche Rechtsänderung iSd § 883 I handelt (NK/ Looschelders Rn 21). Möglich ist aber die Vereinbarung eines durch die unzulässige Verfügung aufschiebend bedingten Rückübereignungsanspruchs, der durch die Eintragung einer Vormerkung gesichert werden kann (s Rn 6).

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§ 138

Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig. (2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. I. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzungen . . . . . . 1. Auslegung . . . . . . . . . 2. Ehe . . . . . . . . . . . . 3. Gesellschaftsrecht . . . . . 4. Arbeitsrecht . . . . . . . . 5. Anfechtung . . . . . . . . 6. Gläubigeranfechtung . . . 7. AGB . . . . . . . . . . . . 8. Haustürgeschäfte . . . . . 9. Gesetzliches Verbot, § 134

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III. Das sittenwidrige Rechtsgeschäft (§ 138 I) 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Das wucherische Rechtsgeschäft (§ 138 II) 1. Objektive Voraussetzungen . . . . . . . . . 2. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das wucherähnliche Geschäft . . . . . . . .

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V. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abwerbung von ArbN oder Kunden . . . . . . . Adelsbezeichnungen etc . . . . . . . . . . . . . Animierlokal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . Automatenaufstellungsvertrag . . . . . . . . . . Bankkonto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benachteiligung der Allgemeinheit/Geschäfte zulasten der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . Benachteiligung Dritter/Eingriff in Rechte Dritter/Verleiten zum Vertragsbruch . . . . . . Berufsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bierbezugsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . Bietungsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darlehensverträge und sonstige Kreditgeschäfte Dauerschuldverhältnisse und langfristige Vertragsbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . Diskriminierung von Personen oder Gruppen .

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Ehe und Familie, Unterhaltsrecht . . . . . Erbbaurechtsvertrag . . . . . . . . . . . . . Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerichtliches Verfahren . . . . . . . . . . . Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . Glücksspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundstücksverkehr . . . . . . . . . . . . Kaufverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . Knebelung eines anderen . . . . . . . . . . Leasingverträge . . . . . . . . . . . . . . . Maklervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . Miet- und Pachtrecht . . . . . . . . . . . . Mithaft von nahen Angehörigen . . . . . . Monopolstellung . . . . . . . . . . . . . . Nichteheliche Lebensgemeinschaft . . . . . Öffentliche Verwaltung . . . . . . . . . . . Scheckverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . Schiedsverträge . . . . . . . . . . . . . . . Schneeballsystem . . . . . . . . . . . . . . Schuldbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . . Schweigevertrag . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgeschäfte mit sexuellem Bezug . . . Sicherungsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . Spielverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . Sport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tankstellenvertrag . . . . . . . . . . . . . . Telekommunikation . . . . . . . . . . . . . Termingeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . Time-Sharing . . . . . . . . . . . . . . . . Treuhandverträge . . . . . . . . . . . . . . Überforderung des Schuldners . . . . . . . Unlauterer Wettbewerb . . . . . . . . . . . Unterricht/Schule/Aus- und Fortbildung . Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Versicherungsvertrag . . . . . . . . . . . . Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . Wahrsagerei . . . . . . . . . . . . . . . . . Wechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . Zwangsversteigerung, Zwangsvollstreckung

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I. Bedeutung. § 138 beschränkt die Privatautonomie. Die Vorschrift knüpft an den allg, im Ursprung au- 1 ßerrechtlichen Wertmaßstab der guten Sitten an. Sie macht die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften von der Einhaltung dieses Maßstabes abhängig und begrenzt dadurch jede private Rechtsgestaltung. Sie trägt als Generalklausel dem Umstand Rechnung, dass die Grenzen der Privatautonomie durch spezielle gesetzliche Verhaltensanforderungen nicht abschließend normiert werden können. § 138 hat damit einen spezifisch rechtlichen Ordnungszweck. Er dient nicht etwa der umfassenden Durchsetzung der Sittlichkeit im Sinne einer positiven Verwirklichung ethischer Forderungen (RG 130, 5). Die Bestimmung will vielmehr allein verhindern, dass Rechtsgeschäfte in den Dienst des Unsittlichen gestellt werden (Medicus AT Rn 680). Deshalb spricht sie negativ nur solchen Rechtsgeschäften die Wirksamkeit ab, die im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechts- und Sittenordnung stehen. In Abs II sind beispielhaft Sonderfälle eines Verstoßes gegen die guten Sitten angeführt. II. Abgrenzungen. 1. Auslegung. Der Anwendung von § 138 muss die (ggf erg) Auslegung des Rechtsgeschäfts 2 nach den allg Grundsätzen (§§ 133, 157) vorausgehen. Bei Auslegungsalternativen sollte tunlichst die Möglichkeit gewählt werden, die einen Sittenverstoß vermeidet; das zur möglichst gesetzeskonformen Auslegung Gesagte (§ 133 Rn 29) gilt hier entspr. Wenn die Auslegung ergibt, dass das Rechtsgeschäft – vielleicht entgegen dem

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ersten äußeren Anschein – die Grenzen des sittlich Erlaubten doch (noch) einhält, scheidet § 138 I aus. Auch einer nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242) möglichen Korrektur oder Ergänzung des Rechtsgeschäfts wird nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit regelmäßig der Vorzug zu geben sein, wenn dadurch ein Sittenverstoß mit der scharfen Folge der Nichtigkeit entfällt (vgl etwa BGH JZ 1952, 366; BAG 16, 21, 25; Pal/Ellenberger Rn 14; aM MüKo/Armbrüster Rn 5). Erst recht gilt das, wenn das Gesetz selbst eine Möglichkeit vorsieht, eine unangemessene Verpflichtung auf ein angemessenes Maß zurückzuführen wie etwa bei der Vertragsstrafe (§ 343). 2. Ehe. Die Nichtigkeit einer Ehe kann wegen der abschließenden Regelung der §§ 1313ff nicht unmittelbar aus § 138 hergeleitet werden. 3. Gesellschaftsrecht. § 138 ist auch nicht für die Beurteilung der Wirksamkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen einer AG heranzuziehen. Insoweit sind ausschließlich §§ 241ff AktG anzuwenden. Für Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH gilt das Gleiche (BGH 15, 385; Einzelheiten bei Roth/Altmeppen § 47 GmbHG Rn 99). Die Rechtsfolge der Nichtigkeit ist auch für eine sittenwidrige Beitrittserklärung zu einer Kapitalgesellschaft nicht unmittelbar aus § 138 abzuleiten (für GmbH: RG 123, 108; Genossenschaft: RG 147, 270); die Unwirksamkeit ist vielmehr durch Nichtigkeitsklage geltend zu machen. 4. Arbeitsrecht. Die Unwirksamkeit einer Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, die iSd § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist, und grds auch die Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung können nur durch eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht geltend gemacht werden. § 138 findet wegen dieser Spezialregelung unmittelbar nur insoweit Anwendung, als die Kündigung nicht dem KSchG unterfällt (BAG NJW 1973, 77) oder der Sittenverstoß aus einem Umstand folgt, der über den für die Sozialwidrigkeit maßgebenden Sachverhalt hinausgeht (vgl § 13 II KSchG; BAG 16, 26; 20, 319; Schwerdtner JZ 1973, 378). 5. Anfechtung. Wenn jemand einen anderen durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt hat, führt dieser Sittenverstoß allein nicht über § 138 zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Vielmehr räumt § 123 dem Getäuschten oder Bedrohten ein Wahlrecht ein, ob er das Rechtsgeschäft durch Anfechtung vernichten will oder nicht. Erschöpft sich das sittenwidrige Verhalten in der Täuschung oder Drohung beim Zustandekommen des Rechtsgeschäfts, wird § 138 also durch die Spezialvorschrift des § 123 verdrängt (RG 114, 342; 115, 383; BGH 60, 104; WM 1966, 589; 77, 394; NJW 1988, 2601; 1995, 1425, 1428; 1995, 3315; 2002, 2774; NJW-RR 1990, 1521; BAG NJW 1994, 1022). Treten neben die unzulässige Willensbeeinflussung jedoch weitere sittenwidrige Umstände und prägen sie das Gesamtbild des Rechtsgeschäfts, ist § 138 anwendbar (RG 115, 383; BGH 60, 104; WM 1972, 766; 1977, 394; NJW 1988, 903 und 2601; 2008, 982, 983; NJW-RR 1990, 1522; BAG NJW 1999, 2059, 2061f mwN); dies wird insb in Betracht kommen, wenn solche Umstände über das Zustandekommen hinaus den Inhalt des Rechtsgeschäfts betreffen (ähnlich Staud/ Sack/Fischinger Rn 180) oder wenn schutzwürdige Interessen (nicht anfechtungsberechtigter) Dritter oder der Allgemeinheit verletzt sind. 6. Gläubigeranfechtung. Das Verhältnis des § 138 zu den Vorschriften der Gläubigeranfechtung (§§ 129ff InsO) richtet sich nach den gleichen Grundsätzen wie unter Rn 6 aufgezeigt. Diese Vorschriften schließen also die Anwendung des § 138 aus, soweit nicht besondere, über diese Anfechtungstatbestände hinausgehende Umstände hinzukommen (BGH 53, 174, 180; 56, 339, 355; 60, 104; 130, 314, 331; 138, 291, 299f; 210, 30 Rn 43; NJW 1973, 513; 1993, 2041f; 1995, 1668 – Globalzession eines konkursreifen Unternehmens ohne sonstiges pfändbares Vermögen; NJW-RR 1987, 1401; 1990, 143; 2002, 1359, 1361; WM 2005, 610, 611; 2005, 1037, 1038; KG ZIP 2016, 1451, 1453; Düsseldorf WM 2016, 1488, 1492). 7. AGB. Die Wirksamkeit von Allg Geschäftsbedingungen ist vorrangig nach §§ 305ff zu beurteilen (MüKo/ Armbrüster Rn 5; Pal/Ellenberger Rn 16). In diese Prüfung muss auch ein etwaiger Verstoß einer Klausel gegen die guten Sitten als Prüfungselement einfließen, soweit die Gründe der Sittenwidrigkeit im Schutzbereich der §§ 305ff liegen. Eine aus solchen Gründen sittenwidrige Klausel wird in aller Regel auch zumindest mit § 307 unvereinbar sein. Bedeutsam ist der Vorrang von §§ 307ff für die Rechtsfolgen (§ 306). Die speziellen Maßstäbe der §§ 305ff dienen indes nur dem Schutz des Vertragspartners (vgl etwa BGH NJW 1994, 1798); sie schließen deshalb die unmittelbare Anwendung von § 138 nur insoweit aus, als für die Sittenwidrigkeit daran angeknüpft wird, dass der Verwender gerade den Vertragspartner durch die AGB unangemessen benachteiligt. Soweit ein Sittenverstoß hingegen den Individualvertrag oder ein nicht in den persönlichen oder sachlichen Geltungsbereich (§ 310; vgl etwa BGH NJW 2001, 1270) fallendes Rechtsgeschäft betrifft oder einschl der unangemessenen AGB-Klauseln in seinen Gründen über den Schutzbereich von §§ 307ff hinausgeht, etwa wegen der Benachteiligung dritter Personen oder der Allgemeinheit, ist § 138 unmittelbar anzuwenden. 8. Haustürgeschäfte. Die Gültigkeit außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Verträge (früher: Haustürgeschäfte) richtet sich in erster Linie nach den Vorschriften der §§ 312ff. Nur soweit diese Regelungen nicht einschlägig sind oder besondere Umstände hinzutreten, ist § 138 anzuwenden (BGH ZIP 1988, 582; Frankfurt NJW-RR 1988, 501; vgl auch BGH NJW 1982, 1457). § 138 ist keine verbraucherschützende Norm iSd § 2 UKlaG (Düsseldorf ZIP 2016, 158, 160), kann aber bei der AGB-Kontrolle eine Rolle spielen (BGH ZIP 2017, 170 Rn 31ff). 9. Gesetzliches Verbot, § 134. Von § 134 unterscheidet § 138 sich insoweit, als § 134 Verstöße gegen gesetzliche Verbote, § 138 hingegen auch Verstöße gegen sonstige Wertungen in der Rechtsordnung, die keine Verbotsgesetze 360

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iSv § 134 sind, sowie gegen die nicht kodifizierte Ordnung erfassen will. Ein Verstoß gegen § 134 macht ein Rechtsgeschäft nicht notwendig auch sittenwidrig (RG 115, 325; BAG NJW 1993, 2703); umgekehrt kann ein Sittenverstoß vorliegen, während die Voraussetzungen von § 134 nicht erfüllt sind. Die beiden Vorschriften überschneiden sich immer dann, wenn ein nach § 134 zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts führender Gesetzesverstoß zugleich einen Sittenverstoß iSd § 138 I darstellt. In diesem Fall ist § 134 vorrangig anwendbar, da kein Bedürfnis für eine zusätzliche Begründung der Nichtigkeit über § 138 I besteht (BGH NJW 1983, 869f; BAG NJW 1993, 2703). Ausschließlich nach § 138 beurteilt sich die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts, wenn lediglich ein Verstoß gegen die guten Sitten, nicht aber gegen ein gesetzliches Verbot in Betracht kommt. Demnach ist § 138 zB dann einschlägig, wenn ein Rechtsgeschäft im Widerspruch zu den durch die Grundrechte normierten Wertentscheidungen des Grundgesetzes steht (sog mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, vgl Rn 12a) oder wenn es unter Verstoß gegen ausl Rechtsnormen zustande gekommen ist (vgl Rn 71). § 138 kommt ferner in Betracht, wenn ein Rechtsgeschäft als solches nicht von einem Verbotsgesetz erfasst wird, aber andere Umstände (etwa der Abschlussvorgang und/oder die Durchführung) zum Verstoß gegen die guten Sitten führen. Der Vorrang von § 134 gilt nicht für ein nach § 138 II nichtiges wucherisches Rechtsgeschäft, dessen Abschluss zugleich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 291 StGB erfüllt. Hier wird § 138 II nicht von § 134 iVm § 291 StGB verdrängt (Pal/Ellenberger Rn 65); beide Vorschriften finden vielmehr nebeneinander Anwendung (aA – nur § 138 II – mit unterschiedlicher Begr MüKo/Armbrüster Rn 4, 140; sa Jauernig/Mansel Rn 19: § 138 II wegen §§ 134 BGB, 291 StGB gegenstandslos). III. Das sittenwidrige Rechtsgeschäft (§ 138 I). 1. Anwendungsbereich. § 138 I gilt für alle Rechtsgeschäfte, 11 neben Verträgen also auch für Beschl in Vereinen, Gesellschaften usw, für einseitige Rechtsgeschäfte und (entspr) für geschäftsähnliche Handlungen. Auch Verfügungen von Todes wegen unterliegen dem § 138 I. Über § 59 I VwVfG findet § 138 I auf öffentlich-rechtl Verträge Anwendung (vgl auch BGH NJW 1972, 1657). § 138 I findet ebenfalls auf Rechtsgeschäfte Anwendung, die zugleich eine Prozesshandlung darstellen (zB Prozessvergleich, BGH 16, 390; 28, 172). Auf reine Prozesshandlungen ist § 138 indes nicht anwendbar. 2. Voraussetzungen. a) Begriff der guten Sitten. Der Ausdruck „gute Sitten“ ist ein ausfüllungsbedürftiger 12 Rechtsbegriff. Was den guten Sitten entspricht, bestimmt die Rspr in Anlehnung an die Entstehungsgeschichte des BGB nach dem Rechts- und Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden (Mot II 727; RG 48, 124; BGH 69, 297; NJW 1994, 187f; krit zu der Formel Rüthers NJW 1992, 879). Diese Umschreibung ist zwar ihrerseits wiederum ausfüllungsbedürftig. Sie verdeutlicht aber doch, dass der Begriff im Gesetz weder an die strengen Anforderungen einer umfassenden Sittlichkeit im gesinnungsethischen Sinne noch allein an das rein tatsächliche Verhalten in der Gesellschaft und an die darin zum Ausdruck kommende tatsächlich herrschende Sozialmoral anknüpft. Deshalb ist der Begriffsinhalt auch nicht durch demoskopische Umfragen zu ermitteln (instruktiv dazu: BVerwG NJW 1996, 1423 – zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Peep-Show), sondern als Teil der rechtlichen Sollensordnung objektiv-normativ zu bestimmen. Für die inhaltliche Ausformung des Begriffs der guten Sitten ist mithin ein objektiver Maßstab anzulegen. Auf 12a die subjektiven Moralanschauungen des Richters kommt es nicht an (Wieacker JZ 1961, 342), ebenso nicht auf die rein subjektiven Vorstellungen bei sonstigen Beteiligten oder in der Allgemeinheit. Die Inhaltsbestimmung muss in erster Linie auf den in der Gesamtrechtsordnung – insb in der Verfassung sowie im Europarecht – enthaltenen oder ihr zugrunde gelegten rechtlich-ethischen Grundwertungen aufbauen (vgl BVerfG 7, 198, 206; 8, 329; 24, 251; 42, 143, 148; 81, 254; 89, 214, 229; BGH 68, 4; 70, 313, 324; 80, 158; 106, 336, 338; NJW 1972, 1415; 1986, 2944; 2000, 1028; Mayer-Maly AcP 194, 105, 136ff). Von zentraler Bedeutung ist dabei insb das Grundgesetz. Zwar hat sich die ursprünglich vertretene Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte auf den Privatrechtsverkehr nicht durchgesetzt. Die grundlegenden Wertentscheidungen der Verfassung prägen aber auch die ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe des Privatrechts, insb die Generalklauseln wie §§ 138 und 242. Diese sind verfassungskonform auszulegen. Als Teil der Rechts- und Sozialordnung insgesamt sind die Wertentscheidungen der Verfassung einschl der Entscheidung für einen freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat damit auch bestimmendes Element der rechtlich anzuerkennenden Sittenordnung; sie wiederum ergibt in ihrer Gesamtheit den Inhalt des Begriffs der „guten Sitten“ (mittelbare Drittwirkung; vgl BVerfG 7, 198, 206; 8, 329; 24, 251; 35, 79, 114; 39, 1, 41; 42, 143, 148; 66, 116, 135; 73, 261, 269; 81, 242, 254; 1984, 192; 1989, 214; NJW 1990, 911 und 1470; 1994, 2749; 1998, 1475, 1476; 2001, 957 und 1587; BGH 70, 324; NJW 1999, 564, 568). Als sittenwidrig zu missbilligen sind damit etwa Rechtsgeschäfte, die sich mit den Grundentscheidungen der Verfassung zur Wahrung der Menschenwürde (Art 1 I GG), zur Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Art 4 GG), und zum Schutz von Ehe und Familie (Art 6 GG) nicht vertragen. Vor allem aus der Grundwertung des Art 1 I GG ergeben sich auch Maßstäbe für die Vereinbarkeit von Verträgen zum Handel mit menschlichen Organen sowie zur Anwendung moderner naturwissenschaftlich-medizinischer Methoden (Biotechnik, Gentechnik) auf den Menschen und den menschlichen Embryo mit den guten Sitten. Im Bereich dieser Grundwertungen wird iÜ auch eine Kommerzialisierung vor der Sittenordnung keinen Bestand haben können. Auch aus dem Sozialstaatsprinzip und der Sozialbindung des Eigentums können sich im Einzelfall Grenzen der Sittenordnung für die privatrechtliche Gestaltungsfreiheit (etwa im Arbeitsrecht oder im Mietrecht) ergeben (Bsp: BAG NZA 2006, 1354). IÜ hat § 138 – erg zu anderen Instrumenten des Privatrechts, etwa zu § 123 – auch dem Schutz der Beteiligten vor Fremdbestimmung als verfassungsrechtlicher Grundwert gem Art 1, 2 GG zu dienen und dem Missbrauch wirtschaftlicher Macht entgegenzuwirken.

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Ein nach diesen Grundwertungen zu billigendes Rechtsgeschäft kann im Regelfall nicht sittenwidrig sein. Nur in den nach der Gesamtrechtsordnung verbleibenden Wertungsfreiräumen kommen für die Inhaltsbestimmung außerrechtliche Kriterien in Betracht. Es ist dabei abzustellen auf die Auffassung eines am Recht orientierten anständigen Durchschnittsmenschen. Im Gesamtbild muss die äußerste Grenze des danach sittlich noch Hinnehmbaren überschritten sein, ehe ein Rechtsgeschäft als sittenwidrig bewertet wird; insoweit decken sich dann rechtliches Sollensgebot und Sittengebot. Moralisch besonders hoch stehende Anschauungen dürfen nicht zum Maßstab gemacht werden (vgl BGH 21, 350; 60, 33; NJW 1967, 873). Es dürfen aber auch keine besonders laxen Ansichten, missbräuchliche Praktiken und Unsitten zugrunde gelegt werden, selbst wenn diese weit verbreitet sind (RG 120, 148; BGH 10, 232; 16, 4, 12; NJW 1994, 188; BAG NJW 1976, 1958). b) Sittenverstoß. Der für § 138 I erforderliche Verstoß gegen die guten Sitten kann sich aus dem Inhalt des Geschäfts, aber auch aus dem mit ihm verfolgten Zweck oder den Beweggründen der Beteiligten ergeben. Häufig wird erst der Gesamtcharakter des Geschäfts, wie er sich aus Inhalt, Zweck und Beweggründen entnehmen lässt, zur Sittenwidrigkeit führen (RG 56, 231; 154, 103; JW 1931, 928; BGH 107, 92, 97; 125, 218, 228; 205, 117 Rn 69; 210, 30 Rn 37; NJW 1990, 704). aa) Umstände beim Zustandekommen des Rechtsgeschäfts. Sittenwidrig sein muss immer das Rechtsgeschäft selbst. Mit den Umständen beim Zustandekommen des Rechtsgeschäfts allein lässt sich deshalb eine Anwendung von § 138 I grds nicht begründen. Diese Umstände, insb eine ausgeprägt ungleiche Verhandlungsstärke, können aber Anlass geben, eine Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäfts selbst näher zu prüfen, weil ihnen im Widerspruch zu den Grundvoraussetzungen der Vertragsfreiheit eine Tendenz zur Einschränkung oder Beseitigung des Selbstbestimmungsrechts des schwächeren Beteiligten („Fremdbestimmung statt Selbstbestimmung“) innewohnt. Ungleiche Verhandlungspositionen können sich aus ganz unterschiedlichen Gründen ergeben (etwa: Wirtschaftskraft, Fachkompetenz, Geschäfts- und Verhandlungserfahrung, sonstige Persönlichkeitsmerkmale usw). Sie sind in einer freien Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung normal und im Allg kein Grund, von vornherein an Sittenwidrigkeit zu denken. Erhöhte Aufmerksamkeit fordern sie dann, wenn die Ungleichheit sehr ausgeprägt und zugleich der Inhalt des Rechtsgeschäfts für eine Seite sehr ungünstig ist. Durchweg besonders stark in Verhandlungen sind Monopole und andere Teilnehmer am Rechtsverkehr mit einer vergleichbar gewichtigen Marktposition. Schon eine herausgehobene örtliche oder regionale Marktstellung kann für die Frage nach einem Sittenverstoß bedeutsam sein, wenn ihr ein mehr oder minder ortsgebundener Bedarf etwa an lebenswichtigen Versorgungsleistungen (zB Wohnung, Nahrungsmittel, Energie, Gesundheitsfürsorge, Verkehr usw) gegenübersteht. Andere Gründe hierfür können sich aus den in § 138 II beschriebenen Lebenssituationen (Zwangslage, Unerfahrenheit, mangelndes Urteilsvermögen, erhebliche Willensschwäche), aber auch aus besonderen rechtlichen oder sittlichen Pflichten oder ähnlichen Bindungen – etwa ggü Angehörigen oder nahe stehenden Personen – ergeben. Eine objektiv ungleiche Verhandlungslage kann durch das Verhalten einer Seite bei den Verhandlungen, etwa durch eine Überrumpelung (vgl zB BGH NJW 1997, 1980 und dazu Lorenz NJW 1997, 2578), zumindest verstärkt werden. Das Ungleichgewicht der Verhandlungspartner wird in aller Regel nur zur Sittenwidrigkeit des Geschäfts führen, wenn es von einer Seite herbeigeführt, gefördert oder ausgenutzt worden ist, um ein für die eigene Seite unangemessen günstiges, für die andere Seite unangemessen ungünstiges und in der Gesamtwürdigung nicht mehr hinnehmbares Verhandlungsergebnis zu erreichen. Ein so begründetes Unwerturteil kann dabei zB sowohl wegen der Einzelausgestaltung des Rechtsgeschäfts – etwa auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung (vgl Rn 59f) – als auch wegen des Geschäftsabschlusses überhaupt – etwa: Bürgschaftsvertrag mit einer vermögenslosen Person oder Vertrag mit einer hilflosen Person über eine für sie unsinnige Leistung – in Betracht kommen. bb) Objektiver Inhalt sittenwidrig. Ein Rechtsgeschäft kann schon deshalb gegen die guten Sitten verstoßen, weil (nur) sein objektiver Inhalt sittenwidrig ist. Dieses gilt allerdings regelmäßig nur für Verpflichtungsgeschäfte. Der Inhalt von Erfüllungsgeschäften ist demgegenüber gemeinhin sittlich indifferent (anders zB bei erfüllungshalber übernommenen Verpflichtungen). Ein sittlich zu missbilligender Inhalt kann sich sowohl aus dem mit dem Geschäft erstrebten Erfolg als auch aus der Einzelausgestaltung des Geschäfts als auch aus dessen Auswirkungen ergeben. Wie der Gegenschluss aus § 138 II zeigt, führt ein bloßes auffälliges Missverhältnis zw Leistung und Gegenleistung nicht dazu, dass das Rechtsgeschäft allein wegen seines Inhalts sittenwidrig ist (BGH 87, 318; aA Stuttgart NJW 1979, 2412). Für einen Sittenverstoß sind vielmehr weitere objektive und/oder subjektive Umstände erforderlich, wie etwa die Ausnutzung einer Macht- oder Monopolstellung (BGH 19, 89) oder auch die Ausnutzung einer Vertrauensstellung (BGH LM [Bc] Nr 1; [Aa] Nr 19). IÜ reicht es nach st Rspr aus, wenn das Leistungsmissverhältnis auf einer verwerflichen Gesinnung des Begünstigten beruht, wobei im Einzelfall allein das krasse/ grobe Leistungsmissverhältnis eine tatsächliche Vermutung für eine solche Gesinnung darstellen kann (BGH 146, 298, 305; NJW-RR 2008, 1436, 1438; zu Einzelheiten vgl Rn 60). Ist ein Rechtsgeschäft bereits seinem objektiven Inhalt nach sittenwidrig, bedarf es insb keiner Prüfung mehr, mit welchen subjektiven Vorstellungen, insb zu welchem Zweck und aus welchen Beweggründen die Beteiligten das Geschäft geschlossen haben. Nach ganz hM müssen die Beteiligten eines sittenwidrigen Rechtsgeschäfts nämlich nicht in dem Bewusstsein handeln, dass das Rechtsgeschäft sittenwidrig ist (st Rspr, vgl BGH 94,

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2723; NJW 1988, 1374; 1993, 1588; 1994, 187; BAG 1991, 861; Medicus AT Rn 689). Allerdings wird nicht selten verlangt, dass die Parteien von den die Sittenwidrigkeit begründenden Umständen Kenntnis haben (s nur BGH NJW 1994, 187, 188; Flume § 18, 3). Andere wollen demgegenüber den objektiven Sittenverstoß genügen lassen (Staud/Sack/Fischinger Rn 75ff; zweifelnd auch Medicus AT Rn 690). Praktisch dürfte diese Kontroverse aber kaum einmal von Bedeutung sein; denn die Kenntnis der Beteiligten von den die Sittenwidrigkeit begründenden Umständen wird stets vorliegen, wenn sich die Sittenwidrigkeit schon allein aus dem objektiven Inhalt des Rechtsgeschäfts ergibt (BGH 94, 273). cc) Sonstige objektive Umstände. Ergibt sich die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts nicht bereits allein aus dessen objektivem Inhalt, ist zu prüfen, ob ein Sittenverstoß wegen sonstiger objektiver Umstände, die außerhalb des Inhalts des Rechtsgeschäfts liegen (etwa Umstände des Zustandekommens; über den Inhalt hinausgehende Auswirkungen, auch auf Dritte und/oder die Allgemeinheit), und/oder wegen subjektiver Merkmale (etwa Beweggründe der Parteien, Geschäftszweck) bejaht werden kann. Dabei wird sich die Sittenwidrigkeit des Geschäfts vielfach nicht allein aus einzelnen Merkmalen, sondern erst aus der Gesamtschau sämtlicher objektiven und subjektiven Momente ergeben (BGH 86, 88; 107, 92, 97; 125, 218, 228; 146, 298, 301; NJW 1990, 704; LM [Cb] Nr 6; BAG NZA 2006, 1354, 1355; Köln ZIP 1985, 1472). Ergibt sich bereits bei Würdigung allein der objektiven Umstände des Rechtsgeschäfts (Inhalt zusammen mit allen sonstigen Umständen) ein Verstoß gegen die guten Sitten, reicht es jedenfalls aus, wenn die Beteiligten Kenntnis von den zur Sittenwidrigkeit führenden objektiven Umständen haben (so auch BGH LM [Ca] Nr 1; NJW 1993, 1587; 94, 188; Soergel/Hefermehl Rn 35; weitergehend grds gegen das Erfordernis eines subjektiven Elements etwa NK/Looschelders Rn 95f; Staud/Sack/Fischinger Rn 75ff). § 166 ist dabei anzuwenden. Weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine besonders verwerfliche Gesinnung sind erforderlich (MüKo/Armbrüster Rn 129). Der Kenntnis der Umstände wird es idR gleichstehen, wenn jemand sich der Kenntnis der maßgebenden objektiven Umstände bewusst oder leichtfertig/grob fahrlässig entzieht oder verschließt (RG 150, 5; BGH 10, 233; 20, 52; 80, 153; 146, 298, 301; NJW 1980, 445; 2002, 429, 430; 432; NJW-RR 1998, 590; WM 1982, 849f; Köln ZIP 1985, 24, 1474). Nicht selten machen allerdings erst die subjektiven Absichten ein Geschäft sittenwidrig. Reichen die objektiven Umstände allein nicht aus, sondern ergibt sich die Sittenwidrigkeit erst aus dem Gesamtcharakter des Geschäfts unter Berücksichtigung der subjektiven Merkmale (Ausnutzung von Vorteilen der Verhandlungsposition, Zweck, Beweggrund), ist es gerechtfertigt, eine verwerfliche Gesinnung der Beteiligten zu verlangen (MüKo/Armbrüster Rn 124, 130; vgl auch BGH WM 1980, 597; NJW 1985, 3007). Jedoch ist auch in diesem Fall ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit nicht erforderlich. dd) Ein- oder beiderseitiger Sittenverstoß. Für die Frage, ob beide Teile sittenwidrig handeln müssen oder ob ein einseitiger Sittenverstoß ausreicht, gilt Folgendes: Bei einseitigen Rechtsgeschäften kommt es nur auf die Person des Erklärenden an (RG 142, 412; 154, 102; BAG DB 1964, 1057). Bei Verträgen ist zu unterscheiden: Beide Teile müssen sittenwidrig handeln, wenn der Sittenverstoß sich gegen die Allgemeinheit oder gegen Dritte richtet (RG 78, 353; 98, 79; 140, 190; BGH NJW 1990, 568; 1995, 2284). Liegt ein solcher Sittenverstoß in objektiven Umständen begründet, müssen also beide Teile hiervon Kenntnis haben oder sich doch zumindest einer solchen Kenntnis grob fahrlässig/leichtfertig verschlossen haben (BGH aaO). § 166 gilt. Wird für einen Sittenverstoß an subjektive Merkmale (Zweck, Beweggrund) angeknüpft, müssen diese subjektiven Vorstellungen bei beiden Beteiligten vorhanden sein. Dagegen genügt ausnahmsweise ein einseitiger Sittenverstoß, wenn die Sittenwidrigkeit gerade in dem Verhalten ggü dem Vertragspartner zum Ausdruck kommt (RG 93, 30; 120, 149; BGH 50, 70). ee) Maßgeblicher Zeitpunkt. Maßgebend für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit ist nach hM grds der Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts, etwa des Vertragsschlusses (BGH 7, 111; 100, 353, 359; 107, 92, 96; 120, 276; 123, 281; 125, 209; 126, 226, 239; 130, 314, 331f; 138, 291, 300; 210, 30 Rn 46; NJW 1990, 1356; 1994, 1442; 1995, 1886, 1887 und 2350, 2352; 2012, 1570, 1571; 2014, 2177 Rn 10; 2015, 1668 Rn 7; NJW-RR 2002, 1359, 1362; 2003, 1116, 1117; FamRZ 2013, 195 Rn 20; 2017, 884 Rn 32; Medicus NJW 1995, 2578; Soergel/ Hefermehl Rn 40), bei Ergänzungs- oder Zusatzvereinbarungen deren Zeitpunkt (BGH 100, 359). Zum Einfluss späterer Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse oder der Bewertungsmaßstäbe auf die Wirksamkeit des Geschäfts vgl Rn 34ff. ff) Grundlegende Gesichtspunkte. In Rspr und Wissenschaft sind verschiedene Fallgruppen entwickelt worden, die jedenfalls zu einer Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit des Geschäftsinhalts Anlass geben; dies sind insb: (1) Die Rechtsgeschäfte zulasten der Grundlagen des Staatswesens und des Zusammenlebens der Menschen in der Gesellschaft. Hierzu gehören insb Rechtsgeschäfte, die mit der Menschenwürde und anderen für das Zusammenleben in der Gemeinschaft wesentlichen Grundwertungen der Verfassung, mit den Grundlagen von Ehe und Familie und mit der Funktionsfähigkeit des freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaates nicht vereinbar sind. Auch die unsachliche Diskriminierung von Personen oder Personengruppen hat hier ihren Ort. Vielfach enthalten solche Rechtsgeschäfte auch eine (2) unzulässige Kommerzialisierung von Vorgängen und/oder Verhaltensweisen, die in einer vom Sittengesetz geprägten Rechtsordnung nicht von einer vermögenswerten Gegenleistung abhängig sein dürfen. Eine weitere Gruppe bilden (3) die Rechtsgeschäfte zum Nachteil der Allgemeinheit, etwa der öffentlichen Sozialkassen, des Steuerfiskus („Steuerhinterziehung“)

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oder Dritter. In der Rechtspraxis nimmt einen großen Raum ein die (4) sittenwidrige Benachteiligung des Geschäftspartners, etwa durch sittenwidrige Ausnutzung einer strukturell ungleichen Verhandlungslage (zB bei einer Bürgschaft), durch ein wucherähnliches Geschäft (Rn 59) oder durch eine im Interesse des Selbstbestimmungsrechts und der persönlichen, beruflichen und/oder wirtschaftlichen Freiheit nicht hinnehmbare übermäßige zeitliche, örtliche und/oder sachliche Bindung bis hin zur Knebelung. 3. Rechtsfolgen. a) Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Ein Verstoß gegen die guten Sitten führt grds zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts von Anfang an. Die Nichtigkeit ist von Amts wegen zu beachten und kann von jedermann geltend gemacht werden, auch von Dritten oder – in den Grenzen von § 817 S 2 – von dem/den für die Sittenwidrigkeit Verantwortlichen selbst (BGH 27, 180; 60, 105; BAG NJW 1976, 1959). Nur in Ausnahmefällen (vgl dazu BGH NJW 1981, 1439; 1986, 2945; BAG NJW 1968, 1648; 76, 1959) kann § 242 die Berufung auf die Sittenwidrigkeit durch den/die Verantwortlichen ausschließen; sonst würde auf diesem Umweg die Nichtigkeitsfolge unter den Beteiligten praktisch ausgeschaltet. Zur Begründung eines Verstoßes gegen Treu und Glauben reicht es nicht aus, dass der, welcher sich auf die Nichtigkeit des Geschäfts beruft, bereits die Vorteile des Geschäfts in Anspruch genommen hat (Soergel/Hefermehl Rn 61). Gem § 138 I ist grds nur das Verpflichtungsgeschäft nichtig (BGH NJW 1973, 615; 1990, 385; DtZ 1997, 229). Das Verfügungsgeschäft ist nur dann nichtig, wenn es seinerseits sittenwidrig ist. Das ist der Fall, wenn das dingliche Geschäft selbst sittenwidrige Zwecke verfolgt oder der Sittenverstoß gerade in der Zuwendung bzw der Änderung der dinglichen Rechtslage liegt (BGH 41, 341; NJW 1985, 3007; NJW-RR 1992, 594; 2006, 888, 889; Flume § 18, 8a). Dies kommt etwa in Betracht, wenn (erst oder gerade) durch das Verfügungsgeschäft Dritte oder die Allgemeinheit benachteiligt werden. Die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts erstreckt sich auch nicht ohne weiteres über § 139 auf das Verfügungsgeschäft, da Grund- und Verfügungsgeschäft gemeinhin nicht Teile eines einheitlichen Rechtsgeschäfts sind (vgl BGH NJW 1985, 3007; 1990, 385; zur rechtsgeschäftlich begründeten Geschäftseinheit Eisenhardt JZ 1991, 271ff). Eine solche generelle Annahme liefe nämlich auf eine Missachtung des Abstraktionsprinzips hinaus. Die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts erfasst auch nicht ohne weiteres die vereinbarte Bestellung von Sicherheiten (BGH NJW-RR 1992, 594) oder Verpflichtungen, die erfüllungshalber übernommen wurden. b) Gesamtnichtigkeit. Grds ist ein sittenwidriges Rechtsgeschäft in seinem gesamten Umfang nichtig (BGH NJW 1989, 26). Wegen des mit § 138 verfolgten Straf- und Abschreckungszwecks lässt die Rspr keine Umdeutung (§ 140) des sittenwidrigen Geschäfts zu (BGH 68, 204, 206). In der Lit wird ggü der in der Rechtspraxis hM zunehmend die Auffassung vertreten, die harte und undifferenzierte Folge der generellen Nichtigkeit sei, insb bei quantitativ geprägten Missgriffen der Vertragsgestaltung, einzuschränken, etwa durch einschränkende Auslegung des § 138 I oder durch teleologische Reduktion bzw Extension der Rechtsfolgen nach dem Normzweck; die volle Nichtigkeit sei häufig kein angemessenes Ergebnis; einer Einschränkung stehe auch der von § 134 abw Wortlaut des § 138 nicht entgegen (vgl die eingehende Darstellung der Problemdiskussion bei Staud/ Sack/Fischinger Rn 110f). Die für die Einschränkung der Gesamtnichtigkeit angeführten Gründe sind teilw sehr beachtlich. Die Rspr hat jedoch eine generelle Möglichkeit zur Einschränkung der Nichtigkeitsfolge bisher nicht anerkannt. Ist allerdings nur eine einzelne Klausel eines Rechtsgeschäfts oder eine damit im Zusammenhang stehende Nebenabrede (BGH WM 1967, 231) sittenwidrig, findet § 139 Anwendung. Für den Fall, dass die Sittenwidrigkeit sich nur auf Teile eines Vertrags bezieht, ist eine salvatorische Klausel zulässig und zweckmäßig (vgl § 139 Rn 10). Das bedeutet aber nicht, dass nur die Alternative zwischen der Gesamtnichtigkeit und dem „Hinausstreichen“ der betroffenen Klausel bestünde. Die Vorschrift des § 139 lässt nach ihrem Sinn und Zweck auch eine sog quantitative Teilbarkeit zu, also eine Aufspaltung der nichtigen Regelung in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil. Sie kommt vor allem in Betracht, wenn eine Vertragsklausel wegen des Übermaßes der in ihr enthaltenen Rechte oder Pflichten nichtig ist und angenommen werden kann, dass die Parteien bei Kenntnis dieses Umstands an ihrer Stelle eine auf das zulässige Maß beschränkte Regelung getroffen hätten (BGH 105, 213, 220ff; 107, 351, 355ff; 146, 37, 47f; NJW 2009, 1135 Rn 12). Auch sie ist nach § 139 aber nur möglich, wenn sie dem hypothetischen Willen der Vertragsparteien entspricht (BGH NJW 1986, 2576, 2577), wenn also konkrete, über allg Billigkeitserwägungen hinausgehende Anhaltspunkte den Schluss rechtfertigen, dass die Aufspaltung dem entspricht, was die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit ihrer Vereinbarung geregelt hätten (BGH 146, 37, 48; NJW 2009, 1135 Rn 14). Sie setzt weiter voraus, dass sich feststellen lässt, was die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit einer Regelung an deren Stelle gesetzt hätten (BGH NJW 2009, 1135 Rn 13), und scheidet aus, wenn mehrere Möglichkeiten der Ersetzung bestehen und sich nicht feststellen lässt, welche von ihnen die Parteien gewählt hätten (BGH 107, 351, 356; NJW 2009, 1135 Rn 13). Dann allerdings muss geprüft werden, ob sich dadurch eine planwidrige Lücke ergibt; sie läge etwa vor, wenn die Parteien den Vertrag nicht ohne eine der nichtigen vergleichbare Regelung getroffenen hätten (BGH ZfIR 2012, 872 Rn 32, 34). Das kann i Erg dazu führen, dass die sittenwidrige Regelung nicht ersatzlos gestrichen, sondern durch eine nicht sittenwidrige Regelung ersetzt wird. Bsp sind die Aufrechterhaltung von Testamenten, langfristigen Lieferverträgen oder Wettbewerbsverboten unter Verminderung sittenwidriger Verpflichtungen auf ein sachlich, örtlich und zeitlich vertretbares Maß (einschränkend BGH NJW 1997, 3089; dazu Römermann WiB 1997, 1028) sowie die Aufrechterhaltung von Wohnungsmiet- bzw Arbeitsverträgen unter Veränderung der Entgelte bei Mietwucher (vgl BGH NJW 2006, 1059) und beim Lohnwucher (Rn 66). Für die Fälle des Miet-/Pachtwuchers und der wucherähnlichen 364

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Überhöhung von Miete/Pacht für gewerbliche Räume hat die Rspr bisher keine Teilnichtigkeit angenommen (BGH NJW-RR 2006, 16, 17f). Stets abgelehnt worden ist bislang die Zurückführung sittenwidrig hoher Darlehenszinsen oder Kaufentgelte auf ein vertretbares Maß (BGH 44, 162; 68, 207; NJW 1994, 1275; Flume § 18, 9). c) Keine Bestätigung. Solange der Tatbestand der Sittenwidrigkeit erfüllt bleibt, ist keine Bestätigung (§ 141) des sittenwidrigen Vertrags möglich (BGH 60, 108). d) Heilung. Eine Heilung des sittenwidrigen Geschäfts durch Zeitablauf oder Verwirkung der Geltendmachung der Nichtigkeit ist ausgeschlossen (RAG DR 1942, 1607). Eine Heilung ist auch nicht durch Schuldumschaffung möglich (BGH MDR 1959, 35). Zur Wirksamkeit eines Vergleichs über ein evtl sittenwidriges Geschäft vgl BGH NJW 1963, 1198; BB 1966, 1323. e) Dauerrechtsverhältnis. Bei in Vollzug gesetzten Dauerrechtsverhältnissen sind die Nichtigkeitsfolgen des § 138 I zTeingeschränkt. – Die Nichtigkeit eines sittenwidrigen Arbeitsvertrags kann, wenn das Arbeitsverhältnis bereits vollzogen ist, grds nur für die Zukunft geltend gemacht werden. Die Grundsätze des faktischen/fehlerhaften Arbeitsverhältnisses sind jedoch dann nicht anzuwenden, wenn die dem Arbeitsvertrag entspr Beschäftigung nach ihrem Inhalt und Zweck selbst unsittlich ist, so zB bei einem auf öffentliche Vorführung des Geschlechtsverkehrs gerichteten Arbeitsverhältnis (BAG NJW 1976, 1958). Liegt einer vollzogenen Gesellschaft ein sittenwidriger Gesellschaftsvertrag zugrunde, tritt im Normalfall Nichtigkeit ebenfalls nur für die Zukunft ein (BGH 55, 5; WM 1973, 901f). Eine Anwendung der Grundsätze zur fehlerhaften Gesellschaft kommt aber nicht in Betracht, wenn die Gesellschaft auf einen sittenwidrigen Zweck gerichtet ist (BGH 62, 234, 241; 75, 214, 217; NJWRR 1988, 1379 mwN) oder gewichtige Interessen der Allgemeinheit oder bestimmter, besonders schutzwürdiger Personen der Einschränkung der Nichtigkeitsfolgen entgegenstehen (vgl BGH 3, 288; 17, 167; 26, 335; 55, 9). f) Änderung der Bewertungsmaßstäbe oder des Sachverhalts. Eine Änderung der Bewertungsmaßstäbe oder des die Sittenwidrigkeit tragenden Sachverhalts nach Abschluss des Rechtsgeschäfts kann Einfluss auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts haben (allg dazu Medicus NJW 1995, 2578; Ulmer/Schäfer ZGR 1995, 134; Lecheler WM 1994, 2049). Ist ein Rechtsgeschäft bereits abgewickelt (so bei allen Verfügungsgeschäften), wirkt sich eine spätere Änderung der Umstände auf die Wirksamkeit bzw Nichtigkeit des Geschäfts nicht aus (BGH NJW 1983, 2692). Ob das Geschäft wirksam ist, beurteilt sich allein nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Vornahme (BGH NJW 1989, 1277 mN). Es kommt daher auch nicht darauf an, wann ein Wandel dieser Verhältnisse von der Rspr erstmals festgestellt wird (BVerfG NJW 1984, 2345; BGH NJW 1983, 2692; krit Bunte NJW 1983, 2674; NJW 1985, 705). Ein im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses wirksames Rechtsgeschäft wird, auch wenn es noch nicht abgewickelt ist, durch eine spätere Änderung der Bewertungsmaßstäbe oder des Sachverhalts nicht zu einem sittenwidrigen Rechtsgeschäft (BGH NJW 1993, 3193; ZIP 1995, 1026; Staud/Sack/Fischinger Rn 82). Einem Erfüllungsverlangen kann jedoch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden, wenn das zugrundeliegende Rechtsgeschäft im Hinblick auf die geänderten Maßstäbe oder Umstände nunmehr sittenwidrig wäre (BGH 126, 241; NJW 1983, 2692f; Staud/Sack/Fischinger Rn 99). Möglicherweise kommt auch eine Anpassung an veränderte Umstände durch erg Vertragsauslegung oder gem § 313 in Betracht (BGH 126, 226, 241). War das Rechtsgeschäft dagegen bei seiner Vornahme wegen Sittenverstoßes nichtig, ändert sich daran nicht deshalb etwas, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben (BGH DtZ 1994, 80, 81; NJW 2002, 429, 431; 2012, 1570 Rn 13). Es ist also etwa ohne Bedeutung, ob sich später Gewinnmöglichkeiten ergeben (BGH NJW 2002, 429, 431) oder ob später ein Preisnachlass gewährt wird (BGH NJW 2012, 1570 Rn 13). Das Rechtsgeschäft bleibt vielmehr nichtig. Etwas anderes gilt freilich, wenn das Rechtsgeschäft selbst verändert wird. Solche Veränderungen sind zu berücksichtigen (BGH 100, 353, 359; WM 1977, 399; BGH-Report 2001, 448; NJW 2007, 2841 Rn 13). Sie können zu einer Veränderung des beiderseits geschuldeten Leistungssolls und damit dazu führen, dass die Leistungen nicht mehr in einem auffälligen oder besonders groben Missverhältnis stehen (BGH NJW 2012, 1570 Rn 14). Das gilt aber nur, wenn die Änderung des Rechtsgeschäfts auch wirksam wird. Das erfordert eine Bestätigung des ja bislang nichtigen Rechtsgeschäfts gem § 141 (BGH NJW 2012, 1570 Rn 17f; Düsseldorf NZKart 2015, 201 Rn 65). Eine solche Bestätigung kann nicht schon angenommen werden, wenn die Parteien überhaupt Änderungen an dem Rechtsgeschäft vornehmen, zB den Kaufpreis herabsetzen. Sie müssen vielmehr dabei auch Bestätigungsbewusstsein haben (BGH NJW 2012, 1570 Rn 21). Nach diesen Grundsätzen ist – abw von der Voraufl - auch zu verfahren, wenn sich nicht die tatsächlichen Verhältnisse oder das Rechtsgeschäft selbst verändert haben, sondern die sittlichen Maßstäbe. Denn das Rechtsgeschäft verstößt auch dann gegen das Sittengesetz und ist nach § 138 nichtig. Diese durch Gesetz angeordnete Nichtigkeit ist vorbehaltlich ausdrücklich bestimmter Ausnahmen wie etwa in § 311b I 2 endgültig. Sie kann nicht durch Heilung, sondern nur durch Bestätigung überwunden werden (BGH NJW 2012, 1570 Rn 17). Das wird auch von Autoren eingeräumt, die an sich für eine Lockerung eintreten (MüKo/Armbrüster Rn 137 aE). Etwas anderes kann man in Anlehnung an die Rspr zu Verträgen, die zwar bei ihrer Vornahme gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, aber für den Fall des Fortfalls dieses Verbots geschlossen werden (BGH LM Nr 7 zu § 134 BGB; dazu jurisPK/Nassall7 § 134 Rn 23; MüKo/Armbrüster § 134 Rn 21), nur bei Rechtsgeschäften sehen, die ihre Wirkungen nicht im Zeitpunkt der Vornahme, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt entfalten sollen. Das praktische relevante Bsp wäre das Testament, dessen Wirksamkeit nach verbreiteter Ansicht nicht nach dem Zeitpunkt seiner Errichtung, sondern nach dem Zeitpunkt des Erbfalls beurteilt werden soll (Hamm OLG 1979, 425, 427; MüKo/Armbrüster Rn 134; Brox/Walker AT Rn 332; Flume § 18, 6; Gernhuber FamRZ 1960, Schmidt-Räntsch

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326ff; Mayer-Maly JZ 1981, 801, 802f; Medicus AT Rn 692; aM Pal/Ellenberger, Rn 10). In der Rspr hat sich diese Meinung bislang nicht durchgesetzt (aM BGH 20, 75; Stuttgart FamRZ 1998, 260f; offen BGH 140, 118, 128) g) Weitere Ansprüche und Rückabwicklung. Wer den Abschluss eines wegen Benachteiligung des anderen Teils sittenwidrigen Vertrags herbeiführt, kann wegen schuldhafter Verletzung der vorvertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme auf seinen Vertragspartner aus cic zum Ersatz derjenigen Aufwendungen verpflichtet sein, die der Partner im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrags tätigt (BGH 99, 101, 106f; 142, 51, 61; NJW-RR 2005, 1290, 1291). Da § 138 weitgehend die gleichen Voraussetzungen hat wie § 826, kann das sittenwidrige Handeln, insb das einseitige sittenwidrige Handeln ggü dem Geschäftspartner, auch einen Ersatzanspruch aus § 826 auslösen (BGH 99, 107; NJW 1970, 658). Ist das Verfügungsgeschäft nichtig, bestehen dingliche Ansprüche (zB § 985). Verstößt nur das Verpflichtungsgeschäft gegen die guten Sitten, kommt ein Ausgleich nach Bereicherungsrecht (§§ 812ff) in Betracht. Ein Bereicherungsanspruch kann aber durch § 817 S 2 ausgeschlossen sein (vgl im Einz § 817). 4. Beweislast. Dem Zweck des § 138 und dem Begriff der Nichtigkeit entspricht es, dass § 138 zu beachten ist, auch wenn keine Partei sich darauf beruft. Zu beweisen sind nur die eine Sittenwidrigkeit begründenden objektiven und subjektiven tatsächlichen Umstände. Diese hat derjenige zu beweisen, der sich auf die Nichtigkeit beruft (BGH 95, 85; NJW 1979, 2089; 1995, 1429; MüKo/Armbrüster Rn 132 für die subj Voraussetzungen). Im Einzelfall kann jedoch allein das Vorliegen eines objektiven Merkmals (zB Leistungsmissverhältnis) eine Vermutung für subjektive Umstände (zB Benachteiligungsabsicht) begründen (BGH NJW 1979, 758; zu weitgehend Stuttgart NJW 1979, 2412). Die vom Gericht durchzuführende Würdigung ist Rechtsfrage, also revisibel (BGH WM 1969, 1257; NJW 1991, 354). IV. Das wucherische Rechtsgeschäft (§ 138 II). Bei dem in § 138 II geregelten Wuchergeschäft handelt es sich um einen Spezialfall eines gegen die guten Sitten verstoßenden Rechtsgeschäfts; deshalb ist § 138 II vor § 138 I zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen des § 138 II vor, ist die zusätzliche Prüfung des § 138 I entbehrlich (RG 72, 69; 97, 254; 150, 4). Ist der Wuchertatbestand hingegen nicht erfüllt, ist weiter zu prüfen, ob das Rechtsgeschäft iSd § 138 I gegen die guten Sitten verstößt. Für die Bejahung der Sittenwidrigkeit ist dann das Vorliegen weiterer – in § 138 II nicht geregelter – Umstände erforderlich (RG 83, 112; 97, 254; 103, 37; 150, 4; BGH NJW 1951, 397; LM [Ba] Nr 2; Einzelheiten unter Rn 59f). 1. Objektive Voraussetzungen. Objektiver Anknüpfungspunkt für § 138 II ist ein Rechtsgeschäft, durch welches jemand sich selbst oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zur Leistung stehen. a) Austauschverhältnis vermögensrechtlicher Art. Da § 138 II auf das Verhältnis zw Leistung und Gegenleistung abstellt, fällt nur ein Austauschverhältnis vermögensrechtlicher Art unter diese Vorschrift (BGH NJW 1982, 2767; FamRZ 1990, 1344; NJW 1998, 590, 591). § 138 II umfasst sowohl Verpflichtungs- („Vermögensvorteile versprechen“) als auch Erfüllungsgeschäfte („gewähren“). – Mangels Austauschverhältnisses fallen Rechtsgeschäfte, in denen sich lediglich eine Partei verpflichtet (zB Bürgschaft, BGH 106, 271; NJW 1988, 2599, 2601; 1991, 1952; Schenkung, RG JW 1907, 167), nicht unter den Wuchertatbestand. Das Gleiche gilt für die Fälle vorweggenommener Erbfolge, in denen kein Austausch von Leistungen bezweckt ist (RG SeuffA 96 Nr 3; zum Erbverzichtsvertrag vgl RG JW 1907, 167). IÜ kann Wucher bei jeder Geschäftsart vorkommen, so zB beim Arbeitsvertrag (BAG AP Nr 30), Darlehen, Grundstücksgeschäften, Kauf, Miete/Pacht und Vergleich. b) Auffälliges Missverhältnis. Zw Leistung und Gegenleistung muss ein auffälliges Missverhältnis bestehen. aa) Maßgebliche Leistungspflichten. Bei der Ermittlung der auszutauschenden Leistungen muss sich die Würdigung im Schwerpunkt auf die Hauptleistungen beziehen; sonstige Pflichten können aber daneben von Bedeutung sein (BGH 80, 171), ebenso eine völlig einseitige Verteilung von Rechten und Pflichten (Bsp einseitige Verfallklausel: BGH NJW 2009, 1135 Rn 9). Bei einem Grundstückskaufvertrag sind neben dem Kaufpreis auch andere Vorteile zu berücksichtigen, die der Begünstigte dem Benachteiligten nach dem Vertrag schuldet zB die Übernahme von Erwerbsnebenkosten, die normalerweise der Erwerber trägt (BGH MDR 2016, 455 Rn 8). Es sind nicht nur die dem Vertragspartner ggü zu erbringenden Vermögensvorteile zu berücksichtigen, sondern auch solche Leistungen, die eine Vertragspartei aufgrund der zu beurteilenden Vereinbarung an einen Dritten (etwa den Erfüllungsgehilfen des Partners, München NJW 1966, 837) zu leisten hat. Str ist, ob auch Leistungen einbezogen werden dürfen, die aufgrund eines anderen als des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts zu erbringen sind. Eine solche Einbeziehung wird teilw im Hinblick auf die Additionsklausel des § 291 I 2 StGB bejaht (Müller-Emmert/Maier NJW 1976, 1664; Pal/Ellenberger Rn 66; Soergel/Hefermehl Rn 74; Staud/Sack/Fischinger Rn 207; vgl auch BGH NJW 1980, 1156). Danach ist bei Mitwirkung mehrerer Personen (sei es als Leistende, Vermittler oder in anderer Weise) auf sämtliche Vermögensvorteile abzustellen. Gegen eine Berücksichtigung der Wertung des StGB im Rahmen des § 138 II wird hingegen geltend gemacht, dass § 138 II für die Beurteilung eines auffälligen Missverhältnisses nur an ein Rechtsgeschäft anknüpfe und die Formulierung des StGB nicht übernommen worden sei. Dem ist nicht zu folgen. Die Additionsklausel hat nur deshalb keinen Eingang in § 138 II gefunden, weil bei den Novellierungsberatungen davon ausgegangen wurde, dass die Gerichte bei der Rspr zu § 138 II ohnehin den gesamten Sinngehalt der strafrechtlichen Regelung berücksichtigen würden (BT-Drs 7/5291, 20; vgl Freund NJW 1977, 636). Demnach sind zB bei einem Darlehensvertrag auch solche Aufwendungen einzubeziehen, die der Darlehensnehmer aufgrund eines im Zusammenhang mit der Kreditaufnahme geschlossenen Vermittlungs- oder Versicherungsvertrags zu erbringen hat (BGH NJW 1979, 808). 366

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bb) Bewertungsmaßstab. Um das Wertverhältnis zw den auszutauschenden Leistungen bestimmen zu können, sind die einzelnen Leistungen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu bewerten. Dabei ist ein objektiver Maßstab („verkehrsübliches Äquivalent“, vgl MüKo/Armbrüster Rn 144) anzulegen; auf die subjektiven Wünsche und Vorstellungen der Vertragsparteien ist nicht abzustellen (BGH LM [Ba] Nr 1, 4, 4a; NJW 1988, 130; 1996, 1204; 2002, 429, 431; NJW-RR 1990, 950; 93, 198). Der objektive Wert einer Leistung bestimmt sich dabei nach dem Preis, welcher der zu bewertenden Leistung üblicherweise im sonstigen Geschäftsverkehr zukommt (marktüblicher Preis; vgl BGH 125, 135; WM 1976, 289). Bei einem Vergleich oder einer Verzichtsvereinbarung kommt es nicht auf einen Vergleich der wechselseitig geschuldeten Leistungen, sondern auf einen Vergleich des beiderseitigen Nachgebens an (BGH ZfIR 1999, 656, 657; Frankfurt 6.12.2016 – 11 U 38/15 Kart, juris Rn 194; 14.2.2017 – 11 U 44/15 Kart, juris Rn 207; vgl auch unten Rn 163). Auch eine grob einseitige Abwicklungsregelung für den Fall der Kündigung eines Vertrags kann sittenwidrig sein (Brandenburg ZInsO 2016, 510) cc) Wertvergleich. Die für die einzelnen Leistungen ermittelten objektiven Werte sind miteinander zu vergleichen. Anhand dieses Vergleichs ist dann festzustellen, ob zw den auszutauschenden Leistungen ein auffälliges Missverhältnis besteht. Die Disparität von Leistung und Gegenleistung kann sowohl in einem völlig überhöhten Preis (Bsp: Mietwucher) als auch in einem unvertretbar niedrigen Preis (Bsp: Lohnwucher) zum Ausdruck kommen. Der wertende Vergleich muss einzelfallbezogen vorgenommen werden. Allgemeingültige Kriterien scheitern vor allem an der Typenvielfalt der Geschäfte und an der gegenständlichen, örtlichen und zeitlichen Unterschiedlichkeit der als Maßstab bedeutsamen Marktbedingungen. Stets sind wertend sämtliche Umstände des jew Einzelfalles zu berücksichtigen. Von Bedeutung sind insb die allg Marktlage (BGH DB 1956, 1010) sowie die mit dem Geschäft verbundenen Risiken (BGH 69, 300; NJW 1982, 2767; BB 1990, 1509). Beachtet werden muss, dass § 138 die freie Preisbildung als Funktionsprinzip der Marktwirtschaft nicht ausschalten darf und soll; die Vorschrift ist weder bestimmt noch geeignet, durch Verengung marktwirtschaftlicher Spielräume ein stets völlig ausgewogenes Verhältnis zw Leistung und Gegenleistung positiv zu sichern. Die Anwendung von § 138 kommt vielmehr erst und nur in Betracht, wenn die Grenzen des noch Hinnehmbaren überschritten sind. Diese Grenze ist allerdings nicht erst bei einem besonders groben Missverhältnis überschritten. Besonders grob ist das Missverhältnis, wenn der Wert der einen Leistung mindestens 90% – je nachdem, welche Vertragspartei benachteiligt ist, - über oder unter dem Wert der Wert der anderen liegt (BGH WM 2014, 1440 Rn 8). Ein solches Missverhältnis ist jedenfalls auch auffällig (BGH 128, 255, 256f; NJW-RR 1991, 589; NJW 1992, 899; 1994, 1344, 1347). Auffällig kann aber auch ein deutlich darunterliegendes Missverhältnis sein (BGH 160, 8, 16f: 59% bzw 62%; MüKo/Armbrüster Rn 115). Dann allerdings werden die Anforderungen an die hinzutretenden Umstände strenger sein. Die benachteiligte Vertragspartei muss das auffällige oder besonders grobe Missverhältnis darlegen und beweisen. In der Rspr des BGH noch nicht abschließend geklärt sind die Anforderungen an die Darlegung (dazu J. Schmidt-Räntsch ZfIR 2015, 169, 172). Nach der Rspr des V. Zivilsenats reicht es im Grundsatz aus, wenn die benachteiligte Partei einen Wert behauptet und dafür Sachverständigenbeweis antritt (BGH NJW 2002, 429, 431; NJW-RR 2003, 491; 2009, 1236 Rn 12; ZfIR 2014, 349 LS = juris Rn 6). Demgegenüber verlangt der XI. Zivilsenat die Darlegung von Anknüpfungstatsachen (BGH ZfIR 2003, 101; 2007, 287 Rn 20; MDR 2017, 43 Rn 39f). Eine gewisse Annäherung zwischen diesen beiden Ansätzen wird dadurch erreicht, dass auch der V. Zivilsenat keine Behauptung ins Blaue hinein akzeptiert (BGH WM 2008, 2068 Rn 9; NJW-RR 2009, 1236 Rn 11), wovon der Senat aber zurückhaltend Gebrauch macht (ZfIR 2014, 349 LS = juris Rn 6). Bei der Erhebung des Sachverständigenbeweises besteht zwar im Ansatz keine Festlegung auf eine bestimmte Bewertungsmethode (BGH 160, 8, 11). Zu beachten ist aber, dass die Feststellung eines besonders groben Missverhältnisses die Vermutungswirkung nur auslöst, wenn sie auf Grund der Vergleichswertmethode ermittelt wird (BGH 160, 8, 15; NJW-RR 2008, 1436, 1438). dd) Maßgeblicher Zeitpunkt. Für die Beurteilung, ob ein auffälliges Missverhältnis vorliegt, ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgebend (BGH 80, 153, 171; NJW 1983, 2692; BGH 100, 353, 359; 107, 92, 96f; NJW 2002, 429, 431; 1996, 261; aA Stuttgart BB 1972, 1202: Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung). Nachträgliche Wertveränderungen sind grds bedeutungslos (RG SeuffA 80 Nr 2; BGH WM 1968, 1248). Übernimmt jedoch eine Vertragspartei nach Abschluss eines nicht wucherischen Vertrags weitere mit diesem Geschäft im Zusammenhang stehende Leistungen (zB Bestellung nachträglicher Sicherheiten), so sind diese für die Frage des Leistungsmissverhältnisses mit einzubeziehen (BGH WM 1977, 399); für das Verhältnis der Gesamtleistungen ist dann auf den Zeitpunkt der Zusatzvereinbarung abzustellen (RG 86, 299). Abreden, durch die die ursprünglich vorgesehenen Hauptleistungen nachträglich geändert werden, sind bei der Feststellung des auffälligen Missverhältnisses grds zu berücksichtigen (BGH NJW 2012, 1570, 1571). 2. Subjektive Voraussetzungen. Erforderlich ist, dass der Wucherer entweder eine Zwangslage des Bewucherten, dessen Mangel an Urteilsvermögen oder seine erhebliche Willensschwäche ausbeutet. Nach einer teilw vertretenen Ansicht soll ein Defizit bei der Prüfung der subjektiven Tatbestandsmerkmale durch eine Übererfüllung des objektiven Tatbestandsmerkmals – auffälliges Leistungsmissverhältnis – ausgeglichen werden können (sog „Sandhaufentheorem“, vgl Stuttgart NJW 1979, 2412). Danach soll zB bei einem besonders auffälligen Missverhältnis ein geringerer Grad an Unerfahrenheit für die Bejahung des § 138 II ausreichen. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen (BGH 80, 159f; NJW 1979, 758 und Hamburg WM 1984, 1423 zu § 138 I; Medicus AT Rn 711). Sie vermengt in unzulässiger Weise die vom Gesetz kumulativ aufgestellten Tatbestandserfordernisse.

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a) Ausbeutung. Unter Ausbeutung versteht man das bewusste Ausnutzen der ungünstigen Situation des Geschäftspartners oder einer anderen Person. Wenn der Wucherer auch regelmäßig die Erzielung eines übermäßigen Gewinns bezwecken wird, ist doch für die Ausbeutung keine besondere Ausbeutungsabsicht (RG 60, 11; 86, 300; BGH NJW 1982, 2768; 1985, 3006; 1994, 1276; BB 1990, 1510) oder Gewinnerzielungsabsicht (RAG 16, 35) erforderlich. Der Wucherer braucht auch nicht arglistig zu handeln (RG JW 1905, 366). Ebenso wenig muss von ihm der Anstoß zu dem Geschäft ausgegangen sein; die Annahme eines Angebotes genügt (RAG 9, 244; BGH LM [Ba] Nr 3; WM 1985, 1269), selbst wenn das Angebot des Bewucherten auf Dankbarkeit beruht (RG HRR 1930, 695). Der Wucherer muss aber Kenntnis von dem auffälligen Leistungsmissverhältnis und der Ausbeutungssituation (zB der Zwangslage des Bewucherten) haben und sich diese Situation vorsätzlich zunutze machen; dabei reicht bedingter Vorsatz aus (BGH NJW 1982, 2767, 2768; 1985, 3006, 3007; 1994, 1275, 1276; NJW-RR 1990, 1199). Das Wissen von Hilfspersonen ist dem Wucherer entspr § 166 I zuzurechnen (BGH WM 1992, 442). Fahrlässiges Nichterkennen der wucherischen Situation stellt hingegen keine Ausbeutung dar (BGH NJW 1985, 3006); ggf kommt jedoch bei Hinzutreten weiterer sittenwidriger Umstände eine Anwendung des § 138 I in Betracht (BGH aaO, ferner: BGH BB 1962, 156; WM 1971, 858). Auch ein besonders grobes Missverhältnis begründet keine tatsächliche Vermutung einer Ausbeutungsabsicht (BGH NJW-RR 2011, 880 Rn 10f). Die nach § 138 II erforderliche Ausnutzung einer – auf einer Zwangslage, der Unerfahrenheit, dem Mangel im Urteilsvermögen oder einer erheblichen Willensschwäche beruhenden – besonderen Schwächesituation beim Bewucherten durch den Wucherer setzt zwar keine Ausbeutungsabsicht, wohl aber voraus, dass dieser Kenntnis von dem auffälligen Missverhältnis und der Ausbeutungssituation hat und sich diese Situation vorsätzlich zunutze macht (BGH NJW 1985, 3006, 3007; NJW-RR 1990, 1199). Dafür ist das Äquivalenzmissverhältnis allein keine tragfähige Grundlage (BGH NJW-RR 2011, 880 Rn 11). b) Objektiv vorliegende besondere Situation. Der Wucherer muss eine objektiv vorliegende besondere Situation auf Seiten des Bewucherten oder eines Dritten ausbeuten. Ob eine Zwangslage, Unerfahrenheit, ein Mangel an Urteilsvermögen oder eine erhebliche Willensschwäche vorliegt, ist, da es sich dabei um Rechtsbegriffe handelt, in der Revision nachprüfbar (RG JW 1905, 75). aa) Zwangslage. Eine Zwangslage ist zu bejahen, wenn wegen einer erheblichen Bedrängnis ein zwingendes Bedürfnis nach Sach- oder Geldleistungen besteht. Eine solche Bedrängnis liegt – anders als eine „Notlage“ nach der früheren Fassung – nicht nur bei Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz vor; es reicht vielmehr aus, wenn zB schwere wirtschaftliche Nachteile drohen (BGH NJW 1994, 1276 = LM § 138 Ba Nr 13 m krit Anm Grunewald; ZfIR 2010, 587 Rn 16). Auch jede andere Bedrängnis genügt, sei sie auch etwa gesundheitlicher (BGH WM 1981, 1051), politischer oder sonstiger Art. Wucherisch handelt also auch zB derjenige, der einem Kranken ein dringend benötigtes Medikament nur gegen einen unverhältnismäßig hohen Preis verkauft. Eine Zwangslage kann auch auf einer plötzlich auftretenden besonderen Problemsituation beruhen, die aus anerkennenswerten Gründen schnell überwunden werden muss (zB Brand, Unfall, Wasserrohrbruch usw). In jedem Fall muss der Bedarf für die Leistung des Wucherers aber in einer gegenwärtigen Notsituation seinen Grund haben; es genügt regelmäßig nicht, wenn das Bedürfnis auf bloßen Zukunftsplänen beruht (BGH NJW 1957, 1274; 1994, 1275 = LM § 138 [Ba] Nr 13 m krit Anm Grunewald zu den Abgrenzungsproblemen). Nimmt etwa jemand lediglich zu spekulativen Zwecken einen Kredit auf, ist eine Zwangslage zu verneinen (RG JW 1919, 102). Die Zwangslage muss stets auf den individuellen Verhältnissen einer Person beruhen; eine ungünstige Marktlage, die für einen unbestimmten größeren Personenkreis besteht, reicht nicht aus (BGH NJW 1957, 1274). Dass der Bewucherte vermögend ist, steht einer Notlage nicht entgegen (BGH NJW 1987, 2767); auch eine vorübergehende Geldverlegenheit kann eine Notlage darstellen (BGH NJW 1982, 2768; Hamm WM 1984, 1448). Die individuelle Zwangslage muss objektiv vorliegen; die irrtümliche Annahme genügt nicht (RGSt 28, 290; zweifelnd BGH WM 1968, 331; aM Staud/Sack/Fischinger Rn 240). Darauf, ob die Zwangslage verschuldet ist, kommt es nicht an (BGH BB 1954, 175; 58, 1153). Eine Zwangslage kann auch bei einer jur Pers eintreten (RG SeuffA 80 Nr 2; enger RG 98, 324). Es ist auch möglich, dass sie bei einer anderen Person als beim Bewucherten (zB bei Familienangehörigen oder einem engen Freund) besteht (vgl RG JW 1915, 574; RAG 17, 292; BGH 80, 157f). bb) Unerfahrenheit. Unter Unerfahrenheit ist ein Mangel an allg Lebens- oder Geschäftserfahrung zu verstehen (BGH DB 1958, 1241; BB 1966, 226; WM 1982, 849). Sie ist eine persönliche Eigenschaft und liegt dann vor, wenn der Betroffene die Vor- und Nachteile des Geschäfts nicht abzuwägen vermag. Eine genaue Abgrenzung zum Mangel am Urteilsvermögen und einer erheblichen Willensschwäche ist weder möglich noch notwendig. Unerfahrenheit kann insb bei alten, mit dem Rechtsverkehr nicht mehr vertrauten Menschen, bei Jugendlichen (BGH NJW 1966, 1451), bei geistig Behinderten (RG 67, 393), aber auch bei langjährig Kranken oder auch bei längere Zeit Inhaftierten vorliegen. Unerfahrenheit ist nicht – jedenfalls nicht ohne weiteres – gegeben, wenn es dem Bewucherten lediglich auf bestimmten Lebens- oder Wirtschaftsgebieten an Erfahrungen und Geschäftskenntnissen mangelt (BGH LM [Ba] Nr 2; BB 1958, 571; 1966, 226; NJW 1957, 1274; 1979, 758; WM 1982, 849; Hamm NJW-RR 1993, 629). Fehlende Branchenkunde (BGH DB 1966, 226) bedeutet somit ebenso wenig Unerfahrenheit wie mangelnder technischer oder wirtschaftlicher Sachverstand (BGH NJW 1979, 758; WM 1982, 849; Köln VersR 1957, 433). cc) Mangel an Urteilsvermögen. Ein Mangel an Urteilsvermögen besteht, wenn in erheblichem Maße die Fähigkeit fehlt, sich bei seinem rechtsgeschäftlichen Handeln von vernünftigen Beweggründen leiten zu lassen oder die beiderseitigen Leistungen und die wirtschaftlichen Folgen des Geschäfts richtig zu bewerten. Kein Mangel an Urteilsvermögen liegt vor, wenn der Betroffene nach seinen Fähigkeiten in der Lage wäre, Inhalt und Folgen ei368

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§ 138

nes Rechtsgeschäfts sachgemäß einzuschätzen, er diese Fähigkeiten aber nicht oder nur unzureichend einsetzt und deshalb ein für ihn unwirtschaftliches Rechtsgeschäft abschließt (BGH NJW 2006, 3054). Ob ein Mangel an Urteilsvermögen vorliegt, ist im Hinblick auf das konkret zu beurteilende Geschäft festzustellen; darauf, ob der Bewucherte ansonsten vernünftige Überlegungen anstellt, kommt es nicht an. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Mangel an Urteilsvermögen auf Verstandesschwäche beruht; selbst einer durchschnittlich intelligenten Person kann bei einem schwierigen und unklar formulierten Geschäft das nötige Urteilsvermögen fehlen (Stuttgart FamRZ 1983, 499). Das Urteilsvermögen dürfte regelmäßig fehlen, wenn jemand Anschaffungen macht, die zu seinem Leistungsvermögen oder zu seinen Bedürfnissen in keinem Verhältnis stehen (MüKo/Armbrüster Rn 151). Ein Mangel an Urteilsvermögen liegt jedoch nicht vor, wenn jemand in der spekulativen, irrtümlichen Erwartung über die Bebaubarkeit eines im Landschaftsschutzgebiet gelegenen Grundstücks einen außergewöhnlichen Kaufpreis zahlt (BGH WM 1976, 926). dd) Erhebliche Willensschwäche. Eine erhebliche Willensschwäche liegt vor, wenn der Betroffene zwar die Vorund Nachteile des Rechtsgeschäfts richtig bewertet, seine psychische Widerstandsfähigkeit aber soweit vermindert ist, dass er sich trotz richtiger Einsicht nicht sachgerecht verhalten kann (Köln OLG 1993, 193; MüKo/Armbrüster Rn 152; Staud/Sack/Fischinger Rn 246 mwN). Hierher gehört insb die infolge dauernder Sucht (zB Drogenabhängigkeit, Alkohol) verursachte Beeinträchtigung der Entschlusskraft, bei der auch schon § 105 II eingreifen kann. Ein Krankheitszustand ist aber nicht notwendig (BGH NJW-RR 1988, 764). Eine erhebliche Willensschwäche kann auch bei Jugendlichen oder alten Menschen vorliegen. 3. Rechtsfolgen. a) Nichtigkeit von Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäft. Das wucherische Verpflichtungsgeschäft ist nichtig; eine Anpassung des Vertragsinhalts unter Korrektur des Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung scheidet grds aus (BGH 44, 162; 68, 207; NJW 1958, 1772; 1994, 1275; Celle NJW 1959, 1972). Ausnahmen von der Nichtigkeitsfolge sind bislang nur anerkannt beim Lohnwucher (vgl Rn 66) und beim Mietwucher (vgl Rn 126). Im Einzelfall kann der Wucherer gem § 242 gehindert sein, sich ggü dem Bewucherten, der am Geschäft festhalten will, auf die Nichtigkeit zu berufen (Staud/Sack/Fischinger Rn 259). Nach dem Wortlaut des § 138 II („oder gewähren lässt“) ist auch das Verfügungsgeschäft des Bewucherten nichtig, wenn beim Erfüllungsgeschäft die Wuchervoraussetzungen vorliegen; von der Nichtigkeit werden dann auch Leistungen erfüllungshalber (Wechsel, Scheck) und die Gewährung von Sicherheiten erfasst (BGH NJW 1982, 2767; 1990, 384; 1994, 1275 = LM § 138 [Ba] Nr 13 m krit Anm Grunewald zur Erstreckung auf die Sicherheiten; 1994, 1470; ZfIR 2004, 998f). Der Bewucherte kann also seine Leistung zB nach § 985 zurückfordern und ist nicht auf den schwächeren (§ 818 III) Bereicherungsausgleich angewiesen. Ist in Erfüllung des Wuchergeschäfts eine Grundbucheintragung erfolgt, kann der Bewucherte nach § 894 Grundbuchberichtigung verlangen (vgl BGH WM 1984, 1546; NJW-RR 2011, 880). Demgegenüber ist nach hM das Verfügungsgeschäft des Wucherers wirksam (Pal/Ellenberger Rn 75; Soergel/ Hefermehl Rn 57), da sich § 138 II nur auf die Leistung des Bewucherten, nicht aber auf die Leistung des Wucherers bezieht. Die Mindermeinung, wonach sich die Nichtigkeit der Leistung des Wucherers aus § 138 I bzw § 139 ergibt (so Enn/Nipperdey § 192 III 1), ist abzulehnen (Flume § 18, 7). Der Wucherer hat deshalb nur einen Bereicherungsanspruch (§ 812), der vielfach durch § 817 S 2 ausgeschlossen sein wird (RG 161, 52, 57; BGH NJW 1983, 1423; 1993, 2108; 1995, 1152). Beim wucherischen Darlehen steht § 817 S 2 der Rückforderung des Darlehens durch den Wucherer jedoch nur bis zum Ablauf der vereinbarten Darlehenszeit entgegen (BGH 99, 338; NJW 1995, 1153); ferner kann der Wucherer sich nicht aus etwaigen Sicherheiten befriedigen (BGH NJW 1994, 1275); Zinsen soll er nicht, auch nicht in angemessener Höhe, verlangen können (BGH NJW 1983, 1422; Köln ZIP 1985, 26; anders Medicus/Petersen BürgR Rn 700 mwN). b) Späterer Eintritt oder Wegfall der Wuchervoraussetzungen. Treten die Voraussetzungen des Wuchertatbestandes erst nach Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts ein (entsteht zB ein auffälliges Leistungsmissverhältnis erst durch spätere Wertänderungen), bleibt das Verpflichtungsgeschäft wirksam. Dem Anspruch auf Erfüllung kann aber der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242) entgegenstehen (vgl Soergel/Hefermehl Rn 75 mN). Im Einzelfall können auch die Regeln über die Geschäftsgrundlage anwendbar sein. Fallen die Voraussetzungen des Wuchertatbestandes nach Abschluss des Verpflichtungsgeschäfts weg, ändert das nichts an der Unwirksamkeit dieses Geschäfts, so dass kein Anspruch auf Erfüllung besteht. Erbringen die Vertragsparteien jedoch die (unwirksam) vereinbarten Leistungen, ist § 141 zu beachten. Liegen dessen Voraussetzungen nicht vor und greift auch nicht ausnahmsweise § 242 ein, sind die Leistungen nach § 812 zurückzugewähren. 4. Das wucherähnliche Geschäft. Die zusätzlichen Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsgeschäft bei einem auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung nach § 138 II wegen Wuchers sittenwidrig ist, sind vielfach nicht gegeben oder nicht feststellbar. Ein auffälliges Missverhältnis zw Leistung und Gegenleistung allein genügt als Grundlage für die Anwendung von § 138 I nicht; sonst würde der Sondertatbestand des § 138 II völlig entwertet. Ein objektiv durch ein solches Missverhältnis geprägtes Austauschgeschäft ist aber nach § 138 I als wucherähnliches Geschäft nichtig, wenn mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt. (st Rspr, s nur BGH 146, 298, 302; 196, 299 Rn 21; NJW 1951, 397; 1979, 805; 2012, 1570). Dies ist insb der Fall, wenn eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten hervorgetreten ist, weil er etwa die wirtschaftlich schwächere Position des anderen Teils bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der andere nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den für ihn ungünstigen Vertrag Schmidt-Räntsch

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eingelassen hat (BGH 146, 298, 302).Solche Umstände können sich iÜ sowohl aus den Vorgängen und Verhältnissen beim Vertragsschluss, etwa der einseitigen Dominanz eines Ehegatten beim Unterhaltsverzicht (BGH 178, 322 Rn 29) als auch aus Inhalt, Zweck oder Beweggründen des Rechtsgeschäfts allein oder aus dem Gesamtbild ergeben. Könnte zB ein Ehegatte bei einem Vertrag zum Zwecke der Steuerersparnis im sog Wiesbadener Modell von dem anderen Ehegatten die Rückübertragung der belasteten Immobilie verlangen, ohne dass der andere Ehegatte von den Verbindlichkeiten befreit würde, würde dies eine sittenwidrige Übervorteilung des anderen Ehegatten bedeuten, die zur Nichtigkeit des Vertrags führt (BGH NJW 2015, 1168 Rn 7 in casu allerdings wegen Freistellungspflicht verneint; ähnlich bei Verfallklausel BGH NJW 2009, 1135 Rn 9). Infolge von Umständen der geschilderten Art kann es zu einem wucherähnlichen Geschäft auch dann kommen, wenn das Missverhältnis nicht auffällig ist (BGH DtZ 1997, 66). Subjektiv ist im Prinzip erforderlich, dass der durch das Missverhältnis Begünstigte in verwerflicher Gesinnung gehandelt hat (grundlegend: BGH 146, 298, 302; dazu Maaß NJW 2001, 3467; Flume ZIP 2001, 1621; Eckert ZfIR 2001, 884; Staud/Sack/Fischinger Rn 276ff). Vorsatz oder bewusstes Ausnutzen der schwächeren Position des anderen Teils ist dazu nicht erforderlich; es genügt, dass sich der Begünstigte leichtfertig der Einsicht in die Verwerflichkeit seines Handelns verschließt (BGH 80, 153, 160f). Im Streitfall ist das grds von dem zu beweisen, der sich auf Sittenwidrigkeit beruft. Bei einem objektiv besonders groben oder krassen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung erleichtert die Rspr – jedenfalls zugunsten von benachteiligten Privatpersonen – die Beweisführung durch eine widerlegliche tatsächliche Vermutung der verwerflichen Gesinnung des durch das Geschäft Begünstigten (BGH 98, 174, 178; 104, 102, 107; 125, 135; 125, 218, 227; 128, 255; 146, 298; NJW-RR 2008, 1436, 1438). Diese Vermutung befreit die nachteilig betroffene Partei allerdings nicht von ihrer Behauptungslast, der sie aber dadurch entsprechen kann, dass sie sich auf die Vermutung beruft (BGH NJW 2010, 363 Rn 19; 2012, 1570 Rn 9; WM 2014, 1440 Rn 6). Zur Entkräftung der Vermutung genügt ein Hinw auf mögliche, als solche nicht anstößige Motive der Beteiligten nicht (BGH WM 1987, 353). Vielmehr muss die begünstigte Vertragspartei einen Sachverhalt darlegen und beweisen, der die Vermutung ausräumt (BGH 128, 255, 267; 146, 298; dazu Maaß NJW 2001, 3467; Flume ZIP 2001, 1621; Eckert ZfIR 2001, 884; NJW 2002, 429, 430f und 3165, 3166). Dafür genügt es nicht, dass die benachteiligte Vertragspartei das Missverhältnis kennt (BGH NJW 2007, 2841, 2842). Im Einzelfall können aber besondere andere Umstände dem Rückschluss auf eine verwerfliche Gesinnung entgegenstehen; das gilt etwa, wenn die Vertragsparteien in einer schwierigen Bewertungssituation ein nicht erkennbar grob unrichtiges Verkehrswertgutachten eingeholt haben und Verkäufer ein erfahrener Konkursverwalter ist (BGH WM 1985, 948; ZIP 1997, 931; NJW-RR 2008, 1436, 1438; vgl ferner das Bsp in Köln ZEV 1998, 435) oder wenn der Käufer darauf spekuliert, dass das Kaufgrundstück zu Bauland wird (Hamm RNotZ 2015, 346, 348). Ebenso gilt die Vermutung nicht, wenn sich das grobe Missverhältnis aufgrund einer Wertermittlung anhand des Ertragswertverfahrens ergibt (BGH 160, 8, 15; NJW-RR 2008, 1436, 1438) oder der Preis auf einer Internetauktion beruht (BGH NJW 2012, 2723). Ggü benachteiligten Kaufleuten und vergleichbaren geschäftserfahrenen Teilnehmern am Rechtsverkehr gilt die Vermutung nicht (BGH 128, 255, 268; NJW-RR 1989, 1068; NJW 1991, 1810; München ZMR 1996, 551; Nürnberg BB 1996, 660). V. Einzelfälle P Abtretung. Die Wirksamkeit der Abtretung einer Forderung oder eines Rechts als Verfügungsgeschäft wird von der Sittenwidrigkeit des Verpflichtungsgeschäfts idR nicht berührt (BGH NJW 1997, 3370; 2002, 429, 432). Etwas Anderes gilt, wenn (auch) die Abtretung selbst gegen die guten Sitten verstößt, s zu den einschlägigen Fällen wie etwa Übersicherung, Kollision mit verlängertem Eigentumsvorbehalt etc § 398 Rn 18a ff. P Abwerbung von ArbN oder Kunden. Die Abwerbung von ArbN oder Kunden mag im Einzelfall gegen §§ 3, 4 UWG verstoßen. Der mit dem abgeworbenen ArbN oder Kunden geschlossene Vertrag ist jedoch nur bei zusätzlichen sittenwidrigen Umständen – etwa bei Verleitung zum Vertragsbruch oder bei einem den Umständen nach anstößigen gezielten Eingriff in ein anderes Unternehmen – nichtig (für ArbN: BAG 13, 281, 284; Bremen und Frankfurt NJW 1963, 862; Karlsruhe GRUR 2002, 459 sowie NJW-RR 2002, 397; Braun DB 2002, 2326; Busch/ Dendorfer BB 2002, 301; Luft NJW 1961, 2000; aM Schmiedl BB 2003, 1120; für Kunden: Celle NJW-RR 1999, 550). Sittenwidrig können wegen unangemessener Beschränkung der beruflichen Freiheit vertragliche Regelungen sein, die unabhängig von schutzwürdigen eigenen Interessen eines Unternehmers darauf abzielen, einen Mitarbeiter an einem Wechsel zu einem Wettbewerber zu hindern (vgl LAG Thüringen ZIP 2002, 587 zu § 74a HGB). P Adelsbezeichnungen etc. Auf den Erwerb von Adelsbezeichnungen, öffentlichen Ämtern, Auszeichnungen, Orden gerichtete Verpflichtungsgeschäfte, insb der Erwerb gegen Bezahlung („Titelkauf“), und normalerweise auch entspr Erfüllungsgeschäfte sind sittenwidrig. Dies gilt selbst bei grenzüberschreitenden Geschäften dieser Art, wenn die ausl Rechtsordnung den Titelhandel zulässt. Die Anstößigkeit ergibt sich sowohl aus der Störung der rechtlichen als auch aus der nach dem Verständnis unserer Rechts- und Sittenordnung sachfremden, ethischen Prinzipien widersprechenden Verknüpfung der Verleihung mit einer Gegenleistung in Geld (BGH NJW 1994, 187 – Ernennung zum Honorargeneralkonsul; BGH NJW 1997, 47 – Vermittlung einer Adoption zum Zwecke des Erwerbs eines Adelstitels; Stuttgart NJW 1996, 666 – Dr hc; Koblenz NJW 1999, 2904 – Promotion; MüKo/Armbrüster Rn 127; Hospach NJW 1996, 643; Prieß NVwZ 1991, 111; Weiler NJW 1997, 1053; vgl auch Koblenz NJW 1996, 665 und Köln NJW-RR 1994, 1540 – Hilfe zur Promotion). P Animierlokal. Wird in einem Animierlokal ein weit überhöhter Getränkepreis vereinbart, kann ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegen (Nürnberg MDR 1977, 1016; vgl aber zu den für einen überhöhten Preis erfor370

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derlichen Feststellungen BayObLG NJW 1985, 873 – zu § 302a I 1 Nr 3 StGB aF). Das Gleiche kann auch für die Begebung eines für die Verzehrkosten hingegebenen Schecks oder Wechsels (LG Hamburg MDR 1974, 50; Kollhosser JuS 1977, 513) oder für die Abgabe eines Schuldanerkenntnisses (Schleswig NJW 2005, 225) gelten; letztlich ist das indes eine Frage der Würdigung aller Umstände im Einzelfall (vgl BGH NJW 1980, 1742). Sittenwidrigkeit liegt besonders dann nahe, wenn wegen der Höhe des anerkannten Betrages der Gast mit der Begebung eines Wertpapiers oder der Abgabe eines Anerkenntnisses durch die Umkehr der Beweislast in Beweisnot gebracht wird (BGH NJW 1987, 2014). Ferner kommt Sittenwidrigkeit in Betracht, wenn hohe Verzehrkosten zugleich eine versteckte Gegenleistung für sexuelle Handlungen in dem Lokal tätiger Personen enthalten (Hamm NJW-RR 1986, 547; Köln NJW-RR 2002, 620, 621; Schleswig aaO). P Arbeitsverhältnis. Ein Arbeitsvertrag, der zu einer sittenwidrigen Arbeitsleistung verpflichtet, etwa zur Mitwirkung an einer strafbaren Handlung, auch unterhalb der Schwelle der eigenen Strafbarkeit des ArbN (vgl in diesem Zusammenhang auch Schulz NJW 2006, 183 zur Strafbarkeit der Beschäftigung von Scheinselbständigen), zur Prostitution (BGH 67, 119; AP § 138 BGB Nr 35; Düsseldorf NJW 1970, 1852; vgl auch BVerwG NJW 1982, 665; NVwZ 1990, 668) oder gar zur öffentlichen Vorführung des Geschlechtsverkehrs (BAG NJW 1976, 1958), ist – wenn nicht schon nach § 134 – jedenfalls nach § 138 von Anfang an ungültig, nicht jedoch zB ein Arbeitsvertrag mit einer Stripteasetänzerin (BGH UFITA 74, 337; vgl auch BVerwG NVwZ 1985, 826; NJW 1982, 664). Große Bedeutung hat § 138 ferner für die arbeitsvertragliche Umsetzung von Grundwertungen der Verfassung, die selbst keine gesetzlichen Verbote enthalten (etwa: Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht – Bsp: BAG DB 1983, 2780; BB 1983, 1727 m Anm Schlund; 1988, 137; 1995, 204; 1998, 431; Gewissensfreiheit – BAG BB 1985, 1853; 90, 212; Meinungsfreiheit; Schutz von Ehe und Familie; vgl zur Problematik insgesamt Zachert BB 1998, 1310ff). Wenn zw der geschuldeten Arbeitsleistung und dem individuell vereinbarten Lohn ein auffälliges Missverhältnis besteht, kann bei einem nicht tarifgebundenen ArbN (bei Tarifbindung besteht Anspruch auf den Tariflohn, BAG DB 1990, 2023) ein Arbeitsvertrag unter den weiteren Voraussetzungen von § 138 II wegen Lohnwuchers nichtig sein. Ausgangspunkt für die Feststellung eines solchen Missverhältnisses ist der Vergleich zw dem vereinbarten Lohn und dem (regionalen und/oder branchenüblichen) Marktpreis der geschuldeten Arbeitsleistung (vgl dazu BGHSt 43, 53, 59f mwN – zu § 302a I StGB1 aF, heute § 291 StGB); zweifelhaft erscheint, ob – so BGH aaO – ein in der Branche und Region geltender Tariflohn zum Maßstab für den Marktpreis genommen werden kann (vgl auch BAG AP Nr 30; vermittelnd BAG NZA 2004, 971); mehr spricht für eine Anknüpfung an die für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer ortsübliche Vergütung iSv § 612 II, um individuelle Lohnbemessungsmerkmale (etwa eine Unterqualifikation infolge unzureichender Ausbildung oder individueller Eignungsbeschränkungen) und regionale Unterschiede im Lohnniveau angemessen berücksichtigen zu können (BGH AnwBl 2010, 439 Rn 19). Gegen eine ausschließliche oder vorzugsweise Anknüpfung an den Tariflohn spricht nicht zuletzt, dass die Tariflöhne in manchen Branchen oder Regionen selbst bisweilen sehr niedrig sind. Ein Missverhältnis nimmt die Rechtspraxis teilw an, wenn der vereinbarte Lohn 20–30 % des Vergleichslohnes unterschreitet (vgl etwa BGHSt 43, 53, 54; AnwBl 2010, 439 Rn 19, 22; BAG NZA 2006, 1354, 1356; BAGE 130, 338 Rn 17; 143, 212 Rn 19; LAG Berlin AuR 1998, 468; Peter AuR 1999, 289, 293; Reinecke NZA 2000 Beil zu Heft 3, 23; überholt daher BAG EzA Nr 29). Letztlich wird es auf die Umstände des jew Einzelfalles (zB auch auf die absolute Höhe des vereinbarten Lohnes und auf die Produktivität der konkreten Arbeitsleistung im Beschäftigungsunternehmen) ankommen (Hanau EWiR 2002, 420). Lohnwucher kann auch bei Vereinbarung eines überhöhten Entgelts gegeben sein (BAG AP Nr 1 und 30). Bei einem auffälligen Missverhältnis bei der Bemessung des Arbeitslohnes kann auch nach § 138 I Sittenwidrigkeit gegeben sein, wenn in der Vertragsregelung eine verwerfliche Gesinnung zum Ausdruck kommt. Die bloße Unterschreitung des Tariflohnes (BAG AP § 138 Nr 30 m krit Anm Konzen) oder des marktüblichen Lohnes um einen bestimmten Prozentsatz reicht allein für einen Sittenverstoß weder bei § 138 I noch bei § 138 II aus (Pal/ Ellenberger Rn 79). Von Bedeutung mag dabei im Einzelfall sein können, ob das Entgelt trotz angemessener Arbeitsleistung für den Unterhalt der Familie nicht ausreicht („Hungerlohn“; BAG AP Nr 30; bedenklich, wenn nach den Marktverhältnissen, etwa wegen der begrenzten individuellen Leistungskraft des Arbeitnehmers, ein höherer Lohn nicht in Betracht kommt) oder wenn der Lohn außer Verhältnis zum wirtschaftlichen Wert der Arbeit steht. Die individuellen Voraussetzungen, die neben dem Vorliegen eines Missverhältnisses für Sittenwidrigkeit iSv § 138 I oder II vorliegen müssen, werden sich letztlich schwerlich feststellen lassen, wenn die Produktivität des konkreten Beschäftigten in seinem Unternehmen keine höhere Vergütung erlaubt. Insgesamt dürfte § 138 deshalb kein geeignetes Mittel sein, um generell in einer Branche, einer Region oder einem Unternehmen zu niedrige Löhne zu verhindern. Nicht ohne weiteres zu beanstanden sind Kombinationen einer angemessenen Festvergütung mit erfolgsabhängigen Vergütungselementen; bedenklich ist allerdings ein Dienstvertrag eines Geschäftsführers einer GmbH, der als Vergütung nur eine Tantieme vorsieht (KG GmbHR 1996, 613). Nicht mit den guten Sitten vereinbar ist es, die Vergütungspflicht für eine Probezeit von zwei Wochen vom endgültigen Abschluss eines Arbeitsvertrags abhängig zu machen (LAG Köln AuR 1999, 461). Sittenwidrig können auch Vertragsregelungen sein, die ohne wirtschaftlichen Ausgleich Arbeitgeberrisiken auf den ArbN verlagern. Bsp für Sittenwidrigkeit: Abhängigkeit des Entgelts von einem schwer erreichbaren Mindesterfolg (LAG Hamm ZIP 1990, 880; vgl auch LAG Hamm BB 1980, 105f); Verlustbeteiligung ohne Gegenleistung (BAG NJW 1991, 860); Mankoabrede ohne wirtschaftlichen Ausgleich (BAG NJW 1974, 1155; Bleistein DB 1971, 2213); Delkrederehaftung bei unzureichender Provision (LG Heidelberg BB 1958, 7); ein VergütungsSchmidt-Räntsch

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ausschluss bei Ausschussarbeit (Sack RdA 1975, 171); Verpflichtung des ArbN zum Ersatz von Unfallschäden ohne Vereinbarung einer angemessenen Gegenleistung (ArbG Marburg BB 1969, 1479); Verpflichtung zur Weiterzahlung von Leasingraten für einen zur Privatnutzung überlassenen Dienstwagen nach Ende des Arbeitsverhältnisses und Rückgabe des Fahrzeuges (BAG NJW 2004, 1754). Nichtig ist der vertragliche Ausschluss des Kündigungsrechts einer Minderjährigen auf die Dauer von zwei Jahren, wenn der Bindung an den Arbeitsvertrag kein Äquivalent gegenübersteht (LAG Berlin AP Nr 23), ebenso ein Lohnverzicht für den Fall einer Kündigung des Arbeitsvertrags. Große Bedeutung hat § 138 in der Praxis für die Überprüfung der Wirksamkeit von einseitigen Rechtsgeschäften und rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen des Arbeitgebers, insb von Kündigungen und betrieblichen Weisungen. Praktische Bedeutung hat § 138 vor allem, soweit das KSchG nicht anwendbar ist. Das BVerfG weist § 138 – gemeinsam mit den übrigen zivilrechtlichen Generalklauseln – insb die Funktion des durch Art 12 I GG gebotenen Mindestschutzes für ArbN zu, soweit die gesetzlichen Kündigungsschutzregelungen keinen hinreichenden Schutz bieten (BVerfG NJW 1998, 1475; zur Beweislast insoweit BAG NJW 2002, 532 mwN). Zu § 138 bei einer Kündigung wegen einer AIDS-Erkrankung BAG AP Nr 46 (zust Kramer); LAG Düsseldorf NZA 1988, 658. Bei Aufhebungsverträgen verneint das BAG für den Regelfall zutr eine zur Sittenwidrigkeit führende Lage, weil der ArbN einen Aufhebungsvertrag mit einem schlichten „Nein“ ablehnen könne (BAG NJW 1996, 2593; vgl auch BAG DB 1994, 279). Ein zurückdatierter Aufhebungsvertrag soll grds auch dann nicht gegen die guten Sitten verstoßen, wenn die Rückdatierung ein Ruhen des Arbeitslosengeldes nach §§ 143ff SGB III – verhindern will (LAGE BW § 611 BGB Aufhebungsvertrag; vgl auch Bauer EWiR 1997, 344 zu BAG ZIP 1997, 603; ähnlich LAG Berlin NZA-RR 2000, 460 für eine Vereinbarung, die möglicherweise einen Subventionsbetrug enthält). Hinzunehmen und nicht sittenwidrig ist es auch, wenn anstelle einer möglicherweise berechtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsgebers eine Aufhebung des Arbeitsvertrags vereinbart wird und daraus letztlich als Nebenwirkung auch Ansprüche auf öffentliche soziale Leistungen entstehen (LAG Nds NZA-RR 2005, 415; vgl auch den besonders gelagerten Sachverhalt in BAG ZIP 1999, 1572). P Auslandsbezug. § 138 gilt grds nur für Rechtsgeschäfte, die nach den Regeln des IPR dt Recht unterliegen. Für die Sittenwidrigkeit von Rechtsgeschäften mit Auslandsbezug, die dem dt Recht unterliegen, insb für Verträge zu grenzüberschreitenden Leistungen oder Lieferungen, gelten zwar keine grds anderen Maßstäbe als bei reinen Inlandsgeschäften. Jedoch wirkt sich hier faktisch stärker aus, dass die (nationale) Sittenordnung auch von den innerstaatlich verbindlichen (vgl Art 25 GG) rechtlichen Grundwertungen des internationalen Rechts einschl der anerkannten internationalen Handelsbräuche und des übernationalen Rechts, insb des Rechts der EU, geprägt wird. Bei der Ausfüllung des Begriffs der guten Sitten sind diese Grundwertungen heranzuziehen (Köln FamRZ 2016, 720, 721 für Beurteilung einer iranischen Morgengabe bei deutschem Recht unterliegender Ehe). Was nach diesen Regeln erlaubt ist, kann gemeinhin im grenzüberschreitenden Verkehr nicht sittenwidrig sein, sofern nicht zusätzliche anstößige Umstände das Rechtsgeschäft im Einzelfall insgesamt sittenwidrig prägen. Ein Verstoß gegen ausl Recht kann insb zur Sittenwidrigkeit führen, wenn seine Beachtung auch im dt Interesse liegt (BGH 94, 268, 270, 272; NJW 1991, 634; Fikentscher/Waibl IPRax 1987, 86; Staud/Sack/Fischinger Rn 481) oder wenn das ausl Recht auch nach den im Inland geltenden Rechts- und Sittenanschauungen als Maßstab anzuerkennen ist (BGH 94, 268, 271), etwa wegen Übereinstimmung mit grundlegenden dt Gerechtigkeitsvorstellungen (vgl Mayer-Maly AcP 194, 105, 145; Staud/Sack/Fischinger Rn 655; vgl auch BGH GRUR 1980, 858) oder mit den gemeinsamen sittlich-rechtlichen Vorstellungen aller Kulturstaaten (BGH 59, 82, 85; 69, 295, 298; 94, 268, 271). Grds nicht abzustellen ist auf ausl Recht, das gegen dt Interessen gerichtet ist oder das sich mit den Grundwertungen innerstaatlichen dt Rechts nicht verträgt (RG 108, 241; BGH 34, 169, 176; 69, 295, 298). P Automatenaufstellungsvertrag. Ein Automatenaufstellungsvertrag ist wegen Wuchers (§ 138 II) nichtig, wenn sich der Automatenaufsteller neben einer der Vorfinanzierung dienenden „Sicherheit“ eine Mietvergütung versprechen lässt, die den Anschaffungswert des Automaten um das Doppelte übersteigt (KG NJW 1964, 1475; vgl aber BGH NJW 1979, 758). Die Sittenwidrigkeit eines Aufstellungsvertrags (§ 138 I) kann sich iÜ vor allem aus der Gesamtheit der Vertragsbestimmungen ergeben; ein Sittenverstoß kann insb vorliegen, wenn die Belastungen für den Gastwirt, in dessen Gaststätte Automaten aufgestellt werden, in ihrer Gesamtwirkung nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu den Investitionen des Aufstellers stehen und/oder wenn die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit etwa des Wirts in unvertretbarem Maße eingeschränkt wird; von Bedeutung können dabei zB die Laufzeit des Vertrags und/oder die Vereinbarung sehr langer Kündigungsfristen mit Verlängerungsklausel sein (vgl BGH 51, 55; NJW 1971, 1034; 1983, 159; WM 1971, 243; 1977, 112; 1982, 1354; 1983, 159; Celle WuW 1975, 609; v Olshausen/K. Schmidt, Automatenrecht, 1972, B 29ff, 53). Die ordentliche Kündigung eines laufenden Gaststättenpachtvertrags mit dem Ziel, in einem neuen Vertrag (auch) das alleinige Recht zur Automatenaufstellung zu erhalten, ist grds nicht sittenwidrig (BGH NJW 1998, 76). P Bankkonto. Ein Vertrag über ein Konto bei einem Kreditinstitut (etwa Girovertrag) kann nach den AGB der Banken und Sparkassen idR ohne Begründung gekündigt werden. Bei Wahrung der vereinbarten oder einer angemessenen Frist ist auch eine vertragsgemäße, wenn auch ohne plausiblen Grund ausgesprochene Kündigung regelmäßig wirksam. Ausnahmsweise kann nach den allg Kriterien Sittenwidrigkeit in Betracht kommen, etwa wenn das Kreditinstitut eine strukturelle Machtposition in anstößiger Weise ausnutzt (Parallele zur Bürgschaft). Bei der stets erforderlichen Gesamtabwägung kann ggü der rechtsgeschäftlichen Gestaltungsfreiheit des Kredit372

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Willenserklärung

§ 138

instituts neben beiderseitigen Interessen und den objektiven nachteiligen rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen für den Kontoinhaber von Bedeutung sein, ob die Kündigung verfassungsrechtlich gesicherte Rechtspositionen (etwa Art 4, Art 9 III 2, Art 21, möglicherweise iVm Art 3 III GG) beeinträchtigt und/oder die Beweggründe der Kündigung nach verfassungsrechtlichen Grundwertungen zu missbilligen sind. Dies wird man insb anzunehmen haben, wenn Motiv für die Kündigung allein die nach Meinung des Kreditinstituts verfassungsfeindliche Politik einer extremen, aber nicht verbotenen politischen Partei ist (näher dazu Boemke NJW 2001, 43 und WiB 1997, 617, 622 und Köndgen NJW 2004, 1288, 1291f sowie aus der Rspr einerseits Dresden NJW 2001, 1433 und 2002, 757; LG Leipzig NJW 2001, 80 und andererseits Brandenburg NJW 2001, 450; Köln NJW 2001, 452; AG Essen NJW-RR 1994, 1330; vgl auch LG Stuttgart NJW 1996, 3347 – Kündigung ggü Scientology). Für öffentlich-rechtl Banken und Sparkassen kommt statt § 138 I die Anwendung von § 134 iVm dem Willkürverbot des GG in Betracht (BVerfG NJW 2003, 1658f; EuGRZ 2001, 333, 334 und 335; BGH 154, 146; NJW 2004, 1031; Köndgen NJW 1996, 558, 559 und 2004, 1288; Steuer WM 1998, 439). P Bauverträge. Auch bei Bauverträgen kommt Sittenwidrigkeit vor allem unter den Voraussetzungen des Wu74a chers oder eines wucherähnlichen Geschäfts (Rn 59) in Betracht (Bsp. BGH 196, 299 Rn 21; Karlsruhe MDR 2015, 497, 498). P Benachteiligung der Allgemeinheit/Geschäfte zulasten der Allgemeinheit. Sittenwidrig sind aus eigennützi75 gen Gründen getroffene Vereinbarungen, die geeignet sind, zum Schutz gewichtiger Interessen der Allgemeinheit erlassenen Rechtsvorschriften durch Herabsetzung der Hemmschwelle ihre Wirksamkeit zu nehmen (Bsp: Zusage eines Arbeitgebers über die Erstattung von etwaigen Geldbußen für Verstöße des ArbN gegen Vorschriften über Lenkzeiten im Güterkraftverkehr, BAG NJW 2001, 1962; vgl auch LAG Hamm NJW 1991, 861; Holly/ Friedhofen NZA 1992, 145, 148ff, 153). Mit den guten Sitten unvereinbar sind ferner Rechtsgeschäfte, die dazu dienen, in missbilligenswerter Weise private Lasten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Dies gilt insb für Vermögensdispositionen (Abtretung von Forderungen oder Rechten, Übereignung von beweglichen Sachen, Auflassung von Grundstücken) mit dem prägenden Zweck, die sonst nicht oder nicht im gleichen Ausmaß gegebenen Voraussetzungen für Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln (etwa: Subventionen, Sozialhilfe und sonstige soziale öffentliche Leistungen, Wohngeld, auch Prozesskostenhilfe) zu schaffen oder Rückgriffsmöglichkeiten öffentlicher Träger von solchen Leistungen zu verkürzen (BGH 178, 322 Rn.36f); in diesem Fall erfasst die Sittenwidrigkeit gerade auch das Verfügungsgeschäft (Bsp: Stuttgart NJW 2001, 3484; Schleswig SchlHA 1998, 48; VGH Mannheim NJW 1993, 2953; OVG Münster NJW 1989, 2834; 1997, 2901; VG Gießen NJW 2000, 1515; Frank BWNotZ 1983, 153; Schwarz JZ 1997, 545). Ein Unterhaltsverzicht oder eine sonstige Unterhaltsvereinbarung ist nicht erst dann sittenwidrig, wenn bewusst die Notwendigkeit öffentlicher sozialer Hilfe herbeiführt wird. Beide können vielmehr auch ohne eine solche Absicht sittenwidrig sein, wenn die Ehegatten damit grob fahrlässig eine Unterstützungsbedürftigkeit des einen Ehegatten zu Lasten des Sozialhilfeträgers herbeiführen oder wenn sie die auf der Ehe beruhenden Familienlasten objektiv zum Nachteil des Sozialhilfeträgers regeln (BGH 178, 322 Rn 36) oder wenn sie eine über die gesetzliche Unterhaltspflicht hinausgehende Zahlungspflicht vereinbaren und dadurch den zahlungspflichtigen Ehegatten außer Stande setzen, seine eigene Existenz zu sichern, der deshalb Sozialhilfe in Anspruch nehmen muss (BGH 178, 322 Rn 37). Diese Grundsätze lassen sich nicht ohne weiteres auf Überlassungsverträge übertragen, durch welche Eltern ihren Kindern ihr Grundstück gegen Einräumung eines Wohnrechts und Übernahme von Pflege und Wartung übertragen (BGH NJW 2009, 1346 Rn 16). Vielmehr muss hier auch die Wertung der §§ 528, 529 berücksichtigt werden, nach der selbst bei einer Schenkung nur für die Dauer von 10 Jahren ein Rückforderungsrecht besteht (BGH NJW 2009, 1346 Rn 11). Eine vergleichbare Fragestellung ergibt sich bei einem Behindertentestament. Das sind Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer - mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen - Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann. Sie sind grds nicht sittenwidrig, weil das Gesetz dem behinderten Kind nur einen – überleitungsfähigen (BGH 123, 368, 379) – Pflichtteilsanspruch gewährt und die Ausnutzung der Testierfreiheit zum Wohl des behinderten Kindes nicht verbietet (BGH 111, 36; 123, 368, 373ff; 188, 96 Rn 12; NJW-RR 2006, 223 Rn 19, Hamm, ZEV 2017, 158, 160 Rn 56ff). Entspr gilt auch für den Erbverzicht (BGH 188, 96 Rn 17ff), der aber sittenwidrig sein kann, wenn er Teil einer den Verzichtenden einseitig übervorteilenden und ihn überrumpelnden Vereinbarung ist (Hamm ZEV 2017, 163 Rn 28ff). Umgekehrt führt eine Übernahme der Kosten der Heimunterbringung in solchen Fällen nicht ohne weiteres zu einer sittenwidrigen Überforderung der Kinder (Bsp: Koblenz FamRZ 2017, 660, 662). Sittenwidrig kann die Abtretung einer str Forderung einer nicht armen Partei sein mit dem Ziel, sie durch den Zessionar unter Inanspruchnahme von PKH verfolgen zu lassen (BGH 96, 151, 153; LM [Ca] Nr 3a; Düsseldorf NZKart 2015, 201= juris Rn 64); die PKH ist in einem solchen Fall nicht wegen Rechtsmissbrauchs (BGH 47, 289, 292), sondern schon wegen mangelnder Erfolgsaussicht zu versagen. Eine Abtretung wäre aber nicht sittenwidrig, wenn sie zu dem Zweck erfolgt, den anderen aus einer ungünstigen Beweislage zu befreien (BGH NJW-RR 1988, 126, 127). P Benachteiligung Dritter/Eingriff in Rechte Dritter/Verleiten zum Vertragsbruch. Die Privatrechtsordnung 76 verbietet ein Verpflichtungsgeschäft nicht, dessen Inhalt mit einem anderen Verpflichtungsgeschäft einer Vertragspartei kollidiert (Bsp: Dasselbe Grundstück wird vom Verkäufer mehrfach an unterschiedliche Käufer verkauft). Ein Teilnehmer am Privatrechtsverkehr muss nicht ohne weiteres bei der Vornahme von Rechtsgeschäften die Verfolgung seiner eigenen Interessen ggü drittbezogenen schuldrechtlichen Pflichten seines Geschäftspartners zuSchmidt-Räntsch

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Rechtsgeschäfte

rückstellen (st Rspr, vgl BGH 12, 308, 317; NJW 1979, 1704; 1981, 2184f; 1992, 2152f; 1994, 128, 129). Selbst Verfügungsgeschäfte, mit denen in Rechte Dritter eingegriffen wird, werden vom Gesetz nicht von vornherein ausgeschlossen (gutgläubiger Erwerb, § 185). Für eine Kollision von Verpflichtungsgeschäften und auch für jede andere Verletzung privater Pflichten enthält das Gesetz eigene Regelungen. Schlichte Pflichtwidrigkeiten eines Geschäftsbeteiligten und die objektive Mitwirkung eines Geschäftspartners daran verdienen deshalb das qualifizierte Unwerturteil der Sittenwidrigkeit nicht; Sittenwidrigkeit verlangt ein höheres Maß an Anstößigkeit. Deshalb sind Rechtsgeschäfte, deren Vollzug i Erg bei mindestens einem Beteiligten zu einem Konflikt mit anderen privatrechtlichen Pflichten führen würde, nicht ohne weiteres sittenwidrig; es müssen besondere anstößige Umstände hinzukommen (BGH NJW 1981, 2183f; 1992, 2152f; 1994, 128, 129). Erst recht ist es nicht sittenwidrig, durch Rechtsgeschäft einseitig auf eine im Gesetz vorgesehene Weise einen Vertrag ordnungsgemäß zu beenden (Bsp: Kündigung eines Miet-/Pachtvertrags), um einen günstigeren Anschlussvertrag zu ermöglichen und durch die Vertragsbeendigung mittelbar auch auf Pflichten des anderen Teils ggü Dritten einzuwirken (Bsp: Ein Untermietvertrag, ein Automatenaufstellvertrag oder eine Bezugsverpflichtung für das Miet-/Pachtobjekt laufen mit der Kündigung des Hauptmietvertrags aus; vgl BGH NJW 1998, 76 für Kündigung eines Gaststättenpachtvertrags). Sittenwidrigkeit kann in Betracht kommen, wenn ein Rechtsgeschäft – bezogen auf privatrechtliche Pflichten mindestens eines Partners – eine Pflichtverletzung ggü einem Dritten zum Inhalt hat (Bsp: Ein Beteiligter wird, möglicherweise mit einer Vertragsstrafe bewehrt, zur Verletzung von Vertragspflichten ggü einem Dritten verpflichtet). Dieser Fall ist in der Praxis selten. Praktisch häufiger sind Sachverhalte, in denen die Beteiligten mit einem inhaltlich zumeist neutralen Rechtsgeschäft gemeinsam in anstößiger Weise (durch kollusives Zusammenwirken) auf eine Beeinträchtigung von Rechten oder schuldrechtlichen Ansprüchen Dritter abzielen (BGH 60, 102, 104ff; NJW 1981, 2184f; 1988, 902). Hier steht im Vordergrund der Sittenwidrigkeit die für den Dritten nachteilige Zweckverfolgung durch bewusstes Zusammenwirken der Geschäftspartner (Bsp: Mit dem Rechtsgeschäft soll, häufig unter Täuschung des Dritten, ein Vorkaufsrecht, ein Wiederkaufsrecht, eine schuldrechtliche Nutzungsberechtigung des Dritten, ein Vermächtnis, ein Vollziehungsanspruch gem § 2194, eine Kostenerstattungspflicht gem §§ 91ff ZPO oder die Weitergabe einer Skontoermäßigung ausgeschaltet werden; vgl BGH NJW 1964, 540; WM 1970, 321, 1318; NJW-RR 2005, 1534 – Vorkaufsrecht; für einen anderen Weg – analoge Anwendung von § 162 I – insoweit BGH NJW 1992, 236; vgl zum Eingriff in ein fremdes Vorkaufsrecht auch München NJW-RR 1999, 1314; BGH NJW 1985, 2953 mwN – Wiederverkaufsrecht; BGH 84, 91, 95 – Untermietvertrag; BGH NJW 1992, 2152 – Vermächtnis; BGH 121, 357, 366 – Vollziehungsanspruch gem § 2194; BGH 60, 102, 104f; BGH NJW 1988, 902f, sowie – zu § 826 – BGH NJW-RR 1999, 1186 und München NZM 1999, 797 – Vereitelung schuldrechtlicher Ansprüche; BGH NJW-RR 2009, 1207, 1208 – Missbrauch des Lastschriftverfahrens zur risikolosen Kreditgewährung an den Lastschriftgläubiger unter Abwälzung des Kreditrisikos auf die Gläubigerbank; Düsseldorf NJW-RR 2001, 1025 – Abtretung, um Aufrechnung mit Gegenansprüchen aus demselben Geschäft zu vereiteln oder zu erschweren; BGH NJW 1980, 991 und MDR 1959, 999 – Kostenerstattungspflicht gem §§ 91ff ZPO; Frankfurt NJW-RR 2001, 1634 – Nichtweitergabe einer Skontoermäßigung; vgl auch Düsseldorf NJW-RR 1996, 270 – Vereitelung von zukünftigen Rechten des Erstehers aus § 93 ZVG nicht sittenwidrig). Ein Rechtsgeschäft, das nach der Absicht der Parteien einen Dritten schädigen soll, ist nicht sittenwidrig, wenn es für den Dritten objektiv nicht nachteilig ist (BGH NJW-RR 2012, 18; VersR 2013, 370, 371). Sittenwidrige Kollusion bei der Vertragsanbahnung und/oder beim Vertragsschluss kommt in Betracht, wenn die eine Seite mit einem (gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen) Vertreter, Mitarbeiter, oder sonstigen (auch freiberuflichen) Sachwalter (etwa Handelsvertreter, Versicherungsagent) oder Berater (etwa Anwalt, Architekt, Baubetreuer, Makler, Steuerberater) der anderen Seite zu deren Nachteil in anstößiger Weise zusammenwirkt. Ob und wann ein Zusammenwirken dieser Art anstößig ist, lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände beurteilen. IdR wird der Vertreter/Sachwalter/Berater durch sein Verhalten interne Pflichten verletzen, sei es durch inhaltlich pflichtwidrige Aufgabenwahrnehmung, sei es durch Annahme von Vorteilen, von denen der Vertragspartner selbst nichts erfahren soll; ein solcher Vorteil kann auch in einer – als solche unbedenklichen – Provision oder sonstigen Vergütung für das angebahnte Geschäft liegen, die dem Vertragspartner verheimlicht wird. Häufig werden bei kollusiven Geschäften Vorteile für den Sachwalter mit erstrebten oder in Kauf genommenen Nachteilen für den Vertragspartner verbunden, etwa mit der Unterdrückung wichtiger Informationen (Bsp, zT aus Entscheidungen zu § 826: BGH NJW-RR 1989, 642 – kollusives Zusammenwirken mit Testamentsvollstrecker zum Nachteil des Nachlasses; BGH NJW 1994, 2357 – kollusives Zusammenwirken eines Bankangestellten mit dem Gutschriftempfänger bei der Ausführung eines gefälschten Überweisungsauftrags; Frankfurt ZIP 2003, 1192 – kollusives Zusammenwirken eines Bankangestellten mit dem Verkäufer einer kreditfinanzierten Wohnung; BGH NJW-RR 1996, 869 – kollusives Zusammenwirken eines Gesellschafters mit dem Käufer eines Miteigentumsanteils zum Nachteil der Gesellschaft; BGH NJW-RR 2004, 247 – kollusives Zusammenwirken der Geschäftsführer von zwei Gesellschaften zum Nachteil mindestens einer Gesellschaft bei der Erfüllung gegenseitiger Vertragspflichten; BGH BauR 2004, 337 – kollusives Zusammenwirken eines Angestellten einer Vertragsseite mit der anderen Vertragsseite zum Nachteil seines Geschäftsherrn bei der Abwicklung eines Werkvertrags; BGH 84, 91, 95 – einvernehmliche Beendigung einer an sich noch länger laufenden Gaststättenpacht, um einem vom Pächter geschlossenen Automatenaufstellvertrag die Grundlage zu entziehen; BGH NJW 2000, 2896 – Absprache über Erteilung einer fingierten Rechnung zw einem Mitarbeiter des Geschädigten und 374

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dem Schädiger; BAG NJW 1997, 1940 – kollusives Zusammenwirken des geschäftsführenden Gesellschafters mit einer Angestellten bei einem Aufhebungsvertrag zum Nachteil der Gesellschaft). Der Nachteil für den Vertragspartner muss aber nicht notwendig in einer für ihn letztlich ungünstigen Vertragsgestaltung oder in einer Vermögensgefährdung liegen, wie die unten dargestellten Fälle der Schmiergeldzahlung zeigen. Es genügt, dass der Vertragspartner durch die Kollusion von einer von ihm selbst beteiligten Person hintergangen und dass zugleich auf diese Weise in seinen inneren Entscheidungsprozess eingegriffen wird. Die Vereinbarung von Schmiergeldzahlungen oder eines vergleichbaren anderen Vorteils selbst ist zweifelsfrei wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wenn der Versprechende weiß oder in Kauf nimmt, dass der zukünftige Vertragspartner von ihr nichts erfahren soll (st Rspr, vgl BGH NJW 1962, 1099 – Schmiergeld für Vertreter des Geschäftsherrn; BGH WM 1976, 1306 – Honorarabrede zw einem Bankkunden und dem Mitarbeiter einer Bank; BGH NJW 1973, 363 – Schmiergeld für Vermittlungsvertreter; BGH 78, 263, 268 sowie BGH 95, 81, 85 – nicht offen gelegte Provisionsabrede mit Steuerberater für Gewinnung von Vermögensanlegern; BGH 114, 87, 91ff – nicht offengelegte Provisionsabrede mit Baubetreuer; Düsseldorf BauR 1997, 122 – Schmiergeldzahlungen durch Geschäftsführer einer GmbH mit dem Ziel, Bauaufträge zu beschaffen; weitere Bsp: BGH 76, 1306; NJW-RR 1987, 42; 1990, 443; NJW 2001, 1065; Düsseldorf MDR 1998, 1283; Köln NJW-RR 1998, 1431; Hamburg MDR 1970, 47; Hamm ZIP 1993, 468; Köln NJW-RR 1988, 144; Stuttgart NJW 1985, 1401; Sethe WM 1998, 2309, 2312f), und wenn sie nicht schon von § 134 BGB iVm §§ 299ff und 331ff StGB erfasst wird; ob zugleich Nachteile für den Geschäftsgegner erstrebt oder in Kauf genommen werden, ist unerheblich. Fraglich ist, ob nicht nur das Schmiergeldgeschäft, sondern auch das im Gefolge eines kollusiven Zusammenwirkens – etwa einer Bestechung/Schmiergeldzahlung – vorgenommene Hauptrechtsgeschäft sittenwidrig und damit nichtig ist (eingehend dazu Sethe WM 1998, 2309, 2313ff mwN). Das wird in der Rspr zumeist bejaht (BGH NJW 1989, 26 im Anschluss an RG 136, 359f; NJW 2000, 511; Köln NJW-RR 1992, 624; zurückhaltender BGH 141, 357, 363f; vgl ferner BGH NJW 2001, 1065 und Hamm NJW-RR 1997, 737; Pal/Ellenberger Rn 63). Eine Ausnahme soll gelten, wenn sich positiv feststellen lässt, dass die Vorteilsgewährung auf das Rechtsgeschäft keinen Einfluss gehabt haben kann (BGH NJW-RR 1990, 443); in der Praxis wird eine solche Feststellung zumeist nicht möglich sein. Naheliegend ist der (allerdings mit der strikten Rechtsfolge des § 138 schwer zu vereinbarende) Gedanke, dass in solchen Fällen dem hintergangenen Geschäftspartner analog § 177 die Möglichkeit gegeben werden sollte, das Geschäft gelten zu lassen (vgl Staud/Sack/Fischinger Rn 641; Pal/Ellenberger Rn 63; krit dazu Sethe WM 1998, 2309, 2313ff mwN). Im Einzelfall ist § 177 ohnehin anwendbar, wenn nämlich der Bestochene als Vertreter des Geschäftsherrn seine Vertretungsmacht missbraucht und deshalb ohne Vertretungsmacht gehandelt hat (vgl BGH 141, 357, 363f). Zur Pflicht, Schmiergelder herauszugeben, vgl BGH NJW 2001, 2476. Zur Sittenwidrigkeit kann es schließlich auch führen, wenn – ohne kollusives Zusammenwirken – ein Beteiligter im Zusammenhang mit einem Rechtsgeschäft um des eigenen Vorteils willen eine Verletzung wichtiger Pflichten des anderen Teils ggü einem Dritten in anstößiger Weise veranlasst, fördert oder ausnutzt (anstößige Mittel-Zweck-Relation; „Verleiten zum Vertragsbruch“). Das Schwergewicht des anstößigen Verhaltens liegt hier – anders als bei der Kollusion – auf einer Seite; die Drittbenachteiligung ist meist nicht Zweck, sondern nur in Kauf genommene Folge des Rechtsgeschäfts; die Grenzen zur Kollusion sind aber fließend. Anstößig handelt insb, wer seinen eigenen Vorteil rücksichtslos, ohne Respekt vor den berechtigten Interessen anderer und illoyal ggü den Grundanforderungen der Rechtsordnung verfolgt (BGH NJW 1981, 2185f); das kann etwa geschehen durch Versprechen von Vorteilen, durch Ankündigung von Nachteilen oder durch Ausnutzen einer ungünstigen Lage des Vertragspartners. Dessen Pflichtverletzung muss nicht Ziel des Handelns sein; es genügt, wenn sie billigend in Kauf genommen wird. Bsp: Versprechen der Freistellung von Ersatzpflichten durch einen Käufer ggü dem Verkäufer bei Doppelverkauf eines Grundstücks (BGH 60, 102, 104f; NJW 1981, 2184f – zu § 826); Versprechen einer überhöhten Gegenleistung mit dem Ziel, den/die Empfänger zur Verletzung vertraglicher Pflichten als Miteigentümer zugunsten eines Dritten zu veranlassen (BGH NJW-RR 1999, 1186); zeitlich unbegrenzte Reservierungsvereinbarung eines Grundstücksmaklers mit einem Kaufinteressenten im Widerspruch zu Pflichten des Maklers ggü dem Eigentümer (BGH 103, 241); Hinwirken auf das Sistieren von Aufträgen (BGH NJW-RR 1994, 728); Benachteiligung des Wechsel-Ausstellers durch die diskontierende Bank im Wechsel/Scheckverfahren (Hamm NJW-RR 1995, 617); Einwirken zur Veranlassung eines Steuerberaterwechsels (Stuttgart NJW-RR 1997, 362); Überlassung eines Kontos zur Überweisung von veruntreuten Fremdgeldern (Düsseldorf NJW-RR 1998, 1717); Kündigung eines Kredits durch eine Bank unter bewusster und gewollter Ausnutzung ihrer dominierenden Stellung zulasten von Mitgläubigern des Schuldners (Köln ZIP 2000, 742). P Berufsrecht. Praktische Bedeutung hat § 138 im Berufsrecht vornehmlich dort, wo ein gesetzliches Verbot fehlt. Dabei ist zu beachten, dass die Berufsausübung wirksam nur durch oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden kann (Art 12 I 2 GG). Das sog interne, also nicht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlassene Standesrecht bestimmt deshalb als solches auch den Inhalt der rechtlich geschützten allg Sittenordnung nicht (mehr), soweit es weder an rechtssatzmäßige Regelungen des Berufsrechts anknüpft noch eine allg Rechtsüberzeugung wiedergibt. Auch deshalb ist nicht jedes standeswidrige Rechtsgeschäft sittenwidrig (BGH 39, 142, 148; 60, 28, 33; 78, 263, 267; NJW 1967, 873; 1980, 2407; 1999, 2360f; 2000, 3067; NJW-RR 1989, 1385; WM 1990, 1250; 1995, 1064; Sack WRP 1985, 1, 7; Taupitz NJW 1989, 2871). Bei der Anwendung von § 138 in diesem Bereich ist darauf zu achten, dass die Wahrung standesrechtlich verfestigter Interessen eines bestimmten Berufsstandes nicht notwendig in dem durch die Sittenordnung zu schützenden Allgemeininteresse liegt. Sittenwidrigkeit kommt vor allem in Betracht, wo ein auf die berufliche Tätigkeit bezogenes Rechtsgeschäft geeignet ist, Schmidt-Räntsch

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gewichtige, durch die Rechts- und Sittenordnung insgesamt anerkannte und abgesicherte Allgemeininteressen zu beeinträchtigen oder zu gefährden. Das ist insb bei Rechtsgeschäften zu bejahen, die unmittelbar oder mittelbar in die sachliche Unabhängigkeit und die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung des Freiberuflers oder in andere allg anerkannte Grundelemente der freiberuflichen Tätigkeit, etwa in das Ansehen und die Vertrauenswürdigkeit des Berufsstandes im Allg, eingreifen (vgl aus der Judikatur: BGH NJW 1965, 2005 – Arzt; 1987, 3203; 1992, 682; 1996, 2500; NJW-RR 1990, 948; Frankfurt NJW 1990, 2131 – Rechtsanwalt; NJW 2000, 1797 – Bindung eines Zuschusses zur Errichtung einer Arztpraxis daran, dass der Arzt sich verpflichtet, für eine im gleichen Haus gelegene neue Apotheke durch seine Verschreibungen einen bestimmten Kassenrezeptumsatz zu sichern; BGH NJW 1996, 1956 – Steuerberater; Nürnberg MDR 1988, 861 – Zahnarzt). 83 In der Vergangenheit ist vielfach geprüft worden, ob sich Vergütungsvereinbarungen von Angehörigen freier Berufe im Rahmen der Sittenordnung halten. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Vereinbarung über die Vergütung für eine freiberufliche Tätigkeit zulässig oder verboten ist, muss nach heutigem Verständnis indes in erster Linie nach § 134 iVm den durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes getroffenen einschlägigen Gebührenregelungen beurteilt werden. Fehlt eine zwingende Regelung dieser Art, dann gilt grds Vertragsfreiheit. Für § 138 bleibt vor allem die Funktion, den Vertragspartner des Freiberuflers vor Gebührenvereinbarungen zu schützen, die zu einer anstößigen Übervorteilung (Bsp: BGH NJW 1980, 445; 1997, 2388 – verneinend) oder zu einer nicht hinnehmbaren Fremdbestimmung führen. Je nach den Umständen des Einzelfalles kann § 138 auch eine Vergütungsvereinbarung erfassen, die mit rechtlich ausgeformten Grundwertungen des jew Berufsrechts, insb mit den Grundprinzipien der Eigenverantwortlichkeit und rein sachbezogenen Wahrnehmung der berufsspezifischen Aufgaben nicht im Einklang steht; darunter fällt es, wenn für die Gewinnung von Mandanten/Patienten eine Provision oder ein sonstiger Vorteil versprochen wird (Bsp: BGH NJW 1965, 2005 – Arzt; 1980, 2407 – Provision für die Vermittlung von Anwaltsmandanten; 1996, 2499 – RA als Abwickler einer AG; NJW 1985, 2523 und NJW-RR 1987, 1108 – Provision für die Vermittlung einer Vermögensanlage durch Steuerberater; NJW 1996, 1954, 1957 – verschleierte Vermittlungsprovision für Steuerberater entgegen § 9 StBerG; vgl dazu auch umgekehrt BGH 78, 263 zum Provisionsanspruch eines Steuerberaters für Vermittlung von Kunden an einen Baubetreuer; vgl auch Sittenwidrigkeit bejahend KG NJW 1989, 2893 und dazu i Erg zust, in der Begr abl Taupitz NJW 1989, 2371 – Provisionsvereinbarung eines Rechtsanwalts mit einem Nichtanwalt für die Vermittlung von Mandanten; Frankfurt NJW 1990, 2131 – Rechtsanwalt als Hausverwalter und Makler für Handwerkerleistungen; Hamm NJW 1985, 679 – entgeltliche Vermittlung von Arztpatienten; verneinend: Frankfurt NJW-RR 1995, 373 – Vergütungsregelung im Rahmen einer gemischten Bürogemeinschaft Notar/Rechtsanwalt/Steuerberater). Hingegen ist, wo nach dem Gesetz Spielräume für Vergütungsvereinbarungen bestehen, § 138 kein geeignetes und zulässiges Mittel zur Steuerung und Regulierung der Vergütung und damit zugleich des Preiswettbewerbs zw Freiberuflern etwa nach Mindestsätzen oder sonstigen Maßstäben, die nicht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes festgelegt, sondern – von Kammern oder Verbänden – berufsintern entwickelt worden sind. § 138 baut auf der allg, nicht auf einer berufsständischen Sittenordnung auf; StandesRL können insoweit nur Auslegungshilfen zur Beurteilung von Honorarvereinbarungen unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit sein (BGH NJW 1995, 1425, 1427 mit eingehender Darstellung der früheren Rspr – Rechtsanwalt). 83a Allerdings kann auch eine an sich zulässige Vergütungsvereinbarung ein wucherähnliches Geschäft und als solches nach § 138 I nichtig sein. Wucherähnlich ist ein Rechtsgeschäft, wenn zwischen der Vergütung und der vergüteten Dienstleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und weitere Umstände hinzutreten, welche die Sittenwidrigkeit begründen. Das kann etwa die verwerfliche Gesinnung des begünstigten Vertragspartners oder die Ausbeutung der schwierigen Lage oder Unerfahrenheit für das eigene unangemessene Gewinnstreben sein (BGH MDR 2000, 382; BGH 144, 343, 345). Der benachteiligte Vertragspartner muss das auffällige Missverhalten und die zusätzlich erforderlichen Gesichtspunkte darlegen und beweisen. Ist das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung aber besonders grob, wird die verwerfliche Gesinnung des begünstigten Vertragspartners vermutet (BGH 146, 298, 301f; NJW 2014, 1652 Rn 5; MDR 2016, 455 Rn 7). Der Benachteiligte muss dann nur das besonders grobe Missverhältnis darlegen und beweisen. Der Begünstigte kann diese Vermutung, die keine gesetzliche, sondern eine auf der Lebenserfahrung beruhende tatsächliche Vermutung ist, erschüttern; gelingt ihm das, bleibt es bei der Darlegungs- und Beweislast des Benachteiligten. Diese Grundsätze gelten auch für nach § 3a RVG grds zulässige Vereinbarungen über die Rechtsanwaltsvergütung (BGH ZIP 2016, 2479 Rn 18f). Die Vergütung steht aber nicht schon dann in einem auffälligen oder besonders groben Missverhältnis zur anwaltlichen Leistung, wenn sie die gesetzlichen Gebühren (um ein Mehrfaches) überschreitet. Den Maßstab bildet vielmehr die dem von dem Rechtsanwalt nach dem Anwaltsvertrag geschuldeten tatsächlichen Aufwand, insb dem Umfang und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit entspr angemessene Vergütung (BGH ZIP 2016, 2479 Rn 20). Wann das Missverhältnis zwischen der anwaltlichen Tätigkeit und der angemessenen Vergütung besonders grob ist, hat der BGH in der Vergangenheit unterschiedlich ermittelt (Nachw in BGH ZIP 2016, 2479 Rn 20f). Auch hier sollte es auf eine Überschreitung um mindestens 90% ankommen (dazu BGH WM 2014, 1440 Rn 8). 84 Zum Wettbewerbsverhalten des Freiberuflers gelten die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlassenen rechtssatzmäßigen Verhaltensvorschriften und iÜ die allg Maßstäbe redlichen Verhaltens: Bei der rechtlichen Bewertung des Wettbewerbsverhaltens ist davon auszugehen, dass Konkurrentenschutz und Schutz vor Umsatzverlagerungen keine legitimen Zwecke sind, die eine Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit – etwa über § 138 – rechtfertigen (BVerfG NJW 2003, 3472); auch werbende wahre Informationen sind – gleich in welchem Medi376

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§ 138

um – nicht als berufsrechtswidrig zu beanstanden, soweit sie interessengerecht und sachangemessen sind (BVerfG NJW 2003, 3470). Nur idS auf berufsrechtswidrigen Wettbewerb gerichtete Rechtsgeschäfte können nach den Umständen des Einzelfalles sittenwidrig und nichtig sein. Durch berufsrechtswidrigen Wettbewerb zustande gekommene Rechtsgeschäfte sind aber regelmäßig wirksam und nur dann unwirksam, wenn besondere sittenwidrige Umstände hinzukommen. Vom jew Berufsrecht in seiner verfassungskonformen Interpretation geprägt sind dabei die Maßstäbe für berufswidriges Verhalten des Freiberuflers im Wettbewerb. In diesem Zusammenhang kann das interne Standesrecht als Auslegungshilfe eine den Handelsbräuchen für den kaufmännischen Verkehr ähnliche Funktion haben. Der Verkauf einer Praxis, etwa von Ärzten und Rechtsanwälten, wurde in der früheren Rspr (RG 66, 142; 161, 85 155) grds als sittenwidrig bewertet. Schon in der Nachkriegszeit haben sich aber die Maßstäbe gelockert (vgl BGH 7, 27; Köln NJW 1956, 346). Nach heutiger Ansicht ist ein Praxisverkauf generell nicht sittenwidrig, sofern nicht besonders anstößige Umstände – etwa eine übermäßige wirtschaftliche Beschränkung des Praxisübernehmers oder eine unangemessene Kaufpreisregelung – hinzukommen (BGH 16, 74; NJW 1989, 763 – Arztpraxis; 43, 46; NJW 1973, 99 – Anwaltspraxis; BB 1958, 496 – Steuerberatungspraxis; Naumburg NJW-RR 2006, 421 – Steuerberaterpraxis, Kaufpreisreduzierung bei Umsatzrückgang; Tiefenbacher BB 1959, 473; Schmitz NJW 1963, 1288). Eine Bemessung des Entgelts nach den Einnahmen ist zulässig (BGH NJW 1973, 100). Der Vertrag darf aber nicht die dem Allgemeininteresse widersprechende Gefahr begründen, dass die verkaufte Praxis von dem Übernehmer – etwa im Hinblick auf die vertragliche Gestaltung seiner Pflichten – nicht ausschließlich in sachlicher Unabhängigkeit und Eigenverantwortung fortgeführt wird (vgl BGH NJW 1989, 763 – Arzt; NJW 1973, 98, 100 – Rechtsanwalt). Auch beim Verkauf einer Praxis ist iÜ die berufsbezogene Verschwiegenheitspflicht des § 203 StGB zu beachten (vgl dazu § 134 Rn 53). P Bierbezugsverträge. Bei langfristigen Bierbezugsverträgen und vergleichbaren anderen Getränkelieferungsver86 trägen ist das Bestreben der Brauereien/Lieferanten, sich durch eine Bezugsverpflichtung dauerhaft die Absatzgrundlage zu sichern, grds nicht zu beanstanden. Insb ist es nicht anstößig, über die reine Getränkelieferung hinausgehende Leistungen, die der Lieferant im Zusammenhang mit der Eröffnung oder dem Betrieb einer Gaststätte erbringt (etwa Beratung vor, bei oder nach der Betriebsaufnahme; Bereitstellung von Einrichtungsgegenständen; Kredite oder sonstige finanzielle Hilfen zur Einrichtung, zur Renovierung oder zum Betrieb; Werbungs- oder Marketingmaßnahmen) für längere Zeit mit Abnahmeverpflichtungen zu verknüpfen (BGH NJW 1970, 2243; 1972, 1459; 1974, 2089; WM 1981, 687; 1984, 88; BGH 147, 279). Das gilt ganz besonders, wenn der Lieferant durch seine Hilfen dem Gastwirt erst die Existenzgründung ermöglicht. Der Lieferant muss zudem die Rückzahlung etwaiger Kredite in geeigneter Weise sichern können. Sittenwidrigkeit setzt eine grobe Interessenverletzung von erheblicher Stärke ggü einer Vertragsseite voraus (BGH ZIP 1996, 957); sie kommt vornehmlich in Betracht, wenn Leistung und Gegenleistung nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen und/ oder die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Gastwirtes über Gebühr eingeschränkt wird und er dadurch ggü dem Lieferanten in eine wirtschaftliche Abhängigkeit gerät (BGH 54, 145; NJW 1970, 2243; 1972, 1459; 1974, 2089; 1979, 2149; 1985, 2693; WM 1973, 357; 1973, 1360; 1975, 850; 1981, 687; 1984, 88). Für die Bewertung als sittenwidrig ist auch hier die Gesamtwürdigung aller Vertragsbedingungen und sonstigen Umstände maßgeblich, also etwa der inhaltliche und zeitliche Umfang der Bezugsbindung, die Höhe einer etwaigen Vertragsstrafe (BGH WM 1977, 641; 80, 1309; vgl auch BGH NJW 1993, 64), die Vereinbarung einer Rechtsnachfolgeklausel (vgl einerseits BGH NJW 1966, 652; GRUR 1984, 298; Köln NJW-RR 2007, 498; LG Berlin NJW-RR 1990, 820; andererseits LG Koblenz WuW 1955, 217) sowie ein etwaiges Lösungsrecht der Brauerei mit Fortdauer der Verpflichtung des Gastwirts. Von Bedeutung kann sein, ob der Vertrag die Absatzmöglichkeiten der Gaststätte angemessen berücksichtigt und Spielraum sowohl für den Bezug anderer Getränke als auch für eine Umstellung entspr den sich ändernden Publikumswünschen lässt (BGH NJW 1970, 2243; 1974, 2089; 1979, 865). Je intensiver die Bindung und je länger der Zeitraum ist, für den der Gastwirt eine Bezugsverpflichtung übernimmt, desto näher liegt der Schluss, dass die wirtschaftliche Freiheit des Wirts in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise beschränkt wird (BGH NJW 1970, 279). Wenn auch allein die Bezugspflicht über längere Jahre noch keine Sittenwidrigkeit des Bierlieferungsvertrags begründet (RG 67, 103; BGH NJW 1970, 2243), insb eine Erstreckung der Abnahmepflicht über die Rückzahlung eines Kredits des Lieferanten hinaus zulässig ist, wird jedoch als Höchstgrenze eine Bezugsbindung von 15 Jahren (BGH 74, 293; WM 1981, 687; NJW 1985, 2693; 1992, 2145) oder von 20 Jahren (BGH 68, 1, 5; 74, 293; NJW 1970, 2243; 1972, 1459; 1974, 2089; 1979, 865; 1985, 2693; 1989, 2362; 1992, 2145; NJW-RR 1990, 816; WM 1973, 357 und 925; 1975, 307 und 850; 1981, 687; 1984, 88; GewA 1977, 235; Frankfurt NJW 1977, 1157) angenommen; in engen Ausnahmefällen wird sogar eine kurze Überschreitung dieser Frist zugelassen (BGH DB 1973, 1843; WM 1975, 307; NJW 1979, 865). Je stärker unter Berücksichtigung aller Umstände im jew Einzelfall die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Gastwirts sachlich eingeschränkt wird, um so kürzer muss die Bindungsdauer sein, wenn der Vertrag mit den guten Sitten im Einklang stehen soll; je größer im Wert die Leistungen des Lieferanten sind, um so einschneidender und längerfristig können im Einzelfall die Bindungen sein (vgl BGH 54, 156; 147, 279, 280f; NJW 1968, 1574; 1970, 279 und 2243; 1972, 1459; 1973, 363; 1974, 2089; 1979, 865; 1985, 2393; WM 1970, 99; 1973, 357; 1975, 850; 1981, 687; 1984, 88; Köln NJW-RR 1995, 1516 und NJW-RR 2007, 498, 499; Bedenken dagegen München NJW 1968, 650). Zeitlich unbegrenzte Bezugsverpflichtungen sind aber in jedem Fall mit den guten Sitten unvereinbar (BGH 68, 1, 5; NJW 1979, 2150; 1988, 2362). Zur Frage der Sittenwidrigkeit eines Bierlieferungsvertrags, der während seiner Laufzeit verlängert worden ist: BGH NJW 1974, 2089; Götz BB 1990, 1217; zum Eintritt eines Schmidt-Räntsch

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Nachfolgers in die Bezugsbindung BGH NJW 1988, 2362. Bei einer zu langen Vertragsdauer kann diese nach dem tatsächlichen oder vermuteten Willen der Parteien unter Aufrechterhaltung des Vertrags iÜ nach §§ 139, 242 gekürzt werden (BGH 68, 1, 5 und 204, 206f; NJW 1972, 1459; 1979, 866; 1985, 2693; 1992, 2145; NJW-RR 1990, 816; WM 1973, 357; 1974, 1042; 1975, 850; 1984, 88; Pal/Ellenberger Rn 81; aA Lindacher AcP 173, 129; krit ferner Meilicke/Weyde DB 1994, 821). Ergibt sich die Bezugsverpflichtung aus einem Vertrag zugunsten der Brauerei, so muss diese sich bei der Prüfung, ob diese Bindung gegen § 138 verstößt, so behandeln lassen, als sei sie selbst Vertragspartnerin des Gastwirts (BGH 54, 145; NJW 1970, 279 m Anm Lempfuhl GRUR 1970, 197; Bernhardt WRP 1970, 241). Nicht sittenwidrig ist die Vereinbarung einer unbefristeten oder jedenfalls über 20 Jahre hinausgehenden (Mindest-)Laufzeit einer (beschränkt persönlichen) Dienstbarkeit, die der Sicherung einer Bierbezugsverpflichtung dient und nach welcher ohne Zustimmung des Berechtigten der Betrieb einer Gast- und Schankwirtschaft oder einer sonstigen Bierabsatzstätte nicht gestattet ist; denn es handelt sich bei ihr nur um ein von der Bestellungsverpflichtung und der Sicherungsabrede unabhängiges dingliches Geschäft (BGH NJW 1981, 343; 1988, 2364; NJW-RR 1992, 593; dazu Walter/Maier NJW 1988, 377; Düsseldorf 7.1.2015 – VI U (Kart) 17/14, juris Rn 20; München NJW-RR 2004, 164). P Bietungsabkommen. Ein Bietungsabkommen, das sich auf eine Zwangsvollstreckung/Zwangsversteigerung, eine sonstige Versteigerung oder eine ähnliche, auf Wettbewerb von Interessenten angelegte Veranstaltung bezieht, ist nur sittenwidrig, wenn besondere anstößige Umstände vorliegen (BGH NJW 1961, 1012; WM 1965, 203; BGH 72, 234; Celle NJW 1969, 1764 m Anm Franzen NJW 1970, 662; Frankfurt WM 1989, 1104; Koblenz NJWRR 2002, 1504; Köln NJW 1978, 47). Mit den guten Sitten unvereinbar sind insb Verträge, die dazu dienen, den Wettbewerb von Bietern zu vereiteln oder abzuschwächen, um selbst den Versteigerungsgegenstand besonders günstig erwerben zu können (BGH, Frankfurt, Köln aaO; Karlsruhe OLGZ 1994, 107, 109f; Naumburg OLGR 2004, 449, 450); anstößig ist dabei vornehmlich, dass solche Vereinbarungen mit systemstörenden Mitteln einseitig den eigenen Vorteil zulasten des Anbieters anstreben. – Bieteabkommen zw Unternehmen können auch gegen § 1 GWB oder Art 101 AEUV verstoßen (Frankfurt aaO). Das Gesagte gilt entspr für Absprachen zw (potentiellen) Bietern bei einer Ausschreibung von Lieferungen oder Leistungen, etwa im Baugewerbe, soweit heute nicht schon §§ 134 iVm 298 StGB oder iVm dem Vergaberecht zur Nichtigkeit führt (zur Strafbarkeit als Submissionsbetrug nach altem Recht BGH NJW 1995, 737). P Bürgschaft. Die Vereinbarkeit eines Bürgschaftsvertrags (§§ 765ff) mit den guten Sitten ist nur nach § 138 I zu beurteilen. § 138 II kommt nicht in Betracht, weil der gesetzliche Tatbestand ein – bei der Bürgschaft fehlendes – Austauschverhältnis voraussetzt (BGH 106, 271; NJW 1988, 2599, 2601; 1991, 1952; 2001, 2466, 2467; aM Wochner BB 1989, 1354ff; BB 1996, 1405). Praktische Bedeutung hat § 138 im Bürgschaftsrecht vor allem im Anschluss an Entscheidungen des BVerfG über die Pflicht der Zivilgerichte zur Inhaltskontrolle und zum korrigierenden Eingriff bei Verträgen erlangt, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind (BVerfG 89, 214; BVerfG NJW 1994, 2749). Zu den Einzelheiten § 765 Rn 13f. P Darlehensverträge und sonstige Kreditgeschäfte. Bei Kreditwucher wird das Darlehensgeschäft idR schon nach § 134 iVm § 291 I 1 Nr 2, 3 StGB unwirksam sein. Die Anwendung von § 138 II ist aber nicht ausgeschlossen (Bsp: BGH NJW 1994, 1275 = LM § 138 [Ba] Nr 4 - Grunewald). Das nachfolgend zum auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Rahmen von § 138 I Gesagte gilt im Rahmen von § 291 StGB auch beim Kreditwucher. – Bei der Anwendung von § 138 I auf Kreditgeschäfte sind zu unterscheiden: Verbraucherkreditverträge; Kreditverträge zw gewerblichen oder beruflichen Darlehensgebern und Kaufleuten, Freiberuflern und sonstigen im Geschäftsleben stehenden Darlehensnehmern; Kreditverträge von sonstigen Darlehensgebern (Gelegenheitsdarlehen). Das Problem der Sittenwidrigkeit von Verbraucherkreditverträgen hat sich für die Rechtspraxis durch die Schutzwirkung des früheren Verbraucherkreditgesetzes (VerbrKrG) und der mit der Schuldrechtsreform an seine Stelle getretenen Bestimmungen (§§ 491ff) sowie durch die seit Jahren gefestigte Rspr (vgl dazu Steinmetz NJW 1991, 881) deutlich entschärft. Ein Verbraucherkreditvertrag ist nach § 138 I sittenwidrig, wenn zw der geschuldeten Leistung des Kreditnehmers und der Gegenleistung des Kreditgebers ein auffälliges Missverhältnis besteht und der Kreditgeber entweder die schwächere wirtschaftliche Lage des Kreditnehmers bei der Festlegung der Vertragsbestimmungen bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt oder sich leichtfertig der Erkenntnis verschließt, dass der Kreditnehmer sich nur wegen seiner ungünstigen Lage auf die für ihn belastende Kreditregelung einlässt (BGH 80, 160; NJW 1995, 1020; allg hierzu Kohte JuS 1984, 509, 510f, 514ff; krit zur Entwicklung der Rspr H.P. Westermann NJW 1997, 1, 5f). Das Missverhältnis zw Leistung und Gegenleistung ist in erster Linie durch einen Vergleich zw dem effektiven Jahreszins als Vertragszins (BGH BB 1975, 1129) und dem zur Zeit der Kreditgewährung marktüblichen Zins (BGH NJW 1983, 1420) festzustellen. Erg kommt es auf die Vertragsgestaltung insgesamt an. Zu der Gesamtbelastung (= Gesamtkreditkosten) gehören neben den vereinbarten eigentlichen Zinsen auch die sonstigen Kreditkosten wie Bearbeitungs- und Verwaltungsgebühren sowie Inkassospesen (vgl § 6 III PAngV sowie zum alten Recht BGH NJW 1979, 805 und 808; 1980, 2074 und 2076; 1982, 2433). Bei Einschaltung eines Kreditvermittlers muss auch dessen Vermittlungsprovision einbezogen werden. Selbst wenn diese vom Darlehensnehmer aufgrund einer besonderen Vereinbarung direkt an den Vermittler gezahlt wird, ist sie – entspr dem Additions378

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gedanken des § 291 I 2 StGB – den Kreditkosten hinzuzurechnen (BGH 104, 102; NJW 1987, 181; 1987, 2220; 1988, 1659; 1988, 1661; 1990, 1048; aA Canaris ZIP 1980, 709, 718; Koziol AcP 188, 183, 214f). Sofern auch der Darlehensgeber dem Vermittler eine Provision zahlt und diese auf den Darlehensnehmer umlegt („packing“), erhöht sie ebenfalls den Effektivzins, zumal die Einschaltung eines Kreditvermittlers im überwiegenden Interesse der darlehensgewährenden Bank liegt, die sich Aufwendungen für Zweigstellen und für die Kundenbetreuung erspart (BGH 80, 167; NJW 1988, 1662; WM 1989, 167). Etwas Anderes kann gelten, wenn der Vermittler vornehmlich im Interesse des Kunden – etwa wegen seiner schwachen Bonität – oder ohne Kenntnis des Kreditgebers eingeschaltet wurde (BGH NJW 1987, 181; NJW-RR 1989, 303; WM 1987, 1331; Köln ZIP 2002, 563 m Anm Vortmann EWiR 2002, 556). Die Kosten einer Restschuldversicherung sind weder beim Vertrags- noch beim Markteffektivzins zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 2012, 416). Ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung liegt idR vor, wenn der effektive Jahreszins den Marktzins um rund 100 % übersteigt (BGH 104, 102, 105; 110, 336, 338f; NJW 1991, 834; 1995, 1019 und 1146). Diese Grenze ist allerdings nur ein Regelwert; entscheidend ist im Einzelfall eine Gesamtwürdigung aller Kreditbedingungen und Geschäftsumstände (BGH 104, 105; 110, 336, 338f; NJW 1988, 696; 1988, 818; 1988, 1661; Canaris NJW 1978, 1895; Reifner DB 1984, 2179). So reicht in einer Hochzinsphase (Marktzins über 13 %) eine geringere Überschreitung aus, um ein auffälliges Missverhältnis zu bejahen (BGH 104, 102; ZIP 1990, 499); in einer Niedrigphase (unter 9 %) ist dazu eine höhere Überschreitung erforderlich (vgl BGH WM 1988, 654; 1989, 1719; NJW 1991, 834; Hamm NJW-RR 1993, 1326). Bei einem Schuldner mit schwacher Bonität ist auch das bestehende besondere Rückzahlungsrisiko zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 1990, 1199). Zum Zinsvergleich bei Umsatzbeteiligung Stuttgart NZG 2001, 750. Bejaht worden ist ein grobes Missverhältnis im Einzelfall schon bei Überschreitungen um 60,403 % (Oldenburg VuR 1988, 200), 67,64 % (Frankfurt WM 1985, 116), 87,79 % (Koblenz ZIP 1984, 571), 91 % (BGH NJW 1982, 2433), 98,2 % (Schleswig WM 1985, 882), bei ca 24 % Effektivzins und 11,3 % Marktzins (vgl Stuttgart WM 1985, 643), bei 26,73 % Effektivzins und 14,01 % Marktzins (Celle WM 1985, 995) und bei einem mindestens 12 % (absolut) über dem Vergleichszins liegenden Effektivzins (KG MDR 1985, 582). Sittenwidrig ist auch der Effektivzins eines Kfz-Finanzierungsleasingvertrags, der um 91,18 % den Marktzins bei Ratenkreditverträgen übersteigt (Karlsruhe DB 1986, 107). Für sittenwidrig gehalten wurden schon früher ein Geschäftskredit zu 40 % (BGH WM 1971, 857), ein Ratenkredit zu 54 % (BGH WM 1976, 423), zu über 35,2 % (BGH NJW 1979, 2090, bei erschwerenden Umständen), zu fast 29 % (Köln NJW 1979, 554) und zu 25,37 % (LG Bielefeld BB 1980, 14). Zumindest ein starkes Indiz für ein auffälliges Missverhältnis sieht die Rspr in einem absoluten Zinsunterschied zw Vertragszins und Marktzins von 12 oder mehr Prozentpunkten (BGH 110, 336, 5; zur Abgrenzung bei 11,5 Prozentpunkten Unterschied: BGH WM 1989, 1675). Kein auffälliges Missverhältnis nimmt die Rspr iÜ im Regelfall bei einem relativen Zinsunterschied von bis zu 90 % an (BGH 99, 333, 336; 104, 102, 105f; 110, 336, 338; NJW 1988, 1661; 1989, 829; Düsseldorf NJW-RR 1987, 1335). Verneint worden ist eine Sittenwidrigkeit bei einer Vergleichszinsüberschreitung von 37,36 % (Hamm WM 1985, 1338), 53,79 % (KG WM 1985, 15f), 61,95 % (Hamm WM 1986, 286), 62,98 % (Frankfurt WM 1985, 1104), 70,75 % (Hamburg WM 1984, 1445), 72,88 % (Düsseldorf WM 1985, 17) und 77,2 % (Hamm WM 1985, 1524). Als effektive Zinssätze wurden für zulässig erachtet 29,96 % (für Ratenkredit, Köln NJW 1979, 221), 27,33 % (Frankfurt MDR 1978, 139), 26,16 % (KG WM 1980, 73), 24,68 % (BGH NJW 1979, 541f), 24 % (Köln NJW 1968, 1934) und 22 % (BGH DB 1980, 251). Da bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit des Vertrags sämtliche Kreditbedingungen zu berücksichtigen sind, kann Sittenwidrigkeit trotz eines für sich allein hinnehmbaren Effektivzinses gegeben sein, falls noch weitere Belastungen hinzutreten. Das ist etwa der Fall, wenn aE der Kreditlaufzeit eine (überaus hohe) Ballonrate zu zahlen ist, damit zu rechnen war, dass der Kreditnehmer sie nicht würde aufbringen können, und der Kreditgeber sich dieser Erkenntnis leichtfertig verschloss (Karlsruhe NJW-RR 1987, 299; Köln ZIP 1985, 22f; anders, wenn eine künftige Zuwendung an den Kreditnehmer in den Tilgungsplan einbezogen worden ist: BGH NJW 1989, 829). Gewürdigt werden können ferner falsche Angaben über den Effektivzins (BGH NJW 1980, 2302; 1982, 2437; Frankfurt WM 1985, 116) und eine unangemessene Häufung übermäßiger Belastungen im Fall des Zahlungsrückstandes des Darlehensnehmers (BGH 80, 171), zB Fälligkeit des Restsaldos auch bei unverschuldetem teilw Zahlungsrückstand von weniger als zwei Monatsraten (BGH 96, 191), Verzugszinsenberechnung vom Gesamtkreditbetrag ohne Gebührenrückerstattung (BGH NJW 1982, 2433; 1988, 679; vgl auch BGH NJW-RR 1989, 1320) oder die unangemessene Höhe der Verzugszinsen (zum angemessenen Verzugszins BGH NJW 1988, 1967; 1971). Die Vereinbarung eines Kontokorrents für die Abrechnung des Kredits stößt ebenfalls auf starke Bedenken, da der Kreditnehmer wegen des Anfalls von Zinseszinsen stark belastet wird, sobald er mit seinen Zahlungen in Rückstand gerät (vgl BGH BB 1991, 294; Wahl VuR 1987, 241; aA Canaris WM 1987, Sonderbeil 4). Auch übermäßige Straffolgen bei unzutreffender Selbstauskunft (BGH NJW 1980, 2078) oder die (unwirksame: BGH NJW 1986, 46) Schufa-Klausel können berücksichtigt werden. Dasselbe gilt für Vertragsbedingungen, die als AGB möglicherweise unwirksam sind (BGH NJW 1987, 183; 1988, 696). Bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist auch das für den Gläubiger nach den ihm gewährten Sicherheiten verbleibende Ausfallrisiko (BGH NJW-RR 1989, 1068; 1990, 1199; BB 1990, 1510). Die Sittenwidrigkeit kann sich auch daraus ergeben, dass die Kreditgewährung von der Umschuldung günstigerer Altdarlehen abhängig gemacht wird (BGH 104, 102; NJW-RR 1991, 502). Umschuldungsnachteile sind bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen (BGH NJW 1988, 818; NJW-RR 1991, 502; Stuttgart NJW-RR 1988, Schmidt-Räntsch

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427). Dagegen kann ein Sittenverstoß nicht allein daraus gefolgert werden, dass ein durch den neuen Kredit abzulösender Vorkredit sittenwidrig war (vgl dazu Canaris WM 1986, 1453; Derleder JZ 1987, 679; BGH 99, 333). Bei interner Umschuldung sind die Ansprüche des Darlehensgebers aber gem § 242 auf dasjenige beschränkt, was bei Berücksichtigung der Unwirksamkeit des ersten Vertrags vereinbart worden wäre (BGH 99, 333; NJW 1990, 1597; NJW-RR 1987, 679; 1988, 363; Köln NJW-RR 1991, 1456). 99 Für die Bejahung der Sittenwidrigkeit ist außer einem objektiven Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand erforderlich, dass der Darlehensgeber die schwächere wirtschaftliche Lage des Darlehensnehmers bei der Festlegung der Vertragsbestimmungen in verwerflichem Gewinnstreben bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt. Hieran ist selbst bei Übererfüllung des objektiven Tatbestandes im Prinzip festzuhalten; allerdings kann bei grobem Leistungsmissverhältnis in aller Regel auf die verwerfliche Gesinnung geschlossen werden (tatsächliche Vermutung; vgl BGH 98, 178; NJW 1979, 758; 1984, 2292; 1994, 1275 = LM § 138 Ba Nr 13 m Anm Grunewald; NJW 1995, 1022). IÜ reicht es aus, wenn sich der Darlehensgeber als der objektiv sittenwidrig Handelnde zumindest leichtfertig (grob fahrlässig) der Erkenntnis verschließt, dass sich der Darlehensnehmer nur aufgrund seiner wirtschaftlich schwächeren Lage auf die ihn beschwerenden Darlehensbedingungen einlässt (BGH 80, 153, 160; 98, 178; WM 1989, 1461; NJW 1995, 1020). Bei einer Objektfinanzierung durch ein Kreditinstitut muss, um die Sittenwidrigkeit (auch) des Finanzierungsvertrags festzustellen, auch die Kenntnis des Kreditinstituts von der sittenwidrigen Überteuerung des Objekts nachgewiesen werden (Frankfurt DB 2006, 1371 L). 100 Die für Verbraucherkredite entwickelten Grundsätze lassen sich nicht schematisch auf Kredite für einen Geschäftsbetrieb oder eine freiberufliche Praxis übertragen. Insb gilt das bei Krediten mit ausreichender Absicherung. Auch bei solchen Krediten weist aber eine Überschreitung des Marktzinses um rund 100 % auf ein regelmäßig nicht hinnehmbares Missverhältnis hin. Jedoch greift die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen nicht ein (BGH NJW 1982, 2767; 1983, 1420; 1987, 181; 1991, 1810; 1995, 1022). – Die Kündigung eines Darlehens mit der Folge, dass durch die Rückführung des Kredits andere Gläubiger einen Nachteil erleiden könnten oder dass ein Unternehmen insolvent werden kann und die im Vertrauen auf das Darlehen leistenden Lieferfirmen geschädigt werden, ist nicht sittenwidrig (BGH NJW 1956, 945; Köln ZIP 2000, 742). Zur Sittenwidrigkeit des Verhaltens einer Bank in besonderen Fällen vgl BGH NJW 2001, 2632 und 2001, 2880. 101 Besonderheiten sind beim Gelegenheitsdarlehen eines nicht gewerbsmäßig/geschäftsmäßig handelnden Darlehensgebers zu berücksichtigen (BGH WM 1990, 1322). Die Vermutung, dass aus einem Leistungsmissverhältnis auf eine verwerfliche Gesinnung geschlossen werden kann, gilt nicht bei einem aus familiärer Verbundenheit gewährten Darlehen (Naumburg ZIP 2006, 1485 L) und iÜ nur bei einem krassen Missverhältnis (BGH NJW-RR 1990, 1199; NJW 1991, 1810; 1994, 1275 = LM § 138 [Ba] Nr 4 - Grunewald; 1995, 1022; vgl auch BGH NJW 1994, 1056). Auch die 100 %-Regel ist nicht uneingeschränkt anwendbar (BGH NJW-RR 1990, 1199; NJW 1994, 1057). Ein absoluter Effektivzins von 28 % rechtfertigt selbst für ein nur mit nachrangigen Sicherheiten ausgestattetes Privatdarlehen noch nicht die Feststellung eines groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung (BGH NJW 1994, 1275 = LM § 138 [Ba] Nr 4 - Grunewald). 102 P Dauerschuldverhältnisse und langfristige Vertragsbindungen. Grds steht es im Rahmen der Vertragsfreiheit jedermann frei, bei der rechtsgeschäftlichen Gestaltung seiner Rechtsbeziehungen auch sehr langfristige Bindungen einzugehen (BGH 64, 288). Solche Vertragsbindungen (auch in der Form des Ausschlusses oder der Beschränkung von Kündigungsmöglichkeiten) können aber (unabhängig von einer etwaigen Kartellrechtswidrigkeit, vgl zB Markert WRP 2003, 356) sittenwidrig sein, wenn sie die persönliche, berufliche oder wirtschaftliche Freiheit des Verpflichteten unangemessen einengen. Dabei muss das Maß der Knebelung (Rn 120 „Knebelung“) nicht erreicht sein. Es genügt ein nach Abwägung der beiderseitigen schützenswerten Interessen nicht mehr hinnehmbares Übermaß (BGH NJW-RR 1986, 982). Wann eine zeitliche Bindung unangemessen lang ist, lässt sich sachgemäß nicht allg, sondern nur für den jew Regelungsbereich unter Berücksichtigung seiner Struktur und der Besonderheiten des Einzelfalles beurteilen; die für bestimmte Fallgruppen entwickelten Grundsätze sind nicht schematisch auf andere Sachverhalte zu übertragen (BGH 64, 288; NJW-RR 1993, 1460; NJW 1995, 2351). Auch sehr langfristige Bindungen können sachangemessen sein, wenn die Vertragsdurchführung nicht unerhebliche Investitionen und Vorhaltekosten voraussetzt; das ist zB für einen Kabelanschluss, einen Wäschereivertrag und einen Wärmelieferungsvertrag angenommen worden (vgl BGH 64, 288, 292; 100, 1; NJW 1993, 1133; NJWRR 1993, 1460). Für die Vereinbarkeit einer langfristigen vertraglichen Bindung mit den guten Sitten kann es auch von Bedeutung sein, wenn der andere Teil seinerseits zum Ausgleich über die Lieferbeziehung hinausgehende verpflichtende Leistungen, insb die Bereitstellung von Kapital und/oder sonstigen Hilfen, übernimmt. Bejaht worden ist Sittenwidrigkeit wegen unangemessener zeitlicher Bindung ua bei Automatenaufstellverträgen (Rn 73), bei Bier- und Getränkebezugsverpflichtungen (Rn 86), bei einem Managementvertrag (BGH WM 1982, 394, 399), bei Unterrichts- und Internatsverträgen (BGH 120, 108, 115, 118f; NJW 1985, 2585) sowie bei Wettbewerbsverboten (Rn 170). Dagegen ist der langfristige Abschluss eines Miet- oder Pachtvertrags im Hinblick auf § 544 idR unbedenklich (s auch BGH NJW 2013, 2820: 13-jährige Bindung unbedenklich). Bei einem Handelsvertretervertrag ist der langfristige Ausschluss der Kündigung des Unternehmers nicht zu beanstanden, wenn nicht sonstige sittenwidrige Umstände hinzukommen (BGH NJW 1995, 2350, 2351). Ganz besonders bei langfristigen Vertragsbindungen kann es – unabhängig von der Vertragsart – zur Sittenwidrigkeit führen, wenn ein Teil beim Vertragsschluss die Verhandlungsunterlegenheit der anderen Seite in anstößiger Wei380

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se ausnutzt und durch einseitige Vertragsgestaltung seine Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchsetzt, ohne dessen Interessen hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich für die langfristige Bindung zu gewähren (so zu § 307 BGB, aber auch zu § 138 zutr: BGH 143, 103ff). Auch eine sehr langfristige dingliche Bindung (etwa: beschränkte persönliche Dienstbarkeit), der kein angemessener Ausgleich ggü steht, kann im Einzelfall sittenwidrig sein. Eine sittenwidrige langfristige Vertragsbindung bewirkt idR keine Gesamtnichtigkeit; vielmehr kommt, soweit die Sittenwidrigkeit sich nicht auch auf den Inhalt der Bindung bezieht, eine Verkürzung der Bindungsfrist auf ein noch hinnehmbares Maß in Betracht (Hamm, GesR 2016, 227, juris Rn 80). Grundlage wäre eine erg Vertragsauslegung. Sie kommt nur in Betracht, wenn dispositives Gesetzesrecht zur Füllung der Lücke nicht zur Verfügung steht und die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel keine angemessene, den typischen Interessen des AGB-Verwenders und seines Vertragspartners Rechnung tragende Lösung bietet (BGH 90, 69, 75; 96, 18, 26; 107, 273, 276; 117, 92, 98f; 137, 153, 157; 143, 103, 120). Außerdem muss festzustellen sein, welche von mehrere in Betracht kommenden Lösungen des Problems die Parteien gewählt hätten (BGH 143, 103, 121; WM 2009, 181 Rn 13). Das kann der Fall sein, wenn mit der Klausel der Vertrag nach § 139 insgesamt nichtig wäre, das wiederum dem Willen der Parteien nicht entspricht und sich feststellen lässt, dass sie die höchstzulässige Frist gewählt hätten (BGH NJW-RR 2007, 1608, Rn 20f; ZfIR 2012, 872 Rn 32f). P Diskriminierung von Personen oder Gruppen. Die frühere Diskussion zu nach § 138 unzulässigen Diskriminierungen ist durch das Inkrafttreten des AGG weitgehend gegenstandslos geworden. Zu einer Normierung noch weiter gehender Benachteiligungsverbote für den rechtsgeschäftlichen Privatrechtsverkehr ist es im Gesetzgebungsverfahren nicht gekommen. Daraus folgt, dass in der Zivilrechtsordnung die Entwicklung von allg eigenständigen Diskriminierungsverboten außerhalb des AGG und ohne besondere gesetzliche Grundlage nicht in Betracht kommt. Dies schließt es freilich nicht aus, dass in einem besonderen Einzelfall ein diskriminierendes Rechtsgeschäft sittenwidrig ist, ohne zugleich einen Tatbestand des AGG zu erfüllen. Als Voraussetzung dafür ist allerdings zu verlangen, dass zu einer Diskriminierung weitere anstößige Umstände hinzutreten, die das Rechtsgeschäft in seinem Gesamtcharakter sittenwidrig machen. Dies wird sich für eine nicht vom AGG erfasste Diskriminierung nur ausnahmsweise unter besonderen Umständen feststellen lassen. P Ehe und Familie, Unterhaltsrecht. Ob eine Ehe geschlossen wird oder nicht, ob man Kinder haben möchte oder nicht, ob eine Ehescheidung betrieben wird oder nicht, haben nach unserer Rechts- und Sittenordnung, insb auch nach den Grundwertungen der Art 1 I, 2 I und 6 GG, ausschließlich und höchstpersönlich die unmittelbar Beteiligten zu entscheiden (von den eherechtlichen Ausnahmefällen der notwendigen Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters und/oder des Gerichts abgesehen); damit unvereinbare Rechtsgeschäfte sind sittenwidrig. Das gilt einmal für alle Verträge mit Dritten, die Verpflichtungen in der einen oder anderen Richtung enthalten, insb für die Vereinbarung einer sog Zölibatsklausel etwa in einem Arbeitsvertrag, die eine Eheschließung generell, auf Zeit oder mit einem bestimmten Partner verbietet (vgl BAG 4, 275). Sittenwidrig sind aber auch Verträge mit Dritten oder einseitige Rechtsgeschäfte Dritter (Bsp: Kündigung eines Arbeits-, Dienst-, Mietvertrags), die nach ihrem prägenden Gesamtcharakter ausschließlich oder vorwiegend dazu dienen, in anstößiger Weise unmittelbar oder mittelbar – etwa durch nachteilige oder belohnende wirtschaftliche Maßnahmen – auf die höchstpersönliche Entscheidung einzuwirken. Freilich ist es nicht zu beanstanden, wenn rechtsgeschäftlich – insb in personenbezogenen Verträgen, etwa in einem Gesellschaftsvertrag, oder in Rechtsgeschäften zur Regelung der Erbfolge – Vorsorge für zukünftige Entwicklungen (Heirat, Wiederheirat, Scheidung, Kinder usw) getroffen wird. Wo die Grenze zw sachlich begründbarer Vorsorge und unzulässiger Einwirkung auf die Entscheidungsfreiheit liegt, ist abstrakt nicht zu beschreiben und letztlich nur in einer Gesamtschau aller Umstände des einzelnen Falles herauszufinden; bei rechtsgeschäftlichen Zuwendungen unter Lebenden oder von Todes wegen muss in der Gesamtschau auch der große Spielraum berücksichtigt werden, den jedermann bei seinen Vermögensdispositionen – etwa durch die Eigentümerrechte und die Testierfreiheit – hat. So soll eine Erbeinsetzung unter der Bedingung, dass der Erbe sich scheiden lasse, nicht gegen § 138 verstoßen (BGH LM [Cd] Nr 5); das ist nach der hier vertretenen Grundauffassung bedenklich (vgl Keuk FamRZ 1972, 9; Brox/Walker ErbR Rn 263; Medicus AT Rn 687). Sittenwidrig ist die arbeitsvertragliche Verpflichtung, empfängnisverhütende Mittel zu benutzen (BGH NJW 1986, 2043; vgl auch LAG Hamm DB 1969, 2353 – zu § 1324). Sittenwidrig und damit nichtig sind auch Rechtsgeschäfte, die dem Wesen der durch Art 6 GG geschützten Ehe widersprechen (RG 158, 294; BayObLG NJW 1983, 831). Insb gilt das für: einen Vertrag, der (etwa zwecks Täuschung der Ausländerbehörde) eine Scheinehe vorbereiten soll (Düsseldorf FamRZ 1983, 1023); eine Vereinbarung, deren Inhalt der Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 I) zuwiderläuft (zB: Eheversprechen einer verheirateten Person, vgl RG 170, 72, 76 sowie Karlsruhe NJW 1988, 3023, 3024; s dazu auch BayObLG NJW 1983, 831 zu § 11 I Nr 1 lit a StGB; nach RG 105, 245 auch ein Eheversprechen eines bereits mit einer anderen Person Verlobten); einen Vertrag, der eine Verpflichtung zum Getrenntleben enthält (vgl RG 61, 51 und JW 1920, 640); einen Vertrag, der geeignet ist, ein dauerndes Getrenntleben zu fördern oder zu verfestigen und/oder die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu erschweren (vgl RG 158, 297; BayObLG aaO; Düsseldorf FamRZ 1981, 545 m abl Anm Knütel). Nicht mit dem Wesen der Ehe vereinbar sind ferner Vereinbarungen, die eine nach dem Gesetz mögliche Scheidung ausschließen oder wesentlich erschweren, etwa durch eine Abfindungsverpflichtung in existenzvernichtender Höhe oder ein Vertragsstrafeversprechen (BGH 97, 304; NJW 1990, 703; FamRZ 1978, 881; Hamm FamRZ 1991, 443; aM Hattenhauer FamRZ 1988, 229 und ZRP 1985, 200). Diese Grenze wird aber bei der Vereinbarung einer Morgengabe in der in dem Heimatland der Schmidt-Räntsch

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Ehegatte üblichen, nicht ruinösen Höhe nicht überschritten, mag der Geldbetrag auch beträchtlich sein (Köln FamRZ 2016, 720, 721: Goldmünzen im Wert von 94.000 Euro). Sittenwidrig ist ein Rechtsgeschäft, das eine nach den gesetzlichen Voraussetzungen nicht zulässige Scheidung ermöglichen soll, etwa eine Absprache über unrichtige Angaben zur Dauer des Getrenntlebens beim FamG. Auch eine Unterhaltsvereinbarung, die ein Ehegatte mit einem Dritten schließt, ist sittenwidrig, wenn sie die wirtschaftliche Grundlage für einen noch nicht gefassten Scheidungsentschluss legen soll (BGH NJW 1951, 269; Soergel/Hefermehl Rn 220). Etwas Anderes mag gelten, wenn die Abrede mit dem Dritten lediglich eine Ergänzung der zw den Ehegatten nach § 1585c in zulässiger Weise getroffenen Regelung der Unterhaltspflicht darstellt. Nicht sittenwidrig sind hingegen der Verzicht auf ein bereits entstandenes Scheidungsrecht (BGH 97, 304) sowie eine Vereinbarung, die im Falle der Scheidung der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz eines Ehepartners oder einer angemessenen Wiedergutmachung dient (BGH NJW 1990, 703; WM 1974, 967). Schon während bestehender Ehe und zT auch bereits vor Eheschließung können insb für den Fall der Scheidung wirksame Vereinbarungen zum Unterhalt, zum Sorgerecht für gemeinsame Kinder, zum VersA, zur Hausratsteilung und zum Zugewinnausgleich bis hin zum Verzicht eines Teils getroffen werden, §§ 1378 III, 1408 II iVm §§ 6 und 8 VersAusglG, 1585c, 1671 II. Solche Vereinbarungen werden nach der Rspr des BGH regelmäßig nur sittenwidrig und schon unwirksam sein, wenn durch sie Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil für den anderen Ehegatten durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten, den von ihnen angestrebten oder gelebten Ehetyp oder durch sonstige gewichtige Belange des begünstigten Ehegatten gerechtfertigt wird (vgl BGH 158, 81, 96ff; FamRZ 2007, 1310 Rn 15; 2008, 2011 Rn 17; 2009, 1041 Rn 14). Namentlich die Sittenwidrigkeit von Eheverträgen ist dabei im letzten Jahrzehnt Gegenstand einer umfangreichen Judikatur gewesen, s § 1408 Rn 5. Ein vertragliches Wohnsitzverbot, das nach einer Ehescheidung die Freizügigkeit eines der früheren Ehepartner beschränkt, verstößt idR gegen die guten Sitten (BGH NJW 1972, 1414; MüKo/Armbrüster Rn 21, 69; krit Merten NJW 1972, 1799). P Erbbaurechtsvertrag. Ob die in einem Erbbaurechtsvertrag vereinbarte Verpflichtung zum Ankauf des Grundstücks auf Verlangen des Eigentümers sittenwidrig ist, hängt von den Umständen ab. Auch sehr lange Fristen für den Ankauf des Grundstücks durch den Erbbauberechtigten sind nicht ohne Weiteres sittenwidrig. Der BGH leitet dies zum einen aus der Parallele zum Wiederkaufsrecht (BGH NJW-RR 2011, 1582 Rn 11ff und NJW 2011, 515 Rn. 9 ff.) und zu Verfügungsbeschränkungen ab (BGH NJW 2012, 3162 Rn 10 ff.) und zum anderen aus § 2 Nr 7 ErbbauRG ab, der für den umgekehrten Fall einer Verkaufspflicht des Grundstückseigentümer eine Bindung über die gesamte Dauer des Erbbaurechts zulässt (NJW-RR 2013, 1028 Rn 37f; NJW 2017, 1540 Rn 9). Sittenwidrigkeit kommt aber in Betracht, wenn die Ankaufsverpflichtung des Erbbauberechtigten dazu führt, dass dieser zur Unzeit – etwa als Rentner – mit dem Ankaufsverlangen überrascht werden und dann keine ausreichende Zeit mehr hat, sich wirtschaftlich auf den Ankauf einzustellen; eine zeitlich unangemessen ausgestaltete Ankaufsverpflichtung ist jedoch nicht insgesamt nichtig, sondern geltungserhaltend auf ein noch hinnehmbares Maß zu reduzieren (BGH 68, 1, 5; 75, 15, 19; WM 1980, 877; NJW 1989, 2129, 2131; NJW-RR 2013, 1028 Rn 27; Hamm NJW 1977, 203). Sittenwidrig kann ein Kaufvertrag über ein Erbbaurecht sein, wenn der Kaufpreis fast das Doppelte des Verkehrswertes des Erbbaurechts beträgt und die Wertdifferenz und/oder weitere Umstände auf eine verwerfliche Gesinnung des Verkäufers schließen lassen (BGH NJOZ 2001, 272). Zur Sittenwidrigkeit wegen eines wucherähnliches Geschäfts bei Aufgabe einer wirtschaftlich einem Erbbaurecht gleichkommenden Rechtsposition: BGH NJW 2002, 429, 430ff; dazu Vierhuß NJ 2002, 206. P Erbrecht. Zur möglichen Sittenwidrigkeit von Testamenten s Vor § 2064 Rn 13ff. Bei einem Erbvertrag kann sich Sittenwidrigkeit auch daraus ergeben, dass der Vertragserbe eine psychische Zwangslage des Erblassers ausgenutzt hat (BGH 50, 70); ein Sachverhalt, der eine Anfechtung nach §§ 2281, 2285 iVm § 2078 rechtfertigen würde, genügt allein für § 138 aber nicht. Sittenwidrig können ferner Ebenbürtigkeitsklauseln in Erbverträgen sein (vgl BVerfG NJW 2004, 2008). Die langfristige Verleihung von Wohn- und Geschäftsräumen durch den Vorerben ist nicht unter dem Gesichtspunkt einer Umgehung der Rechte des Vorerben nach § 2113 sittenwidrig. Der Nacherbe wird nur gegen bestimmte Verfügungen des Vorerben über Vorerbschaftsgegenstände geschützt. Ein Leihvertrag des Vorerben bindet den Nacherben mangels Rechtsnachfolge nicht (BGH 208, 357 Rn 31f). P Factoring. S § 398 Rn 24f. P Gerichtliches Verfahren. Jedenfalls sittenwidrig – wenn nicht von § 134 erfasst – ist eine Abrede, die darauf abzielt, dass in einem gerichtlichen Verfahren nicht, unrichtig oder in einem wesentlichen Punkt prozessordnungswidrig entschieden oder die für den Bestand des Rechtsstaates wesentliche Funktionsfähigkeit der Justiz beeinträchtigt wird. Das gilt insb für Vereinbarungen, die zugleich auf eine strafbare Handlung hinauslaufen (etwa Aussagedelikt, Bestechung, Prozessbetrug, Nötigung; vgl zB Hamm 13.5.2005 – 9 U 18/05) und für Absprachen über einen bewusst unrichtigen Sachvortrag. Es genügt aber auch ein kollusives Zusammenwirken der Parteien zum Nachteil eines Dritten, etwa einer Haftpflichtversicherung (vgl das Bsp in Düsseldorf NJW-RR 1998, 606 – zur Unwirksamkeit eines gerichtlichen Geständnisses). In dem Versprechen eines Entgelts für eine unrichtige Zeugenaussage oder die Ausübung eines Zeugnisverweigerungsrechts liegt zugleich eine sittenwidrige Kommerzialisierung (RG 79, 371). Dasselbe kann gelten, wenn einem Beteiligten ein Rechtsbehelfsverzicht „abgekauft“ wird (s aber BGH 79, 131 – Rechtsbehelfsverzicht einer Bürgerinitiative gegen einen Kraftwerksbau bei Übernahme von Zahlungspflichten durch den Betreiber nicht sittenwidrig); eine Verpflichtung zum Rechts382

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behelfsverzicht, die im Rahmen eines Vergleichs übernommen wird, wird aber idR nicht sittenwidrig sein. Ein Rechtsmittelverzicht vor Ausspruch des Scheidungsurteils ist dann sittenwidrig, wenn er ein auf anstößige Weise, etwa durch bewusst unrichtigen Sachvortrag, zustande gekommenes Scheidungsurteil aufrechterhalten soll (BGH 28, 45). Unvereinbar mit den guten Sitten ist ferner eine Abtretung, mit deren Hilfe PKH erlangt oder ein Kostenerstattungsanspruch einer anderen Partei unterlaufen werden soll (BGH NJW 1980, 991; WM 1987, 1408; vgl auch BGH 47, 289, 292). Vereinbarungen mit Dritten zur Finanzierung von Prozessen sind nicht sittenwidrig, soweit nicht im Einzelfall der Vertragsinhalt oder die besonderen Umstände des Vertragsschlusses mit den guten Sitten unvereinbar sind (Conrad MDR 2006, 848; Dethloff NJW 2000, 2225; Frechen/Kochheim NJW 2004, 1213; Fritzsche/Schmidt NJW 1999, 2998, 3002; Grunewald BB 2000, 729 und AnwBl 2001, 540; abw M Bruns JZ 2000, 232; vgl auch LG Bonn NJW-RR 2007, 132 – aber gestützt auf § 134 iVm § 203 I StGB). – Dass jemand seinen str Anspruch an einen Dritten abtritt, um im Prozess als Zeuge vernommen werden zu können, reicht für sich aber nicht aus, die Sittenwidrigkeit der Abtretung zu begründen (BGH WM 1976, 424; NJW 1980, 991; Frankfurt VersR 1982, 1079; Karlsruhe NJW-RR 1990, 753; München BauR 1985, 210; Nürnberg VersR 1969, 46). P Gesellschaftsrecht. Beim Gesellschaftsvertrag lässt die Vertragsfreiheit einen weiten Gestaltungsspielraum. Eine Nichtigkeit des gesamten Vertrags ex tunc wegen Verstoßes gegen § 138 wird nur ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn gewichtige Interessen der Allgemeinheit oder einzelner schutzwürdiger Personen verletzt sind (vgl BGH 3, 285; 17, 167; 26, 330, 335) oder der Gesellschaftszweck insgesamt von vornherein mit den guten Sitten unvereinbar ist; das wird sich nur selten feststellen lassen (vgl die Bsp in BGH NJW 1967, 36; 1970, 1540; WM 1973, 900; DB 1976, 2106; NJW-RR 1988, 1379; 2003, 1116). Bei allen anderen Verstößen gegen § 138 sind die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft anzuwenden, s eingehend § 705 Rn 73ff. Für die einzelnen Regelungen eines Gesellschaftsvertrags kann Sittenwidrigkeit ua in Betracht kommen bei Klauseln, nach denen ein Gesellschafter ohne sachlichen Grund ausgeschlossen oder hinausgekündigt werden kann (BGH 164, 98, 101f; 164, 107, 110f; Einzelheiten: § 737 Rn 6). Entspr gilt für Regelungen, nach denen ein GmbH-Geschäftsanteil ohne sachlichen Grund eingezogen werden kann (München MDR 2017, 42). Sittenwidrig ist auch ein schuldrechtlicher Vertrag zw Aktionär und Gesellschaft, mit dem sich dieser verpflichtet, seine entgeltlich erworbenen Aktien bei Vertragsbeendigung unentgeltlich auf die Gesellschaft zu übertragen (BGH NJW-RR 2013, 410 Rn 15). Ferner unwirksam sind Vertragsregelungen, die an die Ausübung des als solchen gem § 723 (vgl auch § 133 III HGB) nicht abdingbaren Kündigungs- oder Austrittsrechts des Gesellschafters durch den Ausschluss oder die Einschränkung des Abfindungsanspruchs nachteilige vermögensrechtliche Folgen von so hohem Gewicht knüpfen, dass der Gesellschafter in der Freiheit der Entscheidung über die Kündigung unvertretbar eingeengt und das Kündigungsrecht damit faktisch ausgeschlossen wird (BGH NJW 1985, 192; 1989, 3272; 1993, 2101; BGH 126, 226; eingehend § 738 Rn 11ff). Die Übertragung der gesamten Gesellschafterstellung in einer OHG an einen Treuhänder, auf dessen Auswahl, Tätigkeit und Abberufung der Gesellschafter keinen Einfluss hat, ist wegen zu großer Bindung der persönlichen Freiheit sittenwidrig (BGH 44, 158, 161); das Gleiche gilt für eine sehr langfristige und weitgehende Übertragung von Aufgaben der Geschäftsführung an Dritte (BGH 36, 293; DB 1982, 846). Unwirksam sind ferner die von dem geschäftsführenden Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft übernommene Verpflichtung, auf eine Dauer von 30 Jahren Einnahmen aus anderweitiger Tätigkeit an die Gesellschaft abzuführen (BGH 37, 385) oder uU die Entbindung des geschäftsführenden Gesellschafters von der Pflicht zur Rechnungslegung (BGH Warn 1965, 126). Stimmrechtsbindungsverträge, wie sie sich insb bei Vereinen, Gesellschaften uä finden, sind im privatrechtlichen Bereich grds gültig (RG 133, 93; 161, 300; 165, 144; BGH NJW 1951, 268; 1987, 1890; 2009, 669, 672; ZIP 1983, 432; Köln GmbHR 1989, 76; vgl auch BGH 48, 166). Solche Verträge sind jedoch sittenwidrig, wenn eine Knebelung (Rn 120 „Knebelung“) vorliegt oder die Freiheit der Willensbildung, etwa einer jur Pers bei der Bestellung von Organen, zu sehr eingeschränkt ist (vgl RG 57, 208; 131, 183; BGH ZIP 1983, 293, 295; Frankfurt NZG 2000, 378; Oldenburg AG 2006, 724 – faktische Bindung der Stimmabgabe von Aktionären an Weisungen des Vorstandsvorsitzenden; vgl aber auch RG 133, 95). Sittenwidrig sind ferner auch gesellschaftsrechtliche Regelungen, die sich mit dem allg Gebot zur Stimmenthaltung in eigener Sache nicht vereinbaren lassen (RG 136, 236, 245; BGH 108, 21, 26; WM 1980, 64), sowie gegen das Stimmenthaltungsgebot verstoßende Beschlüsse (BGH 108, 21, 27). Spezialregelungen finden sich in §§ 136, 405 II Nr 6, 7 AktG. P Glücksspiel. Ein Rechtsgeschäft, das sich nach Inhalt und/oder Zweckbestimmung auf eine Förderung oder Beteiligung bei strafbarem Glücksspiel (§§ 284–286 StGB) oder bei einer unerlaubten Lotterie oder einer Ausspielung (§ 287 StGB) richtet, ist idR schon iSv § 134 verboten und deshalb nichtig. § 138 hat Bedeutung vor allem für Rechtsgeschäfte im für sich nicht strafbaren Umfeld der Veranstaltung von strafbedrohten Glücksspielen, Lotterien oder Ausspielungen sowie bei erlaubtem Glücksspiel (vgl auch §§ 33c–33i GewO). Ein zum Zwecke der (weiteren) Beteiligung an einem Glückspiel hingegebenes Darlehen ist jedenfalls dann sittenwidrig, wenn der Darlehensgeber aus Gewinnstreben die Spielleidenschaft des Darlehensnehmers ausnutzt und es sich um Beträge handelt, die für den Darlehensnehmer nicht unbedeutend sind (RG 67, 356; 70, 3; BGH WM 1961, 530; 1991, 1941; NJW 1974, 1821; Hamm NJW-RR 1988, 871; Köln WM 1983, 1072). Das gilt auch dann, wenn das Spiel behördlich genehmigt ist. P Grundstücksverkehr. Ein Kaufvertrag über ein – bebautes oder unbebautes – Grundstück oder eine Eigentumswohnung kann vor allem bei einem auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung und Hinzutreten weiterer anstößiger Umstände als Wucher oder – meist - wucherähnliches Geschäft (vgl Rn 59) sittenSchmidt-Räntsch

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Rechtsgeschäfte

widrig sein. Ein Missverhältnis zw Grundstückswert und Preis kann in überhöhtem oder in einem zu niedrigen Preis liegen. Sittenwidrig kann das Rechtsgeschäft – idR ein Grundstückkauf – nur sein, wenn das Missverhältnis auffällig ist. Ist es „nur“ auffällig, kann Sittenwidrigkeit nur bei Hinzutreten weiterer Umstände angenommen werden. Das ist in der weit überwiegenden Zahl der Fälle eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag Begünstigten. Ist das Missverhältnis allerdings besonders grob, wird die verwerfliche Gesinnung tatsächlich vermutet. Für ein besonders grobes Missverhältnis hat der BGH bis Anfang 2014 im Grundstücksverkehr genügen lassen, dass der objektive Wert der Leistung der einen Seite fast (knapp) doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung (BGH 125, 218, 227; 146, 298, 302; 160, 8, 16f; NJW 1992, 899, 906; 1996, 1204; 1997, 931; WM 1980, 597; 1981, 404; 2000, 1487, 1488; 2.12.2000 – V ZR 270/99, juris Rn 11; NJW-RR 1991, 589; 1993, 198; 2000, 1431; 2000, 1487; 2001, 1127; 2011, 880 Rn 16; ZIP 1995, 1322, 1325; Hamm NJW-RR 2002, 128 – für eine Eigentumswohnung; Brandenburg VersR 1996, 1020). Diese etwas weiche Formulierung eröffnete einerseits Spielräume für eine gerechtere Beurteilung des Einzelfalls. Sie erschwert andererseits aber auch die Anwendung und ihre Vorhersehbarkeit für die Rechtsanwender. Der BGH hat sich deshalb Anfang 2014 auf eine feste Untergrenze der Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von mindestens 90% festgelegt (BGH WM 2014, 1440 Rn.8). Maßgeblich ist dabei die Perspektive des durch das Geschäft Benachteiligten. Dabei werden der Wert des Grundstücks und der Wert aller zusätzlichen Vorteile für den anderen Teil wie zB die Übernahme der Erwerbsnebenkosten berücksichtigt (BGH MDR 2016, 455 Rn 8). Bei Fehlen eines Marktpreises (etwa bei Eigentumswohnungsanlagen oder Ferienobjekten) kann sich die Überhöhung des vereinbarten Preises auch aus anderen Umständen ergeben; ein auffälliges Missverhältnis zw Leistung und Gegenleistung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass andere Erwerber – etwa im Rahmen eines Steuersparmodells in einer Eigentumswohnungsanlage – vergleichbare Preise gezahlt haben (BGH NJW 2005, 820; NJW-RR 2005, 1418). Das besonders grobe Missverhältnis begründet eine tatsächliche Vermutung für die bewusste oder grob fahrlässige Ausnutzung eines den Vertragspartner in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigenden Umstandes und damit auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten (BGH 146, 298, 302). Der Schluss von einem groben Missverhältnis auf eine verwerfliche Gesinnung ist, wenn sich das besonders grobe Missverhältnis nach der Vergleichswertmethode ergibt, auch dann möglich und gerechtfertigt, wenn dem Begünstigten das für ihn besonders vorteilhafte objektive Wertverhältnis nicht bewusst ist und auch keine weiteren belastenden Umstände vorliegen (BGH 146, 298, 303; 160, 8, 15; krit vor allem Bork JZ 2001, 1138; Eckert ZfIR 2001, 884; Flume ZIP 2001, 1621; Maaß NJW 2001, 3467). Anders liegt es aber, wenn sich das grobe Missverhältnis nicht durch einen direkten Vergleich mit dem maßgeblichen Markt, also nach der Vergleichswertmethode, sondern erst nach der Ertragswertmethode ergibt. Dann bedarf es weiterer Anhaltspunkte dafür, dass es dem Verkäufer bekannt war oder er sich ihm leichtfertig verschlossen hat (BGH 160, 8, 15; NJW-RR 2008, 1436, 1438). Diese Vermutung ist keine gesetzliche Vermutung, die nach § 292 ZPO widerlegt werden müsste. Sie ist eine tatsächliche Vermutung, die „nur“ erschüttert werden muss. Zur Erschütterung der Vermutung genügen sachgerechte Bemühungen um ein angemessenes Leistungsverhältnis (BGH NJW 2002, 3165, 3166 mwN) oder – bei einem in absoluter Höhe geringen Wert – objektive Schwierigkeiten der Werteinschätzung (BGH NJW 2003, 283). Greift die Vermutung von vornherein nicht oder ist sie erschüttert, scheidet eine Nichtigkeit unter dem Gesichtspunkt des wucherähnlichen Geschäfts nicht endgültig aus. Entscheidend ist vielmehr, ob ein auffälliges Missverhältnis erreicht ist. Dessen Untergrenze hat der BGH bislang noch nicht beschrieben. Sie wird aber deutlich über 50% liegen müssen. Dann nämlich kann der Benachteiligte die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten oder andere Umstände nachweisen, die das Geschäfts sittenwidrig erscheinen lassen (BGH WM 2014, 1440 Rn 10 mwN). Erst, wenn ihm auch das nicht gelingt, scheidet die Nichtigkeit nach § 138 I aus. 117 Die Wirksamkeit der Auflassung wird von der Sittenwidrigkeit des Kaufvertrags regelmäßig nicht berührt (BGH WM 1997, 1155, 1156; NJW 2001, 1127, 1129; ZfIR 2004, 998f). Nicht ohne weiteres sittenwidrig ist die Vereinbarung eines Wiederkaufsrechts mit einer Ausübungsfrist von 90 oder mehr Jahren (BGH NJW 2011, 515, 516; NJW-RR 2011, 1582, 1583). 118 P Kaufverträge. Auch bei Kaufverträgen über bewegliche Sachen etc kommt Sittenwidrigkeit vor allem unter den Voraussetzungen des Wuchers oder eines wucherähnlichen Geschäfts (Rn 59) in Betracht. Bei welcher Überschreitung des Marktpreises ein Missverhältnis zw vereinbartem Preis und Wert des Kaufgegenstandes vorliegt, lässt sich nicht allgemeingültig sagen. Wenn der Wert der Leistung doppelt so hoch ist wie der Wert der Gegenleistung, wird nach dem heutigen Verständnis regelmäßig schon ein besonders grobes Missverhältnis vorliegen (BGH BB 1998, 393; NJW 2000, 1254, 1255 – Münzkauf; NJW-RR 2003, 558 – Kauf eines Reitpferdes; vgl auch Düsseldorf NJW-RR 1999, 408; KG NJW-RR 1995, 1422; Kohte VuR 2003, 114), bei dem aus dem objektiven Wertverhältnis auf eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Vertragsteils geschlossen werden kann. Tendenziell kann bei einem objektiv hohen Kaufpreis auch schon eine Überteuerung um weniger als 100 % zu beanstanden sein (vgl Nürnberg BB 1996, 659 – Preis einer EDV-Anlage). Von krassen Überschreitungen des Marktpreises abgesehen (vgl etwa LG Bremen NJW-RR 1988, 570), wird es für die Bewertung stets auf die abwägende Würdigung aller Vertragsbedingungen und Umstände ankommen. 119 Sittenwidrigkeit kommt aber auch in Betracht, wenn Kaufverträge bei erheblichem psychologischen Druck, unter Einsatz anstößiger Mittel (etwa arglistige Täuschung; wiederholtes Drängen auf Bestellung iVm Gewinnzusagen) und vielfach unter Ausnutzung der Unerfahrenheit des Kunden abgeschlossen werden (Bsp: BGH NJW 2005, 2991, 2992); dies gilt nicht zuletzt, wenn unter solchen Umständen Dinge verkauft werden, mit denen der Käufer nichts anfangen oder die er nicht bezahlen kann, mag der Preis als solcher auch nicht zu beanstanden

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Willenserklärung

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sein (Medicus AT Rn 708; Bsp: BGH NJW 1966, 1451; 1988, 1373; vgl auch Frankfurt NJW-RR 1988, 501; KG MDR 1984, 405). P Knebelung eines anderen. Verträge, die die wirtschaftliche Freiheit des Vertragspartners so beschränken, dass er seine Eigenständigkeit ganz oder im Wesentlichen einbüßt und praktisch zum Werkzeug des anderen Teils wird, sind sittenwidrig (RG 82, 313; 130, 143, 145; 136, 247, 253f; BGH 7, 111ff; 19, 12, 18; 22, 347; 44, 158, 161; 83, 313, 316; NJW 1962, 102; 1967, 1043; 1970, 657; 1976, 181; 1993, 1587; WM 1976, 183; LM § 138 [Bc] Nr 13). Sittenwidrigkeit tritt allein schon wegen der objektiv knebelnden Wirkung ein; weitere subjektive Voraussetzungen sind nicht zu erfüllen; insb ist eine Knebelungs- oder Schädigungsabsicht nicht erforderlich (Staud/Sack/Fischinger Rn 302). In erster Linie ist die rechtliche Bindung entscheidend; jedoch kann auch eine tatsächliche Zwangslage ein Sittenwidrigkeitsurteil begründen. Allerdings ist nicht schon jede Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit, wie sie im Wirtschaftsleben vielfach aus Verträgen folgt, sittenwidrig (vgl RG 165, 14; BGH NJW 1967, 1042; BAG BB 2004, 2303 – zum einzelvertraglichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung für einen längeren Zeitraum; Brandenburg BB 1999, 655 – für ein Darlehen mit 17 Jahren Tilgungsfrist; Dresden WM 2000, 1689 – Globalzession mit Verbleib der Einziehungsbefugnis beim Schuldner; Hamm NJW 1977, 203 – Erbbaurechtsvertrag mit Kaufzwangklausel; Hamm NJW-RR 1988, 117 – übermäßige Sicherungsabtretung). Ein Vertrag verstößt aber dann gegen die guten Sitten, wenn der Vertragspartner (fast) ganz der geschäftlichen Dispositions- und Handlungsfreiheit beraubt wird (BGH ZfIR 2012, 872 Rn 30f: absolutes Verbot von Verpfändungen bei Übergabe des Familienguts an Sohn); dies kann sich auch infolge der Einräumung weitgehender Mitwirkungs- und/oder Kontrollrechte für einen Außenstehenden ergeben (BGH NJW 1993, 1587; Hamm BB 1970, 374; zu Eingriffsmöglichkeiten aus wichtigem Grund BGH WM 1961, 1297, 1299). Die Freiheitsbeschränkung bei einem Knebelungsvertrag bezieht sich auf Personen, jur Pers eingeschlossen (RG 130, 145). Die Bindung von Vermögen reicht als solche nicht; jedoch kann auch eine weitgehende Überlassung des pfändbaren Vermögens an einen Gläubiger zur Sicherheit für den Schuldner knebelnde Wirkung haben (BGH NJW 1967, 1043; RG 136, 247, 253f). Eine übermäßige wirtschaftliche Bindung wird zur Begründung des Sittenwidrigkeitsurteils zB bei Automatenaufstellungsverträgen (Rn 73), Bierbezugsverträgen (Rn 86) sowie vor allem bei Sicherungsgeschäften (Rn 145) herangezogen. Eine Knebelung kann aber auch bei einem Gesellschaftsvertrag (RG 82, 308; 163, 391; BGH NJW 1992, 3035), einem Finanzierungsvertrag (RG 131, 213; BGH 19, 12, 18; NJW 1962, 102), einem Miet- oder Pachtvertrag (vgl RG JW 1929, 3161; BGH WM 1976, 181 – Unternehmenspacht; Hamm BB 1970, 374 – Mietvertrag über Gewerbeobjekt; Nürnberg BB 1958, 892), einem Übergabevertrag mit einem für übermäßige lange Zeit vereinbarten umfassenden Verfügungsverbot (ZfIR 2012, 872 Rn 21), einer weder zeitlich noch gegenständlich beschränkten verlagsrechtlichen Optionsvereinbarung (BGH 22, 347) oder einem Treuhandvertrag (BGH 44, 158; NJW 1967, 1043) vorliegen. P Leasingverträge. Bei finanzierten Leasingverträgen kommt Sittenwidrigkeit vornehmlich in Betracht, wenn zw dem Marktwert der Nutzungsmöglichkeit des Leasingnehmers und der vereinbarten Leasingrate ein auffälliges Missverhältnis besteht und entweder die Wuchervoraussetzungen erfüllt sind oder sonstige sittenwidrige Umstände hinzutreten. Dabei ist nach der Rspr beim Leasing von beweglichen Sachen (ob auch bei Immobilienleasing ist ausdr offengelassen) die tatsächlich vereinbarte Leasingrate in erster Linie mit einer marktüblichen Leasingrate zu vergleichen (BGH 128, 255 mwN zur vorherigen Diskussion, ergänzt durch BGH NJW 1995, 1146); ein auffälliges Missverhältnis ist jedenfalls ab einer ggü der marktüblichen Leasingrate um 100 % höheren tatsächlichen Leasingrate anzunehmen. Neben einem auffälligen Missverhältnis ist für § 138 I die Feststellung einer verwerflichen Gesinnung des Leasinggebers oder sonstiger sittenwidriger Umstände nötig. P Maklervertrag. Auch beim Maklervertrag ist Sittenwidrigkeit vor allem bei einem auffälligen Missverhältnis von Maklerleistung und vereinbarter Provision in Betracht zu ziehen, sofern zusätzlich die subjektiven Voraussetzungen von § 138 II erfüllt sind oder andere, auch den subjektiven Voraussetzungen von § 138 I genügende sittenwidrige Umstände hinzukommen (BGH 125, 135, 137; NJW 2000, 2669). Um ein etwaiges Missverhältnis zu ermitteln, sind zunächst vereinbarte und marktübliche Provision einander gegenüberzustellen (BGH WM 1976, 289; BGH 125, 135). Eine feste Provisionsobergrenze, von der an ein Missverhältnis beginnt, ergibt sich aus der Rspr bisher nicht. Vielmehr ist bislang im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit der Sachverhalte einzelfallbezogen – unter Berücksichtigung auch des Schwierigkeitsgrades der Maklertätigkeit – entschieden worden. Eine Provision von 3 %–5 % des Wertes des vermakelten Gegenstandes bzw von 6 % beim Doppelmakler wird von der Rspr regelmäßig nicht beanstandet (vgl BGH 125, 135, 139; NJW 2000, 2669f). Dagegen ist die Vereinbarung einer Provision, die das Übliche um etwa das Fünffache übersteigt, sittenwidrig (BGH NJW 2000, 2669; BGH DB 1976, 573; weitere Bsp: Oldenburg NJW-RR 1986, 857f – Provision von 6 % für die Vermittlung eines höheren Kredits bei ortsüblicher Provision von 1 %; LG Aachen NJW-RR 1987, 741 – Provision von 50 000 DM für die Vermittlung eines Kredits von 450 000 DM; LG München NJW-RR 1989, 197; AG Eltville FamRZ 1989, 1299; verneinend Nürnberg NJOZ 2002, 85 bei Provision von 11 % des Kaufpreises für Bauerwartungsland). Ein besonderes Problem bilden die sog Übererlösklauseln, bei denen der Makler als Provision ganz oder zT den ggü den Ausgangsvorstellungen des Auftraggebers erzielten Mehrerlös erhält. Solche Klauseln sind bei individualvertraglicher Vereinbarung nicht sittenwidrig, wenn im Zeitpunkt der Vereinbarung objektiv unsicher ist, ob überhaupt, in welchem Umfang und mit welchem Aufwand ein Übererlös erzielt werden kann; Risiko und Chancen des Maklers halten sich in einem solchen Fall die Waage (vgl etwa BGH WM 1969, 886; NJW 1969, 1628; 1994, 1475; NJW-RR 1994, 559; KG NZM 2001, 481 L; Düsseldorf NJW-RR 1999, 1140, 1141; 1996, Schmidt-Räntsch

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1012). Übererlösklauseln sind aber mit den guten Sitten nicht vereinbar, wenn sie zu einer objektiv unverhältnismäßig hohen Vergütung führen und ihrerseits unter missbilligenswerten Umständen zustande gekommen sind; das gilt insb, wenn der Makler bei Vertragsschluss die konkrete Möglichkeit eines Übererlöses in beträchtlicher Höhe bereits kannte und den Auftraggeber pflichtwidrig darüber nicht informiert hat (BGH 125, 135 – erwarteter Erlös; vgl auch Düsseldorf MDR 1968, 494). Schon allein aus einem auffälligen Missverhältnis ist regelmäßig auf die für § 138 I zusätzliche erforderliche verwerfliche Gesinnung zu schließen (BGH 125, 135). Ist – etwa aus subjektiven Gründen – Sittenwidrigkeit zu verneinen, bleibt die Herabsetzung des überhöhten Maklerlohns gem § 655 zu prüfen. Unwirksam ist auch ein durch Formularvertrag eingeräumtes, erfolgsunabhängiges Maklerlohnversprechen (BGH 61, 24; krit Schulte NJW 1974, 1221); beim Doppelmakler verstößt eine solche Klausel insb gegen die von ihm zu fordernde Unparteilichkeit (BGH 48, 348). Die Individualvereinbarung einer erfolgsunabhängigen Maklerprovision ist hingegen grds wirksam (BGH DB 1976, 189). Das einem Makler bewusst zeitlich unbegrenzt eingeräumte Alleinverkaufsrecht ist sittenwidrig (BGH WM 1976, 533), nicht dagegen eine Maklerbindung für fünf Jahre (BGH WM 1974, 257). P Miet- und Pachtrecht. Ein Miet- oder Pachtvertrag kann als Ganzes sittenwidrig sein, wenn er auf einen anstößigen und unerlaubten Zweck gerichtet ist. Das kommt zB in Betracht, wenn das Miet- oder Pachtobjekt als Standort für Straftaten (etwa Drogenhandel) oder für einen öffentlich-rechtlich unerlaubten Zweck (etwa Standort für verbotene Vereinigung) bestimmt ist. Die Unerlaubtheit des Zwecks darf bei Vertragsschluss aber nicht ernsthaft zweifelhaft sein. Wenn die Erlaubtheit umstr ist – etwa in einem Straf- oder Verwaltungsstreitverfahren –, sollte das Risiko der späteren Klärung idR nicht den Vermieter als Vertragspartner treffen. Der Nutzungszweck muss nicht unbedingt insgesamt anstößig und unerlaubt sein. Bei gemischter – teils neutraler, teils sittenwidriger – Zweckrichtung muss der anstößige und/oder unerlaubte Teilzweck aber qualitativ oder quantitativ so gewichtig sein, dass er das Gesamtbild des Vertrags prägt und ihn insgesamt als sittenwidrig erscheinen lässt. Kein anstößiger und unerlaubter Zweck ist nach heutigem Verständnis (anders noch BGH 41, 341) die Nutzung eines Miet- oder Pachtobjekts als Bordell, soweit nicht die Voraussetzungen des § 180a StGB erfüllt werden (BGH 63, 365; NJW-RR 1988, 1379; 1990, 750; Hamm NJW 1975, 653), oder für Zwecke der Prostitution (BGH NJW 1970, 1179). Erst recht kann man die Vermietung von Räumen an Nichtverheiratete seit langem nicht mehr als sittenwidrig werten. Für eine unangemessene Höhe einer Wohnungsmiete, insb für den Mietwucher, enthält das Preisrecht iVm § 5 WiStG die erforderlichen Regelungen; im Einzelfall kann aber auch § 138 in Betracht kommen (Bsp: Koblenz NZM 1998, 479 – überhöhte Miete für die Wohnung einer Prostituierten). Um ein auffälliges Missverhältnis der vereinbarten Miete im Vergleich zur ortsüblichen Miete für entspr Wohnraum festzustellen, sind als Vergleichsbasis idR die Verhältnisse im gesamten Stadtgebiet, nicht in einem einzelnen Ortsteil maßgebend (BGH NJW 2005, 2156; NJW-RR 2006, 591). Bei anderen Miet- oder Pachtobjekten, etwa Gewerbeimmobilien und Geschäftsräumen, wird man ein auffälliges Missverhältnis zw dem Nutzungswert eines Objekts nach den örtlichen Marktbedingungen und der vereinbarten Miete/Pacht idR jedenfalls dann annehmen müssen, wenn das vereinbarte Nutzungsentgelt den objektiven Nutzungswert um etwa 100 % übersteigt (BGH NJW-RR 2002, 1521; NJW 2004, 3553, 3554f; KG NJW-RR 2001, 1092; Naumburg NZM 1999, 965; aM KG MDR 2002, 999; AG Berlin-Schöneberg GE 2000, 1477; vgl auch Stuttgart NJW-RR 1993, 654 und Naumburg NZM 1999, 965: besonders krasses Missverhältnis bei Überschreitung um 145 % bzw 140 %; Karlsruhe NJWE-MietR 1997, 151: kein krasses Missverhältnis bei Überschreitung um 68 %). Bei einem gewerblichen Objekt muss auch eine unüblich hohe Mietkaution nicht zu Sittenwidrigkeit führen (Brandenburg ZMR 2006, 854). Scheitert der Wuchertatbestand des § 138 II daran, dass sich die subjektiven Wuchervoraussetzungen, insb eine Ausnutzung von geschäftlicher Unerfahrenheit des Vertragspartners, nicht feststellen lassen, so soll ein wucherähnliches Geschäft nach § 138 I auch bei Vorliegen eines besonders grobem Missverhältnisses – anders als im Allg (dazu etwa: s Rn 60) – wegen der bei solchen Objekten vielfach bestehenden Bewertungsunsicherheiten einen Schluss auf die verwerfliche Gesinnung des Begünstigten nur zulassen, wenn dem Vermieter ohne weiteres erkennbar war, wie hoch die marktübliche Miete oder Pacht in etwa war und er sich danach leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass ein auffälliges Missverhältnis vorliegt (BGH NJW 2002, 55, 57f; vgl auch BGH NJW 2004, 3553; Brandenburg NZM 2006, 743); bei stark schwankendem Marktwerten wird diese Voraussetzung nicht ohne weiteres erfüllt sein (BGH NJW-RR 2002, 8). Sittenwidrigkeit kann sich aber stets daraus ergeben, dass der Vermieter/Verpächter subjektiv zurechenbar eine ungünstige Ausgangslage des Mieters/Pächters in anstößiger Weise zu seinem Vorteil ausnutzt (vgl BGH NJW 1990, 567, 568f). – Ferner kann sich eine sehr hohe Miete/Pacht iVm der Vertragsgestaltung insgesamt uU als eine sittenwidrige Knebelung (vgl dazu Rn 120) darstellen; das kommt etwa in Betracht, wenn sich in dem gewerblichen Miet-/Pachtobjekt ein zumindest bescheidener Gewinn oder gar die vereinbarte Miete/Pacht nachhaltig nicht erwirtschaften lässt (BGH 83, 315; WM 1976, 181, 184; Hamm BB 70, 374; LG Frankfurt NJW-RR 1988, 344; LG Wuppertal ZMR 1996, 440; vgl auch Düsseldorf NZM 1999, 461; Hamm NJW-RR 1995, 205; München ZMR 1996, 550; München NZM 1999, 224). Wenn in einem Mietvertrag über gewerbliche Räume eine (in der Tendenz steigende) Staffelmiete vereinbart ist, verstößt die dadurch eintretende Mieterhöhung selbst dann nicht gegen die guten Sitten, wenn die Marktmiete inzwischen erheblich gesunken ist (BGH NJW-RR 2005, 236; vgl auch BGH NJW 2002, 2384; bei Vereinbarung einer Staffelmiete für Wohnraum ist die Begrenzung des Kündigungsausschlusses in § 557a III, IV auf vier Jahre zu beachten; dazu BGH NJW 2006, 1059; NJW-RR 2006, 1236; NJW 2006, 2696). 386

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Willenserklärung

§ 138

Für andere Vertragsklauseln kommt § 138 I in Betracht, soweit nicht schon das Miet-/Pachtrecht selbst oder das AGB-Recht ihre Geltung hindert. Das gilt insb auch für die Wohnungsmiete. Die einzelnen Vertragsregelungen und die Gesamtgestaltung des Vertrags dürfen den Mieter nicht übermäßig in seiner persönlichen Freiheit (Art 2 I GG) einengen. Verbote und Verhaltensregeln, die sich weder mit den schützenswerten Interessen des Eigentümers/Vermieters noch mit denen der Mitmieter und Nachbarn sachlich rechtfertigen lassen, sind daher idR nicht hinnehmbar und mit den guten Sitten unvereinbar (vgl BGH NJW 1993, 1061 – generelles Verbot der Haltung von Haustieren nach § 307 unangemessen; BGH NJW 1995, 2036 – keine Sittenwidrigkeit bei Verbot der Hundehaltung in einer Wohnanlage; ferner zur Hundehaltung: KG NJW 1992, 2577; BayObLG NJW-RR 1994, 658; ZMR 1995, 167). Dabei dürfte sich in derartigen Fällen die Nichtigkeitsfolge auf die betroffene Bestimmung, im Hinblick auf den intendierten Schutz des Mieters aber nicht auf den gesamten Vertrag erstrecken. Sittenwidrig kann auch eine Kündigung des Mietverhältnisses über eine Wohnung sein, wenn sie den zur Würdigung einzelner Vertragsklauseln dargestellten Grundgesichtspunkten nicht gerecht wird. Nicht sittenwidrig ist die Kündigung eines Miet-/Pachtvertrags über ein Objekt, um einen für den Vermieter günstigeren, aber inhaltlich unbedenklichen Anschlussvertrag zu ermöglichen, auch wenn durch die Vertragsbeendigung mittelbar auch auf Pflichten des anderen Teils ggü Dritten eingewirkt wird (Bsp: Ein Untermietvertrag, ein Automatenaufstellvertrag oder eine Bezugsverpflichtung für das Miet-/Pachtobjekt laufen mit der Kündigung des Hauptmietvertrags aus; vgl BGH NJW 1998, 76 für Kündigung eines Gaststättenpachtvertrags). Vgl iÜ BGH NJW 1970, 855 – Kündigung eines Tankstellenvertrags. Scheidet ein Mieter aus einem langfristigen Mietverhältnis vorzeitig aus und schließt der Vermieter einen neuen Mietvertrag mit einem vom bisherigen Mieter gestellten Nachmieter, kann der neue Mietvertrag sittenwidrig sein, sofern er zu einer Konkurrenzschutzverletzung ggü den vorhandenen Mietern führt (BGH NZM 2005, 340). P Mithaft von nahen Angehörigen. Ähnlich wie bei Bürgschaft (s dazu Rn 90 und § 765 Rn 13f) kann auch die Mithaft eines nahen Angehörigen sittenwidrig sein, wenn der nahe Angehörige finanziell krass überfordert ist. Auch ohne Hinzutreten zusätzlicher Umstände spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der nahe Angehörige in einer solchen Situation die – ihn uU lang bindende – Mithaft nur wegen seiner persönlichen Verbindung mit dem Hauptschuldner übernimmt und der Kreditgeber diese Verbindung in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (BGH 156, 302, 307; WM 2005, 421, 422; 2017, 93 Rn 20; FamRZ 2006, 1024, 1025). Zur gebotenen (BGH WM 2017, 93 Rn 20) Widerlegung der Vermutung durch den Gläubiger genügt das Vorhandensein anderer Sicherheiten nur, wenn sichergestellt ist, dass der mithaftende krass überforderte Angehörige erst nach ordnungsgemäßer Verwertung der anderen Sicherheiten in Anspruch genommen wird (BGH WM 2017, 93 Rn 23). Auch fehlende Angaben zur Überforderung genügen nicht ohne weiteres zur Widerlegung der Vermutung (BGH WM 2017, 93 Rn 26). P Monopolstellung. Eine sittenwidrige Ausnutzung einer Monopolstellung ist gegeben, wenn eine allg Vormachtstellung (rechtlicher oder tatsächlicher Art; räumlicher, sachlicher oder zeitlicher Art; auch marktbeherrschende Oligopole können hierunter fallen) dazu benutzt wird, dem Verkehr aus Eigennutz unbillige Opfer aufzuerlegen (RG 62, 266; BGH 19, 84, 95; BB 1971, 1177; NJW 1976, 710; 1998, 3191; Jena NJWE-WettbR 1998, 118). Der Missbrauch der Marktmacht wird dabei häufig eingesetzt, um ein übermäßiges Entgelt, einen Verzicht auf gesetzliche Schutzrechte oder sonstige unangemessene rechtsgeschäftliche Vorteile zu erzielen. Entscheidend wird regelmäßig sein, dass der Vertragspartner praktisch nicht auf eine andere rechtsgeschäftliche Bedarfsdeckung zu angemessenen Bedingungen ausweichen kann. Ein Monopolmissbrauch kommt auch bei (ggf öffentlich-rechtl) Verträgen von Trägern öffentlicher Gewalt in Betracht, etwa bei vertraglicher Einräumung von Sondernutzungsrechten durch Gemeinden oder bei öffentlich-rechtl organisierten Versorgungsbetrieben (Bsp: BGH 19, 94; 65, 284, 289; NJW 1958, 1772; 1976, 709 und 710; dazu Ebel NJW 1976, 700; BGH BB 1971, 1177; WM 1984, 1253). Sittenwidrig kann auch die sachlich nicht gerechtfertigte Ablehnung der Aufnahme in einen Verein mit einer Monopolstellung sein (Bsp: LG München NJW-RR 1993, 890 - Bergwacht im Bayerischen Roten Kreuz). Eine Knappheitslage auf dem Markt kann, muss aber nicht auf einer monopolartigen Marktmacht beruhen; wenn sie – etwa für Grundstücke – zu entspr hohen Preisen führt, ist das für sich als normale marktwirtschaftliche Reaktion auf die Knappheit eines Wirtschaftsgutes noch nicht zu beanstanden; erst das anstößige Übermaß ist sittenwidrig (vgl zB BGH 65, 284, 289; BB 1971, 1177; NJW 1976, 710; LM § 138 [Cc] Nr 4). Unerheblich ist, ob die Initiative zum Vertragsschluss von dem Monopolisten oder dem anderen Teil ausgegangen ist. P Nichteheliche Lebensgemeinschaft. Eine ne LG wird von der Sittenordnung nicht (mehr) missbilligt. Durch die Lebensgemeinschaft veranlasste oder auf sie bezogene Rechtsgeschäfte (Bsp: Wohnungsmiete, Regelung des Unterhalts, der gemeinsamen Wirtschaftsführung und/oder – etwa für den Fall der Trennung – der Vermögensverhältnisse; Zuwendungen des einen Teils an den anderen) sind deshalb nicht sittenwidrig (BGH 77, 55, 59; 112, 259, 262; WM 1965, 793; NJW 1973, 1645; 1984, 797; 1984, 2150; BayObLG FamRZ 1984, 1153; Hamm FamRZ 2000, 95). Dies gilt auch dann, wenn ein Partner noch verheiratet ist (BGH 77, 55, 59; 112, 259, 262; NJW 1984, 2150). Sittenwidrig ist jedoch ein Vertrag, der bezweckt, einen der Partner durch Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen zur Aufrechterhaltung der Gemeinschaft zu zwingen (Hamm NJW 1988, 2475). Dasselbe soll wegen Unvereinbarkeit mit den Persönlichkeitsrechten des anderen Teils für einen Vertrag gelten, mit dem ein Detektiv wegen des Verdachts sexueller Untreue mit der Observation des anderen Teils beauftragt wird (AG Siegburg NJW-RR 2004, 1695).

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Rechtsgeschäfte

P Öffentliche Verwaltung. Wie die Gerichte, so verdient auch die öffentliche Verwaltung in allen Erscheinungsformen im Interesse der Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen Schutz vor anstößigen Rechtsgeschäften, die ein ordnungsgemäßes Verwaltungshandeln beeinträchtigen oder verhindern. Rechtsgeschäfte, die allein oder in ihrem prägenden Schwergewicht gerade diesen Zweck verfolgen oder diese Wirkung haben, sind deshalb sittenwidrig. Sittenwidrig ist zB eine Vereinbarung, die auf eine Täuschung einer Behörde über einen verwaltungserheblichen Sachverhalt hinausläuft (Bsp: Vereinbarung über eine nach der maßgeblichen Prüfungsordnung unzulässige Beteiligung eines Dritten an einer eigenständig zu erbringenden Prüfungsleistung, etwa „Kauf“ einer schriftlichen Prüfungsarbeit). Auch der Kauf eines Gegenstandes, der praktisch allein dazu dienen kann und nach dem beiden Parteien erkennbaren Vertragszweck darauf gerichtet ist, ein Eingreifen der Behörden im Interesse der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu verhindern oder zu erschweren und dadurch ein ordnungswidriges Verhalten des Bürgers zu erleichtern oder zu verdecken, ist sittenwidrig (Bsp: Kauf eines Radarwarngerätes; die dazu früher vertretenen unterschiedlichen Auffassungen sind durch BGH NJW 2005, 1490; 183, 235 Rn 13 überholt). 133 Zur ordnungsmäßigen Verwaltungstätigkeit gehört auch die Beachtung des öffentlichen Haushaltsrechts; deshalb können Rechtsgeschäfte, die das öffentliche Haushaltsrecht missachten oder umgehen, ebenfalls sittenwidrig sein, sofern der Verstoß beiden Seiten auch subjektiv zuzurechnen ist (Bsp: BGH NZBau 2006, 590 – Abschluss eines Immobilienleasingvertrags durch eine Gemeinde unter grober Verletzung von Haushaltsgrundsätzen; BGH 36, 398). Entspr gilt für die Einhaltung des Vergaberechts. Das Vergaberecht soll einen fairen Wettbewerb der Anbieter um öffentliche Aufträge gewährleisten und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass die Angebote zur Schonung der öffentlichen Haushalte sachangemessen günstig ausfallen. Die vergaberechtlichen Vorschriften sind zT auch zur Gewährleistung der Marktfreiheiten der europäischen Verträge unionsrechtlich vorgeschrieben. Dieses öffentliche Interesse wird in sittlich anstößiger Weise unterlaufen, wenn ein öffentlicher Auftraggeber mit einem Bieter, der davon Kenntnis hat, unter bewusster Missachtung des Vergaberechts und zum Nachteil potentieller anderer Bieter, die deshalb keine Möglichkeit haben, sich im Rahmen eines fairen Wettbewerbs um den Zuschlag zu bemühen, einen Vertrag schließt (Brandenburg 22. 4. 2010 – Verg W 5/10, juris Rn 46; Celle ZfBR 2005, 719f = juris Rn 21; Düsseldorf NJW 2004, 1331, 1334; Karlsruhe NZBau 2007, 395, 399; KG NZBau 2005, 538, 543; Saarbrücken VergabeR 2016, 796 = juris Rn 93). 134 Einer vertraglichen Verknüpfung von öffentlich-rechtl Handeln der Verwaltung mit einer Gegenleistung des Bürgers sind durch §§ 56, 36 VwVfG enge Grenzen gesetzt. Zwar bezieht sich § 56 VwVfG ausdr nur auf öffentlich-rechtl Verträge; schon zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen werden aber auch privatrechtliche Verträge der öffentlichen Hand diese Grenzen einhalten müssen, um Gesetzwidrigkeit oder Sittenwidrigkeit zu vermeiden. Ein Verwaltungshandeln, auf das ein Anspruch besteht, darf nicht durch Vertrag mit einer im Gesetz nicht vorgesehenen Gegenleistung verknüpft werden (§ 56 iVm § 36 I VwVfG; vgl auch BGH LM § 134 Nr 50). Bei einem Handeln, das im Ermessen der Verwaltung liegt, steht die Vereinbarung einer Gegenleistung mit § 56 VwVfG nicht im Einklang, wenn ein sachlicher Zusammenhang mit der Verwaltungsleistung fehlt (Bsp: BGH 26, 84; 94, 125; NJW 1972, 1657; 1975, 1019; 1985, 1892 – Verknüpfung einer bauplanungsrechtlichen oder bauordnungsrechtlichen Entscheidung mit der Abtretung von Grundstücksanteilen; BGH NJW 1979, 642; 1983, 2823; WM 1981, 179; 1983, 713 – Ablösungsvereinbarung für öffentlich-rechtl Stellplatzverpflichtung; BGH 26, 84; 94, 125, 127 – Ausnahme von einer Bausperre; BGH; NJW 1975, 1019; BVerwG 73, 1895 – Folgekostenverträge im Zusammenhang mit einem Bauplanungs- oder Baugenehmigungsverfahren; BGH 94, 125, 129, 131 – Verknüpfung von steuerlicher Unbedenklichkeitsbescheinigung mit der Sicherung künftiger Steueransprüche). Auch darf die Verwaltung sich nicht im Hinblick auf Leistungen eines Bürgers – etwa die Übereignung von Grundstücken – zu bestimmten bauplanungsrechtlichen Maßnahmen – etwa Aufstellung eines Bebauungsplans (vgl § 1 III 2 BauGB) – für andere Grundstücke verpflichten. Bei dem erwähnten Koppelungsverbot des § 1 III 2 BauGB liegt § 138 I neben § 134 vor (BGH ZfIR 2016, 69 Rn 10 und 208, 316 Rn 9). Allerdings entfällt der Verstoß, wenn der Vertrag nicht der Begründung einer Verpflichtung zur Aufstellung eines Bebauungsplans, sondern dazu dient, die Verwertung der im Fall der Aufstellung und Genehmigung des Bebauungsplans entstehenden Baugrundstücke vorzubereiten (BGH ZfIR 1998, 726; 2016, 69 Rn. 11). Abreden in einem mit einer Gemeinde geschlossenen Pachtvertrag verstoßen ebenfalls gegen die guten Sitten, wenn sie auf eine unzulässige Ausweitung der Steuerpflicht hinauslaufen (BGH 66, 201). Nicht sittenwidrig ist ein von einer Gemeinde bei Veräußerung eines Grundstücks verlangter Rücktrittsvorbehalt für den Fall, dass das Grundstück nicht in einem bestimmten Sinne genutzt wird (BGH WM 1984, 1252), oder die Verpflichtung, sich bei einem Bauvorhaben an einen noch nicht bestandskräftigen Bebauungsplan zu halten (BGH NJW 1985, 1892f). 135 P Scheckverkehr. Die zum Zwecke der „Scheckreiterei“ getroffene Vereinbarung, Schecks zur Kreditbeschaffung auszutauschen, und die darauf beruhenden jew abstrakten Scheckbegebungsverträge sind idR sittenwidrig (BGH WM 1961, 1381; 1969, 334; 1970, 663; BGH 121, 279). Ferner kann im Einzelfall – etwa bei kollusivem Zusammenwirken der Vertragschließenden zum Nachteil eines Dritten – der Scheckbegebungsvertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig sein (Hamm NJW-RR 1998, 628). Die Nichtigkeit eines Darlehensvertrags berührt grds die Wirksamkeit eines im Zusammenhang mit der Darlehenshingabe – etwa zur Sicherung der Rückzahlung – abgeschlossenen Scheckbegebungsvertrags nicht ohne weiteres; anderes gilt bei einem wucherischen Darlehensvertrag (BGH NJW 1990, 384). IdR nicht sittenwidrig, sondern nur anfechtbar ist der Scheckbegebungsvertrag zw einem betrogenen Kunden und einer betrügerischen Anlagegesellschaft (Hamm NJW-RR 1998, 337). Nur

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wenn gerade in der Begebung eines Schecks auch der Vollzug einer betrügerischen Wertverschiebung liegt, erfasst die Sittenwidrigkeit auch den Begebungsvertrag (LG München WM 1996, 1982). P Schiedsverträge. Schiedsverträge sind zwar Prozessverträge. Sie unterliegen aber dennoch materiellrechtlichen Gültigkeitsschranken, darunter auch der Schranke des § 138 (BGH 180, 221 Rn 17). Nach ihrem Inhalt zielen sie darauf, den Zugang zu den staatlichen Gerichten einzuschränken. Solche Beschränkungen sind – im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip – ungeachtet der Vertragsfreiheit nur zulässig, wenn ein effektiver Rechtsschutz durch die Verweisung auf das Schiedsgericht nur in seiner Ausgestaltung, aber nicht in seiner Substanz abbedungen wird (BGH 180, 221 Rn 18). Das bedeutet etwa, dass eine Schiedsklausel für Beschlussmängelklagen bestimmten Mindestanforderungen etwa an die Bestellung des Schiedsgerichts genügen muss (BGH 180, 221 Rn 20). Dagegen wird der Rechtsschutz durch eine Schiedsklausel nicht substantiell eingeschränkt, wenn ein Abhilfeverfahren innerhalb einer Frist von zwei Wochen eingeleitet werden muss (BGH ZIP 2015, 2019 Rn 28). Gegen eine Regelung, dass Zustellungen durch Einschreiben mit Rückschein zu erfolgen haben, ist schon deshalb nichts einzuwenden, weil vergleichbare Regelungen auch bei staatlichen Gerichten gelten (BGH ZIP 2015, 2019 Rn 36). P Schneeballsystem. Auf dem Schneeballsystem aufbauende Vertriebsverträge verstoßen wegen der Irreführung über die Gewinn- und Absatzaussichten gegen die guten Sitten (BGH WM 1978, 877; Köln BB 1971, 1210; München NJW 1986, 1880; vgl auch § 4 Nr 5 und 6 UWG; aus der Zeit vor Neufassung des UWG BGH NJW 1994, 1344, 1346f zum Schneeballsystem beim Vertrieb von Time-sharing-Verträgen sowie BGH NJW 1998, 390 zu § 6c UWG aF – Unternehmer-Life-Spiel). Wegen ihrer Sozialschädlichkeit sind Verträge über die mit einem Geldbeitrag, nicht jedoch mit einem Waren- oder Leistungsaustausch verbundene Teilnahme an einem nach dem Schneeballsystem angelegten Gewinnspiel ebenfalls sittenwidrig, weil nach der Grundkonzeption derartiger Spielsysteme die Masse der späteren Teilnehmer keinen Gewinn erzielen kann, sondern sogar den Einsatz zu verlieren droht und weil das Spielsystem damit auf den Vorteil weniger Teilnehmer zulasten vieler anderer in ihrer Unerfahrenheit, Leichtgläubigkeit, Spiellust und finanziellen Begehrlichkeit ausgerichtet ist (BGH NJW 1997, 2314 – Worldtrading-System; Celle NJW 1996, 2660 – Life-Spiel; vgl auch: LG Düsseldorf NJW-RR 1997, 306 – Take-OffSpiel; LG Gießen NJW-RR 1996, 796f; LG Hamburg NJW-RR 1996, 796; LG Nürnberg-Fürth NJW-RR 1998, 1519; LG Karlsruhe NJW-RR 2007 – thailändisches Share-Spiel). Sittenwidrig ist insb die Teilnahme an nach dem Schneeballsystem aufgebauten „Schenkkreisen“, die in den letzten Jahren vielfach die Rspr beschäftigt haben (BGH NJW 2006, 45, 46 m Bespr Lorenz LMK 2006, 164413 unter eingängiger Darstellung des Systems und K. Schmidt JuS 2006, 265; 2008, 1942; BGH NJW 2012, 3366, 3367; Köln NJW 2005, 3290 und NJW 2006, 3288; LG Freiburg NJW-RR 2005, 491). Dies gilt auch dann, wenn die Teilnehmer über die Abwicklung des Spiels vorab informiert werden (München NJW-RR 2009, 1648, 1649). Der BGH wendet in diesen Fällen – anders als noch Köln NJW 2005, 3290 – auch die Kondiktionssperre des § 817 S 2 nicht an. Dem ist zu folgen (ebenso ua: Köln NJW 2006, 3288; Lorenz aaO und Möller NJW 2006, 268; dagegen Armgardt NJW 2006, 2070). – Nicht ohne weiteres sittenwidrig sind Verträge, mit denen die Teilnahme an einem Spiel im Schneeballsystem vermittelt und kreditiert wird; jedoch steht dem Darlehensanspruch uU § 242 entgegen (LG Nürnberg-Fürth NJW-RR 1998, 1519). P Schuldbeitritt. S zur Sittenwidrigkeit des Schuldbeitritts naher Angehöriger in Anlehnung an die Rspr zum Bürgschaftsrecht Vor § 414 Rn 23. P Schweigevertrag. Ein Schweigevertrag, zB die Verpflichtung zu einer Geldleistung für das Unterlassen einer Strafanzeige, ist dann nicht sittenwidrig, wenn die Geldleistung eine Wiedergutmachung für den aus der nicht angezeigten Straftat entstandenen Schaden darstellt (vgl auch BGH NJW 1957, 598, 1796; 1991, 1046). Bei sachwidriger Koppelung des Verzichts auf eine Anzeige, eine Selbstanzeige beim Finanzamt bei Steuerverkürzung oder auf eine ähnliche Maßnahme mit einer geldwerten Gegenleistung ist der Vertrag hingegen nichtig, weil er den Verzicht auf eine Anzeige und damit zugleich die Verhinderung oder Erschwerung einer Sanktion für ein Fehlverhalten sittenwidrig kommerzialisiert; vielfach wird auch eine psychische Zwangslage oder eine persönliche Verstrickung des eigenen Vorteils ausgenutzt (vgl RG 58, 205; BGH NJW 1991, 1046 – Verzicht auf Strafanzeige; BAG NJW 1968, 1647f und Nürnberg NJW-RR 2001, 1587 – Verzicht auf Offenlegung einer Steuerhinterziehung). P Rechtsgeschäfte mit sexuellem Bezug. Bei der Beurteilung von Rechtsgeschäften mit sexuellem Bezug wird die Wandelbarkeit der Sittenordnung besonders deutlich. Die heute noch anerkannt besonders sozialschädlichen Rechtsgeschäfte aus diesem Bereich sind vielfach schon durch das Jugendschutzrecht, das Strafrecht und auch das Ordnungswidrigkeitenrecht verboten und daher gem § 134 nichtig. Über diese Bestimmungen geht § 138 vor allem dadurch hinaus, dass er auch nicht durch Gesetz verbotene Rechtsgeschäfte erfasst, die mit der Menschenwürde als Grundwert der Verfassung (Art 1 I GG) und damit als Bestandteil der Sittenordnung nicht vereinbar sind. Wegen Unvereinbarkeit mit der Menschenwürde sittenwidrig sind alle Rechtsgeschäfte, die zu sexuellen Handlungen (zum Begriff vgl auch § 184f StGB) ggü anderen verpflichten oder solche sexuellen Handlungen belohnen. Eine etwaige Bereitschaft zu einem sexuellen Verhalten muss stets unabhängig von einer Gegenleistung oder einer Belohnung und jederzeit widerrufbar sein, darf also nicht rechtlich verpflichtend sein. Zuwendungen an Geschlechtspartner unter Lebenden oder von Todes wegen werden aber von § 138 nur dann erfasst, wenn die Förderung oder Belohnung der geschlechtlichen Hingabe ihre prägende Zweckbestimmung ist (vgl BGH NJW 1984, 2150; für Zuwendungen von Todes wegen BGH 53, 346; NJW 1973, 1646; 1983, 675; vgl zum „GeSchmidt-Räntsch

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liebtentestament“ im Erbrecht auch Vor § 2064 Rn 15). Gegen die Menschenwürde verstößt besonders eine entgeltliche, das Sexualverhalten kommerzialisierende Verpflichtung zum Geschlechtsverkehr sowie eine rechtsgeschäftliche Belohnung von Geschlechtsverkehr (BGH 67, 119, 122; AP § 138 Nr 35; Düsseldorf NJW 1970, 1852). Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) v 20.12.2001 (BGBl I 3983) hat die dargestellte Rechtslage nicht grds verändert (str; wie hier BGH NStZ 2015, 699 Rn 5; Schleswig NJW 2005, 225, 227; Kurz GewA 2002, 142, 143f; Medicus AT Rn 701; Pal/Ellenberger Rn 52 und § 1 ProstG Rn 2; aM – einseitig verpflichtender Vertrag: BeckOK/Wendtland § 1 ProstG Rn 4; MüKo/Armbrüster # § 1 ProstG Rn 19; Bergmann JR 2003, 270ff; Dehner NJW 2002, 3747, 3748; Rautenberg NJW 2002, 650, 651; nach dieser Auffassung ist § 138 nur bei Hinzutreten weiterer anstößiger Umstände anzuwenden, vgl MüKo/Armbrüster aaO Rn 20ff). Zwar begründet nach § 1 S 1 ProstG die Vereinbarung, wenn sexuelle Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden sind, eine rechtswirksame Forderung auf das vereinbarte Entgelt. Dasselbe gilt nach § 1 S 2 ProstG, wenn sich eine Person, insb im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, für die Erbringung sexueller Handlungen gegen ein vorher vereinbartes Entgelt für eine bestimmte Zeit bereitgehalten hat. Das nimmt einer dahingehenden Vereinbarung als ganzer, zu der auch die Verpflichtung zur Vornahme einer sexuellen Handlung oder zum Bereithalten für sexuelle Handlungen gehört und die als Einheit bewertet werden muss, aber auch im Hinblick auf § 26 I und II ProstSchG nicht von Anfang an den Makel der Sittenwidrigkeit (BGH NStZ 2011, 278 Rn 4; BGHSt 61, 149 Rn 23). Erst der tatsächliche Vollzug der Vereinbarung durch die Vornahme der sexuellen Handlung oder das Bereithalten für solche Handlungen führt zum sozialen Schutz der Person, die ihre Leistung erbracht hat, insb zu einem rechtswirksamen Anspruch auf Entgelt (nachträgliche Teilwirksamkeit der Vereinbarung ab Vollzug kraft besonderer gesetzlicher Regelung); insoweit ist die Nichtigkeitswirkung von § 138 eingeschränkt. Hingegen entstehen, weil die Grundvereinbarung als Ganze sittenwidrig und damit unwirksam bleibt, auch durch den Vollzug keine vertraglichen Pflichten der tatsächlich leistenden Person (etwa wegen nicht vertragsgemäßer Leistung); das zeigt sich auch in dem weitgehenden Ausschluss von Einwendungen gegen den Anspruch auf Entgelt durch § 2 ProstG. Auch ein Rechtsgeschäft, das eine öffentliche Darbietung von Geschlechtsverkehr zum Gegenstand hat, ist menschenunwürdig und damit sittenwidrig (BAG NJW 1979, 1958; BVerwG NJW 1982, 776; NVwZ 1990, 668; Staud/Sack/Fischinger Rn 512; aM für die Rechtslage nach Inkrafttreten des ProstG MüKo/Armbrüster § 1 ProstG Rn 24 mwN). Dasselbe gilt für jede vertragliche Regelung anderer sexueller Handlungen, die über eine reine Schaustellung („Striptease“) hinausgehen. Sittenwidrig sind sowohl die Rechtsgeschäfte zw den Anbietern und Empfängern sexueller Dienstleistungen persönlich (Bsp: Vertrag Prostituierte/Freier), als auch die Verträge der einen oder anderen Seite mit entspr „Unternehmern“ (Bsp: Verträge Prostituierte/Bordellbetreiber – vgl für einen „Sauna-Club“ LAG Hessen NZA 1998, 221 –, Bordellbetreiber/Freier). Nichtig ist auch ein Rechtsgeschäft, in dem einer Prostituierten eine Gegenleistung dafür versprochen wird, dass sie sich von dem Bordellbetreiber „freikauft“, um ausschließlich dem Kunden sexuell zur Verfügung zu stehen (Köln NJW-RR 1998, 1518; vgl auch Düsseldorf NJW-RR 1998, 1517). Wirksam soll allerdings das Verfügungsgeschäft über Dirnenlohn sein (BGHSt 6, 379; Düsseldorf NJW 1970, 1852). Auch Verträge über eine sog Peep-Show wurden traditionell als sittenwidrig angesehen (BVerwG NJW 1982, 664f; 1982, 665f; NVwZ 1990, 668f; NJW 1996, 1423ff; VGH Mannheim NVwZ 1992, 76). Im Hinblick auf das ProstG ist dies aber zweifelhaft geworden (gegen § 138 MüKo/Armbrüster § 1 ProstG Rn 24; Staud/Sack/Fischinger Rn 512; zweifelnd auch Pal/Ellenberger Rn 52a). Verträge über „Telefonsex“ zw einer Sex per Telekommunikation anbietenden Person und ihren Kunden werden nunmehr im Hinblick auf die Regelungen des ProstG vom BGH nicht mehr als sittenwidrig angesehen (BGH NJW 2008, 140, 141; zur vorherigen Diskussion s Erman/Palm12 Rn 158). Ebenso sind Verträge über Anzeigen, in denen sexuelle Dienste gegen Entgelt angeboten werden, heute nicht mehr ohne weiteres nach § 120 I Nr 2 OWiG iVm § 134 unwirksam (BGH NJW 2006, 3490, 3491f; anders noch BGH 118, 182, 185ff; vgl auch BGH NJW 1998, 2895). Für sich betrachtet neutrale Rechtsgeschäfte im Umfeld unsittlicher sexueller Dienstleistungen („Hilfsgeschäfte“; etwa Verträge über den Erwerb oder die Nutzung von Immobilien für einen Bordellbetrieb – BGH 63, 365, 367; NJW-RR 1988, 1379; Karlsruhe ZMR 1990, 301; Miete von Räumen für Zwecke der Prostitution; handwerkliche Leistungen – BGH NJW-RR 1987, 999 – oder Lieferungen – BGH NJW-RR 1990, 750f – für Bordellbetrieb; Getränkeverzehr bei Bordellaufenthalt) sind nach heutigem Verständnis idR nicht sittenwidrig, wenn nicht besondere verwerfliche Umstände (etwa nach § 180a StGB verbotener Bordellbetrieb, vgl BGH NJW 1987, 3209 und NJW-RR 1990, 750f; überhöhtes Entgelt, vgl BGH 63, 365, 367; 67, 119, 124f; NJW 1970, 1179; WM 1974, 750; NJW-RR 1988, 1379; 1990, 750f; Düsseldorf NJW-RR 1991, 246; Hamm NJW 1975, 653f) hinzukommen. Zu beachten ist allerdings jetzt § 26 IV ProstSchG, wonach sich der Betreiber eines Prostitutionsgewerbes für die Vermietung von Räumen, für die Vermittlung einer Leistung oder für eine sonstige Leistung keine Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lassen darf, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung oder zu deren Vermittlung stehen. Solche Vereinbarungen wären sowohl nach § 134 als auch nach § 138 I nichtig. Verträge zur Herstellung oder Verbreitung pornographischer Schriften oder Darbietungen – etwa in Theater, Rundfunk, Fernsehen, Unterhaltungsveranstaltungen jeder Art – sind gesetzwidrig und idR auch sittenwidrig, soweit das Verhalten strafbar (§ 184ff StGB) oder ordnungswidrig (vgl § 33a I, II Nr 2, 144 GewO) ist. Bei fehlender Strafbarkeit oder Ordnungswidrigkeit wird sich hingegen ein Sittenverstoß nur ausnahmsweise unter besonderen Umständen feststellen lassen. Nicht sittenwidrig sind nach der Rspr unter der Voraussetzung der Straf390

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Willenserklärung

§ 138

losigkeit des Verhaltens hingegen: Verträge über Striptease-Darbietungen(BVerwG NVwZ 85, 826; NJW 1982, 664; NVwZ 1990, 668; BAG BB 1973, 291), Kaufverträge über pornographische Publikationen (BGH NJW 1981, 1439), Verträge über die Herstellung pornographischer Aufnahmen (Stuttgart NJW-RR 1987, 1435) und Verträge über die Vorführung pornographischer Filme (BGH NJW 1981, 1439; BVerwG 71, 34; NVwZ 1990, 668). P Sicherungsgeschäfte. Verträge, mit denen Schuldner ihren Gläubigern eine Sicherheit für deren Forderung versprechen oder gewähren (Sicherungsgeschäfte) – das sind neben der an anderer Stelle erörterten Bürgschaft, dem Pfandrecht und den Grundpfandrechten (hierzu BGH NJW 2002, 2633 – keine Übertragung der zur Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft entwickelten Grundsätze) vor allem Sicherungsübereignung, Sicherungsabtretung von Rechten oder Forderungen, verlängerter Eigentumsvorbehalt, treuhänderische Verwaltung im Gläubigerinteresse –, sind grds nicht zu beanstanden. Sie können vor allem in folgenden Fallgruppen sittenwidrig sein: Der Umfang der dem Gläubiger versprochenen oder verschafften Sicherheit ist unangemessen (Übersicherung des Gläubigers). Das Sicherungsgeschäft belastet den Schuldner – bis zur Knebelung des Schuldners – unvertretbar stark. Das Sicherungsgeschäft greift in Sicherheiten anderer Gläubiger ein. Das Sicherungsgeschäft führt zu einer Täuschung oder unangemessenen Benachteiligung anderer Gläubiger, oder es verletzt die schützenswerten Interessen der Allgemeinheit, etwa durch Insolvenzverschleppung. Die Aspekte können sich überschneiden; ein Lebenssachverhalt lässt sich oft mehreren Fallgruppen zuordnen. Zur Übersicherung s in Bezug auf die Sicherungsabtretung § 398 Rn 18a und bei der Sicherungsübereignung Anh §§ 929–931 Rn 16. Die Sittenwidrigkeit wegen anfänglicher Übersicherung setzt eine verwerfliche Gesinnung voraus, für die keine tatsächliche Vermutung besteht (BGH NJW-RR 2010, 1529 Rn 12f). Weder die Sicherungsübereignung eines vollständigen Warenlagers (RG 132, 187; BGH NJW 1962, 102) oder des gesamten Maschinenparks (BGH NJW 1956, 585) oder der gesamten Wohnungseinrichtung (BGH WM 1961, 244; Bamberg MDR 1981, 50; Wacke JZ 1987, 382) noch die Abtretung aller pfändbaren Gehaltsforderungen (BGH DB 1976, 383; zu Einschränkungen nach AGB-Recht vgl BGH NJW-RR 2005, 1408) oder sämtlicher (auch künftiger) Forderungen eines Unternehmens (Globalzession; BGH WM 2000, 1689, 1692; Köln NJOZ 2002, 2213) ist von vornherein sittenwidrig. Ein Sicherungsgeschäft kann aber deshalb gegen die guten Sitten verstoßen, weil der Schuldner in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit und zugleich in seinem Selbstbestimmungsrecht unangemessen eingeschränkt wird. Dies kommt vor allem in Betracht, wenn das Sicherungsgeschäft durch Umfang und Ausgestaltung der Sicherheit und durch etwaige Begleitregelungen dem Schuldner (fast) jeden Spielraum für sein wirtschaftliches Verhalten nimmt und ihn gewissermaßen zum Werkzeug des Gläubigers oder eines Dritten macht („Knebelung“; vgl etwa BGH 19, 12, 18; 26, 190; 44, 158, 161; 83, 313, 316; NJW 1967, 1043; 1993, 1587; 138, 291; Hamm WM 1985, 842; NJW-RR 1988, 117). Daran ist zu denken, wenn bei einem Unternehmer das Sicherungsgeschäft praktisch das gesamte pfändbare Vermögen erfasst (vgl RG 136, 247; BGH 19, 12, 18; NJW 1956, 337; 1967, 1043) und/oder die wichtigen unternehmenspolitischen Entscheidungen, etwa über Produktionsprogramm und -methoden, Finanzierung, Marktstrategien, Investitionen, Rationalisierungsmaßnahmen, im Innenverhältnis mehr oder minder dem Sicherungsnehmer oder einem Dritten, zB einem Treuhänder (vgl BGH 44, 158), überantwortet werden, wenn also freie Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung ersetzt wird. Eine ähnliche knebelnde Wirkung können dichte Kontrollmaßnahmen (etwa eine umfassende Pflicht zur ständigen Vorlage aller Bücher, Hamm BB 1970, 374), weitgehende Verpflichtungen zur Abstimmung des unternehmerischen Verhaltens mit dem Gläubiger oder Dritten oder die Bindung unternehmerischer Entscheidungen an die Interessen Dritter haben. Eine Knebelung kommt auch in Betracht, wenn eine GmbH einen Kredit für ihre Muttergesellschaft besichert und danach nicht mehr genügend freies Vermögen hat, um ihre eigenen Gläubiger zu befriedigen (BGH 138, 291). Gegen eine Knebelung spricht es, wenn dem Schuldner für die zur Sicherung übertragenen Forderungen die Einziehungsbefugnis verbleibt (BGH 138, 291, 303; WM 2000, 1689, 1692). Ob die Voraussetzungen einer (knebelnden und daher) sittenwidrigen Beeinträchtigung der Schuldnerinteressen erfüllt sind, lässt sich letztlich nur im Einzelfall unter Würdigung aller Umstände entscheiden. Für die legitime Wahrnehmung der Sicherungsinteressen des Gläubigers muss Spielraum bleiben. Ein nach § 138 aufzulösender Konflikt zw der Sicherung eines Gläubigers und den Sicherungsrechten anderer Gläubiger kommt in Betracht, wenn für Kundenforderungen des Schuldners etwa zugunsten des Waren- oder Materiallieferanten ein sog verlängerter Eigentumsvorbehalt vereinbart ist und sich ein anderer Gläubiger alle Forderungen des Schuldners, also auch die vom verlängerten Eigentumsvorbehalt erfassten, global zur Sicherung abtreten lässt. Eine Globalzession ohne Rücksicht auf einen verlängerten Eigentumsvorbehalt ist nach der Rspr sittenwidrig (BGH 30, 149, 152; 32, 367; 55, 34, 35; 72, 308, 310; 82, 50; 98, 303, 314f; NJW 1968, 1516; 1969, 318; 1971, 372; 1974, 942; 1977, 2261; 1979, 365; 1983, 2502, 2504; 1991, 2144; 1995, 1668, 1669; 1997, 651; 1998, 2047; 1999, 940; 1999, 2588, 2589; aM – striktes Festhalten an der zeitlichen Priorität – Baur § 59 Rn 55). Der Schuldner darf über Waren oder Material regelmäßig nur verfügen, wenn zugunsten des Lieferanten an die Stelle des vorbehaltenen Eigentums an den gelieferten Sachen die entspr Kundenforderungen treten. Eine Globalzession, die solche Forderungen einschließt, erzwingt oder bewirkt einen Vertragsbruch des Schuldners ggü seinem Lieferanten; das ist mit den guten Sitten nicht vereinbar (krit zu diesem Ansatz etwa Medicus AT Rn 699; er will eher auf den Gesichtspunkt der Schuldnerknebelung abstellen). Eine lediglich schuldrechtliche Teilverzichtsklausel, dh die Einräumung eines schuldrechtlichen Anspruchs des Vorbehaltsverkäufers gegen den Zessionar, vermag der Globalabtretung nicht den Makel der Sittenwidrigkeit zu nehmen; erforderlich ist vielmehr eine sog dingliche Teilverzichtsklausel, die die von einem verlängerten Eigentumsvorbehalt erfassten (zukünftigen) Forderungen von vornherein von der Globalzession ausnimmt (BGH 72, 308, 310ff; 98, 303, 314; Schmidt-Räntsch

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109, 240, 245; NJW 1974, 942, 943; 1991, 2144, 2147; 1994, 445; 1995, 1668; 1999, 940; 1999, 2588, 2589; Düsseldorf 16.5.2013 – 14 U 96/12, juris Rn 30). Die Mitwirkung am Vertragsbruch als Element der Sittenwidrigkeit kann dem Gläubiger allerdings nur zugerechnet werden, wenn er die Drittverpflichtung des Schuldners kennt oder sich dieser Kenntnis vorwerfbar verschließt. Eine missbilligenswerte Gesinnung der Vertragsparteien ist dafür (entgegen BGH 32, 366) nicht erforderlich. Kenntnis von den Umständen des Sittenverstoßes oder Sich-Verschließen vor dieser Kenntnis genügt (Soergel/Hefermehl Rn 175). Bedeutsam kann dafür sein, inwieweit ein verlängerter Eigentumsvorbehalt im Geschäftsbereich des Schuldners handelsüblich ist und daher von jedermann in Rechnung gestellt werden muss oder inwieweit er branchenüblich ist (BGH 30, 149, 151ff; 32, 361, 366; 55, 34, 35f; 98, 303, 314f; WM 1991, 1273, 1277; NJW 1995, 1668; 1999, 2588, 2589). Die Sittenwidrigkeit eines Sicherungsgeschäfts kann sich auch aus der Täuschung Dritter über die Kreditwürdigkeit des Schuldners ergeben. Sicherungsgeschäfte werden vielfach nicht nach außen sichtbar, solange das Kreditgeschäft ordnungsgemäß abgewickelt wird; das gilt insb für den (verlängerten) Eigentumsvorbehalt und die Sicherungsübereignung, zumeist aber auch für die Sicherungsabtretung. Das schließt – insb bei weitgehender Aushöhlung der Haftungsmasse durch das Sicherungsgeschäft – die Gefahr der Täuschung anderer Gläubiger über die (weitere) Kreditwürdigkeit des Schuldners ein. Das kann, je nach den Umständen des Einzelfalles, das Sicherungsgeschäft sittenwidrig machen (BGH 10, 228ff; 20, 43, 49f; JZ 1951, 686f; WM 1958, 845f; NJW 1962, 102; 1984, 728f; 1995, 1668; 1993, 2041; 1998, 2592, 2595; Ganter WM 1998, 2045, 2048). Freilich werden Dritte in vielen Fällen nicht wirklich getäuscht, weil sie im Geschäftsalltag üblicherweise mit verdeckten Sicherungsgeschäften ihres Schuldners zu rechnen haben. Die Gläubigertäuschung muss aber nicht das festgestellte Ziel des Handelns gewesen sein. Zu einem Sittenverstoß wird man idR vielmehr kommen können, wenn das Sicherungsgeschäft insgesamt so angelegt ist, dass Gläubiger und Schuldner zusammenwirken und die Irreführung anderer über die Kreditwürdigkeit des Schuldners nach dem Gesamtbild des Zusammenwirkens entweder bezweckt ist oder aber zumindest billigend in Kauf genommen wird (BGH LM § 138 [Cb] Nr 11; NJW 1995, 1668). Das wird sich positiv zwar nur in Ausnahmefällen feststellen lassen. Allerdings genügt es, wenn der Gläubiger die für erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten des Schuldners maßgebenden Umstände kennt und sich entgegen seiner deswegen bestehenden Prüfungspflicht über diese Erkenntnis grob fahrlässig hinwegsetzt; je größer und konkreter die Gefahr des Zusammenbruchs ist, desto sorgfältiger muss der Gläubiger die Auswirkungen auf das Vermögen und die Kreditwürdigkeit des Schuldners prüfen, von dem er sich umfassende Sicherheiten gewähren lässt (BGH 10, 228, 233f; 20, 43, 50f; NJW 1956, 417; 1995, 1668; Brandenburg NJ 2005, 84; Köln WM 1997, 762; Koller JZ 1985, 1013, 1017f). Bei einem Sicherungsgeschäft im Rahmen einer Sanierung kann es für § 138 I genügen, dass der Sicherungsnehmer die Sanierungsaussichten nicht ausreichend – etwa durch einen Sachverständigen (auch eine behördliche Prüfung kann genügen, BGH MDR 1958, 599; vgl aber Neuhof NJW 1998, 3225, 3230) – untersuchen lässt (BGH 10, 234; 96, 231; NJW 1955, 1273; KG ZIP 2016, 1451, 1453). Allerdings reicht es nicht aus, dass der Sicherungsnehmer den Sicherungsgeber (über längere Zeit hinweg) als „Sanierungsfall“ angesehen hat, ohne die tatsächliche Lage des Scherungsgebers in diesem Zeitraum, insb Anzeichen einer Besserung seiner wirtschaftlichen Lage, zu berücksichtigen. Das würde dazu führen, dass mit § 138 I die differenzierten Regelungen der Insolvenzanfechtung überspielt würden (BGH 210, 30 Rn 52f). Einer über eine Gläubigertäuschung hinausgehenden Benachteiligung anderer Gläubiger durch ein Sicherungsgeschäft wirken zunächst die Bestimmungen über die Anfechtung solcher Geschäfte (InsO, AnfG) sowie gläubigerschützende Straftatbestände iVm § 134 entgegen. Sittenwidrigkeit kommt aber bei einem von Schädigungsvorsatz getragenen Verhalten in Betracht, das über den Schutzbereich dieser Regelungen hinausgeht (vgl BGH 56, 339, 355; 130, 314, 331; NJW-RR 1990, 142; NJW 1993, 2041f; BGH 95, 1668; NJW 1993, 2041; BGH 138, 291, 299; NJW-RR 2002, 1359; WM 2005, 610, 611; Koller JZ 1985, 1013;). Sittenwidrig kann ein Sicherungsgeschäft schließlich sein, weil es etwa zu einer Insolvenzverschleppung beiträgt und dadurch schützenswerte Interessen der Allgemeinheit verletzt; dies kommt vornehmlich in Betracht, wenn sich der Sicherungsnehmer um eigener Vorteile willen rücksichtslos über die Insolvenzreife/Konkursreife eines Unternehmens und damit zugleich über die mit der Fortführung des Geschäftsbetriebes verbundene Täuschung und/oder Gefährdung anderer Gläubiger hinwegsetzt (vgl aus der Zeit vor Inkrafttreten der InsO BGH 10, 228, 233f; 90, 381, 399; NJW 1956, 417; 1995, 1668; WM 2005, 610, 611; KG ZIP 2016, 1451, 1453; Köln ZIP 1985, 1474). Zur subjektiven Seite gilt das zur Gläubigertäuschung oben Gesagte entspr. Bei gleichzeitiger Verletzung von Insolvenzstrafrecht wird allerdings vielfach schon § 134 eingreifen. P Spielverträge. Spielverträge einer entspr dem dafür geltenden Recht betriebenen Spielbank mit einem Spieler sind im Grundsatz durch die Berufsausübungsfreiheit des Spielbankbetreibers gedeckt und schon deshalb idR nicht sittenwidrig (BVerfG NVwZ 2001, 790, 793; BGH 165, 276). Sittenwidrig sind aber Verträge über die Gewährung von größeren Darlehen für Spielzwecke, weil sie den Spieler in die Gefahr immer größerer Spielschulden bringen (BGH LM § 762 Nr 1; NJW 1992, 316; 1995, 1153, 1153; 131, 136). Auch die Begründung einer Wechselverpflichtung zur Absicherung der Darlehensschuld zw dem Spieler als Akzeptanten und der Spielbank als Ausstellerin verstößt trotz der abstrakten Natur der Wechselerklärungen wegen des mit ihr verfolgten Zwecks gegen die guten Sitten (BGH NJW 1992, 316). Dagegen sind ohne vorheriges Setzen eines Limits abgeschlossene Internet-Spielverträge nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig (BGH NJW 2008, 2026, 2027). P Sport. An den guten Sitten sind sowohl Verträge von Sportlern (meist Berufssportlern) mit ihren Vereinen sowie mit Dritten als auch die privatrechtlichen Regelungen der Vereine und der Dachorganisationen zu messen. So kommt die Anwendung von § 138 I iVm den Grundwertungen der Art 2, 12 GG als Teil der Sitten392

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ordnung in Betracht, wenn die persönliche und/oder berufliche Freiheit des Sportlers durch Regelungen von Dachorganisationen oder Vereinen übermäßig eingeengt wird. Bedenklich sind alle Regelungen des Sportbetriebs, in denen im Spannungsverhältnis zw Dachorganisation, Vereinen und Sportlern die schutzwürdigen Interessen einer beteiligten Gruppe oder Person nicht ausgewogen berücksichtigt, die Interessen anderer Gruppen also übergewichtet werden. Bei einer (faktischen) Monopolstellung im Sportbetrieb können schon die Regelungen über die Begründung einer Mitgliedschaft und/oder über die Teilnahme am Sportbetrieb wegen Monopolmissbrauchs und/oder die Anwendung dieser Regelungen mit den guten Sitten unvereinbar sein (LG Frankfurt SpuRt 2002, 155; AG Frankfurt SpuRt 1999, 36; LG München I NJW-RR 1993, 890). Sittenwidrig wegen übermäßiger Beschränkung der Berufsfreiheit ist insb eine Regelung, wonach beim Vereinswechsel eines Sportlers der frühere Verein vom neuen Verein auch dann eine Transferentschädigung verlangen kann, wenn im Zeitpunkt des Vertrags mit dem neuen Verein das Arbeitsverhältnis mit dem alten Verein bereits beendet, der Sportler also vertragslos ist (BAG 84, 344, 354 für die Spielordnung des Deutschen Eishockeybundes; vgl auch BAG 63, 232 zur Verhältnismäßigkeit der Regelung; ferner LAG Berlin NJW 1979, 2582 für das frühere DFB-Lizenzspielerstatut; LG Braunschweig SpuRt 2004, 69; ArbG Hanau NZA-RR 1998, 108 – zur Neufassung der Spielordnung des DFB; zu einer wirksamen Ablösevereinbarung: Düsseldorf NJW-RR 2001, 1633). Auch die in den Regelungen einer Verbandsordnung festgelegte Verpflichtung, bei einem Vereinswechsel eines Amateurs zu einem Proficlub eine Aus- und Weiterbildungsentschädigung zu zahlen, ist idR wegen Unvereinbarkeit mit den Grundwertungen von Art 12 I GG sittenwidrig und daher nichtig (eingehend BGH 142, 305 zu einer Regelung des Niedersächsischen Fußballverbands für die Verpflichtung sog Vertragsamateure in der Regionalliga; BGH NJW 2000, 1028 zu Regelungen des Deutschen Eishockeybundes für die Verpflichtung eines Amateurs in der Bundesliga; vgl auch LG Stuttgart NJW-RR 2004, 929; LG Oldenburg SpuRt 2005, 72 und Oldenburg SpuRt 2005, 164). Den Statuten der Vereine oder Dachorganisationen widersprechende finanzielle Zuwendungen – auch an Nicht- 153 Berufssportler – sind in der Vergangenheit durchweg nicht als sittenwidrig beurteilt worden (vgl BAG NJW 1971, 855; Köln NJW 1971, 1367; Hamm NJW 1976, 331; Karlsruhe NJW 1978, 324; Düsseldorf NJW-RR 2001, 1633; abw Reuter NJW 1983, 650; vgl auch LAG Hamm NZA-RR 2000, 411 zu einem „Handgeld“ im Zusammenhang mit einem Vereinswechsel). Wegen eines übermäßigen Eingriffs in die Berufsfreiheit ist ein langfristiger Betreuervertrag sittenwidrig, der den Sportler in seinen Berufsentscheidungen weitgehend von einem Betreuer abhängig macht, der zudem weder fachkundig noch landeskundig ist (Frankfurt NJW-RR 1996, 1333). Sittenwidrig sind schließlich Vereinbarungen, in denen Vorteile, etwa finanzielle Zuwendungen, für die Nichtbeteiligung an einem Wettkampf, für eine sportliche Minderleistung oder für sonstiges unsportliches Verhalten versprochen oder gewährt werden (RG 138, 137, 141f; Rauste SpuRt 1998, 7; Flume AT § 18, 2, S 369; zur Wirksamkeit derartiger Abreden am Bsp des „Bundesligaskandals“ im Fußball Triffterer NJW 1975, 612 mwN). Dasselbe gilt für Verträge zw Sportlern und/oder ihren Vereinen, Trainern, Betreuern usw untereinander sowie mit Dritten, die auf eine Verfälschung der sportlichen Leistung mit unzulässigen Mitteln, etwa durch Doping, hinauslaufen (Derleder/Deppe JZ 1992, 117; Turner NJW 1992, 720; vgl auch Bach ZRP 2006, 239; Krähe SpuRt 2006, 194; Prokup SpuRt 2006, 192; Röwekamp ZRP 2006, 239). P Steuerhinterziehung. Ein zur Steuerhinterziehung geschlossener Vertrag ist jedenfalls sittenwidrig, wenn die 154 Hinterziehung Hauptzweck des Vertrags ist (BGH 14, 31; DNotZ 1969, 350; NJW 1983, 1843, 1844; 136, 125, 132; NJW 1998, 1864; Pal/Ellenberger Rn 44; weiter MüKo/Armbrüster Rn 43). Dabei wird sich die Nichtigkeit regelmäßig bereits aus § 134 ergeben. Ein Grundstückskaufvertrag verstößt nicht schon dann gegen die guten Sitten, wenn in der notariellen Urkunde ein unrichtiger Kaufpreis angegeben ist, um dadurch Steuern zu hinterziehen; Hauptzweck des Vertrags bleibt trotz der Steuerhinterziehung das eigentliche Grundstücksgeschäft (RG 107, 364; BGH NJW 1966, 589; Oldenburg MDR 2000, 877). Ein Vertrag, in dem zur Steuervermeidung die Erteilung einer Rechnung ausgeschlossen wird, ist wegen Nichtigkeit des Rechnungsausschlusses gem § 139 insgesamt unwirksam (BGH LM § 134 Nr 57; NJW-RR 2008, 1050; Hamm NJW-RR 1997, 722; aM BGH NJW-RR 2001, 380). P Straftat. Zur Vorbereitung, Durchführung oder Ausnutzung einer Straftat geschlossene Geschäfte können be155 reits nach § 134 nichtig sein. Darüber hinaus ist ein Rechtsgeschäft wegen Sittenverstoßes nichtig, wenn das Geschäft die Begehung einer Straftat zum Gegenstand hat (BGH NJW 1992, 2027) oder wenn ein Vertragspartner in Kenntnis der zur Strafbarkeit führenden Umstände das vom Gegner mit dem Geschäft verfolgte strafbare Verhalten fördert oder zum eigenen Vorteil ausnutzt; dies gilt auch dann, wenn der Vertragspartner selbst dadurch nicht zum Teilnehmer der strafbaren Handlung wird (BGH DB 71, 39 und NJW-RR 1990, 1522 – Vorbereitung oder Verwirklichung eines Betruges; NJW-RR 1990, 750 – Darlehen für ein nach § 180a StGB strafbares Bordell; NJW 1992, 310 – Verkauf von Diebesgut; Frankfurt NJW-RR 2001, 1634; vgl auch BGH WM 1990, 1324). Geschäfte, die selbst weder eine Straftat zum Gegenstand haben noch auf die Förderung einer Straftat oder die Nutzung ihrer Vorteile abzielen, sind hingegen durchweg nicht sittenwidrig. Das gilt für den Verkauf von Sachen, die der Käufer bei einer strafbaren Handlung verwenden will, idR auch dann, wenn der Verkäufer von der beabsichtigten Verwendung weiß (BGH NJW 1992, 310; RG JW 1931, 928; Hamm GRUR 1988, 564) oder (BGH NJW 1955, 586) später erfährt (vgl zur Abgrenzung auch Nürnberg NZV 1997, 124 und oben Rn 132 aE). Eine Grundschuldbestellung ist wirksam, wenn der Sicherungsgläubiger im Zeitpunkt der Eintragung weiß, dass das Grundstück mit auf strafbare Weise erlangten Mitteln im Wege der Ersatzhehlerei erworben ist (BGH NJW 1955, 586; aA MüKo/Armbrüster Rn 42). Nicht ohne weiteres sittenwidrig sind Verträge, mit denen ein Teil Geldstrafen für den anderen Teil übernimmt (Kapp NJW 1992, 2797; vgl auch BGH 1991, 990, 992). Ein Schmidt-Räntsch

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Rechtsgeschäfte

Schuldanerkenntnis eines Arbeitnehmers ggü seinem Arbeitgeber über seine Pflicht, den aus einer strafbaren Handlung entstandenen Schaden zu ersetzen, ist nicht grds sittenwidrig, sofern es nur eine hinreichend abgesicherte Ersatzpflicht bestätigt und nicht unter anstößigen Umständen zustande gekommen ist (LAG Hamm NZA-RR 2002, 654 L; LAG Thüringen NZA-RR 1999, 399). P Tankstellenvertrag. Ein Tankstellenvertrag kann sittenwidrig sein, wenn einer langfristigen Bindung des Betreibers der Tankstelle keine vertragliche Pflicht des anderen Teils zu hinreichenden Gegenleistungen – etwa Bereitstellung von Kapital für Ausbau und Betrieb der Tankstelle – als Ausgleich gegenübersteht. Eine fünfjährige Bindung ist idR unbedenklich, auch eine 15-jährige Bindung kann noch hinnehmbar sein (BGH 52, 171, 176, 181; NJW 1998, 156, 159f – Tankstellenvertrag mit 15-jähriger ausschließlicher Bezugsbindung in einem der neuen Bundesländer; vgl aber auch BGH 83, 313, 318f zu einer Regelung für einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren). Eine Bindung des Tankstellenbetreibers für 10 Jahre oder mehr entspricht aber nach dem heutigen Stand nur noch dann den guten Sitten, wenn der Lieferant seinerseits für die Tankstelle Leistungen erbracht oder übernommen hat, die der vereinbarten Bindungsdauer gleichgewichtig gegenüberstehen (BGH 143, 103; NJW-RR 2006, 615f). Eine übermäßig lange Laufzeit kann auf ein noch hinnehmbares Maß verkürzt werden. Die zur Sittenwidrigkeit von Bier- und Getränkebezugsverträgen aufgestellten Grundsätze (Rn 86) lassen sich für Tankstellenverträge entspr heranziehen. P Telekommunikation. Nicht als sittenwidrig bewertet wurde eine vertragliche Verpflichtung des Netzbetreibers, einem Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen Rufnummernblöcke mit fiktiven Auslandsnummern zur Verfügung zu stellen (München NJW 2004, 78). Bedenklich sind hingegen allzu lange Vertragslaufzeiten, etwa für die Nutzung von Grundstücken zur Errichtung und zum Betrieb von Hausverteilungsanlagen bzw Breitbandkommunikationsanlagen oder von Wartungsverträgen für Fernmeldeanlagen (BGH NJW 2003, 886; KG NJOZ 2002, 2309 – beide zu § 9 AGBG aF). P Termingeschäfte. Termingeschäfte können ähnlich wie Spiel und Wette nach ihrem Inhalt sittenwidrig sein. Dafür bieten allerdings weder der spekulative Charakter an sich noch eine auffällige Abweichung vom Vergleichswert überzeugende Abgrenzungskriterien. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Gesetzgeber mit § 37e S 1 WpHG für solche Verträge den Spieleinwand ausgeschlossen hat, um eine sichere Rechtsgrundlage hierfür zu schaffen. Daraus hat der BGH die überzeugende Schlussfolgerung gezogen, dass Termingeschäfte nur sittenwidrig sind, wenn sie darauf angelegt sind, den Vertragspartner der Bank chancenlos zu stellen (BGH 205, 117 Rn 70). P Time-Sharing. Die Wirksamkeit eines Time-Sharing-Vertrags (Vertrag über ein zeitlich begrenztes Nutzungsrecht an einem Gebäude oder Gebäudeteil, in der Praxis vor allem an einer Ferienwohnung) ist in erster Linie nach den §§ 481ff zu beurteilen. Bei § 138 sind für die Ausfüllung des Begriffs der Sittenwidrigkeit die Wertungen des Teilzeitwohnungsrechts und der zugrundeliegenden EG-RL zu beachten. Sittenwidrigkeit kommt vornehmlich in Betracht bei einem auffälligen oder besonders groben Missverhältnis zw finanzieller Gesamtverpflichtung und Gegenleistung (BGH 125, 218; Düsseldorf NZM 1998, 43; Frankfurt NZM 1999, 383; Köln NJW 1995, 1333; ZMR 1996, 606; LG Berlin NJW-RR 1995, 754; LG Darmstadt VuR 1996, 342; einschränkend Köln NJW-RR 1994, 144). Aber auch zB die Vertriebsmethoden sowie die Umstände bei der Gewinnung von Interessenten (Bsp: LG Hanau NJW-RR 2001, 1500), unklare und/oder undurchsichtige Regelungen der Rechte und Pflichten (Bsp: Dresden NZM 2000, 207; dazu Eckert ZfIR 2000, 621; Winkler NJ 2000, 379), fehlende dingliche Absicherung sowie unangemessene Beschränkungen von Veräußerungs-, Kündigungs- oder Austrittsmöglichkeiten können dem Vertrag einen sittenwidrigen Gesamtcharakter geben (BGH aaO; Köln aaO; weitere Bsp: LG Dortmund VuR 1996, 208; AG Hamburg VuR 1994, 19; 1996, 347; LG Hamburg NJW-RR 1995, 1078; VuR 1995, 338; LG Kleve VuR 1993, 49; LG Leipzig NZM 1999, 725; LG Lübeck VuR 1996, 127; s auch Düsseldorf NJW-RR 1993, 1533). P Treuhandverträge. Treuhandverträge sind nicht schon wegen der mit ihnen verbundenen Durchbrechung des Offenkundigkeitsprinzips nichtig (RG 160, 57; Gruch 54, 167). Sie können aber wegen einer zu weitgehenden sachlichen und/oder zeitlichen Bindung sittenwidrig sein (BGH 44, 158, 161f; MDR 1966, 101 m Anm Wiedemann – Treuhand für Gesellschaftsanteil auf Lebenszeit). P Überforderung des Schuldners. Ein Rechtsgeschäft ist nicht deshalb von vornherein sittenwidrig, weil es den Schuldner bis an die äußerste Grenze seiner Leistungskraft bindet oder diese Grenze gar überschreitet (vgl zB BGH 107, 92; NJW 1989, 1665; 1991, 2015; 1995, 592; 1996, 1274; vgl auch Medicus AT Rn 706c). Die Vertragsfreiheit schließt grds die Möglichkeit ein, dass der Verpflichtete ein Geschäft nicht oder nur schwer oder nur unter günstigen Umständen erfüllen kann; der Verpflichtete hat im Rahmen der Vertragsfreiheit zunächst selbst seine Leistungsfähigkeit zu prüfen und zu entscheiden, welches Risiko er eingehen und ob er sich so weitgehend verpflichten will. Freilich darf der Gläubiger im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss die missliche Lage des ihm in der Vertragsverhandlung unterlegenen Schuldners nicht in anstößiger Weise herbeiführen, fördern oder ausnutzen; insb darf er sich nicht über naheliegende Bedenken gegen das Leistungsvermögen des Schuldners vorsätzlich oder leichtfertig hinwegsetzen; sonst greift § 138 I ein. P Unlauterer Wettbewerb. Eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung zu einem als unlauterer Wettbewerb iSv §§ 1ff UWG unzulässigen Verhalten ist vielfach – wenn nicht schon nach § 134 – jedenfalls nach § 138 I nichtig, weil Inhalt und Zweckrichtung mit den guten Sitten unvereinbar sind (BGH 110, 156, 177; Stuttgart NJWRR 1997, 236f – für Verstoß gegen § 8 UWG aF; München NJW-RR 2006, 768 – für einen auf getarnte Werbung 394

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Willenserklärung

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gerichteten Vertrag; LG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1544 – für einen auf unlauter versteckte Werbung gerichteten Vertrag; Staud/Sack/Fischinger Rn 73). Durch unlauteren Wettbewerb zustande gekommene Rechtsgeschäfte sind dagegen nicht ohne weiteres sittenwidrig, weil die Schutzbereiche der §§ 1ff UWG (Schutz der Lauterkeit bei wettbewerblichem Handeln; vgl Beater JZ 1997, 916) und des § 138 (Vereinbarkeit des Rechtsgeschäfts mit den guten Sitten) sich nicht zwangsläufig decken; vielmehr müssen zusätzliche sittenwidrige Umstände hinzukommen (hM, vgl BGH 110, 156, 174; dazu Mayer-Maly AcP 194, 105, 138; BGH NJW-RR 1995, 240; Körner WRP 1979, 774, 775; Sack NJW 1974, 564f; Sack WRP 1985, 1, 4; Schockenhoff NJW 1995, 500). Ob – bei neutralem Inhalt und Zweck – allein die Umstände des Zustandekommens ausreichen, um das Rechtsgeschäft sittenwidrig zu machen, wird sich letztlich nur im Einzelfall beurteilen lassen. Dementsprechend schließt auch die Regelung des § 661a (Verpflichtung zur Zahlung des Gewinns) die Anwendung des § 138 I auf den durch die Gewinnzusage geförderten Kaufvertrag nicht von vornherein aus (BGH NJW 2005, 2991, 2993; dazu Nasall NJW 2006, 127; vgl ferner auch Sack GRUR 2004, 625 und LG Trier NJW 1974, 152; dazu Sack NJW 1974, 564f). P Unterricht/Schule/Aus- und Fortbildung. Bei Verträgen über Fernunterricht oder Fernlehrgänge bietet das weitgehend zwingende Fernunterrichtsschutzgesetz dem Verbraucher einen gewissen Schutz vor sittenwidrigen Rechtsgeschäften. Daneben ist aber § 138 uneingeschränkt anwendbar. Ein (Programmierer-) Fernlehrvertrag ist sittenwidrig, wenn er mit einem offensichtlich wenig berufsgeeigneten Kunden ohne eine entspr Eignungsprüfung abgeschlossen wird (Hamm MDR 1970, 841). – Bei einem Internats- und Direktunterrichtsvertrag (vgl dazu Dörner NJW 1979, 241) kann vor allem eine übermäßig langfristige Bindung die Berufs- und Ausbildungsfreiheit sittenwidrig beeinträchtigen (BGH 120, 108, 115ff; WM 1985, 780; DB 1995, 1560). – Ein Ausbildungsvertrag, der ein Konkurrenzverbot zw einer privaten Ausbildungsstätte und ihren Schülern enthält, ist nicht sittenwidrig, wenn sich das Konkurrenzverbot räumlich auf das Einzugsgebiet der Ausbildungsstätte beschränkt (Karlsruhe GRUR 1975, 271). P Vergleich. Für die Sittenwidrigkeit eines Vergleichs kommt es im Allg nicht auf das objektive Missverhältnis zw der wahren Ausgangslage und den Leistungen an, die eine Partei mit Abschluss des Vergleichs übernommen hat (BGH 51, 141). Abzuwägen ist vielmehr das beiderseitige Nachgeben (vgl oben Rn 44). Es kommt darauf an, wie die Parteien die Sach- und Rechtslage bei Vergleichsabschluss eingeschätzt haben, in welchem Ausmaß sie davon abgewichen sind und zur Streitbereinigung gegenseitig nachgegeben haben. Sittenwidrigkeit wird sich idR nicht annehmen lassen, wenn den Parteien der Vergleichsabschluss als letztlich sachgerechte Bereinigung ihrer Streitigkeiten erschien (vgl BGH NJW 1999, 3113 Rn 8 mN zur früheren Rspr; Hamm 8.6.2016 – 9 U 38/15, juris Rn 36; ferner BGH NJW-RR 1998, 590; BAG NJW 1985, 2661). Ein Vergleich ist auch nicht deshalb nichtig, weil er die Rechtsfolgen eines nichtigen Ausgangsgeschäfts regelt (BGH NJW-RR 1989, 1143). Ein in einem Vergleich übernommenes einseitiges Schuldversprechen kann wegen unangemessener Übervorteilung sittenwidrig sein (BGH WM 1977, 583). Ein Vergleich über die Höhe einer Schadensersatzforderung mit der Abrede, dem Haftpflichtversicherer des Schuldners den wahren Sachverhalt nicht mitzuteilen und dadurch dem Gläubiger einen ungerechtfertigt hohen Ersatzbetrag zu verschaffen, verstößt gegen die guten Sitten (BGH VersR 1969, 733). Ein zur Nichtigkeit führendes grobes Missverhältnis des beiderseitigen Nachgebens liegt bei einem Abfindungsvergleich über die betriebliche Altersversorgung vor, wenn die Abfindungssumme nur einen Bruchteil des Anwartschaftswertes darstellt und kein Grund für einen so weitgehenden Verzicht besteht (BAG NZA 1986, 519). Hingegen ist eine vergleichsweise getroffene Vereinbarung, mit der sich ein Grundstückseigentümer verpflichtet, der Bebauung eines Nachbargrundstücks nicht länger entgegenzutreten, nicht deshalb sittenwidrig, weil die hierfür vom Bauwilligen zu erbringende Zahlung weit über die Minderung des Wertes des beeinträchtigten Grundstücks hinausgeht (BGH NJW 1999, 3113). P Versicherungsvertrag. Bei Versicherungsverträgen schützt schon die Anwendung des AGB-Rechts weitgehend gegen sittenwidrige Inhalte. Sittenwidrigkeit kommt vornehmlich in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer und ein – oft freiberuflich tätiger und provisionsberechtigter – Sachverwalter der Versicherung bei der Vertragsanbahnung kollusiv zum Nachteil der Versicherung zusammenwirken (Bsp: Der Sachwalter übernimmt für den Vertragsschluss mit Wissen des Versicherungsnehmers bedeutsame unrichtige Angaben oder gibt im Einvernehmen mit diesem wichtige ungünstige Informationen nicht weiter; vgl BGH NJW 1989, 26; 1990, 1851; 2002, 1497, 1498; Düsseldorf NJW-RR 1997, 158). Aus ähnlichen Gründen ist es ebenfalls mit den guten Sitten unvereinbar, wenn im Rahmen eines Sachverständigenverfahrens – etwa in der Feuerversicherung – der Versicherungsnehmer ohne Kenntnis der Versicherung mit dem Sachverständigen ein Erfolgshonorar vereinbart (Bsp: Naumburg VersR 2004, 778). – Die möglicherweise sittenwidrige (einseitige) Absicht des Versicherungsnehmers, mit Hilfe einer Rechtsschutzversicherung für seine Eigentumswohnung der Versicherung Kosten für die Wahrnehmung rechtlicher Angelegenheiten der gesamten Wohnanlage anzulasten, macht den Versicherungsvertrag als solchen nicht sittenwidrig, wenn die Realisierung schon an den Vertragsbedingungen scheitern würde (BGH NJW 1995, 2284). – Verträge, in denen für den Versicherungsnehmer das Leben eines Dritten versichert wird, sind nicht ohne weiteres sittenwidrig (Celle VersR 1995, 405). P Vertragsstrafe. Eine vereinbarte Vertragsstrafe ist nicht allein wegen Überhöhung nichtig (RG HRR 1932 Nr 1644; BGH GRUR 1952, 141); bei unverhältnismäßiger Höhe greift vielmehr § 343 ein (Ausnahme: § 348 HGB). Ein Vertragsstrafeversprechen kann jedoch bei Hinzukommen weiterer besonderer Umstände sittenwidrig sein. Das gilt besonders, wenn es als unzulässiges Druckmittel ausgestaltet ist (vgl RG 68, 229; 85, 102; 90, 183; Celle BauR 2001, 1108; Köln NJW-RR 1988, 634; LG Köln VIZ 1995, 119, 120). Die Sittenwidrigkeit kann Schmidt-Räntsch

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sich aus einer Mehrzahl von denkbaren Straffällen ergeben, wenn für jeden Fall eine überhöhte Vertragsstrafe vereinbart wurde (vgl RG JW 1936, 179). P Wahrsagerei. Bei Verträgen, die das Wahrsagen durch Kartenlegen zum Inhalt haben, wird der Kunde zwar nicht schon wegen Unmöglichkeit der Wahrsagerei nach §§ 326 I, 275 von der Entgeltpflicht frei (BGH 188, 71 Rn 16). Solche Verträge können aber leicht nach § 138 I nichtig sein, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinanderstehen, weil sich die Kunden oft in einer schwierigen Lebenssituation befinden und die Wahrsager diese ausnutzen (BGH 188, 71 Rn 21). Dies gilt jedoch nicht, wenn eine derartige Leistung gegen ein geringes Entgelt erfolgt und nach den Erwartungen der Beteiligten eine jahrmarktmäßige Unterhaltung erfolgen soll (LG Ingolstadt NStZ-RR 2005, 313, 314). P Wechsel. Die Begebung lediglich zu Kreditzwecken geschaffener Wechsel, die nicht mit einem Waren- oder Dienstleistungsgeschäft im Zusammenhang stehen (Finanzwechsel), und die ihr zugrundeliegende Vereinbarung sind nicht grds sittenwidrig. So liegt etwa eine sittenwidrige „Wechsel-Scheckreiterei“ nicht vor, wenn der Wechselnehmer für den Wechsel einen gedeckten und sofort fälligen Scheck hingibt („Wechsel-Scheck-Verfahren“; vgl BGH NJW 1980, 931; Frankfurt WM 1995, 1497; Hamm NJW-RR 1995, 617f; München NJW 1988, 1272). Gegen die guten Sitten verstößt jedoch der planmäßige, gegenseitige Austausch von Wechseln und Schecks zw kreditschwachen Personen, wenn die missbräuchliche Verwendung der verdeckten Kreditbeschaffung der Beteiligten dient (für organisierten Austausch von Wechselakzepten: BGH 27, 172; MDR 1959, 751; NJW 1980, 931; vgl auch für „Scheckreiterei“ BGH 121, 279). In diesen Fällen sind sowohl der Begebungsvertrag als auch das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft nichtig (vgl auch BGH LM § 138 [Ca] Nr 3). Die Diskontierung von umgekehrten Wechseln, die der Bank vom Akzeptanten eingereicht werden, ist jedoch grds wirksam; es ist regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn die Bank – die Haftung des Ausstellers im Blick – einen Wechsel übernimmt, obwohl sie Hinw auf wirtschaftliche Schwierigkeiten des Akzeptanten hat (BGH 56, 266; BGH NJW 1980, 931; WM 1983, 1406; Frankfurt WM 1993, 1710; Hamm NJW-RR 1995, 617; Karlsruhe WM 1996, 1294). Etwas anderes gilt, wenn die Bank die Zahlungsunfähigkeit des Akzeptanten kennt (Koblenz NJW-RR 1987, 40) und/oder das Verhalten der Bank auf eine eigennützige Verzögerung eines Insolvenzverfahrens zum Nachteil anderer Gläubiger und der Allgemeinheit hinausläuft (BGH WM 1977, 638; NJW 1984, 728; Hamm aaO). Ein Kreditinstitut, das einem Kunden einen Wechseldiskontkredit gewährt, obwohl der Kunde die den Wechseln zugrundeliegenden Forderungen gegen seine Abnehmer durch verlängerten Eigentumsvorbehalt im Voraus an seinen Lieferanten abgetreten hat, verstößt dadurch grds nicht gegen die Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Vorbehaltsverkäufers (BGH NJW 1979, 1704 m Anm Henseler BB 1979, 1261). Trotz der abstrakten Natur der Wechselverpflichtung verstößt die Begebung eines Wechsels zur Absicherung eines sittenwidrigen Kredits ebenfalls gegen die guten Sitten, weil ein sittenwidriger Zweck verfolgt wird (BGH LM § 762 Nr 1; NJW 1992, 316; 1995, 1152). P Wettbewerbsverbot. Die Wirksamkeit vertraglicher Wettbewerbsverbote und ähnlicher Klauseln (etwa Kunden- oder Mandantenschutzvereinbarungen; Gebietsschutzvereinbarungen; Sperrvereinbarungen zw Unternehmen) ist vielfach zunächst nach den einschlägigen Spezialvorschriften (§§ 60f, 74ff, 90a HGB; § 12 BBiG) sowie uU nach §§ 305ff zu beurteilen. Neben ihnen bleibt § 138 grds selbständig anwendbar; die gesetzliche Wertung in Spezialvorschriften ist aber bei der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs „sittenwidrig“ und bei der Bestimmung der Rechtsfolgen zu berücksichtigen. Vorbehaltlich abw Spezialregelungen sind vertragliche Wettbewerbsverbote, über die Fälle der Knebelung des Verpflichteten hinaus, regelmäßig sittenwidrig, wenn sie die durch Art 2, 12 GG geschützte berufliche und/oder wirtschaftliche Freiheit des Verpflichteten unangemessen einschränken; unangemessen sind insb solche Einschränkungen, die nach Art, Dauer und räumlicher Ausdehnung über den notwendigen und angemessenen Schutz der berechtigten Interessen des Begünstigten hinausgehen (vgl BGH WM 2003, 2334; NJW 2010, 1206 Rn 15f; Düsseldorf DStRE 2016, 823 Rn 60); Schutz vor Konkurrenz allein rechtfertigt ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nicht (st Rspr, vgl etwa BGH NJW 1979, 1606; 1986, 2944; 1991, 699; 1994, 384, 386; NJW-RR 1990, 226; 1996, 741; DB 1989, 1621; BAG AP § 74a HGB Nr 2; AP § 133f GewO Nr 21, 23; NJW 1996, 1365). Auch relativ kurzfristige Beschränkungen können bei Machtmissbrauch oder Vorenthaltung jedweder Karenzentschädigung sittenwidrig sein, relativ langfristige hingegen durch angemessene Entschädigung des Verpflichteten und schutzwürdige Interessen des Berechtigten erträglich werden (Düsseldorf DStRE 2016, 823 Rn 59). Ergibt sich die Sittenwidrigkeit eines Wettbewerbsverbots allein aus der Dauer seiner Laufzeit oder aus dem Umfang seines räumlichen Geltungsbereichs (insoweit str, vgl zB BGH NJW 2000, 2584; 2005, 3061 m Anm Henssler/Bank LMK 2005, 163409), wird eine Anpassung der Bindungsdauer bzw des Geltungsbereichs gem §§ 139, 242 zu erwägen sein (vgl – abw von früherer Rspr – BGH NJW 1991, 699; NJW-RR 1996, 742 und WM 2000, 1496; wohl auch schon NJW 1964, 2203 und 1968, 1717; München NJW-RR 1997, 873; Zweibrücken NJW-RR 1990, 482; Hamm NJW-RR 1993, 1314; Saarbrücken NZI 2001, 41; LAG Düsseldorf NZA-RR 1998, 58; offengelassen in BGH NJW 1979, 1606; vgl auch Hamm GRUR-RR 2002, 273). Eine geltungserhaltende Reduktion kommt hingegen (Ausnahme: Vereinbarung einer geeigneten salvatorischen Klausel; dazu Kamanabrou ZGR 2002, 898; Bsp: Köln NZG 2001, 165) nicht in Betracht, wenn das Wettbewerbsverbot nicht nur wegen rein quantitativer Überschreitung des erträglichen Maßes sittenwidrig ist; in solchen Fällen ist es insb nicht Sache des Gerichts, engere gegenständliche Grenzen festzulegen (BGH NJW 1986, 2994; 1991, 699; 1994, 384; 1997, 3089; dazu krit Römermann WiB 1997, 1028 und Butters JuS 2001, 324; NJW 2000, 2584; NJW 2005, 3061 m Anm Henssler/Bank LMK 2005, 163409). 396

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Willenserklärung

§ 138

Für wettbewerbsregelnde Verträge zw Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen gelten in erster Linie die dem Schutz des Wettbewerbs dienenden Vorschriften des nationalen und supranationalen Kartellrechts (zu den dadurch bei Unternehmenskaufverträgen gezogenen Grenzen: Mäger/Ringe WuW 2007, 18); § 138, der anders als das Kartellrecht vor allem dem Schutz berechtigter Individualinteressen dient (zur Abgrenzung vgl BGH NJW 1994, 386), ist aber daneben anwendbar (BGH NJW 1979, 1605; 1994, 384; NJW-RR 1989, 900). Praktische Bedeutung hat § 138 vor allem für die Beurteilung von Wettbewerbsabreden im Zusammenhang mit gesellschaftsrechtlichen Verträgen sowie mit einer Veräußerung oder Verpachtung von Unternehmen oder Unternehmensteilen, auch bei Erbauseinandersetzungen. So ist ein anlässlich eines Unternehmensverkaufs für einen Zeitraum von zehn Jahren oder gar unbefristet und/oder örtlich unbegrenzt auferlegtes Wettbewerbsverbot idR sittenwidrig (BGH NJW 1979, 1606; NJW 1982, 2000; NJW-RR 1989, 800; vgl auch NJW 1980, 185 – Wettbewerbsverbot bei der Erbauseinandersetzung; NJW 1982, 2000 – Unternehmenskauf; München NJW-RR 1995, 1191 – Wettbewerbsverbot in der Sondersituation bei Betriebsübernahme zur Konkursverhinderung; Frankfurt OLG 1974, 2ff – Vereinbarung einer begrenzten Sortimentsbeschränkung). Im Gesellschaftsrecht sind als Spezialregelungen §§ 112, 113 HGB und § 284 iVm § 88 AktG zu beachten, uU auch § 1 GWB (vgl Kanzleiter DNotZ 1989, 195, 198ff; Mellulis WRP 1994, 686). Nach der Rspr des BGH ist beim Ausscheiden eines Gesellschafters ein zu dessen Lasten und zugunsten der Gesellschaft vereinbartes oder satzungsmäßig festgelegtes Wettbewerbsverbot mit den guten Sitten nur vereinbar, wenn für die Beschränkung der zukünftigen Tätigkeit des Gesellschafters ein anzuerkennendes Bedürfnis besteht, um den Ausscheidenden an einer illoyalen Verwertung des Erfolges seiner Arbeit und der im Zuge der Tätigkeit für die Gesellschaft erworbenen Verbindungen, Kenntnisse und Erfahrungen zu hindern (vgl BGH 91, 3; NJW 1968, 1717; 1979, 1605; 1986, 2944; 1991, 699; 1994, 384; 1997, 3089; NJW-RR 1990, 226; 1993, 1314; DStR 1997, 2038; ZIP 2015, 472 Rn 8; Düsseldorf NJW-RR 1993, 35; BB 1996, 2378; Hamm NJW-RR 1993, 1314; Karlsruhe WM 1986, 1473). Das gilt gleichermaßen für ausscheidende Organmitglieder (Hamm WuW 2017, 95 Rn 35; s dazu auch die Erl oben sowie Bauer/Diller BB 1995, 1134). Nachvertragliche Wettbewerbsverbote sind insb sittenwidrig, wenn sie einen Gesellschafter oder ein Organmitglied nach dem Ausscheiden – gemessen an den berechtigten Schutzinteressen der Gesellschaft – sachlich und/oder räumlich (Bsp: BGH DStR 1997, 2038) zu weitgehend und/oder zeitlich übermäßig lange binden. Ein zeitlich unbegrenztes Wettbewerbsverbot verstößt in aller Regel gegen die guten Sitten. Angemessen ist durchweg eine Schutzfrist von zwei Jahren (BGH 91, 1; NJW 1991, 699; WM 1974, 74; NJW-RR 1990, 226; ZIP 2015, 472 Rn 11; Düsseldorf DStRE 2016, 823 Rn 60; Hirte ZHR 154, 443, 447ff). Nach ähnlichen Maßstäben zu beurteilen sind, soweit berufsrechtliche Spezialvorschriften fehlen, Wettbewerbsverbote, Mandantenschutzklauseln uÄ für die Fälle der Auseinandersetzung freiberuflicher Sozietäten, des Ausscheidens einzelner Mitglieder/Mitarbeiter oder des Praxiskaufs oder -tauschs. Die Beschränkungen müssen mit dem Berufszweck der jew Berufsgruppe vereinbar sein. Die Umstände müssen ein anerkennenswertes, nicht allein in der Abwehr von Konkurrenz liegendes Bedürfnis begründen, den Begünstigten für begrenzte Zeit zu schützen, insb ein illoyales „Mitnehmen“ von Mandanten, Verbindungen, internen Planungen und Informationen usw zu verhindern (vgl BGH 91, 1; NJW 1968, 1717; 1986, 2944; 1991, 699; 1994, 384; 2000, 2584; 2004, 66; vgl auch Hamburg NZG 1999, 342; Stuttgart NJW 2002, 1431). Zulässig ist in solchen Fällen ein zeitlich (regelmäßig nicht mehr als zwei Jahre; zu lang sieben Jahre, Stuttgart NJW 2002, 1431), räumlich und inhaltlich angemessen begrenztes Verbot, das den Verpflichteten nicht übermäßig beschränkt (Bsp: BGH 16, 71 – Praxistausch bei Ärzten; Koblenz MedR 1994, 450 – Zahnarztpraxis; LG Hannover BB 1998, 1501 – ärztliche Gemeinschaftspraxis; BGH NJW 1997, 3089 – Tierarzt nach Ausscheiden aus einer Gesellschaft; BGH NJW 1964, 2203 – Apothekenpächter nach Pachtende; BAG NJW 1966, 1677f; 1971, 2245; DB 1989, 1089; BGH NJW 1991, 699; München NJW-RR 1997, 873 – Steuerberaterpraxis; Steuerfachkraft; BGH 91, 1; NJW 1968, 1717 – Wirtschaftsprüfer; BGH NJW 1986, 2944; NJW-RR 1996, 741; NJW 1997, 3089; 2000, 2584; 2004, 66 – fünfjähriges Wettbewerbsverbot bei Ausscheiden aus einer Sozietät von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern; NJW 2005, 3061 m Anm Henssler/ Bank LMK 2005, 163409 – Überschreitung der zeitlichen, räumlichen und gegenständlichen Grenzen eines Wettbewerbsverbots für einen Rechtsanwalt auch nicht als Sanktion iVm einer Ausschließung aus der Sozietät; Celle NJW 1963, 1310; Köln BB 2001, 538; Stuttgart NJW 2002, 1431 – Sozietät oder Bürogemeinschaft von Anwälten; Frankfurt MDR 2005, 226 – Verbot für einen Zahnarzt in einem Praxisübernahmevertrag, im Umkreis von 10 km eine eigene Praxis zu betreiben; Naumburg NJW-RR 2006, 421 – Mandantenschutzklausel und Berufsausübungsverbot für 10 Jahre im Umkreis von 60 km für den Veräußerer bei Übernahme einer Steuerberatungspraxis). Das gilt auch für Wettbewerbsverbote in Berufsordnungen (BGH NJW 1997, 799). Ein Recht, bei Ausscheiden aus einer Sozietät Klienten/Patienten oÄ „mitzunehmen“, kann andere Einschränkungen rechtfertigen (Schleswig NJOZ 2001, 1549, 1550). Zu Wettbewerbsverboten bei Freiberuflern allg Römermann BB 1998, 1489; K. Schmidt NJW 2005, 2801; H.P. Westermann AnwBl 2007, 103, 108ff und Wertenbruch NZG 2006, 408, 411. Auch die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots ohne Karenzentschädigung für den Fall der Beendigung eines Franchise-Vertrags ist sittenwidrig (KG MDR 1974, 144). Die Verpflichtung des Franchisenehmers, nach Vertragsbeendigung die Telefonnummern seines Geschäfts auf den Franchisegeber zu übertragen, fällt aber nicht unter § 90a HGB (Köln MMR 2005, 321). P Zwangsversteigerung, Zwangsvollstreckung. Rechtsgeschäfte, die gegen strafrechtliche Bestimmungen zum Schutz der Zwangsvollstreckung oder der Vollstreckungsgläubiger verstoßen, sind idR schon nach § 134, sonst nach § 138 I nichtig, soweit der Schutzbereich der Bestimmungen über die Gläubigeranfechtung überschritten Schmidt-Räntsch

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ist. § 138 I erfasst darüber hinaus auch Rechtsgeschäfte, die darauf abzielen, mit anstößigen Mitteln die ordnungsgemäße Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen zu verhindern oder zu erschweren. Verneint worden ist das für einen Mietvertrag zw Familienangehörigen mit dem alleinigen Zweck, die Rechtslage des § 93 ZVG auszuschalten (Düsseldorf NJW-RR 1996, 720).

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Teilnichtigkeit

Ist ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig, so ist das ganze Rechtsgeschäft nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. 1. Bedeutung. Die Vorschrift enthält eine Auslegungsregel (BGH 85, 315, 318; NJW 1994, 720f; vgl auch BGH NJW 1996, 774; aA Staud/Roth Rn 2: „Nichtigkeitsvermutung“). Sie greift ein, wenn bei Vornahme eines Rechtsgeschäfts keine Regelung für den Fall getroffen wurde, dass ein Teil des Rechtsgeschäfts nichtig ist. § 139 bestimmt als Folge der Teilnichtigkeit die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts, „wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde“. Danach muss zunächst der (hypothetische) Wille der Parteien für den Fall der Teilnichtigkeit ermittelt werden. Erst wenn dies nicht zum Ziel führt, ist nach § 139 das ganze Rechtsgeschäft nichtig. Damit soll erreicht werden, dass den Beteiligten, die einen umfassenden Rechtserfolg als Ganzen verwirklichen wollen, eine nur teilw Verwirklichung nicht gegen ihren Willen aufgedrängt wird. 2. Anwendungsbereich. a) Zivilrecht. § 139 gilt grds für alle Rechtsgeschäfte. Anwendbar ist die Vorschrift etwa auch auf die Vereinbarungen zur Bildung von WE (s BayObLG NJW-RR 1999, 8, 10), Beschl der Hauptversammlung (Hamburg NZG 2000, 549, 551; 2003, 539, 541; Oldenburg NJW-RR 1995, 1313, 1314) und auch des Aufsichtsrats einer AG, soweit diese auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung sozial- oder individualrechtlicher Befugnisse gerichtet sind (BGH 124, 111, 122), und Beschl einer WE-Gemeinschaft (BGH 139, 288, 297; Hamm NJW-RR 1986, 500, 501). Nicht anwendbar ist § 139 auf Vereinssatzungen, da diese objektiv auszulegen sind (s § 133 Rn 34) und daher für die Konsequenzen einer Teilnichtigkeit nicht auf den hypothetischen Parteiwillen abgestellt werden kann (BGH 47, 172, 179). Ebenso findet die Vorschrift auf den normativen Teil eines Tarifvertrags (BAG NZA 2008, 892, 894; Löwisch/Rieble § 1 TVG Rn 503) und einer Betriebsvereinbarung keine Anwendung (Soergel/Hefermehl Rn 13). aa) Spezialregeln. Teilw ergibt sich aus Spezialregelungen, dass § 139 im Fall der Teilnichtigkeit nicht anzuwenden ist. Derartige Vorschriften finden sich etwa im Erbrecht. So hat nach § 2085 die Unwirksamkeit einer von mehreren im Testament enthaltenen Verfügungen die Unwirksamkeit der übrigen Verfügungen nur zur Folge, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser diese ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde. Anders als § 139 stellt § 2085 also eine Auslegungsregel zugunsten der Wirksamkeit der übrigen Verfügungen auf. Dem § 2085 entsprechen § 2195 und § 2279 I (im Zweifel Gültigkeit der unter einer Auflage gemachten Zuwendung bei Unwirksamkeit der Auflage). Auch für vertragsmäßig bindende Verfügungen im Erbvertrag und wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament gelten Spezialvorschriften (§§ 2298 I, 2270). Im AGB-Recht bleibt nach § 306 bei Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit von AGB – abw von § 139 – der Vertrag iÜ wirksam. An die Stelle der nichtigen Bestimmungen treten die gesetzlichen Vorschriften. Fehlen gesetzliche Vorschriften, kommt im Rahmen von § 306 II eine Vertragsergänzung entspr dem hypothetischen Parteiwillen in Betracht. Nur ausnahmsweise ist nach § 306 III der ganze Vertrag unwirksam. Sonderregelungen enthält auch das Kapitalgesellschaftsrecht in den § 275 AktG, § 75 GmbHG. Nach diesen Regelungen können nach Eintragung der Gesellschaft nur noch bestimmte Satzungsmängel im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden. Mängel anderer, in diesen Vorschriften nicht genannter Satzungsbestimmungen haben damit nach der Eintragung keine Bedeutung mehr für die Wirksamkeit der Gesellschaft (s KK-AktG/Arnold § 23 Rn 164). § 139 kann insoweit nicht angewendet werden (Staud/Roth Rn 11). Darüber hinaus wird in verschiedenen Vorschriften eine unzulässige Vertragsbestimmung nicht ausdr für nichtig erklärt. Der Anwendungsbereich des § 139 ist damit in diesen Fällen von vornherein nicht eröffnet (NK/Faust Rn 5). So kann sich etwa der Verkäufer nach § 444 auf eine Vereinbarung, durch welche die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen oder beschränkt werden, nicht „berufen“, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen oder eine Garantie für die Beschaffenheit der Sache übernommen hat. Von der ausdr Anordnung der Nichtigkeit einer entspr Abrede hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen, um klarzustellen, dass die Unwirksamkeit der Vereinbarung über den Gewährleistungsausschluss keinesfalls zur Unwirksamkeit des gesamten Kaufvertrags führt (s BT-Drs 14/6040, 240). Entspr Formulierungen finden sich etwa in den §§ 475, 478, 639. bb) Ungeschriebene Ausnahmen. Neben den ausdr Ausnahmen kann gelegentlich auch der Zweck einer Gesetzesbestimmung unabhängig vom hypothetischen Parteiwillen gegen eine Gesamtnichtigkeit sprechen. Das ist insb dann der Fall, wenn sich die Teilnichtigkeit aus der Verletzung einer Norm ergibt, die den Schutz eines Vertragspartners bezweckt, und eine Gesamtnichtigkeit gerade diesem Schutz zuwiderliefe (BGH 40, 235, 238f; NJW 1980, 2407, 2408; 2000, 1333, 1335; BAG NJW 1979, 2119, 2120; BeckOK/Wendtland Rn 5.1; Wolf/Neuner AT § 56 Rn 4f; Medicus/Petersen AT Rn 515). Wird etwa entgegen § 276 III die Haftung des Schuldners für Vorsatz vertraglich ausgeschlossen, ist nur dieser Haftungsausschluss, nicht aber der ganze Vertrag nichtig (Flume AT II § 32, 4; Wolf/Neuner AT § 56 Rn 5). Entspr gilt im Mietrecht. Eine Vielzahl von Vorschriften sieht hier vor, dass von den Regelungen des BGB zulasten des Mieters abw Vereinbarungen unwirksam sind (zB §§ 551 IV, 553 398

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Willenserklärung

§ 139

III etc). Dies hat indes nach § 139 im Zweifel nicht die Gesamtnichtigkeit des Vertrags zur Folge. Vielmehr bleibt der Mietvertrag wirksam, und anstelle der unwirksamen gilt die gesetzliche Regelung (s nur BGH MDR 1964, 495; Celle OLG 1982, 219, 220f; Staud/Roth Rn 15). Die gleichen Grundsätze gelten, wenn bei einem Arbeitsvertrag eine Bestimmung gegen zwingende Vorschriften verstößt, die zugunsten des ArbN gelten (vgl BAG AP Nr 2 § 5 BBiG; NJW 1979, 2119, 2120; NZA 1987, 445, 447). Ebenso führen Vereinbarungen, die den zwingenden Verbraucherschutzregelungen der §§ 312ff, 355ff, 481ff, 491ff widersprechen, nicht zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags (NK/Faust Rn 55; Staud/Roth Rn 16). Auch bei einem Verstoß gegen preisrechtliche Bestimmungen würde die Gesamtnichtigkeit vielfach dem Schutzzweck zuwiderlaufen (vgl § 134 Rn 49 „Preisrecht“ und Staud/Roth Rn 17). Insb führen Mängel bei einer anwaltlichen Vergütungsvereinbarung regelmäßig nicht zur Unwirksamkeit des ganzen Anwaltsvertrags (s nur BGH 18, 340, 349; NJW 1980, 2407, 2408). Wird in einem Handelsvertretervertrag eine mit den zwingenden Vorgaben des § 89 HGB nicht vereinbare Regelung getroffen, hat dies nicht die Nichtigkeit des gesamten Vertrags zur Folge (BGH 40, 235, 238). Im Arbeits- und Gesellschaftsrecht ergibt sich eine Einschränkung des § 139 überdies aufgrund der Grundsätze über das fehlerhafte Arbeitsverhältnis bzw die fehlerhafte Gesellschaft (Pal/Ellenberger Rn 3; s aber auch zu Einschränkungen im Hinblick auf nichtige Klauseln MüKo/Schäfer § 705 Rn 344). IÜ ist im Personengesellschaftsrecht bei Nichtigkeit lediglich einzelner Vertragsklauseln für die Anwendung des § 139 ohnehin wegen des gemeinsamen Interesses der Gesellschafter am Bestand der Gesellschaft regelmäßig kein Raum (MüKo/Schäfer § 705 Rn 53). Auch bei Fehlen einer salvatorischen Klausel (s Rn 10) ist die Lücke durch erg Vertragsauslegung zu schließen. Ähnliches gilt für den Vertrag zur Gründung einer Kapitalgesellschaft vor Eintragung derselben ins Handelsregister: Sind einzelne Satzungsbestimmungen nichtig, führt dies abw von § 139 regelmäßig nicht zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags, sondern die Gesellschafter sind aufgrund der sie treffenden Treuepflicht dazu verpflichtet, den Mangel durch eine entspr Vertragsänderung zu beseitigen und damit die Eintragung zu ermöglichen (KK-AktG/Arnold § 23 Rn 159 mwN). Nach Eintragung der Gesellschaft sind Mängel einzelner Satzungsbestimmungen nur nach Maßgabe der § 275 AktG, § 75 GmbHG beachtlich (s oben Rn 4). b) Prozessrecht. Auf Prozesshandlungen, die gleichzeitig Rechtsgeschäfte sind, ist § 139 entspr anwendbar. So führt zB die Nichtzulassung der Aufrechnung im Prozess über § 139 zur Unwirksamkeit der materiellrechtlichen Aufrechnungserklärung (Staud/Roth Rn 30; Soergel/Hefermehl Rn 11). Auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit kann der Rechtsgedanke des § 139 anwendbar sein (BayObLG Rpfleger 1962, 179; Staud/Roth Rn 30). Dagegen scheidet eine Anwendung des § 139 auf zusammengehörige (teils wirksame, teils unwirksame) Registereintragungen aus (RG 132, 22, 26). Im Grundbuchberichtigungsverfahren gilt § 139 ebenfalls nicht (BayObLG NJW-RR 1997, 590). c) Öffentliches Recht. Auf öffentlich-rechtl Willenserklärungen ist § 139 nicht anwendbar. Für öffentlich-rechtl Verträge gilt § 59 III VwVfG, der dem § 139 entspricht. Für Verwaltungsakte bestimmt § 44 IV VwVfG die Gesamtnichtigkeit, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte. 3. Vorrang einer abweichenden Parteivereinbarung. Die Parteien können eine von § 139 abw Regelung vereinbaren. Insb können sie rechtsgeschäftlich mit sog „salvatorischen Klauseln“ Vorsorge für den (erwarteten, befürchteten, jedenfalls nicht ausschließbaren) Fall der Teilnichtigkeit treffen. Dabei ist zw sog Erhaltungsklauseln und Ersetzungsklauseln zu unterscheiden. Erhaltungsklauseln sehen vor, dass die Unwirksamkeit eines Teils des Vertrags die Gültigkeit des übrigen Vertrags nicht berühren soll. Sie sollen freilich regelmäßig nicht zur Folge haben, dass das Rechtsgeschäft generell ohne die nichtige Regelung wirksam ist. Vielmehr ist auch bei Vereinbarung einer Erhaltungsklausel nach dem mutmaßlichen Parteiwillen zu entscheiden, ob Gesamtnichtigkeit eintreten soll. Die Bedeutung derartiger Klauseln liegt nur darin, dass nunmehr abw von der Regel des § 139 die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Gesamtnichtigkeit bei der Streitpartei liegt, die entgegen der Erhaltungsklausel den Vertrag als Ganzen für unwirksam hält (BGH NJW 2003, 347; 2010, 1660, 1661; NJW–RR 2005, 1534, 1535; anders noch BGH NJW 1994, 1651). Ersetzungsklauseln legen darüber hinaus fest, welche Bestimmungen an die Stelle der unwirksamen Regelungen treten sollen. Üblich sind etwa Klauseln, nach denen die unwirksame Regelung durch eine dieser wirtschaftlich soweit wie möglich entspr gültige Regelung zu ersetzen ist. Sie decken allerdings die Nichtigkeit wesentlicher Vertragsregelungen nicht ohne weiteres ab. Wenn von der Teilnichtigkeit etwa die Bestimmung einer Hauptleistung oder andere, nach dem Parteiwillen wesentliche Bestandteile des Rechtsgeschäfts betroffen sind, kann die Auslegung ergeben, dass trotz der Ersetzungsklausel Gesamtnichtigkeit eintreten soll (BGH WM 1976, 1027, 1028; NJW 1996, 773, 774; KG NJW-RR 1996, 431, 432). Eine Erhaltungsklausel behält auch dann ihre Bedeutung, wenn eine zugleich vereinbarte Ersetzungsklausel – etwa wegen Unvereinbarkeit mit dem AGB-Recht – unwirksam ist (BGH NJW 2005, 2225, 2226). Eine salvatorische Klausel rechtfertigt iÜ idR nicht eine Teilanfechtung einer einzelnen Vertragsregelung (Bsp: BAG NJOZ 2006, 1859, 1864). 4. Voraussetzungen. Die Nichtigkeitsfolge des § 139 tritt ein, wenn ein Teil eines einheitlichen Rechtsgeschäfts nichtig und nicht anzunehmen ist, dass das ganze Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. a) Einheitliches Rechtsgeschäft. § 139 setzt voraus, dass es sich um ein einheitliches Rechtsgeschäft handelt. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn es sich um einen Geschäftstyp handelt und einzelne Vertragsklauseln nichtig sind (s BGH 50, 8, 13; Wolf/Neuner AT § 56 Rn 9ff). Vielmehr kann ein einheitliches Rechtsgeschäft auch Arnold

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aus mehreren Geschäften, von denen jedes einzeln bestehen kann, zusammengesetzt sein. Für die Annahme eines derartigen einheitlichen zusammengesetzten Rechtsgeschäfts ist die Einheitlichkeit des Zustandekommens nicht entscheidend (Medicus/Petersen AT Rn 501f). Gleiches gilt für den objektiven Sinnzusammenhang der Rechtsgeschäfte (Staud/Roth Rn 37f; aA MüKo/Busche Rn 15ff). Maßgeblich ist vielmehr der Parteiwille: Eine Zusammenfassung verschiedener Rechtsgeschäfte zu einer rechtlichen Einheit ist dann zu bejahen, wenn das eine Geschäft nicht ohne das andere gewollt ist, dh die Vereinbarungen miteinander stehen und fallen sollen (BGH 50, 8, 13; 110, 230; NJW 1990, 1473, 1474; 2007, 1131, 1133; NJW-RR 1990, 443; 2007, 395, 396; NK/ Faust Rn 11; Staud/Roth Rn 39; aA MüKo/Busche Rn 15ff, der den objektiven Sinnzusammenhang in den Vordergrund stellt). Dabei ist es ausreichend, dass eine Partei den Willen zur Geschäftseinheit hat und die andere Partei dieses billigt oder zumindest hinnimmt (BGH MDR 1971, 468). Für einen solchen Parteiwillen kann es sprechen, wenn der objektive Sinn einer Mehrzahl von Geschäften ergibt, dass ihre Einheit gewollt sein muss (Staud/Roth Rn 38, 45). Geschäftseinheit setzt nicht voraus, dass an allen Geschäften dieselben Personen in gleicher Weise beteiligt sind (RG 79, 434, 436; BGH NJW 1976, 1931, 1932; NJW-RR 1990, 442, 443; 2011, 2874, 2877; aA Flume AT II § 32, 2a) oder die einzelnen Geschäfte demselben Geschäftstyp angehören (BGH NJW 1976, 1931, 1932). Wenn auch der wirtschaftliche Zusammenhang zw den Geschäften oder die gleichzeitige Vornahme häufig ein starkes Indiz für eine Geschäftseinheit bilden, kommt es doch stets maßgebend auf den Willen der Parteien an (RG 79, 434, 439; BGH NJW 1967, 1128, 1129; 1987, 2004, 2007). Eine tatsächliche Vermutung für ein einheitliches Geschäft ergibt sich dabei aber aus der Aufnahme der einzelnen Geschäfte in eine Urkunde (BGH 54, 71, 72; NJW 1987, 2004, 2007). Bei Niederlegung mehrerer selbständiger Verträge in verschiedenen Urkunden besteht dagegen die – widerlegliche – Vermutung, dass die Rechtgeschäfte keine Einheit bilden sollen (BGH 78, 346, 349; NJW-RR 2007, 395, 396). Im Hinblick auf die besondere Fallgestaltung wurde eine Geschäftseinheit bejaht zw mehreren zusammenhängenden Grundstücksgeschäften (BGH NJW 2000, 2017, 2018), zw einem Mietvertrag und der Einräumung eines Vorkaufsrechts (RG 107, 39, 40), zw einem Grundstückskaufvertrag und einer Auflassungsvollmacht (RG 94, 147, 149) oder einem Baubetreuungsvertrag (BGH NJW 1976, 1931, 1932), zw einem formbedürftigen Geschäftsbesorgungsvertrag und einer darin erteilten Vollmacht (BGH 102, 60, 62), zw der vertraglichen Begründung einer Forderung und einer Sicherungsabrede (BGH NJW 1994, 2885), zw einer Wahlleistungsvereinbarung Krankenhaus/Patient und einer Zusatzvereinbarung über die Vergütung der Wahlleistung Arzt/Patient (BGH 138, 91, 96), zw einer Trennungsabrede unverheirateter Partner und einer Unterhaltsregelung für das gemeinsame Kind (Zweibrücken NJW-RR 1993, 1478) sowie zw einem Kreditvertrag und einem Umschuldungsvertrag (Düsseldorf WM 1986, 221, 223; Frankfurt NJW 1985, 745, 746). UU ist eine Geschäftseinheit auch anzunehmen zw einem Kaufvertrag über Einrichtungsgegenstände oder einem Bierlieferungsvertrag und einem Mietvertrag über die entspr Räume (BGH NJW 1983, 2027, 2028; Köln MDR 1997, 32) und zw einem Franchise-Vertrag und einem Mietvertrag (Nürnberg NZM 1998, 375). Verneint wurde ein solcher Zusammenhang zB: zw einer Vollmacht zum Erwerb eines Anteils an einem Fonds und der die im zugehörigen Zeichnungsschein enthaltenen Vollmacht zur Aufnahme von Darlehen für die Finanzierung (BGH NJW-RR 2007, 395, 396; offengelassen in BGH NJW 2007, 1131, 1133); zw Erbeinsetzung und Übergabevertrag (Hamm DNotZ 1996, 671, 673), Schiedsvertrag und Hauptvertrag (BGH 53, 315, 318f; NJW 1979, 2567, 2568), Darlehensvertrag und Pfandbestellung (RG 86, 323, 324; s aber oben BGH NJW 1994, 2885), Rahmenvertrag und Einzellieferungsverträgen (BGH NJW 1997, 933, 934), Künstlervertrag und Verlagsvertrag (Frankfurt NJW 2004, 616), zw einem Leasingvertrag und einem Werbevertrag des Leasingnehmers mit einem Dritten, nach dem eine Erstattung der Leasingraten für die Werbung von Neukunden erfolgen soll (BGH NJW 2011, 2874, 2877) oder einem Geschäftsanteilsübertragungsvertrag und einem damit wirtschaftlich zusammenhängenden Treuhandvertrag, wenn dieser nicht gleichfalls notariell beurkundet wurde (BGH NJW 2016, 3525, 3526). Ob Grundgeschäft und abstraktes Erfüllungsgeschäft ein einheitliches Rechtsgeschäft iSd § 139 bilden können, ist str. Während Rspr und ein Teil der Lit (BGH 31, 321, 323; NJW 1967, 1128, 1130; 2005, 415, 417; NJWRR 1989, 519; 2003, 733, 735; BAG NJW 1967, 751; Pal/Ellenberger Rn 7; Eisenhardt JZ 1991, 271ff) der Ansicht sind, dass über § 139 auch die durch die abstrakte Natur des Verfügungsgeschäfts bewirkte Trennung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft überwunden werden kann, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine derartige Abrede bestehen, geht das Schrifttum (Soergel/Hefermehl Rn 20; Staud/Roth Rn 54ff; Jauernig/Mansel Rn 3; Flume AT II § 12 III 4; Medicus/Petersen AT Rn 241, 504) überwiegend davon aus, dass das Abstraktionsprinzip die Zusammenfassung dieser Geschäfte zu einer Geschäftseinheit verbietet. Dem ist zu folgen, da die Annahme einer Geschäftseinheit eine unzulässige Umgehung des Abstraktionsprinzips darstellt. Dieses ist der privatautonomen Gestaltung vorgegeben und schließt daher entspr Abreden der Parteien aus (Flume AT II § 12 III 4). Soweit das Erfüllungsgeschäft jedoch bedingungsfreundlich ist, können die Parteien dieses Geschäft unter der Bedingung (§ 158) der Gültigkeit des Kausalgeschäfts schließen. Für die Annahme einer solchen Bedingung ist jedoch nur Raum, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine gewollte Verknüpfung dieser Art sprechen, etwa wenn die Parteien über die Gültigkeit des Kausalgeschäfts im Ungewissen sind (Flume AT II § 12 III 4). IÜ kann aber ein Mangel des Kausalgeschäfts, soweit er nicht auch beim Verfügungsgegeschäft gegeben ist, nicht dessen Unwirksamkeit herbeiführen. Entspr gilt erst recht für den umgekehrten Fall, dass allein das Verfügungsgeschäft nichtig ist (s für den Erbverzicht Düsseldorf ZEV 2014, 265f). b) Nichtigkeit. Erforderlich ist weiterhin die Nichtigkeit eines Teils des Rechtsgeschäfts. Auf welchem Grund die teilw Nichtigkeit beruht, ist grds unerheblich. Die Teilnichtigkeit kann sich zB aus einem Formmangel (§ 125), 400

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Willenserklärung

§ 139

aus einem Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134) oder der Sittenwidrigkeit eines Geschäftsteils (§ 138) ergeben. Ferner kann die Nichtigkeit auch aus einer zulässigen Teilanfechtung folgen (BGH NJW 1969, 1759; s § 143 Rn 3). Anwendbar ist § 139 auch dann, wenn das Gesetz ein Rechtsgeschäft nicht ausdr als „nichtig“ bezeichnet, sondern nur die Unwirksamkeit anordnet (allg M, s nur Staud/Roth Rn 33; Wolf/Neuner AT § 56 Rn 2) Erfasst ist damit auch die Unwirksamkeit eines Vergleichs nach § 779 (Köln OLG 1972, 42, 49). Ferner gilt die Vorschrift bei schwebender Unwirksamkeit eines Teils des Geschäfts (BGH 53, 174, 179; KG DNotZ 2004, 795, 796; BeckOK/Wendtland Rn 3). Erst recht ist § 139 anwendbar, wenn in diesen Fällen das Rechtgeschäft wegen Verweigerung der erforderlichen Genehmigung (§§ 108, 177) endgültig unwirksam geworden ist (Staud/Roth Rn 33). Anwendbar soll die Vorschrift nach verbreiteter Auffassung auch dann sein, wenn ein Rechtsgeschäft infolge eines Verbraucherwiderrufs unwirksam ist (NK/Faust Rn 42; MüKo/Busche Rn 8; vgl auch BGH 128, 155, 265). Gleiches soll gelten, wenn bei zwei an sich selbständigen, aufgrund des Parteiwillens zu einem einheitlichen Rechtsgeschäft verbundenen Vereinbarungen eine Partei von einer der Vereinbarungen zurücktritt; das Rücktrittsrecht soll hier nur einheitlich ausgeübt werden können (BGH NJW 1976, 1931, 1932). Dagegen ist § 139 nicht anzuwenden, wenn die Vertragsschließenden später einen Teil des früheren Rechtsgeschäfts vertraglich wieder aufheben (BGH FamRZ 1990, 975, 976). Ob bei einer durch spätere Gesetzesänderung herbeigeführten Teilnichtigkeit § 139 Anwendung findet, ist umstr (bejahend BGH NJW 1952, 299; Flume AT II § 32, 6; Soergel/Hefermehl Rn 35; aA RG 146, 366, 368; BGH 17, 41, 49). Dies wird man indes nicht mit der Erwägung ablehnen können, dass nach § 139 auf den Willen der Parteien bei Vertragsschluss abzustellen sei und somit nur zu diesem Zeitpunkt bestehende Nichtigkeitsgründe berücksichtigt werden könnten (so aber RG 146, 366, 368); denn § 139 ist ohnehin nicht anwendbar, wenn den Parteien die Teilnichtigkeit bekannt ist (Flume AT II § 32, 6; s auch Rn 23). Wenn die Vorschrift vorsieht, dass über die Gesamtnichtigkeit der mutmaßliche Parteiwille entscheidet, passt dies auch bei nachträglicher Teilnichtigkeit. Die Vorschrift sollte daher auch in diesem Fall gelten. c) Teilbarkeit. Objektive Voraussetzung für den Fortbestand eines Rechtsgeschäfts ohne einen nichtigen Teil ist die Teilbarkeit des Rechtsgeschäfts. Sie ist gegeben, wenn bei Wegfall eines Teils des Rechtsgeschäfts ein Rest bleibt, der als selbständiges Rechtsgeschäft bestehen bleiben kann (RG 93, 334, 338; BGH NJW 1962, 912, 913). Sie kann sich zunächst daraus ergeben, dass einzelne Bestimmungen eines Rechtsgeschäfts wie etwa Gewährleistungsregeln unwirksam sind. Teilbar ist auch ein einheitliches, aus mehreren Geschäftstypen zusammengesetztes Rechtsgeschäft (s Rn 12), wenn die Nichtigkeit nur eines der Geschäfte betrifft. Freilich wird in diesem Fall gerade der Parteiwille, der die Verknüpfung der Geschäfte begründet, für die Gesamtnichtigkeit sprechen. Teilbar kann ein Rechtsgeschäft auch in quantitativer Hinsicht sein. Eine derartige Aufspaltung in einen nichtigen und einen wirksamen Teil ist insb dann denkbar, wenn sich die Nichtigkeit aus der vereinbarten Vertragsdauer oder dem Leistungsumfang, insb dem vereinbarten Entgelt oder der Menge verkaufter Sachen ergibt. Wird etwa von der Genossenschaft einem Mitglied ein Kredit unter Verstoß gegen § 22 IV GenG gewährt, so soll sich die Nichtigkeit auf die Kreditierung der Geschäftsanteile beschränken und nicht den gesamten Darlehensvertrag erfassen (BGH NJW 1983, 1420). Ferner wird zB die Zerlegung eines von einem Vormund für einen Mündel ohne die nach § 1822 Nr 5 erforderliche Genehmigung des FamG geschlossenen Pachtvertrags in zeitlicher Hinsicht insoweit zugelassen, als die Aufrechterhaltung eines solchen Vertrags bis zu einem Jahr nach Volljährigkeit möglich ist (BGH NJW 1962, 734). Entspr soll für ein – gesellschaftsrechtlich ausnahmsweise zulässiges – Hinauskündigungsrecht gelten, das den anderen Gesellschaftern die Prüfung ermöglichen soll, ob mit dem neuen Gesellschafter das notwendige Vertrauen hergestellt werden kann: Wird für die Ausübung des Kündigungsrechts eine unzulässig lange Frist vorgesehen, soll eine Reduzierung auf eine angemessene Frist möglich sein (BGH NZG 2007, 583, 585). Gleiches gilt hins der Laufzeit einer schuldrechtlichen Vereinbarung, mit der sich der Erbbauberechtigte zum Ankauf des Erbbaugrundstücks auf Verlangen des Grundstückseigentümers verpflichtet (BGH NJW-RR 2013, 1028, 1030). Teilbar ist auch ein Staffelmietvertrag, der erst für spätere Jahre gegen § 557a verstößt (BGH NJW 2012, 1502, 1503). Ergibt sich die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts aus einer sittenwidrigen Bindungsdauer oder einer nichtigen räumlichen Erstreckung (Bsp: räumlich zu sehr ausgedehntes Wettbewerbsverbot), kann unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls eine Aufteilung in einen gültigen und einen ungültigen Teil erfolgen. So soll eine wegen übermäßig langer Laufzeit unzulässige schuldrechtliche Vereinbarung, mit der sich der Erbbauberechtigte zum Ankauf des Erbbaugrundstücks auf Verlangen des Grundstückseigentümers verpflichtet, nach § 139 auf eine angemessene Bindungsdauer zu reduzieren sein (BGH NJW-RR 2013, 1028, 1030). Folgt die Nichtigkeit jedoch aus der Vereinbarung eines wegen seiner Höhe sittenwidrigen Entgelts, ist die Zerlegung in einen angemessenen und einen unangemessenen Teil nicht möglich (vgl § 138 Rn 30). Auch iÜ ist bei sittenwidrigen Geschäften bei einer quantitativen Aufteilung – und damit einer geltungserhaltenden Reduktion – besondere Sorgfalt bei Ermittlung des mutmaßlichen Parteiwillens geboten, da andernfalls sittenwidrige Rechtsgeschäfte das Risiko verlören, das mit der Anordnung der Nichtigkeit verbunden ist (BGH NJW 2009, 1135, 1136f; s auch NK/Faust Rn 31ff). Eine Teilbarkeit des Rechtsgeschäfts kann auch in subjektiver Hinsicht bestehen. Sie kommt in Betracht, wenn mehrere Personen auf einer Seite des Rechtsgeschäfts beteiligt sind (RG 59, 174, 175; BGH 53, 174, 179; NJW 1991, 39, 40). Ist die Erklärung eines Beteiligten nichtig, greift § 139 ein. Dieses ist insb bei einem GesamtArnold

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schuldverhältnis der Fall (RG 99, 52, 55; 138, 270, 272; Karlsruhe NJW-RR 1991, 947, 948). Wenn bei einer Mehrheit von Bürgen oder Bürgschaftsgläubigern eine einzelne Bürgschaftsbeziehung unwirksam ist, können die übrigen Bürgschaftsbeziehungen gem § 139 erhalten bleiben (RG 138, 279, 271f für Mitbürgen; BGH NJW 2001, 3327, 3328f für Mehrheit von Bürgschaftsgläubigern). Teilbarkeit besteht auch bei einem Geschäftsabschluss durch einen vollmachtlosen Vertreter im eigenen und zugleich im fremden Namen (vgl BGH NJW 1970, 240, 241). Ist hingegen die Erklärung eines Gesamtvertreters nichtig, scheidet eine Teilbarkeit aus, da die Erklärungen der anderen Vertreter nicht allein bestehen können (BGH 53, 210, 214f). Ist die nichtige Erklärung eines Beteiligten für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts rechtlich überflüssig, liegt keine Teilnichtigkeit iSd § 139 vor (Flume AT II § 32, 2b; Soergel/Hefermehl Rn 28; aA BGH 3, 206, 209). Dagegen soll 139 Anwendung finden, wenn bei einem von mehreren Verbrauchern mit einem Unternehmer abgeschlossenen Darlehensvertrag einer den Widerruf erklärt (BGH NJW 2017, 243, 245). 22 d) Kein abweichender Parteiwille. Wird die Teilnichtigkeit festgestellt, ist zu prüfen, ob nach dem Willen der Beteiligten der Rest des Geschäfts nichtig oder gültig sein soll (vgl Rn 10). Erst wenn die Parteien weder eine ausdr noch eine konkludente Regelung für den Fall der Teilnichtigkeit getroffen haben, ist nach § 139 auf den mutmaßlichen Parteiwillen abzustellen. Maßgeblich ist, welche Entscheidung die Beteiligten bei Kenntnis der Sachlage vernünftigerweise nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte geschlossen hätten (BGH NJW 1986, 2576, 2577; 1993, 1587, 1589; NJW-RR 2005, 1290, 1291). Dabei kommt es nicht auf die Sicht eines objektiven Dritten, sondern den Standpunkt der Parteien an; ihre (mutmaßliche) Sicht ist auch dann entscheidend, wenn sie objektiv unvernünftig ist (Medicus/Petersen AT Rn 508; vgl auch BGH NJW 2004, 3045, 3046; 2006, 2696, 2697: Die Parteien wollten „idR“ das objektiv Vernünftige). Zu berücksichtigen sind auch einseitige, nicht zum Vertragsinhalt gewordene Interessen einer Partei, da keiner Seite die Geltung des wirksamen Geschäftsteils aufgezwungen werden darf (Flume AT II § 32, 5; Medicus/Petersen AT Rn 508). Führt die Auslegung nicht zu einem klaren Ergebnis, greift die Auslegungsregel des § 139 ein, und das Rechtsgeschäft ist insgesamt nichtig. 22a Ist nur ein geringfügiger Teil des Geschäfts nichtig, wird es regelmäßig dem Willen der Beteiligten entsprechen, den im Vordergrund stehenden überwiegenden Teil des Geschäfts aufrechtzuerhalten. Das gilt insb, wenn für eine nichtige (Neben-)Abrede eine gesetzliche Regelung eingreift. Bei nichtiger Vereinbarung überlanger Vertragslaufzeiten, die sich im Wege geltungserhaltender Reduktion auf ein zulässiges zeitliches Maß reduzieren lassen (Bsp: Dauer einer Bezugsbindung, etwa bei einem Bierlieferungsvertrag; zeitliche Überdehnung eines Wettbewerbsverbotes), wird idR ebenfalls ein auf Fortbestand des Gesamtgeschäfts gerichteter (hypothetischer) Parteiwille anzunehmen sein (s zu den Grenzen einer derartigen geltungserhaltenden Reduktion allerdings Rn 20). Ebenso soll eine zeitlich zu weit reichende Vereinbarung einer Staffelmiete nicht insgesamt, sondern nur insoweit unwirksam sein, wie sie über das zeitlich zulässige Maß hinausgeht (BGH NJW-RR 2009, 306; NJW 2012, 1502, 1503). Bloße Teilnichtigkeit kann auch bei Beschlüssen in einer Gesellschaft oder einer WE-Gemeinschaft in Betracht kommen, bei denen mehrere Gegenstände zusammengefasst werden und ein Teil nichtig ist (BGH NZG 2015, 867, 870f für Hauptversammlungsbesschlüsse in der AG; KG NJW-RR 2016, 716 für die WE-Gemeinschaft). 23 Bei beiderseitiger Kenntnis der Teilnichtigkeit ist § 139 nicht anwendbar, so dass danach das Restgeschäft gültig bleibt (RG 68, 322, 326; BGH 45, 376, 379; vgl auch BGH NJW 1999, 351). Dies wird von der Rspr damit begründet, dass es hins des nichtigen Teils am Erklärungsbewusstsein und damit an einem Rechtsgeschäft fehle; das Rechtsgeschäft werde daher in diesen Fällen allein vom gültigen Teil gebildet, so dass § 139 von vornherein nicht anwendbar sei (BGH 45, 376, 379). IÜ lässt sich dieses Ergebnis aber jedenfalls mit der Erwägung rechtfertigen, dass sich die Teilnichtigkeit bei Koppelung einer bewusst unwirksamen Erklärung mit einer wirksamen nach dem Parteiwillen nicht auf das gesamte Geschäft erstrecken soll (Medicus/Petersen AT Rn 507). Hat nur einer der Beteiligten die Teilnichtigkeit gekannt, aber erklärt, den Erfolg zu wollen, muss er sich entspr § 116 an seinen erklärten Willen binden lassen. 24 5. Rechtsfolge. Ist nicht anzunehmen, dass das ganze Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde, tritt Gesamtnichtigkeit ein. Diese kann von jedermann geltend gemacht werden und ist im Prozess von Amts wegen zu berücksichtigen (Pal/Ellenberger Rn 16). Der Geltendmachung der Nichtigkeit kann aber die Einrede der Arglist entgegenstehen, wenn sich zB eine Partei auf die Nichtigkeit von einzelnen Bestimmungen, die nur dem Vorteil und dem Schutz der anderen Partei dienen sollen, und auf die damit nach § 139 BGB eintretende Nichtigkeit des ganzen Vertrags beruft, um sich ihrer Vertragspflichten insgesamt zu entledigen (BGH NJW 1967, 245; WM 1983, 267, 268; Schleswig NJW-RR 2006, 1665, 1667). Die Berufung auf die Gesamtnichtigkeit kann auch dann arglistig sein, wenn der nichtige Teil des Rechtsgeschäfts bei der Durchführung des übrigen Geschäfts bedeutungslos geblieben ist (RG 153, 59, 61; BGH 112, 288, 296). Ferner soll einer Partei die Berufung auf die Nichtigkeit des gesamten, bereits erfüllten Vertrags verwehrt sein, wenn diese Vorteile aus der Erfüllung gezogen hat, die nicht mehr sachgemäß rückabgewickelt werden können oder sogar bei dieser Partei unwiederbringlich verbleiben müssten (Düsseldorf MittRhNotK 2000, 339, 341). 25 6. Beweislast. Wer in einem Rechtsstreit geltend macht, das Rechtsgeschäft sei wegen Nichtigkeit eines Teils insgesamt nichtig, muss die str Tatsachen beweisen, die zur Nichtigkeit eines Teils des Rechtsgeschäfts erforderlich sind. Trägt er vor, dass mehrere formell selbständige Geschäfte zu einem einheitlichen Rechtsgeschäft zusammengefasst sind, so muss er die dafür erheblichen Tatsachen beweisen (BGH NJW 1997, 3304, 3307). Ist eine für die Ermittlung des (hypothetischen) Willens der Parteien erhebliche Tatsache str, so hat dafür derjenige die 402

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Willenserklärung

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Beweislast, der geltend macht, dass das Geschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre (BGH NJW 1970, 1414, 1415; NJW-RR 1997, 684, 685; 2005, 1290, 1291). Enthält das Rechtsgeschäft eine salvatorische Klausel, so verkehrt diese die Nichtigkeitsvermutung des § 139 in ihr Gegenteil; die Darlegungs- und Beweislast für alle Umstände, die gleichwohl die Gesamtnichtigkeit begründen sollen, trifft dann denjenigen, der sich entgegen der Klausel auf die Nichtigkeit beruft (s Rn 10).

§ 140

Umdeutung

Entspricht ein nichtiges Rechtsgeschäft den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts, so gilt das letztere, wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. 1. Bedeutung. Die Umdeutung (Konversion) eines nichtigen Rechtsgeschäfts in ein anderes – gültiges – Rechtsgeschäft (Ersatzgeschäft) soll dem Willen der Parteien auch dann möglichst zum Ziel verhelfen, wenn das von ihnen primär gewählte rechtliche Mittel unzulässig ist. Sofern die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit – etwa im Hinblick auf das im Wesentlichen gleiche Ergebnis – das andere gültige Geschäft gewollt hätten, soll nach § 140 dieses Geschäft gelten. Die Umdeutung knüpft damit an den von den Parteien gewollten wirtschaftlichen Erfolg an; um ihn – zumindest im Wesentlichen – zu erreichen, wird das unzulässige Mittel durch ein (hypothetisch) hilfsweise gewolltes zulässiges ersetzt. 2. Anwendungsbereich. Umdeutungsfähig sind zunächst alle privatrechtlichen Rechtsgeschäfte (Einzelheiten Rn 8). Auf fehlerhafte Prozesshandlungen kann § 140 analog angewandt werden (BGH 100, 383, 387; NJW 1962, 1820; 2001, 1216, 1217; NJW-RR 2008, 1876, 1877; 2016, 445; vgl auch BSG NZS 2004, 334, 336). So kann etwa ein unwirksamer Prozessvergleich als außergerichtlicher materiellrechtlicher Vergleich Bestand haben (BGH NJW 1985, 1962, 1963). Ebenso kann ein unzulässiges Rechtsmittel in ein zulässiges umgedeutet werden (BGH 100, 383, 387; NJW 1962, 1820; 2001, 1217, 1218). Möglich ist auch die Umdeutung einer unzulässigen Hauptberufung in eine unselbständige Anschlussberufung (BGH NJW-RR 2016, 445). Die Umdeutung von Erklärungen an das Grundbuchamt ist dagegen nur in den durch die Formalisierung gezogenen Grenzen möglich; sie setzt voraus, dass das Grundbuchamt ohne weitere Ermittlungen anhand der urkundlichen Unterlagen zu einer abschließenden Würdigung in der Lage ist (BayObLG NJW 1953, 1914; NJW-RR 1997, 1237, 1238; 1511, 1512; KG NJW 1967, 2358, 2359; Düsseldorf DNotZ 1977, 305, 307). Für das öffentliche Recht ergibt sich die Anwendbarkeit des § 140 auf öffentlich-rechtl Verträge schon aus § 62 S 2 VwVfG. Bei öffentlich-rechtl Willenserklärungen soll eine analoge Anwendung des § 140 möglich sein (OVG Münster NVwZ 1984, 655; NVwZ-RR 1998, 70; offengelassen in NVwZ 1990, 677; Pal/Ellenberger Rn 1; skeptisch MüKo/Busche Rn 11). Für Verwaltungsakte gelten die Spezialregelungen der § 47 VwVfG, § 128 AO, § 43 SGB X. 3. Abgrenzung. a) Auslegung. Der Umdeutung nach § 140 muss die Auslegung (§§ 133, 157) vorangehen (BAG NJW 2006, 2284, 2286; Soergel/Hefermehl Rn 1; Medicus/Petersen AT Rn 517). Für eine Umdeutung ist daher zB kein Raum, wenn die Auslegung ergibt, dass die Parteien etwas vom Wortlaut des Geschäfts Abw gewollt haben und das übereinstimmend Gewollte gültig ist (falsa demonstratio; § 133 Rn 18). Führt die Auslegung zu dem Ergebnis, dass die Parteien für den Fall der Nichtigkeit eine Ersatzregelung getroffen haben, so gilt die Ersatzregelung unter der Voraussetzung, dass das primär Gewollte nichtig und das hilfsweise Vereinbarte gültig ist; auf den hypothetischen Willen kommt es nicht an. Eine Konversion scheidet schließlich auch dann aus, wenn die Auslegung ergibt, dass die Parteien im Falle der Nichtigkeit eine Umdeutung nicht wollten; dann bleibt es bei der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, vgl Rn 16. Aus dem Vorrang der Auslegung vor der Umdeutung folgt auch das Verhältnis von § 140 zur wohlwollenden Auslegung von Testamenten (§ 2084). Diese scheidet aus, wenn der Erblasserwille auf einen nichtigen Inhalt gerichtet ist; in diesem Fall kommt allein die Umdeutung in Betracht (MüKo/Leipold § 2084 Rn 58; NK/Fleindl § 2084 Rn 58; Berneith, Die Konversion, 2016, S 25; aA Kipp/Coing ErbR14 1990, 147: § 2084 bezieht sich anders als § 140 nur auf einzelne Bestimmungen innerhalb eines Rechtsgeschäfts). Unklar ist das Verhältnis der Umdeutung zur erg Auslegung (s § 133 Rn 20). Teilw wird darauf abgestellt, dass die erg Auslegung einen wirksamen, aber lückenhaften Vertrag voraussetze, während § 140 bei einem nichtigen Vertrag eingreife (Staud/Roth Rn 8). Nach aA soll es sich bei der Umdeutung dagegen um einen Spezialfall der erg Auslegung handeln (Erman/Palm12 Rn 7; NK/Faust Rn 3). Praktische Konsequenzen dürften sich aus dieser Kontroverse freilich kaum ergeben, da § 140 jedenfalls als vorrangige Spezialregelung anzusehen ist. b) Teilnichtigkeit. § 139 behandelt den Fall, dass nur ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig ist, und regelt die Auswirkungen auf den gültigen Teil des Rechtsgeschäfts. Dagegen betrifft § 140 die nichtige Regelung selbst (NK/Faust Rn 4). Unklar ist, ob § 140 bei einem teilnichtigen Geschäft auf den unwirksamen Teil angewandt werden kann (dafür Erman/Palm12 Rn 6; NK/Faust Rn 12; aA MüKo/Busche Rn 12; Staud/Roth Rn 14; offenlassend BGH NJW 1986, 58, 59). Insoweit dürfte freilich Zurückhaltung geboten sein. Im Hinblick auf den Parteiwillen wird regelmäßig die Frage vorrangig sein, ob der wirksame Teil allein aufrecht erhalten werden kann. Ist dies der Fall, ist wegen des Vorrangs der Auslegung für § 140 kein Raum (Berneith, Die Konversion, 2016, S 35f). c) Gesetzliche Sonderregelungen. Gelegentlich enthält das Gesetz Spezialregelungen zur Behandlung unwirksamer Rechtsgeschäfte. So ist etwa nach § 150 II die verspätete Annahme als neuer Antrag zu behandeln. Als weitere Sonderregelungen werden §§ 550 S 1, 2301 genannt (MüKo/Busche Rn 5; Staud/Roth Rn 5). Arnold

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4. Voraussetzungen der Umdeutung. a) Rechtsgeschäft. In Betracht kommen alle Arten von Rechtsgeschäften. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Verpflichtungs- oder Verfügungsgeschäft (s RG 66, 24, 28) handelt. Auch familienrechtliche Rechtsgeschäfte sind umdeutbar (Karlsruhe NJW 1977, 1731). Rechtsgeschäfte unter Lebenden sind in Geschäfte von Todes wegen und diese in Geschäfte unter Lebenden umdeutbar (vgl Staud/Roth Rn 9). Schließlich werden nicht nur Verträge (BGH NJW 1963, 339), sondern auch einseitige Rechtsgeschäfte von § 140 erfasst. So ist möglicherweise eine Anfechtung in einen Rücktritt (BGH NJW 2006, 2839, 2842) oder in einen Widerruf, eine außerordentliche Kündigung eines Dienst- oder Arbeitsvertrags in eine ordentliche Kündigung umzudeuten (Einzelheiten Rn 20). Bei einem wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit eines Teils unwirksamen mehrseitigen Rechtsgeschäft (zB Erbvertrag, gemeinschaftliches Testament) kommt eine Umdeutung in ein einseitiges Rechtsgeschäft des vollgeschäftsfähigen anderen Teils in Betracht (zB Testament; Einzelheiten Rn 21). b) Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. § 140 setzt die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts voraus. Der Grund der Nichtigkeit ist grds gleichgültig. Anwendbar ist die Vorschrift auch dann, wenn das Gesetz ein Rechtsgeschäft nicht ausdr als „nichtig“, sondern als unwirksam bezeichnet (BGH 40, 218, 222; Staud/Roth Rn 14). § 140 ist daher zB auch auf eine wegen Fehlens eines wichtigen Grundes unwirksame außerordentliche Kündigung anwendbar (s Rn 20; ferner nur Pal/Ellenberger Rn 3). Auch ein zunächst schwebend unwirksames Geschäft ist umdeutbar, wenn es (zB durch Verweigerung der Genehmigung) endgültig unwirksam geworden ist (BGH 40, 218, 222; Staud/Roth Rn 14). Dagegen kommt ein Rückgriff auf § 140 nicht in Betracht, solange das Geschäft noch wirksam werden kann (BGH 40, 218, 222; ZIP 2009, 264, 266; vgl auch BGH 125, 355, 363f; Medicus/Petersen AT Rn 518); dasselbe gilt, solange die Heilung eines formnichtigen Rechtsgeschäfts noch möglich ist (NK/Faust Rn 11). Keine Umdeutung ist möglich, wenn es bereits an einer Einigung zw den Parteien fehlt. Ist daher ein Vertrag wegen Dissenses nicht zustande gekommen, kann man durch Umdeutung nicht zu einem Vertragsschluss kommen (RG 93, 297, 300; NK/Faust Rn 10). Ebenso liegt bei einer nichtigen Scherzerklärung (§ 118) keine Willenserklärung vor, die umgedeutet werden könnte (MüKo/Busche Rn 12). Bei Nichtigkeit des Geschäfts wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit scheitert an dieser auch eine Umdeutung in ein gültiges Geschäft (Staud/Roth Rn 17; Flume AT II § 32, 9c). Ausgeschlossen ist eine Umdeutung ferner, wenn der Vertragsschluss daran scheitert, dass von zwei Gesamtvertretern einer die Genehmigung des Geschäfts verweigert (BGH WM 1982, 155, 156). Bei einem Scheingeschäft geht § 117 II dem § 140 vor (MüKo/Busche Rn 12; Mühlhans NJW 1994, 1049). Keine Umdeutung kommt entgegen teilw noch vertretener Auffassung (s MüKo/Busche Rn 13) im Fall der Unmöglichkeit der Leistung in Betracht, da auch die anfängliche objektive Unmöglichkeit nach der Schuldrechtsreform nicht mehr zur Nichtigkeit des Vertrags führt. Umstr ist, ob auch ein wirksam angefochtenes Rechtsgeschäft der Umdeutung zugänglich ist. Für die Möglichkeit einer Umdeutung wird geltend gemacht, dass es sich bei einem angefochtenen Rechtsgeschäft nicht um ein Nicht-Rechtsgeschäft, sondern um ein nichtiges Geschäft handele, das wie jedes andere nichtige Geschäft umdeutbar sei (Erman/Palm12 Rn 11; Soergel/Hefermehl Rn 3; Staud/Roth Rn 15). Nach anderer Auffassung ist für eine Umdeutung kein Raum mehr, da durch die Anfechtung die Erklärung als Grundlage für ein Ersatzgeschäft entfallen sei (Flume AT II § 32, 9c; Medicus/Petersen AT Rn 518). Praktisch wird in diesen Fällen eine Umdeutung freilich ohnehin kaum in Betracht kommen. IdR wird es allein darum gehen können, ob das Geschäft mit dem Inhalt, den der Anfechtende eigentlich gewollt hat, aufrechterhalten werden kann. Diese Möglichkeit folgt aber nicht aus § 140, sondern aus dem Grundsatz, dass die Anfechtung kein Reuerecht darstellt (s § 119 Rn 48). Von vornherein ausgeschlossen ist die Umdeutung iÜ vor der Anfechtung; denn bis zur Anfechtung ist das anfechtbare Geschäft wirksam. c) Wirksames Ersatzgeschäft. Das nichtige Geschäft muss den Erfordernissen eines anderen entsprechen. Dieses Ersatzgeschäft braucht aber nicht als ein Minus in dem nichtigen Geschäft enthalten zu sein (vgl dahingehend aber zB BGH 19, 269, 275; 20, 369, 370; NJW 1963, 339, wo es heißt, das Ersatzgeschäft müsse in dem nichtigen Rechtsgeschäft enthalten sein). Denn bei der Umdeutung handelt es sich nicht um einen besonderen Fall der Teilnichtigkeit; das andere Geschäft braucht von den Parteien nicht wirklich vorgenommen worden zu sein (so aber Flume AT II § 32, 9c), sondern nur dem hypothetischen Willen zu entsprechen (Medicus/Petersen AT Rn 519 f; Staud/Roth Rn 21). Zwar wird das Ersatzgeschäft vielfach geringere Rechtswirkungen auslösen, als mit dem nichtigen Geschäft bezweckt ist (zB vertragliches Zurückbehaltungsrecht anstelle der nichtigen Verpfändung, RG 124, 28, 30; Übertragung des Anwartschaftsrechts anstelle der Übereignung einer fremden Sache, vgl Staud/ Roth Rn 73); erforderlich ist das aber nicht. So steckt in der Übereignung aufgrund vorweggenommener Erbfolge kein Erbvertrag; dennoch ist eine Umdeutung möglich (vgl BGH 40, 218, 221). Entscheidend ist allein, dass der wirtschaftliche Erfolg, den die Parteien mit dem nichtigen Geschäft erreichen wollten, im Wesentlichen oder wenigstens teilw durch das andere Geschäft erreicht wird (RG 110, 391, 392; BGH 68, 204, 206; Staud/Roth Rn 21). Das Ersatzgeschäft darf also ggü dem nichtigen ein Weniger und auch ein Aliud, nicht aber ein Mehr darstellen (BGH 19, 269, 275; 20, 363, 370; 125, 355, 363; BAG DB 1975, 214; NJOZ 2006, 1859, 1864f). Die Umdeutung kann auch zu einer Veränderung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung oder zu einer Herabsetzung der Gegenleistung im Interesse des Gleichgewichts führen (BGH VIZ 2004, 326, 328). Ein Aliud in der Rechtsfolge gibt aber Anlass, den hypothetischen Willen besonders sorgfältig zu prüfen. Die Umdeutung darf insb nicht zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes über die rechtlichen Beziehungen hinaus führen, die die Parteien regeln wollten (BGH 92, 363, 370; NJW 1997, 521, 522). Die Grenze für eine Umdeutung liegt 404

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demnach dort, wo das Ersatzgeschäft in seinen Wirkungen über das nichtige Geschäft hinausgeht, also etwa dem Schuldner größere Pflichten auferlegt. Infolgedessen kann eine Kündigungs- oder Rücktrittserklärung nicht in eine Anfechtungserklärung wegen Irrtums umgedeutet werden, weil diese einen Schadensersatzanspruch nach § 122 zur Folge hätte (BGH BB 1965, 1083; BAG NJW 1976, 592); entspr gilt für die Umdeutung eines Verlangens auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung in eine Kündigung nach § 649 (Karlsruhe NJW-RR 1993, 1368, 1369); im Versicherungsrecht scheitert die Umdeutung einer unwirksamen Rücktrittserklärung in eine Anfechtung gem § 123 daran, dass bei wirksamer Anfechtung § 21 II VVG ausgeschlossen wird (BGH NJW-RR 1997, 1112, 1113); wohl aber kann umgekehrt eine Anfechtung in eine Kündigung oder in einen Rücktritt umgedeutet werden (BGH NJW 1975, 1700, 1701; für das Versicherungsrecht vgl einerseits bejahend Hamm VersR 1981, 275, andererseits Köln VersR 1993, 297). Eine nichtige Bestellung eines Pfandrechts ist nicht in eine Sicherungsübereignung umdeutbar, weil diese weitergehende Folgen nach sich zieht (Soergel/Hefermehl Rn 5). Das Ersatzgeschäft selbst darf nicht an einem Nichtigkeitsgrund leiden. Deshalb müssen alle Gültigkeitsvoraussetzungen (zB Geschäftsfähigkeit, Verfügungsmacht, Form) gegeben sein. Fehlende Tatbestandsmerkmale dürfen nicht fingiert werden (RG JW 1938, 45; MüKo/Busche Rn 16). Bei einem nach § 138 nichtigen Geschäft ist zu beachten, dass eine Umdeutung immer nur dann zulässig sein soll, wenn das von den Parteien gewählte Mittel von der Rechtsordnung missbilligt wird, nicht aber, wenn mit dem Geschäft ein missbilligter Erfolg erstrebt wird (BGH 68, 204, 206; NJW 1986, 2944, 2945; Pal/Ellenberger Rn 7; Medicus/Petersen AT Rn 523). Die Umdeutung eines nach § 134 nichtigen Geschäfts kommt nur dann in Betracht, wenn das Ersatzgeschäft nicht gegen das gesetzliche Verbot verstößt. Niemals darf die Umdeutung dem Schutzzweck der Nichtigkeit zuwiderlaufen (Staud/Roth Rn 31; Wolf/Neuner AT § 57 Rn 11). Eine Formnichtigkeit steht der Umdeutung nicht zwingend entgegen; doch kann sie im Einzelfall im Hinblick auf den Zweck der betroffenen Formvorschrift ausgeschlossen sein (BGH NJW 1980, 2517; Hamm NJW 1988, 3022 – keine Umdeutung der formunwirksamen Bürgschaft in einen Schuldbeitritt; Staud/Roth Rn 30; Medicus/Petersen AT Rn 522). Für eine Umdeutung ist auch dann Raum, wenn das Ersatzgeschäft weniger fehlerhaft ist als das umzudeutende Geschäft. Das ist etwa der Fall, wenn ein nichtiges Geschäft in ein zwar auch nichtiges, aber durch Erfüllung heilbares Geschäft (RG 129, 122, 123), in ein schwebend unwirksames oder in ein wirksames, wenn auch anfechtbares Geschäft (Soergel/Hefermehl Rn 4) umgedeutet werden kann; denn in den beiden erstgenannten Fällen besteht die Möglichkeit, dass das Geschäft wirksam wird, und im letzten Fall ist das Ersatzgeschäft gültig, sofern es nicht wirksam angefochten wird. d) Hypothetischer Wille. Für eine Umdeutung genügt es nicht, dass das nichtige Geschäft den Erfordernissen eines wirksamen Ersatzgeschäfts entspricht. Dieses Ersatzgeschäft gilt nur dann, „wenn anzunehmen ist, dass dessen Geltung bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde“. Daraus folgt zunächst, dass eine Umdeutung ausscheidet, wenn die Parteien bei Abschluss des Geschäfts dessen Nichtigkeit kannten; wer ein Rechtsgeschäft in Kenntnis seiner Nichtigkeit vornimmt, ist nicht schutzwürdig; seinem Willen braucht nicht durch Umdeutung zum Erfolg verholfen zu werden (NK/Faust Rn 30; Mühlhans NJW 1994, 1049). Wenn die Parteien bei Geschäftsabschluss an die Nichtigkeit nicht gedacht haben, kann für die Umdeutung nicht auf die Ermittlung des wirklichen Willens abgestellt werden; vielmehr kommt es auf die Feststellung des mutmaßlichen Willens an. Für den hypothetischen Willen ist immer auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts abzustellen (BGH 40, 218, 223; 1980, 2517). Bei der Auslegung ist zu erforschen, ob die Parteien das Ersatzgeschäft geschlossen hätten, wenn sie bei Vornahme des Geschäfts dessen Nichtigkeit gekannt hätten (BGH 19, 269, 273; 40, 218, 223; 125, 355, 363; NJW 1980, 2517). Der Richter darf also nicht nach rein objektiven Gesichtspunkten den Inhalt des Rechtsgeschäfts bestimmen (BGH 19, 269, 273; 125, 355, 363; Soergel/Hefermehl Rn 8). Allerdings ist ein hypothetischer Wille, das Ersatzgeschäft gelten zu lassen, regelmäßig anzunehmen, wenn dadurch derselbe wirtschaftliche Erfolg erreicht wird wie durch das nichtige Rechtsgeschäft; im Allg kann davon ausgegangen werden, dass es den Parteien als vernünftig denkenden Menschen beim Vertragsschluss auf den von ihnen angestrebten wirtschaftlichen Erfolg angekommen ist (so BGH 19, 269, 273). Die Umdeutung darf nicht zu einer Bevormundung der Parteien führen. Besondere individuelle Willensrichtungen und Interessen sind zu beachten, soweit sie für das umzudeutende Geschäft bestimmend waren. Deshalb gibt es keine Umdeutung gegen den erkennbaren Willen der Parteien, auch wenn die Umdeutung wirtschaftlich vernünftig wäre (BGH 19, 269, 273; NJW 1980, 2350, 2352; NJW-RR 1986, 352, 353; Medicus/Petersen AT Rn 521). Haben die Parteien für den Fall der Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts eine gültige Ersatzregelung vorgesehen, greift diese ein; es bleibt kein Raum für eine Umdeutung. Ergibt die Auslegung, dass die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit von einem Abschluss des Geschäfts abgesehen hätten, hat eine Umdeutung zu unterbleiben. 5. Prozessuale Behandlung. Die Umdeutung tritt kraft Gesetzes ein, ohne dass es einer entspr Erklärung einer Partei bedürfte (BAG NJW 2002, 2972, 2973). Sie ist im Prozess von Amts wegen zu beachten (BGH NJW 1963, 339, 340). Macht eine Partei Rechtsfolgen aus einem umgedeuteten Geschäft geltend, hat sie für die von ihr für die Umdeutung behaupteten Tatsachen die Beweislast. 6. Einzelfälle. a) Abtretung. Die unwirksame Abtretung einer Forderung kann in eine Einziehungsermächtigung umgedeutet werden (BGH 68, 118, 125; NJW 1987, 3121, 3122; NJW-RR 2003, 51, 52; NJW 2007, 1957, 1959). Möglich ist auch die Umdeutung der Abtretung eines schuldrechtlichen Herausgabeanspruchs aus einem Sicherungsgeschäft in die Abtretung des auf Herausgabe des Erlöses gerichteten Bereicherungsanspruchs Arnold

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(Hamm MDR 1962, 985). Gleiches gilt für die Umdeutung der Abtretung des Nießbrauchs in die Überlassung der Nießbrauchsausübung (RG JW 1910, 801). b) Anfechtung. Eine Anfechtung kann in eine Kündigung (BGH NJW 1975, 1700, 1701; Hamm VersR 1981, 275) oder einen Rücktritt umgedeutet werden (BGH NJW 2006, 2839, 2842; aA für Anfechtung eines Versicherers Köln VersR 1990, 769). c) Arbeits- oder Dienstvertrag. Die Umdeutung des Angebots eines Betriebsübernehmers (§ 613a) auf Abschluss eines Arbeitsvertrags in ein Angebot zur Vertragsänderung ist möglich (BAG NJW 1977, 1470), eines Beamtenverhältnisses in ein Arbeitsverhältnis dagegen idR nicht (BAG NJW 1960, 358, 359). Die fristlose (außerordentliche) Kündigung eines Arbeits- oder Dienstvertrags ist in eine ordentliche (fristgemäße) Kündigung umdeutbar, falls die Kündigung erkennbar notfalls auch als ordentliche Kündigung gelten sollte (BAG AP Nr 10 § 626 Druckkündigung; NJW 1988, 581; 2002, 2972, 2973; NZA 2010, 1348, 1351f; BGH 20, 239, 249; NJW 1998, 76) und beim Arbeitsvertrag die – notwendige – (vorsorgliche) Anhörung des Betriebsrats auch zu der ordentlichen Kündigung erfolgte (BAG NJW 1976, 2366, 2377; 1979, 76, 77ff; 1988, 581, 582; 1994, 1891, 1893; s auch BAG NZA 2015, 866, 871); bei schwerbehinderten ArbN muss zudem das Integrationsamt nach § 85 SGB IX auch der ordentlichen Kündigung zugestimmt haben (BAG NJW 2014, 3180, 3182). Entspr gilt für die Umdeutung einer fristlosen außerordentlichen Kündigung in eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist (BAG NJW 2001, 1229, 1230). Ferner kann eine fristlose Kündigung in ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags umgedeutet werden (BAG AP Nr 64 z § 626; München NJW-RR 1995, 95 – Handelsvertretervertrag; LAG Düsseldorf BB 1996, 1119). Vorbehaltlich § 7 KSchG kann auch eine mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung in eine zum nächsten zulässigen Termin umgedeutet werden (BAG NZA 2010, 1409, 1411). Unzulässig ist dagegen die Umdeutung der formnichtigen Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses in eine Suspendierung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten (ArbG Berlin NJ 2003, 332) oder einer ordentlichen Kündigung in eine außerordentliche (BAG AP Nr 1 § 44 TV AL II) oder in eine Anfechtung des Arbeitsvertrags (BAG NJW 1976, 592). Wenn eine Betriebsvereinbarung über die Erhöhung der bisherigen Vergütung und über Weihnachtsgeld wegen Verstoßes gegen § 77 III BetrVG nichtig ist, kann die ihr zugrundeliegende Erklärung des Arbeitgebers ausnahmsweise unter der Voraussetzung in ein entspr Vertragsangebot an die einzelnen ArbN umgedeutet werden, dass besondere Umstände auf den Willen des Arbeitgebers schließen lassen, sich unabhängig von der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsform ggü den ArbN binden zu wollen (BAG NZA 1990, 69; 1996, 948, 949; 1997, 951, 954; 2016, 642, 645). d) Erbrecht. Ein gemeinschaftliches Testament, das nur von einem Ehegatten unterschrieben worden ist, kann in ein Einzeltestament umgedeutet werden, wenn dies dem Erblasserwillen entspricht (BayObLG NJW-RR 1992, 332, 333). Auch bei einem unwirksamen gemeinschaftlichen Testament von Nichteheleuten ist eine Umdeutung in Einzeltestamente möglich (Braunschweig NJW-RR 2005, 1027, 1028; München NJW-RR 2010, 1382, 1383). Beim gemeinschaftlichen Testament lassen sich aber wechselbezügliche Verfügungen nicht ohne weiteres in einseitige Verfügungen von Todes wegen umdeuten, wenn es an einer wirksamen korrespektiven Verfügung des anderen Ehegatten fehlt (Hamm NJW-RR 1996, 1290; Berneith, Konversion, 2016, S 134ff; großzügiger München NJW-RR 2010, 1382, 1383; 2014, 1354, 1355; Düsseldorf FGPrax 2016, 176, 177; differenzierend BeckOK/Litzenburger § 2265 Rn 21f). Ein nichtiger Erbvertrag kann, soweit der Erblasserwille dies zulässt, in ein gemeinschaftliches oder einfaches Testament (BayObLG NJW-RR 1996, 7, 8; Jena FamRZ 1994, 786) oder in einen schenkweisen Erlass (BGH NJW 1978, 423) umgedeutet werden. Zulässig ist die Umdeutung einer nach § 2302 nichtigen Verpflichtung zum Abschluss eines Erbvertrags in einen Vertrag zugunsten Dritter, sofern der Inhalt dieses Vertrags genügend konkret ist (BGH LM Nr 3; krit Berneith, Die Konversion, 2016, S 160f), sowie einer (wegen § 311b IV nichtigen) Erbteilsübertragung in einen Erbverzicht (BGH NJW 1974, 43, 44). Umdeuten lässt sich ausnahmsweise auch eine gem § 1365 unwirksame Vermögensübertragung unter Lebenden in einen Erbvertrag, wenn gewichtige Anhaltspunkte für einen dahingehenden hypothetischen Parteiwillen sprechen; durch die Umdeutung darf aber die Genehmigungsverweigerung nicht unterlaufen und der Schutzzweck des § 1365 nicht ausgehöhlt werden (BGH 40, 218, 220; 125, 355, 363; NJW 1980, 2350, 2353). Eine in den Scheidungsvergleich aufgenommene Verpflichtung, ein Testament nicht zu ändern, kann in einen Erbvertrag umgedeutet werden (Stuttgart NJW 1989, 2700, 2701), eine gegen § 2302 verstoßende Auflagenanordnung in eine Vor- und Nacherbschaftseinsetzung (Hamm NJW 1974, 60). Möglich ist auch die Umdeutung einer nach § 2065 II unwirksamen Regelung betreffend die Änderung der Nacherbenbestimmung in eine Nacherbeneinsetzung unter der Bedingung, dass der Vorerbe nicht anders verfügt (München NJW-RR 2016, 976, 977). Ein Erbschaftskauf kann in einen Erbauseinandersetzungsvertrag (RG 129, 122, 123) oder in die Abtretung der Erbauseinandersetzungsansprüche (RG 137, 171, 176) umdeutbar sein. Umgedeutet werden kann in einen Erbauseinandersetzungsvertrag auch die nach § 2033 unwirksame Veräußerung eines Erbschaftsgegenstandes (Bremen OLG 1987, 10, 11). Ferner soll ein Schenkungsversprechen oder ein schenkweise gegebenes Schuldanerkenntnis als ein Testament aufrechterhalten werden können (RG JW 1910, 467; Koblenz NJW 1948, 384; aA Flume AT II § 32, 9e). e) Handels- und Gesellschaftsrecht. Bei handelsrechtlichen Dauerbeziehungen (zB Vertragshändler) kommt je nach Lage des Einzelfalles ebenfalls – wie im Arbeits- und Dienstvertragsrecht – die Umdeutung einer außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung in Betracht (BGH NJW-RR 1992, 1059; Saarbrücken NJW-RR 1998, 1191, 1192). Möglich ist die Umdeutung der Anfechtung des Gesellschaftsvertrags in eine Kündigung aus wichtigem Grund (BGH NJW 1975, 1700, 1701), der Stimmrechtsübertragung eines Kommanditisten in einen gesellschaftsvertraglichen Stimmrechtsausschluss, verbunden mit der Erhöhung des Stimmrechts 406

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anderer Gesellschafter (BGH 20, 363, 370) und der unzulässigen Stimmrechtsübertragung oder -ermächtigung in eine widerrufliche Stimmrechtsvollmacht (Koblenz ZIP 1992, 844, 846; Hamburg NJW 1989, 1865, 1866). Die Übertragung eines Gesellschaftsanteils ist in die Abtretung der Ansprüche aus § 717 S 2 umdeutbar (RG Recht 1913 Nr 1424), nicht aber in die Auflassung eines Miteigentumsanteils an einem Grundstück, von dem die Beteiligten irrig angenommen haben, dass er zum Gesellschaftsvermögen gehöre (BayObLG NJW-RR 1999, 620, 621). Die Umdeutung eines Treuhandvertrags an einem GmbH-Geschäftsanteil in eine Unterbeteiligung ist nicht möglich, wenn die Parteien einen Zugriff auf die GmbH-Anteile als Ganzes vereinbaren wollten (Bamberg NZG 2001, 509, 510). Auch im Gesellschaftsrecht kann eine unwirksame außerordentliche Kündigung in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden (BGH NJW 1998, 1551; für einen Geschäftsführeranstellungsvertrag BGH NJW-RR 2000, 987, 988). Keinen Fall der Umdeutung stellt es dagegen – entgegen verbreiteter Auffassung (s nur BGH 19, 269, 272; Staud/Roth Rn 57; Erman/Palm12 Rn 23) – dar, wenn die Gesellschafter eine OHG gründen wollen, tatsächlich aber nur eine GbR zulässig wäre. Abgesehen davon, dass § 105 II HGB in vielen Fällen ohnehin auch bei Fehlen eines Handelsgewerbes den Zugang zur OHG eröffnet, entsteht hier bereits kraft Rechtsformzwangs statt einer OHG eine GbR (Flume AT I/1 § 13 III; vgl auch K. Schmidt, GesR4 § 44 I 1). Entspr muss im umgekehrten Fall gelten, dass die Beteiligten eine GbR wollten, dies wegen des Betriebs eines Handelsgewerbes aber nicht möglich ist. In Betracht zu ziehen ist in diesen Fällen allein die Zulassung einer Kündigung aus wichtigem Grund (Flume AT I/1 § 13 III). f) Grundstücksgeschäfte. Ein unwirksamer Grundstücksveräußerungsvertrag lässt sich in die Verpflichtung zur Nießbrauchsbestellung (RG 110, 391, 392; JW 1937, 3153) oder in die Einräumung eines Optionsrechts (RG 169, 65, 71) umdeuten, eine unwirksame Erbbaurechtsbestellung in einen Pachtvertrag (RG Recht 1928 Nr 393). Ein dingliches Vorkaufsrecht ist in ein persönliches, durch Vormerkung zu sicherndes Vorkaufsrecht umdeutbar (RG 104, 122, 123; BGH LM § 497 BGB Nr 6). Eine Grunddienstbarkeit kann wegen des Eintragungserfordernisses zugunsten einer individuell bestimmten Person nicht in eine persönliche Dienstbarkeit umgedeutet werden (München NJW 1957, 1765, 1766). Die nichtige Übertragung von WE ist in die Vereinbarung eines Dauerwohnrechts umdeutbar (BGH NJW 1963, 339). Umdeutbar können auch nichtige Wohnungseigentümerbeschlüsse sein (Schleswig NZM 2005, 669, 672). Die unwirksame Umwandlung von Gemeinschaftseigentum in Sondereigentum kann aber nicht in die Begründung von Sondernutzungsrechten umgedeutet werden (Düsseldorf NJW-RR 1996, 210; zur Umdeutung in eine Kostentragungsregelung vgl Niedenführ NZM 2002, 106 und AG Hamburg ZMR 2004, 221), die unwirksame Einräumung von Sondereigentum nicht in ein weitergehendes Sondernutzungsrecht (BayObLG MDR 1981, 145; s aber iÜ KG NZM 1999, 258, 259), wohl aber uU in eine Instandsetzungspflicht (Hamm NJW-RR 1992, 148, 149). g) Gütergemeinschaft. Umdeutbar ist die Verfügung über einen Anteil an einer fortgesetzten Gütergemeinschaft in die Übertragung des Anspruchs auf das, was dem Betreffenden bei der Auseinandersetzung zusteht (BGH MDR 1966, 750) sowie die Abtretung des Anteils des Ehegatten am Grundstück der Gütergemeinschaft in die Abtretung des Anspruchs auf den Auseinandersetzungserlös (Frankfurt LZ 1929, 575). h) Miete und Pacht. Eine außerordentliche Kündigung kann in eine ordentliche umgedeutet werden, wenn das Vertragsverhältnis erkennbar auf jeden Fall beendet werden soll (BGH NJW 1981, 976, 977), dagegen nicht ohne weiteres in ein Angebot auf eine Vertragsaufhebung (BGH NJW 1981, 43, 44; WM 1984, 171; Düsseldorf ZMR 2003, 921; s aber BGH NJW NJW-RR 2014, 1423, 1426). Eine ordentliche Kündigung mit unrichtig berechneter Kündigungsfrist ist in eine Kündigung zum richtig berechneten Termin umdeutbar, wenn es dem hypothetischen Willen des Kündigenden entspricht (Frankfurt NJW-RR 1990, 337; Hamm MDR 1994, 56). Die unwirksame Abtretung des Kündigungsrechts an den Käufer eines Grundstücks lässt sich in eine wirksame Ermächtigung zur Kündigung im eigenen Namen schon vor der Umschreibung im Grundbuch umdeuten (BGH NJW 1998, 896, 897), ferner die unzulässige Befristung des Mietvertrags in einen befristeten Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung (LG Fulda ZMR 2016, 203) und die unzulässige Vereinbarung über abzurechnende Betriebskostenvorauszahlungen in eine zulässige Abrede über die Zahlung einer Betriebskostenpauschale (BGH NJW 2011, 1222, 1223). Nicht in Betracht kommt die Umdeutung eines einseitigen unwirksamen Mieterhöhungsverlangens in ein Angebot auf Abschluss einer Mieterhöhungsvereinbarung, das stillschw angenommen werden kann (BGH NJW-RR 2005, 1464, 1466; 2007, 1382, 1383). i) Sicherungsrechte. aa) Hypothek. Die Abtretung einer als Buchhypothek angesehenen Briefhypothek kann als Abtretung des Anspruchs auf Rückübertragung der an einen Dritten abgetretenen Hypothek aufrechterhalten werden (RG Recht 1909 Nr 3032). Die Abtretung einer nichtigen, vermeintlich zur Eigentümergrundschuld gewordenen Hypothek ist in die Bestellung einer Fremdgrundschuld umdeutbar (RG LZ 1931, 839). Möglich soll auch die Umdeutung einer Hypothek mit unzulässiger Kursgarantieklausel in eine Hypothek ohne diese Klausel sein (RG 108, 146, 149). bb) Pfandrecht, Sicherungsübereignung und -abtretung. Ein unwirksames Pfandrecht kann als Zurückbehaltungsrecht an dem geleisteten Gegenstand bis zur Rückzahlung des Kredits aufrechterhalten werden (RG 66, 24, 27; Staud/Roth Rn 67). Eine unwirksame Sicherungsübereignung eines Grundstücks kann in die Verpflichtung zur Bestellung einer Sicherungshypothek umgedeutet werden (RG JW 1929, 70). Eine unwirksame Verpfändung einer beweglichen Sache oder Forderung lässt sich nicht in eine Sicherungsübereignung oder Sicherungsabtretung umdeuten, weil diese weiter reichen als das Ausgangsgeschäft (Medicus/Petersen AT Rn 526). Dagegen kann eine Sicherungsabtretung in eine Verpfändung der Forderung umgedeutet werden (BGH VersR 1953, 470; Staud/Roth Rn 67). Arnold

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cc) Bürgschaft. Die Umdeutung einer formnichtigen Bürgschaft in einen Schuldbeitritt ist schon deshalb nicht möglich, da andernfalls § 766 BGB umgangen würde (s Rn 12). Aber auch iÜ kommt eine derartige Umdeutung nicht in Betracht, da der Schuldbeitritt zu einer nicht nur akzessorischen Haftung führt (NK/Faust Rn 21; MüKo/Busche Rn 24). Eine unwirksame öffentlich-rechtl Haftungserklärung soll in eine Bürgschaft umdeutbar sein (BGH VersR 2009, 1384, 1385). j) Wertpapiere. Ein formnichtiger gezogener Wechsel ist in eine kaufmännische Anweisung (§ 363 I S 1 HGB) oder in eine bürgerlich-rechtliche Anweisung (§ 783) umdeutbar (Bamberg NJW 1967, 1913, 1914; Staud/Roth Rn 61), ein formnichtiger eigener Wechsel in einen kaufmännischen Verpflichtungsschein (§ 363 I 2 HGB) oder in ein abstraktes Schuldversprechen (RG 136, 207, 210; BGH ZIP 1988, 16, 18; MüKo/Busche Rn 28). Ebenso kann die Annahmeerklärung auf einem formnichtigen Wechsel in ein abstraktes Schuldversprechen umgedeutet werden (BGH 124, 263, 268f; NK/Faust Rn 26). Nicht umdeutungsfähig sind dagegen die Erklärungen auf einem gültigen, aber präjudizierten Wechsel (BGH 3, 238, 239 – für Scheck; Pal/Ellenberger Rn 12; Soergel/Hefermehl Rn 25). Ebenso können Blankoindossamente auf einem nichtigen Wechsel nicht in eine bürgerlich-rechtliche Verpflichtungserklärung umgedeutet werden (RG 130, 82, 84; BGH NJW 1957, 1837, 1838; anders aber Flume AT II § 32, 9e; Staud/Roth Rn 61). Ein Scheck kann in eine Ermächtigung des Scheckausstellers an die bezogene Bank umgedeutet werden, für ihn und auf seine Rechnung an den Scheckbegünstigten zu zahlen (BGH NJW 2001, 1855), regelmäßig nicht aber in einen kaufmännischen Verpflichtungsschein, ein selbständiges Schuldversprechen oder einen Garantievertrag, da es an einem entspr hypothetischen Willen fehlen dürfte (vgl Düsseldorf WM 1973, 403; Karlsruhe NJW 1977, 589; MüKo/Busche Rn 28; Soergel/Hefermehl Rn 25). Das Indossament auf einem Ladeschein kann in die Abtretung des Herausgabeanspruchs umgedeutet werden (RG SeuffA 67 Nr 83).

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Bestätigung des nichtigen Rechtsgeschäfts

(1) Wird ein nichtiges Rechtsgeschäft von demjenigen, welcher es vorgenommen hat, bestätigt, so ist die Bestätigung als erneute Vornahme zu beurteilen. (2) Wird ein nichtiger Vertrag von den Parteien bestätigt, so sind diese im Zweifel verpflichtet, einander zu gewähren, was sie haben würden, wenn der Vertrag von Anfang an gültig gewesen wäre. 1. Bedeutung. Die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts ist vom Gesetz ohne zeitliche Einschränkungen als dauerhafte Rechtsfolge angeordnet; das gilt regelmäßig selbst dann, wenn der Nichtigkeitsgrund später wegfällt. § 141 I räumt jedoch demjenigen, der ein nichtiges Rechtsgeschäft vorgenommen hat, die Befugnis ein, dieses durch Bestätigung zu einem gültigen zu machen. Die Bestätigung ist eine Willenserklärung, durch die jemand sein nichtiges Geschäft als gültig anerkennt. Sachlich ist die Bestätigung eine Neuvornahme des nichtigen Rechtsgeschäfts. 2. Voraussetzungen. a) Es muss ein aus irgendeinem Grunde – auch Anfechtung (§ 142, vgl BGH NJW 1971, 1795, 1800) – nichtiges Rechtsgeschäft vorliegen; erfasst sind sowohl Verträge als auch einseitige Rechtsgeschäfte (NK/Faust Rn 8). In entspr Anwendung von § 141 kann auch ein infolge eines (Verbraucher-)Widerrufs (Braunschweig NZG 2003, 1156, 159) oder der Verweigerung einer erforderlichen Genehmigung unwirksames Rechtsgeschäft bestätigt werden (BGH NJW 1999, 3704, 3705), nicht aber ein schwebend unwirksames Rechtsgeschäft bis zur Entscheidung über die Genehmigung (LG Braunschweig WM 2006, 319, 321). Wenn es schon an einem bestätigungsfähigen Rechtsgeschäft fehlt, greift aber § 141 von vornherein nicht ein (BGH NJW 1987, 1698, 1699 – für den Fall eines Beitritts zu einer nicht bestehenden Schuld; KG DNotZ 1999, 157, 160). b) Erforderlich ist ein erklärter Bestätigungswille. Er setzt nach der Rspr Kenntnis der Nichtigkeit, mindestens aber Zweifel an der Gültigkeit des Geschäfts voraus und muss darauf gerichtet sein, die Wirksamkeit auf alle Fälle zu sichern (RG 150, 385, 388; BGH 110, 220, 222; NJW 1982, 1981; 2006, 2116, 2117; 2012, 1570, 1572; BAG NJW 2005, 2333, 2334). Die in der Rspr vielfach verwendete Formulierung kann den unrichtigen Eindruck erwecken, für eine wirksame Bestätigung sei entgegen der neueren Rspr zum Erklärungsbewusstsein (vgl Vor § 116 Rn 15) neben dem allg Handlungsbewusstsein als besondere subjektive Voraussetzung ein spezifisches Erklärungsbewusstsein („Bestätigungsbewusstsein“) erforderlich. Notwendig ist demgegenüber allein eine Erklärung – bei Verträgen eine Erklärung aller Vertragschließenden –, die (ggf mit Hilfe der Auslegung) den Willen der Erklärenden ergibt, das möglicherweise bis dahin unwirksame Geschäft solle fortan gültig sein (ähnlich Medicus/Petersen AT Rn 531; Staud/Roth Rn 20; in diesem Sinne auch BGH NJW-RR 2003, 769, 770; Frankfurt NJW-RR 2004, 1640, 1641; Hamm NJOZ 2006, 428, 436). Nicht erforderlich ist es also, dass beide Parteien davon ausgehen, dass das Geschäft nichtig ist; es genügt, wenn beide Parteien irrtümlich von der Wirksamkeit des Geschäfts ausgehen, aber bestehende Zweifel ausräumen wollen (BGH ZIP 2009, 264, 266). c) In der Erklärung des Bestätigungswillens liegt die erneute Vornahme des Rechtsgeschäfts. Die Erklärung kann ausdr oder konkludent erfolgen (BGH 11, 59, 60). Dafür reicht aus, dass die Parteien sich nach dem Inhalt ihrer Erklärung in Kenntnis der (möglichen) Nichtigkeit auf den Boden der früheren Vereinbarung stellen (BGH NJW 1982, 1981). Ein Festhalten an einem unerkannt nichtigen Geschäft ist aber keine Bestätigung (BGH 129, 371, 377). Eine Erfüllungshandlung kann eine Bestätigung enthalten (vgl BGH WM 1983, 231, 232), ebenso eine Vertragsänderung (BGH NJW 1982, 1981), ein „Rücktritt von der Kündigung“ (Frankfurt NJW-RR 2004, 1640, 1641) oder eine Veräußerung der erworbenen Sache. Auch ein Verhalten im Prozess kann eine Bestätigung darstellen (RG 125, 3, 7), nicht aber ohne weiteres eine Freigabe im Insolvenzverfahren (Düsseldorf 408

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Willenserklärung

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BB 1994, 1379, 1380). In einer Weiterbenutzung der gekauften Sache nach erfolgter Anfechtung liegt nur dann eine Bestätigung, wenn das Verhalten eindeutig nicht anders als eine Bestätigung des nichtigen Geschäfts zu verstehen ist (BGH NJW 1971, 1795, 1800; 1985, 2579, 2580). Die Verfolgung von Gewährleistungsansprüchen ist idR keine Bestätigung (vgl BGH 110, 220, 222 zu § 144). Bei dem neuen Geschäft müssen im Zeitpunkt der Bestätigung sämtliche Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Neuvornahme erfüllt sein. Die Vorschriften über Willenserklärungen greifen ein. Demnach ist bei einer einseitigen empfangsbedürftigen Erklärung etwa der Zugang, bei einem Vertrag eine bestätigende Willensübereinstimmung der Vertragsparteien über den ganzen Vertragsinhalt erforderlich (RG 61, 264, 266). Es darf bei dem neuen Geschäft nicht mehr der Nichtigkeitsgrund des alten oder ein anderer Nichtigkeitsgrund bestehen. Daher ist die Bestätigung eines sittenwidrigen Geschäfts nicht möglich (RG 64, 141, 149). Sie kommt nur in Betracht, wenn die Gründe für die Sittenwidrigkeit weggefallen sind (BGH 60, 102, 108; NJW 2012, 1570, 1572). Sofern sie nur teilw weggefallen oder neue sittenwidrige Umstände hinzugekommen sind, ist die Sittenwidrigkeit aufgrund der nunmehr insgesamt bestehenden Umstände neu zu prüfen (vgl BGH NJW 1982, 1981, 1982). Ein wucherisches Geschäft kann nach Wegfall der subjektiven Voraussetzungen bestätigt werden. Ebenso ist die Rechtslage bei gesetzwidrigen Geschäften; eine wirksame Bestätigung ist (erst) nach Wegfall des gesetzlichen Verbots möglich (RG 138, 52, 55; BGH 11, 59, 60). Die Bestätigung eines formbedürftigen Rechtsgeschäfts kann – anders als bei der Bestätigung nach § 144 – wirksam nur unter Beachtung der Formvorschrift erfolgen (MüKo/Busche Rn 15). Dies gilt auch dann, wenn die Unwirksamkeit des zu bestätigenden Geschäfts nicht aus der Verletzung einer Formvorschrift, sondern aus einem anderen Grund herrührt (BGH NJW 1985, 2579, 2580; BAG NJOZ 2006, 4677, 4680; aA Staud/Roth Rn 16). Abw gilt nur, wenn die Formvorschrift zwischenzeitlich entfallen ist (BGH NJW 1973, 1367). Bei der Bestätigung ist aber eine Bezugnahme auf die ursprünglichen Erklärungen möglich (Bsp BGH NJW 1993, 1070, 1071; Celle DNotZ 1980, 414f); insofern ist die Bestätigung ein vereinfachtes Verfahren der Fehlerbereinigung. Unter den Voraussetzungen des § 139 kommt eine Teilbestätigung in Betracht. 3. Wirkung. a) Die Bestätigung führt keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des früheren (nichtigen) Geschäfts herbei. Vielmehr entsteht erst durch die in ihr liegende Neuvornahme ein wirksames Geschäft (BGH NJW 1999, 3704, 3705; BAG NJW 2005, 2333, 2334 und 3595f; NJOZ 2006, 4677, 4679). Frühestens mit Wirksamkeit der Bestätigung wird auch eine bereits aufgrund des nichtigen Geschäfts eingetragene Vormerkung wirksam (str, vgl Frankfurt DNotZ 1995, 539, 540). Zwischenverfügungen bleiben daher unberührt. b) Bei Verträgen ist im Zweifel eine Rückwirkungsvereinbarung in schuldrechtlicher Hinsicht anzunehmen (§ 141 II). Es entspricht regelmäßig den Interessen der Vertragsparteien, dass sie schuldrechtlich verpflichtet sein sollen, einander das zu gewähren, was sie haben würden, wenn der Vertrag von Anfang an gültig gewesen wäre. Ein entgegenstehender Parteiwille muss unzweideutig erklärt werden, damit die Vermutung des § 141 II nicht eingreift (RG JW 1931, 2227). Die Vorschrift gilt nicht für einseitige Geschäfte und ist auch nicht auf die Bestätigung formnichtiger (§ 14 IV TzBfG) Befristungsabreden im Arbeitsrecht anzuwenden (BAG NJW 2005, 2333, 2334 und 3595, 3596). 4. Abgrenzung. Unter § 141 fallen nicht: a) Die Bestätigung eines anfechtbaren Geschäfts. Sie ist nach § 144 eine einseitige Willenserklärung des Anfechtungsberechtigten. Wenn aber das anfechtbare Geschäft wirksam angefochten worden und damit nichtig ist, greift § 141 ein. b) Die Heilung eines formnichtigen Geschäfts durch Erfüllung (zB §§ 311b I, 518 II, 766 S 3, 2301 II; § 15 IV 2 GmbHG; § 1031 VI ZPO). Sie erfolgt durch Geschäftsvollzug und setzt keinen Bestätigungswillen voraus. Jedoch greift der Rechtsgedanke des § 141 II als vermuteter Parteiwille ein (RG 115, 6, 12; BGH 32, 11, 13). c) Die Ergänzung eines unvollständig beurkundeten Vertrags durch Beurkundung des restlichen Parteiwillens. Sie bedarf keines Bestätigungswillens (RG JW 1929, 575). Die Ergänzung oder Änderung kann aber gleichzeitig Bestätigung sein (BGH 7, 161, 163). d) Die Genehmigung. Sie erfolgt idR durch einen Dritten (§§ 182, 177; anders § 108 III) und bewirkt rückwirkende Heilung des schwebend unwirksamen Geschäfts (§ 184). e) Die Bestätigung einer nichtigen Ehe bestimmt sich nach § 1315 I 1 Nr 2.

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Wirkung der Anfechtung

(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen. (2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen. 1. Anwendungsbereich. § 142 greift nicht nur in den Fällen der §§ 119, 120, 123, sondern auch bei den erb- 1 rechtlichen Anfechtungstatbeständen der §§ 1956, 2078f, 2281ff, 2308 ein. Immer geht es um die Vernichtung eines Rechtsgeschäfts wegen eines Willensmangels. Deshalb gehören § 2340 sowie die Gläubigeranfechtung inner- und außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht hierher. Für einen Willensmangel bei der Eheschließung gelten die Spezialvorschriften der §§ 1313ff, bei der Annahme als Kind §§ 1759, 1760, beim Vaterschaftsanerkenntnis § 1598. 2. Rechtsfolge des Abs I. a) Nichtigkeit. Die Anfechtungserklärung bewirkt, dass das angefochtene Rechts- 2 geschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist (Wirkung ex tunc). Es entsteht nicht etwa wie beim Rücktritt oder bei Ausübung eines Widerrufsrechts (§ 355) ein Rückgewährschuldverhältnis. Die Anfechtung reformiert Arnold

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das angefochtene Geschäft nicht, sondern kassiert es. An die Stelle des angefochtenen Geschäfts tritt also grds nicht das Geschäft, das ohne Willensmangel des Anfechtungsberechtigten zustande gekommen wäre. Der Erklärende darf aber seinen Willensmangel nicht dazu benutzen, von seiner Erklärung loszukommen, weil er das von ihm (ohne Willensmangel) Gewollte jetzt bereut. Er muss sich also vom anderen Teil, wenn dieser es wünscht, am tatsächlich Gewollten festhalten lassen (Staud/Roth Rn 38; Flume AT II § 21, 6; Medicus/Petersen AT Rn 781; Lobinger AcP 195, 274ff; aA Soergel/Hefermehl Rn 9; Spieß JZ 1985, 593ff). b) Wirkung gegenüber jedermann. Die rückwirkende Vernichtung des Rechtsgeschäfts wirkt absolut, also ggü jedermann und nicht nur im Verhältnis zw Anfechtendem und Anfechtungsgegner. Ist das Geschäft zw Gläubiger und Schuldner wirksam angefochten, verliert demnach der Zessionar, dem der Gläubiger die Forderung aus dem Geschäft abgetreten hat, die Forderung. Ein mithaftender Dritter (zB Bürge, Pfandschuldner), dem vor der Anfechtung nur ein Leistungsverweigerungsrecht (vgl §§ 770, 1137, 1211; § 129 II HGB) zusteht, kann nicht in Anspruch genommen werden, wenn das Geschäft, aus dem sich die gesicherte Forderung ergibt, durch Anfechtung vernichtet worden ist. Der Makler verliert die Vermittlungsgebühr für das angefochtene Geschäft (RG 76, 354, 355), der Begünstigte beim angefochtenen Vertrag zugunsten Dritter seinen Anspruch. c) Reichweite der Nichtigkeit. Die Anfechtung bewirkt sowohl die Nichtigkeit eines einseitigen Rechtsgeschäfts als auch die Nichtigkeit von Verträgen. Anfechtbar ist allerdings nur die einzelne, mit einem Willensmangel behaftete Willenserklärung (s NK/Feuerborn Rn 3). Wird aber der Antrag oder die Annahmeerklärung angefochten, so fehlt letztlich eine der für einen wirksamen Vertrag erforderlichen Willenserklärungen. Bei einer wirksamen Teilanfechtung (vgl zu § 143 Rn 3) kommt unter den Voraussetzungen von § 139 Teilnichtigkeit bei Wirksamkeit iÜ in Betracht (Saarbrücken VersR 1996, 488, 489; Staud/Roth Rn 26). Ist nur eine zum schuldrechtlichen Vertrag gehörende Willenserklärung anfechtbar und angefochten, so bestehen keine vertraglichen Verpflichtungen, auch keine vertraglichen Schadensersatzansprüche (hM, s nur Pal/Ellenberger Rn 2; Höpfner NJW 2004, 2865; aA Derleder NJW 2004, 969, 970). Hat eine Partei bereits erfüllt, so bleibt wegen des Abstraktionsprinzips (Einl § 104 Rn 28) die Gültigkeit des Erfüllungsgeschäfts von der Nichtigkeit des Kausalgeschäfts unberührt. Das Geleistete kann aber wegen Fehlens des Rechtsgrundes auf bereicherungsrechtlichem Weg zurückgefordert werden; bei Kenntnis der Anfechtbarkeit greift die verschärfte Haftung des § 819 ein (s Rn 10). Ist nur das Erfüllungsgeschäft (zB wegen einer Verwechselung bei Erfüllung eines Kaufvertrags) anfechtbar und angefochten, so besteht zB ein Herausgabeanspruch (§ 985) oder ein Grundbuchberichtigungsanspruch (§ 894), nicht aber ein Anspruch aus § 861 oder § 1007, da trotz der Anfechtbarkeit eine freiwillige Besitzaufgabe vorliegt. Das Verpflichtungs- und das Verfügungsgeschäft werden von der Anfechtung erfasst, wenn beide an einem (uU demselben) Willensmangel leiden (Fehleridentität; zB Verwechslung bei Kauf und Übereignung; arglistige Täuschung, die noch im Zeitpunkt der Erfüllung fortwirkt, s nur BGH 31, 321, 324; MüKo/Busche Rn 15; Staud/Roth Rn 22). Zur Diskussion, ob sich eine gleichzeitige Nichtigkeit von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft auch aus § 139 ergeben kann, s § 139 Rn 14. d) Endgültige Nichtigkeit. Die Wirkung der Anfechtungserklärung ist nicht durch Rücknahme zu beseitigen (RG 74, 1, 3; Pal/Ellenberger Rn 2; aA NK/Feuerborn Rn 15). Lediglich eine Neuvornahme des (durch Anfechtung) nichtigen Geschäfts nach § 141 ist möglich. Beruht die Anfechtungserklärung jedoch auf einem erheblichen Willensmangel, so kann sie wiederum durch Anfechtung rückwirkend vernichtet werden (BayObLG MDR 1980, 492; Pal/Ellenberger Rn 1). 3. Ausnahmen von Abs I. Eine rückwirkende Vernichtung des Rechtsgeschäfts durch Anfechtung passt gelegentlich nicht für Dauerrechtsverhältnisse. So sind im Gesellschaftsrecht die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft zu beachten: Leidet beim Abschluss eines Vertrags über die Gründung einer Personengesellschaft die Erklärung eines Beteiligten an einem Willensmangel, so führt dieser Mangel nach Invollzugsetzung der Gesellschaft im Hinblick auf den notwendigen Schutz des Verkehrs nicht mehr zur Nichtigkeit der Gesellschaft ex tunc; vielmehr ist die Gesellschaft aufzulösen und abzuwickeln (s nur statt vieler MüKo-HGB/K. Schmidt § 105 Rn 228ff). Ist eine Kapitalgesellschaft bereits ins Handelsregister eingetragen worden und damit entstanden, sind Willensmängel eines Beteiligten bei der Gründung sogar regelmäßig unbeachtlich (KK-AktG/Arnold § 23 Rn 164ff mwN). Ebenso wirkt bei in Vollzug gesetzten Arbeitsverträgen die Anfechtung wegen der besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des ArbN idR nur ex nunc (Einzelheiten § 611 Rn 267ff). Dagegen ist die Anfechtung eines Mietvertrags auch nach Übergabe der Mietsache uneingeschränkt möglich, da die Schwierigkeiten, die sich bei der Rückabwicklung ergeben, keine Ausnahme von der gesetzlich vorgesehenen Rückwirkung der Anfechtung rechtfertigen können (BGH NJW 2009, 1266, 1268 mwN). 4. Wirkung des Abs II. Mit der rückwirkenden Vernichtung eines Verfügungsgeschäfts wird auch der Rechtserwerb rückwirkend nichtig. Hatte der Erwerber vor der Anfechtung als Berechtigter an einen Dritten weiterverfügt, so wird er mit der Anfechtung rückwirkend zum Nichtberechtigten. Der Dritte soll trotz der Anfechtung geschützt werden, wenn er zZ der Vornahme des anfechtbaren und später angefochtenen Verfügungsgeschäfts in Bezug auf das Fehlen der Anfechtbarkeit gutgläubig war (§ 142 II). Während also § 932 den guten Glauben des vom Nichtberechtigten Erwerbenden an das Eigentum schützt, geht es in § 142 II um den guten Glauben an das Fehlen der Anfechtbarkeit des Verfügungsgeschäfts. Diese Vorschrift ist nur in den Fällen anwendbar, in denen das Gesetz einen Gutglaubensschutz vorsieht (zB §§ 892f, 932ff, 1138, 1155, 1207f, 1244, § 366 HGB), nicht aber zB beim Erwerb einer Forderung (s sogleich Rn 9). Aus diesen Bestimmungen ergibt sich auch, ob dem Dritten nur die Kenntnis (zB § 892) oder auch grobfahrlässige Unkenntnis (zB § 932 II) der Anfechtbarkeit 410

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schadet. Maßgebend ist die Kenntnis oder das Kennenmüssen der Tatsachen/Umstände, welche die Anfechtbarkeit begründen, idR im Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs (BGH NJW-RR 1987, 1456, 1457); dabei ist § 166 anzuwenden (BGH NJW 1989, 2879, 2880). Auf die Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis der Rechtsfolgen kommt es nicht an (BGH NJW-RR 1987, 1456, 1457). Beim Erwerb von Forderungen scheidet ein Gutglaubensschutz grds aus. Wird der Abtretungsvertrag angefochten, ist der Anfechtungsgegner Nichtberechtigter (RG JW 1906, 380). Die Leistung an ihn befreit den Schuldner nicht; auch § 122 hilft dem Schuldner nicht, da er nicht Empfänger der Abtretungserklärung ist; einen gewissen Schutz gewähren §§ 409f. Wegen § 142 II kann es erforderlich sein, auch ein nichtiges Geschäft anzufechten, wenn etwa der Dritte in Bezug auf die Nichtigkeit des Verfügungsgeschäfts gutgläubig, in Bezug auf die Anfechtbarkeit aber bösgläubig ist (Kipp, Doppelwirkungen im Recht, FS v Martitz, 1911, 211; Staud/Roth Rn 27ff; vgl allg auch Schreiber AcP 211, 35ff). Abs II ist nicht nur im Hinblick auf den gutgläubigen Erwerb von Bedeutung. Vielmehr hat die Vorschrift bei der Anfechtung von Verpflichtungsgeschäften Bedeutung für die Frage, ob eine verschärfte Bereicherungshaftung nach §§ 818 IV, 819 besteht (s NK/Feuerborn Rn 17).

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(1) Die Anfechtung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner. (2) Anfechtungsgegner ist bei einem Vertrag der andere Teil, im Falle des § 123 Abs. 2 Satz 2 derjenige, welcher aus dem Vertrag unmittelbar ein Recht erworben hat. (3) Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft, das einem anderen gegenüber vorzunehmen war, ist der andere der Anfechtungsgegner. Das Gleiche gilt bei einem Rechtsgeschäft, das einem anderen oder einer Behörde gegenüber vorzunehmen war, auch dann, wenn das Rechtsgeschäft der Behörde gegenüber vorgenommen worden ist. (4) Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft anderer Art ist Anfechtungsgegner jeder, der aufgrund des Rechtsgeschäfts unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat. Die Anfechtung kann jedoch, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben war, durch Erklärung gegenüber der Behörde erfolgen; die Behörde soll die Anfechtung demjenigen mitteilen, welcher durch das Rechtsgeschäft unmittelbar betroffen worden ist. 1. Anfechtungserklärung (Abs I). a) Willenserklärung. Die Anfechtungserklärung ist eine einseitige empfangs- 1 bedürftige Willenserklärung. Die Anfechtung kann ausdr oder durch schlüssiges Verhalten erklärt werden. Eine bestimmte Ausdrucksweise (zB der Gebrauch des Wortes „Anfechtung“) ist nicht erforderlich (BGH NJW-RR 1995, 859). Es muss aber der Wille zum Ausdruck kommen, dass das Geschäft wegen eines Willensmangels dauerhaft beseitigt werden soll. Da die Anfechtungserklärung – wie jede Willenserklärung – auszulegen ist, kommt es im Einzelfall entscheidend darauf an, dass der Anfechtungsgegner der Erklärung nach ihrem objektiven Erklärungswert den Willen entnehmen kann, das Rechtsgeschäft solle wegen eines Willensmangels (rückwirkend) nicht (mehr) gelten. In der Rspr (RG 158, 166, 168; BGH 88, 240, 245; 91, 324, 332; NJW-RR 2002, 380; ähnlich Wolf/ Neuner AT § 41 Rn 13) wird gelegentlich „Unzweideutigkeit“ der Erklärung idS gefordert. Dem ist nicht zu folgen, wenn damit weitergehende Anforderungen gestellt werden sollten als allg bei der Auslegung von Willenserklärungen; es besteht kein Anlass, bei Anfechtungserklärungen die üblichen Auslegungsmaßstäbe zu verlassen (wie hier Canaris NJW 1984, 2281, 2282; Medicus/Petersen AT Rn 717; Staud/Roth Rn 2f). Eine Rücktrittserklärung (RG 105, 206, 207), eine Widerrufserklärung (§ 355), eine Kündigung (LAG Rostock NZA-RR 1996, 401, 402), das Verlangen auf Schadensersatz statt der Leistung (BGH NJW 1991, 1673, 1674), ein Klageabweisungsantrag im Prozess (BGH MDR 1955, 25) sowie eine Strafanzeige (BGH WM 1975, 1002) reichen allein in aller Regel als Anfechtungserklärung nicht aus. Nach den Umständen können aber die Rückforderung des Geleisteten oder das Bestreiten einer nach dem objektiven Erklärungsinhalt bestehenden Forderung oder ein Widerspruch gegen sie als Anfechtungserklärung genügen (BGH 91, 324, 331f; NZBau 2006, 390, 391). Die Äußerung des Willens, das Rechtsgeschäft rückwirkend zu vernichten, ist nicht generell zu fordern; sie kann jedoch im Einzelfall zur Abgrenzung von einer erst in die Zukunft wirkenden Kündigung wichtig sein (Wolf/Neuner AT § 41 Rn 13). Str ist, ob die Angabe des Anfechtungsgrundes erforderlich ist. Nach dem Gesetzeswortlaut besteht ein derarti- 2 ges Erfordernis nicht; auch iÜ verlangt das Gesetz bei Gestaltungserklärungen nur selten ausdr die Angabe von Gründen (so etwa in §§ 573 III 1, 573a III; vgl auch § 102 I 2 BetrVG). Dementsprechend ist in der Rspr bislang nicht die Angabe des Anfechtungsgrundes verlangt worden (RG 65, 86, 88; offenlassend BGH NJW 1966, 39; vgl auch BGH 34, 32, 39; gegen ein solches Erfordernis auch Erman/Palm12 Rn 1). In der Lit hat sich jedoch inzwischen zu Recht die Auffassung durchgesetzt, dass die Nennung des Anfechtungsgrunds im Hinblick auf die berechtigten Interessen des anderen Teils nur dann entbehrlich ist, wenn dieser sich klar aus den Umständen ergibt (Pal/Ellenberger Rn 3; Staud/Roth Rn 11; Flume AT II § 31, 2; Medicus/Petersen AT Rn 724). Nennt der Anfechtende einen Anfechtungsgrund, ist es Auslegungsfrage, ob die Anfechtung auf diesen Grund beschränkt sein oder auch andere Gründe erfassen soll (so für die Frage, ob in der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung zugleich eine solche wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft zu erblicken ist, BGH 34, 32, 39; 78, 216, 221). Ist die Anfechtung mit einer bestimmten Begründung erklärt worden, ist das Nachschieben eines anArnold

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deren Anfechtungsgrundes als neue Anfechtungserklärung aufzufassen, die allerdings verspätet sein kann (BGH NJW 1966, 39; 1995, 190, 191; NJW-RR 1993, 948; BAG AP Nr 5 § 119 BGB; NJW 2008, 939, 940; MüKo/Busche § 143 Rn 10). Eine Teilanfechtung ist nur bei einem iSv § 139 teilbaren Rechtsgeschäft möglich; eine beschränkte Anfechtung bei einem untrennbaren Geschäft ist wirkungslos (RG 146, 234, 236; BGH DNotZ 1984, 684, 685; NJW-RR 2002, 380, 381; BAG NJOZ 2006, 1859, 1864 zur Teilanfechtung von Versorgungsvereinbarungen). b) Form. Die Anfechtungserklärung ist formlos gültig, selbst wenn das angefochtene Geschäft formbedürftig ist. Eine Form kann allerdings vereinbart werden. Dies gilt grds auch für Vereinbarungen in AGB. Dabei setzt aber in AGB § 309 Nr 13 Grenzen. Eine besondere Form ist für einige Anfechtungen im Erbrecht vorgeschrieben (zB §§ 1955, 2081, 2282 III). c) Bedingungsfeindlichkeit. Die Anfechtung ist als Gestaltungsrecht im Interesse des Anfechtungsgegners bedingungsfeindlich (RG 66, 153, 154; 146, 234, 238); jedoch sind als Bedingung solche Umstände zuzulassen, die im Belieben des Anfechtungsgegners stehen (NK/Feuerborn Rn 4; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 16; aA Staud/Roth Rn 8; MüKo/Busche Rn 5). Zulässig ist auch eine Eventualanfechtung – etwa im Prozess – für den Fall, dass das Rechtsgeschäft nicht den behaupteten Inhalt hat oder nicht ohnehin nichtig ist (BGH NJW 1968, 2099) oder für den Fall des Scheiterns eines Widerrufs oder von Gewährleistungsansprüchen (BGH NJW 1991, 1673, 1674). 2. Anfechtungsberechtigter. Anfechtungsberechtigt ist idR der Erklärende. Dies gilt allerdings nicht im Fall der Stellvertretung. Hier steht das Anfechtungsrecht dem Vertretenen zu, wenn dieser den Vertreter nicht auch zur Erklärung der Anfechtung bevollmächtigt hat (Staud/Roth Rn 14; Flume AT II § 31, 3). Mehrere Anfechtungsberechtigte können die Anfechtungsbefugnis unabhängig voneinander ausüben (RG 56, 424, 424; 65, 399, 405; NK/Feuerborn Rn 10); die Auswirkungen der Anfechtung einer einzelnen Person richten sich nach § 139 (Soergel/Hefermehl Rn 7). Die Notwendigkeit der Anfechtung durch alle anfechtungsberechtigten Personen kann aber aus der Besonderheit des zw ihnen bestehenden Verhältnisses folgen (zB Gesamthandsgemeinschaft, insb Erbengemeinschaft; RG 107, 238; BGH NJW 1951, 308; Staud/Roth Rn 15). Das Anfechtungsrecht ist vererblich (Staud/Roth § 142 Rn 10). Es kann dagegen nicht selbständig übertragen werden und ist auch nicht pfändbar (NK/Feuerborn Rn 12; Wolf/Neuner AT § 41 Rn 19; aA MüKo/Busche § 142 Rn 7). Etwas anderes gilt, wenn das ganze Vertragsverhältnis kraft Gesetzes übergeht (zB §§ 566, 613a); da in den genannten Fällen auch noch den bisherigen Vermieter bzw Arbeitgeber Pflichten aus dem Vertrag treffen, steht das Anfechtungsrecht hier nur Veräußerer und Erwerber gemeinsam zu (Flume AT II § 31, 3; Medicus/Petersen AT Rn 714). Ebenso geht das Anfechtungsrecht bei einer rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme über, wenn der Anfechtungsgrund beim Übernehmenden fortbesteht (Staud/Roth § 142 Rn 10; Wolf/Neuner AT § 44 Rn 19). Eine Ermächtigung zur Geltendmachung im eigenen Namen ist möglich (NK/Feuerborn Rn 12; BeckOK/Wendtland Rn 8; Soergel/Hefermehl Rn 6). Ausnahmsweise kann eine andere Person als der Erklärende anfechtungsberechtigt sein. So kann ein Testament nicht vom Erblasser, sondern nur nach dessen Tod von bestimmten Dritten angefochten werden (§ 2080). Bei der Leistungsbestimmung durch einen Dritten sind die Vertragschließenden anfechtungsberechtigt (§ 318 II). 3. Anfechtungsgegner. a) Vertrag. Beim Vertrag ist die Anfechtungserklärung grds ggü dem Vertragspartner (oder dessen Erben) abzugeben (§ 143 II). Dabei spielt es keine Rolle, ob der andere Teil zwischenzeitlich Rechte aus dem Vertrag an einen Dritten abgetreten hat (RG 86, 305, 310; NK/Feuerborn Rn 14). Ist über das Vermögen des Vertragspartners das Insolvenzverfahren eröffnet worden, ist die Anfechtung ggü dem Insolvenzverwalter zu erklären (Bamberg MDR 2015, 859). Der Vertragspartner ist auch dann Anfechtungsgegner, wenn ein Vertrag zugunsten eines Dritten vorliegt (BGH LM Nr 8 § 9 PatG) oder wenn für den Vertragspartner ein Vertreter den Vertrag geschlossen hat; im letzten Fall wird der Vertreter aber regelmäßig auch zur Entgegennahme der Anfechtungserklärung bevollmächtigt sein. Anfechtungsgegner können auch mehrere Personen sein. So ist etwa die Anfechtung eines Gesellschaftsvertrags ggü allen Mitgesellschaftern zu erklären (BGH LM Nr 9 § 182). Bei einer Vertragsübernahme soll der Übernehmer verpflichtet sein, die Anfechtung sowohl ggü dem verbleibenden als auch ggü dem ausscheidenden Vertragspartner zu erklären (BGH 96, 302, 310; krit Dörner NJW 1986, 2916). Ebenso soll, wenn die Vertragsübernahme zw dem ausscheidenden und dem eintretenden Vertragspartner vereinbart und vom verbleibenden Vertragspartner genehmigt wird, die Erklärung über die Anfechtung der Genehmigung an beide Parteien des Übernahmevertrags zu richten sein (BGH 137, 255, 260). Die Anfechtungserklärung eines Schuldübernahmevertrags, der zw altem und neuem Schuldner vereinbart und vom Gläubiger genehmigt worden ist, soll dagegen allein an den ursprünglichen Schuldner zu richten sein (BGH 31, 321, 325). Ausnahmsweise ist bei einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung Anfechtungsgegner der Dritte, der aus dem Vertrag unmittelbar ein Recht erworben hat, sofern er die Täuschung kannte oder kennen musste (§ 143 II iVm § 123 II 2). b) Einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft (Abs III). Bei einem einseitigen empfangsbedürftigen Rechtsgeschäft ist der Empfänger der anfechtbaren Erklärung Anfechtungsgegner (§ 143 III 1). Wenn die Erklärung einer Behörde ggü abgegeben werden konnte (zB §§ 875 I 2, 876 S 3, 880 II 3, 1168 II 2, 1180 I 2, 1183 S 2) und abgegeben wurde, ist die Anfechtung ebenfalls an den Anfechtungsgegner zu richten (§ 143 III 2). Unklar ist, ggü wem eine Erklärung angefochten werden muss, die wahlweise ggü zwei Personen abgegeben werden kann. Für die Erteilung der Vollmacht (§ 167) wird heute überwiegend angenommen, dass die Anfechtung, soweit der Bevollmächtigte von der Vollmacht noch keinen Gebrauch gemacht hat, ggü demjenigen erfolgen muss, 412

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ggü dem die Vollmacht erklärt worden war (NK/Feuerborn Rn 20; Medicus/Petersen AT Rn 721). Entspr gilt grds auch für die Zustimmung nach § 182 (BeckOK/Bub § 182 Rn 23; Pal/Ellenberger § 182 Rn 1; zur Anfechtung der Genehmigung zur Vertragsübernahme s aber Rn 9). c) Einseitige Rechtsgeschäfte anderer Art. Bei einem einseitigen nicht empfangsbedürftigen Rechtsgeschäft 11 (zB Dereliktion, § 959) ist nach § 143 IV 1 Anfechtungsgegner derjenige, der aufgrund des anfechtbaren Rechtsgeschäfts unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat (zB der Aneignende, § 958 I). Bei einer amtsempfangsbedürftigen Willenserklärung (zB §§ 928, 1109 II 2) kann die Anfechtung wahlweise ggü dem, der unmittelbar einen rechtlichen Vorteil erlangt hat, oder ggü der Behörde erfolgen (Ausnahme: Anfechtung der Ausschlagung nur ggü dem Nachlassgericht; § 1955). Die in Abs IV S 2 geregelte Mitteilungspflicht ist lediglich eine Ordnungsvorschrift. Für die Wirksamkeit der Anfechtung spielt es keine Rolle, wenn die Mitteilung unterbleibt (Pal/Ellenberger Rn 7).

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Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts

(1) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn das anfechtbare Rechtsgeschäft von dem Anfechtungsberechtigten bestätigt wird. (2) Die Bestätigung bedarf nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form. 1. Bedeutung. Das anfechtbare, aber (noch) nicht angefochtene Rechtsgeschäft ist gültig; deshalb stellt seine Bestätigung – anders als in § 141 – nicht die Neuvornahme eines (nichtigen) Geschäfts, sondern einen einseitigen Verzicht des Anfechtungsberechtigten auf sein Anfechtungsrecht dar. Nach (wirksamer) Anfechtung des Geschäfts kommt hingegen nur noch eine Bestätigung (= Neuvornahme) nach § 141 in Betracht. Für die Bestätigung der aufhebbaren Ehe enthält § 1315 eine Spezialregelung. Die Bestätigung iSd § 144 soll nach traditioneller Auffassung eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung darstellen (s schon Mugdan I 731; RG 68, 398; 399; Pal/Ellenberger Rn 2; Erman/Palm12 Rn 1). In der Lit überwiegt demgegenüber heute zu Recht die Auffassung, dass die Bestätigung empfangsbedürftig ist, da der Anfechtungsgegner wissen muss, ob er auf den Bestand des Rechtsgeschäfts vertrauen kann (NK/Feuerborn Rn 7; Medicus/Petersen AT Rn 534; Staud/Roth Rn 4). 2. Voraussetzungen. Die Rspr verlangt, dass der Bestätigende Kenntnis vom Anfechtungsrecht oder mindestens das Bewusstsein haben müsse, dass das Rechtsgeschäft möglicherweise anfechtbar ist (RG 68, 399, 400; BGH NJW 1971, 1795, 1800; 1995, 2290, 2291; 2012, 296, 300; NJW-RR 1996, 1281, 1283; ebenso Wolf/Neuner AT § 58 Rn 8). Soweit damit eine (zusätzliche) subjektive Wirksamkeitsvoraussetzung begründet werden soll, bestehen dagegen die gleichen Bedenken wie bei § 141 (§ 141 Rn 3). Für eine wirksame Bestätigung ist danach ein wie auch immer geartetes subjektives Bestätigungsbewusstsein nicht notwendig, sondern es genügt die Äußerung des Bestätigungswillens in einer entspr Erklärung (wie hier NK/Feuerborn Rn 4; Medicus/Petersen AT Rn 531; Staud/Roth Rn 7f). Eine Bestätigung im Falle der Drohung (§ 123 I) setzt außerdem einen Wegfall der Zwangslage voraus (BAG AP Nr 16 § 123; Soergel/Hefermehl § 144 Rn 2). Die Bestätigung muss erklärt werden. Sie kann bei einem teilbaren Rechtsgeschäft auf einen Teil oder bei mehreren Anfechtungsgründen auf einen einzelnen Grund beschränkt werden (MüKo/Busche Rn 7). Die Bestätigung bedarf nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form (§ 144 II). Möglich ist daher auch eine Bestätigung durch schlüssige Handlung. Diese muss jedoch den Willen erkennen lassen, an dem Geschäft trotz Anfechtungsmöglichkeit festzuhalten; die Rspr wertet ein Verhalten nur dann als konkludente Kundgabe eines Bestätigungswillens, wenn jede andere nach den Umständen einigermaßen verständliche Deutung ausscheidet (BGH 110, 220, 222; NJW 1958, 177; 1967, 720, 721; 1971, 1795, 1800; NJW-RR 1992, 779; BAG NJOZ 2006, 2031, 2034; NZM 2016, 582, 583; aA NK/Feuerborn Rn 8; krit dazu MüKo/Busche Rn 6). Für diese strengen Anforderungen spricht, dass ein Teilnehmer am Rechtsverkehr erfahrungsgemäß nicht ohne weiteres auf bestehende Befugnisse oder Gestaltungsmöglichkeiten verzichtet. Als konkludente Bestätigung kommt insb die freiwillige Erfüllung in Betracht (Koblenz FamRZ 1983, 720). Auch die vorbehaltlose Entgegennahme und/oder die Benutzung, der Verbrauch sowie die Veräußerung der entgegengenommenen Leistung können uU eine Bestätigung enthalten (vgl RG JW 1911, 359; Hamm NJW-RR 2013, 170, 172: weitere Inanspruchnahme von Diensten aus einem anfechtbaren Maklervertrag); sie reichen aber zB dann nicht aus, wenn sie auf wirtschaftlicher Notwendigkeit beruhen und/oder der Abwehr des Verderbs oder eines größeren Verlusts dienen (BGH NJW 1971, 1795, 1800; NJW-RR 1992, 779, 780). Bei bloßen Sicherungsmaßnahmen oder Verwaltungshandlungen kann idR nicht auf einen Bestätigungswillen geschlossen werden. Macht ein Käufer in Kenntnis seines Anfechtungsrechts wegen arglistiger Täuschung gerichtlich oder außergerichtlich einen Gewährleistungsanspruch geltend, so lässt sich daraus noch kein Bestätigungswille entnehmen (BGH 110, 220, 222; NJW 1958, 177). Bei einem anfechtbaren Arbeitsvertrag liegt in einer Kündigung zeitlich vor oder zeitgleich mit der Anfechtung ebenfalls keine Bestätigung (BAG NJOZ 2006, 2031, 2034), ebenso bei einem Versicherungsvertrag nicht in der routinemäßigen elektronischen Ausstellung eines Nachtrags zum Versicherungsschein (Saarbrücken VersR 2003, 890). 3. Wirkung. Die Bestätigung führt zum Verlust des Anfechtungsrechts. Bestätigt nur einer von mehreren Anfechtungsberechtigten, so wirkt die Bestätigung nur ihm ggü. Wie jede Willenserklärung kann auch die Bestätigung angefochten werden, so dass das Anfechtungsrecht wiederauflebt. Sonstige Rechte (zB Schadensersatzansprüche) erlöschen nicht durch die Bestätigung, sondern nur durch Erlassvertrag (RG JW 1911, 398; BGH Arnold

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NZM 2016, 582, 583f; NK/Feuerborn Rn 13). Ob der Bestätigende (auch) einen Erlasswillen erklärt hat, ist nach im Schrifttum vielfach vertretener Auffassung Frage der Auslegung im Einzelfall (MüKo/Busche Rn 8; Staud/ Roth Rn 16; Soergel/Hefermehl Rn 6). Dieser Auffassung hat sich auch die Rspr angeschlossen: Es könne nicht angenommen werden, dass der Bestätigende regelmäßig auf alle aus dem Anfechtungstatbestand folgenden Ansprüche verzichten wolle (BGH NZM 2016, 582, 584). Jedoch gehe mit der Bestätigung idR ein Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrags im Hinblick auf solche Schadensersatzansprüche einher, die dem Anfechtenden aufgrund der Umstände, die ihn zur Anfechtung berechtigen, zuständen und durch die er so gestellt werde, als wäre der Vertrag nicht zustande gekommen; eine Annahme dieses Angebots durch den Teil sei bereits dann anzunehmen, wenn dieser untätig bleibe (BGH NZM 2016, 582, 584).Dagegen biete der Bestätigende idR dem anderen Teil nicht zugleich den Erlass solcher Schadensersatzansprüche an, die den vertraglichen Leistungsaustausch unberührt ließen (BGH NZM 2016, 582, 584). Da derartige Ansprüche praktisch die Ausnahme bilden, sondern es überwiegend um Ansprüche auf schadensrechtliche Rückabwicklung des Vertrags gem §§ 241 II, 311 II, 280 I gehen dürfte, sollte der Unterschied zu der hier vertretenen Auffassung, nach der der Wille des Bestätigenden idR auf Beseitigung aller aus dem Anfechtungstatbestand folgenden Schadensansprüche gehen wird, gering bleiben. Problematisch erscheint es freilich, wenn nach Auffassung des BGH (NZM 2016, 582, 585) im Fall einer arglistigen Täuschung über einen Mangel der Kaufsache auch Ansprüche auf „großen Schadensersatz“ (§§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I 1, 3) durch die Bestätigung ausgeschlossen sein sollen. Derartige Ansprüche beruhen nicht auf dem Anfechtungstatbestand, sondern bereits auf der mangelhaften Leistung; das Vorliegen einer arglistigen Täuschung ist allein im Hinblick auf die Entbehrlichkeit der Nachfrist relevant (§ 281 II Alt 2 oder § 440). Dementsprechend kann die Bestätigung des anfechtbaren Vertrags nur die sofortige Geltendmachung des großen Schadensersatzes hindern, steht aber einer Berufung auf §§ 437 Nr 3, 280 I, III, 281 I 1, 3 nach erfolgloser Nachfristsetzung nicht entgegen. 4. Beweislast. Wer den Ausschluss des Anfechtungsrechts geltend macht, hat die Bestätigung zu beweisen (BGH NJW 1967, 720, 721). Dabei soll es allerdings genügen, wenn der andere Teil nachweist, dass der Anfechtungsberechtigte die Tatsachen kannte, die sein Anfechtungsrecht begründen (MüKo/Busche Rn 9).

Titel 3 Vertrag Vorbemerkung vor § 145 I. Grundlagen Schrifttum: Arnold, Vertrag und Verteilung, Die Bedeutung der iustitia distributiva im Vertragsrecht, 2014; Bailas, Das Problem der Vertragsschließung und der vertragsbegründende Akt, 1962; F. Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes, 1967; Fischer, Die Entwicklung des europäischen Vertragsrechts, 2. Aufl 2016; Flume, Rechtsgeschäft und Privatautonomie, FS zum 100-jährigen Bestehen des DJT I, 1960, 135; Jansen/Zimmermann, Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht, AcP 210 (2010), 196; Köhler, Vertragsrecht und „Property Rights“-Theorie, ZHR 144 (1980), 589; Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1980; Kramer, Grundlagen der vertraglichen Einigung, 1972; Leenen, Abschluss, Zustandekommen und Wirksamkeit des Vertrages, AcP 188 (1988), 559; Leenen, Willenserklärung und Rechtsgeschäft in der Regelungstechnik des BGB, FS Canaris, 2007, 699; Limbach, Das Rechtsverständnis in der Vertragslehre, JuS 1985, 10; Mayer-Maly, Vertrag und Einigung, FS Nipperdey I, 1965, 509; L. Raiser, Vertragsfunktion und Vertragsfreiheit, FS zum 100-jährigen Bestehen des DJT I, 1960, 101; L. Raiser, Die Aufgabe des Privatrechts, 1977; Reinhardt, Die Vereinigung subjektiver und objektiver Gestaltungskräfte im Vertrage, FS Schmidt-Rimpler, 1957, 115; Rother, Der Vertrag als Vertragsgegenstand, FS Larenz, 1973, 409; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, 1986; Schmidt-Rimpler, Zum Vertragsproblem, FS Raiser, 1974, 3; Stöhr, Die Vertragsbindung – Legitimation, Herkunft, Grenzen, AcP 214 (2014), 425; Tosche, Entwicklung und Auflösung der Lehre vom Vertrag, 1980; Willoweit, Rechtsgeschäft und einverständliches Verhalten, NJW 1971, 2045; Windel, Die Typologie der Schuldverträge, FS Schilken, 2015, 153. Vgl auch die Schrifttumshinweise vor Rn 14, 26, 39, 42, 46, 53.

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1. Überblick. a) Anwendungsbereiche von Verträgen. Die §§ 145–157 enthalten Regeln darüber, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag zustande kommt und wie sein Inhalt zu bestimmen ist. Kern jedes Vertrags ist die Willenseinigung zweier oder mehrerer Rechtssubjekte. Die Einigung kommt in gegenseitig ausgetauschten und inhaltlich übereinstimmenden Willenserklärungen der Vertragspartner zum Ausdruck (Rn 11f), die eine Rechtswirkung zur Folge haben. Der Vertrag dient somit der Selbstgestaltung im Rahmen der Rechtsordnung (Vertragsfreiheit; Rn 26ff). Die Parteien legen einverständlich fest, was zw ihnen rechtens sein soll (lex contractus). Sie können sich ausdr oder konkludent (dh durch schlüssiges Verhalten) einigen. Auch im Falle schlüssigen Verhaltens ist der beiderseitige Wille erforderlich, einen bestimmten Vertrag zu schließen. Insb muss auch das schlüssige Verhalten zu einer Einigung über die essentialia negotii (s Rn 4 und § 154 Rn 2) führen (Brandenburg 25.6.2008 – 3 U 195/07). Existent ist nur der konkrete Vertrag. Der Vertrag als solcher ist ebenso wie die Willenserklärung und das Rechtsgeschäft eine Abstraktion, deren Wert in der Erkenntnis des rechtlich Wesentlichen liegt. Die Abstraktion „Vertrag“ iSd §§ 145ff erfasst alle Einigungen im Bereich des Privatrechts (zum öffentlichrechtl Vertrag s Rn 14ff). Das Hauptanwendungsgebiet liegt im Schuldrecht (Rn 2f). Daneben kommen Verträge im Sachen-, Familien- und Erbrecht vor; für sie gelten gleichfalls die §§ 145–157, während die Bestimmun414

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gen des Schuldrechts auf sie idR nicht anwendbar sind (RG 66, 90, 99; Vor § 311 Rn 1). Gegenstand eines Vertrags kann insb eine Verfügung sein, wie zB die Abtretung oder der Erlass einer Forderung (§§ 398, 397), die Eigentumsübertragung (§§ 929, 925, 873) oder die Bestellung eines dinglichen Rechts. Verträge über dingliche Rechte bilden als „dingliche“ Verträge eine Unterart der Verfügungsverträge. b) Insbesondere: Schuldverträge. aa) Durch den Schuldvertrag wird meist eine Verpflichtung zu künftigem Verhalten begründet. Je nachdem, ob nur eine Vertragspartei oder mehrere Vertragsparteien verpflichtet werden, kann man einseitige Verträge (zB Schenkungsversprechen) unterscheiden von mehrseitigen (zB Kauf). Daneben gibt es unvollkommen zweiseitige Verträge, die gewissermaßen in der Mitte zw den einseitigen und den mehrseitigen Verträgen stehen. Sie setzen, wie zB der Auftrag, nur die Verpflichtung einer Partei voraus, können aber uU auch Verpflichtungen der anderen Partei auslösen. In der Rechtspraxis stehen die verpflichtenden Verträge im Vordergrund. Zu den Schuldverträgen gehören aber auch die im täglichen Leben häufigen Handgeschäfte, wie zB Handkauf und Handschenkung. Sie begründen zwar keine Verpflichtung zu künftiger Leistung, schaffen aber einen Rechtsgrund iSd § 812 für erbrachte Leistungen. Die Regeln über das Zustandekommen von Verträgen (§§ 145–156) gelten für alle privatrechtlichen Vereinbarungen, die – außerhalb von Gefälligkeitsverhältnissen – auf die Erzielung eines bestimmten Rechtserfolgs gerichtet sind (BGH NJW-RR 1994, 1163, 1164; MüKo/Busche Rn 33). Das BGB regelt im Besonderen Schuldrecht (§§ 433ff) bestimmte Vertragstypen, die sich in drei Gruppen einteilen lassen. Es sind die Verträge des Interessengegensatzes (Austauschverträge), zu denen Kauf, Miet-, Pacht- und Werkvertrag gehören, die Verträge der Interessengemeinschaft, insb Gesellschaftsverträge, sowie die Verträge der Interessenwahrung, insb Geschäftsbesorgungsverträge (§ 675). bb) Soweit Schuldverträge zugleich das Verhalten der Parteien im Markt zum Gegenstand haben und die Vertragsfreiheit einengen, gewinnen sie den Charakter marktordnender (organisatorischer) Verträge. Mit ihnen befasst sich das GWB. Das Kartellverbot erfasst nach § 1 GWB Vereinbarungen zw Unternehmen, Beschl von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Ob eine „Vereinbarung“ iSd § 1 GWB neben der Willenseinigung (vgl zu ihr BGH [Kartellsenat] NJW 1971, 521, 524 – Teerfarben) keinen rechtlichen Bindungswillen der Parteien verlangt (so Erman/Hefermehl10 Rn 6), ist nach der Neufassung des GWB überaus fraglich. Überzeugender ist es, Übk ohne Bindungswillen und damit auch das Gentlemen’s Agreement (Rn 8) als aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen iSd § 1 GWB anzusehen (Staud/Bork Rn 7). 2. Erforderlicher Wille. a) Grundsatz. Der Vertrag erfordert einen auf eine Rechtsfolge gerichteten Willen der Parteien, bei einem schuldbegründenden Vertrag einen Rechtsbindungswillen (BGH 21, 102, 106 = NJW 1956, 1313; 56, 204, 208 = NJW 1971, 1404, s § 145 Rn 3). An den Inhalt und Umfang dieses Willens sind nur geringe Anforderungen zu stellen. Rechtseinzelheiten sind den Parteien gewöhnlich unbekannt und können daher von ihnen nicht gewollt sein. Zielt der Parteiwille auf einen tatsächlichen wirtschaftlichen Effekt, genügt es, wenn dieser vom Recht gewährleistet werden soll. Richtet sich der Parteiwille auf einen gesetzlich geregelten Vertragstyp, wie zB einen Kauf- oder Mietvertrag, so treten zugleich kraft zwingenden oder erg dispositiven Rechts die weiteren, dem Typus des Vertrags entspr, insb dessen Durchführung dienenden Regelungen ein. Auf sie braucht sich der Rechtsbindungswille der Parteien nicht zu erstrecken. Es genügt, dass der Geschäftskern, die essentialia negotii (Leistung, Gegenleistung, Parteien), vom Parteiwillen in laienhafter Vorstellung erfasst sind. Beim Garantievertrag gehört dazu die Vereinbarung, unter welchen konkreten Voraussetzungen der Garantiefall eintreten soll (Köln 20.10.2008 – 18 U 80/08). Zu den Anforderungen an die Bestimmbarkeit s § 145 Rn 2. b) Kenntnis der Unverbindlichkeit. Wissen die Parteien bei Vertragsabschluss, dass sie etwas rechtlich Unverbindliches vereinbaren, so soll es nach st Rspr an einem Rechtsgeschäft fehlen (RG 122, 138, 140f; BGH 45, 376, 379 = NJW 1966, 1747). Man spricht von „nicht rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen“ (RG 68, 322, 324). Wissen zB die Parteien, dass ein Teil ihrer Abreden wegen Nichtbeachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Form unwirksam ist, so soll diesem Teil keine rechtsgeschäftliche Bedeutung zukommen; das Rechtsgeschäft soll demnach nur von den übrigen, von den Parteien allein im Rechtssinn gewollten Vertragsbestimmungen gebildet werden. Bei dieser Sichtweise greift § 139 wegen fehlenden Rechtsbindungswillens nicht ein, weil von einer Nichtigkeit eines Teils des „Rechtsgeschäfts“ nicht gesprochen werden kann (BGH 45, 376, 379f = NJW 1966, 1747; NJW 1999, 351). Wollen die Parteien freilich den übrig bleibenden Rest nicht mit diesem Inhalt, so kann nur Gesamtnichtigkeit die Folge sein (BGH 45, 376, 380 = NJW 1966, 1747). Dieses Ergebnis zeigt, dass der Ausgangspunkt der Sichtweise der Rspr, die Unkenntnis der Rechtsunwirksamkeit sei begriffliche Voraussetzung eines Rechtsgeschäfts, durchaus angreifbar ist. Jener Sichtweise ist jedoch zuzugeben, dass bei Koppelung einer bewusst unwirksamen Erklärung mit einer wirksamen sich die Unwirksamkeit nach dem Parteiwillen gerade nicht auf das gesamte Rechtsgeschäft erstrecken soll, so dass die Vermutung des § 139 in der Tat nicht eingreift (s auch § 139 Rn 23; Staud/Roth § 139 Rn 24). c) Vermeintliche Unverbindlichkeit. Die Frage, ob ein Rechtsgeschäft vorliegt, stellt sich auch dann, wenn die Parteien ihre Vereinbarung wegen eines vermeintlichen Mangels als unwirksam angesehen haben, während sie in Wirklichkeit wirksam ist. Bsp: Beide Parteien nehmen irrtümlich an, gegen ein gesetzliches Verbot oder eine Formvorschrift zu verstoßen. Beim error in dominio hält sich der Veräußerer irrigerweise für den Nichteigentümer, und der Erwerber glaubt irrig nicht an das Eigentum des Veräußerers. In solchen Fällen ist zu differenzieren: Hätten die Parteien keine Regelung getroffen, wenn der Grund für die fehlende Unwirksamkeit ihnen bewusst gewesen wäre, liegt kein verbindliches Rechtsgeschäft vor (vgl Enn/Nipperdey § 145 Fn 7 [S 897]). Dies wird idR bei einem gewollten Verstoß gegen Formvorschriften anzunehmen sein (Flume II § 7, 8 [S 94]). BisweiArmbrüster

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len kann der von der Rechtsordnung vermeintlich nicht anerkannte Rechtserfolg indessen von den Parteien durchaus gewollt sein, zumindest für den Fall, dass er objektiv rechtlich möglich ist. Dies kommt insb bei einem vermeintlichen Verbotsverstoß in Betracht. Die Parteien verzichten dann nicht auf die Rechtsverbindlichkeit, sondern sie nehmen nur den Verstoß gegen das vermeintliche Verbot in Kauf (Flume II § 7, 8 [S 94]). Ein solches Rechtsgeschäft ist gültig. d) Abgrenzungen. aa) Mit dem Rechtsbindungswillen grenzt man auch rechtsverbindliche von nicht rechtlichen, sondern faktischen Bindungen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder moralischer Art ab (vgl Staud/ Bork Rn 79). Meist wird der Rechtsbindungswille jedoch von den Parteien nicht ausdr bejaht oder verneint sein. Es kommt dann darauf an, wie sich dem objektiven Betrachter das Verhalten des Leistenden darstellt (BGH 21, 102, 106f = NJW 1956, 1313; NJW 1992, 498f). So können sich Gefälligkeiten des täglichen Verkehrs außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereichs halten. Indizien für einen rechtlichen Bindungswillen sind hingegen etwa der hohe Wert einer anvertrauten Sache, die große wirtschaftliche Bedeutung einer Angelegenheit, das erkennbare Interesse des Begünstigten und die nicht ihm, wohl aber dem Leistenden erkennbare Gefahr, in die er durch eine fehlerhafte Leistung gelangen kann (München MDR 1999, 744 – Anlagevermittlung; Hamm NJW-RR 2001, 455, 456 – Schweißarbeiten beim Nachbarn; weitere Bsp aus der Rspr bei Staud/Bork Rn 82. Auch die Zumutbarkeit der Annahme einer Rechtspflicht und des sich daraus ergebenden Schadensersatzrisikos spielt eine wichtige Rolle (BGH NJW 1974, 1705, 1706 betr Lottospielgemeinschaft; krit Plander AcP 176, 425, 432ff). Deshalb ist bei einer (einmaligen) Gefälligkeitsfahrt ein Rechtsbindungswille idR zu verneinen, während er bei einer (regelmäßigen) Fahrgemeinschaft mit Unkostenbeteiligung durchaus bestehen kann (BGH NJW 1992, 498f). bb) Bei einem Gentlemen’s Agreement werden die Erklärungen der Parteien ohne Rechtsbindungswillen abgegeben. Der erstrebte Erfolg soll im Vertrauen auf das Wort des Partners oder die Regeln des Anstands erreicht werden. Es lässt sich kein allg Rechtssatz des Inhalts aufstellen, dass es immer dann, wenn die Partner einer Vereinbarung diese als Gentlemen’s Agreement bezeichnen, an einem rechtlichen Bindungswillen gefehlt habe, so dass die Parteien für die Durchführung ihrer Übereinkunft auf den beiderseitigen guten Willen oder die Einhaltung der Regeln des kaufmännischen Anstands angewiesen sind. Vielmehr muss unabhängig davon, ob die Bezeichnung „Gentlemen’s Agreement“ gebraucht wird oder nicht, nach den allg Regeln der Auslegung ermittelt werden, ob und in welchem Umfang die Parteien sich rechtlich durch die Begr klagbarer Ansprüche verpflichten wollten (BGH MDR 1964, 570; München NJW 2011, 1369, 1370; s auch Widmann NJW 2001, 205 zum Ehrenwort). Ein Gentlemen’s Agreement kann allerdings als Beschreibung einer Geschäftsgrundlage angesehen werden und damit gem § 313 Bedeutung erlangen (vgl Nürnberg NJW-RR 2001, 636, 637). Die Rückforderung eines durch eine derartige Vereinbarung erlangten Vermögensvorteils erfolgt nach Bereicherungsrecht. Vom Gentlemen’s Agreement sind die sog gewillkürten Naturalobligationen bzw Vertrauensverträge abzugrenzen (NK/ Schulze Rn 28). In diesen Fällen ist regelmäßig zwar die gerichtliche Erzwingbarkeit der Primärleistungspflichten ausgeschlossen, da ein Höchstmaß an inhaltlicher Flexibilität gewährleistet werden soll (Celle OLG 1969, 1, 2; NK/Schulze Rn 28). Indes liegt ein Schuldverhältnis iSv § 241 I vor, aus dem sich Pflichten nach § 241 II und Schadensersatzansprüche nach § 280 I ergeben können. Zugleich bildet dieser Vertrauensvertrag einen Rechtsgrund iSv § 812 I 1. Etwaige Vermögensverschiebungen können demnach nicht über das Bereicherungsrecht korrigiert werden. Allerdings ist die Vereinbarung einer unklagbaren Forderung regelmäßig auf ein verbotenes oder sittenwidriges Verhalten gerichtet; insoweit sind an die Inhaltskontrolle strenge Maßstäbe anzulegen (Celle OLG 1969, 1, 2). Zur ähnlichen Struktur bei Spielsperrverträgen s KG NJW-RR 2003, 1359ff. cc) Der Rechtsbindungswillen fehlt idR auch beim Letter of Intent, bei dem es sich um eine reine Absichtserklärung handelt, zB zukünftig einen Vertrag (unter gewissen Bedingungen) zu schließen. Ein Letter of Intent kann allerdings Grundlage für Schadensersatzansprüche wegen Verletzung vorvertraglichen Vertrauens sein (vgl §§ 311 II, 241 II, 280 [cic]; s dazu Bergjan ZIP 2004, 395). Die Auslegung kann zudem ergeben, dass die Parteien ausnahmsweise schon in einem Letter of Intent verbindliche Abreden treffen wollen („harter Letter of Intent“; Bergjan ZIP 2004, 395, 396; oder „Vorfeldvereinbarung“; MüKo/Busche Rn 59; eingehend Lutter Letter of Intent, 19ff). Zur Abgrenzung von Nebenabreden in einem Side Letter s Duhnkrack/Hellmann ZIP 2003, 1425, 1426. dd) Um eine sog unvollkommene Verbindlichkeit handelt es sich, wenn die Parteien nur die Klagbarkeit ausschließen (pactum de non petendo; zum gesetzlichen Ausschluss s §§ 762f), die Vereinbarung jedoch iÜ der Rechtsordnung unterstellen. Der Vertragscharakter einer Vereinbarung entfällt nicht dadurch, dass eine nicht klagbare Verpflichtung begründet wird. Daher gelten zB für ein Vermächtnis unter Ausschluss der Klagbarkeit – als einer Zusage einseitiger Leistung – abgesehen von der Klagbarkeit die Regeln über das Vermächtnis (Flume II § 7, 8, 95). Auch familiäre und gesellschaftliche Beziehungen sind einer rechtsgeschäftlichen Regelung nicht schlechthin entzogen (s auch Rn 7). Zwar werden häufig keine klagbaren Verpflichtungen begründet worden sein, wohl aber durch Verfügungen oder Ermächtigungen andere Rechtswirkungen. Der rechtsgeschäftliche Charakter kann sich hier insb in der Festlegung eines Leistungszwecks, einer Haftungsbeschränkung oder im Ausschluss eines Rückforderungsanspruchs zeigen. 3. Zustandekommen des Vertrags. a) Der Vertragsschluss vollzieht sich gem §§ 145ff durch Antrag und Annahme, also durch gegenseitige, miteinander inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen (Rn 1; vgl aber auch Leenen FS Canaris, 699ff, der den Abschluss des Vertrags von dessen Zustandekommen abgrenzt). Häufig wird die Annahme dem Antrag nachfolgen. Ein Vertrag kann aber auch durch gleichzeitig abgegebene Willenserklärungen, insb durch Unterzeichnung derselben Vertragsurkunde geschlossen werden; die gemeinsame Unterzeichnung stellt den Abschluss des Einigungsprozesses dar (instruktiv dazu Leenen AcP 188, 381, 399ff; s auch 416

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Merle ZWE 2005, 412ff). Beim Wiederkaufs-, Vorkaufs- oder Optionsrecht ist der Hauptvertrag aufschiebend bedingt geschlossen (s Vor § 158 Rn 13ff, § 463 Rn 3, § 456 Rn 4 – Vorkauf; § 456 Rn 3 – Wiederkauf sowie Vor § 158 Rn 14f – Option). – Als Ort des Vertragsschlusses ist der Ort anzusehen, an dem der Konsens zustande kommt. Das ist bei Erklärungen unter Abwesenden der Ort, an dem die Annahme dem Antragenden zugeht; bedarf es keines Zugangs der Annahmeerklärung (§ 151), ist es der Ort der Abgabe (RG 62, 379, 381). Entspr gilt für den Zeitpunkt. – Ferner muss der Gegenstand des Vertrags bestimmt oder genügend bestimmbar sein (vgl BGH NJW 1996, 1751; NZM 2015, 497 Rn 24 – Architektenvertrag). Dies gilt insb für einen Vorvertrag: Er muss ein solches Maß an Bestimmbarkeit aufweisen, dass im Streitfall der Inhalt des Hauptvertrags richterlich festgestellt werden kann (s Rn 47). b) Konsens. Zu einem Vertrag kommt es nur, wenn die Willenserklärungen inhaltlich übereinstimmen. Ob dies 12 der Fall ist, muss durch Auslegung (§§ 133, 157; eingehend § 157 Rn 1ff) geklärt werden. Vertragszweck und Vertragsinhalt sind unter Berücksichtigung des erklärten Parteiwillens und von Treu und Glauben zu ermitteln (BGH 9, 273, 277 = NJW 1953, 937). Dabei ist stets die individuelle Auslegung anhand der Interessenlage vorrangig. Maßgeblich ist der Einfluss, den das Interesse der Parteien auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe hatte (BGH NJW 1998, 3268, 3269f; NJW 2001, 1928f). Kann der übereinstimmende wirkliche Wille festgestellt werden, so besteht kein Anlass für eine objektive (typisierende) Auslegung. So kommt es bei einer falsa demonstratio nicht auf den Wortlaut der Erklärungen, sondern auf das beiderseits Gewollte an (st Rspr, BGH NJW 1998, 746, 747; krit Mittelstädt Die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen, 2016 126ff, 152; s § 155 Rn 2). Ein Vertrag kann aber auch zustande kommen, wenn sich die eine Partei ihres rechtsgeschäftlichen Verhaltens nicht bewusst geworden ist (fehlendes Erklärungsbewusstsein), die andere Partei aber hierauf vertraut hat (Schulbeispiel: sog Trierer Weinversteigerung, s dazu Boecken AT Rn 207). Privatautonomie und Vertrauensschutz bedingen einander und rechtfertigen eine normative Auslegung. Ein Vertrag kommt hingegen nicht zustande, wenn beide Parteien sich nicht bewusst waren, rechtsgeschäftlich zu handeln (s Rn 4). Dasselbe gilt, wenn sie sich über einen wesentlichen Vertragsbestandteil nicht geeinigt haben und das Fehlende sich weder den Umständen (arg § 154) oder dem dispositiven Recht (zB §§ 612, 632) entnehmen lässt noch der Bestimmung durch eine Partei oder einen Dritten (§§ 315ff) oder ausnahmsweise einer späteren Regelung vorbehalten wurde. Bei Vertragslücken, die nicht die essentialia negotii betreffen, kommen – abgesehen von speziellen gesetzlichen Auslegungsregeln – die Grundsätze erg Auslegung zur Anwendung (§ 157 Rn 15ff). 4. Internationales Recht; Rechtsvergleichung. a) UN-Kaufrecht (CISG). Von besonderer Bedeutung für das 13 Vertragsrecht ist das Übk der Vereinten Nationen (UN) v 11.4.1980 betreffend Verträge über den internationalen Warenverkauf, das am 1.1.1991 für Deutschland in Kraft getreten ist (BGBl II 1989, 5586). Internationale Warenkaufverträge, die seit dem 1.1.1991 mit CISG-Vertragsstaaten geschlossen werden, unterliegen den Vorschriften dieses Rechts (Art 100 CISG), sofern nicht die Parteien seine Anwendung abbedungen haben (Art 6 CISG). Der Vertragsschluss ist im Wesentlichen in den Art 14ff CISG geregelt (zu Anwendungsproblemen s Neumayer, FS W. Lorenz, 1991, 747). Diese Vorschriften weisen deutliche Parallelen zu jenen des BGB auf. Erg können als allg Grundsätze iSd Art 7 II CISG auch die UNIDROIT-Grundregeln der Internationalen Handelsverträge (UNIDROIT-Principles) herangezogen werden. Eingehend zum Ganzen Honsell (Hrsg), Kommentar zum UNKaufrecht2, 2009; Schlechtriem/Schwenzer, Kommentar zum Einheitlichen UN-Kaufrecht6, 2013; Staud/Magnus, Kommentar zum UN-Kaufrecht (CISG), Bearb 2013; http://www.unilex.info (Texte, Entscheidungssammlungen, Schrifttumshinweise zum CISG und zu den UNIDROIT-Prinzipien); s auch Ludwig, Der Vertragsschluss nach UN-Kaufrecht im Spannungsverhältnis von Common Law und Civil Law, 1994. b) Principles of European Contract Law (PECL). Die von der Kommission für Europäisches Vertragsrecht auf rechtsvergleichender Grundlage erstellten PECL (sog Lando-Principles; dt Übersetzung in ZEuP 2000, 657 und kommentiert bei v Bar/Zimmermann [Hrsg], Grundregeln des Europ Vertragsrechts, 2002) sind ein Modell eines modernen europäischen Vertragsrechts. Sie enthalten in Kapitel 2 Bestimmungen zum Abschluss von Verträgen (Art 2:101–2:211), die teils Parallelen zu den §§ 145ff aufweisen, jedoch vielfach deutlich detaillierter sind. Schon weil die PECL keine Rechtsqualität haben (vgl Michaels RabelsZ 62, 580, 621f), scheiden sie für dem BGB unterliegende Sachverhalte als Analogiebasis aus; sie bieten dem Gesetzgeber jedoch de lege ferenda Anregungen. Eingehend zum Vertragsschluss gem PECL im Vergleich zu den §§ 145ff Jansen/Zimmermann AcP 210, 196ff. c) Common Frame of Reference (CFR). Der CFR enthält im Bereich von Zustandekommen und Wirksamkeit von Verträgen im Wesentlichen Regelungen, die denen der PECL nachgebildet sind (näher Armbrüster Jura 2007, 321ff; Hellwege AcP 211, 665ff; Köhler in Basedow [Hrsg], Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und dt Recht, 2000, 33ff). d) Common European Sales Law (CESL). Beim CESL handelt es sich um eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht, die bisher über das Entwurfsstadium nicht hinausgelangt ist (KOM (2011) 635 endg). Im Arbeitsprogramm v 16.12.2014 hat die Kommission eine Überarbeitung des Entwurfs angekündigt (KOM (2014) 910 endg Annex 2, Nr 60). Diese steht noch aus. Der ursprüngliche Entwurf baute in seinen Art 30ff hins des Vertragsschlusses weitgehend auf dem CFR auf (näher Looschelders AcP 212, 581ff; s auch Martens AcP 211, 845ff). Zum Stand des Europäischen Vertragsrechts s auch Grundmann JZ 2005, 860; Riesenhuber, EU-Vertragsrecht, 2013; T. Vogel ZfRV 2004, 163. II. Verträge der öffentlichen Hand (Staat, Gemeinden) Schrifttum: Bartscher, Der Verwaltungsvertrag in der Behördenpraxis, 1996 [Empirie]; Burmeister, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 (1993), 190; Dorf, Rückabwicklung echter und unechter zweistufiger

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Rechtsverhältnisse, NVwZ 2008, 375; Erichsen, Die Nichtigkeit und Unwirksamkeit verwaltungsrechtlicher Verträge, Jura 1994, 47; Grziwotz, Einführung in die Vertragsgestaltung im öffentlichen Recht, JuS 1998, 807/903/1013/1113, JuS 1999, 36/145/245; Gurlit, Verwaltungsvertrag und Gesetz, 2000; Gurlit, Grundlagen des Verwaltungsvertrages, Jura 2001, 659/731; Höfling/Krings, Der verwaltungsrechtliche Vertrag: Begriff, Typologie, Fehlerlehre, JuS 2000, 625; Kämmerer, Privatisierung, 2001; R. Keller, Vorvertragliche Schuldverhältnisse im Verwaltungsrecht, 1997; Krebs, Verträge und Absprachen zwischen der Verwaltung und Privaten, VVDStRL 52 (1993), 248; Kunig, Verträge und Absprachen zwischen Verwaltung und Privaten, DVBl 1992, 1193; D. Lorenz, Der Wegfall der Geschäftsgrundlage beim verwaltungsrechtlichen Vertrag, DVBl 1997, 865; Maurer, Der Verwaltungsvertrag – Probleme und Möglichkeiten, DVBl 1989, 798; Sachs, Die normsetzende Vereinbarung im Verwaltungsrecht, VerwArch 74 (1983), 25; Schlette, Die Verwaltung als Vertragspartner, 2000; Weißenberger, Die Zweistufentheorie im Wirtschaftsverwaltungsrecht, GewArch 2009, 417/465. Rechtspolitik: Beirat Verwaltungsverfahrensrecht beim BMI, Schr v 30.4.2002, ZfIR 2002, 946.

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1. Öffentlich- und privatrechtliche Handlungsformen. a) Unabhängig davon, in welchen Beziehungen die Parteien zueinander stehen, ist der Vertrag stets Ausdruck der Gleichordnung der Vertragspartner. Nicht nur Privatpersonen, auch die Träger öffentlicher Verwaltung (Staat, Gemeinden und andere jur Pers des öffentlichen Rechts) können sich privatrechtlicher Organisationsformen (AG, GmbH, Verein) und privatrechtlicher Handlungsformen (Vertrag) zur Erfüllung staatlicher Aufgaben bedienen, soweit sie nicht zur Verwendung bestimmter Organisations- oder Handlungsformen im Einzelfall verpflichtet sind. Eine allg Grenze lässt sich für die privatrechtlich strukturierte Verwaltungstätigkeit nicht ziehen. Demokratiegebot und rechtsstaatliche Grundsätze bilden die Schranken (näher Ehlers Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, 201ff; Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz, 299ff). IdR verlangt der Bereich der Eingriffsverwaltung öffentlich-rechtl Verwaltungstätigkeit, etwa Polizei-, Steuer- und Wehrverwaltung (Püttner Die öffentlichen Unternehmen, 1969, 126ff, 136ff; Zeidler VVDStRL 19, 208ff), während auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung innerhalb bestimmter verfassungsrechtlicher und einfach-gesetzlicher Grenzen die freie Wahl zw öffentlich- und privatrechtlichen Gestaltungsformen besteht (s Rn 16). Das öffentliche Recht umfasst die Normen, die auf der einen Seite ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten (BGH 41, 264, 267 = NJW 1964, 1472). Als Handlungsform herrscht hier der Verwaltungsakt iSv § 35 S 1 VwVfG vor. Nach § 54 S 1 VwVfG kann ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts jedoch auch durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Ohne weiteres zulässig sind verwaltungsrechtliche Verträge zw verschiedenen Trägern der öffentlichen Verwaltung (Gemeinden, Fürsorgeverbänden, Krankenkassen), die in Koordinationsbeziehungen stehen; einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung bedarf es für solche Verträge zw Verwaltungsträgern nicht. Genauerer Betrachtung bedarf der verwaltungsrechtliche Vertrag, wenn er in einer Subordinationsbeziehung zw Trägern öffentlicher Verwaltung und Privatpersonen geschlossen wird (s Rn 20ff). Solche öffentlich-rechtl Verträge zw Staat und Bürger sind abzugrenzen ggü dem Verwaltungsakt und dem privatrechtlichen Vertrag. Auch die durch einen öffentlich-rechtl Vertrag begründeten Pflichten wirken grds nur inter partes. Nach VGH Mannheim NVwZ-RR 2006, 81 (LS) kommt allerdings bei der Verpflichtung eines Grundeigentümers, bestimmte Nutzungen zu unterlassen, auch eine dingliche Wirkung in Betracht (offenlassend BVerwG BauR 2010, 742, 743). b) Leistungsverwaltung. aa) Überblick. Im Bereich der sog Leistungsverwaltung besteht grds Freiheit der Formenwahl. Der Staat und die Gemeinden können sich daher, sofern ihnen ein öffentlich-rechtl Handeln nicht verbindlich vorgeschrieben ist, sowohl öffentlich-rechtl als auch privatrechtlicher Formen bedienen (BGH 91, 84, 95f = NJW 1985, 197; Schoch/Schneider/Bier/Ehlers/Schneider, § 40 VwGO Rn 243; s auch § 839 Rn 37). So wird das Verhältnis zw Patient und Arzt bei Aufnahme in ein öffentliches Krankenhaus oder eine Universitätsklinik als privatrechtlich angesehen, auch bei Einweisung durch eine öffentliche Krankenkasse (BGH 1, 383, 385f; 9, 145, 148 = NJW 1963, 40); bei Einweisung aufgrund öffentlicher Fürsorge, insb Zwangsbehandlung, sind die Beziehungen indessen hoheitlich (BGH 38, 49, 50f = NJW 1963, 40). Dabei besteht ein Zusammenhang zw Organisationsform und Qualifikation des Rechtsverhältnisses. Werden Verwaltungsaufgaben durch eine von einer öffentlich-rechtl Körperschaft beherrschte GmbH erfüllt, so sind die Rechtsbeziehungen zw dieser und den Benutzern privatrechtlich, es sei denn, die GmbH ist mit Hoheitsaufgaben beliehen. Erfüllt zB eine Gemeinde ihre Verwaltungsaufgabe durch eine von ihr beherrschte GmbH, so können die Beziehungen zw der GmbH und den Benutzern nur privatrechtlich sein. Führt die Gemeinde die Verwaltungsaufgabe hingegen in eigener Regie durch, dann kann sie das Verhältnis zw ihr und den Benutzern öffentlich-rechtl oder privatrechtlich ausgestalten (Maurer Allg VerwR18 2011, § 3 Rn 25 [S 51]). Ist eine eindeutige Zuordnung ausnahmsweise nicht möglich, so ist davon auszugehen, dass die Verwaltung sich der auf das Verwaltungshandeln besonders zugeschnittenen öffentlichen Rechtsformen bedient (vgl BGH 63, 119, 121 = NJW 1975, 106, 107; Eyermann/Rennert, VwGO14, 2014, § 40 Rn 45; krit Schoch/Schneider/Bier/Ehlers/Schneider § 40 VwGO Rn 245). Wird das Benutzungsverhältnis privatrechtlich ausgestaltet, so unterliegt die Verwaltung in jedem Fall hins des „Ob“ der Leistungsgewährung öffentlich-rechtl Bindungen (Eyermann/Rennert § 40 VwGO Rn 46). Auch die Rspr erkennt für bestimmte Bereiche seit langem an, dass einer privatrechtlichen „Abwicklungsstufe“ die Stufe einer öffentlich-rechtl Entscheidung vorausgehen kann, wenn öffentliche Körperschaften mit ihrer im Privatrecht abzuwickelnden Entscheidung hoheitliche Zwecke verfolgen (grundlegend BVerwG 1, 308, 309f; BGH 61, 296, 299; OVG Rh-Pf DÖV 1993, 351, 352f; OVG Münster NJW 2001, 698, 699). Dies ist eine der wesentlichen Aussagen der sog Zweistufenlehre (vgl Schoch/Schneider/Bier/Ehlers/Schneider, § 40 VwGO Rn 260ff; Weißenberger GewArch 2009, 417ff; zur Kritik s Rn 19). Die Anwendung dieser Lehre, die zur Vergabe von Subventionen (s dazu Rn 17) entwickelt wurde (Maurer Allg VerwR § 17 Rn 13 [S 459]), ist mittlerweile auch für die Nutzung öffentlicher Einrichtungen (s Rn 18) anerkannt (vgl BVerwG 32, 333, 334; OVG Münster DVBl 1968, 842, 842f m Anm Jülich; OVG 418

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Vertrag

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Rh-Pf DÖV 1986, 153; Hessischer VGH DÖV 1994, 438, 439; krit Jauernig NJW 1972, 1ff; ausf zu § 70 GewO Hilderscheid GewArch 2008, 54ff). Für den Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe (vgl §§ 97ff GWB) wird die Zweistufenlehre hingegen abgelehnt (BVerwG 14, 65, 67f = NJW 1962, 1535, 1535f; NJW 2007, 2275 LS; vgl BGH NJW 1967, 1911, 1911f; aA auf der Grundlage von § 13 VgV aF Kämmerer in Schünemann/Stober Haftungsgrundsätze und Haftungsgrenzen des Sicherheitsgewerbes 2002, S 71, 76f mit 93). Hier besteht grds ein einheitliches Rechtsverhältnis, das entweder privat- oder öffentlich-rechtl sein kann. bb) Bei Subventionen und anderen Förderungen erfolgt die Entscheidung über das „Ob“ der Subvention öffent- 17 lich-rechtl (idR durch Verwaltungsakt), der Vollzug kann entweder ebenso wie die Bewilligung öffentlich-rechtl oder aber durch einen selbständigen zweiten Akt privatrechtlich mit allen Folgen gestaltet werden (Zweistufenlehre, s Rn 16; Bleckmann Subventionsrecht, 1978, 116ff). So soll ein zur Durchführung einer Subvention geschlossener Bürgschaftsvertrag – ebenso wie das durch ihn gesicherte Bankdarlehen – privatrechtlicher Natur sein, wenn die Bedingungen wie bei einem privaten Bürgen in einer Schuldurkunde niedergelegt sind. Dann ist bei einem Streit über die Erfüllung der Bedingungen der Zivilrechtsweg gegeben, jedoch sind, wenn sich der Streit auf den Inhalt oder das Ausmaß der öffentlich-rechtl Bewilligung bezieht, stets die Verwaltungsgerichte zuständig (§ 40 I VwGO; BVerwG 13, 307, 308f; 37, 243, 244). Widersinnig ist eine Aufspaltung, wenn die Pflichten bereits durch den Verwaltungsakt festgelegt sind (BGH 57, 130, 132f = NJW 1972, 210 für den Anspruch auf Rückzahlung einer Spielfilmprämie bei Nichtherstellung des Films). Bei verlorenen Zuschüssen erfolgt die Gewährung ebenso wie die Bewilligung der Subvention einheitlich öffentlich-rechtl (BVerwG NJW 1969, 809; BGH 57, 130, 132f = NJW 1972, 210; Maurer AllgVerwR § 17 Rn 29 [S 465]; Ipsen Öffentliche Subventionierung, 68). Besondere Probleme treten bei der Rückabwicklung von rechtswidrig gewährten Subventionen auf. Hier muss bei zweistufigen Subventionsverfahren neben der Aufhebung des Bewilligungsbescheids auch die vertragliche Grundlage beseitigt werden (Weißenberger GewArch 2009, 465, 466). Nach der Rspr des BVerwG bildet in solchen Fällen der privatrechtlich ausgestaltete Vertrag den Rechtsgrund für die Leistung, so dass ein Rückforderungsanspruch aus § 812 BGB besteht, der vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen ist. § 49a VwVfG greift dann nicht (BVerwG NVwZ 2006, 536; Dorf NVwZ 2008, 375, 376; Weißenberger GewArch 2009, 465, 466). cc) Nutzung von Einrichtungen. Das Postbenutzungsverhältnis wurde früher öffentlich-rechtl beurteilt (zu- 18 letzt BGH 98, 140, 143 = NJW 1986, 2826), ist nunmehr aber durch die erste Postreform (Poststrukturgesetz, BGBl I 1989, 1026: § 7 PostG, § 9 I FAG) und vor allem die Privatisierung der drei Teilbereiche Postdienst, Postbank und Telekom aufgrund der zweiten Postreform (PostneuordnungsG, BGBl I 1994, 2325) durchweg privatrechtlicher Natur (s auch § 839 Rn 45); es handelt sich nicht mehr um Leistungsverwaltung, sondern um privatwirtschaftliche Tätigkeiten (Art 87f II 1 GG; Kämmerer Privatisierung, 307). Bei förmlichen Zustellungen werden die Deutsche Post AG sowie andere Lizenznehmer für Briefzustelldienstleistungen freilich weiter hoheitlich tätig (§ 33 PostG; zum Problem der Beleihung der Deutschen Post AG für förmliche Zustellungen BFH NJW 1997, 3264, aA Späth DStR 1996, 1723ff; vgl auch die AGB der drei Unternehmen). – Für Rechtsbeziehungen der Eisenbahnen des Bundes zu ihren Benutzern galt auch schon vor der 1994 erfolgten Privatisierung (s Vor § 21 Rn 11) Privatrecht (RG 161, 341, 344; BGH 6, 304, 311; 20, 102, 105; s auch § 839 Rn 46). Zur Zulässigkeit der Privatisierung s allg Schoch Jura 2008, 672ff. – Weitere Fälle: Privatrechtlich einzuordnen ist auch die Nutzung der Leistungen von Flughäfen (BGH BB 1969, 1239 m Anm Hiller; BGH VersR 1993, 1239), Sparkassen (RG 91, 344), kommunalen Elektrizitätswerken (BGH NJW 1954, 1323; Hamm NJW 1961, 2348), Gaswerken (BVerwG BB 1959, 574), Markthallen (Lüneburg OVGE 16, 455, 456); Einrichtungen der Abwasserentsorgung (BGH NJW 1992, 171, 172); Kindertagesstätten (VGH Kassel NJW 1977, 452; Celle NJW 1977, 1295); Müllkippen (BGH NJW 1975, 106). – Öffentlich-rechtl ist die Benutzung häufig bei unselbständigen Anstalten geregelt, ferner bei kommunalen Wasserwerken (BGH 17, 191, 192) sowie bei Kanalisation, Müllabfuhr, Schlachthof (BGH 61, 7, 10), wenn Anschluss- und Benutzungszwang besteht; Friedhöfen (BVerwG 11, 68; München DVBl 1956, 175; VGH Stuttgart DÖV 1958, 498, 499); Obdachlosenheimen (LG Kassel NJW 1956, 1360); öffentlichen Bibliotheken (OVG Bremen NJW 1998, 3583; vgl auch AG Berlin-Wedding NJW 1960, 1525; aA LG Berlin NJW 1962, 55, 56); idR auch Badeanstalten (vgl VGH Freiburg DVBl 1955, 745, 746; AG Würzburg NJW-RR 1993, 1332; aA VGH Mannheim NJW 1979, 1900; Koblenz NJW-RR 2001, 318); s zum Ganzen Brüning LKV 2000, 54; v Danwitz JuS 1995, 1; Rüfner Die Nutzung öffentlicher Anstalten, Die Verwaltung Bd 17 (1984), 19ff. dd) Im verwaltungsrechtlichen Schrifttum begegnet die Zweistufenlehre zunehmend Kritik (s Maurer Allg VerwR 19 § 17 Rn 14ff [S 460ff]; Hilderscheid GewArch 2008, 54, 58ff). Insb wird vorgebracht, wegen der Möglichkeit zum Abschluss öffentlich-rechtl Verträge sei die Zweistufigkeit abzulehnen (näher Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz 46ff). Für eine einheitliche Betrachtungsweise spricht zudem, dass damit die sich aus der Zweigleisigkeit des Rechtswegs ergebenden Schwierigkeiten vermieden werden. Die Inanspruchnahme der Leistung, zB das Betreten einer Straßenbahn, ist ein privatautonomer Akt, unabhängig davon, ob das Benutzungsverhältnis öffentlich- oder privatrechtlich geregelt ist. Die Willenseinigung liegt im öffentlichen Angebot und der Inanspruchnahme der angebotenen Leistung. Wenn auch eine Benutzungsordnung alles regelt, so schließt dies einen Vertrag über den Abschluss nicht aus (Flume II § 3, 4, 38). Der Vertrag kann ein privat- oder ein öffentlichrechtl sein, für den das Schriftformerfordernis nach § 57 VwVfG zu beachten ist. Die Verordnung über die Allg Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Omnibusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen v 27.2.1970 (BGBl I 230; dazu Loh BB 1970, 1017) gibt schon Minderjährigen mit Vollendung des sechsten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf Beförderung (§ 3 VO). Soweit für den Benutzer Pflichten begründet werden, ist auch bei öffentlichen Benutzungsverhältnissen volle Geschäftsfähigkeit oder Einwilligung des gesetzArmbrüster

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lichen Vertreters nötig. Doch kann nach Inanspruchnahme der Leistung eine Verweigerung der Genehmigung gegen Treu und Glauben verstoßen. 2. Subordinationsrechtlicher Verwaltungsvertrag. a) Zulässigkeit. Von den sog koordinationsrechtlichen Verwaltungsverträgen zw gleichgeordneten Verwaltungsträgern sind solche Verträge zu unterscheiden, die einen Verwaltungsakt ersetzen oder die Behörde zu einer Handlung ggü dem Bürger verpflichten (subordinationsrechtliche Verwaltungsverträge; s § 54 S 2 VwVfG). Für einige Bereiche sind solche Verträge ausdr gesetzlich zugelassen. Dies gilt insb im öffentlichen Baurecht, etwa im Erschließungs- und Enteignungsrecht (s die Zusammenstellung bei Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz 36ff – Städtebaurecht, 42ff – Umweltrecht). Fehlt eine ausdr Regelung, so kommt es für die Zulässigkeit eines verwaltungsrechtlichen Vertrags darauf an, ob Rechtsvorschriften dieser Handlungsform entgegenstehen (§ 54 S 1 VwVfG). Solche Rechtsvorschriften (sog Vertragsformverbote) können außer den Grundrechten und formellen Gesetzen auch Verordnungen und Satzungen sein. Der verwaltungsrechtliche Vertrag ist nicht auf den Bereich der Ermessensermächtigungen und gesetzesfreien Verwaltung beschränkt, sondern auch bei gebundener Verwaltung zulässig (Götz JuS 1970, 1, 2; Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz 251ff). Die Parteien sind nicht an die Vertragstypen des BGB gebunden (BVerwG 30.4.2008 – 7 B 6/08 Rn 19, betr Einordnung als Garantievertrag); insoweit besteht freilich kein Unterschied zu privatrechtlichen Verträgen, da auch hier kein numerus clausus der Schuldverträge besteht. b) Inhalt. Der zulässige materielle Inhalt verwaltungsrechtlicher Verträge bestimmt sich nach der für die Gestaltung zw Staat und Bürger bestehenden spezialrechtlichen Regelung sowie nach den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Gleichheit, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und des Vorbehalts des Gesetzes (BVerwG 23, 213, 216). Der Vorbehalt „entgegenstehender Rechtsvorschriften“ in § 54 S 1 VwVfG bezieht sich auch auf den Vertragsinhalt (Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz 333ff). Die Behörde darf weder Hoheitsrechte veräußern noch umgekehrt ihre hoheitlichen Befugnisse vertraglich erweitern. Austauschverträge iSd § 56 I 1 VwVfG dürfen die Verpflichtung zur Vornahme hoheitlicher Maßnahmen wie zur Erbringung von Gegenleistungen des Bürgers nur im Rahmen des Zwecks der speziellen Norm vorsehen. In solchen Verträgen dürfen hoheitliche Leistungen nicht von Gegenleistungen abhängig gemacht werden, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Maßnahme stehen (§ 56 I 2 VwVfG). Eine Leistung, auf die der Bürger einen Anspruch hat, kann die Behörde nur von einer gesetzlich vorgesehenen oder einer solchen Gegenleistung abhängig machen, deren Erbringen Voraussetzung der Leistungsgewährung an den Bürger ist und die bei Erlass eines Verwaltungsaktes Inhalt einer Nebenbestimmung iSd § 36 VwVfG sein könnte (§ 56 II VwVfG). – Bsp: Zulässig sind Verträge zw Gemeinde und Bauwilligem über die Ablösung der gesetzlichen Stellplatzpflicht in Form der Zahlung einer entspr Geldleistung durch den Bauwilligen (BVerwG 23, 213, 218ff); auch kann der Ablösungsvertrag eine privatrechtliche Verpflichtung begründen, da er lediglich einen den Baudispens ermöglichenden Zustand schafft (BGH 35, 69, 74f = NJW 1961, 1355). Wird im Zusammenhang mit einem Baudispens eine Geldleistung des Bauwilligen vereinbart, die auf später anfallende Erschließungsbeiträge anzurechnen ist, so liegt hierin kein Verstoß gegen das Verbot abw Vereinbarungen über die Zahlung öffentlicher Abgaben und Beiträge (BVerwG DVBl 1970, 40; vgl zum Verbot die öffentliche Abgabenpflicht einschränkender Vereinbarungen schon RG 148, 101, 103). Zu Folgekostenverträgen s Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz, 38f, 361ff; insoweit ist das Koppelungsverbot bereichsspezifisch in § 11 I2 Nr 3, II BauGB normiert. Einen Sonderfall stellen die sog hinkenden Verwaltungsverträge dar. Dabei handelt es sich um einseitig verpflichtende Verträge, die zwar eine Pflicht zulasten des Bürgers, nicht aber der Verwaltung begründen (näher Stelkens DÖV 2009, 850ff). Besonders bedeutsam sind die nebenbestimmungsersetzenden Verträge, mittels derer sich ein Bürger verpflichtet, die Voraussetzungen für den Erlass eines ihn begünstigenden Verwaltungsakts zu schaffen. Darin liegt ein milderes Mittel ggü einem Verwaltungsakt mit Auflage gem § 36 VwVfG. c) Anwendbarkeit von Privatrecht. Wie bei privatrechtlichen (s Rn 4) bedarf es auch bei öffentlich-rechtl Verträgen eines Rechtsfolgewillens. Er fehlt idR bei Selbstbeschränkungsabkommen (vgl BVerfG NVwZ 2002, 585 – Atomkonsens). Für Störungen der Geschäftsgrundlage enthält § 60 VwVfG eine Regel. Zudem ordnet § 62 S 2 VwVfG an, dass erg die vertragsrechtlichen Vorschriften des BGB entspr heranzuziehen sind (zB der Grundsatz der Einheitlichkeit der Vertragsurkunde, s dazu BVerwG DVBl 2010, 523 LS). Auch bei öffentlich-rechtl Verträgen hat die Verwaltung mithin für Leistungsstörungen nach den vertragsrechtlichen Regeln des BGB einzustehen (Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz 568ff). Eine spezielle Verweisung auf das BGB enthält § 59 I VwVfG für die Nichtigkeitsgründe, zu denen ua § 134 zählt; vorrangig sind allerdings die Nichtigkeitsgründe des § 59 II VwVfG (dazu und zur Anwendung von § 134 s Bonk in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG8, 2014, § 59 Rn 14ff, 49ff). Besondere Schwierigkeiten können bei der Rückabwicklung nichtiger Verträge entstehen, wenn von der Verwaltung erbrachte Leistungen nicht mehr zurückgewährt werden können (vgl. BVerwG NVwZ 2000, 1285ff; NVwZ 2009, 1109ff). § 62 S 2 VwVfG verweist dynamisch auf das BGB, so dass auch die §§ 305–310 (AGB-Recht) entspr heranzuziehen sind; dies war zum AGBG noch str (vgl Grziwotz JuS 1998, 902, 904f). Gleichwohl können die Besonderheiten des öffentlichen Rechts einer Anwendung der §§ 305–310 entgegenstehen. So geht das in § 56 VwVfG enthaltene Angemessenheitsprinzip demjenigen des § 307 BGB vor (vgl Bonk in Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG8, 2014, § 62 Rn 58). d) Abgrenzung zum privatrechtlichen Vertrag. aa) Ob ein Vertrag öffentlich-rechtl oder privatrechtlicher Natur ist, entscheidet sich nicht nach den am Vertrag beteiligten Rechtssubjekten, sondern nach dem Gegenstand des Vertrags (st Rspr; GmS-OGB BGH 97, 312, 313f = NJW 1986, 2359; BGH NJW 1988, 337; BGH NVwZ 2009, 1054 LS; BVerwG 97, 331, 335; Gurlit in Ehlers/Pünder, Allg VerwR15 2015, § 30 Rn 3; Kopp/Ram420

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Vertrag

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sauer VwVfG16 2015, § 54 Rn 27). Der zu regelnde Sachverhalt muss nach öffentlichem Recht zu beurteilen sein. Das ist stets der Fall, wenn er dem Vollzug einer öffentlich-rechtl Norm dient. Öffentlich-rechtl Natur ist daher zB die Einigung zw den Beteiligten im Enteignungsverfahren gem § 110 BauGB oder die Übertragung der Erschließung auf einen Dritten nach § 124 BauGB (BGH 54, 287, 289 = NJW 1970, 2107). IÜ kommt es darauf an, ob sich der Vertrag auf einen von der gesetzlichen Ordnung öffentlich-rechtl geregelten Sachverhalt bezieht (BGH 35, 69, 71 = NJW 1961, 1355; 56, 365, 368 = NJW 1971, 1842; BVerwG 42, 331, 332; DÖV 1981, 878). Bei typischen Aufgaben, die eine Behörde kraft der ihr übertragenen hoheitlichen Befugnisse zu erfüllen hat, wird idR davon auszugehen sein, dass sie sich öffentlich-rechtl Mittel bedient (BGH 4, 266, 268 = NJW 1952, 466; 17, 317, 322 = NJW 1955, 1187; Wolff/Bachof/Stober/Kluth VerwR12, 2007, § 22 Rn 50, 196f). Ein Vertrag, der eine gesetzlich angeordnete Rechtsbeziehung ändert, zB eine Aufgaben- oder Lastenverteilung, ist ein öffentlichrechtl Vertrag (BGH 32, 214, 217 = NJW 1960, 1457). Das einzelne Rechtsverhältnis kann nur einheitlich qualifiziert werden (Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz S 25ff; s auch Höfling/Krings JuS 2000, 625, 627: es setzt sich der Teil durch, der die inhaltlich wichtigsten Bestimmungen enthält; ähnlich BGH 76, 16, 20f = NJW 1980, 826 – Schwerpunkt). Allerdings können ausnahmsweise verschiedene Rechtsverhältnisse äußerlich zu einem Vertrag verbunden sein (sog zusammengesetzter Vertrag; Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz S 26f; Bsp bei BVerwG Buchholz Nr 316 § 54 VwVfG Nr 1); es liegen dann ggf mehrere öffentlich- oder privatrechtliche Verträge vor. bb) Betätigt sich die öffentliche Hand erwerbswirtschaftlich oder nimmt sie Hilfsgeschäfte vor, um sich die sachlichen Mittel zu verschaffen (Materialkauf, Hausmiete), so handelt es sich – vorbehaltlich der Vorgaben des Vergaberechts – um gewöhnliche Privatrechtsgeschäfte. Staat und Gemeinden können sich aber nicht nur auf diesen Gebieten, sondern auch im Kernbereich der Leistungsverwaltung zur Erreichung öffentlicher Zwecke des privatrechtlichen Vertrags bedienen (s dazu Rn 16). 3. Öffentlich-rechtl Bindungen bei privatrechtlichem Handeln der öffentlichen Hand. Die privatrechtliche 24 Organisationsform erfordert mangels hoheitlicher Gewalt den privatrechtlichen Vertrag als Handlungsform. Bei öffentlich-rechtl Organisationsform kann der Verwaltungsträger bei der Gestaltung der Leistungsbeziehungen zw privat- und öffentlich-rechtl Handlungsformen (Verwaltungsakt, verwaltungsrechtlicher Vertrag, öffentlichrechtl Nutzungsverhältnis) wählen (s Rn 16; Siebert FS Niedermeyer, 215, 229ff). Handelt die Verwaltung privatrechtlich, so besagt dies nicht, dass ihr die Freiheiten und Möglichkeiten der Privatautonomie zustehen; sie ist Grundrechtsadressatin, nicht Grundrechtsträgerin. Die öffentlich-rechtl Bindungen bleiben daher bestehen. Dies gilt für die Bindung an die Grundrechte (vgl MüKo/Armbrüster § 134 Rn 33); zudem gelten auch zahlreiche Normen des einfachen Rechts unabhängig von der Handlungsform (Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz S 271f – Vertragsformverbote; 322ff – Verfahrensnormen; 377ff – materielle Normen, Inhaltsfreiheit; s auch BGH 91, 84, 96f = NJW 1985, 197). Die privatrechtlichen Normen werden vielfach durch Bestimmungen des öffentlichen Rechts ergänzt, überlagert und modifiziert (Verwaltungsprivatrecht; BGH 91, 84, 96 = NJW 1985, 197; Ehlers in Ehlers/Plünder AllgVerwR § 3 Rn 67ff; Maurer AllgVerwR § 3 Rn 9 [S 43], 40f [S 61f]). Ganz allg kann sich die Verwaltung durch eine privatrechtliche Gestaltung nicht ihrer spezifischen Verantwortung entziehen. Sie darf daher vom Bürger keine Leistungen verlangen, für die bei öffentlich-rechtl Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses Abgaben nicht erhoben werden dürfen. Die typisch öffentlich-rechtl Bindungen gelten auch dann, wenn die Verwaltung nicht selbst oder durch einen Eigenbetrieb in privatrechtlicher Form, sondern durch eine von ihr beherrschte Gesellschaft des Handelsrechts oder ein anderes Privatrechtssubjekt handelt. 4. Rechtsweg. Bei Streitigkeiten über öffentlich-rechtl Rechtsverhältnisse ist grds der Verwaltungsrechtsweg er- 25 öffnet, für Schadensersatzansprüche aus Verletzung öffentlich-rechtl Pflichten, die nicht auf einem öffentlichrechtl Vertrag beruhen, der Zivilrechtsweg (§ 40 II VwGO; BGH 43, 34, 37ff = NJW 1965, 442). Für Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Pflichten aus öffentlich-rechtl Verträgen sind die ordentlichen Gerichte hingegen nicht zuständig (BGH 87, 9, 16 = NJW 1983, 2311); dies gilt auch für Ansprüche aus §§ 311 II, 241 II, 280 (cic; s BVerwG DÖV 1974, 133; Gurlit Verwaltungsvertrag und Gesetz 466; aA BGH NJW 1986, 1109, 1110; BeckOK/Gehrlein/Sutschet Ed. 39, § 311 Rn 38). Ein auf Art 33 II GG gestützter Schadensersatzanspruch wegen eines rechtswidrig durchgeführten Einstellungsverfahrens ist im Verwaltungsrechtsweg geltend zu machen (BVerwG 25.2.2010 – 2 C 22/09). Für eine Klage, die auf die Erklärung des Beklagten gestützt wird, die Haftung für den Rückforderungsanspruch einer öffentlich-rechtl Investitionsbank gegen den Empfänger einer Zuwendung mit zu übernehmen, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten jedenfalls dann eröffnet, wenn die Haftungserklärung möglicherweise als Bürgschaft auszulegen ist (BGH VersR 2009, 1384 Rn 9ff). III. Vertragsfreiheit und Kontrahierungszwang Schrifttum: Armbrüster, Kontrahierungszwang im AGG?, NJW 2007, 1494; M. Becker, Vertragsfreiheit, Vertragsgerechtigkeit und Inhaltskontrolle, WM 1999, 709; Bruns, Die Vertragsfreiheit und ihre Grenzen in Europa und den USA, JZ 2007, 385; Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999; F. Bydlinski, Kontrahierungszwang und Anwendung des allg Zivilrechts, JZ 1980, 378; F. Bydlinski, Zu den dogmatischen Grundfragen des Kontrahierungszwangs, AcP 180 (1980), 1; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992; Habersack, Vertragsfreiheit und Drittinteressen, 1991; Hackl, Vertragsfreiheit und Kontrahierungszwang im deutschen, im österreichischen und im italienischen Recht, 1980; Hellgardt, Privatautonome Modifikation der Regeln zu Abschluss, Zustandekommen und Wirksamkeit des Vertrags, AcP 213 (2013), S. 760; Höfling, Vertragsfreiheit. Eine grundrechtsdogmatische Studie, 1991; Kilian, Kontrahierungszwang und Zivilrechtssystem, AcP 180 (1980), 47; St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997; Markert, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, AG 1991, 288; Nipperdey, Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag, 1920; L. Raiser, Vertragsfreiheit heute, JZ 1958, 1; Schapp, Grundfragen der Rechtsgeschäftslehre, 1986; Schmidt-Salzer, Vertragsfreiheit und Verfassungsrecht, NJW 1970, 8; M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Handlungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970. Vgl auch die Schrifttumsangaben vor Rn 1 und 14.

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1. Vertragsfreiheit. Von der Frage, wie ein Vertrag zustande kommt, ist diejenige zu unterscheiden, in welchem Umfang die Rechtsordnung den freien Willen des Einzelnen als Mittel der Rechtsgestaltung anerkennt. Hier geht es um die Privatautonomie, und zwar, soweit Rechtsverhältnisse durch Vertrag geregelt werden, um das Prinzip der Vertragsfreiheit. Verstanden als die Freiheit einzelner Rechtssubjekte, ihre Beziehungen zueinander einverständlich rechtlich zu regeln, ist die Vertragsfreiheit kein Wesenserfordernis des Vertrags iSd §§ 145ff. Ein Vertrag liegt auch dann noch vor, wenn eine Partei widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe ihrer Willenserklärung bestimmt worden ist (arg § 123 I Fall 2). Der innere Zusammenhang zw Vertragsfreiheit und Vertrag besteht darin, dass der Vertrag das technische Mittel zu privatautonomer Rechtsgestaltung ist. Die Vertragsfreiheit zeigt sich in der Freiheit des Abschlusses, der Wahl des Vertragspartners, der inhaltlichen Gestaltung, der Wahl des Vertragstyps und der Aufhebung des Vertrags. Ein Vertrag kann Ausdruck eines größeren oder geringeren Grades freier Selbstbestimmung der Vertragschließenden sein (F. Bydlinski, Privatautonomie, 122ff). Als Rechtsprinzip ist die Vertragsfreiheit ein Grundrecht. Sie wird zwar in Art 2 I GG nicht ausdr genannt, die allg Handlungsfreiheit schließt sie jedoch ein (st Rspr; BVerfG 103, 197, 215 = NJW 2001, 1709; GRUR 2001, 266 = NJW 2001, 3406 LS). Der Einzelne hat dieses Recht nach Art 2 I Hs 2 GG nur insoweit, als er weder Rechte anderer verletzt noch gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt (s auch BVerfG 103, 197, 215 = NJW 2001, 1709). Die Vertragsfreiheit ist damit ein Recht sub lege, das nur im Rahmen der Rechtsordnung gegeben sein kann (Flume II § 1, 10a [S 18]). Hieraus folgt, dass sie vorbehaltlich eines unantastbaren Bereiches persönlicher Freiheit (Art 2, 19 II GG) weitgehend eingeschränkt werden kann. Da der Freiheitsspielraum eines Privatrechtssubjekts auch durch die Machtstellung anderer Privatrechtssubjekte eingeengt werden kann, muss verhindert werden, dass die Privatrechtsordnung in ihrem freien Funktionieren gestört, insb mit den Mitteln dieser Ordnung beseitigt wird. Ein formales Verständnis der Vertragsfreiheit macht sie zu einem Instrument der Unterdrückung des Schwachen durch den Starken. Es bedarf deshalb auch ordnender Eingriffe in die Vertragsabschluss- und die Vertragsinhaltsfreiheit (Rn 27ff). 2. Ein Kontrahierungszwang (Abschlusszwang) kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben: a) Vereinbarung. Vertragliche Abreden wie namentlich Vorverträge (vgl Rn 46) können zum Abschluss eines Vertrags verpflichten. Inwieweit auch einseitige Selbstverpflichtungen einen Kontrahierungszwang begründen können, ist vor allem für Girokontoverträge „für jedermann“ bedeutsam geworden. So soll die Selbstverpflichtung einer Sparkasse ggü der Senatsverwaltung als abstraktes Schuldversprechen iSv § 780 einen Abschlusszwang begründen (LG Berlin WM 2003, 1985f m zust Anm Derleder EWiR § 676 1/03 S 963f; krit Berresheim ZBB 2005, 420, 422ff; zum Abschlusszwang öffentlich-rechtl Institute aufgrund unmittelbarer Grundrechtsbindung s BGH 154, 146, 149ff = NJW 2003, 1658; MüKo/Armbrüster § 134 Rn 33). Einen Kontrahierungszwang von Kreditinstituten aufgrund der Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses (ZKA) bejaht LG Bremen EWiR § 676 1/06 S 9f m zust Anm Derleder; dies ist indessen mangels vertraglicher Bindungswirkung abzulehnen (Bremen ZIP 2006, 798 LS m zust Anm Segna BKR 2006, 274ff; Berresheim ZBB 2005, 420, 424; Gschwandtner/Bornemann NJW 2007, 1253, 1254; aA Kohte VuR 2006, 163, 164). Lange str war, ob private Banken einem Kontrahierungszwang unterliegen (dafür LG Berlin WM 2008, 1825; Steinicke EWiR 2009, 375; Linnert ZRP 2009, 37f; aA Pieper ZVI 2008, 365; Bunte AGB-Banken und Sonderbed4, 2015, Teil 2 Rn 11; Erman/Armbrüster14 Rn 27; vgl auch Nieding jurisPR-BKR 4/2008 Anm 5). Mit dem Zahlungskontengesetz v 11.4.2016 (BGBl I 720; – ZKG) besteht nunmehr eine gesetzliche Anordnung (s Rn 28). b) Gesetzliche Anordnung. In einigen Fällen ist ein Zwang zum Vertragsschluss gesetzlich festgelegt, so zB für Personen- und Frachtbeförderungsunternehmen (§ 22 PBefG, § 10 AEG, § 7 AMbG, § 21 II LuftVG), Telekommunikationsunternehmen (§§ 19ff, 42 TKG), Patentinhaber (§ 24 PatG) und Hersteller von Tonträgern (§ 61 UrhG). Einen Abschlusszwang sehen auch vor: § 11 I 1 EEG nF (BGH 155, 141, 146ff = WM 2003, 2160), §§ 32, 61 I SachRBerG, § 18 I PostG iVm § 3 PostdienstleistungsVO (v 21.8.2001, BGBl I 2178), § 6 I 1 EnWG (LG Nürnberg-Fürth RdE 2003, 244ff m zust Anm Busche; s auch Tüngler JuS 2001, 739, 743; aA Lukes BB 1998, 1217, 1219: nur Anspruch auf Aufnahme von Vertragsverhandlungen), § 11 I WahrnG (zu den Grenzen München GRUR-RR 2007, 186); ferner im Versicherungsrecht §§ 110 I Nr 1, 23 I 1 SGB XI (private Pflegeversicherung) und §§ 1, 5 PflVG (vgl auch Staud/Bork Rn 17). Zudem hat sich der Gesetzgeber des Abschlusszwangs bei der Bewirtschaftung bestimmter Waren bedient (dazu BGH NJW 1951, 109). In Umsetzung der EU-ZahlungskontenRL (RL 2014/92/EU, ABl Nr L 257, 214) besteht nunmehr auch ein Abschlusszwang für sog Basiskontenverträge für Banken mit Verbraucherkonten (§ 31 I ZKG; s dazu Rott VuR 2016, 3ff; Herresthal BKR 2016, 133ff). Auch Landesrecht sieht bisweilen einen Zwang zum Abschluss von Verträgen vor, so zB zur Einrichtung von Girokonten durch Sparkassen nach Sparkassenverordnungen (Staud/Bork Rn 17; s auch Rn 27). Für Rechtsanwälte besteht ein gesetzlicher Abschlusszwang grds nicht. Ausnahmen gelten gem §§ 48, 49 BRAO für die Beiordnung im Zivilprozess und für die Pflichtverteidigung im Strafverfahren sowie gem § 49a BRAO für die Beratungshilfe. Der Vertragsfreiheit wird hier insoweit Rechnung getragen, als der Rechtsanwalt die Aufhebung der Beiordnung oder der Bestellung beantragen kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Keinen Abschlusszwang beinhaltet die Regelung in §§ 71, 77 SGB IX über die Ausgleichsabgabe für schwerbehinderte Menschen. c) Allg Kontrahierungszwang. aa) Herleitung. Auch ohne ausdr gesetzliche Anordnung kann sich bei grundloser Verweigerung des Vertragsabschlusses ein Abschlusszwang ergeben (allg Kontrahierungszwang; BGH WM 1994, 1670, 1671; NJW 1990, 761, 762; grundlegend Nipperdey Kontrahierungszwang und diktierter Vertrag [1920]). Die Einzelheiten sind str. An der Konstruktion als Schadensersatzanspruch gem §§ 826, 249 I (s etwa Breucker JR 2005, 133, 136) wird zu Recht bemängelt, dass der Vertragsschluss nicht Behebung eines eingetrete422

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nen Schadens ist (K. Schmidt AcP 206, 169, 191 [im Kontext des GWB]). Überzeugender ist es, einen verschuldensunabhängigen quasinegatorischen Folgenbeseitigungs- oder Unterlassungsanspruch anzunehmen, der auf eine Abwehr der Beeinträchtigung durch Kontrahieren gerichtet ist (Bork AT Rn 672; Staud/Bork Rn 20; Kilian AcP 180, 47, 82; F. Bydlinski AcP 180, 1, 13: „positiver Handlungsanspruch auf Naturalpraestation“; krit MüKo/Busche Rn 20ff: „Kontrahierungszwang nur bei qualifizierter Vertragsverweigerung“). – Was die Voraussetzungen angeht, wird teils angenommen, dass schon das Bestehen einer öffentlichen Versorgungsaufgabe, die im Allgemeininteresse von dem Unternehmen zu erfüllen ist, einen selbständigen Abschlusszwang begründen könne (Larenz SchuldR I § 4 Ia; MüKo/Kramer5 Rn 14; noch weitergehend Tilmann ZHR 141, 32, 74ff: Geschäftseröffnung für den allg Verkehr genüge; enger MüKo/Busche6 Rn 20ff). Begründet wird dies mit einer Gesamtanalogie zu den gesetzlichen Regelungen, die einen Kontrahierungszwang vorsehen (Rn 28), und mit dem Sozialstaatsprinzip. Gegen einen so weitreichenden Kontrahierungszwang spricht die Schwierigkeit der Abgrenzung; auch ist eine derart unbestimmte Ausdehnung des Abschlusszwangs mit einem marktwirtschaftlichen System nicht vereinbar (krit auch Jauernig/Mansel Rn 10; L. Raiser, Kartelle und Monopole im modernen Recht, 1961, Bd 2, 523, 526). Allein die Marktstärke eines Anbieters rechtfertigt es noch nicht, den Grundsatz der Vertragsfreiheit außer Kraft zu setzen (BGH NJW 1990, 761, 763; Kilian AcP 180, 47, 61; i Erg auch MüKo/Busche Rn 21f; aA noch MüKo/Kramer5 Rn 13;); dasselbe gilt für die öffentlich-rechtl Struktur oder Finanzierung eines Anbieters. Grds ist vielmehr mit der Rspr daran festzuhalten, dass der allg Abschlusszwang eine faktische Monopolstellung voraussetzt, die Alternativen für den Kunden ausschließt (s zu Versorgungsunternehmen RG 132, 273, 276; 148, 326, 334; vgl auch BGH WM 1994, 1670, 1671f; eingehend Busche Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 162ff). Ein Abschlusszwang kann sich auch aus dem Kartellrecht ergeben, insb aus § 19 GWB (BGH NJW 2003, 748, 751) und dem Diskriminierungsverbot des § 20 I, II [früher § 26 II] GWB; s dazu BGH NJW 1976, 801ff – Rossignol; BGH NJW-RR 2003, 1348ff – Kündigung eines Vertrags über Schülertransporte; Busche Privatautonomie und Kontrahierungszwang 301ff; MüKo/Busche Rn 18). Ein Kontrahierungszwang erwächst daraus zB der eine faktische Monopolstellung einnehmenden dt Vergabestelle für Internetadressen (DeNIC; Frankfurt WRP 1999, 366; Nordemann/Cychowski/Grüter NJW 1997, 1897, 1900; Koos MMR 2004, 359, 361). Zum Abschlusszwang aufgrund europäischen Kartellrechts (Art 102 AEUV, ehemals Art 82 EGV) s Eilmansberger EWS 2003, 12ff. Ob jenseits dieser Bereiche auch ohne Monopolstellung ein Kontrahierungszwang bestehen kann, ist in letzter Zeit insb für Diskriminierungen beim Vertragsschluss diskutiert worden. Richtigerweise lässt sich aus § 21 AGG ein solcher Zwang nicht herleiten (dazu eingehend § 21 AGG Rn 15ff). bb) Einzelfälle. Für die Tagespresse besteht auch bei einer Monopolstellung keine Verpflichtung zum Abdruck 30 politischer Anzeigen. Sie ist grds frei bei der Auswahl von Nachrichten und der Verbreitung von Meinungen (BVerfG 37, 84, 91; 42, 53, 62 = NJW 1976, 1627; NJW 2016, 788 Rn 6). Ein Kontrahierungszwang kommt jedoch bei Presseunternehmen mit (regionaler) Monopolstellung für Anzeigen unpolitischen Inhalts in Betracht (Staud/ Bork Rn 25). Im Zusammenhang mit den Grundrechten der freien Meinungsäußerung, der Presse- und der Berufsfreiheit (Art 5, 12 GG) ist heute auch die sog Theaterkritiker-Entscheidung des RG (133, 388, 392) zu sehen. Lehnte das RG dort einen Abschlusszwang des Theaters ggü einem auf den Theaterbesuch angewiesenen Kritiker mit der Begr ab, die Verweigerung sei nicht willkürlich gewesen, so ist dies im Lichte der Grundrechte heute anders zu beurteilen (Staud/Bork Rn 23). – Ein Verband kann durch den allg Kontrahierungszwang zur Aufnahme neuer Mitglieder verpflichtet sein. Dabei sind jedoch die Besonderheiten der Mitgliedschaft im Verband zu beachten (ausf Grunewald AcP 182, 181ff). Insb wirkt sich aus, dass nicht ein Partner eines Austauschvertrags, sondern ein Mitglied einer Korporation akzeptiert werden muss. Bei Monopolverbänden oder Vereinigungen mit einer überragenden Machtstellung im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich, bei denen die Mitgliedschaft für den Einzelnen aus beruflichen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von erheblicher Bedeutung ist, besteht ein Aufnahmezwang, wenn die Ablehnung zu einer sachlich nicht gerechtfertigten ungleichen Behandlung oder unbilligen Benachteiligung im Verhältnis zu bereits aufgenommenen Mitgliedern führen würde (BGH 93, 151, 152ff = NJW 1985, 1216; 102, 265, 276 = NJW 1988, 552; Staud/Bork Rn 26). – Der sog diktierte Vertrag kommt durch einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt zustande, ohne dass es irgendwelcher Willenserklärungen der Beteiligten bedarf (Busche Privatautonomie und Kontrahierungszwang S 116). Das durch den Verwaltungsakt begründete Rechtsverhältnis hat zum Vertragsbegriff der §§ 145ff keinen Bezug; diese Vorschriften sind daher nicht anwendbar (vgl BeckOK/Eckert Ed. 39, § 145 Rn 7; Staud/Bork Rn 35). Zu den Rechtsfolgen des diktierten Vertrags s Rn 31. d) Die Rechtsfolgen, die der Kontrahierungszwang auslöst, sind privatrechtlicher Natur, sofern das begründete 31 Rechtsverhältnis nicht dem öffentlichen Recht unterliegt. aa) Schon der Abschlusszwang erzeugt ein gesetzliches Schuldverhältnis, das die Verpflichtung zur Abgabe einer auf Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung beinhaltet. Dieses Schuldverhältnis ähnelt demjenigen, das durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründet wird (BGH NJW 1974, 1903, 1904; vgl nunmehr auch § 311 II Nr 1, 3). – Da der gesetzliche Kontrahierungszwang (s Rn 28) einen Zustand schafft, als ob die Parteien schon in einem Vertragsverhältnis oder wenigstens in Vertragsverhandlungen miteinander stünden, könnte bloßes Schweigen auf eine zugegangene rechtserhebliche Erklärung im Einzelfall bereits als Zustimmung angesehen werden (so OGH 2, 352, 356 = NJW 1950, 24). Allein schon der Zugang des Angebotes genügt freilich auch bei bestehendem Abschlusszwang nicht zum Vertragsschluss (KG NJOZ 2008, 3426; offenlassend OGH 2, 352, 357 = NJW 1950, 24, 25; s ferner OGH 1, 253, 255). Erforderlich ist vielmehr auch hier zumindest eine irgendwie nach außen erkennbar werdende Betätigung des Annahmewillens; es genügt, wenn – was meist der Fall sein wird – die Voraussetzungen von § 151 S 1 vorliegen Armbrüster

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(F. Bydlinski JZ 1980, 378, 379; zum reinen Schweigen als Zustimmung s § 147 Rn 3). bb) Weigert sich der Verpflichtete, den Vertrag abzuschließen, so kann er wegen Nichterfüllung seiner Verpflichtung gem §§ 280 I, III, 281 zum Schadensersatz verurteilt werden; ein Rückgriff auf die §§ 826, 823 II erübrigt sich. Nach Abschluss des Vertrags gelten die allg Regeln, zB §§ 104ff; §§ 119ff; uU auch §§ 434ff usw (vgl OGH 4, 149, 152; BGH 1, 75, 79; NJW 1951, 109; teils abw OGH 1, 194, 196f). Auch beim sog diktierten Vertrag (s Rn 30) ist das Ergebnis des behördlichen Zwangseingriffs meist ein privates Rechtsverhältnis (BGH MDR 1952, 155; Staud/Bork Rn 35). Zwar kommt das Rechtsverhältnis durch einen hoheitlichen Akt zustande. Dennoch besteht kein Bedürfnis dafür, das Rechtsverhältnis selbst dem öffentlichen Recht zu unterstellen (vgl Flume II § 33, 6d [S 612f]; Staud/ Bork Rn 35; aA Soergel/Wolf Rn 56). e) Ähnliche Eingriffe in die Vertragsfreiheit. Spiegelbildlich zum Abschlusszwang gibt es auch Abschlussverbote; sie finden sich in den verschiedensten Rechtsgebieten. Ob ein unter Verstoß gegen ein gesetzliches Abschlussverbot geschlossener Vertrag gültig oder nichtig ist, beurteilt sich mangels besonderer Vorschrift nach § 134. Schließlich kann auch die Beendigung eines Vertragsverhältnisses erschwert oder gar unmöglich gemacht werden. Ein Zwang, an einem Vertrag festzuhalten, findet sich vor allem im Arbeitsrecht (Kündigungsschutz, Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels) sowie im Wohnungsmietrecht. Im beiderseitigen Einverständnis können die Parteien einen von ihnen geschlossenen Verpflichtungsvertrag jederzeit durch actus contrarius aufheben; soweit bereits Leistungen erbracht wurden, sind sie wegen Wegfalls des rechtlichen Grundes nach § 812 I 2 Fall 1 kondizierbar (s § 812 Rn 44ff). 3. Die inhaltliche Gestaltungsfreiheit kann durch zwingende Vorschriften eingeschränkt sein (s noch Rn 36ff). Deren Zahl hat sich im Laufe der Zeit erheblich vergrößert. Hervorzuheben sind die zwingend ausgestalteten Verbraucherschutzregeln, die durch die Schuldrechtsmodernisierung von 2001 weitgehend ins BGB integriert wurden (zum Übergangsrecht s Heß NJW 2002, 253, 254ff; Armbrüster/Wiese DStR 2003, 334). Auch dispositive Vorschriften können kraft ihrer Ordnungsfunktion der Privatautonomie gewisse Grenzen setzen. Besonders deutlich wird dies bei der Kontrolle von AGB gem § 307 II Nr 1. Oft sind Beschränkungen der inhaltlichen Gestaltung mit einem Abschlusszwang verbunden. Möglich ist es aber auch, dass der Vertragsschluss selbst freigestellt, jedoch für den Fall des Zustandekommens ein bestimmter Inhalt vorgeschrieben ist. Es liegt dann ein sog normierter Vertrag oder Normenvertrag vor (vgl Rieble ZfA 2000, 5, 12; grundlegend A. Hueck JherJB 73 [1923], 33). Darunter ist ein Vertrag zu verstehen, in dem „Normen“ für Einzelverträge festgelegt worden sind, die von den Partnern des Normenvertrags entweder untereinander oder mit Dritten geschlossen werden. Die Bindung an den normierten Vertragsinhalt kann sowohl auf Gesetz als auch auf Rechtsgeschäft oder Satzung beruhen. Der wichtigste Normenvertrag ist der Tarifvertrag, der von einzelnen Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden mit Gewerkschaften geschlossen wird, vgl § 611 Rn 186ff; Staud/Bork Rn 91. Weitere Bsp sind Verlags- und Mietnormenverträge sowie Verträge zur Festlegung gemeinsamer Lieferbedingungen (vgl Staud/Bork Rn 92). Je nachdem, ob die Partner des Normenvertrags gleiche oder entgegengesetzte Interessen verfolgen, unterscheidet man einseitige Normenverträge von zweiseitigen (zB Tarifvertrag; A. Hueck JherJb 73 [1923], 33, 41). Abzugrenzen vom Normenvertrag sind RL-, Rahmen- und Mantelverträge (s Rn 55). 4. Die Typenfreiheit beschränkt sich im Wesentlichen auf das Schuldrecht. Die Vertragsparteien können Schuldverträge jeden beliebigen Inhalts schließen. Die Vertragstypen, die das Besondere Schuldrecht enthält, sind lediglich Muster, deren sich die Parteien bedienen können, ohne jedoch auf sie angewiesen zu sein. Bei Vorschriften wie den §§ 433, 516, 611 usw handelt es sich um reine „Definitionsnormen“ (Leenen AT § 4 Rn 27; Medicus/Petersen BüR Rn 14). Sie erlauben es, einen konkreten Vertrag einem gesetzlich geregelten Typ zuzuordnen, bilden aber nicht die Grundlage für die aus dem Vertrag erwachsenden (Primär-)Ansprüche. Diese ergeben sich aus dem Vertrag selbst. Vielfach enthalten die getroffenen Vereinbarungen Elemente verschiedener Vertragstypen; man spricht dann von typengemischten Verträgen (vgl auch BGH NJW 2002, 3317, 3318 zu einem „Werkrahmenvertrag“: für die rechtliche Einordnung kommt es weder auf die gewünschte Rechtsfolge noch auf die gewählte Bezeichnung an, sondern auf den tatsächlichen Geschäftsinhalt; zum System der Vertragstypen s Windel, FS Schilken, 2015, 153, 160-164). Im Sachenrecht und im Gesellschaftsrecht (insb bei Kapitalgesellschaften, s aber etwa auch § 105 I HGB für die OHG) ist die Freiheit der inhaltlichen Gestaltung von Verträgen durch Typenzwänge erheblich eingeschränkt. 5. Im internationalen Geschäftsverkehr (s auch Rn 13) kommt der Vertragsfreiheit eine zusätzliche Dimension zu. Sie betrifft die Frage, inwieweit die Parteien ihren Vertrag durch Rechtswahl einer bestimmten Rechtsordnung unterstellen können (sog kollisionsrechtliche Parteiautonomie; Art 3 I Rom I-VO). Sie ist zu unterscheiden von der inhaltlichen Vertragsfreiheit, die sich nach dem kollisionsrechtlich berufenen Recht beurteilt. Zur Vertragsgestaltung im internationalen Geschäftsverkehr s insb Döser, Vertragsgestaltung im internationalen Wirtschaftsrecht, 2001; v Bernstorff, Vertragsgestaltung im Auslandsgeschäft7, 2012. 6. Richtigkeitsgewähr. Die Vertragsfreiheit manifestiert sich nicht in dem formalen Akt einer durch übereinstimmende Willenserklärungen zustande gekommenen Einigung der Parteien. Sie beruht vielmehr auf dem Gedanken rechtlicher und tatsächlicher Gleichordnung der sich verständigenden Rechtssubjekte. Eine beiderseits gewollte Rechtsgestaltung vermag eine gewisse „Richtigkeitsgewähr“ jedoch nur zu bieten, wenn zw den Parteien ein (relatives) wirtschaftliches und auch intellektuelles und organisatorisches Machtgleichgewicht besteht (MüKo/Busche Rn 6). Die Vertragsfreiheit allein ist kein Garant der Vertragsgerechtigkeit (eingehend Soergel/Wolf Rn 29). Bei einem Ungleichgewicht der Kräfte muss die Rechtsordnung den schwächeren Vertragsteil, der in seiner freien Selbstbestimmung gehindert ist, gegen Ausnutzung von Übermacht schützen. Das kann generell 424

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Vertrag

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durch eine Funktionalisierung des Wettbewerbs und speziell durch Maßnahmen geschehen, die auf einen gerechten Interessenausgleich zielen. a) Damit der Vertrag seine ordnungspolitische Bedeutung als Mittel der Koordinierung privater Rechtssubjekte 37 auf dem Markt behalten kann, sind der Vertragsfreiheit im Interesse des Wettbewerbs Grenzen zu setzen. Hauptaufgabe des Kartellrechts ist es, wettbewerbsbeschränkende Verträge zu verhindern oder zu kontrollieren (vgl §§ 1ff GWB). Der Wettbewerb wird so als grundlegende Vorbedingung für das Funktionieren der Vertragsfreiheit institutionell gesichert (Soergel/Wolf Rn 31). b) Der Gesetzgeber hat mittlerweile weitreichende, insb auf EU-RL zurückgehende soziale Schutzbestimmungen 38 ins BGB integriert, die einen Ausgleich für die strukturelle Unterlegenheit von Verbrauchern (§ 13) ggü Unternehmern (§ 14) bei den Vertragsverhandlungen schaffen sollen. Ein wichtiges Instrument sind die Informationspflichten, denen der Unternehmer genügen muss (zB §§ 492, 502; BGB-InfoV), und die teils einem Schriftformerfordernis unterworfen sind (vgl §§ 492 I, 494 I). Hervorzuheben sind zudem die Widerrufsrechte iSv § 355. Das Gesetz räumt sie dem Verbraucher aus verschiedenen Gründen ein, die mit den Umständen des Vertragsschlusses (vgl §§ 312g I) oder mit einem den Verbraucher besonders belastenden Vertragsinhalt (vgl § 495 für den Verbraucherdarlehensvertrag) zusammenhängen können (zum Widerruf s Reiner AcP 203, 1). Insgesamt ist die Stellung des Verbrauchers insb für die typischen Geschäfte des Alltags mittlerweile umfassend abgesichert (vgl die §§ 474ff für den Verbrauchsgüterkauf). Dieselbe allg Zielrichtung wie die spezifischen Verbraucherschutzregeln, nämlich die Kompensation einer strukturellen Unterlegenheit, verfolgt auch die Einbeziehungs- und Inhaltskontrolle von AGB gem §§ 305ff (zum Schutzzweck der AGB-Kontrolle Kötz JuS 2003, 209). Massenverträge des täglichen Lebens werden nur selten individuell ausgehandelt. Der Verhandlungsstärkere kann daher aufgrund seiner strukturell überlegenen Position die Vertragsbedingungen einseitig vorgeben. In dieser Situation reichen die allg Regeln zur Verhinderung unangemessener Verträge (§§ 134, 138) zum Schutz des schwächeren Vertragspartners nicht aus. Hier greifen die §§ 305ff und außerhalb ihres Anwendungsbereichs (s § 310 IV) die Bedingungskontrolle nach § 242 (BGH NJW 2001, 1270, 1271 zu Gesellschaftsverträgen; s bereits BGH 64, 238, 241 = NJW 1975, 1318). IV. Fehlerhafte Verträge Schrifttum: Beckmann, Nichtigkeit und Personenschutz, 1998; Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, Karlsruhe, 1960; Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992; Flume, Rechtsgeschäft und Privatautonomie, in FS DJT, 1960, 135; Küchenhoff, Faktische Vertragsverhältnisse und faktische Arbeitsverhältnisse?, RdA 1958, 121; Litterer, Vertragsfolgen ohne Vertrag, 1979; St. Lorenz, Der Schutz vor dem unerwünschten Vertrag, 1997; C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002; K. Schmidt, „Fehlerhafte Gesellschaft“ und allgemeines Verbandsrecht, AcP 186 (1986), 421; M. Weber, Haftung für in Aussicht gestellten Vertragsabschluss, AcP 192 (1992), 391; Wiesner, Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft, Diss Heidelberg, 1980.

1. Die Existenz eines Vertrags im Rechtssinne wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Vertrag von der 39 Rechtsordnung als ungültig angesehen wird (vgl auch die Dreiteilung bei Leenen AcP 188, 381, 385ff, der den Abschluss eines Vertrags von dessen Zustandekommen und Wirksamkeit abgrenzt). Der Vertragstatbestand als Gegenstand der Beurteilung setzt lediglich eine Willenseinigung im Sinne übereinstimmender Willenserklärungen voraus, die auf die Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichtet sind. Ob der Vertrag gültig oder ungültig ist, ist eine Frage rechtlicher Wertung. Die Ungültigkeit kann darauf beruhen, dass die Willenserklärung eines Vertragsbeteiligten wegen Willensmängeln nach §§ 116ff nichtig ist. Sie kann sich aber auch daraus ergeben, dass der Vertrag Formmängel aufweist (§ 125) oder seinem Inhalt nach gegen ein Verbotsgesetz (§ 134) oder die guten Sitten (§ 138) verstößt. 2. Die Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe des positiven Rechts (§§ 116ff) sind auf die einzelne Willenserklä- 40 rung als Mittel individueller Rechtsgestaltung zugeschnitten. Es wird nicht danach differenziert, ob die Willenserklärung sich als einseitiges Rechtsgeschäft darstellt oder als Element eines Vertrags. Auch bei einem Vertrag hat die Nichtigkeit der einzelnen Willenserklärung die Ungültigkeit des ganzen Vertrags zur Folge (§ 142 I). Die Rechtsfolge anfänglicher Nichtigkeit tritt unabhängig davon ein, ob der Vertrag den Ausgleich entgegengesetzter Interessen bezweckt, auf die Wahrnehmung fremder Interessen gerichtet ist oder ein Zusammenwirken der Vertragsparteien regeln soll. Unberücksichtigt bleibt weiter, ob die Vertragsteile ihre Leistungen schon erbracht oder in Anspruch genommen haben und welcher Art diese Leistungen sind. Bei Ungültigkeit des Vertrags finden die allg Regeln des Kondiktionsrechts Anwendung, nach denen jede Partei verpflichtet ist, die vom Vertragsgegner empfangene Leistung zurückzugewähren (§ 812 I). Dabei wird davon ausgegangen, dass eine solche Rückgewähr möglich ist. Ist dies nicht der Fall, so hat der Bereicherungsempfänger gem § 818 II Wertersatz zu leisten; diese Pflicht ist jedoch bei Redlichkeit auf die Höhe der noch vorhandenen Bereicherung begrenzt (§§ 818 III, IV, 819). Diese schematische Regelung, die jeden Vertrag ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Eigenart rechtlich gleich 41 behandelt, führt bisweilen zu unangemessenen Ergebnissen. Dies gilt namentlich bei komplexen, auf Dauer angelegten Rechtsverhältnissen (Arbeitsverhältnis, Gesellschaft; vgl auch Einl § 104 Rn 12, § 611 Rn 262ff). Teils wird hier von „faktischen“ Verträgen gesprochen (Soergel/Wolf Rn 106), was ungenau ist, da es – anders als bei der Lehre vom faktischen Vertrag aufgrund sozialtypischen Verhaltens (s dazu Rn 42) – nicht um den Vertragsbegriff als solchen geht. Die §§ 116ff sind auf punktuelle Austauschverträge zugeschnitten und passen nicht auf durch Vertrag begründete Dauerschuldverhältnisse. Das trifft insb für den Nichtigkeitsbegriff des BGB zu, um dessen Relativierung es geht (Esser AcP 157, 86, 93f; Beckmann Nichtigkeit und Personenschutz, 1998, 274ff). a) Armbrüster

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Rechtsgeschäfte

So ist es heute im Recht der Personengesellschaften anerkannt, dass die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit eines Gesellschaftsvertrags nach seiner Invollzugsetzung grds nicht zu einer rückwirkenden Vernichtung des Gesellschaftsverhältnisses führt, sondern lediglich zu einer Auflösung für die Zukunft, und zwar bei einer OHG oder KG aufgrund einer Auflösungsklage nach § 133 HGB, bei einer GbR aufgrund einer Kündigung nach § 723 (Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft; vgl § 705 Rn 73ff; BGH 3, 285, 287ff = NJW 1952, 97; 55, 5, 8ff = NJW 1971, 375; NJW 2007, 1127 Rn 18; K. Schmidt, GesellschaftsR4 2002, § 6 I [136ff]). Diese Regeln gelten sinngemäß auch dann, wenn es um einen vollzogenen fehlerhaften Beitritt zu einer Personengesellschaft geht (BGH NJW 1988, 1321, 1323; NZG 2008, 460 Rn 21ff; s auch EuGH NJW 2010, 1513 Rn 42ff). Die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft beruht auf dem Gedanken, dass es zu unerträglichen Ergebnissen führen würde und mit dem Zweck der Nichtigkeits- und Anfechtungsvorschriften nicht vereinbar wäre, eine auf die Dauer angelegte und tatsächlich vollzogene Leistungsgemeinschaft, für die alle Beteiligten Beiträge erbracht und Werte geschaffen, die Gewinnchancen genutzt und das gemeinschaftliche Risiko getragen haben, rückwirkend aus dem Rechtsleben zu streichen (BGH 55, 5, 8 = NJW 1971, 375). Für die Vergangenheit wird daher die auf fehlerhafter Vertragsgrundlage beruhende Gesellschaft grds wie eine fehlerfrei entstandene behandelt. Dies gilt freilich dann nicht, wenn höherrangige Schutzinteressen der Allgemeinheit oder einzelner Personen ausnahmsweise den Rückgriff auf die allg Rechtsfolgen unwirksamer Vertragsbeziehungen gebieten (BGH 62, 234, 241; 97, 243, 250 = NJW 1986, 65). Das kommt insb bei Verstößen des Gesellschaftszwecks gegen Verbotsgesetze und bei mangelnder Geschäftsfähigkeit (s § 705 Rn 76) in Betracht. b) Auch bei fehlerhaft gegründeten Kapitalgesellschaften kommt die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft zur Anwendung (BGH NJW 1954, 1562 – GmbH; Bamberg NZG 2004, 861, 862; BGH NJW 2005, 627 – AG & Still; s auch Baumbach/Hueck/Fastrich, § 2 GmbHG Rn 39; Müko/Ulmer § 705 Rn 323; Müko-AktG/Pentz § 23 Rn 175f; zum Streitstand bzgl der stillen Gesellschaft s BGH NJW-RR 2005, 627f; Müko/Ulmer/Schäfer § 705 Rn 358f). Bei Arglistanfechtung eines GmbH-Anteilserwerbs gelten die Regeln hingegen nicht (BGH NJW 2007, 1058 Rn 19). c) Ähnlich wie im Personengesellschaftsrecht ist auch im Arbeitsrecht anerkannt, dass nach Antritt der Arbeit ein fehlerhafter (nichtiger oder anfechtbarer) Arbeitsvertrag nicht mehr mit rückwirkender Kraft vernichtet werden kann, sondern lediglich mit Wirkung für die Zukunft aufhebbar ist (BAG NZA 1998, 199, 200; MüHdbArbR/Richardi § 46 Rn 56ff). Stets gelten die sozialen Schutzbestimmungen, insb § 618. Die Lehre vom fehlerhaften Vertrag kann auch bei anderen Dauerschuldverhältnissen Bedeutung erlangen (Soergel/Wolf Rn 106). Dabei handelt es sich jedoch um Ausnahmefälle, da idR die allg Nichtigkeits- und Anfechtungsfolgen zu angemessenen Ergebnissen führen. V. Faktischer Vertrag aufgrund sozialtypischen Verhaltens Schrifttum: Bärmann, Typisierte Zivilrechtsordnung der Daseinsvorsorge, 1948; Esser, Gedanken zur Dogmatik der „faktischen Schuldverhältnisse“, AcP 157 (1958/59), 86; Köhler, Kritik der Regel „protestatio facto contraria non valet“, JZ 1981, 464; Lambrecht, Die Lehre vom faktischen Vertragsverhältnis: Entstehung, Rezeption und Niedergang, Diss Bielefeld 1994; Larenz, Die Begründung von Schuldverhältnissen durch sozialtypisches Verhalten, NJW 1956, 1897; Mestmäcker, Über die normative Kraft privatrechtlicher Verträge, JZ 1964, 441; Mitsching, Der Abschluss von Lieferverträgen mittels Realofferte, ZMR 2015, 750; Teichmann, Die protestatio facto contraria, FS K. Michaelis, 1972, 294; Wieacker, Willenserklärung und sozialtypisches Verhalten, Göttinger FS OLG Celle, 1961, 263.

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1. Typisierte Leistungen des modernen Massenverkehrs sind dadurch gekennzeichnet, dass sie jedermann angeboten werden und dass ihr Inhalt standardisiert ist (zB öffentliche Verkehrsmittel). Früher wurde teils vertreten, dass diese Leistungsbeziehungen nicht auf übereinstimmenden Willenserklärungen beruhten, sondern auf rein tatsächlichen Akten, nämlich dem öffentlichen Anbieten der Dienst- oder Sachleistung und ihrer Inanspruchnahme durch Benutzung oder Anschluss (Larenz NJW 1956, 1897; abl Wolf/Neuner AT § 37 Rn 47). Auf diese Lehre vom faktischen Vertrag aufgrund sozialtypischen Verhaltens hat sich auch der BGH in einigen Urt gestützt (BGH 21, 319, 333 = NJW 1956, 1475 – Inanspruchnahme eines Parkplatzes; 23, 175, 177f = NJW 1967, 627 – Bezug von Strom; 23, 249, 261 = NJW 1957, 787 – formlose Hoferbenbestimmung). Heute wird diese Lehre nahezu einhellig abgelehnt (MüKo/Busche Rn 44; Soergel/Wolf Rn 103; Staud/Bork Rn 39); auch die Rspr greift nicht mehr auf sie zurück (vgl nur BGH WM 1968, 115, 117; WM 1976, 928; NJW 1991, 564). Die Sachverhalte sind ohne weiteres mit den allg Regeln der Rechtsgeschäftslehre zu bewältigen, nämlich mit § 151, der Anerkennung konkludenter Willenserklärungen und der Unbeachtlichkeit der protestatio facto contraria (s noch Rn 43; grds zust Staud/Bork Rn 39; i Erg auch Jauernig/Mansel § 145 Rn 20). So liegt beim Öffentlichen Personennahverkehr das Angebot darin, dass die Benutzung des Verkehrsmittels (Bus, U-Bahn usw) jedermann möglich ist (Realofferte ad incertas personas; s § 145 Rn 1); die Annahme erfolgt durch Inanspruchnahme der Beförderungsleistung. Zumindest liegt eine Willensbetätigung des Fahrgastes vor, die in diesen Fällen das Zustandekommen eines rechtsgeschäftlichen Vertragsschlusses nach § 151 bewirkt (AG Wuppertal FPR 2009, 608). Entspr ist auch die Inanspruchnahme anderer öffentlich angebotener Dienst- oder Sachleistungen zu beurteilen, zB die Entnahme von Strom (vgl. BGH NJW 2011, 3509 Rn 16; NJW 2014, 1951 Rn 13; NJW 2014, 3148 Rn 10, 11; aA Mitsching ZMR 2015, 750, 753) oder die Inanspruchnahme eines sog Internet-by-call-Tarifs (Saarbrücken NJW-RR 2014, 686). Dasselbe gilt für private Dienstleistungen, hins derer aufgrund gesetzlicher Bestimmungen ein Abschlusszwang besteht (BGH NJW 2012, 1948 Rn 11 – Abfallentsorgung). Vertragspartner des Energieversorgers wird bei einer Strom- oder Gasentnahme, wer die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Anschlussstelle hat. Dies ist zwar im Regelfall der Eigentümer, jedoch muss auch die rechtliche Befugnis zur Entnahme aus Miet- oder Pachtverträgen beachtet werden (BGH NJW 2014, 1951 Rn 13; 3150 Rn 20; 3148 Rn 13ff; vgl zur Entwicklung der Rspr Mitsching ZMR 2015, 750ff). Vertragspartner der Abfallentsorgung kann daher auch der Verband der Wohnungseigentümer sein (BGH NJW 2012, 1948 Rn 12). 426

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2. Wer eine typisierte Leistung in Anspruch nimmt, die nur gegen Zahlung eines Entgelts angeboten wird, muss 43 die verkehrsmäßige Bedeutung seines Verhaltens auch dann gegen sich gelten lassen, wenn er vor oder bei der Inanspruchnahme der Leistung zum Ausdruck bringt, ein Entgelt nicht entrichten zu wollen. Die Bedeutungslosigkeit seines Vorbehalts folgt daraus, dass er tatsächlich die ihm gegen Entgelt angebotene Leistung in Anspruch genommen hat und damit der Vorbehalt im Widerspruch zu seinem eigenen tatsächlichen Verhalten steht (BGH NJW-RR 2005, 639, 640; NJW 2003, 313). Darin liegt ein bewusster Akt der Rechtsgestaltung, mag er sich auch nur auf das „Ob“ des Abschlusses beziehen (Flume II § 8, 2, 97ff). Meint der Benutzer, seinem Vorbehalt komme rechtliche Bedeutung zu, so handelt es sich um einen unerheblichen Rechtsirrtum. Zum gleichen Ergebnis führt der Rechtsgedanke „protestatio facto contraria non valet“. Sinn eines Vorbehalts ist es, ein auslegungsbedürftiges Verhalten klarzustellen. Lässt sich aber ein Verhalten vernünftigerweise nicht anders denn als Ausdruck eines bestimmten Willens erklären und wird dieser Wille trotzdem in Abrede gestellt, so ist der Vorbehalt wirkungslos. Wer daher zB von einem Elektrizitätswerk Strom bezieht und weiß, dass ihm das Werk den Strom nur zu den allg festgesetzten Strompreisen anbietet, verpflichtet sich durch den Strombezug zur Zahlung des Strompreises, auch wenn er erklärt, sich dem festgesetzten Preis nicht unterwerfen zu wollen (BGH 115, 311, 314 = NJW 1992, 171; NJW 2003, 3131; s auch NJW 2000, 3429, 3431 zum Verbleib eines Patienten im Krankenhaus trotz Endes der Kostenübernahme durch den gesetzlichen Krankenversicherungsträger; aA Köhler JZ 1981, 464; krit auch Jauernig/Mansel Rn 20, der in solchen Fällen eine Abwicklung über §§ 812ff für vorzugswürdig hält). Auch wenn sich der Leistungsbezug nicht nach einem festen Tarif bestimmt, sondern das Entgelt jew vereinbart werden muss, kommt entgegen § 154 I gewöhnlich ein Stromabnahmevertrag mit der Maßgabe zustande, dass das Stromunternehmen analog §§ 315, 316 berechtigt ist, die Höhe des Strompreises nach billigem Ermessen zu bestimmen (BGH NJW 1983, 1777). Im Zweifel ist nicht anzunehmen, dass Lieferant und Abnehmer in einem vertragslosen Zustand bleiben wollen. Zu einem konkludenten Vertragsschluss kommt es also dann nicht, wenn der Stromabnehmer schon einen Vertrag mit einem anderen Anbieter geschlossen hat (vgl BGH NJW 2011, 3509 Rn 16; NJW 2014, 1951 Rn 14). – Medicus (AT Rn 249f) will die Fälle des anonymen Massenverkehrs analog §§ 612, 632 lösen, weil der die angebotene Leistung in Anspruch nehmende Benutzer die rechtlich bestehende Vergütungspflicht regelmäßig nicht durch einseitige Erklärung ausschließen könne und wolle. Dieser Ansatz lässt indessen offen, wie es überhaupt zum Vertragsschluss kommen soll. IÜ lässt sich durch die Inanspruchnahme einer nicht mehr rückgängig zu machenden Leistung nicht stets eine vertragliche Pflicht zur Zahlung des üblichen Entgelts begründen, so zB nicht bei Diebstahl oder heimlicher Erschleichung fremder Leistung. Dann lässt sich ein Ausgleichsanspruch aus Delikts- oder aus Bereicherungsrecht herleiten (s Rn 45). Nach Mitsching (ZMR 2015, 750, 753f) soll erst in der Entnahme von Strom oder Gas aus dem Netz der Antrag liegen, welcher durch Verbuchung der weiteren Belieferung durch den Energieversorger angenommen werde. Kommt es nicht zum Vertragsschluss, so wäre der Energieversorger demnach auf die gesetzlichen Ausgleichsansprüche nach §§ 812 I 1 Fall 2, 818 II verwiesen. Dies erscheint unangemessen. 3. Eine andere Frage ist es, ob sich derjenige, der eine ihm angebotene Leistung tatsächlich in Anspruch genom- 44 men hat, auf die Nichtigkeit seiner Annahmeerklärung wegen eines Willensmangels berufen kann. Da eine echte Willenserklärung vorliegt, greifen grds die Regeln ein, welche die persönliche Zurechenbarkeit des Verhaltens ausschließen. Die Wertung der widerstreitenden Interessen ist jedoch bei Massenverträgen eine andere als bei individualisierten Leistungsbeziehungen, auf welche die Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe des BGB in erster Linie zugeschnitten sind. Im Bereich des Massenverkehrs kommt es vor allem auf den reibungslosen und einheitlichen Ablauf der Leistungsbeziehungen an. Dieser Gesichtspunkt führt zu einer Zurückdrängung individueller Elemente. Zu weit geht es jedoch, bei Willenserklärungen, die kraft der Verkehrssitte einen sozialtypischen Inhalt haben, die Berufung auf Willensmängel schlechthin auszuschließen (Soergel/Wolf Rn 103). Bejaht man das Vorliegen einer Willenserklärung oder Willensbetätigung, so muss man auch Korrekturen zulassen, die dem Erklärenden die Möglichkeit geben, einen entgegengesetzten inneren Willen zur Geltung zu bringen. Auch im Bereich der Daseinsvorsorge ist daher nach § 123 zur Anfechtung berechtigt, wer durch arglistige Täuschung oder Drohung zum Vertragsschluss bestimmt worden ist. Problematischer ist die Heranziehung der §§ 116ff, insb eine Irrtumsanfechtung nach § 119 oder die Berufung auf fehlendes Erklärungsbewusstsein. Auch die Anwendbarkeit dieser Normen lässt sich freilich nicht bezweifeln. Missbräuchen kann jedoch durch hohe Anforderungen an Darlegung und Beweis entgegengewirkt werden. Diese Strenge rechtfertigt sich daraus, dass die Entgeltpflichtigkeit typisierter Leistungen des Massenverkehrs allg bekannt ist und Rechtsfolgenirrtümer unerheblich sind (für umfassendere Einschränkung über § 242 noch 11. Aufl; s auch Soergel/Wolf Rn 103; Mitsching ZMR 2015, 750, 752). 4. In den Fällen, in denen es an einem rechtsgeschäftlichen Vertragsschluss fehlt, besteht keine Notwendigkeit, 45 „faktische Verträge“ anzuerkennen (BGH 95, 393, 399). Sachgerechte Lösungen lassen sich, wenn nicht nach den Grundsätzen der Vertragslehre, nach den Vorschriften des Delikts- oder des Bereicherungsrechts erzielen (s insb § 818 Rn 15ff; BGH 55, 128, 130ff = NJW 1971, 128 – Flugreise; Soergel/Wolf Rn 105). VI. Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorhandvertrag Schrifttum: v Einem, Die Rechtsnatur der Option, 1974; Freitag, „Specific performance“ und „causa-Lehre“ über alles im Recht des Vorvertrags?, AcP 207 (2007), 287; Gehrlein, Das Zusammenspiel vorvertraglicher Ansprüche und einer Haftung aus culpa in contrahendo, VersR 1997, 928; Georgiades, Optionsvertrag und Optionsrecht, FS Larenz, 1973, 409; v Hase, Vertragsbindung durch Vorvertrag, 1999; D. Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 1965; Heussen, Letter of Intent, 2. Aufl 2014; Heyers, Put-Optionen auf Immobilien, DNotZ 2011, 6; Kocher, Diskriminierende Vertragsverweigerung als vorvertragliche

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Pflichtverletzung, FS Martiny, 2014, 411; Köhler, Vorvertrag, Optionsvertrag und Festofferte, Jura 1979, 456; Kösters, Letter of Intent – Erscheinungsformen und Gestaltungshinweise, NZG 1999, 623; Kues, Vereinbarungen im Vorfeld eines Vertrages, Diss Konstanz 1994; Lutter, Der Letter of Intent, 3. Aufl 1998; Maurer, Vorrechte in der vertraglichen Praxis, BwNotZ 2004, 57; Mock, Vorvertrag, Angebot, Angebotsvertrag, Optionsvertrag, insbesondere Ankaufsrecht, in Hagen/Brambring (Hrsg), RWSForum Immobilienrecht 1998, 91; Ritzinger, Der Vorvertrag in der notariellen Praxis, NJW 1990, 1201; Schmalzel, Vorverträge zugunsten Dritter, AcP 164 (1964), 446; K. Schmidt, Zur Durchsetzung vorvertraglicher Pflichten, DNotZ 1990, 708; M. Weber, Der Optionsvertrag, JuS 1990, 249; M. Weber, Haftung für in Aussicht gestellten Vertragsabschluss, AcP 192 (1992), 390; Wertenbruch, Zur Haftung aus culpa in contrahendo bei Abbruch von Vertragsverhandlungen, ZIP 2004, 1525; M. Wolf, Rechtsgeschäfte im Vorfeld von Grundstücksübertragungen und ihre eingeschränkte Beurkundungsbedürftigkeit, DNotZ 1995, 179.

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1. Vorvertrag. a) Begriff und Zulässigkeit. Unter einem Vorvertrag versteht man eine schuldrechtliche Vereinbarung, durch die für einen oder beide Vertragspartner die Verpflichtung begründet wird, einen bestimmten weiteren schuldrechtlichen Vertrag, den sog Hauptvertrag, abzuschließen (BGH 102, 384, 388 = NJW 1988, 1261; Frankfurt 10.9.2014 – 14 U 103/12, Rn 138; s auch NJW 2006, 2843 Rn 11ff). Durch den Vorvertrag begründen die Parteien also einen vertraglichen Kontrahierungszwang (Staud/Bork Rn 51; MüKo/Busche Rn 65; s auch Rn 27; aA Freitag AcP 207, 287, 304). Ob der Kontrahierungszwang nur im Verhältnis der Vertragsparteien oder auch zugunsten eines Dritten bestehen kann (Schmalzel AcP 164, 446; Staud/Bork Rn 56), ist eine Frage der Terminologie (BGH 97, 147, 151f = NJW 1985, 1983). Es spricht nichts gegen ein weiteres Begriffsverständnis. Die Zulässigkeit des Vorvertrags ergibt sich aus dem das Recht der Schuldverhältnisse beherrschenden Grundsatz der Vertragsfreiheit (Vertrag sui generis gem § 311 I, grundlegend RG 66, 116, 120). Grds unterliegt der Vorvertrag den allg für den Vertrag geltenden Rechtssätzen (RG 66, 116, 121; s auch Flume II § 33, 7, 614, der den Begriff des Vorvertrags deshalb mangels hinreichender Unterscheidungskraft für weitgehend sinnlos hält). Die Parteien müssen sich über den wesentlichen Vertragsinhalt geeinigt und den Willen zu der für den Vorvertrag typischen Bindung gehabt haben; davon kann bei einer Beurkundung der Vereinbarung ausgegangen werden (BGH NJW 2006, 2843 Rn 9f). Der Vorvertrag unterscheidet sich vom Hauptvertrag somit nicht durch einen fehlenden Rechtsbindungswillen (der sog Letter of Intent begründet daher idR keinen Vorvertrag; Lutter Letter of Intent, 27ff; s allg Rn 9), sondern allein durch den Vertragsgegenstand. Der Vorvertrag setzt einen vom Hauptvertrag unterscheidbaren Vertragsgegenstand voraus. Ein Vertrag, in dem alle Vertragsbedingungen festgelegt sind, ist daher kein Vorvertrag, auch wenn die Parteien ihn als solchen bezeichnet haben (BGH NJW 1962, 1812, 1813; Frankfurt 10.9.2014 – 14 U 103/12). – Da die Parteien regelmäßig nicht lediglich einen Anspruch auf Abschluss eines Hauptvertrags, sondern unmittelbar einen Anspruch auf die sich aus diesem ergebenden Rechte und Pflichten begründen wollen, ist im Zweifel von einem Hauptvertrag auszugehen (BGH NJW 1962, 1812, 1813; NJW-RR 1989, 800, 801). – Für die Abtretbarkeit des Anspruchs aus einem Vorvertrag gelten die allg Regeln, vgl insb § 399 (RG 68, 355, 356). Entspr gilt für die Vererblichkeit. – Der schuldrechtliche Vertrag zur Herbeiführung einer dinglichen Rechtsänderung stellt seiner Natur nach keinen Vorvertrag zu dem späteren dinglichen Vertrag dar (RG 48, 133, 135). Zur Abgrenzung des Vorvertrags von Ausschließlichkeitsklauseln sowie Rahmen-, Mantel- und Optionsverträgen s Rn 52. b) Bestimmtheitserfordernis. An die inhaltliche Bestimmtheit des Vorvertrags sind im Grundsatz diejenigen Anforderungen zu stellen, die auch für den Hauptvertrag gelten (Mot I S 178; Flume II § 33, 7, 614). Da die Bedeutung des Vorvertrags aber gerade darin liegt, eine vertragliche Bindung auch dort zu ermöglichen, wo der Inhalt des Hauptvertrags noch nicht in allen Einzelheiten festgelegt werden kann (vgl Ritzinger NJW 1990, 1201, 1202f; M. Wolf DNotZ 1995, 179, 181), darf bei bestehenden Vertragslücken die Einigung der Parteien nicht vorschnell abgelehnt werden (vgl BGH 97, 147, 154 = NJW 1986, 1983, der allerdings missverständlich ausführt, der Vorvertrag fordere ein geringeres Maß an Bestimmtheit als der Hauptvertrag, s MüKo/Busche Rn 62). Es genügt ein solches Maß an Bestimmtheit oder doch Bestimmbarkeit und Vollständigkeit, dass im Streitfall der Inhalt des Vertrags richterlich festgestellt werden kann (st Rspr, BGH 97, 147, 154 = NJW 1986, 1983; NJW 1990, 1234, 1235; NJW-RR 1993, 139, 140). Steht fest, dass sich die Parteien vertraglich binden wollten, so sind offene Punkte soweit möglich durch – ggf erg – Auslegung des Vorvertrags und unter Heranziehung des dispositiven Rechts zu schließen (BGH NJW-RR 1993, 139, 140; Staud/Bork Rn 57; M. Wolf DNotZ 1995, 179, 181). Das Bestimmtheitserfordernis bezieht sich auf die essentialia negotii (zum Begriff s Rn 4) und alle von den Parteien für wesentlich erachteten Nebenpunkte (vgl BGH NJW 1990, 1234, 1235). Dies schließt es jedoch nicht aus, dass die Parteien Nebenpunkte erst im Hauptvertrag regeln (vgl BGH NJW-RR 1993, 139, 140). – Bsp: Bei einem Mietvorvertrag muss sich die Einigung auf das Mietobjekt, die Mietdauer und die Miete beziehen; die näheren Vertragsbedingungen können weiteren Verhandlungen vorbehalten bleiben (BGH NJW-RR 1993, 139, 140). Bei Vermietung „vom Reißbrett“ ist hingegen eine genauere Beschreibung erforderlich (KG NJW-RR 2007, 519; s auch BGH NJW 2006, 140 Rn 21). Ein Gesellschaftsvorvertrag muss die Rechtsform der zu gründenden Gesellschaft angeben (RG 106, 174, 177); ist der Vorvertrag auf die Gründung einer GmbH gerichtet, müssen zu seiner Wirksamkeit jedenfalls Stammkapital und Stammeinlagen geregelt werden (Karlsruhe NJW-RR 1996, 997, 998; s auch BGH NJW 1990, 1234, 1235 zu den Bestimmtheitsanforderungen an einen Vorvertrag über den Kauf eines Unternehmens). Da allerdings § 154 auch für den Vorvertrag gilt (BGH NJW-RR 1992, 977f; Staud/Bork Rn 52), ist dieser im Zweifel nicht geschlossen, solange nicht alle Vertragspunkte, über die eine Einigung erzielt werden sollte, geregelt sind. Ist der Vorvertrag lückenhaft, kann zudem der Rechtsbindungswille zweifelhaft sein. Erhöhte Bestimmtheitsanforderungen gelten bei formbedürftigen Vorverträgen (s Rn 48). c) Formbedürftigkeit. Der Vorvertrag bedarf grds keiner Form. Ausnahmen: aa) Gesetzliches Formerfordernis. Ist für den Hauptvertrag eine Form durch Gesetz vorgeschrieben, so ist ausnahmsweise auch der Vorvertrag 428

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formbedürftig, wenn das Formerfordernis den Schutz eines oder beider Beteiligten vor voreiligen Entschlüssen bezweckt und aus diesem Grunde eine Bindung nur bei Einhaltung der Form eintreten lassen will (BGH 61, 48 = NJW 1973, 1839: Formbedürftigkeit eines Jagdpachtvorvertrags gem § 11 III 1 BJagdG; BAG 2010, 1100 LS: Formbedürftigkeit eines Vorvertrags über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags). Das Formerfordernis erstreckt sich dann auf alle Vereinbarungen, die schon im Vorvertrag hätten verbindlich geregelt werden können und nach dem Parteiwillen auch sollten. Bleiben solche Punkte offen, so ist der Vorvertrag nach § 125 S 1 nichtig (vgl BGH 97, 147, 154f = NJW 1986, 1983). Der Vorvertrag zu einem Grundstückskaufvertrag bedarf der Form des § 311b I 1 (st Rspr; BGH 82, 398, 403 = NJW 1982, 759; NJW 2006, 2843 Rn 15; M. Wolf DNotZ 1995, 179, 182). Der Vorvertrag zum Gesellschaftsvertrag einer GmbH ist nach § 2 I GmbHG formbedürftig (BGH NJW-RR 1988, 288), der einer AG nach § 23 AktG (RG 156, 129, 138; Hüffer § 23 AktG Rn 14). Die Form des Zeichnungsscheins iSd § 185 I 1 AktG gilt auch für einen entspr Vorvertrag (Blaurock, FS Rittner, 1991, 33, 43ff; Hergeth/Eberl NZG 2003, 205, 206f). Die Erklärung des Bürgen in einem Bürgschaftsvorvertrag ist nach § 766 S 1 formbedürftig (s § 766 Rn 1). Dient das Formerfordernis dagegen nur der Beweissicherung, wie zB bei § 550, so bedarf der Vorvertrag keiner Form, da die Beweissicherung durch den formgerechten Abschluss des Hauptvertrags bewirkt werden kann (RG 86, 30, 32; 104, 131, 132; BGH NJW 2007, 1817 Rn 14; krit Eckert ZfIR 2007, 666f; aA Flume II § 33, 7 [S 616] zu § 566 aF; NK/Schulze Rn 35). Deshalb bedarf der Vorvertrag zu einem Schuldanerkenntnis iSd §§ 780, 781 keiner Form, wenn man als zentralen Formzweck die Beweissicherung sieht (zum Streitstand s § 781 Rn 8ff). Ein Vorvertrag zum Abschluss eines genau bestimmten Tarifvertrags bedarf nicht der Schriftform des § 1 II TVG (ErfK/Franzen § 1 TVG Rn 20; aA Löwisch/Rieble, TVG3, 2012, § 1 TVG Rn 1444; offenlassend BAG BB 2007, 556). bb) Gewillkürtes Formerfordernis. Für den Vorvertrag kann nach allg Regeln eine Form durch Parteivereinbarung vorgesehen werden. Dann gilt § 154 II. Ob eine Formvereinbarung für den Hauptvertrag auch auf den Vorvertrag zu beziehen ist, muss im Einzelfall durch Auslegung ermittelt werden (BGH NJW 1958, 1281). cc) Heilung. Der Formmangel des Vorvertrags kann etwa in den Fällen des § 311b I 2 durch formwahrenden Abschluss des Hauptvertrags geheilt werden (BGH 82, 398, 403ff = NJW 1982, 759; eingehend Keim DNotZ 2005, 324; i Erg ähnlich Freitag AcP 207, 287, 312). Eine Heilung tritt freilich nur insoweit ein, als die formlos vereinbarten Bedingungen in der richtigen Form bestätigt worden sind (BGH NJW-RR 1993, 522). Ein Hauptvertrag, der mit einem vom Vertragspartner vermittelten Dritten geschlossen wird, hat keine Heilungswirkung, da Auflassung und Eintragung nicht die Erfüllung des formunwirksam geschlossenen Vorvertrags darstellen (BGH NJW 2004, 3626 [auch zur Kondiktion des Hauptvertrags, 3628] m zust Anm Grünberg EWiR § 311b 1/05, 65; aA noch BGH NJW 1982, 759). dd) Treu und Glauben. Auch formwidrige Verträge können uU nach § 242 als wirksam zu behandeln sein (s § 242 Rn 117ff). d) Pflichten der Parteien des Vorvertrags. aa) Der Vorvertrag verpflichtet grds beide Parteien, beim Aushan- 49 deln ggf noch offener Vertragsbedingungen mitzuwirken, ein zum Abschluss des Hauptvertrags geeignetes Angebot abzugeben und ein entspr Angebot der Gegenseite anzunehmen (BGH NJW-RR 1994, 317, 318; NJW 2006, 2843 Rn 26; Frankfurt 10.9.2014 – 14 U 103/12 Rn 138; aA Freitag AcP 207, 287, 302ff). Außerdem können die Parteien aufgrund des Vorvertrags verpflichtet sein, eine in ihrem Namen von einem vollmachtlosen Vertreter abgegebene Erklärung zu genehmigen (BGH 108, 380, 384 = NJW 1990, 508); die Genehmigung hat, wenn sie im Klageweg erzwungen wird, allerdings keine Rückwirkung (BGH 108, 380, 384 = NJW 1990, 508; K. Schmidt DNotZ 1990, 708, 711). Zulässig ist auch ein einseitig verpflichtender Vorvertrag (BGH NJW 1962, 1812, 1813; MüKo/Busche Rn 65; v Riegen ZHR 167, 702, 711: Verpflichtung zur Annahme eines Übernahmeangebots; zur Abgrenzung von Optionen s Rn 52). Ob der angebotene oder abgeschlossene Hauptvertrag die Ansprüche aus dem Vorvertrag erfüllt, ist durch Auslegung unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Parteiwillens und des dispositiven Rechts zu prüfen (BGH NJW-RR 1994, 317, 318f). Die Unmöglichkeit der aufgrund des künftigen Hauptvertrags geschuldeten Leistungen lässt grds nicht die Ansprüche aus dem Vorvertrag entfallen (vgl BGH NJW 2001, 1285, 1286). Hat der Schuldner des Vorvertrags aber das Recht, sich vom Hauptvertrag zu lösen, kann dem Anspruch auf Abschluss des Hauptvertrags § 242 entgegenstehen (vgl BGH NJW 2001, 1285, 1286 zu § 326 aF). bb) Verletzt der Verpflichtete die sich aus dem Vorvertrag ergebenden Pflichten, so stehen dem Berechtigten grds die aus den allg Regeln folgenden Sekundäransprüche und Rechte zu. So kann der Berechtigte etwa gem §§ 280 I, II, 286 seinen Verzugsschaden ersetzt verlangen (Staud/Bork Rn 65) oder gem § 323 I – nach Setzung einer angemessenen Frist – vom Vertrag zurücktreten (vgl BGH NJW 1984, 479f zu einem auf pFV gestützten Rücktritt). Bei Verzug des aus dem Vorvertrag Verpflichteten kann der andere Teil zudem berechtigt sein, die Einräumung der Rechtsstellung zu verlangen, die er bei rechtzeitiger Erfüllung erlangt haben würde (RG 165, 260, 270). Daneben kommt auch ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung gem §§ 280 I, III, 281 in Betracht (vgl Bucher AcP 186, 1, 52). Dieser umfasst auch diejenigen Schäden, die daraus erwachsen, dass der Hauptvertrag nicht durchgeführt wurde. Dasselbe gilt, wenn der Hauptvertrag wegen Unmöglichkeit einer Leistung nicht hätte durchgeführt werden können, denn aus dem Vorvertrag erwächst für den Schuldner die Pflicht, sich hins des Hauptvertrags leistungsbereit zu halten (BGH NJW 1963, 1247; NJW 1990, 1233). e) Prozessuales. Die Klage aus einem Vorvertrag ist nicht unmittelbar auf Leistung, sondern auf Abschluss des 50 Hauptvertrags zu richten (Ausnahme: BGH NJW 1972, 1189, 1190), und zwar grds auf Annahme eines mit der Klage vorgelegten Angebots (BGH NJW 2001, 1272, 1273). Für eine Feststellungsklage besteht grds kein Rechtsschutzinteresse (BGH LM § 256 ZPO Nr 40). Ausnahmsweise kann aus Gründen der Prozessökonomie eine Klage auf Abgabe eines Angebotes zulässig sein (BGH 98, 130, 133 = NJW 1986, 2822 m Anm Krüger ZNotP 2006, Armbrüster

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447, 449). Wirkt eine Seite nicht an den aufgrund des Vorvertrags geschuldeten Verhandlungen über den Inhalt des Hauptvertrags mit oder ist eine Einigung nicht erzielbar, so kann der andere Teil auf Abgabe einer von ihm vorformulierten Vertragserklärung klagen; dem Beklagten obliegt es dann, konkrete Alternativvorschläge zu unterbreiten (BGH NJW 2006, 2843 Rn 26). Ebenso kann eine Klage auf Annahme eines abzugebenden, dem Inhalt des Klageantrags entspr Angebotes zulässig sein (BGH 97, 147, 149 = NJW 1986, 1983). Auch ist eine Klage auf künftige Leistung unter den Voraussetzungen des § 259 ZPO zulässig. Mit der Klage auf Vertragsabschluss kann der Antrag auf die aufgrund des Hauptvertrags geschuldete Leistung verbunden werden (BGH NJW 1986, 2820, 2821; NJW 2001, 1285, 1286; BGH 25.4.2014 – LwZR 2/13 Rn 21). Bei Verurteilung zum Abschluss des Hauptvertrags sind, soweit nötig und möglich, zwischenzeitliche Veränderungen zu berücksichtigen (BGH NJW 1962, 1812, 1813). f) Abgrenzungen. aa) Vorverhandlungen. Anders als beim Vorvertrag haben die dem Vertragsschluss vielfach vorausgehenden Vorverhandlungen für die Beteiligten noch keine rechtsgeschäftlich bindende Wirkung. Sie können nur für die Ermittlung und Auslegung des Parteiwillens bedeutsam sein und Lücken bzgl der erforderlichen Bestimmtheit des Vertragsgegenstandes schließen. Bereits während der Vorverhandlungen besteht zw den Beteiligten ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis, das jeden Teil verpflichtet, dem anderen alle für dessen Entschließung nach Treu und Glauben wesentlichen Punkte mitzuteilen (vgl §§ 311 II, 241 II). Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob der Vertrag zustande kommt. Ihre Verletzung kann den Geschädigten gem §§ 280 I, 311 II, 241 II (cic) zum Schadensersatz berechtigen. Der Abbruch von Vertragsverhandlungen ohne triftigen Grund kann eine gleichfalls auf cic gestützte Pflicht zum Vertragsschluss nach sich ziehen (§ 145 Rn 20). bb) Vom Vorvertrag ist der Optionsvertrag zu unterscheiden. Bei diesem verpflichten sich die Parteien (oder eine von ihnen, Rn 49) nicht zu einem Vertragsschluss, vielmehr wird dem Vertragspartner das Recht eingeräumt, durch eine einseitige Erklärung den beabsichtigten und bereits festgelegten Vertrag zustande zu bringen (s Rn 52; Vor § 158 Rn 14ff). cc) Auch eine Ausschließlichkeitsklausel ist kein Vorvertrag (aA Rittner Ausschließlichkeitsbindungen in dogmatischer und rechtspolitischer Betrachtung, 1957, 32ff). Der Unterschied besteht darin, dass der Vorvertrag eine Verpflichtung zum Abschluss eines Hauptvertrags auslöst, die Ausschließlichkeitsklausel dagegen dem Gebundenen lediglich einen bestimmten Vertragspartner aufzwingt, ohne ihn jedoch notwendig zur Vornahme des Geschäfts zu verpflichten. dd) Rahmen- oder Mantelverträge sind ebenfalls dadurch vom Vorvertrag zu unterscheiden, dass keine Pflicht zum Abschluss eines Einzelvertrags begründet wird (Rn 55; Staud/Bork Rn 54). ee) Anpassungsklauseln stellen, auch wenn sie einen Anspruch auf Vertragsänderung begründen, keinen Vorvertrag dar, da sie auf eine Verfügung, nämlich die Vertragsänderung, gerichtet sind (Staud/Bork Rn 55; aA Pal/ Ellenberger Rn 19). 2. Optionsvertrag. Durch einen Optionsvertrag wird dem Optionsberechtigten das Recht eingeräumt, durch einseitige Willenserklärung ggü dem Optionsgeber einen Hauptvertrag mit dem im Optionsvertrag vereinbarten Inhalt zustande kommen zu lassen (s a Vor § 158 Rn 14ff). Der Inhalt des hierdurch begründeten Optionsrechts bestimmt sich nach der Stellung des Optionsberechtigten innerhalb des vertraglichen Synallagmas. Ist der Berechtigte der spätere Erwerber eines Gegenstandes, spricht man von einem Ankaufsrecht oder Call Option. Folgt durch den Vertragsschluss auf Seiten des Berechtigten indes die Pflicht zur Veräußerung eines Gegenstandes, so bezeichnet man das Optionsrecht als Verkaufsrecht oder Put Option (zum Ganzen MüKo/Busche Rn 70ff; zur Unterscheidung von Call- und Put-Option hins Finanztransaktionen s Schimansky/Bunte/Lwowski/Schefold, Bankrechts-Handbuch4, 2011, § 116 Rn 283; zu einzelnen Problemen von Optionsrechten in Immobilienkaufverträgen Heyers DNotZ 2011, 6ff). Ein Optionsrecht gleich welchen Inhalts kann entweder durch eine sog Festofferte oder einen bedingten Hauptvertrag mit Optionsvorbehalt entstehen (zu letzterem s Vor § 158 Rn 14). Die Abgrenzung kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Die Festofferte, die systematisch lediglich ein mit langer Bindungsdauer versehenes Angebot des Optionsgebers darstellt (vgl § 148), unterscheidet sich vom Optionsvertrag darin, dass das Optionsrecht bei letzterem durch vertraglichen Konsens, bei ersterem durch einseitige Willensbekundung des Optionsgebers entsteht (MüKo/Busche Rn 74). Beim bedingten Hauptvertrag mit Optionsvorbehalt handelt es sich technisch um einen voll wirksamen Vertrag, dessen Wirkungen vom Wollen des „Bedingungsberechtigten“ abhängig gemacht werden (zur Zulässigkeit reiner Wollensbedingungen s Vor § 158 Rn 12ff). 3. Vorhand. Durch den Vorhandvertrag verpflichtet sich der Vorhandgeber, einen bestimmten Gegenstand zunächst dem Vorhandberechtigten anzubieten (etwa zum Kauf, zur Miete, zur Pacht etc). Freilich darf eine solche Vertragsgestaltung inhaltlich nicht mit einem Vorkaufsrecht nach §§ 463ff gleichgesetzt werden. Hierbei tritt der Vorkaufsberechtigte durch Ausübung der Erklärung in den zw dem Veräußerer und einem Dritten geschlossenen Kaufvertrag ein, § 464 II. Grds verpflichtet der Vorhandvertrag demgegenüber lediglich dazu, den Vertragsschluss zunächst dem Vorhandberechtigten anzubieten. Eine Pflicht zum Abschluss des Vertrags von Seiten des Vorhandgebers besteht indes nur dann, wenn der Vorhandberechtigte zu denselben Bedingungen abzuschließen bereit ist, wie der als Vertragspartner ins Auge gefasste Dritte. Den Parteien ist es nicht verwehrt, eine solche Rechtsfolge im Vorhandvertrag vorzusehen.

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VII. Sukzessivlieferungsvertrag Schrifttum: Reiter, Die Neuregelung des Widerrufsrechts bei Sukzessivlieferungsverträgen unter besonderer Berücksichtigung des Bierlieferungsvertrages, BB 1991, 2322; Saxinger, Zulieferverträge im deutschen Recht, 1993; M. Schwab, Leistungsstörungen im Sukzessivlieferungsvertrag nach neuem Schuldrecht, ZGS 2003, 73; Timme, Schadensersatzanspruch des nichtbelieferten Käufers bei einem Sukzessivlieferungsvertrag – BGH, NJW 1998, 2901, JuS 2001, 1060;Woitkewitsch, Die Rechte des Verbrauchers beim Abonnementvertrag, MDR 2005, 371.

1. Der Begriff des Sukzessivlieferungsvertrags wird uneinheitlich verwendet. So wird darunter zT nur ein Teil- 53 lieferungsvertrag verstanden, der auf Erbringung einer im Voraus fest bestimmten Leistung in zeitlich aufeinander folgenden Raten gerichtet ist (s Vor § 433 Rn 32; BGH NJW 1977, 35; NJW 1981, 679, 680; Timme JuS 2001, 1060; vgl auch RG 148, 326, 330). Beschrieben wird damit kein typisches Dauerschuldverhältnis, sondern ein nur zeitlich gestreckter Kauf- oder Werklieferungsvertrag (Pal/Grüneberg Vor § 311 Rn 27; vgl BGH NJW 1981, 679, 680). Andere verstehen unter einem Sukzessivlieferungsvertrag einen Bezugsvertrag, bei dem die zu liefernde Menge nicht von vornherein feststeht, sondern sich im Lauf der Zeit (sukzessive) erhöht (Medicus/Lorenz SchuldR I Rn 12; aA ausdr BGH NJW 1981, 679, 680). Diese Definition versteht den Sukzessivlieferungsvertrag als Unterart eines echten Dauervertrags (Medicus/Lorenz SchuldR I Rn 12). Es spricht indessen nichts gegen ein beide Begriffsdefinitionen umfassendes, weites Verständnis, wenn die Unterschiede in der rechtlichen Behandlung weiterhin beachtet werden (zur beim Übergangsrecht gem Art 229 § 5 S 2 EGBGB gebotenen Differenzierung Armbrüster/Wiese DStR 2003, 334). So kommt insb eine Kündigung nur bei echten Dauerschuldverhältnissen in Betracht (vgl § 314 Rn 3c), während der Vertrag ansonsten durch Rücktritt zu beenden ist (vgl BGH NJW 1981, 679, 679f; Staud/Beckmann Vor §§ 433ff Rn 211). In diesem weiten Sinne sind Arten eines Sukzessivlieferungsvertrags sowohl der Raten- oder Teillieferungsvertrag als auch der Dauerlieferungs- oder Bezugsvertrag (Staud/Beckmann Vor §§ 433ff Rn 207; Pal/Grüneberg Vor § 311 Rn 27f; Jauernig/Stadler § 311 Rn 14; Reiter BB 1991, 2322). 2. Abgrenzungen. Wesentlich für den Sukzessivlieferungsvertrag bleibt in jedem Fall sein Charakter als Einheits- 54 vertrag, dh es muss von den Parteien trotz der vereinbarten Erfüllung in zeitlich getrennten Teilleistungen ein einheitliches Ganzes gewollt sein (RG 148, 326, 330; vgl auch RG 161, 100, 104, wonach die Parteien auch für mehrere getrennte Verträge vereinbaren können, dass die Art und Weise der Abwicklung des einen zugleich für die Erfüllung des anderen erheblich sein soll). Hierdurch unterscheidet er sich insb vom sog Wiederkehrschuldverhältnis, das durch eine sich ständig wiederholende Erneuerung des Vertragsschlusses für bestimmte Zeitabschnitte oder Bezugsmengen gekennzeichnet ist (RG 148, 326, 330 betr § 17 KO aF). Seit Inkrafttreten von § 105 InsO (teilbare Leistungen) ist die Unterscheidung insolvenzrechtlich weitgehend bedeutungslos (Medicus/ Lorenz SchuldR I Rn 13); bei einem Sukzessivlieferungsvertrag liegen grds teilbare Leistungen vor (BGH 135, 25, 27 = DtZ 1997, 196). Dennoch sollte der Begriff des Wiederkehrschuldverhältnisses nicht aufgegeben werden (aA Medicus/Lorenz SchuldR I Rn 13; zweifelnd auch Larenz SchuldR I § 2 VI [S 31 Fn 45]). Den Parteien steht es frei, im Rahmen ihrer Lieferbeziehungen zu vereinbaren, dass das rechtliche Schicksal weiterer Lieferungen zunächst völlig offenbleibt, weil für bestimmte Zeitabschnitte oder für jede weitere Bezugslieferung erst noch ein neuer Kaufvertrag nach den Regeln der §§ 145ff zustande kommen muss (Staud/Beckmann Vor §§ 433ff Rn 212). – Vom Vorvertrag unterscheidet sich der Sukzessivlieferungsvertrag dadurch, dass durch ihn ein Anspruch unmittelbar auf die Leistung entsteht, während aufgrund des Vorvertrags erst ein anderer Vertrag abgeschlossen werden soll (Rn 46). VIII. Richtlinien- und Rahmenvertrag Schrifttum: Fuchs-Wissemann, Die Abgrenzung des Rahmenvertrages vom Sukzessivlieferungsvertrag, Diss Marburg 1979; Hoffbauer, Der Rahmenvertrag in der Lieferbeziehung, 2010; Muhl/Lüthge, Rahmenverträge in Lieferbeziehungen – Struktur, Beendigung und Rechtsfolgen, GWR 2016, 26; Windbichler, Neue Vertriebsformen und ihr Einfluß auf das Kaufrecht, AcP 198 (1998), 261.

1. In sog Richtlinien- sowie Rahmen- oder Mantelverträgen legen die Parteien bei auf Dauer angelegten Ge- 55 schäftsverbindungen unverbindliche Empfehlungen (RL-Vertrag, dazu Staud/Bork Rn 92) oder verbindliche Bedingungen (Rahmen- oder Mantelvertrag; dazu K. Schmidt, Handelsrecht6, 2014, § 20 Rn 12 [S 727]) für künftige Einzelverträge fest (näher Windbichler AcP 198, 261, 264). Ein Bsp für den Inhalt von Rahmenverträgen umschreibt § 305 III. Aus solchen Verträgen kann mangels hinreichender Bestimmtheit grds nicht auf den Abschluss eines konkreten Einzelvertrags geklagt werden (BGH NJW-RR 1992, 977, 978 zu Rahmenvertrag mit Architekt). Wird der Abschluss eines Einzelvertrags verweigert, kann darin allerdings eine Verletzung der Pflichten aus dem Grundvertrag liegen, die gem § 280 I zum Schadensersatz verpflichtet (BGH NJW-RR 1992, 977, 978: pVV; s auch BGH NJW-RR 2000, 1560, 1563). Ein allg Bankenvertrag, der meist im Zusammenhang mit einem Giro- oder Darlehensvertrag abgeschlossen wird, erfüllt mangels einer eigenständigen bindenden Rechtsfolge nicht den Vertragsbegriff (BGH 152, 114, 119f = NJW 2002, 3695, 3696; MüKo/Heermann § 675 Rn 52; Horn in Heymann, HGB, Anh § 372 Erster Teil Rn 7; Canaris in Staub4 HGB, Bd. 5, 2005, Erster Teil Rn 4ff; aA Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, BankGesch A/6; Pal/Sprau § 675 Rn 9; Staud/Martinek § 675 Rn B 31; Ulmer Der Vertragshändler 317f). Die mit einem Giro- oder Darlehensvertrag vereinbarten und für andere Verträge im Rahmen der Geschäftsverbindung geltenden AGB erfordern keinen Rahmenvertrag; vielmehr gelten die Bedingungen jeweils für den Einzelvertrag (BGH 152, 114, 119 = NJW 2002, 3695, 3696; krit Köndgen NJW 2004, 1289f im Hinblick auf die Notwendigkeit einer dauerhaft bestehenden Vereinbarung über das Bankgeheimnis und der geschäftsbesorgungsrechtlichen Interessenwahrungspflicht). Für Internetauktionen wird diskutiert, inwiefern Armbrüster

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bestehende Rahmenverträge zur Begründung eines Vertragsschlusses herangezogen werden können (vgl Spindler in Spindler/Schuster Vor §§ 145ff Rn 10f; Neubauer/Steinmetz in Hoeren/Sieber/Holznagel, Multimedia-Recht, 42. Lfg 2015, Teil 14 Rn 30). 2. Abgrenzungen. Der Unterschied zu Sukzessivlieferungsverträgen besteht darin, dass bei Rahmenverträgen idR die wesentliche Leistungspflicht noch durch abzuschließende Einzelverträge konkretisiert werden muss (vgl Köln CR 1994, 737, 738; Hoffbauer 83; Limbach Bezugsvertrag, 2014 13). Die fehlende Vereinbarung einer Leistungspflicht grenzt den Rahmenvertrag auch zum Wiederkehrschuldverhältnis ab (Fikentscher/Heinemann SchuldR Rn 136). Die Abgrenzung zu Vorverträgen erfolgt anhand der fehlenden Pflicht zum Abschluss von Einzelverträgen (Staud/Bork Rn 54; K. Schmidt Handelsrecht § 20 Rn 12 [S 727]; Fikentscher/Heinemann SchuldR Rn 136; vgl BGH NJW-RR 1992, 977, 978; s auch Rn 52).

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Rechtsgeschäfte

Bindung an den Antrag

Wer einem anderen die Schließung eines Vertrags anträgt, ist an den Antrag gebunden, es sei denn, dass er die Gebundenheit ausgeschlossen hat. 1. Rechtliche Qualifikation des Antrags. Der Vertragsantrag (Angebot, Offerte) ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die den allg Vorschriften über Willenserklärungen (§§ 116ff) unterliegt; Geschäftsfähigkeit ist hingegen nur Wirksamkeitsvoraussetzung des Rechtsgeschäfts (instruktiv Leenen, FS Canaris, 699, 708). Er ist jedoch ebenso wie die Annahme kein selbständiges Rechtsgeschäft; vielmehr bilden erst Antrag und Annahme zusammen ein einheitliches Rechtsgeschäft (Hamm NJW 1982, 2076 betr Erhöhungsverlangen nach § 2 MHRG; Staud/Bork Rn 1; Flume II § 35 I 1, 635). Die Vorschriften über einseitige Rechtsgeschäfte finden daher auf den Antrag und die Annahme keine Anwendung. Die Wahrung einer vorgeschriebenen Form ist auch dann erforderlich, wenn das Formerfordernis nicht für den gesamten Vertrag, sondern nur für die Willenserklärung eines Vertragspartners gilt und der Antrag jene Willenserklärung enthält. Eine reine Tatsachenmitteilung unterscheidet sich von einem Vertragsantrag dadurch, dass bei ihr der Empfänger nicht auf den Gedanken kommen kann, durch eine ausdr oder konkludente Annahme seinerseits eine vertragliche Bindung zu begründen (RG 170, 397, 401 betr Versicherungsnachtrag). Im Bereithalten einer Ware oder Dienstleistung (Energieversorgung; öffentlicher Personennahverkehr; Telekommunikation) im Wege der sog Realofferte liegt ein Antrag (BGH NJW 2005, 3636, 3637; NJW 2014, 1951 Rn 13; NJW 2014, 3148 Rn 10; Saarbrücken NJW-RR 2014, 686; zum Vertragsschluss in solchen Fällen s Vor § 145 Rn 43). Demgegenüber umfasst das „Anbieten“ einer Ware oder Leistung iSd § 1 I 1 PAngV nach dem Schutzzweck der VO nicht nur Vertragsanträge iSd § 145, sondern darüber hinaus in einem rein tatsächlichen Sinne jede Erklärung eines Kaufmanns, in der entspr dem üblichen Sprachgebrauch die Bereitschaft zum Ausdruck kommt, eine bestimmte Ware oder Leistung gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen (BGH NJW 1980, 1388; NJW 1983, 894). 2. Bestimmbarkeit. Der Antrag muss inhaltlich so bestimmt oder jedenfalls gem §§ 133, 157 bestimmbar und vollständig sein, dass mit seiner Annahme ohne weiteres die zum Zustandekommen des Vertrags notwendige Willenseinigung erreicht ist und im Streitfall der Inhalt des Vertrags richterlich festgestellt werden kann (vgl BGH NJW 1990, 1234, 1235 zum Vorvertrag; BAG NZA 2005, 635, 636; NJOZ 2016, 866 Rn 18; 1.3.2016 – 2 AZR 838/14 Rn 19; 26.1.2017 – 2 AZR 68/16 Rn 14 zum Änderungsangebot bei einer Änderungskündigung; BAG NZA 2013, 1358 zum Änderungsangebot zu einem Altersteilzeitsarbeitsverhältnis). Entscheidend ist der nach §§ 133, 157 zu ermittelnde objektive Empfängerhorizont (s auch MüKo/Busche Rn 6). Der Antrag muss die essentialia negotii enthalten (s Vor § 145 Rn 4; vgl auch § 14 I 2 CISG und dazu Schlechtriem Art 14 CISG Rn 2) oder zumindest alle Kriterien für ihre Festlegung (Faust AT § 3 Rn 3). Fehlt es an dieser Voraussetzung, liegt kein Vertragsantrag vor (RG HRR 1930, 91). Hinreichende Bestimmbarkeit ist jedoch bereits gegeben, wenn der Antrag iVm sonstigen Umständen, insb mit Vorverhandlungen (Vor § 145 Rn 51), einem vorausgegangenen Schriftwechsel oder durch Verweisung auf objektive Standards, wie zB Qualitätsanforderungen oder allg Lieferbedingungen, die erforderliche Klarheit und Eindeutigkeit erhält (München NZBau 2011, 487, 488 – unwirksame Bezugnahme auf Vorverhandlungen). Der Antrag kann uU in einzelnen Beziehungen auch unbestimmt sein, sofern der Antragende die Bestimmung dieser Punkte dem Erklärungsgegner überlassen will (Enn/ Nipperdey § 161 I 1b [S 987]). Dies wird nach der Verkehrsübung namentlich bei der Preisbestimmung häufig der Fall sein, zB bei Hotelzimmerbestellung (s auch §§ 315, 316). Für einige Vertragstypen geht bereits aus dem Gesetz hervor, dass eine Vereinbarung über eine zu zahlende Vergütung bzw deren Höhe entbehrlich ist (s etwa §§ 612, 632). Der Vertragsschluss scheitert in diesen Fällen nicht am Fehlen einer entspr Einigung (Faust AT § 3 Rn 3). Ferner kann auch die Bestimmung durch einen Dritten vorbehalten bleiben (§§ 317–319) oder eine Wahlschuld (§§ 262–265) vereinbart werden. – Zum Antrag an einen unbestimmten Personenkreis s Rn 4, 7. Beim Blankett handelt es sich mangels Bestimmtheit nicht um eine Willenserklärung; bei Missbrauch durch den Empfänger kommt aber eine Zurechnung der im Rechtsverkehr abgegebenen Erklärung analog §§ 171, 172 BGB in Betracht (näher Binder AcP 207, 155ff). – Ein an mehrere Personen gerichteter Vertragsantrag, nach dem die Antragsgegner gemeinschaftlich die Vertragspartei bilden sollen, kann nur gemeinsam angenommen werden. Lehnt ein Teil der Antragsgegner ab, so entfällt grds die Bindung des Annehmenden (BGH LM Nr 10 = MDR 1965, 572). – Der Antragende kann über die essentialia negotii hinaus weitere Punkte in sein Angebot aufnehmen und sie damit zum Vertragsgegenstand machen (sog accidentalia negotii).

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3. Rechtsbindungswille (Rechtsfolgewille). a) Grundsatz. Es muss dem bekundeten Willen des Antragenden entsprechen, dass mit der Annahme seines Angebots ein gültiger, ihn bindender Vertrag zustande kommt. Maßgeblich ist der objektive Empfängerhorizont (s § 133 Rn 19). Wendet sich etwa ein Interessent telefonisch an einen Makler, so kann darin nicht ohne weiteres ein Angebot gesehen werden, da der Anrufer idR erwarten darf, dass ein Vertragsverhältnis zw Makler und Verkäufer besteht (Brandenburg NJW-RR 2009, 1145, 1146). Fehlt es in Wahrheit am Rechtsbindungswillen, obwohl ein solcher nach außen in Erscheinung tritt, greifen die §§ 116ff ein. Zum Ausschluss der Gebundenheit nach Hs 2 s Rn 16. b) Invitatio ad offerendum. Hat der Erklärende die Bindung an den Antrag ausgeschlossen, so liegt uU gar kein Antrag vor (Rn 16). Ist ein Angebot nicht an eine bestimmte Person gerichtet, sondern an die Allgemeinheit, so handelt es sich oft mangels Willens zu vertraglicher Bindung nur um eine Aufforderung zur Abgabe von Vertragsanträgen (invitatio ad offerendum), deren Sinn es ist, den potentiellen Vertragspartner über das eigene Warenoder Leistungsangebot zu informieren und die grds Vertragsbereitschaft zum Ausdruck zu bringen (Düsseldorf NJW-RR 2016, 1073, 1074; Bork AT Rn 705). Es kann jedoch auch ein echtes Vertragsangebot unter den sich aus den Umständen ergebenden Vorbehalten oder Einschränkungen vorliegen (offerta ad incertas personas). Entscheidend ist, ob der „Anbietende“ durch die Zustimmung des Erklärungsempfängers sofort verpflichtet sein soll. Dies ist durch Auslegung der Erklärung nach §§ 133, 157 zu ermitteln, wobei auch das spätere Verhalten der Parteien zu berücksichtigen ist (vgl. LG Berlin 28.4.2015 – 67 S 470/14 – Zusendung eines Mietvertragsformulars ohne Unterschrift). Bei Waren- und Dienstleistungsangeboten eines Kaufmanns ist dies schon im Hinblick auf die beschränkte Leistungsfähigkeit grds zu verneinen (Düsseldorf NJW-RR 2016, 1073, 1075; Flume II § 35 I, 1, 637; Medicus AT Rn 359). Hinzu kommt regelmäßig das Interesse, eine Bindung bei unzureichender Zahlungsfähigkeit des Gegners zu vermeiden (Staud/Bork Rn 4). Ist die individuelle Persönlichkeit des eventuellen Vertragspartners für den Antragenden von Bedeutung, wie gewöhnlich bei Dienstverträgen, so liegt idR nur eine Aufforderung zur Offertenabgabe vor. c) Einzelfälle. Die öffentliche Ankündigung von Veranstaltungen (zB Konzerten, Theateraufführungen) ist nur als Aufforderung zur Abgabe von entspr Angeboten zu werten (RG 133, 388, 391; MüKo/Busche Rn 11). Die Übersendung von Katalogen, Preislisten und Werbeprospekten sowie Inserate in Zeitungen sind grds nicht als Vertragsanträge aufzufassen (Soergel/Wolf Rn 7; Staud/Bork Rn 5; zum Vertragsangebot in der Werbung s Bernreuther WRP 2003, 846, 849ff). Dasselbe gilt für Speisekarten. Nur unter besonderen Umständen kann die Auslegung im Einzelfall einen anderen Willen ergeben. Allein ein Hinw wie „Solange der Vorrat reicht“ genügt dafür nicht (Staud/Bork Rn 5). Diese Regeln gelten auch für individuell adressierte Werbeschreiben. In der Bewerbung einer Mehrwertdienste-Nummer liegt gleichfalls lediglich eine invitatio ad offerendum (BGH NJW 2006, 286, 287). Die Zusendung unbestellter Waren ist als Antrag anzusehen; zur Annahme s § 147 Rn 4. Ein Warenangebot auf einer Website im Internet ist nach verbreiteter Ansicht – ähnlich wie bei Katalogen (s Rn 6) – ohne Weiteres als invitatio ad offerendum anzusehen (Düsseldorf 19.5.2016 – 16 U 72/15 Rn 24f; LG Essen NJW-RR 2003, 1207; LG Gießen NJW-RR 2003, 1206; BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 41; Köhler NJW 1998, 185, 187; Taupitz/Kritter JuS 1999, 839, 840; Waldenberger BB 1996, 2365ff; aA Mehrings MMR 1998, 30, 32). Angesichts des breiten Spektrums an Online-Auftritten muss differenziert werden (Bach K&R 2005, 308 [309 mit Fn 4]; Glatt Vertragsschluss im Internet, 2002, 40ff, 44; s auch Dörner AcP 202, 363, 377f; Föhlisch/Stariradeff NJW 2016, 353, 354f; Kimmelmann/Winter JuS 2003, 532, 534; Wiese VuR 2008, 161, 163f; Woitkewitsch/Pfitzer MDR 2007, 61, 63). Die Präsentation der Ware ist auch dann lediglich als invitatio anzusehen, wenn eine OnlineVersandhandlung mit Hilfe von Warenwirtschaftssystemen stets nur ihren aktuell verfügbaren Warenbestand im Internet präsentieren kann (BGH NJW 2013, 598 Rn 14; Nürnberg MMR 2010, 31 und OLGRp 2009, 645 m zust Anm Schmidt, jurisPR-ITR 2/2010 Anm 5; abw noch Erman/Armbrüster12). Zwar ist so stets gesichert, dass der Vertrag nur bei ausreichendem Warenvorrat abgeschlossen wird; jedoch würde dem Verkäufer, wenn man von einem Angebot ausginge, die Bonitätsprüfung abgeschnitten (s dazu auch Hoffmann MMR 2003, 274, 275). Auch nach dem Klick des Kunden auf die Schaltfläche „Zur Kasse gehen“ ist das Angebot des Seitenbetreibers nicht rechtsverbindlich, da nach Angabe der Zahlungsmodalitäten durch den Kunden gleichfalls Raum für eine Bonitätsprüfung verbleiben muss (aA Föhlisch/Stariradeff NJW 2016, 353, 358: je nach gewählter Zahlungsmodalität kommr es schon bei Aufstellung der Warenpräsentation zu einem bindenden Angebot). Häufig ergibt sich aus den AGB des Online-Anbieters, ob Erklärungen bindenden Charakter haben und unter welchen Voraussetzungen sich die Beteiligten ggf vom Vertrag wieder lösen können. Dabei sind die Anforderungen des § 305 II/III in Bezug auf die wirksame Einbeziehung der AGB beim Vertragsschluss im Internet besonders zu beachten: Auf der Website muss deutlich auf die AGB hingewiesen und dem Kunden die Möglichkeit gegeben werden, davon in zumutbarer Weise Kenntnis zu erlangen, etwa durch die Möglichkeit, die AGB kostenlos zu speichern und auszudrucken (Wörlen/Metzler-Müller AT Rn 335). Ein rechtsverbindlicher Antrag (ad incertas personas) iSd § 145 und nicht etwa eine antizipierte Annahmeerklärung ggü dem Höchstbietenden liegt dann vor, wenn sich ein entspr Erklärungswert aus den von allen Beteiligten zur Kenntnis genommenen Teilnahmebedingungen einer Internetauktion (dazu s auch § 156 Rn 1) ergibt (BGH 149, 129 = NJW 2002, 363, 364; NJW 2014, 1292 Rn 18; NJW 2015, 1009 Rn 14; Frankfurt 27.6.2014 – 12 U 51/13 Rn 16; Oldenburg NJW 2005, 2556f; KG NJW 2005, 1053 – Konstruktion des Vertragsschlusses unter einer auflösenden Bedingung; Sosnitza VuR 2007, 143, 144; Spindler/Nink DRiZ 2007, 193; Wiebe in Spindler/Wiebe, Internet-Auktionen, 2005, 65ff; NK/Kremer Anh zu § 156 Rn 21f; aA LG Münster JZ 2000, 730; Hager JZ 2001, 786, 787; AG Gummersbach NJW-RR 2011, 133, 134 [sowohl Antrag als auch Annahme]; krit Hellgardt AcP 213, 761, 806; zum MeinungsArmbrüster

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stand vgl Wagner/Zenger MMR 2013, 343f). Dies gilt auch für ein im Wege der „Sofort-Kauf“-Option eingestelltes Angebot (BGH MMR 2013, 466, 467; Hamm MMR 2013, 375, 376; Föhlisch/Stariradeff NJW 2016, 353, 354; Spindler/Nink DRiZ 2007, 193, 195; Wellhausen, jurisPR-ITR 14/2008 Anm 4) und bei sog „Reverse Auctions“ (eingehend hierzu, insb auch bzgl der Wettbewerbs- und Sittenwidrigkeit einer solchen Auktion, NK/Kremer Anh zu § 156 Rn 47ff). Aber auch in den Geboten können ausweislich der AGB des Internetportals Angebote zu sehen sein (zB www.hood.de; vgl Sutschet NJW 2014, 1041). Zu den rechtlichen Problemen, die aus der sog „Preisvorschlags“-Option herrühren, s Spindler/Nink DRiZ 2007, 193 (195). Der Einsatz eines Bietagenten, obgleich er nach den AGB vieler Internetauktionshäuser verboten ist, führt nicht etwa dazu, dass kein Vertrag zw dem Höchstbietenden und dem Verkäufer zustande kommt. Insoweit muss vielmehr hins des Rechtsverhältnisses des Käufers zum Verkäufer und desjenigen des Käufers zum Betreiber differenziert werden (NK/Kremer Anh zu § 156 Rn 50). Zu den Problemen des „bid shielding“ und des „shill bidding“ s BGH 24.8.2016 – VIII ZR 100/15 m Anm Linardatos LMK 2017, 385307; Sutschet NJW 2014, 1041). Die Beweislast dafür, dass die Erklärung von demjenigen abgegeben worden ist, dessen login-Daten verwendet wurden, trägt, wer aus der Erklärung Rechte herleiten will. Ein prima-facie-Beweis zugunsten des Vertragspartners scheidet aus (Hamm NJW 2007, 611; Pal/Ellenberger § 156 Rn 3). Die für ein Kfz, das in einer Online-Restwertebörse eingestellt ist, abgegebenen Angebote von potentiellen Käufern sind verbindlich iSv § 145 (Düsseldorf NJW-RR 2008, 617, 618). Besondere Auslegungsprobleme können entstehen, wenn im Rahmen einer Online-Auktion eine Sache kumulativ zu einem Auktionsstartpreis und zu einem – erheblich höheren – „Sofort-Kauf“-Preis angeboten wird. In solchen Fällen besteht das Angebot darin, wahlweise entweder per Auktion zu verkaufen oder zu dem angegebenen „SofortKauf“-Preis. Das Angebot ist nicht objektiv mehrdeutig, auch dann nicht, wenn der „Sofort-Kauf“-Preis erheblich über dem durch die „Auktion“ erzielten Preis liegt (Köln OLGRp 2007, 565, 566; abw. LG Stuttgart NJWRR 2008, 1592, 1593). Abw Erklärungen, aus denen sich ein fehlender Bindungswille ergibt, sind jedoch auch dann vorrangig, wenn sie gegen die Teilnahmebedingungen verstoßen (LG Darmstadt NJW-RR 2002, 1139 – „Umfrage“). Handelt es sich bei einem Online-Angebot nach Auslegung um eine invitatio ad offerendum, so ist die nach § 312i I Nr 3 (§ 312g I Nr 3 aF) erforderliche Zugangsbestätigung, die lediglich eine Wissenserklärung darstellt, von der uU bereits damit einhergehenden Angebotsannahme iSv § 147 abzugrenzen (BGH NJW 2013, 598 Rn 19; s § 147 Rn 2). Die spezifischen Probleme des Online-Vertragsschlusses stellen sich nicht, wenn ein Mitarbeiter unter Bezugnahme auf den Online-Vertragsschluss diesen schriftlich bestätigt und der Kaufpreis daraufhin gezahlt wird (AG Fürth K&R 2008, 770). Wird im Internet das Herunterladen von Software angeboten, so sind die Grundsätze heranzuziehen, die für das Bereitstellen von Automaten gelten (s Rn 8; aA Rüthers/Stadler AT § 19 Rn 5 aE; Ernst NJW-CoR 1997, 165: offerta ad incertas personas). Ein entgeltlicher Vertrag kommt insoweit nicht zustande, wenn der Nutzer nach der Gestaltung der Website davon ausgehen darf, dass kein Entgelt erhoben wird (LG Mannheim MMR 2010, 241). Die Bereitstellung eines Automaten wird verbreitet als Vertragsangebot an jeden angesehen, der die entspr Münze einwirft, unter dem Vorbehalt (§§ 133, 157), dass der Vorrat ausreicht und der Automat technisch funktioniert (Flume II § 35 I, 1 [S 636]; MüKo/Busche Rn 12; Pal/Ellenberger Rn 7; Staud/Bork Rn 8). Für den schuldrechtlichen Vertrag ist es überzeugender, in der Automatenaufstellung nicht eine durch das Vorhandensein der Ware und das Funktionieren des Automaten bedingte offerta ad incertas personas, sondern eine bloße Aufforderung zur Abgabe von Angeboten zu sehen. Dann liegt im Einwurf der Münze der (Kauf-)Vertragsantrag, der durch die Herausgabe der Ware angenommen wird (Köndgen Selbstbindung ohne Vertrag, 1981], 284ff; Faust AT § 3 Rn 4; Medicus AT Rn 362). Die Heraus- oder Freigabe der Ware enthält zugleich den Antrag zu ihrer Übereignung. Bei Geldautomaten soll sich das Angebot zur Übereignung der Geldscheine nach verbreiteter Literaturansicht (Staud/Bork Rn 8; Pal/Ellenberger Rn 7; auch 10. Aufl) nur an den Berechtigten richten. Die als Beleg angeführte strafrechtliche Entscheidung BGH NJW 1988, 979 (980f) ist jedoch durch BGHSt 38, 120 = NJW 1992, 445 überholt. Auch inhaltlich vermag die Literaturansicht nicht zu überzeugen. Legt man den objektiven Empfängerhorizont zugrunde, so richtet sich das Angebot zur Übereignung an denjenigen, der den Automaten ordnungsgemäß bedient (Huff NJW 1988, 981; Thaeter JA 1988, 547, 548; aA LG Frankfurt NJW 1998, 3785). Öffentliche Verkehrsunternehmen fordern idR nicht zur Abgabe von Angeboten auf, sondern machen jedem Interessierten einen Antrag zum Abschluss eines Beförderungsvertrags gem den Beförderungsbedingungen. Die Inanspruchnahme der öffentlich angebotenen Leistung durch Benutzung des Verkehrsmittels hat, auch wenn ein öffentlich-rechtl Benutzungsverhältnis besteht, den Sinn einer Annahme, so dass ein Vertrag zustande kommt (s Vor § 145 Rn 42). Die Auslage von Waren in Schaufenstern sowie das Bereithalten zum Verkauf sind nach der Verkehrsanschauung nur als Aufforderung zur Abgabe von Angeboten anzusehen, auch wenn die Waren mit einer Preisauszeichnung versehen sind (BGH NJW 1980, 1388; Flume II § 35 I, 1 [S 636]; Wolf/Neuner AT § 37 Rn 7; Medicus AT Rn 360 Faust AT § 3 Rn 4; MüKo/Busche Rn 11; Staud/Bork Rn 7; aA Köndgen Selbstbindung ohne Vertrag 1981, 291ff; Wahl, FS Hefermehl, 1976, 1, 6). Unabhängig davon ist die Frage, ob für den Verkäufer ein Kontrahierungszwang (dazu Vor § 145 Rn 27ff) besteht, was namentlich in Notsituationen unter dem Gesichtspunkt der Schadensersatzpflicht nach § 826 im Falle grundloser oder willkürlicher Weigerung zu bejahen ist. Gleiches wie für die Schaufensterauslage gilt für die Auslage im Selbstbedienungsgeschäft. Die Bereitstellung von Waren zur Selbstbedienung ist noch kein Angebot des Verkäufers, sondern soll dem Kunden nur die Auswahl und damit die Entscheidung über sein Angebot erleichtern; dieses wird mit dem Vorzeigen der Waren an der Kasse abge434

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geben (Dietrich DB 1972, 957ff; Kassing JA 2004, 615, 616; MüKo/Busche Rn 12 [anders noch MüKo/Kramer5 Rn 12]; offenlassend BGH 66, 51, 55f = NJW 1976, 712; s ferner BGH 124, 39, 43 = NJW 1994, 188). Die Gegenansicht (NK/Schulze Rn 4; Pal/Ellenberger Rn 8; Petersen Jura 2009, 183, 185; G. Schulze AcP 201, 232, 234f; Staud/Bork Rn 7) übergeht, dass der Geschäftsinhaber sich – anders als bei Automaten – ersichtlich an der Kasse noch eine Liquiditätsprüfung einzelner Kunden vorbehalten will. Entgegen BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 43 besteht bei Annahme eines Angebots auch ein Haftungsrisiko, etwa im Fall einer Vorreservierung (vgl Dietrich DB 1972, 957, 958). Ein solches Verständnis entspräche überdies nicht dem Interesse des Käufers, der sich bis zum Abschluss des Kassiervorgangs vorbehalten wird, von dem in Aussicht genommenen Vertragsschluss durch Zurücklegen der Ware Abstand zu nehmen (BGH NJW 2011, 2871 Rn 13; Faust AT § 3 Rn 4). Beim Selbstbedienungstanken liegen die Dinge wegen der faktischen Unumkehrbarkeit des Füllvorganges anders: Durch Einfüllen des Treibstoffs nimmt der Kunde ein Angebot des Tankstellenbetreibers an (A. Schmidt, Rechtsfiguren der Selbstbedienung im Zivilrecht, 1985, 96f; Staud/Bork Rn 8; so wohl auch BGH NJW 2011, 2871 Rn 13; aA Düsseldorf JR 1982, 343; Herzberg NJW 1984, 896, 897: Angebot durch Kunden, Annahme in der Freigabe der Zapfsäule). Eine andere Frage ist es, ob der Tankkunde mit dem Tankvorgang zugleich unbedingtes Alleineigentum an dem Kraftstoff erlangt. Regelmäßig wird schon deshalb von einem Eigentumsvorbehalt auszugehen sein, weil der Tankstellenbetreiber sein in der Freigabe der Zapfsäule liegendes Übereignungsangebot durch einen deutlichen Hinw entspr eingeschränkt hat. Ob ein Eigentumsvorbehalt auch dann vereinbart ist, wenn der Hinw fehlt, ist str (s § 449 Rn 2ff). Bei der Auslage von Waren (zB Zeitungen, Brot, Obst) in Hotels und Gaststätten liegt, sofern die Waren nicht bereits zum Leistungsumfang des Beherbergungs- oder Bewirtungsvertrags gehören, nicht lediglich eine invitatio ad offerendum vor. Vielmehr handelt es sich um einen Antrag zum Abschluss eines Kaufvertrags (Staud/Bork Rn 11); die Preisbestimmung steht gem § 316 im Zweifel dem Anbietenden zu. In der Bestellung eines Hotelzimmers liegt im Zweifel bereits ein Angebot (Düsseldorf NJW-RR 1991, 1143, 1144). Der Aufdruck „Pfand“ auf einer Flasche ist ein Angebot des Herstellers an jedermann, die Flasche gegen Zahlung des Pfandbetrags zurückzunehmen (BGH NJW 2007, 2912 Rn 9). d) Annahme bei invitatio. In Fällen, in denen nur eine invitatio ad offerendum vorliegt, kann die bejahende Antwort des anderen Teils, der die invitatio irrig für einen Antrag hält, zu gültigem Vertragsabschluss führen: Hat der Empfänger des Antwortschreibens den Irrtum erkannt und nicht rechtzeitig aufgeklärt, kann sein Schweigen uU nach Treu und Glauben als stillschw Annahme (§ 151) angesehen werden (MüKo/Busche § 147 Rn 7). 4. Umdeutung. Eine unwirksame einseitig rechtsgestaltende Willenserklärung kann gem § 140 in einen entspr Vertragsantrag umgedeutet werden. In Betracht kommt insb die Umdeutung einer unwirksamen Kündigung in einen Antrag auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags (s § 140 Rn 20; RG 143, 124, 126); BAG LM § 626 Nr 64 m Anm Westermann) oder die Umdeutung einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche (näher MüKo/Hesse Vor §§ 620 Rn 114f). Dies setzt freilich voraus, dass der Erklärende sich dessen bewusst war, dass seine Erklärung als einseitige unwirksam sein könnte und für diesen Fall gleichsam hilfsweise die Zustimmung des Erklärungsempfängers erforderlich sei (BGH NJW 1981, 43, 44). 5. Bindungswirkung. Die regelmäßige Wirkung des Antrags ist die Bindung des Antragenden. Gilt für den ins Auge gefassten Vertrag ein Formgebot, so besteht die Bindungswirkung nur, soweit der Antrag selbst diesem Erfordernis entspricht (MüKo/Busche Rn 18). Er kann den Antrag, nachdem dieser dem Gegner zugegangen ist, nicht widerrufen (§ 130 I 2). Bei öffentlichen Vergabeverfahren können Angebote bis zum Ablauf der festgelegten Frist abgegeben werden, sodass ein Angebot erst mit Fristablauf gem § 145 bindend wird und bis dahin ausgetauscht werden kann (BGH ZfBR 2017, 247 Rn 27). Hat der Antragende ein Angebot abgegeben, sich zur Übereignung einer Sache zu verpflichten, und verfügt er vor Annahme anderweitig über die Sache, kommt für den Annehmenden nach der Annahme vorbehaltlich Rn 16ff ein Anspruch aus § 311a II (anfängliches Unvermögen) auf Schadensersatz statt der Leistung oder (wahlweise) Aufwendungsersatz in Betracht. Dasselbe gilt, wenn die Sache nach erfolgtem Angebot, aber vor Annahme untergeht (anfängliche objektive Unmöglichkeit). Verfügt der Antragende nach seinem Angebot, die Sache zu übereignen, anderweitig über sie, so handelt er zum Zeitpunkt der Annahme als Nichtberechtigter. Der Annehmende hat einen Schadensersatzanspruch analog § 160 (Staud/Bork Rn 25). Diese Bindungswirkung besteht sowohl für das Hauptangebot als auch für etwaige Nebenangebote (BGH 23.3.2011 – X ZR 92/09). Auch für den Antragsempfänger können sich aufgrund des durch die Vertragsverhandlungen begründeten Vertrauensverhältnisses gewisse Sorgfaltspflichten für die Behandlung des Antrags ergeben, deren Umfang sich nach § 242 bestimmt. Dies gilt namentlich, wenn er besondere Vorkehrungen für die Entgegennahme und Weiterbeförderung von Vertragsanträgen getroffen hat. Hierbei kann für Verschulden von Angestellten eine Haftung nach § 278 eintreten (RG 107, 240, 242f). Aus der Bindung des Antragenden folgt ferner, dass er bereits in dem Antrag seine Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung iSd § 794 I Nr 5 ZPO rechtswirksam erklären kann (RG 132, 6, 7f). Auch kann einem anderen ein Optionsrecht auf Erwerb von Grundeigentum rechtswirksam in der Weise eingeräumt werden, dass ihm ein der Formvorschrift des § 311b I 1 entspr Vertragsangebot unter Gewährung einer längeren Annahmefrist gemacht wird (RG 169, 65, 71; s auch Vor § 158 Rn 14). Gesamtzusagen werden bereits dann wirksam, wenn sie ggü den AN in einer Form verlautbart werden, die den einzelnen AN typischerweise in die Lage versetzt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Auf die konkrete Kenntnis kommt es dann nicht an (BAG ArbR 2010, 15). Ein Antrag des AN auf Verringerung und Verteilung seiner Arbeitszeit gem § 8 TzBfG ist auf den Abschluss eines Vertrags gerichtet, so dass er hieran gebunden ist (wohl abw BAG NZA 2008, 1289 Rn 34). Bei Einräumung eines Optionsrechts mit langer BindungsArmbrüster

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dauer ist dem Antragenden nach dem Rechtsgedanken des § 313 dann ein Widerrufsrecht zuzubilligen, wenn sich im Zeitraum nach der Offerte und vor Ausübung des Optionsrechts durch den Akzeptanten Umstände, die zur Geschäftsgrundlage zählen, derart gravierend verändert haben, dass dem Antragenden unter Berücksichtigung der Interessen des Gegners ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar ist (MüKo/Busche Rn 19). Freilich gilt dies nicht, wenn der Antragende jenes Risiko bei Vertragsschluss ausdr oder konkludent übernommen hat. Dies wird insb dann der Fall sein, wenn er sich für die Einräumung der langen Bindungsdauer ein Entgelt gewähren lässt. 15 Bestimmt der Antragende für seinen Antrag eine Bindungsfrist, so ist dies mit einer von ihm gesetzten Annahmefrist (§ 148) im Zweifel gleichbedeutend (Walter NotBZ 2012, 81). Eine nach Fristablauf erklärte Annahme gilt dann nach § 150 I als neues Angebot. Annahme- und Bindungsfrist können jedoch auch unterschiedlich gestaltet werden. So kann sich der Antragende bspw zunächst für zwei Wochen an sein Angebot binden und es anschließend unbegrenzt fortbestehen lassen, sich aber jederzeit den Widerruf vorbehalten (vgl dazu Rn 16). Die Grenze für derartige Gestaltungen bilden im allg Zivilrecht lediglich die §§ 138, 242 (Walter NotBZ 2012, 81, 82). Problematisch ist hingegen, inwiefern dieses Angebot einer AGB-Kontrolle unterzogen werden kann, insb im Hinblick auf § 308 Nr 1 (s dazu BGH NJW 2013, 3434 Rn 12ff; Dresden NotBZ 2012, 105f, freilich unter Heranziehung von § 307; LG Heidelberg 11.1.2013 – 5 O 205/12; Klühs DNotZ 2011, 886, 891f; Walter NotBZ 2012, 81, 83ff; Müller/Klühs RNotZ 2013, 81, 88ff; vgl zur Annahmefrist § 147 Rn 18). 16 6. Ausschluss der Bindung (Hs 2). a) Eine Bindung an den Antrag tritt nicht ein, wenn der Antragende die Gebundenheit ausgeschlossen hat. Dies kann auch noch nach Abgabe des Antrags geschehen, sofern der Ausschluss spätestens gleichzeitig mit dem Antrag dem Gegner zugeht, § 130 I 2 (RG JW 1911, 643, 644; Staud/Bork Rn 26). Ob hier noch von einem Antrag im Rechtssinne gesprochen werden kann, hängt davon ab, welche Bedeutung im Einzelfall dem Ausschluss der Gebundenheit beizulegen ist. Will der Antragende seine Gebundenheit schlechthin ausschließen, sich also seine endgültige Entschließung in jedem Falle noch vorbehalten, so liegt in Wahrheit nur eine Aufforderung zur Abgabe von Angeboten (invitatio ad offerendum; s Rn 4) vor. Der Ausschluss der Gebundenheit kann jedoch auch bedeuten, dass der Antragende sich nur ein Widerrufsrecht vorbehalten will. Dann wird meist anzunehmen sein, dass dem Antragenden das Widerrufsrecht sogar noch nach Zugang der Annahmeerklärung zusteht. Er ist in diesem Fall jedoch gehalten, den Widerruf unverzüglich ggü dem Gegner auszusprechen, sonst ist der Vertrag zustande gekommen (RG 102, 227, 229f; Wolf/Neuner AT § 37 Rn 15; aA Faust AT § 3 Rn 9). Verlangt allerdings der Gegner zugleich mit der Annahme sofortige Lieferung, so genügt ein bloßes Schweigen des Antragenden nicht für das Zustandekommen; vielmehr muss er seinen (Annahme-)Willen durch die sofortige Lieferung betätigen. Andernfalls kann er sich nicht auf das Zustandekommen des Vertrags berufen (RG 103, 312, 313). Möglich ist auch, dass dem Antragenden das Widerrufsrecht nur bis zum Zugang der Annahmeerklärung zusteht, so dass dem Gegner vorher ein Widerruf zugegangen sein muss, um den Vertragsschluss zu verhindern. 16a Ferner ist dem Antragenden bei einem auf längere Zeit befristeten Angebot im Zeitraum zw Zugang und Annahme seines Angebots ein unverzüglich auszuübendes Widerrufsrecht zuzubilligen, wenn sich die den Angebotsinhalt betreffenden Umstände unvorhersehbar so wesentlich ändern, dass ihm auch bei Berücksichtigung der Interessen des Gegners die Bindung unzumutbar wird (ähnlich Flume II § 35 I, 3d [S 644]; Wolf/Neuner AT § 37 Rn 13; s auch Düsseldorf NJW-RR 1991, 311: „Kündigung“ eines langfristigen Angebots aus wichtigem Grund; zur Haftung nach § 311a II bei verspätetem Widerspruch s Tettinger ZGS 2006, 452, 453ff). Eine zumutbare Anpassung ist aber vorrangig (arg § 313). Vereinbart werden kann auch die Möglichkeit der Rücknahme eines Widerrufs (BGH NJW-RR 2004, 952, 953 m Anm Keim MittBayNot 2005, 10, 11ff; Ludwig NotBZ 2004, 337). 16b Bei einer Internetauktion ist die durch AGB eingeräumte Möglichkeit, in besonderen Fällen die Auktion vorzeitig zu beenden, als Widerrufsvorbehalt zu werten (BGH NJW 2011, 2643 Rn 17; NJW 2014, 1292 Rn 20; NJW 2015, 1009 Rn 14; Stieper MMR 2015, 627, 629; aA LG Gießen 25.7.2013 – 1 S 128/13; Alexander JR 2015, 289, 295 [anfechtungsähnliches Gestaltungsrecht für den Anbieter]; Wagner/Zenger MMR 2013, 343, 346 [Vertragsschluss unter auflösender Bedingung]). Ein Vertrag mit dem zum Zeitpunkt der Angebotsrücknahme Höchstbietenden kommt also nicht zustande]. Umstritten ist dabei, welcher Art die Gründe für einen berechtigten Widerruf sein müssen, wenn die AGB der Auktionsplattform davon sprechen, dass der Antragende zur Rücknahme seines Angebots „gesetzlich berechtigt“ sein muss (vgl Oechsler NJW 2015, 665ff). Während eine enge Ansicht davon ausgeht, dass eine solche Berechtigung nur im Falle eines gesetzlichen Anfechtungsrechts besteht (LG Gießen 25.7.2013 – 1 S 128/13), sind richtigerweise auch andere – insb in den AGB nicht abschließend genannte - Gründe ausreichend (BGH MMR 2014, 232; NJW 2016, 395 Rn 17, 20; krit Kulke NJW 2014, 1293). Dies gilt zB für Beschädigung oder Verlust des Verkaufsobjekts (BGH NJW 2011, 2643 Rn 23 – Abbruch wegen Diebstahls; Hamm MMR 2014, 108, 109 – Abbruch wegen fehlerhafter Mindestpreisangabe; LG Bonn 5.6.2012 – 18 O 314/11; LG Bochum MMR 2013, 443, 444 – Beschädigung/Mangelhaftigkeit des Verkaufsobjekts). Unerheblich ist hingegen die noch ausstehende Dauer der Auktion, selbst wenn diese in den Hinweisen der Auktionsplattform ausdrücklich erwähnt wird. Diese Hinweise betreffen nämlich nur die Abwicklungsmöglichkeit, nicht jedoch die Berechtigung zum Widerruf des Angebots (BGH NJW 2015, 1009 Rn 16ff; Celle MMR 2014, 663, 664f; Hamm MMR 2015, 25, 27; aA AG Darmstadt MMR 2014, 602, 603). Auch wenn die Gründe für den Widerruf in der Person des Bieters liegen, müssen diese von vergleichbarem Gewicht zu den gesetzlichen Lösungsvorschriften sein (BGH NJW 2016, 395 Rn 20; zust Wagner/Zenger MMR 2016, 28; krit Föhlisch/Stariradeff NJW 2016, 353, 358). Die Möglichkeit des Auktionsabbruchs besteht auch, wenn Leistungshindernisse zwar von 436

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Anfang an vorliegen, jedoch erst später bemerkt werden (AG Eschweiler 1.10.2013 – 26 C 111/13). Handelt es sich bei einem solchen Leistungshindernis um einen Mangel an der Kaufsache und nicht um eine Beschädigung von außen, so wird teils vertreten, dass dieser nur in Ausnahmefällen zum Widerruf des Angebots berechtigen soll (Oechsler NJW 2015, 665, 666f; krit auch Kulke NJW 2014, 1293). Dies ist abzulehnen, da insb die in den AGB enthaltenen Widerrufsgründe nicht abschließend sind und jedenfalls ein Irrtum des Anbieters vorliegt (BGH MMR 2014, 323; LG Heidelberg MMR 2015, 176, 178). Kein ausreichender Grund ist aber die Verkaufsreue des Anbieters oder ein Zwischenverkauf der Sache (Stuttgart MMR 2015, 577 Rn 53). Einen Ausschluss der Bindungswirkung kann der Anbieter auch unabhängig von den AGB der Internetplattform erklären, da diese nichts im Verhältnis zum Bieter regeln können (Düsseldorf 11.10.2013 – I-22 U 54/13; vgl Jerger GWR 2015, 114, 117). b) Vorstehende Grundsätze gelten auch für die Auslegung der Klausel „freibleibend“ und ähnlicher Klauseln. Nach der Verkehrssitte ist mitunter auch bei dieser Klausel anzunehmen, dass kein Vertragsantrag, sondern nur die Aufforderung zur Abgabe von Angeboten gewollt ist (BGH NJW 1996, 919, 920). Zw der Klausel „freibleibend“ im Antrag und im Vertrag ist zu unterscheiden (Staud/Bork Rn 30ff). Im Zweifel wird die Klausel „freibleibend“ im Antrag nicht zum Bestandteil des Vertrags (RG 102, 227, 228). Wohl aber können Vorbehalte für einzelne Vertragsbestimmungen Vertragsinhalt werden, zB Preisvorbehaltsklauseln. – Ist die Vorbehaltsklausel dahin auszulegen, dass der Verkäufer zur Abgabe eines neuen Angebots berechtigt sein soll, so bedeutet dies, dass er in dem Augenblick vom Erstvertrag zurückgetreten ist, in dem er dem Käufer ein neues Angebot macht (vgl Wolf/Neuner AT § 37 Rn 15). Ergibt die Auslegung, dass die Klausel „freibleibend entspr unserer Verfügbarkeit“ einen Widerrufsvorbehalt uU noch nach der Annahme des Angebots bedeutet, so muss der Widerruf unverzüglich erfolgen (s Rn 16; BGH NJW 1984, 1885, 1886). c) Beweislast. Den Ausschluss der Gebundenheit im Sinne eines Widerrufsvorbehalts zu beweisen, ist Sache dessen, der sich auf die Ausnahme beruft. Die Rechtzeitigkeit des Widerrufs hat der Antragende zu beweisen, wenn er sich auf den Vorbehalt beruft. Wird geltend gemacht, dass jegliche Gebundenheit ausgeschlossen gewesen sei und nur eine Aufforderung zur Abgabe von Offerten vorgelegen habe, so trifft die Beweislast denjenigen, der die Abgabe eines annahmefähigen Angebots behauptet (Pal/Ellenberger Rn 4; Staud/Bork Rn 38). 7. Rechtsstellung des Angebotsempfängers. Die sich aus der Bindung des Antragenden für den Empfänger ergebende Rechtsmacht, den Antrag durch Annahmeerklärung anzunehmen, wird teils als Gestaltungsrecht angesehen (RG 132, 6, 7; Celle NJW 1962, 743, 744; Enn/Nipperdey § 161 IV 1 [S 993]; vgl auch Leenen AcP 188, 381, 395). Dagegen spricht, dass die Annahme ein Element des Vertragsschlusses ist (Bötticher, FS Dölle I, 52ff; Staud/ Bork Rn 34). Praktische Bedeutung kommt dieser Frage kaum zu. – Die Rechtsstellung des Antragsempfängers kann übertragbar (§§ 413, 398) und vererblich (§ 1922 I) sein. Im Zweifel ist jedoch davon auszugehen, dass es nicht im Belieben des Antragsempfängers steht, dem Antragenden einen Dritten als Vertragspartner aufzunötigen. Die Frage der Übertragbarkeit und somit auch der Vererblichkeit (s § 153 Rn 7) ist daher in jedem einzelnen Falle nach §§ 133, 157 zu prüfen (Staud/Bork Rn 35). Soweit die Annahmebefugnis übertragbar ist, ist sie nach §§ 857, 851 I ZPO auch pfändbar und nach §§ 1273, 1274 II verpfändbar; zudem kann sie zur Insolvenzmasse gehören (vgl Staud/Bork Rn 35). Sie geht dem Antragsempfänger auch dann nicht verloren, wenn durch Gesetzesänderung die Verfügungsbefugnis des Antragenden beschränkt wird; einer Analogie zu § 153 bedarf es nicht (Celle NJW 1962, 743, 745; s auch § 153 Rn 5). Zur schuldhaften Verhinderung des Zugangs der Annahmeerklärung durch den Antragenden s § 147 Rn 21, § 148 Rn 6. 8. Abbruch von Vertragsverhandlungen. Wer im Verlauf von Vertragsverhandlungen seine Bereitschaft zum Abschluss eines bestimmten Vertrags erklärt hat, darf die Verhandlungen nicht grundlos abbrechen, wenn er zuvor das Vertrauen bei seinem Vertragspartner, der Vertrag werde mit Sicherheit zustande kommen, geweckt oder bestärkt hatte. Bei schuldhaftem Verstoß ist er dem Vertragspartner aus §§ 280 I, 311 II, 241 II (cic) zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet (BGH NJW 1996, 1884, 1885; DStR 2001, 802, 803; Köln 21.7.2014 – 11 U 10/14 Rn 13; eingehend Wertenbruch ZIP 2004, 1525). Allerdings darf durch diese Haftung nicht der Zweck der Formvorschrift des § 311b I 1 unterlaufen werden. Nur bei besonders schwerwiegenden Treueverstößen kommt daher hier eine Pflicht zum Ersatz des Vertrauensschadens in Betracht (BGH aaO: zB Existenzgefährdung). Zudem ist das bei den Vertragsverhandlungen geweckte Vertrauen zeitlich nicht unbegrenzt geschützt, denn auch der Vertragspartner muss in angemessener Frist erklären, ob er den Vertrag abschließen will oder nicht (§ 242). Zur Bemessung der Frist sind die §§ 145ff, soweit sie die Wirksamkeit der Annahme betreffen, analog anzuwenden (BGH NJW 1970, 1840, 1841).

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Erlöschen des Antrags

Der Antrag erlischt, wenn er dem Antragenden gegenüber abgelehnt oder wenn er nicht diesem gegenüber nach den §§ 147 bis 149 rechtzeitig angenommen wird. 1. § 146 behandelt das Erlöschen des Antrags. Es tritt ein durch Ablehnung oder nicht rechtzeitige Annahme (s 1 §§ 147–149) oder auch – was das Gesetz nicht besonders hervorhebt – durch Ausübung eines vorbehaltenen Widerrufsrechts (s § 145 Rn 16). Für das Erlöschen des Gebots bei einer Versteigerung gilt die Sondervorschrift des § 156. Einen weiteren Erlöschensgrund enthält § 153 aE. Eine Formunwirksamkeit des Antrags lässt die Möglichkeit des Erlöschens unberührt (BGH 13.5.2016 – V ZR 265/14 Rn 27) Armbrüster

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Die Ablehnung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (§ 130) und ist folglich bis zum Zugang beim Antragenden gem § 130 I 2 widerruflich (MüKo/Busche Rn 2). Sie kann auch konkludent erfolgen; Schweigen genügt allerdings grds nicht. Sie bedarf auch dann keiner Form, wenn Antrag und Annahme formbedürftig sind. Richtet sich ein Antrag an mehrere Adressaten gemeinsam, so ist er bereits dann abgelehnt, wenn ein Adressat ihn ablehnt (BGH MDR 1965, 572; s auch § 150 Rn 3). Der Ablehnung steht eine Annahme mit Änderungen gleich (§ 150 II); ebenso ein Widerspruch (BGH NJW-RR 1994, 1163, 1164). Eine Pflicht zur ausdr Ablehnung eines Angebots, das nicht angenommen werden soll, besteht grds nicht. Nur ausnahmsweise hat Schweigen die Bedeutung einer Annahme (s § 147 Rn 3). Eine Verletzung der Pflicht aus § 663 führt nicht zur Annahme, sondern löst lediglich einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens aus (s § 663 Rn 7). Die Ablehnung eines Antrags durch einen Minderjährigen bedarf der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters (MüKo/Busche Rn 3). Da die durch den Antrag erlangte Rechtsposition (§ 145 Rn 19) durch die Ablehnung zerstört wird, gelten § 107 und § 111. Eine nach Ablauf der Annahmefrist zugegangene Ablehnung ist wirkungslos (BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 3). Die Anfechtung einer erklärten Ablehnung führt gem § 142 I dazu, dass der Antrag noch angenommen werden kann, es sei denn, er ist aus anderen Gründen (Rn 1) erloschen. Einer Einschränkung des Anfechtungsrechts in Fällen, in denen der Antragende im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Ablehnung über die angebotenen Waren bereits anderweitig verfügt hat (dafür Diederichsen, FS Medicus, 1999, 89, 99), bedarf es nicht. Der Antragende ist durch die Bindungsfrist (§§ 147, 148) und durch § 122 ausreichend geschützt (abw BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 7, wonach in der Annahme entspr § 150 II ein neuer Antrag liegen soll, obwohl der erste Antrag bindend geworden ist). 2. Das Erlöschen des Antrags bewirkt nicht nur, dass die Gebundenheit iSd § 145 (s § 145 Rn 14) entfällt, sondern auch, dass er nicht mehr angenommen werden kann (vgl BGH NJW-RR 1994, 1163, 1164; NJW 2010, 2873 Rn 15; 22.11.2013 – V ZR 229/12 Rn 10; NJW-RR 2017, 114 Rn 27; MüKo/Busche Rn 4). Der erloschene Antrag ist nicht lediglich widerrufbar, sondern rechtlich nicht mehr existent. Eine dennoch erklärte Annahme gilt gem § 150 I als neuer Antrag (vgl nur Düsseldorf 19.7.2011 – 24 U 186/10). 3. § 146 gilt nur für Vertragsangebote und kann auf andere Willenserklärungen grds nicht angewandt werden. So tritt zB bei einer Beitrittserklärung zu einer Genossenschaft ein Erlöschen nach § 146 nicht ein (RG 147, 257, 262).

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Annahmefrist

(1) Der einem Anwesenden gemachte Antrag kann nur sofort angenommen werden. Dies gilt auch von einem mittels Fernsprechers oder einer sonstigen technischen Einrichtung von Person zu Person gemachten Antrag. (2) Der einem Abwesenden gemachte Antrag kann nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. 1. Überblick. § 147 bestimmt den Zeitpunkt, bis zu dem der Antrag angenommen sein muss, wenn der Antragende dafür keine Frist festgesetzt hat. Für die Rechtzeitigkeit der Annahme kommt es nicht auf die Abgabe, sondern das Wirksamwerden der Annahmeerklärung an (§ 130); der Antragende muss Gewissheit über das rechtliche Schicksal seines Angebots erlangen können (Staud/Bork Rn 8). Im Folgenden wird zunächst auf die Annahme (Rn 2–15) und sodann auf ihre Rechtzeitigkeit (Rn 16–22) eingegangen. 2. Die Annahme ist ebenso wie der Antrag eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Ausnahmen von der Empfangsbedürftigkeit sehen die §§ 151, 152 vor (vgl § 151 Rn 1). Zur Form der Annahme gilt das in § 145 Rn 1 für den Antrag Gesagte. Inhaltlich muss die Annahme die uneingeschränkte Zustimmung zum Vertragsantrag zum Ausdruck bringen; anderenfalls gilt sie gem § 150 II als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag (vgl § 150 Rn 3f). Dies kann bei formfreien Erklärungen auch konkludent geschehen, zB durch Bewirken der gewünschten Leistung oder durch sonstige Handlungen entspr dem Antrag (RG 129, 109, 113; BGH NJW 1980, 2245, 2246; NJW-RR 2008, 1436 Rn 38, betr Ratenzahlung beim Darlehensvertrag; Düsseldorf NJW-RR 2016, 1073, 1075 betr elektronischen Geschäftsverkehr). Eine wortgetreue Wiederholung des Angebots ist nicht nötig (BGH NJW 2015, 2584 Rn 35 zu einer Gerichtsstandsklausel). Möglich ist auch eine automatisierte Willenserklärung, die aufgrund vorheriger Programmierung abgegeben wird (BGH NJW 2013, 598 Rn 19; Mehrings MMR 1998, 30, 31). Ob ein bestimmtes Verhalten aus der Sicht des Empfängers als Annahme anzusehen ist, ist Auslegungsfrage. Bsp: Nimmt ein Mieter, der nach dem Mietvertrag zum Abschluss eines Wärmeabnahmevertrags mit einem Fernheizwerk verpflichtet ist, bei diesem Wärme ab, so erklärt er dadurch konkludent die Annahme, auch wenn er sich später weigert, das schriftliche Vertragsangebot des Heizwerks zu unterschreiben (Hamburg MDR 1973, 495). Ebenso liegt eine Annahme im umgekehrten Fall vor, wenn also der Versorger an die Verbrauchsstelle liefert (BGH NJW-RR 2011, 409 Rn 12). Mit dem Zugang beim Antragenden, im Falle der §§ 151, 152 mit der Annahme selbst, kommt der Vertrag zustande. Ist ein Handelsmakler von beiden Vertragsparteien ermächtigt, jew die Willenserklärungen der anderen Partei entgegenzunehmen, so kommt der Vertrag mit dem Zugang von Angebot und Annahme zustande (Karlsruhe VersR 1975, 1042). Ein Nachweismaklervertrag kann schon dadurch zustande kommen, dass ein Kaufinteressent in Kenntnis eines eindeutigen Provisionsverlangens die Dienste des Maklers in Anspruch nimmt und der Makler seine Tätigkeit aufnimmt. Eine ausdr 438

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Annahmeerklärung ist gem § 151 S 1 entbehrlich (BGH NJW 2002, 817; NJW 2002, 1945; NZM 2009, 869 Rn 3). Allerdings setzt sich der Interessent durch dieses tatsächliche Verhalten nicht in Widerspruch zu einer vorhergehenden abl Erklärung (keine protestatio facto contraria; zu ihr s Vor § 145 Rn 43), so dass in diesem Fall kein Vertrag zustandekommt (BGH NJW 2002, 817; NJW 2002, 1945). Die Annahme eines Maklerangebots setzt voraus, dass sich das Verhalten des Erklärenden als Entscheidung zw Leistungsannahme und -ablehnung darstellt (Brandenburg NJW-RR 2009, 1145, 1146). Ein sog Auto-Reply (automatisierte Antwort) ist eine Annahmeerklärung, wenn ihm zu entnehmen ist, dass eine Bestellung ohne weiteres ausgeführt wird (BGH NJW 2013, 599 Rn 19; Frankfurt CR 2003, 450; Düsseldorf MDR 2016, 873, 874; s auch § 145 Rn 7; § 312i Rn 18; Leible/Sosnitza BB 2005, 725f; aA Vogl ITRB 2005, 145, 146f: Auto-Reply spreche dann für bindenden Antrag). Oft wird es sich bei der automatisierten Antwort freilich lediglich um die gesetzlich vorgeschriebene Bestellbestätigung iSv § 312i I 1 Nr 3 handeln, durch die der Kunde nur darüber informiert werden soll, dass er eine Bestellung mit einem bestimmten Inhalt aufgegeben hat (BGH NJW 2013, 599 Rn 19; Düsseldorf MDR 2016, 873, 874). Die Erklärung dient dann allein seinem Schutz. 3. Das bloße Schweigen auf einen Vertragsantrag ist grds keine konkludente Annahme (s allg Vor § 116 Rn 8ff). 3 Für einige Fälle bestimmt das Gesetz jedoch, dass Schweigen Annahme bedeutet (vgl § 516 II 2; § 362 I 1 Hs 2 HGB; § 5 III 1 PflVG) oder eine Schadensersatzpflicht begründet (§ 663; § 44 BRAO). Auch kann das Schweigen eine Annahmeerklärung sein, wenn es aufgrund einer Vereinbarung der Parteien diese Bedeutung haben soll (sog „beredtes Schweigen“; Ebert JuS 1999, 754, 756; Hellgardt AcP 213, 761, 777ff; Kramer Jura 1984, 235; Wiese VuR 2008, 161, 164; vgl aber § 308 Nr 5). Zudem steht das Schweigen einer Annahme gleich, wenn der Antragende eine ausdr Ablehnung erwarten durfte. Grds besteht freilich keine Pflicht zu einer solchen Ablehnung (§ 146 Rn 2). Eine ausdr Ablehnung kann der Antragende jedoch gem § 242 idR dann erwarten, wenn zw den Parteien, ähnlich wie dies § 362 HGB voraussetzt, bereits vor Vertragsschluss eine gewisse Beziehung besteht. Hierher gehört etwa der Fall einer langjährigen Geschäftsbeziehung mit einer Bank, so dass von dieser ein Widerspruch gem § 242 erwartet werden kann (LG Potsdam WM 2011, 71, 73), oder das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses als Außendienstmitarbeiter (LAG Rh-Pf 14.7.2015 – 6 Sa 409/14 Rn 30). Gleiches gilt für den Fall, dass zu allen wesentlichen Punkten Vorverhandlungen geführt worden sind (BGH NJW 1995, 1281), bei einer verspäteten Annahme iSd § 150 I (BGH NJW 1951, 313; NJW 2016, 1441 Rn 39 m Anm Kähler; einschränkend NJW 2010, 2873 Rn 16ff und Nürnberg MittbayNot 2012, 461, 462f m abl Anm Kanzleiter: Dem Schweigen auf eine verspätete Annahme soll immer dann kein Erklärungswert beizumessen sein, wenn es sich um besonders bedeutsame, so etwa insb beurkundungsbedürftige Rechtsgeschäfte handelt; § 150 Rn 1) oder wenn der Antragende lediglich auf eine invitatio ad offerendum des Empfängers reagiert, sofern die invitatio inhaltlich mit dem darauffolgenden Angebot übereinstimmt (MüKo/Busche Rn 7). Eine stillschw Annahme liegt regelmäßig auch dann vor, wenn das Angebot für den Empfänger lediglich rechtlich vorteilhaft ist (aA MüKo/Busche Rn 7: allein darauf könne es nicht ankommen). Bei einer laufenden Geschäftsverbindung kann sich die Übung bilden, dass schon das Schweigen auf Anträge zum Vertragsschluss führt (vgl RG 84, 320, 325). Dies gilt jedoch nur für gewöhnliche Geschäfte des (Handels-)Verkehrs; bei ungewöhnlichen Geschäften wird man das Schweigen regelmäßig nicht als Annahme werten können (BGH WM 1979, 437, 438 für einen nachteiligen Forderungsaustausch mit erheblichen finanziellen Auswirkungen; NJW-RR 1994, 1163, 1165 für eine Neufestsetzung des Erbbauzinses nach Verkauf des Areals). Auch kann dem Schweigen ausnahmsweise die Bedeutung einer Annahme zukommen, wenn nach den Vorverhandlungen Einigkeit über die wesentlichen Punkte des Vertrags bestanden hat (BGH NJW 1995, 1281; krit Scheffler NJW 1995, 3166, 3167; Schultz MDR 1995, 1187, 1188) und beide Parteien fest mit einem Vertragsschluss gerechnet haben (BGH NJW 1996, 919, 920). Besteht ein Kontrahierungszwang, so ist dem Schweigen gleichfalls der Wert einer Annahmeerklärung beizumessen (vgl Vor § 145 Rn 31; OGH NJW 1950, 24). Schweigen auf eine Auftragsbestätigung kann zum Vertragsschluss führen, wenn Vorverhandlungen mit einer namensähnlichen Schwestergesellschaft stattgefunden haben (BGH WM 1986, 527f). Der Versicherer, der sich meist eine längere Frist zur Prüfung des Versicherungsantrags ausbedingt, erklärt idR die Annahme des Antrags schriftlich, zB durch Übersendung des Versicherungsscheins. Die bloße Entgegennahme einer vom Versicherungsnehmer unaufgefordert gezahlten Erstprämie durch den Versicherer oder seinen Agenten ist noch nicht als konkludente Antragsannahme zu werten (BGH NJW 1976, 289, 290). 4. Bei Zusendung unbestellter Waren durch einen Unternehmer an einen Verbraucher folgt aus § 241a I, dass 4 ein Anspruch gegen den Verbraucher dadurch nicht begründet wird; damit wird zugleich seinem Schweigen kein Erklärungswert beigemessen. Aber auch im Verkehr zw Unternehmern, für den § 241a I nicht gilt, bedeutet das Schweigen des Empfängers grds keine Annahme des in der Zusendung liegenden Kaufantrags (Köln NJW 1995, 3128, 3129). Dies gilt selbst dann, wenn der Antragende für die Rücksendung eine Frist gesetzt hat mit dem Hinw, dass er nach deren ergebnislosem Ablauf die Ware als angenommen betrachte. Anders kann es sein, wenn zw zwei Unternehmern eine dauernde Geschäftsverbindung besteht oder einem Kaufmann zusammen mit bestellten Waren unbestellte zugehen (MüKo/Busche § 145 Rn 16; vgl Staud/Bork § 146 Rn 12). Liegen solche Voraussetzungen nicht vor, kommt regelmäßig auch kein Verwahrungs- oder Besichtigungsvertrag zustande, da der Wille der Beteiligten nicht auf Abschluss eines solchen Vertrags gerichtet ist. Eine positive Verwahrungspflicht ist nur in den §§ 362 II, 379 HGB vorgesehen. Auch greifen die Vorschriften des Eigentümer-BesitzerVerhältnisses nicht ein. Wohl aber kann der Empfänger (außerhalb von § 241a) nach § 823 haften, jedoch beschränkt sich die Haftung analog § 300 auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (Staud/Bork § 146 Rn 16; Weimar JR 1967, 417, 418; aA Schwung JuS 1985, 449, 452: Risikoverteilung gem § 254 I). – Annahmewille: Bringt der Armbrüster

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Empfänger zum Ausdruck, dass er die Ware endgültig behalten will (zB durch Anbrechen einer Warensendung), ist zu differenzieren: Im Anwendungsbereich von § 241a I ist für einen Vertragsschluss nach § 151 S 1 kein Raum; eine konkludente Annahme durch Ingebrauchnahme etc. scheidet aus (str; näher § 241a Rn 15). Geht es hingegen nicht um Leistungen, die ein Unternehmer einem Verbraucher erbringt, kommt der Vertrag zustande, ohne dass es eines Zugangs der Annahmeerklärung bedarf (§ 151 S 1). 5. Kaufmännisches Bestätigungsschreiben. a) Die Frage, ob Schweigen als Annahme gewertet werden kann, ist von besonderer Bedeutung bei einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben. Durch dieses wird ein bereits zustande gekommener oder zumindest nach der Auffassung des redlichen Bestätigenden rechtswirksam abgeschlossener Vertrag vorwiegend zu Beweiszwecken inhaltlich festgelegt und uU lediglich in noch regelungsbedürftigen Nebenpunkten ergänzt (BGH 54, 236, 239 = NJW 1970, 2021; 61, 282, 285 = NJW 1973, 2106; Düsseldorf NJW-RR 1996, 622f). Die Lehre vom kaufmännischen Bestätigungsschreiben hat sich aus einem Handelsbrauch entwickelt (vgl BGH 40, 42, 46 = NJW 1963, 1922; NJW 1975, 1358f) und gehört inzwischen als Gewohnheitsrecht dem objektiven Recht an (BGH NZBau 2011, 303 Rn 22; K. Schmidt HandelsR6 § 19 Rn 67 [S 692f]; v Dücker BB 1996, 3). Sie dient der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs, also objektiven Verkehrsschutzinteressen (Deckert JuS 1998, 121; K. Schmidt HandelsR6 § 19 Rn 69 [S 694]). Das vornehmlich unter Kaufleuten (s aber Rn 6) übliche Bestätigungsschreiben ist in erster Linie eine Beweisurkunde, der die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit zur Seite steht (BGH 67, 378, 381 = NJW 1977, 270; WM 1986, 168, 169; Thamm/Detzer DB 1997, 213, 214). Der Nachw weiterer, über den Inhalt des Bestätigungsschreibens hinausgehender Vereinbarungen bleibt möglich (BGH 67, 378, 381 = NJW 1977, 270). Aus dem grds deklaratorischen Charakter des Bestätigungsschreibens (s aber Rn 11 zum konstitutiven Bestätigungsschreiben) folgt, dass ein gültiger Vertrag idR auch dann zustande gekommen ist, wenn es an einer Bestätigung fehlt (BGH NJW 1964, 1269, 1270). Die Parteien können jedoch vereinbaren, dass das Bestätigungsschreiben konstitutiv wirkt (s § 154 Rn 10). b) Die Grundsätze vom kaufmännischen Bestätigungsschreiben haben sich zwar unter Kaufleuten gebildet (s Rn 5), können aber auch unter Nichtkaufleuten anwendbar sein. Es ist dabei zw Empfänger und Absender zu differenzieren. Empfänger kann jeder sein, der ähnlich einem Kaufmann in größerem Umfang am Geschäftsleben teilnimmt, so dass von ihm erwartet werden kann, dass er nach kaufmännischer Übung verfährt (BGH 40, 42, 43f = NJW 1963, 1922, 1923; NJW 1987, 1940, 1941; NZBau 2011, 303 Rn 23). Es kommt nicht darauf an, ob der Empfänger des Bestätigungsschreibens oder die für ihn handelnden Personen den Gewohnheitsrechtssatz kennen oder kennen müssen, wie es meist bei Behörden (BGH NJW 1964, 1223f) oder bei Rechtsanwälten der Fall ist. Entscheidend ist vielmehr, ob die Verkehrserwartung eine unverzügliche Reaktion erfordert (vgl BGH NJW 1975, 1358, 1359; K. Schmidt HandelsR6 § 19 Rn 73 [S 696]). Dies kann außer bei Kaufleuten iSd § 1 I HGB vor allem bei Kleingewerbetreibenden iSd § 1 II HGB der Fall sein (bejaht von BGH 11, 1, 3 = NJW 1954, 105 für einen Schrotthändler; verneint von Frankfurt MDR 1966, 512 für einen Kleinsthandwerker). Daneben sind die Grundsätze auf Personen anwendbar, die – ohne Gewerbetreibende zu sein – als Unternehmer in größerem Umfang am Geschäftsleben teilnehmen. Bsp: Architekt (BGH WM 1973, 1376); Bauingenieur (Brandenburg IBR 2009, 721); Makler und Architekt (Düsseldorf NJW-RR 1995, 501, 502); Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter (zum Konkursverwalter BGH NJW 1976, 1402; NJW 1987, 1940, 1941; zust K. Schmidt NJW 1987, 1905, 1909). Eine Grundstücks-GbR kann Empfängerin sein, wenn sie ein Bauvorhaben gewerblichen Ausmaßes betreut (Brandenburg IBR 2009, 721). Nicht anwendbar sind die Grundsätze zB auf einen Legationsrat (BGH WM 1981, 334, 335) oder einen Bankdirektor im privaten Bereich (Düsseldorf MDR 1981, 1022, 1023). Auch Behörden kommen im fiskalischen Tätigkeitsbereich trotz Geschäftstätigkeit in größerem Umfang mangels entspr Verkehrserwartung regelmäßig nicht als Empfänger eines Bestätigungsschreibens in Frage (vgl BGH NJW 1964, 1223f). Anders ist dies bei einer erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand. Der Absender eines Bestätigungsschreibens muss grds Unternehmer sein. Dies sind zunächst alle Personen, die auch als Empfänger eines Bestätigungsschreibens in Betracht kommen (s Rn 6). Dabei wird man kleinere Gewerbetreibende und Freiberufler stets als taugliche Absender ansehen können. Versendet dagegen eine Privatperson ein Bestätigungsschreiben, so besteht grds keine Verkehrserwartung dahin, dass der Empfänger zur Vermeidung einer Rechtsfolge unverzüglich zu reagieren hat (BGH 40, 42, 43f = NJW 1963, 1922; NJW 1975, 1358, 1359: Regulierungsverhandlungen zw dem anwaltlich vertretenen Geschädigten und dem Haftpflichtversicherer des Schädigers; Deckert JuS 1998, 121, 122; MüKo-HGB/K. Schmidt § 346 Rn 156; aA Canaris HandelsR § 25 Rn 45; Hopt AcP 183, 608, 692; Flume II § 36, 2 [S 663]). c) In dem Bestätigungsschreiben muss das Ergebnis der vorausgegangenen Vertragsverhandlungen verbindlich festgelegt werden (BGH 54, 236, 239f = NJW 1970, 2021; NJW-RR 2001, 1044, 1045). In welcher Form die Vorverhandlungen stattgefunden haben, ist nicht entscheidend (vgl Düsseldorf NJW-RR 1991, 374: mündlich, fernmündlich, fernschriftlich, telegrafisch oder per Fax). Erforderlich ist lediglich, dass die Verhandlungen über ein völlig unverbindliches Vorgespräch hinaus gegangen sind (MüKo-HGB/K. Schmidt § 346 Rn 147) und nicht alle Vereinbarungen schriftlich fixiert wurden (Hamm DB 1968, 795; Deckert JuS 1998, 121, 122f; v Dücker BB 1996, 3, 4; vgl aber BGH JZ 1971, 134, 135 m abl Anm Lieb, wonach derjenige, der eine schriftliche Offerte mündlich annimmt, den Vertragsschluss durch ein Bestätigungsschreiben bestätigen können soll; ähnlich BGH 54, 236, 240 = NJW 1970, 2021 für einen Fall des § 150 II). Der behauptete Vertrag muss als endgültig geschlossen bestätigt werden, da der Bestätigende sonst das Schweigen des Empfängers nicht als Zustimmung auffassen kann (BGH NJW 1964, 1223, 1224; NJW 1972, 820). Das Schreiben muss den Vertragsschluss zwar nicht wörtlich enthalten, wohl aber das Ergebnis der Verhandlungen ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergeben (BGH 440

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LM § 346 (Ea) HGB Nr 8/9). Nicht erforderlich ist, dass das Schreiben die vorausgegangenen Vertragsverhandlungen ausdr erwähnt oder in Bezug nimmt (BGH 54, 236, 239 = NJW 1970, 2021). Kommen für den Empfänger erkennbar nur wenige Personen als Verhandlungspartner in Frage, so müssen in dem Schreiben auch die an der Verhandlung beteiligten Personen nicht angegeben werden (BGH WM 1975, 324, 325). Ein als „Auftragsbestätigung“ bezeichnetes Schreiben kann seinem Inhalt nach ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben sein (BGH 54, 236, 239 = NJW 1970, 2021). Auch ein Schreiben, mit dem ein geschlossener Vertrag in Kopie übersandt und eine zusätzlich getroffene Abrede festgehalten wird, kann ebenso ein Bestätigungsschreiben sein (Düsseldorf NJW-RR 1997, 211, 212) wie ein Protokoll, in dem eine Verhandlung nach dem Vertragsschluss festgehalten wird (BGH NZBau 2011, 303 Rn 24). Hingegen können Schreiben, die hins der zu bestätigenden Abreden nicht eindeutig gefasst sind, nicht als Bestätigungsschreiben angesehen werden. Dies ist der Fall, wenn ein Schreiben nur die Schilderung eines historischen Vorgangs (BGH BB 1963, 918) oder Angaben in unüblicher Form am Rand oder auf der Rückseite enthält (RG JW 1932, 1465). Dasselbe gilt, wenn ein Nachtrag ausdr noch mit einer Unterschrift versehen werden soll, da dadurch deutlich wird, dass die Regelungen noch nicht als verbindlich angesehen wurden (Zweibrücken 22.12.2011 – 4 U 7/11). Verlangt der Absender des Bestätigungsschreibens eine Gegenbestätigung, so ist, wenn sie ausbleibt, das Schweigen des anderen Teils nicht ohne weiteres als Einverständnis zu werten; erforderlich ist eine Einzelfallprüfung (BGH NJW-RR 2007, 325 Rn 27). Das Bestätigungsschreiben muss zeitlich im unmittelbaren Anschluss an die Vertragsverhandlungen abgeschickt werden, so dass der Empfänger mit seinem Eintreffen rechnen kann (BGH NJW 1964, 1223, 1224; WM 1967, 958, 960). Ferner muss das Bestätigungsschreiben als Rechtshandlung dem Empfänger analog § 130 zugegangen sein. Dies bedeutet, dass ihm die Kenntnisnahme des Schreibens möglich gewesen sein muss (BGH 70, 232, 234 = NJW 1978, 886; s auch BGH NJW 1990, 386 – Übersendung „zu Händen“ des vollmachtlosen Vertreters); er braucht jedoch nicht tatsächlich Kenntnis genommen zu haben (BGH 20, 149, 152 = NJW 1956, 869). Eine festumgrenzte Frist für den Zugang eines Bestätigungsschreibens nach einer Vertragsverhandlung gibt es nicht (BGH WM 1975, 324, 325: zwei Tage können noch unbedenklich sein; München BB 1995, 172: nahezu drei Wochen sind zu lang). Für den Zugang eines ordnungsgemäß verfassten Bestätigungsschreibens (vgl Rn 8) und den Zeitpunkt des Zugangs ist der Bestätigende beweispflichtig (BGH 70, 232, 234 = NJW 1978, 886). Haben keine Vertragsverhandlungen stattgefunden, so kann der Absender eines Bestätigungsschreibens nicht mit dem Einverständnis des Empfängers rechnen, wenn dieser nicht widerspricht (BGH NJW 1974, 991, 992; NJW 1990, 386). Hier weiß der Bestätigende, dass ein Vertrag noch nicht zustande gekommen ist. Ebenso liegt es bei einer modifizierten Auftragsbestätigung, die erst einen Vertragsschluss herbeiführen soll und nicht einen geschlossenen Vertrag bestätigt (st Rspr; BGH 18, 212, 216 = NJW 1955, 1794; Rn 15; § 150 Rn 7). Nicht erforderlich ist es dagegen, dass die erfolgten Vertragsverhandlungen den Empfänger rechtswirksam verpflichtet haben (s Rn 11). Enthält ein deklaratorisches Bestätigungsschreiben Abweichungen vom vereinbarten Vertragsinhalt, so kann der Bestätigende nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte davon ausgehen, dass der bereits vertraglich gebundene Empfänger unverzüglich widerspricht, wenn er mit dem Inhalt nicht einverstanden ist. Kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, so muss er sein Schweigen als Zustimmung gegen sich gelten lassen (st Rspr; BGH 18, 212, 216 = NJW 1955, 1794; NJW 2007, 987 Rn 21). Das gilt auch, wenn der Bestätigende einen in Wahrheit noch gar nicht zustande gekommenen Vertrag bestätigt hat, den er gutgläubig als wirksam zustande gekommen angesehen hatte. So etwa, weil er irrtümlich der Meinung war, sein Agent habe bereits einen Vertrag abgeschlossen, oder auch, wenn die vorausgegangene Abrede von einem hierzu nicht oder nicht allein befugten Vertreter getroffen war (BGH 20, 149, 153 = NJW 1956, 869; NJW 2007, 987 Rn 21). Hier ist das Bestätigungsschreiben konstitutiv; es hat die Wirkung eines Vertragsantrags, dessen Annahme aus dem Schweigen des Empfängers gefolgert wird (vgl BGH NJW 1964, 1951, 1952; NJW 1965, 965, 966). d) Die normative Wirkung des Schweigens setzt voraus, dass der Bestätigende das Schweigen des Empfängers nach Treu und Glauben als Einverständnis mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens auffassen konnte. Nur dann ist der Verkehrsschutz gerechtfertigt. Die Wirkung tritt daher nicht ein, wenn der Empfänger dem Bestätigenden ggü den Abschluss des Vertrags von seiner schriftlichen Annahmeerklärung abhängig gemacht hat (BGH WM 1970, 1314f). Bei bewusst falscher Bestätigung des wesentlichen Teils der Verhandlungen gilt das Schweigen auch für den zutr bestätigten Teil nicht als Zustimmung (BGH WM 1967, 958, 960). Bestätigt ein Vertreter des Absenders, der die Verhandlungen geführt hat, bewusst unrichtig, so muss sich dieser dessen Kenntnis zurechnen lassen (BGH 40, 42, 46 = NJW 1963, 1922: Rechtsgedanke des § 166 I; anders dann, wenn der Empfänger Auslöser des Missverständnisses war, vgl RG 129, 347, 349; BGH 11, 1, 4 = NJW 1954, 105). Ein Verkehrsschutz ist auch dann nicht gerechtfertigt, wenn der Inhalt des Bestätigungsschreibens sich von dem vorher Abgesprochenen so weit entfernt, dass der Bestätigende vernünftigerweise nicht mit einer widerspruchslosen Hinnahme durch den Empfänger rechnen und daher auch nach Treu und Glauben sein Schweigen nicht als Einverständnis ansehen konnte (BGH 7, 187, 190 = NJW 1952, 1369; NJW-RR 2001, 680f; NJW-RR 2003, 612f; v Dücker BB 1996, 3, 8; MüKo-HGB/K. Schmidt § 346 Rn 163). Das ist etwa der Fall, wenn das Bestätigungsschreiben Änderungen enthält, die das Vereinbarte in sein Gegenteil verkehren oder dem Empfänger unzumutbar sind (zB BGH 93, 338, 343 = NJW 1985, 1333: allg und umfassender Gewährleistungsausschluss ggü einer vorangegangenen Eigenschaftszusicherung). Ergänzungen des Vertragsinhalts in Nebenpunkten und Richtigstellungen, mit denen der Empfänger rechnen muss, sind ihm jedoch zuzumuten. Sie entsprechen dem Zweck eines Bestätigungsschreibens und begründen die Obliegenheit zum Widerspruch (zB BGH NJW 1968, 889 – VorArmbrüster

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behalt termingerechter Selbstbelieferung; DB 1970, 1777, 1778; Beschränkung der Mängelhaftung auf Nachbesserung oder Ersatzlieferung]). Auch bei nachträglicher Bezugnahme auf die AGB des Bestätigenden gelten diese, wenn der Empfänger nicht widerspricht (BGH NJW 1982, 1751; Ulmer/Habersack in Ulmer/Brandner/Hensen, § 305 BGB Rn 178). Erforderlich ist hierfür allerdings, dass der Empfänger mit der Geltung von AGB rechnen musste, ihr Inhalt nicht erheblich vom dispositiven Recht abweicht und sie für den Empfänger nach Lage des Falles zumutbar sind (Ulmer/Habersack in Ulmer/Brandner/Hensen § 305 BGB Rn 179). Zur Problematik sich kreuzender Bestätigungsschreiben s § 150 Rn 9. e) Der Widerspruch gegen das Bestätigungsschreiben muss im Interesse der Sicherheit des Geschäftsverkehrs unverzüglich (§ 121 I: „ohne schuldhaftes Zögern“) erfolgen (BGH LM § 346 (D) HGB Nr 7b; NJW 1962, 246, 247). Die Länge der Überlegungsfrist hängt vom Einzelfall ab. Ein Widerspruch nach drei Tagen kann noch rechtzeitig sein; nach acht Tagen ist er verspätet (BGH LM § 346 (Ea) HGB Nr 5, 10; s auch BGH NJW 1987, 1940, 1941: 13 Tage Bedenkzeit sind zu lang). Im Streitfall hat der Empfänger des Bestätigungsschreibens zu beweisen, dass er rechtzeitig widersprochen hat (RG 114, 282, 283; BGH NJW 1962, 104). Da die Obliegenheit zum Widerspruch im Zeitpunkt des Zugangs entsteht (BGH 20, 149, 152 = BGH NJW 1956, 869), kann die Fiktion des Einverständnisses schon gelten, wenn der Empfänger erst nach Rückkehr von einer Reise widerspricht (RG 105, 389f) oder wenn das Bestätigungsschreiben im Betrieb des Empfängers nach Zugang unterschlagen wird (BGH 20, 149, 152 = NJW 1956, 869). Zum Widerspruch gegen die Bestätigung bei fernmündlichen Abmachungen s BGH NJW 1962, 104. f) Ob und inwieweit der Empfänger, der dem Bestätigungsschreiben nicht unverzüglich widersprochen hat, wegen Irrtums anfechten kann, ist str. Da die Rechtswirkung des Bestätigungsschreibens bei Schweigen des Empfängers auf einem Gewohnheitsrechtssatz beruht (Rn 5) und daher unabhängig vom Willen des Empfängers eintritt, kann der Empfänger eine Anfechtung nicht darauf stützen, dass er sich über die rechtliche Bedeutung seines Schweigens geirrt habe (BGH 11, 1, 5 = NJW 1954, 105; NJW 1972, 45; v Dücker BB 1996, 3, 8). Für ein Anfechtungsrecht ist erst Raum, wenn feststeht, dass der Empfänger durch sein Schweigen bewusst die Zustimmung zum Inhalt des Bestätigungsschreibens zum Ausdruck bringen wollte. Nur dann ist ein Irrtum für sein Schweigen kausal, so zB, wenn er geschwiegen hat, weil er den Inhalt des Bestätigungsschreibens missverstanden hat. Unter dieser Voraussetzung ist eine Anfechtung wegen Irrtums entspr § 119 zuzulassen, sofern dies nicht dem Sinn der Geltung des Bestätigungsschreibens bei Schweigen des Empfängers widerspricht (BGH NJW 1972, 45; Diederichsen JuS 1966, 129, 137; Flume II § 36, 7, 667f; MüKo-HGB/K. Schmidt § 346 Rn 167). g) Im kaufmännischen Verkehr wird vielfach auch dort von einem Bestätigungsschreiben gesprochen, wo es sich in Wahrheit um die schriftliche Annahme eines Vertragsantrags handelt. Das gilt besonders für sog „Auftragsbestätigungen“, in denen nicht das Ergebnis vorausgegangener Vertragsverhandlungen mitgeteilt, sondern ein Antrag, zB eine Bestellung, in der Form einer Bestätigung angenommen wird (Canaris HandelsR § 25 Rn 49f). Durch eine derartige Mitteilung wird nicht wie bei einem Bestätigungsschreiben ein geschlossener Vertrag bestätigt, sondern erst ein Vertragsschluss herbeigeführt. Für eine solche in die Form einer Bestätigung gekleidete Annahmeerklärung gelten die allg Vorschriften (BGH 18, 212, 215f = NJW 1955, 1794; DB 1977, 1311, 1312; Deckert JuS 1998, 121, 123). Davon zu unterscheiden sind die Regeln über das kaufmännische Bestätigungsschreiben (s dazu Rn 5ff). 6. Für die Bestimmung des Zeitpunkts, bis zu dem ein Vertragsantrag mangels Fristsetzung (§ 148) angenommen sein muss, unterscheidet das Gesetz zw dem Antrag an einen Anwesenden (Abs I) und dem an einen Abwesenden (Abs II). Anwesend iSd Abs I sind alle Personen, mit denen der Antragende in unmittelbaren Kontakt treten kann. Eine physische Präsenz ist nicht erforderlich (Wolf/Neuner § 33 Rn 34). Vielmehr genügt eine Verbindung mittels Telekommunikationsmitteln, die eine unmittelbare Verständigung von Person zu Person ermöglichen. Hierzu gehören als technische Einrichtungen iSv Abs I S 1 auch Videokonferenzen und InternetChatforen (Wolf/Neuner § 33 Rn 34; Taupitz/Kritter JuS 1999, 839, 841; aA bzgl Chat Dörner AcP 202, 363, 375f: es gelte insoweit Abs II). Ein mittels E-Mail oder SMS übermittelter Antrag ist hingegen als Antrag an einen Abwesenden zu behandeln (MüKo/Busche Rn 27; Ernst NJW-CoR 1997, 165, 166; Taupitz/Kritter JuS 1999, 839, 841). Auch ein Antrag per Telefax fällt unter Abs II und muss daher nicht sofort angenommen werden (Staud/ Bork Rn 4). Ein schriftlich dem Antragsempfänger überreichter und belassener Antrag braucht idR nicht nach Abs I sofort und mündlich angenommen zu werden; er ist als Antrag unter Abwesenden zu behandeln (RG 83, 104, 106; BGH WM 1963, 214; NJW 1985, 196, 197; aA grds Flume II § 35 I 2 [S 638]). Dies schließt nicht aus, dass im Einzelfall ein dem Empfänger überreichter schriftlicher Antrag nur sofort und auch durch mündliche Erklärung angenommen werden kann (BGH BB 1963, 160; Staud/Bork Rn 14); bei einem persönlich übergebenen schriftlichen Antrag ist somit nicht stets die Frist des Abs II anzuwenden. Um einen Antrag unter Anwesenden handelt es sich bei einer mündlichen oder fernmündlichen Abgabe des Angebots durch oder an einen Stellvertreter (mit oder ohne Vertretungsmacht: BGH NJW 1996, 1062, 1064; MüKo/Busche Rn 26; teils aA Staud/Bork Rn 3: bei fehlender Vertretungsmacht sei dies eine Erklärung unter Abwesenden), nicht jedoch bei Übermittlung durch einen Boten. Die Annahme kann nur sofort erfolgen. „Sofort“ ist zwar schneller als „unverzüglich“ (dazu § 121 Rn 3), verlangt aber einen Zeitraum, der dem Antragsempfänger ermöglicht, Inhalt und Folgen des Geschäfts zu erfassen. Das Erfordernis sofortiger Annahme hat zur Folge, dass auch unverschuldetes Zögern einer wirksamen Annahme entgegensteht. Die Unterbrechung eines Ferngesprächs hindert daher die Annahme (RG 104, 235, 236). Hat der Antragende jedoch das Ferngespräch willkürlich unterbrochen, so ist die Annahme rechtzeitig, wenn der 442

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Vertrag

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Antragsgegner in einem sofort von ihm bewirkten neuen Ferngespräch die Annahme erklärt (Rn 21; Flume II § 35 I 2 [S 638]; MüKo/Busche Rn 27). Widerspricht der Antragende einer vom Empfänger erbetenen Überlegungsfrist nicht, so ist darin eine Fristverlängerung iSv § 148 zu sehen (MüKo/Busche Rn 29). Zudem kann sich eine Fristverlängerung aus den Umständen ergeben (Rn 22). Der einem Abwesenden gemachte Antrag bleibt gem Abs II nur bis zu dem Zeitpunkt annahmefähig, zu dem 18 der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Dieser Zeitpunkt ist nach objektiven Maßstäben zu ermitteln (BGH NJW 1999, 2179, 2180; NJW 2016, 1441 Rn 20); es kommt nicht darauf an, ob der Antragende den Eingang einer Antwort tatsächlich noch erwartet hat (BGH LM § 147 Nr 1). Bei Bemessung der Frist ist außer der Beförderungszeit des Antrags und der Annahmeerklärung auch ein angemessener Zeitraum zur Bearbeitung und Überlegung, bei Gesellschaften, Vereinen usw: zur Beschlussfassung, anzusetzen (BGH NJW 1996, 919, 921; NJW 2001, 303 – Möbelkauf; NJW 2016, 1441 Rn 20; Soergel/Wolf Rn 11). Hinsichtlich der Beförderungsfrist stehen die Beförderungsmittel für Antrag und Annahme zueinander in Wechselbeziehung. Ein schneller Beförderungsweg für den Antrag gebietet daher einen vergleichbar schnellen Weg für die Annahme (Hamburg 23.9.2014 – 3 U 50/14 Rn 43; aA offenbar BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 15). So muss zB ein per Telefax übermittelter Antrag idR innerhalb von zwei Tagen angenommen werden (LG Wiesbaden NJW-RR 1998, 1435; aA LG Hamburg 10.4.2013 – 315 O 422/12 [Frist im Online-Handel: fünf Kalendertage]). Da es sich um eine einheitliche Gesamtfrist handelt, können freilich Verzögerungen bei der Antragsübermittlung durch beschleunigte Übermittlung der Antwort (zB Telefax statt Brief) ausgeglichen werden. Die Länge der Überlegungsfrist richtet sich nach den Umständen. Dazu gehört vor allem die Art des Angebots, aber auch verzögernde Umstände, die der Antragende kannte oder kennen musste (BGH NJW 2016, 1441 Rn 20; KG MittBayNot 2016, 174, 176). So kann die Art der Willensbildung in einer Gemeinde, insb die Beteiligung von ehrenamtlich tätigen Gremien, eine längere Bindungsfrist rechtfertigen (vgl BGH 116, 149, 154 = NJW 1992, 827: 24 Tage). Bei einer großen Gesellschaft kann regelmäßig nicht damit gerechnet werden, dass bedeutende Vertragsangebote innerhalb weniger Tage angenommen werden (BGH NJW 2000, 2984, 2985 zu § 151 S 2; Armbrüster EWiR § 151 BGB 1/01, 9f). Zudem beeinflussen Bedeutung und Komplexität des Antrags die Fristlänge (MüKo/Busche Rn 33). Für einen Werkvertrag über ein Auftragsvolumen von unter 10 000 Euro ist jedenfalls eine Frist von mehr als einem Monat zu lang, und auch die Annahme innerhalb von zwei Wochen nach Abschluss umfangreicher Verhandlungen kann verspätet sein (LG Bielefeld 23.9.2008 – 3 O 232/08). Bei einem Gebrauchtwagenkauf ist eine Bindungsfrist von zehn Tagen angemessen (LG Saarbrücken 14.11.2014 – 10 S 128/13). Das BAG räumt dem AN bei der Bestimmung der Frist zur vorbehaltslosen Annahme eines Änderungsangebots im Zusammenhang mit einer Änderungskündigung zutr je nach den konkreten Umständen eine lange, uU bis nach Ablauf der Kündigungsfrist reichende Überlegungsfrist ein (BAG BB 2003, 1731, 1733 = NZA 2003, 659, 661 m Anm Dahlbender EWiR § 2 KSchG 1/03, 781f; APS/Künzl, § 2 KSchG Rn 36). Für die Annahme von Mietvertragsangeboten durch Vermieter ist angesichts des Interesses des Mietinteressenten an einer schnellen Entscheidung eine kurze Annahmefrist von 4–5 Tagen angemessen (Staud/Bork Rn 15; KG WuM 1999, 323; aA BGH NJW 2016, 1441 Rn 31, 33 hält zutr bei Mietverträgen eine Annahmefrist von 2-3 Wochen für ausreichend und bei Gewerbemiete jedenfalls 4 Wochen für zu lang; Naumburg NZM 2004, 825,826 [2–3 Wochen]; LG Stendal NJWRR 2005, 97 [2–4 Wochen]; Blank in Schmidt-Futterer, § 535 Rn 24 [bis zu 9 Tagen, bei Mietverhältnissen mit weitreichender Bedeutung bis zu 3 Wochen]; Pal/Ellenberger Rn 6 [2-3 Wochen]; Lindner-Figura/Hartl NZM 2003, 750,751 [3–4 Wochen bei Gewerbemiete]). Im kaufmännischen Verkehr sind die Verkehrsanschauungen der beteiligten Wirtschaftskreise zu berücksichtigen (Soergel/Wolf Rn 10). Die von einer Bank erst nach mehreren Monaten erklärte Annahme eines Antrags auf ein Verbraucherdarlehen ist trotz der branchenüblichen langen Kreditlaufzeiten verspätet (BGH NJW-RR 2008, 1436 Rn 38 [betr acht Monate]; Frankfurt NJW-RR 2005, 60 m abl Anm Kehl EWiR § 150 1/04, 367, 368). Bei finanzierten und beurkundungsbedürftigen Verträgen, deren Abschluss eine Bonitätsprüfung vorausgeht, kann der Eingang der Annahmeerklärung regelmäßig innerhalb eines Zeitraums von vier Wochen erwartet werden (BGH NJW 2010, 2873 Rn 12 [betr Eigentumswohnung] m zust Anm Armbrüster LMK 2010, 306668; 17.10.2014 – V ZR 289/13 Rn 14; KG MittBayNot 2016, 174, 176; s auch Herrler/Suttmann DNotZ 2010, 883ff). Eine Überschreitung dieser Frist um eine bis zwei Wochen dürfte aber noch angemessen sein (Kesseler RNotZ 2010, 533, 534; Müller/Klühs RNotZ 2013, 81, 82; KG MittBayNot 2016, 174, 176; LG Landshut MittbayNot 2015, 336, 337). Anhaltspunkte für die Fristlänge bietet auch die Rspr zu nach § 308 Nr 1 unwirksamen klauselmäßigen Fristen, da dann Abs II über § 306 II gilt (s auch § 148 Rn 1). Ob bei Bauträgerverträgen eine Verlängerung bis auf höchstens acht Wochen noch angemessen ist, ist str (Angemessenheit bejahend wohl Dresden DNotZ 2012, 374, 375; Nürnberg MittBayNot 2012, 461, 462; offenlassend BGH NJW 2010, 2873 Rn 13 [„zweifelhaft“]). Dagegen spricht, dass damit sonst die schutzwürdigen Belange der Käufer zugunsten des Gewinnerzielungsinteresses des Bauträgers erheblich beeinträchtigt würden (vgl Armbrüster LMK 2010, 306668; Basty, Der Bauträgervertrag8, 2014, Rn 172; Müller/Klühs RNotZ 2012, 81, 84; krit auch Herrler MittBayNot 2014, 109, 113, der die vierwöchige Bindungsfrist für Bauträgerverträge unter dem Vorbehalt besonderer, sachlich gerechtfertigter und dem Antragenden zumindest erkennbarer Umstände des Einzelfalls stellt). Letzterer Ansicht hat sich nunmehr auch der BGH (NJW 2014, 854 Rn 12; NJW 2014, 857 Rn 8; NJW 2016, 2173 Rn 7f m zust Anm Armbrüster EWiR 2016, 369, 370) angeschlossen (vgl auch LG Landshut MittbayNot 2015, 336, 337). Bei Versicherungsverträgen geht Brandenburg 5.12.2007 – 7 U 106/07 (zust Neuhaus jurisPR-VersR 2/2008 Anm 2) von einer nicht starr anzuwendenden Annahmefrist von sechs Wochen aus. Bei einem Angebot auf Abschluss eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsvertrags durch eine Unterwerfungserklärung ist hingegen davon auszugehen, dass dieses unbefristet angenommen werden kann (BGH Armbrüster

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NJW-RR 2010, 1127 Rn 21.) Die Beurteilung der im Einzelfall angemessenen Frist obliegt tatrichterlichem Ermessen und ist revisionsrechtlich lediglich auf Ermessensfehler überprüfbar (BGH NJW 2016, 1441 Rn 22; MüKo/Busche Rn 36). Die Frist beginnt bereits mit der Abgabe bzw Beurkundung des Antrags und nicht erst mit dessen Zugang beim Empfänger (s nur BGH NJW 2010, 2783 Rn 11; NJW-RR 2010, 1127, Rn 20; Düsseldorf 3.9.2015 – I-15 U 119/14 Rn 36; MüKo/Busche Rn 31; Müller/Klühs RNotZ 2013, 81, 82 Fn 17; Kanzleiter DNotZ 2012, 837 Fn 1; unzutr daher BGH NJW 2012, 2793 Rn 6 [Fristbeginn bei Zugang]). Für die Berechnung des Zeitpunkts, bis zu dem der Eingang der Antwort erwartet werden darf, sind auch außergewöhnliche Umstände zu berücksichtigen, wenn sie den Eingang der Antwort generell (zB Krankheit, Streik) oder im Einzelfall verzögern können und der Antragende sie kennt oder mit ihnen rechnen muss (RG 142, 402, 404; BGH NJW 2008, 1148 Rn 21; KG 14.8.2015 – 9 U 74/14 Rn 16 [betr Weihnachtsfeiertage; s aber auch NJW 2016, 1441 Rn 28]; München 11.8.2016 – 34 SchH 7/16 Rn 16). Es muss sich jedoch stets um Umstände handeln, die einer Bearbeitung geschäftlicher Korrespondenz nach der Verkehrsanschauung entgegenstehen (MüKo/Busche Rn 33). Urlaub und Krankheit haben daher keinen Einfluss auf die Länge der Annahmefrist, wenn nach der Verkehrsanschauung mit der Bearbeitung des Antrags zu rechnen ist (Finkenauer JuS 2000, 118, 120; MüKo/Busche Rn 33; Soergel/ Wolf Rn 10; s auch BGH NJW 2016, 1441 Rn 21, 28). Dies ist jedenfalls bei einem Unternehmer regelmäßig der Fall. Liegen außergewöhnliche Umstände vor, ist zu beurteilen, wie lange der Antragende „regelmäßig“, dh bei vernünftiger Beurteilung, mit dem Eingang der Antwort rechnen durfte. Einen Sonderfall bildet das Angebot eines Maklers zum Abschluss eines Maklervertrags. Wenn den Makler hier nicht ausnahmsweise eine Pflicht zum Tätigwerden trifft (s § 652 Rn 28), kann eine Antwort uU auch noch nach einigen Monaten rechtzeitig sein (München OLG 1978, 444, 446 = NJW 1978, 2100 L). Bei Einräumung eines Ankaufsrechts („Vorhand“, s § 456 Rn 4, § 463 Rn 5) ist auf das Verkaufsangebot gem dem Kaufangebot eines Dritten nicht die in § 469 II vorgesehene Frist von zwei Monaten für Grundstücke oder einer Woche für andere Gegenstände entspr anzuwenden. Diese Fristen sind nur bei einem Vorkaufsrecht gerechtfertigt, da hier der Verkäufer durch den mit einem Dritten geschlossenen Vertrag gesichert ist. Bei einem Ankaufsrecht ist der Verkäufer hingegen nicht gesichert, so dass sich die Annahmefrist nach § 147 II bestimmt (RG Warn 1919 Nr 157). 7. Wird der rechtzeitige Zugang der Annahmeerklärung von dem Antragenden schuldhaft verhindert (s zur Zugangsverhinderung allg § 130 Rn 27ff), so ist er dem anderen aus §§ 280 I, 311 II, 241 II (cic) oder auch aus § 826 zum Schadensersatz verpflichtet. Der Schaden besteht darin, dass die Annahmeerklärung nicht rechtzeitig zugegangen ist. Hierauf kann sich der Antragende nach § 249 I nicht mehr berufen. Aber dieses Umwegs über eine Schadensersatzpflicht bedarf es nicht. Bereits aus § 242 folgt, dass bei einer Verhinderung des rechtzeitigen Zugangs der Antragende die Annahme als rechtzeitig gegen sich gelten lassen muss (BGH NJW 1952, 1169; BGH 137, 205, 208ff = NJW 1998, 976). 8. § 147 ist nicht zwingend. Die Parteien können vereinbaren, dass ein Vertragsangebot in der Schwebe bleibt (BGH BB 1968, 1215). Auch kann sich aus den Umständen ergeben, dass bei einem mündlichen Antrag unter Anwesenden dem Empfänger eine Überlegungsfrist zusteht oder dass das Angebot bis zur Entschließung des abwesenden Vertretenen aufrechterhalten wird (AG Nördlingen ZWE 2017, 146, 147 zur WE-Gemeinschaft). In solchen Fällen ist zumindest stillschweigend eine Annahmefrist iSv § 148 bestimmt (Becker ZWE 2017, 147, 148). Ebenso kann aus den Umständen folgen, dass ein Angebot unbefristet abgegeben wird, mit der Folge, dass es jederzeit angenommen werden kann (BGH NJW-RR 2010, 1127 Rn 21: Regelfall bei einer auf Abschluss eines Unterlassungsvertrags gerichteten Unterwerfungserklärung). Auch ggü einem Unternehmer ist jedoch eine AGBKlausel, wonach der Antragende acht Wochen an seine Erklärung gebunden sein soll, gem § 307 unwirksam (Saarbrücken IBR 2011, 2150).

§ 148 1

Bestimmung einer Annahmefrist

Hat der Antragende für die Annahme des Antrags eine Frist bestimmt, so kann die Annahme nur innerhalb der Frist erfolgen. 1. Die gesetzliche Annahmefrist des § 147 gilt nicht, wenn der Antragende zugunsten des Empfängers eine Frist für die Annahme gesetzt hat. Auf die Wahrung der gesetzlichen Annahmefrist kommt es dagegen an, wenn die vereinbarte Frist unwirksam ist, insb weil eine solche Vertragsklausel unangemessen iSd § 308 Nr 1 ist (vgl BGH 109, 359, 363 = NJW 1990, 1784: vierwöchige Bindungsfrist im Neuwagengeschäft zulässig; LG Bremen NJW 2004, 1050; AG Northeim VRR 2009, 122: zehn Tage beim Gebrauchtwagen-Barkauf unzulässig; s auch München ZIP 2005, 160, 161; Cremer/Wagner NotBZ 2004, 33; eingehend § 308 Rn 1ff). Die Fristsetzung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft (Staud/Bork Rn 8). Ein Minderjähriger kann die gesetzliche Annahmefrist (§ 147) somit nicht ohne Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter verlängern (Staud/Bork Rn 8). Die gesetzte Frist kann bei Anträgen unter Abwesenden (§ 147 II) länger oder kürzer als die gesetzliche Frist sein, bei Anträgen unter Anwesenden (§ 147 I) allerdings nur länger. Der Antragende kann die Annahmefrist jederzeit verlängern, und zwar auch konkludent (Hamm NJW 1976, 1212). Der Antragende kann eine von ihm gesetzte Frist hingegen nur durch Vereinbarung mit dem Adressaten abkürzen; eine einseitige Abkürzungsbefugnis steht ihm nicht zu (BAG 19.8.2010 – 8 AZR 645/09; Pal/Ellenberger Rn 2). 444

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Die Fristsetzung wird idR durch Angabe eines Zeitraums, innerhalb dessen der Antrag angenommen werden muss (zB binnen eines Monats), oder eines Endtermins geschehen, zB bis zum 12. März mittags 12 Uhr. Ist keine Tagesstunde angegeben, so kann der Antrag im Zweifel bis zum Ablauf des letzten Tages angenommen werden (Gedanke des § 188 I, II; RG 105, 417, 419f). Ferner kann in dem Verlangen bestimmter Übermittlung eine Fristsetzung liegen, zB „per Telefax“. Ist eine längere Annahmefrist gesetzt, so kann eine geringfügige Fristüberschreitung unschädlich und ein gewisser Spielraum zuzubilligen sein (RG HRR 29, 1559; s auch Flume II § 35 II 2 [S 653]: erweiternde Auslegung des § 149). Dies gilt auch für Versicherungsverträge, jedenfalls zugunsten des Versicherungsnehmers (BGH LM § 150 Nr 1 = NJW 1951, 313). Zulässig ist es auch, keinen konkreten Zeitraum für die Annahme zu bestimmen, sondern diese unbeschränkt bis zur Erklärung eines Widerrufs zuzulassen (Frankfurt IBR 2010, 3608 betr Annahme nach über 30 Jahren). Eine unbeschränkte Bindungsdauer ohne Widerrufsmöglichkeit wird hingegen nicht möglich sein (Frankfurt IBR 2010, 3608; Klühs DNotZ 2011, 886, 893ff). 2. Die Fristsetzung braucht nicht ausdr zu erfolgen, sondern kann sich aus den Umständen ergeben, unter denen der Antrag gemacht worden ist. Das Angebot zum Erwerb eines Lotterieloses kann nur bis zum Tag der Ziehung angenommen werden, sofern sich nicht ein abw Wille des Anbietenden erkennen lässt (RG 59, 296, 298). Die für den Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrags maßgebende Annahmefrist gilt nicht ohne weiteres für den Antrag auf Änderung oder Aufhebung eines bestehenden Versicherungsvertrags (BGH LM § 147 Nr 1). Bei einer Frist zur Annahme eines gerichtlichen Vergleichsvorschlags handelt es sich nicht um eine Antragsfrist iSd § 148, da das Gericht nicht der Antragende ist, sondern nur den Vergleich vermittelt (LAG Bln-Bbg 10.5.2013 – 6 Sa 19/13; Siemon NJW 2011, 426, 428; aA Musielak/Voit/Foerste, § 278 ZPO Rn 17a). Die Fristsetzung muss in der Form des Antrags erfolgen. Dies gilt auch für die Verlängerung der Annahmefrist (RG JW 1928, 649). 3. Ist die gesetzte Frist kürzer als die gesetzliche, so muss die Fristsetzung spätestens mit dem Antrag dem Antragsgegner zugehen. Anderenfalls ist sie wirkungslos (Staud/Bork Rn 9). Ist die gesetzte Frist länger als die gesetzliche, so kann sie dem Antragsgegner auch noch nach Zugang des Antrags erklärt werden, und zwar bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist. Geht die Fristverlängerung erst nach Ablauf der gesetzlichen Frist zu, so liegt ein neuer Antrag mit gewillkürter Annahmefrist vor (Soergel/Wolf Rn 10; Staud/Bork Rn 9). Entspr gilt für die Verlängerung von gewillkürten Fristen. 4. Für den Fristbeginn ist im Zweifel das Datum des Antrags maßgeblich, nicht dasjenige des Poststempels oder der Zeitpunkt des Zugangs (so aber BGH NJW 2012, 2793 Rn 6). Im Zweifel muss die Annahmeerklärung innerhalb der Annahmefrist dem Antragenden zugehen (RG 53, 59, 61; WarnRspr 1916, 8; s auch Hamm VersR 1978, 1039). Allein die Absendung während der Frist genügt nur, wenn ein solcher Wille des Antragenden erkennbar ist (Staud/Bork Rn 10; vgl RG 48, 175, 179). Hat der Antragende das rechtzeitige Zugehen der Annahmeerklärung schuldhaft verhindert, so kann er sich auf die Verspätung nicht berufen (s § 147 Rn 21). 5. Hat ein Vertreter ohne Vertretungsmacht innerhalb der vom Antragenden bestimmten Frist die Annahme des Antrags erklärt, wird diese Erklärung jedoch erst nach Ablauf der Annahmefrist vom Vertretenen genehmigt, so wirkt die Genehmigung idR nicht nach § 184 I auf den Zeitpunkt der Annahmeerklärung zurück (BGH 108, 380, 384 = NJW 1990, 508; abw RG 76, 364, 366). Einer Rückwirkung steht hier der Zweck der zeitlichen Begrenzung des Annahmerechts entgegen (BGH NJW 1973, 1789, 1790; aA Jauernig/Mansel § 184 Rn 2 unter Hinw auf die §§ 180 S 2, 177 II, 108 II). Ist die Annahme nicht innerhalb der Frist wirksam erklärt worden, so ist der Antragende deshalb nicht mehr gebunden; diese Rechtswirkung kann nicht einseitig durch eine nach Ablauf der Frist erfolgte Genehmigung wieder aufgehoben werden (MüKo/Busche Rn 8; Soergel/Wolf Rn 8; Staud/ Bork Rn 10). Auch bei gesetzlichen Fristen tritt durch Genehmigung keine Rückwirkung nach § 184 I ein (BGH 32, 375, 383 für die Frist des § 510 aF; RG 65, 245, 248 für Verjährungsfristen).

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Verspätet zugegangene Annahmeerklärung

Ist eine dem Antragenden verspätet zugegangene Annahmeerklärung dergestalt abgesendet worden, dass sie bei regelmäßiger Beförderung ihm rechtzeitig zugegangen sein würde, und musste der Antragende dies erkennen, so hat er die Verspätung dem Annehmenden unverzüglich nach dem Empfang der Erklärung anzuzeigen, sofern es nicht schon vorher geschehen ist. Verzögert er die Absendung der Anzeige, so gilt die Annahme als nicht verspätet. 1. Geht die Annahmeerklärung dem Antragenden nach den §§ 147, 148 nicht rechtzeitig zu, so ist der Antrag grds erloschen. Die verspätete Annahme gilt nach § 150 I als neuer Antrag. Von diesem Grundsatz enthält § 149 eine Ausnahme, wenn die Verspätung der Annahme auf unregelmäßiger Beförderung beruht. Dabei muss die Verspätungsursache vom Beförderungsmittel selbst herrühren (BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 6). In diesem Fall muss der Antragende unter bestimmten Voraussetzungen die Verspätung unverzüglich dem Annehmenden anzeigen; eine Verzögerung der Verspätungsanzeige hat die Fiktion rechtzeitiger Annahme zur Folge. Seine innere Rechtfertigung findet § 149 in § 242 (Mot I S 171; RG 105, 255, 257). Da der Annehmende, der seine Erklärung rechtzeitig abgesendet hat, den rechtzeitigen Zugang erwartet, entspricht es Treu und Glauben, dass der Antragende den Absender unverzüglich aufklärt, wenn dessen Annahmeerklärung verspätet zugegangen ist (krit Canaris Vertrauenshaftung im dt Privatrecht, 1971 326ff).

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2. Die Anzeigeobliegenheit besteht für den Antragenden unter zwei Voraussetzungen: a) Die verspätet zugegangene Annahmeerklärung muss rechtzeitig abgesendet sein (vgl auch § 150 Rn 2). Hierzu gehört, dass sie einem verkehrsüblichen Beförderungsmittel überlassen wurde, so dass normalerweise mit einem rechtzeitigen Zugehen der Annahme gerechnet werden konnte. Daran fehlt es zB, wenn der Annehmende seine Erklärung einem Bekannten übergibt, der sie – womit gerechnet werden musste – erst nach Tagen zur Post gibt (vgl Staud/Bork Rn 4). Ist schon die Absendung der Annahmeerklärung verspätet, so ist § 149 auch nicht analog anwendbar (Soergel/Wolf § 149 Rn 4; vgl Canaris Vertrauenshaftung im dt Privatrecht, 1971, 326ff). b) Für den Antragenden muss es klar erkennbar gewesen sein, etwa aus dem Poststempel (BGH NJW 1988, 2106, 2107) oder der Zeitangabe über die Aufgabe des Telegramms, dass die Verspätung nur auf eine nicht regelmäßige Beförderung zurückzuführen ist. 3 3. Der verspätete Eingang der erkennbar rechtzeitig abgesandten Annahmeerklärung begründet einen Schwebezustand, der sich nach zwei Richtungen hin lösen kann: a) Zeigt der Antragende die Verspätung dem Annehmenden unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121), an, so erlischt der Antrag; die verspätete Annahme gilt nach § 150 als neuer Antrag. Es genügt die unverzügliche Absendung der Verspätungsanzeige; ihr Verlust schadet nicht (vgl Mot I S 171). Die Anzeige ist eine einseitige, nicht empfangsbedürftige Mitteilung (Soergel/Wolf Rn 11; aA Staud/Bork Rn 8: die Verspätungsanzeige sei eine adressatengerichtete Handlung, die wie eine empfangsbedürftige Willenserklärung zu behandeln sei). Zu ihrer Absendung ist der Antragende nicht rechtlich verpflichtet. Es handelt sich allein um ein Gebot eigenen Interesses, dem er zur Vermeidung von Rechtsnachteilen nachkommen muss. 4 b) Unterlässt oder verzögert der Antragende die Absendung der Verspätungsanzeige, so gilt die Annahme nach S 2 als nicht verspätet. Der Vertrag gilt als in dem Zeitpunkt zustande gekommen, in dem die Annahmeerklärung dem Antragenden zugegangen ist (Soergel/Wolf Rn 10). Eine Rückbeziehung auf den Zeitpunkt, in dem die Annahmeerklärung bei ordnungsgemäßer Beförderung zugegangen wäre, findet nicht statt. Ebenso wenig vollendet sich gem S 2 der Vertrag erst in dem Zeitpunkt, zu dem die Benachrichtigung des Antragenden spätestens hätte abgesendet werden müssen (Mot I S 171). – Der Annahme eines echten Vertragsschlusses steht es nicht entgegen, dass sein Zustandekommen auf der Fiktion des rechtzeitigen Zugangs der Annahmeerklärung und des Fortbestehens des Antrags beruht. Demgegenüber versteht Hilger (AcP 185, 559, 574) die Fiktion des rechtzeitigen Annahmezugangs als Mittel zur verkürzten Rechtsfolgeanordnung und sieht in § 149 S 2 einen Sondertatbestand der cic (jetzt: §§ 280 I, 311 II, 241 II), bei der immer dann auf das positive Interesse gehaftet wird, wenn die versprochene Leistung noch in Natur erbracht werden kann (zu Recht abl Wolf/Neuner § 37 Rn 28 Fn 70; Volp/Schimmel JuS 2007, 899, 900). 5 4. Beweislast. Im Streitfall muss der Annehmende, der aus dem Vertrag Rechte herleiten will, beweisen, dass er die Annahmeerklärung rechtzeitig abgesandt hat und der Antragende dies erkennen musste (MüKo/Busche Rn 8). Der Antragende muss beweisen, dass er die Verspätungsanzeige rechtzeitig abgesandt hat (MüKo/Busche Rn 8; Soergel/Wolf Rn 14; Staud/Bork Rn 13; s auch RG 53, 59, 62; aA noch Staud/Coing11 Rn 6, wonach der Annehmende beweisen soll, dass die Anzeige nicht rechtzeitig abgesandt worden ist). 2

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Verspätete und abändernde Annahme

(1) Die verspätete Annahme eines Antrags gilt als neuer Antrag. (2) Eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag. 1. Eine verspätete Annahme ist nicht ohne Rechtswirkung. Eine Annahmeerklärung, die dem Antragenden nach Ablauf der gesetzlichen (§ 147) oder gewillkürten (§ 148) Frist zugeht, ist zwar – von der Ausnahme des § 149 abgesehen – als Annahme wirkungslos. Sie gilt aber nach Abs I als neuer Antrag desjenigen, der annehmen wollte. Dieser ist daran gem §§ 145ff gebunden. Der Vertrag kommt zustande, wenn der Erstantragende und jetzige Antragsgegner den neuen Antrag ausdr oder konkludent annimmt. Die Annahmeerklärung bedarf nach § 151 S 1 idR keines Zugangs. Reagiert der Erstantragende auf eine verspätete Annahme nicht, so ist sein Schweigen gem § 242 als Annahme zu werten (RG 103, 11, 13; BGH NJW 1951, 313; NJW 1986, 1807, 1809; Staud/Bork Rn 6; § 147 Rn 3), sofern nicht die Umstände eine Sinnesänderung des Erstantragenden nahelegen (BGH NJW-RR 1994, 1163, 1165) oder es sich um ein besonders bedeutendes, zB beurkundungsbedürftiges, Geschäft handelt (BGH NJW 2010, 2873 Rn 16ff; 8.11.2013 – V ZR 145/12; 13.5.2016 – V ZR 265/14 Rn 13; Nürnberg MittbayNot 2012, 461, 462f m abl Anm Kanzleiter; aA Kanzleiter DNotZ 2013, 323, 325, der nur auf die Sinnesänderung als Ausnahme abstellen will). Das ist gerechtfertigt, weil die Initiative zum Vertragsschluss vom Erstantragenden ausgegangen war. Der Vertrag gilt als in dem Zeitpunkt geschlossen, in dem der Antragende die abl Antwort erwarten konnte. Zum gleichen Ergebnis gelangt Flume (II § 35 II 2, 653), jedoch nicht mit der Begr, dass das Schweigen des Erstantragenden als Einverständnis zum Vertragsschluss zu werten sei, sondern durch extensive Anwendung von § 149 (aA wie hier Wolf/Neuner § 37 Rn 30; Canaris Vertrauenshaftung im dt Privatrecht, 1971, 328f; s auch § 148 Rn 2). Diese Grundsätze gelten auch für Versicherungsverträge (BGH NJW 1951, 313). Im Zusammenspiel mit § 149 gilt daher Folgendes: Liegt ein wirksamer Antrag vor und wird die Annahmeerklärung rechtzeitig abgesandt, trifft sie aber verspätet ein, so besteht nach § 149 S 1 für den Antragenden eine An446

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zeigepflicht; bei Verzögerung gilt abw von § 147 II die Annahme als nicht verspätet (s § 149 Rn 1ff). Eine nach § 147 II verspätete und deshalb nach Abs I als neuer Antrag geltende Annahmeerklärung ist als Annahme des gesamten Inhalts des ursprünglichen Angebots und damit als ein mit diesem gleich lautender Antrag zu werten, sofern nicht ein abw Wille zum Ausdruck gelangt (München OLG 1978, 444 = NJW 1978, 2100 L). Der Erstantragende muss auch hier grds dem in der verspäteten Annahme liegenden neuen Antrag widersprechen, wenn er das Zustandekommen des Vertrags verhindern will (s Rn 1). Erklärt er die Anfechtung des vermeintlich schon geschlossenen Vertrags, so liegt hierin auch dann ein Widerspruch, wenn er die Gegenleistung aufgrund eines nicht widerrufenen Dauerauftrags bereits teilw erbringt (Hamm VersR 1978, 1039 betr Versicherungsvertrag). 2. Die Annahme führt idR nur dann zum Vertragsschluss, wenn sie mit dem Angebot inhaltlich übereinstimmt 3 (zur Ausnahme in § 2 KSchG s Staud/Bork Rn 13; s ferner § 5 VVG für Versicherungsverträge). So kann zB das an mehrere Personen gerichtete Angebot, in dem die Adressaten gemeinschaftlich die Vertragspartei bilden sollen, nur gemeinsam angenommen werden. Lehnt auch nur ein Adressat ab, so entfällt grds die Bindung des Annehmenden (BGH MDR 1965, 572; s § 146 Rn 2). Angebot und Annahme müssen nicht streng zeitlich aufeinander folgen. So kommt ein Vertrag auch durch zwei übereinstimmende sog Kreuzofferten zustande (Backmann jurisPK-BGB, § 145 Rn 10, Stand: 1.10.2012; Staud/Bork, § 146 Rn 7; vgl. auch LG Frankfurt aM WM 2008, 405, 407). Umstr ist, welche Konsequenzen aus § 150 I folgen, wenn der zu schließende Vertrag der Schriftform unterliegt. Dies wird bedeutsam, wenn ein formgerechtes Angebot vorliegt, der Annehmende jedoch den Vertrag erst nach Fristablauf unterschreibt. Der Vertragspartner muss hier wegen § 150 I erneut die Annahme erklären. Fraglich ist aber, ob dafür konkludentes Handeln genügt (BGH NJW 2010, 1518 Rn 19ff m Anm Fritz jurisPR-MietR 12/2010 Anm 4; Jena NZM 2008, 572, 573) oder er darüber hinaus erneut unterschreiben muss (KG NZM 2007, 517). Gegen einen konkludenten Vertragsschluss spricht, dass der gesetzlichen Form in einem solchen Fall nicht genügt wird. Überzeugender ist es jedoch, mit dem BGH eine doppelte Unterschrift des Vermieters auf demselben Formular als unnötige Förmelei anzusehen, die auch im Hinblick auf den Schutzzweck des § 550 nicht erforderlich ist (so auch Wichert ZMR 2005, 593, 595). Bereits in einem ähnlichen Fall hatte der BGH einen Vertragsschluss jedenfalls dann angenommen, wenn trotz verspäteter Unterzeichnung im Nachhinein noch eine schriftliche Änderungsvereinbarung geschlossen wird (BGH NJW 2009, 2195 Rn 19). Jede Erweiterung, Einschränkung oder sonstige Änderung gilt nach Abs II als Ablehnung des gesamten Antrags (BGH NJW-RR 1993, 1035, 1036; NJW 2005, 1653, 1655) und bei genügender Bestimmtheit des Inhalts als neuer Antrag des Abl. Unerheblich ist dabei, ob es sich um wesentliche oder unwesentliche Änderungen handelt (BGH NJW 2001, 221, 222; Brandenburg 22.1.2009 – 5 U (Lw) 149/08; anders Art 19 CISG; s auch Rn 4). Handelt es sich nur um einzelne Änderungen im Vergleich zum ursprünglichen Angebot, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass alle anderen Bedingungen des Erstangebots in das Gegenangebot aufgenommen wurden (BGH NJW 2015, 2584 Rn 53; aA BGH 19.10.2010 – VIII ZR 34/09 – Gerichtsstandvereinbarung). Ein neuer Antrag liegt auch dann vor, wenn der Annehmende in seiner Erklärung auf die eigenen Geschäftsbedingungen Bezug nimmt (BGH 18, 212, 215 = NJW 1955, 1794). Die Ablehnung ist endgültig; eine nachträgliche Annahme innerhalb der Annahmefrist ist unwirksam (RG Recht 1923 Nr 1336; AG Esslingen VersR 1967, 1105; Staud/Bork Rn 13). Schweigen auf einen modifizierten Antrag bedeutet grds keine Annahme (Rn 7; zur abw Lage bei verspäteter Annahme s Rn 1). Wohl aber kann es durch konkludentes Verhalten zur Annahme des neuen Antrags kommen, und zwar unabhängig davon, ob die Abweichungen vom ursprünglichen Antrag wesentlich oder unwesentlich waren. In einem öffentlichen Vergabeverfahren nach VOB/A ist ein Zuschlag regelmäßig so auszulegen, dass er sich auch auf wegen Zeitablaufs obsolet gewordene Fristen und Termine bezieht; insoweit wird Abs II durch § 242 modifiziert. Die Bauzeit ist dann im Wege erg Auslegung anzupassen (BGH NJW 2009, 2443 Rn 48; NZBau 2010, 622 Rn 18). Ein unter Verstoß gegen das Nachverhandlungsgebot abgegebener Zuschlag unter geänderten Bedingungen stellt hingegen ein neues Angebot iSd § 150 II dar (BGH NJW 2012, 3505 Rn 21; Brandenburg 26.1.2017 – 12 U 179/15 Rn 22). 3. Nicht jede Annahme mit Zusatz ist als eingeschränkte Annahme aufzufassen. Es kann sehr wohl unbeschränkt 4 angenommen sein, jedoch mit dem zusätzlichen Antrag, den zustandegekommenen Vertrag zu erweitern oder einzuschränken (BGH NJW-RR 1997, 684, 685; NJW 2001, 221, 222; NJW 2015, 2584 Rn 4; Frankfurt 30.6.2014 – 1 U 253/11 Rn 90f). Gibt zB der Gläubiger nach Empfang einer Bürgschaftserklärung zu erkennen, dass er sie annimmt, jedoch um Erweiterung der Bürgenverpflichtung nachsuche, so ist Abs II nicht anwendbar. Die Annahme eines Antrags kann mit dem Versuch verbunden sein, günstigere Bedingungen zu erreichen (BGH WM 1982, 1329, 1330; Düsseldorf 16.12.2014 – I-20 W 78/14). Auch das Gesuch, die für die Annahme bestimmte Frist iSv. § 148 zu verlängern, fällt nicht unter § 152 II (Celle NJW-RR 2009, 1150). Der Vorschlag von Vertragsergänzungen fällt nur dann nicht unter § 150 II, wenn dabei klar zum Ausdruck kommt, dass das ursprüngliche Angebot auf jeden Fall angenommen werden wird (Brandenburg 22.1.2009 – 5 U (Lw) 149/08). Beschreibt ein Käufer anlässlich seiner Annahmeerklärung den Kaufgegenstand näher, ohne vom tatsächlichen Zustand der Sache abzuweichen, so liegt lediglich eine Präzisierung, nicht aber ein neues Angebot vor. Anders liegt der Fall aber dann, wenn Eigenschaften beschrieben werden, die der Kaufgegenstand nicht aufweist und die folglich zu Gewährleistungsansprüchen führen würden (Celle OLGRp 2009, 458 LS m zust Anm Revilla jurisPR-VerkR 15/2009 Anm. 4). Ob unbeschränkte oder beschränkte Annahme vorliegt, hängt von der Auslegung im Einzelfall ab (BGH NJW 2001, 221, 222). Der Zusatz „Brief folgt“ oder „Näheres brieflich“ bringt zum Ausdruck, dass der Annehmende sich noch Änderungen vorbehält; hier liegt idR nur die Ankündigung einer Annahme vor. Vom Inhalt des Briefes hängt es dann ab, ob das Angebot angenommen ist (RG 105, 8, 13ff). Anders liegt es, wenn mitgeteilt Armbrüster

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wird „Auftrag fest – Brief folgt“; der Brief kann hier nur Änderungswünsche bzgl des abgeschlossenen Vertrags enthalten. Die Bitte um Verlängerung der Annahmefrist ist noch keine Antragsänderung (Staud/Bork Rn 10). Eine analoge Anwendung von Abs II kommt auch dann nicht in Betracht, wenn der Antragsempfänger einseitig eine längere Annahmefrist setzt (aA Diederichsen, FS Medicus, 1999, 89, 105; NK/Schulze § 146 Rn 3). Das bloße Angebot einer Fristverlängerung kann der Gegner vielmehr separat annehmen; es bezieht sich nämlich nicht auf den Inhalt des Vertrags. Wird ein offensichtlicher Fehler des Angebots, zB ein Tippfehler, berichtigt, so liegt darin keine veränderte Annahme, sondern es besteht Übereinstimmung (BAG NZA 2016, 39 Rn 33f; Soergel/Wolf Rn 10). 4. Wird eine größere Menge als die angebotene angenommen, ist hierin meist eine Ablehnung zu sehen (RG JW 1925, 236). Feste Annahme der angebotenen Menge und Antrag auf Lieferung einer weiteren Menge liegen nur vor, wenn die Auslegung ergibt, dass der Käufer die angebotene Menge in jedem Fall nehmen will. Die auf eine geringere Menge beschränkte Annahmeerklärung gilt als Ablehnung, wenn die Warenmenge als Einheit angeboten ist (Soergel/Wolf Rn 11). Bei tatsächlicher teilw Inanspruchnahme einer einheitlich angebotenen Leistung ist Abs II nicht anwendbar, da in diesem Fall bereits der nach den allg Auslegungsregeln zu ermittelnde objektive Erklärungswert die unbeschränkte Annahme des Angebots ergibt. Wird zB eine Kiste Wein zu 12 Flaschen angeboten, so kann grds nicht das Angebot geteilt und die Annahme auf eine beliebige Stückzahl beschränkt werden; die Entnahme eines einzelnen Stücks bringt die Annahme des einheitlichen Angebots zum Ausdruck. Nimmt der Auftraggeber bei einer öffentlichen Auftragsvergabe einzelne Leistungen heraus, ist § 150 II hingegen anwendbar, so dass darin eine Ablehnung der Annahme, verbunden mit einem neuen Antrag zu sehen ist, wenn keine Möglichkeit einer Teilannahme besteht (BGH NJW 2012, 3505 Rn 16). Allerdings kann die Auslegung des Angebots ergeben, dass eine Teilannahme möglich ist (BGH NJW 1986, 1983, 1984). 5. Die Erweiterung oder Einschränkung der Annahme muss eindeutig erkennbar sein. Abs II ist auch bei Annahme mit Zusätzen nicht anwendbar, wenn der Empfänger nach Treu und Glauben die Annahmeerklärung als unbeschränkt auffassen durfte (BGH 181, 47 Rn 35 = NJW 2009, 2443; BGH 186, 295 = NZBau 2010, 622 Rn 19; NZBau 2011, 97 Rn 14; NJW-RR 2015, 472 Rn 26; krit zur Anwendung von § 242 Korch NJW 2014, 3553, 3554f). Das gleiche gilt für Einfügungen geringfügiger Änderungen im gleichen Schriftbild des Angebotstextes („Unterschieben“ abweichender Klauseln) durch den Anzunehmenden (BGH NJW 2014, 2100 Rn 18f; aA Korch NJW 2014, 3553, 3554f; NK/Schulze § 147 Rn 2). Die Beifügung eines vom Vertragswillen des Antragenden abw Formulars genügt nicht (BGH WM 1983, 313, 314). Als neuer Antrag muss die Erklärung des Antragsempfängers so bestimmt sein, dass sie vom Erstantragenden durch einfache Zustimmung angenommen werden kann. Die Erklärung: „Ihr Preis ist mir zu hoch“ reicht dafür nicht aus (Staud/Bork Rn 13). – Zu kollidierenden AGB s Rn 9. 6. Schweigen und schlüssiges Verhalten. a) Anders als bei verspäteter Annahme (Rn 1) gilt das Schweigen des Antragenden auf eine sachlich geänderte Annahme grds nicht als Zustimmung und damit als Annahme des neuen Antrags (BGH 61, 282, 285 = NJW 1973, 2106; NJW 1995, 1671, 1672; Hamm WM 1997, 611, 612; Köln 6.4.2011 – 11 U 226/10; Koblenz NZBau 2013, 637, 638). Allenfalls bei einer nur unwesentlichen Abweichung der Annahme vom Angebot kann das Schweigen des Antragenden im Einzelfall nach Treu und Glauben als Annahme zu werten sein (vgl BGH DB 1956, 474). Auch die Bezeichnung der Annahme als „Auftragsbestätigung“ ändert diese Grundregel nicht. Die für das Schweigen auf kaufmännische Bestätigungsschreiben geltenden Grundsätze sind hier nicht anwendbar (BGH 18, 212, 216 = NJW 1955, 1794; 61, 282, 285 = NJW 1973, 2106; s auch § 147 Rn 10f, 15). Während ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben die endgültige Klarheit über den Inhalt eines schon geschlossenen Vertrags herbeiführen soll, zielt die Auftragsbestätigung erst auf das Zustandekommen eines Vertrags ab. Der Bestätigende, der vom ursprünglichen Antrag abweicht, kann deshalb ohne weitere Erklärung des Gegners nicht mit dessen Einverständnis mit den Änderungen rechnen. b) Allerdings kommt eine Annahme des nach Abs II neuen Antrags durch schlüssiges Verhalten in Betracht. In der widerspruchslosen Lieferung, Abnahme oder Bezahlung der Ware kann konkludent die Annahme des neuen Antrags liegen (BGH 18, 212, 216 = NJW 1955, 1794; LM § 150 Nr 3, 4; DB 1971, 2106; NJW 2011, 3438 Rn 17). Dies setzt freilich voraus, dass dem Antragenden die Abweichung der Annahmeerklärung von seinem ursprünglichen Angebot bewusst ist. Auch bei einer modifizierten Auftragsbestätigung kann uU in der widerspruchslosen Entgegennahme der Ware durch den Käufer eine stillschw Annahme des geänderten Antrags und damit ein Einverständnis mit den in Bezug genommenen AGB des Verkäufers gesehen werden. Dies gilt insb dann, wenn dieser vorher deutlich gemacht hat, dass er nur unter seinen Bedingungen liefern wird (BGH NJW 1963, 1248; BGH 61, 282, 287f = NJW 1973, 2106; NJW 1995, 1671, 1672). Die lediglich widerspruchslose Hinnahme einer modifizierten Auftragsbestätigung enthält jedoch noch keine stillschw Annahmeerklärung (BGH 61, 282, 285 = NJW 1973, 2106; JZ 1977, 602, 603 m krit Anm Lindacher; NJW 1995, 1671, 1672). 7. Kollidierende AGB. Ein Konflikt ergibt sich, wenn beide Parteien auf ihre AGB verwiesen haben und diese kollidieren: Bsp: Der Käufer bestellt zu seinen Einkaufsbedingungen, der Verkäufer liefert zu seinen Verkaufsbedingungen (s dazu Flume II § 37, 3, 672ff; Rödl AcP 215, 683; Schlechtriem, FS Wahl, 1973, 67ff; s auch § 305 Rn 54). Früher ist bei strikter Anwendung von Abs II angenommen worden, dass die Bedingungen der Partei gelten, die zuletzt erklärt hat, dass für den Vertrag nur ihre und nicht die Bedingungen des Gegners gelten (BGH LM § 150 Nr 2, 3, 6). Diese sog „Theorie des letzten Wortes“ ist überholt. Nach zutr, auch vom BGH (119, 283, 288 = NJW 1993, 64) geteilter Ansicht werden die Bedingungen nur insoweit nicht Vertragsbestandteil, als sie einander widersprechen, da insoweit keine Einigung vorliegt. Wohl aber ist der Vertrag als solcher, auf dessen 448

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Vertrag

§ 151

Durchführung die Parteien Wert legen, zustande gekommen, wenn sie sich über seinen wesentlichen Inhalt (den „Kern“) einig waren (vgl BGH 119, 283, 288 = NJW 1993, 64). Das ist mit der Auslegungsregel des § 154 vereinbar und gilt nach § 155 auch dann, wenn sich die Parteien der Kollision ihrer Bedingungen nicht bewusst waren (nur auf § 155 abstellend Rödl AcP 215, 683, 711f). Den Parteien ist nach Treu und Glauben eine Berufung auf das Nichtzustandekommen des Vertrags (Abs II) verwehrt, wenn sie zu erkennen gegeben haben, dass die Entscheidung der Frage, welche Bedingungen gelten, nicht den Bestand des Vertrags selbst berühren sollte (BGH 61, 282, 289 = NJW 1973, 2106; WM 1974, 842 m Hinw auf die widerlegte Vermutung des § 154 I; vgl auch NJW 1991, 1604, 1606; MüKo/Busche § 154 Rn 6). Anstelle der einander widersprechenden Bedingungen gelten nach § 306 II erg die gesetzlichen Vorschriften. Soweit hingegen in den beiderseitigen AGB Regelungen mit übereinstimmendem Inhalt getroffen und demgemäß von beiden Parteien gewollt sind, gelten diese (s § 305 Rn 55; BGH NJW 1985, 1838, 1839; Bunte ZIP 1982, 449, 450; Ulmer/Habersack in Ulmer/Brandner/Hensen § 305 BGB Rn 191ff). Dies kann auch für Bedingungen einer Partei insoweit anzunehmen sein, als sie eine für die andere Partei günstige Regelung enthalten (Flume II § 37, 3, 675). Auch wenn in den AGB der einen Seite eine Regelung enthalten ist, die in den AGB der anderen Seite keine Entsprechung findet – insb: Eigentumsvorbehalt –, können im Einzelfall Umstände vorliegen, die auf ein konkludentes Einverständnis des anderen Teils schließen lassen (BGH NJW 1985, 1838, 1839). Hierfür kann ein Indiz die Branchenüblichkeit eines einfachen, grds nicht jedoch eines verlängerten oder erweiterten Eigentumsvorbehalts sein (§ 305 Rn 56; Ulmer/Habersack in Ulmer/ Brandner/Hensen § 305 BGB Rn 195f). Eine in den Einkaufsbedingungen des Käufers enthaltene Abwehrklausel, nach der seinen Bedingungen widersprechende Verkaufsbedingungen des Verkäufers, auch wenn ihnen nicht widersprochen wird, nicht gelten, schließt die Wirksamkeit eines in den Verkaufsbedingungen enthaltenen verlängerten oder erweiterten Eigentumsvorbehalts aus (BGH NJW 1985, 1838, 1839f; NJW-RR 1991, 357, 358; vgl NJW 1995, 1671, 1672; s auch BGH NJW 1982, 1749 und 1751 zur wirksamen Vereinbarung eines nachträglichen, einfachen Eigentumsvorbehalts trotz Abwehrklausel; dazu de Lousanoff NJW 1982, 1727ff und 1985, 2921ff). Ein verlängerter Eigentumsvorbehalt kann jedoch dann Vertragsbestandteil werden, wenn er trotz Abwehrklausel in den AGB des Käufers erkennbar vorausgesetzt wird (Düsseldorf NJW-RR 1997, 1151; Köster JuS 2000, 22, 26). – Generell schließen Abwehrklauseln nicht nur widersprechende, sondern auch erg Klauseln des Gegners aus (BGH NJW-RR 2001, 484).

§ 151

Annahme ohne Erklärung gegenüber dem Antragenden

Der Vertrag kommt durch die Annahme des Antrags zustande, ohne dass die Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat. Der Zeitpunkt, in welchem der Antrag erlischt, bestimmt sich nach dem aus dem Antrag oder den Umständen zu entnehmenden Willen des Antragenden. Schrifttum: Brehmer, Die Annahme nach § 151 BGB, JuS 1994, 386; P. Bydlinski, Probleme des Vertragsabschlusses ohne Annahmeerklärung, JuS 1988, 36; Eckert, Die „Vergleichsfalle“ als Problem der Auslegung adressatloser Annahmeerklärung nach § 151 S 1 BGB, BB 1996, 1945; Kleinschmidt, Annahme eines Erlassangebots durch Einlösung eines mit dem Angebot übersandten Verrechnungsschecks?, NJW 2002, 346; Kramer, Schweigen als Annahme eines Antrags, Jura 1984, 235ff; Müller-Laube, Die Empfangszuständigkeit im Zivilrecht I, 1978; v Randow, Die Erlassfalle, ZIP 1995, 445; Repgen, Abschied von der Willensbetätigung – Die Rechtsnatur der Vertragsannahme nach § 151 BGB, AcP 200 (2000), 533; Scheffer, Schweigen auf Angebot als stillschweigende Annahme, NJW 1995, 3166; Schönfelder, Die Erlassfalle – ein unmoralisches Angebot?, NJW 2001, 492; W. Schultz, Annahme im Sinne des § 151 BGB und Annahme durch Schweigen, MDR 1995, 1187; Schwarze, Die Annahmehandlung in § 151 BGB als Problem der prozessualen Feststellbarkeit des Annahmewillens, AcP 202 (2002), 607; Wiese, Darf ein Versandhändler Selbstbelieferungsprobleme über Vertragsabschlussklauseln an seine Kunden weiterreichen?, VuR 2008, 161.

1. Überblick. Ein Vertrag kommt durch die Annahme eines Antrags zustande. Die Annahme ist, gleich ob sie 1 ausdr oder konkludent erklärt wird, grds eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Allerdings braucht die Annahme in den Fällen der §§ 151, 152 nicht ggü dem Antragenden erklärt zu werden. Damit wird zur Erleichterung des Rechtsverkehrs auf den Zugang der Annahmeerklärung verzichtet, nicht jedoch auf die Annahmeerklärung als solche (BGH NJW 2004, 287, 288; aA Schwarze AcP 202, 607, 613ff). Das Gesetz macht in diesen Fällen die Annahme zu einer nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung (Bork AT Rn 749). Von der Annahme nach § 151, die keine Erklärung ggü dem Antragenden erfordert, ist die Annahme durch bloßes Schweigen zu unterscheiden (s dazu § 147 Rn 3ff). § 151 ist nur auf Annahmeerklärungen anwendbar. Die Parteien können zB nicht vereinbaren, dass die Geneh- 2 migung des VormG entgegen § 1829 I 2 schon mit der Mitteilung an den Vormund wirksam wird (§ 1829 Rn 5). Der Antragsempfänger ist nicht auf die Annahme nach § 151 angewiesen; vielmehr kann er auch ggü dem Antragenden annehmen (vgl BGH NJW 1957, 1105, 1106: Die Abschlussmöglichkeiten nach § 151 und nach § 148 stehen nebeneinander). Eine erfolgte ausdr Annahme lässt idR nicht den Schluss zu, dass eine vorherige Annahme nach § 151 nicht erfolgt sei. – § 151 gilt grds auch, wenn die Annahme die Schriftform erfordert, da weder § 126 noch § 127 den Zugang der formwirksamen Erklärung ausnahmslos voraussetzen (vgl BGH WM 1986, 1330, 1331 zu § 126; NJW-RR 2004, 1683f [betr § 4 VerbrKrG] m Anm Armbrüster EWiR § 151 BGB 1/04, 1071, 1072; Naumburg 27.9.2011 – 4 U 75/11; Bülow LMK 2004, 161; aA Staud/Bork Rn 4). Die Beweisfunktion tritt hier ggü dem Vereinfachungszweck des § 151 zurück. Ein bestehendes Schriftformerfordernis setzt § 151 jedoch Grenzen. So kann bei gewillkürter Schriftform ein Vertragsschluss durch Briefwechsel nicht nach § 151 erfolgen Armbrüster

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§ 151

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Rechtsgeschäfte

(vgl Düsseldorf NJW-RR 1988, 948, 949). § 151 gilt auch nicht für die Bürgschaftserklärung, da diese schriftliche Erteilung voraussetzt (s § 766 Rn 8). 2. Eine Verkehrssitte iSv S 1 Fall 1 besteht, wenn bei Geschäften der betreffenden Art unter vergleichbaren Umständen der Zugang der Annahmeerklärung üblicherweise nicht erwartet wird (ähnlich Staud/Bork Rn 6). Dies trifft zu bei Bestellung eines Hotelzimmers und im standardisierten Versandhandel (LG Gießen NJW-RR 2003, 1206; eine entspr Verkehrssitte bei Hotelzimmerreservierungen verneinend MüKo/Busche Rn 6; s auch Rn 6). Dasselbe gilt idR bei ausschließlich vorteilhaften Angeboten (BGH NJW 1999, 1328; NJW 2000, 276, 277; NJW 2004, 287, 288; LG Berlin 28.4.2015 – 67 S 470/14), insb: bei unentgeltlichen Zuwendungen (§ 516 II), bei Angebot eines Schulderlasses (BGH NJW 2003, 758, 759; Koblenz NJW-RR 2011, 1017, 1018) oder einer Schuldübernahme (RG SeuffA 79, 89), eines deklaratorischen (München NJW 1975, 174, 175) oder abstrakten Schuldanerkenntnisses (BGH NJW 2000, 2984, 2985), bei Angebot eines Schuldbeitritts (BGH NJW-RR 1994, 280, 281; NJW-RR 2004, 1683), eines selbständigen Garantieversprechens (BGH 78, 369, 372f = NJW 1981, 275; 104, 82, 85 = NJW 1988, 1726), einer Sicherungsabtretung (BGH NJW 2000, 276, 277), einer Bürgschaft (BGH NJW 1997, 2233), besserer Vertragsbedingungen (Frankfurt NJW-RR 1995, 36, 39; AG Nördlingen ZWE 2017, 146, 147), im Rahmen einer betrieblichen Übung (BAG NZA 2003, 337, 338; NJW 2016, 1342 Rn 16; krit Henssler, FS 50 Jahre BAG, 2004, 683, 689; Schneider NZA 2016, 590, 591f) oder einer Gesamtzusage (BAG NZA 2004, 1099, 1101; NZA 2014, 1333 Rn 15; VersR 2016, 116 Rn 15). Auch nach der erstmaligen Erklärung einer Gesamtzusage durch den Arbeitgeber in den Betrieb eintretende AN können das Angebot noch nach § 151 annehmen (BAG ArbR 2010, 15). Das Schweigen des AN auf ein verschlechterndes Angebot kann demjenigen auf ein günstiges Angebot nicht gleichgesetzt werden (BAG NJW 2009, 2475 Rn 14; LAG Rh-Pf NZA-RR 2012, 5, 8; LAG Hamm 12.12.2011 – 15 Sa 1036/11 – betriebliche Übung, s dazu auch Maties AP Nr 83 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Eine Verkehrssitte iSd S 1 Fall 1 besteht ferner bei Aufträgen, die nach Inhalt und Zweck sofortige Erledigung verlangen (Börse, Arzt), im Fall des § 663 sowie weitgehend im Handelsverkehr (Soergel/ Wolf Rn 12), im Versandhandel (Wiese VuR 2008, 161, 164) und bei Verträgen über Leistungen der Daseinsvorsorge (Dresden RdE 2004, 197, 198). – Für Versicherungen besteht idR keine derartige Verkehrssitte (BGH NJW 1951, 313, VersR 1987, 923, 924; Frankfurt ZfS 2008, 209; Soergel/Wolf Rn 19; Staud/Bork Rn 7); vielmehr erklärt der Versicherer die Annahme idR ausdr, zumindest durch Übersendung des Versicherungsscheins (BGH NJW 1976, 289, 290; VersR 1987, 923, 924; Frankfurt r+s 2013, 27; anders BGH VersR 1969, 415 für die stillschw Annahme eines Fortsetzungsantrags nach wirksamer Kündigung durch den Versicherungsnehmer, welche in der widerspruchslosen Entgegennahme der Prämienzahlung gesehen wurde). § 151 S 1 ist auf die Annahmeerklärung des Versicherers somit nicht anwendbar (Hamburg VersR 1988, 1169); sie muss ausdr ggü dem Versicherungsnehmer erklärt werden und diesem zugehen (Prölss in Prölss/Martin VVG29 2015, § 1 Rn 50). Entspr gilt für die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung; hier muss dem Schuldner die Annahmeerklärung des Gläubigers zugehen (Karlsruhe AfP 2009, 270, 271; LG Düsseldorf 15.12.2009 – 4a O 229/08). Bietet ein Stromanbieter einem Kunden unter Hinw darauf, dass Schweigen als Zustimmung genüge, den Wechsel zu einem teureren Tarif an, so kann der Weiterbezug des Stroms nicht unter § 151 zur Annahme dieses Angebots führen (LG Leipzig 26.6.2009 – 1 HK O 2049/09; vgl auch BGH NJW-RR 2012, 690 Rn 24 für eine einseitige Preisanpassungsklausel). Kommt ein Vergleichsvertrag auf Vermittlung des Gerichts zustande, so ist der wechselseitige Zugang der Annahme der Vergleichsparteien entbehrlich (LAG Bln-Bbg 10.5.2013 – 6 Sa 19/13; krit aufgrund abw dogmatischer Herangehensweise Siemon NJW 2011, 426, 427ff [Empfangszuständigkeit des Gerichts]). 3. Der Verzicht (S 1 Fall 2) erfolgt durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (Staud/Bork Rn 10; aA Soergel/Wolf Rn 21: geschäftsähnliche Handlung), die keiner Form bedarf. Er ist auch bei einer formbedürftigen Annahmeerklärung möglich (BGH NJW-RR 1986, 1300, 1301). Der Verzicht kann konkludent erklärt werden (BGH aaO). Dies trifft zB zu, wenn sofortige Erfüllung des Vertrags verlangt wird (RG 84, 320, 323; 103, 312, 313), wenn eine im Preis stark schwankende Ware „express“ bestellt wird (RG 102, 370, 372) oder wenn der Verkäufer mit dem Angebot zugleich die Ware übersendet (RG 64, 145f; Staud/Bork Rn 11); nicht jedoch, wenn derjenige, der bei einem Agenten den Abschluss einer Versicherung beantragt, dabei sogleich die erste Prämie bezahlt (BGH NJW 1951, 313). Beim Lastschriftverfahren in der Form des Abbuchungsverfahrens liegt die Annahme des Einziehungsauftrags der Gläubigerbank darin, dass die Schuldnerbank die Lastschrift mit Wirkung ggü dem Schuldner durch Belastung des Schuldnerkontos einzieht, ohne dass die Annahme ggü der Gläubigerbank oder der letzten Zwischenbank erklärt zu werden braucht; hierauf haben die Kreditinstitute nach Abschn I Nr 6 des Lastschriftabkommens verzichtet (BGH 74, 352, 356 = NJW 1979, 2143; 79, 381, 386 = NJW 1981, 1669; Staud/Bork Rn 12). Zur Rechtslage bei fehlendem Abbuchungsauftrag s Rn 6; ergibt sich aus dem Angebot, dass der Antragende auch eine an einen anderen gerichtete Annahmeerklärung als ihm ggü abgegeben gelten lassen will, so verzichtet er auf Annahmeerklärung ggü sich selbst (RG 129, 109, 113). – In einer nach § 150 I als neuer Antrag geltenden Annahme liegt regelmäßig ein Verzicht auf Zugang der Annahmeerklärung (s § 150 Rn 1). Je bedeutsamer das Geschäft für die Beteiligten ist, desto zurückhaltender ist ein Verzicht anzunehmen. So ist bei einem hohen Hypothekendarlehen nach der Verkehrssitte erforderlich, dass die Bank sich ggü dem Darlehensnehmer erklärt. Ein Verzicht auf eine ausdr Annahmeerklärung ist hier daher nicht anzunehmen (Köln NJW 1990, 1051). Aus dem Fehlen des „Vorbehalts“ der Notwendigkeit einer Annahmeerklärung der Gegenseite in einem schriftlichen Vertragsangebot lässt sich ein Verzicht des Antragenden auf den Zugang der Annahmeerklärung nicht herleiten (BGH NJW 1999, 1328). Ein konkludenter Verzicht kann idR auch dann 450

Armbrüster

Vertrag

§ 151

nicht angenommen werden, wenn bei Abschluss eines Unterlassungsvertrags die Unterwerfungserklärung hinter dem vorangegangenen Verlangen des Antragenden zurückbleibt (Köln WRP 2010, 954 LS). 4. Betätigung des Annahmewillens. a) Der Vertrag kommt auch in den Ausnahmefällen des § 151 nur zustan- 5 de, wenn eine Annahme vorliegt. Bloßes Schweigen genügt nicht (Rn 9); auch nicht ein Annahmewille, der ein rein innerer Vorgang geblieben ist. Der auf Annahme gerichtete Wille muss vielmehr nach außen hervorgetreten sein (RG 84, 320, 323; BGH 74, 352, 356 = NJW 1979, 2143; NJW 2001, 2324; NJW 2016, 1441 Rn 38). Ob eine Betätigung des Annahmewillens vorliegt, hängt von der Wertung der Umstände des Einzelfalles ab. Da die Annahme nicht empfangsbedürftig ist, kommt es darauf an, ob ein unbeteiligter Dritter in dem nach außen erkennbaren Gesamtverhalten des Angebotsempfängers den Ausdruck seines wirklichen Annahmewillens erblickt (BGH 111, 97, 101f = NJW 1990, 1655; diese Rspr billigt BVerfG NJW 2001, 1200; LG Hamburg 6.3.2013 – 318 S 66/17; s auch Rn 9). Bei Verträgen, die lediglich rechtlich vorteilhaft sind, sind an die Betätigung des Annahmewillens geringe Anforderungen zu stellen. Es genügt, dass die Willenserklärung zugeht und deren Annahme nicht durch eine nach außen erkennbare Willensäußerung des Begünstigten abgelehnt wird (BGH NJW 2000, 276 LS; Brandenburg 14.5.2008 – 3 W 69/07; Jena NJW-RR 2008, 1678, 1679). Von einer Annahme ist daher idR auszugehen, wenn der Antragsgegner die dem Antrag entspr Leistung ganz oder auch nur teilw erbringt, zB die bestellte Ware versendet (§ 447; RG 102, 370, 372), den Kaufpreis zahlt (RG 129, 109, 113), die in einem Darlehensvertrag vorgesehenen Leistungsraten erbringt (BGH NJW-RR 2008, 1436 Rn 38) oder den Auftrag auszuführen beginnt (BGH NJW-RR 2010, 257 Rn 3 – Maklervertrag). Dasselbe gilt, wenn er über die zur Ansicht oder Probe übersandte Ware wie ein Eigentümer verfügt, indem er sie zB verschenkt oder verbraucht (zur Annahme unbestellter Waren s § 147 Rn 4). Ein Abtretungsangebot ist lediglich rechtlich vorteilhaft (BGH NJW 2000, 276 LS; Brandenburg 14.5.2008 – 3 W 69/07; Jena NJW-RR 2008, 1678, 1679). Es ist spätestens dann angenommen, wenn der Zessionar die Forderung einklagt (BGH NJW 1999, 2179, 2180). Schickt der Bürge dem Gläubiger eine schriftliche Bürgschaftserklärung zu, so reicht es als Bestätigung des Annahmewillens regelmäßig aus, wenn der Gläubiger, der zuvor eine Bürgschaft verlangt hatte, die Urkunde behalten hat, was nach der Lebensauffassung darauf schließen lässt, dass er mit der Bürgschaftserklärung einverstanden ist (BGH NJW 1997, 2233; NJW 2000, 1563; Düsseldorf 11.6.2015 – I-16 U 81/14 Rn 32). Hat der Antragende zum Zwecke der Vertragserfüllung einen Scheck mit der Bestimmung übergeben, dass er nur bei Annahme des Vertragsangebots eingelöst werden darf, und hat er gleichzeitig auf eine Annahmeerklärung verzichtet, so ist in der widerspruchslos erfolgenden Einlösung des Schecks regelmäßig die Annahme des Vertragsantrags zu sehen (BGH NJW-RR 1986, 415, 416; NJW 1990, 1656, 1657f zum wirksamen Abschluss eines Abfindungsvertrags; Köln MDR 2000, 407, 408). Doch gilt das nicht, wenn sonstige Umstände das Fehlen eines wirklichen Annahmewillens ergeben (BGH 111, 97, 101f = NJW 1990, 1655; LG Duisburg RRa 2009, 160 LS; s auch BVerfG NJW 2001, 1200). Ein wichtiges Indiz dafür, dass ein Annahmewille fehlt, ist auch ein Missverhältnis zw der Höhe der angebotenen Abfindung und derjenigen der abzugeltenden Forderung (BGH NJW 2001, 2324). Je krasser dieses Missverhältnis ist, desto ferner liegt es, das Einreichen des Schecks als Annahme des Abfindungsangebots anzusehen (BGH NJW 2001, 2324; NJW 2013, 778 Rn 39f; LG Hof NJW-RR 2011, 1551, 1552). Dies gilt umso mehr, wenn keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen, sondern es sich um die Konstellation einer sog Erlassfalle handelt (BGH NJW 2001, 2324; Koblenz NJW 2003, 758, 759; München VersR 2005, 962, 963; Schönfelder NJW 2001, 492ff). Die Vorschrift gilt auch für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags. So bedarf es für die Annahme eines Antrags auf Aufhebung einer Kfz-Versicherung keines Zugangs, wenn nach einem entspr Antrag des Versicherers unter Bezugnahme auf eine geplante Verschrottung des Kfz der Versicherungsnehmer die Prämienzahlung einstellt (LG Bremen VersR 2008, 1388, 1389). Bei einer betrieblichen Übung nimmt der AN durch widerspruchslose Leistungsentgegennahme das Vertragsangebot an (BAG BAG NZA-RR 2014, 375 Rn 59; NJW 2016, 1342 Rn 16). b) Auch bloße Vorbereitungshandlungen können bereits eine genügende Betätigung des Annahmewillens zum 6 Ausdruck bringen. Doch wird man idR bei einer Warenbestellung erst die Absendung, nicht schon die Auswahl als Annahme zu werten haben (Schleswig NJW 2004, 231f). Anders ist dies dann, wenn die Auswahl erkennbar im Hinblick auf eine bestimmte Bestellung vorgenommen wird, ohne dass es zur Versendung einer weiteren Entscheidung des Verkäufers bedarf (Staud/Bork Rn 17; zu streng LG Gießen NJW-RR 2003, 1206f – InternetBestellung: frühestens Absendung). Einer Annahme steht es nicht entgegen, dass der Antragsempfänger noch in der Lage ist, die Auslieferung an den Antragenden zu verhindern (RG 102, 370, 372; aA Staud/Bork Rn 17). Eine Annahme kann ferner in einer Erklärung ggü Dritten liegen, sofern diese nicht nur die Absicht, sondern den Annahmewillen selbst offenbart (Staud/Bork Rn 21). – Fehlt im Lastschriftverfahren ein Abbuchungsauftrag des Schuldners, so liegt in der Übersendung der Lastschrift durch die Gläubigerbank ein Antrag auf Abschluss eines besonderen Auftrags, den Lastschriftbetrag trotz des fehlenden Abbuchungsauftrags vom Schuldner einzuziehen, der von der Schuldnerbank durch eine wirksame Belastung des Schuldnerkontos angenommen wird (BGH 74, 352, 356 = NJW 1979, 2143; BGH 79, 381, 386 = NJW 1981, 1669; Staud/Bork Rn 12]). Wirksam ist die Belastung nur, wenn der Schuldner zustimmt. Zur Rechtsnatur des Widerspruchs gegen eine bereits erfolgte Abbuchung s Einsele AcP 209, 719, 743ff. 5. Vertragsschluss. Der Vertrag kommt mit der nach außen hervorgetretenen Annahmehandlung zustande. 7 Der Antragende braucht nicht in der Lage zu sein, von der Annahme Kenntnis zu erlangen (vgl RG 84, 320, 323). Ist der Vertrag nach § 151 zustande gekommen, so kann der Verkäufer ihn nicht mehr einseitig, zB durch Rückruf versendeter Ware, rückgängig machen. Die Annahme ist unwiderruflich; § 130 I 2 ist nicht – auch nicht analog – anwendbar (RG 102, 370, 372; Flume II § 35 II 3 [S 656f]; Staud/Bork Rn 22; MüKo/Busche Rn 9; Armbrüster

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§ 151

Rechtsgeschäfte

aA Brehmer JuS 1994, 386, 390f: Widerruf der Annahmeerklärung analog § 130 I 2 so lange möglich, wie beim Gegner kein Vertrauen auf die Perfektion des Vertrags erzeugt wurde). 8 6. Die Dauer der Annahmefähigkeit bestimmt sich nach dem Willen des Antragenden (S 2). Dieser kann auch im Falle des § 151 eine Annahmefrist (§ 148) setzen (RG 124, 336, 338). Fehlt es an einer solchen Fristsetzung, muss der mutmaßliche Wille des Antragenden den Umständen des Einzelfalls entnommen werden; § 147 II ist insoweit nicht anwendbar (BGH NJW 1999, 2179, 2180). Bsp: Das Angebot eines abstrakten Schuldanerkenntnisses, das während der Urlaubszeit bei einem großen Unternehmen eingeht, kann auch noch nach drei Wochen angenommen werden (BGH NJW 2000, 2984, 2985 m Anm Armbrüster EWiR § 151 BGB 1/01, 9f). Ist ein Wille des Antragenden, seine Bindung zeitlich zu begrenzen, nicht ersichtlich, bleibt er an den Antrag bis zur Ablehnung durch den Empfänger gebunden (BGH NJW 1999, 2179, 2180). Oft wird sich freilich aus den Umständen, insb aus der Interessenlage des Antragenden, eine kurze Annahmefrist ergeben (MüKo/Busche Rn 8). Bei einer Gesamtzusage, die auf eine dauerhafte Handhabung durch den Arbeitgeber angelegt ist, erlischt der Antrag erst durch eine gegenteilige Erklärung des Arbeitgebers (BAG ArbR 2010, 15). 9 7. Die Annahme nach § 151 ist eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung (MüKo/Busche Rn 3; Staud/ Bork Rn 14; Wolf/Neuner AT § 37 Rn 40; aA Flume II § 35 II 3 [S 655]: „Willensgeschäft“; s auch Schwarze AcP 202, 607, 612f). Der Streit hat praktisch keine Bedeutung, da die Anwendung der Vorschriften über Willenserklärungen – außer § 130 I (s Rn 7) – sachgerecht ist und allg M entspricht (BGH NJW-RR 1994, 280, 281; Flume II § 35 II 3 [S 655]; Wolf/Neuner AT § 37 Rn 40). Darüber hinaus sind auch die §§ 164ff auf die Annahme nach § 151 anwendbar (BGH NJW-RR 1986, 415, 416). Allerdings ist ein wirklicher Annahmewille erforderlich; auf die objektive Erklärungsbedeutung kommt es grds nicht an, da der Vertrauensschutz keine Rolle spielt (BGH 111, 97, 101 = NJW 1990, 1655; NJW 2000, 276, 277; s auch Rn 5). Keine Annahme liegt daher vor, wenn der Handelnde von einem bereits geschlossenen Vertrag ausgeht (BGH NJW 2016, 1441 Rn 38) oder wenn ihm das Bewusstsein fehlt, ein anderer könne sein Verhalten als Äußerung eines bestimmten Geschäftswillens deuten. Verbraucht zB ein Kaufmann zugesandte Waren, die er nicht bestellt hat, weil er irrtümlich glaubt, es seien seine eigenen, so fehlt es ihm am Betätigungsbewusstsein. In diesem Fall kann auch ohne förmliche Anfechtung der Anschein einer Annahme durch Richtigstellung beseitigt werden (Flume II § 35 II 3 [S 656]; MüKo/Busche Rn 10; s Rn 7). Doch muss der Empfänger, wenn objektiv eine Annahmehandlung vorliegt, das Fehlen des Betätigungsbewusstseins nachweisen (BGH NJW-RR 1986, 415; Wolf/Neuner § 37 Rn 40; Soergel/Wolf Rn 28). Wusste der Empfänger jedoch, dass sein Verhalten nach außen den Annahmewillen zum Ausdruck bringt, so kann er sich entspr § 116 nicht auf das Fehlen des Annahmewillens berufen, wenn er in Wahrheit nicht annehmen wollte (Wolf/Neuner § 37 Rn 41; Pal/Ellenberger Rn 2b). Hat sich der Empfänger bei der Betätigung seines Annahmewillens geirrt, wurde er arglistig getäuscht oder widerrechtlich bedroht, so ist die Annahme nach §§ 119, 123 anfechtbar (Wolf/Neuner § 37 Rn 41; Staud/Bork Rn 23; MüKo/Busche Rn 10; offenlassend BGH NJW-RR 1986, 415, 416). War dem Antragenden die Annahme zur Kenntnis gelangt, so kann ihm analog § 122 ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens zustehen (Staud/Bork Rn 23).

§ 152

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Annahme bei notarieller Beurkundung

Wird ein Vertrag notariell beurkundet, ohne dass beide Teile gleichzeitig anwesend sind, so kommt der Vertrag mit der nach § 128 erfolgten Beurkundung der Annahme zustande, wenn nicht ein anderes bestimmt ist. Die Vorschrift des § 151 Satz 2 findet Anwendung. 1. § 152 sieht eine Ausnahme vom Zugangserfordernis der Annahmeerklärung vor, wenn ein Vertrag notariell beurkundet wird und beide Parteien bei Beurkundung der Annahme nicht gleichzeitig anwesend sind (zum Umfang der Belehrungspflichten des Notars in solchen Fällen s BGH NJW 2012, 619 Rn 13ff; Armbrüster in Armbrüster/Preuss/Renner BeurkG § 17 Rn 185ff). Gleichgültig ist es, ob die Beurkundung durch Gesetz oder Rechtsgeschäft vorgeschrieben ist (MüKo/Busche Rn 2; Staud/Bork Rn 2). Der Grund für den Verzicht auf das Zugangserfordernis liegt darin, dass das beurkundete Angebot alle Regelungen enthält und die Annahme sich auf die Einverständniserklärung reduziert; § 152 dient damit zugleich der Beschleunigung und Vereinfachung (Karlsruhe NJW 1988, 2050). Ist für ein Rechtsgeschäft gleichzeitige Anwesenheit beider Partner vorgeschrieben (zB §§ 925, 1410), so ist die in § 152 vorausgesetzte getrennte Beurkundung von Antrag und Annahme ausgeschlossen. Die Bindung des Antragenden an sein notariell beurkundetes Angebot dauert nicht endlos. Sie richtet sich nach dem aus dem Antrag oder den Umständen zu entnehmenden Willen des Antragenden (S 2 iVm § 151 S 2; s § 151 Rn 8). Eine verspätete Annahme gilt nach § 150 I als neuer Antrag. 2. § 152 ist nicht zwingend (Karlsruhe NJW 1988, 2050). Der Antragende kann bestimmen, dass die Annahmeerklärung ihm auch zugehen muss, so dass der Vertrag erst mit dem Zugang zustande kommt. Die Bestimmung kann konkludent erfolgen (RG 76, 364, 366). Hat der Antragende eine Frist für die Annahme gesetzt, so kann dies bei Hinzutreten weiterer Umstände besagen, dass die Annahme dem Antragenden innerhalb der Frist zugehen oder er von ihr zuverlässig Kenntnis haben muss (RG 96, 273, 275). Eine Mitteilung durch Dritte kann genügen. Die Fristsetzung allein rechtfertigt das Zugangserfordernis noch nicht (MüKo/Busche Rn 4; Soergel/ Wolf Rn 6; Staud/Bork Rn 7; aA RG 76, 364, 366; 96, 273, 275; Pal/Ellenberger Rn 2); dafür bedarf es eines deutlichen Hinw (Flume II § 35 II 1 [S 650]). Nicht zu folgen ist dem RG (76, 273, 275) daher darin, dass derjenige beweispflichtig sein soll, der behauptet, dass trotz Fristsetzung Kenntnis von der Annahme nicht nötig sei. Oft 452

Armbrüster

Vertrag

§ 153

wird eine abw Vorgabe des Antragenden nur bedeuten, dass die Benachrichtigung eine zusätzliche Verpflichtung des Annehmenden darstellt, der Vertrag jedoch schon mit der Beurkundung wirksam geworden ist (s BGH NJW-RR 1989, 198, 199). Bleibt die Benachrichtigung aus, so ist der Antragende gem § 242 zur Rückfrage verpflichtet (RG 96, 273, 277). 3. Entspr Anwendung. § 152 gilt analog auch bei gem § 61 BeurkG landesrechtlich zulässigen Beurkundungen 4 durch andere Behörden (RG 68, 393; MüKo/Busche Rn 2). Ein mit Wissen des Verkäufers von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht geschlossener notarieller Vertrag wird, wenn nichts anderes vereinbart ist, mit der notariellen Beurkundung der Genehmigung des Vertretenen wirksam, ohne dass diese Erklärung des Zugangs bedarf (Karlsruhe NJW 1988, 2050; MüKo/Busche Rn 2; aA Tiedtke BB 1989, 924, 926ff). Nicht – auch nicht analog – anwendbar ist die Norm hingegen, wenn privatschriftliche Form vorgesehen ist (RG 93, 175, 176; Celle 7.1.2010 – 6 U 92/09; Naumburg 27.9.2011 – 4 U 75/11; Staud/Bork Rn 2).

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Tod oder Geschäftsunfähigkeit des Antragenden

Das Zustandekommen des Vertrags wird nicht dadurch gehindert, dass der Antragende vor der Annahme stirbt oder geschäftsunfähig wird, es sei denn, dass ein anderer Wille des Antragenden anzunehmen ist. 1. Stirbt der Antragende oder wird er geschäftsunfähig, nachdem er den Antrag abgegeben hat, jedoch bevor dieser dem anderen zugegangen ist, so kann der Antrag, wie aus § 130 II folgt, trotzdem durch Zugang noch wirksam werden (§ 130 Rn 24). § 153 knüpft daran an und bestimmt, dass trotz des Todes oder der Geschäftsunfähigkeit im Zweifel der Antrag noch angenommen werden und somit der Vertrag zustande kommen kann. Die Vorschrift regelt folglich die Annahmefähigkeit des Angebots. Dabei ist es gleichgültig, ob Tod oder Geschäftsunfähigkeit vor oder nach Zugang des Antrags eingetreten ist (Staud/Bork Rn 2). Beim Tod des Antragenden muss eine empfangsbedürftige Annahmeerklärung, mag sie auch noch an den Erblasser gerichtet sein, dem Erben zugehen (Soergel/Wolf Rn 2). Die Annahmefrist verlängert sich dann um die Zeit, die zur Ermittlung des Erben nötig ist. Eine vom Erblasser gesetzte Annahmefrist verlängert sich dagegen nicht, da in den Fällen des § 148 anders als bei § 147 II kein Wertungsspielraum besteht (aA offenbar Hk/Dörner Rn 5). Bei einer geringfügigen Fristüberschreitung kann der Erbe jedoch nach § 242 daran gehindert sein, sich auf die Verspätung zu berufen, wenn sie erkennbar durch Schwierigkeiten bei der Erbenermittlung hervorgerufen wurde. Wird einem Dritten durch Anlegung eines Sparbuchs auf seinen Namen eine Zuwendung auf den Todesfall gemacht (§ 331), so kann der Begünstigte das ihm von der Sparkasse übermittelte Schenkungsangebot des Sparers noch nach dessen Tode auch ohne ausdr Willenserklärung annehmen (§§ 130 II, 153, 151), wodurch im Valutaverhältnis ein wirksamer Schenkungsvertrag zustande kommt (BGH 46, 198, 203f = NJW 1967, 101; NJW 1975, 382, 383; WM 1976, 1130, 1131; MüKo/Busche Rn 5; aA Medicus/Petersen BüR Rn 392ff). Bleibt ein Antrag nach dem Tode des Antragenden wirksam, so folgt daraus, dass auch die Annahme wirksam bleibt, wenn der Antragende vor Zugang der Annahme stirbt (Hamm NJW-RR 1987, 342, 343). 2. § 153 enthält eine Auslegungsregel (Wolf/Neuner AT § 37 Rn 23f; Staud/Bork Rn 5; aA Flume II § 35 I 4 [S 646]; MüKo/Busche Rn 4: objektiver Rechtssatz). Der Vertrag kommt ausnahmsweise nicht zustande, wenn ein anderer Wille des Antragenden anzunehmen ist. Dieser Wille muss irgendwie zum Ausdruck gekommen sein. Lässt sich der wirkliche Wille des Antragenden nicht feststellen, so kommt es darauf an, welchen Willen er mutmaßlich nach den Umständen, der Art und dem Inhalt des Geschäfts gehabt hätte, wenn ihm das eintretende Ereignis bekannt gewesen wäre (Wolf/Neuner § 37 Rn 23f). Ist nach dem Inhalt des Antrags oder den Umständen anzunehmen, dass der Antragende für den Fall des Todes oder der Geschäftsunfähigkeit einen anderen Willen gehabt hat, so erlischt der Antrag. Das wird zB zutreffen, wenn der Antragende Gegenstände kaufen wollte, die nur seinem persönlichen Gebrauch dienen sollten, oder wenn der zu schließende Vertrag selbst durch Tod oder Geschäftsunfähigkeit des Antragenden hinfällig geworden wäre (§§ 613, 672, 673, 675, 727). Auf den Willen des Antragsempfängers kommt es nicht an; dieser braucht auch nicht den „anderen Willen“ des Antragenden gekannt zu haben (RG SeuffA 81, 20). Demgegenüber sieht Flume (II § 35 I 4, 646) in § 153 keine Auslegungsregel, sondern einen die Bindungswirkung der Offerte ergänzenden und durch sie bestimmten Rechtssatz. Der Antrag gelte nur dann nicht fort, wenn aus seinem Sinn für den Empfänger erkennbar werde, dass der Vertrag nur mit dem Antragenden persönlich zustande kommen solle (dem folgend Medicus AT Rn 377; MüKo/ Busche Rn 4; ähnlich Soergel/Wolf Rn 9). Einzelfälle. Bei einer Lebensversicherung hindert der Tod des Versicherungsnehmers vor Zugang der Annahmeerklärung nicht das Zustandekommen des Versicherungsvertrags; auch die Tatsache, dass der Todesfall vor Vertragsschluss eingetreten ist, steht einem vertraglichen Anspruch auf die Versicherungssumme nicht stets entgegen (BGH VersR 1990, 729, 730; Köln VersR 1997, 51, 52; Armbrüster in Prölss/Martin VVG29, 2015, § 2 Rn 14). Bei einem Pflichtteilsverzichtsvertrag kommt nach dem Tode des Erblassers eine Anwendung von § 153 nicht mehr in Betracht, da nunmehr der konkrete Pflichtteilsanspruch erlassen werden müsste (BGH 134, 60, 63ff = NJW 1997, 521). Bei einem auf Übertragung einer Gesellschaftsbeteiligung gerichteten Antrag sind die Erben des Veräußerers idR dann gebunden, wenn ihnen die Erfüllung gesellschaftsrechtlich möglich ist (näher Mülsch/Penzel ZIP 2004, 1987, 1993). 3. Hat der Antragsempfänger in Unkenntnis, dass es sich nur um zum persönlichen Gebrauch bestimmte Leistungen handelte, bereits mit der Ausführung des Auftrags begonnen, bevor er von dem vor der Annahme eingetretenen Tod des Auftraggebers erfährt, so steht ihm grds ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens Armbrüster

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analog § 122 zu (Clasen NJW 1952, 14; Enn/Nipperdey § 161 III 2 [S 992f]). Konnte der Antragsempfänger nämlich den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen nicht erkennen, verdient er denselben Schutz wie der Gegner eines wegen Irrtums Anfechtenden. Flume, der nur auf den objektiv erkennbaren, nicht aber auf den im Einzelfall dem Angebotsempfänger uU gerade nicht erkennbaren (s Staud/Bork Rn 5) mutmaßlichen „anderen Willen des Antragenden“ abstellt (II § 35 I 4 [S 647]), lehnt folgerichtig diese Analogie ab. Der Tod des Antragenden sei ein Risiko, das der Antragsgegner tragen müsse, wenn sich aus dem Inhalt des Antrags ergab, dass der Vertrag nur mit dem Antragenden persönlich zustande kommen sollte (ebenso MüKo/Busche Rn 4; BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 10; ähnlich Soergel/Wolf Rn 13). Allg bejaht wird eine Haftung indessen, wenn die Erben selbst ein Verschulden trifft, sie zB den Annehmenden nicht rechtzeitig benachrichtigt haben (Staud/Bork Rn 8). Handelte der Antragende schuldhaft, zB weil er mit seinem Tod rechnen musste, so haften die Erben gem §§ 311 II, 241 II, 280 I (cic). 4. Entsprechende Anwendung. § 153 gilt entspr bei Eintritt beschränkter Geschäftsfähigkeit (Soergel/Wolf Rn 3; MüKo/Busche Rn 2; aA Jauernig/Mansel Rn 2; Staud/Bork Rn 14). Die Annahme muss jedoch, soweit nicht ein Fall des § 151 vorliegt, dem gesetzlichen Vertreter erklärt werden. Entspr anwendbar ist § 153 auch auf den Eintritt einer Verfügungsbeschränkung durch Testamentsvollstreckung und Nachlassverwaltung sowie durch die §§ 1365, 1369 (Soergel/Wolf Rn 5; Staud/Bork Rn 17) oder § 1424 (RG 111, 185, 190) und im Falle der Verschmelzung (Mutter/Stehle GmbHR 2003, 290 [unmittelbare Anwendung]). Wird über das Vermögen des Antragenden vor der Annahme das Insolvenzverfahren eröffnet, so ist ebenfalls noch Annahme möglich, freilich ohne dass § 153 entspr herangezogen werden muss (BGH NJW 2002, 213, 214, Staud/Bork Rn 15); der Vertrag kommt mit dem Gemeinschuldner zustande. Dies gilt auch für dingliche Verträge; sie sind jedoch nach §§ 81, 91 InsO ggü den Gläubigern unwirksam, wenn über einen Massegegenstand verfügt worden ist. 5. Auch wenn der Antrag nach § 153 fortgilt, kommt kein Vertrag zustande, wenn sich aus dem Inhalt der Annahme ergibt, dass der Antragsgegner nur mit dem Antragenden persönlich abschließen wollte, zB bei einer Kreditgewährung (MüKo/Busche Rn 3). 6. Die Wirkungen des Todes und der Geschäftsunfähigkeit des Antragsgegners regelt das Gesetz nicht. a) Stirbt der Antragsgegner vor Zugang des Antrags, so kann dieser grds nicht mehr wirksam werden. Zwar kann die Auslegung dazu führen, dass der Antrag bei Tod des Antragsgegners an die Erben gerichtet sein soll; doch ist dies idR nicht anzunehmen (vgl MüKo/Busche Rn 7). – b) Stirbt der Antragsgegner nach Zugang, jedoch vor Annahme des Antrags, so können die Erben wirksam annehmen, wenn die Rechtsmacht des Erblassers, durch Annahme den Vertrag zur Entstehung zu bringen (§ 145 Rn 19), auf sie übergegangen ist. Eine Vermutung hierfür besteht nicht (MüKo/Busche Rn 7; Staud/Bork Rn 11). Durch Auslegung des Antrags ist zu ermitteln, ob der Antragende den Vertrag nur mit dem Erblasser oder auch mit den Erben schließen wollte. Hatte der Erblasser die Annahmeerklärung bereits abgegeben, so kommt der Vertrag nach § 130 II in jedem Fall zustande. – c) Bei Eintritt der Geschäftsunfähigkeit muss der Antrag, um wirksam zu werden, dem gesetzlichen Vertreter (§ 131) zugehen; nur dieser kann den Antrag annehmen. Gleiches gilt bei Eintritt beschränkter Geschäftsfähigkeit, wenn das Geschäft dem Antragenden nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist.

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Offener Einigungsmangel; fehlende Beurkundung

(1) Solange nicht die Parteien sich über alle Punkte eines Vertrags geeinigt haben, über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden soll, ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen. Die Verständigung über einzelne Punkte ist auch dann nicht bindend, wenn eine Aufzeichnung stattgefunden hat. (2) Ist eine Beurkundung des beabsichtigten Vertrags verabredet worden, so ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen, bis die Beurkundung erfolgt ist. Schrifttum: Diederichsen, Der Auslegungsdissens, FS H. Hübner, 1984, 421; Diederichsen, Der logische Dissens, FS Jur Gesellschaft zu Berlin, 1984, 81; Leenen, Abschluss, Zustandekommen und Wirksamkeit des Vertrages, AcP 188 (1988), 381; van Venrooy, Vereinbarte „Beurkundung“ im Sinne von § 154 Abs 2 BGB, DStR 2012, 565.

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I. Überblick. Die §§ 154, 155 sind Auslegungsregeln (vgl BGH NJW 1997, 2671; NJW 2006, 2843 Rn 10; NJWRR 2014, 1423 Rn 31), die eingreifen, wenn sich die Parteien nicht über alle Punkte eines Vertrags geeinigt haben. Abw hiervon meint Leenen (AcP 188, 381, 401ff), dass § 154 I lediglich den Grundsatz der negativen Vertragsfreiheit bei der gemeinsamen Zustimmung zu einem vorliegenden Vertragstext sichere; diesen durchbreche § 155 zum Schutze des Verkehrs. Die §§ 154, 155 sollen nach Leenen (AcP 188, 381, 405) hingegen nicht auf den Vertragsschluss im Wege der Antrag-Annahme-Technik nach §§ 145–153 anwendbar sein. Damit würde indessen der Anwendungsbereich der §§ 154, 155 unnötig eingeengt. – § 154 bezieht sich auf den offenen Dissens, bei dem die Parteien sich bewusst nicht über alle Punkte geeinigt haben, über die nach der Erklärung zumindest einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden sollte. Demgegenüber betrifft § 155 den versteckten Dissens, bei dem die Parteien irrtümlich meinen, sich über alle Punkte geeinigt zu haben. Für den offenen Dissens bestimmt § 154, dass der Vertrag im Zweifel nicht geschlossen ist (nicht: dass ein Vertrag zwar zustande gekommen, aber nichtig ist). Diese Rechtsfolge greift demnach nur ein, wenn sich aus den Erklärungen der Vertragschließenden nicht ein anderes ergibt. Maßgeblich ist mithin der Parteiwille (Bork AT Rn 769).

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II. Offener Dissens (Abs I) 1. Erfasste Vertragspunkte. Haben sich die Parteien über einen Punkt des Vertrags nicht geeinigt, der zu den essentialia negotii, also zu den objektiven Wesenselementen des Vertrags (s Vor § 145 Rn 4) gehört, so ist von vornherein kein Vertrag zustande gekommen (BGH NJW 1997, 2671; NJW 2006, 2843 Rn 13). Das folgt bereits aus dem Vertragsbegriff (Leenen AcP 188, 381, 411); es liegt ein „logischer Dissens“ vor (Diederichsen, FS Jur Gesellschaft zu Berlin, 81ff). § 154 I 1 ist in diesem Fall nicht anwendbar, da der von dieser Vorschrift vorausgesetzte Auslegungsspielraum von vornherein fehlt (Staud/Bork Rn 3; i Erg wohl auch BGH NJW 1997, 2671; MüKo/Busche Rn 3). Ein Vertrag ist freilich zustande gekommen, wenn die essentialia bestimmbar sind. Die Parteien können sich daher insb vertraglich binden, ohne eine abschließende Einigung über die genaue Höhe des Preises erzielt zu haben (BGH NJW 1981, 2756, 2757; BGH 119, 283, 288 = NJW 1993, 64; Stuttgart 5.5.2010 – 3 U 79/09). In solchen Fällen kann die Festlegung des Preises gem §§ 315ff einer Partei überlassen worden sein (vgl Stuttgart NJW-RR 2011, 202, 204; Staud/Bork Rn 8). Ist dies nicht der Fall und lässt sich die Höhe des Preises weder durch Auslegung noch durch Heranziehung der allg gesetzlichen Regeln (insb §§ 612 II, 632 II, 653 II) ermitteln, so fehlt es an der erforderlichen Bestimmbarkeit. Ein Vertrag ist dann von vornherein nicht zustande gekommen, ohne dass auf § 154 I zurückzugreifen ist. § 154 I betrifft mithin nur die accidentalia negotii. Haben die Parteien sich nur scheinbar über die bestimmte Höhe eines Werklohns geeinigt, so liegt ein „logischer Dissens“ vor. Eines Rückgriffs auf §§ 154, 155 bedarf es dann nicht. Ein solcher Dissens kann nicht durch § 632 II behoben werden, da dieser voraussetzt, dass eine Vergütungsabrede fehlt (i Erg zutr Bremen NJW-RR 2009, 668, 669; Staud/Peters/Jacoby § 632 Rn 46; aA MüKo/Busche § 632 Rn 19). Der Vertrag ist zB im Zweifel dann nicht geschlossen, wenn die Parteien sich nur darüber geeinigt haben, dass der Kaufpreis durch Verrechnung erbracht werden soll, aber nicht darüber, welche der in Betracht kommenden bestr Gegenforderungen zur Tilgung verwandt werden (BGH NJW-RR 1999, 927). Dabei unterscheidet das Gesetz nicht nach der objektiven Wesentlichkeit des offen gebliebenen Punktes. Vielmehr genügt es, dass über diesen Punkt nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden sollte (BGH NJW 1998, 3196 – Anzahlung; NJW 2013, 598 Rn 31 – noch nicht benannter Fluggast). Die Auslegungsregel des § 154 I greift auch ein, wenn – sei es auch nur nach dem erkennbaren Willen einer Partei – ein aus mehreren Vertragsteilen bestehender einheitlicher Gesamtvertrag geschlossen werden sollte (vgl BGH WM 1966, 16; BAG NZA-RR 2015, 9 Rn 53f): Hier genügt es zum Vertragsschluss nicht, dass sich die Parteien lediglich über einen Vertragsteil geeinigt haben. Es steht ihnen allerdings frei, zunächst über einzelne Punkte eine bindende Einigung zu treffen (BGH NJW 1951, 397; NJW 1960, 430 – Gesellschaftsvertrag; NJW 2002, 817, 818 – Maklervertrag; Karlsruhe 28.2.2012 – 17 U 72/11 – Schiedsgerichtsvereinbarung). Verhandeln die Parteien über Änderungen eines bestehenden Vertrags, so kann aus der fehlenden Einigung in einem Punkt nicht ohne weiteres auf die Unverbindlichkeit der Einigung in einem anderen Punkt geschlossen werden, es sei denn, dass auch nur ein Vertragspartner erkennbar die Zusammengehörigkeit mehrerer Vertragspunkte gewollt hat (BGH WM 1966, 16 – Gesellschaftsvertrag; MüKo/Busche Rn 8). 2. Einigungswille. Allein der innere Wille einer Partei, sich noch über einen Punkt zu einigen, genügt für einen Dissens nicht (vgl § 116 S 1). Dieser Wille muss vielmehr ausdr oder durch schlüssiges Verhalten ggü der anderen Partei erklärt sein (BGH NJW-RR 1990, 1009, 1011). Nur dann liegt ein offener Einigungsmangel vor. War den Parteien der Einigungsmangel bewusst, steht die Tatsache, dass sie einen offenen Dissens nicht als solchen erkannt haben, der Anwendung des § 154 I nicht entgegen (BGH NJW-RR 1999, 927). Praktisch ist dies insb dann bedeutsam, wenn die Parteien einen Punkt bewusst ungeregelt gelassen haben, weil sie diesen aufgrund eines Rechtsirrtums für nicht regelungsbedürftig hielten. 3. Beweislast. Wer behauptet, ein Vertrag sei zustande gekommen, muss die Einigung nicht nur über die essentialia negotii, sondern auch über die subjektiv wesentlichen Nebenpunkte (accidentalia negotii) nachweisen (Gsell AcP 203, 119, 134f; MüKo/Busche Rn 10). Es besteht keine Vermutung, dass mit der Einigung über die essentialia negotii der Vertrag wirksam geworden ist (Oldenburg DB 1996, 2534; MüKo/Busche Rn 10). Steht die Einigung über die essentialia allerdings fest, so hat die Gegenseite darzulegen und zu beweisen, dass über weitere Punkte eine Einigung iSd § 154 I 1 erzielt werden sollte (BGH NJW-RR 1990, 1009, 1011; Staud/Bork Rn 16). Erst dann obliegt es dem anderen Vertragsteil, den Gegenbeweis zu erbringen, dass eine Einigung über diese Punkte tatsächlich erreicht wurde (Staud/Bork Rn 16; vgl BGH NJW-RR 1990, 1009, 1011). 4. Punktation (Abs I S 2). Auch eine Aufzeichnung einzelner Punkte vor einer Einigung über den ganzen Vertrag (Punktation) enthält nach § 154 I 2 im Zweifel noch keine Einigung (Brandenburg ZMR 2010, 23; Schleswig 27.2.2015 – 17 U 91/14 Rn 45). Das gilt auch dann, wenn für die offengelassenen Punkte eine gesetzliche Regelung besteht. Soll ein Mietvertrag für längere Zeit als ein Jahr befristet werden – was rechtlich nur unter Wahrung der Schriftform möglich ist (§ 550) – spricht eine tatsächliche Vermutung gegen eine Bindung vor Unterzeichnung einer Vertragsurkunde (Brandenburg ZMR 2010, 23). Als Anhaltspunkte für die Einordnung als Punktation können dienen: die Überschrift „Gesprächsnotiz“, die Bezeichnung als „kurzfristige Fixierung“, der Hinw, dass eine „Paketlösung“ angestrebt sei, die spätere Korrespondenz der Parteien durch Bezugnahme auf „Entwürfe“, „beigefügte Punkte“ (Stuttgart 17.9.2008 – 14 U 10/08). Für eine Punktation spricht auch die englischsprachige Bezeichnung einer Abrede als „Draft“ (LG Mannheim 7.4.2009 – 2 O 1/07). Vgl auch zum Begriff „Deal-Memo“ Schleswig 27.2.2015 – 17 U 91/14 Rn 45. 5. Die Auslegungsregel des § 154 I gilt nur „im Zweifel“. Sie ist nicht anzuwenden, wenn sich die Parteien erkennbar vertraglich binden wollten, obwohl noch wesentliche Punkte offen waren. Ein solcher Bindungswille kann sich konkludent aus den Umständen ergeben (BGH NJW 1983, 1727, 1728; vgl Frankfurt 10.9.2014 – 14 U Armbrüster

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103/12 Rn 163). Deutliche Anzeichen hierfür sind die notarielle Beurkundung (BGH NJW 2006, 2843 Rn 10; Ritzinger NJW 1990, 1201, 1202) sowie die begonnene Vertragsdurchführung (BGH 119, 283, 288 = NJW 1993, 64, 65; NJW 2002, 817, 818; NZM 2005, 704, 705; Düsseldorf 7.6.2011 – 24 U 149/10; LG Nürnberg NJW-RR 2013, 985, 986), daneben deren Fortsetzung trotz erfolgter Änderungskündigung (BGH NJW 2000, 356). Es entspricht der Lebenserfahrung, dass die Parteien grds nicht in einem vertragslosen Zustand handeln wollen, in dem ihre Leistungen nach den für Dauerbeziehungen nicht passenden §§ 812ff zu beurteilen wären (BGH 41, 271, 275 = NJW 1964, 1617, 1618; NJW 1983, 1727, 1728). Durch den bewussten Vollzug des lückenhaften Vertrags bekunden die Vertragspartner deshalb die „grds Geltung“ des Vertrags (vgl auch Lindacher JZ 1977, 604, 605: Selbstinterpretation durch späteres Verhalten). So ist zB, wenn sich die Parteien bei Abschluss eines Gesellschaftsvertrags bewusst noch nicht über die Bewertung der einzubringenden Gegenstände geeinigt, sie die Gesellschaft aber gleichwohl einvernehmlich in Vollzug gesetzt haben, die Gesellschaft nicht fehlerhaft, sondern rechtlich voll wirksam (BGH NJW 1960, 430; s auch Vor § 145 Rn 41). Entspr gilt für Arbeitsverhältnisse (BAG AP Nr 1). Auch kann aus einem bestehenden Handelsbrauch auf eine Vertragsbindung geschlossen werden (vgl Frankfurt NJW 1977, 1015, 1016; MüKo/Busche Rn 6). Ferner spricht die Existenz eines Kontrahierungszwangs (s Vor § 145 Rn 27ff) für einen solchen Bindungswillen (BGH 41, 271, 275 = NJW 1964, 1617, 1618; Soergel/Wolf Rn 7; Staud/Bork Rn 7). Als weiteres Indiz kommt die Vereinbarung einer salvatorischen Klausel in Betracht (BGH NZM 2005, 704, 705). Bei Abschluss eines Vorvertrags kann bereits dieser hins einzelner Punkte eine Einigung der Parteien enthalten (BGH NJW 2006, 2843 Rn 10). Die Annahme eines Vorvertrags ist allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn besondere Umstände darauf schließen lassen, dass sich die Parteien ausnahmsweise bereits vor der abschließenden Einigung über alle regelungsbedürftigen Punkte vertraglich binden wollten (Karlsruhe ZMR 2010, 680). 6. Lückenfüllung. Ist eine Bindung grds gewollt, so sind die Lücken im Wege erg Vertragsauslegung (§§ 133, 157; vgl BGH NJW 1975, 1116, 1117– Vertragsdauer; NJW 1997, 2171, 2172 – Miethöhe; NJW-RR 2000, 1560, 1561f – Speditionsentgelt; NJW 2009, 2443 Rn 44 – Fristenregelung) oder nach den allg gesetzlichen Bestimmungen auszufüllen (BGH NJW-RR 1992, 517f; Staud/Bork Rn 9), zB nach §§ 612 II, 632 II, 653 II (BGH NJW 1997, 2671, 2672; NJW 2002, 817, 818) oder analog § 315 (vgl BGH 41, 271, 275 = NJW 1964, 1617, 1618) oder § 316 (Düsseldorf MittBayNot 2002, 44 – Festlegung der Grundstücksfläche). Dabei kann die Art und Weise der tatsächlichen Vertragsdurchführung ein Indiz für den Parteiwillen bei Vertragsschluss bieten (BGH 119, 283, 288 = NJW 1993, 64). Die Parteien können eine Einigung über die offen gebliebenen Vertragsinhalte auch späterer einvernehmlicher Regelung vorbehalten (vgl RG 124, 81, 84: Grenze dort, wo der nähere Vertragsinhalt der freien Entschließung der Parteien überlassen bleiben soll; Stuttgart NJW-RR 2011, 202, 203; Soergel/Wolf Rn 7; Staud/Bork Rn 9). Nur in Ausnahmefällen wird eine Lückenfüllung schlechterdings unmöglich sein, zB bei der Vereinbarung eines betragsmäßig nicht festgelegten „Freundschaftspreises“ (BGH NJW-RR 2000, 1658). 7. Treuwidrigkeit. Ist die Partei, die ihre Verpflichtung erfüllt hat, gewillt, die offengebliebene Vertragslücke iSd bisherigen Vorschläge ihres Vertragsgegners zu schließen, so kann die Berufung auf einen offenen Einigungsmangel als venire contra factum proprium nach Treu und Glauben (§ 242) ausgeschlossen sein (BGH LM § 154 Nr 2; Flume II § 34, 6e [S 629]; Staud/Bork Rn 10). Dasselbe gilt für die Berufung auf § 154 II (dazu sogleich) (BGH NJW-RR 1987, 1073, 1074; van Venrooy DStR 2012, 565, 568). III. Beurkundungsabrede (Abs II). 1. Voraussetzungen. Haben die Parteien vor oder bei Vertragsschluss dessen Beurkundung verabredet, so ist nach der Auslegungsregel des § 154 II im Zweifel anzunehmen, dass trotz der Willenseinigung der Vertrag erst zustande kommt, wenn die Beurkundung erfolgt. § 154 II ist damit vorrangig ggü § 125 S 2, der nicht das Zustandekommen des Vertrags, sondern allein dessen Formwirksamkeit betrifft. Erst wenn eine Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, greift die Vermutung des § 154 II ein (AG Siegburg BtPrax 2008, 229, 230. Der Ausdruck „Beurkundung“ ist nach dem Zweck von § 154 II weit auszulegen (vgl Flume II § 34, 6g [S 633]); darunter fallen neben Schriftform (BGH RIW 2010, 65, 66; Celle NJW-RR 2000, 485, 486; Düsseldorf 7.8.2013 – VII-Verg 14/13) und notarieller Beurkundung insb auch elektronische Form iSd § 126a und Textform iSd § 126b. Die Verabredung einer Beurkundung kann auch stillschw (Celle MDR 1960, 398) oder konkludent (Brandenburg 11.11.2014 – 6 U 108/13 Rn 35f; Koblenz VersR 1995, 662) erfolgen. Eine solche stillschw Abrede wird bei längerfristigen, bedeutsamen und komplexen Geschäften idR zu vermuten sein (BGH NJW-RR 1993, 235, 236; Brandenburg 21.11.2007 – 4 U 169/06; Flume II § 34, 6g [633]; MüKo/Busche Rn 12). Das Beurkundungserfordernis kann sich auch aus einer Verkehrssitte ergeben (vgl RG 103, 73, 75; zur vereinbarten konstitutiven Wirkung eines Bestätigungsschreibens s § 147 Rn 5; vgl auch Kuchinke JZ 1965, 167ff). Zur Erfüllung des Erfordernisses kann eine Sukzessivbeurkundung ausreichend sein (Staud/Bork Rn 12). Soll die Beurkundung aber nach dem Willen der Parteien keinen rechtserzeugenden Charakter haben, sondern nur der Beweiserleichterung dienen, gilt § 154 II nicht (BGH NJW 1964, 1269, 1270; NJW 2009, 433 Rn 27; Jena NZBau 2004, 55, 57; Düsseldorf 7.8.2013 – VII-Verg 14/13; Brandenburg 11.6.2014 – 4 U 59/13; Stuttgart 14.2.2017 – 10 U 107/16, Rn 55). Hierfür sind freilich, auch im kaufmännischen Verkehr, konkrete Anhaltspunkte erforderlich (BGH NJW-RR 1991, 1053, 1054; Hamm NJW-RR 1995, 274, 275; LAG Köln 1.3.2011 – 12 Sa 1298/10). Für wichtige und langfristige Verträge, wie zB Abreden über die Bestellung einer Sicherungsgrundschuld, ist keine bloße Beweiserleichterung, sondern eine echte Beurkundungsvereinbarung zu vermuten (BGH 109, 197, 200 = NJW 1990, 576; NJW-RR 1993, 235, 236). Eine Vermutung besteht zB auch für den Fall, dass eine Gemeinde einen wirtschaftlich bedeutsamen Vertrag mit einer Kapitalgesellschaft schließt (Düsseldorf OLGRp 2009, 67, 68). Andererseits zwingt selbst ein Handelsbrauch, der die Bestätigungen als für den Vertrag konstitutiv ansieht, nicht zur Annahme einer Beurkundungsvereinbarung (BGH NJW 1964, 1269, 1270). Nach Vertragsschluss getroffene Be456

Armbrüster

Vertrag

§ 155

urkundungsvereinbarungen dienen idR nur der Beweiserleichterung (BGH NJW 1994, 2025, 2026). § 154 II ist hier nicht anzuwenden (MüKo/Busche Rn 12). Es kann allerdings sein, dass durch die nachträgliche Vereinbarung der ursprüngliche Vertrag aufgehoben und durch einen neuen, beurkundungsbedürftigen Vertrag ersetzt werden soll (MüKo/Busche Rn 12; Staud/Bork Rn 14). Die Parteien können ein vereinbartes Formerfordernis im Nachhinein ausdr oder konkludent aufheben (BGH NJW 1983, 1727, 1728; NJW 2009, 433 Rn 30; KG NZM 2005, 537 – konkludente Aufhebung durch einvernehmlichen Vertragsvollzug; Düsseldorf BauR 2009, 1465, 1468; Staud/ Bork Rn 14). Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte kann dem nachträglichen Verhalten der Vertragsparteien entnommen werden, dass sie unter der als konstitutiv vereinbarten Schriftform nur diejenige Form verstanden, die sie anschließend verwirklicht haben (BGH NJW 2000, 354, 356; NZM 2000, 548). – § 154 II besagt nichts darüber, ob die für einen Hauptvertrag vereinbarte Form auch für den entspr Vorvertrag gelten soll. Hier ist der Parteiwille unabhängig von der Regel des Abs II daraufhin auszulegen, ob die Beurkundung für beide Verträge oder nur für den Hauptvertrag erforderlich sein sollte (BGH LM Nr 4 = NJW 1958, 1281; MüKo/Busche Vor § 145 Rn 64). 2. Gehen die Parteien irrtümlich davon aus, dass für den von ihnen beabsichtigten Vertrag notarielle Beurkun- 11 dung gesetzlich vorgeschrieben sei, so kommt durch mündliche übereinstimmende Erklärungen kein Vertrag zustande, weil die Parteien nicht den Willen haben, sich bereits durch mündliche Erklärungen rechtlich zu binden (Düsseldorf DB 1970, 1778; MüKo/Busche Rn 13; s auch Vor § 145 Rn 6). 3. Beweislast. Wer behauptet, dass für einen Vertrag, der nicht der Form bedarf, Beurkundung vereinbart wor- 12 den sei, ist dafür beweispflichtig (MüKo/Busche Rn 17; Staud/Bork Rn 17; aA RG WarnRsp 1922 Nr 48; Reinicke JZ 1977, 159, 164). Da die Beurkundung nach § 154 II im Zweifel konstitutive Kraft hat, muss das Nichteingreifen der Auslegungsregel derjenige beweisen, der behauptet, dass die Beurkundung nur Beweiszwecken dient (BAG NJW 1997, 1597; LAG Köln 1.3.2011 – 12 Sa 1298/10; LAG Hamm 16.9.2011 – 19 Sa 711/11; MüKo/Busche Rn 17; zum Vorgehen in der Praxis van Venrooy DstR 2012, 565, 568f). 4. Analoge Anwendung. § 154 II gilt analog, wenn die Beurkundung nicht verabredet wurde, sondern lediglich 13 nach der Erklärung einer Partei erfolgen sollte (Flume II § 34, 6g [S 633]). Zudem ist die Vorschrift analog auf nicht protokollierte Gesellschafterbeschlüsse anzuwenden, wenn der Gesellschaftsvertrag ein Protokoll vorschreibt (Stuttgart DB 1983, 1480, 1480f). Dasselbe gilt für einseitige Erklärungen, die in einen Vertrag aufgenommen werden (Staud/Bork Rn 15).

§ 155

Versteckter Einigungsmangel

Haben sich die Parteien bei einem Vertrag, den sie als geschlossen ansehen, über einen Punkt, über den eine Vereinbarung getroffen werden sollte, in Wirklichkeit nicht geeinigt, so gilt das Vereinbarte, sofern anzunehmen ist, dass der Vertrag auch ohne eine Bestimmung über diesen Punkt geschlossen sein würde. 1. Überblick. a) § 155 betrifft den versteckten Dissens. Er liegt vor, wenn beide Parteien irrtümlich glauben, 1 dass sie sich über alle Punkte, über die eine Vereinbarung getroffen werden sollte, geeinigt haben, während in Wahrheit eine Einigung nicht vorliegt. Vom offenen Dissens (§ 154) unterscheidet er sich dadurch, dass den Parteien der Einigungsmangel nicht bewusst ist (MüKo/Busche Rn 1). Erfasst werden wie beim offenen Dissens nur Einigungsmängel hins der accidentalia negotii; bei fehlender Einigung über ein essential kommt es hingegen von vornherein nicht zu einem Vertragsschluss („logischer Dissens“ s § 154 Rn 2; unzutr daher München NJW-RR 2010, 64, 65 und NZBau 2011, 487, 488). b) Abgrenzung. Bei einem versteckten Dissens deckt sich der durch Auslegung (§§ 133, 157) zu ermittelnde Inhalt 2 der Parteierklärungen nicht (BGH NJW 1995, 2637, 2638; BauR 1999, 668, 669; NJW 2003, 743). Der versteckte Dissens ist deshalb von der Irrtumsanfechtung und von der falsa demonstratio zu unterscheiden. aa) Bei der Irrtumsanfechtung liegen objektiv übereinstimmende Erklärungen vor, aber die Erklärung einer Partei weicht von deren Willen ab; eine Diskrepanz, die durch Anfechtung zur Nichtigkeit der Erklärung führt (§ 142 I); der Anfechtende hat gem § 122 den Vertrauensschaden zu ersetzen. Beim versteckten Dissens stimmen Wille und Erklärung jeder Partei für sich genommen überein. Jedoch divergieren die Erklärungen der Parteien ihrem Inhalt nach. Während sich die Parteien im Falle des § 119 also im Irrtum über die eigene Erklärung befinden, irren sie sich beim versteckten Dissens darüber, dass die eigene Erklärung mit der des Gegners übereinstimmt, etwa weil ein Missverständnis vorliegt (RG 58, 233, 234; Soergel/Wolf Rn 2). bb) Bei der falsa demonstratio stimmt der Wille der Parteien überein, beide benutzen jedoch eine falsche Bezeichnung (RG 99, 147, 148 – Haakjöringsköd). Da die Parteien dasselbe wollen, irren sie sich letztlich nicht über die erzielte Übereinkunft. In diesem Fall gilt das von ihnen Gewollte (st Rspr; s nur BGH 71, 243, 247 = NJW 1978, 1483; NJW 1998, 746, 747; ebenso grds bei formbedürftigen Verträgen BGH 87, 150, 154f; Schleswig NJW-RR 2011, 1233, 1234); § 155 ist nicht anwendbar. 2. Fallgruppen. a) Versehentliche Unvollständigkeit. Meinen die Parteien, über einen bestimmten Vertrags- 3 punkt Einigkeit erzielt zu haben, vergessen oder übersehen sie aber schließlich, diesen Punkt zu regeln, so liegt ein Fall des § 155 vor (MüKo/Busche Rn 10). Dabei muss der § 155 restriktiv angewendet werden (BGH 23.5.2012 – VII ZR 113/11 m Anm Bock, jurisPR-PrivBauR 10/2012 Anm 1). Keinen versteckten Dissens stellt freilich eine nach allg Regeln zu schließende Vertragslücke dar, die dadurch entsteht, dass die Parteien den fraglichen Punkt überhaupt nicht bedacht haben und deshalb eine Vereinbarung darüber gar nicht haben treffen wollen (Staud/Bork Rn 7). b) Erklärungsdissens. Meinen die Parteien irrig, dass ihre schon objektiv nicht überArmbrüster

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Rechtsgeschäfte

einstimmenden Willenserklärungen sich decken, indem sie einem Missverständnis unterliegen, sich zB verhören oder verlesen, dann liegt ein verdeckter Dissens vor (Hamm NJW-RR 1998, 1747f; MüKo/Busche Rn 11). Hingegen ist eine Einigung anzunehmen, wenn eine inhaltlich umfassende Annahmeerklärung wie „ja“ oder „einverstanden“ abgegeben wurde (BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 8; Staud/Bork Rn 8). c) Scheinkonsens. Am bedeutsamsten ist der Fall, dass sich die Erklärungen der Parteien äußerlich decken, die Auslegung aber ergibt, dass einer der verwandten Begriffe objektiv mehrdeutig ist und beide Parteien ihn unterschiedlich verstanden haben (RG 68, 6, 9: Telegraphenschlüssel „Semilodei“; RG 116, 274, 275: „Typenflug“; BGH NJW-RR 1993, 373: mehrdeutige Erstattungsklausel für Investitionszulagen [Abgrenzung zur falsa demonstratio; s Rn 2]; Köln NJWRR 2000, 1720: „Best-of-Album“; Jena NZBau 2004, 438, 439: „lichtes Maß“; KG NJW-RR 2008, 300, 301: „Naturstein“; Schleswig NJW 2016, 2045 Rn 18: „Fünftürer trotz anderslauternder Verkäuferchiffre“; s auch Staud/ Bork Rn 9). Bei der Prüfung, ob Ein- oder Mehrdeutigkeit vorliegt, kommt es allerdings nicht nur auf den äußeren Wortlaut, sondern auch auf den durch Auslegung (§§ 133, 157) der Erklärung zu ermittelnden Sinn des Ganzen an (RG 100, 134, 135; 146, 120, 128; BGH BauR 1999, 668, 669; NJW 1992, 1446, 1447). Schulfall: A schickt B ein Buch zu; die Zusendung ist als Leihe gemeint und wird als Geschenk aufgefasst. Hier stimmen Wille und Erklärung bei jeder Partei überein, die Erklärungen sind jedoch ihrem Inhalt nach mehrdeutig. Haben die Parteien trotz mehrdeutiger Bezeichnung dasselbe gewollt, so liegt kein versteckter Dissens vor, sondern eine falsa demonstratio (Rn 2). d) Auf missverständliche oder widersprüchliche AGB ist § 155 nicht anwendbar, da insoweit § 305c II und § 306 vorrangig sind (BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 10). 3. Einschränkungen des Anwendungsbereichs. Eine Anwendung des § 155 und seiner Rechtsfolgen scheidet aus, wenn nicht nach allg Regeln insb der §§ 133, 157 vom Zustandekommen eines inhaltlich eindeutigen Vertrags ausgegangen werden kann (Schleswig NJW 2016, 2045 Rn 18 m krit Anm Schneider). § 155 ist ebenfalls dann nicht anzuwenden, wenn schon eine der Einzelerklärungen nicht die nötige Bestimmtheit und Eindeutigkeit aufweist, sie insb für sich allein widerspruchsvoll ist (sog perplexe Willenserklärung; aA BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 3; s auch Hamburg ZMR 1997, 350). Eine Einigung scheitert hier schon daran, dass es an wirksamen Einzelerklärungen fehlt. § 155 ist ferner nicht anwendbar, wenn die Erklärungen zwar objektiv mehrdeutig sind, der Gegner aber den Irrtum einer Partei erkannt hat oder doch erkennen musste; hier liegt eine für den Gegner des ersichtlich Irrenden eindeutige Erklärung vor. Es gilt das von der irrenden Partei Gewollte. Der innere Vorbehalt des Gegners, dies nicht zu wollen, ist nach § 116 unbeachtlich (RG 93, 297, 299; BGH BB 1983, 927). Auch der Grundsatz von Treu und Glauben führt in diesem Fall dazu, eine Verbindlichkeit der getroffenen Regelung anzunehmen (vgl RG 100, 134, 135). Im Bereich der AGB enthält die sog Unklarheitenregel des § 305c II für mehrdeutige Klauseln eine ggü § 155 vorrangige Regelung (vgl Staud/Bork Rn 12; MüKo/Busche Rn 3): Die Klausel ist zulasten des Verwenders auszulegen (näher § 305c Rn 3, 19ff; s auch § 157 Rn 14). 4. Rechtsfolgen. Liegt ein versteckter Dissens vor, so ist der Vertrag mangels Einigung an sich nicht zustande gekommen. Diesen Grundsatz setzt § 155 voraus und macht, um im Interesse des Verkehrs das fehlerfrei Vereinbarte möglichst aufrechtzuerhalten, davon eine Ausnahme (Leenen AT § 8 Rn 171). Ist anzunehmen, dass die Parteien den Vertrag auch ohne den Punkt, über den eine Vereinbarung nicht getroffen ist, geschlossen haben würden, so gilt das tatsächlich Vereinbarte. Ob die Auslegungsregel eingreift, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Sie setzt voraus, dass der nicht geregelte Punkt nicht zu den essentialia negotii gehört, sondern ein accidentale betrifft (Rn 1), das nicht als so wesentlich anzusehen ist, dass die Wirksamkeit des Vertrags nach dem Willen der Parteien von einer Einigung darüber abhängen sollte (RG 93, 297, 299; BGH DB 1978, 978; MüKo/Busche Rn 14). Ist der Vertrag nach § 155 gültig, so folgt daraus nicht, dass der Nebenpunkt ungeregelt bleibt. Die Lücke ist nach den dispositiven gesetzlichen Vorschriften des betreffenden Vertragstyps und, soweit solche nicht bestehen oder nicht dem Parteiwillen entsprechen, im Wege erg Vertragsauslegung (§§ 133, 157) auszufüllen (BGH DB 1978, 978, 979; Staud/Bork Rn 16). Hat eine Partei das Nichtzustandekommen des Vertrags durch Herbeiführung eines Missverständnisses verschuldet, so ist sie der anderen Partei gem §§ 311 II, 241 II, 280 I (cic) zum Ersatz des dadurch entstandenen Vertrauensschadens verpflichtet (vgl RG 143, 219, 221; Jena NZBau 2004, 438, 439; Soergel/Wolf Rn 21; Staud/ Bork Rn 17; aA Flume II § 34, 5, 626; MüKo/Busche Rn 15 – arg: die Vertragsnichtigkeit und daraus resultierende Schäden hätten sich beide Kontrahenten selbst zuzuschreiben). Bei mitwirkendem Verschulden ist § 254 anzuwenden (Jena NZBau 2004, 438, 439; Soergel/Wolf Rn 21); § 122 II gilt nicht (RG JW 1932, 735, 739). 5. Wer sich auf einen versteckten Dissens beruft, trägt hierfür die Beweislast (Staud/Bork Rn 18). Dagegen hat derjenige, der sich auf die Restgültigkeit des Vertrags beruft, die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Vertrag auch ohne den Dissenspunkt zustande gekommen wäre (Düsseldorf OLGRp 2009, 67, 69; MüKo/Busche Rn 16; s auch Gsell AcP 203, 119, 135). 6. Eine entspr Anwendung des § 155 wird befürwortet, wenn die Erklärungen äußerlich eindeutig sind, aber beide Parteien etwas anderes als das Erklärte und – insoweit im Unterschied zur falsa demonstratio (Rn 2) – etwas anderes als der Gegner gewollt haben (so noch MüKo/Kramer5 Rn 13). Dieser Sichtweise ist zuzugeben, dass bei einem solchen beiderseitig gemeinsamen Irrtum der Parteien die Schadensersatzregelung des § 122 zu zufälligen Ergebnissen führen kann, je nachdem, welche von ihnen zuerst die Anfechtung nach § 119 erklärt (Enn/ Nipperdey § 177 VI [S 1086]). Jedoch ist zu beachten, dass die Wertungen der §§ 119ff nicht durch § 155 verdrängt werden dürfen (Soergel/Wolf Rn 11). Deshalb muss grds die Anfechtung möglich bleiben. Unbilligkeiten können nach § 242 ausgeglichen werden (vgl Enn/Nipperdey § 177 VI [S 1086]; MüKo/Busche Rn 6); bei bei458

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Vertrag

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derseitigem Motivirrtum liegt auch eine Lösung über die Grundsätze der subjektiven Geschäftsgrundlage (vgl § 313) nahe (Staud/Bork Rn 6).

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Vertragsschluss bei Versteigerung

Bei einer Versteigerung kommt der Vertrag erst durch den Zuschlag zustande. Ein Gebot erlischt, wenn ein Übergebot abgegeben oder die Versteigerung ohne Erteilung des Zuschlags geschlossen wird. 1. Anwendungsbereich. § 156 ist anwendbar auf alle privatrechtlichen Versteigerungen (Staud/Bork Rn 10). Das sind die Versteigerungen nach §§ 383ff, 753 iVm §§ 1233ff, 966 II, 975 S 2, 979, 1219f, 1233ff sowie nach §§ 373, 376 HGB. Die Norm hat keine dingliche Wirkung; der Zuschlag bewirkt nur den Verkauf, während der Eigentumsübergang sich nach den §§ 929ff richtet (RG 153, 257, 260; BGH 138, 339, 347 = NJW 1998, 2350). Eine Internet-Auktion stellt mangels Zuschlags keine Versteigerung iSd § 156 dar (BGH NJW 2005, 53, 54; NJW 2017, 468 Rn 19; Hoeren/Müller NJW 2005, 948, 949; NK/Kremer Anh § 156 Rn 11f; s auch §§ 145 Rn 7; § 312g Rn 19; aA AG Bad Hersfeld MMR 2004, 500; Bernhard ZGS 2005, 226ff); der Vertrag kommt durch das Höchstgebot des Bieters zum Ablaufzeitpunkt zustande (KG NJW 2005, 1053f). Freilich ist es aufgrund der Vertragsfreiheit möglich, § 156 über die Versteigerungsbedingungen zur Anwendung zu bringen (BeckOK/Eckert Ed. 39 Rn 4). Das in der Zwangsversteigerung abgegebene Gebot stellt abw von § 156 keinen bürgerlich-rechtlichen Vertragsantrag dar, sondern eine Prozesshandlung (Staud/Bork Rn 11). Auf Versteigerungen wegen Geldforderungen im Zwangsvollstreckungsverfahren ist § 156 gem § 817 ZPO nur eingeschränkt anwendbar. Für Zwangsversteigerungen nach dem ZVG gilt § 156 nicht; insoweit sind vielmehr die §§ 71ff, 81 ZVG maßgeblich. Das Höchstgebot begründet entweder eine Amtspflicht des GV zum Zuschlag oder jedenfalls Amtshaftungsansprüche (Musielak/Voit/Becker § 817 ZPO Rn 3; Zöller/Stöber § 817 ZPO Rn 6). Durch den Hoheitsakt des Zuschlags geht hier das Eigentum unmittelbar auf den Ersteher über. Auch auf Submissionsausschreibungen ist § 156 nicht anwendbar (Soergel/Wolf Rn 16). 2. Zustandekommen des Vertrags (S 1). Da bei einer Versteigerung der Vertrag erst durch den Zuschlag zustande kommt (S 1), ist im Gebot des Bieters der Vertragsantrag, im Zuschlag die Annahme zu sehen (BGH NJW 1983, 1186; BGH 138, 339, 342). Das Ausgebot des Versteigerers ist vorbehaltlich abw Festsetzung (s Rn 6) noch kein Antrag, sondern nur Aufforderung, Gebote abzugeben (invitatio ad offerendum; s § 145 Rn 4). Der Zeitpunkt des Gefahrübergangs (§ 446) kann – auch durch AGB – auf den Zeitpunkt des Zuschlags vorverlegt werden (Celle NJW-RR 2011, 132). Gebot und Zuschlag sind Willenserklärungen und unterliegen den für diese geltenden Grundsätzen; sie sind daher insb wegen Irrtums nach § 119 anfechtbar (Staud/Bork Rn 3). Der Zuschlag ist jedoch im Unterschied zum Gebot (MüKo/Busche Rn 4) keine empfangsbedürftige Willenserklärung (BGH 138, 339, 342 = MDR 1998, 958). Er kann auch erteilt werden, wenn der Bieter nicht mehr anwesend ist (vgl § 15 S 2 BeurkG; zum Gebot s Rn 5). Aus der Einordnung als Willenserklärung folgt auch, dass der Versteigerer grds nicht verpflichtet ist, das Höchstgebot anzunehmen. Gebot und Zuschlag können auch durch elektronische Übermittlung im Internet abgegeben und wirksam werden (BGH 149, 129 = NJW 2002, 363, 364); für Internet-Auktionen ohne Zuschlag gilt § 156 freilich nicht; s Rn 1). Bei der Versteigerung von Grundstücken sind Gebot und Zuschlag gem § 311b I 1 notariell zu beurkunden (BGH NJW 1998, 2350; Frankfurt RNotZ 2013, 297, 303). Der Zuschlag wirkt im Unterschied zu demjenigen nach § 19 ZVG grds nicht dinglich (Bürger NotBZ 2011, 8, 12; Eichelberger Jura 2013, 82, 85). 3. Erlöschen des Gebots (S 2). An sein Gebot ist der Bieter nach § 145 gebunden. Nach den allg Regeln der §§ 146 Fall 2, 147 I 1 würde es freilich erlöschen, wenn es nicht sofort durch Zuschlag angenommen wird. Abw davon bestimmt S 2, dass das Gebot erst erlischt, wenn ein Übergebot abgegeben oder die Versteigerung ohne Zuschlag geschlossen wird. Auf die Wirksamkeit des Übergebots kommt es nicht an, weil der tatsächliche Hergang entscheidet und ein Interesse an alsbaldiger Klärung besteht (MüKo/Busche Rn 5; Soergel/Wolf Rn 6; Staud/Bork Rn 4). Etwas anderes gilt nur, wenn die Ungültigkeit des Übergebots offenkundig ist (Soergel/Wolf Rn 6). Maßgebend ist der Nennbetrag des Gebots; Umsatzsteuer ist nicht abzusetzen (RG 101, 365, 366f; Staud/Bork Rn 4). Aus § 146 Fall 1 folgt, dass ein Gebot außer in den beiden Fällen von S 2 auch durch Zurückweisung seitens des Versteigerers erlischt (Staud/Bork Rn 3). – Da der Vertrag erst durch den Zuschlag zustande kommt, kann der Versteigerer den Zuschlag verweigern; er ist vorbehaltlich abw Festsetzung (Rn 6) nicht verpflichtet, dem Meistbietenden den Zuschlag zu erteilen (v Hoyningen-Huene NJW 1973, 1474, 1477; s auch S 2: Möglichkeit, die Versteigerung trotz vorliegender Gebote zu schließen). 4. Ersteigerungsauftrag. Die Regelung des Ablaufs der Versteigerung durch § 34b GewO macht eine Abgabe der Gebote während der Auktion erforderlich, damit andere Interessenten noch rechtzeitig ein Übergebot abgeben können (VersteigererVO v 24.4.2003, BGBl I 547). Der einem Versteigerer schriftlich erteilte Ersteigerungsauftrag enthält daher nicht schon das Gebot als Kaufantrag, sondern nur den Auftrag an den Versteigerer, als Vertreter des Käufers in der Versteigerung Gebote abzugeben; der Versteigerer wird damit zugleich vom Verbot des Selbstkontrahierens gem § 181 befreit (BGH NJW 1983, 1186, 1187). Wird die Versteigerung ohne wirksamen Zuschlag geschlossen, so erlischt der Ersteigerungsauftrag nicht zwangsläufig. § 156 S 2 lässt zwar Gebote bei Abgabe eines Übergebots oder bei Beendigung der Versteigerung ohne Zuschlag erlöschen, ist aber auf einen Ersteigerungsauftrag auch nicht analog anwendbar. Die Auslegung des Auftrags kann vielmehr ergeben, dass dieser nicht auf den Erwerb in der Versteigerung beschränkt ist, sondern über die Versteigerung hinaus gilt, wenn diese ohne wirksamen Zuschlag geschlossen wird (BGH NJW 1983, 1186, 1187). Armbrüster

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5. Abweichende Vereinbarungen. § 156 ist nicht zwingend (BGH 138, 339, 343 = NJW 1998, 2350; BGH 203, 273 = NJW-RR 2015, 951 Rn 22; Staud/Bork Rn 9; Rachlitz MittBayNot 2015, 457, 458). Der Versteigerer kann zB in seinen Versteigerungsbedingungen festsetzen, dass das Ausgebot bereits als bindender Antrag gilt, so dass jedes Gebot – vorausgesetzt, dass kein Übergebot abgegeben wird – zum Vertragsschluss führt und daher der Zuschlag erteilt werden muss. Ferner ist die Festsetzung möglich, dass ein Gebot nicht sofort durch Übergebot erlischt, sondern der Versteigerer eine Auswahl unter den Bietenden vornimmt. Die Bieter sind dann bis zur Entscheidung über den Zuschlag, der in angemessener Frist erfolgen muss, an ihr Gebot gebunden (vgl RG 96, 102, 103). Auch kann festgesetzt werden, dass der Zuschlag erst zu einem späteren Termin oder nur unter Vorbehalt erteilt wird (KG MDR 2004, 1402f). Der in derartigen Festsetzungen liegende Antrag auf Abweichung von den Regeln des § 156 wird vom Bieter dadurch angenommen, dass er widerspruchslos mitbietet (vgl Eichelberger Jura 2013, 82).

§ 157

Auslegung von Verträgen

Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Schrifttum: Bickel, Die Methoden der Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen, 1976; Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung. Ein Beitrag zur Lehre von der Willenserklärung und deren Auslegung, 1960; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl 1983; Czarnecki, Vertragsauslegung und Vertragsverhandlung, 2015; Ehricke, Zur Bedeutung der Privatautonomie bei der ergänzenden Vertragsauslegung, RabelsZ 60 (1996), 661; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufl 1964; Finkenauer, Ergänzende Auslegung bei Individualabreden, AcP 213 (2013), 619; J. Hager, Gesetzes- und sittenkonforme Auslegung und Aufrechterhaltung von Rechtsgeschäften, 1983; Hellwede, Handelsbrauch und Verkehrssitte, AcP 214 (2014), 853; Henckel, Die ergänzende Vertragsauslegung, AcP 159 (1960/61), 106; Kötz, Vertragsauslegung, FS Zeuner, 1994, 219; Kramer, Grundlagen der vertraglichen Einigung, 1972, 124; Larenz, Ergänzende Vertragsauslegung und dispositives Recht, NJW 1963, 737; Larenz, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, 1930 (Nachdruck 1966); Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966; Mangold, Eigentliche und ergänzende Vertragsauslegung, NJW 1961, 2284; Mayer-Maly, Die Bedeutung des tatsächlichen Parteiwillens für den hypothetischen, FS Flume, 1978, 621; Mittelstädt, Die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen, 2016; Neuner, Vertragsauslegung – Vertragsergänzung – Vertragskorrektur, FS Canaris 2007, 901; Oechsler, Gerechtigkeit im modernen Austauschvertrag, 1997; Petersen, Die Auslegung von Rechtsgeschäften, Jura 2004, 536; Säcker, Rechtsgeschäftsauslegung und Vertrauensprinzip, JurA 1971, 508; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und internationalen Schuldvertragsrecht, 1966; Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970; Stathopoulos, Zur Methode der Auslegung von Willenserklärungen, FS Larenz 1973, 357; Wieacker, Die Methode der Auslegung des Rechtsgeschäfts, JZ 1967, 385; Wiedemann, Die Auslegung von Satzungen und Gesellschaftsverträgen, DNotZ Sonderheft 1977, 99; Wiedemann, Ergänzende Vertragsauslegung – richterliche Vertragsergänzung, FS Canaris 2007, 1281; Wieser, Empirische und normative Auslegung, JZ 1985, 407; Vollmer, Auslegung und Auslegungsregeln, 1988; Zeller, Auslegung von Gesetz und Vertrag, 1989.

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I. Überblick. 1. § 157 hat eine zweifache Bedeutung. Die Vorschrift ergänzt zum einen die gem § 133 für die Auslegung von Willenserklärungen geltende Regel (s Rn 2). Zum anderen bildet § 157 die Grundlage der erg Auslegung, durch die planwidrige Unvollständigkeiten eines Vertrags behoben werden (dazu s Rn 15ff). Diese erg Vertragsauslegung tritt neben die sich auf die Parteierklärungen beziehende einfache Auslegung (zu ihr s Rn 5ff; eingehend § 133 Rn 14ff, 20ff). 2. Abgrenzung. Von den §§ 133, 242 unterscheidet sich § 157 wie folgt: a) § 133. Nach dem Gesetzeswortlaut bezieht sich § 133 auf die Auslegung einzelner Willenserklärungen, § 157 auf die Auslegung von Verträgen. Demnach müsste ein Vertrag schon geschlossen sein, ehe § 157 als Auslegungsvorschrift den § 133 ablösen kann. Rspr und Schrifttum haben jedoch den Geltungsbereich des § 157 über seinen engen Wortlaut hinaus erweitert, da der Grundsatz von Treu und Glauben für das gesamte Bürgerliche Recht maßgebend ist und damit auch die Auslegung im Bereich des § 133 umfasst (BGH 21, 319, 328 = NJW 1956, 1475; NJW-RR 2000, 130; Enn/Nipperdey § 206 III [S 1260]; Soergel/Wolf § 157 Rn 8ff). § 133 und § 157 gemeinsam bilden die Grundlage für die Auslegung des rechtsgeschäftlich Gewollten; die Rspr führt sie dementsprechend regelmäßig zusammen an (s nur RG 128, 241, 245; BGH NJW 1998, 3268, 3270; NJW 2001, 1859, 1860f). Die Willenserklärung gilt daher so, wie der Erklärungsempfänger sie nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsanschauung verstehen musste. Auch für die Frage, ob durch die Willenserklärungen der Parteien ein Vertrag zustande gekommen ist, sind beide Vorschriften maßgeblich (vgl etwa BGH 47, 75, 78 = NJW 1967, 673). § 157 ist auch schon vor Vertragsschluss für die Auslegung des durch den Eintritt in Vertragsverhandlungen begründeten Vertrauensverhältnisses heranzuziehen. Der wesentliche Unterschied des § 133 ggü § 157 besteht allein darin, dass nach § 133 nur die Auslegung des tatsächlich Erklärten, des Erklärungstatbestandes (§ 133 Rn 11) möglich ist, wobei vorausgesetzt wird, dass das Gewollte in der Erklärung auch zum Ausdruck kommt. Diese Begrenzung kennt § 157 nicht. b) § 242 bestimmt, wie der Schuldner zu leisten hat, die Auslegung nach §§ 133, 157 dagegen, ob jemand Schuldner ist (vgl BGH NJW-RR 2003, 926) und welche Leistung er zu erbringen hat. Bevor die gebotene Art und Weise der Leistung (das „rechtliche Sollen“) festgelegt werden kann, muss der Inhalt der Leistungspflicht (das „rechtliche Wollen“) ermittelt werden (BGH 16, 4, 8 = NJW 1955, 460). § 242 kann daher erst nach der Auslegung (§§ 133, 157) zum Zuge kommen; die (auch erg) Auslegung hat Vorrang (BGH 9, 273, 277ff = NJW 1953, 937; 164, 286, 292 = NJW 2006, 54 Rn 24; Soergel/Wolf § 157 Rn 104f; vgl auch BGH NJW-RR 2000, 1652, 1653; NJW 2012, 526 Rn 13 zum Wegfall der Geschäftsgrundlage). Die Grenzen lassen sich jedoch nicht immer

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scharf ziehen. Für das gesamte Vertragsrecht bestimmt der in § 157 und in § 242 aufgestellte Wertmaßstab von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte den Inhalt des Vertrags. 3. Der Anwendungsbereich des § 157 erstreckt sich auf Verträge jeder Art, schuldrechtliche, dingliche, familien- 4 und erbrechtliche (BGH 106, 359, 361 = NJW 1989, 2885). Die Norm erfasst auch Gesellschaftsverträge (s etwa RG 159, 272, 278; BGH NJW 2001, 3777, 3778; NZG 2011, 1420 Rn 13; Hamm RNotZ 2015, 451, 457; eingehend § 705 Rn 34ff; Grunewald ZGR 2009, 647ff). Bei ihnen ist zw körperschaftlichen und individualvertraglichen Bestimmungen zu unterscheiden. Für erstere ist eine stark objektivierte Auslegung geboten (BGH NJW 1994, 51 LS; Koblenz NZG 2008, 423). § 157 gilt auch für Umwandlungsverträge (zB Ausgliederungsverträge nach § 123 UmwG; BGH NJW-RR 2004, 123, 124). § 157 ist weiter auf Vorverträge, vertragsähnliche Verhältnisse und Naturalverpflichtungen anzuwenden. Die Norm gilt auch für die Frage, ob und welchem gesetzlich geregelten Vertragstyp eine Parteivereinbarung zugeordnet werden kann (Rostock OLGRp 2009, 192 LS). Im Prozessrecht gilt § 157 für Prozessverträge, wie zB Zuständigkeitsvereinbarungen (RG 159, 254, 256; Hamburg VersR 1982, 341; vgl BGH NJW-RR 1996, 932; BGH NJW 2015, 2584 Rn 27 [betr auch Art. 8 CISG]) und Schiedsverträge sowie für Prozessvergleiche (LAG Rh-Pf 25.11.2013 – 5 Sa 330/13; OVG Magdeburg 18.12.2014 – 2 L 78/12; Frankfurt 30.6.2015 – 11 U 127/14 Rn 28), im Arbeitsrecht für Tarifverträge (BAG AP § 1 TVG Auslegung Nr 105), deren normativer Teil jedoch wie ein Gesetz auszulegen ist (BAG NJW 1961, 1837; s auch BAG AP § 1 TVG Auslegung Nr 117 m zust Anm Hueck); ebenso zu behandeln sind Betriebsvereinbarungen (BAG 7, 340; ErfK/Kania § 77 BetrVG Rn 30f). Bindende Festsetzungen von Entgelten und Fertigungszeiten sind wie Tarifverträge auszulegen (BAG BB 1976, 1663). – § 157 gilt grds auch für die Auslegung formbedürftiger Erklärungen (BGH 63, 359, 362 = NJW 1975, 536; NJW 1998, 3196). Es ist jedoch stets zu prüfen, ob die ausgelegte Erklärung der erforderlichen Form noch entspricht (BGH NJW 2000, 1569, 1570 zu einer Bürgschaftserklärung). Hierzu zieht die Rspr die sog Andeutungstheorie heran (Einzelheiten s § 125 Rn 28). Einer Auslegung nach § 157 sind auch Grundbucherklärungen zugänglich (München OLGRp 2008, 898, 899; zum Maßstab s Rn 5). Für strafbewehrte Unterlassungserklärungen gilt gleichfalls § 157; es gelten nicht etwa die Grundsätze zur Auslegung von Unterlassungstiteln (BGH NJW 2001, 2622, 2623; Stuttgart OLGRp 2009, 329). – Da der Grundsatz von Treu und Glauben das gesamte Bürgerliche Recht beherrscht (Rn 2), ist § 157 grds auch bei Auslegung einseitiger Rechtsgeschäfte (vgl nur BGH NJW 1990, 3206, 3207– Auszahlungsanweisung; BGH 160, 354, 363 = NJW 2004, 3413, 3416– Teilungserklärung nach § 8 WEG; Frankfurt DNotZ 2004, 937, 939 – Betreuungsverfügung) und geschäftsähnlicher Handlungen (BGH NJW 1995, 45, 46) heranzuziehen. Dies gilt freilich nicht für die Auslegung von nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen, insb von Testamenten; insoweit verbleibt es bei § 133 (BGH 80, 246, 249 = NJW 1981, 1736; NJW 1993, 256; Petersen Jura 2005, 597; aA Enn/Nipperdey § 206 III [S 1260 mit Fn 23]; Staud/Roth Rn 1; zur Abgrenzung vom Erbvertrag Hamm NJW-RR 2005, 450f; München NJW-RR 2006, 1597, 1598). § 157 gilt weiter für die erg Auslegung von AGB (BGH 49, 167, 388 = NJW 1968, 588; 103, 228, 234 = NJW 1988, 1590; MüKo/Busche Rn 32; s auch Rn 26), während sich ihre einfache Auslegung nach eigenen Regeln richtet (BGH NJW-RR 2014, 215 Rn 25; Düsseldorf TranspR 2016, 247; s auch Rn 5, 26). Der Rechtsgedanke des § 157 ist auch im öffentlichen Recht zu beachten, zB bei Auslegung von Verwaltungsakten (BVerwG 12, 87; BFH BB 2007, 2171, 2173; OVG Lüneburg 14.3.2017 – 11 ME 236/16 Rn 10; s auch Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG8, 2014, § 35 Rn 71 zu § 133), Widerspruchsschreiben (BVerwG NJW 2002, 1137, 1139) oder öffentlich-rechtl Verträgen (zu ihnen s Vor § 145 Rn 15, 20ff). Zur Auslegung von Verträgen aufgrund öffentlicher Ausschreibung vgl BGH NJW 1997, 1577f; NJW 2002, 1954, 1955). Die Auslegungsregeln gelten teils auch für fremdsprachliche Erklärungen (eingehend Armbrüster NJW 2011, 812, 815ff; vgl BGH NZG 2002, 779f; FamRZ 2006, 408 LS; Stuttgart IBR 2007, 72). II. Einfache Auslegung. 1. Auslegungsschritte. Die einfache (eigentliche, erläuternde) Auslegung knüpft an ei- 5 ne konkrete Vereinbarung an. Maßgeblich ist, was die Vertragsteile erklärt haben und wie das Erklärte aus Sicht des anderen Teils zu verstehen war (BGH 106, 359, 361 = NJW 1989, 2885). Die Auslegung hat in erster Linie den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarung und den diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Willen der Parteien zu berücksichtigen (BGH 121, 13, 16 = NJW 1993, 721; NJW 2003, 2382, 2383; s auch § 133 Rn 24). Je nach Sachverhalt kann eine eng am Wortlaut orientierte Auslegung geboten sein (BGH NJWRR 2003, 916, 917 – strafbewehrte Unterlassungserklärung; vgl aber bzgl jur Laien BGH NJOZ 2014, 1858 Rn 14; LG Berlin 24.9.2014 – 65 S 64/14). Der Wortlaut einer Leistungsbeschreibung ist auch ggü weniger detaillierten Plänen vorrangig (BGH NJW 2003, 743). In einem zweiten Schritt sind sodann die außerhalb des Erklärungsakts liegenden Umstände in die Auslegung einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (BGH NJW-RR 2000, 1002, 1003; BAG NZA 2014, 1330 Rn 13). Solche Umstände können bspw in den Bestimmungen der AGB eines Internetauktionshauses zu sehen sein, welche im Verhältnis zw zwei Benutzern zur Auslegung heranziehbar sind (BGH NJW 2011, 2643 Rn 23ff; NJW 2015, 1009 Rn 19; MMR 2016, 26 Rn 15; krit dazu und abl ggü der Heranziehung von „Hilfeseiten“ zur Auslegung Wagner/Zenger MMR 2013, 343. 346ff; krit zu den Erläuterungen der AGB des Internetportals Kulke NJW 2014, 1294; Alexander JR 2015, 289, 294). Es dürfen allerdings nur solche Umstände herangezogen werden, die dem Erklärungsempfänger bekannt oder erkennbar waren (BGHR 2006, 1509 LS; Rostock OLGRp 2009, 947, 949). Dies gilt auch bei einem klaren und eindeutigen Wortlaut (BGH NJW 2002, 1260; BAG NJW 2007, 1613 Rn 22). Maßgeblich sind auch der von den Parteien mit der Abrede verfolgte Zweck sowie deren Interessenlage (BGH NJW 1990, 441; NJW 2003, 2235, 2236; NZG 2011, 1420 Rn 15). Einer normativen, an Treu und Glauben (s Rn 6ff) und der Verkehrssitte (s Rn 8ff) orientierten Auslegung bedarf es dabei idR deshalb, weil der konkrete, zw den Parteien geArmbrüster

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schlossene Vertrag oft auch dann, wenn er einem gesetzlich normierten Geschäftstyp gleicht, ein eigenes Gepräge aufweist. Solange sich freilich der wirkliche, übereinstimmende Wille der Parteien ermitteln lässt, ist kein Raum für eine normative Auslegung nach § 157 (BGH 71, 243, 247 = NJW 1978, 1483; NJW 1998, 746, 747; NJW 2002, 1260, 1261). Der übereinstimmende Wille der Parteien geht dem Wortlaut des Vertrags und jeder anderweitigen Auslegung vor (BGH NJW 1994, 1528, 1529; NJW-RR 2005, 687, 689; BB 2007, 1354 Rn 12; Rostock OLGRp 2009, 947, 949). Dies gilt auch für AGB (s § 305c Rn 20; BGH 113, 251, 259; Ulmer/Schäfer in Ulmer/Brandner/Hensen § 305c Rn 84). Bei ihnen wird sich freilich ein individuell gebildeter Wille häufig nicht ermitteln lassen, so dass in der Praxis eine objektive Auslegung (vgl Rn 6) die Regel ist (München ZIP 2015, 1433; Pal/Grüneberg § 305c Rn 15f). Demnach sind Maßstab der Auslegung von AGB die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines Durchschnittskunden aus dem betroffenen Verkehrskreis (BGH NJW 2010, 293 Rn 11; NJW 2011, 2643 Rn 23; NJW-RR 2014, 215, 216; für Allg Versicherungsbedingungen ist auf die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen (BGH 123, 83, 85 = NJW 1993, 2369; Armbrüster in Prölss/Martin VVG29, 2015, Einl. Rn 260ff). – Tarifverträge werden in ihren normativen Teilen gesetzesähnlich ausgelegt (BAG AP § 1 TVG Nr 9 Nr 37; ErfK/Franzen § 1 TVG Rn 92; Staud/Singer § 133 Rn 75f). – Auch für Grundbucherklärungen gelten die og Grundsätze nur mit Modifikationen: Für sie sind in erster Linie der Wortlaut und die nächstliegende Bedeutung der Erklärung maßgeblich; sonstige Umstände sind nur heranziehbar, wenn sie offen zu Tage liegen (st Rspr; BGH NJW 2002, 1797, 1798). Dies gilt auch für im Grundbuch eingetragene Teilungserklärungen und Gemeinschaftsordnungen nach dem WEG (BGH 160, 354, 362f = NJW 2004, 3413, 3415f; Armbrüster in Bärmann WEG13, 2015, § 8 Rn 26). 2. Treu und Glauben. a) Die Generalklausel Treu und Glauben stellt im Gegensatz zur Verkehrssitte (Rn 8ff) als einer objektiv feststehenden Tatsache einen Wertmaßstab dar, dem die Geltung von Verkehrssitten unterstellt wird. Ob ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegt und wie Verträge nach Treu und Glauben auszulegen sind, hängt grds von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kommt darauf an, wie der billig und gerecht Denkende, der von der Verkehrssitte als objektivem Maßstab ausgeht, den Vertrag auslegen würde. Zu werten sind Inhalt und wirtschaftliche Bedeutung des Vertrags sowie das gesamte Verhalten der Parteien unter genauer Abwägung der beiderseitigen Belange. Die Auslegung hat sich an der Interessenlage der Parteien zu orientieren (Gebot der interessengerechten Auslegung; BGH 131, 136, 138 = NJW 1996, 248; NJW 2011, 3287 Rn 13). Maßgeblich ist hierbei nicht, was einem Richter im Entscheidungszeitpunkt als interessengemäß erscheint, sondern der Einfluss, den das Interesse der Parteien auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe hatte (BGH 204, 231 = NJW 2015, 1672 Rn 21; 3.11.2016 – I ZB 2/16 Rn 23). Auch ein öffentliches Interesse kann im Rahmen der Auslegung eines privatrechtlichen Vertrags berücksichtigt werden, zB das Interesse einer Stadt als Siedlungsträger am Geländeerwerb für Wohnungsneubauten (BGH 48, 296, 301 = NJW 1967, 2351). Eine widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den AN nach einem Änderungsangebot des Arbeitgebers kann nur dann als Annahme ausgelegt werden, wenn die Folgen der Vertragsänderung sich unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis auswirken und für den AN erkennbar werden (BAG NJW 2009, 2475 Rn 15). b) Der Maßstab von Treu und Glauben gebietet es, nach Möglichkeit eine Auslegung zu vermeiden, die den Vertrag als widersprüchlich erscheinen lässt oder seinen Sinn in Frage stellt (BGH NJW 1993, 1976, 1978; NJW 2005, 2618, 2619; MüKo/Busche Rn 6). Kommen mehrere Auslegungen in Betracht, von denen eine zur Nichtigkeit des Vertrags führt, so ist idR die andere geboten (BGH WM 2006, 871, 872; GRUR 2011, 946, 948 – Auslegung einer Lizenzvereinbarung; 25.11.2010 – VII ZR 201/08 – Auslegung von Erklärungen in einem formalisierten Vergabeverfahren; MüKo/Busche Rn 13f zur Gesetzwidrigkeit; vgl auch BGH NJW 2002, 747, 748: Auslegung einer mit „Bürgschaft“ überschriebenen Vereinbarung als Freistellungsverpflichtung). Im Zweifel ist zudem davon auszugehen, dass die Parteien sich gesetzestreu verhalten wollten (BGH NJW 2004, 1240; Düsseldorf 15.10.2014 – VI – U (Kart) 42/13 Rn 43). Freilich kann die nach Treu und Glauben allein mögliche Auslegung auch zur Nichtigkeit oder Undurchsetzbarkeit einer Vertragsbestimmung führen (vgl BGH 60, 353, 356ff = NJW 1973, 1190). Zunehmend werden Verträge, die dem dt Recht unterstehen sollen, in englischer Sprache abgefasst. Werden dabei Ausdrücke verwendet, die durch das Common Law geprägt sind, so hat eine am Einzelfall orientierte Auslegung am Maßstab des § 157 zu erfolgen. Sie kann dazu führen, dass ein dem Common Law entspr Verständnis des Terminus gewollt oder aber nicht gewollt war. Bei Standardformulierungen wird eher eine dem Common Law entspr Auslegung geboten sein als bei individuell ausgehandelten Vereinbarungen (Maier-Reimer AnwBl 2010, 13ff). 3. Verkehrssitte. a) Überblick. Als Verkehrssitte ist die im Verkehr bestimmter Kreise herrschende tatsächliche Übung anzusehen (RG 49, 157, 162; BGH LM (B) Nr 1). Die Verkehrssitte unter Kaufleuten ist der Handelsbrauch iSd § 346 HGB (BGH NJW 1966, 502; s auch NJW-RR 2004, 554, 555). Er kann außerhalb des Handelsverkehrs zu einer allg Verkehrssitte erstarken (Koblenz NJW-RR 1988, 1306 betr Geltung der „Tegernseer Gebräuche“ beim Holzkauf durch einen Nichtkaufmann). Verkehrssitte und Handelsbrauch sind vom Gewohnheitsrecht zu unterscheiden. Dieses ist eine ranggleich neben dem Gesetz stehende objektive Rechtsquelle, die unmittelbare Geltung besitzt. Bei jenen handelt es sich dagegen um tatsächliche Gewohnheiten und Gebräuche, die erst aufgrund Gesetzes, nämlich des § 157 und des § 346 HGB rechtliche Bedeutung erlangen (so auch BGH NJW-RR 2006, 1157 Rn 13; NJW-RR 2012, 1480 Rn 20 – „Auslegungshilfe“; Soergel/Wolf Rn 63; Oertmann Rechtsordnung und Verkehrssitte, 1914, 352; für Gleichstellung mit Gewohnheitsrecht Raiser Das Recht der AGB, 1935, 82ff). Eine Verkehrssitte kann freilich zum Gewohnheitsrecht werden, wenn zu der tatsächlichen Übung die Überzeugung aller Beteiligten hinzukommt, dass diese Übung auch rechtens ist (s etwa zum kaufmännischen Bestätigungsschreiben § 147 Rn 5). 462

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b) Abgrenzung. Die Verkehrssitte bezieht sich meist auf die Leistungspflicht, zB auf die Frage, ob die Umsatzsteuer im Preis enthalten ist (BGH 60, 199, 203 = NJW 1973, 755; NJW 2001, 2464, 2465) oder ob eine Verpackung zurückgegeben werden muss (sog echte Verkehrssitte; MüKo/Busche Rn 20). Erfasst wird aber auch die sog Erklärungssitte, die einem mehrdeutigen Ausdruck einen eindeutigen Sinn gibt (BGH NJW 2004, 2230, 2232 – Wohnfläche; Dresden ZMR 2015, 120 Rn 19 – verlorener Baukostenzuschuss; MüKo/Busche Rn 19). Eine nicht die Voraussetzungen von Rn 8 erfüllende Übung zw den Vertragsparteien (sog Vertragssitte) kann zwar für die Auslegung bedeutsam sein, aber nicht unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssitte iSd § 157. c) Voraussetzungen. aa) Eine Verkehrssitte besteht nur dann, wenn sich bei allen an einem Geschäftszweig (zB Börsenhandel, Frachtgeschäft) beteiligten Kreisen einheitliche Anschauungen gebildet haben (BGH NJW 2001, 2464, 2465: gleichmäßige und einheitliche Übung). Die Annahme einer Verkehrssitte kommt auch dann in Betracht, wenn sich ein nur regional gültiger Handelsbrauch gebildet hat (MüKo/Busche Rn 22). Die Übung muss freilich in jedem Fall eine gewisse Festigkeit erlangt haben (BGH 111, 110, 112 = NJW 1990, 1723). Erforderlich ist hierfür idR eine größere Zahl gleichwertiger Fälle im Verlauf eines längeren Zeitraums. Haben sich gewisse Gebräuche nur in einem begrenzten Interessentenkreis gebildet, so liegt eine Verkehrssitte noch nicht vor. Stets müssen beide Parteien eines Rechtsgeschäfts den für die Bildung der Verkehrssitte maßgebenden Kreisen angehören (RG 114, 9, 12; 135, 339, 345; BGH LM [B] Nr 1; s auch Flume II § 16, 3d [S 313]: keine Heranziehung zum Nachteil von außenstehenden Vertragspartnern). Zu dieser Gruppe gehören alle Personen, die auf demselben Sachgebiet gleichartige Interessenkonstellationen verwirklichen (Sonnenberger Verkehrssitten im Schuldvertrag, 93; krit Lüderitz Auslegung von Rechtsgeschäften 416f). Bei regionalen Unterschieden kommt es auf die am Abschlussort bestehende Verkehrssitte an (BGH 6, 127, 134 = NJW 1952, 1134; s auch NJW 2004, 2230, 2232). Die Verkehrssitte muss ausnahmslos gelten. Gelten gewisse Gebräuche hingegen nur idR, so liegt noch keine Verkehrssitte vor. Sie dürfen der Auslegung nur zugrunde gelegt werden, wenn dies dem Willen beider Parteien entspricht (RG 75, 338, 341; so wohl auch Staud/Roth Rn 30). bb) Gesetzesverstoß. Eine gegen zwingendes Recht verstoßende Verkehrssitte ist unbeachtlich (BGH 99, 320, 326 = NJW 1987, 1641). Ggü dispositivem Recht genießt sie, wenn sie zum Vertragsbestandteil geworden ist, hingegen grds den Vorrang (BGH NJW 1966, 502; im Grundsatz ebenso zum Handelsbrauch MüKo-HGB/K. Schmidt § 346 Rn 37). Steht sie aber im Widerspruch zu Vorschriften, die einen ganz bestimmten gerechten Ausgleich der Rechte und Pflichten bezwecken, so wird sie regelmäßig missbräuchlich und aus diesem Grunde ebenfalls unbeachtlich sein (vgl RG 135, 339, 345; Soergel/Wolf Rn 76; s auch RG 114, 9, 13: eine im Verkehr geübte Unsitte ist kein Auslegungsmittel). Die Berücksichtigung der Verkehrssitte darf keinen Rechtsmissbrauch oder einen Verstoß gegen Treu und Glauben ermöglichen (BGH 16, 4, 12 = NJW 1955, 460; Koblenz NJW-RR 1988, 1306, 1307 – „Tegernseer Gebräuche“). cc) Unkenntnis. Eine Verkehrssitte ist auch dann der Auslegung zugrunde zu legen, wenn die Parteien sie nicht gekannt haben (Koblenz NJW-RR 1988, 1306, 1307 – „Tegernseer Gebräuche“; MüKo/Busche Rn 18). Weicht der innere Wille vom Erklärten ab, so kann nach § 119 ein Grund zur Anfechtung gegeben sein, es sei denn, dass nach der Verkehrssitte die Berücksichtigung eines abw inneren Willens gerade ausgeschlossen sein soll (vgl dazu MüKo-HGB/K. Schmidt § 346 Rn 35 zum Handelsbrauch; Soergel/Wolf Rn 72). Hat sich eine Verkehrssitte erst nach Abschluss des auszulegenden Vertrags gebildet, so ist sie im Allg nicht zu beachten. Wohl aber kann sie für die Bestimmung der Art und Weise der Leistung nach § 242, insb auch für eine Änderung des Leistungsinhalts unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben bedeutsam werden. Auch für die Auslegung einer Tarifnorm ist die nachträgliche Übung nicht maßgebend (BAG AP § 1 TVG Nr 117); allerdings kann die betriebliche Übung für den Einzelvertrag bedeutsam werden (Anm Hueck zu BAG AP § 1 TVG Nr 117). d) Vorrang des Parteiwillens. Eine Verkehrssitte darf dann nicht berücksichtigt werden, wenn sie dem übereinstimmenden Parteiwillen (s Rn 5) widerspricht. Den Parteien ist es nämlich möglich, ihre Beziehungen abw von der Verkehrssitte zu regeln (BGH LM [B] Nr 1; NJW-RR 1993, 1250, 1252). 4. Gesetzliche Auslegungsregeln. Für bestimmte Fälle stellt das Gesetz Auslegungsregeln auf, die „im Zweifel“ gelten sollen (zB § 154 I). Ihre Anwendung setzt voraus, dass die einfache Auslegung nach § 157 zu einem solchen Zweifel führt. Die Auslegung nach § 157 wird daher durch eine gesetzliche Auslegungsregel oder eine Vermutung nicht ausgeschlossen. – Die Unklarheitenregel des § 305c II, wonach Zweifel bei der Auslegung von AGB zulasten des Verwenders gehen, ist erst anzuwenden, wenn die Auslegung nach § 157 kein eindeutiges Ergebnis bringt (BGH NJW-RR 2003, 926; NJW 2010, 293 Rn 13 – „Mietraumfläche“; § 305c Rn 27). Entspr gilt zulasten des Verwenders moderner Kommunikationstechniken (Pal/Ellenberger § 133 Rn 23; BAG ZIP 2003, 1858, 1860: Intranet). Dabei geht der übereinstimmende Wille der Parteien wiederum einer objektiven Auslegung vor (BGH 113, 251, 259 = NJW 1991, 1604; NJW 2002, 2102, 2103; s auch allg Rn 5). – Nach § 307 I 2 kann eine AGB, die nicht klar und verständlich ist, wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam sein (s § 307 Rn 18ff). III. Ergänzende Vertragsauslegung. 1. Überblick. Die Anwendung des § 157 beschränkt sich nicht auf die Auslegung, welchen Inhalt die Vertragserklärungen haben. Er gibt auch die Rechtsgrundlage für eine Ergänzung des Vertragsinhalts, soweit dieser in einem regelungsbedürftigen Punkt Lücken aufweist (st Rspr; BGH 9, 273, 278 = NJW 1953, 937; NJW-RR 1991, 176, 177; NJW-RR 2008, 1371 Rn 13; Lüderitz Auslegung von Rechtsgeschäften, 386f). Dies ist freilich nicht unumstr. Nach Sandrock (Erg Vertragsauslegung, 62ff) sollen nur atypische Geschäfte nach § 157 erg auszulegen, typische hingegen nach § 242 fortzubilden sein (krit Sonnenberger Verkehrssitten im Schuldvertrag, 124f; Lüderitz AcP 171, 160, 164f). Beide Vorschriften verweisen aber auf die Armbrüster

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Verkehrssitte, zudem enthält ein Geschäft meist typische und atypische Elemente. Zielt die Auslegung auf eine Bestimmung der Rechtsfolgen (so Sonnenberger Verkehrssitten im Schuldvertrag, 120ff, 131, 167), gilt § 242 außerdem nicht für erg Korrekturen. Andere erblicken die Grundlage der erg Vertragsauslegung stets in § 242 (MüKo/Busche Rn 28; Ehricke RabelsZ 60, 661, 669; wiederum anders Henckel AcP 159, 106, 121f, der wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten sowohl § 157 als auch § 242 als Grundlage ansieht). Diese Sichtweise widerspricht freilich dem bei Rn 3 dargestellten Verhältnis von § 157 zu § 242. – Eine Ergänzung des Vertrags setzt voraus, dass als Ausdruck der von den Parteien getroffenen Regelung ihrer Beziehungen ein gültiger Vertrag vorliegt. Es darf also insb kein offener Dissens iSd § 154 I (s § 154 Rn 2) bestehen oder der Vertrag aus anderen Gründen, wie zB gem § 139, nichtig sein. Jedoch kann eine Regelung des grds nichtigen Vertrags im Vorhinein ergänzend so ausgelegt werden, dass erst aufgrund der Auslegung ein im Ganzen gültiger Vertrag entsteht, wenn dies dem Interesse der Parteien entspricht (BGH NJW 2012, 3162 Rn 33). Die erg Vertragsauslegung hat den Sinn, die erforderliche und sachgerechte Regelung für die in einem Vertrag offen gebliebenen Punkte zu finden. Sie ist ein Akt richterlicher Vertragsgestaltung, nicht richterlicher Rechtsfortbildung (aA MüKo/Busche Rn 28; Ehricke RabelsZ 60, 661, 669; Henckel AcP 159, 106, 121: Fortbildung objektiven Rechts). Die erg Vertragsauslegung, die es ermöglicht, den Regelungsplan der Vertragsparteien durchzuführen, ist vorrangig ggü den – nunmehr in § 313 kodifizierten – Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage (BGH 81, 135, 143 = NJW 1981, 2241; 164, 286, 292 = NJW 2006, 54 Rn 24; NJW-RR 2008, 562 Rn 12; NJW 2012, 526 Rn 13; P. Ulmer BB 1982, 1130; K.-G. Baier NZG 2004, 356, 357f). Bei einer wesentlichen Veränderung der bei Abschluss des Vertrags bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse findet gem § 313 eine Anpassung der Leistungen an diese Veränderungen statt, wenn sie erforderlich ist, um den von den Parteien mit dem Vertrag verfolgten Zweck zu erreichen (vgl BGH 105, 243, 245 = NJW 1989, 289: Anpassung eines Rentenvergleichs wegen Fortfalls der Geschäftsgrundlage gem §§ 157, 242). Zu arbeitsrechtlichen Besonderheiten im Zusammenhang mit der erg Vertragsauslegung s Salamon NZA 2009, 1076ff. 2. Feststellung einer Regelungslücke. a) Planwidrige Unvollständigkeit. Nur eine wirkliche Lücke des Vertrags – eine planwidrige Unvollständigkeit – darf ergänzt werden (st Rspr; BGH 90, 69, 73ff = NJW 1984, 1177; 127, 138, 142 = NJW 1994, 3287; NJW 2015, 1167 Rn 24). Wurde bewusst auf eine ins Einzelne gehende Regelung verzichtet, ist eine erg Vertragsauslegung nicht möglich (Rüthers/Stadler § 18 Rn 26f). Nicht jede fehlende Regelung stellt somit eine ausfüllungsbedürftige Vertragslücke dar. Erforderlich ist, dass beide Parteien einen Punkt übersehen oder ihn bewusst offengelassen haben, weil sie ihn bei Vertragsschluss irrig für nicht regelungsbedürftig hielten (BGH NJW 2001, 2464, 2465; NJW 2002, 2310; NJW-RR 2008, 562 Rn 14). Zurückhaltung mit der Annahme einer Regelungsücke ist bei einem Formularvertrag geboten (BGH NJW-RR 2008, 1372 Rn 16). Bei Fehlvorstellung nur einer Partei gelten die §§ 119ff. Eine Regelungslücke scheidet ferner aus, wenn die Vereinbarung bewusst abschließend sein sollte (BGH 111, 110, 115 = NJW 1990, 1723; NJW 2002, 2310; Düsseldorf NJW-RR 1995, 1455, 1456; Ehricke RabelsZ 60, 661, 669). Insb können Billigkeitserwägungen nicht eine Regelungslücke ersetzen (BGH NJW 2004, 1873). Für die Beurteilung, ob eine Lücke vorliegt, sind ua Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Vertrags heranziehbar (instruktiv BGH NJW 2002, 2310, 2311). Dabei kommt auch die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit von Urkunden zum Tragen (§ 125 Rn 29; BGH NJW 1999, 1702, auch zu den Anforderungen an eine Entkräftung; s auch BGH NJW 2002, 1500, 1502: Umstände, die zur Aufklärung des Inhalts der Urkunde dienen, liegen nicht außerhalb der Urkunde). Bei notariellen Urkunden erlangt diese Vermutung besonderes Gewicht (BGH NJW 2002, 2310, 2311). Haben die Parteien bei Vertragsschluss keine vom Gesetz abw Regelung getroffen, so gehen sie idR davon aus, dass die gesetzliche Regelung gelten soll (BGH 40, 91, 103 = NJW 1963, 2071). Keine Lücke liegt ferner vor, wenn eine Vertragspartei die mit erg Auslegung bezweckte Rechtsfolge selbst herbeiführen kann, zB durch Inverzugsetzen des Gegners (BGH LM § 286 Nr 7). b) Anfängliche und nachträgliche Lücken. Gleichgültig ist, ob die auszufüllende Lücke schon bei Vertragsschluss bestand oder sich erst nachträglich ergeben hat, weil Umstände eingetreten sind, die die Parteien nicht vorausgesehen und deshalb nicht geregelt haben (BGH 84, 1, 7 = NJW 1982, 2184: Rückübereignung eines zur Abwendung einer Enteignung veräußerten Grundstücks, wenn der Enteignungszweck wegfällt; NJW-RR 1994, 1163, 1165: Anpassung des Erbbauzinses bei Erhöhung der Bodenkosten; NJW-RR 2000, 894, 895: Erschließungskosten; NJW-RR 2007, 509 Rn 10: Gesetzesänderung; NJW-RR 2008, 562 Rn 14: nachträgliche Beschränkung der Gültigkeit von Telefonkarten; BAG 18.5.2011 – 5 AZR 213/09: Anpassung der Vergütung durch Einführung des TVöD; s auch BGH NJW 2006, 54 Rn 23 zur Entwertung durch Hoheitsakt). Haben die Vertragsparteien beim Kauf von Bauerwartungsland irrtümlich angenommen, das Risiko künftiger Bebaubarkeit lückenlos zulasten des Verkäufers geregelt zu haben, so kann eine Vertragslücke zu dessen Lasten im Wege erg Vertragsauslegung geschlossen werden (BGH 74, 370, 376 = NJW 1979, 1818; 84, 1, 7 = NJW 1982, 2184). Gleiches gilt, wenn die Parteien bewusst Punkte offengelassen haben, um sie später zu regeln, es zu einer solchen Regelung dann aber nicht mehr gekommen ist (BGH LM [D] Nr 1, 30 zur Vertragslaufzeit; NJW 1982, 2816, 2817; Düsseldorf NJW-RR 1995, 1455, 1456). Unerheblich ist, aus welchem Grund die Parteien einen regelungsbedürftigen Punkt offengelassen haben (BGH WM 1976, 251). c) Auch wenn eine Vertragslücke nicht auf einer unvollständigen Erklärung der Parteien, sondern auf der Unwirksamkeit einer getroffenen Vereinbarung beruht, kann sie durch Auslegung ausgefüllt werden (BGH 90, 69, 74 = NJW 1984, 1177; 143, 104, 118 = NJW 2000, 1110; 151, 229, 236 = NJW 2002, 3098, 3099 mit Anm v. Westphalen WuB 2003, 22, 23). Dies ist besonders im Bereich von Anpassungs- oder Wertsicherungsklauseln 464

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von Bedeutung, sofern diese nichtig sind oder ihren Zweck nicht mehr erfüllen und sich das Vertragsgefüge damit einseitig zugunsten einer Vertragspartei verschiebt (BGH NJW 2012, 526 Rn 13; 1865 Rn 23f; NJW 2015, 1167 Rn 27). Führt in einem solchen Fall die Auslegung zu keinem Ergebnis, kann der Vertrag nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313) angepasst werden (BGH NJW 2012, 526 Rn 19). Eine erg Vertragsauslegung kommt aber dann nicht in Betracht, wenn sich die benachteiligte Partei ohne für sie nachteilige Auswirkungen vom Vertrag lösen kann (BGH NJW-RR 2010, 1202 Rn 20ff). Zur Ausfüllung einer durch die Unwirksamkeit einer AGB-Klausel entstandenen Lücke gem § 306 II s Rn 26, § 306 Rn 6, 13; Wiedemann, FS Canaris, 1281ff. d) Besteht für eine Vertragslücke eine ihrer Ausfüllung dienende gesetzliche Vorschrift (zB das dispositive Leistungsstörungsrecht), so soll keine im Wege erg Vertragsauslegung ausfüllungsbedürftige Lücke vorliegen (st Rspr; BGH 16, 71, 76 = NJW 1955, 337; 137, 153, 157 = NJW 1998, 450; Hamm 11.3.2008 – 10 U 114/07). Dem ist grds zuzustimmen, wenn der Vertrag einem vom Gesetz geregelten Typ entspricht oder nur unwesentlich von ihm abweicht (Lüderitz Auslegung von Rechtsgeschäften, 454; MüKo/Busche Rn 39). Was der Richter im Wege erg Auslegung festzustellen hat, ist dann bereits gesetzlich typisiert. Indessen kann auch in diesem Fall die am Parteiwillen orientierte erg Auslegung dazu führen, dass das dispositive Gesetzesrecht abbedungen sein sollte (s BGH NJW 1975, 1116, 1117; NJW-RR 1990, 817, 818). Stets vorrangig ggü dispositiven Normen ist die erg Vertragsauslegung, wenn das konkrete Geschäft nicht dem gesetzlich geregelten Typ entspricht (BGH 74, 370, 373f = NJW 1979, 1818; aA – von seinem Standpunkt [s Rn 15] konsequent – Henckel AcP 159, 106, 122: dispositives Recht sei stets vorrangig ggü erg Vertragsauslegung). Das gilt insb für die Gestaltung der Rechtsbeziehungen unter Gesellschaftern; hier kommt der Vertragsfreiheit besonderes Gewicht zu (BGH 107, 351, 353 = NJW 1989, 2681; 123, 281, 285 = NJW 1993, 3193). Durch veraltetes dispositives Gesetzesrecht kann eine Lücke nicht behoben werden (BGH NJW 1979, 1705, 1706; zu § 131 Nr 4 aF HGB; Staud/Roth Rn 26). 3. Lückenausfüllung. a) Wertungen des konkreten Vertrags. Liegt eine ausfüllungsbedürftige Lücke vor, so ist zu ermitteln, was die Parteien nach dem von ihnen gewollten Vertragszweck bei sachgemäßer Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn sie den offengebliebenen Punkt bedacht hätten (st Rspr; BGH 9, 273, 278 = NJW 1953, 937; 127, 138, 142 = NJW 1994, 3287; NJW 2006, 54 Rn 26; NJW-RR 2008, 562 Rn 15; NJW 2012, 1348 Rn 21; i Erg auch Ehricke RabelsZ 60, 661, 686f, der dem Richter indessen insoweit eine Ermessensentscheidung zubilligt). Daher ist es auch nicht möglich, eine Lücke durch ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSd §§ 315f zu schließen (BGH NJW 2010, 1742 Rn 18). Ausgangspunkt für die Ermittlung dieses hypothetischen Parteiwillens und damit der Vertragsergänzung sind die im Vertrag selbst enthaltenen Regelungen und Wertungen sowie sein Sinn und Zweck (st Rspr; BGH 19, 110, 112 = NJW 1956, 377; NJW 2002, 2310, 2311; NJW-RR 2012, 1223 Rn 10; Brox, Die Einschränkung der Irrtumsanfechtung, 117ff, 132ff). Der hypothetische Parteiwille ist mithin nicht generalisierend nach dem entspr oder ähnlichen Vertragstyp, sondern nach den für den konkreten Vertrag charakteristischen Umständen zu ermitteln (Wolf/Neuner § 35 Rn 66; aA Canaris Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 54; s auch BGH 164, 286 = NJW 2006, 54 Rn 25). Entgegen Flume (II § 16, 4b [S 324]) gilt es nicht, für „einen solchen“, sondern gerade für „diesen“ Vertrag die erg Regelung zu finden; nur das wird dem Grundsatz der Privatautonomie gerecht. Dementsprechend darf der tatsächliche Wille der Parteien, soweit er feststellbar ist, bei der Ermittlung ihres hypothetischen Willens nicht außer Betracht bleiben (BGH 90, 69, 77 = NJW 1984, 1177; Mayer-Maly, FS Flume, 621, 625; Armbrüster NVersZ 2001, 193, 195). Es lässt sich daher nicht generell sagen, dass der hypothetische Parteiwille – im Unterschied zum Parteiwillen bei der einfachen Auslegung (s Rn 5) – nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu ermitteln sei (so aber E. Lorenz VersR 2001, 96, 97). Erst wenn sich aus Inhalt und Umständen des konkreten Vertrags keine hinreichend eindeutigen Hinw auf den hypothetischen Parteiwillen ergeben, können objektive Kriterien zum Zuge kommen (s Rn 21). Für die Ergänzung eines AGB-Klauselwerks im Wege erg Auslegung sind nur solche Regelungen geeignet, die nicht entscheidend am Einzelfall orientiert sind und dadurch zu Rechtsunsicherheit führen können, sondern für eine Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle zu gleichen Rechtsfolgen führen (BGH NJW-RR 2008, 1372 Rn 16), s auch Rn 26. Ist ein bestimmtes lückenhaftes Vertragsmuster weit verbreitet, so gebietet das Interesse an Verkehrsfähigkeit und Rechtssicherheit eine allg verbindliche Ergänzung unabhängig von den Besonderheiten des konkreten Einzelfalles (BGH NJW-RR 2008, 562 Rn 11 betr Telefonkarten). – Wegen dieses Vorrangs der privatautonomen Gestaltung ist zudem auch eine Anfechtung wegen Irrtums über den Inhalt einer durch erg Auslegung ermittelten Abrede nicht ausgeschlossen (Staud/Roth Rn 35; aA Flume II § 16, 4c [S 326]; Wolf/Neuner § 35 Rn 73; Soergel/Wolf Rn 106). b) Der hypothetische Parteiwille ist nicht nur aus den individuellen Umständen des konkreten Vertrags (Rn 20), sondern erforderlichenfalls auch nach objektiven Maßstäben zu erschließen (BGH NJW 2015, 1167 Rn 27). Dazu gehören eine der Erfahrung des täglichen Lebens entspr Würdigung des Sachverhalts (BGH NJW 2005, 2620, 2621) und insb die Beachtung des Gebots von Treu und Glauben (BGH 90, 69, 78 = NJW 1984, 1177; MüKo/Busche Rn 51). Die Ergänzung des Vertrags muss daher den Interessen beider Vertragsteile gerecht werden (RG 79, 434, 438; BGH NJW 1978, 695, 696; Staud/Roth Rn 33). Zudem gilt die Vermutung, dass in einem Austauschvertrag Leistung und Gegenleistung in einem ausgewogenen Verhältnis stehen sollten (BGH NJWRR 2000, 894; NJW 2002, 2310, 2311). Ferner ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Parteien das Vernünftige gewollt haben (BGH NJW 1993, 1976, 1978; NJW 1994, 1537, 1538; s auch Rn 24). c) Das Ergebnis der erg Vertragsauslegung muss sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem Zusammenhang des Vereinbarten ergeben, so dass ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenem WiArmbrüster

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derspruch zu dem nach dem Inhalt des Vertrags tatsächlich Vereinbarten stehen würde (st Rspr; BGH 40, 91, 104 = NJW 1963, 2071; 134, 60, 65 = NJW 1997, 521; NJW 1998, 1480 zur Auslegung der einen GesellschafterGeschäftsführer betreffenden Kündigungsklausel im Dienstvertrag eines Fremdgeschäftsführers). Bsp: Die vertraglich vom Mieter übernommene Verpflichtung, bei Beendigung des Mietverhältnisses Schönheitsreparaturen vorzunehmen, wird sinnlos, wenn die Mieträume umgebaut werden sollen. Hätten die Vertragschließenden an einen Umbau der Räume gedacht, so würden sie dem Vermieter einen Ausgleichsanspruch in Geld zugebilligt haben, jedoch nur iHd Betrages, den der Mieter ohne den Umbau hätte aufwenden müssen (BGH 77, 301, 305 = NJW 1980, 2347; 92, 363, 370ff = NJW 1985, 480; Emmerich JuS 1986, 16ff). 4. Schranken. a) Parteiwille. aa) Eine erg Auslegung darf nicht dem in dem – wenn auch lückenhaften – Vertrag zum Ausdruck gekommenen Parteiwillen widersprechen (BGH LM § 157 BGB Nr 1; 23, 283, 285f; NJW 2002, 2310, 2311; NJW 2012, 844 Rn 23). Dies folgt aus dem Grundsatz der Privatautonomie (insoweit zutr Ehricke RabelsZ 60, 661, 688) und ergibt sich nach der hier (Rn 20) vertretenen Ansicht bereits aus der Maßgeblichkeit des hypothetischen Parteiwillens für die erg Vertragsauslegung. Eine Korrektur des erklärten Parteiwillens ist daher unzulässig (BGH LM § 157 BGB Nr. 1; 90, 69, 77 = NJW 1984, 1177; Mayer-Maly, FS Flume, 621, 627). Haben die Parteien einen bestimmten Vertragsinhalt vereinbart, so darf nicht willkürlich an dessen Stelle ein anderer gesetzt werden, weil dieser den Belangen der Parteien besser gerecht wird (Staud/Roth Rn 38) oder der Verkehrssitte (s Rn 8ff) entspricht. Dann läge keine Ergänzung vor (RG 82, 308, 316; 85, 322, 327). Eine erg Auslegung ist bei eindeutiger vertraglicher Abrede nur möglich, wenn sich aus den konkreten Tatsachen ergibt, dass trotz des Wortlauts eine Regelungslücke vorliegt (BGH NJW-RR 2008, 1371 Rn 13ff). Unzulässig ist es auch, im Wege erg Vertragsauslegung den Vertragsgegenstand im Widerspruch zum Vertrag zu erweitern, einzuschränken oder sonst zu ändern (st Rspr; BGH 9, 273, 278 = NJW 1953, 937; 90, 69, 77 = NJW 1984, 1177; NJW-RR 2015, 183 Rn 13; BAG NJW 1973, 822). Dadurch würde der Rahmen des auszulegenden Vertrags gesprengt. Es gibt auch keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass in einem Vertrag alle mit der darin getroffenen Vereinbarung in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang stehenden Punkte geregelt werden (BGH NJW 2002, 2310). Bsp: Eine Lücke liegt nicht ohne weiteres vor, wenn die Parteien keine Vereinbarung über den Gerichtsstand getroffen haben (RG 159, 254, 256). Dasselbe gilt, wenn ein Unternehmenskaufvertrag keine Regelung zur Übernahme einer bestimmten Schuld enthält und diesbezüglich der Fortbestand der bisherigen Lage einen Sinn hat (BGH NJW 2002, 2310f). bb) Dem hypothetischen Parteiwillen widerspricht es idR, einen wirksamen Vertrag um eine Bestimmung zu ergänzen, die zu dessen (Gesamt-)Nichtigkeit führen würde (BGH NJW 1970, 468, 469; zur einfachen Auslegung s Rn 7). Dasselbe gilt, wenn sich die Nichtigkeit nur auf die im Wege erg Auslegung ermittelte Bestimmung beziehen würde. Die Ausdehnung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots darf daher nicht zu einem Verbot führen, das nach § 138 I nichtig oder mit § 1 GWB unvereinbar wäre (BGH WM 1974, 74, 76). b) Nichtfeststellbarkeit des hypothetischen Parteiwillens. Kommen verschiedene vernünftige Gestaltungsmöglichkeiten zur Ausfüllung einer Vertragslücke in Betracht, so scheidet eine erg Auslegung aus, wenn kein Anhaltspunkt dafür besteht, welche Regelung die Parteien bei Kenntnis der Vertragslücke getroffen hätten (BGH 54, 106, 115 = NJW 1970, 1596; 143, 103, 121 = NJW 2000, 1110; NJW 2015, 49 Rn 24; LG Stuttgart 23.10.2013 – 13 S 108/13). Eine erg Auslegung ist ferner ausgeschlossen, wenn eine Veränderung der allg Verhältnisse und der Rechtsanschauungen eine Beurteilung der neuen Lage nach dem Vertragswillen beider Parteien unmöglich macht (BGH 23, 282, 286 = NJW 1957, 708; 84, 361, 368 = NJW 1982, 2236; differenzierend MüKo/Busche Rn 50; s Rn 30f). Ist der hypothetische Parteiwille nicht feststellbar, so kommt eine Vertragsanpassung durch Richterspruch gem § 242 auch nicht ausnahmsweise in Betracht (aA Jauernig/Mansel Rn 4 aE, allerdings allein unter Berufung auf BGH NJW 1993, 2935, 2936 und NJW-RR 1990, 601, 602, die beide die Geschäftsgrundlagenlehre [jetzt § 313] betreffen). 5. Lückenfüllung beim Wegfall von AGB. Sind AGB-Klauseln ganz oder teilw nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, bleibt der Vertrag iÜ gem § 306 I wirksam. An die Stelle der betreffenden Klauseln treten dann die gesetzlichen Vorschriften (§ 306 II). Sind jedoch konkrete Regelungen des dispositiven Rechts zur Ausfüllung der entstandenen Lücken nicht vorhanden und führt die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel nicht zu einer angemessenen, den typischen Interessen der Vertragsparteien Rechnung tragenden Lösung, so kann die Regelungslücke durch erg Vertragsauslegung geschlossen werden (BGH 90, 69, 75 = NJW 1984, 1177; 143, 104, 120 = NJW 2000, 1110; NJW 2008, 1820 Rn 28ff; BGH 186, 180 Rn 50 = NJW 2011, 50 Rn 50; 2153 Rn 13; BGH 202, 309 Rn 24 = NJW 2015, 49 Rn 24; NJW 2015, 1167 Rn 25f). Die §§ 157, 133, auf denen die erg Vertragsauslegung beruht, sind „gesetzliche Vorschriften“ iSd § 306 II. Es gilt dann, was die Parteien bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Klausel bekannt gewesen wäre. Maßgeblich ist insoweit ein objektiv-generalisierender Maßstab, der am Willen und Interesse der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichtet ist (BGH 107, 273, 277 = NJW 1989, 3010; NJW-RR 2005, 1040, 1041; NJW-RR 2011, 625 Rn 16). Bsp: Die durch die Unwirksamkeit der Tagespreisklausel in Kfz-Verkaufsbedingungen entstandene Lücke ist, weil dispositive gesetzliche Bestimmungen fehlen, durch eine Regelung zu schließen, die den Käufer zwar zur Zahlung des bei der Auslieferung des Kfz geltenden Listenpreises verpflichtet, ihm jedoch bei überproportionaler Preissteigerung ein Rücktrittsrecht einräumt (BGH 90, 69, 78ff = NJW 1984, 1177; P. Ulmer NJW 1981, 2025, 2030; Lindacher BB 1983, 158; Bunte NJW 1984, 1145ff; aATrinkner/Löwe NJW 1984, 490, 492; s auch § 306 Rn 14). Bei Weiterverkauf eines Grundstücks unter Gewährleistungsausschluss kann eine erg Vertragsauslegung ergeben, dass Gewähr466

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Vertrag

§ 157

leistungsansprüche des Erstkäufers gegen den Erstverkäufer abgetreten sind (BGH NJW 1997, 652; NJW 2004, 1873f). Ist eine Preisanpassungsklausel in einem Gas- oder Stromlieferungsvertrag unwirksam, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich das Vertragsgefüge völlig einseitig zulasten des Kunden verschiebt (vgl nur BGH NJW 2011, 50 Rn 50). Eine solche Verschiebung ist dann anzunehmen, wenn es sich um ein mehrjähriges Versorgungsverhältnis handelt, der Kunde den Preisänderungen bisher nicht widersprochen hat und nunmehr rückwirkend die Unwirksamkeit geltend machen will. In diesen Fällen könnte das Versorgungsunternehmen nämlich nur noch die unzureichende – da ex nunc wirkende – Kündigung erklären (BGH 192, 372 Rn 23 = NJW 2012, 1865 Rn 23; NJW 2014, 1877 Rn 20; NJW 2015, 2566 Rn 25 ff; ZMR 2015, 981 Rn 66ff). Im UKlaG-Verfahren gelten die Regeln der erg Vertragsauslegung nicht (BGH NJW 2007, 1054 Rn 39). 6. Wichtige Anwendungsfälle. a) Haftungsbeschränkung. Die erg Auslegung führt häufig zur Annahme einer Haftungsbeschränkung. Nach der Rspr, die allerdings häufig nicht zw der erg Vertragsauslegung und stillschw Übereinkünften unterscheidet, greift regelmäßig ein Haftungsverzicht zulasten desjenigen ein, der sich billigerweise gegen das betreffende Risiko hätte versichern können (s dazu Armbrüster NJW 2009, 187, 189f). So wurde ein Haftungsverzicht zulasten des Kfz-Händlers bejaht hins seinen Kunden unbekannter Haftungsrisiken bei Personen- (BGH NJW 1980, 1681, 1682) und Sachschäden (BGH NJW 1972, 1363, 1363f) sowie bei Schäden während einer Probefahrt mit einem Vorführwagen (BGH NJW 1972, 1363, 1363f; NJW 1979, 643, 644). Die Haftungsfreistellung soll allerdings nicht zu einer Entlastung des Versicherers führen dürfen (BGH NJW 1993, 3067, 3068). Die Annahme eines Haftungsverzichts darf auch nicht zu einer auf eine reine Willensfiktion gestützten Rechtskonstruktion ausarten, selbst wenn das Ergebnis angemessen erscheint (BGH 41, 79, 81 = NJW 1964, 860; 43, 72, 76 = NJW 1965, 907; NJW 1993, 3067, 3068). So führt eine erg Vertragsauslegung idR nicht dazu, dass die haftungsbegrenzenden Regeln über den innerbetrieblichen Schadensausgleich (s § 611 Rn 344ff) sich bei Insolvenz des Arbeitgebers auch auf die Außenhaftung des AN ggü Dritten auswirken können, es sei denn, der Dritte hatte es übernommen, für einen Versicherungsschutz zu sorgen (BGH 108, 305, 316ff = NJW 1989, 3273; NJW 1994, 852, 854). b) Interzessionsgeschäfte, insb Schuldübernahme. Eine erg Auslegung dahingehend, dass eine Schuldübernahme vereinbart ist, kann angesichts der damit verbundenen Risiken nur bei eindeutigen Anhaltspunkten für einen entspr Verpflichtungswillen angenommen werden (MüKo/Bydlinski § 415 Rn 3; Kothe JZ 1990, 997, 1002f; § 414 Rn 5; s auch BGH NJW 2002, 2310, 2311f). Im Zweifel ist von der Bürgschaft als dem gesetzlich geregelten Normalfall einer Sicherheit auszugehen (BGH BB 1976, 1431). Dies gilt allerdings nur, wenn die Auslegung, die nicht bei dem Wortlaut einer „Bürgschaftserklärung“ Halt machen darf, sondern interessengerecht zu erfolgen hat (Rn 6, 20f; BGH NJW 2002, 747, 748), zu keinem eindeutigen Ergebnis führt (BGH NJW 1986, 580; Hamm NJW 1993, 2625). – Bei Darlehensverträgen kann die Verpflichtungserklärung naher Angehöriger dahin auszulegen sein, dass der Angehörige nicht Mitdarlehensnehmer wird, sondern dass hins des Rückzahlungsanspruchs eine Schuldmitübernahme gewollt ist (BGH 146, 37, 41f = NJW 2001, 815; NJW 2002, 744); es kommen dann die Regeln über die Sittenwidrigkeit der Mithaftung naher Angehöriger zum Zuge (BGH 146, 37, 42ff = NJW 2001, 815; NJW 2002, 744f). c) Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Nach Ansicht der Rspr sind auch die Regeln über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (s § 328 Rn 12) im Wege erg Vertragsauslegung zu gewinnen (BGH 56, 269, 273 = NJW 1971, 1931; NJW 2012, 3165 Rn 14; NZM 2014, 917 Rn 24; Düsseldorf 10.7.2014 – I-2 U 78/13). Die besseren Arg sprechen freilich dafür, von richterlicher Rechtsfortbildung auszugehen (eingehend Ziegltrum Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, 1992, 146ff), die sich zu Gewohnheitsrecht verdichtet hat (Gernhuber, FS Nikisch, 1958, 249, 265). IV. Maßgeblicher Zeitpunkt. 1. Änderung der auslegungsrelevanten Umstände. Str ist, welcher Zeitpunkt für die Vertragsauslegung zugrunde zu legen ist. Teils wird auf den Zeitpunkt der Auslegung, also auf die Gegenwart (prozessual: auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) abgestellt (Flume II § 16, 4c [S 326]; Jauernig/Mansel Rn 4; Soergel/Wolf Rn 132 für erg Auslegung, anders Rn 36 für einfache Auslegung). Dagegen spricht jedoch, dass nach dem Grundsatz pacta sunt servanda nach Vertragsschluss eingetretene Änderungen der für die Auslegung bedeutsamen Umstände vorbehaltlich des § 313 nur zu einer einvernehmlichen Vertragsanpassung durch die Parteien führen können. Maßgeblich ist daher der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH 123, 281, 285 = NJW 1993, 3193; NJW-RR 2008, 562 Rn 18; Staud/Roth Rn 34). Dementsprechend kann auch eine zwischenzeitlich überholte Rspr für die Auslegung der Erklärungen bestimmend sein (BGH NJW 1998, 3268, 3270). Nachträgliches Verhalten kann nur berücksichtigt werden, soweit es Rückschlüsse auf den tatsächlichen Willen bei Vertragsschluss zulässt (BGH NJW 1971, 1844; 202, 39 = NJW 2014, 2864 Rn 38; 24.2.2016 – VIII ZR 216/12 Rn 37). Dieselben Regeln gelten für die Heranziehung einer Verkehrssitte (MüKo/Busche Rn 23). 2. Änderung des Wertmaßstabs. Der Wertmaßstab „Treu und Glauben“ ist wandelbar (§ 242 Rn 1ff, 17; RG 148, 81, 93 – allerdings bzgl einer „seit Anfang des Jahres 1933 durchgedrungene[n] Erkenntnis“, was zugleich die Anfälligkeit der Generalklausel für eine Vereinnahmung durch Ideologien verdeutlicht; RG 156, 16, 20; MüKo/Busche Rn 10; vgl auch Mayer-Maly JZ 1981, 801, 805). In der Rspr ist zT auf die im Zeitpunkt der Auslegung herrschenden Anschauungen abgestellt worden (so BGH 12, 337, 345 = NJW 1954, 799; 23, 282, 285f = NJW 1957, 708 zum besonders gelagerten Fall nationalsozialistisch geprägter Vertragsinhalte) oder auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts (dafür RG 150, 153, 154). Die zuletzt genannte Ansicht ist – ebenso wie bei einer Änderung der auslegungsrelevanten Umstände (s Rn 30) – grds vorzugswürdig. Armbrüster

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V. Prozessuales. 1. Grundregeln; Beweislast. Bei der Auslegung nach Treu und Glauben handelt es sich nicht um Tatsachenermittlung, sondern um Rechtsanwendung, wenn auch die Feststellung des Erklärungstatbestandes und die Beurteilung seines Erklärungswertes als einheitlicher Denkvorgang erscheinen (vgl BGH NJW 1998, 1219, 1220). Die Grundsätze über die Behauptungs- und Beweislast sind daher nur für die Feststellung der zugrunde liegenden Umstände maßgebend, nicht aber für die Auslegung selbst (BGH 20, 109, 111 = NJW 1956, 665; WM 1962, 812). Wenn die Parteien eines Rechtsstreits aber übereinstimmend vortragen, welchen Inhalt ein zw ihnen abgeschlossener Vertrag haben sollte, ist dieser nicht mehr in einem anderen Sinne zu deuten (BGH 71, 243, 247 = NJW 1978, 1483). Sind Wortlaut und objektiver Sinn einer Vereinbarung eindeutig und hat diese zudem die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit (s Rn 16) für sich, so muss derjenige, der ein abw Verständnis geltend macht, den abw Willen darlegen und beweisen (BGH LM 1961, 290, 292; NJW 1995, 3258; NJW 2002, 3164f; aA MüKo/Busche § 133 Rn 66). – Ist das Bestehen einer Verkehrssitte str, so trägt die Beweislast dafür derjenige, der sich auf sie beruft (vgl für Handelsbrauch BGH LM § 346 [F] HGB Nr 1). Zur Feststellung eines Handelsbrauchs wird es idR erforderlich sein, ein Gutachten der zuständigen Handelskammer einzuholen (BGH WM 1976, 292; MüKo-HGB/K. Schmidt § 346 Rn 25; s auch Wagner NJW 1969, 1282). 2. Revision. a) Die Vertragsauslegung ist – anders als die Ermittlung der Verkehrssitte – nicht allein dem Tatrichter vorbehalten, sondern kann auch durch das Revisionsgericht ohne Bindung an die geltend gemachten Revisionsgründe vorgenommen werden, wenn weitere tatsächliche Feststellungen zur Auslegungsgrundlage nicht zu erwarten sind und Erfahrungswissen oder Verkehrssitten nicht ermittelt werden müssen (so zur erg Vertragsauslegung BGH NJW 1998, 1219; NJW-RR 2000, 894, 895; BAG NZA 2007, 408 LS; NZA 2012, 791 Rn 15; zu den Grenzen s BGH 111, 110, 115 = NJW 1990, 1723; zum Prozessvergleich BAG NJW 2005, 524, 525; DB 2006, 1433, 1434). § 543 II ZPO enthält insoweit keine Einschränkung (Schäfer NJW 2007, 3463, 3464f). Andere Regeln gelten für die Auslegung von AGB. Soweit sich ihre Auswirkungen über den Bereich eines Berufungsgerichts hinaus erstrecken, können sie analog § 545 ZPO in der Revision selbständig nachgeprüft werden (BGH 5, 111, 114 = NJW 1952, 657; NJW 2001, 1270, 1271; NJW 2005, 2919, 2921). Dass die AGB nur in einem OLG-Bezirk verwendet werden, steht der Auslegung in der Revision nicht entgegen (BGH NJW 2005, 2919, 2921). Diese Regeln gelten auch für sonstige Formularverträge (BGH NJW 2001, 1270, 1271) und andere häufig, nicht nur im Bezirk eines OLG verwendete Vereinbarungen (BGH 122, 256, 260 = NJW 1993, 1854 – „fahrbereit“). Dagegen sind Gesellschaftsverträge von Personenhandelsgesellschaften, die keine Publikumsgesellschaften sind (vgl BGH NJW 2001, 1270, 1271), als reine Individualverträge in der Revisionsinstanz nur daraufhin nachprüfbar, ob das Berufungsgericht die einschlägigen Auslegungsgrundsätze beachtet hat (BGH BB 1959, 1151; MüKo-ZPO/Krüger § 546 Rn 8f). b) Als Rechtsfrage kann die (einfache oder erg) Auslegung auch im Wege der Revision nachgeprüft werden. Da sich aber die Feststellung des Erklärungstatbestandes und die Beurteilung seines Erklärungswertes zu einem einheitlichen Denkvorgang verbinden, ist eine Nachprüfung nur daraufhin zulässig, ob gesetzliche oder allg anerkannte Auslegungs- und Ergänzungsregeln oder Denk- oder Erfahrungssätze verletzt sind oder für die Auslegung wesentliche Umstände nicht berücksichtigt wurden (st Rspr; RG 169, 122, 124; BGH 111, 110, 115 = NJW 1990, 1723; NJW 2003, 2235, 2236; s auch BGH NJW 2006, 3777 Rn 13; ZWE 2012, 27, 28; NZBau 2013, 428 Rn 15; NJW 2014, 3314 Rn 5; krit B. Schäfer NJW 2007, 3463ff; Stumpf, FS Nipperdey I, 1965, 957ff; Messer, FS Odersky, 1996, 605, 612f; aA Ehricke RabelsZ 60, 661, 672, der volle Revisibilität der erg Vertragsauslegung annimmt). Zu diesen anerkannten Auslegungsregeln gehören insb die Maßgeblichkeit des Wortlauts als Ausgangspunkt der Auslegung sowie die Interessenlage der Parteien (BGH NJW 2001, 3775, 3776; NJW-RR 2006, 976 Rn 12). Nur die Auslegung typischer Verträge oder Klauseln ist unbeschränkt nachprüfbar (BGH NJWRR 2008, 562 Rn 11; NZM 2013, 148 Rn 16; Staud/Roth Rn 52ff zur Revisibilität der Ergebnisse der erg Auslegung von AGB „und dgl“; zu Gesamtzusage und betriebliche Übung s BAG NZA 2006, 1174 Rn 39). Ferner kann das Revisionsgericht immer dann selbständig auslegen, wenn das Berufungsgericht eine Auslegung überhaupt unterlassen hat oder die Gründe des Berufungsgerichts insoweit lückenhaft sind (st Rspr; BGH 16, 4, 11 = NJW 1955, 460; 121, 284, 289 = NJW 1993, 1532; NJW 2000, 2508, 2509). Die Feststellung der Verkehrssitte ist als reine Tatsachenfeststellung nicht revisibel (BGH LM [B] Nr 1; aA MüKo/Busche Rn 25), es sei denn, dass sie unter Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften zustande gekommen ist (BGH LM [B] Nr 1).

Titel 4 Bedingung und Zeitbestimmung Vorbemerkung vor § 158 Schrifttum: Aligbe, Die Einstellungsuntersuchung als auflösende Bedingung im Arbeitsvertrag, ArbRAktuell 2015, 542; J.-H. Bauer, Befristete Arbeitsverträge unter neuen Vorzeichen, BB 2001, 2473/2526; Michael Becker, Gestaltungsrecht und Gestaltungsgrund, AcP 188 (1988), 24; Berger, Zur Anwendung des § 161 BGB bei bedingter Forderungsabtretung, KTS 1997, 393; Egert, Die Rechtsbedingung im System des bürgerlichen Rechts, 1974; Georgiades, Optionsvertrag und Optionsrecht, FS Larenz, 1973, 409; Henke, Bedingte Übertragungen im Rechtsverkehr und Rechtsstreit, 1959; Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 1965; Hromadka, Alter 65: Bedingung oder Befristung?, NJW 1994, 911; Kempf, Auflösende Bedingung und Rechtsnachfolge, AcP 158 (1959/60), 308; Kühl/Stenzel, Zur Wirkung unwirksamer Befristungsvereinbarungen, NJOZ 2014, 1721; Larenz, Die rechtliche Bedeutung von Optionsvereinbarungen, DB 1955, 209; W. Lorenz, Vorzugsrechte beim Vertrags-

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Bedingung und Zeitbestimmung

Vor § 158

abschluss, FS Dölle I, 1963, 103; Mock, Vorvertrag, Angebot, Angebotsvertrag, Optionsvertrag, insbesondere Ankaufsrecht, in Hagen/Brambring (Hrsg), RWS-Forum Immobilienrecht 1998, S 91; Oertmann, Die Rechtsbedingung (conditio iuris), 1924 (Neudruck 1968); Petersen, Bedingung und Befristung, Jura 2011, 275; Raape, Die Wollensbedingung, 1912; Radke, Bedingungsrecht und Typenzwang, 2001; Rodi, Die bedingte Zustimmung, 2016; Schumann, Die Option, 1968; Wunner, Die Rechtsnatur der Rückgewährpflichten bei Rücktritt und auflösender Bedingung mit Rückwirkungsklausel, AcP 168 (1968), 425; Zimmermann, Heard melodies are sweet, but those unheard are sweeter – Condicio tacita, implied condition und die Fortbildung des europäischen Vertragsrechts, AcP 193 (1993), 121.

1. Überblick. IdR entfalten Rechtsgeschäfte in dem Sinne sofortige Wirkung, dass die in ihnen vorgesehene Entstehung oder Übertragung von Rechten bereits mit dem Zustandekommen des Geschäfts erfolgt. Bisweilen sieht das Gesetz zusätzliche Erfordernisse vor, wie zB die Übergabe oder Grundbucheintragung bei der Übereignung oder eine behördliche Genehmigung. Unabhängig davon lässt sich durch eine privatautonome Gestaltung verhindern, dass schon mit dem Abschluss des Rechtsgeschäfts Rechte entstehen, übertragen werden oder erlöschen. Die §§ 158ff betreffen derartige Abreden, namentlich die in der Praxis ganz im Vordergrund stehenden Bedingungen, daneben Befristungen. Eine Bedingung im Rechtssinne liegt vor, wenn bei einem Rechtsgeschäft die Parteien den Eintritt oder den Fortbestand der Rechtswirkung von einem künftigen, objektiv ungewissen Ereignis abhängig machen (BAG NJW 2008, 872 Rn 37). Um eine Befristung handelt es sich hingegen dann, wenn der künftige Eintritt des Ereignisses feststeht und nur der Zeitpunkt ungewiss ist (Einzelheiten s § 163 Rn 1). § 158 umschreibt mit dem Ausdruck „Bedingung“ nicht nur die Abrede der Parteien, sondern auch das künftige Ereignis, das eine Handlung, Unterlassung oder ein sonstiger Tatbestand sein kann. Die Vorschrift unterscheidet in den Abs I und II zw aufschiebenden (Suspensiv-) und auflösenden (Resolutiv-)Bedingungen. Erstere bringen mit ihrem Eintritt die Rechtswirkung des Geschäfts zur Entstehung, letztere beenden sie. Während die aufschiebende Bedingung mit dem Rechtsgeschäft, dem sie nach dem Parteiwillen hinzugefügt wird, eine unlösbare Einheit bildet, ist die auflösende Bedingung ein selbständiger Teil des Rechtsgeschäfts (vgl Staud/Bork Rn 12). Diese Unterscheidung wirkt sich namentlich dann aus, wenn die Bedingung verbots- oder sittenwidrig ist (s Rn 9). Die Bedingung ist von der Geschäftsgrundlage zu unterscheiden. Vom Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung hängt die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts ab (s Rn 1). Bei der Geschäftsgrundlage weicht dagegen die Wirklichkeit, die die Parteien nicht beherrschen, von deren Vorstellungen und Erwartungen oder vom Inhalt des Vertrags ab, ohne dass dies unmittelbar Einfluss auf den Vertrag hätte. Vielmehr gewährt § 313 einen Anspruch auf Vertragsanpassung oder -aufhebung. 2. Uneigentliche Bedingungen. Vielfach wird im natürlichen Sprachgebrauch als „Bedingung“ bezeichnet, was keine Bedingung im Rechtssinne ist. Ob eine echte Bedingung vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Das gilt auch für als solche bezeichnete Bedingungen in einer notariellen Urkunde; doch spricht eine Vermutung für eine echte Bedingung, wenn ein Notar die Erklärungen formuliert hat (BayObLG Rpfleger 1967, 11, 12). Uneigentliche Bedingungen (Scheinbedingungen) sind: a) Die Geschäftsbedingung (Vertragsklausel), die den Inhalt eines Rechtsgeschäfts bestimmt, von der jedoch nicht seine Rechtswirkung abhängig ist, zB die Vorleistungsklausel: „Ware wird erst nach Zahlungseingang geliefert“. Sie gehört zu den Konditionen eines Geschäfts. Im Einzelfall kann die Abgrenzung schwierig sein, ob es sich um eine Bedingung oder um eine Vertragsklausel handelt (BGH WM 1963, 192; Düsseldorf NJW-RR 1991, 435). Auch ist es Auslegungsfrage, ob eine Vertragsbestimmung Bedingung oder reine Fälligkeitsregelung ist (BGH NJW 1993, 1381, 1382; NJW-RR 1998, 801, 802). b) Die Rechtsbedingung (conditio iuris). Sie ist keine rechtsgeschäftliche, sondern eine gesetzliche Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts und folgt eigenen Regeln (RG 144, 71, 73; BGH NJW 1996, 3338, 3340; NJW 2004, 1595). Um eine Rechtsbedingung handelt es sich zB, wenn ein unbefugter Vertreter einen Vertrag im Namen eines anderen schließt; es gelten die §§ 177ff. Gleiches gilt, wenn ein befugter Vertreter beim Handeln für einen anderen so aufgetreten ist, als habe er keine Vertretungsmacht (BGH NJW 1996, 3338, 3340). Eine Rechtsbedingung liegt auch vor, wenn die Parteien auf ein vermeintlich bestehendes gesetzliches Genehmigungserfordernis hinweisen; der Nichtbestand dieses Erfordernisses berührt nicht die Wirksamkeit des Geschäfts (BGH WM 1961, 407, 410; vgl BGH 65, 345, 346f = NJW 1976, 519). Auf Gesetz und nicht auf Rechtsgeschäft beruht die zeitliche Beschränkung der Wirksamkeit eines Vertrags auf die Dauer der Vorerbschaft (BGH 52, 269, 272 = NJW 1969, 2043, 2045). Auch der Erbanfall an den Ersatzerben beruht auf einer gesetzlichen Voraussetzung, so dass die §§ 158ff nicht anwendbar sind (vgl Becher NJW 1969, 1463, 1464; aA Kempf NJW 1961, 1797). Die Ausschlagung einer Erbschaft unter der „Bedingung“ des nachfolgenden Eintritts der gesetzlichen Erbfolge ist gleichfalls keine rechtsgeschäftliche Bedingung (Düsseldorf NJW-RR 1998, 150, 151). c) Die bereits eingetretene Bedingung (conditio in praesens vel in praeteritum collata). Das Ereignis ist hier nur subjektiv, nicht aber objektiv ungewiss. Ein objektiver Schwebezustand liegt nicht vor; entweder ist die Rechtswirkung eingetreten oder nicht. Aber die §§ 158ff sind auf einen lediglich subjektiven Schwebezustand entspr anwendbar (KG DStR 2012, 2346; Staud/Bork Rn 29; Frohn Rpfleger 1982, 56, 57; vgl BGH LM § 159 Nr 1). Die Wirkung des Rechtsgeschäfts tritt dann erst mit der Kenntnis der Parteien ein (Brox/Walker AT Rn 481; Staud/Bork Rn 29). Auch Steuerklauseln sind keine echten Bedingungen, da die zu erwartende Steuer dem Grunde und der Höhe nach objektiv gewiss ist (Tipke NJW 1968, 865, 867). – Mitunter kann eine Wette (§ 762) vorliegen (MüKo/Westermann § 158 Rn 53). Kein tauglicher Bedingungsgegenstand sind den Parteien

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bekannte gegenwärtige Zustände oder Ereignisse wie zB der Depotbestand im Zeitpunkt des Abschlusses des Kommissionsauftrags (MüKo-HGB/K. Schmidt2, 2009, § 343 Anh I Rn 557). d) Die notwendige Bedingung (conditio necessaria). Sie macht den Eintritt der Rechtswirkung von einem Ereignis abhängig, das eintreten muss. Hier liegt ein unbedingtes Geschäft vor. Ist das notwendige Ereignis jedoch ein bestimmter Anfangs- oder Endtermin, so wird nach dem Willen der Parteien ein befristetes Geschäft iSd § 163 anzunehmen sein (Staud/Bork Rn 27; noch weiter Brox/Walker AT Rn 481, der meint, die notwendige Bedingung sei immer eine Befristung). e) Die unmögliche Bedingung, von der von vornherein feststeht, dass sie nicht eintreten kann. Eine aufschiebende Bedingung dieser Art macht das Rechtsgeschäft nichtig, da die aufschiebende Bedingung als untrennbarer Bestandteil des Rechtsgeschäfts von diesem nicht gelöst werden kann (Flume II § 38, 4c [S 691f]; MüKo/Westermann § 158 Rn 48; vgl auch Mot I, S 265). Eine unmögliche, auflösende Bedingung ist unbeachtlich, da sie idR ein selbständiger, also ablösbarer Bestandteil des Rechtsgeschäfts ist. Das Rechtsgeschäft ist dann voll gültig (Flume II § 38, 4c [S 692]; MüKo/Westermann § 158 Rn 48). – Ist die Bedingung bei Vornahme des Rechtsgeschäfts unmöglich, kann die Unmöglichkeit jedoch behoben werden und soll das Geschäft für diesen Fall, zB eine künftige Gesetzesänderung, geschlossen sein, liegt eine echte Bedingung in der Form einer sog unentschiedenen Bedingung (Mot I, S 265) vor. Das Rechtsgeschäft ist gültig, vorausgesetzt, dass es nicht wegen Aufnahme einer solchen Bedingung gesetzlich verboten (§ 134) oder sittenwidrig und damit gem § 138 nichtig ist (s Rn 9). Zur letztwilligen Verfügung vgl §§ 2074, 2075. f) Die unerlaubte oder unsittliche Bedingung. Sie kann das Rechtsgeschäft im Ganzen nach §§ 134, 138 nichtig machen. § 139 ist bei einer aufschiebenden Bedingung nicht anwendbar, da die Bedingung kein „Teil des Geschäfts“ ist, sondern mit ihm eine untrennbare Einheit bildet (vgl BGH NJW 1999, 351 zu einem Verstoß gegen § 313 aF [§ 311b I]). Umdeutung nach § 140 ist möglich, wenn dies bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde (aA Flume II § 38, 4c [S 692]); an dieser subjektiven Voraussetzung wird es freilich meist fehlen. Bei auflösender Bedingung kann es anders liegen; doch wird dann regelmäßig das Rechtsgeschäft zum Schutz der betroffenen Vertragspartei als unbedingt geschlossen anzusehen sein (Soergel/Wolf Rn 32), zB ein mit unwirksamer Zölibatsklausel (Art 6 I GG) geschlossener Arbeitsvertrag (BAG 4, 274, 285f; s auch LAG Düsseldorf DB 1969, 931 zur Schwangerschaft als auflösender Bedingung eines Arbeitsvertrags; BAG NJW 1982, 788, 790 zur unwirksamen Umgehung des § 626 durch auflösende Bedingung. Aus §§ 21, 14 I TzBfG ergibt sich die grds Zulässigkeit einer auflösenden Bedingung im Arbeitsvertrag (Boewer, FS Schwerdtner, 2003, 37ff; Joch/Klichowski NZA 2004, 302, 303). Zulässig ist es auch, im Schenkungsvertrag den Tod des Beschenkten als auflösende Bedingung zu vereinbaren (Bütter/Tonner NZG 2003, 193, 198f). Soweit eine Bedingung iSv § 158 in AGB enthalten ist, unterliegt sie der Kontrolle nach den §§ 307ff (LG München I CR 2004, 774, 775). g) Die unnütze Bedingung, die keiner Partei einen Vorteil bringt (Mot I, S 264). Sie ist erlaubt, kann aber das Geschäft nach § 118 wegen Fehlens des ernstlichen Charakters nichtig machen. h) Die unverständliche Bedingung. Sie macht, wenn sich durch Auslegung (§§ 133, 2084) ihre Bedeutung nicht klarstellen lässt, das ganze Geschäft wegen Unbestimmtheit seiner Rechtswirkung nichtig (Mot I, S 267). 3. Potestativ- und Wollensbedingungen. Das BGB unterscheidet nicht zw potestativen (willkürlichen), zufälligen oder gemischten Bedingungen. a) Bei einer Potestativbedingung ist der Eintritt einer Rechtswirkung an ein Verhalten (Tun oder Unterlassen) geknüpft, das vom Belieben einer Vertragspartei abhängt (Flume II § 38, 2d [S 684]). Bzgl dieses Verhaltens ist die Partei frei; die an das Verhalten geknüpfte Rechtswirkung tritt jedoch unabhängig von ihrem Willen ein (Staud/Bork Rn 16). Das Tun oder Unterlassen hat mit dem Rechtsgeschäft selbst nichts zu tun. Die Potestativbedingung ist daher eine echte Bedingung, nicht anders als die Zufallsbedingung (Mot I, S 266). b) Bei der Wollensbedingung wird im Unterschied zur Potestativbedingung die Geltung des Rechtsgeschäfts in den Willen einer Vertragspartei gestellt. Die Wollensbedingung wird verbreitet als die eigentliche Potestativbedingung bezeichnet (s nur BGH DB 1962, 1567; Pal/Ellenberger Rn 10; Staud/Bork Rn 17). Str ist, ob ein Rechtsgeschäft unter einer reinen Wollensbedingung geschlossen werden kann (volo si volam; Raape Die Wollensbedingung; Giesen, FS Schapp, 2010, 159, 160ff). Bsp: V verkauft Möbel an K mit der Maßgabe, dass der Vertrag wirksam wird, wenn V ihn binnen 14 Tagen schriftlich bestätigt. Der Vertrag kann in diesem Fall nicht gegen den Willen des V wirksam werden; gerade sein Wille ist „Bedingung“ des Wirksamwerdens. Die Rspr nimmt vor allem bei gegenseitigen Verträgen an, dass die Vertragserfüllung von der reinen Willkür einer Vertragspartei abhängig gemacht werden kann (BGH 47, 387, 391 = NJW 1967, 1605; NJW 1996, 3338, 3340; NJW-RR 1996, 1167; zu einseitigen Rechtsgeschäften s Rn 18). Zur Begr werden die §§ 454, 455 (§§ 495, 496 aF) angeführt, die den Kauf auf Probe ausdr als „bedingten Kauf“ bezeichnen und den Eintritt der Bedingung (Billigung) in das Belieben des Käufers stellen (RG 72, 385; 77, 415, 417; Enn/Nipperdey § 194 IV 3, 1190f; Wunner AcP 168, 425ff). Es ist jedoch zu differenzieren: Sofern keine vertragliche Bindung besteht, kann keine echte Bedingung angenommen werden, da diese Modalität eines geschlossenen Vertrags sein muss (s auch Giesen, FS Schapp, 2010, 159, 169). An einer Bedingung im Rechtssinne fehlt es daher, wenn das bloße Wollen, das nicht erkennbar zum Ausdruck gebracht wird, zur aufschiebenden „Bedingung“ erhoben wird; hier bleibt die Verbindlichkeit des Rechtsgeschäfts offen (Mot I, S 266; RG 72, 385; 104, 98, 100). Anders ist zu entscheiden, wenn der zur Billigung des Rechtsgeschäfts berufene Vertragsteil sich erklären muss. Zwar werden hier die Regelungen des Rechtsverhältnisses erst durch die Erklärung in Geltung gesetzt; eine vertragliche Bindung, die uU formbedürftig ist, besteht jedoch bereits seit der Vereinbarung des Rechtsverhältnisses (BGH NJW-RR 1996, 470

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Bedingung und Zeitbestimmung

Vor § 158

1167; Flume II § 38, 2d [S 686]; aA Staud/Bork Rn 18; ähnlich auch die in BGH DB 1962, 1567 freilich als „Sonderfälle“ bezeichneten Entscheidungen RG 131, 24, 26f; 136, 132, 135). Dies erklärt, warum die Billigung iSd §§ 454, 455 auch ohne entspr gesetzliche Regelung stets formlos erfolgen kann (Jauernig/Berger §§ 454, 455 Rn 6; diff Staud/Bork Vorbem §§ 145ff Rn 72 [Vorschriften, die den Erklärenden schützen, sind stets anzuwenden]). Sie ähnelt darin der Formfreiheit der Erklärungen in den verwandten Fällen des Wiederkaufs in § 456 I 2 und des Vorkaufs in § 464 I 2 (zum Optionsvertrag s Rn 14). – Auch spricht nichts gegen die Zulässigkeit einer auflösenden Wollensbedingung (Mot I, S 266; LAG Berlin NZA-RR 2006, 68, 69; Staud/Bork Rn 18; Wunner AcP 168, 425, 426; abw MüKo/Westermann § 158 Rn 22). Alternativ könnten die Parteien in diesem Fall ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht vereinbaren (Flume II § 38, 2d [S 687]). Durch Auslegung ist zu ermitteln, ob eine ex nunc wirkende Vernichtung des Rechtsgeschäfts mit einer Abwicklung grds (vgl auch § 159 Rn 1) nach Bereicherungsrecht (dann auflösende Wollensbedingung) oder eine vertragliche Rückabwicklung (dann Rücktritt oder Kündigung; vgl §§ 346ff) gewollt ist (abw BeckOK/Rövekamp Ed. 39, § 158 Rn 11.1: im Zweifel Rücktrittsvorbehalt). Jedenfalls ist eine auflösende Wollensbedingung im Gegensatz zu Kündigung und Rücktritt auch bei dinglichen Rechtsgeschäften möglich (vgl § 158 Rn 6). 4. Die Einräumung eines Optionsrechts (insb: Ankaufsrechts) kann rechtlich Verschiedenes bedeuten: Einmal 14 kann es sich um ein einseitiges Verkaufsangebot (Vermietungsangebot etc) mit befristeter Bindung handeln. Die Bestätigung durch den Käufer ist die Annahme des Angebots; sie ist daher ebenso wie dieses formbedürftig, wenn es sich um einen Grundstückskaufvertrag handelt (§ 311b I). Zum anderen kann ein Optionsrecht auch vertraglich begründet werden, und zwar entweder durch einen Vorvertrag (s Vor § 145 Rn 46ff) oder einen Optionsvertrag (s Vor § 145 Rn 52; vgl BGH WM 1961, 800, 801; NJW-RR 1996, 1167). Während bei einem Vorvertrag ein Vertragspartner sich zum Abschluss eines Vertrags mit bestimmtem Inhalt verpflichtet, so dass dem anderen ein Anspruch auf Abgabe einer entspr Willenserklärung erwächst, wird bei einem Optionsvertrag einer Partei das Recht eingeräumt, innerhalb einer bestimmten Frist einen Kaufvertrag mit bereits festgelegtem Inhalt durch eine einseitige Willenserklärung zustande zu bringen. In einem solchen Fall kann es sich um einen bedingten Kaufvertrag handeln, sofern seine Erfüllung von einer nachträglichen, innerhalb bestimmter Frist abzugebenden Erklärung einer Partei abhängen soll (vgl BayObLG DNotZ 1999, 1011, 1012; Mock, RWS-Forum Immobilienrecht, 1998, 91, 92; Schöner/Stöber Grundbuchrecht15 2012, Rn 1448f). Bei gegenseitigen Verträgen, bei denen notwendig jeder Teil zugleich Gläubiger und Schuldner ist, kann die Vertragserfüllung von der Billigung einer Partei abhängig gemacht werden; es handelt sich um eine zulässige Potestativbedingung (s Rn 13; aA Staud/Bork Vorbem §§ 145ff Rn 71 [es handele sich um eine zulässige Wollensbedingung, da nur der erklärte Wille zur Bedingung gemacht werde]; zur Vereinbarung eines Ankaufsrechts, bei dem die Bedingungen in den freien Willen beider Vertragsparteien gestellt werden, s BGH NJW 1967, 153; s auch Mülsch/Penzel ZIP 2004, 1987f). Die Annahme, dass die Parteien eines Optionsvertrags einen bedingten Kaufvertrag abschließen, wird indessen 15 bezweifelt (Henrich Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 238f; s auch Flume II § 38, 2d [S 686]). Der Optionsvertrag begründe vielmehr für den Optionsberechtigten ein Gestaltungsrecht, dessen Ausübung erst einen Kaufvertrag gem dem im Optionsvertrag von den Parteien festgelegten Inhalt entstehen lasse. Damit sei die Annahme eines bedingten Kaufvertrags nicht vereinbar (Larenz SchuldR II 1 § 44 IV 3 [S 158]). Praktische Bedeutung kommt diesem Streit kaum zu (so zu Recht für das Vorkaufsrecht Medicus/Lorenz SchuldR II Rn 322). Der BGH lässt die Rechtsnatur des Ankaufsrechts regelmäßig offen (s nur NJW 1968, 551, 552, wo sowohl Festofferte als auch aufschiebend bedingter Hauptvertrag als Gestaltungsrecht bezeichnet werden). Besteht ein Bedürfnis nach Anwendung der §§ 104ff (M. Becker AcP 188, 25, 35 Fn 35; vgl auch Larenz SchuldR II 1 § 44 I [S 144] für den Kauf auf Probe), so kann eine rechtsgeschäftliche Erklärung zur Bedingung erhoben werden. Da ein aufschiebend bedingter Vertrag bereits im Schwebezustand Schadensersatzansprüche auslösen kann (s nur BGH 90, 302, 308 = NJW 1984, 2034; LM Nr 11), zwingt die Annahme eines bedingten Hauptvertrags in Haftungsfragen auch nicht zu einer Analogie zu den §§ 160ff (dies übergeht M. Weber JuS 1990, 249, 255 Fn 90). Die Konstruktion des Optionsvertrags als bedingter Hauptvertrag hat hingegen den Vorzug, dass die Ausübung der Option keinem Formerfordernis unterworfen ist (aA Staud/Bork Vorbem §§ 145ff Rn 74). Wer von einem Gestaltungsrecht ausgeht, muss konsequenterweise Formbedürftigkeit fordern, da erst mit Ausübung der Option eine rechtsgeschäftliche Bindung eintreten kann (Georgiades, FS Larenz, 1973, 409ff, 425, M. Weber JuS 1990, 249, 254; Larenz SchuldR II 1, § 44 IV 3 [S 158]; Wufka DNotZ 1990, 339, 354). Zu Recht ist der BGH dieser Ansicht nicht gefolgt; Optionen sind stets formfrei ausübbar (BGH NJW-RR 1996, 1167; vorausgesetzt auch von BGH NJW 1991, 2698; s auch BGH NJW 2000, 1332, 1333 für den Wiederkauf; RG 169, 65, 70; Pal/Grüneberg § 311b Rn 11). Optionsklauseln zur Verlängerung eines Mietvertrags über ein Grundstück, der für längere Zeit als ein Jahr ge- 16 schlossen wird, bedürfen der Form der §§ 578 I, 550 S 1 (Düsseldorf JR 1968, 145, 147 zu § 566 aF). Eine Option, die dem Mieter die Befugnis gibt, durch einseitige Erklärung das Mietverhältnis um eine bestimmte Zeit zu verlängern, bewirkt, dass die Laufzeit des Vertrags mit Zugang der Optionserklärung ohne weiteres um die Optionszeit verlängert wird. Die Gestaltungswirkung wird nicht durch ein rechtskräftiges Urt auf künftige Räumung gehindert und kann mit der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden (BGH 94, 29, 32 = NJW 1985, 2481). – Die Haftung des Optionsgebers für das Zustandekommen und die Erfüllung des Hauptvertrags folgt auch aus dem Optionsvertrag, der ein gegenseitiger Vertrag ist, wenn für die Ausübung des Optionsrechts ein Bindungsentgelt festgelegt ist (vgl Georgiades, FS Larenz, 1973, 409, 424ff). Armbrüster

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5. Die echte Bedingung ist Parteibedingung. Sie kann nicht nur ausdr, sondern auch konkludent gesetzt werden, dh durch schlüssiges Verhalten der Parteien, insb kann sie den Umständen zu entnehmen sein. Handelt es sich bei einer stillschw Bedingung nur um eine Rechtsbedingung, so liegt eine Scheinbedingung vor (s Rn 5). 6. Bedingungsfeindliche Geschäfte. a) Bestimmte Rechtsgeschäfte können nicht unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung geschlossen werden (actus legitimi). Es sind dies: Aufrechnung (§ 388 S 2), Auflassung (§ 925 II; vgl München NJOZ 2015, 11), Eheschließung (§ 1311 S 2), Anerkennung der Vaterschaft (§ 1594 III), Antrag des Annehmenden auf Ausspruch der Adoption (§ 1752 II 1) sowie dazu erforderliche Einwilligungen (§ 1750 II 1), Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft (§ 1947) oder eines Vermächtnisses (§ 2180 II 2 Hs 2), Annahme und Ablehnung des Testamentvollstreckungsamtes (§ 2202 II 2 Hs 2); ferner die Bestellung oder Übertragung eines Erbbaurechts unter auflösender Bedingung (§ 1 IV 1, 11 I 2 ErbbauRG; BGH 52, 269, 271f = NJW 1969, 2043, 2045), die Einräumung und Aufhebung von WE (§ 4 II 2 WEG) sowie die Prokuraerteilung im Verhältnis zu Dritten (vgl § 50 II HGB). Bedingungsfeindlich ist auch das Mieterhöhungsverlangen des Vermieters iSv § 558a (BGH 17.12.2014 – VIII ZR 89/13 Rn 34; LG Berlin GE 2011, 1231; AG Schöneberg GE 2010, 1279; Börstinghaus in Schmidt-Futterer, § 558a Rn 16). Bei einseitigen Willenserklärungen, die gestaltend in den Rechtskreis anderer eingreifen, folgt die Bedingungsfeindlichkeit auch ohne gesetzliche Anordnung schon daraus, dass keine Unsicherheit über die Rechtslage aufkommen darf. Aus diesem Grunde ist ebenso wie eine bedingte Aufrechnung (§ 388 S 2) auch eine bedingte Rücktritts- (BGH 97, 264, 266f = NJW 1986, 1813; zur Abgrenzung s BGH NJWRR 2004, 952, 953; § 145 Rn 16 aE), Widerrufs- oder Anfechtungserklärung (RG 66, 153; BGH WM 1961, 157; MüKo/Westermann § 158 Rn 28f, auch zur – zulässigen – Eventualaufrechnung), ferner eine bedingte Wahlerklärung bei der Wahlschuld sowie die bedingte Ausübung eines Vorkaufsrechts grds ausgeschlossen (MüKo/Westermann § 158 Rn 28; Soergel/Wolf § 158 Rn 43). Auch eine aufschiebend bedingte Kündigung kann unzulässig sein (zur Befristung s § 163 Rn 1). Dies gilt aber nicht, wenn der Empfänger mit einer bedingten Erklärung einverstanden ist oder wenn der Eintritt des künftigen Ereignisses nur von seinem Willen abhängt (Wollensbedingung, s auch Rn 13), so dass für ihn die Rechtslage nicht ungewiss ist (RG 91, 307, 308f; BGH WM 1973, 694, 695; BGH 97, 264, 267 = NJW 1986, 1813; BAG NJW 1995, 1981, 1982; Soergel/Wolf § 158 Rn 43f; MüKo/Westermann § 158 Rn 29f; Enn/Nipperdey § 195 II 2b [S 1195]). Zulässig ist daher eine sog Änderungskündigung, die für den Fall gelten soll, dass der Empfänger nicht mit einer bestimmten Änderung des bestehenden Vertragsverhältnisses einverstanden ist (BGH LM § 609 Nr 4; BAG NJW 1968, 2078; NJW 1999, 379ff). Eine Kündigung kann auch dadurch auflösend bedingt werden, dass das Ende der Beschäftigung nicht schon aus anderen Gründen erfolgt (BAG NJW 2014, 3533 Rn 12). Zur Zulässigkeit einer bedingten Mahnung s § 286 Rn 35. Auch die Bestellung eines GmbH-Geschäftsführers kann auflösend bedingt erfolgen (BGH NJW-RR 2006, 182 Rn 14ff; Manger GmbHR 2004, 421, 422; aA Scholz/Schneider/Schneider GmbHG11, 2012, § 6 Rn 38). Dasselbe gilt für dessen Amtsniederlegung, wenn sie durch die Eintragung des Ausscheidens in das Handelsregister bedingt sein soll (München 20.12.2012 – 27 W 159/12; Frankfurt NJW-RR 1994, 105f; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG20 2013, § 39 Rn 9). Ebenso kann die Begr eines Sondernutzungsrechts für WE bedingt erfolgen (Zweibrücken NJW-RR 2008, 1395, 1396). Keine Rechtsunsicherheit besteht, wenn ein Widerruf eines Vertragsangebotes nicht zum Erlöschen, sondern zur Befristung des Angebotes führt (BGH NJW-RR 2004, 952, 953). Ein Wohnungsrecht nach § 1093 kann grds auflösend bedingt werden. Jedoch muss die Bedingung aufgrund des Publizitätserfordernisses des Grundbuchs eindeutig und objektiv bestimmbar sein (Frankfurt MittBayNot 2016, 231). b) Zulässig ist bei bedingungsfeindlichem Geschäft die Hinzufügung uneigentlicher Bedingungen (s Rn 3ff), zB von Rechtsbedingungen (vgl BGH 99, 236, 239 = NJW 1987, 899) oder bereits entschiedenen Bedingungen (vgl RG 146, 234, 238f zur Anfechtung). Zulässig ist eine Eventualaufrechnung für den Fall, dass die Klageforderung begründet ist (Mot II, S 108; RG 57, 97, 101; MüKo/Westermann § 158 Rn 29; krit K. H. Schwab, FS Nipperdey I, 1965, 939ff). Zulässig ist auch eine Eventualanfechtung (BGH NJW 1968, 2099; NJW 1991, 1673, 1674; MüKo/Westermann § 158 Rn 29).

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Rechtsgeschäfte

Aufschiebende und auflösende Bedingung

(1) Wird ein Rechtsgeschäft unter einer aufschiebenden Bedingung vorgenommen, so tritt die von der Bedingung abhängig gemachte Wirkung mit dem Eintritt der Bedingung ein. (2) Wird ein Rechtsgeschäft unter einer auflösenden Bedingung vorgenommen, so endigt mit dem Eintritt der Bedingung die Wirkung des Rechtsgeschäfts; mit diesem Zeitpunkt tritt der frühere Rechtszustand wieder ein. 1. Überblick. Bei aufschiebender Bedingung entsteht, bei auflösender Bedingung endet die Rechtswirkung eines Rechtsgeschäfts mit dem Eintritt der Bedingung. Ob eine aufschiebende oder auflösende Bedingung vorliegt, hängt – ebenso wie die Frage, ob überhaupt eine Bedingung besteht (s dazu KG NZM 2005, 21; LG Frankfurt NJW 2004, 3430; AG Bremerhaven MMR 2013, 98; AG Hamburg-Altona 5.2.2013 – 316 C 337/12) – von der Auslegung des einzelnen Rechtsgeschäfts ab. Allg Auslegungsregeln stellt das Gesetz nicht auf (Mot I, S 251). Im Kaufrecht finden sich spezielle Regeln: Beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt ist nach § 449 I im Zweifel eine aufschiebend bedingte Übereignung, beim Kauf auf Probe nach § 454 I 2 im Zweifel ein aufschiebend bedingter Kaufvertrag anzunehmen. Im Erbrecht enthält § 2075 eine Auslegungsregel, wonach bestimmte bedingte letztwillige Verfügungen im Zweifel eine auflösende Bedingung enthalten. Generell wird in Zweifelsfällen dem Interesse beider Parteien meist ein aufschiebend bedingter Vertragsschluss entsprechen, weil seine Bindungswirkung ge472

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Bedingung und Zeitbestimmung

§ 158

ringer ist (Soergel/Wolf Rn 4; aA Staud/Bork Rn 4). Das ist jedenfalls bei einem Konditionsgeschäft anzunehmen, wenn es ähnlich wie bei einem Kauf auf Probe völlig im Belieben des Käufers steht, ob er die Ware zurückgibt (BGH NJW 1975, 776, 777). Die Bedingung kann auch ggü dem Rahmen- und dem Vorvertrag abzugrenzen sein (s dazu BGH NJW-RR 2009, 598 Rn 19ff). 2. Die Bedingung kann sich auf jedes nicht bedingungsfeindliche (Vor § 158 Rn 18) Rechtsgeschäft beziehen; erfasst werden damit neben Verträgen insb auch Beschl (Köln MDR 2005, 500 – WEG-Beschl). Bei Verträgen kann sie das schuldrechtliche Grundgeschäft und zugleich das dingliche Erfüllungsgeschäft betreffen oder sich auf eines dieser Geschäfte beschränken (vgl zur Einräumung eines Nutzungsrechts Maaßen GRUR-Prax 2013, 127, 128). Beim Kauf unter Eigentumsvorbehalt ist der Kauf idR unbedingt, die Eigentumsübertragung jedoch aufschiebend bedingt, und zwar bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises, § 449 I. Ob bei einem bedingten Kaufvertrag davon auszugehen ist, dass auch die Übereignung bedingt vorgenommen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Eine Vermutung dahingehend, dass Kausal- und Erfüllungsgeschäft regelmäßig unter derselben Bedingung vorgenommen werden, besteht nicht (Staud/Bork Rn 12; aA Erman/Hefermehl10). Vielmehr ist das schuldrechtliche vom dinglichen Geschäft zu trennen. Beschränkt sich zB die (aufschiebende) Bedingtheit auf das schuldrechtliche Geschäft, so bleibt das dingliche auch bei Ausfall der Bedingung gültig; die Rückforderung richtet sich dann nach Bereicherungsgrundsätzen, §§ 812 I, 814 (zur Rückforderung des Geleisteten nach Eintritt einer auflösenden Bedingung s § 159 Rn 1). Leistet der aufschiebend bedingt Verpflichtete vor Bedingungseintritt, aber in Erwartung desselben, so kann er bis zum Bedingungseintritt gem § 812 I 2 Fall 2 (condictio ob rem) seine Leistung kondizieren; § 814 ist hier nicht anwendbar (RG 71, 316, 317; Soergel/Wolf Rn 17). Zur auflösenden Bedingung bei der Sicherungsübereignung s Anh §§ 929–931 Rn 5. Zur bedingten Sicherungsgrundschuld s § 1191 Rn 13; ferner § 1191 Rn 66ff (aufschiebend bedingter Rückgewähranspruch des Sicherungsgebers bei der Sicherungsgrundschuld). 3. Aufschiebende Bedingung (Abs I). Das aufschiebend bedingt geschlossene Rechtsgeschäft ist ein wirksames Geschäft; nur seine Rechtswirkung ist noch nicht eingetreten (Leenen, FS Canaris, 699, 703). Klassisches Bsp ist der Kauf unter Eigentumsvorbehalt. Die Parteien sind an das Geschäft gebunden und können es nicht mehr einseitig lösen. Ein bedingt abgeschlossenes Rechtsgeschäft liefert deshalb regelmäßig den „sicheren Boden“ eines vormerkungsfähigen Anspruchs (BGH 134, 182, 185f = NJW 1997, 861). Während des Schwebezustandes sind die Vertragsparteien zu vertragstreuem Verhalten verpflichtet (BGH 90, 302, 308 = NJW 1984, 2034; LM Nr 11; s auch BGH NJW 1990, 507, 508 zu Handlungs- und Unterlassungspflichten nach Beendigung des Schwebezustands durch Ausfall der Bedingung). Wie sich aus den §§ 160, 162 ergibt, hat der bedingt Berechtigte bereits eine gesicherte Rechtsposition. Diese Anwartschaft auf den endgültigen Rechtserwerb stellt ein Vermögensrecht des Anwärters dar, das selbständig übertragen und vererbt werden kann und pfändbar ist (§§ 857, 844 ZPO), sofern dies auch für das bedingte Recht zutrifft. Als ein die Veräußerung hinderndes Recht kann auch ein Anwartschaftsrecht zur Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) berechtigen, zB dasjenige des Vorbehaltskäufers, wenn Gläubiger des Vorbehaltsverkäufers die Zwangsvollstreckung in die Vorbehaltssache betreiben (BGH 55, 20, 27 = NJW 1971, 799; Serick I § 12 I 2). In der Insolvenz gehört das Anwartschaftsrecht zur Masse (§ 35 InsO). Trotz Anerkennung eines selbständigen Anwartschaftsrechts des bedingt Berechtigten darf nicht übersehen werden, dass das Eigentums- oder Gläubigerrecht während der Schwebezeit noch dem Verfügenden zusteht, und zwar als ein auflösend bedingtes Recht. Der Rechtsinhaber ist jedoch gem § 161 in seiner Verfügungsmacht beschränkt. Der Schwebezustand wird durch den Eintritt oder Ausfall der Bedingung oder durch deren Aufhebung oder den Verzicht (Rn 11) beendet. Mit Erfüllung der Bedingung tritt die volle Wirksamkeit eines aufschiebend bedingten Rechtsgeschäfts ipso iure ein, ohne dass die Willenseinigung der Parteien noch Bestand haben müsste (BGH 127, 129, 133f = MDR 1995, 678 m Anm Schnorbus; BFH NJW 2015, 2367 Rn 22). Tritt die Bedingung ein, so wird das Anwartschaftsrecht nach Abs I zum Vollrecht. Die dingliche Rechtsänderung ist vollzogen; der bedingt Berechtigte ist unbedingt Berechtigter geworden. Zum Übergang des vollen Gläubiger- oder Eigentumsrechts bedarf es keiner besonderen Übertragungshandlung mehr; er vollzieht sich automatisch, und zwar, wenn das Anwartschaftsrecht zwischenzeitlich übertragen worden ist, unmittelbar in der Person des Erwerbers (BGH 20, 88, 94 = NJW 1956, 665). Die dingliche Rechtsänderung tritt „mit dem Eintritt der Bedingung“, also ex nunc ein und wirkt nicht zurück (BGH 10, 69, 72 = NJW 1953, 1099f). Zwar können die Parteien eine Rückbeziehung vereinbaren; eine solche Vereinbarung hat nach § 159 aber nur schuldrechtliche Wirkung. Fällt die Bedingung aus, so wird das Anwartschaftsrecht hinfällig. Das Geschäft ist damit als nicht zustande gekommen anzusehen. 4. Auflösende Bedingung (Abs II). a) Das auflösend bedingte Rechtsgeschäft ist rechtlich das Spiegelbild des aufschiebend bedingten. Die Rechtsänderung tritt auch hier ex nunc ein (BGH 133, 331, 334 = NJW 1997, 1706; NJW 2011, 143 Rn 45). Der frühere Rechtszustand tritt gem Abs II Hs 2 automatisch wieder ein, aber ohne dingliche Rückwirkung (vgl hierzu Kempf AcP 158, 308). Freilich ist dies praktisch nicht immer möglich, etwa bei auflösend bedingten Gesellschaftsverhältnissen. Um eine Rückabwicklung des Leistungsaustauschs zw den Gesellschaftern zu vermeiden, können hier die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft herangezogen werden (MüKo/Westermann Rn 42). Während des Schwebezustands besteht ebenfalls ein Anwartschaftsrecht, das zB bei einer Übereignung dem Veräußerer zusteht. Es entspricht in seinen Wirkungen dem Anwartschaftsrecht des Erwerbers bei aufschiebend bedingter Übereignung (s dazu Rn 3f).

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Rechtsgeschäfte

b) Zu unterscheiden ist die auflösende Bedingung vom Rücktritt. Die Bedingung wirkt, sofern sie dem dinglichen Geschäft anhaftet, auch dinglich und ipso iure, während der Rücktritt aufgrund einer besonderen Rücktrittserklärung nur eine schuldrechtliche Rückgewährpflicht gem §§ 346ff auslöst. Die Auslegung kann ergeben, dass eine auflösende Bedingung als einseitiger Rücktrittsvorbehalt aufzufassen ist (RG SeuffA 79, 15). Bei einem Urlaubssparvertrag ist im Zweifel ein Rücktrittsrecht und keine auflösende Bedingung vereinbart (LG Hamburg NJW-RR 1991, 823). Die Klausel „richtige und rechtzeitige Selbstbelieferung vorbehalten“ kann eine auflösende Bedingung sein (BGH 24, 39, 40f = NJW 1957, 873). Zu Bedingung und Rücktrittsvorbehalt beim „Kauf auf Feldprobe“ s München NJW 1968, 109. – Rücktritt und auflösende Bedingung können auch miteinander gekoppelt sein, zB dergestalt, dass der Rücktritt vom Vertrag die auflösende Bedingung für den Eigentumsübergang darstellt. In diesem Fall gewinnt der Rücktritt durch Parteiabrede mittelbar dingliche Wirkung. – Bei einem Widerrufsvorbehalt zugunsten beider Parteien in einem Prozessvergleich handelt es sich idR nicht um einen Rücktrittsvorbehalt oder um eine auflösende Bedingung, sondern um eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Vergleichs (BGH 46, 277, 281 = NJW 1967, 440, 441; 88, 364, 367 = NJW 1984, 312; NJWRR 1989, 1214, 1215). Um einen Sonderfall der auflösenden Bedingung handelt es sich bei erbrechtlichen Verwirkungsklauseln, die unter § 2075 fallen (s dazu BGH NJW-RR 2009, 1455 Rn 17). Wird der Erstkäufer im Kaufvertrag auf ein bestehendes Vorkaufsrecht hingewiesen, ist die Vereinbarung dahin zu verstehen, dass die Ansprüche des Erstkäufers unter der auflösenden Bedingung der Ausübung des Vorkaufsrechts stehen sollen (BGH NJW-RR 2009, 1172 Rn 17). 5. Eine Bedingung kann aufschiebend und zugleich auflösend gesetzt sein. Die Entscheidung dessen, der zB bei der Bestellung eines Wohnungsrechts ein Wahlrecht eingeräumt bekommen hat, anstelle einer bereits bezogenen Wohnung eine andere zu beziehen, kann als auflösende Bedingung für das Wohnungsrecht an der bezogenen Wohnung und zugleich als aufschiebende Bedingung für das Wohnungsrecht an der zukünftigen Wohnung angesehen werden (BayObLG NJW-RR 1988, 982). Ebenso kann eine grundstücksrechtliche Rückübertragungsverpflichtung dann entfallen sollen, „falls und solange“ noch ein Abkömmling lebt (München NotBZ 2014, 152, 153). – Erlässt ein Darlehensgläubiger seinem Schuldner die Rückzahlung schenkungshalber für den Fall, dass dieser ihn überlebt, so wird verbreitet das Schenkungsversprechen als aufschiebend und das Darlehen als auflösend bedingt angesehen (Staud/Bork Rn 6; MüKo/Westermann Rn 15). Letzterem ist nicht zu folgen. Der Erlass bewirkt gem § 397 I lediglich das Erlöschen des Darlehensrückzahlungsanspruchs, greift aber nicht ohne weiteres als auflösende Bedingung in den bestehenden Darlehensvertrag ein. Als abstraktem Rechtsgeschäft kann einem aufschiebend bedingten Erlass eine Schenkung als Rechtsgrund gegeben werden (vgl dazu RG 53, 294). 6. Einzelfälle. a) Barzahlung. Im Anschluss an eine strafrechtliche Entscheidung des OLG Saarbrücken (NJW 1976, 65, 66) wird verbreitet angenommen, dass ein zur Tilgung einer Geldschuld verwendeter Geldschein, der diese Schuld erheblich übersteigt, gewöhnlich unter der aufschiebenden Bedingung der Rückzahlung des Differenzbetrags übereignet werde (Staud/Bork Rn 5; Pal/Ellenberger Rn 4). Sinn einer solchen aufschiebenden Bedingung ist es, einen dinglichen Zug-um-Zug-Mechanismus entstehen zu lassen, wie er auch bei Wechselgeschäften mit Bargeld gefordert wird (Staud/K. Schmidt Vor §§ 244ff Rn B15). Ob dies der Interessenlage und der Verkehrssitte immer gerecht wird, ist allerdings zweifelhaft (vgl H. L. Günther JZ 1976, 665). In solchen Fällen, in denen nach den Umständen (zB Kasse eines großen Warenhauses) gewöhnlich damit zu rechnen ist, dass – auch bei hoher Wertdifferenz – ausreichend Wechselgeld vorhanden ist, wirkt die Annahme einer nur bedingten Geldübereignung konstruiert. Der Umstand, dass diese Konstruktion eine strafrechtliche Erfassung bestimmter Sachverhalte als Eigentumsdelikte ermöglicht, ist für die am erkennbaren Parteiwillen und -interesse zu orientierende Auslegung unbeachtlich. Jedenfalls in den genannten Fällen wird die Auslegung idR keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Bedingung ergeben. b) Weitere Fälle. Ein verbundenes Geschäft iSd § 358 ist gewöhnlich unter der auflösenden Bedingung der Finanzierung durch das Kreditinstitut geschlossen (MüKo/Westermann Rn 13; BGH NJW 2014, 1519 Rn 21; Celle BB 1969, 558, 559). Die Klausel „Rest durch Finanzierung, diese ist alleinige Sache des Käufers“ bedeutet, dass der Vertrag unter der auflösenden Bedingung geschlossen ist, dass dem Käufer die Finanzierung gelingt (KG NJW 1971, 1139; krit MüKo/Westermann Rn 13 – aufschiebende Bedingung oder Rückabwicklung nach Leistungsstörungsrecht; s auch Braunschweig NJW-RR 1998, 567, 568 – auflösende Bedingung bei aktueller Zahlungsunfähigkeit). Der Eintritt in eine Publikums-KG unter dem Vorbehalt „voller Finanzierung“ kann als hierdurch aufschiebend bedingter Beitritt ausgelegt werden (BGH NJW 1985, 1080, 1081). Häufig wird der Beitritt zu einer KG ausdr unter die aufschiebende Bedingung der Registereintragung gestellt, um die Haftung nach § 176 II HGB zu vermeiden (s dazu K. Schmidt ZHR 144, 192, 201; K. Schmidt GmbHR 2002, 341, 347). Auf den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung auflösend bedingt übergegangene Schadensersatzansprüche fallen bei Beendigung der Mitgliedschaft des Unfallgeschädigten an diesen zurück (BGH NJW 1999, 1782). Bei der gemischten Todes- und Erlebensfallversicherung mit unwiderruflichem Bezugsrecht ist eine Kombination von aufschiebend und auflösend bedingter Bezugsberechtigung anzunehmen (BGH 118, 242, 246 = NJW 1992, 2154; Frankfurt [7. ZS] VersR 2002, 963, 964; aA Frankfurt [3. ZS] VersR 2002, 219 = NJW-RR 2001, 676: zwei auflösende Bedingungen; näher Hasse VersR 2005, 1176, 1177ff; zum eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht Hiecke/Vorwerk DZWIR 2005, 448). Bei einem Bauträgervertrag, der Grundstückskauf und Hauserrichtung miteinander verknüpft, ist aus der Einheitlichkeit des Vertrags noch kein Bedingungsverhältnis zu folgern; ein hierauf gerichteter Wille der Vertragsparteien kann wegen der gegensätzlichen Interessen der Parteien nur nach Lage des Einzelfalls unter Anlegung eines strengen Maßstabes angenommen werden (BGH 79, 103, 106 = 474

Armbrüster

Bedingung und Zeitbestimmung

§ 158

NJW 1981, 991). Hingegen ist ein Grundstücksverkauf einer Gemeinde mit der „Verpflichtung“, einen Bebauungsplan mit einem bestimmten Inhalt zustande kommen zu lassen, ein Kaufvertrag mit aufschiebender Bedingung (BGH MittBayNot 2016, 270, 272 m Anm Simon). Erbringt ein Architekt zur Präsentation in einem Vergabeverfahren bereits Leistungen nach der HOAI, die zur Erlangung des Zuschlags erforderlich sind, so steht die vertragliche Bindung unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Zuschlag erteilt und das Bauvorhaben auch realisiert wird (Frankfurt 27.8.2008 – 3 U 125/07; ähnlich Dresden BauR 2008, 1654, 1655; ähnlich für eine Bauvoranfrage: AG Krefeld 10.3.2010 – 2 C 29/08). Der Architekt trägt die Beweislast dafür, dass der Vertrag nicht unter einer aufschiebenden Bedingung geschlossen wurde (München BauR 2009, 1461 LS; AG Krefeld 10.3.2010 – 2 C 29/08). In der Einbehaltung des Fahrzeugbriefs durch den Kfz-Verkäufer ist die aufschiebende Bedingung vollständiger Zahlung zu sehen (BGH NJW 2006, 3488 Rn 9). Bleibt ein Leasinggeber nach einer von ihm verwendeten Klausel in einem formularmäßigen „Kaufvertrag“ von allen Verpflichtungen frei, solange die Übernahmebestätigung für die vom Lieferanten zu erbringende Leistung nicht vorliegt, so ist die Klausel nicht als Bedingung für die Wirksamkeit des Kaufvertrags auszulegen, sondern nur als Vereinbarung einer Vorleistungspflicht des Lieferanten und als Fälligkeitsregelung für die Kaufpreiszahlung (BGH NJW 1993, 1381, 1382). Eine auflösende Bedingung in einem Arbeitsvertrag bedarf eines sachlichen Grundes; sie darf dem AN nicht seinen Kündigungsschutz nehmen (BAG NZA 2004, 311, 312). Die Abtretung von Patenten kann unter der auflösenden Bedingung erfolgen, dass nicht nach der Abtretungserklärung ein Dritter seine Bereitschaft anzeigt, einen höheren Preis für die Rechte zu bezahlen (Düsseldorf 31.1.2008 – I-20 U 18/07). Die Anmeldung zu einer Fortbildungsveranstaltung unter gleichzeitiger Beantragung eines diese betreffenden Stipendiums ist als aufschiebend bedingter Antrag auszulegen (LG Kiel 3.7.2009 – 8 S 7/09). Eine Klausel, nach der bei nicht fristgerechter Zahlung der Vertrag „hinfällig“ sein soll, ist als auflösende Bedingung anzusehen (Jena 28.6.2011 – 4 U 1038/10). Eine Bestimmung bei einer Internetauktion, wonach die Ware binnen sieben Tagen abgeholt und gezahlt werden soll, stellt hingegen keine Bedingung, sondern lediglich eine Bestimmung des Leistungszeitpunkts dar (Stuttgart NJW-RR 2012, 251f). Verlangt ein Mieter die Rückzahlung von bereits geleisteten Vorauszahlungen, steht dieser Anspruch unter der auflösenden Bedingung, dass die Abrechnung des Vermieters formell und materiell ordnungsgemäß war (BGH NJW 2011, 143 Rn 45). 7. Eintritt und Ausfall der Bedingung. Wann die Bedingung eingetreten ist, ergibt deren inhaltliche Ausgestal- 10 tung. Eine bejahende Bedingung ist eingetreten, wenn der Tatbestand, an den das Entstehen der Rechtswirkung geknüpft wurde, verwirklicht ist. Der Bedingungseintritt ist rein tatsächlich zu ermitteln; er erfolgt unabhängig von einer Nachweisführung oder Behauptung, dass dieser stattgefunden habe (München NotBZ 2013, 117, 118). Eine verneinende Bedingung ist eingetreten, wenn feststeht, dass der Tatbestand, an dessen Nichteintritt die Rechtswirkung geknüpft ist, nicht eintreten kann. Handelt es sich um eine aufschiebende Bedingung, so markiert der Bedingungseintritt gleichsam den Verjährungsbeginn. Liegt indes eine auflösende Bedingung vor, beginnt die Verjährung bereits mit Abschluss des Rechtsgeschäfts, da der Anspruch zu diesem Zeitpunkt voll entsteht (MüKo/ Westermann Rn 41). Ausgefallen ist die Bedingung nicht nur, wenn sie objektiv nicht mehr eintreten kann, sondern auch dann, wenn der Zeitraum, innerhalb dessen ihr Eintritt zu erwarten war, verstrichen ist (BGH VersR 1974, 1167, 1168; NJW 1985, 1556, 1557; BayObLG DNotZ 1999, 1011, 1012) oder wenn zwar die Bedingung noch eintreten kann, nicht aber mehr die von ihr abhängig gemachte Rechtsfolge (BeckOK/Rövekamp Ed. 39 Rn 29). Hängt der Eintritt einer auflösenden Bedingung von der vorherigen Handlung eines Vertragspartners ab, so gilt die Bedingung analog §§ 146, 148 als endgültig ausgefallen, wenn ihm der Gegner fruchtlos eine angemessene Frist zur Vornahme der Handlung gesetzt und seine Erfüllungsverweigerung für den Fall der Fristversäumung angekündigt hat (BGH NJW 1985, 1556, 1557). 8. Aufhebung, Verzicht. Die Bedingung kann ausdr oder konkludent durch Invollzugsetzung des Rechtsgeschäfts 11 aufgehoben werden (Brandenburg 28.11.2006 – 3 U 89/06). Bei schuldrechtlichen Geschäften ist ein einseitiger Verzicht des aus einer aufschiebenden Bedingung Berechtigten abzulehnen, da § 397 das Einverständnis des anderen Teils voraussetzt (RG 72, 168, 171; NJW 1958, 1231, 1232; BGH NJW-RR 1989, 291; Soergel/Wolf Rn 33; MüKo/Westermann Rn 44; Pohlmann NJW 1999, 190, 191). Bei bedingten Verfügungsgeschäften kann der Berechtigte hingegen einseitig und formfrei auf die Bedingung verzichten (BGH 127, 129, 133 = NJW 1994, 3227 = MDR 1995, 678 m Anm Schnorbus; NJW-RR 1989, 291; vgl BGH NJW 1958, 1231). Die Verzichtserklärung ist nicht empfangsbedürftig (aA BGH 138, 195, 203 = MDR 1998, 1039 m krit Anm W. Moll; krit zu dieser Rspr, soweit es um die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen geht, auch MüKo/Westermann Rn 44). Rückwirkende Kraft hat der Verzicht freilich nicht (BGH 138, 195, 202f = NJW 1998, 2360). Die gleichen Regeln gelten für den Verzicht auf eine auflösende Bedingung, sofern diese ausschließlich im Interesse eines Vertragspartners vereinbart wurde (vgl Soergel/Wolf Rn 33). 9. Beweislast. Auszugehen ist von dem Satz, dass der Kläger nur die zur Entstehung seines Anspruchs erforderli- 12 chen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen hat. Die Behauptung, ein Geschäft sei bedingt oder befristet geschlossen worden, kann sich prozessual als Leugnen des Klagegrundes oder als Geltendmachung einer rechtshindernden oder rechtsvernichtenden Tatsache (Einrede im prozessualen Sinne) darstellen. a) Macht der Beklagte ggü dem Erfüllungsanspruch substantiiert geltend, das Geschäft sei unter einer aufschiebenden Bedingung oder einem Anfangstermin geschlossen (s hierzu Jena NZBau 2000, 146), so bestreitet er den vom Kläger behaupteten unbedingten Vertragsschluss und damit die Wirksamkeit des Geschäfts überhaupt. Der Kläger ist deshalb beweispflichtig dafür, dass das Geschäft ohne Bedingung oder Befristung geschlossen ist (sog Leugnungstheorie; RG 107, 405, 406; BGH NJW 1985, 497; NJW 2002, 2862, 2863; MüKo/Westermann Rn 49; vgl auch RG 68, 305, Armbrüster

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§ 158

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Rechtsgeschäfte

307 zur Stundungsabrede; aA die Einwendungstheorie: H.K. Müller JZ 1953, 727). Behauptet jedoch der Beklagte, dass nach Vertragsschluss eine aufschiebende Bedingung oder ein Anfangstermin vereinbart worden sei, so gibt er einerseits den Klagegrund zu und macht andererseits eine Einrede geltend, für die ihn selbst die Beweislast trifft (RG 107, 405, 406; MüKo/Westermann Rn 49). Den Eintritt einer unstr oder bewiesenen aufschiebenden Bedingung hat nach allg Grundsätzen der Kläger zu beweisen (BGH NJW 1981, 2403, 2404; NJW-RR 2016, 842 Rn 38). b) Macht der Beklagte ggü dem Erfüllungsanspruch geltend, das Geschäft sei unter einer auflösenden Bedingung oder einem Endtermin geschlossen worden, so ist diese Behauptung nur erheblich, wenn er zugleich auch den Eintritt dieser Bedingung behauptet. Der Bedingungseintritt ist eine rechtsvernichtende Tatsache, für die der Beklagte beweispflichtig ist. Ihn trifft jedoch auch die Beweislast für den auflösend bedingten Vertragsschluss, da dieser die Voraussetzung dafür bildet, dass die auflösende Bedingung auch eingetreten ist (BGH NJW 1966, 1403; MüKo/Westermann Rn 49; aA G. Reinecke JZ 1977, 159, 164, der vornehmlich wegen vermeintlicher Abgrenzungsschwierigkeiten für die Gleichbehandlung von aufschiebenden und auflösenden Bedingungen plädiert). 10. Auflage. Von der Bedingung im BGB ist die Auflage zu unterscheiden. Darunter versteht man solche Verpflichtungen, durch die ein Vertragspartner dem anderen eine bestimmte Leistung an einem Dritten auferlegt. Sie unterscheidet sich von der Bedingung dadurch, dass sie bestimmte Leistungspflichten begründet, deren Erfüllung nicht von dem Eintritt eines ungewissen Ereignisses abhängt. Bedingung und Auflage können aber miteinander verbunden sein (vgl BGH DNotZ 2010, 201 Rn 21).

§ 159

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Rückbeziehung

Sollen nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts die an den Eintritt der Bedingung geknüpften Folgen auf einen früheren Zeitpunkt zurückbezogen werden, so sind im Falle des Eintritts der Bedingung die Beteiligten verpflichtet, einander zu gewähren, was sie haben würden, wenn die Folgen in dem früheren Zeitpunkt eingetreten wären. 1. Der Eintritt der Bedingung wirkt gem § 158 nur ex nunc (§ 158 Rn 4f). § 159 stellt klar, dass auch durch Vereinbarung eine Rückbeziehung niemals mit dinglicher, sondern nur mit obligatorischer Wirkung erreicht werden kann. Eine Vermutung für oder gegen eine solche Abrede gibt es nicht (Prot I, S 180; MüKo/Westermann Rn 4; vgl demgegenüber Art 1179 franz CC, der Rückbeziehung anordnet; s auch Staud/Bork Rn 2, der für einseitige Rechtsgeschäfte eine Vereinbarung als entbehrlich ansieht). Besteht eine Rückbeziehungsabrede, so richten sich die gegenseitigen Ansprüche in erster Linie nach der ggf erg auszulegenden Vereinbarung (BGH LM Nr 1). Soweit die Auslegung zu keinem Ergebnis führt, sind nach verbreiteter Ansicht die Parteien verpflichtet, einander nach Bereicherungsrecht zu gewähren, was sie haben würden, wenn bei aufschiebender Bedingung der Beginn, bei auflösender Bedingung das Ende der Rechtswirkung zu einem vor dem Bedingungseintritt liegenden Zeitpunkt eingetreten wäre (BGH LM Nr 1; MüKo/Westermann Rn 3; Soergel/Wolf Rn 2; Pal/Ellenberger Rn 1). Nach der Gegenansicht bietet nicht das Bereicherungsrecht die richtige Anspruchsgrundlage; vielmehr seien direkt aus dem bedingten Rechtsgeschäft vertragliche Ansprüche zu gewinnen, die bei beiderseitigen Verträgen dem Synallagma der §§ 320ff unterfielen (Flume II § 40, 2d [S 729]; Staud/Bork Rn 9; ähnlich Wunner AcP 168, 424, 446). Bei gegenseitigen Verträgen ergibt sich im praktischen Ergebnis idR kein Unterschied, da nach der bereicherungsrechtlichen Saldotheorie jegliche Rückabwicklung ohnehin Zug um Zug zu erfolgen hat (Wolf/Neuner § 52 Rn 36 Fn 57). IÜ wird sich der Inhalt einer vertraglichen Rückbeziehungsabrede, soweit nicht durch Auslegung zu ermitteln, nach dem Maßstab des Bereicherungsrechts und nicht nach dem der §§ 346ff zu richten haben (idS zu Recht BGH LM Nr 1). Auch eine Rückdatierung hat freilich nur eine schuldrechtliche Rückwirkung zur Folge (MüKo/Westermann Rn 5). Wer Anspruch auf die in der Schwebezeit gezogenen Sach- und Rechtsfrüchte einer bedingt übereigneten Sache hat, ergibt sich ebenfalls aus den Parteiabreden. Regelmäßig folgt aus einer Rückbeziehungsvereinbarung, dass diese Früchte bei aufschiebenden Veräußerungen dem Erwerber und bei auflösenden Bedingungen dem Veräußerer zustehen sollen (vgl § 818 I). Die Abrede führt allerdings nicht zu einer gleichartig bedingten Gestattung zur Fruchtziehung (§§ 956, 158) oder zu einer bedingten Übereignung der Früchte gem §§ 930, 158 (aA Flume II § 40, 2a [S 724]; wohl auch Staud/Bork Rn 8). Die schuldrechtliche Übereignungspflicht genügt idR den Parteiinteressen (i Erg ebenso Enn/Nipperdey § 198 I 4, 1204). Bedingte Gestattungen erlangen erst dort Bedeutung, wo das dingliche Geschäft eine der Parteien, wie beim Eigentumsvorbehalt den Veräußerer, gerade durch die Bedingung absichern soll (vgl auch MüKo/Oechsler § 956 Rn 4). Hier gilt bei vereinbarter Rückwirkung für die Nutzungen das Gleiche wie für die Muttersache (insoweit zutr Flume II § 40, 2a [S 724]; aA Erman/ Hefermehl10). 2. Ob Rückwirkung von den Parteien gewollt und welcher Zeitpunkt maßgebend ist, ist anhand einer Auslegung des einzelnen Rechtsgeschäfts zu beurteilen. Eine Rückwirkungsvermutung besteht nicht (s Rn 1), auch nicht hins einer auflösenden Bedingung (insoweit missverständlich Staud/Bork Rn 9). Zum Schutz des dinglich Berechtigten ggü „Zwischenverfügungen“ s § 161.

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Armbrüster

Bedingung und Zeitbestimmung

§ 160

§ 161

Haftung während der Schwebezeit

(1) Wer unter einer aufschiebenden Bedingung berechtigt ist, kann im Falle des Eintritts der Bedingung Schadensersatz von dem anderen Teil verlangen, wenn dieser während der Schwebezeit das von der Bedingung abhängige Recht durch sein Verschulden vereitelt oder beeinträchtigt. (2) Den gleichen Anspruch hat unter denselben Voraussetzungen bei einem unter einer auflösenden Bedingung vorgenommenen Rechtsgeschäft derjenige, zu dessen Gunsten der frühere Rechtszustand wieder eintritt. 1. Das bedingte Rechtsgeschäft bindet bereits die Parteien, obwohl seine Wirksamkeit noch in der Schwebe ist. 1 Sie können das Geschäft, dessen Rechtswirkung nur vom Bedingungseintritt abhängt, nicht einseitig lösen. Bei einem aufschiebend bedingten Geschäft darf der bedingt Verpflichtete (zB Vorbehaltsverkäufer) während des Schwebezustands das von der Bedingung abhängige Recht weder vereiteln noch beeinträchtigen (näher Mülsch/ Penzel ZIP 2004, 1987, 1992f zur Option auf Gesellschaftsbeteiligung). Verletzt er schuldhaft diese Pflicht durch Einwirkung tatsächlicher (Zerstörung, Beschädigung) oder rechtlicher Art (Verfügung), so ist er, obwohl er noch nicht Schuldner ist, nach Abs I zum Schadensersatz nach Maßgabe der §§ 249ff verpflichtet. Soweit kein anderer Verschuldensmaßstab in dem bedingten Vertrag bestimmt ist, haftet der bedingt Verpflichtete nach § 276 für Vorsatz und leichte Fahrlässigkeit, bei bedingtem Schenkungsversprechen nach § 521 für grobe Fahrlässigkeit (Staud/ Bork Rn 9). Die Gefahr des zufälligen Untergangs trifft den bedingt Berechtigten. Der Schadensersatzanspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährung nach § 195. – Bei auflösend bedingten Geschäften trifft nach § 160 II die gleiche Schadensersatzpflicht den bis zum Eintritt der Bedingung Berechtigten. – § 160 ist dispositiv und entfällt somit, wenn die Parteien weitergehende Ansprüche vereinbaren oder die Haftung ausschließen (MüKo/Westermann Rn 8). 2. Die Schadensersatzpflicht nach § 160 setzt den Bedingungseintritt voraus. Sie gewährt deshalb nur nachträg- 2 lich Schutz. Während der Schwebezeit ist der bedingt Berechtigte auf die prozessualen Sicherungsmittel des Arrests und der einstw Verfügung angewiesen, um durchzusetzen, dass der bedingt Verpflichtete seiner Obhutspflicht während des Schwebens der Bedingung nachkommt. Ein bedingt abgeschlossenes Rechtsgeschäft liefert idR den „sicheren Boden“ eines vormerkungsfähigen Anspruchs (BGH 134, 182, 185f = NJW 1997, 861; s § 158 Rn 3) und ist gem § 883 I 2, § 885 zu sichern. Auch kann eine Klage auf künftige Leistung nach § 259 ZPO zulässig sein (RG 51, 243, 244; BGH 5, 342, 344 = NJW 1952, 817, 818; vgl auch BGH NJW 1999, 954, 955). Dagegen besteht mangels Vereinbarung keine allg Pflicht zur Sicherheitsleistung, wenn die Erfüllung eines bedingten Anspruchs gefährdet ist (Ausnahmen: § 1986 II, § 2128 I, § 2217). 3. § 160 gibt keine Rechte gegen Dritte. Das dingliche Anwartschaftsrecht, das dem bedingt Berechtigten bereits 3 eine gesicherte Rechtsposition gibt, stellt jedoch ein „sonstiges Recht“ iSd § 823 I dar (RG 170, 1, 6; BGH 55, 20, 25f = NJW 1971, 799; § 823 Rn 42). Eine Übertragung des in § 160 zum Ausdruck kommenden Prinzips der Haftungswirkung in Schwebelagen auf die Schadensersatzhaftung beim Rücktritt befürwortet Kohler ZGS 2005, 386, 389f. Zur analogen Anwendung von § 160 s auch § 145 Rn 14; Staud/Bork § 145 Rn 25; Schilder, Schadensersatz bei Durchbrechung der Bindung an obligatorische Vertragsofferten, 2003, 233; Toussaint ZfIR 2006, 124, 126. Als Sicherungsmittel für Ansprüche, die Grundstücke betreffen, steht die Vormerkung (§§ 883, 885) zur Verfügung.

§ 161

Unwirksamkeit von Verfügungen während der Schwebezeit

(1) Hat jemand unter einer aufschiebenden Bedingung über einen Gegenstand verfügt, so ist jede weitere Verfügung, die er während der Schwebezeit über den Gegenstand trifft, im Falle des Eintritts der Bedingung insoweit unwirksam, als sie die von der Bedingung abhängige Wirkung vereiteln oder beeinträchtigen würde. Einer solchen Verfügung steht eine Verfügung gleich, die während der Schwebezeit im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung oder durch den Insolvenzverwalter erfolgt. (2) Dasselbe gilt bei einer auflösenden Bedingung von den Verfügungen desjenigen, dessen Recht mit dem Eintritt der Bedingung endigt. (3) Die Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, finden entsprechende Anwendung. 1. Schutzzweck; Anwendungsbereich. § 161 schützt den Anwartschaftsberechtigten während der Schwebezeit 1 gegen Verfügungen des bedingt Verpflichteten. Ein solcher Schutz ist nötig, da der Eintritt der Bedingung, mit dem das Anwartschaftsrecht zum Vollrecht wird, nur ex nunc wirkt (s § 158 Rn 4f, § 159 Rn 1) und § 160 dem Berechtigten lediglich einen Schadensersatzanspruch gibt. § 161 schützt den Anwärter gegen Zwischenverfügungen, und zwar bei aufschiebend bedingten Verfügungen gegen Verfügungen des bedingt Verfügenden, § 161 I, bei auflösend bedingten Verfügungen gegen Verfügungen desjenigen, dessen Recht mit dem Eintritt der Bedingung endigt, § 161 II. Die Zwischenverfügung ist absolut unwirksam (Rn 5); § 161 ist damit Ausdruck des Prioritätsprinzips (R. Giesen AcP 203, 210, 236f). – Verpflichtungsgeschäfte bleiben dagegen von § 161 unberührt (BGH DB 1962, 331). Hat zB der Verkäufer dem Käufer einen Gegenstand bedingt verkauft, diesen aber noch nicht – auch nicht bedingt – übereignet, so kann der Verkäufer auch während des Schwebezustandes des Kaufvertrags über den Gegenstand wirksam verfügen; die Verfügung wird durch den Eintritt der Bedingung nicht in Frage gestellt. Der Armbrüster

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§ 161

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Rechtsgeschäfte

Verkäufer ist in diesem Fall nur nach § 160 sowie wegen verschuldeter nachträglicher Unmöglichkeit (§§ 280 I, III, 283) schadensersatzpflichtig. Auch werden reine Verpflichtungsgeschäfte, die ein lediglich auflösend bedingt Berechtigter über den Gegenstand abschließt, nicht gem § 161 unwirksam (BGH DB 1962, 331). 2. Unter Verfügung ist jede Einwirkung auf das bedingt übertragene Recht zu verstehen, durch die dieses übertragen, belastet, inhaltlich geändert oder aufgehoben wird (Einl § 104 Rn 21). Dazu zählt nach dem Zweck des § 161, den Anwartschaftsberechtigten zu schützen, auch die Einziehung einer Forderung (Staud/Bork Rn 5; vgl auch BGH 20, 127, 133 = NJW 1956, 790f zum Erlass). Nach Bedingungseintritt ist die Einziehung daher absolut unwirksam. Der Leistende wird freilich bei Gutgläubigkeit durch § 407 geschützt (Flume II § 39, 3a [S 704]; Soergel/Wolf Rn 3). – Abs I S 2 bestimmt, dass den Zwischenverfügungen des bedingt Verpflichteten auch solche Verfügungen über den Gegenstand gleichstehen, die gegen ihn im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung oder durch den Insolvenzverwalter erfolgen (enger § 135 I 2). Dem unterfällt allerdings nicht der Eigentumserwerb des Erstehers in der Zwangsvollstreckung, da hier ausschließlich kraft Hoheitsakts erworben wird (RG 156, 395, 398f; BGH 55, 20, 25 = NJW 1971, 799). Gesetzliche Pfandrechte, zB das des Vermieters nach § 562, an Sachen, die bedingt übereignet sind, fallen unter § 161 I, II (MüKo/Westermann Rn 13; Staud/Bork Rn 10). Bringt der (noch) Berechtigte vor Bedingungseintritt die Sachen beim Vermieter ein, so entsteht zunächst ein Pfandrecht, das mit Eintritt der Bedingung jedoch hinfällig wird (Staud/Bork Rn 10). Ein gutgläubiger Erwerb gesetzlicher Pfandrechte nach Abs III kommt jedoch nicht in Betracht (Staud/Bork Rn 10; aA MüKo/Westermann Rn 13). Gesetzliche Pfandrechte können nach den allg Vorschriften, auf die Abs III verweist, nicht gutgläubig erworben werden; der Wortlaut des § 1257 und die Gesetzesmaterialien sprechen dagegen (s § 647 Rn 5, § 1257 Rn 5ff; BGH 34, 153, 154ff = NJW 1961, 502). Werden aufschiebend bedingt übereignete Sachen von dem (noch) nicht berechtigten Erwerber eingebracht, entsteht das Pfandrecht am Anwartschaftsrecht und setzt sich nach Bedingungseintritt am Vollrecht fort (BGH NJW 1965, 1475). 3. Keine Verfügung ist die Prozessführung (Mot I, S 279; Staud/Bork Rn 7). Der Rechtsinhaber ist zur Prozessführung berechtigt und legitimiert, auch wenn er über ein Recht aufschiebend bedingt verfügt hat oder wenn es bei Eintritt einer auflösenden Bedingung hinfällig wird (Soergel/Wolf Vor § 158 Rn 33 und 37; Staud/Bork Vor §§ 158ff Rn 48f). In der prozessrechtlichen Lit ist umstr, ob das für oder gegen ihn ergangene rechtskräftige Urt bei Eintritt der Bedingung gem § 325 ZPO auch für und gegen den neuen Rechtsinhaber wirkt. Für die aufschiebend bedingte Übertragung wird vertreten, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Rechtsnachfolge iSd §§ 265, 325 ZPO der Zeitpunkt der bedingten Verfügung sei (MüKo/Westermann Rn 16), so dass der nach Rechtshängigkeit erfolgende Bedingungseintritt keine Rechtskrafterstreckung nach §§ 265, 325 ZPO bewirken soll. Nach der Gegenansicht ist auf den Zeitpunkt des Bedingungseintritts abzustellen (Stein/Jonas/Leipold § 325 ZPO Rn 24; Zöller/Vollkommer § 325 ZPO Rn 19; Hartmann in Baumbach/LauterbachAlbers/Hartmann § 325 ZPO Rn 23). Aus der Wertung des materiellen Rechts erscheint es sachgerecht, wie bei der Prozessführungsbefugnis auf den Zeitpunkt des Bedingungseintritts abzustellen; denn erst dann erlangt die abgeleitete Rechtposition ihre volle Wirksamkeit (Soergel/Wolf Vor § 158 Rn 33; Flume II § 39, 3f [S 714]). – Eine Rechtsnachfolge iSd §§ 265, 325 ZPO wird für den aus einer auflösenden Bedingung Berechtigten teils verneint (Mot I, S 378f; Hartmann in Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann § 325 ZPO Rn 23), teils bejaht (Stein/Jonas/Leipold § 325 ZPO Rn 26; Zöller/Vollkommer § 325 ZPO Rn 18; Pohle, FS H. Lehmann, 1956, Bd II, S 736, 758). Das materielle Recht gibt hierüber wenig Aufschluss. Der Wortlaut des § 158 II mag dafür sprechen, dass sich die Eigentumsposition des auflösend Berechtigten lediglich konsolidiert und daher nicht vom Zwischeninhaber ableiten lässt (Soergel/Wolf Vor § 158 Rn 37; Enn/Nipperdey § 139 I 2c [S 871]). Ebenso gut ließe sich indes eine auflösende Bedingung als Vollrechtsübertragung mit aufschiebend bedingter Rückübertragung konstruieren, so dass der auflösend Berechtigte als Rechtsnachfolger des Zwischeninhabers erscheint (Kempf AcP 158, S 308, 312). Letztlich überzeugende Arg finden sich weder für die eine noch für die andere Ansicht (s auch Mot I, S 250f, wonach diese Fragen der Konstruktion dahin gestellt bleiben sollten). Für das Verständnis des prozessualen Begriffs der Rechtsnachfolge in § 325 ZPO trifft der Theorienstreit jedoch ohnehin keine Vorentscheidung. Für die Anwendung von § 325 ZPO spricht letztlich wieder die Erwägung, dass hierdurch ein Gleichlauf mit der Prozessführungsbefugnis erreicht werden kann (vgl Staud/Bork Vor §§ 158ff Rn 49). – Der Schutzzweck des § 161 gebietet eine Beschränkung der Rechtskrafterstreckung: Entspr Abs III ist ein gutgläubig rechtskraftfreier Erwerb anzuerkennen (MüKo/ Westermann Rn 17; Soergel/Wolf Vor § 158 Rn 34, 38; Staud/Bork Rn 7; aA Pohle, FS H. Lehmann, 1956, Bd II, 736, 761). 4. Unwirksam sind nur solche Verfügungen, die die Rechtsstellung des Berechtigten, zB den Erwerb oder den Rückerwerb des Anwärters, beeinträchtigen oder vereiteln (vgl BGH 20, 127, 133 = NJW 1956, 790). Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn der Eigentümer einer beweglichen Sache nach Bestellung eines bedingten Pfandrechts die Pfandsache nach §§ 929, 931 einem Dritten übereignet. Das Pfandrecht bleibt hier nach § 936 III bestehen (MüKo/Westermann Rn 12; Staud/Bork Rn 11). – Die Unwirksamkeit ist eine absolute. Auf sie kann sich bei Eintritt der Bedingung nicht nur wie bei einem gesetzlichen Veräußerungsverbot iSd § 135 der Begünstigte, sondern jedermann berufen (Mot I, S 260; Staud/Bork Rn 12; eingehend MüKo/Westermann Rn 8; s auch MüKo/ Armbrüster § 135 Rn 12). Allerdings ist die Zwischenverfügung erst bei Bedingungseintritt absolut unwirksam (Staud/Bork Rn 12; für anfängliche Unwirksamkeit hingegen Soergel/Wolf Rn 1; für rückwirkende Unwirksamkeit Brox JuS 1984, 657, 658). Trotz der absoluten Wirkung liegt keine Nichtigkeit iSv § 134 vor. Das gesetzliche Verfügungsverbot des § 161 will nur den Anwartschaftsberechtigten schützen, also zB den Inhaber eines Anwart478

Armbrüster

Bedingung und Zeitbestimmung

§ 162

schaftsrechts aus bedingter Übereignung (BGH 20, 88, 101 = NJW 1956, 665; 27, 360, 367 = NJW 1958, 1286). Die Rechtsstellung eines nach § 956 Aneignungsberechtigten ist damit, solange die Gestattung widerruflich ist, nicht vergleichbar (BGH 27, 360, 367 = NJW 1958, 1286; Medicus JuS 1967, 385, 391). Zwischenverfügungen sind daher entspr § 185 gültig, wenn der Berechtigte einwilligt oder sie genehmigt (BGH 92, 280, 288 = NJW 1985, 376; NZG 2004, 517, 518; Mot I S 260; MüKo/Westermann Rn 7). 5. Wirksam sind nach Abs III rechtsgeschäftliche Zwischenverfügungen, die zugunsten gutgläubiger Dritter 6 vorgenommen werden. Der Schutz des redlichen Verkehrs hat ggü dem des Anwartschaftsberechtigten – ebenso wie in § 135 III – Vorrang. Dahinter steht die Erwägung, dass sogar von einem Nichtberechtigten ein Gutglaubenserwerb möglich ist, so dass erst recht von einem Noch-Berechtigten gutgläubig erworben werden können muss, dessen Berechtigung erst mit Bedingungseintritt wegfällt (Bork AT Rn 1273). Der gute Glaube muss sich darauf beziehen, dass über den Gegenstand nicht bedingt verfügt worden ist. Bei beweglichen Sachen darf die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruhen (§§ 932ff, 1032, 1207f, 1244; §§ 366, 367 HGB); bei Grundstücken schadet nur positive Kenntnis (§§ 892, 893, 1138, 1155). Um den guten Glauben Dritter auszuschließen, kann der Anwartschaftsberechtigte die Bedingung als gesetzliche Verfügungsbeschränkung in das Grundbuch eintragen lassen (LG Zwickau DNotZ 2003, 131, 132; vgl RG 76, 89, 91). Sofern eine aufschiebend bedingte Abtretung eines durch eine Vormerkung gesicherten Anspruchs eingetragen wird, bedarf es für die Löschung im GB anschließend der Bewilligung durch die Zessionare (München RNotZ 2011, 420, 421) Bei der bedingungsfeindlichen Auflassung (§ 925 II) lässt sich eine dingliche Sicherung durch Eintragung einer Vormerkung (§ 883) erreichen. Vormerkungsfähig ist auch ein bedingter Anspruch. Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit der Bedingung s München NJW-RR 2009, 950, 951. Das am 1.11.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts (MoMiG) ermöglicht in § 16 III GmbHG einen gutgläubigen Zwischenerwerb von GmbHAnteilen, so dass § 161 III bei aufschiebend bedingten Anteilsübertragungen nun auch in jenem Kontext eine Rolle spielt. Streit besteht darüber, ob die Einführung des § 16 III GmbHG dazu geführt hat, dass nunmehr ein gutgläubiger Erwerb möglich ist. Nach einer Ansicht findet § 161 III nunmehr auch auf eine aufschiebend bedingte Geschäftsanteilsübertragung Anwendung, so dass die Geschäftsanteile gutgläubig erworben werden können (LG Köln ZIP 2009, 1915; Omlor DNotZ 2012, 179, 185; König/Bormann ZIP 2009, 1913). Nach Ansicht des BGH ist ein solcher gutgläubiger Erwerb hingegen weiterhin ausgeschlossen (BGH 191, 84 Rn 16ff = DNotZ 2011, 943 Rn 16ff m krit Anm Jeep; München DNotZ 2011, 453, 455ff; nur i Erg auch Walek JZ 2012, 608, 614). Letztere Ansicht überzeugt, da die Gesellschafterliste kein geeigneter Rechtsscheinträger für die Übertragung von Geschäftsanteilen ist. Sie ermöglicht nur einen guten Glauben an die Gesellschafterstellung, nicht aber daran, dass der Inhaber des Geschäftsanteils nicht bereits aufschiebend bedingt über diese verfügt hat.

§ 162

Verhinderung oder Herbeiführung des Bedingungseintritts

(1) Wird der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Nachteil er gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert, so gilt die Bedingung als eingetreten. (2) Wird der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Vorteil er gereicht, wider Treu und Glauben herbeigeführt, so gilt der Eintritt als nicht erfolgt. 1. § 162 beruht auf dem allg Grundsatz von Treu und Glauben (Prot I, S 184). Da auch beim bedingten Ge- 1 schäft eine gegenwärtige vertragliche Bindung zw den Parteien besteht, würde eine Partei, die den Eintritt der Bedingung wider Treu und Glauben verhindert oder herbeiführt, sich schon nach § 242 nicht auf den Ausfall oder Eintritt der Bedingung berufen können. § 162 geht darüber hinaus und stellt eine Fiktion auf. Sie ist zwingendes Recht. Bei treuwidriger Verhinderung des Eintritts der Bedingung gilt sie als eingetreten (Abs I), bei treuwidriger Herbeiführung als nicht eingetreten (Abs II). 2. § 162 ist nur auf echte Bedingungen anwendbar, nicht auf Rechts- und andere Scheinbedingungen (s Vor 2 § 158 Rn 3ff; RG 129, 357, 376; 144, 71, 73; BGH NJW 1996, 3338, 3340; LAG Düsseldorf 5.12.2014 – 10 Sa 605/14 – analoge Anwendung; differenzierend MüKo/Westermann Rn 4). Ist zB die Wirksamkeit einer Grundstücksveräußerung von der Erteilung einer behördlichen Genehmigung abhängig, so kann die Vereitelung ihrer Erteilung durch eine Partei nicht dazu führen, dass die Bedingung als eingetreten gilt und die Veräußerung auch ohne Genehmigung wirksam wird (RG 129, 357, 376; BGH 54, 71, 73 = NJW 1970, 1414ff; Frankfurt DNotZ 1972, 180). Der Rechtsgedanke des § 162 kann aber ausnahmsweise nach Treu und Glauben berücksichtigt werden (BGH NJW 1996, 3338, 3340; vgl auch NJW 1968, 2051, 2052). Die Parteien sind nämlich idR nach dem Vertrag verpflichtet, alles Erforderliche zu tun, um die Genehmigung herbeizuführen (§ 242; RG 129, 357, 376). Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflicht führt dann zu Schadensersatzansprüchen gem §§ 311 II, 241 II, 280 I (cic, bzgl Grundgeschäft), § 280 I (Schlechterfüllung, bzgl Erfüllungsgeschäft; s § 280 Rn 10, 15, 41ff, § 241 Rn 10, 13) oder aus § 826. Auch auf reine Wollensbedingungen (s Vor § 158 Rn 12f) ist § 162 grds nicht anwendbar; der bedingt Verpflichtete macht lediglich von dem ihm eingeräumten Recht Gebrauch (Mot I, S 263; RG 115, 296, 302; BGH NJW 1996, 3338, 3340; MüKo/Westermann Rn 6). Nur unter besonderen Umständen kann auch bei Wollensbedingungen eine treuwidrige Herbeiführung oder Verhinderung des Bedingungseintritts vorliegen. Dies gilt etwa dann, wenn der andere Teil redlicherweise darauf vertrauen durfte, dass der bedingt Verpflichtete sich in einer den Umständen angemessenen Weise entscheiden wird (RG 79, 96, 98f; München NJW-RR 1988, 58 m Anm Ring JuS 1991, 634, 637f).

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Rechtsgeschäfte

3. Bedeutsam ist § 162 auch im Vollstreckungsrecht. Bei Pfändung einer unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sache kann der Pfändungsgläubiger die Intervention des Eigentümers dadurch abwenden, dass er an ihn den ausstehenden Kaufpreis zahlt. Lehnt der Eigentümer die Leistung ab, so gilt nach Abs I der Eigentumsübergang auf den Schuldner als eingetreten, wenn dieser nicht widerspricht oder wenn der Widerspruch infolge Hilfspfändung des Anwartschaftsrechts (§§ 857, 829 III ZPO) unbeachtlich ist. 4. Voraussetzungen der Treuwidrigkeit. § 162 verlangt nicht eine absichtliche Herbeiführung oder Vereitelung des Bedingungseintritts (Prot I, S 184; RG 122, 247, 251; BGH LM Nr 3; BB 1965, 1052; NJW-RR 1989, 802; BAG 5.8.2014 – 9 AZR 1079/12 Rn 19; NZA 2015, 1264 Rn 32). Vielmehr genügt schon Fahrlässigkeit (RG 122, 247, 251; BGH BB 1965, 1052; NJW-RR 1989, 802). Umgekehrt kann sich im Einzelfall auch absichtliches Handeln als nicht treuwidrig darstellen (BGH NJW 2005, 3417, 3419: pflichtgemäße Mitteilung an einen Dritten, von dessen Entscheidung der Bedingungseintritt abhängt, in der Absicht letzteren zu verhindern). Generell geht es hier nicht um ein Verschulden in den Kategorien des § 276, wenngleich idR mit einer objektiven Treuwidrigkeit zumindest Fahrlässigkeit einhergehen wird (MüKo/Westermann Rn 10). Vielmehr ergibt sich der Maßstab dessen, was geboten erscheint, abschließend aus Treu und Glauben; klagbare vertragliche Verpflichtungen, gegen die schuldhaft verstoßen wird, sind nicht erforderlich (RG 79, 96, 98; BGH LM Nr 3; Wolf/Neuner § 52 Rn 41). Daher ist objektiv darauf abzustellen, ob in einer Treu und Glauben widersprechenden Weise der Eintritt oder der Ausfall der Bedingung herbeigeführt worden ist (Soergel/Wolf Rn 7; Staud/Bork Rn 10). Dies lässt sich im Einzelfall nur nach dem Sinn des Rechtsgeschäfts beurteilen, das die Bedingung enthält (BGH NJW 2005, 3417; BAG NZA 2015, 1264 Rn 32; BeckRS 2016, 69501 Rn 97; Düsseldorf 19.6.2012 – I-23 U 122/11; Stuttgart MMR 2015, 577 Rn 91). Ausgehend vom Vertragsinhalt ist zu ermitteln, wie sich die Parteien nach Treu und Glauben im Hinblick auf den Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung hätten verhalten müssen. Bsp: Soll sich ein Anstellungsvertrag verlängern, wenn im letzten Geschäftsjahr eine aktive Bilanz vorliegt, so gilt nach § 162 I auch bei passiver Bilanz der Vertrag als verlängert, wenn die Verlustgeschäfte nur der Abwehr fremder Konkurrenz gedient haben (RG JW 1920, 638). Hat ein Gläubiger dem Schuldner einen Anspruch unter der Bedingung gestundet, dass dieser in einem Rechtsstreit gegen einen Streitverkündeten obsiegt, hat der Schuldner den Rechtsstreit aber nicht geführt, so tritt die Fälligkeit gleichwohl nach Treu und Glauben ein (Brandenburg 9.10.2007 – 6 U 83/06). Soll einem AN nur deswegen gekündigt werden, weil sonst eine Sondervergütung wie zB Weihnachtsgeld zu zahlen ist, so bleibt der Anspruch weiterhin erhalten (BAG NZA 2012, 670 Rn 27f). Kein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt hingegen vor, wenn ein Verpflichteter den Eintritt einer Bedingung dadurch vereitelt, dass er von zwei wirtschaftlich vernünftigen Lösungen diejenige auswählt, die den Bedingungseintritt verhindert (BGH WM 1964, 921, 922, zu einem durch die Erbauung eines Hauses aufschiebend bedingten Vorvertrag zu einem Mietvertrag, bei dem der Beklagte den Bedingungseintritt dadurch verhinderte, dass er nicht selbst das kriegszerstörte Haus fremdfinanziert wieder aufbaute, sondern – unter Erzielung eines angemessenen Preises – das Grundstück verkaufte; Düsseldorf 19.6.2012 – I-23 U 122/11, Kündigung eines auflösend bedingten Werkvertrags vor Bedingungseintritt wegen Ausbleibens von Fördergeldern). Kein treuwidriges Verhalten liegt auch dann vor, wenn der Eintritt der Bedingung dadurch verhindert wird, dass die Vertragspartnerin unverhofft schwanger wird und ihre Lebensplanung ändern muss (Brandenburg 16.2.2011 – 3 U 84/10). Es kommt zudem nicht auf eine sittliche Missbilligung des Verhaltens des Verpflichteten an; § 162 ist nicht als eine Sanktion für treuwidriges Verhalten einer Partei zu verstehen (Düsseldorf NJW 1981, 463, 464; Flume II § 40, 1b [S 716f]; Staud/Bork Rn 10; aA noch RG 105, 164, 167; JW 1936, 987). 5. Die Fiktion des § 162 erstreckt sich nur auf den Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung. Es muss zunächst feststehen, dass durch die Einwirkung der durch den Eintritt der Bedingung begünstigten oder benachteiligten Partei der Bedingungseintritt treuwidrig verhindert oder herbeigeführt wurde. Hierfür ist die Partei beweispflichtig, die sich auf die Fiktion des § 162 beruft (BGH LM Nr 2; BAG BeckRS 2016, 69501 Rn 99; Köln 13.9.2011 – 15 U 60/09; Soergel/Wolf Rn 13). Eine Vermutung für die Verursachung besteht nicht (RG 66, 222, 224; i Erg auch Naumburg OLGRp 2008, 889). Unerheblich und daher nicht beweispflichtig ist hingegen, ob zusätzlich auch keine andere Ursache zur Vereitelung des Bedingungseintritts geführt hätte oder hat (RG JW 1911, 213, 214; Stuttgart MMR 2015, 577 Rn 94). Maßgeblich für den durch § 162 fingierten Eintritt oder Ausfall der Bedingung ist grds der Zeitpunkt, in dem der Eintritt der Bedingung treuwidrig verhindert oder herbeigeführt wurde (MüKo/Westermann Rn 17; aA Pal/ Ellenberger Rn 5). Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Erfüllung der ursprünglich geschuldeten Leistung nicht mehr möglich und das Schuldverhältnis nach Unmöglichkeitsrecht abzuwickeln ist (BGH NJW 1975, 205, 206), sondern allg. Eine Ausnahme ist aber geboten, wenn die Vereinbarung der Bedingung zugleich die Bestimmung eines Zeitpunkts enthält, vor dessen Eintritt nicht mit der geschuldeten Leistung gerechnet werden durfte (so der Fall in RG 2, 143, 144, auf den Mot I, S 263 Bezug nimmt). Dann ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Bedingung bei redlichem Verhalten des bedingt Verpflichteten und normalem Ablauf der Dinge eingetreten sein würde (Mot I, S 263; vgl RG 79, 96, 101; zu allg Soergel/Wolf Rn 14). Bei einer echten Bedingung ohne mitlaufende Zeitbestimmung ist das künftige Ereignis hingegen ungewiss, so dass ein solcher irrealer Zeitpunkt ohnehin kaum bestimmbar wäre (MüKo/Westermann Rn 17). Zu Recht stellt Flume (II § 40, 1b [S 718]) daher auf die Beendigung der Handlung in den Fällen des „dies incertus an et quando“ ab, wenn zB das Überleben einer Person ggü einem anderen die Bedingung darstellte, nicht dagegen in den Fällen des „dies incertus an, certus quando“, wenn zB das Erleben eines bestimmten Tages zur Bedingung gemacht wurde (ebenso Staud/Bork Rn 12). 480

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Bedingung und Zeitbestimmung

§ 163

6. Analoge Anwendung. In § 162 (vgl auch § 815) kommt der allg Rechtsgedanke zum Ausdruck, dass nie- 7 mand aus einer von ihm selbst treuwidrig herbeigeführten Lage Vorteile soll ziehen können (BGH 88, 240, 248 = NJW 1984, 230; NJW 2003, 1459, 1460; MüKo/Westermann Rn 18f; BAG NJW 2008, 872 Rn 40). Anders gewendet, kann sich eine Partei immer dann nicht auf den Eintritt oder Nichteintritt eines Ereignisses berufen, wenn sie dieses in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise herbeigeführt oder verhindert hat (BGH NJW 1964, 36f; BGH 139, 177, 186 = NJW 1998, 3192 zur Beachtlichkeit eines Kalkulationsirrtums). Das treuwidrige Verhalten muss zudem für die Vorteilsziehung kausal gewesen sein (BGH NJW-RR 2010, 1585 Rn 30). Bsp: Führt der Nacherbe den Nacherbfall vorzeitig durch vorsätzliche Tötung des Vorerben herbei, so wird er analog Abs II nicht Erbe (BGH NJW 1968, 2051, 2052). Ein Gläubiger, der treuwidrig zum Nachteil der Bürgen den Hauptschuldner veranlasst, nicht zu zahlen und damit selbst den Bürgschaftsfall auslöst, verliert seinen Bürgschaftsanspruch (BGH DB 1966, 537; DB 1968, 1443). Der Käufer, der bei einem finanzierten Abzahlungskauf grundlos die Abnahme der Kaufsache verweigert hat, muss der Bank das Darlehen, das sie an den Verkäufer ausgezahlt hat, zurückzahlen; er ist ggü der Bank so zu behandeln, als sei er Besitzer geworden (BGH NJW 1964, 36, 37). Bei einem Werkvertrag muss sich der Auftraggeber, der die Durchführung von Mängelbeseitigungsarbeiten nachhaltig verhindert hat, so behandeln lassen, als habe der Unternehmer die geschuldete Vorleistung bereits erbracht (BGH 88, 240, 248 = NJW 1984, 230; NJW 1990, 3008f). Wer die Verpflichtung, bei Abschluss eines Pachtvertrags einen bestimmten Mitpächter aufzunehmen, treuwidrig durch Vertragsschluss der Ehefrau umgehen will, muss sich so behandeln lassen, als hätte er selbst gepachtet (BGH NJW 1982, 2552, 2553; ähnlich Koblenz OLGRp 2001, 418, 420 zu einem Bauvertrag). Die Vertragspartei, die bei der anderen durch falsche Erklärungen den Eindruck erweckt, die Finanzierung des Geschäfts sei gesichert, kann hieraus für sich keinen Vorteil ziehen, wenn die andere Partei deshalb nicht fristgerecht den Rücktritt erklärt hat (BGH NJWRR 1991, 177). Gleiches gilt zulasten desjenigen, der grundlos seine Belastungszustimmung verweigert (§ 7 ErbbauRG) und deshalb den Heimfallgrund herbeiführt (BGH NJW-RR 1993, 465). Erfasst wird auch die treuwidrige Weigerung eines GmbH-Gesellschafters, alsbald nach dem Tod eines Mitgesellschafters eine satzungsgemäße Entscheidung über den Verbleib des vererbten Geschäftsanteils zu treffen (Brandenburg NJW-RR 2000, 766, 767f). Bestreitet ein Gläubiger wahrheitswidrig, vom Schuldner kurz vor Ablauf einer vereinbarten Frist erfüllungshalber einen Scheck erhalten zu haben und lässt der Schuldner den Scheck daraufhin sperren, so kann sich der Gläubiger nach § 162 nicht auf den Fristablauf berufen (BGH NJW 2002, 1788f). Vereitelt ein Vermieter durch absprachewidrige Vertragsbedingungen einen Vertragsschluss mit dem Nachmieter, wird der Mieter von seinen Vertragspflichten aus dem Mietvertrag frei (Koblenz ZMR 2002, 344, 345). Kündigt ein Mitglied einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis selbst unberechtigt den Praxisvertrag, so kann es daraus keine im Vertrag für den Fall einer Kündigung vorgesehenen Entschädigung verlangen (München 5.12.2011 – 19 U 2255/11). Einem Arbeitgeber ist durch § 162 die Berufung auf die soziale Rechtfertigung einer Kündigung abgeschnitten, wenn zwar keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den AN bestand, jener diesen Zustand aber selbst treuwidrig herbeigeführt hat (BAG NZA 2008, 192 LS; NZA 2015, 1083 Rn 27; LAG Bln-Bbg NZA-RR 2012, 131, 132). Treuwidrig ist auch die Berufung auf eine fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, wenn der Arbeitgeber die vom AN besetzte Stelle während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens bereits einem anderen Mitarbeiter zugewiesen hat (LAG Rh-Pf 5.6.2014 – 2 Sa 394/13; vgl auch LAG Rh-Pf 7.7.2014 – 3 Sa 541/13 betr Arbeitsortwechsel). Das Gleiche gilt für einen Verweis auf eine fehlende Einstellungsmöglichkeit bei Herbeiführung der Stellenbesetzung vor Ablauf des Bewerbungsverfahrens im öffentlichen Dienst (LAG Bln-Bbg 4.2.2016 – 5 Sa 1679/15 Rn 24f). Dasselbe gilt für einen AN, der die Unzumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung selbst herbeigeführt hat (Lingemann/ Steinhauser NJW 2013, 3354, 3355). – Nicht heranziehbar ist der Rechtsgedanke des § 162 hingegen, wenn die Parteien eines genehmigungspflichtigen Kaufvertrags diesen vor Erteilung der Genehmigung wieder aufheben oder den Genehmigungsantrag wieder zurückziehen, um den Eintritt eines Vorkaufsberechtigten zu verhindern (RG 98, 44, 51f; vgl auch BGH 14, 1, 3 = NJW 1954, 1442f; 139, 29, 32 = NJW 1998, 2352). Dasselbe gilt, wenn ein Käufer den Kaufpreis nicht zahlt, um den für Verzug vorgesehenen Rückkauf auszulösen (BGH NJW 1984, 2568, 2569). Auch auf den Fall, dass der Arbeitgeber mit einem AN eine Rahmenvereinbarung über Bonuszahlungen bei Erreichung der Ziele noch zu treffender Zielvereinbarungen abgeschlossen hat und jener sich später weigert, eine bestimmte Zielvereinbarung zu treffen, ist § 162 nicht analog anwendbar (BAG NJW 2008, 872 Rn 39ff). Dasselbe gilt, wenn der Arbeitgeber kurz vor Entstehen eines besonderen Kündigungsschutzes kündigt, sofern ein sachlicher Grund besteht (LAG Bln-Bbg 27.8.2010 – 13 Sa 988/10 – Schwerbehinderung). – Der § 162 zu entnehmende Rechtsgrundsatz gilt auch im öffentlichen Recht (BVerwG 9, 89, 92; 85, 213, 216 = NVwZ 1991, 73; 118, 84, 89 = NVwZ-RR 2003, 871, 872; VG München 29.11.2013 – M 9 K 13.1740; Staud/Bork Rn 19).

§ 163

Zeitbestimmung

Ist für die Wirkung eines Rechtsgeschäfts bei dessen Vornahme ein Anfangs- oder ein Endtermin bestimmt worden, so finden im ersteren Falle die für die aufschiebende, im letzteren Falle die für die auflösende Bedingung geltenden Vorschriften der §§ 158, 160, 161 entsprechende Anwendung. 1. Wird die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von dem Eintritt eines bestimmten Termins, zB einem Kalendertag oder dem Todestag, abhängig gemacht, so liegt, da der Eintritt des künftigen Ereignisses gewiss ist, kein bedingtes, sondern ein befristetes Geschäft vor (BGH NJW 1976, 1976, 1978; MDR 1980, 41; München NJW-RR 1993, 1164, 1165; KG MDR 1998, 459). Nach § 163 gelten jedoch die §§ 158, 160, 161 entspr, wobei der AnArmbrüster

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fangstermin der aufschiebenden, dem Endtermin der auflösenden Bedingung gleichsteht. Die Bedingung iSd § 158 zeichnet sich im Gegensatz hierzu durch die Ungewissheit des künftigen Ereignisses aus (Vor § 158 Rn 1; vgl Mot I, S 270). Im Einzelfall kann zweifelhaft sein, ob die Parteien Bedingung oder Befristung wollen (Staud/ Bork Rn 4). So kann mit dem Tag der Volljährigkeit einer Partei der Kalendertag gemeint sein (dann Befristung iSd „dies certus an et quando“) oder das Erleben der Volljährigkeit (dann Bedingung iSd „dies incertus an, certus quando“; s auch § 162 Rn 6). Es entscheidet dann der durch Auslegung zu ermittelnde Wille der Parteien (§§ 133, 157; KG MDR 1998, 459; Mot I, S 270; Staud/Bork Rn 4; Petersen Jura 2011, 275, 278; zu Besonderheiten bei der Auslegung von Eintragungen im GB s Hamm NZM 2012, 318, 319). Befristete Rechte oder Verbindlichkeiten fallen nicht unter § 2313 I 2, 3 (BGH FamRZ 1979, 787, 788; MüKo/Lange § 2313 Rn 7). – Ist ein Rechtsgeschäft bedingungsfeindlich (s Vor § 158 Rn 18), so ist es idR auch befristungsfeindlich (BGH 156, 328, 332f = NJW 2004, 284f m Anm Heinrichs EWiR § 542 1/04, 171f zur unbestimmt befristeten Kündigung; MüKo/Westermann Rn 5; Staud/Bork Rn 9). Wenn die Eintragung eines befristeten Rechtsgeschäfts in das GB bewilligt wird, ist auch die Befristung selbst einzutragen (München ZEV 2012, 428, 429). 2. Abweichende Vereinbarungen. Die Parteien können eine schuldrechtliche Rückwirkung vereinbaren. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (MüKo/Westermann Rn 6), so dass § 163 nicht auf den ohnehin nur klarstellenden § 159 zu verweisen braucht (s auch § 159 Rn 1). Die Vereinbarung einer dinglichen Rückwirkung ist freilich ausgeschlossen (Staud/Bork Rn 8). Zudem können die Parteien vorsehen, dass das Erreichen des Endtermins abw von den §§ 163, 158 II nicht zur Beendigung des Rechtsgeschäfts führt, sondern andere Wirkungen hat (RG 68, 141, 145). 3. § 163 erklärt § 162 nicht für anwendbar, da der Eintritt des Termins gewiss ist. Allerdings ist es möglich, dass eine Partei den Eintritt des Termins beschleunigt, zB, wenn dieser der Todestag einer Person ist, durch Mord (vgl BGH NJW 1968, 2051). In diesem Fall ist ebenfalls der Eintritt der Befristung als nicht geschehen anzusehen. Die Wertung des § 162 kann iRd allg Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242) herangezogen werden (Staud/Bork Rn 7; Soergel/Wolf Rn 9; vgl BGH NJW 1968, 2051, 2052). 4. Von dem befristeten Rechtsgeschäft, das § 163 behandelt, ist die sog „betagte Verbindlichkeit“ zu unterscheiden (§ 813 II; vgl § 813 Rn 5). Sie ist entstanden, aber noch nicht fällig; Bsp: wirksamer Kaufvertrag mit gestundetem Kaufpreis. Bei einer befristeten Verbindlichkeit ist ihre Entstehung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. So können Mietansprüche als auf den Anfangstermin des jew Nutzungsüberlassungszeitraums befristet angesehen werden, nicht jedoch als betagt (BGH DtZ 1997, 156, 157; NJW 2004, 3118, 3120). Auch die Ansprüche auf Zahlung der Miete sind demnach befristete Ansprüche, die erst mit dem Beginn des jew Zahlungszeitraums entstehen (Brandenburg ZMR 2008, 287). Bei einem auf bestimmte Zeit abgeschlossenen Leasingvertrag entsteht hingegen der Anspruch auf Zahlung sämtlicher Leasingraten als betagte, nicht als befristete Forderung bereits mit Vertragsschluss (BGH 109, 368, 372 = NJW 1990, 1113; 118, 282, 290 = NJW 1992, 2150). Praktisch bedeutsam wird diese Unterscheidung bei der Rückforderung von bereits Geleistetem, da bei betagten Forderungen § 813 II einer Rückforderung entgegensteht, bei der befristeten Forderung hingegen nicht (Petersen Jura 2011, 275, 278).

Titel 5 Vertretung und Vollmacht Vorbemerkung vor § 164 1

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1. Bedeutung. Der moderne Rechtsverkehr erfordert in erheblichem Maße – nicht zuletzt wegen der arbeitsteiligen Struktur der Wirtschaft – rechtsgeschäftliches Handeln für einen anderen. Das Gesetz trägt diesem Erfordernis in den §§ 164ff Rechnung. Stellvertretung ist das rechtsgeschäftliche Handeln (Abgabe oder Empfang von Willenserklärungen = aktive oder passive Stellvertretung) im Namen eines anderen; es zielt auf unmittelbare und ausschließliche rechtliche Wirkungen für und gegen diesen anderen ab. 2. Interessen. a) Das Gesetz lässt die Stellvertretung nahezu uneingeschränkt zu (zu Ausnahmen s Rn 32). Den sich aus der Zulassung ergebenden Folgeproblemen begegnet das Gesetz mit einigen Grundprinzipien (Rn 5ff): Das Offenheitsprinzip (§ 164 II, § 164 Rn 4) schützt das Vertrauen des Geschäftsgegners in die Identität seines Vertragspartners. Sein Vertrauen in die Wirksamkeit für den Vertretenen wird durch die Abstraktheit der Vollmacht (Rn 6) und Rechtsscheinsgrundsätze (§§ 170ff, § 167 Rn 9ff) sowie durch die Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht (§ 179) geschützt. b) Der Vertretene (Geschäftsherr) wird grds nur durch Geschäfte von Personen gebunden, die er selbst dazu bestimmt hat oder die aufgrund gesetzlicher Regelungen dazu befugt sind (§ 164 Rn 16). Oft genügt aber ein von dem Vertretenen zurechenbar geschaffener Rechtsschein für eine Vertretungsmacht (§§ 170ff sowie die Grundsätze der Rechtsscheinsvollmacht; § 167 Rn 9ff). Zu seinem Schutz gegen Missbrauch der Vertretungsmacht s § 167 Rn 70ff. Zum Konflikt zw Vertrauensschutz und Verbraucherschutz bei der Stellvertretung s Möller ZIP 2002, 333 mwN.

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c) Die Interessen des Vertreters bedürfen im Rahmen der §§ 164ff keines besonderen Schutzes. Von den Wirkungen der Vertretung wird nicht der Vertreter, sondern ausschließlich der Vertretene betroffen, wenn sich der Vertreter an die Grenzen der Vertretungsmacht hält. Seine Rechte und Pflichten ggü dem Vertretenen bestimmen sich nicht nach Vertretungsrecht, sondern nach dem der Vertretungsmacht zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (zB Auftrag, §§ 662ff); s aber §§ 168 iVm 674, 729, sowie § 169. 3. Prinzipien des Stellvertretungsrechts. a) Offenheit. Im Interesse des Geschäftsgegners, der über die Person eines Vertragspartners nicht im Unklaren bleiben soll, verlangt das Gesetz ein Handeln „im Namen“ des Vertretenen. Daran fehlt es bei der sog mittelbaren oder indirekten Stellvertretung (Rn 15), bei welcher der Handelnde zwar in fremdem Interesse, jedoch im eigenen Namen auftritt; berechtigt und verpflichtet wird dabei ausschließlich der Handelnde (näher dazu § 164 Rn 4). Zum „Geschäft für den, den es angeht“, § 164 Rn 14. b) Abstraktheit. Die gesetzliche Regelung trennt streng zw der dem Vertreter eingeräumten Rechtsmacht (Vertretungsmacht) und dem zugrundeliegenden (kausalen) Rechtsverhältnis (§ 164 Rn 17). Die rechtsgeschäftlich begründete Vertretungsmacht ist ggü dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (zB Auftrag) abstrakt (dazu auch § 164 Rn 17 und eingehend Pawlowski JZ 1996, 125, 126f, 129f mwN). Handelt der Vertreter innerhalb der Vertretungsmacht, überschreitet er jedoch die ihm im Innenverhältnis gesetzten Grenzen, so wirkt das Geschäft gleichwohl für und gegen den Vertretenen. IdR wird dann jedoch der Vertreter dem Vertretenen ggü schadensersatzpflichtig. Eine Vollmacht ist auch ohne kausales Grundverhältnis möglich, in der Praxis aber selten; zum Erlöschen der Vollmacht mit dem Kausalverhältnis s § 168. Eine Begrenzung findet die Abstraktheit der Vollmacht auch in den Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht (§ 167 Rn 70ff). Bedeutung kann das Innenverhältnis auch für die Auslegung der Vollmacht – etwa zur Klärung ihres Umfanges – haben. c) Repräsentation. Der Stellvertreter repräsentiert den Vertretenen. Deswegen kommt es für Willensmängel, Kenntnis und Kennenmüssen grds auf die Person des Vertreters an (§ 166 I); es handelt der Vertreter, den Vertretenen treffen nur die Rechtsfolgen des Handelns. Nur ausnahmsweise stellt das Gesetz zusätzlich auf die Person des Vertretenen ab (§ 166 II); zu Willensmängeln bei der Bevollmächtigung s § 167 Rn 44ff. Die dem Vertreter erteilte Vertretungsmacht tritt neben die Fähigkeit des Geschäftsherrn, weiterhin selbst autonom für sich rechtsgeschäftlich zu handeln. Eine verdrängende Vollmacht ist dem BGB fremd (näher s § 137 Rn 6 und § 167 Rn 1). d) Vertrauensschutz. Der Geschäftsgegner, der mit einem Vertreter kontrahiert, wird in seinem Vertrauen auf den (Fort-)Bestand der Vertretungsmacht durch §§ 170ff und die in Anlehnung daran entwickelten Grundsätze der Rechtsscheinsvollmacht (§ 167 Rn 9ff) sowie durch die rechtliche Trennung von Innen- und Außenverhältnis (Abstraktheit der Vollmacht) geschützt. Davon abgesehen trägt jedoch der Geschäftsgegner im Verhältnis zu dem Vertretenen das Risiko des Fehlens der Vertretungsmacht, während der Vertretene grds das Risiko ihres Missbrauchs trägt (s aber § 167 Rn 70ff). 4. Anwendungsbereich. a) Die §§ 164ff betreffen das rechtsgeschäftliche Handeln mit Fremdwirkung (§ 164 Rn 1). Die Regelung ist entspr anwendbar auf geschäftsähnliche Handlungen mit Fremdwirkung, zB Mahnung, Mitteilung, Anerkenntnis iSd § 212 I Nr 1 (zu § 208 aF BGH NJW 1970, 1119), sowie auf die Begründung eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses durch den Vertreter (§ 311 II; § 164 Rn 21). Zur Stellvertretung bei der Einwilligung in eine ärztliche Heilbehandlung oder in freiheitsentziehende oder -beschränkende Maßnahmen aufgrund einer sog Vorsorgevollmacht (§ 1896 II) s §§ 1901a V, 1906 V. Zur Stellvertretung bei der Einwilligung nach § 22 KUG BGH NJW 2002, 305f. b) Bei rein tatsächlichem Handeln zB Besitzergreifung oder Übergabe (§ 164 Rn 2, § 929 Rn 9ff) ist Stellvertretung nicht möglich. Von der rechtsgeschäftlichen Fremdwirkung durch Stellvertretung zu unterscheiden sind insb die Zurechnung fremden Verschuldens (§ 278) sowie die Verantwortlichkeit für das Verhalten Dritter (§§ 31, 831) oder fremden Wissens (dazu § 166 Rn 10ff, 17ff). Zur Haftung des Geschäftsherrn für rechtswidriges Handeln des Vertreters s § 164 Rn 21, zur Eigenhaftung des Vertreters § 164 Rn 23. 5. Grundlagen der Vertretungsmacht. Nach der rechtlichen Grundlage der Stellvertretung lassen sich rechtsgeschäftliche, gesetzliche und organschaftliche Vertretungsmacht unterscheiden. a) Die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht nennt das Gesetz Vollmacht (§ 166 II). Sie ist ein Mittel der Arbeitsteilung. Die Erteilung der Vollmacht (Bevollmächtigung) erfolgt durch einseitiges Rechtsgeschäft ggü dem Vertreter oder dem künftigen Geschäftsgegner (§ 167 I). Zur Untervertretung s § 167 Rn 61ff. b) Die gesetzliche Vertretung leitet sich nicht vom Willen des Vertretenen ab; vielmehr wird dem Vertreter durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes Vertretungsmacht insb dann eingeräumt, wenn der Vertretene selbst zur Wahrnehmung seiner Angelegenheiten nicht, nicht selbständig oder nicht in vollem Umfang in der Lage ist (zB Eltern: § 1629 I; Vormund: § 1793; Betreuer: § 1902; Pfleger: § 1915). Zur Schlüsselgewalt s § 1357 Rn 5. c) Die organschaftliche Vertretung bezeichnet das Handeln der Organe einer jur Pers für diese; die Vertretungsmacht der Organe kann durch die Verfassung (Satzung) der jur Pers näher ausgestaltet werden, § 26; §§ 78 AktG, 35, 37 GmbHG. Nach § 26 I 2 haben die Organe „die Stellung eines gesetzlichen Vertreters“; ihr Handeln ist das Handeln der sonst gar nicht handlungsfähigen jur Pers. Entsprechendes gilt für die vertretungsberechtigten Gesellschafter von Personengesellschaften, § 714, § 125 HGB. Gegen die Bewertung des Handelns der Organe von Körperschaften als Stellvertretung Beuthien NJW 1999, 1142 mwN und NJW 2005, 855, 857; da

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die Körperschaft durch das Organ selbst handle, sei dies begrifflich keine Stellvertretung, weshalb die §§ 164ff über § 26 II 1 – auch für Personengesellschaften – nur erg anzuwenden seien. 6. Abgrenzungen. Nicht unter §§ 164ff fallen: a) Mittelbare Stellvertretung. Der mittelbare (indirekte, unechte, verdeckte, stille) Stellvertreter (Einsele JZ 1990, 1005; Hager AcP 180, 239; Petersen Jura 2003, 744; Schwark JuS 1980, 777) handelt zwar in fremdem Interesse, jedoch im eigenen Namen (zB Kommissionär, Spediteur; §§ 383, 407 HGB). Berechtigt und verpflichtet wird nur der Handelnde. Zur Abgrenzung der mittelbaren von der unmittelbaren Stellvertretung s § 164 Rn 9, zum Geschäft für „den, den es angeht“ § 164 Rn 14. Eine besondere Behandlung erfährt die mittelbare Stellvertretung durch die Regeln der „Drittschadensliquidation“ (Vor § 249 Rn 124ff). Zum Eigentumserwerb durch mittelbare Stellvertretung s § 929 Rn 10. b) Die Treuhand (dazu: Bitter, Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung, 2006; Gernhuber, Die fiduziarische Treuhand, JuS 1988, 355; Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997; Henssler, Treuhandgeschäft – Dogmatik und Wirklichkeit, AcP 196, 37; Coing, Die Treuhand kraft privaten Rechtsgeschäfts, 1973). Der rechtsgeschäftlich bestellte Treuhänder handelt wie der mittelbare Vertreter in fremdem Interesse, aber im eigenen Namen. Während der mittelbare Vertreter aber lediglich Durchgangsperson ist, hat der Treuhänder für die Dauer seiner Tätigkeit Verwaltungs- und Verfügungsmacht über den Treuhandgegenstand (Treugut), die er zweckgebunden auszuüben hat. Nach hM setzt die rechtliche Zuordnung des Treuguts zum Vermögen des Treugebers (auch „Treuhand ieS“; s Rn 20) voraus, dass der Treuhänder das Treugut unmittelbar aus dem Vermögen des Treugebers erhalten hat (Unmittelbarkeitsprinzip). Nicht ausreichend ist danach, dass der Treuhänder das Treugut aufgrund des Treuhandverhältnisses für den Treugeber erworben hat (RG 84, 214, 216; 133, 87; BGH WM 1960, 325; 1965, 173; offengelassen in BGH 155, 227, 231); auch ein Surrogationserwerb genügt danach nicht (RG 153, 366, 370). Jedoch sind für Sonderfälle auch Ausnahmen anerkannt, zB Forderung gegen Bank aufgrund Einzahlungen des Treugebers auf Anderkonto des Treuhänders (BGH 11, 37, 40); krit zum Unmittelbarkeitsprinzip Soergel/Leptien Vor § 164 Rn 55, 56; MüKo-InsO/Ganter § 47 Rn 357; ausf Bitter S 51ff. aa) Arten der Treuhand. (1) Nach dem Inhalt der dem Treuhänder eingeräumten Rechtsstellung lassen sich unterscheiden: Bei der echten Treuhand wird dem Treuhänder das Treugut zu eigenem Recht übertragen. Demgegenüber bleibt bei der sog Ermächtigungstreuhand (unechte, uneigentliche Treuhand) der Treugeber Eigentümer der Sachen und Inhaber der Rechte, die zum Treugut gehören. Der Treuhänder ist jedoch ermächtigt, im eigenen Namen über das Treugut zu verfügen (§ 185 I). ZT anerkannt wird schließlich auch die sog Vollmachtstreuhand, bei welcher der Treugeber Vollrechtsinhaber bleibt, dem Treuhänder aber die im Innenverhältnis treuhänderisch gebundene Vollmacht zur Verfügung über das Treugut eingeräumt wird (BGH WM 1964, 318). Auf die Vollmacht finden die §§ 164ff uneingeschränkt Anwendung; die treuhänderische Bindung betrifft nur das Innenverhältnis, weshalb die Einordnung als Treuhandverhältnis zweifelhaft erscheint (Soergel/Leptien Vor § 164 Rn 73). (2) Nach dem wirtschaftlichen Zweck der Treuhand sind Verwaltungstreuhand und Sicherungstreuhand zu unterscheiden. Die Verwaltungstreuhand (zB Anderkonto eines RA oder eines Notars, s etwa Hamm DNotZ 1996, 384ff m Anm Preuß) dient idR den Zwecken des Treugebers, ist also für den Treuhänder fremdnützig; auf die Vergütung der Verwaltungstätigkeit kommt es nicht an. Demgegenüber wird die Sicherungstreuhand regelmäßig im Interesse des Treuhänders begründet, stellt also eine eigennützige Form der Treuhand dar. Die Unterscheidung ist insb für die rechtliche Behandlung in der Zwangsvollstreckung und in der Insolvenz von Bedeutung (Rn 20). bb) Rechtsstellung von Treugeber und Treuhänder. (1) Der Treuhänder ist durch die schuldrechtlichen Bindungen im Innenverhältnis gehalten, mit dem Treugut nur nach Maßgabe des Treuhandverhältnisses zu verfahren (RG 59, 190, 191f; BGH NJW 1974, 1082). Ein im Innenverhältnis vereinbartes Verfügungsverbot hat aber keine dingliche Wirkung (§ 137; § 137 Rn 4, 6). Auch die Anwendung der Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht scheidet aus (zur Gegenmeinung s § 137 Rn 6). Ihre Grenze findet die Wirksamkeit von Verfügungen des Treuhänders nur in den §§ 138, 823 II iVm § 266 StGB. Zur Einräumung unmittelbarer Gesellschafterrechte an den Treugeber, für den die Beteiligung gehalten wird, BGH 10, 44, 49f und NJW-RR 2003, 1392; ZIP 2013, 619; eine Gesellschafterhaftung des Treugebers ergibt sich daraus nicht (BGH 178, 271; s aber BGH 189, 45 Rn 25ff; dazu Klöhn in VGR (Hrsg), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012, 143ff). Zu den Rechten und Pflichten eines Treuhänders bei Anlagegeschäften BGH NJW 2002, 888. (2) Der Treugeber verliert bei der Vollrechtstreuhand (s Rn 17) durch die treuhänderische Übertragung jede dingliche Beziehung zum Treugut (RG 153, 369). Er kann aber, auch stillschw, zur Wahrnehmung der Rechte aus dem Treugut ermächtigt sein (BGH NJW 1999, 2110; 2002, 1568). cc) Rechtliche Behandlung bei der Zwangsvollstreckung und in der Insolvenz (dazu: Brinkmann KTS 2004, 357). (1) Bei der Verwaltungstreuhand gehört das Treugut wirtschaftlich zum Vermögen des Treugebers, wenn dieser es dem Treuhänder unmittelbar übertragen hat (dazu Rn 16); deshalb steht dem Treugeber in der Insolvenz des Treuhänders das Aussonderungsrecht nach §§ 47f InsO, bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Treuhänder die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO zu (RG 79, 121; BGH ZIP 1993, 213, 214). Bei Insolvenz des Treugebers erlischt das Treuhandverhältnis (§§ 115ff InsO); dem Treuhänder steht kein Aussonderungs- oder Absonderungsrecht zu (RG 145, 256). Bei Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen Treugut im Besitz des Treugebers stehen dem Verwaltungstreuhänder die Rechtsbehelfe der §§ 771, 805 ZPO nicht zu; ist das Treugut im Besitz des Verwaltungstreuhänders, so hat dieser die Rechte aus §§ 766, 809 ZPO (BGH 11, 37, 42; s auch Reinhardt/Erlinghagen JuS 1962, 45). 484

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(2) Bei der Sicherungstreuhand ist dem Grundsatz Rechnung zu tragen, dass das Treugut zwar rechtlich dem Treuhänder zusteht, wirtschaftlich aber lediglich eine Sicherung des Treuhänders bezweckt ist. Aus diesem Grund gibt die hM dem Treuhänder in der Insolvenz des Treugebers in Anlehnung an die Behandlung des Pfandrechts nur ein Absonderungsrecht (vgl statt aller RG 145, 193; Anh §§ 929–931 Rn 19). Bei Einzelvollstreckung gegen den Treugeber gibt die vorherrschende Rspr dem Sicherungsnehmer die Klage aus § 771 ZPO (RG 124, 73; BGH 20, 88; 80, 299; für Anwendung des § 805 ZPO Westermann in Westermann/Gursky/Eickmann, Sachenrecht8 2011, § 44 Rn 23. Zur Vollstreckung gegen den Sicherungsnehmer s Anh §§ 929–931 Rn 18, 20. c) Strohmann. Eine besondere Erscheinungsform des Treuhänders ist der Strohmann. Er wird von einem anderen, dem Hintermann, vorgeschoben, weil der Hintermann das Geschäft nicht selbst abschließen kann oder will. Der Grund kann in einem gesetzlichen oder vertraglichen Verbot für den Hintermann oder darin liegen, dass das Geschäft bei dem Hintermann andere Rechtsfolgen hätte als beim Strohmann. Die Rechtsfolgen des Geschäfts sollen sich nach der Person des Strohmanns richten und bei diesem eintreten, wirtschaftlich aber den Hintermann treffen. Die Stellung des Strohmanns kann sich auf den Abschluss eines einzelnen Vertrags, zB eines Darlehensvertrags (BGH NJW 1982, 569), oder auf die Führung eines Geschäftsbetriebs (BGH NJW 2002, 2030) beziehen. Das Geschäft mit dem Strohmann ist idR kein Scheingeschäft, weil die rechtlichen Folgen nach dem Willen der Parteien in der Person des Strohmanns eintreten sollen (BGH 21, 378, 381; NJW 1982, 569f). Sollen aber nach dem übereinstimmenden Parteiwillen auch die rechtlichen Folgen bei dem Strohmann nicht eintreten, so liegt ein Scheingeschäft vor (BGH NJW 1982, 569, 570; NJW-RR 2007, 1209). Das Strohmann-Geschäft ist ein typischer Fall des Umgehungsgeschäfts (§ 117 Rn 2). Die Auslegung der umgangenen Norm ergibt, ob die Rechtsfolgen auch den Hintermann treffen (so für die gesellschaftsrechtlichen Pflichten der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung § 46 V AktG sowie BGH 31, 258, 263f und 118, 107, 110ff) und ob das Geschäft wegen Verstoßes gegen die umgangene Norm nichtig ist (dazu BGH NJW 1959, 332, 334). IdR muss sich der Strohmann an der übernommenen Rolle festhalten lassen. Wer als Strohmann ein Gewerbe führt, genießt keinen Verbraucherschutz (BGH NJW 2002, 2030, 2031). Wer als Strohmann aus Gefälligkeit eine GmbH-Beteiligung übernimmt und für die Schulden der GmbH bürgt, kann sich nicht auf die Rspr zu Bürgschaften krass überforderter Angehöriger berufen, sofern der Gläubiger die Hintergründe nicht kennt (BGH 137, 329, 336f). Ist der Geschäftspartner über die Strohmann-Funktion getäuscht, kommt auch eine Anfechtung nach § 123 in Betracht. In der Insolvenz des Strohmanns oder der Zwangsvollstreckung gegen ihn scheitern Aussonderung (§ 47 InsO) oder Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) des Hintermanns oft schon daran, dass dem Unmittelbarkeitsprinzip (Rn 16) nicht genügt ist. Zur Vollstreckung von Gläubigern des Hintermanns in das für diesen gehaltene Vermögen beim Strohmann s Gerhardt, FS Lüke, 1997, 121ff. d) Die Ermächtigung schafft die Befugnis, ein fremdes Recht im eigenen Namen auszuüben (zB Verfügungsermächtigung; Einziehungsermächtigung). Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 185 I. Dagegen sind auf die Ermächtigung zur Ausfüllung eines Blanketts die §§ 164ff analog anwendbar (§ 172 Rn 16;Pal/Ellenberger vor § 164 Rn 13; Bork AT Rn 1647; Wolf/Neuner § 50 Rn 100ff). e) Der Erklärungsvertreter vertritt nur in der Erklärung, nicht im Willen, wie zB das vom Aufsichtsrat zur Erklärung des Aufsichtsratsbeschlusses bevollmächtigte Mitglied (Hüffer/Koch AktG § 122 Rn 7f); skeptisch Staud/ Schilken Rn 82ff. f) Bote. Im Gegensatz zum Vertreter, der eine eigene Willenserklärung abgibt, übermittelt der Bote eine fremde Willenserklärung; er handelt selbst nicht rechtsgeschäftlich. Für die – in der Praxis nicht selten schwierige – Abgrenzung von Stellvertreter und Boten ist die Weisungsgebundenheit nicht entscheidend. Maßgebend ist vielmehr das – auszulegende – Auftreten der Person ggü dem Geschäftsgegner (BGH 12, 327, 334f; Soergel/Leptien Vor § 164 Rn 44 mwN; aA G. Hueck AcP 152, 432, 440ff). Der Bote kann vorbehaltlich etwaiger Formerfordernisse auch höchstpersönliche Erklärungen übermitteln (BGH NJW 2008, 917). aa) Tritt die Mittelsperson entgegen ihrem Auftrag als Bote statt als Stellvertreter auf oder umgekehrt, so ist dies unschädlich, soweit die Vollmacht oder Botenmacht nicht überschritten werden (MüKo/Schubert § 164 Rn 76 f). Überschreitet der Bote bewusst oder der als Stellvertreter Auftretende auch unbewusst die eingeräumte Rechtsmacht, gelten die §§ 177–179 entspr; (Einzelheiten str, s § 120 Rn 5; Staud/Schilken Rn 81; MüKo/Schubert § 164 Rn 78f). bb) Die Bedeutung der Unterscheidung zw Stellvertretung und Botenschaft zeigt sich in folgenden Fällen: Bedarf das Rechtsgeschäft einer Form, so muss bei der Stellvertretung die Willenserklärung des Vertreters, bei der Botenschaft die Erklärung des Geschäftsherrn der Form genügen (Soergel/Leptien Rn 43; s auch RG 76, 99 und 79, 212). Da die Übermittlung einen reinen Realakt darstellt, braucht der Bote nicht geschäftsfähig zu sein; der Vertreter muss mindestens beschränkt geschäftsfähig sein (§ 165). Für Willensmängel, Kenntnis und Kennenmüssen kommt es bei der Botenschaft auf die Person des Geschäftsherrn, hingegen bei der Stellvertretung grds auf die des Vertreters an (§ 166 I). Das Risiko unbewusster Falschübermittlung durch den Boten trägt nach § 120 der Geschäftsherr; bei Überschreitung der Vertretungsmacht gelten §§ 177–179. Zu den Unterschieden beim Empfangsvertreter § 164 Rn 28. g) Geschäftsgehilfen und Vermittler schließen das Rechtsgeschäft nicht selbst ab, sondern sind nur an dessen Vorbereitung (Vermittlung) beteiligt. In Betracht kommt aber eine Anwendung der Stellvertretungsregeln im Rahmen des § 166 sowie bei der Anbahnung der vorvertraglichen Vertrauensbeziehung, aus der sich eine Haftung des Geschäftsherrn ergeben kann (§ 164 Rn 21); zur Eigenhaftung der Vermittlungsperson s § 164 Rn 23. Maier-Reimer

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Bloße Vermittler sind insb die Handelsmäkler (RG 104, 366, 368; 105, 206) sowie regelmäßig die im kaufmännischen Leben als „Vertreter“ oder „Agenten“ bezeichneten Personen. h) Zum sog Wissensvertreter s § 166 Rn 24f. i) Gesetzliche Vermögensverwalter. Keine Stellvertretung liegt in dem Handeln von behördlich oder durch Verfügung von Todes wegen bestellten objektbezogenen Vermögensverwaltern; auch wenn die Wirkung von deren Handeln weitgehend der einer Stellvertretung entspricht, handeln sie nach hM nicht als gesetzliche Vertreter sondern im eigenen Namen kraft Amtes (Pal/Ellenberger Rn 9; Soergel/Leptien Rn 76f mwN; MüKo/Schubert § 164 Rn 60f). Dahin gehören zB der Insolvenzverwalter (BGH 49, 11, 16), der Nachlassverwalter (BGH 38, 281, 284), der Testamentsvollstrecker (BGH 13, 203, 205) und der Gerichtsvollzieher (RG 90, 193, 194; anders – bei Abschluss von Verwahrungsverträgen bevollmächtigter Vertreter – BGH NJW 1999, 2597 s § 164 Rn 8). Demgegenüber sieht die sog Vertretertheorie (Flume § 45 I 2; Medicus AT Rn 925) diese Personen als gesetzliche Vertreter an. Unabhängig von dem Theorienstreit können einzelne Vorschriften des Stellvertretungsrechts, wie zB § 181, auf das Handeln solcher Personen entspr anzuwenden sein (s § 181 Rn 8); Soergel/Leptien Rn 76f; Staud/ Schilken Rn 61). – Zur Rechtsstellung des Insolvenzverwalters gem §§ 56ff InsO K. Schmidt KTS 1991, 211. j) Prozessvertretung ist keine Stellvertretung iSd §§ 164ff, sondern Prozesshandlung (BGH MDR 1958, 320; 1964, 410; Stein/Jonas/Bork ZPO § 80 Rn 4). 7. Ausschluss der Stellvertretung. Die Stellvertretung ist grds bei allen Rechtsgeschäften zulässig (für den Tarifvertrag: BAG NZA 1997, 1064; Etzel NJW 1998, 1190). Ausnahmen können sich – mit der Rechtsfolge der Unwirksamkeit (MüKo/Schubert Rn 100; BGH NJW 1971, 428) – aus Gesetz, Rechtsgeschäft oder der Natur des vorzunehmenden Rechtsgeschäfts (dazu Staud/Schilken Rn 41; MüKo/Schubert § 164 Rn 99) ergeben. a) Das Gesetz verlangt bei bestimmten Rechtsgeschäften die persönliche Vornahme, zB Eheschließung (§ 1311), Testamentserrichtung (§ 2064), Erbvertrag (§ 2274), Erbverzicht (§§ 2347 II, 2351), Erteilung einer Prokura (§ 48 I HGB). Hiervon zu unterscheiden sind Fälle, in denen nicht die Stellvertretung als solche, sondern wegen Interessenkonflikts der einzelne Vertreter ausgeschlossen ist, §§ 181, 1629, 1795. Weitere Bsp MüKo/Schubert § 164 Rn 98f. Wo das Gesetz nur die gleichzeitige Anwesenheit der Parteien vorschreibt, ist Vertretung nicht ausgeschlossen (zB § 925). b) Die Zulässigkeit der Vertretung kann auch durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen oder auf bestimmte Personen beschränkt werden (BGH 99, 90, 94 zum Ausschluss; BGH NJW 1993, 1329 zur Beschränkung). AGB-Regelungen dieses Inhalts können bedenklich sein (BGH BB 1982, 1822).

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Wirkung der Erklärung des Vertreters

(1) Eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen. Es macht keinen Unterschied, ob die Erklärung ausdrücklich im Namen des Vertretenen erfolgt oder ob die Umstände ergeben, dass sie in dessen Namen erfolgen soll. (2) Tritt der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervor, so kommt der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht. (3) Die Vorschriften des Absatzes 1 finden entsprechende Anwendung, wenn eine gegenüber einem anderen abzugebende Willenserklärung dessen Vertreter gegenüber erfolgt. A. Aktive Stellvertretung (§ 164 I). I. Voraussetzungen wirksamer Stellvertretung. Aktive Stellvertretung (§ 164 I) findet statt, wenn jemand (der Vertreter) eine Willenserklärung im Namen und mit Vertretungsmacht eines anderen (des Vertretenen) abgibt. 1. Willenserklärung des Vertreters. a) Stellvertretung ist nur möglich bei Rechtsgeschäften sowie bei geschäftsähnlichen Handlungen (Einl § 104 Rn 7); auch auf Gefälligkeitshandlungen kann § 164 im Einzelfall Anwendung finden (BGH 21, 102; s auch § 311 Rn 22). Bei rein tatsächlichem Handeln ist Stellvertretung nicht möglich. § 164 I ist daher auf die Besitzergreifung (§ 854) oder den Besitzverlust (§ 856) und die Übertragung des unmittelbaren Besitzes (dazu Masloff JA 2000, 503 mwN) nicht anwendbar. Auch die Besitzdienerschaft (§ 855) sowie die Begründung mittelbaren Besitzes durch einen Besitzmittler ist trotz der gegebenen Fremdwirkung des Handelns nicht zur rechtsgeschäftlichen Vertretung zu rechnen (vgl BGH 8, 130, 132; 16, 259, 263). Ein Handeln für andere bei der Verarbeitung hat ebenfalls keinen rechtsgeschäftlichen Charakter (§ 950 Rn 2). b) Der Vertreter gibt eine eigene Willenserklärung ab; hierdurch unterscheidet er sich vom Boten (Vor § 164 Rn 24). 2. Offenheit. a) Die Willenserklärung muss im Namen des Vertretenen abgegeben werden (Offenheitsprinzip; allg dazu Einsele, JZ 1990, 1005ff; K. Schmidt JuS 1987, 425ff). Dafür genügt jedenfalls die Formulierung „namens“ des Vertretenen (aM Brandenburg WM 2010, 651, 652 für die Formulierung „namens des Landes B, vertreten durch den Minister …“). Es soll offengelegt werden und der Erklärungsempfänger soll erkennen können, dass die Folgen der Erklärung nicht den Erklärenden, sondern einen anderen (Vertretenen) treffen sollen (Fremdwirkung). Der Vertretene braucht allerdings nicht identifiziert zu werden (BGH JZ 1957, 441; NJW 1998, 62, 63; MüKo/Schubert Rn 110ff). Daher kann durch das Handeln des Vertreters ein Vertrag zw Vertragspartnern zustan486

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Vertretung und Vollmacht

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de kommen, die sich (zunächst) unbekannt bleiben (BGH JZ 1957, 441). Es genügt, wenn die Person des Vertretenen nachträglich bestimmt wird oder bestimmbar ist (BGH NJW 1998, 62, 63; s auch § 95 HGB). Der Vertretene kann sich auch aus einer Sammel- oder Kurzbezeichnung ergeben (BGH 76, 90). Kommt als Vertretener eine von mehreren Personen in Betracht, ist durch Auslegung der Willenserklärung des Vertreters zu ermitteln, für wen gehandelt worden ist (BGH NJW-RR 1988, 475; Gehrlein VersR 1995, 268). Verkauft jemand als „Beauftragter des Eigentümers“ ohne Namensnennung eine bewegliche Sache, ist aber sein Auftraggeber nicht Eigentümer, so handelt er nicht vollmachtlos namens des ihm unbekannten Eigentümers, sondern im Namen seines Auftrag- und Vollmachtgebers (BGH JZ 1957, 441). Die Angabe eines unrichtigen Namens für den Vertretenen schadet nicht, wenn zw Vertreter und Geschäftsgegner Einigkeit über die Person des Vertretenen besteht („falsa demonstratio“). Ggf kann es dem Vertreter überlassen sein, die Person des Vertretenen nachträglich zu bestimmen (BGH NJW 5 1989, 164, 166; Köln NJW-RR 1991, 918; MüKo/Schubert Rn 112; s auch unten Rn 9). Dies ist kein Fall des Geschäfts für „den, den es angeht“, da der Offenheitsgrundsatz gewahrt ist (Staud/Schilken Vor § 164 Rn 51). Sofern nichts anderes vereinbart ist, kann dann der Handelnde später den Vertretenen einseitig bestimmen. Dem Geschäftspartner kann aber uU ein Zurückweisungsrecht zustehen, zB bei Zahlungsunfähigkeit des Benannten. Eine Ausnahme gilt für die Auflassung; die hier erforderliche Anwesenheit beider Beteiligten setzt deren Existenz und Identifizierung voraus (BayObLG 1983, 275, 278; AG Hamburg NJW 1971, 102). Bestimmt der Vertreter den Vertretenen nicht, ist § 179 entspr anwendbar (BGH 129, 136, 149ff), wenn nicht der Vertreter diese Haftung erkennbar ausschließen wollte. Bis zur Bestimmung des Vertretenen ist das Geschäft unvollständig. Die Bestimmung wirkt deshalb nicht zurück (BGH NJW 1998, 62, 63; uneinheitlich MüKo/Schubert Rn 112 und 125; aM Soergel/Leptien Vor § 164 Rn 26); jedoch kann das schuldrechtliche Geschäft ergeben, dass die Parteien wie im Fall der Rückwirkung zu stellen sind (Flume § 44 II 2a). b) Die Erklärung in fremdem Namen kann ausdr erfolgen oder sich aus den Umständen ergeben (§ 164 I 2). 6 Maßgeblich ist der durch Auslegung gem §§ 133, 157 zu ermittelnde erklärte Wille. Ein ihm entgegenstehender bloß innerer Wille, in fremdem oder im eigenen Namen zu handeln, ist unerheblich (BGH 36, 30, 33; NJW-RR 1988, 475, 476 mwN; Gehrlein VersR 1995, 268; s aber Rn 19, 26). Dies gilt sowohl für die Frage, ob in fremdem Namen gehandelt wird, als auch für die Bestimmung des Vertretenen (BGH 5, 279; München NJW 1998, 1406). Mehrdeutigkeit in der Frage, ob in fremdem Namen gehandelt wird, führt zum Eigengeschäft, § 164 II. Bei beurkundungsbedürftigen Geschäften müssen die Vertretungsverhältnisse und der rechtsgeschäftliche Vertretungswille in der Urkunde – wenn auch möglicherweise unvollkommen – zum Ausdruck kommen. Besondere praktische Bedeutung hat dies bei Verträgen mit einer Mehrzahl von Personen, etwa Eheleuten, Erbengemeinschaften und Personengesellschaften (Rechtsprechungsbeispiele: BGH 125, 175 – Vertretung von Eheleuten; NJW 2002, 3389 sowie Fritz NJW 2004, 3390, 3392 – Vertretung von Miterben; BGH NJW 2003, 3053, 3054 – Vertretung bei einer GbR; NJW 2005, 2225, 2226, 1291 – Vertretung einer GmbH; sehr großzügig BGH NJOZ 2001, 278, 281f für die Vertretung eines nur im Vertragstext als Bürgen genannten Dritten). – Schriftform erfordert nicht die Angabe der Grundlage der Vertretungsmacht (BGH NJW 2015, 2034 zu § 550; LAG Düsseldorf ZIP 2015, 2477, 2480 zu § 623). Ob dem Schriftformerfordernis des § 623 genügt ist, wenn der Handelnde unter dem Namen des Arbeitgebers mit dem Zusatz i.A. statt i.V. unterschreibt, oder ob die Erklärung dann als Botenerklärung zu werten ist, ist durch Auslegung zu ermitteln (BAG NJW 2008, 1243; Wirksamkeit verneint von LAG Rh-Pf NZA-RR 2008, 403). aa) Bei unternehmensbezogenen Geschäften (eingehend dazu Ahrens JA 1997, 895ff) und bei Geschäften, die 7 sich auf sonstige Organisationseinheiten (etwa Gesellschaft, Gemeinschaft, Körperschaft, Verein usw) beziehen, geht der erklärte Wille der Beteiligten im Zweifel dahin, dass der Rechtsträger des Unternehmens/der Organisation und nicht der für das Unternehmen/die Organisation Handelnde Vertragspartei werden soll. Das gilt selbst bei unrichtigen Vorstellungen eines Beteiligten über die Person des Rechtsträgers (BGH NJW 1990, 2678; Hamm VersR 2001, 978; aM LAG Rh-Pf 11.2.2010 – 11 Sa 395/09, Rn 63ff) und auch, wenn als Träger des Unternehmens eine Scheinfirma oder eine noch nicht errichtete GmbH angegeben wird (BGH NJW 1996, 1053; 1998, 2897). Allerdings kommt dann eine Anfechtung nach § 119 II in Betracht (LG Hanau NJW-RR 2000, 1420). Jedenfalls muss das Unternehmen/die Organisation im Zeitpunkt der Wirksamkeit des Geschäfts bestehen (BGH NJW 1998, 62 = LM Nr 82 – Karollus), und der Unternehmens-/Organisationsbezug muss hinreichend deutlich werden, und zwar in der für das Geschäft erforderlichen Form (BAG NJW 2010, 888, 889 zu § 1 TVG); Zweifel gehen nach dem Grundsatz des § 164 II zulasten des Handelnden (BGH 62, 216, 221; NJW 1995, 43, 44 mit Anm K. Schmidt JuS 1995, 456). Zur Bestimmung des betroffenen Unternehmers bei Franchise-Verhältnissen BGH NJW 2008, 1214. Der Unternehmens-/Organisationsbezug kann sich aus dem Vertragszweck, aber auch aus anderen Umständen ergeben. Bsp: Verwendung des Unternehmensnamens bei der Leistungsbeschreibung (Köln NJW-RR 1997, 670 Auftrag für Werbeanzeige); unternehmensbezogener Inhalt der vereinbarten Leistung, etwa Materiallieferung (BGH 62, 216; Stuttgart NJW 1973, 629); Abschluss des Vertrags in den Geschäftsräumen, etwa beim Kauf in einem Ladengeschäft (BGH NJW 1984, 1347; Köln MDR 1993, 852; wenn trotz Vertragsabschlusses in Geschäftsräumen der Inhaber des Geschäfts nicht Vertragspartner werden soll, kann ein besonderer Hinw geboten sein, LG Aachen NJW-RR 2007, 633); betrügerisches Geschäft von Mitarbeitern einer Anlagegesellschaft in deren Geschäftsräumen im Anschluss an einen ordnungsgemäß vermittelten Lebensversicherungsvertrag (BGH NJW-RR 1998, 1342); Vereinbarung der Leistung am Sitz oder an die Anschrift des Unternehmens; Hinw auf das Unternehmen in schriftlichen Vertragsunterlagen oder durch Unterschriftszusätze (BGH 64, 11, 14f; NJW 1981, 2569; 1991, 2627). Handeln in fremdem Namen ist regelmäßig anzunehmen bei Maier-Reimer

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Personen, die nach ihrer sozialen Stellung (zB Kellner, Taxifahrer, Bankangestellter, vgl BGH NJW 1984, 1347) erkennbar im Rahmen des Betriebs ihres Dienstherrn tätig werden. Schließt eine „Agentur“ einen Vertrag und findet sich in ihren AGB ein Hinw auf den Vertretenen, wird dieser Vertragspartei (LG Düsseldorf MDR 1985, 1027). Weitere Bsp aus der Rspr zum unternehmensbezogenen Handeln: BGH NJW 1983, 1844; 1986, 1675; 1992, 1381; WM 1990, 600; Köln GmbHR 2000, 383. Neben dem Rechtsträger haftet mangels hinreichenden Hinw auf das Fehlen einer voll haftenden nat Pers auch der Handelnde persönlich kraft Rechtsscheins (näher Rn 24); ebenso, haftet, wer den Eindruck erweckt, (haftender) Mitinhaber des Unternehmens zu sein (BGH 17, 13; NJW 2012, 3368). Nach § 179 haftet der Handelnde nur dann selbst, wenn ein Rechtsträger für das Unternehmen/die Organisation gar nicht existiert oder wenn er keine Vollmacht hatte, für den Rechtsträger zu handeln (BGH 91, 148, 152). bb) Einzelfälle. Ein Architekt, der bei der Vergabe von Bauarbeiten ersichtlich als Vertreter des Bauherrn angesehen wird und dazu schweigt, handelt als dessen Vertreter (Köln NJW-RR 1996, 212; s auch Köln NJW-RR 1999, 1615 bei Handeln für eine Baugesellschaft); zum Umfang der Vollmacht eines Architekten s § 167 Rn 31). – Der Abschluss eines Arzt- oder Krankenhausvertrags erfolgt im Zweifel im Namen des Patienten; jedoch kommt nach den Umständen bei einem Auftrag zu einem Krankentransport auch ein Abschluss namens des Trägers der zuständigen gesetzlichen Krankenversicherung in Betracht (Koblenz NJW-RR 1997, 1183). Zur Vertretung des Arztes durch den Krankenhausträger s BGH 95, 63, 67ff; 121, 107. Die Verträge mit den Handwerkern schließen Bauträger im eigenen Namen, Baubetreuer idR im Namen ihrer Auftraggeber (BGH 67, 334; 76, 86; NJW 1981, 757; Düsseldorf DB 1978, 583); das gilt bei eindeutigem Wortlaut auch, wenn die Auftraggeber den Handwerkern nicht benannt werden (BGH 76, 86). Ob ein Ehegatte Erklärungen zugleich im Namen des anderen abgibt, ist eine Frage der Auslegung im Einzelfall (BGH 125, 175; Düsseldorf NJW-RR 2001, 1084; s auch § 1357). – Zum Handeln im elektronischen Rechtsverkehr s Rn 13. Zur (passiven) Vertretung einer Erbengemeinschaft durch einen dazu bevollmächtigten Miterben VG Koblenz NJOZ 2006, 3659. Der Gerichtsvollzieher schließt Verwahrungsverträge iSv §§ 885 III, 808 II ZPO regelmäßig nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Justizfiskus (BGH NJW 1999, 2597; dazu K. Schmidt JuS 2000, 94 mwN). Zur Geschäftsraummiete als unternehmensbezogenes Geschäft Brandenburg NJW-RR 1999, 1606; Düsseldorf ZIP 2000, 580. – Zum unternehmensbezogenen Geschäft bei einer Gesellschaft mbH BGH NJW 2000, 2984 sowie Nürnberg NZG 2001, 231. – Ein Hausverwalter wird im Zweifel namens des Hauseigentümers tätig, auch wenn dessen Name ungenannt bleibt (BGH NJW-RR 2004, 1017; KG NJW-RR 1996, 1523 mwN). Ein Konzerntarifvertrag ist für die Konzerntöchter nur abgeschlossen, wenn das hinreichend verlautbart ist (BAG 124, 240; NJW 2010, 888). Bei der Post kommt es auf die Umstände an, ob der Einlieferer im eigenen Namen oder namens des Absenders handelt (LG München I MDR 1995, 1207). Der RA einer Sozietät, der unter der Bezeichnung der Sozietät Willenserklärungen abgibt, handelt im Zweifel für die Sozietät (im Grundsatz offengelassen aber in casu angenommen in BGH NJW 2011, 2301 Rn 15; 2012, 2435 Rn 16; LAG Düsseldorf ZIP 2015, 2477)), dagegen handelt er auch im eigenen Namen, wenn er, nicht aber die Sozietät postulationsfähig ist (BGH NJW 2009, 3162). Entspr wird für andere freie Berufe (Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Architekten, beratende Ingenieure usw) zu gelten haben. Übernimmt ein RA in einer interprofessionellen Sozietät ein Rechtsberatungsmandat, so kommt der Mandatsvertrag mit der GbR nur zustande, wenn der Anwalt erkennbar für die Sozietät handelt (BGH NJW 2009, 1597). Zur Vertretung beim Reisevertrag § 651a II; § 651a Rn 52; s auch Neuner AcP 193, 1, 12ff. Sammelbestellungen – etwa bei einem Versandhaus – können auch dann als Handeln im Namen aller Mitbesteller gewertet werden, wenn deren Namen zunächst nicht genannt werden (Köln NJW-RR 1991, 918; 1996, 43); Ähnliches gilt für die Sammelanmeldung zu einer Fahrt (Frankfurt NJW 1986, 1941). Zur Anwendung des § 164 I 2 im Scheckverkehr BGH 65, 218; NJW 1994, 2082; Düsseldorf NJW-RR 1996, 1141. – Zur Frage, ob ein Schiffsmakler, der einen Frachtvertrag abschließt, sich selbst oder seinen Auftraggeber verpflichtet, K. Schmidt/Blaschczok VersR 1981, 398. – Zur Unternehmensbezogenheit der Schuldanerkenntniserklärung eines GmbH-Geschäftsführers BGH NJW 2000, 2984. – Bei der Anlage eines Sparbuches und Einzahlungen auf ein solches wird nicht der Einzahlende schlechthin Gläubiger (BGH 21, 148; WM 1972, 383; Canaris NJW 1973, 825); vielmehr kommt es auf die Kontobezeichnung, den Besitz am Sparbuch sowie erkennbare Vorbehalte hins der Verfügungsbefugnis an (s auch § 328 Rn 32). Wird nach einem Verkehrsunfall ein Schuldanerkenntnis abgegeben, so handelt der Fahrzeugführer idR (nur) im eigenen Namen und nicht (auch) im Namen des Fahrzeughalters (LG Freiburg NJW 1982, 1162). – Bei Abschluss eines Versicherungsvertrags können die Grundsätze zum unternehmensbezogenen Handeln auch für die Bestimmung eines Unternehmens als Versicherungsnehmer herangezogen werden; § 43 II VVG ist eine demgegenüber nachrangige Auslegungsregel (BGH NJW-RR 1997, 527 – zu § 74 II aF VVG). Für das Wechselrecht BGH 64, 11, 15 m Anm Schmidt-Salzer NJW 1975, 1511. – Bei Wohnungseigentumsanlagen wird der Verwalter, wenn er etwa Handwerker bestellt, regelmäßig für die Eigentümergemeinschaft tätig (Düsseldorf NZM 2000, 193; s auch Elzer IBR 2007, 2255; Lammel IBR 2007, 78; Flessner IBR 2007, 2611; sowie oben zu „Hausverwalter“). Im Einzelfall kann sich aus den Umständen aber auch ein Handeln im eigenen Namen ergeben (Bsp: VerfGH Berlin NJW-RR 2007, 159; Düsseldorf NZM 2007, 504; Saarbrücken NJW-RR 2007, 521). cc) Demgegenüber reicht Handeln in (wirtschaftlichem oder sonstigem) fremdem Interesse allein idR nicht aus, um Handeln in fremdem Namen anzunehmen. Kommissionär und Spediteur werden stets für andere tätig; doch handeln sie idR nicht als Vertreter, sondern im eigenen Namen (§§ 383, 407 HGB). Die Erklärung eines Käufers, die Kaufsache sei für einen anderen bestimmt, macht ihn nicht ohne weiteres zum Vertreter, selbst

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dann nicht, wenn bei den Verhandlungen von „Vermittlung“ gesprochen wird (München OLG 39, 166f; anders Hamburg OLG 20, 61f). c) Möglich ist auch, dass der Vertreter zugleich in fremdem und im eigenen Namen handelt (BGH 104, 95, 100; NJW 2013, 1873 Rn 11; 2015, 1510; 2015, 2872 Rn 16ff). Anhaltspunkte können Sinn und Zweck des Vertrags, eigenes Interesse des Vertreters, aber auch begründetes Interesse des Geschäftspartners daran sein, sich nicht ausschließlich mit Ansprüchen gegen den Vertretenen begnügen zu wollen (BGH MDR 1966, 213). Auch Vertretungsgeschäfte eines Gesellschafters einer GbR können hierzu gehören. Der Abschluss eines zustimmungsbedürftigen Vertrages durch den Geschäftsführer des Zustimmungsberechtigten kann konkludente Zustimmung in dessen Namen sein (BGH NJW 2015, 2872 Rn 16ff). 3. Beim Handeln unter fremdem Namen (allg dazu Köhler, FS Schippel, 1996, 209, 212f; Letzgus AcP 126, 27 und 137, 327; Lieb JuS 1967, 106; Ohr AcP 152, 216; Redeker NJW 1984, 2393; Weber JA 1996, 426) tritt der Handelnde nicht im Namen des Vertretenen auf; er verwendet vielmehr einen anderen als seinen eigenen Namen und gibt vor, selbst der Bezeichnete zu sein. Ob in solchen Fällen ein Fremdgeschäft oder ein Eigengeschäft des Handelnden anzunehmen ist, hängt grds davon ab, ob die falsche Namensangabe beim Geschäftspartner eine unrichtige Identitätsvorstellung erweckt oder nicht (MüKo/Schubert Rn 138, 142). Ohne unrichtige Identitätsvorstellung des Geschäftspartners liegt ein Eigengeschäft des Handelnden unter falschem (aber mangels Identifizierung eines anderen nicht fremdem) Namen vor. Zur Frage der Formwirksamkeit in solchen Fällen s MüKo/Schubert Rn 145f; zur Prozessführung unter falschem Namen BGH NJW 2011, 778 m abl Anm Wolfsteiner. Erweckt hingegen der Gebrauch des falschen Namens beim Geschäftspartner eine unrichtige Identitätsvorstellung, so ist das Handeln als solches namens des Namensträgers zu werten; auf den Willen des Handelnden, ein Eigengeschäft vorzunehmen, kommt es nicht an (s Rn 19, 26); die Wirkungen hängen davon ab, ob der Handelnde Vertretungsmacht hatte (dann Anwendung des § 164 I) oder nicht (dann Anwendung der §§ 177, 179; BGH 45, 193, 195; WM 1990, 1450, 1451f; Lieb JuS 1967, 106). Verfügt ein Nichtberechtigter unter dem Namen des Berechtigten, so richtet sich die Wirksamkeit bei Eigengeschäft nach §§ 185, 932ff, bei Fremdgeschäft nach § 177. Wer sich unter Vorlage der Kfz-Papiere als Eigentümer ausgibt und das unterschlagene Kfz übereignet, handelt im eigenen Namen (BGH NJW 2013, 1946; aM Koblenz NJW-RR 2011, 555). Unberührt bleibt ggf das Anfechtungsrecht des Geschäftspartners (§§ 119 II, 123), wenn für ihn, namentlich bei Geschäften unter Anwesenden, sowohl die Identität des Handelnden als auch die des – mit diesem vermeintlich identischen – Namensträgers bedeutsam sind. Zur Frage einer – nach Wahl des Geschäftsgegners – alternativen Verpflichtung des Geschäftsherrn oder des Handelnden s Lüderitz JuS 1976, 766; der Handelnde kann auch kraft Rechtsscheins neben dem Namensträger verpflichtet sein, Oldenburg OLG 1979, 60; s auch Rn 8. Ebenfalls zum Handeln unter fremdem Namen gehört der Fall der Unterzeichnung einer Urkunde mit dem Namen des Vertretenen (RG 74, 69, 72; BGH 45, 193, 195; Lieb JuS 1967, 106; Dietrich DB 1974, 2141; Medicus AT Rn 908; hM; zur abw Beurteilung für das Steuerrecht: BFH BB 1998, 198 mwN). Bei beurkundungsbedürftigen Rechtsgeschäften führt die Verwendung eines falschen oder fremden Namens zur Nichtigkeit (MüKo/Schubert Rn 146), während die gesetzliche Schriftform auch ein Handeln unter fremdem Namen zulässt (RG 74, 69). – Wer im Digitalen Rechtsverkehr unter der geschützten Kontonummer eines anderen handelt, handelt unter dessen Namen, selbst wenn er eine eigene E-Mail-Adresse und Telefonnummer angibt, da letztere nur als Kontaktdaten verstanden werden; der Kontoinhaber wird nur unter den Voraussetzungen der §§ 167, 177 gebunden (BGH 189, 346 Rn 10, 12); wer aber unter fremdem Konto als „Bargeschäft gegen Abholung“ kauft, ist nach Abholung selbst Käufer (LG Bonn NJW-RR 2012, 1008; abl MüKo/Schubert Rn 144, weil danach bis zur Abholung kein Vertrag bestehe); zur Beweislast bzgl des Handelnden Hamm NJW 2007, 611. Zur Rechtsscheinsvollmacht in solchen Fällen s § 167 Rn 19, 31a. 4. Beim Geschäft für „den, den es angeht“ (dazu MüKo/Schubert Rn 124ff; ausf Bitter [vor § 164 Rn 16] S 212ff) sollen die Wirkungen auch ohne Offenlegung eines Handelns „in fremdem Namen“ unmittelbar einen anderen als den Handelnden treffen. Voraussetzung dafür ist nach allg M, dass es dem Geschäftspartner wie vor allem bei Bargeschäften des täglichen Lebens gleichgültig ist, mit wem er kontrahiert, weil dann der durch den Offenheitsgrundsatz bezweckte Schutz des Geschäftspartners entbehrlich sei (Soergel/Leptien vor § 164 Rn 29; Staud/ Schilken vor § 164 Rn 53). Hinzukommen müssen nach wohl hM objektive Anhaltspunkte für einen Fremdwirkungswillen (Staud/Schilken vor § 164 Rn 53; MüKo/Schubert Rn 129; aM Soergel/Leptien vor § 164 Rn 29). Ein Bedürfnis für die Anerkennung der unmittelbaren Fremdwirkung des Geschäfts für den, den es angeht, besteht nur, wenn bei Verfügungsgeschäften, namentlich im Mobiliarsachenrecht, ein Durchgangserwerb durch den Handelnden vermieden werden soll oder eine Weiterübertragung von dem Handelnden an den Hintermann nicht (mehr) erfolgt oder nicht nachweisbar ist. Problematisch ist die aus der Anerkennung entstehende Unklarheit der Eigentumsverhältnisse (Flume § 44 II 2c; dagegen Einsele JZ 1990, 1005, 1009). Nur für Mobiliarübereignungen im Rahmen von Bargeschäften hat die Rspr eine solche unmittelbare Fremdwirkung anerkannt (RG 100, 192; BGH 114, 74; Düsseldorf NJW 1992, 1706 – jew zum Erwerb von Hausratsgegenständen durch einen Ehegatten oder Lebenspartner; ferner RG 99, 208 – Barkauf von Pferden zum sofortigen Weiterverkauf). In zahlreichen anderen Fällen hat der BGH das Prinzip zwar anerkannt, seine Voraussetzungen im konkreten Fall jedoch verneint (NJW 1955, 587; 1991, 2959; NJW-RR 2003, 921). Bei dem Kausalgeschäft werden die Voraussetzungen – Gleichgültigkeit der Identität des Geschäftspartners – idR nicht vorliegen. Ist der Partner des Verfügungsgeschäfts deshalb nicht identisch mit demjenigen des KausalMaier-Reimer

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geschäfts, so ist dies unschädlich, weil nach den Umständen das Kausalgeschäft durch die Übereignung an den Hintermann erfüllt wird (§ 362 II). Ein gesetzlich geregelter Fall ist § 1646 (dazu Flume § 44 II 1d). Nicht hierher gehört das sog „offene Geschäft für den, den es angeht“ (MüKo/Schubert Rn 125f), da dies in Wirklichkeit offene unmittelbare Stellvertretung ist (s oben Rn 5; wie hier Staud/Schilken Vor § 164 Rn 51; wohl auch Wolf/ Neuner § 49 Rn 48), ggf verbunden mit einer Bevollmächtigung des Handelnden (mit Befreiung von § 181), die Erklärung zur Identifizierung seines Geschäftsherrn entgegenzunehmen. So verstanden werden sollten etwa Geschäfte zur Besicherung der Importfinanzierung (aM BuB/Nielsen 5/191; BankRHdb/Jäger § 100 Rn 62) und zur Übereignung bei der Effektenkommission (aM BuB/Decker 8/342f; MüKo-HGB/Einsele Depotgeschäft Rn 101). Liegen die Voraussetzungen des Geschäfts für „den, den es angeht“ deshalb nicht vor, weil der Handelnde erklärtermaßen im eigenen Namen abschließen will, so kommt eine nachträgliche Umdeutung des Vertrags aufgrund eines einseitigen Willensentschlusses in einen Vertrag, der im Namen eines anderen geschlossen ist, nicht in Betracht; das gilt selbst dann, wenn anzunehmen ist, dass dem Vertragsgegner die Person des Leistungspflichtigen gleichgültig ist (BGH NJW 1955, 588; MüKo/Schubert Rn 130; Staud/Schilken Vor § 164 Rn 53). 5. Vertretungsmacht. Der Vertreter muss die Willenserklärung innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht abgeben. a) Die Vertretungsmacht wird durch Rechtsgeschäft (Vollmacht, § 167 II), durch Bestellung zum Organ mit Vertretungsmacht (im Recht der Gesellschaften und Körperschaften, dazu Vor § 164 Rn 14) oder durch Gesetz (Vor § 164 Rn 13) begründet. Sie muss im Zeitpunkt der Abgabe oder Entgegennahme der Willenserklärung durch den Vertreter vorliegen (§ 177 Rn 5). b) Aufgrund der Vertretungsmacht kann der Vertreter rechtsgeschäftliche Wirkungen für und gegen den Vertretenen herbeiführen (Außenverhältnis). Entstehung, Fortbestand und Reichweite der Vertretungsmacht sind streng von den Beziehungen zw Vertreter und Vertretenem (Innenverhältnis) zu unterscheiden, das bestimmt, ob und wie er handeln darf (Abstraktionsprinzip; Vor § 164 Rn 6). Die Vertretungsmacht ist eine Rechtsmacht, jedoch kein subjektives Recht; sie ist nicht selbständig abtretbar oder pfändbar (s aber § 168 Rn 18), kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen durch Gesamtrechtsnachfolge – etwa bei Umwandlung oder Verschmelzung von Unternehmen – auf einen anderen übergehen (§ 168 Rn 10ff, 18). Die Rechtsmacht des Vertreters tritt zusätzlich neben die des Vertretenen; dieser bleibt also trotz Erteilung der Vollmacht selbst zum Abschluss entspr Geschäfte zuständig (§ 167 Rn 1). c) Der Umfang der Vertretungsmacht richtet sich bei gesetzlicher und organschaftlicher Vertretung nach der jew gesetzlichen und/oder satzungsmäßigen Regelung, bei gewillkürter Vertretung nach dem Inhalt der Vollmacht. Näheres über Erteilung und Umfang der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht § 167 Rn 2ff, 8, 48ff. Bei Fehlen oder Überschreitung der Vertretungsmacht gelten §§ 177, 179, 180. Zum Missbrauch der Vertretungsmacht § 167 Rn 70ff. Zur Beschränkung der Vertretungsmacht durch Vereinssatzung BGH NJW 1980, 2799; durch Gesellschaftsvertrag der GbR BGH NJW-RR 1996, 673; zur Behördenvertretung auch BVerwG NJW 1996, 608ff; BGH NJW 2001, 2626 (Gemeinde, nur mit Unterschrift des Bürgermeisters); BGH NJW 1999, 2597 (Gerichtsvollzieher). 6. Vertretungswille? Die objektiv in fremdem Namen mit Vertretungsmacht abgegebene Erklärung wirkt für und gegen den Vertretenen, auch wenn dem Vertreter der Vertretungswille fehlt (BGH 36, 30, 33), wohl unstr (MüKo/Schubert Rn 173; Soergel/Leptien Rn 12; Staud/Schilken Vor § 164 Rn 36); ein abw innerer Wille kann – wie bei jeder Willenserklärung – aber durch Anfechtung geltend gemacht werden (str; Rn 26). II. Folgen wirksamer Stellvertretung. 1. Im Verhältnis zw Vertretenem und Geschäftspartner wirken die vom Vertreter (im Namen und mit Vertretungsmacht des Vertretenen) abgegebenen Willenserklärungen unmittelbar und ausschließlich für und gegen den Vertretenen. Rechte und Pflichten entstehen originär in der Person des Vertretenen; sie werden nicht vom Vertreter als „Durchgangsperson“ abgeleitet. Auch Gestaltungsrechte aus dem Vertretergeschäft stehen allein dem Vertretenen zu, zB Anfechtungs-, Rücktrittsrechte; ob der Vertreter den Vertretenen in der Ausübung solcher Gestaltungsrechte wirksam vertreten kann, hängt vom Umfang seiner Vertretungsmacht ab. § 164 I betrifft nur die rechtsgeschäftlichen Wirkungen des Vertreterhandelns einschl der Begründung eines vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses (dazu auch § 311 II); daraus kann sich eine Haftung des Vertretenen für den Vertreter aus cic/§ 311 II iVm § 278 ergeben (BGH 92, 164, 175; NJW 1974, 1505; NJW-RR 1998, 1342). 2. Das Verhältnis zw Vertretenem und Vertreter richtet sich nach dem der Vollmacht zugrundeliegenden Rechtsverhältnis (Vor § 164 Rn 4). 3. Zw Vertreter und Geschäftsgegner ergeben sich aus der Stellvertretung keine rechtsgeschäftlichen Wirkungen; diese beschränken sich ausschließlich auf das Rechtsverhältnis zw Vertretenem und Geschäftsgegner (Rn 20f). Das schließt jedoch eine Eigenhaftung des Vertreters nicht aus, sofern in dessen Person die entspr Voraussetzungen erfüllt sind. Das versteht sich für die Deliktshaftung des Vertreters (§§ 823ff; Bsp: BAG NZA 2006, 729 und NZA 2007, 693, Voraussetzungen in casu jew verneint) von selbst. Es kann aber auch zw Vertreter und Geschäftsgegner unter besonderen Umständen ein eigener Auskunfts- und Beratungsvertrag – idR freilich mit dem Geschäftsherrn – geschlossen sein (dazu BGH 140, 111; NJW-RR 2006, 109; NJW 2015, 1510 zu den eigenen Beratungspflichten des Anlagevermittlers BGH 158, 110, 116) ferner kann in besonderen Ausnahmefällen auch eine Vertreterhaftung aus cic/§ 311 III oder pFV in Betracht kommen, sofern ein eigenes Schutzverhältnis zw Vertreter und Geschäftspartner vorliegt, oder wenn der Vertreter dem Geschäftspartner ggü besonderes Vertrauen für sich in Anspruch genommen hat; näher § 311 Rn 89ff. 490

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Vertretung und Vollmacht

§ 164

4. Nach Rechtsscheinsgrundsätzen haftet, wer als Organvertreter oder rechtsgeschäftlicher Vertreter für eine GmbH oder GmbH & Co im Geschäftsverkehr entgegen § 4 GmbHG oder § 19 II HGB keinen die Haftungsbeschränkung kennzeichnenden Zusatz in der Firma verwendet und dadurch den Eindruck hervorruft, es hafte aus dem Geschäft mindestens eine nat Pers (BGH 64, 11, 17; 71, 354; NJW 1981, 2569 – Geschäftsführer als Vertreter; NJW 1991, 2627 m Anm Canaris – anderer Vertreter; 1996, 2645 – VorGmbH; krit Altmeppen NJW 2012, 2833 und Klein NJW 2015, 3607), oder wer für eine Unternehmergesellschaft haftungsbeschränkt den Zusatz GmbH verwendet (BGH NJW 2012, 2871). Das gilt nicht für den mündlichen Geschäftsabschluss (BGH NJW 1981, 2569, 2570; Hamm NJW-RR 1998, 1253; s aber Naumburg NJW-RR 1997, 1324). Zu entspr Grundsätzen bei der Vertretung einer ausl Kapitalgesellschaft BGH NJW 2007, 1529; dazu Kindler NJW 2007, 1785 und Altmeppen ZIP 2007, 889; anders für die Haftung des Handelnden aus § 11 II GmbHG für eine nicht im Handelsregister eingetragene britische Limited: Hamm NJW-RR 2006, 1631. III. Nicht erkennbarer Vertretungswille (§ 164 II). 1. Bedeutung der Vorschrift. Ob jemand als Vertreter für einen anderen handeln will, ist durch Auslegung zu ermitteln (oben Rn 6). Will der Vertreter in fremdem Namen handeln, ist dieser Wille aber nicht erkennbar, so gilt seine Willenserklärung mangels Offenlegung der Vertretung als Handeln im eigenen Namen (zum Geschäft für „den, den es angeht“ s aber Rn 14). Das ergibt sich bereits aus allg Grundsätzen. Die Bedeutung von § 164 II liegt in dem Ausschluss der Anfechtung (§ 119 I) wegen eines Mangels des Willens, im eigenen Namen zu handeln (BGH NJW-RR 1992, 1010, 1011; MüKo/Schubert Rn 174). 2. Abgrenzung. Nicht von § 164 II erfasst ist der umgekehrte Fall, dass jemand im eigenen Namen handeln will, seine Erklärung aber als das Handeln für einen anderen aufzufassen ist. Für diesen Fall ist die Anfechtung nicht durch § 164 II ausgeschlossen (MüKo/Schubert Rn 177; Staud/Schilken Rn 21; aA Pal/Ellenberger Rn 16 aufgrund Überinterpretation von BGH 36, 30, 33f sowie Fikentscher AcP 154, 1, 16ff). – Wem das Recht zur Anfechtung zusteht, hängt von der Wirksamkeit der Stellvertretung ab: Wirkt das Geschäft mangels Vertretungsmacht nicht für und gegen den Vertretenen, kann nur der Vertreter anfechten. Lag aber das Geschäft innerhalb der Vertretungsmacht, hat nur der Vertretene das Anfechtungsrecht, das aber auch vom Vertreter ausgeübt werden kann, wenn es von seiner Vertretungsmacht umfasst ist; (str; wie hier Staud/Schilken Rn 21; aM Soergel/Leptien Rn 12: Immer Anfechtungsrecht des Vertretenen; wieder anders Flume § 44 III: immer Anfechtungsrecht des Vertreters; so wohl auch MüKo/Schubert Rn 178). Das ist nicht Folge des § 166, der die Voraussetzungen der Anfechtung betrifft, sondern folgt daraus, dass die Anfechtung eine Rechtsposition des Vertretenen vernichtet. Die gleichen Grundsätze gelten, wenn der Vertreter für einen anderen handeln wollte als den, für den er objektiv handelte (Staud/Schilken Rn 21; aM MüKo/Schubert Rn 179, die in diesem Fall das Anfechtungsrecht dem gewollten, aber irrtümlich nicht Vertretenen gewähren will). B. Passive Stellvertretung (§ 164 III). I. Inhalt der Vorschrift. Passive Vertretung liegt vor, wenn eine Willenserklärung an einen anderen als denjenigen abgegeben wird, dem ggü sie wirken soll. Auf sie finden die Regeln des § 164 I entspr Anwendung. Dh: Der passive Vertreter handelt nicht, es handelt der Erklärende ihm ggü aufgrund der – bestehenden oder angenommenen – Empfangszuständigkeit des Passivvertreters. Da dieser nicht handelt, kommt es auch auf seinen – inneren oder erkennbar gemachten – Vertretungswillen nicht an. Erforderlich ist aber, dass der Handelnde erkennbar eine Erklärung an den Vertretenen abgeben will (MüKo/Schubert Rn 241). Soweit Empfangsvertretungsmacht besteht, wirkt die Erklärung ohne weiteres wie bei Abgabe an den Vertretenen. Bei Gesamtvertretung genügt grds die Erklärung ggü einem Gesamtvertreter (hM; BGH 62, 166, 173; 149, 28, 31; s §§ 28 II, 1629 I 2 sowie §§ 78 II 1 AktG, 35 II 3 GmbHG). Grds ist unter den allg Voraussetzungen auch passive Stellvertretung ohne Vertretungsmacht möglich (BGH NJW 1996, 1062; s § 177 Rn 2; § 180 S 3). II. Abgrenzung. Vom passiven Stellvertreter ist der Empfangsbote (§ 120 Rn 2) zu unterscheiden. Der passive Stellvertreter ist anders als der Bote selbst Adressat und Empfänger der Erklärung. Beim Boten ist die Erklärung zu dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem nach dem regelmäßigen Lauf der Dinge damit zu rechnen ist, dass der Empfangsbote die Erklärung an den Empfänger weitergibt (dazu BAG NJW 2011, 2604, für den Fall, dass die Erklärung dem Ehegatten an seinem Arbeitsplatz übergeben wird), während es beim passiven Vertreter ausschließlich auf den Zugang bei diesem selbst ankommt (Soergel/Leptien Rn 37). Für den „Empfängerhorizont“ kommt es beim Empfangsboten auf das Verständnis des Geschäftsherrn, beim passiven Stellvertreter hingegen auf dessen Sicht an (Wolf/Neuner § 49 Rn 20); dasselbe gilt für Wissen und Wissenmüssen. C. Die Beweislast für die Wirkung für und gegen den Vertretenen hat, wer für sich selbst oder den Gegner wirksame Stellvertretung geltend macht (BGH NJW 1986, 1675; s auch BGH NJW-RR 1992, 1010); Zweifel gehen zu seinen Lasten. Das gilt für das Handeln in fremdem Namen, für die Person des Vertretenen und für die Vertretungsmacht (BGH NJW 1975, 775; 1986, 1675; 1991, 2958; NJW-RR 1992, 1010). Gleiches gilt, wenn str ist, ob der Handelnde eine Zahlung in fremdem Namen angenommen hat (Frankfurt NJW-RR 1988, 108). Die Voraussetzungen eines unternehmensbezogenen Geschäfts (Rn 7) muss beweisen, wer daraus für sich Rechtsfolgen ableitet (BGH NJW 1986, 1675; 2000, 2984, 2985). Zur Wirkung der Streitverkündung, wenn im Vorprozess die Klage mangels Beweises einer Vertretung abgewiesen wurde BGH 85, 252. Wenn unstr oder erwiesen ist, dass sich das Geschäft auf ein Unternehmen/eine Organisation bezieht, wird – widerlegbar – vermutet, dass namens des Unternehmens/der Organisation gehandelt worden ist (BGH NJW 1984, 1347f; 1986, 1675). Zur Beweislast bei einer Klage gegen den Vertreter ohne Vertretungsmacht § 179 Rn 28f. Maier-Reimer

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Die Wirksamkeit einer von oder gegenüber einem Vertreter abgegebenen Willenserklärung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Vertreter in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist. 1. Bedeutung. Nach § 165 kann auch eine beschränkt geschäftsfähige Person Vertreter iSv §§ 164ff sein. Hat der Vertreter Vertretungsmacht so treten die Wirkungen seines Handelns nur in der Person des Vertretenen (§ 164 I 1) und nicht in der Person des Vertreters ein (§ 164 Rn 20ff; s aber § 311 Rn 89ff). Hat ein beschränkt geschäftsfähiger Vertreter keine Vertretungsmacht, so ist seine Haftung aus § 179 grds ausgeschlossen (§ 179 III 2). Deshalb können dem beschränkt geschäftsfähigen Vertreter aus der Vertretung keine rechtlichen Nachteile erwachsen. Seinem Schutzbedürfnis ist damit genügt. Auf Geschäftsunfähige ist die Bestimmung nicht anwendbar (Rn 5). Allg zu § 165 Chiusi Jura 2005, 532. 2. Anwendungsbereich. a) Hauptanwendungsfall ist die gewillkürte Stellvertretung. Die Bevollmächtigung (§ 167) ist einseitiges Rechtsgeschäft (§ 167 Rn 2); sie bedarf daher nicht der Mitwirkung des Bevollmächtigten und, wenn dieser beschränkt geschäftsfähig ist, auch nicht seines gesetzlichen Vertreters. Das gilt wegen der Abstraktheit der Vollmacht (Vor § 164 Rn 6) auch, wenn das zugrunde liegende Rechtsverhältnis (zB Auftrag, Dienstvertrag) nach §§ 107ff wegen der beschränkten Geschäftsfähigkeit schwebend unwirksam oder wegen Verweigerung der Genehmigung endgültig unwirksam ist. – Wenn der Vollmachtgeber die beschränkte Geschäftsfähigkeit des Bevollmächtigten nicht kannte, kommt eine Anfechtung der Bevollmächtigung wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Bevollmächtigten (§ 119 II) in Betracht (zur Vollmachtsanfechtung s § 167 Rn 44ff). b) Ist ein gesetzlicher oder organschaftlicher Vertreter beschränkt geschäftsfähig, so gilt § 165 auch für die aktive und passive Vertretung durch ihn (s aber Rn 4). Allerdings steht die Beschränkung seiner Geschäftsfähigkeit idR bereits seiner Vertretungsmacht entgegen (§§ 1673 II, 2201). Für andere Vermögensverwalter kraft Amtes muss das entspr gelten (MüKo/Schubert Rn 6 mwN). c) Die Bestellung eines beschränkt Geschäftsfähigen zum Organmitglied einer jur Pers (zB zum Vorstandsmitglied eines Vereins) ist im Prinzip möglich, sofern der gesetzliche Vertreter der Annahme des Amtes zustimmt (§ 27 Rn 3), für die AG und die GmbH aber ausgeschlossen (§§ 76 III, 100 I AktG, 6 II 1 GmbHG). Beschränkt Geschäftsfähige können zwar persönlich haftende Gesellschafter einer Personengesellschaft sein; für ihr Handeln als Vertreter (§ 125 HGB) gilt § 165 aber nicht (Baumbach/Hopt § 125 Rn 10). 3. Abgrenzungen. a) Nicht unter § 165 fällt das Handeln eines geschäftsunfähigen Vertreters. Dessen Willenserklärung ist nach § 105 nichtig. Deshalb kann er einen anderen auch nicht rechtswirksam vertreten (aM aus verfassungsrechtlichen Gründen Canaris JZ 1987, 993, 998; dagegen Wieser JZ 1988, 493f, Replik Canaris JZ 1988, 494, 498). Das gilt auch für (geschäftsunfähige) Organe jur Pers (BGH 53, 210, 214; 115, 78, 80f) und von ihnen vorgenommene Vertreterbestellungen (BGH 158, 1, 7). Die – erst nachträglich eintretende – Geschäftsunfähigkeit der Organe führt zum Erlöschen der Organstellung (BGH 115, 78, 80). Den guten Glauben an den Fortbestand der Organstellung mit Vertretungsmacht schützt § 15 HGB (BGH 115, 78, 81), nicht aber den guten Glauben an die – im Handelsregister nicht verlautbarte – Geschäftsfähigkeit des Vertreters (BGH 53, 210, 215; 115, 78, aM Vorinstanz München JZ 1990, 1029 m Anm Roth). Dennoch kann der Geschäftsherr nach Rechtsscheinsgrundsätzen an das Handeln gebunden sein, wenn er (im Falle einer GmbH: die Gesellschafter) trotz Erkennbarkeit der Geschäftsunfähigkeit nicht einschreitet (BGH 115, 78, 81ff; aM: nur Haftung aus cic, §§ 280 I, 311 II MüKo/Schubert Rn 12; differenzierend Staud/Schilken Rn 3). b) Der Prozessvertreter muss (arg §§ 79, 51, 52 ZPO) geschäftsfähig sein (hM: Staud/Schilken Rn 10; Stein/Jonas/Bork § 79 ZPO Rn 1, Rn 2, 12ff; für die freiwillige Gerichtsbarkeit § 10 II 2 Nr 2 FamFG; Staud/Schilken Rn 10 mwN). c) Bote kann auch ein geschäftsunfähiges Kind sein (Medicus AT Rn 886).

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Beschränkt geschäftsfähiger Vertreter

Willensmängel; Wissenszurechnung

(1) Soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen gewisser Umstände beeinflusst werden, kommt nicht die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters in Betracht. (2) Hat im Falle einer durch Rechtsgeschäft erteilten Vertretungsmacht (Vollmacht) der Vertreter nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers gehandelt, so kann sich dieser in Ansehung solcher Umstände, die er selbst kannte, nicht auf die Unkenntnis des Vertreters berufen. Dasselbe gilt von Umständen, die der Vollmachtgeber kennen musste, sofern das Kennenmüssen der Kenntnis gleichsteht. I. Allgemeines. 1. Bedeutung. Unmittelbar regelt die Vorschrift, nach wessen Person es sich im Falle eines Vertretergeschäfts richtet, ob relevante Willensmängel bestehen oder der Erklärende einen Umstand kennt oder kennen muss. Relevante Willensmängel führen idR zu einem Rechtsvorteil, weil ihretwegen der Betroffene von den sonst eintretenden Folgen seiner Erklärung befreit ist oder sich befreien kann. Wo das Gesetz dagegen auf Kenntnis oder Kennenmüssen abstellt, knüpft es daran idR einen Rechtsnachteil. Das Vertretergeschäft beruht auf dem Willen und der Erklärung des Vertreters (§ 164 I). Deshalb kommt es auf Willensmängel und die Kenntnis oder das Kennenmüssen des Vertreters an (§ 166 I). Sofern aber der Vertretene das Verhalten des Ver492

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Vertretung und Vollmacht

§ 166

treters durch Weisungen steuert, zählt auch sein Wissen oder Kennenmüssen (§ 166 II). Über den unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus gilt die Vorschrift als Grundlage für die Zurechnung des Wissens von Personen, die am Abschluss des konkreten Geschäfts nicht beteiligt sind (Rn 10ff, 17ff). Zu dem daraus resultierenden Spannungsverhältnis zw Willensmängeln und zugerechnetem Wissen s Rn 7, 8, 14. § 166 I stellt undifferenziert für Willensmängel wie für Kenntnis und Kennenmüssen auf die Person des Vertreters ab. Nach den neuen Entwicklungen zum Thema Wissenszurechnung (Rn 18ff) ist indessen zu differenzieren. 2. Vertreter. a) Abschlussvertreter. Vertreter iSd Vorschrift ist in erster Linie der Abschlussvertreter. Es muss also ein Fall der Stellvertretung vorliegen. Hierher gehören die gewillkürte sowie die organschaftliche wie auch die gesetzliche Vertretung (BGH 38, 65, 66; MüKo/Schubert Rn 7f; Staud/Schilken Rn 3, zur Kenntnis des Nachlasspflegers von der Zahlungsunfähigkeit des Nachlasses BGH NJW 2005, 756). Beim Abschluss durch einen Untervertreter ist dessen Willensmangel oder Kenntnis maßgeblich (BGH NJW 1984, 1953, 1954). Unter § 166 I fällt auch die Vertretung ohne Vertretungsmacht, sofern der Vertretene nachträglich genehmigt (BGH NJW 1992, 899, 900; 2000, 2272, 2273 mwN = LM Nr 39 m Anm Meller-Hannich = JR 2001, 284 m Anm Thiessen; s aber Rn 38). Für den mittelbaren Stellvertreter ist § 166 I irrelevant, weil Erklärung und Wirkung in einer Person, nämlich der des mittelbaren Stellvertreters, zusammenfallen. Für den mittelbar vertretenen Geschäftsherrn gilt auch § 166 II nicht. Für andere Personen, die an dem Zustandekommen des Geschäfts vorbereitend, bspw als Verhandlungsgehilfen, beteiligt waren, s Rn 8 und 16. § 166 I gilt nicht für den Boten (MüKo/Schubert Rn 18) und wohl auch nicht für den bloßen Erklärungsvertreter (zB den, der nach § 112 AktG den Aufsichtsratsbeschluss kundtut). b) Wissenserklärungsvertreter. Kein echter Abschlussvertreter ist der – meist im Versicherungsrecht begegnende – Wissenserklärungsvertreter, der namentlich zur Erfüllung von Informationsobliegenheiten eingesetzt wird (Staud/Schilken vor § 164 Rn 86; Bruck/Möller/Heiss VVG § 28 Rn 96ff). Auf seine – geschäftsähnlichen – Erklärungen ist § 166 I analog anwendbar (BGH 122, 388; Düsseldorf NJW-RR 1999, 756), jedoch nicht, wenn er die vom Versicherten selbst unterzeichnete Erklärung nur vorbereitet (BGH NJW 1968, 447). Die Ehefrau des bewusstlosen Versicherungsnehmers ist nicht ohne weiteres seine Wissenserklärungsvertreterin (BGH 122, 388). 3. Persönliche Eigenschaften, Verbraucherrecht. a) Nicht von § 166 I erfasst wird der Fall, dass die Gültigkeit eines Vertrags oder seine Wirkungen von persönlichen Eigenschaften (zB Verbraucher, Kaufmann, Verwandtschaft) abhängen. Hier entscheiden ausschließlich die Verhältnisse des Vertretenen, da es sich nicht um die Vornahme, sondern um die Wirkung des Geschäfts handelt (Soergel/Leptien Rn 27). b) Für die Anwendung der Verbraucherschutzbestimmungen bei Haustürgeschäften (§§ 312, 312a) kommt es darauf an, ob sich der Vertreter bei Vertragsschluss in einer Haustürsituation befunden hat (BGH 144, 223; NJW 2000, 2270; 2003, 2319; dazu auch Eckardt, Verbraucherschutz und Repräsentationsprinzip, 2006). II. Willensmängel, Auslegung. 1. Willensmängel. a) Willensmängel iSd § 166 I sind die Fälle der §§ 116–123. Beim Scheingeschäft (§ 117 I) kommt es auf das Einverständnis zw Vertreter und Geschäftsgegner an, bei § 116 S 2 darauf, ob der Vertreter den Vorbehalt kennt. Kennt nur der Vertretene den Vorbehalt des anderen, so kann das genügen (MüKo/Schubert Rn 30). Für § 119 kommt es auf den Irrtum des Vertreters, nicht des Vertretenen an (RG 106, 200, 204). Maßgeblich für die Erheblichkeit des Irrtums (§ 119 Rn 45f) ist, wie der Vertreter bei verständiger Würdigung der Verhältnisse und der Interessen des Vertretenen gehandelt hätte (Staud/Schilken Rn 13). Anfechtungsberechtigt ist stets der Vertretene, da ihn die Folgen der Willenserklärung treffen; umfasst die Vollmacht auch die Ausübung des Anfechtungsrechts, kann auch der Vertreter die Anfechtung erklären. Zum Irrtum des Vertreters über die Fremdwirkung seines Handelns § 164 Rn 26. – Zur Anfechtung wegen eines Irrtums des Vertretenen unter den Voraussetzungen des § 166 II s Rn 40; zur Anfechtbarkeit der Vollmacht § 167 Rn 44ff. Ist der Vertreter arglistig getäuscht oder widerrechtlich bedroht worden (§ 123), kann der Vertretene anfechten. Zur arglistigen Täuschung durch den Vertreter oder durch den Vertretenen § 123 Rn 30ff. Zur Anfechtung durch den Vertreter ohne Vertretungsmacht § 179 Rn 6; s auch § 164 Rn 26. b) Im Falle der Gesamtvertretung genügt es, wenn der Willensmangel bei einem der handelnden Vertreter vorlag (MüKo/Schubert Rn 15; s auch RG 78, 347, 354 – subjektive Voraussetzungen für §§ 134, 138 nur bei einem der Gesamtvertreter; BGH 53, 210, 214 – Geschäftsunfähigkeit eines der Gesamtvertreter). Irrtumsausschließende Kenntnis eines handelnden Gesamtvertreters heilt trotz Wissenszurechnung (Rn 31) den Willensmangels des anderen nicht (Rn 14). Für die Nichtigkeit gem § 117 I genügt es, wenn einer der Gesamtvertreter mit dem Simulationswillen der anderen Seite einverstanden ist (BGH NJW 1999, 2882 = LM § 116 BGB Nr 6 m Anm Singer; aM Hein ZIP 2005, 191, 194); dann fehlt bei einem der Gesamtvertreter der ernstliche Geschäftswille. Dient die Simulationsabrede aber der Täuschung des Vertretenen, so kann sich der Gegner auf sie nicht berufen; sie wirkt dann wie ein geheimer Vorbehalt, bei dem die Kenntnis des kollusiv handelnden Gesamtvertreters nicht zuzurechnen ist (BGH NJW 1999, 2882). c) Willensmängel von Verhandlungsbevollmächtigten und Vermittlern werden von § 166 I nicht erfasst, da diese das Rechtsgeschäft nicht selbst tätigen. Jedoch kann sich der Geschäftsherr auf den Irrtum des Verhandlungsbevollmächtigten oder des Vermittlers berufen, wenn er auf dessen Verhandlungen vertraut (MüKo/Schubert Rn 19); möglicherweise kommt auch eine unmittelbare Anwendung des § 119 in Betracht, wenn dessen Voraussetzungen in der Person des Geschäftsherrn vorliegen. Die mit einem solchen Gehilfen getroffene Abrede des Scheingeschäfts hat auf die Wirksamkeit jedenfalls eines notariell beurkundeten Geschäfts keinen Einfluss, wenn der beim Geschäftsabschluss Handelnde sie nicht kennt; dessen echter Geschäftswille kann nicht durch eiMaier-Reimer

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ne Wissenszurechnung außer Kraft gesetzt werden (BGH 144, 331 = LM § 117 BGB Nr 20 mit Anm Singer und NJW 2001, 1062 = LM § 166 Nr 44 m Anm Wolf sowie ferner Thiessen NJW 2001, 3025 und § 117 Rn 7). 2. Auslegung. Auch für die Auslegung kommt es auf den Willen und ggf das Verständnis des Vertreters an; sein Horizont ist der Empfängerhorizont (BGH 82, 219, 222 für Verhandlungsgehilfen; BGH WM 1984, 240, 242 mwN; BAG NJW 1961, 2085). Das gilt auch für den Abschluss durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht nach Genehmigung des Geschäftsherrn (BGH NJW 2000, 2272). Auch die Kenntnis des Verhandlungsbevollmächtigten ist bei der Auslegung zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 1989, 931, 932). Das von einem Verhandlungsgehilfen mit der anderen Seite abgestimmte Verständnis dann beurkundeter Verträge ist jedoch unmaßgeblich, wenn es der an der Beurkundung Beteiligte nicht kennt (BGH NJW-RR 1986, 1019; NJW 2000, 2272, 2273; anders aber BGH NJW 2004, 2156, 2157). III. Kennen und Kennenmüssen. Für viele Vorschriften kommt es darauf an, ob eine Partei einen bestimmten Umstand kannte oder kennen musste (§ 122 II). Kenntnis oder Kennenmüssen kann bedeutsam sein für die Wirksamkeit, Anfechtbarkeit oder Auslegung eines Rechtsgeschäfts, für den Verlust des Gutglaubensschutzes oder den Beginn von Fristen. Nach § 166 I ist bei Vertretergeschäften Kenntnis oder Kennenmüssen des Vertreters maßgeblich. Das Thema der Zurechnung fremden Wissens geht aber weit über die Fälle von Vertretergeschäften hinaus. Es hat in jüngerer Zeit eine kaum mehr überschaubare Flut von Rspr und Literatur hervorgebracht, beispielhaft: Baum, Die Wissenszurechnung, 1999; Beuthien NJW 1999, 3585; Buck, Wissen und Juristische Person, 2001; Buck-Heeb AG 2015, 801; Dauner-Lieb, FS Kraft, 1998, 43; Faßbender/Neuhaus WM 2002, 1253; Grigoleit ZHR 181 (2017) 160; Grunewald, FS Beusch, 1993, 301; Koch ZIP 2015, 1757, Koller JZ 1998, 75; Medicus, Karlsruher Forum 1994, 4; Nobbe, Bankrechtstag 2002, 121; Reischl JuS 1997, 783; Richardi AcP 169, 385; Sajnovits WM 2016, 765; Taupitz, Karlsruher Forum 1994, 16; Waltermann AcP 192, 181. 1. Maßgeblicher Zeitpunkt. Unmittelbar gilt § 166, wenn nach der einschlägigen Vorschrift (Wissensnorm) die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch die Kenntnis oder das Kennenmüssen bestimmter Umstände beeinflusst werden. Dann müssen Kenntnis oder die Voraussetzungen des Kennenmüssens bei Abschluss des Geschäfts vorliegen. In diesem Bereich wird zunächst der Begriff des Vertreters insb durch Einbeziehung sog Verhandlungsgehilfen erweitert (Rn 16). Darüber hinaus kann aber auch Kenntnis von Personen schaden, die an dem konkreten Geschäft nicht beteiligt waren (Rn 17ff). Nach anderen Vorschriften knüpfen sich Rechtsfolgen wie zB der Beginn einer Frist an Kenntnis oder Kennenmüssen zu anderen Zeitpunkten als bei Abschluss eines konkreten Geschäfts. Auf solche Vorschriften passt § 166 I nicht; die Wissenszurechnung folgt in diesen Fällen zT anderen Grundsätzen (Rn 24f, 33). Wessen Kenntnis zugerechnet wird, also schadet, lässt sich nicht für alle Fälle gleich beantworten. Dies hängt einmal vom Gegenstand der Kenntnis und den weiteren Umständen ab (Rn 19f), aber auch von der Auslegung der Wissensnorm (Waltermann AcP 192, 181, 191ff). 2. Kennen und Kennenmüssen bei Geschäftsabschluss. a) Sachlicher Anwendungsbereich. aa) Rechtliche Folgen einer Willenserklärung. Kenntnis oder Kennenmüssen des Vertreters ist maßgeblich zB für Nichtigkeitsund Anfechtungsgründe (§§ 116 S 2, 117 I, 119 I, 122 II, 123 II 1, 142 II, 173), für §§ 134, 138, soweit ein Verbot oder die Sittenwidrigkeit von der Kenntnis bestimmter Umstände abhängt (BGH NJW 1992, 899; BayObLG NJW 1993, 1143), bei Forderungsabtretung (§§ 405–408), bei Sachmängelhaftung (§§ 434ff; RG 131, 355), auch bei arglistigem Verschweigen von Mängeln iSv 438 III (BGH NJW 1992, 1500); ebenso beim gutgläubigen Erwerb (§§ 892, 932ff, 936, 1138, 1155, 1157, 1207, 1208, 2366, 2367; § 366 HGB), sofern der Vertreter den gesamten Erwerbstatbestand erfüllt; andernfalls (zB bei Übergabe an den Vertretenen oder dessen Besitzmittler) schadet auch Kenntnis des für ein Element selbst handelnden Vertretenen (MüKo/Schubert Rn 40); die Bösgläubigkeit des bloßen Besitzmittlers schadet nach hM nicht (§ 932 Rn 8 mwN; teilw aM Staud/Schilken Rn 9); für die Gläubigeranfechtung innerhalb und außerhalb der Insolvenz (§ 3 AnfG; §§ 129ff InsO) BGH 22, 128, 134; 38, 65, 67; NJW 1984, 1953, 1954; und für prozessuale Willenserklärungen (RG 146, 348). Die Wissenszurechnung gem § 166 begründet aber nicht das für ein Ordnungsmittel (§ 890 ZPO) erforderliche Verschulden (Hamburg OLGR 2008, 170). bb) Entspr maßgeblich ist die Kenntnis des Vertreters bei geschäftsähnlichen Handlungen, so im Rahmen der §§ 254 II, 812ff (BGH 83, 293, 296 betr § 819; krit dazu Wilhelm AcP 183, 1; BGH NJW 1999, 1024 mwN betr § 814; NJW-RR 2001, 127, 128 betr § 819); bei „Entlastung“ eines Verwalters (Köln NZM 2001, 862); bei Bestätigungsschreiben (BGH 40, 42, 46: Zurechnung der Kenntnis des Verhandelnden, dass der Inhalt des Bestätigungsschreibens von dem Vereinbarten abweicht). Zur Zurechnung der Bösgläubigkeit des Besitzdieners beim Besitzerwerb für §§ 989, 990 s § 990 Rn 21ff; zur Zurechnung von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit von Bauunternehmern und Architekten beim Überbau s BGH 42, 63 sowie § 912 Rn 6. cc) Verhältnis zu Willensmängeln. Wird dem Prinzipal die Kenntnis bestimmter Umstände zugerechnet (Rn 17ff), die aber der handelnde Vertreter nicht kannte, so steht dies nach Abs I einem Willensmangel und der Anfechtbarkeit nicht entgegen (s Rn 7; aM Grunewald, FS Beusch, 301, 308 für den Fall, dass die irrtumsausschließende Kenntnis bei einem von zwei handelnden Gesamtvertretern vorliegt). b) Persönlicher Anwendungsbereich. aa) Im unmittelbaren Anwendungsbereich des Abs I kommt es nur darauf an, ob der Abschlussvertreter (Rn 2) die relevante Kenntnis hatte oder haben musste; auf die Person des Vertretenen kommt es nicht an. Das gilt nach Genehmigung auch für den Vertreter ohne Vertretungsmacht (BGH NJW 1992, 899; s aber Rn 38). Die Kenntnis seines Abschlussvertreters schadet dem Käufer auch dann gem Abs I, wenn der Abschlussvertreter zuvor als Verhandlungsführer des Verkäufers aufgetreten ist, sofern 494

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Vertretung und Vollmacht

§ 166

nicht dieser den Vertreter dem Käufer aufgedrängt hat (BGH NJW 2000, 1405). Der Geschäftspartner kann sich aber auf die Kenntnis des Vertreters nicht berufen, wenn er weiß oder wissen muss, dass dem Vertretenen die Information verschwiegen wird (BGH WM 1968, 440; ZIP 2011, 2001 Rn 24; 2013, 1063 Rn 24ff). Das gilt auch für die Kenntnis eines „Wissensvertreters“ (Rn 25). Die Kenntnis des ggü beiden Vertretenen ungetreuen Doppelvertreters von seiner eigenen Untreue ist deshalb keinem der beiden Vertretenen zuzurechnen; anders BGH NJW 2014, 1294, der mit „grob ungerechtem Ergebnis“ (Schwab JuS 2014, 1032, 1033) diese Kenntnis dem einen Vertretenen zurechnet, dem anderen nicht. Auch die Kenntnis des zur Einreichung einer (von ihm beglaubigten) Erklärung bevollmächtigten Notars von der Versäumung der Einreichungsfrist ist Kenntnis eines handelnden Vertreters (Celle ZEV 2010, 365 – Erbschaftsausschlagung). bb) Verhandlungsgehilfen und andere. Es schadet dem Geschäftsherrn auch, wenn andere an der Vorbereitung des Geschäfts beteiligte Personen die für das Geschäft oder seine Rechtsfolgen relevante Kenntnis haben oder haben mussten. Wer sich eines anderen wie eines Vertreters bedient, muss sich dessen Kenntnis wie die eines Vertreters zurechnen lassen (BGH 55, 307, 311; NJW-RR 2005, 634; Staud/Schilken Rn 4). Eine nur interne Beratung reicht dafür nicht aus (BGH 117, 104, 107; NJW-RR 2003, 989, 990). Voraussetzung ist, dass der Handelnde mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn tätig wurde (Soergel/Leptien Rn 6; s auch BGH 106, 163, 167f). Auch das Wissen einer nur intern befassten Person kann aber nach den Grundsätzen der Informationsverantwortung zurechenbar sein (dazu Rn 26ff). Führt einer von zwei Verkäufern (Ehegatten) die Verhandlungen mit dem Käufer, so folgt daraus nicht zwingend, dass er auch Verhandlungsgehilfe des anderen und sein Wissen diesem zuzurechnen ist (BGH NJW 1992, 1500). c) Wissenszurechnung und Wissenszusammenrechnung jenseits von § 166. aa) Organwissen. In arbeitsteiligen Organisationen jedweder Rechtsform sind für ein bestimmtes Geschäft relevante Kenntnisse oft in Abteilungen vorhanden, die mit der Vorbereitung und dem Abschluss des Geschäfts nicht befasst sind. Wann solche Kenntnisse der Organisation zuzurechnen sind, wurde zunächst vornehmlich bei jur Pers problematisiert. Die frühere Rspr rechnete der jur Pers Kenntnisse eines Organvertreters, auch wenn sie privat erlangt waren (BGH WM 1955, 830, 832; krit hierzu Grunewald, FS Beusch, 301, 306), eo ipso zu, selbst dann, wenn der Organvertreter an dem konkreten Geschäft nicht beteiligt war, und sogar, wenn er aus dem Unternehmen ausgeschieden war (BGH 109, 327, 331; 41, 282, 287; WM 1959, 81, 84; krit Baumann ZGR 1973, 284; offengelassen für Personengesellschaft in BGH NJW 1995, 2159, 2160). In vielen der entschiedenen Fälle hatte das Organmitglied sein Wissen im Zusammenhang mit dem jew Geschäft erworben oder es ging (wie im Fall BGH 20, 149) um die Passivvertretung durch einen von mehreren Gesamtvertretern (gem § 28 II, §§ 125 II 3 HGB, 78 II 2 AktG, 35 II 3 GmbHG) beim Zugang einer Erklärung (Nachw bei Flume I 2 § 11 IV). bb) Informationsverantwortung. Ein Umschwung der Rspr begann mit BGH 109, 327, wo der BGH zwar – zumindest für den entschiedenen Fall – weiterhin auf die Zurechnung des Organwissens abstellte, um dann aber auszuführen, die „Frage der Wissenszurechnung (lasse) sich nicht mit logisch-begrifflicher Stringenz“, sondern nur wertend entscheiden. Daran anknüpfend entwickelte sich die Konzeption der Informationsverantwortung (Bohrer DNotZ 1991, 125; Waltermann AcP 192, 181, 206ff; Taupitz Karlsruher Forum 1994, 16, 24ff; s auch Medicus Karlsruher Forum 1994, 4, 8ff sowie Grunewald, FS Beusch, 301, 304ff) und der Überlegung, dass eine arbeitsteilige Organisation durch Aufspaltung ihres Wissens nicht besser stehen darf als eine Einzelperson, in der sich die Kenntnisse konzentrieren, sog Gleichstellungsargument (BGH 117, 104, 108; krit Kaller JZ 1988, 75; Grigoleit ZHR 181, 160, 190). Auf die Organstellung des Wissensträgers und die Rechtsform der Organisation (BGH NJW 2001, 359, 360; Soergel/Leptien Rn 9) kommt es danach nicht mehr an, sondern nur darauf, ob die Information bei ordnungsgemäßer Informations- und Kommunikationsverwaltung zur Verfügung gestanden hätte. Der BGH hat sich dem – in variierender Akzentuierung zw den Senaten – angeschlossen (BGH 117, 104, 108; 132, 30, 35; Übersicht über die Rspr bei Nobbe Bankrechtstag 2002, 121). Zulasten von Privatpersonen gelten diese Grundsätze nicht (Düsseldorf NJW-RR 1997, 718). Zugerechnet werden danach solche Kenntnisse von an dem konkreten Geschäft nicht beteiligten Personen, die „typischerweise aktenmäßig festgehalten“ werden (BGH 132, 30, 35). Die Verantwortlichkeit für solches Wissen dient dem Schutz des rechtsgeschäftlichen Verkehrs (BGH 132, 30, 37; NJW 2012, 1789 Rn 14). Wissen wird danach zugerechnet, wenn der jew Umstand nach den Verhältnissen zu der Zeit, zu der er in der Organisation bekannt wird (BGH 132, 30, 38), als bedeutsam und speicherungsbedürftig anzusehen und deshalb aufzuzeichnen war (Dokumentations- und Weiterleitungspflicht; zum Zeitpunkt von deren Entstehung Taupitz EWiR 1996, 585) und bei dem konkreten Geschäft ein besonderer Anlass bestand, sich über das gespeicherte Wissen zu vergewissern – Abfragepflicht – (BGH 132, 30, 38f; 135, 202, 205ff; NJW 2009, 2298 Rn 14). Die Bedeutung der Tatsache bestimmt auch die Zeit, für die sie gespeichert und abfragbar bleiben muss (BGH 132, 30, 38f). Zugerechnet wird also das Wissen, das dokumentiert und verfügbar sein muss und zu dessen Abfrage hinreichender Anlass bestand. Ausdrücklich entschieden hat dies der BGH für den Bankenbereich (NJW-RR 2006, 771 Rn 13), den Versicherungsbereich (BGH 182, 85 Rn 16f) und Behörden, allerdings idR nur innerhalb der Zuständigkeitsgrenzen der einzelnen Behörde (NJW 2011, 2791 Rn 18ff). Als bekannt zugerechnet werden auch auffällige elektronische Informationen, die vollautomatisiert erlangt und verarbeitet werden, weil solche Systeme so zu organisieren sind, dass auffällige Daten „gemeldet“ werden (Hamm ZIP 2011, 1926; dazu Kruth EWiR 2011, 815). Fragen, ob das Wissen einzelner Mitglieder einer Personengesellschaft dieser zuzurechnen ist (dazu BGH NJW 1995, 2159, 2160) sind damit ebenso überholt wie Differenzierungen nach der Organstellung des nicht handelnden Wissensträgers (BGH 132, 30, 35). Maier-Reimer

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Der „Gleichstellungsgedanke“ gibt auch die Kriterien für die Grenzen der Wissenszurechnung. Wissen einer nicht handelnden Person, das wegen unterschiedlicher Aufgaben bspw eines hoheitlichen Rechtsträgers in einer nat Pers gar nicht zusammenkommen könnte (Medicus Karlsruher Forum 1994, 13f), oder wegen Verschwiegenheitspflichten/vorgeschriebener Informationsbarrieren nicht weitergegeben werden darf, ist danach nicht zuzurechnen (BGH NJW 2016, 2569 Rn 32; MüKo/Schubert Rn 49; aM Celle NJOZ 2013, 881; dazu Maier-Reimer NJW 2013, 2405, 2407); für einen anderen Zusammenhang (Rn 32) wie hier Koch ZIP 2015, 1757, 1763; aM Schwintowski ZIP 2015, 617. Auch wenn die Rspr eindeutig zu der Zurechnung nach diesem Kriterium der Informationsverantwortung neigt und damit einen gewissen Abschluss gefunden zu haben scheint (Soergel/Leptien Rn 9), gibt sie noch kein einheitliches Bild. Die in dem Konzept angelegte Flexibilität ermöglicht sachgerechte Ergebnisse, jedoch um den Preis erheblicher Rechtsunsicherheit. cc) Stellungnahme. Kenntnis des handelnden Organs oder sonstigen Vertreters schadet jedenfalls, gleich ob nach § 166 I oder § 31. Das gilt auch für privat erlangte Kenntnisse. (Pal/Ellenberger Rn 4) und auch, wenn der Handelnde hinsichtlich seines Wissens einer Verschwiegenheitspflicht unterliegt. Denn die Relevanz seines Wissens folgt unmittelbar aus § 166 I und nicht aus einer Pflicht zur Weitergabe dieses Wissens. Fraglich ist nur, ob und wann die Kenntnis nicht handelnder Organvertreter oder anderer Personen schadet. Alle Begründungen der Wissenszurechnung können nur zur Zurechnung des Wissens beim Geschäftsherrn führen (anders allerdings BGH NJW 1984, 1953, 1954; Düsseldorf BauR 2007, 1753, 1758, wo die Kenntnis jew über den Hauptoder Organvertreter zugerechnet wird). Handelt der Vertretene nicht selbst, so ist sein tatsächliches ebenso wie ein ihm zugerechnetes Wissen, etwa das eines nicht handelnden Organvertreters, nach § 166 I im Grundsatz unschädlich, wenn es nach der Wissensnorm auf Kenntnis oder Kennenmüssen bei Geschäftsabschluss ankommt. Wenn das Vertretungsorgan selbst handelt, folgt die Relevanz seines Wissens unmittelbar aus § 166 I. Die in der gesellschaftsrechtlichen Lit verbreitete Auffassung, § 166 I gelte nicht für die organschaftliche Vertretung, die Wissenszurechnung folge dann aus § 31 oder den Regeln über die Passivvertretung (zB KK-AktG/Mertens/Cahn § 76 Rn 84ff) beschreitet überflüssige Umwege, soweit es um Kenntnis oder Kennenmüssen im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses geht. Handelt nicht das wissende Organmitglied, so wäre auch die „absolute Zurechnung“ seines Wissens nach dem Grundsatz des § 166 I unschädlich (Taupitz JZ 1996, 734; Grigoleit ZHR 181, 160, 188). Die Berücksichtigung des Wissens nicht handelnder Personen nach den Kriterien der Informations- und Kommunikationsverantwortung lässt sich deshalb nicht mit einer Analogie zu § 166 begründen (ausf dazu Waltermann AcP 192, 194ff, 213ff), denn sie führt zu dem Gegenteil der in § 166 angeordneten Rechtsfolge. Aus § 166 kann – entspr einer vom BGH häufig verwendeten Formulierung (zB BGH 106, 163, 167) – nur das Prinzip der Zurechnung, dh der Verantwortung auf der Grundlage von Wissen bei Anderen, entnommen werden. Insgesamt sind die Grundsätze der Zurechnung des Wissens von Personen, die an Vorbereitung und Abschluss des Geschäfts nicht beteiligt sind, das Ergebnis richterlicher Rechtsfortbildung praeter legem (ebenso Dauner-Lieb, FS Kraft, 43, 51), die man mit § 242 und Erfordernissen des Verkehrsschutzes begründen mag (so MüKo/Schubert Rn 47). Nach den Grundsätzen der Informationsverantwortung ist das tatsächliche oder zugerechnete Wissen des Geschäftsherrn über § 166 II hinaus schädlich. Am ehesten lassen sich diese Grundsätze durch einen Rückgriff auf § 166 II an das Gesetz annähern: von dem unternehmerischen Geschäftsherrn wird erwartet, dass er seine oder die ihm zugerechnete Kenntnis steuernd einsetzt (Taupitz JZ 1996, 734). Die Kritik an der Rspr beruht vor allem auf dem Bemühen, die Wissenszurechnung in dem Maße zu beschränken, dass sie noch auf den Gedanken des § 166 zurückgeführt werden kann (s nur Faßbender/Neuhaus WM 2002, 1252, 1254ff). dd) Wissenszurechnung und Kennenmüssen. Wissenszurechnung nach den Grundsätzen der Informationsverantwortung bedeutet keine, ggf durch §§ 31, 278, 831 begründete, Einstandspflicht für Dritte (Richardi AcP 169, 385, 387; Waltermann AcP 192, 181, 188). Als ein Element der Risikoverteilung (BGH 109, 327, 333) projiziert sie das Handeln einer Person und das Wissen einer anderen (oder der Akten) auf den Rechtsträger und behandelt diesen, als habe er (und nicht der von ihm verschiedene Vertreter) mit dem Wissen gehandelt (s auch MüKo/Schubert Rn 48). Damit verschiebt sie entgegen der einschlägigen Wissensnorm die Grenzen zwischen erforderlichem Wissen und Wissenmüssen (Grigoleit ZHR 181, 160, 178), hat aber auch dort Bedeutung, wo das Gesetz die Folgen bereits an das Kennenmüssen knüpft (aM Richardi AcP 169, 385, 389f; Waltermann AcP 192, 181, 208ff), denn die Informationsverantwortung trifft nicht den Vertreter, sondern den Geschäftsherrn, dessen Kennenmüssen nach § 166 I unerheblich ist. Zu den Rechtsfolgen s Rn 34. 3. Wissensvertreter. Die Zurechnung des Wissens eines sog Wissensvertreters folgt anderen Grundsätzen. Entwickelt wurde die Figur des Wissensvertreters im Versicherungsvertragsrecht (Richardi AcP 169, 385; Bruck/Möller/Heiss VVG § 28 Rn 113ff). Von einem Wissensvertreter spricht man, wenn der Leiter des Unternehmens seinen Betrieb so organisiert, „dass Tatsachen, deren Kenntnis von Rechtserheblichkeit ist, nicht von ihm selbst, sondern von einem bestimmten Angestellten zur Kenntnis genommen werden“ (so für ein Versicherungsverhältnis RG 101, 402, 403). Dessen Kenntnis ist dann maßgeblich und ggf für den Versicherungsnehmer schädlich. Auch außerhalb des Versicherungsrechts und über die Grundsätze der Informationsverantwortung hinaus muss sich „derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen“ – sog Wissensvertreter – (BGH 41, 17; 83, 293, 296; ZIP 2013, 219, Rn 19; krit Medicus Karlsruher Forum 1994, 4, 10; Staud/Schilken vor § 164 Rn 87; sowie zum Kriterium der Eigenverantwortlichkeit Waltermann AcP 192, 181, 199). Der Begriff Wissensvertretung sollte auf solche Sachverhalte (mit der Folge der Wissenszurechnung) beschränkt bleiben und nicht für alle Fälle der Wissenszurechnung verwendet werden. Wissensvertretung ist insb bedeutsam, wenn Kenntnis 496

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Vertretung und Vollmacht

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oder Kennenmüssen nicht bei Geschäftsabschluss, sondern zu einem anderen Zeitpunkt in Frage stehen und zB eine Frist (zB § 199), Pflicht oder Obliegenheit oder Haftungsverschärfung (§ 819 I) auslösen (Rn 33). Wer einen anderen (RA) mit der Aufklärung oder Verfolgung von Ansprüchen beauftragt, muss sich dessen Kenntnis zurechnen lassen (BGH 171, 1 Rn 35; NJW 1968, 988; ZIP 2013, 174 Rn 26; bei koordiniertem Vorgehen auch das Wissen eines Rechtsanwalts aus Parallelmandaten, Hamm NJW-RR 2011, 1261; einschränkend Köln NJWRR 2013, 867). Nicht zuzurechnen ist die Kenntnis eines „Wissensvertreters“, wenn der Geschäftspartner damit rechnen muss, dass das Wissen nicht weitergegeben wird (§ 242; s Rn 15), oder wenn die Vollmacht wegen Verstoßes gegen § 3 RDG nichtig ist (BGH 171, 1 Rn 39; ZIP 2011, 2001 Rn 34ff). 4. Einzelfälle. Die Kasuistik beruht großenteils noch auf der älteren Rspr, die die Wissenszurechnung entweder mit einem weiten Verständnis des vertreterähnlichen Einsatzes des Wissensträgers oder mit dessen Organstellung begründete. Nach dem neuen Konzept der Wissens-/Kommunikationsverantwortung sind die Entscheidungen zT neu zu interpretieren. a) Kenntnis befasster Personen. Wegen der Befassung mit der Sache wurde zugerechnet: die Kenntnis des Verhandlungsführers davon, dass das Bestätigungsschreiben von dem Verhandelten abwich (BGH 40, 42) oder davon, dass das gekaufte Grundstück vermietet war (Schleswig EWiR 2010, 47 [LS] m Anm Backhaus); die Kenntnis einer von dem Gläubiger in das Schuldnerunternehmen entsandten Vertrauensperson von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht (BGH 41, 17); dem Heimträger die Kenntnis des Heimleiters von Zuwendungen mit der Folge, dass er sie sich unter Verstoß gegen § 14 HeimG bewusst gewähren lässt (BayObLG NJW 1993, 1143); nach Celle NJOZ 2013, 881 auch die Kenntnis des mit einer Auflage zugunsten des Heimträgers von einem Heimbewohner Beschenkten (dagegen Maier-Reimer NJW 2013, 2405); die Kenntnis des Verhandlungsbevollmächtigten, der dann vollmachtslos abschloss, nach Genehmigung (BGH NJW 1992, 899); für die Auslegung eines beurkundeten Kaufvertrags die Kenntnis des (Unter-)Maklers von den Erwartungen des Käufers (BGH NJW 2004, 2156); die Kenntnis einer Behörde von der Benachteiligungsabsicht (§ 133 InsO) bei einer anderen, mit der sie eine „aufgabenbezogene Handlungs- und Informationseinheit“ gebildet hat (BGH NJW 2011, 2791 Rn 19ff). Nicht zugerechnet wurde: die Kenntnis des den Käufer beratenden Architekten von Baumängeln, weil er nicht nach außen in Erscheinung getreten war (BGH NJW-RR 2003, 989, 990); die Kenntnis des in die Organisation des Verkäufers nicht eingegliederten Hausverwalters von Baumängeln (BGH NJW-RR 1997, 270); die Kenntnis eines vom Schuldner zugunsten bestimmter Gläubiger ohne deren Kenntnis bestellten Treuhänders von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (BGH 55, 307). Zur Zurechnung des Wissens eines missbräuchlich handelnden Vertreters Rn 15 sowie BGH NJW-RR 2008, 977 und ZIP 2011, 2001 Rn 24. b) Kenntnis nicht befasster Personen. Zugerechnet wurde einer Gemeinde als Grundstücksverkäuferin die Kenntnis relevanter Baumängel, die von dem zuständigen Landratsamt unter Sperrandrohung gerügt worden waren (BGH 109, 327), dies mit der Begründung, dass die Kenntnis auch ausgeschiedener gesetzlicher Vertreter (Bürgermeister) „zumindest für einen Fall der vorliegenden Art“ zuzurechnen sei, und mit dem Gleichstellungsgedanken; einer GbR die Kenntnis eines Gesellschafters von einem Verfügungsverbot (§ 21 II 1 Nr 2 InsO) hins eines Geschäfts, das ein anderer Gesellschafter namens der GbR mit dem Schuldner tätigte (BGH 140, 54, 61f). Nicht zugerechnet wurden einer Gemeinde, die ein Grundstück durch ihr Liegenschaftsamt verkaufte, die Kenntnisse des Baurechtsamts von der Bodenbeschaffenheit (Knollenmergel; BGH 117, 104, 109), weil das Baurechtsamt nicht nach außen in Erscheinung getreten sei und eine Nachforschungspflicht nicht bestanden habe; dem verkaufenden Land die Kenntnis des zuständigen Landkreises von der Baurechtswidrigkeit eines Gebäudes (Brandenburg 7.8.2008 – 5 U 63/07). Kenntnis der verkaufenden Gemeinde von Altlasten wurde verneint, wenn diese nur aus den Akten für Nachbargrundstücke hätten festgestellt werden können (BGH NJW 1999, 3777); in einem anderen Fall mit Altlasten war noch zu prüfen, ob zur maßgeblichen Zeit eine Dokumentationspflicht bestand (BGH 132, 30). Infolge eines Vergessens unvollständig aufgezeichnete Informationen (Kilometerstand des Gebrauchtwagens) wurden dem Verkäufer nach dem Gleichstellungsgedanken nicht zugerechnet, weil auch eine nat Pers etwas vergessen könne (BGH NJW 1996, 1205). Eine Aufzeichnungspflicht und deshalb eine Wissenszurechnung wurde verneint für ein Busunternehmen hins der Vergangenheit eines einzelnen dann verkauften Fahrzeugs (BGH NJW 1995, 2159). Zur Zurechnung von Kenntnissen aus vernichteten Personalakten BAG NJW 2014, 1839. c) Banken. Einer Bank wird die bei der Hereinnahme von Bargeld erlangte Kenntnis eines Kassierers von der Zahlungseinstellung des Bankkunden auch für spätere Geschäftsvorfälle ohne Beteiligung dieses Kassierers zugerechnet (BGH NJW 1984, 1953, 1954); kennt der mit Auszahlungen von dem Konto befasste Bankangestellte Gründe, die für den Verdacht einer Veruntreuung sprechen, hat sich die Bank diese Kenntnis zurechnen zu lassen (BGH NJW 2008, 2245 Rn 18). Finanziert eine Bank Vermögensanlagen durch eine bestimmte Filiale, so wird ihr die in einer anderen Filiale erlangte Kenntnis von der Anfechtbarkeit (§ 142 II) der Vollmacht (BGH NJW 1989, 2879 und 2881) oder der Irrealität des finanzierten Projekts als Grundlage einer Aufklärungspflicht (BGH NJW-RR 2005, 634) jedenfalls dann zugerechnet, wenn es um die Finanzierung desselben Projekts geht; ob auch unabhängig von der Identität des Projekts, ließ der BGH ausdr offen. Bei Einlösung eines Schecks werden der Bank die Kenntnisse der kontoführenden Filiale über berufliche Stellung oder unseriöses Verhalten des Kontoinhabers zugerechnet (BGH NJW 1993, 1066); ebenso die Kenntnisse eines ausgeschiedenen Kontoführers über die berufliche Stellung des Kontoinhabers (BGH 135, 202, 204). Nicht zugerechnet wird der Bank das private Wissen eines nicht handelnden Bankangestellten, da es dafür keine Dokumentationspflicht gibt (BGH 173, 23 Rn 14). Zum Einwendungsdurchgriff ggü einem Verbraucherkreditvertrag s § 359 und zur Anfechtung Maier-Reimer

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dieses Vertrags nach § 123 II wegen Täuschung durch den Anlagevermittler BGH 167, 239 Rn 29. Zur Informationsorganisationspflicht im Wertpapierhandel und daran anknüpfender Beweislast bzgl des subj Tatbestands BGH NJW 2009, 2298 Rn 13ff, dazu Rn 36; zur Anfechtung nach § 123 II ggü der Bank aufgrund einer durch Wissenszusammenrechnung begründeten synthetischen Arglist des Vermittlers bei verbundenen Geschäften BGH NJW 2010, 596 Rn 23ff. 5. Versicherungsvertragsrecht. Abweichungen von dem Prinzip des § 166 gelten im Versicherungsvertragsrecht (§§ 2 III, 20, 70 VVG). Die Kenntnis eines vom Versicherungsnehmer beauftragten Versicherungsmaklers wird dem Versicherer nicht zugerechnet (BGH NJW-RR 2008, 1649, 1650). 6. Gesamt- und Insichvertreter. Wo die Wissenszurechnung auf einem Vertretungsverhältnis beruht, genügt die Kenntnis eines von mehreren handelnden Gesamtvertretern (BGH 20, 149, 153; 62, 166, 173 Soergel/Leptien Rn 5); für Willensmängel s Rn 7. Die Kenntnis des In-sich-Vertreters ist beiden Seiten zuzurechnen (BGH 94, 232, 237), ebenso das Wissen eines Abschlussvertreters, der zugleich Verhandlungsführer des anderen Vertragspartners war (Bsp: BGH NJW 2000, 1405, 1406; s aber BGH ZIP 2011, 2001 Rn 24). Zur Anwendung von § 166 im Bankverkehr bei einer Mehrheit von Kontoinhabern Dresden NJOZ 2004, 2266, 2270; Karlsruhe WM 1996, 198; s auch Wilhelm AcP 183, 1ff. 7. Kennen/Kennenmüssen zu anderen Zeitpunkten. a) Wenn es auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen nicht für die Folgen eines Geschäfts, sondern zB für den Beginn einer Frist (zB § 199) oder eine Haftungsverschärfung (zB § 819 I) ankommt, sind § 166 I und die Grundsätze der Informationsverantwortung nicht unmittelbar anwendbar. Es kommt dann nicht auf Kenntnis oder Kennenmüssen bei Geschäftsabschluss, sondern zu anderen Zeitpunkten an. Wessen Wissen dann zuzurechnen oder maßgeblich ist, hängt wesentlich von der jeweiligen Wissensnorm ab. In diesem Zusammenhang passen die Voraussetzungen des § 166 schon deshalb nicht, weil es oft kein Vertretergeschäft als Anknüpfungspunkt gibt, s aber Rn 24f. Auch die Grundsätze der Informationsverantwortung passen in diesem Zusammenhang nicht, weil es oft an einem Anlass zur Abfrage (s Rn 19) fehlt. An die Stelle der Abfragepflicht müsste die Pflicht treten, die zuständige Abteilung vorsorglich zu unterrichten (abgelehnt in BGH NJW 2012, 2644 Rn 10ff, s aber § 199 Rn 14ff). Zuzurechnen ist in solchen Fällen aber das Kennen oder Kennenmüssen des gesetzlichen Vertreters (MüKo/Schubert Rn 79; aM zur Frist des § 1600b Rostock DAVorm 1995, 388; dagegen Böckermann FamRZ 1996, 238), oder eines Wissensvertreters (Rn 24f; BGH 83, 293; NJW 1968, 988 zu § 852 aF; für § 199 offengelassen in BGH 171, 1 Rn 36), für den Verjährungsbeginn aber nicht die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters, der Schuldner des Anspruchs ist (BGH NJW-RR 2011, 832 Rn 10). Zur Wissenszurechnung beim Verjährungsbeginn s BGH NJW 2016, 3445 Rn 59ff und § 199 Rn 14ff; bei der Haftungsverschärfung gem § 819 s BGH NJW 2014, 1299 Rn 11 und § 819 Rn 3. Über die Fälle der Wissensvertretung hinaus wird die Kenntnis von dem Geschäft selbst, welches der gewillkürte Vertreter bei seinem Abschluss erlangt, zuzurechnen sein, allerdings nicht, wenn die Vollmacht wegen Verstoßes gegen das RBerG nichtig ist (BGH 171, 1 Rn 39; s auch Rn 25). Andere Grundsätze gelten für Wissen oder Wissenmüssen als Auslöser öffentlich-rechtl Pflichten, wie etwa zur ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG (dazu Koch ZIP 2015, 1757; Sajnovits WM 2016, 765, Ihrig ZHR 181, 381), oder Verbotsnormen (wie Insiderhandeln (dazu Weller ZGR 2016, 384). Dabei geht es nicht um privatrechtliche Zurechnungsgrundsätze, sondern um öffentlich-rechtl Organisationsanforderungen, auch wenn diese von jenen inhaltlich nicht oder wenig differieren mögen. b) Die Zweiwochenfrist gem § 626 II beginnt für die Kündigung des Vertrags mit dem Organvertreter mit der Kenntnis des für die Kündigung zuständigen Organs. Für die Kündigung des Anstellungsverhältnisses eines Geschäftsführers/Vorstands ist dies die Gesellschafterversammlung oder der Aufsichtsrat; anders als bei Kenntnis eines von mehreren Gesamtvertretern genügt hierfür nach st Rspr nicht die Kenntnis eines einzelnen Mitglieds des zuständigen Organs. Wenn ein Mitglied Kenntnis erlangt hat, muss jedoch das Organ unverzüglich einberufen werden; sonst muss sich der Rechtsträger so behandeln lassen, als habe das Organ Kenntnis gehabt (BGH 139, 89; München ZIP 2009, 1377). 8. Rechtsfolgen. a) Das Wissen wird dem Rechtsträger zugerechnet, nicht dessen Wissen seinen Organmitgliedern oder anderen Vertretern, jedenfalls solange diese nicht zur selbständigen Wahrnehmung bestimmter Aufgaben eingeschaltet sind (BGH NJW 2001, 359; s auch Karlsruhe ZIP 2008, 1373, 1375); s auch Rn 12. Ob der Rechtsträger einen Umstand kennen muss, beurteilt sich auf der Grundlage des ihm zugerechneten Wissens (BGH NJW 1989, 2879, 2880; 1989, 2881, 2882; s auch Rn 23). b) Die ggf aufgrund eines Mangels der Informationsorganisation im Unternehmen zugerechnete Kenntnis ist positive Kenntnis, nicht Kennenmüssen. Es hängt dann jedoch von der Auslegung der einzelnen Wissensnorm ab, ob das zugerechnete Wissen dem aktuellen Wissen gleichsteht. Das ist bedenkenlos für die Anfechtungstatbestände der Insolvenzordnung anzunehmen, soweit diese auf Kenntnis abstellen (§§ 130ff InsO), ebenso beim Mangel des Rechtsgrunds (§ 819 I), dagegen ist dies zweifelhaft, wo die Wissensnorm Vorsatz oder Arglist voraussetzt (dazu Rn 36). Das zugerechnete Wissen kann auch Warnpflichten begründen (BGH NJW 2008, 2245 Rn 17f). Vertraglich kann die über die unmittelbare Anwendung von § 166 hinausgehende Wissenszurechnung (insb nach den Grundsätzen der Informationsverantwortung) trotz § 276 III und § 444 Alt 1 abbedungen werden; die Unabdingbarkeit der Vorsatzhaftung kann den Vorsatz nicht begründen, s auch § 278 S 2 (str, s Weißhaupt ZIP 2016, 2047, 2057 Fn 92; unklar Düsseldorf ZIP 2016, 2363, 2368). c) Die Zurechnung führt auch zur Zusammenrechnung des bei mehreren Personen vorhandenen Wissens, sodass bei dem Rechtsträger ein Gesamtwissen unterstellt wird, das bei keiner nat Pers vorhanden ist (MüKo/Schu498

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Vertretung und Vollmacht

§ 166

bert Rn 59f „soweit die Wissensträger Verantwortung für das Rechtsgeschäft haben“; ähnlich Staud/Schilken Rn 6)). Nach der Rspr genügt solches zusammengerechnetes Wissen für die Annahme arglistigen Verhaltens (BGH 109, 327, 332f – Kaufvertrag; anders BGH NJW 2017, 250 Rn 23, 26 für die subjektiven Elemente der Sittenwidrigkeit und des Vorsatzes nach § 826 und BAG NZA 2011, 219 zu § 814). Auch die Fiktion einer Kenntnis, die bei gehöriger Organisation bestanden hätte, soll für die Arglist genügen (BGH 117, 318, 321 zur Verjährung beim Werkvertrag, § 634a III). Der BGH begründet dies damit, dass die Annahme der Arglist keinen moralischen Vorwurf enthalte, sondern es nur um Risikoverteilung gehe (BGH 109, 327, 333; abl wg Fehlens des Unrechtselements „Handeln trotz Wissens“ Grigoleit ZHR 181, 160, 176ff; Flume AcP 197, 441 sowie JZ 1990, 550; Dauner-Lieb, FS Kraft, 43, 54ff). Diese von der Rspr angenommene Arglist kraft Zurechnung ist grundlegend verschieden von zugerechneter Arglist, etwa eines Wissenserklärungsvertreters (Düsseldorf NJW-RR 1999, 756), Verhandlungsgehilfen (aus tatsächlichen Gründen verneint in BGH 117, 260), Erfüllungsgehilfen oder Subunternehmers (BGH 62, 63, 68; 66, 43; Flume AcP 197, 441, 452) oder mitverpflichteten Gesamtschuldners (BGH ZIP 2016, 1386 Rn 15 ff zu § 444; dazu H.P. Westermann EWiR 2016, 665 und sehr krit Thelen/Ungerer ZIP 2016, 1953); s auch Karlsruhe NJW-RR 2011, 1070. Eine Aufklärungspflicht soll vorsätzlich verletzt sein, wenn der Kundenberater aufgrund eines vorsätzlich begründeten Organisationsmangels seine Aufklärungspflicht nicht kennt (BGH NJW 2009, 2298). IV. Kenntnis/Kennenmüssen des Geschäftsherrn (§ 166 II). 1. Grundsatz. Nach § 166 II schadet es dem Geschäftsherrn unter bestimmten Voraussetzungen auch, wenn er selbst den relevanten Umstand kannte oder, wenn dies nach der Wissensnorm genügt, kennen musste. Die Gutgläubigkeit seines Vertreters kann er sich dann nicht zunutze machen. Der Wortlaut der Bestimmung, der an eine Weisung des Geschäftsherrn anknüpft, bleibt allerdings hinter dem Schutzzweck zurück (anschaulich dazu Beuthien NJW 1999, 3585ff). § 166 II gilt nur für die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht (Vollmacht; auch Untervollmacht) sowie für die genehmigte vollmachtslose Vertretung, nicht aber für die gesetzliche Vertretung (s aber Rn 39). § 166 II betrifft nur Kenntnis und Kennenmüssen, nicht aber Willensmängel des Vertretenen (s aber Rn 40). a) Handeln nach bestimmten Weisungen des Vollmachtgebers bedeutet, dass der Vertretene die eigentliche Entscheidung trifft (BGH 51, 141, 147). Handelt ein Untervertreter nach Weisung des Hauptvertreters oder des Vertretenen, so kommt es auf die Kenntnis des Weisenden an. Der Begriff der Weisung ist weit auszulegen (RG 131, 356; 161, 161; BGH 38, 65, 68; Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, 1955, 396ff). Eine Weisung zu einem bestimmten Geschäft ist nicht erforderlich (RG Recht 1921 Nr 2551; BGH BB 1965, 435); es genügt, dass der Bevollmächtigte ein Rechtsgeschäft schließt, zu dessen Vornahme ihn der Vollmachtgeber veranlasst hat (RG 68, 374, 377; 161, 161; BGH 38, 65, 68; 83, 293). Greift der Vertretene, der von einem bevorstehenden Geschäft des Vertreters konkrete Kenntnis hat, nicht ein, obwohl er dazu in der Lage wäre (etwa, weil er bei Vertragsschluss selbst anwesend ist), steht dies einer Weisung gleich (BGH 50, 364, 368; 51, 141; BayObLG NJW-RR 1989, 907, 910). Es reicht aus, dass der Vertretene die Kenntnis erst nach Erteilung der Weisung, aber zu einem Zeitpunkt, zu dem er noch eingreifen kann, erlangt (BGH 50, 368). Es genügt aber nicht, dass der Geschäftsherr den Abschluss des Geschäfts nur für möglich hält (MüKo/Schubert Rn 95). Der Weisung steht die Genehmigung der vollmachtlosen Vertretung gleich (RG 161, 162; BGH BB 1965, 435). b) § 166 II ist analog auf die Fälle gesetzlicher oder organschaftlicher Vertretung anwendbar, wenn der Vertreter ähnlich wie ein Bevollmächtigter nach Weisung handelt (BGH NZG 2004, 580 für den Fall des Geschäftsführers einer GmbH, der nach Weisung des Alleingesellschafters handelt; s auch MüKo/Schubert Rn 92). Wird auf Veranlassung des Vaters ein Ergänzungspfleger für das Kind zur Annahme einer Verfügung bestellt, so wird die (Kenntnis der) Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Vaters dem Kind zugerechnet (BGH 38, 65; krit Paulus, FS Michaelis, 1972, 223; RGRK/Steffen Rn 23); mangels eines Vertreterhandelns soll aber anderes gelten, wenn das minderjährige Kind die Schenkung selbst annimmt (BGH 94, 232, 238ff; zust MüKo/Schubert Rn 93, aM Staud/ Schilken Rn 31; Tintelnot JZ 1987, 795). Nicht anzuwenden ist § 166 II auf den Minderjährigen, der seinen gesetzlichen Vertreter bösgläubig zu einem Rechtsgeschäft veranlasst (MüKo/Schubert Rn 93; zweifelnd Soergel/Leptien Rn 32); zur entspr Anwendung des § 166 II im Rahmen des § 1357 s RGRK/Steffen Rn 23, im Versicherungsrecht BGH VersR 1995, 281; Hamm NJW-RR 1996, 96. Rechnet man das Wissen eines Organvertreters nicht zwingend der jur Pers zu (dazu Rn 17, 21f), so ist § 166 II entspr auch anwendbar, wenn ein bösgläubiges Organmitglied ein anderes zur Vornahme des Geschäfts veranlasst (Flume I 2 § 11 IV). 2. Die entspr Anwendung des § 166 II auf Willensmängel bei Weisung oder Spezialvollmacht ist umstr. Beruht die Weisung oder das der Weisung gleichstehende Verhalten (Rn 38) auf einer arglistigen Täuschung oder Drohung durch den Geschäftsgegner, ist die Erklärung des Vertreters anfechtbar (BGH 51, 141, 147; Medicus AT Rn 899, 902;Soergel/Leptien Rn 33; i Erg über § 242 auch MüKo/Schubert Rn 96; aM Staud/Schilken Rn 17, der die Anfechtung in diesen Fällen ohne Rückgriff auf § 166 II für möglich hält). Darüber hinaus sollten Willensmängel des Geschäftsherrn unmaßgeblich bleiben, sofern sie nicht (unter Berücksichtigung der §§ 170ff, 142) zur Unwirksamkeit oder Anfechtbarkeit der Vollmacht, (ebenso Flume II § 52, 5f; Staud/Schilken Rn 17, 28; Soergel/Leptien Rn 33; Medicus AT Rn 899, 902; differenzierend Erman/Palm12 Rn 18; offengelassen in BGH 144, 223, 228) oder der Genehmigung führen; zur Anfechtung der Vollmacht § 167 Rn 44ff, der Genehmigung Vor § 182 Rn 13. Nach zT vertretener Meinung soll die Anfechtung ausgeschlossen sein, wenn nur der Vertreter, nicht aber der Vertretene irrte (MüKo/Schubert Rn 32; ähnlich, einschränkend, Staud/Schilken Rn 20.

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Erteilung der Vollmacht

(1) Die Erteilung der Vollmacht erfolgt durch Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden oder dem Dritten, dem gegenüber die Vertretung stattfinden soll. (2) Die Erklärung bedarf nicht der Form, welche für das Rechtsgeschäft bestimmt ist, auf das sich die Vollmacht bezieht. I. Begriff der Vollmacht. Vollmacht ist die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht. Mit ihr erlangt der Bevollmächtigte die Rechtsmacht, durch Rechtsgeschäft Wirkungen für und gegen den Vertretenen herbeizuführen. Die Vollmacht ist nach Entstehung, Fortbestand und Reichweite von dem der Bevollmächtigung zugrundeliegenden Rechtsverhältnis (zB Auftrag) zu unterscheiden. Sie berührt regelmäßig die Möglichkeit des Geschäftsherrn nicht, selbst rechtsgeschäftlich für sich zu handeln. Eine diese Möglichkeit „verdrängende Vollmacht“ lehnt die hM zutr ab (s § 137 Rn 6 mwN; BGH 3, 354, 358; 20, 364; WM 1971, 956; einschränkend aber Gernhuber JZ 1995, 381). Die Vollmacht ist abstrakt, dh von einem Kausalverhältnis und dessen Wirksamkeit nicht abhängig (Vor § 164 Rn 6), sie kann mit ihm aber zu einer Einheit iSv § 139 verbunden sein (BGH WM 1964, 182, 183; NJW 1988, 697) und der Grund für die Nichtigkeit des Kausalgeschäfts kann sich auch unmittelbar auf die Vollmacht erstrecken (BGH NJW 2002, 66, 67; 2003, 2088, 2089 – Nichtigkeit nach § 3 RDG). Auch der Umfang der Vollmacht ist von Beschränkungen des Kausalverhältnisses grds unabhängig (Vor § 164 Rn 6), sie erlischt aber idR mit diesem (§ 168). II. Erteilung der Vollmacht. 1. Die Bevollmächtigung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, sie kann aber auch durch Vertrag erfolgen (MüKo/Schubert Rn 5; aM offenbar BGH NJW-RR 2007, 1202 Rn 18). Die Vollmacht wird durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung erteilt. Sie kann bedingt oder befristet sein. Als empfangsbedürftige Willenserklärung wird sie mit dem Zugang (§ 130) wirksam; einer Annahme durch den Bevollmächtigten bedarf es nicht. Der Bevollmächtigte kann sie jedoch zurückweisen (MüKo/Schubert Rn 5; Wolf/ Neuner § 50 Rn 11). Zur Bevollmächtigung als Rechtsgeschäft, zT abw von der hM, Pawlowski JZ 1996, 125, 126ff. Die Bevollmächtigung kann entweder ggü dem zu Bevollmächtigenden (Innenvollmacht) oder ggü dem Geschäftspartner oder öffentlich ggü einer unbestimmten Personenmehrheit erklärt werden (Außenvollmacht). Eine Mischform ist die nach außen mitgeteilte Innenvollmacht; sie ist in §§ 171, 172 geregelt. Bezieht sich die Vollmacht auf eine Handlung, bei der nur die Vertretung durch eine GmbH zugelassen ist, so ist Vollmacht an deren Geschäftsführer als Vollmacht an die GmbH zu werten (BGH NJW 2012, 2512 Rn 13). 2. Form. a) Gem § 167 II ist die Vollmacht grds formfrei, auch wenn sie sich auf ein formbedürftiges Rechtsgeschäft bezieht, zB die uneingeschränkt widerrufliche Vollmacht zu einem formbedürftigen Grundstücksgeschäft (§ 311b I; BGH NJW 1998, 1482 = LM § 183 Nr 5 m Anm Wieling zur frei widerruflichen Einwilligung) oder zum Abschluss eines Ehevertrags (§ 1410; BGH NJW 1998, 1857; zust Kanzleiter NJW 1999, 1612; krit Einsele NJW 1998, 1206ff und Vollkommer JZ 1999, 522). Die Vollmacht kann daher grds auch durch konkludentes Verhalten erteilt werden (Rn 8). b) Normierte Ausnahmen von der Formfreiheit bestimmen § 492 IV 1 für den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags (dazu ua Bülow NJW 2002, 1145, 1147 und Herresthal JuS 2002, 844, 846ff; zur früheren Rechtslage eingehend BGH 142, 23 und ZIP 2005, 1179) sowie einige spezialgesetzliche Regelungen (zB § 1945 III; § 12 I 2 HGB; §§ 134 III, 135 I AktG; §§ 2 II, 47 III GmbHG). Teilw ist zwar die Vollmacht formfrei wirksam, ihr Nachw bei Behörden und Gerichten aber an eine Form gebunden (zB § 12 II HGB; § 80 ZPO; §§ 29, 30 GBO; §§ 71 II, 81 III ZVG); das gilt dann ggf auch für den Nachw des Eintritts der Bedingung einer Vollmacht (München NJW-RR 2010, 747); zum Nachw ggü dem Grundbuchamt von Existenz und Vertretung einer GbR als Grundstückserwerber ausf BGH NJW 2011, 1958; dagegen Bestelmeyer ZIP 2011, 1389. c) Weitere Ausnahmen von der Formfreiheit bestehen nach i Erg allg M dort, wo der Zweck der Formvorschrift für das Vertretergeschäft dies verlangt. Die Einzelheiten sind jedoch umstr (eingehend Einsele DNotZ 1996, 835ff sowie Rösler NJW 1999, 1150). Dient das Formerfordernis (wie § 311b I) einem Warnzweck, so bedarf die Vollmacht jedenfalls dann der Form, wenn sie faktisch eine Bindung zur Folge hat (RG 79, 212), also nur „das äußere Gewand“ des formbedürftigen Geschäfts (BGH WM 1966, 761, 762), zB nicht frei widerruflich ist (BGH NJW 1952, 1210; weitergehend Flume § 52, 2b sowie Staud/Schilken Rn 20ff). Bloße Befreiung von § 181 genügt dafür nicht, anders aber, wenn sich der Vollmachtgeber gebunden glaubt (BGH NJW 1979, 2306) oder faktisch nicht zum Widerruf fähig ist (Schleswig NJW-RR 2001, 733), wenn die Vollmacht für ein genau festgelegtes Geschäft dem Geschäftspartner oder seinen weisungsgebundenen Angestellten erteilt wird (RG 97, 332). Auch die Auflassungsvollmacht bedarf unter diesen Voraussetzungen der Form des § 311b, sofern nicht bereits ein Kausalgeschäft beurkundet ist (Pal/Grüneberg § 311b Rn 22); die hM will dagegen ein Formerfordernis aus § 925 entnehmen Soergel/Leptien Rn 12; wie hier MüKo/Schubert Rn 36). Ist die Vollmacht aus diesem Grund formbedürftig, kann für sie wie für das Hauptgeschäft das Erfordernis der Gesamtbeurkundung (dazu § 311b Rn 51ff) gelten (BGH MDR 1970, 998); ist die Vollmacht Teil eines insgesamt beurkundungsbedürftigen Geschäfts, so ist sie nach § 139 nichtig, wenn nicht das gesamte Geschäft beurkundet ist (BGH WM 1964, 182; NJW 1997, 312, 313). Die reiche Kasuistik betrifft ganz überwiegend Grundstücksgeschäfte (§ 311b I); dieselben Grundsätze müssen aber auch zB für die Formerfordernisse des § 311b III und V (Gesamtvermögen, künftige Erb- oder Pflichtteile), § 518 (Schenkungsversprechen) sowie der §§ 2348, 2351, 2371 (Erbverzicht, Erbschaftskauf und ähnliche Verträge) gelten. Ebenfalls formbedürftig ist die unwiderrufliche Bevollmächtigung zur Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung (Rösler WM 1998, 1377; Dux WM 1994, 1145, 1147ff). Wegen 500

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Vertretung und Vollmacht

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unterschiedlicher Zwecke bedarf die Vollmacht zur Veräußerung von GmbH-Anteilen nicht der Form des § 15 III, IV GmbHG, sofern nicht die Vollmacht den Kaufvertrag ersetzen und damit einen freien Handel mit dem Anteil ermöglichen soll (BGH 13, 49, 52; MüKo/Schubert Rn 37f)). Zur Form der postmortalen Vollmacht aufgrund analoger Anwendung der erbrechtlichen Formvorschriften Seif AcP 200, 192. Zur Formbedürftigkeit eines Blanketts Binder AcP 207, 155. d) Auch ohne Bindung bedarf die Vollmacht eines Nicht-Kaufmanns zur Bürgschaftsübernahme der Schriftform des § 766 mit Angabe der Essentialia (BGH 132, 119, 124ff zu einer Blankettbürgschaft; dazu Keim NJW 1996, 2774; Bülow ZIP 1996, 1694; Pawlowski JZ 1997, 309; s auch § 172 Rn 16). Das soll auch für eine notariell beurkundete Vollmacht gelten (Düsseldorf ZIP 2003, 1696; krit hierzu Keim DNotZ 2004, 315). Teilw wird differenziert: Schriftform ohne Angabe der Essentialia soll genügen, wenn der Bevollmächtigte die gesamte Bürgschaftsurkunde ausstellen kann (MüKo/Schubert Rn 27f). Nach der Begründung des BGH aaO ist für solche Differenzierungen kein Raum; auch eine notariell beurkundete Vollmacht muss dann die erforderlichen Angaben enthalten. e) Folge des Formverstoßes ist Nichtigkeit der Vollmacht (§ 125 S 1; s auch § 492 Rn 12); §§ 170–173 (s dort) und die Grundsätze der Rechtsscheinsvollmacht (Rn 9ff) bleiben unberührt. Der Formverstoß wird nicht entspr § 311b I 2 geheilt, wenn der formnichtig Bevollmächtigte die Auflassung erklärt und die Eintragung im Grundbuch erfolgt, denn die Auflassung ist dann ohne Vertretungsmacht erklärt. 3. Vollmachtserklärung. Die nicht formgebundene Bevollmächtigung kann ausdr oder – wie jede formfreie Willenserklärung – auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden. In beiden Fällen ist zunächst ein entspr äußerer Erklärungstatbestand erforderlich (Vor § 116 Rn 6ff), der nach den Umständen als Erteilung einer Vollmacht zu werten ist. Maßgebend ist dabei die (objektivierte) Sicht des Erklärungsempfängers, also bei der Innenvollmacht die des Vertreters, bei der Außenvollmacht die des Dritten. Bei der Auslegung – etwa zum Umfang – finden ggü dem Adressaten die Regeln der „falsa demonstratio“ Anwendung (BGH NJW 1999, 486, 487). IdR genügt die Übertragung einer Aufgabe – etwa im Rahmen eines Geschäftsbetriebs – wenn mit ihr üblicherweise die dazu erforderlichen Vertretungsbefugnisse verbunden sind (s auch § 56 HGB). Überlässt bei einem Steuersparmodell der Verkäufer einem Vermittler die Beratung eines Kunden, so kann darin die schlüssige Bevollmächtigung zum Abschluss eines gesonderten Beratungsvertrags namens des Verkäufers liegen (BGH 140, 111, 117; NJW 2015, 1510 Rn 9). Die Einwilligung des Privatpatienten zur Blutentnahme enthält eine konkludente Vollmacht an den Arzt, ein Labor mit den Tests zu beauftragen, jedoch nur im Rahmen des medizinisch Erforderlichen (BGH NJW 2010, 1203). Eine Vollmacht kann grds auch formularmäßig erteilt werden; zu den AGB-rechtlichen Grenzen, §§ 305ff, s zB BGH 136, 314 = LM § 9 (Bb) AGBG Nr 43 m Anm Wolf. III. Rechtsscheinsvollmacht. 1. Begriff und Bedeutung. Die Wirkung des Vertretergeschäfts für den Vertretenen hängt von der Vertretungsmacht ab. Daraus ergibt sich ein besonderes Bedürfnis, den Geschäftspartner, der auf einen Rechtsschein der Vertretungsmacht vertraut, zu schützen. Dieser Schutz ist in den §§ 170–173 geregelt. Diese Vorschriften werden indes nicht allen Fällen gerecht. Sie setzen grds zunächst einmal die Erteilung einer Vollmacht oder die ausdr Mitteilung einer solchen Vollmacht voraus. Oft fehlt es jedoch hieran. a) Nach st Rspr ist deshalb der Schutz des Geschäftspartners um zwei weitere Fallgestaltungen zu erweitern, nämlich die der sog Duldungsvollmacht und die der sog Anscheinsvollmacht (BGH ZIP 2012, 2007 Rn 14). Beiden ist gemeinsam, dass der Vertreter sich – idR über längere Zeit – in einer Weise verhalten hat, aus der der Geschäftspartner auf die Vertretungsmacht schließen darf. Im Falle der Anscheinsvollmacht muss sich der Geschäftsherr an den dadurch entstandenen Schein der Vertretungsmacht halten lassen, wenn er das Verhalten des Vertreters kennen musste und dagegen nicht eingeschritten ist, obwohl er es gekonnt hätte (BGH 5, 111, 116; LM Nr 4, 8, 17, 26; NJW 1981, 1727). Diese Grundsätze sind nicht auf den kaufmännischen Verkehr beschränkt (BGH NJW 1956, 1673, 1674). Im Falle der Duldungsvollmacht ist dem Geschäftsherrn das Auftreten des Vertreters bekannt und er lässt es wissentlich zu (BGH LM Nr 4, 13, 15, 31). Die Duldungsvollmacht ist danach eine „bewusst hingenommene Anscheinsvollmacht“ (Wolf/Neuner § 50 Rn 86). b) Kritik. Die Institute von Duldungs- und Anscheinsvollmacht werden im Schrifttum zT heftig bekämpft. Die Duldungsvollmacht sei nichts anderes als eine schlüssig erteilte Vollmacht (so insb Flume § 49, 3; s auch Staud/ Schilken Rn 29ff; Pal/Ellenberger § 172 Rn 8; dagegen Medicus AT Rn 930; Bork AT Rn 1556). I Erg kommt der Abgrenzung zw einer Duldungsvollmacht und einer konkludent erteilten Vollmacht (dazu ausf Erman/Palm12 Rn 8ff) keine praktische Bedeutung zu (zur Relevanz von Willensmängeln s Rn 27). Gegen die Figur einer Anscheinsvollmacht wird vor allem eingewandt, damit seien die Grenzen der Privatautonomie überschritten. Eine Haftung für zurechenbaren, aber nicht gewollten Rechtsschein müsse auf das negative Interesse begrenzt sein (Flume § 49, 3, 4; Medicus AT Rn 971; Wolf/Neuner § 50 Rn 98; Staud/Schilken Rn 31 mwN). Die Gegenposition verweist hierzu namentlich auf die §§ 170ff (Soergel/Leptien Rn 17), die freilich auf einer – jedenfalls zunächst – gewollten Legitimation des Vertreters aufsetzen. c) Da die Rechtsfolgen der Duldungs- und Anscheinsvollmacht gleich sind und auch die Voraussetzungen außer hins der Kenntnis des Geschäftsherrn übereinstimmen, werden beide Institute heute überwiegend und auch im Folgenden zusammenfassend unter der Bezeichnung „Rechtsscheinsvollmacht“ behandelt (Soergel/Leptien Rn 19; MüKo/Schubert Rn 89ff). Krit ggü den Grundlagen und Ausformungen der Rechtsscheinsvollmachten nach der hM Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999, vor allem 256ff. Zur Rechtsscheinshaftung ferner Bornemann AcP 207, 102; v Craushaar AcP 174, 2; Crezelius ZIP 1984, 791; Merkt Maier-Reimer

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AcP 204, 638; Pawlowski JZ 1996, 125, 127ff; F. Peters AcP 179, 214; Schreiber Jura 1998, 606. Zur Frage einer Rechtsscheinsvollmacht für das Kausalgeschäft aus § 899a s § 899a Rn 5 und ausf Bauer/v Oefele/Bayer/Lieder AT IX Rn 65 ff. 2. Voraussetzungen. a) Grundlage einer Rechtsscheinsvollmacht ist ein objektiver Rechtsscheinstatbestand. aa) Die dem Geschäftsgegner erkennbar werdenden Umstände müssen objektiv den Schluss rechtfertigen, der „Vertreter“ handele im Einverständnis des Vertretenen. Der Rechtsschein muss auf einem Verhalten (Tun oder Unterlassen) des Vertretenen beruhen (BGH NJW 1952, 658), das sich auf das Auftreten eines unbefugten Vertreters bezieht und idR von einer gewissen Nachhaltigkeit (Dauer, Häufigkeit, Stetigkeit) sein muss (BGH NJW 1956, 1673, 1674; 1997, 312; 2007, 989 Rn 25); ein einzelner Umstand wird im Normalfall nur ausreichen, wenn er mit großer Deutlichkeit für eine Bevollmächtigung spricht; großzügiger (einmaliges Dulden genügt): Frankfurt WM 2006, 2207. bb) Das Erfordernis der längeren Dauer oder der Stetigkeit des Vertreterhandelns gilt auch im Internetverkehr (BGH NJW 2011, 2421 Rn 16, 18); Dauer und Stetigkeit verlieren an Bedeutung, wenn das fragliche Verhalten gerade die Geschäftsbeziehung zu dem Geschäftspartner (BGH LM Nr 15; NJW-RR 1987, 308) oder das konkret anstehende Geschäft betrifft (BGH NJW 1997, 312; 2011, 1965 Rn 18). So lag ein großer Teil der Fälle, in denen eine Rechtsscheinsvollmacht angenommen wurde (zB BGH NJW 1956, 1673; 1981, 1727; NJW-RR 1987, 308; anders in den Fällen BGH 5, 111, 116; NJW 1998, 1854; s auch RG 65, 292). cc) Der äußere Rechtsscheinstatbestand kann sich aus dem Geschäftsgegner bekanntem tatsächlichem Dulden oder aus Umständen ergeben, die für den Geschäftsgegner den berechtigten Schluss zulassen, der Geschäftsherr habe allg (BGH 5, 111, 116 – Besitz von Wettscheinen, Wertmarken und Entwertungsstempeln) oder bzgl des konkreten Geschäfts (Frankfurt WM 2006, 2207) Kenntnis von dem Vertreterhandeln und dulde es. dd) Ein Schluss aus den Umständen auf die Kenntnis und damit auf eine Bevollmächtigung kann insb bei einer nach außen sichtbaren Übertragung von solchen Aufgaben – etwa im Rahmen eines Arbeits-, Dienst- oder Geschäftsbesorgungsvertrags – gerechtfertigt sein, die im Rechtsverkehr üblicherweise mit einer Vertretung verbunden sind (Bsp: BGH ZIP 2011, 1060, Rn 18; LAG Hessen MDR 2001, 43). Normiertes Bsp ist § 56 HGB. Der Schluss kommt ferner in Betracht, wenn der unbefugte Vertreter wiederholt und über einen längeren Zeitraum Geschäfte namens des Vertretenen ohne dessen erkennbaren Widerspruch geschlossen hat (BGH NJW 1956, 1674; WM 1963, 165; NJW 1997, 312; für „Scheinsozietät“ bei Rechtsanwälten: Frankfurt NJW-RR 2001, 1004). Auch die mehrfache Bezahlung von Rechnungen aus Vertretergeschäften kann den objektiven Rechtsscheinstatbestand eines Einverständnisses für gleichartige Geschäfte ergeben (Köln MDR 1970, 840; Hamburg BauR 1996, 256). Wer duldet, dass ein Nachfolger im Geschäftsleben unter der alten Geschäftsbezeichnung auftritt, ohne den Wechsel der Inhaberschaft bekannt gemacht zu haben, haftet kraft Rechtsscheinsvollmacht (BGH NJW 1966, 1915; VersR 1971, 227). ee) Nicht ausreichend als Grundlage für den äußeren Rechtsscheinstatbestand ist zB der bloße Besitz von Briefpapier mit Firmenaufdruck (Düsseldorf BB 1950, 490) oder von Wechselformularen und Namensstempeln (Hamburg BB 1964, 576; aM Jena MDR 1999, 859 für Faksimilestempel); diese Unterlagen können ebenso gut anderweitig beschafft worden sein, so dass der Schluss auf ein Einverständnis des Geschäftsherrn nicht ohne weiteres gerechtfertigt ist (Soergel/Leptien Rn 20f; s auch BGH 5, 111, 116; WM 1976, 507). Gegen den Rechtsschein einer Vollmacht können auch Vorgänge sprechen, die nach Handelsbrauch oder den Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs ungewöhnlich sind (mündliche Zusage eines Bankangestellten, die Bank werde für die Einlösung fremder Wechsel mit eigenen Mitteln einstehen; BGH MDR 1955, 213, 214). ff) Der objektive Rechtsscheinstatbestand muss seinem Umfang nach gerade auch das abgeschlossene Geschäft einschließen (BGH MDR 1953, 345; NJW 1956, 460). Wer als Vertreter mit beschränktem Wirkungskreis erscheint, hat Rechtsscheinsvollmacht nur für Geschäfte innerhalb dieses Rahmens; spricht der äußere Anschein für eine Generalvollmacht, werden entspr weit abgegrenzte Geschäfte erfasst. b) Der objektive Rechtsscheinstatbestand muss vom Vertretenen zurechenbar veranlasst sein. aa) Der Vertretene muss die Möglichkeit gehabt haben, das Auftreten des unbefugten Vertreters zu verhindern (BGH 5, 111, 116). Erforderlich ist danach ein Verschulden des Vertretenen (BGH NJW 1956, 1673; 1988, 1200; BAG NJW 1964, 1690, 1691). Dieses liegt bei der Duldungsvollmacht darin, dass der Geschäftsherr das Verhalten des Vertreters kennt und nicht verhindert (BGH NJW 2003, 2091; 2004, 2745 m Bespr Wagner LMK 2004, 154), bei der Anscheinsvollmacht darin, dass er bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt das Handeln des Vertreters hätte erkennen und verhindern können (BGH NJW 1998, 1854, 1855; ZIP 2005, 1357, 1361). Eine bloße (unverschuldete) Veranlassung genügt in keinem Fall (Staud/Schilken Rn 40, 41). Dabei muss sich der Geschäftsherr Sorgfaltspflichtverletzungen einer von ihm eingeschalteten Überwachungsperson zurechnen lassen (Staud/Schilken Rn 41); zur Kritik an dem Verschuldenserfordernis MüKo/Schubert Rn 111ff). Diese Grundsätze gelten auch beim Handeln unter fremdem Namen im elektronischen Rechtsverkehr; die geringeren Anforderungen an die deliktsrechtliche Zurechnung von Rechtsverletzungen (BGH 180, 134 Rn 16ff; s aber BGH 185, 330 Rn 14) sind nicht übertragbar (BGH NJW 2011, 2421, Rn 19); s auch Pal/Ellenberger § 172 Rn 18; s Rn 31a sowie § 675l. bb) Durch das Erfordernis der Zurechenbarkeit ist die Rechtsscheinsvollmacht zulasten Minderjähriger ausgeschlossen; deren Schutz geht im Rahmen der §§ 104ff dem Verkehrsschutz vor (Pal/Ellenberger § 172 Rn 9; MüKo/Schubert Rn 116; allg M); zur Rechtsscheinshaftung für das Handeln eines geschäftsunfähigen Geschäftsführers § 165 Rn 5. 502

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cc) Wird der Geschäftsherr (zB jur Pers) gesetzlich durch Gesamtvertreter vertreten, so ist Voraussetzung, dass eine vertretungsberechtigte Zahl von Vertretern Kenntnis hat oder haben muss. Zwar wird das Wissen des einzelnen Gesamtvertreters zugerechnet (§ 166 Rn 31), jedoch hätte ein Einzelner, dessen Kenntnis zugerechnet wird, die Vollmacht, um deren Schein es geht, nicht erteilen können. Das gibt den Ausschlag (s BGH NJW 1988, 1200). dd) Gesetzliches Verbot. Würde die ausdr Vollmacht gegen ein gesetzliches Gebot verstoßen, kann sie (außerhalb des § 172) auch nicht durch einen Rechtsschein ersetzt werden. Das hat insb Bedeutung für die Vertretung von Organen der öffentlichen Hand (dazu Rn 38), aber auch für die allg Alleinvertretungsermächtigung eines Gesamtvertreters durch den anderen (BGH NJW 1988, 1199, 1200). c) Der Geschäftsgegner muss auf den geschaffenen Rechtsscheinstatbestand vertraut haben. aa) Hierfür ist erforderlich, dass er von den rechtsscheinsbegründenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat (BGH LM Nr 13; 17, 19; 22, 238; NJW 2004, 2745 m Bespr Wagner LMK 2004, 154; NJW 2007, 987, 989). Es genügt, dass er insgesamt die allg Überzeugung von der Bevollmächtigung erhält (BGH NJW 1962, 1003). Die Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen muss für den Geschäftsabschluss ursächlich gewesen sein, der Geschäftsgegner muss also aufgrund des Vertrauens auf den Rechtsschein gehandelt haben (BGH WM 1981, 171, 172; MüKo/Schubert Rn 119). Dieses Erfordernis übersieht Jena MDR 1999, 859. bb) Nur das schutzwürdige Vertrauen des Geschäftsgegners kann die Anwendung der Grundsätze über die Rechtsscheinsvollmacht begründen. Kannte der Geschäftsgegner den wahren Sachverhalt, so fehlt es für ihn bereits an einem äußeren Rechtsscheinstatbestand. Hätte der Geschäftsgegner den Mangel einer Vollmacht erkennen können, verdient er keinen Schutz; der Rechtsgedanke des § 173 gilt entspr (BGH NJW 1958, 2062; 1991, 2126). Für den auf den Rechtsschein vertrauenden Vertragsgegner besteht aber keine allg Überprüfungs- und Nachforschungspflicht (BGH NJW 2005, 668; 2006, 1952). Nach den Umständen kann aber im Einzelfall doch eine Erkundigungspflicht des Geschäftsgegners in Betracht kommen (BGH NJW-RR 1996, 673). Bei wichtigen, gründliche Vorbereitung erfordernden und dabei nicht eilbedürftigen Geschäften ist Zurückhaltung in der Annahme einer Anscheinsvollmacht geboten (BGH NJW 1958, 2061; einschränkend NJW 1981, 1727). d) Bei der Prüfung, ob der Vertretene sich den Rechtsschein der Vollmacht des für ihn Handelnden entgegenhalten lassen muss, ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen (BGH NJW 2004, 2745 m Bespr Wagner LMK 2004, 154); Vorgänge aus späterer Zeit können daher nur unter dem Gesichtspunkt der Genehmigung des durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Vertrags von Bedeutung sein (BGH MDR 1958, 83 m Anm Pohle). 3. a) Die Wirkungen der Rechtsscheinsvollmacht entsprechen denen der rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung (BGH 86, 273, 275; str, s Rn 12). Aus dem Vertrauen auf eine Rechtsscheinsvollmacht kann niemand weitergehende Ansprüche herleiten, als er haben würde, wenn der Rechtsschein der wirklichen Sachlage entspräche (BGH 12, 105; 17, 13, 17; NJW 1998, 2897). Der Rechtsschein kann auch wie die Erweiterung einer bestehenden Vollmacht wirken, wenn deren Grenzen überschritten werden (BGH NJW-RR 1987, 308). b) Die Berücksichtigung von Willensmängeln bei Veranlassung des Rechtsscheins ist umstr (dazu Lobinger aaO [Rn 12], 269f). Die Frage stellt sich nur für die Anfechtung der Rechtsscheinsvollmacht nach Abschluss des Geschäfts (allg zur Anfechtung der Bevollmächtigung Rn 44ff). Die Anfechtung wegen des Fehlens eines Bevollmächtigungswillens scheidet aus, weil es eines solchen Willens nicht bedarf (Soergel/Leptien Rn 22; für Duldungsvollmacht aM hins des Fehlens eines Duldungsbewusstseins und hins eines „Konkludenzirrtums“ Wolf/ Neuner § 50 Rn 89ff). Ein sonstiger möglicherweise relevanter Irrtum kommt deshalb nur in Betracht, wo der Rechtsschein auf bewusster Duldung beruht (Rn 10, 16), also im Grenzbereich zw stillschw erteilter Vollmacht und Rechtsscheinsvollmacht. Zwar kommt es für die Duldungsvollmacht auf den Geschäftswillen nicht an, jedoch ist der kausal gewordene Irrtum bei der Duldungsvollmacht wie bei der rechtsgeschäftlichen Vollmacht zu berücksichtigen und die Anfechtung zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zuzulassen (ähnl MüKo/ Schubert Rn 147; i Erg – wegen Annahme stillschw Vollmacht – auch Staud/Schilken Rn 45; aM Soergel/Leptien Rn 22). c) Der Geschäftsgegner hat kein Wahlrecht, den Vertreter aus § 179 oder den Vertretenen in Anspruch zu nehmen (BGH 86, 273; Pal/Ellenberger § 172 Rn 17; aM Wolf/Neuner § 51 Rn 112). Besteht eine Rechtsscheinsvollmacht, so besteht Vertretungsmacht und § 179 scheidet aus (BGH 61, 59, 69). Die Gegenansicht meint unter Hinweis auf § 15 III HGB, der Vertragsgegner müsse auf den Schutz seines Vertrauens in den Rechtsschein verzichten und sich dann nach § 179 I an den Vertreter halten können (MüKo/Schubert Rn 136; Canaris, NJW 1991, 2628; Pawlowski JZ 1996, 125, 131 mwN). Das zu § 15 III HGB anerkannte Wahlrecht (Baumbach/Hopt § 5 Rn 14, § 15 Rn 6, 22) ergibt sich aus dem Wortlaut und ist nicht übertragbar; s § 179 Rn 4. Bei Unklarheit über die Voraussetzungen des Rechtsscheins muss der Gegner beide verklagen (s den Fall BGH NJW 1988, 1199) oder den einen verklagen und dem anderen den Streit verkünden. 4. Einzelfälle. a) Arbeits- und Dienstverhältnisse. Rechtsscheinsvollmacht eines Angestellten bejahen: BGH NJW 1956, 1673 – nicht fest angestellte Schreibkraft, die Geschäftsbriefbögen benutzte; BGH LM Nr 1 – leitender Angestellter einer GmbH, der wie deren Geschäftsführer auftrat; BGH WM 1971, 39 – in mehreren Fällen abgegebene Zusicherung eines seine Vollmacht überschreitenden Oberrentmeisters; verneinen: BGH NJW 1956, 460 – bei bisheriger selbständiger Vornahme lediglich unbedeutender Geschäfte für einen landwirtschaftlichen Betrieb; BGH LM Nr 3 zu § 157 (Ga) – Angestellter, der seine Vertretungsmacht behauptete; weitere verneinenMaier-Reimer

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de Bsp: BGH LM Nr 24 zu § 164; Düsseldorf MDR 1996, 894 – nach Üblichkeit differenzierend: BGH LM Nr 6 zu § 164. Zur Rechtsscheinsvollmacht hins der praktischen Handhabung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses BAG DB 1994, 2502, 2503f. 30 Daneben gilt als bevollmächtigt, wer mit Aufgaben betraut ist, deren Erledigung üblicherweise eine Vollmacht voraussetzt (s Rn 16). Bsp: Rechtsscheinsvollmacht: Telefonist zur Entgegennahme fernmündlicher Erklärungen (RG 102, 295, 296). Schalterbedienstete von Geldinstituten zur Vornahme aller Geschäfte, die der Schalterverkehr mit sich bringt (RG 86, 86, 89; 118, 239); auch für die Erteilung von Auskünften (BGH WM 1973, 635); Angestellte in Niederlassung ausl Fluggesellschaft zur Bestellung von Plätzen bei einer anderen Fluggesellschaft (Düsseldorf MDR 1978, 930). Verhandlungsbeauftragter für mündliche Erklärungen, selbst wenn er zuvor erklärt hat, er müsse noch Rücksprache mit seinem Geschäftsherrn nehmen (RG 100, 48, 49). S auch RG 106, 200, 203 – kommissarischer Geschäftsleiter. Keine Rechtsscheinsvollmacht: Betriebsratsvorsitzende für den Arbeitgeber bzgl nicht zu erwartenden Verhaltens (BAG 15, 305). Zur Rechtsscheinsvollmacht bei einem Arbeitsverhältnis in einer kirchlichen Einrichtung BAG AP § 1 KSchG 1969 Gemeinschaftsbetrieb Nr 1. 31 b) Architekten (s auch Rn 53). Die Vollmacht eines Architekten zur Einholung von Angeboten begründet idR nicht den Anschein, der Architekt sei zur Auftragsvergabe bevollmächtigt (Köln BauR 1993, 243); ob zur Vergabe einzelner im Rahmen des Bauprojekts liegender Bauleistungen, insb zur Vergabe von Zusatz- und Ergänzungsaufträgen, ist Frage des Einzelfalles (bejahend Köln NJW 1973, 1798, 1799; verneinend München BauR 1996, 547; Celle BauR 1997, 174 [LS]; Düsseldorf BauR 2000, 891, 1198 und NJW-RR 2001, 14). Zu den Indizien für eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht eines Architekten für ein Unternehmen, mit dem er zusammenarbeitet, BGH NJW-RR 1997, 1276. Die Bezahlung von Einzelrechnungen sowie die Beteiligung bei der Abnahme der erbrachten Leistungen kann Rechtsscheinsvollmacht für weitere Aufträge begründen (Brandenburg NJW-RR 2002, 1099; Hamburg BauR 1996, 256; zu einem Schuldbeitritt ggü einem Subunternehmer Düsseldorf NJW-RR 1995, 592). Bei begründetem Zweifel muss sich der Bauunternehmer erkundigen (BGH NJW 2000, 1407). Zum Umfang einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht eines Architekten s auch BGH NJW-RR 1997, 1276 und Naumburg NZBau 2000, 143. Zu den Voraussetzungen für eine Rechtsscheinsvollmacht eines Architekten zum Abschluss eines Maklervertrags BGH NJW-RR 1997, 1276; Jagenburg NJW 1997, 2280. Zur Anscheinsvollmacht für die Abnahme des Bauwerks oder die Genehmigung einer Schlussrechnung s BGH 97, 224, 230; Nürnberg NJW-RR 1999, 1036 und Saarbrücken NJW-RR 2000, 826. 31a c) E-Commerce. Im elektronischen Rechtsverkehr sollen die Regeln der Rechtsscheinsvollmacht (für Handeln unter fremdem Namen, § 164 Rn 13) entspr gelten (Pal/Ellenberger § 172 Rn 18 mwN), jedoch werden deren Voraussetzungen kaum je vorliegen, weshalb eine Rechtsscheinsvollmacht bei bewusster (Sonnentag WM 2012, 1614) oder sorgfaltswidriger (Stöber JR 2012, 225) Weitergabe des Passwords aus §§ 171, 172 analog abgeleitet wird; zu den weiteren Voraussetzungen s Spindler in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien3 2015, § 164 BGB Rn 9ff. Im Online-Banking gelten §§ 675l, 675u, 675v; zu damit zusammenhängenden Fragen BGH NJW 2016, 2024 Rn 23ff, 34f, 38ff, 47ff (Zulässigkeit eines Anscheinsbeweises, Anforderungen an ihn und seine Erschütterung), Rn 55ff (Frage einer Anscheinsvollmacht). Zum früheren Recht BGH NJW 2012, 2422; dazu Borges NJW 2012, 2385; zu Zahlungsaufträgen über Premiumdienstenummern BGH ZIP 2017, 1026. 32 d) Familienangehörige. Die Ehefrau hat keine Rechtsscheinsvollmacht für ihren zum Wehrdienst eingezogenen Ehegatten (BGH NJW 1951, 309); es besteht auch keine Vermutung der Vertretungsbefugnis unter Ehegatten (BSG NVwZ 1983, 768). Unterhalten Eheleute gemeinsam ein Oder-Konto, kann sich aus der Verwaltung dieses Kontos der Anschein gegenseitiger Bevollmächtigung ergeben (Düsseldorf WM 1996, 949, 952). Aufgrund des Rechtsscheins einer Ermächtigung durch einen Elternteil kann der andere berechtigt sein, das gemeinsame Kind allein zu vertreten (BGH 105, 45, 48; s aber Rn 20; krit Pawlowski MDR 1989, 775). Zur Rechtsscheinsvollmacht für die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft: Weinreich FPR 2001, 29. Zur Rechtsscheinsvollmacht von Miterben BGH NJW 1958, 2062; 1962, 2196. 33 e) Handels- und Gesellschaftsrecht. Rechtsscheinsvollmacht im Bankverkehr besteht nicht schon aufgrund behaupteter Vertretungsmacht entgegen der Zeichnungsliste (BGH WM 1955, 230, 232). Der Leiter einer kleinen Bankfiliale hat keine Anscheinsvollmacht zum mündlichen Abschluss eines Darlehensvertrags über einen höheren Betrag (Koblenz MDR 1994, 1110). – Der Gesamtvertreter einer AG kann uU kraft Anscheinsvollmacht (Anscheinsermächtigung gem § 78 IV 1 AktG) die Gesellschaft allein vertreten (vgl BGH WM 1976, 503); der Kassierer einer Genossenschaft hat Anscheinsvollmacht für die Annahme von Geld, nicht aber für den zugrundeliegenden Darlehensvertrag (RG 65, 292). Zur (Empfangs-)Rechtsscheinsvollmacht bei einem als GbR betriebenen Immobilienfonds Hamm NJW-RR 2000, 916 = NZG 2000, 500 m Anm Jäger. Zur Haftung bei einer unter erkennbarem Vollmachtsmissbrauch gegründeten Schein-GbR BGH NJW 2011, 66. Bei Übernahme eines Gewerbebetriebs haftet der frühere Inhaber nach Rechtsscheinsgrundsätzen, wenn auf den Inhaberwechsel nicht deutlich genug hingewiesen wurde (Rn 16; BGH WM 1971, 15). Eine Rechtsscheinsvollmacht des Provisionsvertreters nicht schon, wenn der Geschäftsherr es zweimal hinnimmt, dass sein Geschäftspartner ihm Schecks durch den Vertreter überbringen lässt (BGH VersR 1971, 768). Verhandlungs- und Bankvollmacht können aber den Rechtsschein einer Abschlussvollmacht begründen (Oldenburg BB 1995, 2342). Zu der (verneinten) Erweiterung einer Bankvollmacht nach Rechtsscheinsgrundsätzen Köln ZIP 2001, 1709. Zur Haftung eines Wirtschaftsberatungs- und Finanzbetreuungsunternehmens für einen als Handelsvertreter tätigen Außendienstmitarbeiter BGH NJW 1998, 1854ff = LM Nr 39 m Anm Reuter. Zur Duldungsvollmacht für einen Treuhänder, der Gesellschafter einer GbR umfassend vertritt: Düsseldorf NZG 1999, 989. Zur Rechtsscheinsvollmacht bei unter504

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nehmensbezogenen Geschäften Hamm NJW-RR 1996, 802. Zum Risiko einer Rechtsscheinsvollmacht wegen geduldeter Verwendung ausl Positionsbezeichnungen (etwa: „General Manager“ oder „Vice President“) Borsch GmbHR 2004, 1376. f) Beim sog Strukturvertrieb von Kapitalanlagen (etwa im sog Bauherrenmodell) oder Fondsbeteiligungen soll neben einer nicht vollständig beurkundeten (§ 311b) oder nach § 3 RDG (§ 134 Rn 56ff) nichtigen Vollmacht, wenn nicht ohnehin § 172 eingreift (dazu § 172 Rn 10), eine wirksame Rechtsscheinsvollmacht vorliegen können, die sich aber auf Umstände außerhalb der nichtigen Vollmachtsurkunde stützen muss (BGH NJW 1997, 312; anders noch BGH 102, 60, 64ff). Die Voraussetzungen dafür hat der BGH aber zunehmend verschärft (BGH NJW 2003, 2091; 2004, 2745; NJW-RR 2004, 1275, 1276; NJW 2005, 2985; aM München NJW 2006, 1811, 1813 ausdr gegen BGH NJW 2005, 2985; der BGH hat die Revision gem § 522a ZPO zurückgewiesen – BGH 4.7.2007 – XI ZR 169/06). In der Zusammenschau ist nach dieser Rspr des XI. ZS des BGH in solchen Fällen eine Rechtsscheinsvollmacht außerhalb des § 172 praktisch nicht möglich. Die Instanzgerichte entscheiden zT anders (s Frankfurt NJW-RR 2005, 1514; WM 2006, 2207; München NJW 2006, 1811). g) Die Vorlage des Kfz-Briefes begründet nicht ohne weiteres eine Anscheinsvollmacht zur Veräußerung, wenn Veräußerer und eingetragener Halter nicht identisch sind (Köln VersR 1974, 1185). Zur Rechtsscheinsvollmacht eines Kfz-Händlers KG NJW-RR 1996, 1079. h) Makler, Verhandlungsbevollmächtigter. Keine Rechtsscheinsvollmacht hat ein Makler für Zusicherungen namens seines Auftraggebers, wenn dieser einem Dritten Abschlussvollmacht erteilt hat (BGH WM 1973, 612). Wer vom Makler als dessen Vertreter für den Abschluss und die Verhandlungen in der Hauptsache entsandt oder geduldet wird, darf vom Maklerkunden als zur Verhandlung über das Maklerhonorar, nicht aber zu dessen Entgegennahme als Barscheck bevollmächtigt angesehen werden (BGH NJW-RR 1987, 308; Brandenburg NJWRR 1997, 886). Ein unbeschränkt verhandlungsbevollmächtigter Ehegatte kann Rechtsscheinsvollmacht für die Benennung des Bankkontos haben, auf das der andere Teil seine Gegenleistung überweisen soll (BGH WM 1971, 1500, 1501). i) Öffentliche Hand. Die rechtsgeschäftliche Verpflichtung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach den Grundsätzen der Rechtsscheinsvollmacht ist anerkannt, wenn das zuständige Vertretungsorgan selbst einen Zustand veranlasst oder duldet, durch den bei Dritten der Anschein einer Vollmacht erweckt wird (BGH 40, 197, 204; NJW 1955, 985; 1997, 230). Sofern dagegen die Vertretungsregelung in einer Rechtsvorschrift oder in einer Satzung zugleich eine Schranke für die rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis bildet (näher dazu bei § 125 Rn 11 und § 164 Rn 18), ist für die Grundsätze der Rechtsscheinsvollmacht nur wenig Raum (s auch Rn 21 zur Gesamtvertretung). Die Vertretungsvorschriften in den Kreis- und Gemeindeordnungen sind gesetzliche Schutzvorschriften zur Kontrolle des Handelns der Kommune nach außen und können daher allenfalls unter sehr strengen Voraussetzungen durchbrochen werden (Bsp: Celle NJW 2001, 607; Frankfurt NVwZ 2001, 958). Dagegen kommt eine Rechtsscheinsvollmacht für ein Handeln eines Bürgers ggü der Verwaltung ohne Einschränkung nach den allg Grundsätzen in Betracht (BSG NVwZ 1983, 767, 768; BVerwG NJW-RR 1995, 73, 75; OVG Münster NVwZ-RR 2004, 72). Zur Rechtsscheinsvollmacht des Geschäftsführers einer GmbH, die für einen Landkreis ein Unternehmen betreiben soll, BGH NJW-RR 1996, 371 m Anm Eckardt WiB 1996, 267. Für die als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten Kirchen gelten diese Grundsätze entspr (Frankfurt NVwZ 2001, 958). j) Zur Rechtsscheinshaftung von Rechtsanwälten einer Bürogemeinschaft BGH 70, 247, 249, eines aus einer Sozietät ausgeschiedenen Anwalts BGH WM 1991, 743, einer Scheinsozietät BGH NJW 1999, 3040. Die Grundsätze zur Haftung in der Scheinsozietät gelten auch nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der (Anwalts-)GbR (BGH NJW 2007, 2490), jedoch nur für anwaltstypische Tätigkeiten (BGH NJW 2008, 2330). k) Telekommunikation. Der Inhaber eines Telefonanschlusses wird nicht kraft Rechtsscheinsvollmacht gebunden, wenn ein Dritter ohne seine Kenntnis ein ankommendes kostenpflichtiges R-Gespräch annimmt; er haftet jedoch, auch bei Annahme eines R-Gesprächs durch minderjährige Familienangehörige, wenn er diese Nutzung seines Telefonanschlusses zu vertreten hat (BGH 166, 369 zu § 16 III 3 TKV, jetzt § 45i IV TKG; s dazu Spindler in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien3 2015, § 164 BGB Rn 10. Der Inhaber ist aber nicht verpflichtet, die Annahme durch Familienangehörige mittels technischer Vorkehrungen zu verhindern (BGH 166, 369 Rn 23ff); s auch § 675l und BGH 188, 351 Rn 19ff; zu Zahlungsaufträgen über 0900er Nummern BGH ZIP 2017, 1026. l) Versicherungen. Eine Rechtsscheinsvollmacht begründet die Aushändigung von Blanketten für vorläufige Deckungszusagen (BGH VersR 1964, 890; 1986, 131; Hamburg VersR 1996, 134), uU auch über den Blankettumfang hinaus (Düsseldorf VersR 2004, 11; s auch § 172 Rn 16); ebenso die Abschlussvollmacht des Versicherungsmaklers für spätere Vertragsänderungen (Hamburg VersR 1996, 1197); keine Rechtsscheinsvollmacht aber zum Abschluss von Folgegeschäften aufgrund der Vollmacht zum Abschluss eines Lebensversicherungsvertrags (BGH VersR 1992, 989) oder für den Schadensregulierer zur Vergabe von Reparaturaufträgen (BGH VersR 1965, 134). Weder eine Inkassovollmacht noch eine Vollmacht zur Erteilung einer vorläufigen Deckungszusage begründet aber den Rechtsschein, ein Vermittlungsagent sei zum Abschluss von Versicherungsverträgen bevollmächtigt (BGH NJW 1983, 631). Zur Duldungsvollmacht eines Regulierungsbeauftragten iSv § 3 S 3 PflVersG Rostock OLG-NL 2003, 3. Maier-Reimer

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m) Auch im Wechselrecht und im Scheckrecht finden die Grundsätze über die Rechtsscheinsvollmacht Anwendung (BGH WM 1986, 901; Celle WM 1996, 1951; München BB 1997, 649). IV. Mängel der Vollmachtserteilung. 1. Als Rechtsgeschäft unterliegt die Bevollmächtigung grds den allg Vorschriften über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit (§§ 116ff, 134, 138). Zu den Anforderungen an die Geschäftsfähigkeit im Falle einer Vorsorgevollmacht (§ 1896 II) und diesbezüglichen Zweifeln bei aufeinander folgenden inhaltlich abw Vorsorgevollmachten München NJW-RR 2009, 1599. Zur Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen § 3 RDG über § 139 oder direkt nach § 134 s § 167 Rn 1 sowie § 134 Rn 56ff; zu den Grenzen BGH ZIP 2009, 559. Dem Vollmachtgeber kann es nach § 242 verwehrt sein, sich auf die Nichtigkeit der Vollmacht zu berufen, wenn er zu dem Vertretergeschäft (Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung) verpflichtet ist, BGH NJW 2004, 59 und 62. Zur Erstreckung der Nichtigkeit einer umfassenden Vollmacht nach § 3 RDG auf eine Spezialvollmacht wegen Einheitlichkeitswillens BGH VuR 2010, 183. Gem § 116 S 2, § 117 II ist die Vollmacht nichtig, wenn der Adressat (Rn 2) den Vorbehalt kennt oder mit dem Simulationswillen einverstanden ist. 2. Die Anfechtbarkeit der Vollmacht ist von der des Vertretergeschäfts (dazu § 166) zu unterscheiden. Als Anfechtungsgründe kommen außer arglistiger Täuschung und Drohung Irrtümer des Vollmachtgebers über den Inhalt der Vollmacht, Eigenschaften des Bevollmächtigten und, bei Spezialvollmachten, auch über den Geschäftspartner oder den Gegenstand des vorgesehenen Vertretergeschäfts in Betracht. a) Unproblematisch ist die Anfechtung der Bevollmächtigung, wenn der Vertreter von der Vollmacht noch keinen Gebrauch gemacht hat. Anfechtungsgegner (§ 143 III 1) ist bei der Innenvollmacht der Vertreter, bei der Außenvollmacht der Geschäftsgegner. Praktische Bedeutung hat die Anfechtung jedoch nur, wenn die Vollmacht nicht frei widerruflich ist (s § 168 Rn 14); andernfalls genügt der Widerruf der Vollmacht (§ 168 S 2). b) Ob die Vollmacht auch anfechtbar ist, wenn von ihr bereits Gebrauch gemacht wurde, ist str. Die praktische Relevanz der Frage scheint gering, da einschlägige Rspr außer in Täuschungsfällen nicht bekannt ist (ebenso Soergel/Leptien Rn 7). Die Probleme ergeben sich aus der Rückwirkung der Anfechtung (§ 142 I), der aus § 143 III möglicherweise folgenden Differenzierung des Anfechtungsadressaten bei Innen- und Außenvollmacht, daraus folgender unterschiedlicher Zuordnung des Anspruchs aus § 122 und dem sich daraus ergebenden Nebeneinander von Ansprüchen aus § 122 gegen den Geschäftsherrn und aus § 179 II gegen den Vertreter (ausf Flume § 52, 5). Im Fall der Minderjährigkeit (§ 179 III 2) oder Insolvenz des Vertreters ist der Dritte nach Anfechtung der Vollmacht durch Ansprüche gegen den Vertreter nicht geschützt. Deshalb wollen einige die Anfechtung der ausgeübten Vollmacht ausschließen (Eujen/Frank JZ 1973, 232; Brox JA 1980, 449; Erman/Palm12 Rn 27; s auch Petersen AcP 2001, 375, 279ff). Der Vertretene soll dann analog § 166 II das Vertretergeschäft anfechten können (Erman/Palm12 § 166 Rn 18; ebenso, ohne Ausschluss der Vollmachtsanfechtung, Medicus AT Rn 899, 902; dagegen nachdr Staud/Schilken Rn 82a). Für den Ausschluss der Anfechtung gibt es keine Grundlage (eingehend Schwarze JZ 2004, 588); § 166 II passt weder nach seinem Tatbestand noch nach seiner Rechtsfolge. Die hL belässt es deshalb mit Recht grds bei den Folgen der §§ 122, 142, 143 und 179 (Bork AT Rn 1476ff; MüKo/Schubert Rn 47; Staud/Schilken Rn 77ff; auch Wolf/Neuner § 50 Rn 25, 28, jedoch ohne Anfechtung nach § 119 II wegen Eigenschaften des Vertreters). Da die Anfechtung immer auf Beseitigung des Vertretergeschäfts gerichtet ist, ist sie aber immer ggü dem Geschäftspartner zu erklären (str wie hier Flume § 52, 5c; Medicus AT Rn 945; aM: Anfechtung der Außenvollmacht ggü dem Dritten, der Innenvollmacht ggü dem Vertreter MüKo/Schubert Rn 48; Staud/Schilken Rn 79). Dieser hat danach immer den Anspruch aus § 122 gegen den Vertretenen und bei Anfechtung der Innenvollmacht aus § 179 gegen den Vertreter (ebenso MüKo/Schubert Rn 52; Schwarze JZ 2004, 588, 594; den Anspruch aus § 179 verneint Wolf/Neuner § 50 Rn 26). ZT wird darüber hinaus angenommen, nach Anfechtung der Außenvollmacht bestehe kein Anspruch aus § 179 (Flume § 52, 5e). Richtigerweise hat aber der Vertreter wegen seiner Haftung nach § 179 II analog den Anspruch aus § 122 (Staud/Schilken Rn 82; Soergel/Leptien § 166 Rn 23). Beruht die Anfechtung auf einer dem Geschäftspartner zuzurechnenden Täuschung, so hat dieser Ansprüche weder aus § 122 (§ 122 II) noch aus § 179 (§ 179 III 1 iVm § 142 II; s BGH NJW 1989, 2879; 1989, 2881, beide zu § 173). 3. Zur Inhaltskontrolle von Vollmachtsklauseln nach AGB-Recht BGH NJW 1997, 3437; Schwab JuS 2001, 951 mwN. V. Umfang und Arten der Vollmacht. 1. Spezial-, Gattungs- und Generalvollmacht. Nach dem Umfang der Vollmacht unterscheidet man zw Spezialvollmacht (für ein bestimmtes Geschäft), Gattungsvollmacht (für eine Gattung von Geschäften; Bsp: Prokura und Handlungsvollmacht, dazu Müller JuS 1998, 1000ff) und Generalvollmacht (für alle Geschäfte, bei denen eine Vertretung zulässig ist; hierzu, insb zu den Grenzen für Generalvollmachten von Organpersonen, BGH 34, 27, 30; NJW 1977, 199; NJW-RR 2002, 1325 mit Bespr K. Schmidt JuS 2003, 95). Die Generalvollmacht berechtigt idR nicht zum Widerruf einer gleichrangigen anderen Generalvollmacht (Karlsruhe Justiz 2010, 198). Zur Vollmachtskontrolle durch Betreuer § 1896 III und BGH NJW-RR 2012, 834. a) Maßgebend für den Umfang der Vollmacht ist grds der erkennbare Wille des Vertretenen, der durch Auslegung aus der Sicht des Erklärungsempfängers zu ermitteln ist (BGH NJW 1999, 486, 487). Bei den für den Rechtsverkehr besonders wichtigen Vollmachten des Handelsrechts ist der Umfang der Vertretungsmacht durch teilw zwingendes Recht bestimmt (für die Prokura §§ 48, 50, 54, 55 HGB). Der Umfang der Vollmacht kann sich auch aus AGB ergeben (BGH NJW 1999, 1633 – Versicherungsvertreter). Für den durch Auslegung zu ermittelnden Umfang der Vertretungsmacht ist zu unterscheiden: 506

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aa) Bei der Innenvollmacht kommt es auf das Verständnis des Vertreters als Erklärungsempfänger an (BGH NJW 1991, 3141). Beschränkungen nach dem Kausalverhältnis sind bei der Auslegung der Vollmacht zu berücksichtigen, jedoch unbeschadet der Grundsätze der Rechtsscheinsvollmacht (Rn 9ff, 26). Das gemeinsame Verständnis von Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem ist auch ggü dem weiteren Wortlaut der Vollmachtsurkunde maßgeblich, wenn der Vertreter mit sich selbst abschließt (BGH NJW 1999, 486 – Vollmacht zur Scheinübertragung eines DDR-Grundstücks). bb) Bei der Außenvollmacht kommt es auf das Verständnis des Geschäftsgegners an; diesem sind die internen Bindungen des Vertreters regelmäßig unbekannt. Maßgebend ist daher, welchen Umfang ein objektiver Betrachter in der Situation des Geschäftsgegners der Bevollmächtigung beimessen würde; das richtet sich insb nach dem erkennbaren Zweck der Vollmacht sowie nach der (örtlichen) Verkehrssitte (BGH DB 1970, 1126; NJW 1983, 1906; 1991, 3141). Bei Zweifeln über den Umfang der Vollmacht ist der geringere Umfang anzunehmen (RG 143, 146, 199; BGH NJW 1978, 995; Frankfurt NJW-RR 1987, 482; Köln NJW-RR 2001, 652). Auch die Generalvollmacht deckt ganz außergewöhnliche Geschäfte, die erkennbar mit dem Interesse des Geschäftsherrn in Widerspruch stehen (RG 52, 96, 100), nicht. Zum Missbrauch der Vollmacht Rn 70ff. b) Einzelfälle. Bankverkehr: Die Vollmacht zur Verfügung über ein Bankkonto berechtigt idR zur Verfügung durch Scheck (BGH DB 1986, 1870), dagegen nicht zur Kontoüberziehung (BGH MDR 1953, 345, 346; Hamm NJW 1992, 378) oder zur Kreditaufnahme in unbegrenzter Höhe (Köln ZIP 2001, 1709 m Anm Fischer EWiR 2002, 187) oder zur Umwandlung des Kontos (Hamm WM 1995, 152). Zur formularmäßigen Einzelverfügungsmacht bei Gesamtvertretung einer GbR: Köln ZIP 2001, 1709. Im privaten Baurecht (s auch Rn 31) umfasst die Vollmacht eines bauleitenden Architekten (allg dazu Pauly BauR 1998, 1143) idR die Vergabe einzelner Bauleistungen (BGH BB 1963, 111), die Erteilung von Weisungen, die Anerkennung von Stundenlohnzetteln, die Rüge von Mängeln, Mahnungen und Fristsetzungen (Frankfurt NJW-RR 2011, 1655), die Abnahme geleisteter Arbeiten, die Entgegennahme von Erl zu Rechnungen (BGH NJW 1978, 994), nicht aber ohne weiteres die Erteilung umfassender Bauaufträge (BGH NJW 1978, 995), das Anerkenntnis umfangreicher Schlussrechnungen (BGH NJW 1960, 859; Hamm BauR 1997, 656; vgl aber auch Nürnberg NJW-RR 1999, 1036), die Erteilung erheblicher Nachtragsaufträge (BGH MDR 1975, 834; s auch Düsseldorf BauR 1998, 1023; 2000, 891; 2000, 1198; Naumburg NZBau 2000, 143), die Erteilung von Zusatzaufträgen bei Vereinbarung eines Pauschalpreises (Saarbrücken NJW-RR 1999, 668) oder die Entgegennahme einer Abtretungsanzeige (BGH NJW 1960, 1805). Die Rspr tendiert zu Recht zu einer eher engen Auslegung der Architektenvollmacht (BGH NJW 1978, 995; Hamm 5.5.2011 – 24 U 147/08). Hat der Bauherr dem Baubetreuer Vollmacht zum Abschluss der Verträge mit den Handwerkern erteilt, wird er auch dann verpflichtet, wenn er mit dem Baubetreuer für das gesamte Bauvorhaben einen Festpreis vereinbart und (möglicherweise) schon bezahlt hat (BGH 67, 334, 336; 76, 89). Ist der Baubetreuer mit der Finanzierung eines Vorhabens für einen zahlungssäumigen Erwerber in Vorlage getreten, kann die ihm erteilte Vollmacht auch die Bestellung einer Grundschuld an dem Objekt zu eigenen Gunsten umfassen (BGH WM 1977, 78). Zur Vollmacht einer zu einer Baubesprechung entsandten Person Köln NJW-RR 1994, 1501; zum Umfang der Vollmacht eines Hausverwalters Düsseldorf NJWRR 1993, 885 und LG Bremen WuM 1993, 605. Handels- und Gesellschaftsrecht: Zu den Grenzen der Erteilung einer Generalvollmacht durch einen Geschäftsführer einer GmbH BGH NJW-RR 2002, 1325 m Bespr Haas LM § 35 GmbHG Nr 39; zur Generalvollmacht der durch ihre sämtlichen Gesellschafter vertretenen GbR München ZIP 2011, 2108. Zum begrenzten Umfang einer nach dem Wortlaut uneingeschränkten Abwicklungsvollmacht für einen BGB-Gesellschafter BGH NJW 2000, 3272. Zur kaufmännischen Generalvollmacht Schroeder/Oppermann JZ 2007, 176. Grundstücksgeschäfte: Die Auflassungsvollmacht berechtigt nicht ohne weiteres zum Abschluss des Grundgeschäfts (RG Recht 1925 Nr 1965; vgl auch BGH NJW 2002, 2863) oder zur Auflassung an einen Dritten (Hamm NJW-RR 2001, 376), die Veräußerungsvollmacht nicht ohne weiteres zur Ermächtigung an den Käufer, das Grundstück zu belasten (Jena OLG-NL 1994, 245). Zum Umfang einer Belastungsvollmacht Düsseldorf FGPrax 2000, 55; zu der einem Notariatsangestellten erteilten Vollzugsvollmacht Frankfurt 12.10.2009 – 20 W 116/07. Die Grundbuchvollmacht zur Veräußerung eines Erbbaurechts bezieht sich nicht ohne weiteres auf damit zusammenhängende Anteile an anderen Erbbaurechten (Schleswig Rpfleger 1996, 402). Die Vollmacht zu einem Grundstücksverkauf kann die Beauftragung eines Maklers umfassen (BGH NJW 1988, 3012). Der Notar, der eine Auflassung beurkundet, ist idR auch ermächtigt, eine etwa erforderliche Genehmigungserklärung eines Vertragsteils entgegenzunehmen (BGH Rpfleger 1959, 219); die seinen Angestellten erteilte Ergänzungsvollmacht ist auch bei weiter Formulierung im Zweifel auf das Objekt der Beurkundung beschränkt (München FGPrax 2013, 20). Zum Umfang der Vollmacht eines Notars, der Erklärungen eines Vertreters ohne Vertretungsmacht beurkundet, s Köln NJW-RR 1995, 590. Wer zum Kaufabschluss bevollmächtigt ist, hat nicht ohne weiteres die Befugnis, den Kaufpreis einzuziehen oder zu kreditieren (NK/Ackermann Rn 52; s auch BGH NJW-RR 1987, 308). Zur gegenseitigen Bevollmächtigung von Mietern zur Entgegennahme von Erklärungen, die ihr Mietverhältnis berühren: BGH 136, 314. Zur stillschw Bevollmächtigung des Vermittlers zum konkludenten Abschluss eines Beratungsvertrags mit dem Käufer, der einem sog Mietpool beitritt: BGH NJW 2007, 1874. Zum Umfang der Vertretungsmacht des Verwalters einer Wohnungseigentümergemeinschaft BGH NJW 1998, 3279. Die Prozessvollmacht zur Abwehr einer Räumungsklage umfasst idR den Empfang der Kündigungserklärung (BGH NJW-RR 2000, 745). Zu den Grenzen Maier-Reimer

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einer in allg Versicherungsbedingungen enthaltenen Vollmacht im Einzelfall: Frankfurt NJW-RR 2005, 1694. Die Zuständigkeit von Vertragswerkstätten des Herstellers für Mängelbeseitigung enthält nicht die Vollmacht zum Empfang einer an den Verkäufer zu richtenden Rücktrittserklärung (Bremen NJW-RR 2011, 1202). Zu den Grenzen einer als Generalvollmacht erteilten Vorsorgevollmacht: BayObLG NJOZ 2002, 1267 und FamRZ 2004, 1814; Düsseldorf NJW-RR 1997, 903. S dazu § 1901a V, § 1904 V, § 1906 V – Zu Bankgeschäften aufgrund einer Vorsorgevollmacht eingehend Tersteegen NJW 2007, 1717. 2. Gesamtvollmacht/Gesamtvertretung. a) Soll von mehreren bevollmächtigten Personen nicht jede für sich allein, sondern sollen nur alle oder mehrere gemeinschaftlich vertreten können, spricht man von Gesamtvertretung (Bsp §§ 1629, 1797; fakultative Gesamtvertretung §§ 48 II, 125 II HGB, dispositive Gesamtvertretung §§ 714 iVm 709; §§ 78 II AktG, 35 II 2 GmbHG). Zur sog unechten Gesamtvertretung § 78 III 1 AktG; zur Gesamtvertretung bei einer öffentlich-rechtl Körperschaft: BGH 164, 166, 171. b) Zur Vornahme der Vertretungshandlung brauchen zwar die übereinstimmenden Willenserklärungen der Gesamtvertreter nicht gleichzeitig vorzuliegen und kann die erforderliche Mitwirkung der anderen Gesamtvertreter auch durch (vorherige oder nachträgliche) Zustimmung erfolgen (insoweit allg M MüKo/Schubert § 164 Rn 198f). Die Einzelheiten sind str. Nach der Rspr muss der zuerst Handelnde bis zur Mitwirkung des Anderen an dem Geschäft „festhalten“ (BGH WM 1976, 1053; zust Soergel/Leptien § 164 Rn 29), darf also nicht widerrufen haben und es muss noch ein hinreichender zeitlicher Zusammenhang mit der ersten Erklärung bestehen (BGH WM 1959, 672, 673). Die wohl hL widerspricht: Der zuerst Handelnde könne als Vertreter ohne Vertretungsmacht kein Widerrufsrecht haben (Staud/Schilken Rn 54; MüKo/Schubert § 164 Rn 202). Für die Genehmigung gelten nach allg M § 182 I und II analog (MüKo/Schubert § 164 Rn 202), nach wohl hL auch die Rückwirkung gem § 184 (MüKo/Schubert § 164 Rn 202; Soergel/Leptien § 164 Rn 29; aM Staud/Schilken Rn 54). Richtigerweise kommt es darauf an, ob der zuerst Handelnde Alleinvertretungsmacht in Anspruch nimmt (dann gelten §§ 177, 179, 182 und 184 unmittelbar; der Handelnde kann nicht widerrufen) oder ob er das Erfordernis der Mitwirkung eines anderen Gesamtvertreters deutlich macht (dann ist das Vertretergeschäft bis zur Mitwirkung des Anderen unvollständig. Der Handelnde kann bis zu dieser Mitwirkung widerrufen. Erfolgt die Mitwirkung durch Genehmigung, hat diese keine Rückwirkung). Die Gesamtvertreter können entspr. §§ 125 II 2 HGB, § 78 IV AktG einen von ihnen formlos (s aber § 182 Rn 6), auch stillschw, zum Abschluss eines bestimmten Geschäfts (RG 81, 328) oder eines bestimmten Kreises von Geschäften (BGH WM 1986, 315) ermächtigen; dieser Gesamtvertreter erhält dadurch eine entspr Einzelvertretungsmacht (BGH 64, 72; dazu § 181 Rn 12; Schwarz NZG 2001, 529 und MaierReimer, FS Hellwig, 2010, 205, 209ff); zur Zeichnung durch einen solchen Gesamtvertreter BGH NJW 2010, 1453; Karlsruhe OLGRp 2006, 40. Diese Einzelvertretungsmacht folgt nicht daraus, dass sich der andere einer Mitwirkung enthält (so BGH 64, 72, 76), sondern aus einer Ausübungsermächtigung durch den anderen (Schwarz NZG 2001, 529, 535ff; MüKoHGB/K. Schmidt § 125 Rn 44; K. Schmidt/Lutter/Seibt § 78 AktG Rn 28 jew mwN). Nach der im Gesellschaftsrecht hM muss (entgegen BGH 64,72) die Ermächtigung durch insgesamt vertretungsberechtigte Gesamtvertreter erklärt werden, wobei str, ob der zu Ermächtigende dabei mitwirken kann (Hüffer/ Koch § 78 AktG Rn 19 mwN; aM MüKoGmbHG/Stephan/Tieves § 35 Rn 156; MüKoHGB/K. Schmidt § 125 Rn 43); dem widerspricht, dass die Ermächtigung unstr. durch jeden Ermächtigenden einzeln widerrufen werden kann Hüffer/Koch § 78 AktG Rn 22 mwN. Die generelle Begründung einer Einzelvertretungsmacht widerspricht dem Zweck der Gesamtvertretung und ist unzulässig (vgl BGH 34, 27; anders in der GbR bei Mitwirkung sämtlicher (gesamtvertretungsberechtigten) Gesellschafter, München ZIP 2011, 2108; zur Vertretung einer Kommune BGH 178, 192 Rn 30ff). Ist einer der Gesamtvertreter durch § 181 an dem Abschluss gehindert, so kann ihre gemeinsame Vertragserklärung nicht in eine solche Ermächtigung des anderen und Abschluss allein durch ihn umgedeutet werden (BGH NJW 1992, 618). c) Zur passiven Stellvertretung ist jeder Gesamtvertreter für sich allein befugt (BGH 62, 167, 173; NJW 1988, 1200; vgl § 28 II sowie §§ 125 II 3 HGB, 35 II S 3 GmbHG); das gilt auch, wo die GmbH durch die Gesellschafter vertreten wird (BGH 149, 28 = NZG 2002, 43 m Bespr Schneider/Schneider; für das Wechselrecht RG 53, 227). Die Kenntnis eines beteiligten Gesamtvertreters begründet Kenntnis des Geschäftsherrn (§ 166 Rn 31), s aber § 166 Rn 33. d) Für Willensmängel und Kenntnis oder Kennenmüssen des Vertreters iSd § 166 I genügt es analog zur Passivvertretung, wenn diese Voraussetzungen bei nur einem beteiligten Vertreter vorliegen (§ 166 Rn 31). Zur Simulationsabrede mit einem der Gesamtvertreter s § 166 Rn 7). 3. Untervollmacht. Eine Übertragung der Vollmacht auf einen anderen ist wegen des der Vollmacht innewohnenden Vertrauensmoments im Interesse des Vertretenen grds nicht möglich; der Vertretene kann aber mit der Übertragung einverstanden sein. Anerkannt ist insb die Möglichkeit einer Untervollmacht. a) Die Untervertretung, und entspr die Untervollmacht, kann in zwei Formen erscheinen: Der Untervertreter kann unmittelbar als Vertreter des Geschäftsherrn oder als Vertreter des Hauptvertreters für diesen mit der Maßgabe auftreten, dass er dabei für den Geschäftsherrn tätig wird. Fraglich ist, ob diese unterschiedlichen Gestaltungen rechtlich unterschiedlichen Gehalt haben und die Rechtsfolgen von der gewählten Gestaltung abhängen. Die Rspr anerkennt die beiden unterschiedlichen Formen (BGH 32, 250, 253; 68, 391; BB 1963, 1193; ebenso Erman/Palm12 Rn 41; Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, 1955, 28; Bous RNotZ 2004, 483), während die Literatur überwiegend die Wirkungen bei beiden Gestaltungen unmittelbar auf den Geschäftsherrn

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bezieht (Flume § 49, 5; Wolf/Neuner § 50 Rn 33ff, 37f; Medicus AT Rn 951; RGRK/Steffen Rn 21; MüKo/Schubert Rn 79; Soergel/Leptien Rn 59f; Staud/Schilken Rn 62; Gerlach, Die Untervollmacht, 1967). Der letzteren Auffassung ist zu folgen. Aufgrund der gewillkürten Stellvertretung treten die Wirkungen des Vertreterhandelns beim Geschäftsherrn ein; bei der Untervertretung handelt nur der Untervertreter. Für die Weiterleitung von Rechtswirkungen iS einer „Durchgangswirkung“ zum Prinzipal gibt § 164 keine Grundlage. Mit der hL ist daher die Konstruktion einer Durchgangsvertretung bei der gewillkürten Stellvertretung abzulehnen. Anderes gilt für Organvertreter des Hauptvertreters. Durch sie handelt der Hauptvertreter selbst (Pal/Ellenberger § 26 Rn 2). Wird der Hauptvertreter durch Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte vertreten, so sollte für die Vertretung des Prinzipals auch dies als Handeln des Hauptvertreters gelten (Maier-Reimer, FS Hellwig, 2010, 205, 208). Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich nicht in dieser Eigenschaft von einem Dritten vertreten lassen. Denn er kann seine Geschäftsführerfunktion nicht, auch nicht partiell, einem Dritten zur Ausübung überlassen (BGH 13, 61, 65; anders BGH WM 1978, 1047, 1048, NJW-RR 2002, 1325 und DB 2011, 2842; dagegen K. Schmidt JuS 2003, 95 und Maier-Reimer, FS Hellwig, 2010, 205, 211ff). Dagegen kann ein Gesellschafter einer GbR bei deren Vertretung durch alle Gesellschafter sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen, sofern der Gesellschaftsvertrag der GbR eine solche Vertretung zulässt (München ZIP 2011, 2108; 2015, 1828; aM KG ZIP 2010, 2294). Der Unterschied beruht auf der durch die Selbstorganschaft reflektierten Unvollkommenheit der Trennung der GbR von ihren Gesellschaftern. b) Ob der Vertreter die Befugnis hat, einen Unterbevollmächtigten zu bestellen, muss die Auslegung seiner Vollmacht ergeben (BayObLG NJW-RR 1990, 784, 785; MüKo/Schubert Rn 78; Staud/Schilken Rn 63). Die Unterbevollmächtigung ist idR nur zulässig, wenn der Vertretene erkennbar kein Interesse an der persönlichen Wahrnehmung der Stellvertretung hat (BGH WM 1959, 377; Hamm NotBZ 2013, 144; Soergel/Leptien Rn 58; MüKo/Schubert Rn 78). IdR ist die Untervollmacht eine Vollmacht des Prinzipals (Rn 63). Ihr Fortbestand ist im Zweifel, aber nicht notwendig, vom Fortbestand der Hauptvollmacht abhängig (dazu Bous RNotZ 2004, 483, 486ff; Maier-Reimer, FS Hellwig, 2010, 205, 217f; s auch Staud/Schilken Rn 68; KG MDR 2017, 510); zum Fortbestand der von einem gesetzl oder Organvertreter erteilten Vollmacht s § 168 Rn 8f. Der Umfang der Untervollmacht kann nicht weiter reichen als der Umfang der Hauptvollmacht (BGH NJW-RR 1990, 701, 703; BayObLG NJOZ 2003, 424); zur („Unter-“)Bevollmächtigung eines postulationsfähigen durch einen postulationsunfähigen Anwalt s aber BGH NJW-RR 2003, 51. Zum Selbstkontrahieren bei der Untervollmacht s § 181 Rn 11. Zu Stimmrecht und Untervollmacht in Wohnungseigentümerversammlungen: Gottschalg NZM 2005, 88, sowie BayObLG NZM 1998, 668 und Karlsruhe ZMR 2003, 289. c) Vollmachtsmängel. Besteht die Untervollmacht nicht, haftet allein der Untervertreter gem § 179. Fehlt dagegen die Hauptvollmacht bei bestehender Untervollmacht, so haftet nach der Rspr der Untervertreter nicht, wenn er als Vertreter des Hauptvertreters aufgetreten ist (BGH 32, 250, 253), während er haften soll, wenn er unmittelbar für den Geschäftsherrn aufgetreten ist (BGH 68, 391). Nach der zutr hA haftet ein Untervertreter, der das Untervertretungsverhältnis offen legt, nicht für den Bestand der Hauptvollmacht, sondern nur für denjenigen der Untervollmacht (Flume § 49, 5; Wolf/Neuner § 51 Rn 34ff; Bork AT Rn 1452; Medicus AT Rn 996; aM Erman/Palm12 Rn 44; Soergel/Leptien Rn 62; Gerlach Die Untervollmacht, 1967, 80; MüKo/Schubert Rn 88). Die Haftung aus § 179 trifft dann (analog) den Hauptvertreter, und zwar unabhängig davon, wie der Untervertreter aufgetreten ist, solange er nur das Untervertretungsverhältnis offen gelegt hat. Wenn der Untervertreter aber weiß oder wissen muss, dass die Hauptvollmacht nicht (mehr) besteht, sollte auch er gem § 179 haften. d) Soweit es nach § 166 I auf Willensmängel, Kennen und Kennenmüssen des Vertreters ankommt, ist dies der handelnde Untervertreter. Die Voraussetzungen des § 166 II können in der Person des Vertretenen oder des Hauptvertreters erfüllt werden (Staud/Schilken Rn 72). 4. Postmortale oder transmortale Vollmacht. a) Gilt die Vollmacht über den Tod des Vollmachtgebers hinaus (transmortale Vollmacht, dazu § 168 Rn 5) oder ist sie für den Todesfall erteilt (RG 114, 354, sog postmortale Vollmacht; dazu und zur Abgrenzung von letztwilligen Verfügungen ausf Seif AcP 200, 192ff), hat der Bevollmächtigte Vertretungsmacht für die Erben (BGH 87, 19, 25; s auch § 1922 Rn 49; zur postmortalen Vollmacht ausf Vor § 2197 Rn 7ff; im Verhältnis zu Vorerben/Nacherben § 2112 Rn 5 und § 2139 Rn 2). Die transmortale Vorsorgevollmacht verhindert eine Nachlasspflegschaft nicht (München NJW 2010, 2364; dagegen mit beachtlichen Gründen Everts NJW 2010, 2318). Die Erben können die Vollmacht wie der Erblasser widerrufen. Die post- oder transmortale Vollmacht erlischt, entgegen der wohl hM (Nachw bei München NJW 2016, 3381 Rn 18), auch wenn sie dem Alleinerben erteilt ist, nicht durch Konfusion (str, wie hier Pal/Ellenberger § 168 Rn 4; Pal/Weidlich vor § 2197 Rn 12; Zimmer NJW 2016, 3341; aM § 1922 Rn 49 [Lieder];Hamm ZEV 2013, 341 m abl Anm Lange; MüKo/Schubert § 168 Rn 56); jedenfalls muss sie ihre Legitimationswirkung behalten (München Fam RZ 2013, 402). b) Für Geschäfte des Bevollmächtigten als Vertreter des Erben gelten die Anforderungen der Voreintragung des Erben gem § 39 GBO, vorbehaltlich § 40 GBO (RG 88, 345; LG Stuttgart ZEV 2008, 198; s aber – auch zur Bevollmächtigung des Alleinerben – Hamm FG Prax 2013, 148). Ist die Vollmacht dem gesetzlichen Vertreter des Erben erteilt, so handelt er aufgrund der Vollmacht und nicht aufgrund seiner gesetzlichen Vertretungsmacht; die Genehmigungserfordernisse der §§ 1821, 1822 gelten daher nicht (RG 88, 345; 106, 185). Die Pflichtbindung des Bevollmächtigten nach den Interessen oder Wünschen des Erblassers (BGH NJW 1969, 1245, 1247 m abl Anm Finger 1624; BGH 127, 239) oder der Erben oder nach den Eigeninteressen des Bevollmächtigten ergibt Maier-Reimer

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sich aus dem der Vollmacht zugrundeliegenden Rechtsverhältnis und dessen Auslegung (MüKo/Schubert § 168 Rn 57ff; aM Flume § 51, 5 [b] unter Betonung der Stellung des Erben als Geschäftsherrn). 5. Unwiderrufliche Vollmacht. Zu den Voraussetzungen und Besonderheiten einer unwiderruflichen Vollmacht s § 168 Rn 15ff. 6. Prozessvollmacht (§§ 80ff ZPO). Die Erteilung der Prozessvollmacht ist kein bürgerlich-rechtliches Rechtsgeschäft, sondern Prozesshandlung (BGH 41, 104, 107; ZZP 71, 471, 473); die Vorschriften der §§ 119ff finden auf sie keine Anwendung; die §§ 164ff sind nur anwendbar, soweit dies mit den Besonderheiten des Prozessrechts vereinbar ist (Musielak/Weth ZPO § 80 Rn 5ff mwN). VI. Missbrauch der Vertretungsmacht. Wegen der rechtlichen Unabhängigkeit der Vollmacht von dem zugrunde liegenden Rechtsgeschäft trägt der Vertretene grds das Risiko eines Missbrauchs der Vertretungsmacht und ist auch an solche Geschäfte gebunden, die der Vertreter nach dem Innenverhältnis nicht vornehmen durfte (BGH NJW 1966, 1911; 1994, 2082). Der Vertragspartner braucht nicht zu prüfen, ob und inwieweit der nach außen unbeschränkt vertretungsberechtigte Vertreter im Innenverhältnis dem Vertretenen ggü gebunden ist. Dieser dem Verkehrsschutz dienende Grundsatz wird jedoch nach den Grundsätzen zur Einschränkung der Vertretungswirkungen im Falle des Missbrauchs der Vertretungsmacht durchbrochen, soweit der Geschäftsgegner aus bestimmten Gründen nicht schutzwürdig ist. Vor Anwendung dieser Grundsätze ist – vor allem bei der Innenvollmacht – stets zu prüfen, ob eine einschränkende Auslegung der Vertretungsmacht möglich ist und den Vertretenen ausreichend schützt. 1. Kollusion. Wird die Vertretungsmacht in bewusstem Zusammenwirken von Vertreter und Geschäftsgegner zum Nachteil des Vertretenen missbraucht, ist das Geschäft nach § 138 nichtig (RG 136, 359; BGH NJW 1989, 26); das gilt nicht für den Fall des § 177 (Hamburg ZMR 2003, 525). Ist der Vertreter bestochen, führt das zur Nichtigkeit des abgeschlossenen Geschäfts (nur), wenn das Geschäft oder der konkrete Vertragsinhalt nachteilig für den Vertretenen ist, wovon iS eines Anscheinsbeweises (BGH NJW 1999, 2266) oder aufgrund einer Umkehr der Beweislast (RG 136, 359; BGH NJW 1989, 26) auszugehen ist. Zur Kollusion beim gestatteten Insichgeschäft BGH NJW 2008, 1225; NJW 2011, 66; ZIP 2011, 2005. Zur mittelbaren Kollusion durch Veranlassung eines arglosen Mitbevollmächtigten zur Geschäftsvornahme BGH ZIP 2014, 615. 2. Andere Fälle des Missbrauchs. Der Schutz des Vertretenen ist nicht auf Fälle der Kollusion beschränkt. Ist der Missbrauch evident, so verdient der Geschäftspartner keinen Schutz, auch wenn er nicht kollusiv mit dem Vertreter zusammengewirkt hat. Das ist im Grundsatz unstr. Str ist jedoch, auf welcher Grundlage der Vertretene geschützt ist und welche Voraussetzungen dafür auf Seiten des Vertreters und auf Seiten des Geschäftspartners vorliegen müssen. a) Grundlage des Schutzes. Als Grundlage des Schutzes kommt eine Beschränkung der Vertretungsmacht oder ein Arglisteinwand des Vertretenen in Betracht; weiter wird auch eine Haftung des Geschäftspartners aus cic (§ 311) vertreten, die einen Anspruch auf Vertragsaufhebung gebe (Heckelmann JZ 1970, 62, 65). Die letztere Ansicht würde bereits bei leichter Fahrlässigkeit eingreifen. Sie ist mit dem das Recht der Stellvertretung beherrschenden Grundsatz des Verkehrsschutzes unvereinbar. Die Rspr schwankt zw den beiden zuerst genannten Auffassungen (BGH NJW 1990, 384; NZG 2004, 139: Arglisteinwand gegen das Geschäft; andererseits BGH 113, 315; NJW 1984, 1461; 1999, 2883: kein Schutz des Vertrauens in die Vertretungsmacht; BGH WM 1981, 66, 67: Vertrag nicht durchsetzbar; BAG NJW 1997, 1940: Gegner kann sich auf den [Aufhebungs-]Vertrag nicht berufen). Mit der überwiegenden Literatur ist von einer Beschränkung der Vertretungsmacht auszugehen. Die Trennung der Vollmacht von dem Innenverhältnis dient dem Verkehrsschutz und endet, wo der Geschäftspartner nicht schutzwürdig ist (Flume § 45 II 3; Bork AT Rn 1578; Staud/Schilken Rn 95; ähnlich MüKo/Schubert § 164 Rn 224f: § 177 analog; aM – Arglisteinwand, aber mit Genehmigungsmöglichkeit analog § 177 – Soergel/Leptien § 177 Rn 15). Als Folge fehlt die Vertretungsmacht. Daher sind §§ 177ff anwendbar. Zur Zurechnung des Wissens eines missbräuchlich handelnden Agenten BGH NJW-RR 2008, 977. b) Voraussetzungen des Missbrauchs beim Vertreter. Ein Missbrauch auf Seiten des Vertreters liegt vor, wenn er objektiv außerhalb des ihm im Innenverhältnis Erlaubten handelt (MüKo/Schubert § 164 Rn 220; Bork AT Rn 1582; Medicus AT Rn 968; Flume § 45 II 3; Staud/Schilken Rn 95; enger Soergel/Leptien § 177 Rn 17, der vorsätzliche Überschreitung der Vertretungsbefugnis fordert). Für die Überschreitung des Erlaubten muss das Geschäft nicht notwendig nachteilig für den Geschäftsherrn sein; es genügt, wenn ihm Wesentliches vorenthalten wird (BGH NJW 1984, 1461; s auch BGH 113, 315; zur teilw abweichenden Rspr s Staud/Schilken Rn 94). Nach der Rspr ist im Fall unbeschränkbarer (also gesetzlicher oder organschaftlicher) Vertretungsmacht eine bewusste Überschreitung des Erlaubten erforderlich (BGH 50, 112, 114; WM 1981, 66, 67), während es im Fall inhaltlich gewillkürter Stellvertretung auch nach der Rspr auf den Missbrauchsvorsatz nicht ankommt (BGH NJW 1988, 3012; aM MüKoHGB/Krebs Vor § 48 Rn 72). c) Voraussetzungen beim Geschäftsgegner. Der Geschäftsgegner muss sich den Missbrauch jedenfalls entgegenhalten lassen, wenn er ihn kennt (BGH 113, 315, 320). Kennt er ihn nicht, soll es nach einer Auffassung auf die Evidenz des Missbrauchs ankommen (Flume § 45 II 3; Medicus AT Rn 967), während andere auf grobe Fahrlässigkeit abstellen (Soergel/Leptien § 177 Rn 18; unentschieden MüKo/Schubert § 164 Rn 221f). Praktisch wird beides oft zusammenfallen (Bork AT Rn 1579; s auch MüKo/Schubert § 164 Rn 222). Nach der Rspr ist die durch massive Verdachtsmomente begründete objektive Evidenz des Missbrauchs erforderlich (BGH 127, 239, 241; ZIP 2016, 1428 Rn 24); dem Geschäftspartner muss sich der Missbrauch geradezu aufgedrängt (BGH NJW 510

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Vertretung und Vollmacht

§ 168

1984, 1461, 1462) oder er muss die Augen davor grob fahrlässig verschlossen haben (BGH NJW 1990, 384; NZG 2004, 139); dies kann auch aufgrund einer Wissenszurechnung angenommen werden (Hamm GmbHR 2011, 1099, 1100f, freilich sehr weitgehend). Die ältere Rspr, wonach es genügte, wenn der Dritte den Missbrauch fahrlässig nicht erkannte (BGH 50, 112, 114; NJW 1966, 1911 mwN), scheint damit aufgegeben. Zum Missbrauch der Kontoeinzelvollmacht bei organschaftlicher Gesamtvertretung Köln ZIP 2001, 1709. d) Mitverschulden. Da es um die Beschränkung der Vertretungsmacht geht, ist für die Anwendung der Grund- 76 sätze des § 254 kein Raum (im Grundsatz ebenso, aber relativierend MüKo/Schubert § 164 Rn 225 mwN; aM BGH 50, 112, 114f; offengelassen in BGH NJW 1999, 2883: die Erteilung der Vollmacht sei jedenfalls kein Mitverschulden). 3. Zur entspr Anwendung der Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auf die Testamentsvollstre- 77 ckung s BGH NJW-RR 1989, 642; auf die Treuhand (Vor § 164 Rn 18) s BGH NJW 1968, 1471 m Anm Kötz sowie Huber JZ 1968, 791. Zum Missbrauch der Vertretungsmacht durch Organe von Kapitalgesellschaften Fleischer NZG 2005, 529, 535, durch den Geschäftsführer einer GmbH Steinbeck WM 1999, 885, 889ff. Zum Missbrauch der Scheckkarte BGH 64, 79; 83, 33; NJW 1982, 1513. Zum Missbrauch einer transmortalen Vollmacht: BGH 127, 239; MüKo/Schubert § 168 Rn 60ff. VII. Beweislast. Wer sich auf die Vollmacht beruft, hat diese zu beweisen. Wer ihren Wegfall oder ihren Miss- 78 brauch geltend macht, hat dies zu beweisen.

§ 168

Erlöschen der Vollmacht

Das Erlöschen der Vollmacht bestimmt sich nach dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Die Vollmacht ist auch bei dem Fortbestehen des Rechtsverhältnisses widerruflich, sofern sich nicht aus diesem ein anderes ergibt. Auf die Erklärung des Widerrufs findet die Vorschrift des § 167 Abs. 1 entsprechende Anwendung. 1. Überblick. Für das Erlöschen der Vollmacht kommen grds vier Gründe in Betracht: Der Eintritt eines in der Vollmacht selbst bestimmten Beendigungsgrundes (Rn 2), der Verzicht seitens des Bevollmächtigten (Rn 3), das Erlöschen der Vollmacht nach Maßgabe des Grundverhältnisses (Rn 4–13) sowie der Widerruf der Vollmacht (Rn 14–18). § 168 nennt nur die beiden letztgenannten Erlöschensgründe. 2. In der Vollmacht selbst bestimmte Erlöschensgründe. Die Vollmacht kann ausdr oder nach den Umständen zeitlich begrenzt sein (Bedingung oder Befristung). Die für ein bestimmtes Geschäft erteilte Vollmacht erlischt, wenn das Geschäft ausgeführt oder die Ausführung unmöglich geworden ist (MüKo/Schubert Rn 38). Ob reiner Zeitablauf zum Erlöschen einer Vollmacht führt, ist Frage des Einzelfalles (Bsp: Naumburg FGPrax 2002, 241 für eine Auflassungsvollmacht, von der 50 Jahre nach Erteilung Gebrauch gemacht werden soll). 3. Verzicht. Zwar verpflichtet die Vollmacht als solche nicht zu ihrer Ausübung, doch können sich an ihr bloßes Bestehen belastende Rechtsfolgen für den Bevollmächtigten knüpfen (für die Prokura § 105 I AktG; s auch § 22 I 1 Nr 6 WpHG). Wie der Bevollmächtigte die Vollmacht zurückweisen kann (§ 167 Rn 2), kann er auch auf sie verzichten (hL Staud/Schilken Rn 18; MüKo/Schubert § 167 Rn 5; Soergel/Leptien Rn 5; Flume § 51, 3; aM Erman/Palm12 Rn 1). Der Verzicht ist ggü dem Vollmachtgeber zu erklären, wirkt für eine Außenvollmacht aber nur gem §§ 170–173. 4. Erlöschensgründe aus dem Grundverhältnis. Ergibt die Auslegung der Bevollmächtigung selbst keine zeitlichen Grenzen der Vollmacht, so führt die Beendigung des Grundverhältnisses im Zweifel – in Abweichung vom Abstraktionsgrundsatz – zugleich auch zum Erlöschen der Vollmacht (§ 168 S 1). Eine abw Regelung im Grundverhältnis geht aber vor. Als Gründe für die Beendigung des Grundverhältnisses kommen außer den allg Gründen einer Vertragsbeendigung (Aufhebung, vollständige Erfüllung, Befristung, Kündigung, Rücktritt, Widerruf) Gründe wegen der Besonderheit gerade eines solchen Rechtsverhältnisses in Betracht: a) Erlöschensgründe in der Person des Vollmachtgebers. aa) Der Tod des Vollmachtgebers führt im Zweifel nicht zur Beendigung des der Vollmacht zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses (§§ 672, 675 sowie § 52 III HGB, § 86 ZPO; BGH NJW 1969, 1246; Flume § 51, 5 und 6). Anders ggf bei einer Vorsorgevollmacht (Hamm NJW-RR 2003, 800; München NJW 2014, 3106). Zur post- oder transmortalen Vollmacht § 167 Rn 66f. Zum Erlöschen einer von einem Testamentsvollstrecker erteilten Vollmacht durch dessen Tod Düsseldorf Rpfleger 2001, 425. bb) Der Verlust der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers lässt die Vollmacht unberührt (für den Auftrag §§ 672, 675; für die Prozessvollmacht § 86 ZPO). Für den Bevollmächtigten gelten auch dann nicht die für den gesetzlichen Vertreter geltenden Beschränkungen (str wie hier MüKo/Schubert Rn 12; aM Pal/Ellenberger Rn 4); anders aber, wenn der Bevollmächtigte zum Betreuer bestellt ist (Köln NJW-RR 2001, 653). Das gilt auch für die Auflassungsvollmacht im Grundbuchrecht (LG Kassel DNotZ 1958, 429). cc) Die Insolvenz des Vollmachtgebers führt gem §§ 115, 117 I InsO zum Erlöschen eines Auftrags und einer Vollmacht bzgl des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens, s aber §§ 115 II, III, 117 II InsO. dd) Die von dem gesetzlichen Vertreter eines beschränkt Geschäftsfähigen oder Geschäftsunfähigen für diesen einem Dritten erteilte Vollmacht erlischt nicht mit der Beendigung der gesetzlichen Vertretungsmacht (RG 107, 161, 166; BayObLG NJW 1959, 2119; DB 1974, 1521). Die von einem Bevollmächtigten wirksam erteilte VollMaier-Reimer

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macht erlischt idR nicht mit einem späteren Ausscheiden des Vollmachtgebers aus seiner Aufgabe (BayObLG NZM 2000, 291 für die Bevollmächtigung eines Anwalts durch einen später abberufenen Wohnungseigentumsverwalter). Ebenso erlischt die von dem Organvertreter einer jur Pers für diese erteilte Vollmacht idR nicht mit der Organstellung (Pal/Ellenberger Rn 4). ee) Die von einer jur Pers erteilte Vollmacht erlischt idR mit dem Verlust der Rechtspersönlichkeit des Vollmachtgebers (zB Auflösung des Vereins); während der Dauer der Liquidation wird die Vollmacht durch den Liquidationszweck beschränkt (Soergel/Leptien Rn 14). b) Erlöschensgründe in der Person des Bevollmächtigten. aa) Der Tod des Bevollmächtigten führt im Zweifel zum Erlöschen des Grundverhältnisses und damit auch der Vollmacht (§§ 673, 675 I); zur Ausnahme bei Gefahr im Verzug § 673 S 2, § 168 S 1. Sofern die Vollmacht nur im Interesse des Bevollmächtigten erteilt ist, bleibt sie bei seinem Tod zugunsten der Erben bestehen; so die in einem Grundstückskaufvertrag dem Käufer erteilte Auflassungsvollmacht (KG HRR 1939 Nr 300; Köln OLG 1969, 304). Endet die Vollmacht nicht mit dem Tod des Bevollmächtigten, so ist oder verstärkt sie idR eine vermögensrechtliche Position des Bevollmächtigten und ist deshalb vererblich; andernfalls ist eine für den Todesfall den jew Erben erteilte Vollmacht anzunehmen (zur Konstruktion Nachw bei Staud/Schilken Rn 19). Bevollmächtigt sind in beiden Fällen die Erben. bb) Der Verlust der Geschäftsfähigkeit des Bevollmächtigten nimmt diesem die Fähigkeit, die Vollmacht auszuüben, führt aber nicht ohne weiteres zur Beendigung von Grundverhältnis und Vollmacht, so dass diese bei Wiedererlangung der Geschäftsfähigkeit wieder ausgeübt werden kann (Soergel/Leptien Rn 12 mwN; im Prinzip auch MüKo/Schubert Rn 7; aA Flume § 51, 8; differenzierend zw dauerhafter und vorübergehender Geschäftsunfähigkeit Staud/Schilken Rn 21; RGRK/Steffen Rn 8). cc) Die Insolvenz des Bevollmächtigten lässt Grundverhältnis und Vollmacht unberührt (MüKo/Schubert Rn 8). dd) Ist der Bevollmächtigte eine jur Pers, so endet deren Vertretungsmacht mit dem Ende ihrer Rechtspersönlichkeit, nicht dagegen bereits mit dem Eintritt in das Liquidationsstadium (MüKo/Schubert Rn 10; Soergel/ Leptien Rn 14; Staud/Schilken Rn 20; s auch oben Rn 9). Die einer jur Person erteilte Organstellung als WEGVerwalter geht bei ihrer Verschmelzung auf die aufnehmende Gesellschaft über (BGH NJW 2014, 1447). 5. Widerruf der Vollmacht. Grds ist die Vollmacht frei widerruflich, im Zweifel auch, wenn das Kausalverhältnis (Arbeitsverhältnis) fortbesteht (§ 168 S 2; s auch § 52 I HGB zur Prokura). Das entspricht dem Grundtypus der Vollmacht als von dem Vollmachtgeber aufgrund seines Vertrauens erteilter Macht. Der Widerruf erfolgt durch (ausdr oder schlüssige) empfangsbedürftige Willenserklärung des Vollmachtgebers ggü dem Bevollmächtigten oder ggü dem Geschäftsgegner (§§ 168 S 3; 167 I), unabhängig davon, ggü wem die Bevollmächtigung erklärt war (MüKo/Schubert Rn 18). Ggü dem Dritten wirkt der Widerruf aber nur gem §§ 170ff und vorbehaltlich der Regeln der Rechtsscheinsvollmacht (§ 167 Rn 9ff). Zum Widerruf einer Vorsorgevollmacht Keilbach DNotZ 2004, 751. In der Bestellung eines neuen Vertreters für denselben Aufgabenkreis liegt idR ein Widerruf (Bsp: Düsseldorf NJW-RR 2003, 1312; Hamburg NJOZ 2005, 1444); das gilt aber nicht ohne weiteres, wenn nach der Bevollmächtigung eines Behördenmitarbeiters einem RA Prozessvollmacht erteilt wird (BVerwG NJW 2005, 1962). Zum konkludenten Widerruf zB durch Rückforderung der Vollmachtsurkunde MüKo/Schubert Rn 17. 6. Unwiderrufliche Vollmacht. Die Widerruflichkeit der Vollmacht ist nicht zwingend. Das ergibt sich bereits aus §§ 168 S 2, 176 III. Die Unwiderruflichkeit einer Vollmacht verändert jedoch grundlegend die Wirkung der Vollmacht. Diese bindet den Vollmachtgeber, der nicht mehr entscheiden kann, das Geschäft nicht vorzunehmen, sondern insoweit dem Willen des Bevollmächtigten unterworfen ist. Eine Vollmacht kann deshalb nicht beliebig unwiderruflich gestaltet werden. Zur unwiderruflichen Vollmacht zur Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung s Dux WM 1994, 1145. a) Voraussetzungen. Nach hM muss die Unwiderruflichkeit einer Vollmacht in dem Kausalverhältnis begründet sein, dem zufolge die Vollmacht den (mindestens gleichgewichtigen) Interessen des Bevollmächtigten oder eines Dritten (dem der Bevollmächtigen zB dienst- oder als Treuhänder verpflichtet ist) dient (BGH WM 1971, 956; NJW-RR 1991, 439, 441; Staud/Schilken Rn 8; Soergel/Leptien Rn 22; aM Bork AT Rn 1509: ausdr Bestimmung der Unwiderruflichkeit im Grundverhältnis genügt; widersprüchlich MüKo/Schubert Rn 21, 25). Typische Fälle sind etwa die vom Verkäufer dem Käufer erfüllungshalber erteilte Vollmacht zum Vollzug des Kaufs zB durch Auflassung des verkauften Grundstücks (Staud/Schilken Rn 12). Die Unwiderruflichkeit ist aber nicht auf solche Fälle beschränkt (hM Staud/Schilken Rn 8; aM Flume § 53, 3). Ein bloßes Provisionsinteresse des Bevollmächtigten genügt nicht (Soergel/Leptien Rn 22), während eine Beteiligung am Gewinn aus dem Geschäft genügen kann (BGH NJW-RR 1991, 439, 441). Eine isolierte Vollmacht kann nicht unwiderruflich sein (BGH 110, 363, 367; NJW 1988, 2603; MüKo/Schubert Rn 25; Bork AT Rn 1508), denn die Bindung an das Interesse des Bevollmächtigten oder eines Dritten kann nur durch das Grundverhältnis erreicht werden (BayObLG NJW-RR 1996, 848, 849). Auch eine Generalvollmacht kann nicht unwiderruflich sein, weil es ein korrespondierendes, die Unwiderruflichkeit legitimierendes Kausalverhältnis nicht geben kann (allg M Pal/Ellenberger Rn 6; MüKo/Schubert Rn 25). Die (nach Satzung oder Gesetz) auf Fälle eines wichtigen Grundes beschränkte Widerruflichkeit der Organstellung und der mit ihr verbundenen Vertretungsmacht (§ 27 II 2; §§ 38 II 1 GmbHG, 84 III AktG) gehört nicht hierher. Sie ist Element der Gesellschaftsverfassung und schützt idR nicht Interessen des Organmitglieds. Auch ein frei abberufbares Organmitglied kann eine unwiderrufliche Vollmacht erteilen (MüKo/Schubert Rn 24) wie es auch die für die Unwiderruflichkeit erforderliche Bindung eingehen kann. 512

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Vertretung und Vollmacht

§ 170

b) Begründung der Unwiderruflichkeit. Besteht ein die Unwiderruflichkeit legitimierendes Grundverhältnis, 17 ist die Vollmacht nicht schon deshalb unwiderruflich. Die Unwiderruflichkeit bedarf der besonderen Begründung. Gem § 168 S 2 kann der Widerruf durch das Grundverhältnis, daher idR durch Vereinbarung, ausgeschlossen sein (Staud/Schilken Rn 12). Rechtfertigt das Grundverhältnis den Ausschluss des Widerrufs, ohne ihn selbst zu bestimmen, so kann nach zutr, heute wohl hL die Unwiderruflichkeit einseitig von dem Vollmachtgeber erklärt werden (Staud/Schilken Rn 11; Soergel/Leptien Rn 23; v Tuhr II 2 S 408f; auch ohne Begründung durch das Grundverhältnis: MüKo/Schubert Rn 26). Das entspricht der Bevollmächtigung als einseitigem Rechtsgeschäft. Die Gegenauffassung, die eine Vereinbarung voraussetzt (RG 109, 331, 333; Pal/Ellenberger Rn 6), vermengt Voraussetzungen des Grundverhältnisses mit solchen der Vollmacht. Die Rspr neigt dazu, bei hinreichendem Interesse des Bevollmächtigten eine stillschw Vereinbarung der Unwiderruflichkeit anzunehmen (BGH WM 1985, 646, 647; NJW-RR 1991, 439, 441); anders, wenn aufgrund der Vollmacht ein bindendes Grundverhältnis erst errichtet werden soll (BGH WM 1965, 107). ZT nimmt die Rspr Unwiderruflichkeit ohne weitere Voraussetzungen an, wenn die Vollmacht nach dem Grundverhältnis in erster Linie dem Interesse des Bevollmächtigten oder desjenigen dient, dem dieser verpflichtet ist (BayObLG NJW-RR 2002, 443, 444). Wird die Vollmacht ohne ein hinreichendes Grundverhältnis als „unwiderruflich“ erteilt, ist nur der Widerrufsverzicht, idR aber nicht über § 139 die gesamte Vollmacht, nichtig (Soergel/Leptien Rn 27; MüKo/Schubert Rn 28), sofern der Widerrufsverzicht nicht zu einer Formbedürftigkeit und daher zur Formnichtigkeit (Rn 18) führt. c) Folgen der Unwiderruflichkeit. Die unwiderrufliche Vollmacht für ein formbedürftiges Geschäft bedarf der 18 für dieses vorgeschrieben Form. Das gilt wegen faktischer oder vermeintlicher Bindung auch dann, wenn die Vollmacht mangels eines Grundgeschäfts oder wegen dessen Formnichtigkeit tatsächlich nicht unwiderruflich ist (§ 167 Rn 5). Die Vollmacht ist mangels der erforderlichen Form insgesamt formnichtig. Eine zum Vollzug eines Schenkungsversprechens erteilte Vollmacht unter Befreiung von § 181 ist nicht Schenkungsvollzug iSv §§ 518 II, 2301 II (BGH 87, 19, 25). Auch die grds unwiderrufliche Vollmacht kann nach hM aus wichtigem Grund widerrufen werden (BGH NJW 1988, 2603; MüKo/Schubert Rn 29; Staud/Schilken Rn 14; aM Flume § 53, 4). Nach dem Grundverhältnis ist zu beurteilen, ob ein wichtiger Grund vorliegt (BGH NJW 1988, 2603; WM 1969, 1009). Dessen Beendigung oder Kündbarkeit gibt den wichtigen Grund für den Widerruf der Vollmacht. Ohne seine Beendigung wird ein wichtiger Grund nur ausnahmsweise in Betracht kommen (BGH WM 1972, 588; NJW 1988, 2603). Aufgrund der für die Unwiderruflichkeit vorausgesetzten Interessenlage berechtigt die unwiderrufliche Vollmacht idR zur Erteilung von Untervollmachten (s § 167 Rn 64). Die erfüllungshalber unwiderruflich erteilte Vollmacht soll sogar als Attribut der zugrundeliegenden Forderung mit dieser übertragbar sein (Flume § 53, 6, s auch Rn 10); richtigerweise bedeutet die Übertragung eine Untervollmacht mit Vollmachtsverzicht des Erstbevollmächtigten (Staud/Schilken § 167 Rn 60). 7. Die Beweislast für das Erlöschen der Vollmacht trägt derjenige, der das Erlöschen behauptet. Wer sich da- 19 gegen darauf beruft, das Geschäft sei bereits vor Erlöschen der Vollmacht abgeschlossen worden, muss dies beweisen (BGH WM 1984, 603, 604).

§ 169

Vollmacht des Beauftragten und des geschäftsführenden Gesellschafters

Soweit nach den §§ 674, 729 die erloschene Vollmacht eines Beauftragten oder eines geschäftsführenden Gesellschafters als fortbestehend gilt, wirkt sie nicht zugunsten eines Dritten, der bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts das Erlöschen kennt oder kennen muss. 1. Inhalt. Durch §§ 674 (auch iVm 675), 729 wird die Fortgeltung eines Auftrags oder der Geschäftsführungs- 1 befugnis zugunsten des Beauftragten/geschäftsführenden Gesellschafters fingiert, wenn dieser das Erlöschen seiner Befugnis weder kannte noch kennen musste. Nach § 168 gilt dann auch die Vollmacht weiter. Hiervon macht § 169 eine Ausnahme. Die Vollmacht, deren Fortbestand auf dieser Fiktion beruht, gilt nicht zugunsten eines Dritten, der bei Vornahme des Geschäfts das Erlöschen der Vollmacht kannte oder kennen musste, dh, wenn er wusste oder wissen musste, dass im Falle des§ 674 der Auftrag erloschen, im Falle des § 729 die Gesellschaft aufgelöst ist (Staud/Schilken Rn 3). Der Vertreter handelt dann ohne Vertretungsmacht. Wegen § 179 III 1 haftet er dem Dritten nicht. 2. Anwendungsbereich. Der Fortbestand einer Außenvollmacht gem §§ 170–172 gilt nicht, wenn der Dritte das 2 Erlöschen der Vollmacht kannte oder kennen musste, § 173. Für § 169 ist daneben kein Raum; er kommt daher nur bei reinen Innenvollmachten zur Anwendung.

§ 170

Wirkungsdauer der Vollmacht

Wird die Vollmacht durch Erklärung gegenüber einem Dritten erteilt, so bleibt sie diesem gegenüber in Kraft, bis ihm das Erlöschen von dem Vollmachtgeber angezeigt wird. 1. Bedeutung. Die Vorschrift dient dem Schutz des gutgläubigen (s § 173) Dritten, der auf den (Fort-)Bestand einer ihm ggü erklärten Vollmacht (Außenvollmacht; § 167 Rn 2) vertraut. 2. Voraussetzungen. Nach hL muss eine wirksam erteilte Außenvollmacht vorgelegen haben. Ist die Erteilung der Außenvollmacht nicht wirksam, so soll § 170 nicht – auch nicht analog – anwendbar sein; (MüKo/Schubert Rn 6f mwN; aM Staud/Dilcher12 Rn 3 und bis zur 65. Aufl Pal/Ellenberger Rn 1). Das widerspricht der hM zu Maier-Reimer

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§§ 171, 172 (s § 172 Rn 9). Nach der hL ist der Dritte (durch § 171) geschützt, wenn der Geschäftsherr ihm anzeigt, er habe den Vertreter bevollmächtigt, aber nicht geschützt, wenn er ihm schreibt, er bevollmächtige den Vertreter – und die Vollmacht in beiden Fällen zB wegen eines Formmangels nichtig ist. Gegen eine solche Differenzierung mit Recht Staud/Coing11 Rn 3; Flume § 49, 2 (S 828: „völlig abwegig“). Wie bei §§ 171, 172 sollte darauf abgestellt werden, ob ein zurechenbarer Rechtsschein gesetzt wurde (§ 172 Rn 1). I Erg ist deshalb danach zu differenzieren, ob die Nichtigkeit auf den §§ 104ff, 116ff beruht (dann gilt § 170 nicht) oder auf anderen Gründen (dann gilt § 170); s § 171 Rn 3 und § 172 Rn 5, 9. Der Dritte muss von der Vollmacht Kenntnis erlangt haben (teleologische Reduktion – MüKo/Schubert Rn 6 mwN). Ist die Vollmacht wirksam und noch in Kraft, besteht die Vertretungsmacht bereits nach § 167. 3. Wirkungen. Die Außenvollmacht bleibt dem gutgläubigen (§ 173) Empfänger ggü in Kraft, bis ihr Erlöschen dem Dritten angezeigt worden ist; die „diskrete Andeutung“ einer Veränderung der Vertreterstellung reicht als Anzeige in diesem Sinne nicht aus (Frankfurt NJOZ 2006, 4743, 4745ff). Die Anzeige ist eine geschäftsähnliche Handlung (Einl § 104 Rn 7); sie wird wirksam mit ihrem Zugang beim Geschäftsgegner. Die Wirkung entfällt oder endet, wenn der Empfänger aus anderen Gründen das Erlöschen der Vollmacht kennt oder kennen muss (§ 173). Nach der hier vertretenen Auffassung (Rn 2) gilt ggf auch die – zB wegen Formmangels – nichtige Vollmacht zugunsten des gutgläubigen Dritten. 4. § 170 gilt entspr bei späteren inhaltlichen Beschränkungen der Vollmacht (RG JW 1915, 998, 999). 5. Bei Insolvenz des Vollmachtgebers hat § 117 InsO Vorrang vor § 170 (MüKo/Schubert Rn 8). 6. Die Beweislast für die Erteilung der Außenvollmacht trifft denjenigen, der Rechte gegen den Vertretenen geltend macht. Der Vertretene muss die Voraussetzungen einer wirksamen Erlöschensanzeige oder der Bösgläubigkeit beweisen.

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Wirkungsdauer bei Kundgebung

(1) Hat jemand durch besondere Mitteilung an einen Dritten oder durch öffentliche Bekanntmachung kundgegeben, dass er einen anderen bevollmächtigt habe, so ist dieser aufgrund der Kundgebung im ersteren Falle dem Dritten gegenüber, im letzteren Falle jedem Dritten gegenüber zur Vertretung befugt. (2) Die Vertretungsmacht bleibt bestehen, bis die Kundgebung in derselben Weise, wie sie erfolgt ist, widerrufen wird. 1. Bedeutung. Die Vorschrift behandelt die Kundgabe der Bevollmächtigung eines anderen nicht als Außenvollmacht (§§ 167 I Alt 2, 170), aber stellt sie in den Wirkungen einer Außenvollmacht gleich. Nach hM ergibt § 171 eine normierte Rechtsscheinsvollmacht, die Vorbild für das allg Institut der Rechtsscheinsvollmacht (dazu § 167 Rn 9ff) sein soll (MüKo/Schubert § 167 Rn 89, § 170 Rn 2f). Relevant wird § 171 danach nur, wenn die (kundgegebene) Innenvollmacht tatsächlich nicht (mehr) besteht. Nach aM (Flume § 49, 2 [a] und [c] sowie § 51, 9) ist die Kundgabe als solche (Außen-)Vollmacht (differenzierend Staud/Schilken Rn 3; Wolf/Neuner § 50 Rn 69). Auch nach der ersteren Auffassung ist die Kundgabe geschäftsähnliche Handlung, für welche die §§ 104ff, 116ff gelten (Soergel/Leptien Rn 4; MüKo/Schubert Rn 7, 9). Der Streit hat deshalb wenig praktische Relevanz. Zur Anwendung der §§ 171ff im Falle einer wegen Verstoßes gegen § 3 RDG nichtigen Vollmacht, insb beim Vertrieb von Kapitalanlagen, § 172 Rn 10. 2. Voraussetzungen. Der Geschäftsherr muss ggü einem Dritten oder ggü der Öffentlichkeit die Erteilung einer Vollmacht kundgegeben haben. Darauf, ob überhaupt eine Innenvollmacht erteilt wurde, ob diese (noch) wirksam ist und ob sie den Umfang der kundgegebenen Vollmacht hat oder hatte, kommt es nicht an (Staud/Schilken Rn 7; MüKo/Schubert Rn 15; RG 108, 127). a) Die Mitteilung an einen Dritten (also an einen anderen als den Bevollmächtigten selbst) kann schriftlich oder mündlich, ausdr oder konkludent erfolgen. Sie muss ggü dem Dritten den Willen zur Kundgabe zum Ausdruck bringen und für den Empfänger die Person des Bevollmächtigten und den Inhalt der Vollmacht hinreichend deutlich erkennen lassen. Sie kann auch durch einen gemäß § 172 legitimierten Vertreter erfolgen (Soergel/Leptien Rn 3), aber nicht mündlich durch den Bevollmächtigten selbst (MüKo/Schubert Rn 8). Die Erklärung ggü dem Dritten ist nach hM keine Willenserklärung (s Rn 1), aber geschäftsähnliche Handlung. Die §§ 104ff finden grds Anwendung (BGH 65, 13; NJW 1977, 622, 623; MüKo/Schubert Rn 7,9). Der Kundgebende muss also voll geschäftsfähig sein oder als beschränkt Geschäftsfähiger mit Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters handeln. Fehlt das Bewusstsein einer Vollmachtskundgabe, so liegt gleichwohl eine wirksame Erklärung vor (Vor § 116 Rn 4, 15ff). b) Öffentliche Bekanntmachung ist die Kundgabe in einer einem nicht begrenzten Personenkreis zugänglichen Weise, zB durch Zeitungsanzeige, öffentlichen Aushang. Ob die Anmeldung zur Eintragung in ein öffentliches Register genügt (für das Handelsregister bejahend RG 133, 229, 233; für das Gewerberegister verneinend Hamm NJW 1985, 1846, 1847), ist für das Handelsregister seit 1969 wegen des (heute) weiterreichenden Schutzes nach § 15 I, III HGB irrelevant; s auch § 174 Rn 9. c) Notwendig ist nach hM wie in § 170 (dort Rn 2) immer Kenntnis von der Kundgabe; der bloße Zugang genügt nicht, begründet jedoch die Vermutung der Kenntnis (MüKo/Schubert Rn 13 mwN).

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Vertretung und Vollmacht

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3. Folge des Abs I. Der als Vertreter Benannte ist trotz Fehlens, Wegfalls oder Beschränkung der Innenvollmacht ggü dem Kundgabeempfänger, bei öffentlicher Kundgabe ggü jedem, der von der Kundgabe Kenntnis hat, zur Vertretung befugt, jedoch dem Umfang nach nur nach Maßgabe der Kundgabe und nur unter der Voraussetzung des guten Glaubens (§ 173). Erfolgt die Kundgabe nach Abschluss des Vertretergeschäfts, so wirkt sie nicht zurück (RG 104, 358, 360), kann aber uU als Genehmigung ausgelegt werden. 4. Willensmängel. Die Kundgabe kann als geschäftsähnliche Handlung wie eine externe Vollmacht angefochten werden (MüKo/Schubert Rn 9; Soergel/Leptien Rn 4; aM Erman/Palm12 Rn 3; zur Anfechtung der externen Vollmacht nach deren Gebrauch § 167 Rn 44ff). Unbeachtlich ist aber ein Irrtum darüber, ob eine Innenvollmacht erteilt war, wie auch ein Irrtum über die Wirkung der Kundgabe (MüKo/Schubert Rn 9; Soergel/Leptien Rn 4; Staud/Schilken Rn 9). 5. Widerruf. Die Wirkung der Kundgabe endet mit deren Widerruf (Abs II). Dieser muss „in derselben Weise“ wie die Kundgabe erfolgen. „In derselben Weise“ bezieht sich nicht auf die Form, sondern auf die Alternative: Kundgabe ggü einem bestimmten Dritten oder durch öffentliche Bek (MüKo/Schubert Rn 16f). Im letzteren Fall muss der Widerruf in möglichst gleichartiger Bek erklärt werden, so dass er ungefähr demselben Personenkreis bekannt wird. Die Kundgabewirkung endet in diesem Fall, sobald für den Adressatenkreis die Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht. Der gleichwohl noch Gutgläubige wird nicht mehr geschützt. Die durch Mitteilung an mehrere Dritte oder durch öffentliche Bek kundgegebene Vollmacht kann einem Einzelnen ggü auch durch besondere Mitteilung an ihn entkräftet werden; mit Zugang des Widerrufs entfällt dann die Kundgabewirkung mit Wirkung ggü dem Widerrufsempfänger (Staud/Schilken Rn 10; aM Flume § 51, 9, der diesen Fall nach § 173 löst). 6. Beweislast. Für die Kundgabe ist derjenige beweispflichtig, der Rechte gegen den Vertretenen geltend macht; demgegenüber muss der Vertretene den Widerruf der Kundgabe beweisen. Zu dem nach § 29 GBO erforderlichen Nachw ggü dem Grundbuchamt, dass kein Widerruf erfolgt ist, Köln DNotZ 1984, 569, 571.

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Vollmachtsurkunde

(1) Der besonderen Mitteilung einer Bevollmächtigung durch den Vollmachtgeber steht es gleich, wenn dieser dem Vertreter eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt hat und der Vertreter sie dem Dritten vorlegt. (2) Die Vertretungsmacht bleibt bestehen, bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt wird. 1. Bedeutung. Die Vorschrift behandelt es als einen Sonderfall der Vollmachtskundgabe (§ 171), wenn dem Bevollmächtigten eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt und von diesem dem Geschäftspartner vorgelegt wird. Damit wird auch die Vollmachtsurkunde nicht als Außenvollmacht behandelt, aber durch die Verweisung auf § 171 in ihren Wirkungen einer Außenvollmacht gleichgestellt (s § 171 Rn 1). Die dem Bevollmächtigten ausgehändigte Vollmachtsurkunde ist als solche Innenvollmacht. Wirkung entfaltet die Vorschrift nur, wenn die Vollmacht nicht oder nicht mehr wirksam ist (dazu Rn 8ff). Die Vorschrift schützt dann den gutgläubigen (§ 173) Dritten. Grundlage des Schutzes ist der zurechenbare Rechtsschein (hM; BGH NJW 2003, 2091, 2092; MüKo/Schubert Rn 1; aM Flume § 49, 2, der wie bei der Vollmachtskundgabe Außenvollmacht annimmt). 2. Anwendungsbereich. Die Vorschrift gilt nicht für die Prozessvollmacht und nicht für Vollmachten für prozessuale Handlungen wie die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung gem § 794 I Nr 5 ZPO (BGH 154, 283; krit Paulus/Henkel NJW 2003, 1692). Wenn allerdings aufgrund der nichtigen Vollmacht gem § 172 wirksam ein Darlehensvertrag für den Vollmachtgeber abgeschlossen wurde, der den Vollmachtgeber zur Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung verpflichtet, kann dieser sich nicht darauf berufen, dass die Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung mangels wirksamer Vollmacht nichtig ist (BGH NJW 2004, 59; 2006, 2118, 2119). Die Vorschrift gilt auch nicht für die Vorlage der Bestallungsurkunde eines gesetzlichen Vertreters oder Vermögensverwalters (RG 74, 263, 267). Zur Abgrenzung von § 171 für die in einem Vertrag erteilte Vollmacht Köln DNotZ 1984, 569. 3. Voraussetzungen. Abs I setzt die Aushändigung einer Vollmachtsurkunde an den Vertreter und deren Vorlage an den Dritten voraus. a) Vollmachtsurkunde. Die Urkunde muss schriftlich abgefasst, dh vom Vollmachtgeber unterzeichnet (§ 126 I) oder notariell beurkundet (§ 126 IV) sein. Die Schriftform ist zwar nicht ausdr vorgeschrieben, ergibt sich aber aus dem Begriff der Urkunde. Elektronische Form (§ 126a) scheidet aus praktischen Gründen aus – sie käme nur als Mitteilung an den Dritten (§ 171) in Frage. Die Urkunde muss die Bevollmächtigung ausdr und eindeutig enthalten (BGH 159, 294, 302; MüKo/Schubert Rn 14). Zur Legitimation durch den Gesellschaftsvertrag einer GbR Heil NJW 2002, 2158; Staud/Schilken Rn 1; s aber auch BGH NJW 2002, 1194, 1195 sowie München NZG 2011, 1144. Im Zweifel ist die Vollmacht eng auszulegen (Köln NJW-RR 2001, 652, 653). Für die Bestellungsurkunde eines Betreuers gilt § 172 nicht (BGH FamRZ 2010, 968). Die in notarieller Urkunde einem Notariatsangestellten erteilte Vollzugs- und Grundbuchvollmacht ist idR nicht Vollmachtsurkunde, sondern urkundlich bewiesene mündliche Bevollmächtigung, Köln MittRhNotK 1983, 209; Brandenburg NotBZ 2012, 133. b) Aushändigung. Die Vollmachtsurkunde ist ausgehändigt, wenn sie von dem Vollmachtgeber bewusst in Verkehr gebracht wird. Das kann durch Übergabe, Versand oder Anweisung an den beurkundenden Notar zur Auslieferung einer Ausfertigung geschehen. Die Ausstellung sowie die Anweisung an den Notar zur AushändiMaier-Reimer

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gung von Ausfertigungen ist Willenserklärung, die Aushändigung durch Übergabe geschäftsähnliche Handlung. §§ 104ff und 116ff sind anwendbar (BGH NJW 1977, 622, 623; einschränkend MüKo/Schubert Rn 16, 17f). Die sich aus der Vorschrift ergebende Bevollmächtigung ist auch nach ihrem Gebrauch wie eine externe Vollmacht anfechtbar (dazu § 167 Rn 44ff). Im Falle eines danach beachtlichen Irrtums ist der durch die Vollmachtsurkunde geschaffene Rechtsschein nicht zurechenbar. Die Vollmachtsurkunde ist nicht ausgehändigt, wenn der in ihr Bezeichnete sie sich eigenmächtig verschafft hat, auch wenn der Aussteller die Entwendung durch fahrlässige Verwahrung ermöglicht hat (BGH 65, 13). c) Vorlage. aa) Die Urkunde muss (im Original oder, im Falle notariell beurkundeter Vollmachten, in Ausfertigung) vorgelegt werden (BGH 102, 60, 63; NJW-RR 2007, 1199, 1201). Vorlage auch beglaubigter Ablichtungen genügt nicht, denn die Ablichtung beweist nicht, dass das Original noch existiert und nicht zurückgegeben wurde. Auch die Vorlage der dem Vollmachtgeber erteilten Ausfertigung genügt (Frankfurt FGPrax 2013, 103), nicht aber die Vorlage der einem anderen Bevollmächtigten erteilten Ausfertigung (München DNotZ 2008, 844 und FGPrax 2013, 60; str; aM Pal/Ellenberger Rn 3 mN); letztere beweist nicht die Aushändigung an den Vertreter. Die Vorlage einer als Original gemeinten Durchschrift genügt (BGH NJW 2006, 1957 Rn 24). Ausreichend ist die Vorlage eines Vertragsangebots, auch ohne die darin in Bezug genommene „Stammurkunde“, wenn die Vollmacht in dem Angebot klar genug und nicht von der Annahme abhängig ist (BGH NJW 2005, 668, 669); ist sie durch die Annahme bedingt, so genügt zu deren Nachw die Vorlage einer beglaubigten Abschrift (Stuttgart WM 2007, 1121). Vorlage bedeutet die Ermöglichung „unmittelbarer sinnlicher Wahrnehmung“ (BGH 76, 76, 78; 102, 60, 63). Dass der Dritte Einsicht in die Urkunde nimmt, ist nach zutr hM nicht erforderlich (BGH 76, 76, 78; 102, 63; Staud/Schilken Rn 3). AM Erman/Palm12 Rn 9 unter Hinw auf die gegenteilige hM zu § 171 (§ 171 Rn 5); dort geht es jedoch um Kenntnis von der Existenz der Kundgabe, hier um den Inhalt. Es genügt, wenn bei gleichzeitiger Anwesenheit die Vollmacht dem beurkundenden Notar vorgelegt wird (RG 97, 273, 275) oder wenn bei einseitigen Urkunden dem Notar die Vollmacht vorgelegt wird und dieser dies in seiner Urkunde festhält und der Urkunde eine beglaubigte Abschrift der Vollmacht beifügt (BGH NJW 2006, 2118, 2119f; NJW-RR 2007, 1199, 1201; s § 12 BeurkG), anders noch BGH 102, 60, 63, der hier Rechtsscheinsvollmacht annimmt – durch die neuere Rspr überholt (§ 167 Rn 34). Nach hM (BGH 76, 76, 78; Köln WM 2000, 2139, 2141; Soergel/ Leptien Rn 4; Staud/Schilken Rn 3) genügt es, wenn in dem beurkundeten Vertretergeschäft auf die Vollmacht Bezug genommen wird und der Notar auch die Vollmacht beurkundet hat, in die der bei der Beurkundung anwesende Dritte dann ohne weiteres Einsicht nehmen kann; zweifelhaft, denn der Notar hat nur die Urschrift, darf Ausfertigungen nur an Urkundsbeteiligte oder nach deren Weisung erteilen (Winkler, § 51 BeurkG Rn 8) und weiß nicht, ob der Vollmachtgeber sich die bisherigen Ausfertigungen vom Bevollmächtigten hat zurückgeben lassen (§ 172 II). bb) Die Vorlage muss an den Dritten erfolgen: Der Bevollmächtigte selbst – auch als Geschäftspartner – ist nicht Dritter (RG 104, 358, 360; BGH NJW 2012, 3424, Rn 13). Es genügt aber, wenn die Vollmacht bei Vertragsabschluss vorliegt und der Bevollmächtigte mit beiderseitiger Befreiung von § 181 auch den Dritten vertritt (BGH NJW 2005, 2983, 2985). Die Urkunde muss spätestens bei Geschäftsabschluss vorgelegt werden (RG 104, 358, 360), eine Vollmacht zur Aufnahme eines Darlehens vor Abschluss des Vertrags (BGH NJW 2008, 3355), aber auch vor – ggf vorgezogener – Auszahlung des Darlehens (München WM 2009, 217, 219). Dafür soll Vorlage nach Absendung, aber vor Zugang der Annahmeerklärung genügen, BGH NJW-RR 2012, 622 Rn 22ff iVm Rn 3; krit Maier EWiR 2012, 169. Ist die Urkunde vor Geschäftsabschluss vorgelegt worden, so genügt Bezugnahme auf sie; nochmalige Vorlage bei Geschäftsabschluss ist nicht erforderlich, jedoch trägt der Dritte dann das Risiko einer zwischenzeitlichen Beendigung der Wirkung gem § 172 II. 4. Rechtsfolge. Die ausgehändigte und vorgelegte Vollmachtsurkunde wirkt als Vollmachtkundgabe an den Dritten. Dessen guter Glaube (§ 173) an die Entstehung, den Fortbestand und den Umfang der Vollmacht gem der Urkunde wird damit geschützt. Der Schutz gilt auch ggü einem (erfolgten oder noch möglichen) Widerruf der in einem Haustürgeschäft erteilten Vollmacht (§ 312; früher § 1 HausTWG – BGH 144, 223, 230f). a) Der Schutz des § 172 I gilt auch für von Anfang an unwirksame Vollmachten (RG 108, 125, 127; BGH NJW 1985, 730). Auf den Grund der Unwirksamkeit kommt es nicht an (BGH NJW 2005, 820, 823), sofern er nicht – zB wegen Geschäftsunfähigkeit oder eines Willensmangels – die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins ausschließt (s Rn 5). Der Schutz gilt auch, wenn der Bevollmächtigte von dem Geschäftspartner ausgewählt ist (BGH NJW 2005, 2983; 2008, 1585). b) Der Schutz gilt auch für eine Vollmacht, die wegen Verstoßes gegen § 3 RDG nichtig ist (BGH 167, 223; NJW 2008, 1585 jew XI. ZS) sowie NJW 2005, 2983 (V. ZS). Dann entfällt nicht etwa bereits der Tatbestand des § 172 (aM Celle NJOZ 2005, 1140, 1142 und Karlsruhe NJW 2003, 2692; aufgehoben durch BGH NJW 2005, 1190). Der Schutz gilt auch zugunsten des Initiators des Projekts (BGH NJW 2008, 1585), aM der nicht mehr zuständige II. ZS zB BGH 159, 294; dazu Goette DStR 2006, 1009. Zur Frage einer Rechtsscheinsvollmacht in diesen Fällen § 167 Rn 34f, zur Genehmigung § 177 Rn 14f. c) Zur Relevanz von Willensmängeln s Rn 5 sowie § 171 Rn 7 und § 167 Rn 44ff. 5. Beendigung der Wirkungen der Vollmachtsurkunde erfolgt gem Abs II durch Rückgabe der Vollmachtsurkunde an den Vollmachtgeber oder einen von ihm Beauftragten oder durch Kraftloserklärung (s auch Rn 15). a) Rückgabe iSd Abs II ist Besitzerlangung durch den Vollmachtgeber oder dessen Besitzdiener oder -mittler mit Willen des Bevollmächtigten (MüKo/Schubert Rn 26; Staud/Schubert Rn 26). Hat sich der Vollmachtgeber 516

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Vertretung und Vollmacht

§ 173

die Urkunde ohne Willen des Bevollmächtigten verschafft, ist zwar keine Vorlage mehr möglich, die Wirkung einer bereits erfolgten Vorlage (Rn 7) bleibt aber bis zu einer Erlöschensanzeige (Rn 15) oder Kraftloserklärung (§ 176) bestehen. Der befugten Rückgabe/Rücknahme ist die nachträgliche Genehmigung der unbefugten Aneignung gleichzusetzen. Bei Aushändigung mehrerer Vollmachtsurkunden ist die Rückgabe sämtlicher Urkunden erforderlich. b) Die Kraftloserklärung erfolgt nach Maßgabe des § 176. c) Über die in Abs II genannten Tatbestände hinaus kann der durch Aushändigung der Vollmachtsurkunde geschaffene Rechtsscheinstatbestand auch durch Erlöschensanzeige oder Widerruf beseitigt werden, jedoch nur mit Wirkung ggü dem einzelnen Erklärungsempfänger (hM; Soergel/Leptien Rn 5; Staud/Schilken Rn 10). Das ergibt sich bereits aus der Gleichstellung mit der Vollmachtskundgabe (§ 172 I) und § 171 II. Die Gegenmeinung (MüKo/Schubert Rn 27; Bork AT Rn 1529) verweist auf § 173, der nicht nur Zugang, sondern auch Kenntnis oder Kennenmüssen des Widerrufs voraussetzt. 6. Blanketturkunden. Der Rechtsgedanke des § 172 wird auf sog Blanketturkunden entspr angewandt, bei denen der Unterzeichner die Ausfüllung des Urkundentextes einem Dritten überlässt; der Unterzeichner trägt dann das Risiko des Missbrauchs (BGH 40, 65; 40, 297, 305; 113, 48; sowie für den Fall einer Blankobürgschaft BGH 132, 119 = JZ 1997, 305 m krit Anm Pawlowski; Canaris, Die Vertrauenshaftung im dt Privatrecht, 1973, 54ff; Medicus AT Rn 913; MüKo/Schubert Rn 2ff, 17; krit G. Müller AcP 181, 515; Binder AcP 207, 155; s auch § 119 Rn 20). Für das Blankett selbst gelten zunächst dieselben Grundsätze wie für eine Vollmacht (zu § 766 BGH 132, 119; zu § 4 VerbrKrG – heute § 492 ohne dessen Abs IV – BGH NJW-RR 2005, 1141; BGH 167, 239 Rn 24). Füllt der Empfänger des Blanketts dieses aus, so ist der gutgläubige Erwerber geschützt. Voraussetzung ist eine Unterschrift; eine blanko geleistete „Oberschrift“ reicht nicht aus (BGH 113, 48). Weil nur der gutgläubige Empfänger einer vollständigen Urkunde geschützt werden soll, greift der Schutz nicht ein, wenn der Empfänger der Urkunde selbst ein Blankett ohne wirksame Vollmacht oder Ermächtigung ergänzt, mag er auch auf die Wirksamkeit seiner Befugnis vertrauen (BGH 132, 119; dazu s auch § 167 Rn 6). Die anzunehmende Ermächtigung deckt nur die erste Ausfüllung des Blanketts (Saarbrücken NJW-RR 2001, 993, 994). Die gleichen Grundsätze gelten, wenn eine Vollmacht ihrerseits als Blankett ausgestellt ist. 7. Beweislast. Wer sich auf die Rechtswirkungen des § 172 beruft, hat die Echtheit der Vollmachtsurkunde und deren Vorlegung durch den Vertreter zu beweisen. Der Vertretene hat die Beweislast dafür, dass er die Urkunde nicht ausgehändigt hat und dass die Vollmachtsurkunde an den Vertretenen zurückgegeben, für kraftlos erklärt oder widerrufen worden ist. Zur Beweislast für die Bösgläubigkeit des Geschäftsgegners s § 173 Rn 10.

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Wirkungsdauer bei Kenntnis und fahrlässiger Unkenntnis

Die Vorschriften des § 170, des § 171 Abs. 2 und des § 172 Abs. 2 finden keine Anwendung, wenn der Dritte das Erlöschen der Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts kennt oder kennen muss. 1. Grundgedanke. Die §§ 170–172 schützen das Vertrauen in eine (so) nicht oder nicht mehr bestehende Vertretungsmacht. Diesen Schutz verdient nicht, wer weiß oder wissen muss, dass die Vertretungsmacht nicht oder nicht mehr besteht. 2. Der Anwendungsbereich der Vorschrift entspricht demjenigen der §§ 170–172. Diese gelten über ihren Wortlaut hinaus auch, wenn die Vollmacht von vornherein unwirksam ist (§ 170 Rn 2, 3; § 171 Rn 2, 6; § 172 Rn 8ff). Entsprechend wird nach allg M über den Wortlaut hinaus dem Dritten der Schutz versagt, wenn er weiß oder wissen muss, dass die Vollmacht von vornherein nicht bestand oder erloschen ist oder das Geschäft nicht (mehr) deckt (RG 108, 125; BGH 102, 60, 66; NJW 1985, 730; MüKo/Schubert Rn 1; Staud/Schilken Rn 6f). 3. Voraussetzungen. a) Die §§ 170–172 gelten nicht, wenn der Dritte das Erlöschen der Vertretungsmacht kennt oder kennen muss. Das Gesetz setzt im unmittelbaren Anwendungsbereich also voraus, dass die Vertretungsmacht erloschen ist, während nach §§ 170, 171 II, 172 II die Vertretungsmacht bestehen bleibt. Aus § 173 folgt: Das Gesetz geht auch in den Fällen der §§ 170–172 von dem Erlöschen der Vertretungsmacht (durch internen Widerruf) aus, fingiert aber den Fortbestand zugunsten des gutgläubigen Dritten (s Bork Rn 1522 iVm Rn 1517). Die subjektiven Voraussetzungen des § 173 bei dem Dritten beziehen sich also auf die wahre Lage entgegen dem Rechtsschein und der darauf basierenden Fiktion. b) Kennen oder Kennenmüssen. Vorausgesetzt ist, dass der Dritte weiß oder wissen muss, dass die Vertretungsmacht erloschen ist oder von vornherein nicht bestand oder das Geschäft nicht umfasst. Es genügt nicht, dass er die dafür maßgeblichen Umstände kennt oder kennen muss (BGH 161, 15, 30; NJW 2008, 1585, 1588). Kenntnis verlangt nicht, dass das Erlöschen aus der Vollmachtsurkunde ersichtlich ist (BGH NJW-RR 1988, 1320). Kennenmüssen ist jede fahrlässige Unkenntnis (§§ 122 II, 276; s aber Rn 6). Im Interesse des Verkehrsschutzes besteht zwar keine allg Nachprüfungspflicht (BGH 144, 223, 230; 167, 223 Rn 29); anderes gilt jedoch, wenn sich aus der Urkunde selbst und/oder den Gesamtumständen für den Dritten berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit oder am Fortbestand der Vollmacht ergeben (RG 108, 125; BGH NJW 2008, 845, Rn 17 – Formnichtigkeit aufgrund verlautbarter Unwiderruflichkeit). Rechtlichen Bedenken, die gegen die Wirksamkeit der Vollmacht sprechen, darf sich der Vertragspartner nicht verschließen. Fahrlässig ist die Unkenntnis nur, wenn der Dritte den Schluss ziehen musste, die Vollmacht sei nicht (mehr) wirksam (BGH NJW 2005, 668, 669). Dabei sind an eine Bank, die über rechtlich versierte Fachkräfte verfügt, strengere Sorgfaltsanforderungen zu stellen als an eiMaier-Reimer

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nen juristisch nicht vorgebildeten Durchschnittsbürger (BGH NJW 2005, 668; 2005, 1190). Der Darlehensgeber, der auf eine im Strukturvertrieb von Kapitalanlagen erteilte Vollmacht vertraut, muss nicht prüfen, ob der vertretene Darlehensnehmer hinreichend belehrt wurde (BGH NJW 2000, 2270, 2271). Die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis seiner Hilfspersonen muss sich der Geschäftsgegner zurechnen lassen (§ 166 Rn 16, 27ff). Zur Prüfungspflicht einer Bank bei Abhebung von einem Girokonto durch einen Vertreter BGH MDR 1953, 345; WM 1958, 871, 872. Nach zT vertretener Meinung entfällt der Schutz der §§ 170–172 wie beim Missbrauch tatsächlicher Vertretungsmacht (§ 167 Rn 75) nur bei Evidenz des Mangels der Vertretungsmacht (Flume § 50, 2) oder der Zweifel daran (Staud/Schilken Rn 2), oder nur bei Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Mangels (MüKo/ Schubert Rn 4). Der Wortlaut iVm § 122 II ist aber eindeutig: jede Fahrlässigkeit genügt (wie hier Soergel/Leptien Rn 3, der aber die praktische Relevanz der Frage bezweifelt). § 173 gilt auch, wenn der Dritte weiß oder wissen muss, dass die Vollmacht angefochten werden kann (§ 142 II; BGH NJW 1989, 2879 und 2881). Mit der Nichtigkeit der Vollmacht wegen neuer, noch ungeklärter Rechtsfragen braucht auch eine Bank jedenfalls dann nicht zu rechnen, wenn die Vollmacht notariell beurkundet ist (BGH NJW 1985, 730, 731). Zur Nichtigkeit der Vollmacht aufgrund geänderter Rspr (§ 3 RDG) s BGH NJW 2005, 1190; BGH 161, 15, 31. c) Nach dem Gesetzeswortlaut ist maßgeblich der Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts. Ob es dabei auf die Vornahme des Rechtsgeschäfts als Erklärender oder Empfänger durch den Vertreter oder durch den Dritten oder auf die Vollendung des Gesamtgeschäfts ankommt, ist strittig. Richtigerweise ist der Zeitpunkt maßgebend, zu dem die Vertretungsmacht bestehen muss, also der Zugang (§ 130 I 2) der Erklärung des Vertreters oder (bzgl der Empfangsvollmacht) der Erklärung des Dritten bei ihm (Staud/Schilken Rn 8; MüKo/Schubert Rn 8; wohl auch Bous Rpfl 2006, 357, 360f, der aber durch Einbeziehung des Zeitpunkts der Vorlage der Vollmachtsurkunde (§ 172) differenziert. Die Gegenmeinung stellt auf den Abschluss des Gesamtgeschäfts ab (Soergel/Leptien Rn 3; BaRo/Schäfer Rn 6, 7), bei mehraktigen Verfügungsgeschäften (Übereignung) sogar auf den spätesten Akt (BaRo/Schäfer Rn 7; Wacke GreifRecht 2012, 1, 4). Es geht jedoch nicht um den guten Glauben an die Rechtsinhaberschaft, sondern an die Vertretungsmacht. Das Verständnis der §§ 170–172 als Rechtsscheinstatbestände spricht für die Maßgeblichkeit der Vollendung des rechtsgeschäftlichen Gesamttatbestands, bei zweiseitigen Rechtsgeschäften also des Vertragsabschlusses. Die Gleichstellung der nur kraft Rechtsscheins bestehenden und der tatsächlich bestehenden Vollmacht hat jedoch Vorrang, zumal auch das Vertrauen auf den Bestand eines bindenden Angebots des rechtsscheinslegitimierten Vertreters schutzwürdig ist. 4. Folge. Die (Fortdauer der) Vertretungsmacht, die sich aus §§ 170–172 ergibt, wirkt nicht ggü dem bösgläubigen Geschäftsgegner. Der Vertreter haftet dem Geschäftsgegner nicht wegen vollmachtsloser Vertretung (§ 179 III S 1). Der Genehmigung des Vertretergeschäfts gem § 177 steht die Vorschrift nicht entgegen. 5. Zur entspr Anwendung bei anfänglicher Nichtigkeit der Vollmacht s Rn 2. Hins der allg Rechtsscheinsvollmacht (§ 167 Rn 9ff) bedarf es der Vorschrift nicht, weil es schon an dem Rechtsscheinstatbestand fehlt, wenn der Dritte weiß oder wissen muss, dass die Vollmacht nicht (mehr) besteht. Beweislast. Wer die Kenntnis oder das Kennenmüssen auf Seiten des Geschäftsgegners behauptet, muss entspr Tatsachen beweisen.

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Einseitiges Rechtsgeschäft eines Bevollmächtigten

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte. 1. Zweck und Bedeutung. Wer mit einem Vertreter einen Vertrag abschließt, kann selbst entscheiden, ob er den Vertragsschluss vom Nachw der Vertretungsmacht abhängig macht. An einem einseitigen Rechtsgeschäft, das der Vertreter namens des Geschäftsherrn vornimmt, ist der andere dagegen nur passiv als Adressat beteiligt. Deshalb gibt ihm § 174 das Recht, das Rechtsgeschäft zurückzuweisen, wenn die Vertretungsmacht nicht nachgewiesen ist, um ihm dadurch Gewissheit zu verschaffen. Besondere Bedeutung erlangt dies für fristgebundene Geschäfte wie zB die Kündigung. Die Mehrzahl der entschiedenen Fälle betrifft deshalb Kündigungen von Arbeitsverhältnissen. Entspr oder vergleichbare Regelungen enthalten die §§ 111 S 2, 3, 182 III, 1831 S 2. Nach diesem Zweck muss das Zurückweisungsrecht immer dann bestehen, wenn der Dritte keinen Schutz durch die §§ 170–172 hat. Entspr sind die einzelnen Voraussetzungen auszulegen. 2. Anwendungsbereich. a) Sachlicher Anwendungsbereich. Unmittelbar anwendbar ist die Vorschrift auf einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen eines Stellvertreters, nicht dagegen auf streng einseitige Rechtsgeschäfte“ (Einl § 104 Rn 15). Entspr anwendbar ist die Vorschrift auf mündlich durch einen Boten übermittelte Erklärungen (BGH NJW-RR 2007, 1705 Rn 19; MüKo/Schubert Rn 4). Ebenso auf geschäftsähnliche Handlungen, die von einem Vertreter vorgenommen werden, wie Mahnung (BGH NJW 1983, 1542), wettbewerbsrechtliche Abmahnung (Düsseldorf GRUR Prax 2009, 23; MüKo/Schubert Rn 5; str; anders, wenn die Abmahnung mit dem Angebot einer Unterwerfungsvereinbarung verbunden ist, BGH GRUR 2010, 1120, Rn 12ff), Mieterhöhungsverlangen nach §§ 558ff (Hamm NJW 1982, 2076 zu § 2 MHG aF), Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung gesetzlicher Ausschlussfristen (BGH NJW 2001, 289; zweifelnd MüKo/Schubert Rn 7), Ausübung eines 518

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Vertretung und Vollmacht

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aktienrechtlichen Bezugsrechts (KG AG 2006, 201). Nach hL gilt § 174 entspr auch für die Annahme des Vertragsangebots unter Abwesenden (BGH NJW-RR 2007, 1705, Rn 19; Soergel/Leptien Rn 7; unklar MüKo/Schubert Rn 3; aM Bork Rn 1532), richtigerweise jedoch nur, wenn das Angebot nicht ggü demselben Vertreter gemacht war (Staud/Schilken Rn 2, unklar MüKo/Schubert Rn 3); wer ein Vertragsangebot an einen Vertreter abgibt, ist bzgl dieses Vertreters nicht in der in § 174 vorausgesetzten Lage. Nicht anwendbar ist § 174 auf die Geltendmachung von Reisemängelansprüchen (§ 651g I 2), auch nicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung tariflicher Ausschlussfristen (BAG NJW 2003, 236; Staud/Schilken Rn 2; s aber Soergel/Leptien Rn 4) auf die Einleitung der Anhörung des Betriebsrats gem § 102 BetrVG (BAG NZA 2013, 669, Rn 70ff gegen LAG BadenWürttemberg 20.3.2012 – 20 Sa 47/11, Rn 82ff) und auf die von einem RA im gesetzlichen Umfang einer Prozessvollmacht abgegebene Erklärung (BGH NJW 2003, 963, 964); zu weit jedenfalls Köln FamRZ 2003, 940. b) Persönlicher Anwendungsbereich. Nicht anwendbar ist die Vorschrift auf einseitige Rechtsgeschäfte von gesetzlichen Vertretern (RG 74, 263; Düsseldorf NJW-RR 1993, 470; BAG NZA 2007, 377, Rn 39f; 2008, 471, Rn 26; Staud/Schilken Rn 6; MüKo/Schubert Rn 12; s aber § 1831 S 2) oder des Insolvenzverwalters (LAG SchlHolst 5.2.2013 – 1 Sa 299/12). Sie sind nicht Bevollmächtigte. Ebenso nicht auf Geschäfte organschaftlicher Vertreter, deren Vertretungsmacht sich aus öffentlichen Registern ergibt (BGH NJW 2002, 1194; MüKo/Schubert Rn 12). Mangels Registerpublizität ist § 174 analog anwendbar auf den WEG Verwalter (BGH NJW 2014, 1587, dazu EWiR 2014, 557 [Heinze] und die Vertretung einer GbR, wenn sie nicht durch alle Gesellschafter vertreten wird (BGH NJW 2004, 1194). Haben organschaftliche Gesamtvertreter einen von ihnen zur Einzelvertretung ermächtigt (§ 167 Rn 58), so ist die Vorschrift hins dieser Ermächtigung anwendbar (BAG NJW 1981, 2374; 1999, 445). Zu Erklärungen von Prokuristen s Rn 9. Die Bevollmächtigung des Gesellschafters einer GbR durch diese soll durch Vorlage des Gesellschaftsvertrags nachgewiesen werden können (BGH NJW 2002, 1194; dazu K. Schmidt JuS 2002, 710; Wertenbruch DB 2003, 1099; s auch Heil NJW 2002, 2158); zum Nachweis der Vertretung einer Anwaltssozietät s Henssler/Michel NJW 2015, 11. Wird eine Willenserklärung durch Gerichtsvollzieher zugestellt, so muss nicht der Zustellungsauftrag, wohl aber die Vollmacht zur Abgabe der zugestellten Erklärung im Original mit zugestellt werden (BGH NJW 1981, 1210). 3. Zurückweisungsrecht. Der Adressat kann das Rechtsgeschäft zurückweisen, wenn ihm keine Vollmachtsurkunde vorgelegt wird (S 1) und der Vollmachtgeber ihn nicht von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hat (S 2). Hat ihm der Vertreter die Vollmachtsurkunde vorgelegt oder hat ihm der Vertretene die Bevollmächtigung mitgeteilt, so kann der Vertretene einen etwaigen Vertretungsmangel gem §§ 170–172 ggü dem gutgläubigen Dritten (§ 173) nicht geltend machen. Die Voraussetzungen des Zurückweisungsrechts sind so zu verstehen, dass das Zurückweisungsrecht grds immer dann und nur dann besteht, wenn die Voraussetzungen der §§ 170–172 nicht erfüllt sind. a) Keine Vorlage der Vollmachtsurkunde. Die Vollmachtsurkunde ist im Original (oder in Ausfertigung) vorzulegen. Abschriften oder beglaubigte Abschriften genügen nicht (BGH NJW 2001, 289 – hins des Anwendungsbereichs durch § 651g I 2 überholt). Anders als nach § 172 genügt es auch nicht, wenn die Vollmachtsurkunde früher einmal vorgelegt war – denn dadurch ist der Adressat nicht gegen zwischenzeitliche Rückgabe geschützt (§ 172 Rn 7); dagegen genügt es, wenn die Vollmachtsurkunde früher dem Dritten übergeben wurde und noch in seinem Besitz ist; (nur i Erg ebenso BAG NJW 2016, 345 Rn 25ff, das diesen Fall über S 2 löst). Auch die Vorlage eines Telefax, mit dem die Vollmacht an den Bevollmächtigten übermittelt wurde, genügt nicht (MüKo/ Schubert Rn 15); dagegen genügt die Benachrichtigung des Dritten durch den Vollmachtgeber per Telefax den Anforderungen des § 174 S 2 (§§ 170, 171). Genügen soll auch der Hinw auf einen Link im Internet, wo die hinterlegten Vollmachten der Gesellschafter einer GbR eingesehen werden können (LG Paderborn SpuRt 2008, 124). Die vorgelegte Urkunde muss die Bevollmächtigung für dieses Geschäft eindeutig ergeben (BAG AP § 174 BGB Nr 3; Pal/Ellenberger Rn 5); dazu kann auch eine Prozessvollmacht genügen (Zöller/Vollkommer § 81 ZPO Rn 10f; s auch BGH NJW 2003, 963, 964), es soll dann auch deren Einreichung zu den Gerichtsakten als Vorlage genügen (LG Tübingen NJW-RR 1991, 972). Ist die Identität des Handelnden mit dem Bevollmächtigten wegen Unleserlichkeit der Unterschrift in dem einseitigen Rechtsgeschäft nicht eindeutig feststellbar, soll dies unschädlich sein (BAG NZA 2007, 377 Rn 51f). Handelt der Bevollmächtigte aufgrund einer Untervollmacht, ist sowohl die Hauptvollmacht als auch die Untervollmacht vorzulegen (BGH NJW 2013, 297, Rn 10). Hat der Aufsichtsrat die Kündigung eines Vorstandsvertrags beschlossen und seinen Vorsitzenden zur Erklärung der Kündigung ermächtigt, ist mit der Kündigung die Ausfertigung des Protokolls vorzulegen (Düsseldorf AG 2004, 321; dazu Bednarz NZG 2005, 418; Pusch RdA 2005, 170). Ausreichen muss die Ausfertigung eines Protokollauszugs (Pusch RdA 2005, 170, 175; aM Bauer/Krieger ZIP 2004, 1247, 1248f). b) Ist die Vollmacht erkennbar nichtig, so genügt die Vorlage nicht (§ 173), ebenso, wenn sie erkennbar anfechtbar ist, weil der Dritte in diesem Fall in seinem Vertrauen auf die Vollmacht nicht geschützt wäre (§ 173 Rn 6; Soergel/Leptien Rn 2; Staud/Schilken Rn 8; wie hier RGRK/Steffen Rn 1; unklar MüKo/Schubert Rn 17). Genügte die Vorlage der erkennbar anfechtbaren Vollmacht, so wäre der Adressat schutzlos. Dass er (gem § 122 II) auch schutzlos wäre, wenn der Geschäftsherr selbst das Rechtsgeschäft in erkennbar anfechtbarer Weise vornähme (darauf weist Staud/Schilken Rn 8 hin), ist kein Grund, solche Fälle auszuweiten, zumal über die Zwischenschaltung eines Bevollmächtigten ein weiteres Unsicherheitselement eingeführt würde. 4. Ausschluss des Zurückweisungsrechts. a) Das Zurückweisungsrecht ist ausgeschlossen, wenn der Geschäftsherr den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte (S 2). Das entspricht den §§ 170, 171 (Staud/Schilken Rn 11; s auch MüKo/Schubert Rn 22: gleichwertiger Ersatz für Vorlage der Vollmachtsurkunde). Maier-Reimer

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In Kenntnis gesetzt wird der andere durch empfangsbedürftige Willenserklärung an ihn. Die Mitteilung muss den Anforderungen an die §§ 170, 171 entsprechen, denn sonst wäre der andere in seinem Vertrauen auf die Mitteilung nicht geschützt; zur konkludenten Mitteilung Rn 9. Es genügt nicht, wenn der andere zufällig Kenntnis von der Vollmacht erlangt (allg M; Soergel/Leptien Rn 4; MüKo/Schubert Rn 22). Die Mitteilung kann auch durch einen hierzu Bevollmächtigten erfolgen (Soergel/Leptien Rn 4), freilich nur unter Vorlage seiner Vollmacht. Nach dem Wortlaut ist „Kenntnis“ erforderlich, bloßer Zugang der Mitteilung genügt deshalb nicht (§ 171 Rn 5; Soergel/Leptien Rn 4). Kenntnisnahme ist aber nicht erforderlich (LAG Köln NZA 1994, 419; Soergel/Leptien Rn 4). b) Eine besondere Form ist für die Mitteilung nicht vorgeschrieben (Staud/Schilken Rn 11). Sofern die Mitteilung nicht öffentlich oder in anderer Weise dokumentiert oder erfolgt ist, sollten für sie aber dieselben Formanforderungen gelten wie für das einseitige Rechtsgeschäft. Ist bspw für die Kündigung vertraglich die Schriftform vorgesehen, so sollte auch nur die schriftliche Mitteilung einer Kündigungsvollmacht das Zurückweisungsrecht ausschließen; andernfalls ergäbe sich aus der Beweisnot des Adressaten die Unsicherheit, die durch § 174 vermieden werden soll. c) Eine konkludente Mitteilung genügt; es genügt aber nicht, dass der Adressat Kenntnis auf anderem Wege – insb durch den Vertreter selbst (BAG NZA 2006, 980) – erlangt. Einer Bekanntgabe der Vollmacht steht es gleich, wenn dem Vertreter eine Position übertragen ist, mit der üblicherweise eine Vollmacht zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts dieser Art verbunden ist, so zB bei der Kündigung eines Arbeitsvertrags durch den Leiter der Personalabteilung eines Unternehmens, und diese Position mitgeteilt oder bekannt gemacht ist (BGH NJW 2009, 293, 294; BAG NJW 2001, 1229, 1230; LAG München MMR 2010, 497; s aber KG ZMR 2010, 181), auch wenn der Personalleiter nur Gesamtprokura hat und mit dem Zusatz „ppa“ unterschreibt (BAG NJW 2014, 3595); auch bei Kündigung eines ihm sonst gleichrangigen Abteilungsleiters durch den Personalleiter (LAG Nds NZA-RR 2004, 195) oder bei Weiterbeschäftigung des bisherigen Personalleiters durch den Insolvenzverwalter (BAG NZA 1998, 699); oder bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einer Scheinsozietät durch den die Sozietät ggü dem Angestellten führenden RA (BAG NJW 1997, 1867), allerdings immer nur, wenn der ArbN aufgrund entsprechender Information durch den Arbeitgeber den Kündigenden der jew Position unschwer zuordnen kann (BAG NZA 2011, 683 Rn 29ff). Maßgebend ist stets, welche konkrete Zuständigkeitsregelung getroffen und den Mitarbeitern bekannt gegeben worden ist (Bsp: BAG NZA 2003, 520). Weitere Einzelfälle: Referatsleiter in der Personalabteilung (nein: BAG NZA 1997, 1343), kaufmännischer Leiter oder Serviceleiter der Niederlassung eines Automobilunternehmens (nein: LAG Hessen NZA-RR 1998, 396). Gewerkschaftssekretär bei Lohnanspruch eines Arbeitsnehmers (ja; LAG Brandenburg MDR 2001, 160); RA als Sozius des Insolvenzverwalters (nein; LAG Köln ZIP 2001, 433). Auch die Eintragung der Prokura im Handelsregister und deren Bek wirkt (in den Grenzen des § 49 HGB) gem § 15 III HGB wie eine öffentliche Vollmachtkundgabe (§ 171) und schließt (in diesen Grenzen) das Zurückweisungsrecht wie bei organschaftlichen Vertretern oder nach S 2 aus; i Erg ebenso BAG NZA 2011, 683. Die Begründung des BAG mit § 15 II HGB ist freilich zweifelhaft, weil dessen Funktion in der Zerstörung von Vertrauen liegt (Ries in Röhricht/Graf v Westphalen/Haas § 15 HGB Rn 25); im Ansatz ähnlich wie BAG BGH NJW 2013, 297 Rn 13 zur nicht eingetragenen Prokura. 5. Zurückweisung. a) Die Zurückweisung muss unverzüglich, dh ohne schuldhaftes Zögern (§ 121; Bsp dazu: Hamm NJW 1991, 1185; München NJW-RR 1997, 904 – Verzögerung durch Urlaubsabwesenheit; Düsseldorf GRUR-RR 2010, 87 – Zurückweisung einer Abmahnung nach Bitte um Fristverlängerung), ggü dem Vertreter oder dem Vertretenen erklärt werden. Die Zurückweisung der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach mehr als einer Woche ist idR verspätet (BAG NZA 2012, 495, Rn 33). Die Zurückweisung muss „aus diesem Grund“ erfolgen, also – ggf im Wege der Auslegung – ergeben, dass sie auf die Nichtvorlage einer (ausreichenden) Vollmachtsurkunde gestützt wird; eine Zurückweisung aus anderen Gründen genügt nicht (BAG NJW 1981, 2374 und LAG Hessen AE 2008, 291, die freilich die Anforderungen überspannen). Die Beanstandung nach § 180 kann eine Zurückweisung nach § 174 einschließen (BGH NJW 2013, 297, Rn 9ff). Für die Zurückweisung selbst gilt § 174 ebenfalls (BAG NZA 2012, 495, Rn 27). b) Die Zurückweisung kann gegen Treu und Glauben verstoßen und unzulässig sein, wenn der Zurückweisende während einer längeren Geschäftsbeziehung die Vertreterhandlungen des anderen stets ohne Vorlage einer Vollmachtsurkunde als verbindlich anerkannt hat und kein Anhalt für die Annahme besteht, dass die Vollmacht nicht (mehr) besteht (MüKo/Schubert Rn 28; Soergel/Leptien Rn 5; s auch LAG Schl-Holst 27.1.2010 – 3 Sa 285/09); die Abgrenzung zur konkludenten Vollmachtsanzeige ist unscharf (s KG BB 1998, 607). Angesichts des Zwecks (Rn 1) kann ein Treueverstoß nur ausnahmsweise angenommen werden (zurückhaltend auch Deggau JZ 1982, 796, 797). 6. Folge der Zurückweisung. Das einseitige Rechtsgeschäft ist trotz objektiv vorhandener Vollmacht des Stellvertreters endgültig unwirksam. Eine Genehmigung durch den Vertretenen scheidet aus, da die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts nicht auf einem Fehlen der Vertretungsmacht (dazu § 180), sondern auf der Zurückweisung durch den Erklärungsempfänger mangels Nachw der Vertretungsmacht beruht. Auch der Adressat kann das Geschäft nach der Zurückweisung nicht zB durch Verzicht auf den Nachweis der Vertretungsmacht heilen (BGH NJW 2013, 297 Rn 16). 7. Beweislast. Der Vertretene hat die Voraussetzungen wirksamer Stellvertretung (Handeln des Vertreters im Namen und mit Vertretungsmacht des Vertretenen) zu beweisen, der Adressat die rechtzeitige Zurückweisung, 520

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der Vertretene trägt wiederum die Beweislast dafür, dass rechtzeitig die Vollmachtsurkunde vorgelegt oder der Erklärungsempfänger von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt war.

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Rückgabe der Vollmachtsurkunde

Nach dem Erlöschen der Vollmacht hat der Bevollmächtigte die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtgeber zurückzugeben; ein Zurückbehaltungsrecht steht ihm nicht zu. 1. Zweck und Anwendungsbereich. Mit dem Anspruch auf Rückgabe der Vollmachtsurkunde schützt die Vorschrift neben § 176 den Vollmachtgeber vor einem Missbrauch der nur kraft Fiktion (§ 173 Rn 3) fortbestehenden Vertretungsmacht (§ 172 II). Der Anspruch setzt voraus, dass die Vollmacht erloschen ist; nach dem Regelungszweck ist die Vorschrift entspr anzuwenden, wenn die Vollmacht nicht wirksam entstanden ist. Die Vorschrift ist analog auf eine Ermächtigungserklärung anzuwenden (Köln MDR 1993, 512; Soergel/Leptien Rn 4; s auch § 183 Rn 3). 2. Gläubiger des Anspruchs ist der Vollmachtgeber; Schuldner ist der Bevollmächtigte, bei entspr Anwendung des § 175 auch ein die Urkunde besitzender Dritter (hM; Soergel/Leptien Rn 4), jedenfalls, wenn er die Urkunde von dem Bevollmächtigten erhalten hat (aA Staud/Schilken Rn 5; wohl auch MüKo/Schubert Rn 4); denn auch in diesem Fall besteht die Gefahr eines Missbrauchs, beispielsweise nach Weitergabe an den Bevollmächtigten. Auf das Eigentum an der Urkunde kommt es nicht an. Hat der Schuldner ein berechtigtes Interesse am weiteren Besitz der Urkunde (zB Beweiswert, andere Erklärungen in der Urkunde), ist dem nach § 242 dadurch Rechnung zu tragen, dass die Urkunde nach Streichung oder Entwertung der Vollmachtsklausel dem Schuldner verbleibt (MüKo/ Schubert Rn 2). Entspr gilt, wenn nur einer von mehreren Vollmachtgebern die Vollmacht widerruft und die Urkunde auch die Vollmacht der übrigen Vollmachtgeber enthält (BGH NJW 1990, 507; MüKo/Schubert Rn 2). Zurückzugeben sind Urschrift und Ausfertigungen der Vollmachtsurkunde, Ablichtungen (auch beglaubigte) dagegen nicht (aM Soergel/Leptien Rn 3), denn für sie gilt § 172 II nicht (§ 172 Rn 6). Für Rückgabe durch Hinterlegung gelten §§ 372ff (KG NJW 1957, 754, 755; einschränkend MüKo/Schubert Rn 6). 3. Ein Zurückbehaltungsrecht ist auch ausgeschlossen, wenn der Rückgabeanspruch nicht auf § 175, sondern (zB wegen Verjährung) auf eine andere Anspruchsgrundlage (zB § 985) gestützt wird (MüKo/Schubert Rn 7; Staud/Schilken Rn 9). Das Zurückbehaltungsrecht des Anwalts an seinen Handakten (§ 50 III BRAO) umfasst nicht die Vollmacht (MüKo/Schubert Rn 7; Staud/Schilken Rn 8).

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Kraftloserklärung der Vollmachtsurkunde

(1) Der Vollmachtgeber kann die Vollmachtsurkunde durch eine öffentliche Bekanntmachung für kraftlos erklären; die Kraftloserklärung muss nach den für die öffentliche Zustellung einer Ladung geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung veröffentlicht werden. Mit dem Ablauf eines Monats nach der letzten Einrückung in die öffentlichen Blätter wird die Kraftloserklärung wirksam. (2) Zuständig für die Bewilligung der Veröffentlichung ist sowohl das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Vollmachtgeber seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, als das Amtsgericht, welches für die Klage auf Rückgabe der Urkunde, abgesehen von dem Wert des Streitgegenstands, zuständig sein würde. (3) Die Kraftloserklärung ist unwirksam, wenn der Vollmachtgeber die Vollmacht nicht widerrufen kann. 1. Zweck. Solange der Bevollmächtigte die Vollmachtsurkunde nicht gem § 175 herausgegeben hat, besteht weiterhin die Gefahr des Missbrauchs. Durch öffentliche Kraftloserklärung beseitigt der Vollmachtgeber die Wirkungen der Vollmachtsurkunde (§ 172 II). 2. Verfahren. a) In dem Antrag des Vollmachtgebers an das nach Abs II zuständige AG ist der wesentliche Inhalt der Urkunde näher zu beschreiben. Die materiellen Voraussetzungen (zB Erlöschen der Vollmacht) brauchen nicht dargetan zu werden; sie dürfen vom Gericht auch nicht geprüft werden (KG JW 1933, 2153). Auch für eine (noch) wirksame Vollmacht kann die Kraftloserklärung beantragt werden. Das Gericht hat dem Antrag auch stattzugeben, wenn die Vollmacht nach ihrem Wortlaut unwiderruflich ist (Soergel/Leptien Rn 2; Staud/Schilken Rn 7; s aber Rn 4). b) Die Entscheidung des Gerichts wird durch eine nach §§ 58ff FamFG mit der Beschwerde anfechtbare Verfügung getroffen. Diese wird nach §§ 185ff ZPO veröffentlicht. 3. Wirkung. Mit Ablauf eines Monats nach der letzten in der Verfügung gem §§ 186, 187 ZPO bestimmten Einrückung in die öffentlichen Blätter wird die Kraftloserklärung wirksam. Eine etwa noch wirksame Vollmacht wird unwirksam. Die Vollmachtsurkunde verliert zugleich ihre Rechtsscheinswirkung, so dass das Vertrauen eines Dritten auf die Urkunde nicht mehr geschützt wird. Ist die Vollmacht unwiderruflich (§ 168 Rn 15ff), so ist die Kraftloserklärung unwirksam (Abs III) und die Vollmacht bleibt mit allen Folgen bestehen.

§ 177

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Vertragsschluss durch Vertreter ohne Vertretungsmacht

(1) Schließt jemand ohne Vertretungsmacht im Namen eines anderen einen Vertrag, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags für und gegen den Vertretenen von dessen Genehmigung ab. Maier-Reimer

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(2) Fordert der andere Teil den Vertretenen zur Erklärung über die Genehmigung auf, so kann die Erklärung nur ihm gegenüber erfolgen; eine vor der Aufforderung dem Vertreter gegenüber erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung wird unwirksam. Die Genehmigung kann nur bis zum Ablauf von zwei Wochen nach dem Empfang der Aufforderung erklärt werden; wird sie nicht erklärt, so gilt sie als verweigert. 1. Bedeutung. Das rechtsgeschäftliche Handeln eines Vertreters ohne Vertretungsmacht bindet den Vertretenen grds nicht; der Vertretene kann jedoch ein Interesse daran haben, dass der in seinem Namen geschlossene Vertrag wirksam wird. Dem trägt Abs I Rechnung: Ein ohne Vertretungsmacht geschlossener Vertrag ist zunächst (nur) schwebend unwirksam; durch eine Genehmigung des Vertretenen wird er wirksam. Abs II gibt dem Geschäftsgegner die Möglichkeit, den Schwebezustand zu beenden. Die Regelung des § 177 entspricht der in §§ 108 I, II, 1366 III und 1829. 2. Voraussetzungen des Abs I. § 177 setzt den Abschluss eines Vertrags in fremdem Namen durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht voraus (allg dazu Prölss JuS 1985, 577). a) Vertrag. In Betracht kommen alle Arten von Verträgen, auch die Auflassung (RG 103, 295, 303), sofern nicht die Vertretung (wie zB beim Erbvertrag; § 2274) ausgeschlossen ist. Das dem anwesenden vollmachtlosen Vertreter gemachte Angebot ist ein Angebot unter Anwesenden iSv § 147 (BGH NJW 1996, 1062, 1064). Bei einseitigen Rechtsgeschäften greift zunächst nicht § 177, sondern § 180 ein. Danach führt die unbefugte Vertretung grds zur Nichtigkeit des Geschäfts. Nur in den Fällen des § 180 S 2 und 3 ist § 177 entspr anzuwenden (s § 180 Rn 5ff). b) Der Vertreter muss ohne Vertretungsmacht handeln. aa) Unerheblich ist der Grund für das Fehlen der Vertretungsmacht. Sie kann zB fehlen, weil von vornherein keine wirksame Vollmacht vorgelegen hat (RG 110, 321), diese (etwa durch Widerruf) erloschen oder rückwirkend (Rostock NJW 2012, 942) weggefallen ist oder der Vertreter seine Vollmacht überschritten hat (RG JW 1937, 2036). Zur Frage der Nichtigkeit oder schwebenden Unwirksamkeit, wenn eine AG entgegen § 112 AktG durch den Vorstand statt durch den Aufsichtsrat vertreten wurde s München ZIP 2008, 220 sowie Hüffer/Koch § 112 AktG Rn 12 mwN. Zur Abgrenzung von Formmangel und Vertretungsmangel bei jur Pers des öffentlichen Rechts BGH NJW 2001, 2626, 2628 mwN sowie zu § 125 Rn 10 und zu § 164 Rn 18. bb) Die Vertretungsmacht kann auch teilw fehlen. Ist das Geschäft teilbar, so ist in diesem Fall § 177 nur auf den nicht von der Vertretungsmacht gedeckten Teil des Vertrags anwendbar. Wird die Genehmigung verweigert, gilt § 139 (BGH NJW 1970, 240; dazu Gerhardt JuS 1970, 326). cc) Maßgeblich dafür, ob der Vertreter mit oder ohne Vertretungsmacht gehandelt hat, ist der Zeitpunkt des Vertreterhandelns, also der Abgabe oder Entgegennahme der Willenserklärung durch den Vertreter (hM MüKo/Schubert Rn 16; Soergel/Leptien Rn 2). Wenn zwischen Abgabe und Zugang der Erklärung des Aktivvertreters dessen Vollmacht ggü dem Dritten widerrufen wird oder der Rechtsschein der Vertretungsmacht endet (§ 173 Rn 7), ist § 130 I 2 entspr anzuwenden (Staud/Schilken Rn 5, ebenso, aber ohne Differenzierung nach der Erkennbarkeit des Vertretungsmangels MüKo/Schubert Rn 16). c) Einzelfälle. § 177 ist anwendbar, wenn jemand unbefugt für einen Unbekannten handelt, dessen Name erst nach Vertragsschluss genannt werden soll (RG 140, 337; Schrell/Kirchner ZBB 2002, 230), wenn bei einer jur Pers ein unzuständiges Organ rechtsgeschäftlich handelt (Bsp: Frankfurt GmbHR 2006, 650; s aber Rn 3), wenn ein Gesamtvertreter übergangen wird (Scholz/Schneider § 35 GmbHG Rn 59; Düsseldorf NZM 2005, 909). Auch ein Bevollmächtigter kann bei Abschluss des Vertrags als vollmachtloser Vertreter handeln, wenn er zB durch Vorbehalt der Genehmigung zum Ausdruck bringt, dass er von seiner Vollmacht keinen Gebrauch mache (OGH NJW 1949, 141, 142; BGH DNotZ 1968, 408; Soergel/Leptien Rn 8) oder wenn zwei Einzelvertretungsberechtigte erkennbar nur gemeinsam vertreten wollen (BGH NJW-RR 2008, 1484 Rn 26). Auslegung kann auch Bedingung ergeben (MüKo/Schubert Rn 14; dann vorbehaltlich § 159 keine Rückwirkung der Genehmigung). Aufschiebende Bedingung – und nicht § 177 – liegt vor, wenn das Vertretungsorgan den Vertrag unter dem Vorbehalt der Genehmigung eines anderen Gremiums abschließt (Gremienvorbehalt). Vertritt der Vorsitzende des Betriebsrats diesen ohne wirksame Grundlage, kann der Betriebsrat den Vertretungsmangel rückwirkend heilen (BAG NZA 2008, 369). 3. Entspr Anwendung des § 177. a) § 177 gilt entspr beim Handeln unter fremdem Namen (§ 164 Rn 11f), wenn in dem Geschäftsgegner eine unrichtige Identitätsvorstellung erweckt wurde (BGH 45, 193; Lieb JuS 1967, 106; Staud/Schilken Rn 21); ebenso in den Fällen der Unterschriftsfälschung, zB beim Fälschen einer Wechselunterschrift (RG 145, 87, 90; BGH NJW 1963, 148). Der Namensträger wird hier wechselmäßig verpflichtet, wenn er das Handeln in seinem Namen genehmigt (krit dazu Zeiss JZ 1963, 745); Gegenstand der Genehmigung sind sowohl der Begebungsvertrag als auch das Grundgeschäft (Einzelheiten bei Baumbach/Hefermehl/Casper Art 7 WG Rn 7). b) Beim Missbrauch der Vertretungsmacht ist § 177 mindestens analog anwendbar (§ 167 Rn 73), sofern das Geschäft nicht wegen Kollusion nichtig ist (§ 167 Rn 71). Ebenso ist § 177 analog anwendbar, wenn jemand kraft vermeintlichen Amtes oder unter Vorspiegelung eines Amtes im eigenen Namen, aber mit Wirkung für andere zB als Testamentsvollstrecker (dazu K. Müller JZ 1981, 370) oder als Insolvenzverwalter tätig wird (RG 80, 416, 417). Handelt ein Bote ohne Botenmacht oder gibt er bewusst eine andere als die ihm aufgegebene Erklärung ab (sog Pseudobote, dazu § 120 Rn 5), dann wird der Geschäftsherr nicht gebunden. § 177 ist hier entspr anzuwenden (Oldenburg NJW 1978, 951; Köln OLGRp 2008, 337 Rn 27; MüKo/Schubert Rn 7; Soergel/ 522

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Vertretung und Vollmacht

§ 177

Leptien Rn 11). Gleiches gilt bei bewusst falschen Übersetzungen von Vertragserklärungen durch einen Dolmetscher (BGH BB 1963, 204). c) Grds ist § 177 auch anwendbar bei einem Handeln für eine noch zu gründende Personengesellschaft (BGH 63, 48) oder eine noch zu errichtende jur Pers, sog Vorgründungsgesellschaft (BGH 91, 148). Zum Handeln für die errichtete, aber mangels Eintragung im Handelsregister noch nicht entstandene Kapitalgesellschaft, sog Vorgesellschaft, s die Kommentierungen zu § 11 GmbHG, § 41 AktG; s auch § 179 Rn 18. d) Zur entspr Anwendung im Verwaltungsverfahren, vor allem bei der fristgebundenen Anmeldung von Ansprüchen, s Wilhelm VIZ 1999, 11 mwN. 4. Schwebende Unwirksamkeit des Vertrags. Ein vom Vertreter ohne Vertretungsmacht geschlossener Vertrag ist nach Abs I schwebend unwirksam (Einzelheiten dazu § 184 Rn 9). Erfüllt der Vertretene während des Schwebezustandes den Vertrag, wird das oft eine konkludente Genehmigung sein (Rn 14f; § 182 Rn 10ff). Leistet der Geschäftsgegner an den Vertretenen, so leistet er ohne Rechtsgrund iSv § 812, sofern in der Annahme keine Genehmigung liegt (BGH 65, 123, 126; MüKo/Schubert Rn 18); fordert er die Leistung zurück, ist darin regelmäßig ein Widerruf (§ 178) zu sehen. Der Schwebezustand endet mit der Genehmigung oder ihrer Verweigerung durch den Vertretenen (Rn 12ff, 22; s auch Vor § 182 Rn 14f, § 182 Rn 17 und § 184 Rn 1ff, 9ff), dem Fristablauf gem Abs II S 2 (Rn 23f) sowie mit dem Widerruf des Geschäftsgegners (§ 178). Der Schwebezustand kann auch dadurch enden, dass der Vertretene einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben nicht widerspricht (BGH NJW 2007, 987 Rn 20ff). 5. Genehmigung. Der Vertrag wird rückwirkend (§ 184) wirksam, wenn der Vertretene den Vertrag während der Schwebezeit genehmigt. Die Genehmigung ist keine „nachgeholte Vollmacht“ (MüKo/Schubert Rn 30), aber die nachgeholte Vollmacht oder Vollmachtsbestätigung ist regelmäßig eine mindestens konkludente Genehmigung (LG Potsdam NotBZ 2004, 38). Die Genehmigung bedeutet die Erklärung, das „bisher als unverbindlich angesehene Geschäft verbindlich zu machen“ (BGH NJW 1988, 1199, 1200; Staud/Schilken Rn 10). Nach ihrem Inhalt setzt sie deshalb das Bewusstsein mindestens der Möglichkeit voraus, dass das Geschäft bisher für den Genehmigenden unverbindlich ist. a) Auf die Genehmigung sind hins des Adressaten und der Wirkung die §§ 182ff anzuwenden. Ob eine Genehmigung – konkludent – erklärt wurde, ist aber wegen des unterschiedlichen Inhalts der Genehmigung (Vor § 182 Rn 11) anders zu beurteilen als bei § 182 (Rn 14f und § 182 Rn 8ff). Die Genehmigung ist eine empfangsbedürftige, formfreie Willenserklärung. Sie kann sowohl ggü dem Vertreter als auch ggü dem Geschäftsgegner erklärt werden (§ 182 I), es sei denn, der Vertretene ist nach § 177 II 1 zur Erklärung aufgefordert worden (Rn 23). Sie bedarf nach § 182 II nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form (Einzelheiten § 182 Rn 4ff). Das gilt auch, wenn die Formvorschrift eine Warnfunktion hat (BGH 125, 218; MüKo/Schubert Rn 39 mwN; aM Staud/Schilken Rn 10 mwN; Erman/Palm12 Rn 13; ausf zum Thema Einsele DNotZ 1996, 835); die Grundsätze zur ausnahmsweisen Formbedürftigkeit einer Vollmacht insb wegen faktischer Bindung (§ 167 Rn 5) sind nicht übertragbar (ausf BGH 125, 218, 224f). b) Eine Genehmigung kann auch in einem schlüssigen Handeln liegen. Eine konkludente Genehmigung muss eindeutig sein (Soergel/Leptien § 182 Rn 8; Staud/Gursky § 182 Rn 10). Der Erklärende muss jedenfalls wissen oder damit rechnen, dass der Vertrag in seinem Namen abgeschlossen wurde (Soergel/Leptien § 182 Rn 8; Hamm NJW-RR 1994, 439; den Umständen entnimmt diese Kenntnis BGH WM 1981, 171). Ob die schlüssige Genehmigung auch das Bewusstsein der schwebenden Unwirksamkeit voraussetzt, ist str. Bei ausdr Genehmigung kommt es auf dieses Bewusstsein nicht an (BGH 47, 341, 351; BGH 109, 171, 177). Nach st Rspr setzt aber die konkludente Genehmigung dieses Bewusstsein schon begrifflich voraus (RG 118, 335; BGH 159, 294, 304; ZIP 2003, 1692, 1696; NJOZ 2003, 3231, 3235; NZG 2005, 276, 277; krit Erman/Palm12 § 182 Rn 5; Soergel/Leptien Rn 24; ders § 182 Rn 7, 8; widersprüchlich MüKo/Schubert Rn 32), obwohl nach zT denselben Entscheidungen die Willenserklärung ein Erklärungsbewusstsein nicht voraussetzt (BGH ZIP 2003, 1692, 1696; NJOZ 2003, 3231, 3235; s auch BGH 128, 41, 49; s iÜ § 116 Rn 14). Der scheinbare Widerspruch löst sich dadurch auf, dass dieses Bewusstsein Teil des vorauszusetzenden objektiven Erklärungsgehalts des schlüssigen Verhaltens sein muss. Erforderlich und ausreichend ist demnach, dass der Adressat das Verhalten als Ausdruck dieses Bewusstseins und des Willens verstehen durfte, eine erkannte oder für möglich gehaltene schwebende Unwirksamkeit zu beenden und dem Vertrag Wirksamkeit zu verleihen oder seine Wirksamkeit außer Zweifel zu stellen. Ein Erklärungsbewusstsein ist dafür nach den allg Grunds nicht erforderlich (Vor § 116 Rn 15ff). Dagegen muss der Erklärungsempfänger das Verhalten tatsächlich als Ausdruck eines solchen Willens verstanden haben (Vor § 116 Rn 15; Staud/ Gursky § 182 Rn 10; Soergel/Leptien § 182 Rn 7); dies setzt wiederum voraus, dass der Geschäftspartner den Vertretungsmangel gekannt oder mit seiner Möglichkeit und einer entsprechenden Kenntnis des Vertretenen gerechnet hat. I Erg gelten daher für die konkludente Genehmigung keine anderen Grundsätze als sonst für konkludente Willenserklärungen. In den Entscheidungen, die das Bewusstsein einer schwebenden Unwirksamkeit als begriffliche Voraussetzung einer Genehmigung erklären, wird die konkludente Genehmigung denn auch mit der Begründung verneint, beiden Teilen sei der Vertretungsmangel nicht bewusst gewesen und/oder der Vertretene habe den Vertretungsmangel nicht kennen müssen (BGH NJW 2002, 2325, 2327; ZIP 2003, 1692, 1696 jew mwN; anders Sachverhalt und Ergebnis von Karlsruhe OLGRp 2006, 865). Erfüllungshandlungen aufgrund vermeintlich bestehender Verpflichtungen können demnach nicht als Genehmigung gewertet werden, solange nicht für die andere Seite der eindeutige Anschein besteht, der Handelnde Maier-Reimer

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rechne mindestens mit der Möglichkeit der – schwebenden – Unwirksamkeit (RG 118, 335; BGH NJW 2002, 2325, 2327). Auch die eigenhändige Unterzeichnung des Vertrags zur Zwischenfinanzierung enthält mangels einer solchen Kenntnis keine Genehmigung des vollmachtlos abgeschlossenen Darlehensvertrags, sondern einen eigenständigen Vertrag (BGH ZIP 2003, 1692, 1696; aM Frankfurt NJW-RR 2005, 1514, 1516), aus dem sich die Treuwidrigkeit späterer Berufung auf die Unwirksamkeit des Hauptvertrags ergeben kann (BGH ZIP 2003, 1692, 1696; Karlsruhe ZIP 2004, 2423, 2424). Auch die eigenhändige Unterzeichnung von Änderungen (neue Zinskonditionen) enthält mangels eines solchen Bewusstseins keine Genehmigung (Stuttgart NJOZ 2007, 1211, 1232; München WM 2009, 217, 220; aM Frankfurt NJW-RR 2005, 1514, 1516). Gleiches gilt bei schwebender Unwirksamkeit eines von nur einem Gesamtvertreter abgeschlossenen Vertrags für dessen Verhalten nach Erlangung der Einzelvertretungsbefugnis (RG 118, 335; BGH NJW 1988, 1199, 1200), oder wenn die Beteiligten bei weiteren, die Wirksamkeit voraussetzenden, Maßnahmen nicht erkannten, dass der Bevollmächtigte (Notariatsangestellter mit Vollzugsvollmacht) die Grenzen seiner Vollmacht überschritten hatte (BGH NJW 2002, 2863). Schlägt der allein zuständige Aufsichtsrat der Hauptversammlung die Genehmigung des vom unzuständigen Organ abgeschlossenen Vertrags vor, so ist das keine Genehmigung durch den Aufsichtsrat (BGH NZG 2005, 276, 277). Zur Genehmigung der Prozessführung durch das unzuständige Organ BGH NJW 1999, 3263; 2010, 2886. IÜ zu den Einzelheiten der stillschw Genehmigung s § 182 Rn 8ff. c) Grds kann nur der gesamte Vertrag genehmigt werden. Eine Teilgenehmigung ist ausnahmsweise zulässig, wenn gem § 139 die Aufrechterhaltung eines Teils des Geschäfts dem Parteiwillen entspricht (Hamm DNotZ 2002, 266, 268; MüKo/Schubert Rn 42; Staud/Schilken Rn 15; Vor § 182 Rn 14). Teilwirksamkeit sollte jedoch nur in Ausnahmefällten angenommen werden, da sie – anders als bei § 139 – dem Vertretenen einseitig die Möglichkeit einer Änderung gibt (s nur den Fall Hamm DNotZ 2002, 266); hins des nicht genehmigten Teils gilt § 179. Genehmigung mit Abweichungen bedeutet Verweigerung der Genehmigung (Hamburg OLGRp 2008, 597 Rn 32). d) Eine Genehmigung ist nicht mehr möglich, wenn der Vertrag aufgrund eines Widerrufs nach § 178 oder infolge Fristablaufs nach einer Aufforderung des Geschäftsgegners (Abs II S 2) endgültig unwirksam geworden ist. e) Das Genehmigungsrecht steht dem Vertretenen zu. Mit dessen Tod geht es auf die Erben über (Hamm Rpfleger 1979, 17), bei sonstiger Gesamtrechtsnachfolge auf den jew Gesamtrechtsnachfolger. Zur Genehmigungskompetenz nach Abtretung des Anteils an einer GbR durch den bei einem Vertrag der GbR vollmachtlos vertretenen Gesellschafter s BGH 79, 374. Der Vertreter kann auch selbst genehmigen, wenn er später Vertretungsmacht erhält (§ 108 III analog; BGH WM 1960, 611, 612; NJW-RR 1994, 291, 293; Staud/Schilken Rn 10a; aA Müller AcP 168, 113, 128ff). Die Rechtsnachfolge des Vertreters ohne Vertretungsmacht in das Objekt des Geschäfts reicht, anders als nach § 185 II, nicht aus (Frankfurt NJW-RR 1997, 17f). Die Genehmigungszuständigkeit kann auch bei einem aus einer Mehrzahl von Personen bestehenden Organ liegen, wenn die Vertretungsmacht bei diesem liegt (etwa Eigentümerversammlung nach dem WEG; Aufsichtsrat einer AG in den Fällen des § 112 AktG, dazu Rn 3, 6) oder das Zusammenwirken von zwei Organen erforderlich ist (§§ 179a, 293 AktG, 13 UmwG); zum Gremienvorbehalt s Rn 6. Haben bei einer Gesamtvertretung nur einzelne Gesamtvertreter gehandelt, dann muss der Vertrag entweder vom Geschäftsherrn oder von den Gesamtvertretern genehmigt werden, deren Mitwirkung erforderlich war (näher § 167 Rn 58), ggf schlüssig auch dadurch, dass sie in Kenntnis des Geschäfts dieses nicht beanstanden (RG 75, 419, 424; Düsseldorf NZM 2005, 909). Die konkludente Genehmigung des übergangenen Gesamtvertreters kann nicht aus einer Zurechnung des Wissens des handelnden Gesamtvertreters hergeleitet werden (BGH NJW 2010, 861, 862). Die Genehmigung der übergangenen Vertreter kann auch ggü dem unbefugt Handelnden erklärt werden (RG 81, 325; anders nach Aufforderung gem § 177 II). Dieser muss im Zeitpunkt der Genehmigung noch mit dem Vertrag einverstanden sein (s § 167 Rn 58). Zur Anwendung von § 177 bei notwendiger Gesamtvertretung für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, etwa Gemeinde oder Kreis, s BGH NJW 1982, 1036; BAG NJW 1996, 2594 mwN. f) Die Genehmigung heilt den Mangel der Vertretungsmacht, s aber Abs II. Mit der Genehmigung finden die für die befugte Stellvertretung geltenden Regeln Anwendung. Für Willensmängel, Kennen und Kennenmüssen kommt es bei dem Vertreter auf den Zeitpunkt seines Handelns, bei dem Vertretenen auf den Zeitpunkt der Genehmigung an (§ 166 Rn 38; RG 68, 377). Die Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück (§ 184 I; s dort). Ob bei fristgebundenen Erklärungen auch die Genehmigung noch innerhalb der Frist erfolgen muss, ist mangels ausdr Regelung durch Auslegung nach dem Zweck der Frist und den Interessen des Geschäftsgegners zu entscheiden. Bei Ausschlussfristen für die Ausübung von Gestaltungsrechten ist regelmäßig eine Genehmigung nach den §§ 180 S 2 und 3, 177 nur innerhalb der Frist möglich (BGH 32, 375, 382). Gleiches soll nach wohl hM auch gelten, wenn der unbefugte Vertreter ein befristetes Vertragsangebot angenommen hat (BGH NJW 1973, 1789; BeckOK/Schäfer Rn 25; RGRK/Steffen Rn 10). Das entspricht jedoch nicht der Interessenlage. Der Geschäftsgegner kann sich gem § 174 (§ 174 Rn 2) oder §§ 177 II, 178 Klarheit verschaffen. Tut er dies nicht, so gibt es keinen Grund, den Vorgang anders zu behandeln als beim Vertragsangebot unter Anwesenden, das nur sofort angenommen werden kann (§ 147 I) und auf dessen Annahme § 177 dennoch anwendbar ist (i Erg ebenso Staud/Schilken Rn 9; MüKo/Schubert Rn 49). Keinen Einfluss hat die Rückwirkungsfiktion des § 184 I auf den Beginn der Verjährungsfrist und den Eintritt des Verzugs. Zu Einzelheiten s § 184 Rn 15. – Inwieweit öffentlich-rechtl Beschränkungen, die während der Schwebezeit eintreten, zu berücksichtigen sind, bestimmt sich allein nach den Grundsätzen des öffentlichen Rechts (§ 184 Rn 16; Staud/Schilken Rn 9). 524

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Vertretung und Vollmacht

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6. Durch die Verweigerung der Genehmigung wird der Vertrag für den Vertretenen endgültig unwirksam (Vor § 182 Rn 15), s aber Abs II und Rn 24. Ein Widerruf der Verweigerung ist ausgeschlossen (Vor § 182 Rn 15; § 182 Rn 17). Allerdings kann sie als Willenserklärung nach §§ 119ff angefochten werden (Vor § 182 Rn 15; § 182 Rn 17) oder nach § 242 unbeachtlich sein, wenn der Vertretene (zB aus einem Vorvertrag) zur Genehmigung verpflichtet ist (BGH 108, 380, 384; dazu Vor § 182 Rn 15). Wird die Genehmigung der ohne Vertretungsmacht erklärten Annahme eines Vertragsangebots gem § 147 II durch Erklärung an den Offerenten verweigert, ist dies als Ablehnung seines Angebots zu werten (MüKo/Schubert Rn 53; s aber LG Düsseldorf GWR 2010, 94). 7. Befristung des Schwebezustandes durch den Geschäftsgegner. a) Kennt der Geschäftsgegner den Mangel der Vertretungsmacht, so gibt ihm Abs II die Möglichkeit, den Schwebezustand durch Aufforderung des Vertretenen zur Erklärung über die Genehmigung zu befristen. Entweder genehmigt der Vertretene, oder der Vertrag wird durch die Verweigerung der Genehmigung oder Fristablauf endgültig unwirksam. Wenn mehrere Personen Vertragspartner des vollmachtlos Vertretenen sind, müssen grds alle an der Aufforderung mitwirken, sofern sich nicht aus ihrem Innenverhältnis etwas anderes ergibt (BGH NJW 2004, 2382 mwN und Bespr Rimmelspacher/Bolkart LMK 2004, 170; s aber auch Zweibrücken NJOZ 2002, 736). Die Aufforderung ist empfangsbedürftige, rechtsgeschäftsähnliche Handlung; die Vorschriften über Willenserklärungen gelten entspr (MüKo/Schubert Rn 21; Staud/Schilken Rn 13). Die Aufforderung muss nicht auf Erteilung der Genehmigung gerichtet werden, sie kann vielmehr ergebnisoffen gefasst sein (BGH 145, 44). Ob eine Bitte um Genehmigung im Einzelfall eine Aufforderung iSv Abs II darstellt, ist Auslegungsfrage; die Genehmigungsbitte des beurkundenden Notars ist regelmäßig keine Aufforderung iSv Abs II, weil er als Amtsträger und nicht namens der Beteiligten handelt (BGH NJW 2001, 1647; Staud/Schilken Rn 13 mwN; aA Köln NJW 1995, 1499; Soergel/Leptien Rn 32). Der Unterschied zw Aufforderung und kaufmännischem Bestätigungsschreiben liegt darin, dass bei diesem der Bestätigende von Vertretungsmacht ausgeht (BGH NJW 1975, 1358; Baumbach/Hopt § 346 Rn 24). In Ausnahmefällen soll sich der Geschäftsgegner nach § 242 nicht auf den Vertretungsmangel berufen können und dann auch nicht das Recht gem Abs II haben (BGH NJW 2012, 3424, Rn 14ff; MüKo/Schubert Rn 26). Dann könnte der Vertretene sich aber auf Dauer noch von dem Vertrag lösen. Deshalb sollten in solchen Fällen die Anforderungen an die Aufforderung verschärft werden (so die Vorinstanz Hamm 8.8.2011 – I-5 U 41/11), ggf mit dem Erfordernis einer Fristverlängerung; zur Verwirkung des Rechts, die Genehmigung zu verweigern MüKo/Bayreuther § 184 Rn 5. b) Die Aufforderung bewirkt: Der Vertretene kann die Genehmigung nur noch ggü dem Vertragsgegner erklären. Eine bereits vorher ggü dem Vertreter erklärte Genehmigung oder Verweigerung wird unwirksam; das ist notwendig, um dem Geschäftsgegner Klarheit zu verschaffen. Die Genehmigung kann nur noch binnen zwei Wochen erklärt werden (Abs II S 2). Da die Erklärungsfrist allein den Interessen des Geschäftsgegners dient, kann dieser sie einseitig zugunsten des Vertretenen verlängern (MüKo/Schubert Rn 25). Wird die Genehmigung nicht vor Fristablauf erklärt, gilt sie als verweigert. c) Bei Unsicherheit über die Vertretungsmacht sollte Abs II wie § 108 II entspr gelten (§ 108 Rn 7; Pal/Ellenberger Rn 5 iVm § 108 Rn 7; aM MüKo/Schubert § 179 Rn 23). 8. Beweislast. Wer sich auf die Wirksamkeit des ohne Vertretungsmacht abgeschlossenen Vertrags beruft, muss beweisen, dass der Vertretene rechtzeitig genehmigt hat. Leitet der Gegner die Unwirksamkeit des Vertrags aus der Aufforderung zur Genehmigung ab, dann muss er beweisen, dass dem Vertretenen eine Aufforderung in dem behaupteten Zeitpunkt zugegangen ist. Sache desjenigen, der sich auf die Genehmigung beruft, ist es dann zu beweisen, dass die Genehmigung innerhalb der Erklärungsfrist zugegangen ist. 9. Haftung des Vertretenen aus cic/§ 311 II. Wenn der Vertretene nicht genehmigt, kann – neben einer Haftung des Vertreters nach § 179 – ggü dem Geschäftsgegner eine Haftung des Vertretenen auf den Vertrauensschaden aus cic/§ 311 in Betracht kommen. Ein solcher Anspruch wird jedoch nur in seltenen Fällen gegeben sein. Er setzt stets voraus, dass der Vertreter mit Wissen und Wollen des Vertretenen zB bei Verhandlungen tätig geworden ist (MüKo/Schubert Rn 58). Ist dann keine Rechtsscheinsvollmacht (§ 167 Rn 9ff) anzunehmen, so bleibt für einen Anspruch aus cic gegen den Vertretenen Raum, wenn dieser entweder selbst das vollmachtlose Handeln des Vertreters (mit-)verschuldet hat (Bsp: mangelhafte Auswahl, Anleitung oder Überwachung, MüKo/ Schubert Rn 58; Staud/Schilken Rn 23f) oder sich das Verschulden seines Vertreters nach § 278 zurechnen lassen muss (Bsp: schuldhaft fehlerhaftes Verhalten eines nur zum Verhandlungsgehilfen bestellten Vertreters ohne Vertretungsmacht, vgl BGH NJW-RR 1992, 1435, 1436; 1998, 1342; MüKo/Schubert Rn 58 mwN; Soergel/Leptien Rn 36; ausf Schnorbus WM 1999, 197; einschränkend Canaris JuS 1980, 332ff. Bei der gesetzlichen Vertretung gebietet es die besondere Schutzbedürftigkeit des Vertretenen (zB des Minderjährigen oder der jur Pers), diesen nicht aus cic haften zu lassen, wenn der Vertreter die gesetzlich festgelegte Vertretungsmacht überschreitet (MüKo/Schubert Rn 59; Staud/Schilken Rn 25 mwN). Zur Haftung der jur Pers für Kompetenzüberschreitungen ihrer Vertretungsorgane § 31 Rn 5 und § 311 Rn 36). Zur Vertrauenshaftung einer Bank für Auskünfte eines vollmachtlosen Angestellten BGH NJW-RR 1998, 1343 = LM § 676 Nr 53 – Singer. Kannte der Geschäftsgegner den Mangel der Vertretungsmacht oder musste er ihn kennen, scheidet zwar eine Haftung des Vertreters nach § 179 III 1 aus; das schließt aber eine Haftung des Vertretenen aus cic/§§ 311 II, 278 nicht von vornherein aus; vielmehr ist § 254 anzuwenden (MüKo/Schubert Rn 60; Staud/Schilken Rn 24; aA RGRK/Steffen Rn 17).

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Bis zur Genehmigung des Vertrags ist der andere Teil zum Widerruf berechtigt, es sei denn, dass er den Mangel der Vertretungsmacht bei dem Abschluss des Vertrags gekannt hat. Der Widerruf kann auch dem Vertreter gegenüber erklärt werden. 1. Bedeutung. Die schwebende Unwirksamkeit gibt dem Vertretenen faktisch eine Option auf den Vertrag. Diese Option kann der Vertragsgegner durch Widerruf beenden, sofern er sie nicht bewusst durch Abschluss mit einem vollmachtlosen Vertreter eingeräumt hat. Die Regelung entspricht den §§ 109, 1366 II und 1830. 2. Voraussetzungen des Widerrufsrechts. Das Widerrufsrecht besteht nur, wenn der Vertrag noch schwebend unwirksam ist, also der Schwebezustand nicht bereits durch Genehmigung des Vertretenen oder deren Verweigerung beendet worden ist. Es setzt weiter voraus, dass der Vertragspartner bei Vertragsschluss keine Kenntnis vom Fehlen der Vertretungsmacht hatte; fahrlässige, auch grob fahrlässige Unkenntnis schadet nicht. Maßgeblich für die Kenntnis ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, bei mehraktigem Abschluss der Zeitpunkt des letzten Akts, mit dem die Bindung des Vertragsgegners eintritt, ggf also die auf die Einigung folgende Übergabe oder Grundbucherklärung/Bewilligung gem § 873 II (MüKo/Schubert Rn 5). Die Kenntnis führt hier (anders als in § 173) nicht zur Beendigung der Vertretungsmacht; deshalb ist ein anderer Zeitpunkt maßgeblich als in § 173. In Ausnahmefällen kann das Widerrufsrecht unmittelbar durch § 242 oder deshalb ausgeschlossen sein, weil sich der Geschäftsgegner nach § 242 nicht auf den Vertretungsmangel berufen kann (BGH NJW 2012, 3424, Rn 20; dazu § 177 Rn 26). 3. Widerruf. Der Widerruf ist eine empfangsbedürftige, formlose Willenserklärung, die wahlweise ggü dem Vertretenen oder ggü dem Vertreter abgegeben werden kann (S 2). Sie muss den Willen erkennen lassen, dass der Vertrag gerade wegen des Mangels der Vertretungsmacht nicht mehr gelten soll (BGH WM 1973, 460; BAG NJW 1996, 2594). Ein Widerruf kann in der Erhebung von Ansprüchen liegen, die sich bei Widerruf ergeben (BGH NJW 1988, 1200; dazu krit Reinicke/Tiedtke DB 1988, 1203, 1204). Erklärt der Geschäftsgegner, aus anderen Gründen zurücktreten zu wollen, oder bestreitet er den Abschluss des schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfts, so ist darin kein Widerruf zu sehen (RG 102, 24ff; BGH NJW 1965, 1714; Frankfurt BB 1995, 2440). 4. Gegenstand und Folge des Widerrufs. Gegenstand des Widerrufs kann nur die Vertragserklärung des Widerrufenden sein (Staud/Schilken Rn 1; vgl § 355; s aber auch §§ 1366 II 1, 1453 II 1). Der Widerruf beendet den Schwebezustand und führt zur endgültigen Unwirksamkeit des Vertrags. Eine Genehmigung des Vertrags ist dann ausgeschlossen (RG JW 1929, 2944 m Anm Flechtheim). 5. Verhältnis zur Anfechtung. Der Irrtum über das Fehlen der Vertretungsmacht berechtigt nicht zur Anfechtung nach §§ 119 oder 123. Der Tatbestand des § 119 liegt nicht vor; ggü § 123 ist § 178 lex specialis. Wegen eines anderen, nach §§ 119, 123 beachtlichen Willensmangels steht dem Geschäftsgegner ein Anfechtungsrecht zu; allerdings wird er wegen der Folgen des § 122 regelmäßig den Widerruf vorziehen. Hat er gleichwohl – etwa in Unkenntnis seines Widerrufsrechts – angefochten, so scheitert ein Schadensersatzanspruch des Vertretenen aus § 122 daran, dass der Vertragspartner hätte widerrufen können (anders Soergel/Leptien Rn 2: ggf Auslegung der Anfechtung als Widerruf, und MüKo/Schubert Rn 7: Widerruf auch noch nach Anfechtung). Unberührt bleibt die Möglichkeit, die bei Unwirksamkeit der Anfechtung fortbestehende Vertragserklärung vorsorglich zu widerrufen. 6. Analoge Anwendung. Ist bei einem einseitigen Rechtsgeschäft die Vertretungsmacht nicht gem § 180 S 2 beanstandet worden, ist § 178 entspr anzuwenden (§ 180 Rn 10). 7. Beweislast. Wer die Unwirksamkeit des Vertrags infolge Widerrufs geltend macht, muss den Widerruf während des Schwebezustandes beweisen. Hält der Gegner den Widerruf wegen der von ihm behaupteten Kenntnis des Mangels der Vertretungsmacht bei Abschluss des Vertrags für unwirksam, ist er für seine Behauptung beweispflichtig („es sei denn“).

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Widerrufsrecht des anderen Teils

Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht

(1) Wer als Vertreter einen Vertrag geschlossen hat, ist, sofern er nicht seine Vertretungsmacht nachweist, dem anderen Teil nach dessen Wahl zur Erfüllung oder zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der Vertretene die Genehmigung des Vertrags verweigert. (2) Hat der Vertreter den Mangel der Vertretungsmacht nicht gekannt, so ist er nur zum Ersatz desjenigen Schadens verpflichtet, welchen der andere Teil dadurch erleidet, dass er auf die Vertretungsmacht vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der andere Teil an der Wirksamkeit des Vertrags hat. (3) Der Vertreter haftet nicht, wenn der andere Teil den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste. Der Vertreter haftet auch dann nicht, wenn er in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war, es sei denn, dass er mit Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters gehandelt hat. 1. Bedeutung. Wer als Vertreter einen Vertrag schließt, behauptet zumindest konkludent, dass er eine entspr Vertretungsmacht habe und infolgedessen ein Vertrag mit dem Vertretenen zustande komme (BGH 39, 45, 51). Wenn die Vertretungsmacht in Wirklichkeit nicht besteht und der Vertrag deshalb scheitert, gibt das Gesetz deshalb dem Vertragsgegner gegen den Vertreter einen Anspruch wahlweise auf Vertragserfüllung oder auf Scha526

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Vertretung und Vollmacht

§ 179

densersatz (Abs I). Wenn der Vertreter den Mangel der Vertretungsmacht nicht gekannt hat, braucht er aber nur das negative Interesse zu ersetzen (Abs II); auf ein Verschulden kommt es dafür nicht an (dazu Rn 20). Der Vertreter haftet nicht, wenn der Vertragsgegner den Mangel der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste; Abs III S 1. Ein beschränkt geschäftsfähiger Vertreter ohne Vertretungsmacht haftet nur, wenn er mit Zustimmung seines ges Vertreters gehandelt hat (Abs III S 2, Rn 19). 2. Anwendungsbereich. Die Vorschrift gilt für alle Arten der Vertretung (allg M, Staud/Schilken Rn 6 mwN). Auch wer fälschlich als Partei kraft Amtes auftritt, haftet analog Abs I (Vor § 164 Rn 29; Soergel/Leptien Rn 8). Zur entspr Anwendung s weiter Rn 23f. Bei Mängeln in der wirksamen Vertretung von Gemeinden und anderen öffentlich-rechtl Körperschaften durch ein Vertretungsorgan ist Abs I regelmäßig nicht anzuwenden, wenn der Vertretungsmangel lediglich auf der Verletzung öffentlich-rechtl Formvorschriften (dazu § 125 Rn 10) beruht (BGH 147, 381 = LM Nr 22 m krit Anm Stadler/Janköster; JZ 2002, 194 m Anm Püttner) oder darauf, dass ohne aufsichtsrechtliche Genehmigung der Gemeinde die erforderliche Rechtsmacht fehlt (BGH 157, 168; s auch BGH 153, 198 m Anm Teichmann JZ 2003, 958). 3. Haftung des Vertreters nach Abs I. a) Voraussetzungen. aa) Der Anspruchsgegner muss als Vertreter in fremdem Namen aufgetreten sein (§ 164 Rn 4ff). bb) Der Vertreter muss einen Vertrag ohne Vertretungsmacht geschlossen haben. (s auch § 177 Rn 3ff). Diese Voraussetzung fehlt auch dann, wenn sich die Vertretungsmacht nur aus den Grundsätzen der Rechtsscheinsvollmacht (§ 167 Rn 9ff) ergibt. Insb kann der Vertragspartner nicht wahlweise den Vertretenen aufgrund des Rechtsscheins oder den Vertreter aus § 179 in Anspruch nehmen (str, s § 167 Rn 28). Hat den Vertrag ein Untervertreter abgeschlossen, so hat dieser nach Abs I dem Geschäftsgegner einzustehen, wenn die Untervertretungsmacht nicht besteht; zur Haftung bei einem Mangel der Hauptvertretungsmacht s § 167 Rn 65. Fehlt die Vertretungsmacht nur teilw und ist der von der Vertretungsmacht gedeckte Teil des Geschäfts nicht nach § 139 unwirksam, so kann der Geschäftsgegner von dem Vertreter nur hins des unwirksamen Teils Schadensersatz oder Erfüllung verlangen (BGH 103, 278; Soergel/Leptien Rn 3; zu Bedenken s Jakobs NJW 1989, 697). cc) Der Vertretene muss die Genehmigung verweigert haben; gleich steht der Fall, dass die Genehmigung nach § 177 II 2 als verweigert gilt (MüKo/Schubert Rn 24). Ist die Unwirksamkeit vorher schon durch Widerruf (§ 178) eingetreten, so sind Ansprüche nach Abs I ausgeschlossen (BGH NJW 1988, 1199, 1200; Staud/Schilken Rn 6). Genehmigt der Vertretene nur einen Teil des Geschäfts, der nach dem Parteiwillen gem § 139 allein aufrechterhalten werden kann (s § 177 Rn 16), so gilt § 179 nur für den anderen Teil des Geschäfts. Wird die Genehmigung erteilt, so haftet der Vertreter für den durch den Mangel der Vertretungsmacht entstandenen Verzögerungsschaden nicht nach § 179, möglicherweise aber aus cic nach §§ 241 II, 311 II, III (Hamm NJW 1994, 666). dd) Die Haftung aus Abs I ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag nicht (nur) wegen des Mangels der Vertretungsmacht, sondern (auch) aus anderen Gründen (zB wegen Sittenwidrigkeit oder Formmangels) unwirksam ist (RG 106, 68, 70; 145, 40, 43). Der Geschäftsgegner darf nicht besser gestellt werden, als er im Falle einer wirksamen Vertretung stünde (RGRK/Steffen Rn 4; Soergel/Leptien Rn 6). Wäre jedoch bei einer wirksamen Vertretung auch das weitere Wirksamkeitshindernis beseitigt (zB eine noch erforderliche behördliche Genehmigung erteilt) worden, so muss der Vertreter nach Abs I haften, weil dann der Mangel der Vertretungsmacht der maßgebliche Grund für das Scheitern des Vertrags ist (Soergel/Leptien Rn 12; MüKo/Schubert Rn 32; Staud/Schilken Rn 24; s aber RG 145, 40, 43: negatives Interesse). Ein Widerrufsrecht nach den Verbraucherschutzbestimmungen oder die Anfechtbarkeit des Vertrags schließen eine Haftung des Vertreters ebenfalls nicht aus. Der Vertreter kann jedoch, wenn er nach Abs I in Anspruch genommen wird, anstelle des Vertretenen unter den Voraussetzungen der §§ 119ff die Anfechtung erklären (BGH NJW 2002, 1867, 1868 mwN; MüKo/Schubert Rn 31; Staud/ Schilken Rn 10; s auch § 164 Rn 26). Er hat dann dem anderen Teil entspr § 122 den Vertrauensschaden zu ersetzen (RGRK/Steffen Rn 4; Soergel/Leptien Rn 6). Auch ein Widerrufsrecht nach §§ 312ff kann der Vertreter ausüben, wenn er selbst Verbraucher ist (BGH NJW-RR 1991, 1074, 1075 mwN), aM LG Fulda VuR 2013, 303). Auch wenn wegen eines weiteren Unwirksamkeitsgrundes ein Anspruch aus Abs I ausgeschlossen ist, kann sich in Ausnahmefällen aufgrund anderer Vorschriften eine Vertrauenshaftung des Vertreters ergeben, so wenn der Vertretene aus cic gehaftet hätte, wenn die Vertretungsmacht bestanden hätte (RG 106, 68, 73; s dazu Rn 23; RG 145, 40, 44; Staud/Schilken Rn 24; aM MüKo/Schubert Rn 31, 60). IÜ haftet der Vertreter für cic nur unter den Voraussetzungen des § 311 III; dass er das Vertrauen in die Vertretungsmacht in Anspruch genommen hat, genügt dafür nicht (Soergel/Leptien Rn 23; Bork AT Rn 1636). b) Haftungsfolgen. Nach Abs I kann der Geschäftsgegner den Vertretenen auf Vertragserfüllung (zur Dogmatik dieser Haftung Lobinger, Rechtsgeschäftliche Verpflichtung und autonome Bindung, 1999, 273ff, 343f; er ordnet die Haftung als eine Verpflichtung des Vertreters wegen Nichterfüllung eigener Pflichten ein) oder Schadensersatz statt der Leistung in Anspruch nehmen. Nach hM besteht insoweit eine gesetzliche Wahlschuld, auf welche §§ 262ff anwendbar sind (RG 154, 58, 62; Flume § 47, 3b; MüKo/Schubert Rn 34 mwN). Vorzug verdient die Mindermeinung, die elektive Konkurrenz annimmt (§ 262 Rn 3; Pal/Ellenberger Rn 5; MüKo/Krüger § 262 Rn 12). Denn es bestehen nebeneinander alternative Ansprüche (im Fall des Erfüllungsverlangens vorbehaltlich aller damit verbundenen Gegenrechte). Da im Fall elektiver Konkurrenz die Wahl nicht bindet (NK/Arnold § 262 Rn 5), sind deren Rechtsfolgen namentlich im Fall eines nach Wahl der Erfüllung eintretenden, vom Vertreter nicht zu vertretenden, Leistungshindernisses eher sachgerecht als die der §§ 262ff (dazu § 265 Rn 7). Bei Verfügungsverträgen, die keine Leistungspflichten der Parteien begründen, kann nur Schadensersatz verlangt Maier-Reimer

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Rechtsgeschäfte

werden (Soergel/Leptien Rn 13). Anspruchsberechtigter Geschäftsgegner des Arbeitgebers ist bei Betriebsvereinbarungen der Betriebsrat, nicht der einzelne ArbN (BAG DB 2008, 1163). 9 aa) Wählt der Geschäftsgegner Vertragserfüllung, wird der Vertreter nicht selbst Vertragspartei. Ist nur eine von mehreren Vertragsparteien vollmachtlos vertreten, so ergibt sich aus dem Erfüllungsanspruch nicht die Gesamtwirksamkeit des Vertrags unabhängig von § 139 (BGH NJW 1970, 241). Kraft Gesetzes entsteht zw dem Vertreter und dem Vertragsgegner ein Schuldverhältnis, das den gleichen Inhalt hat wie der für den Vertretenen geschlossene Vertrag. Der Vertragsgegner hat also alle Ansprüche, die er aufgrund des Vertrags gegen den Vertretenen hätte geltend machen können (Rn 6). Der Vertragsgegner kann den Vertreter am Erfüllungsort (München OLG 1966, 424) oder im vertraglich vereinbarten Gerichtsstand verklagen (Hamburg MDR 1975, 227). Tarifvertragliche Ausschlussfristen finden ggü dem Erfüllungsanspruch Anwendung (BAG NJW 2007, 1378). Wenn eine Partei eines (mangels Vertretungsmacht unwirksamen) Arbeitsvertrags den Vertreter gem § 179 auf Erfüllung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis oder auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben (BAG 106, 10). Eine im Vertrag enthaltene Schiedsgerichtsabrede gilt aber ggü dem Vertreter nicht (BGH NJW 1977, 1397, 1398). 10 Nach der Wahl der Erfüllung kann der Vertreter seinerseits Erfüllung durch den Vertragspartner verlangen (Pal/ Ellenberger Rn 5), allerdings erst, wenn er die dann von ihm geschuldete Leistung erbracht hat (MüKo/Schubert Rn 38). Er hat aber (auch vor eigener Erfüllung) die Gegenrechte, die sonst dem Vertretenen zustünden (BGH NJW 2004, 774), insb die Rechte aus §§ 320ff. Ihm stehen auch hins der Gegenleistung die Gewährleistungsansprüche zu (Staud/Schilken Rn 15; Soergel/Leptien Rn 16). Die Wahl der Erfüllung schließt den Übergang auf den Schadensersatz statt der Leistung (§ 281) nicht aus (RG 120, 126, 129 zu § 326 aF). Sind Sekundäransprüche von der Kenntnis abhängig, so kommt es auf die Kenntnis des Vertreters, nicht des Vertretenen an, denn der Vertragspartner ist so zu stellen, als hätte der Vertreter Vertretungsmacht gehabt, nicht so, als hätte der Vertretene genehmigt; maßgeblich ist daher § 166 I, nicht – wie bei Genehmigung (§ 166 Rn 38) – auch § 166 II (aM zu § 463 aF; Köln NJW-RR 1990, 760). 11 Entspr dem Schutzzweck des Abs I ist der Erfüllungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Vertretene vermögenslos ist und der Vertragsgegner deshalb seinen Erfüllungsanspruch nicht hätte durchsetzen können (Flume § 47, 3b; MüKo/Schubert Rn 40; Soergel/Leptien Rn 16; Hamm MDR 1993, 515; zweifelnd Medicus AT Rn 987 unter Hinw auf Hilger NJW 1986, 2237). Insofern enthält auch der Erfüllungsanspruch ein schadensrechtliches Element (s Rn 12). Auch hier darf die Vertrauenshaftung den Geschäftsgegner nicht besser stellen als ein wirksamer Vertrag. Rechnet der Geschäftsgegner mit einer Besserung der Vermögenslage des Vertretenen, so muss ihm die Möglichkeit eingeräumt werden, für diesen Fall einen entspr (Feststellungs-)Titel zu erwirken. 12 bb) Der Schadensersatzanspruch geht nicht auf Naturalrestitution (was Vertragserfüllung bedeuten würde), sondern auf Geldersatz, dessen Höhe sich nach dem Interesse bemisst, das der andere Teil an der Erfüllung hat, bei schuldrechtlichen Verträgen also Schadensersatz statt der Leistung (§ 281). Anstelle des Erfüllungsinteresses kann der Vertragspartner gem § 284 auch Ersatz frustrierter Aufwendungen verlangen (Staud/Schilken Rn 16; NK/Ackermann Rn 18), jedoch nur, wenn sie gerade wegen des Fehlens der Vertretungsmacht frustriert wurden (Karlsruhe NJW-RR 2010, 675). Ob der Schaden auch nach der sog Surrogationstheorie (§ 281 Rn 24) bemessen werden kann (so Erman/Palm12 Rn 9 und MüKo/Schubert Rn 44; aM Staud/Schilken Rn 16), ist anders als bei § 281 zweifelhaft, da die Schadensliquidation auf dieser Basis praktisch dem Erfüllungsanspruch entspricht; insofern bleiben die Bedenken von BGH NJW 1994, 3351 und 1999, 3115 (beide zu § 326 aF) relevant. Der Schaden kann konkret oder evtl auch abstrakt berechnet werden (RG 58, 327). Zum ersatzfähigen Schaden gehören idR auch die Kosten eines erfolglosen Vorprozesses gegen den Vertretenen, weil diese bei wirksamer Vertretung nicht entstanden wären, (Düsseldorf NJW 1992, 1176, 1177). Wäre auch bei wirksamer Vertretung der Vertrag unwirksam oder der Erfüllungsanspruch gegen den Vertretenen wegen dessen Vermögenslosigkeit nicht durchsetzbar gewesen, so besteht kein ersatzfähiger Schaden (Soergel/Leptien Rn 16; s auch Rn 11). 13 c) Verjährung. Der Anspruch auf Schadensersatz oder Erfüllung verjährt in der Frist, die für den Erfüllungsanspruch aus dem vom Vertreter geschlossenen Vertrag gegolten hätte (zu dem bis 31.12.2001 geltenden Verjährungsrecht BGH 73, 266; NJW 2004, 774; aA RG 145, 40, 41). Die Verjährungsfrist beginnt mit der Verweigerung der Genehmigung (BGH aaO; MüKo/Schubert Rn 46), nach § 199 also mit dem darauf folgenden Jahresende. Zur Verjährung von mietrechtlichen Ansprüchen gegen den vollmachtlosen Vertreter des Mieters BGH NJW 2004, 774 m Anm Schimmel/Buhlmann LMK 2004, 58. Tarifliche Ausschlussfristen werden gewahrt, wenn die Ansprüche gegen den Vertretenen fristgerecht geltend gemacht werden (BAG NJW 2007, 1378). 14 4. Haftung des Vertreters nach § 179 II. a) War dem Vertreter bei Abschluss des Vertrags der Mangel der Vertretungsmacht nicht bekannt, ist er dem Geschäftsgegner nur zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet. Das gilt auch, wenn er grob fahrlässig seine Vertretungsmacht annahm; anders aber, wenn er für diese Annahme keinerlei Grund hatte (Saarbrücken OLG 1989, 234f). Zum Ersatz des Vertrauensschadens ist der Vertreter auch dann verpflichtet, wenn er bei Anwendung der ihm zumutbaren Sorgfalt den Mangel der Vertretungsbefugnis nicht erkennen konnte (BGH WM 1977, 478, 479; Staud/Schilken Rn 17). Die Haftung wird deshalb als gesetzliche Garantiehaftung gewertet (BGH 105, 283, 285), s aber § 177 III InsO (dazu München NJW-RR 2010, 62) sowie Rn 20f. 15 b) Hins der Rechtsfolgen entspricht Abs II weitgehend dem § 122. Der Vertreter schuldet den Ersatz des negativen Interesses. Zu ersetzen ist der Schaden, der auf dem enttäuschten Vertrauen in die Vertretungsmacht be528

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ruht. Der Vertreter muss den Geschäftsgegner vermögensmäßig so stellen, wie dieser stehen würde, wenn der Vertrag nicht geschlossen worden wäre (Staud/Schilken Rn 18). Der zu ersetzende Schaden kann konkret oder evtl abstrakt berechnet werden (RG 58, 326; Soergel/Leptien Rn 18; Staud/Schilken Rn 18); er umfasst auch die Kosten eines erfolglosen Prozesses gegen den Vertretenen (Düsseldorf NJW 1992, 1176, 1177). Ersatzfähig ist der Vertrauensschaden jedoch nur bis zur Höhe des Erfüllungsinteresses (MüKo/Schubert Rn 50) und nur, soweit ohne den Mangel der Vertretungsmacht ein durchsetzbarer Anspruch gegen den Vertretenen bestanden hätte (dazu Rn 6, 12; s auch § 122 Rn 5ff). c) Für den Ersatzanspruch aus Abs II gilt die Verjährungsfrist, die für den vertraglichen Erfüllungsanspruch gegolten hätte; die Frist beginnt mit der Verweigerung der Genehmigung zu laufen (BGH NJW 1979, 1161, 1162), nach § 199 also mit dem darauf folgenden Jahresende. d) Abs II ist dispositiv. Der Vertreter kann auch eine von seinem Kenntnisstand unabhängige Garantiehaftung mit den Rechtsfolgen des Abs I übernehmen. Dazu ist jedoch eine unzweideutige Gewährübernahme erforderlich (Soergel/Leptien Rn 18; Staud/Schilken Rn 3, 18). Durch AGB kann dem Vertreter eine über § 179 II hinausgehende Haftung nicht auferlegt werden (§ 309 Nr 11). 5. Ausschluss der Haftung. a) Nach Abs III S 1 haftet der Vertreter nicht, wenn der Geschäftsgegner das Fehlen der Vertretungsmacht kannte oder kennen musste, also infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 122 II). Auch leichte Fahrlässigkeit genügt. Jedoch darf der Geschäftsgegner idR der ausdr oder schlüssigen Behauptung der Vertretungsmacht glauben und braucht keine Nachforschungen anzustellen (BGH 105, 283, 285f; 147, 381, 385; MüKo/Schubert Rn 53; Soergel/Leptien Rn 19). Mit der Annahme fahrlässiger Unkenntnis ist die Rspr sehr zurückhaltend. Verneint wurde Fahrlässigkeit etwa in BGH 105, 283 (Vertreter für noch zu werbende Bauherren nach dem Bauherrenmodell); BGH NJW 1990, 387 (Vertretung einer GmbH durch einen Gesellschafter für die Gesellschafterversammlung); BGH NJW-RR 2005, 268 (Vertretung der GmbH iL durch früheren Geschäftsführer nach Eintragung und Bek der Liquidation und des Liquidators); BGH NJW 2000, 1407 (Vertretung durch Krankenhausleiter bei Abschluss von Mietverträgen für Krankenschwestern); s auch Düsseldorf NJW-RR 1995, 113; Fahrlässigkeit wurde bejaht von BGH NZG 2005, 276 (Aufsichtsrat muss Vertretungsregelung des § 112 AktG kennen); Saarbrücken NJW-RR 2001, 453 (Bauleiter vertritt vollmachtlos den Bauherrn bei Vereinbarung wesentlicher Vertragsänderung). Höhere Anforderungen gelten für eine Bank als Geschäftsgegner (RG HRR 1935 Nr 104). Verspricht ein vollmachtloser Vertreter, „seine Vollmacht nachzureichen“, so kann der Vertragsgegner regelmäßig darauf vertrauen, dass dem Vertreter schon mündlich Vollmacht erteilt worden ist (Celle DNotZ 1977, 33). Wenn die Haftung nach Abs III S 1 ausgeschlossen ist, kann dem Geschäftsgegner auch kein nach § 254 gekürzter Anspruch aus cic/§ 311 III gegen den Vertreter zugesprochen werden (ebenso Soergel/ Leptien Rn 19; RGRK/Steffen Rn 8; s auch Rn 22). Handelt der Vertreter unter Vorbehalt der Genehmigung für eine nicht existierende Person oder Gesellschaft, so ist seine Haftung auch dann ausgeschlossen, wenn der Vertragspartner nicht weiß, dass der Vertretene nicht existiert (BGH 178, 307). Auch wenn der Geschäftsgegner weiß, dass der Vertretene noch nicht existiert oder eine Vertretungsmacht nicht besteht, haftet der Vertreter aber, wenn er nach den Umständen das Risiko der Entstehung des Vertretenen (BGH 63, 45, 49f zur Vertretung einer noch nicht entstandenen GmbH & Co. KG durch ihren Gründer) oder seiner Genehmigung (BGH 105, 283, 285ff zur Vertretung noch zu werbender Bauherren im Bauherrenmodell) übernimmt. b) Nach Abs III S 2 haftet der beschränkt geschäftsfähige Vertreter nur, wenn sein gesetzlicher Vertreter dem Vertretungshandeln zugestimmt hat; sein Schutz hat Vorrang vor dem Verkehrsschutz. Der Schutz entfällt, wenn der ges Vertreter dem Handeln zugestimmt hat, auch wenn er den Vertretungsmangel nicht kennt (MüKo/Schubert Rn 59 mwN; aM van Venrooy AcP 181, 220, 227ff, nach dem die Zustimmung des ges Vertreters die Haftung des Minderjährigen nur begründen kann, wenn ihm der Vertretungsmangel bekannt ist, dann aber die Zustimmung wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht nichtig sei). Ist der Vertreter geschäftsunfähig, so beruht die Nichtigkeit des Vertrags nicht auf einem Vertretungsmangel (§ 165 Rn 5). Ein minderjähriger Vertreter, der ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters als unbefugter Vertreter aufgetreten ist, haftet dem Geschäftsgegner nur nach Deliktsrecht. Ansprüche aus cic/§ 311 III sind ebenfalls ausgeschlossen (Soergel/Leptien Rn 20). c) Auf das negative Interesse haftet der Vertreter auch, wenn der Mangel der Vertretungsmacht außerhalb der Erkenntnis- und Beurteilungsmöglichkeit des Vertreters liegt (aM Flume § 47, 3 [c]; wohl auch Soergel/Leptien Rn 18). In den in Betracht kommenden Fällen (zB Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers oder Anfechtung der Innenvollmacht, dazu § 167 Rn 46) steht der Vertreter dem Risiko immer noch näher als der Geschäftsgegner (Staud/Schilken Rn 17; Wolf/Neuner § 51 Rn 33; Medicus Rn AT Rn 994). Eine Zuweisung des Risikos zw Vertreter und Geschäftsgegner danach, wer im Einzelfall den Mangel leichter erkennen kann (so NK/Ackermann Rn 24), ist mit den Prinzipien des § 179 nicht vereinbar. Beruht der Mangel gesetzlicher Vertretungsmacht jedoch auf der Verfassungswidrigkeit des sie vermeintlich begründenden Gesetzes, so ist eine Ausnahme gerechtfertigt (BGH 39, 45, 51f zur Verfassungswidrigkeit des Alleinvertretungsrechts des Vaters nach § 1629 aF); Veranlasser des enttäuschten Vertrauens ist dann nicht der Vertreter, sondern das Gesetz (Pal/Ellenberger Rn 2; Staud/Schilken Rn 18). Mit solchen Fällen ist eine nach Rechtsprechungswechsel anzunehmende Nichtigkeit einer umfassenden Vollmacht aufgrund von Art 1 § 1 RBerG (jetzt § 3 RDG) nicht vergleichbar (aM Dorka/Losert DStR 2005, 245). Legt der Vertreter nur die Umstände offen, aus denen sich seine Vertretungsmacht ergeben soll, so entfällt seine Haftung, wenn dies in einer Weise geschieht, die die Beurteilung der Vertretungsmacht ausdr oder konkludent dem Geschäftsgegner überlässt (MüKo/SchuMaier-Reimer

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bert Rn 5; Soergel/Leptien Rn 2; Staud/Schilken Rn 18; BaRo/Habermeier Rn 29; K. Müller AcP 168, 140). Die bloße Mitteilung der Tatsachen, aus denen die Vertretungsmacht folgen soll, genügt dafür nicht (Pal/Ellenberger Rn 2; s auch BGH 39, 45, 51). Ansprüche gegen den Vertreter sind jedenfalls ausgeschlossen, wenn dieser selbst auf mögliche Mängel seiner Vertretungsmacht hingewiesen hat (MüKo/Schubert Rn 5). Meist wird dann schon Abs III S 1 eingreifen. Schließlich kann ein Anspruch ausgeschlossen sein, wenn trotz der Verweigerung der Genehmigung der Geschäftsgegner aufgrund eines rechtskräftigen Titels Rechte wie bei bestehender Vertretungsmacht hat (Hamm BauR 2004, 1472, 1473). 6. Entspr Anwendung des § 179. § 179 ist entspr anwendbar, wenn ein Vertrag für eine nicht (mehr) existierende Person abgeschlossen wurde (Staud/Schilken Rn 22; BGH 178, 307 Rn 10) oder die Person zwar existiert, aber nicht fähig ist, Vertragspartei des geschlossenen Vertrags zu werden (RG 106, 68, 73; Flume § 47, 3a; Soergel/Leptien Rn 9f) oder der Vertreter namens einer unselbständigen Abteilung handelt, wenn weder diese, noch ihr Träger in Anspruch genommen werden kann (BGH NZG 2013, 672) oder mit dem Vertrag die Grenzen ihrer Teilrechtsfähigkeit überschritten werden (BGH 195, 174 zum Betriebsrat, abl Lunk/Rodenbusch NJW 2014, 1989). Der Vertreter kann ferner analog § 179 in Anspruch genommen werden, wenn er einen Vertrag für einen anderen geschlossen hat, dessen Benennung später erfolgen sollte, der Vertreter aber den Vertretenen nicht namhaft macht (Köln NJW-RR 1991, 918; Staud/Schilken Rn 22; Soergel/Leptien vor § 164 Rn 28; s auch BGH 129, 136, 149ff = NJW 1995, 1739, 1742 m Anm Altmeppen – treuwidrige Abstimmung in der Hauptversammlung einer AG mit Stimmrechtsvollmacht ohne Benennung der Aktionäre). Analog anwendbar ist § 179 grds auch bei einem Handeln für eine noch nicht entstandene Personenhandelsgesellschaft (BGH 63, 45, 48) oder eine noch nicht errichtete Kapitalgesellschaft (BGH 91, 148; Köln NJW-RR 1995, 1503). Der Vertreter haftet in diesen Fällen auch dann, wenn der andere Teil weiß, dass die Gesellschaft noch nicht besteht (BGH 63, 45, 49; aA K. Schmidt NJW 1975, 665, 667). Handelt der Vertreter für eine errichtete, aber mangels Eintragung im Handelsregister noch nicht entstandene Kapitalgesellschaft, sog Vorgesellschaft, gelten die (die §§ 11 GmbHG, 41 AktG weitgehend überlagernden) Grundsätze zur Vorgesellschaft; s dazu die Kommentierungen zu §§ 11 GmbHG, 41 AktG. Keine Haftung aus § 179 analog tritt ein, wenn die vertretene Partei existiert und Vertretungsmacht erteilt hat, aber bei Vertragsschluss unrichtig (zB mit dem Namen einer nicht bestehenden Scheinfirma) bezeichnet wird (BGH NJW 1996, 1053 m Anm Altvater WiB 1996, 498). Zur Haftung des Geschäftsführers einer GmbH analog § 179 bei Nichtbeachtung von § 4 GmbHG s § 164 Rn 24 und Haas NJW 1997, 2855. Analog § 179 haften auch der unter fremdem Namen Handelnde (§ 164 Rn 11ff; zur Abgrenzung im Zusammenhang mit Ansprüchen aus § 661a s auch BGH NJW-RR 2006, 701), wenn der wahre Namensträger den Vertrag nicht genehmigt, der Bote ohne Botenmacht (Oldenburg NJW 1978, 951; Staud/Schilken Rn 25) und derjenige, der kraft eines vermeintlichen Amtes (zB als Insolvenzverwalter oder Testamentsvollstrecker) oder unter Vorspiegelung eines solchen Amtes ein Geschäft vorgenommen hat (RG SeuffA 87 Nr 105; Soergel/Leptien Rn 8). Zu § 179 analog beim Handeln namens eines inexistenten Strohmannes LG Stuttgart BB 1994, 815. 7. Konkurrenzfragen. § 179 verdrängt grds die Haftung aus cic/§ 311 III, soweit es um den Ersatz des Schadens geht, der infolge des Vertretungsmangels beim Vertragsgegner eingetreten ist (ebenso MüKo/Schubert Rn 60 und § 177 Rn 55; RGRK/Steffen Rn 18; Soergel/Leptien Rn 23; einschränkend Crezelius JuS 1977, 796ff; aA Flume § 47, 3a; Staud/Schilken Rn 20); insoweit geht § 179 als lex specialis vor. Anders dann, wenn die für die cic/§ 311 III erforderliche vorvertragliche Pflichtverletzung nicht in der (konkludenten) wahrheitswidrigen Behauptung der Vertretungsmacht liegt, sondern darin, dass der offen ohne Vertretungsmacht auftretende Vertreter beim Vertragsgegner schuldhaft den falschen Eindruck erweckt, der Vertretene werde mit Sicherheit die Genehmigung erteilen, und dadurch den anderen Teil zu nutzlosen Verm^ögensaufwendungen veranlasst (Köln JMBl NW 1971, 271; ähnlich Crezelius JuS 1977, 799). Eine Haftung aus cic kommt ferner in Betracht, wenn der Verhandlungsführer einer Vertragspartei nicht als Bevollmächtigter auftritt, aber doch persönliches Vertrauen in Anspruch nimmt (Bsp BGH NJW-RR 2006, 993). Soweit es um andere Schäden geht, die nicht durch das Fehlen der Vertretungsbefugnis hervorgerufen worden sind, steht § 179 einer Haftung aus cic nicht entgegen (MüKo/Schubert § 177 Rn 56; RGRK/Steffen Rn 18). Keinen Einfluss hat § 179 auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung (RGRK/Steffen Rn 18; Soergel/Leptien Rn 22; aA MüKo/Schubert § 177 Rn 56). Auch die Haftungsbeschränkungen des § 179 II, III sind auf deliktische Ansprüche nicht entspr anwendbar (Soergel/Leptien Rn 22). Nebeneinander bestehen können Ansprüche aus § 179 und Ansprüche gegen den Vertretenen aus GoA (BGH NJW-RR 1989, 970; 2004, 81 m krit Anm Oechsler LMK 2004, 19; s dazu auch Wendlandt NJW 2004, 985) oder aus ungerechtfertigter Bereicherung (BGH 36, 30, 35; NJW 2001, 3184, 3185; Celle BauR 2000, 289). Im Einzelfall kann der Geschäftsgegner auch den Vertretenen aus cic/§ 311 II in Anspruch nehmen (§ 177 Rn 26). Zur Haftung von Gebietskörperschaften wegen Verschuldens beim Vertragsschluss ohne Zustimmung der Aufsichtsbehörde BGH NVwZ 2001, 116; LM § 276 (Fa) Nr 159 m Anm Hager; s auch BGH 147, 381, 391ff. 8. Beweislast. a) Klagt der Vertragsgegner gegen den Vertreter auf Erfüllung oder Schadensersatz (§ 179 I), dann muss er behaupten und beweisen, dass dieser in fremdem Namen mit ihm einen Vertrag geschlossen und der Vertretene die Genehmigung verweigert hat oder die Genehmigung gem § 177 II 2 als verweigert gilt. Bei Ungewissheit über die Person des Vertragspartners kann es sich für den Vertragsgegner empfehlen, den ihm ggü Handelnden (aus Vertrag oder § 179) zu verklagen und etwaigen weiteren Personen, die als Vertragspartner in Betracht kommen könnten, den Streit zu verkünden (Bsp BGH NJW-RR 2005, 1585; s auch BGH 85, 252). 530

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Vertretung und Vollmacht

§ 180

b) Der verklagte Vertreter erreicht eine Abweisung der Klage, wenn er eine der folgenden Voraussetzungen behauptet und beweist: aa) Er war vertretungsberechtigt (Düsseldorf NJW 1992, 1176); dies muss er trotz des abw Wortlauts auch nach Art 8 WG beweisen (s aber BGH 99, 50, 52). Dabei genügt es, wenn er die Erteilung der Vollmacht durch den Vertretenen beweist; Sache des Klägers ist es, ein etwaiges Erlöschen der Vollmacht zu beweisen. bb) Der Kläger kannte den Mangel der Vertretungsmacht oder musste ihn kennen. cc) Der Vertreter war beschränkt geschäftsfähig; die Beweislast für die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters trägt wiederum der Kläger. Der Vertreter trägt die Beweislast für seine Unkenntnis des Mangels (§ 179 II).

§ 180

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Einseitiges Rechtsgeschäft

Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft ist Vertretung ohne Vertretungsmacht unzulässig. Hat jedoch derjenige, welchem gegenüber ein solches Rechtsgeschäft vorzunehmen war, die von dem Vertreter behauptete Vertretungsmacht bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts nicht beanstandet oder ist er damit einverstanden gewesen, dass der Vertreter ohne Vertretungsmacht handele, so finden die Vorschriften über Verträge entsprechende Anwendung. Das Gleiche gilt, wenn ein einseitiges Rechtsgeschäft gegenüber einem Vertreter ohne Vertretungsmacht mit dessen Einverständnis vorgenommen wird. 1. Bedeutung. An einem einseitigen Rechtsgeschäft wirkt dessen Adressat nicht aktiv mit. Deshalb ist er besonders schutzbedürftig (s auch § 174 Rn 1). Daher ist nach S 1 die Vertretung ohne Vertretungsmacht bei einseitigen Rechtsgeschäften grds unzulässig (vgl auch §§ 111, 1367, 1831). Soweit es bei dieser Unzulässigkeit verbleibt, kommt auch eine Haftung des Vertreters aus § 179 nicht in Betracht (s jedoch Rn 11). Er kann nur aus Delikt oder ggf cic haften (Soergel/Leptien Rn 1). Von dem Grundsatz macht S 2 bedeutsame Ausnahmen für empfangsbedürftige Willenserklärungen, die bei der Aktivvertretung daran anknüpfen, dass der Adressat seine Rechte aus § 174 nicht wahrnimmt oder bewusst mit dem vollmachtlosen Verhalten einverstanden ist. Vertraut der Adressat auf eine tatsächlich nicht bestehende Vertretungsmacht, so ist er deshalb durch § 179 iVm § 180 S 2 geschützt. 2. Anwendungsbereich. a) Die Vorschrift gilt insgesamt für einseitige Rechtsgeschäfte. Für einseitige geschäftsähnliche Handlungen (Einl § 104 Rn 7) gilt sie entspr (BGH NJW 2006, 687 für die Mahnung). Sie ist insgesamt nicht anwendbar auf Prozesshandlungen einschl der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung (Staud/Schilken Rn 13; Soergel/Leptien Rn 7). b) Die Ausnahme des S 2 gilt nur für empfangsbedürftige Willenserklärungen. Die Abgrenzung ist str. aa) Sie gilt jedenfalls nicht für streng einseitige Rechtsgeschäfte (Einl § 104 Rn 15) wie Auslobung (§ 657), Eigentumsaufgabe (§ 959). Mangels eines Erklärungsadressaten gilt sie auch nicht für die Einmanngründung einer GmbH (Stuttgart GmbHR 2015, 487; Frankfurt ZIP 2017, 920, 921; Ulmer/Ulmer/Löbbe § 2 GmbHG Rn 32; aM Hasselmann ZIP 2012, 1947), dagegen gilt sie für die vollmachtlose Vertretung des Alleingesellschafters bei Gesellschafterbeschlüssen, weil die Stimmen in diesem Fall ggü der Gesellschaft abgegeben und für diese von dem Vertreter angenommen werden (München ZIP 2011, 772). bb) Bei amtsempfangsbedürftigen einseitigen Rechtsgeschäften, die sowohl ggü einer Behörde, als auch ggü einem Dritten abgegeben werden können (Bsp §§ 875 I 2, 876 S 3, 880 II 3, 1168 II 1, 1183 S 2), ist die Ausnahme des S 2 anwendbar, wenn die Erklärung tatsächlich ggü einem Dritten abgegeben wird (hM Staud/Schilken Rn 11, MüKo/Schubert Rn 8), und nicht anwendbar, wenn sie ggü der Behörde abgegeben wird, weil die Behörde nicht als befugt angesehen werden kann, über die mitbetroffenen Rechte anderer Beteiligter zu disponieren (insoweit hM; Soergel/Leptien Rn 3; Staud/Schilken Rn 11). Kann die Erklärung nur ggü der Behörde abgegeben werden, so ist nach hM die Ausnahme ebenfalls nicht anwendbar (Soergel/Leptien Rn 3f; Staud/Schilken Rn 11; aM wohl MüKo/Schubert Rn 8). Wenn jedoch die Behörde die einzige mögliche Adressatin ist, besteht kein hinreichender Grund, weshalb die Möglichkeit des S 2 nicht eingreifen sollte (ebenso MüKo/Schubert Rn 8). Die hM vermeidet einige der sich aus ihr ergebenden Konsequenzen dadurch, dass sie nicht auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts, sondern auf dessen Einreichung bei der Behörde abstellt, weil erst damit die Erklärung abgeschlossen sei (Soergel/Leptien Rn 3; zu der vergleichbaren Bestimmung des § 1831 s dort Rn 3a), oder eine Erklärung wie die vollmachtlose Eintragungsbewilligung trotz § 875 (dazu BGH 77, 7, 9) als reine Verfahrenshandlung wertet, für die § 180 nicht gilt (Demharter § 19 GBO Rn 74 mwN). Wenn die Erklärung einer materiellen Ausschlussfrist unterliegt, besteht kein Grund, die noch innerhalb der Frist erklärte Genehmigung nicht genügen zu lassen (so zur Erbausschlagung durch den gesetzlichen Vertreter (§ 1831) RG 118, 145, 147 sowie § 1831 Rn 3a mwN). S 2 soll auch nicht gelten für die vollmachtlose Wahrung tarifvertraglicher Ausschlussfristen (BAG NJW 2003, 236, 237), wobei allerdings unklar bleibt, ob das nur für den Fall gemeint ist, dass die Genehmigung nach Ablauf der Frist erklärt wird (dazu unten Rn 9). 3. Ausnahme bei aktiver Stellvertretung (S 2). Mit den genannten Einschränkungen (Rn 3, 4) können auch einseitige empfangsbedürftige Rechtsgeschäfte schwebend unwirksam sein. Das gilt auch für eine außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund (BAG AP BGB § 180 Nr 1; Düsseldorf NJOZ 2006, 4058, mwN; abw Einzelmeinung: Celle ZMR 1999, 237). a) Voraussetzungen. Für die schwebende Unwirksamkeit muss eine der beiden folgenden Voraussetzungen erfüllt sein: aa) Der Adressat beanstandet die behauptete Vertretungsmacht nicht. Die Behauptung der Vertretungsmacht kann ausdr oder konkludent erfolgen, wofür idR das Auftreten als Vertreter genügt (MüKo/SchuMaier-Reimer

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bert Rn 9). Nicht erforderlich ist, dass der Vertreter erkennen lässt, worauf seine Vertretungsmacht beruht (aM Soergel/Leptien Rn 9, für den Fall, dass mehrere Grundlagen in Betracht kommen). Vorausgesetzt ist ferner, dass der Adressat den Vertretungsmangel nicht kennt; andernfalls kommt nur die 2. Alt (Rn 7) in Betracht (Staud/ Schilken Rn 6). Beanstandung bedeutet dasselbe wie die Zurückweisung iSv § 174; in ihr muss der Erklärungsgegner zu erkennen geben, dass er das Geschäft gerade wegen des Zweifels an der Vertretungsmacht nicht gelten lassen will. Sie kann auch eine Zurückweisung nach § 174 enthalten (BGH NJW 2013, 297 Rn 9). Eine Zurückweisung aus anderen Gründen ist keine Beanstandung iSd S 2 (BGH BB 1969, 293; s auch § 174 Rn 10). Nach dem Wortlaut muss die Beanstandung „bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts“ erfolgen, das scheint zeitlich enger zu sein als die „unverzügliche“ Zurückweisung iSv § 174. Ist das Rechtsgeschäft unter Abwesenden vorgenommen, kommt ohnehin nur eine unverzügliche Zurückweisung in Betracht. Aber auch wenn die Erklärung unter Anwesenden abgegeben war, genügt die unverzügliche Zurückweisung – denn der Adressat kann sie gem § 174 noch „unverzüglich“ mit derselben Folge zurückweisen. I Erg genügt deshalb immer die unverzügliche Beanstandung (ebenso Soergel/Leptien Rn 9; MüKo/Schubert Rn 11; aM mit Differenzierung für Erklärungen zw Anwesenden und zw Abwesenden Staud/Schilken Rn 7). bb) Der Erklärungsempfänger ist mit dem Handeln ohne Vertretungsmacht einverstanden. Das setzt voraus, dass der Erklärungsempfänger den Mangel der Vertretungsmacht kennt oder ihn zumindest für möglich hält; fahrlässige Unkenntnis reicht nicht. Die Erklärung des Einverständnisses kann ausdr oder konkludent erfolgen. Bloßes Schweigen des Erklärungsempfängers in Kenntnis des Fehlens der Vertretungsmacht genügt jedoch idR nicht (MüKo/Schubert Rn 12; Soergel/Leptien Rn 10; Staud/Schilken Rn 4). Das Einverständnis kann innerhalb desselben Zeitrahmens erklärt werden, in welchem eine Beanstandung noch möglich wäre, also auch unverzüglich nach Vornahme des Rechtsgeschäfts (ebenso Soergel/Leptien Rn 10; wie bzgl der Beanstandung aM MüKo/ Schubert Rn 12). b) Rechtsfolgen. Hat der Erklärungsgegner die vom Vertreter behauptete Vertretungsmacht nicht beanstandet oder sein Einverständnis zum Handeln ohne Vertretungsmacht erteilt, so gelten die Vorschriften über Verträge, also die §§ 177–179, entspr. Das Rechtsgeschäft ist schwebend unwirksam und wird durch Genehmigung des Vertretenen wirksam. aa) Die Genehmigung hat Rückwirkung (§ 184; RG 66, 430, 432; Düsseldorf NJOZ 2006, 4058, 4060; Staud/ Gursky § 184 Rn 32; MüKo/Bayreuther § 184 Rn 12ff); eine Frist wird dadurch aber nicht rückwirkend in Lauf gesetzt (§ 177 Rn 21, § 184 Rn 15). Sollte mit dem Rechtsgeschäft eine Ausschlussfrist gewahrt werden, so entspricht es dem Sinn der Befristung, dass die Genehmigung innerhalb der Frist erklärt werden muss (BGH 32, 375, 382; BAG NJW 1987, 1038; NZA 1987, 635 für die fristlose Kündigung gem § 626; anders BGH NJW 2010, 2950 für die Frist gem § 651g I). Ob generell die Genehmigung innerhalb der Frist erfolgen muss (so die hM; Soergel/Leptien Rn 12; Staud/Schilken Rn 6; einschr MüKo/Schubert Rn 16), erscheint zweifelhaft. Es sollte wie bei § 177 auf den Zweck der Frist ankommen (§ 177 Rn 21). Zur Rückwirkung der Genehmigung einer (ordentlichen) Kündigung s MüKo/Schubert Rn 14. bb) Die entspr Geltung des § 178 bedeutet: Wenn der Adressat den Mangel der Vertretungsmacht nicht kannte, kann er „widerrufen“, dh in diesem Fall das einseitige Rechtsgeschäft bis zur Genehmigung zurückweisen (Staud/ Schilken Rn 6). War der Adressat mit dem Handeln ohne Vertretungsmacht einverstanden (Rn 7), so ist § 178 nicht anwendbar, weil er den Vertretungsmangel kannte (Staud/Schilken Rn 6). cc) Wird die Genehmigung verweigert oder gilt sie gem § 177 II 2 als verweigert, so haftet der Vertreter gem § 179, jedoch nur bei der ersten Alt des § 180 S 2; war er mit dem Handeln ohne Vertretungsmacht einverstanden, so entfällt eine Haftung des Vertreters gem § 179 III. Ein Erfüllungsanspruch gegen den Vertreter kommt in den Fällen des § 180 S 2 nicht in Betracht, sodass sich die Haftung auf Schadensersatz beschränkt. 4. Ausnahme bei passiver Stellvertretung (S 3). Das ggü einem Vertreter ohne Vertretungsmacht vorgenommene einseitige Rechtsgeschäft ist schwebend unwirksam, wenn der Empfangsvertreter sein Einverständnis dazu erteilt, dass die Erklärung ihm ggü abgegeben wird. Der Vertreter braucht keine Kenntnis vom Fehlen seiner Vertretungsmacht zu haben. Er kann sein Einverständnis ausdr oder konkludent erteilen; erforderlich ist jedoch, dass er erkennbar zur Entgegennahme der Willenserklärung bereit ist. Dafür genügt es idR, dass sich der Empfänger als Vertreter bezeichnet. Die Rechtsfolgen ergeben sich auch hier aus einer entspr Anwendung der §§ 177–179: Die Wirksamkeit des Geschäfts hängt von der Genehmigung durch den Vertretenen ab. Entspr § 177 II kann der Erklärende den Vertretenen zur Erklärung über die Genehmigung auffordern. Ein Widerrufsrecht hat der Erklärende nur, wenn er den Mangel der Vertretungsmacht nicht kennt (§ 178). Ein Schadensersatzanspruch des Erklärenden gegen den Vertreter bei Verweigerung der Genehmigung entspr § 179 kommt nur in Betracht, wenn der Vertreter sich als solcher aufgeführt hat. Auch wenn der Vertretene die Genehmigung verweigert, kann die Erklärung ihm ggü wirksam werden, wenn sie ihm nämlich von dem Empfänger (als Boten des Erklärenden) weitergeleitet wird (Staud/Schilken Rn 9). 5. Beweislast. Wer sich auf die Wirksamkeit des einseitigen Rechtsgeschäfts beruft, muss die Vertretungsmacht des Vertreters beweisen. Gelingt der Beweis nicht, ist das einseitige Rechtsgeschäft nach der Regel des S 1 als nichtig anzusehen. Wer sich demgegenüber auf einen der Ausnahmetatbestände (S 2 oder 3) beruft, ist für alle dort genannten Voraussetzungen beweispflichtig (zT aA RGRK/Steffen Rn 7).

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Vertretung und Vollmacht

§ 181

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Insichgeschäft

Ein Vertreter kann, soweit nicht ein anderes ihm gestattet ist, im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen, es sei denn, dass das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht. Schrifttum: Baetzgen, Insichgeschäfte im Gesellschaftsrecht, RNotZ 2005, 193; U. Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977; Jäger, Teleologische Reduktion des § 181, 1999; S. Tiedtke, Teleologische Reduktion und analoge Anwendung des § 181 BGB, 2002.

1. Bedeutung. Die Vertretungsmacht des Vertreters umfasst grds nicht die Vornahme von Insichgeschäften (= 1 Rechtsgeschäfte, die eine Person ggü sich selbst vornimmt). § 181 kennt zwei Arten von Insichgeschäften, das Selbstkontrahieren und die Mehrvertretung. Beim Selbstkontrahieren nimmt ein Vertreter im Namen des Vertretenen mit sich selbst im eigenen Namen ein Rechtsgeschäft vor. Bei der Mehrvertretung nimmt ein Vertreter im Namen des Vertretenen mit sich im Namen eines Dritten ein Rechtsgeschäft vor. Ein Insichgeschäft wirft drei grundlegend verschiedene Fragen auf (eingehend Flume § 48, 1). Schon der Tatbestand eines Rechtsgeschäfts ist nur aufgrund ausdr Anerkennung durch § 181 gegeben (Flume § 48, 3). Fragen ergeben sich weiter hins des Erfordernisses einer Dokumentation oder Manifestation des Rechtsgeschäfts (dazu Rn 3). Schließlich ist der in der Person des Vertreters bestehende Interessenkonflikt zu regeln. Die ersten beiden Fragen regelt das Gesetz nicht ausdr (s aber zur Dokumentation § 35 III 2 GmbHG). Das Problem des Interessenkonflikts regelt § 181 dahin, dass sich die Vertretungsmacht nicht auf Insichgeschäfte erstreckt, soweit nicht diese gestattet sind oder das Geschäft nur in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht. § 181 begrenzt also die an sich bestehende Vertretungsmacht. Der gesetzgeberische Grund der Regelung liegt in dem Interessenkonflikt. Ein konkreter Interessenkonflikt ist 2 jedoch für den Tatbestand weder erforderlich, noch ausreichend (BGH 50, 8, 11). Daraus ergibt sich die Frage, ob dieser Grund jedenfalls bei der (teleologischen) Auslegung zu berücksichtigen ist. Das RG und die frühere Rspr des BGH knüpften die Anwendung der Vorschrift allein an die formalen Kriterien des Wortlauts (zB RG 103, 417, 418; 157, 31; BGH 21, 229; 112, 339; NJW 1991, 982, 983; Flume § 48, 1 und 5). Diese Auslegung wird oft dahin zusammengefasst, sie verstehe § 181 als „rein formale Ordnungsvorschrift“, womit auch das Ziel der Erkennbarkeit von Rechtsgeschäften (Rn 1) den Anwendungsbereich bestimme (BGH 50, 8, 11; Staud/Schilken Rn 5; Soergel/Leptien Rn 4). Auch wenn der Tatbestand eines Insichgeschäfts ausschließlich nach formalen Kriterien beurteilt würde, wäre die Vorschrift indessen keine „rein formale Ordnungsvorschrift“. Denn als solche müsste sie unabhängig davon eingreifen, ob der Vertretene die Insichvertretung gestattet hat. Die heute hM berücksichtigt das gesetzgeberische Motiv der Regelung des typischen Interessenkonfliktes, indem sie den Anwendungsbereich teleologisch dadurch reduziert, dass sie die Vorschriften nicht auf Fallgruppen anwendet, in denen bei abstrahierender Betrachtung ein Interessenkonflikt ausgeschlossen ist (Rn 22f). Dagegen bestehen auch unter Rechtssicherheitsaspekten keine Bedenken. Die Lit hat darüber hinaus seit langem – mit Unterschieden – auch eine extensive Auslegung oder analoge Anwendung der Vorschrift auf vergleichbare Konstellationen wegen eines Interessenkonflikts gefordert; den an dem Interessenkonflikt orientierten Zweck des § 181 betont auch BGH 50, 209, 215; 112, 339. Auch nach der überwiegenden Auffassung der Lit bedarf es aber neben dem – mindestens abstrakt indizierten – Interessenkonflikt der Personenidentität auf beiden Seiten (MüKo/Schubert Rn 40ff; Staud/Schilken Rn 34ff; weitergehend Tiedtke aaO, 37ff, 57ff; auch Erman/Palm12 Rn 2, 15ff). Es geht also darum, wann eine solche Personenidentität anzunehmen ist. Im Interesse der Rechtssicherheit sollte § 181 über seinen – richtig verstandenen – Wortlaut hinaus allenfalls aufgrund konkreter Analogie auf formalisierte, eindeutig abgrenzbare Fallgruppen angewandt werden. Die zunehmende Tendenz, die Grenzen des Tatbestands nach dem Kriterium der Interessenkollision zu bestimmen (s nur Auktor NZG 2006, 334; Baetzgen RNotZ 2005, 193; Lichtenberger MittBayNot 1999, 470; Vollhardt DNotZ 2000, 309, 310; Neumayer RNotZ 2001, 249, 265f) weicht ohne Not die Grenzen des Tatbestands in beide Richtungen mit der Folge einer sich ausweitenden Rechtsunsicherheit auf. Bei mehraktigen Sachverhalten (Untervollmacht, Ermächtigung, Gestattung, Genehmigung) ist nicht nach einem Interessenskonflikt zu fragen, sondern immer danach, ob der Handelnde durch § 181 an dem Abschluss des Geschäfts, so, wie es abgeschlossen wurde, gehindert wäre oder nicht (Rn 10ff, 27, 33f). § 181 ist nicht der einzige Schutz, den der Vertretene hat. Ihn schützen auch die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht (§ 167 Rn 70ff). 2. Erkennbarkeit. Auch wenn im Einzelfall das Insichgeschäft von der Vertretungsmacht gedeckt ist oder nach- 3 träglich genehmigt wird (Rn 33f), kann es sich nicht allein im Willen des Vertreters abspielen, sondern der auf Vornahme des Geschäfts gerichtete Wille muss sich – anstelle der sonst erforderlichen Erklärung – äußerlich manifestieren. Das Geschäft muss deshalb nach außen erkennbar sein. Das gilt vor allem für Verfügungsgeschäfte (s etwa RG 63, 403, 405; 139, 117; BGH NJW 1962, 587, 589; 1991, 1730 mwN; BFH WM 1968, 341, 342). Bei Verpflichtungsgeschäften genügt es, dass sich die Vornahme aus späteren Maßnahmen ergibt (RG JW 1912, 236, 237; 1926, 2571, 2572); jedoch muss bei formbedürftigen Geschäften das Insichgeschäft aus der Urkunde zu entnehmen sein (Düsseldorf MDR 1977, 1018). Bei einem Insichgeschäft des Alleingesellschafters und Geschäftsführers einer GmbH mit dieser sind besonders strenge Anforderungen an den Nachweis des Geschäfts zu stellen (BGH 75, 358, 363). Die nach § 35 III 2 GmbHG vorgeschriebene Dokumentation ist aber nicht Wirksamkeitsvoraussetzung (Scholz/Schneider/Schneider § 35 GmbHG Rn 186). Zur Dokumentation von Rechtsgeschäften bei Mehrvertretung durch den Geschäftsführer mehrerer GmbH FG Baden-Württemberg GmbHR Maier-Reimer

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1994, 198. Ist den Anforderungen an die Erkennbarkeit genügt, dann gelten für die Auslegung die allg Grundsätze (§§ 133, 157); insb hat auch beim Insichgeschäft das „übereinstimmend“ Gewollte nach den Grundsätzen über die Unschädlichkeit der falsa demonstratio Vorrang vor dem Erklärten (BGH NJW 1991, 1730f). 3. Anwendungsbereich. a) Privatrecht. § 181 gilt für das ganze Zivilrecht. Die Vorschrift wird aber teilw durch Spezialnormen verdrängt. Für öffentliche Versteigerungen gelten §§ 450ff (s auch BGH WM 1960, 1419, 1420). Bei Beschl der Mitglieder eines Vereins, einer WEer-Gemeinschaft oder einer Kapitalgesellschaft gelten anders abgegrenzte Stimmrechtsverbote (§ 34; §§ 25 V WEG; 136 I AktG; 47 IV GmbHG; 43 VI GenG). Kollisionsrechtlich ist § 181 Teil des sog Vollmachtstatuts. § 181 kommt daher dann und nur dann zur Anwendung, wenn sich die Vertretungsmacht nach dt Recht richtet. Er gilt deshalb nicht für die Organvertretung einer englischen Limited Liability Company, auch wenn diese mit einer Zweigniederlassung in einem dt Handelsregister eingetragen ist. Deshalb ist eine Befreiung des Organvertreters von den Beschränkungen des § 181 nicht eintragungsfähig (München NJW-RR 2005, 1486; Frankfurt GmbHR 2009, 214); zur Eintragung der Befreiung eines ständigen Zweigstellenvertreters gem § 13e II 5 Nr 3 HGB s München NJW-RR 2006, 1042. b) Prozessrecht. Auf Prozesshandlungen ist § 181 nicht unmittelbar anzuwenden (BGH 41, 105, 107); doch gilt der Grundgedanke der Bestimmung auch im Prozess (Staud/Schilken Rn 27; Soergel/Leptien Rn 23) einschl der echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (BayObLG 1962, 1, 2); eine Befreiung ist nicht möglich (Stuttgart GmbHR 2013, 535, 539). Deshalb kann die Zustellung an den durch den Zustellenden vertretenen Gegner unwirksam sein (Celle OLGRp 2007, 644). Zur Anwendung auf die grundbuchrechtliche Eintragungsbewilligung Demharter § 19 GBO Rn 89 und LG Karlsruhe MitBay Not 2008, 382; s auch Rn 14. c) Öffentliches Recht. Auf Privatrechtsgeschäfte von Rechtssubjekten des öffentlichen Rechts sowie auf öffentlich-rechtl Verträge ist § 181 erg anzuwenden, soweit das öffentliche Recht keine eigene Regelung enthält, § 62 VwVfG (Soergel/Leptien Rn 24 mwN; noch zur Rechtslage vor dem VwVfG Alscher NJW 1972, 803). 4. Voraussetzungen. a) Es muss ein Rechtsgeschäft vorliegen. Dabei kann es sich um einen (schuldrechtlichen oder dinglichen) Vertrag oder ein einseitiges Rechtsgeschäft handeln, soweit dieses eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist (BGH NJW-RR 1991, 1730). Bei einem streng einseitigen Rechtsgeschäft (Einl § 104 Rn 15) fehlt es an einer „Gegenseite“ und kann deshalb der Tatbestand nicht erfüllt sein. Auch familien- und erbrechtliche Geschäfte kommen in Betracht (RG 79, 282, 283; BGH 50, 10; zum Testamentsvollstrecker, der zugleich gesetzlicher Vertreter von Erben ist, Hamm MittBayNot 1994, 53 m Anm Reimann; zur Erbausschlagung Coing NJW 1985, 6, 9 und Buchholz NJW 1993, 1161 sowie Rn 14). Schließlich gilt § 181 auch für wechselrechtliche Geschäfte (BGH WM 1978, 1002; Tiedtke BB 1976, 1535, 1536; s aber Dittmann NJW 1959, 1957); Einlösung und Einziehung von Wertpapieren durch dieselbe Bank ist regelmäßig ein Insichgeschäft (BGH 26, 167, 171f). Für geschäftsähnliche Handlungen gelten nach hM die Vorschriften über Willenserklärungen (BGH 47, 352, 357), deshalb auch § 181 (Staud/Schilken Rn 14). b) Das Geschäft muss durch einen Vertreter vorgenommen werden; es mag sich um einen rechtsgeschäftlichen, um einen gesetzlichen oder um einen organschaftlichen Vertreter (RG 71, 162, 163; BGH 33, 189, 190) handeln. Deshalb kann ein Vormund nicht für mehrere Mündel etwa einen Erbauseinandersetzungsvertrag schließen, und zwar auch dann nicht, wenn das FamG den Vertrag gestattet (RG 71, 162). Auch die Vertretungsorgane einer jur Pers fallenunter § 181 (BGH 33, 190; 56, 101; de lege ferenda sehr krit Hauschild ZIP 2014, 954). Schließlich ist die Vorschrift auf die Verwalter fremden Vermögens (jedenfalls entspr) anwendbar, zB Testamentsvollstrecker (BGH 30, 67, 69; 51, 209, 215, dazu v Lübtow JZ 1960, 151), Nachlassverwalter, Insolvenzverwalter (BGH NJW 1991, 982, 983). c) Der Vertreter muss auch auf der anderen Seite an dem Rechtsgeschäft beteiligt sein. Das ist der Fall, wenn er auf der anderen Seite das Geschäft vornimmt, sei es im eigenen Namen (Selbstkontrahieren) oder – mit oder ohne Vertretungsmacht, Rn 21 - als Vertreter eines Dritten (Mehrfachvertretung), oder wenn er selbst die Gegenseite ist. Der Wortlaut „mit sich im eigenen Namen … vornimmt“ legt zwar nahe, dass der Vertreter auch für sich selbst handeln müsse (so MüKo/Schubert Rn 22, die sonst § 181 analog anwenden will, Rn 45). Zwingend ist dies nicht; es genügt ein Rechtsgeschäft „mit sich“ (Soergel/Leptien Rn 12, 29; Staud/Schilken Rn 36; Flume § 48, 4). Sog wirtschaftliche Identität genügt nicht (BGH NJW 1991, 982 zum Vertrag zw Konkursverwalter und einer ihm zu 100 % gehörenden GmbH). Die Vorschrift greift jedoch nicht ein, wenn jemand auf derselben Seite des Rechtsgeschäfts für sich und einen anderen oder als Vertreter mehrerer Personen auftritt (RG 127, 103, 105; BGH 50, 8, 10; MüKo/Schubert Rn 22), indem er etwa als Vertreter zweier Käufer mit dem Verkäufer einen Kaufvertrag schließt oder als Vertreter des als Gläubiger und des als Schuldner beteiligten Konzernunternehmens mit einem Dritten eine Konzernverrechnung vereinbart (BGH 94, 132) oder als Verwalter zu der von ihm selbst als WE vorgenommenen Wohnungsveräußerung seine Zustimmung gibt (Düsseldorf NJW 1985, 390). Dasselbe kann bei Veräußerung von Nachlassgegenständen durch einen Miterben, zugleich als Vertreter eines anderen Miterben, an einen Dritten gelten (BayObLG NJW-RR 1995, 1032; Frankfurt NJW-RR 2007, 1308), nicht aber, wenn dies mit einer (Teil-)Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verbunden ist (RG 93, 334). Werden an Minderjährige gleichzeitig bereits bestehende Anteile an einer KG abgetreten, so können sie durch denselben Ergänzungspfleger vertreten werden, nicht aber, wenn sie durch Aufnahmevertrag in die Gesellschaft aufgenommen werden (München NZG 2010, 862; Maier-Reimer/Marx NJW 2005, 3025, 3027).

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5. Einzelfälle. Die Abgrenzung von Fällen, bei denen die Voraussetzungen des Insichgeschäfts vorliegen, ist im Einzelnen str. Diese Voraussetzungen liegen immer vor, wenn der Vertreter auf beiden Seiten an der Vornahme des Geschäfts beteiligt ist, dh bei zweiseitigen Rechtsgeschäften auf beiden Seiten abschließt, bei einseitigen Rechtsgeschäften sowohl Erklärender als auch Erklärungsempfänger ist. Jenseits dieser Fälle genügt es aber auch, wenn er den Vertretenen in einem Geschäft vertritt, das materiell ein Geschäft zw dem Vertretenen und dem Vertreter ist. Ob das der Fall ist, ist nicht aus § 181 zu beurteilen, sondern nach den Charakteristika des jew Rechtsgeschäfts aufgrund der für es selbst geltenden Vorschriften. a) Untervertreter/Eigenvertreter. Bestellt der Vertreter einen Untervertreter und nimmt er das Geschäft mit diesem vor, so hielt das RG den § 181 mangels Personenidentität für nicht anwendbar (RG 108, 405). Nach heute hM ist die Vorschrift wegen Umgehung oder unter Betonung des Gesichtspunkts der Interessenkollision analog anwendbar (MüKo/Schubert Rn 43; Staud/Schilken Rn 35f; ausf Harder AcP 170, 295ff). In diesen Fällen bedarf es jedoch einer Erweiterung des § 181 nicht: Wenn der Vertreter das Geschäft wegen § 181 nicht selbst abschließen kann, kann er dafür auch keine Untervollmacht erteilen (MüKo/Schubert Rn 43; Soergel/Leptien Rn 29; KG NJWRR 1999, 168; im Ausgangspunkt auch BGH 64, 72, 75ff; s auch § 167 Rn 64). Mit einer Untervollmacht in diesem Sinne ist jedoch eine von dem Vertreter (Organvertreter) erteilte Prokura nicht vergleichbar. Wegen ihres typisierten und unbeschränkbaren Inhalts (§§ 49, 50 HGB) gilt sie auch für Geschäfte mit dem – dem Verbot des § 181 unterliegenden – Geschäftsführer, der sie erteilt hat (BGH 91, 334, 336; Soergel/Leptien Rn 29; Staud/Schilken Rn 37; krit und auf Umgehungsabsicht abstellend MüKoGmbHG/Stephan/Tieves § 35 Rn 205f). Bestellt der Vertreter seinerseits für sich selbst einen Vertreter, mit dem er dann namens des Vertretenen abschließt, so ist § 181 unmittelbar einschlägig, da es sich um ein Geschäft zw dem Vertretenen und dem Vertreter handelt (Flume § 48, 4; Soergel/Leptien Rn 12, 29; Staud/Schilken Rn 36; i Erg auch Hamm NJW 1982, 1105). Wenn der Vertreter Vertretungsmacht für beide Seiten hat und ihm von einer Seite das Selbstkontrahieren und die Erteilung von Untervollmachten gestattet ist und er für diese Seite Untervollmacht erteilt, so ist § 181 auf das Geschäft, das der Unterbevollmächtigte für diese Seite mit dem Vertreter abschließt, nach seinem Wortlaut nicht anwendbar, denn die Untervollmacht ist eine Vollmacht namens des Vertretenen und eine Durchgangsvertretung findet nicht statt (§ 167 Rn 63). Der Vertreter handelt weder auf beiden Seiten, noch ist es ein Geschäft, an dem er selbst als Partei beteiligt wäre. Ist die Untervollmacht eine Spezialvollmacht, so bleibt der Vertreter aber dennoch durch die Erteilung der Untervollmacht an der Vornahme des Geschäfts beteiligt (Staud/Schilken Rn 36; MüKo/Schubert Rn 43; Flume § 48, 4). Deshalb ist § 181 mindestens analog anzuwenden. b) Gesamtvertreter; Einzelermächtigung. § 181 ist auch anwendbar, wenn das Geschäft mit einem von mehreren handelnden Gesamtvertretern abgeschlossen wird (RG 89, 367, 373; Soergel/Leptien Rn 12). Ermächtigt aber ein Gesamtvertreter den anderen zur Einzelvertretung bei bestimmten Geschäften, so kann der so Ermächtigte nach der Rspr den Vertretenen in dem Geschäft mit dem Ermächtigenden vertreten. Ein Fall des § 181 liege nicht vor, weil die Ermächtigung bewirke, dass die Gesamtvertretungsmacht für diese Geschäfte zur Einzelvertretung „erstarke“ (BGH 64, 72, 74ff); die Lit stimmt dem überwiegend zu (Staud/Schilken Rn 17; Scholz/ Schneider § 35 GmbHG Rn 93; abl MüKo-HGB/K. Schmidt § 125 Rn 45; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack § 35 GmbHG Rn 135; Tiedtke aaO, 205ff, 211ff). Die Auffassung des BGH beruht auf der wenig überzeugenden Annahme, die Einzelermächtigung bedeute keine mittelbare Mitwirkung an dem Geschäft, sondern eine Enthaltung von der Vertretung (BGH 64, 72, 76; dazu Schwarz NZG 2001, 529 und ZGR 2001, 744 s § 167 Rn 58). Richtigerweise ist die Ermächtigung als Ausübungsermächtigung zu verstehen (§ 167 Rn 58). Wer wegen § 181 nicht vertreten kann, kann auch nicht zur Ausübung seiner insoweit nicht bestehenden Vertretungsmacht ermächtigen (MüKo-HGB/K. Schmidt § 125 Rn 45). Darauf, dass der Ermächtigte anders als idR ein Unterbevollmächtigter nicht den Weisungen des Ermächtigenden unterliegt, sollte es bei § 181 entgegen BGH 64, 72, 76 nicht ankommen (aM Scholz/Schneider § 35 GmbHG Rn 94); denn mit diesem Kriterium würden Elemente des Innenverhältnisses mit der Frage der (nicht durch Innenvollmacht begründeten) Vertretungsmacht vermengt. Lässt man eine Ressortermächtigung zu (Scholz/Schneider § 35 GmbHG Rn 957), so sollte sie, ähnlich wie im Fall der Prokura (Rn 11), auch Geschäfte mit dem Ermächtigenden umfassen. c) Ermächtigung nach §§ 112, 113. Keine Mitwirkung an bestimmten Geschäften liegt in der Ermächtigung gem §§ 112, 113, denn durch sie wird der Minderjährige partiell unbeschränkt geschäftsfähig (§ 112 Rn 6, § 113 Rn 6); unrichtig daher FG Schl-Holst NJW 1987, 1784. d) Erklärungen ggü Behörden. Wird ein einseitiges Rechtsgeschäft ggü einer Behörde vorgenommen (wie zB gem § 875 I 2, 876 S 3, 1168 II, 945 I, 2081 I), so liegen die Voraussetzungen des Handelns auf beiden Seiten nicht vor. Dennoch kann es sich materiell um ein Geschäft zw dem Vertretenen und dem Vertreter handeln. Ein, freilich nicht zwingendes, Indiz dafür, dass es sich um ein Geschäft mit dem Vertretenen handelt, ist es, wenn die Erklärung (wie in den Fällen der §§ 875 I 2, 876 S 3) auch ggü dem Vertretenen hätte abgegeben werden können (zu solchen Wahlmöglichkeiten Soergel/Leptien Rn 30; MüKo/Schubert Rn 49 unter Umgehungsaspekten). Richtigerweise ist allein darauf abzustellen, wer materiell an dem Geschäft beteiligt ist. Die Bewilligung der Löschung einer Hypothek namens des Hypotheken-Gläubigers durch den von ihm bevollmächtigten Grundstückseigentümer ist materiell ein Geschäft zw Hypotheken-Gläubiger und Grundstückseigentümer und fällt deshalb unter § 181, auch wenn der Verzicht gem § 1168 II ggü dem Grundbuchamt erklärt wird (BGH 77, 7, 9f). Der Rangtausch zw zwei Grundpfandrechten ist ein Geschäft zw deren Gläubigern; die Zustimmung des Eigentümers dazu gem § 880 II 2, 3 ist wegen der Auswirkungen auf den Erwerb einer Eigentümergrundschuld (§ 1163) erforderlich, macht den Rangwechsel aber nicht zu einem Geschäft zw einem der Grundpfandgläubiger Maier-Reimer

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und dem Eigentümer. Sie kann deshalb ggü dem Grundbuchamt von dem Eigentümer als Vertreter eines der Grundschuldgläubiger oder von einem an dem Rangtausch Beteiligten als Vertreter des Eigentümers ggü dem Grundbuchamt erklärt werden (RG 157, 24). Die Ausschlagung einer Erbschaft ist kein Geschäft zw dem Ausschlagenden und dem dann an seiner Stelle als Testaments- oder gesetzlicher Erbe Berufenen; die Ausschlagung durch den gesetzlichen Vertreter fällt deshalb nicht unter § 181, auch wenn er dann selbst Ersatzerbe wird (Staud/Schilken Rn 40; BayObLG 1983, 213, 220ff; dazu Coing NJW 1985, 6, 9). Die Anfechtung einer letztwilligen Verfügung ist dagegen materiell ein Geschäft zw dem Anfechtenden (§ 2080) und dem durch die angefochtene Verfügung Begünstigten, auch wenn sie ggü dem Nachlassgericht zu erklären ist (§ 2081 I). Der durch die anzufechtende Verfügung begünstigte gesetzliche Vertreter ist deshalb an der Anfechtung durch § 181 gehindert, weshalb der Minderjährige mit der Folge der Ablaufhemmung (§§ 210, 2082) ohne gesetzliche Vertretung ist (RG 143, 350). e) Wahl-Adressaten. Nimmt der Vertreter ein Eigengeschäft vor, das der Zustimmung des Vertretenen bedarf, so kann er die Zustimmung namens des Vertretenen sowohl ggü sich selbst als auch ggü dem anderen Teil erklären (§ 182). Im ersten Fall ist § 181 anwendbar, im zweiten Fall nicht (RG 76, 89, 92; BGH 94, 132, 137 m krit Anm Hübner JZ 1985, 745; Staud/Schilken Rn 41; Soergel/Leptien Rn 31; offengelassen in BayObLG NJW-RR 1995, 1032). Die Gegenmeinung (Erman/Palm12 Rn 17; MüKo/Schubert Rn 52) beruft sich auf BGH 77, 7; sie differenziert damit nicht hinreichend nach dem Gegenstand der Zustimmung (dazu Rn 14 und Flume § 48, 2). Soweit sie den Umgehungsaspekt betont, setzt sie das Ergebnis voraus. Deshalb kann der als Vorerbe eingesetzte gesetzliche Vertreter des Nacherben für diesen eine erforderliche Zustimmung ggü dem Dritten erklären (Hamm NJW 1965, 1489; Soergel/Leptien Rn 31; aM Pal/Weidlich § 2113 Rn 6; offengelassen in BayOblG NJW-RR 1995, 1032, 1033). f) Interzession. Kein Insichgeschäft liegt vor, wenn der Vertreter namens des Vertretenen eine Bürgschaft für eine eigene Schuld des Vertreters übernimmt oder namens des Vertretenen mit seinem eigenen Gläubiger die Übernahme seiner eigenen Schuld durch den Vertretenen gem § 414 vereinbart (Soergel/Leptien Rn 34; Staud/ Schilken Rn 43; MüKo/Schubert Rn 42; für Schuldübernahme aM Erman/Palm12 Rn 18), dagegen ist § 181 anwendbar, wenn der Vertreter für den Vertretenen die Übernahme seiner eigenen Schuld gem § 415 mit sich selbst vereinbart. In den ersten beiden Fällen besteht zwar ein offensichtlicher Interessenkonflikt, der Fall hat aber keine Ähnlichkeit mit dem des § 181. Der Schutz des Vertretenen ergibt sich aus den Grundsätzen über den Missbrauch der Vertretungsmacht (§ 167 Rn 70ff). Zur entspr Anwendung des ähnlichen § 1795 I Nr 2 auf die Übernahme einer besicherten Schuld des ges Vertreters ggü dem Mündel durch einen Dritten s RG 68, 37. g) Anweisung/Wechsel. Nicht anwendbar ist § 181 auf die Anweisung des Vertreters an die kontoführende Bank, vom Konto des Vertretenen Zahlungen an den Vertreter zu leisten (RG 75, 357; BGH WM 1982, 549). Auch dies ist kein Geschäft zw dem Vertreter und dem Vertretenen. Handelt bei Annahme eines Wechsels eine Person für den Bezogenen, die auch für den – vom Bezogenen verschiedenen – Aussteller gehandelt hat, so ist § 181 nur dann anwendbar, wenn im Zeitpunkt der Annahme der Aussteller noch Inhaber des Wechsels ist; sonst ist es ein Geschäft zw Bezogenem und dem neuen Inhaber (BGH WM 1978, 1002). h) Zusammengesetzte Geschäfte. Stellt nur eines von mehreren Teilen eines zusammengesetzten Geschäfts ein Insichgeschäft dar, so gilt § 181 für das gesamte Geschäft (BGH 50, 8, 12; s auch RG 93, 334, 337). i) Gesellschafterbeschlüsse. Ob und wann § 181 auf Gesellschafterbeschlüsse anwendbar ist, ist str; s dazu die Lit zu § 709 und § 47 GmbHG. Hier nur die Grundzüge: Die Frage des Insichgeschäfts stellt sich bei Gesellschafterbeschlüssen in dreierlei Hinsicht. Ob der Gesellschafter selbst wegen Selbstbetroffenheit vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, ist abschließend gesellschaftsrechtlich geregelt, nämlich in §§ 136 I AktG, 47 IV GmbHG und 43 VI GenG; zu Personengesellschaften s §§ 712, 737 S 2 sowie § 709 Rn 23, 26 und MüKo/Ulmer/Schäfer § 709 Rn 65ff. Diese gesellschaftsrechtlichen Stimmverbote gelten auch für einen Stimmrechtsvertreter und auch, wenn der Tatbestand des Verbots nur den Vertreter und nicht den Vertretenen betrifft (Baumbach/Hueck/Zöllner § 47 GmbHG Rn 95). Die Verbote gelten nicht in der Einpersonengesellschaft und auch nicht für sog Sozialakte wie die Bestellung des Gesellschafters zum Geschäftsführer und das Anstellungsverhältnis mit ihm (BGH 18, 205, 210; Scholz/K Schmidt § 47 GmbHG Rn 105, 110 mwN). Ob § 181 für die Doppelvertretung in der Gesellschafterversammlung gilt, bei der ein Gesellschafter auch die Stimmen eines anderen oder dieselbe Person die Stimmen mehrerer Gesellschafter abgibt, hängt vom Beschlussgegenstand ab. Geht es um einen Akt körperschaftlicher Willensbildung, wie insb bei der Abstimmung über Geschäftsführungsmaßnahmen, gilt § 181 nicht (so für Personengesellschaften BGH 65, 93; für GmbH Scholz/K. Schmidt 47 GmbHG Rn 180a – „Maßnahmebeschlüsse“). Die zT gegebene Begründung, dass es hier an einem Interessenkonflikt fehle (BGH 65, 93, 98), überzeugt nicht und ist in der Abgrenzung unscharf. Bei Beschl zur Änderung des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung oder sonstigen Grundlagenbeschlüssen, die das Verhältnis zw den Gesellschaftern zum Gegenstand haben, ist § 181 nach heute hM anwendbar (für Personengesellschaften BGH 65, 93, 97; Staud/Habermeier § 709 Rn 21; für Kapitalgesellschaften BGH NJW 1989, 168, 169; Staud/Schilken Rn 25; Scholz/K. Schmidt§ 47 GmbHG Rn 180 mwN; i Erg auch MüKo/Schubert Rn 33; anders noch für den Liquidationsbeschluss einer GmbH BGH 52, 316, 318; generell gegen die Anwendung des § 181 bei Doppelvertretung Roth/Altmeppen § 47 GmbHG Rn 36). Es geht hier materiell um Geschäfte mindestens auch zw den Gesellschaftern (Baumbach/Hueck/Zöllner § 47 GmbHG Rn 60). Die Vertretung mehrerer Aktionäre oder anderer Aktionäre neben der Vertretung eigener Aktien in der Hauptversammlung einer AG unterliegt nicht dem § 181; dass dieser nicht anwendbar ist, ist in § 135 AktG vorausgesetzt (Staud/Schilken Rn 25; aM Soergel/Leptien Rn 21). Schließlich ist § 181 anwendbar auf die 536

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Stimmabgabe des Vertreters für seine eigene Bestellung als Geschäftsführer (BGH 51, 209 zur Stimmausübung eines Testamentsvollstreckers in der GmbH; BGH 112, 339 zur GbR; BayObLG NJW-RR 2001, 469 zur GmbH; s aber München ZIP 2012, 1122). j) Zwischenschaltung eines Dritten. Wegen Umgehung ist § 181 anwendbar, wenn der Vertreter künstlich einen Dritten zw ein Geschäft einschaltet, das er mit sich selbst abschließen will, um formal den § 181 zu vermeiden (RG 56, 104, 106). k) Mehrvertretung liegt auch vor, wenn der Vertreter den Vertretenen als eine Vertragspartei und diesen als Vertreter der anderen Vertragspartei vertritt (Düsseldorf DB 1999, 578). Dies ergibt sich bereits aus der Struktur der Untervertretung als Direktvertretung (§ 167 Rn 63). § 181 gilt für die Vertretung einer Seite auch dann, wenn der Mehrvertreter für die andere Seite überhaupt keine Vertretungsmacht hat (Düsseldorf DB 1999, 578; MüKo/Schubert Rn 39; Rawert/Endres ZIP 2015, 2197; aM Neumayer RNotZ 2001, 249, 265f). 6. Teleologische Reduktion (eingehend dazu – auch zu weiteren umstr Anwendungsproblemen – Tiedtke aaO, 41ff, 75ff). § 181 ist aufgrund einer teleologischen Reduktion nicht anwendbar auf Fallgruppen, bei denen abstrakt generell eine Interessenkollision ausgeschlossen ist (hM; MüKo/Schubert Rn 5, 28ff; Staud/Schilken Rn 6, 7; Bork AT Rn 1592f; weitergehend Jäger aaO, 79ff, 125ff; dagegen Tiedtke aaO, 75ff). a) Wenn das Rechtsgeschäft dem Vertretenen lediglich rechtlichen Vorteil bringt (dazu Tiedtke aaO, 41ff mwN), bedarf der Vertretene des Schutzes nicht. Deshalb ist § 181 unter Beachtung der Wertung des § 107 einschränkend dahin auszulegen, dass er nicht gilt, wenn das Geschäft dem Vertretenen lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt (BGH 59, 236, 240; 94, 232, 235; MüKo/Schubert Rn 29; krit Wilhelm NJW 2005, 2353, 2356). Weitergehend Jäger 227ff, nach dem § 181 auch auf „relativ neutrale“ Geschäfte (solche, die keine Rechtsfolgen zw dem Vertretenen und dem Vertreter oder anderen Vertretenen auslösen) nicht anwendbar sein soll, und Kiehnle AcP 212, 876, 900ff, nach dem § 181 nicht anwendbar sein soll, wenn der Inhalt des Geschäfts dem Vertreter vollständig vorgegeben ist. Lediglich vorteilhaft ist der unentgeltliche Erwerb eines, auch mit Grundschulden belasteten, nicht aber der eines vermieteten Grundstücks (Einzelheiten § 107 Rn 7) und, wegen der sich aus dem WEG ergebenden Verpflichtungen und Haftungen, auch nicht der Erwerb einer Eigentumswohnung (BGH 187, 119). Ist das schuldrechtliche (Schenkungs-)Geschäft rechtlich nur vorteilhaft, aber das Vollzugsgeschäft, wie bspw in den vorgenannten Fällen, nicht, so ergibt sich Vertretungsmacht für das Vollzugsgeschäft auch nicht daraus, dass mit ihm lediglich eine Verbindlichkeit erfüllt wird. Das folgt nicht aus einer dem Trennungsprinzip widersprechenden Gesamtbetrachtung (so noch BGH 78, 28, 34f; offengelassen in BGH 161, 170, 174), sondern aus einer teleologischen Reduktion der Ausnahme im letzten Hs (BGH 162, 137, 143; MüKo/Schubert Rn 87; Staud/Schilken Rn 62a; Feller DNotZ 1989, 75ff; s auch München MittBayNot 2011, 239, 240; anders München NJW-RR 2012, 137). Auch eine Schenkung unter dem Vorbehalt des Widerrufs ist nicht nur vorteilhaft, wenn der Rückgabeanspruch nicht auf die Bereicherung beschränkt ist (Köln NJOZ 2003, 3046; s auch BGH 161, 170, 172). Ist die Auflassung bei isolierter Betrachtung lediglich vorteilhaft, so ist § 181 nicht deshalb anwendbar, weil das Kausalgeschäft nicht nur vorteilhaft ist (BGH 161, 170, 174). Für Gesellschaftsbeteiligungen ist der Erwerb von Aktien als ausschließlich rechtlich vorteilhaft anerkannt, für den Erwerb eines GmbH-Anteils ist das umstr. Bei einer Beteiligung an einer Personengesellschaft erscheint eine vor allem nach Haftungsrisiken differenzierende Betrachtung geboten (Einzelheiten bei Maier-Reimer/Marx NJW 2005, 3025 mwN; s zu der Gesamtproblematik auch Werner GmbHR 2006, 737). b) Wenn jemand als geschäftsführender Alleingesellschafter einer GmbH mit sich selbst ein Rechtsgeschäft vornimmt, besteht Interessenidentität. Deshalb wurde früher eine Anwendung des § 181 in solchen Fällen abgelehnt (BGH 56, 97, 101; entspr zur GmbH & Co. KG BGH 75, 358; anders noch BGH 33, 189). Jedoch ist § 181 nach dem seit dem 1.1.1981 geltenden § 35 IV GmbHG anzuwenden (eingehend dazu Bachmann ZIP 1999, 85; Schneider BB 1986, 201; zur Gestattung s BGH 33, 189; näher Rn 29). c) Auch für die Mehrvertretung im Konzern gilt § 181 (dazu eingehend Jäger aaO, 181ff, 251, und Tiedtke aaO, 85ff, 90f mwN; aM Timm AcP 193, 423ff für den Vertragskonzern; s ferner BGH 94, 132ff m Anm Hübner JZ 1985, 745; Schneider BB 1986, 201ff; Bachmann ZIP 1999, 85; Hauschild ZIP 2014, 954). 7. Gestattung. § 181 erlaubt ein Insichgeschäft, wenn es dem Vertreter gestattet ist. Vielfach werden § 1009 sowie §§ 125 II 2 HGB und 78 IV AktG als Fälle gesetzlicher Gestattung verstanden (Soergel/Leptien Rn 40; Pal/Ellenberger Rn 16). § 1009 betrifft jedoch keinen Fall der Vertretung und bei §§ 125 II 2 HGB und 78 IV AktG vertritt der Geschäftsgegner den Prinzipal nach der Konstruktion der Rspr gerade nicht (BGH 64, 72, 76; dazu Rn 12). Eine gesetzliche Gestattung enthalten zB Art 233 § 2 III 3 EGBGB, § 400 HGB (dazu mit anderem Verständnis Kiehnle AcP 212, 876, 899ff) und § 10 III BBiG. IdR hat die Gestattung durch den Vertretenen zu erfolgen. a) Die Gestattung kann in der Vollmacht oder gesondert erklärt werden, sie ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie kann sowohl für ein einzelnes Geschäft als auch für einen bestimmten Kreis von Geschäften (Bsp BGH WM 2000, 1757) oder für den gesamten Umfang der Vertretungsmacht erteilt werden und bedarf grds keiner Form (Ausnahme: Form des § 311b, wenn der Vollmachtgeber sich bereits rechtlich binden will, BGH NJW 1952, 1210; Form des § 766 bei Ermächtigung des Gläubigers zur Ausfüllung eines Bürgschaftsblanketts, BGH 132, 119; näher zu § 167 Rn 5f). In der Befreiung durch AGB kann eine unangemessene Benachteiligung des Vertretenen iSv §§ 307 I 1, II Nr 2 liegen (Düsseldorf NJW 2006, 3645). Die Befreiung kann auch konkludent erfolgen (BGH BB 1971, 1212, 1213; NJW 1976, 1538; WM 1980, 1451), zB dadurch, dass die ParMaier-Reimer

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teien in einem Grundstückskaufvertrag dieselbe Person zur Auflassung bevollmächtigen (KG JW 1937, 471) oder dass dem Versteigerer ein Ersteigerungsauftrag (BGH NJW 1983, 1186, 1187) oder dem WE-Verwalter eine Vollmacht zum Tagesordnungspunkt Verlängerung des Verwaltervertrags erteilt wird (Hamm NJW-RR 2007, 161). Eine Generalvollmacht enthält nicht ohne weiteres die Befreiung von § 181 (KG JR 1952, 438). Auch eine Bevollmächtigung „soweit die Gesetze eine Vertretung zulassen“ ist idR nicht als Erlaubnis zum Insichgeschäft aufzufassen (KG JW 1937, 471). Die Wirksamkeit der Vollmacht bei Unwirksamkeit der Gestattung richtet sich nach § 139 (KG HRR 1933 Nr 988). Die Ermächtigung an den Gläubiger, eine ihm übergebene Schuldurkunde zu ändern oder das Blankett der Urkunde zu vervollständigen, enthält zugleich eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 (BGH NJW 1968, 1131; 1984, 798), bedarf aber ggf der Form des § 766 (BGH 132, 119; dazu § 167 Rn 6). Ob im Einzelfall eine Befreiung von § 181 gewollt ist, muss durch Auslegung ermittelt werden. Dabei ist – wie bei jeder Auslegung – auch die Verkehrssitte heranzuziehen. Jedoch kann die Gestattung nicht allein aus einer Verkehrssitte entnommen werden (Soergel/Leptien Rn 41; Staud/Schilken Rn 52; aM Jauernig/Jauernig Rn 9). b) Die Gestattung muss durch den Vertretenen erfolgen. Der Vertreter, dem ein Insichgeschäft nicht gestattet ist, kann einem Untervertreter das Insichgeschäft nicht generell gestatten (Pal/Ellenberger Rn 18; Staud/Schilken Rn 49; Soergel/Leptien § 167 Rn 61) bei einer mehrstufigen Vertretung, auch bei einer mehrstufigen organschaftlichen Vertretung, bedarf es daher regelmäßig einer durch alle Stufen gehenden Befreiungskette (KG HRR 1941 Nr 468; BayObLG BB 1993, 746; Auktor NZG 2006, 334; Harder AcP 170, 295, 302; Jauernig/Jauernig Rn 9). Anderes muss jedoch für die Gestattung für den konkreten Einzelfall gelten. Wenn ein Vertreter berechtigterweise eine Untervollmacht für ein Geschäft erteilt, das er mit dem Unterbevollmächtigten oder einem von diesem vertretenen Dritten selbst abschließen kann, muss es ihm auch gestattet sein, dem Untervollbevollmächtigten dafür das Selbstkontrahieren zu gestatten (LG München NJW-RR 1989, 997; KG 26.10.2010 – 1 W 9/10, Rn 14; Schmidt-Ott ZIP 2007, 943, 945f; Maier-Reimer, FS Hellwig, 2010, 205, 215f; weiter, nämlich allg für Organvertreter, außer für Geschäfte mit dem Organvertreter BeckOK/Schäfer Rn 34. Die Gegenmeinung (zB MüKo/Schubert Rn 74; Harder AcP 170, 295, 304; Fröhler BWNotZ 2003, 14, 15f) hebt hervor, dass der Hauptvertreter mit der Untervollmacht keine Befugnisse erteilen kann, die er selbst nicht hat. Dabei sollte aber auf das Geschäft nach Beteiligten und Inhalt, nicht auf die Art seiner Vornahme abgestellt werden. Fraglich sollte deshalb nur sein, wie konkret das Geschäft mit seinen Einzelheiten in der Untervollmacht bezeichnet sein muss. Einem gesetzlichen Vertreter kann eine erforderliche Befreiung von § 181 nur durch einen besonders bestellten Pfleger, nicht durch den Vertretenen oder das FamG erteilt werden (s auch Rn 33). c) Für das Organ einer jur Pers erfolgt die Gestattung entweder schon durch den Gesellschaftsvertrag/die Satzung (RG 103, 417) oder durch das Bestellungsorgan (BGH 33, 189, 191ff), also beim Verein durch die Mitgliederversammlung (§§ 27, 32). Bei der AG, der Genossenschaft und der GmbH mit obligatorischem Aufsichtsrat kommt wegen § 112 AktG (bei der GmbH iVm § 1 I Nr 3 DrittelbG, § 25 I 1 Nr 2 MitbestG), § 39 GenG die Gestattung nur für die Mehrvertretung in Betracht. Zur Gestaltung bei der GmbH mit fakultativem oder ohne Aufsichtsrat s Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack § 35 GmbHG Rn 132ff mwN). Gestattung an den Alleingesellschafter, der gleichzeitig Geschäftsführer ist, kann nur durch die Satzung erfolgen (BGH 33, 189; 87, 59, 60; NJW 2000, 664; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack § 35 GmbHG Rn 140). In der GmbH & Co KG kann die Gestattung eines Geschäfts mit dem Geschäftsführer der Komplementärin nur durch die KG erteilt werden, die dabei entweder durch die Komplementärin, vertreten durch einen anderen Geschäftsführer, oder durch Gesellschafterbeschluss handelt (BGH 58, 115; aM für Gestattung im Einzelfall Düsseldorf NZG 2005, 131). d) Dem Testamentsvollstrecker kann das Insichgeschäft durch den Erblasser gestattet werden (BGH 30, 67, 69; 51, 209, 215; Frankfurt NJW-RR 1998, 795, 796; § 2205 Rn 18). Ist der Testamentsvollstrecker auch der gesetzliche Vertreter des Erben, so bedarf es zur Wahrnehmung der Rechte der Erben ihm ggü auch dann der Bestellung eines Ergänzungspflegers (Hamm MittBayNot 1994, 53 m Anm Reimann). Konkludente Befreiung zur Vornahme aller sich im Rahmen einer ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung haltenden Geschäfte ist anzunehmen, wenn ein Miterbe zum Testamentsvollstrecker bestimmt ist (BGH 30, 67, 70; WM 1960, 1419, 1420). Gestattung durch alle Erben sollte ebenfalls möglich sein, wenn das dem Willen des Erblassers nicht widerspricht (v Lübtow JZ 1960, 157; U. Hübner aaO, 113; Staud/Schilken Rn 58). Beim Insolvenzverwalter sollte die Gestattung durch die Gläubiger genügen (dazu U. Hübner aaO, 114f; anders Staud/Schilken Rn 59, der Gestattung durch Gläubiger und Insolvenzschuldner für erforderlich hält). Entspr muss für andere Verwalter gelten, die im Gläubigerinteresse bestellt sind. 8. Erfüllung einer Verbindlichkeit. Ein Insichgeschäft ist auch erlaubt, wenn das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht (dazu Lobinger AcP 213, 366; Jänicke/Braun NJW 2013, 2474). Das gilt sowohl für die Erfüllung einer Verbindlichkeit des Vertreters ggü dem Vertretenen als auch des Vertretenen ggü dem Vertreter und (im Falle der Mehrvertretung) des einen Vertretenen ggü dem anderen Vertretenen (MüKo/Schubert Rn 83; Soergel/Leptien Rn 43) sowie ebenfalls für die Erfüllung einer gemeinschaftlichen Verbindlichkeit des Vertretenen und des Vertreters ggü Dritten (BayObLG NJW-RR 1995, 1032). Voraussetzung ist immer, dass die Verbindlichkeit auch besteht; es genügt nicht, dass sie erst durch die Erfüllung begründet wird (zB ein formungültiges Schenkungsversprechen oder ein formungültiger Grundstückskaufvertrag wird erfüllt; RG 94, 147, 150). Eine Verbindlichkeit des Vertretenen genügt nicht, wenn ihr eine Einrede entgegensteht, die durch Erfüllung verloren ginge (Staud/Schilken Rn 61; MüKo/Schubert Rn 84). Die Verbindlichkeit muss fällig sein (Pal/Ellenberger Rn 22). Die Erfüllung durch Aufrechnung fällt nicht unter die Ausnahme, wenn eine fällige 538

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Forderung des Vertretenen gegen eine nicht fällige Verbindlichkeit aufgerechnet wird. Sind beide Forderungen fällig, so gilt die Ausnahme für die Aufrechnung unabhängig von der Aufrechnungsbefugnis (Staud/Schilken Rn 62); für sonstige Erfüllungssurrogate, wie insb Leistung an Erfüllungs statt gilt die Ausnahme nicht (Staud/ Schilken Rn 62). § 181 letzter Hs ist teleologisch zu reduzieren, sodass er nicht gilt, wenn die Erfüllung der Verbindlichkeit über den Erfüllungserfolg hinaus für den Vertretenen rechtliche Nachteile bewirkt (Rn 23; BGH 162, 137, 143; Staud/Schilken Rn 62a, MüKo/Schubert Rn 67; s auch § 107 Rn 6). 9. Folgen des Insichgeschäfts. a) Der Vertreter, der ein Insichgeschäft vornimmt, überschreitet seine Vertretungsmacht. Deshalb ist der von ihm geschlossene Vertrag trotz des Wortlauts („kann … nicht“) nicht nichtig, sondern schwebend unwirksam; er kann vom Vertretenen gem §§ 177, 184 rückwirkend genehmigt werden (allg M seit RG 56, 107; BGH 65, 123, 125f; NJW-RR 1994, 291). Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft gilt § 180. b) Die Genehmigung, die auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen kann (§ 177 Rn 14), muss durch den Vertretenen, im Fall der Mehrvertretung durch alle diejenigen erfolgen, die mangels jeglicher Vertretungsmacht oder wegen § 181 nicht wirksam vertreten waren (MüKo/Schubert Rn 39, 59). Die häufiger verwendete Formulierung, alle (also auch die wirksam) Vertretenen müssten genehmigen (Staud/Schilken Rn 46; Soergel/Leptien Rn 45), ist missverständlich oder missversteht die zugrunde liegende Entscheidung Düsseldorf DB 1999, 578 (zutr Tebben DNotZ 2005, 173 und Auktor NZG 2006, 334, 335; s auch Rawert/Endres ZIP 2015, 2197, 2200f). Die Genehmigung ist nicht nachträgliche Befreiung von § 181, sondern heilt den Mangel der Vertretungsmacht. Die Kenntnis des durch § 181 ausgeschlossenen Vertreters kann nicht zur Begründung einer konkludenten Genehmigung zugerechnet werden (BGH NJW 2010, 861, 862). c) Der Vertreter, der das Geschäft abgeschlossen hat, kann die Genehmigung weder sich selbst noch, im Falle der Mehrfachvertretung, ggü dem Geschäftspartner erklären (Soergel/Leptien Rn 45). Auch ein Vertreter, der von § 181 nicht befreit ist, kann genehmigen, wenn er das Geschäft selbst hätte abschließen können, die Genehmigung also nicht ihrerseits ein Insichgeschäft ist (Zweibrücken MittBayNot 2012, 377, 378; Staud/Schilken Rn 46; MüKo/Schubert Rn 58; Rawert/Endres ZIP 2015, 2197, 2201; Tebben DNotZ 2005, 173, 178; aM Pal/Ellenberger Rn 18; Harder AcP 170, 295, 304; s auch LG Saarbrücken MittBayNot 2000, 433). Nach dem Tod des Vertretenen kann dessen Erbe genehmigen (Hamm OLG 1979, 44), nach Wegfall eines gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführers einer GmbH der verbleibende, dann alleinvertretungsberechtigte, Geschäftsführer, auch wenn er an dem genehmigten Geschäft zusammen mit dem durch § 181 ausgeschlossenen früheren Gesamtvertreter mitgewirkt hat (BGH NJW-RR 1994, 291 m Anm Schlechtriem EWiR 1994, 745). Hat der gesetzliche Vertreter ein Insichgeschäft vorgenommen, kann der Vertretene genehmigen, nachdem er geschäftsfähig geworden ist; sonst ist die Genehmigung nur durch einen Pfleger möglich (RG JW 1924, 1862, 1863). Jedenfalls scheidet eine Genehmigung durch das FamG aus (RG 71, 162, 165; BGH 21, 229, 234; hM; MüKo/Schubert Rn 82 mwN). d) Ein Anspruch des Vertreters gegen den Vertretenen auf Genehmigung kann sich aus dem Innenverhältnis ergeben; sonst besteht eine Pflicht des Vertretenen zur Genehmigung nur dann, wenn die Verweigerung gegen Treu und Glauben verstoßen würde (RG 64, 366, 373; 110, 214, 216). 10. Beweislast. Wer sich auf das Vertretungshindernis des § 181 beruft, muss dessen Voraussetzungen beweisen; wer die Zulässigkeit des Insichgeschäfts und damit die Ausnahme in der gesetzlichen Regelung geltend macht, muss die Voraussetzungen der Zulässigkeit behaupten und beweisen.

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Titel 6 Einwilligung und Genehmigung Vorbemerkung vor § 182 1. Bedeutung. In einer Reihe von Fällen macht das Gesetz die Wirksamkeit des Geschäfts von der Zustimmung eines Dritten abhängig. Dafür sind verschiedene Gründe maßgebend. Einmal kann es um den Schutz von Personen gehen, welche die Tragweite ihrer Erklärungen möglicherweise nicht voll übersehen (zB §§ 106ff, 1411, 1596, 1600a III, 1746 I 3, 1903); deshalb ist zur Wirksamkeit des Geschäfts die Zustimmung einer Aufsichtsperson erforderlich (Zustimmung kraft Aufsichtsrechts). In anderen Fällen sollen Dritte geschützt werden, weil das Rechtsgeschäft ihren Rechtskreis oder ihre schutzwürdigen Interessen berührt (zB §§ 185 I, 415 I, 451 I, 876ff, 1071 I, 1178 II S 2, 1183, 1245 I 2, 1255 II, 1276 I, 1365ff, 1423ff, 1516f, 1747, 2113ff, 2291; § 15 GmbHG; § 12 I WEG); deshalb ist die Zustimmung des Dritten zur Wirksamkeit des Geschäfts erforderlich (Zustimmung kraft Rechts- oder Interessenbeteiligung; vgl auch § 58 VwVfG für den öffentlich-rechtl Vertrag); zur Genehmigung gem § 177 s Rn 12ff. 2. Begriffe. Die Zustimmung iSv §§ 182ff ist die rechtsgeschäftliche Erklärung des Einverständnisses mit dem von (einem) anderen im Privatrechtsverkehr vorgenommenen Rechtsgeschäft. Sie umfasst als Oberbegriff die Einwilligung (vor oder bei Abschluss des Rechtsgeschäfts erteilte Zustimmung, § 183), und die Genehmigung (nach Abschluss des Rechtsgeschäfts erteilte Zustimmung, § 184). Jedoch verwendet das Gesetz die Begriffe nicht immer einheitlich und genau. So wird die Zustimmung des FamG, des Gegenvormunds und des Beistandes zT als „Genehmigung“ bezeichnet (§§ 1411, 1643ff, 1809ff, 1819ff, 1906f), auch wenn es sich sachlich um eiMaier-Reimer

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ne vorherige Zustimmung handelt. Auch die „Genehmigung“ gem §§ 1001, 1002 kann im Voraus erklärt werden (BGH NJW 2002, 2875 m Anm K. Schmidt JuS 2002, 1230). Teilw verwendet das Gesetz den Begriff „Zustimmung“, um damit die Mitwirkung an einem Vorgang oder einer Handlung auszudrücken (zB §§ 32 II, 709 I, 744 II: Mitwirkung jedes Beteiligten an dem Beschl). Schließlich werden die genannten Ausdrücke nicht selten in rechtsgeschäftlichen Erklärungen und in Satzungen benutzt; hier ist durch Auslegung (§§ 133, 157; RG 132, 149, 155) zu ermitteln, was gemeint ist; im Einzelfall kann durchaus unter einer vertraglich vereinbarten oder satzungsmäßigen „Genehmigung“ abw von der Begriffsbestimmung in §§ 182ff eine vorherige Erklärung zu verstehen sein. 3. Gesetzliches Zustimmungserfordernis. §§ 182ff sind unmittelbar nur anzuwenden, wenn das Gesetz die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von der (privatrechtlichen, rechtsgeschäftlichen) Zustimmung eines Dritten abhängig macht. Die durch Vereinbarung geforderte Zustimmung kann eine rechtsgeschäftliche Bedingung (§§ 158ff) sein (zB BAG NJW 1995, 1981f – Zustimmung eines Dritten als vereinbarte Bedingung für die Wirksamkeit der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses). Der Unterschied betrifft vor allem die Frage der Rückwirkung. Im Einz sind die Grenzen zweifelhaft. So sollen § 182ff auf die Zustimmung der Mitgesellschafter zur Abtretung von Gesellschaftsanteilen anwendbar sein (BGH 13, 179 zur Abtretung von Kommanditbeteiligungen; Scholz/ Seibt § 15 GmbHG Rn 133 zur Abtretung von GmbH-Anteilen), nicht aber auf die nach dem Schuldverhältnis erforderliche Zustimmung des Schuldners zur Abtretung der Forderung; letztere sei nur eine Modifikation der Unabtretbarkeit gem § 399 (BGH 108, 172; dazu § 184 Rn 20). Entspr ist die Zustimmung zur einmaligen Abtretung einer unabtretbaren Grundschuld wirkungslos; es bedarf der – eintragungspflichtigen – Aufhebung des Abtretungsausschlusses (Hamm 13.10.2009 – 15 Wx 43/09). Zur Zustimmung gem § 888 s Kesseler NJW 2010, 3341. 4. Abgrenzungen. a) Von der Zustimmung iSv §§ 182ff sind zu unterscheiden: aa) Die Bestätigung (§§ 141, 144). Sie ist keine Erklärung zu einem fremden Geschäft, sondern eine Erklärung der Beteiligten zu einem eigenen Rechtsgeschäft. bb) Die Billigung (etwa beim Kauf auf Probe; § 454). Sie ist eine im Rechtsgeschäft selbst vereinbarte Bedingung, deren Herbeiführung im Belieben des Vertragspartners steht. cc) Die vereins- oder gesellschaftsrechtliche Zustimmung. Bei ihr geht es meist um die eigene Mitwirkung (zB Zustimmung zu einem Beschl) oder um die Zulässigkeit, nicht die Wirksamkeit eines Geschäfts (zB § 111 IV 2 AktG; s aber §§ 179a AktG, 13 UmwG). dd) Die privatrechtliche Erlaubnis (zB §§ 540, 603; Einwilligung in eine Verletzungshandlung iSv §§ 823ff; Einwilligung in die Veröffentlichung von Bildern, Texten usw im Medienrecht; dazu Frömming/Peters NJW 1996, 958). Sie betrifft die Rechtmäßigkeit der Handlung eines anderen, nicht die Wirksamkeit eines (fremden) Rechtsgeschäfts, oder ihr Erfordernis ergibt sich aus geteilter Rechtszuständigkeit (so § 30 III MarkenG, dazu München NJW-RR 1997, 1266). Zu weiteren ähnlichen Fällen s Staud/Gursky Vor § 182 Rn 6ff. b) Keine Einwilligung ist die Vollmacht; diese ist personenbezogen, jene gegenstandsbezogen (Flume § 57, 1 [b]); jedoch sind auf die Genehmigung gem § 177 die §§ 182ff anwendbar (§ 177 Rn 13). An die Vollmacht oder deren Fehlen knüpft das Gesetz (insb §§ 165, 166 II, 177 II, 179) andere Folgen als an die Einwilligung und deren Fehlen (§ 182ff). Der Mangel der Vollmacht hat ausweislich § 179 auch nicht die Unwirksamkeit des Geschäfts zur Folge, sondern die, dass es für den Vertretenen nicht wirksam ist (§ 177 I). Demgemäß macht die Genehmigung das Geschäft nicht an sich, sondern für und gegen den Vertretenen wirksam. c) Eine entspr Anwendung der §§ 182ff kommt im Prinzip bei der familien- oder betreuungsgerichtlichen Genehmigung (einer Sonderform der öffentlich-rechtl Genehmigung) in Betracht; die Sonderbestimmungen der §§ 1643ff und 1828ff und des einschlägigen Verfahrensrechts gehen aber vor (s auch BayObLG NJW 1965, 397, 398). d) Vielfach ist zu zivilrechtlichen Rechtsgeschäften einer Behörde oder einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts nicht nur intern, sondern mit Außenwirkung die Genehmigung der Aufsichtsbehörde erforderlich. Insoweit gilt ausschließlich Verwaltungsrecht (Soergel/Leptien Rn 9). Die §§ 182ff können allenfalls als Ausdruck allg Grundsätze herangezogen werden und nur, soweit keine Spezialvorschriften bestehen (BGH NJW 1999, 3335, 3337f = JZ 2000, 149 m Anm Singer – genehmigungsbedürftige Übernahme einer Bürgschaft durch einen Landkreis; s auch § 125 Rn 11). 5. Öffentlich-rechtl Genehmigung. a) Von einer öffentlich-rechtl (behördlichen) Genehmigung (Zustimmung, Einwilligung, Erlaubnis) kann zwar die Wirksamkeit eines privatrechtlichen Rechtsgeschäfts ebenso wie von einer privatrechtlich notwendigen Zustimmung abhängig sein; zB §§ 18 KSchG, 2 GrdstVG, 2 I, 3 AWG, 40 II GWB. Sie ist aber keine Zustimmung iSd §§ 182ff. Auch als Wirksamkeitsvoraussetzung für ein Rechtsgeschäft ist die öffentlich-rechtl Genehmigung keine private Willenserklärung, sondern Hoheitsakt („privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt“). Rechtliche Bedeutung, Voraussetzungen, Erteilungsverfahren und Wirkungen einer öffentlichrechtl Genehmigung sind stets primär dem öffentlichen Recht zu entnehmen (Staud/Gursky Vor §§ 182 Rn 60ff). Maßgebend sind Inhalt und Sinn der öffentlich-rechtl Regelung (BVerwG 11, 195, 198). §§ 182ff sind jedenfalls nicht unmittelbar, auch nicht entspr anwendbar. Allerdings lassen sich die §§ 182ff in diesen Grenzen als Ausdruck allgemeingültiger Grundsätze erg zum öffentlichen Recht heranziehen (Soergel/Leptien Rn 8). Im Allg gilt: Ob eine „Genehmigung“ schon vor Abschluss des Rechtsgeschäfts vorliegen muss oder ob eine nachträgliche Erteilung genügt, bestimmt das öffentliche Recht ebenso wie das gesamte Erteilungsverfahren einschl der Person der Genehmigungsadressaten. Muss die „Genehmigung“ nicht bereits im Voraus vorliegen, so ist das private Rechtsgeschäft bis zur Erteilung oder bestandskräftigen Versagung der Genehmigung schwebend unwirksam (BGH 23, 342, 348; NJW 1993, 648, 650f). Die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien während des Schwebezustandes 540

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richten sich nach Privatrecht (§ 184 Rn 9ff). Mit der Erteilung der Genehmigung oder dem Wegfall des Genehmigungserfordernisses (BGH 128, 41, 50f mwN) wird das schwebend unwirksame Rechtsgeschäft wirksam. Die zumeist angenommene Rückwirkung der nachträglichen behördlichen Genehmigung auf den Zeitpunkt der Vornahme des Geschäfts folgert die Rspr heute nicht mehr aus einer entspr Anwendung des § 184, sondern in erster Linie aus dem mit der Zustimmungsbedürftigkeit verfolgten Zweck (BGH 32, 383, 389; NJW 1965, 41); nur erg gilt § 184 als Ausdruck eines allg Rechtsgedankens (§ 184 Rn 13). Ob und unter welchen Voraussetzungen eine erteilte öffentlich-rechtl Genehmigung trotz ihrer privatrechtsgestaltenden Wirkung widerrufen oder zurückgenommen werden kann, ist umstr (Einzelheiten bei Staud/Gursky Vor §§ 182ff Rn 62). b) Die Versagung der Genehmigung beendet (erst) bei Bestandskraft den Schwebezustand; das genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft wird damit endgültig unwirksam (Rn 15; BGH 84, 70ff; K. Schmidt AcP 189, 1, 12). Wird die Genehmigung nach Bestandkraft ihrer Verweigerung doch erteilt oder das Genehmigungserfordernis aufgehoben, bleibt das Geschäft unwirksam; seine Wirkungen können nur durch Neuvornahme erzielt werden (BGH NJW 1953, 1301; WM 1964, 1195); dazu Janicki NJW 1963, 838; Palm, Die nachträgliche Erteilung der verweigerten Genehmigung, 1964, 24, 50; K. Schmidt JuS 1995, 102, 105. Bezieht sich das Genehmigungserfordernis nicht auf den schuldrechtlichen Vertrag, sondern nur auf das Erfüllungsgeschäft (zB § 40 II GWB), so tritt mit der endgültigen Verweigerung nachträgliche Unmöglichkeit ein (BGH 37, 233, 240; NJW-RR 1997, 686, 688; Soergel/Leptien Rn 14). Die behördliche Bekanntmachung, dass Genehmigungen dieser Art generell verweigert werden, kann der bestandskräftigen Verweigerung gleichstehen (BGH 127, 368; dazu K. Schmidt NJW 1995, 2255; s aber BGH NJW 1993, 648, 650f). c) Erklärt die für die Genehmigung zuständige Behörde, eine Genehmigung sei nicht erforderlich (Negativattest), so kann dies einer Genehmigung gleichstehen, wenn das Genehmigungserfordernis ausschließlich öffentliche Interessen schützt (BGH 1, 294, 300, 303; zu den Anforderungen an ein solches Negativattest BGH NJW 2016, 3162 Rn 44ff; MüKo/Bayreuther Rn 18). Ein unrichtiges Negativattest des FamG oder BetrG ersetzt dessen Genehmigung nicht (BGH 44, 325). Zur Frage, ob das Erfordernis einer behördlichen Unbedenklichkeitserklärung einem Genehmigungserfordernis gleichsteht, s BGH 14, 1, 4. 6. Inhalt. Die Zustimmung zu dem Geschäft eines Dritten bringt das Einverständnis mit diesem zum Ausdruck (Soergel/Leptien Rn 3). Ihr Inhalt ist deshalb – abgesehen von dem zeitlichen Bezug zu ihrem Gegenstand – bei der Einwilligung und der Genehmigung identisch. Dies ist bei der Genehmigung vollmachtloser Vertretung anders. Diese ist nicht nachgeholte Vollmacht (§ 177 Rn 12) und drückt nicht die Zustimmung zum Geschäft eines Dritten aus, sondern macht dessen Geschäft gleichsam zu einem eigenen. Sie enthält deshalb die Erklärung, das (möglicherweise) für den Vertretenen unwirksame Geschäft solle (für ihn) gültig sein (§ 177 Rn 12). Daraus ergeben sich Unterschiede namentlich für die Genehmigung durch schlüssiges Verhalten (§ 177 Rn 14f; § 182 Rn 8ff). 7. Rechtsnatur. a) Die Zustimmung selbst ist einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Zu Einzelheiten der Zustimmung durch schlüssiges Verhalten § 182 Rn 8ff, zur Anfechtung Rn 13. Da die Zustimmung einseitiges Rechtsgeschäft ist, sind die §§ 111, 180, 182 III, 1367, 1831 anwendbar. Als empfangsbedürftige Willenserklärung wird die Zustimmung mit Zugang (§§ 130ff) wirksam. Jedoch kann der Erklärungsempfänger auf den Zugang verzichten. Der Rechtsgedanke des § 151 S 1 gilt entspr. b) Auf die Zustimmung als Willenserklärung sind die Regeln über die Willensmängel (§§ 116ff) und die Auslegung (§ 133) anwendbar. Willensmängel beim Zustimmenden sind nur beachtlich, wenn sie die Zustimmung selbst und nicht (lediglich) das zustimmungsbedürftige Geschäft betreffen (BGH 111, 339, 347). Allerdings können Fehlvorstellungen über den wesentlichen Gehalt des Rechtsgeschäfts einen Irrtum über den Inhalt der Zustimmung begründen (Staud/Gursky Rn 45). Adressat der Anfechtungserklärung ist wegen §§ 182 I, 143 III der Empfänger der Zustimmungserklärung (str; wie hier Soergel/Leptien Rn 5; MüKo/Bayreuther § 182 Rn 19; Staud/ Gursky Rn 45 mwN; zur ähnlichen Frage der Anfechtung einer Vollmacht s § 167 Rn 46). Die Zustimmung zur Vertragsübernahme muss ggü dem alten und dem neuen Vertragspartner angefochten werden (BGH 96, 302; 137, 255, 262). War die Zustimmung durch die arglistige Täuschung seitens eines Dritten veranlasst, so kann sie auch dann angefochten werden, wenn zwar nicht der tatsächliche Zustimmungsempfänger, wohl aber der nach § 182 mögliche andere Zustimmungsadressat die Täuschung kannte oder kennen musste (§ 123 II S 2; Soergel/Leptien Rn 5). Nach aA ist die Anfechtung nur möglich, wenn der Geschäftspartner die Täuschung kannte oder kennen musste, weil die Anfechtung auf Vernichtung des Hauptgeschäfts gerichtet ist (Staud/Gursky Rn 46 mwN). Die Zustimmung zu dem zw Alt- und Neumieter vereinbarten Mieterwechsel kann wegen argl Täuschung nur angefochten werden, wenn Alt- und Neumieter die Täuschung kannten oder kennen mussten (BGH 137, 255, 262 = LM § 123 Nr 79 m abl Anm Kramer; aM auch Staud/Gursky Rn 46). 8. Wirkung. a) Bei einer im Voraus erteilten Zustimmung (Einwilligung) ist das zustimmungsbedürftige Geschäft von Anfang an wirksam. Wird das Geschäft ohne die erforderliche Zustimmung vorgenommen, ist es zunächst schwebend unwirksam (zum Schwebezustand § 184 Rn 9ff). Durch nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) wird das Geschäft – idR rückwirkend (§ 184) – wirksam. Die Zustimmung macht das zustimmungsbedürftige Rechtsgeschäft in beiden Fällen so wirksam, wie es vorgenommen wurde. Die Zustimmung muss sich auf das gesamte zustimmungsbedürftige Geschäft beziehen. Eine Teilzustimmung genügt grds nicht; ist das zustimmungsbedürftige Geschäft teilbar, führt die Teilzustimmung unter den Voraussetzungen von § 139

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zur Teilwirksamkeit (s auch § 177 Rn 16 und § 184 Rn 3). Die Zustimmung hat keinen Einfluss auf sonstige Nichtigkeitsgründe. b) Welche Folgen die Verweigerung der Genehmigung (§ 182 Rn 17) hat, ist im Gesetz nur vereinzelt geregelt (etwa § 415 II 1 oder § 1366 IV). Nach ganz hM macht in allen Genehmigungsfällen die endgültige vorbehaltlose Verweigerung der Genehmigung das Geschäft dauerhaft unwirksam und ist ebenso wie die Genehmigung (§ 184 Rn 2) unwiderruflich (RG 139, 118, 123; BGH 13, 179, 187; 125, 355; NJW 1999, 3704f; MüKo/Bayreuther § 182 Rn 28 mwN; im Grundsatz auch Staud/Gursky § 182 Rn 38ff; aA Münzel NJW 1959, 601ff; Palm, Die nachträgliche Erteilung der verweigerten Genehmigung, 1964, 47ff, 69ff; s auch § 182 Rn 17). Nach der hM kann das Geschäft nur noch durch Bestätigung wirksam werden (BGH NJW 1999, 3704; MüKo/Bayreuther § 182 Rn 29). Eine Ausnahme ergibt sich aber aus § 177 II 1, 2 HS und § 1366 III; dazu BGH 125, 355, 358, 361. Den berechtigten Interessen der Beteiligten wird die hM nicht immer gerecht; sie ist insb bei Pflichtwidrigkeit der Verweigerung unbefriedigend. Auch die differenzierenden Lösungsansätze etwa von K. Schmidt AcP 189, 1ff und JuS 1995, 102ff mwN sowie Flume AT § 56 haben in der Rechtspraxis aber bislang keine Zustimmung gefunden. Auf dieser Grundlage bleibt nur eine Korrektur über § 242 im Einzelfall (BGH 108, 380, 384; i Erg zust K. Schmidt DNotZ 1990, 708; Soergel/Leptien § 184 Rn 2f; MüKo/Bayreuther § 182 Rn 30; Staud/Gursky § 182 Rn 42).

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Zustimmung

(1) Hängt die Wirksamkeit eines Vertrags oder eines einseitigen Rechtsgeschäfts, das einem anderen gegenüber vorzunehmen ist, von der Zustimmung eines Dritten ab, so kann die Erteilung sowie die Verweigerung der Zustimmung sowohl dem einen als dem anderen Teil gegenüber erklärt werden. (2) Die Zustimmung bedarf nicht der für das Rechtsgeschäft bestimmten Form. (3) Wird ein einseitiges Rechtsgeschäft, dessen Wirksamkeit von der Zustimmung eines Dritten abhängt, mit Einwilligung des Dritten vorgenommen, so finden die Vorschriften des § 111 Satz 2, 3 entsprechende Anwendung. 1. Adressat der Zustimmung. a) Grundsatz des Abs I. Die Zustimmung (Einwilligung oder Genehmigung) kann wahlweise ggü demjenigen, für dessen wirksames Handeln sie nötig ist, oder ggü dessen Geschäftsgegner erklärt werden (Bsp BGH NJW 1953, 58; 1961, 1763). Ist das zustimmungsbedürftige Geschäft ein Vertrag, kommt also jede der beiden Vertragsparteien als Erklärungsempfänger in Betracht. Die Genehmigung der vollmachtlosen Vertretung kann ggü dem Vertreter oder dem Geschäftspartner, ggf auch deren Rechtsnachfolgern (RG 145, 87, 93) erklärt werden. Bei einem einseitigen Rechtsgeschäft kann die Zustimmung entweder dem Erklärenden oder dem Erklärungsempfänger ggü erklärt werden. Für die Wirkung der Zustimmungserklärung kommt es nicht auf die Kenntnis desjenigen an, dem ggü die Zustimmung nicht erklärt worden ist. Besteht die Partei, ggü welcher die Zustimmung zu erklären ist, aus mehreren Personen, so ist die Zustimmung jeder von ihnen zu erklären; vertritt eine von ihnen auch die anderen, so genügt die Erklärung an sie (MüKo/Bayreuther Rn 6). b) Ausnahmen von Abs I. In bestimmten Fällen gibt das Gesetz keine Wahlmöglichkeit oder erweitert sie (zB §§ 108 II, 177 II, 876, 1071 I, 1178 II, 1245 I, 1255 II, 1276 I, 1366 III 1, 1643 III, 1750 I sowie für die Genehmigung des FamG § 1829). Gesetzliche Sonderregelungen dieser Art haben ggü § 182 I Vorrang. – Die Zustimmung ggü einer nicht empfangsberechtigten Person ist unwirksam. Eine an den richtigen Adressaten weitergeleitete Zustimmungserklärung wird mit Zugang bei diesem wirksam, jedoch nur, wenn sie für den richtigen Adressaten bestimmt war (§ 130 Rn 4; großzügiger Soergel/Leptien Rn 4). c) Einzelfälle. Die von einem vollmachtlosen Vertreter vorgenommene Auflassung kann nur durch Erklärung ggü dem Vertreter oder der anderen Vertragspartei, nicht aber ggü dem Grundbuchamt genehmigt werden (KG KGJ 34 A 253; MüKo/Bayreuther Rn 7; aM BayObLG KGJ 27 A 305). Zum Empfang der Genehmigungserklärung kann auch der beurkundende Notar bevollmächtigt werden (KG KGJ 34 A 253, 256; Soergel/Leptien Rn 4), auch von dem vollmachtlosen Insichvertreter (Korbmacher NJW 1950, 244). Die Genehmigung der Übernahme einer Hypothekenschuld durch den Grundstückskäufer (§ 416) kann mit Wirkung für den Verkäufer vom Hypothekengläubiger nur ggü dem Verkäufer oder dem ersten Käufer, nicht ggü einem späteren Erwerber des Grundstücks erklärt werden (RG Warn Rspr 1908 Nr 440). Die Genehmigung eines übergangenen Gesamtvertreters kann auch ggü dem Handelnden erklärt werden (RG 112, 221; s auch § 177 Rn 19). – Der Nacherbe kann seine Zustimmung zu einer Veräußerung durch den Vorerben auch dem Erwerber erklären (BayObLG Recht 1912 Nr 1136; Hamm NJW 1965, 1489, 1490 mwN; aM KG KGJ 33 A 187). Ist der Vorerbe auch gesetzlicher Vertreter des Nacherben, so ist § 181 zu beachten (BayOblG NJW-RR 1995, 1032). – Die Genehmigung der ohne Vertretungsmacht vorgenommenen Wechselakzeptierung kann wirksam ggü dem Akzeptierenden erklärt werden (RG SeuffA 81 Nr 192; Soergel/Leptien Rn 3). 2. Form der Zustimmung. Grds ist die Zustimmung formfrei. Sie bedarf insb nicht der für das Rechtsgeschäft selbst bestimmten Form (Abs II; dazu Rn 5f). Vielfach schreibt das Gesetz jedoch für die Zustimmung selbst eine besondere Form vor (dazu Rn 7). a) Form des Hauptgeschäfts. Die Freiheit der Zustimmung von der Form des Hauptgeschäfts entspricht § 167 II. Sie gilt nach hM auch dann, wenn die für das Hauptgeschäft vorgeschriebene Form Warnzwecken dient und 542

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Einwilligung und Genehmigung

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der Zust in der Lage desjenigen ist, der gewarnt werden soll (BGH 125, 218; MüKo/Bayreuther Rn 22f; Soergel/ Leptien Rn 5). Deshalb bedürfen zB die Zustimmung des Eigentümers zur Auflassung des Grundstücks durch einen Dritten nicht der Form der §§ 311b, 925 (BGH NJW 1998, 1482, 1484) und die Genehmigung eines vollmachtlos abgeschlossenen Ehevertrags nicht der Form des § 1410 (BGH 138, 239, 242ff). Die Formfreiheit gilt auch, wenn die Genehmigungszuständigkeit (des gesetzlichen Vertreters für den Minderjährigen nach dessen Volljährigkeit) auf den Handelnden selbst übergegangen ist (BGH NJW 1980, 1842). Diese hM wird kritisiert, da sie dem Zweck der Formvorschrift nicht hinreichend Rechnung trage (Flume § 54, 6b; Erman/Palm12 Rn 4; weitere Nachw bei Staud/Gursky Rn 27). Die Kritik ist für die Genehmigung unberechtigt. Die zur Formbedürftigkeit unwiderruflicher Vollmachten entwickelten Grundsätze (§ 167 Rn 5f) sind auf die Genehmigung schon deshalb nicht übertragbar, weil § 182 II sonst für die Genehmigung keinen Anwendungsbereich hätte (BGH 125, 218, 225). Bei der Einwilligung ist hingegen nach den gleichen Grundsätzen zu differenzieren wie bei der Vollmacht: Wenn die Einwilligung unwiderruflich ist oder sonst faktisch eine Bindung des Einwilligenden bewirkt und der Zweck der Form in der Warnung gerade desjenigen in der Position des Einwilligenden liegt, sollte wie bei § 167 die Formvorschrift auch für die Einwilligung gelten (BGH NJW 1998, 1482, 1484; Wolf/Neuner § 54 Rn 22; Bork AT Rn 1701); ausdr aM Staud/Gursky Rn 28 mwN mit dem Arg, dann müsse die Genehmigung „erst recht“ formbedürftig sein und dadurch würde § 182 II zu sehr ausgehöhlt. Das argumentum a fortiori überzeugt nicht: Die Formbedürftigkeit der unwiderruflichen Vollmacht beruht nicht auf einer Bindung durch das Hauptgeschäft, sondern auf der Bindung an ein noch abzuschließendes Hauptgeschäft. Formfrei ist die Zustimmung erst recht, wenn der Zweck der Formvorschrift durch eine formfreie Zustimmung nicht berührt wird; so bei der Zustimmung zur Übernahme eines für sich selbst nach §§ 550, 578 II formbedürftigen Mietvertrags, die der Vermieter mit dem neuen Vermieter oder dem bisherigen Mieter vereinbart, Vermieter- oder Mieterwechsel außerhalb des § 566 (BGH 154, 171, 178ff; NJW-RR 2005, 958; s auch BGH DtZ 1996, 56: Zustimmung zur Vertragsübernahme bedarf nicht der für Vertragsänderungen vereinbarten Form). Formbedürftig ist dagegen die Zustimmung des Gesamtvertreters einer Gemeinde zum Handeln des anderen, wenn kommunalrechtlich die Unterzeichnung durch beide vorgeschrieben ist (BGH NJW 1984, 606f und 1994, 1528 sowie NVwZ-RR 1997, 725, 727; s auch § 125 Rn 10). b) Eigene Form der Zustimmung. Vielfach verlangt das Gesetz eine besondere Form für die Zustimmung (zB in §§ 1516 II, 1597 I, 1750 I, 2291 II; § 193 III UmwG). In anderen Fällen ist die Zustimmung in bestimmter Form nicht Voraussetzung der Wirksamkeit, sondern der Zulässigkeit bestimmter Maßnahmen (zB §§ 5 I, 10, 12 I DepotG). In wieder anderen Fällen ist eine Form zu Beweiszwecken oder aus Gründen der Rechtsklarheit vorgeschrieben (§§ 29 GBO, 71 II ZVG). Wo das Gesetz eine besondere Form für die Vollmacht vorschreibt, dient die Formvorschrift idR der Rechtssicherheit (zB §§ 2 II, 47 III GmbHG); sie ist deshalb auch für die Genehmigung erforderlich (Frankfurt GmbHR 2012, 751; Scholz/Emmerich § 2 GmbHG Rn 31). S auch §§ 2347f für den Erbverzicht und dazu Düsseldorf NJW-RR 2002, 584. Zu § 492 IV s § 492 Rn 24, 26; andererseits MüKo/ Bayreuther § 182 Rn 22. 3. Zustimmung durch schlüssiges Verhalten. Der Zustimmungsberechtigte kann seine Zustimmung wie bei jedem anderen formfreien Rechtsgeschäft auch durch schlüssiges Verhalten erklären. Das ist als Grundsatz unbestritten (s Staud/Gursky Rn 9ff mwN). Eine konkludente Zustimmung liegt vor, wenn sich nach dem Empfängerhorizont die Äußerung des Willens ergibt, den Zustimmungstatbestand zu verwirklichen (Vor § 182 Rn 11). Das gilt für die Einwilligung und die Genehmigung gleichermaßen. Ob ein Verhalten einen solchen Erklärungswert hat, ist nach allg Auslegungsgrundsätzen zu entscheiden. a) An den inneren Willen des Zustimmenden sind keine weitergehenden Anforderungen als bei jeder anderen Willenserklärung (vgl Vor § 116 Rn 2ff) zu stellen; insb ist nach der hier vertretenen Ansicht (Vor § 116 Rn 4, 15ff) kein besonderes Erklärungs- oder Zustimmungsbewusstsein und deshalb auch nicht die Kenntnis der Genehmigungsbedürftigkeit erforderlich (anders, ausgehend von einer anderen Auffassung zur Notwendigkeit des Erklärungsbewusstseins, Staud/Gursky Rn 17ff, der aber [Rn 19] ggf zu einer Vertrauenshaftung analog § 122 kommt). Für die ausdr Genehmigung ist das anerkannt (BGH 47, 341, 351; MüKo/Schubert § 177 Rn 32). Für die konkludente Genehmigung scheint die Rspr jedoch uneinheitlich (einerseits BGH WM 1981, 171; BGH 159, 294; NZG 2005, 276; München WM 2009, 217, nach denen Kenntnis des Genehmigenden von der Genehmigungsbedürftigkeit erforderlich ist, und andererseits BGH 109, 171, 177; 128, 41, wonach es auf solche Kenntnis nicht ankommt). Ob ein solcher Gegensatz tatsächlich besteht, erscheint zweifelhaft; s Rn 11 sowie § 177 Rn 14; zu berücksichtigen ist auch die Verschiedenheit der Inhalte der Genehmigung vollmachtloser Vertretung (dazu § 177 Rn 12ff) und der Zustimmung zu dem Geschäft eines Dritten (Vor § 182 Rn 11). b) Einzelfälle. Der Zwangsverwalter eines Grundstücks, der bewusst die Einziehung der Mieten durch einen Nichtberechtigten duldet, stimmt dem konkludent gem § 362 II zu, auch wenn er nicht weiß, dass seine Zustimmung erforderlich ist (BGH 109, 171, 177). Bloße Anwesenheit bei Beurkundung eines Grundstücksvertrags enthält nicht die konkludente Zustimmung, wenn der Anwesende seine Mitberechtigung nicht kennt (BGH NJW 1998, 1482, 1484 zu §§ 13, 15 DDR-FGB). Stillschw Genehmigung ist anzunehmen, wenn der ohne Vertretungsmacht Handelnde kurz nach dem Geschäft Vertretungsmacht erlangt (Frankfurt BB 1980, 10 – nachfolgende Bestellung zum Geschäftsführer). Die Klage gegen den Nichtberechtigten, der die Sache veräußert hat, auf Herausgabe des Erlöses kann die Genehmigung gem § 185 II enthalten (RG 106, 274; zur Problematik s § 816 Rn 9). Die Klage gegen den nicht berechtigten Empfänger einer Leistung gem § 816 II enthält idR die Genehmigung der Leistung an ihn (BGH NJW 1972, 1197). Der Vertragsabschluss mit einer noch nicht errichteten Maier-Reimer

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GmbH (mit der Folge persönlicher Haftung des Handelnden) enthält nicht die Zustimmung zur späteren Vertragsübernahme durch die GmbH (BGH NJW 1998, 1645). Zur konkludenten Zustimmung des namens eines anderen Beteiligten Handelnden BGH NJW 2015, 2872 Rn 16ff. c) Eine konkludente Zustimmung kann ferner zB darin liegen, dass der Zustimmungsberechtigte das Rechtsgeschäft ggü einem Empfangsberechtigten – etwa durch Erfüllungshandlungen oder durch Aufnahme und längerfristige Durchführung des Geschäftsbetriebes in gemieteten Räumen – als gültig behandelt (vgl RG 170, 233, 237; 160, 225, 232 – Anteilsabtretung; BGH WM 1990, 1573, 1575 – Vertragsübernahme; Frankfurt BauR 2005, 1628; KG ZMR 2010, 443; Düsseldorf NZM 2005, 909; MüKo/Bayreuther Rn 13; Soergel/Leptien Rn 9) oder auch durch längeres vertragskonformes Verhalten eines bei Abschluss minderjährigen und inzwischen volljährigen Versicherungsnehmers (Koblenz VersR 1991, 210). Eine schlüssige Genehmigung kann auch in dem – für sich betrachtet wirksamen – Abschluss von Folgevereinbarungen liegen, die die Wirksamkeit der vorhergehenden und zunächst schwebend unwirksamen Hauptvereinbarung voraussetzen (Frankfurt NJW-RR 2005, 1514, 1516; Dresden BKR 2006, 122, LS; grds zust Staud/Gursky Rn 10a). Praktisch wird dies relevant, wenn die Hauptvereinbarung wegen eines Vertretungsmangels schwebend unwirksam ist. Dann muss aber die konkludente Genehmigung objektiv als Ausdruck des Willens erscheinen, ein nach Auffassung des Handelnden mindestens möglicherweise unwirksames Geschäft wirksam zu machen, und der andere Teil muss dies auch tatsächlich so verstanden haben (§ 177 Rn 14f). Beruht der Vertretungsmangel auf einem beiderseits nicht erkannten Verstoß gegen § 3 RDG, kann in der Folgevereinbarung deshalb keine konkludente Genehmigung gesehen werden (so mit Recht Stuttgart NJOZ 2007, 1211, 1232; München WM 2009, 217); wohl aber, wenn der Vertretungsmangel den Beteiligten in diesem Zeitpunkt bekannt war (Karlsruhe OLGRp 2006, 865). Eine schlüssige Genehmigung kann in positiven Äußerungen auf eine Wechselanfrage liegen (RG 145, 87, 93; BGH LM Art 7 WG Nr 1–3; krit Staud/Gursky Rn 13). Aus dem Verhalten ggü einem Dritten kann dagegen nicht auf eine Zustimmung geschlossen werden, weil der Dritte kein geeigneter Adressat einer Zustimmung ist (BGH NJW 1953, 58). Zur stillschw Genehmigung der Leistung an einen Nichtberechtigten BGH 109, 171; VersR 1974, 592. Zur schlüssigen Erteilung einer Genehmigung iSv §§ 1001, 1002 BGH NJW 2002, 2875 m Anm K. Schmidt JuS 2002, 1230, einer Genehmigung der Prozessführung BGH NJW 1999, 3263. d) Bloßes Schweigen des Zustimmungsberechtigten ist idR eher als Ablehnung, jedenfalls nicht als Zustimmung zu werten (MüKo/Bayreuther § 182 Rn 14 und MüKo/Schubert § 177 Rn 36; Staud/Schilken § 177 Rn 11; Staud/Gursky Rn 11ff mwN). Ausnahmen können sich im Handelsverkehr nach den §§ 75h, 91a HGB und den Grundsätzen über das kaufmännische Bestätigungsschreiben ergeben; auch wenn das an den Vertragspartner gerichtete Bestätigungsschreiben „zu Händen“ des vollmachtlosen Vertreters adressiert ist (BGH NJW 1964, 1951; 1990, 386; 2007, 987, 988; s auch § 177 Rn 23). Außerhalb solcher Regelungen setzt eine Bewertung des Stillschweigens als Zustimmung regelmäßig voraus, dass der Zustimmungsberechtigte verpflichtet gewesen wäre, seine Ablehnung zu äußern. Das wird der Fall sein, wenn die Vertragschließenden den Zustimmungsberechtigten unterrichtet haben und eine Erklärung erwarten durfte (BGH WM 1963, 528; 1964, 224; DB 1976, 1573). Eine Bitte des Geschäftsbeteiligten an den Zustimmungsberechtigten um Äußerung allein genügt aber nicht ohne weiteres (BGH 47, 110, 113). Schweigen der Bank, deren Zustimmung zur Abtretung des Rückgewährsanspruchs der Sicherungsgrundschuld nach ihren AGB erforderlich ist, auf die Abtretungsanzeige des Notars ist ohne weitere Anhaltspunkte keine Zustimmung (BGH NJW 1990, 1601). Wird der Zustimmungsberechtigte nur von dritter Seite unterrichtet, so liegt in seinem Schweigen grds keine Genehmigung (BGH NJW 1951, 398). Ausnahmsweise kann ein jahrelanges Schweigen unter Berücksichtigung weiterer Umstände als Zustimmung gewertet werden (RG 137, 335, 339). In dem Schweigen eines Kaufmanns auf eine Wechselrückfrage kann eine Genehmigung der gefälschten oder ohne Vertretungsmacht abgegebenen Erklärung nur unter besonderen Bedingungen erblickt werden (RG 118, 335; 145, 87, 94f; s auch BGH 47, 110, 113; München NJW 1959, 1085). e) Soweit danach die Voraussetzungen einer Zustimmung nicht vorliegen, kann die Berufung auf das Fehlen einer Zustimmung gegen Treu und Glauben verstoßen oder eine Haftung aus § 826 begründen (BGH 47, 110ff; Staud/Gursky Rn 13 mwN); zur treuwidrigen Vereitelung der Genehmigung BGH NJW 2012, 3424, Rn 14ff; dazu § 177 Rn 23. Für die Annahme einer Genehmigung nach Rechtscheinsgrundsätzen (dazu Staud/Gursky Rn 19) besteht kein Bedürfnis, wenn ein Erklärungsbewusstsein entspr der hM nicht mehr zum Minimaltatbestand einer Willenserklärung und damit auch einer Genehmigung gehört (Rn 9; Soergel/Leptien Rn 7). 4. Rechtscheinseinwilligung. Auf die Einwilligung sind die §§ 170ff entspr anwendbar (BGH WM 1964, 224; Soergel/Leptien Rn 10; Pal/Ellenberger Rn 3; Staud/Gursky § 183 Rn 17; auch MüKo/Bayreuther Rn 15 und § 183 Rn 14). Ob zusätzlich die Grundsätze über die Rechtscheinsvollmacht (§ 167 Rn 9ff) Anwendung finden, ist zweifelhaft (grds bejahend Staud/Gursky Rn 21; MüKo/Bayreuther Rn 15). Vom Sachverhalt her sind entspr Konstellationen praktisch nur bei dem Zustimmungserfordernis zur Aufsicht, insb des gesetzlichen Vertreters, vorstellbar. Für solche Fälle ist die Anerkennung aber mit dem Schutzzweck des Zustimmungserfordernisses schwerlich vereinbar. In den Fällen des Zustimmungserfordernisses wegen Mitbetroffenheit ist ein den Fällen der Rechtscheinsvollmacht vergleichbarer Sachverhalt kaum vorstellbar (Staud/Gursky Rn 21; aM MüKo/Bayreuther Rn 15 mit dem Bsp Brandenburg 24.3.2017 – 3 U 117/09, das aber eine konkludente Genehmigung betrifft). 5. Zustimmung zu einem einseitigen Rechtsgeschäft. Auch eine solche Zustimmung ist formfrei gültig (Abs II). Doch ergibt sich aus Abs III iVm § 111 S 2 ein indirekter Formzwang, da der Erklärungsempfänger das einseitige Rechtsgeschäft unverzüglich zurückweisen und es dadurch unwirksam machen kann, wenn die erforderliche Ein544

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Einwilligung und Genehmigung

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willigung nicht in schriftlicher Form vorgelegt wird. Ist die vorgelegte Einwilligung von einem angeblich Bevollmächtigten unterzeichnet, gilt § 174 und über ihn § 182 III iVm § 111 S 2; die Zurückweisung nach § 174 schließt dann die nach § 111 S 2 ein (LAG Düsseldorf BB 2001, 2479). Die Zurückweisung ist nach Abs III iVm § 111 S 3 nur ausgeschlossen, wenn der Zustimmungsberechtigte den Erklärungsempfänger von der Zustimmung in Kenntnis gesetzt hatte. Auf die nach § 103 BetrVG erforderliche Zustimmung zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist Abs III iVm § 111 S 2 und 3 weder unmittelbar noch analog anzuwenden, weil es sich nicht um eine rechtsgeschäftliche Zustimmung handelt und § 103 BetrVG iVm § 15 KSchG eine abschließende Sonderregelung enthält (BAG NJW 2004, 2612 mit eingehender Begründung gegen die bis dahin hM). Ob ein zustimmungsbedürftiges einseitiges Rechtsgeschäft ohne Einwilligung nichtig oder genehmigungsfähig 16 ist, ist str. Abs III verweist nur auf § 111 S 2 und 3, nicht auf S 1. Dennoch halten die Rspr und die wohl noch hL das ohne Einwilligung vorgenommene einseitige Rechtsgeschäft für unheilbar nichtig, da einseitige Gestaltungsgeschäfte keinen Schwebezustand vertrügen (RG 146, 314, 316; BGH 114, 360, 366; NJW 1997, 1150, 1151f; Soergel/Leptien Rn 12; relativierend zur Nachfristsetzung BGH NJW 1998, 3058, 3060; 2000, 506, 507: jedenfalls keine Rückwirkung, wenn die Frist bei Genehmigung bereits verstrichen ist). Ein allg Rechtsgrundsatz, wonach bei einseitigen Gestaltungsgeschäften ein Schwebezustand nicht möglich sei, ist jedoch nicht anzuerkennen. § 180 S 2, 3 beweist, dass es ihn nicht gibt. Die Besonderheit einseitiger Rechtsgeschäfte liegt nicht in ihrer Gestaltungswirkung, sondern darin, dass der Adressat daran nur passiv beteiligt ist und deshalb eines besonderen Schutzes bedarf (s § 174 Rn 1). Mit der zunehmenden Auffassung ist deshalb § 180 S 2, 3 analog anzuwenden (MüKo/Bayreuther Rn 32f; Staud/Gursky Rn 47 mwN; ohne Problematisierung auch Frankfurt 23.6.2009 – 8 U 130/07, Rn 32, 34), soweit nicht aufgrund ausdr Vorschrift oder wegen Besonderheiten der Materie nur die Einwilligung genügt (so für die Zustimmung des Betriebsrats gem §§ 15 I KSchG, 103 BetrVG, BAG DB 1977, 1190, 1191). Zur Genehmigungsfähigkeit amtsempfangsbedürftiger einseitiger Rechtsgeschäfte s § 180 Rn 4. Die Genehmigung einer ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Kündigungsfrist ist jedenfalls unwirksam (BAG AP § 184 BGB Nr 3). 6. Verweigerung der Zustimmung. Die Verweigerung der Einwilligung hat keine rechtsgestaltende Wirkung. 17 Sie ist jederzeit „widerruflich“, dh die Zustimmung kann (als Einwilligung oder Genehmigung) danach ohne weiteres erteilt werden (MüKo/Bayreuther Rn 26; Soergel/Leptien Rn 6). Die Verweigerung der Genehmigung dagegen hat rechtsgestaltende Wirkung. Sie ist, wie die Erteilung der Genehmigung, eine empfangsbedürftige Willenserklärung und zugleich Rechtsgeschäft (RG 139, 118, 125; BGH NJW 1982, 1099; MüKo/Bayreuther Rn 28; aM: nur geschäftsähnlich Staud/Gursky Rn 35 mwN). Sie kann auch durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck gebracht werden (BGH NJW 1982, 1099; allg M, s auch Rn 8ff), ist nicht widerruflich (Vor § 182 Rn 15) aber wie die Zustimmung (dazu Vor § 182 Rn 13) nach §§ 119, 123 anfechtbar (Soergel/Leptien Rn 6 und § 184 Rn 2). Die Verweigerung setzt Kenntnis des Abschlusses des zu genehmigenden Geschäfts, seiner Art und seines wesentlichen Inhalts voraus (BGH NJW 1982, 1099, 1100). Auch für eine konkludente Verweigerung ist Eindeutigkeit des Verweigerungswillens erforderlich. Die Klage des Eigentümers gegen den früheren Besitzer aus §§ 989, 990 und der Versuch der Sicherstellung gestohlenen Guts bei dem späteren Besitzer enthalten deshalb keine schlüssige Verweigerung der Genehmigung der unberechtigten Verfügung und schließen deshalb die Klage aus § 816 I 1 nicht aus (BGH NJW 1968, 1326). 7. Beweislast. Die Beweislast für das Zustimmungserfordernis trägt derjenige, der sich auf das Erfordernis be- 18 ruft. Die Beweislast für die Zustimmung trägt dann derjenige, der sich auf die Zustimmung beruft. Wer demgegenüber behauptet, eine Genehmigung sei ins Leere gegangen, weil sie vorher verweigert und das Geschäft dadurch endgültig unwirksam geworden sei, trägt hierfür die Beweislast (BGH NJW 1989, 1728).

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Widerruflichkeit der Einwilligung

Die vorherige Zustimmung (Einwilligung) ist bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts widerruflich, soweit nicht aus dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis sich ein anderes ergibt. Der Widerruf kann sowohl dem einen als dem anderen Teil gegenüber erklärt werden. 1. Bedeutung. Einwilligung ist die dem zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäft vorausgehende oder zugleich 1 mit dessen Vornahme erteilte Zustimmung. Sie schafft für den Einwilligungsempfänger die sonst nicht bestehende Möglichkeit, ein zustimmungsbedürftiges Rechtsgeschäft mit sofortiger Wirksamkeit vorzunehmen. – Die Einwilligung zur Verfügung über ein Recht des Einwilligenden (§ 185) begründet für den Einwilligungsempfänger eine Rechtsmacht, die der Vollmacht verwandt ist; der Einwilligungsempfänger handelt aber im eigenen Namen, der Bevollmächtigte dagegen in fremdem Namen (§ 164 I; s Vor § 182 Rn 5). Zur Autorisierung mit Doppelnatur (München DB 1973, 1693; Naumburg NJW-RR 1999, 1462). Zum Inhalt und zur Rechtsnatur der Einwilligung Vor § 182 Rn 11ff; zu ihrer Wirkung Vor § 182 Rn 14. – Nicht hierher gehört die Einwilligung zu einer tatsächlichen Handlung (Vor § 182 Rn 4 zu dd). 2. Erlöschensgründe. Die Einwilligung erfüllt ihren Zweck nur, wenn sie bei Vornahme des Rechtsgeschäfts 2 (noch) wirksam ist. Als Erlöschensgrund nennt § 183 nur den Widerruf. Wie die Vollmacht kann sie aber auch aus anderen Gründen erlöschen: nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis oder mit diesem (BGH NJW 2012, 1207 Rn 11ff) oder aufgrund einer für die Einwilligung selbst bestimmten auflösenden Bedingung oder Befristung (§ 168 Rn 2). Unberührt bleibt die Einwilligung dagegen vom Tod oder von einer nachträglichen Geschäftsunfähigkeit des Einwilligenden, sofern das zugrunde liegende Rechtsgeschäft nichts anderes ergibt Maier-Reimer

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Rechtsgeschäfte

(MüKo/Bayreuther Rn 6). Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Einwilligenden sind §§ 80ff InsO zu beachten, wenn das zustimmungsbedürftige Geschäft die Insolvenzmasse betrifft. Die Einwilligung (Ermächtigung) wird gegenstandslos, wenn der Ermächtigende die Rechtsstellung, auf der die Ermächtigung beruht, verliert. Ob die Einwilligung mit dem Tod des Ermächtigten erlischt, hängt wie bei der Vollmacht (§ 168 Rn 10) von dem Kausalverhältnis ab (MüKo/Bayreuther Rn 5). Beruht die Einwilligung nicht auf einem grds fremdnützigen Verhältnis, wie zB einer Geschäftsbesorgung, sondern sollte sie dem Ermächtigten eine eigene Rechtsposition geben, wie die Ermächtigung des Vorbehaltskäufers zu Weiterveräußerung, oder diente sie der Verwirklichung eines Leistungsanspruchs, so geht sie auf den Erben über (MüKo/Bayreuther Rn 5; s auch § 168 Rn 10). 3. Widerruf als Erlöschensgrund. a) Grds ist die Einwilligung bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts wie eine Vollmacht (§ 168 S 2) frei widerruflich (S 1). Bei mehraktigen Rechtsgeschäften ist der Widerruf bis zur Verwirklichung des letzten Tatbestandselement widerruflich (BGH 14, 114, 118f; MüKo/Bayreuther Rn 12; Staud/ Gurksy Rn 10; Soergel/Leptien Rn 3). Die Einwilligung zu Grundstücksgeschäften ist jedoch nur bis zur Bindung an die Einigung gem § 873 II widerruflich (Soergel/Leptien Rn 3; MüKo/Bayreuther Rn 12; BGH NJW 1963, 36; 1998, 1482, 1484; aM Staud/Gursky Rn 10). Zum Widerruf einer Einwilligung gem § 5 ErbbauRG i Erg ebenso, aber aufgrund § 878: BGH NJW 1963, 36 (zust Staud/Gursky Rn 10). Nach dem Widerruf einer Verfügungsermächtigung sollten §§ 175f analog angewendet werden (§ 175 Rn 1). b) Der Widerruf ist wie die Einwilligung selbst eine empfangsbedürftige Willenserklärung und kann wie sie (§ 182 I 2) ebenfalls sowohl ggü dem Einwilligungsempfänger als auch ggü dem anderen Teil erklärt werden (S 2). Die Möglichkeit und die zeitlichen Grenzen des Widerrufs gelten auch für die Einwilligung im Verfahrensrecht. Bsp: Bei der gewillkürten Prozessstandschaft kann die Einwilligung nur bis zur Klageerhebung widerrufen werden (RG 164, 240, 242; MüKo/Bayreuther Rn 13). Die Einwilligung an den Notar, dem Gläubiger eine vollstreckbare Ausfertigung der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung zu erteilen, kann nicht mehr widerrufen werden, wenn der Gläubiger die Ausfertigung erhalten hat (BayObLG DNotZ 2003, 847; Staud/ Gursky Rn 12). Zum Widerruf einer Zustimmung zu einer baulichen Veränderung Düsseldorf NZM 2006, 702 m Anm Becker IBR 2006, 161. c) In einigen Fällen ist die Einwilligung kraft Gesetzes unwiderruflich, zB gem §§ 876, 880 II und III, 1071 I, 1178 II, 1183, 1245 I, 1255 II, 1276 I, 1516 II, 1517 I, 1750 II, 2291 II. Die Zustimmung bewirkt in diesen Fällen den Verlust eines Rechts, nämlich des Rechts auf Mitwirkung; sie ist deshalb selbst Verfügung (Flume § 55; s Einl § 104 Rn 25; Staud/Gursky Vor § 182 Rn 50). d) Der Widerruf kann ferner auch durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen sein. Wie bei der Vollmacht (§ 168) ist für die Widerruflichkeit das zugrunde liegende Rechtsverhältnis maßgeblich; für den Ausschluss des Widerrufs gelten deshalb allg dieselben Grundsätze wie für die unwiderrufliche Vollmacht (Pal/Ellenberger Rn 2; s dazu § 168 Rn 16ff; anders, ohne die Voraussetzungen wie bei der Vollmacht, MüKo/Bayreuther § 183 Rn 16: Widerrufsverzicht auch ohne Grund im Kausalverhältnis). Wegen der Verschiedenheit der Ausgangslage wirken sich die Grundsätze jedoch unterschiedlich aus. Beruht das Zustimmungserfordernis auf Aufsichtsrecht oder -pflicht (Vor § 182 Rn 1), ist die Einwilligung stets widerruflich, weil eine Verpflichtung zur Einwilligung pflichtwidrig wäre (Flume § 55). Beruht das Zustimmungserfordernis dagegen auf Rechts- oder Interessenbeteiligung (Vor § 182 Rn 1), so fällt die Annahme eines konkludenten Ausschlusses des Widerrufsrechts leichter als bei der Vollmacht. Ein konkludenter Ausschluss des Widerrufs wurde angenommen für die Veräußerungsermächtigung an den Vorbehaltskäufer (BGH NJW 1969, 1171); für die Einziehungsermächtigung bei der stillen Sicherungszession (München BB 1985, 2270 gegen BGH 82, 283, 290). Auch die unwiderrufliche Einwilligung kann wie die unwiderrufliche Vollmacht aus wichtigem Grund widerrufen werden (Soergel/Leptien Rn 4; MüKo/Bayreuther Rn 16; s auch BGH NJW 1969, 1171). In der Zustimmung zur Sicherungsabtretung einer Kommanditbeteiligung liegt zugleich die – unwiderrufliche – Zustimmung zur Rückabtretung nach Erreichung des Sicherungszwecks; sie kann nicht aus Gründen in der Person des Rückzessionars widerrufen werden (BGH 77, 392, 396ff). 4. Wirkung. Der Widerruf bewirkt das Erlöschen der Einwilligung, so dass das zustimmungsbedürftige Geschäft ohne erneute Einwilligung oder Genehmigung nicht wirksam vorgenommen werden kann. Allerdings muss der Dritte, dem ggü die Einwilligung erklärt und der Widerruf nicht angezeigt wurde, in seinem guten Glauben an das Bestehen der Einwilligung wegen des Rechtsscheins geschützt werden; §§ 170–173 sind wegen der vergleichbaren Interessenlage entspr anzuwenden; (BGH WM 1964, 224; MüKo/Bayreuther Rn 14; Staud/ Gursky Rn 17). Der Widerruf der Einwilligung schließt eine erneute Einwilligung ebenso wenig aus, wie eine spätere Genehmigung.

§ 184

Rückwirkung der Genehmigung

(1) Die nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) wirkt auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. (2) Durch die Rückwirkung werden Verfügungen nicht unwirksam, die vor der Genehmigung über den Gegenstand des Rechtsgeschäfts von dem Genehmigenden getroffen worden oder im Wege der Zwangsvollstreckung oder der Arrestvollziehung oder durch den Insolvenzverwalter erfolgt sind.

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Einwilligung und Genehmigung

§ 184

1. Genehmigung. a) Genehmigung ist die nachträgliche Zustimmung. Sie ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, gem § 182 II grds an keine Form gebunden (§ 182 Rn 4ff) und kann ausdr oder konkludent erklärt werden (§ 177 Rn 14f; § 182 Rn 8ff). Sie wird wirksam mit dem Zugang gem §§ 130ff (Vor § 182 Rn 12) und kann gem § 182 I sowohl dem einen wie dem anderen Teil ggü erklärt werden (§ 182 Rn 1–3). Dass die Genehmigung auf Antrag erteilt worden wäre, genügt nicht (BGH NJW 1972, 940 zur kommunalrechtlichen Vertretung; Soergel/Leptien Rn 1). b) Die Genehmigung ist grds unwiderruflich (BGH 40, 156, 164; Soergel/Leptien Rn 2; MüKo/Bayreuther Rn 2). Das ergibt sich daraus, dass die Erteilung der Genehmigung unmittelbar rechtsgestaltend das schwebend unwirksame Geschäft wirksam macht. Celle (RdL 1954, 46) und Köln (RdL 1954, 71) lassen den Widerruf der (öffentlichrechtl) Genehmigung uU zu, wenn sie erschlichen wurde, dagegen Riedel JZ 1955, 110. Die Genehmigung kann aber nichtig oder anfechtbar sein (Vor § 182 Rn 13). Ob eine öffentlich-rechtl Genehmigung zurückgenommen oder widerrufen werden kann, richtet sich nach öffentlichem Recht. Zur Unwiderruflichkeit der Genehmigungsverweigerung Vor § 182 Rn 15. c) Gegenstand der Genehmigung ist das zustimmungsbedürftige und zustimmungsfähige Rechtsgeschäft (zur Genehmigungsfähigkeit einseitiger Rechtsgeschäfte § 182 Rn 16). Die Genehmigung nur eines Teils kann zu dessen Wirksamkeit führen, wenn das Geschäft teilbar ist und die Beteiligten es auch ohne den nicht genehmigten Teil vorgenommen hätten (MüKo/Bayreuther Rn 10 und MüKo/Schubert § 177 Rn 42; Hamm DNotZ 2002, 266, 267; s auch § 177 Rn 16 und Vor § 182 Rn 14). Eine mit Änderungen und Vorbehalten versehene Genehmigung kann durch Auslegung als Teilgenehmigung gedeutet werden; sie kann aber auch als (endgültige) Versagung der Genehmigung auszulegen sein. Gilt sie als Verweigerung, so kann darin die Einwilligung zu einem neuen, der eingeschränkten „Genehmigung“ entspr Vertragsschluss liegen (KG HRR 1941, Nr 853 zur Grundstücksverkehrsgenehmigung zu einem anderen Preis; MüKo/Bayreuther Rn 10). Zur nichtigen Genehmigung (gem § 17 aF GmbHG) s Liese GmbHR 2005, 1460. d) § 184 gilt entspr für die Genehmigung von Prozesshandlungen, etwa einer nicht postulationsfähigen Person (BGH 111, 339, 343ff mN), oder – auch im Verwaltungsverfahren (dazu BVerwG NJW 1999, 3357) – eines Vertreters ohne Vertretungsmacht (BGH NJW 1967, 2304 – Vererblichkeit des rechtshängigen Anspruchs aus § 847 aF, dazu aber BGH 69, 323; GSoBG in BGH 91, 111 zur Möglichkeit der Genehmigung in der Revisionsinstanz; BGH NJW 2010, 2886). Genehmigungsfähig ist auch ein ohne Vertretungsmacht gestellter Insolvenzantrag (BGH NZG 2003, 583). Die Genehmigung nur einzelner Verfahrenshandlungen eines vollmachtlosen Vertreters im Prozess ist jedoch unwirksam, da die Prozessführung als einheitliches Ganzes zu werten und deshalb nur insgesamt genehmigungsfähig ist (BGH 92, 137). 2. Zuständigkeit. § 184 regelt nicht, welcher Zeitpunkt für die Zuständigkeit für die Genehmigung maßgeblich ist. Bei einem Zustimmungserfordernis nach Aufsichtsrecht (Vor § 182 Rn 1) muss der Genehmigende im Zeitpunkt der Genehmigung das Zustimmungsrecht haben (unstr; BeckOK/Bub Rn 5). Nach hM muss grds auch in den Fällen der Mitbetroffenenheit, insb der Genehmigung der Verfügung eines Nichtberechtigten, der Genehmigende die Verfügungsmacht im Zeitpunkt der Genehmigung haben, da die Genehmigung mit ihrer Rückwirkung nicht ihre eigenen Voraussetzungen schaffen könne (BGH 107, 340; Flume § 57, 3a; Soergel/Leptien Rn 7; Staud/Gursky Rn 23f; MüKo/Bayreuther Rn 19ff; aM RGRK/Steffen Rn 6; diff BeckOK/Bub § 185 Rn 11; Pfister JZ 1969, 623; Finkenauer AcP 203, 282, 288ff, 302f). Das Erfordernis der Verfügungsmacht im Zeitpunkt der Genehmigung soll sich aus der Natur der Sache ergeben. Das soll sogar für die Genehmigung gem § 177 gelten (RG 134, 283, 286ff; dagegen Staud/Schilken § 177 Rn 10 ausf hierzu MüKo/Bayreuther Rn 20 aufgrund einer „Gesamtbetrachtung“). Wegen Abs II kommt es auf die Frage nur an, wenn der zunächst Berechtigte die Verfügungsmacht anders als durch eigene Verfügung verloren hat. Stellungnahme: Das Gesetz lässt beide Auslegungen zu; maßgeblich sollte daher die Sachgerechtigkeit und Konsistenz der Ergebnisse sein (RGRK/Steffen Rn 6). Die Genehmigungszuständigkeit ist unabhängig von den Gutglaubensvorschriften (dazu Rn 8) und von der Rückwirkung (anders RG 134, 283, 286ff, dazu Finkenauer AcP 203, 282, 288ff) zu beurteilen. Im Fall des § 177 ergibt sich die Genehmigungszuständigkeit des Vertretenen auch auf Veräußererseite nicht aus seiner – damaligen oder jetzigen – Verfügungsmacht, sondern folgt allein daraus, dass in seinem Namen gehandelt wurde (Finkenauer AcP 203, 282, 288ff; Staud/Schilken § 177 Rn 10). Die Verfügung des Nichtberechtigten greift in das Recht des zu ihrem Zeitpunkt Berechtigten ein. Deshalb muss es auf die Verfügungsmacht im Zeitpunkt der Vornahme des Hauptgeschäfts ankommen. Entgegen der Begründung der hL (MüKo/Bayreuther Rn 20; Staud/Gursky Rn 24) greift die Genehmigung des nicht mehr Berechtigten nicht in Rechte des aktuell Berechtigten ein; s auch den in BGH 107, 340 entschiedenen Fall. Dies verhindert Abs II. Dieser ist nach der hL überflüssig und nur für den Fall von Zwischenverfügungen, die das Recht nicht übertragen, insb also für dingliche Belastungen, relevant. Die hL muss ferner eine Ausnahme für den Fall machen, dass der Gegenstand untergegangen ist oder durch Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung seine selbständige Existenz verloren hat (BGH 56, 131 – der die allg Frage unentschieden lässt; Staud/Gursky Rn 25; MüKo/Bayreuther Rn 23; Pal/Ellenberger Rn 3) oder durch Ersitzung auf den Erwerber übergegangen ist (str, dagegen Staud/Gursky Rn 26); sie kann die Rückwirkung erst ab dem Zeitpunkt des späteren Erwerbs des Genehmigenden eintreten lassen (MüKo/Bayreuther Rn 22; Soergel/Leptien Rn 7; Staud/Gursky Rn 27) und kann für die Zeit bis dahin keine Genehmigung zulassen (Staud/Gursky Rn 29, 59). Kommt es dagegen auf die Sachberechtigung im Zeitpunkt des Hauptgeschäfts an, so bedarf es dieser (inkonsequenten) Ausnahmen nicht. Nur dann löst sich sachgerecht auch der Fall, dass der Begünstigte der Erstverfügung das Recht wirksam überträgt, Maier-Reimer

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zB wenn er das Eigentum wegen Bösgläubigkeit nicht erworben, es dann aber an einen Gutgläubigen wirksam übertragen hat. Der ursprünglich Berechtigte kann nach der hier vertretenen Auffassung die Erstverfügung mit der Folge genehmigen, dass der Begünstigte der Zweitverfügung vom Berechtigten erworben hat. Dieser kann das aber nicht selbst durch Genehmigung der Erstverfügung bewirken. Der Anspruch des vormals Berechtigten aus § 816 I richtet sich dann gegen den Erstverfügenden; ist zuvor der bis zur Genehmigung bestehende Anspruch aus § 816 I gegen den Zweitverfügenden oder dessen Rechtsmängelanspruch gegen den Erstverfügenden erfüllt worden, ist die Leistung bereicherungsrechtlich zu erstatten (§ 812 I 2 Alt 1). Aus demselben Grund besteht (entgegen Staud/Gursky Rn 26) auch bzgl herauszugebender Nutzungen keine Gefahr einer übermäßigen Bevorzugung des vormals Berechtigten. Beruht das Zustimmungserfordernis auf mittelbarer Betroffenheit, so soll wegen der anderen Art der Betroffenheit auch nach der Minderheitsmeinung die Zustimmung des aktuell Berechtigten erforderlich sein (Erman/ Maier-Reimer13 Rn 7; BeckOK/Bub Rn 5). Einer Ausnahme für solche Genehmigungserfordernisse bedarf es indessen nicht. Abs II löst auch diese Fälle sachgerecht (s Rn 21). 3. Genehmigung und gutgläubiger Erwerb. Die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten (§§ 892f, 932ff) setzen grds voraus (Ausnahme § 892 II), dass der Rechtscheinstatbestand und der gute Glaube in dem Zeitpunkt vorliegen, in dem der Erwerbsakt vollendet wäre, wenn der Verfügende berechtigt gewesen wäre (§ 892 Rn 33ff; § 932 Rn 24). Trotz der Rückwirkung der Genehmigung müssen diese Voraussetzungen nach hM noch im Zeitpunkt der Genehmigung vorliegen; Pal/Bassenge § 892 Rn 25; Soergel/Leptien Rn 5; differenzierend MüKo/Bayreuther Rn 25ff). Richtigerweise ist zu differenzieren: Bedarf es einer behördlichen oder familiengerichtlichen Genehmigung, so kommt es auf den guten Glauben bei Vornahme der maßgeblichen Handlung an (RG 125, 53, 56; 142, 59, 63; MüKo/Bayreuther Rn 27; s auch BGH 10, 67, 73f). Gleiches sollte gelten, wenn die Genehmigung bei dem erforderlich ist, dessen guter Glaube (zB nach § 173) in Frage steht. Für den Schutz des vollmachtlos vertretenen Erwerbers kommt es auf den guten Glauben des Vertreters bei Abschluss und den des Vertretenen bei Genehmigung (§ 166 II) an (RG 161, 153, 161f; MüKo/Bayreuther Rn 26). Dagegen verlegt die Rückwirkung der Genehmigung des im Grundbuch eingetragenen vollmachtlos vertretenen Nichtberechtigten den maßgeblichen Zeitpunkt für den Gutglaubenserwerb nicht auf den Zeitpunkt der Vornahme des Hauptgeschäfts zurück (RG 134, 283, 286, 288 gegen RG 69, 263; aM Pfister JZ 1969, 623, 626, der auf den Wegfall der Gutglaubensvoraussetzungen Abs II analog anwenden will). Das liegt nicht daran, dass die Genehmigung nicht ihre eigenen Voraussetzungen schaffen kann (so RG 134, 283, 288), denn die Kompetenz des Vertretenen zur Genehmigung des Vertreterhandelns beruht nicht auf seiner Verfügungsmacht. Vielmehr liegt darin eine Einschränkung der Rückwirkung, die den öffentlichen Glauben des Grundbuchs nicht erreicht (RG 134, 283, 286; s auch Rn 12). Es geht dabei um die Auslegung der Gutglaubensvorschriften (Lutter AcP 164, 122, 168f). 4. Schwebezustand. a) Bis zur Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung ist das genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft schwebend unwirksam (RG 64, 149, 154). Die Parteien sind vorläufig an den Vertrag gebunden und können sich nicht einseitig davon lösen (BGH NJW 1993, 648, 651; Ausnahmen zB §§ 109, 178, 1830). Einvernehmliche Vertragsaufhebung ist möglich, aber nicht durch Vereinbarung mit dem Vertreter, der das Geschäft ohne Vertretungsmacht abgeschlossen hatte; mit dem beschränkt Geschäftsfähigen nur, wenn die Aufhebung ausschließlich vorteilhaft für ihn ist (MüKo/Bayreuther Rn 4; Soergel/Leptien Rn 4). Erfüllungsansprüche bestehen noch nicht (BGH 65, 123, 126; NJW 1993, 648, 651); schon für die Zeit des Schwebezustandes können aber einstw Erfüllungspflichten vereinbart werden (Bsp: BGH NJW 1999, 1329; 1999, 3040), soweit dies nicht dem Sinn des Genehmigungserfordernisses widerspricht (Armbrüster NJW 1999, 1306f). Die Beteiligten können überdies je nach Lage des Einzelfalles aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis und/oder nach Treu und Glauben verpflichtet sein, sich zumutbar um die Genehmigung zu bemühen und alles zu unterlassen, was die Erteilung gefährden könnte (RG 129, 357, 376; BGH BB 1956, 869; BVerwG NJW-RR 1986, 756; 758; Soergel/Leptien Rn 4). Keine solche Verpflichtung besteht bei § 108 für den beschränkt Geschäftsfähigen und bei § 177 für den ohne Vertretungsmacht Vertretenen. b) Für die Genehmigung besteht keine gesetzliche Frist. Der Vertragspartner desjenigen, dessen Erklärung zustimmungsbedürftig ist, kann jedoch analog §§ 108 II, 177 II, 1366 III durch Aufforderung an den Zustimmungsberechtigten eine Frist in Gang setzen (heute wohl hL; Soergel/Leptien Rn 4; MüKo/Bayreuther Rn 9; s aber KG KGRp 1998, 144, 145). Das gilt aber nicht für eine behördliche Zustimmung. Zu weiteren Sorgfaltsund Treuepflichten während der Schwebezeit s RG 114, 155, 159f. IÜ darf die Einholung der Genehmigung nicht länger als erforderlich hinausgeschoben werden; maßgeblich für die angemessene Dauer ist die Parteivereinbarung (vgl RGRK/Steffen Rn 4). Auslegungsfrage ist, ob nach Ablauf einer angemessenen Frist der andere Teil ein Rücktrittsrecht hat oder – ausnahmsweise – sogar endgültige Unwirksamkeit des Vertrags auch ohne Rücktritt anzunehmen ist (BGH Warn Rspr 1969 Nr 182 – mehr als 30 Jahre und fundamentale Veränderung der Verhältnisse; s auch BGH NJW 1993, 648, 651). Entgegen einer zT vertretenen Ansicht kann der Vertragspartner nicht in allen Fällen analog §§ 109, 178, 1366 II bis zur Genehmigung ohne weiteres widerrufen, wenn er das Genehmigungserfordernis nicht kannte (MüKo/Bayreuther Rn 4 gegen MüKo/Schramm5 Rn 5). Zur Genehmigung nach Auslaufen des befristeten Hauptgeschäfts s Rn 11 sowie MüKo/Bayreuther Rn 6. c) Verträge, die der behördlichen Genehmigung bedürfen, können uU noch nach Ablauf der Vertragszeit (ggf mit Rückwirkung) genehmigt werden (BGH BB 1956, 385; WM 1958, 358). Solange zu einem Rechtsgeschäft einer kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft eine mit Außenwirkung erforderliche Genehmigung der (staat548

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lichen) Aufsichtsbehörde fehlt, ist das Rechtsgeschäft ebenfalls schwebend unwirksam (vgl – auch zur Haftung wegen cic bzw GoA – BGH 142, 51, 53ff m krit Anm Singer JZ 2000, 153ff und BGH 157, 168, 175ff). 5. Wirkung der Genehmigung. a) Die Genehmigung macht das schwebend unwirksame Geschäft voll wirksam. Die Genehmigung wirkt zurück auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts, sofern nicht ein anderes bestimmt ist (Abs I). Die Wirksamkeitsvoraussetzungen richten sich grds nach dem Zeitpunkt der Vornahme des Geschäfts (Soergel/Leptien Rn 5). Das gilt sowohl für das obligatorische als auch für das dingliche Geschäft. Auch die Genehmigung der Auflassung wirkt zurück. Da zum Erwerb des Eigentums an einem Grundstück auch die Eintragung gehört, führt die Genehmigung allerdings nicht zum Eigentumsübergang, wenn die Eintragung vor der Genehmigung durch Berichtigung gelöscht wurde (RG 131, 99; JW 1931, 2726; BGH LM Nr 7 zu § 107). Hat dagegen der Erwerber das Grundstück weiterveräußert und ist der neue Erwerber bereits als Eigentümer eingetragen, steht dies dem rückwirkenden Eigentumserwerb des Ersterwerbers durch die Genehmigung nichts entgegen (so ohne Abgrenzung von den vorgenannten Fällen RG Gruch 67, 549, 552). Ob die Rückwirkung steuerrechtlich anzuerkennen ist, hängt von Auslegung und Zweck der einzelnen Steuervorschrift ab (BFH BStBl II 2002, 10). Überwiegend wird sie nicht anerkannt, zB nicht für Verkehrsteuern (BFH BStBl II 1999, 606; s § 14 Nr 2 GrEStG), nicht für die Berechnung der Spekulationsfrist gem § 23 EStG (BFH BStBl II 2002, 10), nicht für die Entstehung der Schenkungsteuer (BFH NV 2006, 551) und nicht für den Zeitpunkt des Steuertatbestandes gem § 17 EStG (BFH 29.5.2009 – IX B 23/09). b) Die Wirkungen einer öffentlich-rechtl Genehmigung zu einem Rechtsgeschäft sind in erster Linie den für sie maßgebenden Rechtsvorschriften zu entnehmen (Vor § 182 Rn 8). I Erg ist Rückwirkung die Regel, da Abs I als Ausdruck eines allg Rechtsgedankens verstanden wird (BGH 32, 283, 289f; NJW 1969, 1245, 1246; einschränkend MüKo/Bayreuther Vor § 182 Rn 17: Rückwirkung höchstens bis zur Antragstellung). Die Rückwirkung kann gem § 159 auch gewollt sein, wenn die Parteien den genehmigungsbedürftigen Vertrag ausdr unter der aufschiebenden Bedingung geschlossen haben, dass die behördliche Genehmigung erteilt wird (Braunschweig MDR 1949, 552). Ein „vorbehaltlich der behördlichen Genehmigung“ geschlossener Vertrag ist sofort voll wirksam, wenn eine Genehmigung nicht erforderlich ist und deshalb nicht erteilt werden kann (BGH RdL 1953, 326). Die Erklärung der zuständigen Behörde, es liege kein genehmigungspflichtiger Fall vor (Negativattest), kann uU der Erteilung der Genehmigung gleichgesetzt werden (Vor § 182 Rn 10). c) Keine Rückwirkung tritt ein, wenn etwas anderes bestimmt ist (Abs I). aa) Die andere Bestimmung kann durch Vereinbarung in dem genehmigungsbedürftigen Geschäft getroffen werden. Die Genehmigung wirkt dann wie der Eintritt einer aufschiebenden Bedingung (MüKo/Bayreuther Rn 30; Staud/Gursky Rn 40). Es bleibt aber vorrangig bei der Anwendung des § 184 ggü den §§ 160–162 (MüKo/Bayreuther Rn 30). Einseitig kann der Genehmigende nicht auf die Rückwirkung verzichten, weil er damit ein anderes als das abgeschlossene Geschäft genehmigen würde (str; wie hier MüKo/Bayreuther Rn 31; Staud/Gursky Rn 42 mwN). Wird die Genehmigung durch Urt erzwungen (§ 894 ZPO), so kann die Rückwirkung im Urt als „andere Bestimmung“ ausgeschlossen werden (so im Fall BGH 108, 380, 384; dazu K. Schmidt DNotZ 1990, 708, 711; MüKo/Bayreuther Rn 29). bb) Die Rückwirkung ist ferner ausgeschlossen, wenn sie über den Sinn des § 184 hinausginge (s dazu auch Rn 8). Insb gilt das, wenn die Rückwirkung im Widerspruch zum Gesetzeszweck zur Verkürzung oder zum Abschneiden von Fristen führen würde. Erst mit dem Zugang der Genehmigung kann der Schuldner in Verzug geraten (Rostock NJW 1995, 3127, 3128; MüKo/Bayreuther Rn 13; Staud/Gursky Rn 38). Allerdings wirkt bei Vereinbarung einer kalendermäßig bestimmten Leistungszeit (§ 286 II Nr 1) auch eine erst kurz vor dem Leistungszeitpunkt erteilte Genehmigung zurück (BGH NJW 2001, 365, 366 m Anm Löwisch LM § 284 Nr 46); wird die Genehmigung aber erst nach dem vereinbarten Leistungstermin erklärt, bedarf es der Mahnung (Karlsruhe NJW-RR 1986, 57). Den Lauf der Verjährungsfrist oder einer anderen Frist kann die Genehmigung nicht rückwirkend in Gang setzen (BAG NJW 2013, 2219 Rn 14 zu § 4 KSchG; MüKo/Bayreuther Rn 13 mwN). Der Beginn der Verjährung setzt vielmehr voraus, dass der Anspruch auch geltend gemacht werden kann (§ 199 Rn 3). Für die „Genehmigung“ einer Abtretung unter Verstoß gegen § 399 gilt § 184 nicht (Rn 20). cc) Die Rückwirkung der privatrechtlich erforderlichen Genehmigung hat nicht zur Folge, dass es für die Kenntnis der Benachteiligungsabsicht gem § 3 AnfG nur auf den Zeitpunkt des Hauptgeschäfts ankäme und Kenntnis im Zeitpunkt der Genehmigung unschädlich wäre (RG 88, 216; aM BGH WM 1958, 1417, 1419 für die devisenrechtliche Genehmigung) oder Fristen für die Gläubigeranfechtung bereits mit der Vornahme des Hauptgeschäfts zu laufen begännen; sie beginnen jedenfalls im Fall einer privatrechtlich erforderlichen Genehmigung erst mit dieser (BGH NJW 1979, 102). Dagegen soll die bei dem Genehmigenden erst im Zeitpunkt der Genehmigung bestehende Kenntnis nicht für die Arglist genügen (Düsseldorf NJW-RR 1997, 718 – zweifelhaft, s § 166 Rn 38). Zum Verhältnis Rückwirkung und Gutglaubensschutz s Rn 8. Ob die Rückwirkung für den zeitlichen Anwendungsbereich öffentlich-rechtl Eingriffsnormen zu berücksichtigen ist, hängt von deren Auslegung ab (s zB KG HRR 1941 Nr 852 – Genehmigungserfordernis – einerseits und BGH 32, 383 – gesetzliches Vorkaufsrecht – andererseits). Die Widerrufsfrist gem § 356 III 2 beginnt nicht vor der Genehmigung zu laufen (BGH 129, 371, 381ff zu § 7 II 3 VerbrKrG). Die Genehmigung kann nicht durch Rückwirkung die Folgen der Versäumung einer Ausschlussfrist oder eines Fristablaufs bei fristgebundenen Rechtsgeschäften außer Kraft setzen, sondern muss innerhalb der vorgesehenen Frist erfolgen (BGH 32, 375, 382 Frist zur Ausübung gesetzlichen Vorkaufsrechts; BGH NJW 1973, 1789 für das befristete Vertragsangebot, dazu § 177 Rn 21; BVerwG NJW 1999, 3357, 3358 für Ausschlussfrist nach § 30 VermG; s auch Brandenburg MDR 2000, 1306 – keine rückwirkende Genehmigung einer Maier-Reimer

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fristlosen Kündigung bei einem Vorstandsmitglied einer Genossenschaft); anders für die Frist gem § 651g I BGH NJW 2010, 2950. 6. Bestand von Zwischenverfügungen (Abs II). a) Bedeutung. Die Rückwirkung kann mit Verfügungen kollidieren, die der Genehmigende während der Schwebezeit getroffen hat. Nach Abs II haben solche Zwischenverfügungen Vorrang vor der Rückwirkung, wenn sie von dem Genehmigenden oder gegen ihn im Wege der Zwangsvollstreckung getroffen wurden. Nach der hier vertretenen Auffassung zur Genehmigungszuständigkeit (Rn 5f) bedarf es dieser Vorschrift; nach der hL ist die Vorschrift nur (überflüssige) Klarstellung, weil dem Genehmigenden nach einer Zwischenverfügung die Genehmigungszuständigkeit fehle (Staud/Gursky Rn 45). Bedeutung hat die Vorschrift auch nach der hL, wenn sich der Genehmigende durch die Zwischenverfügung nicht des Rechts entäußert, sondern es nur belastet hat. Ist die Zwischenverfügung zugunsten derselben Person wie die – genehmigte – Erstverfügung erfolgt, so soll nach hL Abs II nicht anwendbar sein (Soergel/Leptien Rn 12; MüKo/Bayreuther Rn 40; BeckOK/BuB § 185 Rn 11; aM Staud/Gursky Rn 56). b) Unmittelbarer Anwendungsbereich. Abs II gilt für Verfügungen, die der Genehmigende selbst getroffen hat. Eine Verfügung des Genehmigenden ist es auch, wenn erdie Verfügung eines vollmachtlosen Vertreters genehmigt oder der Verfügung eines Dritten zustimmt (MüKo/Bayreuther Rn 34; Staud/Gursky Rn 46ff). Nicht anwendbar ist Abs II, wenn das Genehmigungserfordernis auf der Erwerberseite besteht oder es um eine behördliche oder gerichtliche Genehmigung geht. In diesem Fall verbleibt es bei der uneingeschränkten Rückwirkung, jedoch vorbehaltlich der Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb aufgrund der Zwischenverfügung (Rn 22). Ebenfalls nicht unter Abs II fällt es, wenn der Genehmigende sein Recht nicht durch eigene Verfügung, sondern durch Verfügung eines Nichtberechtigten zugunsten eines Gutgläubigen verloren hat (s auch Rn 6 und 22). Der Verfügung des Genehmigenden steht gleich eine Verfügung im Wege der Zwangsvollstreckung, Arrestvollziehung oder durch den Insolvenzverwalter. Voraussetzung dafür ist aber immer, dass sich diese Verfügung gegen den Genehmigenden richtet (RG 134, 121, 123; JW 1936, 2063 Nr 3; Stuttgart NJW 1954, 36; Soergel/Leptien Rn 12). c) Erweiternde Anwendung. Zunächst hat der BGH Abs II auf die Zustimmung des Schuldners zu einer gem § 399 Alt 2 ausgeschlossenen Abtretung der Forderung angewandt und dabei die Zustimmung als Verfügung angesehen (BGH 40, 156, 163f; zust Soergel/Leptien Rn 11). Nach der neueren Rspr ist § 184 in diesen Fällen nicht anwendbar (BGH 70, 299, 303; 108, 172; aM MüKo/Bayreuther Vor § 182 Rn 24; Soergel/Leptien vor § 182 Rn 4 und § 185 Rn 19; ausf Staud/Gursky Vor § 182 Rn 33ff; s auch § 399 Rn 3f). Danach ist die Genehmigung des Schuldners in diesem Fall Zustimmung zur Aufhebung des Abtretungsverbots und hat keine Rückwirkung, sodass eine entspr Anwendung des Abs II nicht in Betracht kommt. Mit der ersten Zustimmung des Schuldners zu einer Abtretung verliert der Gläubiger die Forderung, sodass eine frühere Abtretung nicht mehr wirksam werden kann. Darüber hinaus kommt eine allg Anwendung des Abs II zum Schutz „wohlerworbener Rechte“ nicht in Betracht (RG JW 1936, 2063 m abl Anm H. Lehmann; Soergel/Leptien Rn 11; für Sonderfälle MüKo/Bayreuther Rn 42 mwN). Zur entspr Anwendung bei genehmigungspflichtiger Abtretung sozialrechtlicher Ansprüche BSG NZS 2001, 104. d) Wirkung. Die Zwischenverfügung bleibt wirksam. Auf den guten Glauben des durch sie Begünstigten kommt es – anders als nach § 161 III – nicht an. Wurde durch die Zwischenverfügung das Recht übertragen, so ist der durch die Erstverfügung Begünstigte aufgrund der Rückwirkung Berechtigter für die Zeit bis zu der Zwischenverfügung. Da die Zwischenverfügung wirksam bleibt, steht ihm ggf ein Anspruch aus § 816 gg den Genehmigenden zu, der die Zwischenverfügung traf. Die hL kann eine solche zeitlich begrenzte Berechtigung des Begünstigten der Erstverfügung nicht annehmen, weil nach ihr dem Verfügenden bereits die Genehmigungsmacht fehlt (Staud/Gursky Rn 29, 59). Wurde mit der Zwischenverfügung das Recht belastet, so erwirbt der Begünstigte der Erstverfügung das belastete Recht. War der Genehmigende Inhaber eines mittelbar betroffenen Rechts, so wirkt die Genehmigung ebenfalls nur für die Zeit bis zu der Zwischenverfügung (anders Finkenauer AcP 2003, 282, 306: relative Unwirksamkeit der Genehmigung gegenüber dem Begünstigten der Zwischenverfügung). War also der Inhaber des Pfandrechts an einer Hypothek bei der Zustimmung zu deren Aufhebung vollmachtlos vertreten, kann er diese Vertretung nach Abtretung seiner eigenen Forderung deshalb nur für die Zeit bis zu dieser Abtretung genehmigen (zur Beschränkung der [Rück-]wirkung s auch Rn 8, sowie Staud/Schilken Rn 48). e) Unabhängig von Abs II bleiben Zwischenverfügungen wirksam, wenn sie die Voraussetzungen eines gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten erfüllen (Staud/Gursky Rn 52, 53; NK/Staffhorst Rn 17).

§ 185

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Verfügung eines Nichtberechtigten

(1) Eine Verfügung, die ein Nichtberechtigter über einen Gegenstand trifft, ist wirksam, wenn sie mit Einwilligung des Berechtigten erfolgt. (2) Die Verfügung wird wirksam, wenn der Berechtigte sie genehmigt oder wenn der Verfügende den Gegenstand erwirbt oder wenn er von dem Berechtigten beerbt wird und dieser für die Nachlassverbindlichkeiten unbeschränkt haftet. In den beiden letzteren Fällen wird, wenn über den Gegenstand mehrere miteinander nicht in Einklang stehende Verfügungen getroffen worden sind, nur die frühere Verfügung wirksam. I. Bedeutung. In vier Fallgruppen kann gem § 185 eine Verfügung wirksam sein oder werden, obwohl dem Verfügenden das Recht, über das er verfügte, nicht zustand oder er nicht verfügungsbefugt war. Es sind die Fälle der 550

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Einwilligung und Genehmigung

§ 185

Zustimmung (Einwilligung, Abs I, und Genehmigung, Abs II S 1 Fall 1) und zwei Fälle der Konvaleszenz, nämlich Erwerb des Gegenstands durch den Verfügenden (Abs II S 1 Fall 2) oder Beerbung des Verfügenden durch den Berechtigten, wenn dieser unbeschränkt für die Nachlassverbindlichkeiten haftet (Abs II S 1, 3. Fall). Durch die Zustimmung wird die Verfügung (im Falle der Genehmigung aufgrund deren Rückwirkung, § 184) zum Zeitpunkt ihrer Vornahme wirksam, während die Konvaleszenz in dem 2. und 3. Fall des Abs II S 1 nur mit Wirkung ex nunc eintritt. Überträgt die Verfügung das Recht eines anderen, so bewirkt die Zustimmung den unmittelbaren Übergang auf den Erwerber (ohne Durchgangserwerb beim Verfügenden), während im Falle der Konvaleszenz durch Erwerb des Gegenstandes durch den Verfügenden dessen Zwischenerwerb für eine sog juristische Sekunde eintritt. Die Abgrenzung zum gutgläubigen Erwerb richtet sich nach der Priorität: Im Falle der Einwilligung kommt es auf die Gutglaubensvorschriften nicht mehr an. Ist die Verfügung aufgrund der Gutglaubensvorschriften wirksam geworden, so bedarf es der Heilung gem Abs II nicht mehr. Zur Rückabwicklung obligatorischer Geschäfte, deren Erfüllung gem § 185 wirksam war, s Braun ZIP 1998, 1469. II. Gemeinsame Voraussetzungen. 1. Verfügung. a) Verfügungen sind Rechtsgeschäfte, die unmittelbar auf ein bestehendes Recht einwirken, es verändern, aufheben oder übertragen (BGH 1, 294, 304; Einl § 104 Rn 21; Haedicke JuS 2001, 966). Gegenstand der Verfügung kann ein einzelnes Recht, gleich ob Schuld- oder Sachenrecht sein, aber auch ein ganzes Rechtsverhältnis (MüKo/Bayreuther Rn 7; Soergel/Leptien Rn 7). Auch einseitige Rechtsgeschäfte wie Kündigung (BGH NJW 2015, 1881 Rn 19), Rücktritt oder Aufrechnung sind Verfügungen (zur Anwendbarkeit von Abs II s aber Rn 6). Analog anwendbar ist § 185 auf die Einräumung eines obligatorischen Besitz- und Gebrauchsrechts (RG 80, 395, 397f; MüKo/Bayreuther Rn 8; s auch BGH 84, 90, dazu krit Gursky JR 1983, 265, 266; anders BGH 114, 96, 100, der dies als Verpflichtungsermächtigung – dazu s Rn 18 – ablehnt; s auch § 816 Rn 4) oder Zurückbehaltungsrechts (RG 124, 28; Soergel/Leptien Rn 9), oder auf den vom Eigentümer des Stammgrundstücks gestatteten Grenzüberbau (BGH 15, 216, 219). Nicht unter § 185 fallen Verfügungen von Todes wegen (RG 111, 247, 251; Soergel/Leptien Rn 5). Keine Verfügung ist auch die rechtsgeschäftlich ausgelöste Gesamtrechtsnachfolge nach dem UmwG (BGH ZIP 1999, 447). Zum Verfügungscharakter der Zustimmung s § 183 Rn 5 und Einl § 104 Rn 25; § 185 ist zumindest entspr auf die Zustimmung anwendbar (BGH LM Nr 7 zu § 185 zur Einwilligung; Soergel/Leptien Rn 21, 26). b) § 185 gilt insgesamt analog für Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung in Sachen oder durch Insolvenzverwalter (RG 60, 70; BGH 56, 339, 351; Soergel/Leptien Rn 6; MüKo/Bayreuther Rn 14f, Staud/Gursky Rn 91; ausf zur Problematik K. Schmidt ZZP 87, 316ff). Dagegen ist die Pfändung einer Forderung, die dem Schuldner nicht zusteht, unheilbar unwirksam, weil ein Zahlungsverbot gem § 829 ZPO dann ins Leere geht; das gilt auch, wenn die Forderung des Schuldners vor der Pfändung still abgetreten war (München 4.11.2009 – 20 U 3116/09), und auch dann, wenn die Forderung des Schuldners vor der Pfändung an einen Dritten und von diesem nach der Pfändung wieder an den Schuldner zurück abgetreten wurde (BGH 56, 339, 350; NJW 2002, 755, 757; MüKo/Bayreuther Rn 15; aM K. Schmidt ZZP 87, 316, 326ff; Medicus AT Rn 1034). c) Auf Prozesshandlungen ist § 185 nicht anwendbar (BGH NJW 1958, 338; m abl Anm Baur JZ 1958, 246; NJW 2004, 1043, 1044; Pal/Ellenberger Rn 4). Auf die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung gem §§ 794 I Nr 5, 800 ZPO ist jedenfalls § 185 I und II 1. Alt nach wohl hM entspr anwendbar, KG 14.1.2013 – 1 W 3/13; Braunschweig 12.3.2013 – 2 W 14/13; Demharter § 44 GBO Rn 28 mwN; MüKo/Bayreuther Rn 16 mwN; aM Soergel/Leptien Rn 11 mwN; s auch KG NJW-RR 1987, 1229; BGH 108, 372, 376). Die Eintragungsbewilligung (§ 19 GBO) ist zwar reine Verfahrenserklärung (Demharter § 19 GBO Rn 13), jedoch wird auf sie § 185 analog angewendet (BGH NJW-RR 2011, 19 Rn 13; MüKo/Bayreuther Rn 13 mwN). Zur gewillkürten Prozessstandschaft s Rn 17. Die Genehmigung der Klage eines Nichtberechtigten durch den Berechtigten führt nicht rückwirkend zur Hemmung der Verjährung gem § 204 (BGH NJW 2004, 1043, 1044). d) Auf gesetzliche Pfandrechte des BGB ist § 185 nach hM nicht analog anwendbar (BGH 34, 122; NJW 1983, 2140; Staud/Gursky Rn 93; aM Soergel/Leptien Rn 9; MüKo/Bayreuther Rn 9); zu den gesetzlichen Pfandrechten nach §§ 397, 441, 464 HGB s Staud/Gursky Rn 90, 93; zu einer Neuausrichtung der Frage s K. Schmidt NJW 2014, 1. Erwirbt der Mieter/Besteller das Eigentum an dem Objekt später, so gelten §§ 562, 647 unmittelbar ohne Rückgriff auf § 185 II 1, 2. Fall (MüKo/Bayreuther Rn 53; aM Staud/Gursky Rn 94: § 185 II 1 Alt 2). e) Abs I ist auch anwendbar auf einseitige Rechtsgeschäfte (zB Aufrechnung; Kündigung, BGH NJW 1998, 896, 897 m Anm Sternel EWiR 1998, 249; Ausübung der Wandelungsbefugnis alten Rechts, BGH 68, 118, 125). Die unwirksame Abtretung unselbständiger Gestaltungsrechte kann in die wirksame Ermächtigung zu ihrer Ausübung umgedeutet werden (BGH 68, 118, 125; NJW 1998, 896, 897). Dagegen ist Abs II nach hM unanwendbar, da einseitige Gestaltungsgeschäfte grds (Ausnahme vgl § 180 S 2, 3) keinen Schwebezustand vertrügen (Pal/Ellenberger Rn 2 mN; BGH 114, 360, 366; NJW 1997, 1150, 1151; s aber BGH LM Nr 7 zu § 185; s auch Schlechtriem EWiR 1994, 745); dazu § 182 Rn 16. 2. Die Verfügung muss von einem Nichtberechtigten vorgenommen werden. a) Das ist der Fall, wenn der Verfügende nicht Inhaber des Rechts ist oder als Rechtsinhaber nicht verfügungsberechtigt ist (zB bei Testamentsvollstreckung – Düsseldorf NJW 1963, 162; Nachlassverwaltung – BGH 46, 221, 229; uU auch bei Vorund Nacherbschaft – RG 110, 94, 95 und München FamRZ 1971, 93, 94). Nicht berechtigt ist auch, wer im maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr (BGH NJW 1990, 2678, 2680) oder noch nicht berechtigt ist. Verfügt der Vorbehaltskäufer allerdings über das ihm zustehende Anwartschaftsrecht, handelt er als Berechtigter (RG 140, 223, 225; BGH 20, 88, 94; dazu G. und D. Reinicke MDR 1956, 596). Verfügen gemeinsam Berechtigte über den Maier-Reimer

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Rechtsgeschäfte

Gegenstand und ist die Mitwirkung des einen wegen seiner Geschäftsunfähigkeit nichtig, so haben die anderen als Nichtberechtigte verfügt (BGH NJW 1994, 1470, 1471). Als Nichtberechtigter verfügt auch der nicht voll Berechtigte, der die Grenzen seiner Verfügungsmacht überschreitet, indem er zB über ein belastetes Recht als unbelastetes verfügt oder als Mit- oder Gesamthandseigentümer allein über die gemeinschaftliche Sache verfügt (s auch RG 149, 19, 23f gegen RG 93, 292, 296). Veräußert der Grundstückseigentümer ein dem Haftungsverband des Grundpfandrechts unterliegendes Anwartschaftsrecht, so verfügt er als nicht voll Berechtigter, und die Zubehörhaftung bleibt bestehen (BGH 35, 85). Für die lastenfreie Veräußerung gilt also § 185. Dagegen soll für die Aufhebung des Anwartschaftsrechts die Zustimmung des Grundpfandgläubigers nicht analog § 1276 erforderlich sein (BGH 92, 280, 289ff; aA Kollhosser JZ 1985, 370; Tiedtke NJW 1985, 1305). b) Nicht berechtigt ist auch der, dessen Verfügung wegen Verstoßes gegen ein Veräußerungsverbot (§§ 135, 136) verstößt oder aus anderen Gründen relativ unwirksam ist, wie im Falle des § 883 II oder der §§ 2113ff (RG 154, 355, 367f; Soergel/Leptien Rn 18, 19). Nicht berechtigt iSv § 185 und auch iSv § 878 (RG 135, 378; BayObLG JZ 1961, 543) ist auch der Nichtberechtigte, der mit Zustimmung des Berechtigten handelt. Dagegen ist § 185 nicht anwendbar auf den pflichtwidrig verfügenden Treuhänder (BGH ZIP 1999, 59 m krit Anm Jakobs ZIP 1999, 733). Der Alleingesellschafter einer GmbH, der neben seinen Anteilen auch die von der GmbH gehaltenen eigenen veräußert, handelt nach BGH NJW 2004, 365 nicht als Nichtberechtigter iSv § 816 (nur i Erg überzeugend: mit seinen Anteilen allein überträgt er 100 % der ausstehenden Anteile). Nicht unter § 185 fällt eine Verfügungsbeschränkung gem § 15 V GmbHG oder § 399. § 184 ist auf diese gar nicht (BGH 108, 172; § 184 Rn 20) und auf jene unmittelbar anwendbar. c) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Berechtigung ist grds die Vollendung des Verfügungstatbestandes, bei mehraktigen Erwerbstatbeständen also der letzte Akt (BGH LM § 185 Nr 6; MüKo/Bayreuther Rn 18). Der maßgebliche Zeitpunkt wird jedoch ggf durch die Rückwirkung von Genehmigungen nach §§ 108, 177 und hins der Verfügungsbefugnis durch § 878 vorverlegt (Staud/Gursky Rn 17ff). Zum maßgebliche Zeitpunkt für die Berechtigung des Genehmigenden s § 184 Rn 5f. d) Berechtigter ist der Inhaber des Rechts, welches Gegenstand der Verfügung ist oder durch diese beeinträchtigt wird oder (im Falle des Fehlens der Verfügungsmacht) der Verfügungsberechtigte (Pal/Ellenberger Rn 6; Soergel/Leptien Rn 20). e) § 185 ist nicht anwendbar, wenn der Handelnde im Namen des Berechtigten handelt; er muss also entweder im eigenen Namen oder im Namen eines ebenfalls Nichtberechtigten gehandelt haben. Letzterenfalls kommen kumulativ §§ 164, 167 oder 177 und § 185 zur Anwendung (Staud/Gursky Rn 2). III. Einwilligung des Berechtigten, Abs I. Einwilligung ist die im Voraus erteilte Zustimmung; für sie gelten §§ 182, 183 (s dort). Die Einwilligung zu einer Verfügung begründet die aus dem Recht des Einwilligenden abgeleitete Macht, über das Recht des Einwilligenden im eigenen Namen zu verfügen (BGH NJW 1989, 521, 522). Sie wird deshalb auch als Ermächtigung bezeichnet. Ob eine Ermächtigung oder eine Vollmacht vorliegt und welchen Inhalt sie hat, ist Auslegungsfrage. Im Einzelfall kann eine Vollmacht auch als Einwilligung zur Verfügung im eigenen Namen auszulegen sein (Naumburg NJW-RR 1999, 1462 mwN; Düsseldorf FGPrax 2000, 55). Im Gegensatz zu der personenbezogenen Vollmacht ist die Einwilligung gegenstandsbezogen (Flume § 57, 1b; MüKo/Bayreuther Rn 21). Zu ihrer Ausübung bedarf es daher nicht der Offenlegung, dass über fremdes Recht verfügt wird. Die Ermächtigung lässt die Verfügungsmacht des Ermächtigenden unberührt. Im Falle konkurrierender Verfügungen des Ermächtigenden und des Ermächtigten gilt die zeitlich vorangehende (MüKo/ Bayreuther Rn 23). 1. Verfügungsermächtigung. Verfügungsermächtigungen haben große praktische Bedeutung, vor allem beim (verlängerten) Eigentumsvorbehalt, bei der Verkaufskommission und im Liegenschaftsrecht. a) Wer eine zur Weiterveräußerung bestimmte Sache unter Eigentumsvorbehalt erwirbt, ist idR formularmäßig ermächtigt, die Ware im ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb weiterzuveräußern (das ist meist verbunden mit einer Vorausabtretung der künftigen Kaufpreisforderung; sog verlängerter Eigentumsvorbehalt). Hierzu § 449 Rn 45ff. b) In der Auflassung eines Grundstücks wird vielfach die konkludente Einwilligung des Eigentümers in die Weiterveräußerung des Grundstücks durch den Erwerber vor seiner Eintragung im Grundbuch gesehen (BGH 106, 108, 112; Einzelheiten s § 925 Rn 54); entspr enthält die Abtretung eines Grundpfandrechts iVm der Umschreibungsbewilligung regelmäßig die Einwilligung zu einer weiteren Verfügung vor Eintragung (RG 54, 362, 368f; Düsseldorf DNotZ 1996, 559). 2. Weitere Fälle der Ermächtigung. a) Die Einziehungsermächtigung verschafft dem Ermächtigten über § 362 II hinaus die Rechtsmacht, die dem Ermächtigten geschuldete Leistung im eigenen Namen vom Schuldner nicht nur mit Tilgungswirkung zu empfangen, sondern selbst zu verlangen. Hierzu § 398 Rn 37ff. b) Gewillkürte Prozessstandschaft. Die Ermächtigung, eine Forderung des Ermächtigenden im eigenen Namen des Ermächtigten gerichtlich geltend zu machen, ist das prozessuale Gegenstück der Einziehungsermächtigung. Sie ist Prozesshandlung (BGH NJW 1958, 338, 339; dazu Baur JZ 1958, 246 und Bülow MDR 1958, 421; Soergel/ Leptien Rn 34 mwN). Ihre Zulässigkeit ist heute allenthalben anerkannt, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Ermächtigte (Prozessstandschafter) ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran hat, das fremde Recht geltend zu machen (BGH 100, 217, 218; NJW 2003, 2231, 2232. Bsp s bei Soergel/Leptien Rn 34 sowie Zöller/ 552

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Einwilligung und Genehmigung

§ 185

Vollkommer Vor § 50 ZPO Rn 44, 49). Der Ermächtigte ist grds nicht berechtigt, das Prozessführungsrecht auf einen Dritten weiter zu übertragen (BGH NJW 1998, 3205, 3206 mwN m Anm K. Schmidt JuS 1999, 83). c) Eine Verpflichtungsermächtigung soll dem Ermächtigten die Möglichkeit geben, den Ermächtigenden durch Rechtsgeschäfte im eigenen Namen zu verpflichten. Sie ist mit dem geltenden Recht grds nicht zu vereinbaren und wird von § 185 nicht gedeckt (BGH 34, 122, 125f; 114, 100; aM Bettermann JZ 1951, 321; dagegen Peters AcP 171, 235ff). Für die Anerkennung der Verpflichtungsermächtigung unter Bezeichnung des zu Verpflichtenden besteht kein Bedürfnis: Stellvertretung und ggf Schuldbeitritt genügen; ohne Bezeichnung des zu Verpflichtenden widerspräche sie dem berechtigten Interesse des anderen an der Identität seines Schuldners (Staud/Schilken Vor § 164 Rn 71). Ein Fall gesetzlicher Verpflichtungsermächtigung ist die sog Schlüsselgewalt (s § 1357 Rn 4). Zur Einräumung obligatorischer Besitzrechte s aber Rn 2. Für die Ermächtigung zur Ausfüllung eines Blanketts gelten §§ 164ff entspr s § 172 Rn 16. IV. Heilung, Abs II. Die schwebend unwirksame Verfügung wird in den drei Fällen des Abs II wirksam. Voraussetzung für den Wirkungseintritt ist immer, dass das Geschäft noch schwebend und nicht endgültig unwirksam ist (BGH 13, 179, 187; 125, 355, 358ff). 1. Genehmigung des Berechtigten (Abs II S 1 Fall 1). a) Die zunächst schwebend unwirksame Verfügung eines Nichtberechtigten wird wirksam, wenn der Berechtigte sie genehmigt (dazu allg Merle AcP 183, 81ff). Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Berechtigung s § 184 Rn 5f. §§ 182 und 184 gelten auch für diese Genehmigung. Insb ist die Genehmigung formfrei; sie kann ausdr oder konkludent erteilt werden (zur konkludenten Genehmigung § 182 Rn 8ff). In der Klage gegen den nicht berechtigten Leistungsempfänger auf Herausgabe des Geleisteten gem § 816 II wird häufig die schlüssige Genehmigung der Leistung liegen (s mwN: BGH NJW-RR 2009, 705 Rn 8; § 816 Rn 9); nach den Umständen des Einzelfalles kann aber auch eine andere Beurteilung in Betracht kommen (Bsp: BGH NJW-RR 1990, 1200 – Erhaltung von Ansprüchen gegen Dritte; BGH NJW 2005, 2698 – Klage auf Herausgabe einer Urhebervergütung). Auch die Verfügung einzelner Miterben über Nachlassgegenstände kann von den übrigen Miterben genehmigt werden; das gilt selbst dann, wenn die verfügenden Erben die Gemeinschaft mit weiteren Miterben nicht kannten und daher unwissentlich über deren Recht verfügten (RG 152, 383; BGH 19, 138; MDR 1964, 577). Hat ein Vorerbe unentgeltlich (§ 2113 II) über einen Nachlassgegenstand an einen Dritten verfügt, so ist Berechtigter hins einer weiteren entgeltlichen Verfügung durch den Dritten nicht der Vorerbe, sondern der Nacherbe (BayObLG NJW-RR 1997, 1239). – Auch ein Saldoanerkenntnis kann eine Genehmigung enthalten, nicht aber das nach AGB-Banken fingierte Anerkenntnis (BGH NJW 1995, 320). b) Die Genehmigung hat grds rückwirkende Kraft (§ 184). Das gilt jedoch nicht für die „Genehmigung“ einer Abtretung, die entgegen § 399 vorgenommen wurde (BGH 70, 299, 303; 108, 72; s § 184 Rn 20). Im Rahmen des § 816 führt die Genehmigung zwar zur Wirksamkeit der Verfügung, macht aber den verfügenden Nichtberechtigten nicht rückwirkend zum Berechtigten (BGH JZ 1961, 24 m Anm Raiser; § 816 Rn 7ff). c) Nach hM ist Abs II auf die Genehmigung einseitiger Verfügungen nicht anwendbar, da diese keinen Schwebezustand vertrügen (BGH 114, 360, 366; dazu § 182 Rn 16). Auch soweit entgegen der hM § 180 analog angewandt wird, soll die Verfügung unheilbar nichtig sein, wenn der Erklärungsempfänger nicht wusste, dass der Erklärende als Nichtberechtigter handelt (MüKo/Bayreuther Rn 17). Das ist dann richtig, wenn die Verfügung das Recht eines Dritten zum Gegenstand hat, der Erklärungsempfänger also den Erklärenden für den Rechtsinhaber hält; dann kommt die für § 180 S 2 analog erforderliche Behauptung der Verfügungsermächtigung nicht in Betracht. Wenn dem Verfügenden (nur) die Verfügungsmacht fehlt und deshalb die (entsprechenden) Voraussetzungen des § 180 S 2 erfüllt sind, sollte es aber bei dessen analoger Anwendung bleiben. Dem Erklärungsempfänger, dem das Zustimmungserfordernis nicht bekannt ist, ist mit der unheilbaren Nichtigkeit nicht geholfen (s nur den Fall BGH 114, 360). d) Aus mehreren Verfügungen desselben oder verschiedener Nichtberechtigter über denselben Gegenstand kann der Berechtigte wählen, welche er genehmigen will. Bei sog Kettenverfügungen bewirkt die Genehmigung der ersten Verfügung, dass auch die darauf folgenden rückwirkend wirksam werden, weil die durch sie Begünstigten dann jew vom Berechtigten erworben haben (MüKo/Bayreuther Rn 44). Wenn der Berechtigte eine spätere Verfügung genehmigt, ist die zeitlich folgende Genehmigung einer früheren Verfügung nach der hM insgesamt wirkungslos, weil der vormals Berechtigte mit der ersten Genehmigung die Genehmigungsmacht verlor, während nach der hier vertretenen Auffassung (§ 184 Rn 5f) die spätere Genehmigung der früheren Verfügung zunächst wirksam ist, aber (als Zwischenverfügung) mit dem Zeitpunkt der späteren Verfügung ihre Wirkung gem § 184 II verliert. Genehmigt er zuerst die zeitlich vorangegangene Verfügung, so erfolgte wegen der Rückwirkung der Genehmigung die zweite Verfügung durch den Berechtigten (s auch BGH 40, 156, 163). 2. Nachträglicher Erwerb durch den Verfügenden (Abs II S 1 Fall 2). a) Die Verfügung des Nichtberechtigten wird wirksam, wenn der Verfügende den Gegenstand erwirbt. Das gilt für jeden Erwerbsgrund, auch für den (Rück-)Erwerb aufgrund des Eintritts einer auflösenden oder aufschiebenden Bedingung; zur Konvaleszenz durch Rückerwerb eines zur Sicherheit übertragenen Gegenstandes durch den Sicherungsgeber, den dieser zwischenzeitlich als Nichtberechtigter erneut zur Sicherheit an einen anderen Kreditgeber übertragen hat s Bülow WM 1998, 845ff. Mit dem Erwerb des Gegenstandes muss der Nichtberechtigte mindestens die Verfügungsmacht erlangen, die für die erfolgte Verfügung erforderlich gewesen wäre (BGH 36, 329, 334; LM Nr 10 zu § 185). Der Erwerb bloßer Legitimation aufgrund eines Ermächtigungsindossaments genügt nicht (BGH 36, Maier-Reimer

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Rechtsgeschäfte

329, 335f). Erwirbt der Verfügende einen Bruchteil an dem Gegenstand seiner Verfügung, so kommt unter den Voraussetzungen der §§ 139, 140 die Heilung einer Verfügung über den Bruchteil in Betracht (BGH LM Nr 9; MüKo/Bayreuther Rn 49). Belastet ein Testamentsvollstrecker ein Nachlassgrundstück mit einer Hypothek, deren Bestellung als unentgeltliche Verfügung über den Nachlassgegenstand unwirksam ist, und erwirbt er später einen Bruchteil dieses Grundstücks, so wird die Hypothek auf diesem Bruchteil voll wirksam (RG HRR 1939 Nr 1462). Nicht wirksam werden Verfügungen dadurch, dass der materiell nicht berechtigte Verfügende nachträglich Verfügungsmacht über Vermögen des Berechtigten erhält, zB als dessen Testamentsvollstrecker bestellt wird (BGH WM 1999, 746, 749; Soergel/Leptien Rn 28; MüKo/Bayreuther Rn 52); zum Erwerb einer vorläufigen Verfügungsbefugnis ohne Erwerb des Rechts s BGH ZIP 1999, 447, 450f. Die Vorschrift gilt auch nicht für den Erwerb durch denjenigen, der den Berechtigten bei der Verfügung vollmachtlos vertreten hatte (München 10.12.2009 – 34 Wx 110/09). b) Ungeschriebene Voraussetzung ist, dass im Zeitpunkt des Erwerbs der rechtsgeschäftliche Verfügungstatbestand noch besteht, insbesondere also die Einigung nicht aufgehoben ist. Nach zT vertretener Auffassung soll die Konvaleszenz weiter voraussetzen, dass der Verfügende im Zeitpunkt des Erwerbs noch an das Kausalgeschäft gebunden, also zu der Verfügung verpflichtet ist (Hagen AcP 167, 481, 499 sowie, unter unzutr Berufung auf BGH NJW 1994, 1470, Soergel/Leptien Rn 27). Dies wird von der überwiegenden Meinung mit Recht abgelehnt (Staud/Gursky Rn 66; MüKo/Bayreuther Rn 51; Medicus AT Rn 1031). Eine solche Voraussetzung ist jedoch für den 3. Fall anzuerkennen (BGH NJW 1994, 1470; s Rn 28). Hat der nichtberechtigte Verkäufer nach einem Rücktritt des Käufers wegen des Rechtsmangels den Kaufpreis zu erstatten, so wird er bei der Rückabwicklung gem § 346 Aufhebung der noch schwebend unwirksamen Übereignung verlangen können. c) Abs II S 1 Fall 2 gilt entspr, wenn der nicht berechtigte Zustimmende den Gegenstand der Verfügung erwirbt (BGH LM Nr 7; BGH 36, 329, 334, beide zur Einwilligung durch den zukünftigen Konnossementsinhaber; MüKo/Bayreuther Rn 48). – Die Vorschrift gilt ferner entspr bei Verfügungen dessen, der in der Verfügung beschränkt war, dann aber das Verfügungsrecht erlangt hat (BGH 123, 58, 62; MüKo/Bayreuther Rn 52; RG 149, 19, 22 zur Abtretung künftiger, erst während des Konkurses entstandener Forderungen nach Beendigung des Konkurses). Gleiches gilt für Verfügungen des Vorerben nach Wegfall der Beschränkung durch Fortfall des Nacherben (RG 110, 94, 95; Hamm OLG 1981, 275, 282). Zur Konvaleszenz in den Fällen der §§ 1365ff durch Aufhebung des Güterstands s § 1366 Rn 8 ff. In entspr Anwendung des Abs II S 1 Fall 2 kann auch ein Pfändungspfandrecht an einer Sache wirksam werden, wenn der Schuldner die Sache nachträglich zu Eigentum erlangt (vgl RG 69, 68, 73; Staud/Gursky Rn 91). Zur Forderungspfändung s Rn 3. Die durch eine insolvenzrechtliche Rückschlagsperre (§§ 88, 89 I InsO) unwirksam gewordene Zwangshypothek eines Dritten auf einem Grundstück des Insolvenzschuldners kann, sofern sie noch im Grundbuch eingetragen ist, wieder wirksam werden, wenn der Insolvenzverwalter das Grundstück aus der Masse freigibt oder das Insolvenzverfahren eingestellt wird, allerdings nur mit neuem Rang entspr dem Zeitpunkt der Freigabe oder Einstellung des Insolvenzverfahrens (BGH 166, 74 m Anm Demharter Rpfleger 2006, 253; Lüke/Stengel LMK 2006, 180525; K. Schmidt JuS 2006, 1028). d) Wirkung. Anders als zB bei § 108 III hängt die Wirksamkeit der Verfügung nicht von einer neuen Entscheidung des nunmehr Berechtigten ab. Die Verfügung wird aber nicht rückwirkend, sondern erst vom Zeitpunkt des Erwerbs an wirksam (RG 89, 152, 158; BGH WM 1978, 1406). Verfügt jemand über ein erst noch zu erwerbendes Recht (etwa GmbH-Anteil, vgl BFH NJW 1996, 1079), dann wird die Verfügung mit seinem (Durchgangs-)Erwerb wirksam (anders bei Erstverfügung über das Anwartschaftsrecht, BGH 20, 88, 101; 49, 197, 205). Wegen des Durchgangserwerbs unterliegt der Gegenstand den am Eigentum des Verfügenden anknüpfenden Haftungen (§§ 562, 647, 1120). Zu Zwangsverfügungen s Rn 29. Zwischenzeitlich eingetretene Verfügungsbeschränkungen (zB § 81 InsO) verhindern die Konvaleszenz (BGH NJW-RR 2004, 259 mwN). 3. Beerbung des Verfügenden durch den Berechtigten (Abs II S 1 Fall 3). Wenn der verfügende Nichtberechtigte stirbt und vom Berechtigten beerbt wird und dieser für die Nachlassverbindlichkeiten unbeschränkt haftet (dazu §§ 1967ff; s auch Habersack JZ 1991, 70), tritt die Wirksamkeit der Verfügung ohne Rückwirkung ein. Entscheidend ist der Zeitpunkt, in dem die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung entfällt (str; Nachw bei MüKo/Bayreuther Rn 57; s auch Ebel NJW 1982, 725). Bis dahin bleibt die Verfügung schwebend unwirksam (Stuttgart NJW-RR 1995, 968). Die Konvaleszenz ist in diesem Fall vom Fortbestand des Kausalverhältnisses abhängig. Die Verfügung wird also nur wirksam, wenn der Berechtigte als Erbe des Verfügenden den Verfügungserfolg noch schuldet und daher ohnehin verpflichtet wäre, die von ihm vorgenommene Verfügung nach Erwerb der Rechtszuständigkeit zu genehmigen (BGH NJW 1994, 1470, 1471; MüKo/Bayreuther Rn 59; ebenso, auch für den 2. Fall Pal/Ellenberger Rn 11 und Soergel/Leptien Rn 27, 30). Umstr ist, ob es für die Wirksamkeit einer nach § 1365 zustimmungsbedürftigen Verfügung ausreicht, dass der zustimmungsberechtigte Ehegatte Alleinerbe wird (bejahend Celle NJW-RR 1994, 647 mwN; verneinend Karlsruhe FamRZ 1978, 505; offengelassen in BGH 77, 293, 300; s § 1366 Rn 8a). V. Kollisionsregel des Abs II S 2. Von mehreren einander widersprechenden Verfügungen wird im Fall der Konvaleszenz durch Erwerb oder Erbgang nur die frühere wirksam (Prioritätsprinzip). Einander widersprechende Verfügungen sind nur solche, die sich gegenseitig ausschließen. Bei Überschneidungen wirkt die jüngere Verfügung in dem Umfang, in dem sie die ältere nicht berührt; so lässt die Übereignung nach früherer Verpfändung belastetes Eigentum übergehen (Pal/Ellenberger Rn 12). Mehrfache Verpfändung begründet Pfandrechte mit einer Rangfolge nach zeitlicher Priorität (Staud/Gursky Rn 88); zu einer möglichen Ausnahme des gesetzli554

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Fristen, Termine

§ 186

chen Pfandrechts gem §§ 440, 442 I HGB Staud/Gursky Rn 90. Das gilt nach hM entspr für den Fall des Zusammentreffens von Übereignung und Zwangsverfügungen. Auch hier gilt der Prioritätsgrundsatz, so dass die Übereignung zuvor gepfändeter Sachen nur zum Übergang belasteten Eigentums führt (Pal/Ellenberger Rn 12; Staud/Gursky Rn 88, 91 mwN); BGH 20, 88, 101 geht aber von einem Vorrang der späteren Pfändung aus, wenn der Vorbehaltskäufer vorher das Eigentum und nicht das Anwartschaftsrecht übertragen hat. Zur Genehmigung im Falle sich widersprechender Verfügungen s Rn 23.

Abschnitt 4 Fristen, Termine

§ 186

Geltungsbereich

Für die in Gesetzen, gerichtlichen Verfügungen und Rechtsgeschäften enthaltenen Frist- und Terminsbestimmungen gelten die Auslegungsvorschriften der §§ 187 bis 193. 1. Bedeutung. Die §§ 186–193 enthalten allg Auslegungsregeln zur Berechnung von gesetzlich, rechtsgeschäftlich oder richterlich bestimmten Fristen oder zur Konkretisierung von ebenso bestimmten Terminen. 2. Frist ist ein abgegrenzter, also bestimmter oder jedenfalls bestimmbarer Zeitraum (RG 120, 355, 362); er braucht nicht zusammenhängend zu verlaufen (vgl § 191). Allg zur Berechnung von Fristen Schroeter JuS 2007, 29. Die Frist kann unterschiedliche Funktionen haben, zB den Zeitpunkt zu bestimmen, bis zu dem eine Leistung zu erbringen oder eine Erklärung abzugeben oder ein Recht auszuüben ist. Sie kann aber auch einen Zeitraum bestimmen, innerhalb dessen bestimmte Vorgänge bestimmte Folgen haben (zB §§ 443 II, 476) oder für welchen bestimmte Rechtsverhältnisse bestehen oder Verbote (zB §§ 3 II, 6 MuSchG) gelten. Der Ablauf der Frist kann Rechte begründen (so die Ersitzungsfrist gem § 937 I), Rechte vernichten (Ausschlussfristen), Einreden begründen (so die Verjährungsfrist), den Verzug begründen oder Hindernisse beenden (so der Ablauf von Sperrfristen, zB § 51, §§ 225 II AktG, 58d GmbHG). a) Höchst- und Mindestfristen. Die Fristen für Handlungen oder Erklärungen sind idR Höchstfristen, dh die vorgesehenen Maßnahmen müssen innerhalb der Frist getroffen werden. Mindestfristen sind dagegen idR durch Maßnahmen außerhalb der Frist zu wahren; zu dem mit dem maßgeblichen Vorgang gleichzeitigen Ablauf einer Mindestfrist (§ 16 BetrAVG) BAG ZInsO 2010, 100. Weder Höchst- noch Mindestfristen sind Fristen, mit deren Ablauf ein Rechtsverhältnis beginnt oder endet, sowie Sperrfristen, die abgelaufen sein müssen, bevor eine Maßnahme zulässig ist, oder Fristen, welche die Dauer eines Rechtsverhältnisses, zB eines Mietvertrags, festlegen. b) Zwischenfristen, „Rückwärtsfristen“. Der in §§ 187ff zugrunde gelegte Typ der Frist läuft „vorwärts“ bis zu einem vom Fristbeginn an gerechneten zukünftigen Zeitpunkt. Oft sind Fristen jedoch so bestimmt, dass zw zwei Vorgängen mindestens oder höchstens eine bestimmte Frist liegen muss oder liegen darf, oder der eine Vorgang mindestens oder höchstens eine bestimmte Frist vor dem anderen liegen muss. In solchen Fällen ist die Frist nicht von einem bestimmten Ausgangspunkt aus „vorwärts“ zu bestimmen, sondern von einem festliegenden Endzeitpunkt aus „rückwärts“. Bsp für rückwärts zu rechnende Mindestfristen sind etwa Kündigungsfristen, Einberufungsfristen (zB § 51 I 1 GmbHG), Vor-Unterrichtungspflichten (zB § 5 III UmwG) oder Ankündigungsfristen (zB § 43 ZVG). Rückwärts zu rechnende Höchstfristen gelten zB hins des „Alters“ einer Bilanz (s zB §§ 209 I AktG, 17 II UmwG). Eine Sonderregelung enthält § 139 InsO. Die §§ 186ff sind nach hL für die Berechnung von Rückwärtsfristen entspr anzuwenden (Staud/Repgen Rn 10; § 187 Rn 7; Pal/Ellenberger § 187 Rn 4; MüKo/Grothe § 187 Rn 4; GrOK/Fervers § 187 Rn 31ff). Das ist jedoch nur bzgl des Grundsatzes der Zivilkomputation (nur volle Tage werden gezählt) richtig. Im Übrigen kommt es nur darauf an, ob zwischen dem fristauslösenden und dem fristwahrenden Vorgang mindestens oder höchstens ein Zeitraum entspr der maßgeblichen Fristennorm liegt. Dabei fallen der Beginn und das Ende eines Tages nicht in den Lauf dieses Tages (§ 187 Rn 2). Eine auf den 28. Februar, 24:00 Uhr (= 1. März, 0:00 Uhr) erstellte Bilanz ist für eine Registeranmeldung am 31. Oktober nicht mehr als acht Monate alt, weil zwischen dem 1. März, 0:00 Uhr, und dem 31. Oktober (beispielsweise 17:00 Uhr) noch keine vollen acht Monate liegen (nur i Erg ebenso Semler/Stengel/Schwanner § 17 UmwG Rn 17, aM KölnGmbHR 1998, 1085, welches die Frist vorwärts berechnet). Eine Unterrichtung gem § 5 III UmwG für eine Versammlung am 1. März ist rechtzeitig, wenn sie am 31. Januar erfolgt, weil dazwischen ein voller Monat liegt. Die entspr Anwendung des § 187 I hätte dagegen die Folge, dass die unterschiedliche Länge der Kalendermonate entgegen § 188 III eine Verlängerung der Frist bewirkt: Im ersten Fall könnte die Anmeldung auch noch am 1. November erfolgen (so Staud/Repgen § 187 Rn 7, der den Tag der Einreichung nicht mitrechnen und die Rückwärtsfrist deshalb vom 31. Oktober, 24:00 Uhr, an rechnen würde). Im zweiten Fall müsste die Unterrichtung bereits am 28., in einem Schaltjahr am 29. Januar, erfolgen. Eine Kündigung mit Monatsfrist zum 28. Februar, 24:00 Uhr, ist wirksam erklärt, wenn sie im Laufe des 31. Januar erklärt wird, weil zwischen dem fristwahrenden Ereignis (Erklärung) und dem fristauslösenden Vorgang (Wirksamwerden der Kündigung) ein voller Monat (vom 1. Februar, 0:00 Uhr, bis 28. Februar, 24:00 Uhr) liegt (i Erg wohl unstr, möglicherweise wegen Vorwärtsberechnung der Frist). Die entspr Anwendung des § 188 hätte die Folge, dass die Kündigung schon am 28. Januar erklärt werden muss. Maier-Reimer

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chen Pfandrechts gem §§ 440, 442 I HGB Staud/Gursky Rn 90. Das gilt nach hM entspr für den Fall des Zusammentreffens von Übereignung und Zwangsverfügungen. Auch hier gilt der Prioritätsgrundsatz, so dass die Übereignung zuvor gepfändeter Sachen nur zum Übergang belasteten Eigentums führt (Pal/Ellenberger Rn 12; Staud/Gursky Rn 88, 91 mwN); BGH 20, 88, 101 geht aber von einem Vorrang der späteren Pfändung aus, wenn der Vorbehaltskäufer vorher das Eigentum und nicht das Anwartschaftsrecht übertragen hat. Zur Genehmigung im Falle sich widersprechender Verfügungen s Rn 23.

Abschnitt 4 Fristen, Termine

§ 186

Geltungsbereich

Für die in Gesetzen, gerichtlichen Verfügungen und Rechtsgeschäften enthaltenen Frist- und Terminsbestimmungen gelten die Auslegungsvorschriften der §§ 187 bis 193. 1. Bedeutung. Die §§ 186–193 enthalten allg Auslegungsregeln zur Berechnung von gesetzlich, rechtsgeschäftlich oder richterlich bestimmten Fristen oder zur Konkretisierung von ebenso bestimmten Terminen. 2. Frist ist ein abgegrenzter, also bestimmter oder jedenfalls bestimmbarer Zeitraum (RG 120, 355, 362); er braucht nicht zusammenhängend zu verlaufen (vgl § 191). Allg zur Berechnung von Fristen Schroeter JuS 2007, 29. Die Frist kann unterschiedliche Funktionen haben, zB den Zeitpunkt zu bestimmen, bis zu dem eine Leistung zu erbringen oder eine Erklärung abzugeben oder ein Recht auszuüben ist. Sie kann aber auch einen Zeitraum bestimmen, innerhalb dessen bestimmte Vorgänge bestimmte Folgen haben (zB §§ 443 II, 476) oder für welchen bestimmte Rechtsverhältnisse bestehen oder Verbote (zB §§ 3 II, 6 MuSchG) gelten. Der Ablauf der Frist kann Rechte begründen (so die Ersitzungsfrist gem § 937 I), Rechte vernichten (Ausschlussfristen), Einreden begründen (so die Verjährungsfrist), den Verzug begründen oder Hindernisse beenden (so der Ablauf von Sperrfristen, zB § 51, §§ 225 II AktG, 58d GmbHG). a) Höchst- und Mindestfristen. Die Fristen für Handlungen oder Erklärungen sind idR Höchstfristen, dh die vorgesehenen Maßnahmen müssen innerhalb der Frist getroffen werden. Mindestfristen sind dagegen idR durch Maßnahmen außerhalb der Frist zu wahren; zu dem mit dem maßgeblichen Vorgang gleichzeitigen Ablauf einer Mindestfrist (§ 16 BetrAVG) BAG ZInsO 2010, 100. Weder Höchst- noch Mindestfristen sind Fristen, mit deren Ablauf ein Rechtsverhältnis beginnt oder endet, sowie Sperrfristen, die abgelaufen sein müssen, bevor eine Maßnahme zulässig ist, oder Fristen, welche die Dauer eines Rechtsverhältnisses, zB eines Mietvertrags, festlegen. b) Zwischenfristen, „Rückwärtsfristen“. Der in §§ 187ff zugrunde gelegte Typ der Frist läuft „vorwärts“ bis zu einem vom Fristbeginn an gerechneten zukünftigen Zeitpunkt. Oft sind Fristen jedoch so bestimmt, dass zw zwei Vorgängen mindestens oder höchstens eine bestimmte Frist liegen muss oder liegen darf, oder der eine Vorgang mindestens oder höchstens eine bestimmte Frist vor dem anderen liegen muss. In solchen Fällen ist die Frist nicht von einem bestimmten Ausgangspunkt aus „vorwärts“ zu bestimmen, sondern von einem festliegenden Endzeitpunkt aus „rückwärts“. Bsp für rückwärts zu rechnende Mindestfristen sind etwa Kündigungsfristen, Einberufungsfristen (zB § 51 I 1 GmbHG), Vor-Unterrichtungspflichten (zB § 5 III UmwG) oder Ankündigungsfristen (zB § 43 ZVG). Rückwärts zu rechnende Höchstfristen gelten zB hins des „Alters“ einer Bilanz (s zB §§ 209 I AktG, 17 II UmwG). Eine Sonderregelung enthält § 139 InsO. Die §§ 186ff sind nach hL für die Berechnung von Rückwärtsfristen entspr anzuwenden (Staud/Repgen Rn 10; § 187 Rn 7; Pal/Ellenberger § 187 Rn 4; MüKo/Grothe § 187 Rn 4; GrOK/Fervers § 187 Rn 31ff). Das ist jedoch nur bzgl des Grundsatzes der Zivilkomputation (nur volle Tage werden gezählt) richtig. Im Übrigen kommt es nur darauf an, ob zwischen dem fristauslösenden und dem fristwahrenden Vorgang mindestens oder höchstens ein Zeitraum entspr der maßgeblichen Fristennorm liegt. Dabei fallen der Beginn und das Ende eines Tages nicht in den Lauf dieses Tages (§ 187 Rn 2). Eine auf den 28. Februar, 24:00 Uhr (= 1. März, 0:00 Uhr) erstellte Bilanz ist für eine Registeranmeldung am 31. Oktober nicht mehr als acht Monate alt, weil zwischen dem 1. März, 0:00 Uhr, und dem 31. Oktober (beispielsweise 17:00 Uhr) noch keine vollen acht Monate liegen (nur i Erg ebenso Semler/Stengel/Schwanner § 17 UmwG Rn 17, aM KölnGmbHR 1998, 1085, welches die Frist vorwärts berechnet). Eine Unterrichtung gem § 5 III UmwG für eine Versammlung am 1. März ist rechtzeitig, wenn sie am 31. Januar erfolgt, weil dazwischen ein voller Monat liegt. Die entspr Anwendung des § 187 I hätte dagegen die Folge, dass die unterschiedliche Länge der Kalendermonate entgegen § 188 III eine Verlängerung der Frist bewirkt: Im ersten Fall könnte die Anmeldung auch noch am 1. November erfolgen (so Staud/Repgen § 187 Rn 7, der den Tag der Einreichung nicht mitrechnen und die Rückwärtsfrist deshalb vom 31. Oktober, 24:00 Uhr, an rechnen würde). Im zweiten Fall müsste die Unterrichtung bereits am 28., in einem Schaltjahr am 29. Januar, erfolgen. Eine Kündigung mit Monatsfrist zum 28. Februar, 24:00 Uhr, ist wirksam erklärt, wenn sie im Laufe des 31. Januar erklärt wird, weil zwischen dem fristwahrenden Ereignis (Erklärung) und dem fristauslösenden Vorgang (Wirksamwerden der Kündigung) ein voller Monat (vom 1. Februar, 0:00 Uhr, bis 28. Februar, 24:00 Uhr) liegt (i Erg wohl unstr, möglicherweise wegen Vorwärtsberechnung der Frist). Die entspr Anwendung des § 188 hätte die Folge, dass die Kündigung schon am 28. Januar erklärt werden muss. Maier-Reimer

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3. Termin iSd BGB ist ein bestimmter Zeitpunkt, an dem etwas geschehen soll oder eine Rechtswirkung eintritt. Auch er kann durch Gesetz, richterliche Anordnung oder Parteiwillen bestimmt sein. 4. Gesetzliche Zeit ist die Mitteleuropäische Zeit (§ 4 EinhZeitG). Zur Einf der Sommerzeit Ekrutt NJW 1978, 1844. Zum maßgeblichen Kalender s Staud/Repgen Rn 3ff; MüKo/Grothe Rn 3. 5. Auslegungsvorschriften. Die Bestimmungen des 4. Abschnitts sind nach der Regelung des § 186 Auslegungsvorschriften. Sie gelten also nur, sofern Gesetz, richterliche Verfügung oder – bei Rechtsgeschäften – erkennbarer Parteiwille nichts anderes bestimmen. Auch Handelsbrauch (§ 346 HGB) oder Verkehrsübung kann diese Bestimmungen ausschließen. 6. Anwendungsbereich. Die §§ 187–193 gelten nicht nur für das bürgerliche Recht und das übrige Privatrecht. Vielmehr sind sie – vorbehaltlich entgegenstehender bereichsspezifischer Regelungen – auch für alle Frist- und Terminsbestimmungen in anderen Rechtsgebieten (vgl GSoGB BGH 59, 397) anzuwenden: im Gesellschafts-, Handels- und Wertpapierrecht (aber Spezialregelungen zB in § 675n, §§ 359, 361 HGB, § 121 VII AktG, Art 20CISG, Art 36, 37, 72, 73, 74 WG, Art 29, 30, 55, 56 ScheckG), im Patentrecht (RG 65, 24, 25), im öffentlichen Recht (§§ 31 VwVfG, 108 AO), im Privat- und Sozialversicherungsrecht (§ 10 VVG, § 26 I SGB X), im Arbeitsrecht (zum TVG: BAG AP Nr 1 zu § 186 BGB; zum BUrlG BAG DB 1967, 824; zum BetrVG BAG 106, 14), im Verfahrensrecht (§ 222 I ZPO, § 57 II VwGO, § 64 SGG, § 54 II FGO, § 16 II FamFG; abw Regelung für den Strafprozess in §§ 42, 43 StPO), im Insolvenzrecht (§ 139 InsO) und ferner bei Gesetzen rein formalen Charakters, zB dem PStG (BayObLG JW 1926, 2450; str). Für Fristen in Europäischen Rechtsakten gilt die VO des Rates Nr 1182/71 (ABl EG Nr 124, 1); dazu MüKo/Grothe Rn 2. 7. Anwendung. Fristvorschriften sind im Interesse der Rechtssicherheit streng anzuwenden. Jedoch kann die Berufung auf eine geringfügige Fristüberschreitung in Ausnahmefällen eine unzulässige Rechtsausübung darstellen (RG 117, 354; BGH NJW 1974, 360). Jede Frist, die einer Partei zur Verfügung steht, kann von ihr voll ausgenutzt werden (RG HRR 1942 Nr 583). Zur Technik und Grenze der Anwendbarkeit des § 186 außerhalb des BGB infolge Verweisungen in anderen Gesetzen Müller NJW 1964, 1116.

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Fristbeginn

(1) Ist für den Anfang einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt maßgebend, so wird bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. (2) Ist der Beginn eines Tages der für den Anfang einer Frist maßgebende Zeitpunkt, so wird dieser Tag bei der Berechnung der Frist mitgerechnet. Das Gleiche gilt von dem Tag der Geburt bei der Berechnung des Lebensalters. 1. Abs I. a) Nach dieser Auslegungsregel wird nur nach vollen Kalendertagen gerechnet (Zivilkomputation). Dabei wird der Tag, in dessen Verlauf das für den Fristbeginn maßgebliche Ereignis oder der entspr Zeitpunkt fällt, nicht mitgezählt. Die Frist beginnt daher mit dem Beginn des folgenden Tages. Für den Beginn einer Frist ist es im Gegensatz zum Fristende (vgl § 193) unerheblich, ob er auf einen Werk-, Sonn- oder Feiertag fällt. Läuft eine Frist „ab heute“ oder „von heute“, wird idR das „heute“ nicht mitgezählt (RG Recht 1924 Nr 947). Anwendungsbsp: Die Verzinsungspflicht bei einem Darlehen (§ 488) beginnt am Tag nach dem Empfang (BGH WM 1997, 1192, 1193; dazu Borges WM 1998, 105; zur abw Praxis im Emissionsgeschäft s BuB/Bosch Muster 10/246a § 2). Prozesszinsen (§ 291) sind vom Tag nach der Rechtshängigkeit an zu zahlen (BGH NJW-RR 1990, 518, 519). Abs I ist auch auf die Fristen gem § 438 (BGH NJW-RR 1989, 629 noch zu § 477 aF) und § 651g (Karlsruhe NJW-RR 1991, 54) sowie auf etwaige Widerrufsfristen, zB nach § 355 iVm §§ 312, 312d und 495 (BGH 126, 56, 63; Jena NJOZ 2003, 874) anzuwenden. Gleiches gilt für die in einem Mahnschreiben gesetzte Frist, die grds erst mit dem auf den Zugang folgenden Tag beginnt (Nachw bei MüKo/Grothe Rn 2). Eine nach wirksamer gerichtlicher Zustellung überflüssige Wiederholung der Zustellung führt nicht zu einer neuen Frist (BGH NJW-RR 2006, 563). Ist nach den Versicherungsbedingungen ein Versicherungsfall „innerhalb von zwei Tagen“ anzumelden, wird der Tag des Versicherungsfalls nicht mitgerechnet (RG JW 1938, 683). Die Sechswochenfrist bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beginnt ebenfalls erst mit dem Tag nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, sofern der ArbN während der Arbeitszeit erkrankt; für den Tag der Erkrankung bleibt der Entgeltanspruch ohnehin bestehen (BAG DB 1971, 1482 mwN). b) Auch wenn der fristauslösende Vorgang rechtsgeschäftlich (zB durch Abtretung eines Herausgabeanspruchs) auf den Beginn eines Tages gelegt ist, soll die Frist erst mit dem folgenden Tag beginnen (BGH WM 1989, 826; WM 2005, 381, 382 zum auf 0:00 Uhr des folgenden Tages vordatierten Insolvenzeröffnungsbeschluss; zust Staud/Repgen Rn 6, § 187 Rn 7). Dem ist nicht zu folgen. Der Tagesbeginn und das Tagesende mögen noch zu dem Tag gehören (Stuttgart NJW-RR 2010, 1645, 1647; Pal/Ellenberger § 188 Rn 5), fallen aber nicht in den Tag. Das Ende eines Tages ist exakt derselbe Zeitpunkt wie der Beginn des folgenden Tages. Würden der Beginn und das Ende eines Tages in dessen Lauf fallen, so würde derselbe Zeitpunkt in den Lauf zweier aufeinander folgender Tage fallen. Das ist denkunmöglich. Entgegen dem BGH macht es deshalb keinen Unterschied, ob 17.12., 24:00 Uhr oder 18.12., 0:00 Uhr als auslösender Zeitpunkt angegeben wird. Die gegenteilige, ausf, aber nicht überzeugend begründete Entscheidung BAG 18, 345 (s aber BAG DB 1967, 824) betrifft in Wahrheit die Auslegung des § 5 I lit c BUrlG und nicht des § 187; zur gleichen Frage beim Fristablauf s zutr BGH NJW 2007, 556

Maier-Reimer

Fristen, Termine

§ 188

2045, 2046 („vor Beginn des Folgetages“). Der Unterschied liegt nicht in der Zeit, sondern in der Perspektive (zur steuerrechtlichen Behandlung s auch Abschn 59 II 1, 2 KStR). Die Auslegung der Fristennorm muss ergeben, auf welche Perspektive es ankommt. Die Regelverjährung (§ 199) eines Anspruchs, der mit dem Ablauf eines Kalenderjahres entsteht, beginnt nach der hier abgelehnten Ansicht des BGH vorbehaltlich der subjektiven Voraussetzungen erst mit dem Ablauf des folgenden Jahres (BGH NJW 2012, 673 Rn 14 gegen Stuttgart NJWRR 2010, 1645). c) Es entspricht dem Charakter des § 187 als Auslegungsregel (§ 186), dass jede abw Verkehrsauffassung oder Parteivereinbarung (RG JW 1911, 92) vorgeht. So wird zB bei der Berechnung der Gültigkeitsdauer einer Fahrkarte der Lösungstag mitgezählt (weitere Bsp Staud/Repgen Rn 9a ff). § 187 I gilt nur für Fristen von mindestens Tageslänge. Stunden- und Minutenfristen werden von Augenblick zu Augenblick gerechnet (Naturalkomputation). Das gilt grds auch für Fristen von 24 und 48 Stunden, es sei denn, dass „innerhalb eines Tages“ oder „innerhalb von zwei Tagen“ gemeint ist (so im Zweifel bei Versicherungsbedingungen; Nachw Soergel/Niedenführ Rn 3). Bei Fristen, deren Beginn an die Kenntnis bestimmter Umstände geknüpft ist (zB §§ 626 II, 1944 II 1), ist die Erlangung der Kenntnis das auslösende Ereignis iSv Abs I, sofern der Fristbeginn nicht auf das Jahresende verschoben ist (§ 199). Abs I gilt nicht für die Zeit der Hemmung einer Frist (§§ 203ff), da sie keine Frist iSd §§ 186ff ist (RG 161, 125, 127; MüKo/Grothe § 186 Rn 4). 2. Abs II a) Ist für den Anfang einer Frist der Beginn eines Tages maßgeblich (zB Miete ab 1. April), so zählt nach Abs II S 1 dieser Tag mit, denn der volle Tag fällt dann in die Frist. Bei Arbeitsverhältnissen sind für die Berechnung einer Frist (zB Dauer einer Probezeit) jedenfalls bei einer entspr Vereinbarung der Tag des Eintritts und der Tag des Austritts als volle Arbeitstage mitzuzählen (BAG 102, 49; dazu Boemke JuS 2003, 613). Für die Berechnung der Kündigungsfrist ist nach der Rspr Abs II S 1 anzuwenden, wenn der Vertrag über ein Dauerschuldverhältnis vor dessen Beginn gekündigt wird und er frühestens mit dem Vertragsbeginn gekündigt werden kann (BAG NJW 1980, 1015; s auch BGH 73, 350 zu einem Mietvertrag). In diesem Fall ist die vorher erklärte Kündigung mit Beginn des Vertragsverhältnisses wirksam erklärt (s auch § 188 Rn 3). Unter Abs II S 1 fallen auch die Fristen für die Auslegung von Bauleitplänen und ähnliche Fristen (GemS in BGH 59, 396). Gesetze, die mit dem (oder einem bestimmten) Tag nach der Verkündung in Kraft treten, gelten vom Beginn dieses Tages an (BVerfG 102, 254, 295); maßgebend für die Verkündung ist der Zeitpunkt der Ausgabe des GBl (BVerfG NJW 1963, 1444; dazu Heinze NJW 1965, 524; Sachs/Lücke/Nierhaus Art 82 GG Rn 20). b) Eine Ausnahme von Abs I bildet Abs II S 2. Danach ist bei der Berechnung des Lebensalters der Tag der Geburt mitzurechnen. Volljährigkeit tritt also mit dem Beginn des 18. „Geburtstages“ ein. Diese Regelung gilt nach der Rspr auch im Recht der Sozialversicherung (zB für den Beginn des Rentenalters; BVerwG 30, 167; BAG BB 1965, 1311; BSG DB 1970, 1548). Wer am 1. eines Monats geboren ist, vollendet ein Lebensjahr mit Ablauf des letzten Tages des vorausgehenden Monats des nachfolgenden Jahres und deshalb nach BAG BB 1965, 1311 auch im Vormonat; aM Vogt BB 1966, 625. § 188 III führt nicht zu einer weiteren Änderung. Wer am 29. Februar 1996 geboren ist, ist erst am 1. März 2014 volljährig, da seine Lebensjahre gem § 188 II iVm § 187 II 2 mit Ablauf des 28. Februar enden (MüKo/Grothe Rn 7). 3. Ausdr geregelt ist in § 187 nur der Beginn einer in die Zukunft laufenden Frist. Zur rückwärtigen Fristberechnung s § 186 Rn 4. Viele Zweifelsfragen aktienrechtlicher Rückwärtsfristen (dazu Kinzl NZG 2004, 701 und Sasse NZG 2004, 153, 155f) sind jetzt durch §§ 121 VII, 122 II 3, Hs 2, 123 I 2, 126 I 2 AktG geklärt.

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Fristende

(1) Eine nach Tagen bestimmte Frist endigt mit dem Ablauf des letzten Tages der Frist. (2) Eine Frist, die nach Wochen, nach Monaten oder nach einem mehrere Monate umfassenden Zeitraum – Jahr, halbes Jahr, Vierteljahr – bestimmt ist, endigt im Falle des § 187 Abs. 1 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt, im Falle des § 187 Abs. 2 mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher dem Tage vorhergeht, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem Anfangstag der Frist entspricht. (3) Fehlt bei einer nach Monaten bestimmten Frist in dem letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endigt die Frist mit dem Ablauf des letzten Tages dieses Monats. 1. Abs I. Entscheidend für das Ende von Tagesfristen ist der Ablauf des letzten Tages (beachte aber § 193). Das 1 folgt aus der in § 187 I geregelten Zivilkomputation, wonach nur in ganzen Kalendertagen gerechnet wird. Wer sich bis zu einem bestimmten Tag bindet, bindet sich bis zum Ende dieses Tages (RG 105, 417). Bei einer (rechtsgeschäftlich bestimmten) Frist von acht Tagen muss durch Auslegung ermittelt werden, ob damit eine Frist von einer Woche gemeint ist (Soergel/Niedenführ Rn 2). Ist in einer behördlichen Verfügung zur Vornahme einer Handlung eine Frist von acht Tagen gesetzt, sind darunter im Zweifel volle acht Tage zu verstehen (RG DR 1944, 909). Entspr bestimmt § 359 II HGB für Handelsgeschäfte. Im Wechselrecht gilt diese Auslegung gem Art 36 IV WG in jedem Fall. Zur Bedeutung der Bestimmung im Giroverhältnis zu einer Bank eingehend Borges WM 1998, 105ff mwN. Maier-Reimer

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Fristen, Termine

2. Abs II. Wochenfristen laufen von Wochentag zu Wochentag, Monats- und Jahresfristen von Datum zu Datum. Auch hier ist grds der Ablauf des letzten Tages für das Fristende maßgebend. Eine Wochenfrist, die mit Beginn eines Dienstags anfängt, endet mit Ablauf des folgenden Montags; ist für den Anfang einer Monatsfrist zB der Beginn des 4. 6. entscheidend, endet die Frist mit Ablauf des 3. 7.; die Berufung gegen ein am 28. 2. zugestelltes Urt ist vor dem Ablauf des 28. 3. einzulegen (BGH NJW 2007, 2045); auf die Zahl der Tage eines Monats kommt es nicht an (§ 188 III und BGH NJW 1984, 1358; 2003, 2487; ferner – zu § 110 AO – FG Hamburg EFG 2007, 730; zur Viermonatsfrist des § 32 IV s1 Nr 2 lit b EStG BFH NJW 2004, 632 LS). Eine Frist von vier oder sechs Wochen gilt grds – vorbehaltlich abw Vereinbarung – als Wochenfrist und nicht als Frist von einem Monat oder von 1 1/2 Monaten (BeckOK/Henrich § 189 Rn 3; Staud/Repgen § 189 Rn 2). Unter „Beginn der Woche“ ist im Zweifel der Montag zu verstehen; hat etwas „bis zum Schluss der Woche“ zu geschehen, so ist der Samstag als der letzte Wochentag anzusehen (§ 192 Rn 1). In entspr Anwendung des § 188 ist bei einer ohne Angabe eines Tages nur nach Monaten bestimmten Frist (zB „Lieferzeit Januar bis März“) der zuletzt genannte Monat einzubeziehen (RG 95, 21, 22). Die Mindestfrist des § 1b BetrAVG ist erfüllt, wenn sie gleichzeitig mit dem Arbeitsverhältnis endet (BAG ZInsO 2010, 100 zu § 30f I 1 Hs 2 BetrAVG). 3. Abs III. Die unterschiedliche Tageszahl der Monate wird folgendermaßen berücksichtigt: Wenn bei Monatsfristen der entspr Tag im letzten Monat fehlt, ist für das Fristende der Ablauf des letzten Monatstages entscheidend. Für rückwärts zu rechnende Monatsfristen s § 186 Rn 4. 4. Zugang. Von der Berechnung der Frist zu unterscheiden ist die Frage, was innerhalb der Frist zu geschehen hat, ob zB eine Erklärung noch innerhalb der Frist iSv § 130 zugehen muss und kann. Das richtet sich nicht nach §§ 187ff, sondern nach der einzelnen Fristvorschrift (ausf Staud/Repgen Rn 4ff; s auch BGH 23, 307, 310ff; zum Zugang s § 130 Rn 7ff). Zur Fristwahrung mit den Mitteln der Telekommunikation ist erforderlich, dass die gesendeten Signale vom Empfangsgerät des Empfängers noch innerhalb der Frist vollständig empfangen (gespeichert) worden sind (BGH NJW 2007, 2045 mN). 5. Einzelfälle. a) Grds kann eine Frist voll ausgeschöpft werden. Das Fristende (bei Tagen: 24.00 Uhr) fällt nach BAG 18, 345 noch in die Frist; ebenso Pal/Ellenberger Rn 5; anders BGH NJW 2007, 2045, 2046; dazu § 187 Rn 2. b) Zur Umdeutung einer lediglich durch einen Endtermin bestimmten richterlichen Frist in eine nach Zeitraum bestimmte (und dann durch die Gerichtsferien oder ein Armenrechtsgesuch alten Rechts gehemmte) Frist s RG 120, 1; BGH NJW 1973, 2110; aM RG JW 1927, 3007. c) Ist eine Frist „bis morgen früh“ gesetzt, so ist die Leistung spätestens am Anfang der Geschäftszeit des folgenden Tages, also etwa bis eine Stunde nach Geschäftsbeginn, zu bewirken (MüKo/Grothe Rn 2). Eine bis zu einem bestimmten Tag vorzunehmende Handlung kann idR noch an diesem Tag vorgenommen werden (RG 105, 417). 6. Keine Anwendung findet § 188 auf nicht zusammenhängende Zeiträume; hier gilt § 191.

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Berechnung einzelner Fristen

(1) Unter einem halben Jahr wird eine Frist von sechs Monaten, unter einem Vierteljahr eine Frist von drei Monaten, unter einem halben Monat eine Frist von 15 Tagen verstanden. (2) Ist eine Frist auf einen oder mehrere ganze Monate und einen halben Monat gestellt, so sind die 15 Tage zuletzt zu zählen. Die Regel des Abs I, dass unter einem halben Monat eine Frist von 15 Tagen zu verstehen ist, gilt auch für die Monate, die mehr oder weniger als 30 Tage haben. Abs II ist wegen der unterschiedlichen Tageszahl der Monate erforderlich. Das Gleiche gilt im Wechselrecht nicht nur als Auslegungsregel, sondern immer (Art 32 II, V WG).

Fristverlängerung

Im Falle der Verlängerung einer Frist wird die neue Frist von dem Ablauf der vorigen Frist an berechnet. 1. Anwendungsbereich. § 190 gilt für laufende und abgelaufene Fristen (Pal/Ellenberger Rn 1). Die Voraussetzungen und Folgen einer Verlängerung der bereits abgelaufenen ursprünglichen Frist, wie zB der Verzicht auf die eingetretenen Verzugsfolgen oder des Rechts, Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen (§ 280 I 1), regelt die Vorschrift nicht. Die Vorschrift gibt nur eine Auslegung für die Berechnung der verlängerten Frist. Auch dafür gilt sie nicht, wenn insgesamt eine neue Frist bestimmt und nicht die alte verlängert ist. Die Verlängerung läuft im Zweifel nicht erst oder schon von der Bewilligung, sondern vom Endzeitpunkt der ersten Frist ab (Karlsruhe DB 1971, 1410), auch wenn dieser an einem Wochenende liegt. § 193 ist auf den Beginn der Verlängerung nicht anwendbar, weil die ursprüngliche Frist mit der Verlängerungsfrist eine zusammenhängende einheitliche Frist bildet (RG 131, 337, 338), die ursprüngliche Frist also nicht iSv § 193 endet (Soergel/Niedenführ Rn 2; aM BeckOK/Henrich Rn 2). Bei einer Verlängerung von Prozessfristen soll aber nach hM § 193 anwendbar sein, so dass bei Ablauf der ursprünglichen Frist an einem Wochenende oder Feiertag die neue Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktages beginnt (BGH NJW 2006, 700 unter Bestätigung von BGH 21, 43; Pal/Ellenberger Rn 1; aM – keine unterschiedliche Behandlung von materiellen und prozessualen Fristen – RG 131, 337; 558

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Fristen, Termine

§ 193

MüKo/Grothe Rn 3; Staud/Repgen Rn 4). Die Verlängerung einer abgelaufenen prozessualen Frist kommt – anders als etwa bei rechtsgeschäftlich bestimmten Fristen – nur in Betracht, wenn der Verlängerungsantrag noch vor dem Fristablauf bei Gericht eingegangen ist (BGH [GS] 83, 219; BGH 116, 377). 2. § 190 findet keine Anwendung, wenn anstelle der ursprünglichen Frist eine völlig neue tritt; diese fällt 3 dann unter den Anwendungsbereich des § 187. Ob es sich um eine Fristverlängerung oder um die Bestimmung einer neuen Frist handelt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Bei abgelaufenen gesetzlichen Fristen ist eine Fristverlängerung nicht möglich.

§ 191

Berechnung von Zeiträumen

Ist ein Zeitraum nach Monaten oder nach Jahren in dem Sinne bestimmt, dass er nicht zusammenhängend zu verlaufen braucht, so wird der Monat zu 30, das Jahr zu 365 Tagen gerechnet. 1. Anwendungsbereich. ZB Bewilligung eines mehrmonatigen Urlaubs, welcher nicht zusammenhängend ge- 1 nommen werden muss; Verpflichtung eines Reisenden zu mindestens neunmonatiger Reisetätigkeit; die Auflage, ein vermachtes Grundstück mindestens sechs Monate im Jahr zu bewohnen. In solchen Fällen erfolgt eine pauschalierte Berechnung durch Zusammenzählen der Tage, wobei für einen 2 Monat 30 Tage, für ein Jahr 365 Tage gezählt werden. Die Frist wird erst in Tage umgerechnet, und dann werden die tatsächlichen Tage des Fristverbrauchs auf diese Gesamtzahl angerechnet. Da Monate mit 30 Tagen gerechnet werden, sind auch Sonn- und Feiertage voll auf die Frist anzurechnen. Eine Frist von einem halben Jahr, die nicht zusammenhängend zu verlaufen braucht, ist zunächst nach Maßgabe des § 189 und dann nach § 191 zu bestimmen, sodass sie 6 × 30 = 180 Tage beträgt. Eine Frist von einem Vierteljahr umfasst demnach 90 Tage. Zur Berechnung tariflicher Urlaubszeiten BAG NZA 2003, 1167. 2. Keine Anwendung findet § 191 als Folge davon, dass der Lauf einer zusammenhängenden Frist durch Hem- 3 mung aufgehalten wird (RG 161, 125, 127; NJW 1962, 347; MüKo/Grothe Rn 1). Die Hemmung verwandelt ggf eine Monatsfrist in eine Tagesfrist (BGH 5, 275); sie führt zur Verlängerung der Frist um die Anzahl der Tage ihrer Dauer; der Tag des Eintritts des hemmenden Ereignisses und der Beendigung der Hemmung werden als volle Tage der Hemmung gezählt (RG 161, 125; s Erl zu § 209).

§ 192

Anfang, Mitte, Ende des Monats

Unter Anfang des Monats wird der erste, unter Mitte des Monats der 15., unter Ende des Monats der letzte Tag des Monats verstanden. Die Auslegungsregel des § 192 setzt im Interesse der Rechtssicherheit einige übliche Terminsbestimmungen auf 1 bestimmte Tage fest. Die gleiche Regelung enthält Art 36 III WG. Die Ausdrücke „Beginn“ und „Ende der Woche“ sind entspr § 192 auszulegen und bedeuten Montag bzw Samstag (ebenso MüKo/Grothe Rn 1; Soergel/Niedenführ Rn 2). Mit „Ende der Woche“ kann in Bezug auf Arbeitstage auch der Freitag gemeint sein. „Mitte der Woche“ ist der Mittwoch. – Unter Angaben von Jahreszeiten wie „Frühjahr“ oder „Herbst“ sind im Zweifel die jew kalendermäßigen Zeitpunkte zu verstehen, sofern sich aus der Verkehrssitte für die jew Region oder Branche im Einzelfall nichts anderes ergibt. – In privaten Rechtsgeschäften bedeutet die Angabe eines Kalendertages ohne Angabe des Jahres im Zweifel den nächsten entspr Kalendertag (Mot I 286).

§ 193

Sonn- und Feiertag; Sonnabend

Ist an einem bestimmten Tage oder innerhalb einer Frist eine Willenserklärung abzugeben oder eine Leistung zu bewirken und fällt der bestimmte Tag oder der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag, einen am Erklärungs- oder Leistungsorte staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so tritt an die Stelle eines solchen Tages der nächste Werktag. 1. Zweck. § 193 schützt die Sonn- und Feiertagsruhe; seit Einbeziehung des Samstags durch G v 10.8.1965 trägt er auch dem weitgehenden Stillstand von Arbeits- und Geschäftsleben an diesem Tag Rechnung und verhindert damit eine faktische Vorverlegung des Fristendes auf Freitag (BGH 171, 33 Rn 25; MüKo/Grothe Rn 1). Der Begriff des „Werktags“ ist im autonomen dt Recht nicht identisch mit demjenigen des Arbeitstages auf der Grundlage der Fünftagewoche (MüKo/Grothe Rn 2). Zu der EU-rechtlich gebotenen Auslegung von Werktagen als Arbeitstage im Geltungsbereich von EU-Rechtsakten und ihrer Umsetzung s MüKo/Grothe Rn 3. Die zu § 186 Rn 8 genannten Sondervorschriften enthalten zT weitere Abweichungen von § 193. 2. Anwendungsbereich. § 193 gilt für Fristen und Termine, die für die Abgabe einer Willenserklärung oder zur Bewirkung einer Leistung bestimmt sind. Bei den Willenserklärungen spielt es keine Rolle, ob zu ihrer Abgabe eine Rechtspflicht besteht oder ob sie nur der Wahrung eigener Rechte dienen (BGH 99, 288, 291 – Zeitbürgschaft). § 193 gilt auch für Ausschluss- (RG 100, 18; 105, 123) und Verjährungsfristen (RG 151, 345, 347; BGH NJW-RR 2008, 459, 460). Soweit zur Fristwahrung nicht eine Willenserklärung oder Leistung erforderlich ist, sondern eine Prozesshandlung, gilt er entspr (Rn 5). Die Vorschrift gilt auch für fristgebundene geschäftsähnliche Handlungen (Bsp bei Staud/Repgen Rn 10). Sie soll für die Fünfmonatsfrist für das Absetzen eines Urteils (§ 548 ZPO) nicht gelten (BSG 17.2.2009 – B 2 U 189/08 B, Rn 9; anders BFH NJW 1997, 416). Die Regelung Maier-Reimer

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Fristen, Termine

beeinflusst nicht notwendig den Ablauf von Fristen nach internationalen Konventionen, EGMR NJW 2012, 2943 Rn 43ff. a) Kündigungsfristen müssen grds dem Adressaten ungeschmälert zur Verfügung stehen. § 193 hat deshalb nicht die Folge, dass die Kündigung auf einen bestimmten Termin später erklärt werden könnte und damit die Kündigungsfrist verkürzt würde (BGH 59, 265; 162, 175; BAG 22, 304). Das gilt nach hM auch, wenn die Frist nicht als Frist vor dem Kündigungstermin geregelt ist, sondern, wie in §§ 573c III, 621 Nr 3, als Termin, an dem die Kündigung spätestens erklärt werden muss (s §§ 580a Rn 3; 621 Rn 8). Für § 580a I Nr 3, II zählen Samstage als Werktage mit (BGH NJW 2005, 2154), außer wenn der letzte Werktag ein Samstag ist (LG Berlin WuM 2017, 215; offengelassen in BGH NJW 2005, 2154 str; ausf dazu Staud/Repgen Rn 18ff) anders für die Zahlungsfrist gem § 556b I BGH NJW 2010, 2879 Rn 48ff unter Hinw auf die Bankpraxis und § 675n). Ist die Frist wie in § 626 II ohne Bezug auf einen bestimmten Kündigungstermin allein von einem bestimmten Zeitpunkt an vorwärts rechnend bestimmt, so ist § 193 anwendbar (Staud/Preis § 626 Rn 308). Ist die Kündigung in bestimmter Frist vor dem Kündigungstermin zu erklären, so darf sie durch Anwendung des § 193 nicht verkürzt werden (BGH 162, 175; NJW 2005, 1354). Dies folgt bereits daraus, dass solche Fristen rückwärts zu rechnen sind, weil bei rückwärtiger Berechnung der „nächste“ Werktag nicht der folgende Montag, sondern der vorangegangene Freitag wäre (Ziegeltrum JuS 1986, 785; s auch Rn 7). Anderes soll gelten, wenn die „Kündigung“ eine Vertragsverlängerung verhindern soll, weil dann ein mangels Widerspruchs zustande kommender neuer Vertrag vereinbart sei (BGH NJW 1975, 40; MüKo/Grothe Rn 7; Pal/Ellenberger Rn 3). Dem ist nicht zu folgen. Auch diese Frist ist rückwärts zu rechnen. Auch ohne den besonderen Schutz der Kündigungsfristen gibt es keinen Grund, die Frist zu verkürzen (wie hier Ziegeltrum JuS 1986, 784, 786). b) § 193 gilt – selbstverständlich – auch im Gesellschaftsrecht (zB bzgl der Fälligkeit einer Einzahlung). Str ist allerdings seine Geltung für Einberufungs- und ähnliche Fristen. Diese Frage ist aktienrechtlich durch § 121 VII AktG geklärt. Für die GmbH wird sie weiter kontrovers erörtert (s Baumbach/Hueck/Zöllner § 51 GmbHG Rn 20 einerseits und Scholz/Seibt § 51 GmbHG Rn 13 andererseits). Die Diskussion berücksichtigt nicht ausreichend, dass keine Handlung oder Erklärung des Einberufenen innerhalb der Frist erforderlich und überdies die Frist rückwärts zu rechnen ist (zutr Tettinger GmbHR 2008, 346; MüKo/Grothe Rn 10, allerdings aufgrund der Annahme, die Frist sei, anders als im Aktienrecht, vorwärts zu rechnen). c) § 193 gilt entspr für Prozesshandlungen, wenn zur Wahrung einer materiellrechtlichen Frist eine Prozesshandlung erforderlich ist, wie die Klageerhebung zur Hemmung der Verjährung (RG 151, 347; BGH NJW 1984, 1559; 1978, 2091). Er gilt auch für prozessuale Fristen (§ 222 ZPO) und für den Widerruf eines Prozessvergleichs (BGH NJW 1978, 2091). d) Dem § 193 entspr Spezialvorschriften für andere Rechtsgebiete enthalten §§ 31 III VwVfG, 108 AO, 222 II ZPO, 16 II FamFG, 43 II StPO, 77b I 2 StGB und Art 72 WG, 55 ScheckG. 3. Für rückwärts zu rechnende Mindestfristen ist § 193 nicht in dem Sinne anzuwenden, dass die gebotene Maßnahme am nächsten Werktag getroffen werden könnte (aM BGH NJW 1975, 40 für den Widerspruch gegen eine automatische Vertragsverlängerung, dazu Rn 3), denn damit würde sich die Frist verkürzen. Die entspr Anwendung bedeutet nicht, dass die zur Fristwahrung gebotene Maßnahme am letzten Werktag vor dem nach dem Kalender bestimmten Termin erforderlich ist (s Rn 3). Wenn die gebotene Maßnahme auch an einem der Karenztage getroffen werden kann und getroffen wird, besteht kein Anlass, ihr diese Wirkung zu versagen. Ob sie an einem solchen Tag getroffen werden kann (ob zB der Zugang einer Willenserklärung möglich ist), richtet sich nach der Fristennorm und den Umständen des Einzelfalls. Kann die Maßnahme an diesem Tag nicht getroffen werden, verlängert sich die Frist faktisch auch ohne Anwendung des § 193 dadurch, dass die Maßnahme am letzten Tag vor Ablauf der rückwärts gerechneten Frist nicht getroffen werden kann und eine Fristverkürzung nicht stattfindet. 4. Keine Anwendung findet die Auslegungsregel des § 193, wenn etwas anderes vereinbart ist (idR bei Stundenfristen, MüKo/Grothe Rn 5; s aber § 222 III ZPO) oder dies aus den Umständen oder einer Verkehrsübung folgt. § 193 ist stets ausgeschlossen, wenn die Leistung gerade für einen Samstag, Sonn- oder Feiertag bestimmt ist (zB erhöhter Bierbezug für den Feiertagsabend; Fertigstellung eines Zeltes für eine Feiertagsveranstaltung). BGH NJW 2001, 2324, 2325 nimmt dies bereits für den Fall einer nach dem Kalender bestimmten Fälligkeit an, wenn diese auf einen Sonntag fällt. Die Vorschrift gilt auch nicht für Fristen, die zum Eintritt oder Nichteintritt einer Bedingung gesetzt sind (RG SeuffA 86 Nr 59; Staud/Repgen Rn 14). Ist aber bei einer Bürgschaft vereinbart, dass sie an einem bestimmten Tag erlösche, wenn bis dahin die Inanspruchnahme nicht erklärt ist, und fällt dieser Endtermin auf einen Sonntag, so kann die Inanspruchnahme auch noch am nächsten Werktag erklärt werden, wenn die Parteien nicht ausdr das Fristende auf den Sonntag festgelegt haben (BGH 99, 288). § 193 gilt unmittelbar für einen befristeten Verjährungsverzicht; zum früheren Recht, nach dem der Verjährungsverzicht nur über § 242 wirkte, BGH WM 1990, 695, 699; dazu MüKo/Grothe Rn 8. 5. Wirkung. § 193 gibt demjenigen, welcher eine Leistung zu bewirken oder eine Willenserklärung abzugeben hat, das Recht, erst am nächsten Werktag zu leisten oder zu erklären. Der andere Teil wird dadurch aber nicht berechtigt, die Entgegennahme der Leistung oder der Willenserklärung an einem Samstag, Sonn- oder Feiertag zu verweigern (MüKo/Grothe Rn 13; s aber § 358 HGB; zur Frage des Zugangs namentlich bei Zwischenfristen § 188 Rn 4). § 193 gilt auch für den Eintritt der Fälligkeit und des Verzugs (BGH 171, 33 Rn 13, 27f; MüKo/ Grothe Rn 13; aM obiter BGH NJW 2001, 2324, 2325); jedoch nicht für den ersten Tag der Säumnis nach Ablauf 560

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Verjährung

Vor § 194

der Leistungsfrist (BGH NJW 2012, 2504 Rn 13ff zu § 10 I Nr 3 ZVG). Wird eine verzinsliche Schuld, deren Fälligkeitstag auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag fällt, erst am folgenden Werktag zurückgezahlt, besteht die Zinspflicht auch für diese (sog Karenz-)Tage (Frankfurt NJW 1975, 1971; MüKo/Grothe Rn 13). Zur Bedeutung von § 193 für die Zahlungstermine von Mieten s Meist ZMR 1999, 801. 6. Örtliche Feiertage. Bei Abgabe von Willenserklärungen findet § 193 nur Anwendung, wenn der betreffende 10 Tag am Erklärungsort als allg Feiertag anerkannt ist, bei Bewirkung von Leistungen nur, wenn der betreffende Tag am Erfüllungsort (§ 269) als solcher gilt. Das Ende einer Rechtsmittelfrist wird nur dann hinausgeschoben, wenn der betreffende Tag an dem Ort, an dem das Rechtsmittel einzulegen ist, gesetzlicher Feiertag ist (BAG NJW 1989, 1181; VGH München NJW 1997, 2130 mwN); eine vom Gericht einzuhaltende prozessuale Frist läuft auch an einem bei Gericht dienstfreien Tag ab, der kein gesetzlicher Feiertag ist (BFH NJW 1997, 416 für Rosenmontag). 7. Gesetzliche Feiertage sind im gesamten Bundesgebiet: Neujahrstag, Karfreitag, Ostermontag, Christi Him- 11 melfahrt, 1. Mai, Pfingstmontag, 3. Oktober, erster und zweiter Weihnachtsfeiertag, sowie einmalig der 31. Oktober 2017 (Reformationstag). Weitere Feiertage sind durch Landesgesetze geregelt. Kein Feiertag iSd Regelung sind der Heiligabend (24. Dezember; OVG Hamburg NJW 1993, 1941 zu § 222 II ZPO) oder der Rosenmontag (BFH NJW 1997, 416), auch wenn an diesen Tagen Geschäfte, Büros oder Behörden vielfach geschlossen sind. Zu den landesgesetzlich verschieden geregelten Feiertagen s Übersicht bei Staud/Repgen Rn 32ff und Soergel/ Niedenführ Rn 13ff.

Abschnitt 5 Verjährung Titel 1 Gegenstand und Dauer der Verjährung Vorbemerkung vor § 194 Schrifttum: Amann, Das Verjährungsrecht nach der Schuldrechtsreform aus notarieller Sicht, DNotZ 2002, 94; Bitter/Alles, Die Rechtsprechung zum Aufschub des Verjährungsbeginns bei unklarer Rechtslage, NJW 2011, 2081; Eichel, Verjährung in Dauerschuldverhältnissen, NJW 2015, 3265; Fang Zhang, Die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren als Mittel der Verjährungshemmung, 2006; Haenicke, Zur Einrede der Verjährung im öffentlichen Recht, NVwZ 1995, 348; Maier, Verjährungsfragen in Schrottimmobilienfällen, ZfIR 2008, 753; Koch, AGB-Klauseln zur Verkürzung der Verjährung von Schadensersatzansprüche, MDR 2016, 61; Mansel, Die Neuregelung des Verjährungsrechts, NJW 2002, 89; Otto, Die Bestimmung des § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, 2006; Peters, Die Verjährung in Fällen unbekannter Anschrift des Schuldners, NJW 2012, 2556; Piepenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung und Verwirkung, 2006; D. Rabe, Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts: Verjährung, NJW 1992, 2395; Spiro, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, 1975; Springer, Checkliste – Das Verjährungsrecht nach der BGB-Reform 2002, MDR 2002, 992; Windorfer, Der Verjährungsverzicht, NJW 2015, 3329; Wolffskeel v Reichenberg, Rücktritt und Schadensersatz bei Verjährung und absoluter Unverhältnismäßigkeit, NJW 2015, 2833; Zimmermann, Verjährung bauwerkvertraglicher Gewährleistungsansprüche im selbstständigen Beweisverfahren, NJW 2013, 1644.

1. Der Zeitablauf kann unabhängig vom Willen der Beteiligten für die Begründung, die Änderung oder den Ver- 1 lust eines Rechts von Bedeutung sein. Diese Wirkung bezeichnet man als Verjährung iwS. Ihre Wurzeln reichen bis ins attische Recht zurück (paracraz, 402 v Chr; dazu Piepenbrock aaO, 44f). Während das ALR zw erwerbender (Hauptfall: Ersitzung) und erlöschender Verjährung unterschied, fasst das BGB wie schon das sächs BGB von 1863 (§§ 1016–1018) und im Ansatz das ADHGB von 1861 (Art 906) den Verjährungsbegriff ieS auf. Er lässt sich bis auf eine Konstitution des oströmischen Kaisers Theodosius II. aus dem Jahre 424 n Chr zurückführen (dazu Piepenbrock aaO, 44, 62f). Der Erwerb von Rechten durch fortgesetzten Besitz ist im BGB kein Unterfall der Verjährung, sondern ein selbständiges Rechtsinstitut, das im Sachenrecht geregelt ist, und zwar für bewegliche Sachen in §§ 937, 1033, für Grundstücke in §§ 900, 927. Das BGB versteht unter Verjährung in den §§ 194ff nur die Anspruchsverjährung. Ihre sachlich-rechtliche Wirkung besteht nicht in einem Erlöschen, sondern in einer Schwächung des Anspruchs. Der Verpflichtete hat nach § 214 I nur das Recht, die Leistung dauernd zu verweigern. Der Anspruch bleibt bestehen. Bei irrtümlicher Leistung kann das Geleistete nicht zurückgefordert werden (§ 214 II). 2. Die Verjährung dient der Verkehrssicherheit und dem Rechtsfrieden (BGH 59, 72, 74). Ob man mit den Moti- 2 ven (I S 291) immer davon ausgehen kann, dass ein Anspruch wohl nicht oder nicht mehr begründet ist, wenn er über längere Zeit nicht geltend gemacht wird, ist heute angesichts der Verkürzung der Verjährungsfristen in dieser Allgemeinheit zweifelhaft. Nach wie vor gilt aber, dass jedenfalls nach einer bestimmten Zeit die Ungewissheit über das Bestehen und die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs beendet sein soll. Der Schuldner soll gegen die Geltendmachung überholter Ansprüche geschützt werden, da er sich möglicherweise wegen des Zeitablaufs, insb wegen des Verlustes von Beweismitteln, nicht mehr sachgemäß verteidigen kann. Er soll deshalb die Möglichkeit erhalten, die Durchsetzung von Ansprüchen, gleich welcher rechtlichen Natur sie sind, zu verMaier-Reimer/Schmidt-Räntsch

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der Leistungsfrist (BGH NJW 2012, 2504 Rn 13ff zu § 10 I Nr 3 ZVG). Wird eine verzinsliche Schuld, deren Fälligkeitstag auf einen Samstag, Sonn- oder Feiertag fällt, erst am folgenden Werktag zurückgezahlt, besteht die Zinspflicht auch für diese (sog Karenz-)Tage (Frankfurt NJW 1975, 1971; MüKo/Grothe Rn 13). Zur Bedeutung von § 193 für die Zahlungstermine von Mieten s Meist ZMR 1999, 801. 6. Örtliche Feiertage. Bei Abgabe von Willenserklärungen findet § 193 nur Anwendung, wenn der betreffende 10 Tag am Erklärungsort als allg Feiertag anerkannt ist, bei Bewirkung von Leistungen nur, wenn der betreffende Tag am Erfüllungsort (§ 269) als solcher gilt. Das Ende einer Rechtsmittelfrist wird nur dann hinausgeschoben, wenn der betreffende Tag an dem Ort, an dem das Rechtsmittel einzulegen ist, gesetzlicher Feiertag ist (BAG NJW 1989, 1181; VGH München NJW 1997, 2130 mwN); eine vom Gericht einzuhaltende prozessuale Frist läuft auch an einem bei Gericht dienstfreien Tag ab, der kein gesetzlicher Feiertag ist (BFH NJW 1997, 416 für Rosenmontag). 7. Gesetzliche Feiertage sind im gesamten Bundesgebiet: Neujahrstag, Karfreitag, Ostermontag, Christi Him- 11 melfahrt, 1. Mai, Pfingstmontag, 3. Oktober, erster und zweiter Weihnachtsfeiertag, sowie einmalig der 31. Oktober 2017 (Reformationstag). Weitere Feiertage sind durch Landesgesetze geregelt. Kein Feiertag iSd Regelung sind der Heiligabend (24. Dezember; OVG Hamburg NJW 1993, 1941 zu § 222 II ZPO) oder der Rosenmontag (BFH NJW 1997, 416), auch wenn an diesen Tagen Geschäfte, Büros oder Behörden vielfach geschlossen sind. Zu den landesgesetzlich verschieden geregelten Feiertagen s Übersicht bei Staud/Repgen Rn 32ff und Soergel/ Niedenführ Rn 13ff.

Abschnitt 5 Verjährung Titel 1 Gegenstand und Dauer der Verjährung Vorbemerkung vor § 194 Schrifttum: Amann, Das Verjährungsrecht nach der Schuldrechtsreform aus notarieller Sicht, DNotZ 2002, 94; Bitter/Alles, Die Rechtsprechung zum Aufschub des Verjährungsbeginns bei unklarer Rechtslage, NJW 2011, 2081; Eichel, Verjährung in Dauerschuldverhältnissen, NJW 2015, 3265; Fang Zhang, Die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren als Mittel der Verjährungshemmung, 2006; Haenicke, Zur Einrede der Verjährung im öffentlichen Recht, NVwZ 1995, 348; Maier, Verjährungsfragen in Schrottimmobilienfällen, ZfIR 2008, 753; Koch, AGB-Klauseln zur Verkürzung der Verjährung von Schadensersatzansprüche, MDR 2016, 61; Mansel, Die Neuregelung des Verjährungsrechts, NJW 2002, 89; Otto, Die Bestimmung des § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, 2006; Peters, Die Verjährung in Fällen unbekannter Anschrift des Schuldners, NJW 2012, 2556; Piepenbrock, Befristung, Verjährung, Verschweigung und Verwirkung, 2006; D. Rabe, Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts: Verjährung, NJW 1992, 2395; Spiro, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, 1975; Springer, Checkliste – Das Verjährungsrecht nach der BGB-Reform 2002, MDR 2002, 992; Windorfer, Der Verjährungsverzicht, NJW 2015, 3329; Wolffskeel v Reichenberg, Rücktritt und Schadensersatz bei Verjährung und absoluter Unverhältnismäßigkeit, NJW 2015, 2833; Zimmermann, Verjährung bauwerkvertraglicher Gewährleistungsansprüche im selbstständigen Beweisverfahren, NJW 2013, 1644.

1. Der Zeitablauf kann unabhängig vom Willen der Beteiligten für die Begründung, die Änderung oder den Ver- 1 lust eines Rechts von Bedeutung sein. Diese Wirkung bezeichnet man als Verjährung iwS. Ihre Wurzeln reichen bis ins attische Recht zurück (paracraz, 402 v Chr; dazu Piepenbrock aaO, 44f). Während das ALR zw erwerbender (Hauptfall: Ersitzung) und erlöschender Verjährung unterschied, fasst das BGB wie schon das sächs BGB von 1863 (§§ 1016–1018) und im Ansatz das ADHGB von 1861 (Art 906) den Verjährungsbegriff ieS auf. Er lässt sich bis auf eine Konstitution des oströmischen Kaisers Theodosius II. aus dem Jahre 424 n Chr zurückführen (dazu Piepenbrock aaO, 44, 62f). Der Erwerb von Rechten durch fortgesetzten Besitz ist im BGB kein Unterfall der Verjährung, sondern ein selbständiges Rechtsinstitut, das im Sachenrecht geregelt ist, und zwar für bewegliche Sachen in §§ 937, 1033, für Grundstücke in §§ 900, 927. Das BGB versteht unter Verjährung in den §§ 194ff nur die Anspruchsverjährung. Ihre sachlich-rechtliche Wirkung besteht nicht in einem Erlöschen, sondern in einer Schwächung des Anspruchs. Der Verpflichtete hat nach § 214 I nur das Recht, die Leistung dauernd zu verweigern. Der Anspruch bleibt bestehen. Bei irrtümlicher Leistung kann das Geleistete nicht zurückgefordert werden (§ 214 II). 2. Die Verjährung dient der Verkehrssicherheit und dem Rechtsfrieden (BGH 59, 72, 74). Ob man mit den Moti- 2 ven (I S 291) immer davon ausgehen kann, dass ein Anspruch wohl nicht oder nicht mehr begründet ist, wenn er über längere Zeit nicht geltend gemacht wird, ist heute angesichts der Verkürzung der Verjährungsfristen in dieser Allgemeinheit zweifelhaft. Nach wie vor gilt aber, dass jedenfalls nach einer bestimmten Zeit die Ungewissheit über das Bestehen und die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs beendet sein soll. Der Schuldner soll gegen die Geltendmachung überholter Ansprüche geschützt werden, da er sich möglicherweise wegen des Zeitablaufs, insb wegen des Verlustes von Beweismitteln, nicht mehr sachgemäß verteidigen kann. Er soll deshalb die Möglichkeit erhalten, die Durchsetzung von Ansprüchen, gleich welcher rechtlichen Natur sie sind, zu verMaier-Reimer/Schmidt-Räntsch

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hindern. Der Schutz wird dadurch erreicht, dass der angebliche Schuldner den Anspruch als verjährt zurückweisen kann, ohne auf die Sache selbst einzugehen. Freilich kann durch Verjährung aus Unrecht Recht werden. Sie führt de facto zu einem Forderungsverlust und steht so in ihrer Einwirkung auf die Forderung der Erfüllung oder dem Erlass gleich. Diese Folge lässt sich aber in Kauf nehmen, da dem Berechtigten zuzumuten ist, zur Vermeidung von Rechtsnachteilen seinen Anspruch rechtzeitig geltend zu machen. 3. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (v 26.11.2001, BGBl I 3138) ist das Verjährungsrecht des BGB grundlegend verändert und neu geordnet worden. a) Das bisherige Verjährungsrecht wies deutliche Mängel auf. Sein „fast barock zu nennender Formenreichtum“ (Peters/Zimmermann in BMJ [Hrsg], Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd I 1981, 187) war kaum noch überschaubar. Dies gilt für die Fristen ebenso wie für ihre Berechnung. Der frühere § 195 aF bestimmte eine Verjährungsfrist von 30 Jahren als „regelmäßige“ Verjährungsfrist. Die in zahlreichen gesetzlichen Vorschriften vorgesehenen kürzeren Verjährungsfristen ließen diese lange Verjährungsfrist indes zur Ausnahme werden, so dass § 195 aF in der Rechtswirklichkeit einen Auffangtatbestand bildete, der immer dann zur Anwendung kam, wenn keine kürzere Verjährungsfrist einschlägig war. Eine systematische Einordnung war auch in groben Umrissen unmöglich. Über den Wortlaut hinaus hatte die Rspr die kürzeren Verjährungsfristen nicht nur auf die vertraglichen Erfüllungsansprüche, sondern auch auf andere Ansprüche angewandt, soweit diese wirtschaftlich an die Stelle der entspr Erfüllungsansprüche getreten sind. Da für derartige Ansprüche entscheidend war, dass sie einen „Ersatzwert des ursprünglich Bedungenen“ (so schon RG 61, 390) zum Inhalt haben, also einen Ausgleich dafür bieten, „dass der Vertrag gescheitert ist“ (BGH 57, 191, 195ff), konnten sie auch gesetzlicher Natur sein. Nicht weniger drastisch als bei der Verjährungsfrist rückte das bisherige Recht bisweilen von der Entstehung des Anspruchs als Zeitpunkt des Verjährungsbeginns ab. Im Deliktsrecht etwa wurde für die Verkürzung der Verjährungsfrist Kenntnis des Verletzten von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen vorausgesetzt. Außerhalb des BGB fanden sich auch ganz andere Anknüpfungen für den Verjährungsbeginn. b) Das Modell des BGB stimmte auch nicht mehr mit der intern Entwicklung überein. Diese wird bestimmt durch das Verjährungsmodell der Principles of European Contract Law, die die Kommission für Europäisches Vertragsrecht (sog Lando-Kommission) im Februar 2001 verabschiedet hat (dt Übersetzung abgedr in ZEuP 2001, 400ff). Das darin vorgeschlagene Modell sieht eine regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren vor, die gehemmt ist, solange der Gläubiger die Person des Schuldners oder die Umstände, auf denen sein Anspruch beruht, nicht kennt und vernünftigerweise nicht kennen kann (Art 17:102 und 17:105). Sie werden von Zimmermann wie folgt bewertet (ZEuP 2001, 217, 220): „Die Grundregeln des Europäischen Verjährungsrechts (die sich übrigens nicht auf das Vertragsrecht beschränken, sondern das Schuldrecht insgesamt erfassen) gehen von der Erkenntnis aus, dass ein möglichst einheitlicher Verjährungsbeginn der Schlüssel zu einem möglichst einheitlichen Verjährungsrecht ist. Eine derartige Einheitlichkeit kann nur auf der Basis des Kenntnis- oder Erkennbarkeitskriteriums erreicht werden (unabhängig davon, ob dieses Kriterium tatsächlich den Verjährungsbeginn bestimmt oder – so die Europäischen Grundregeln – eine Anlaufhemmung darstellt …). Dann (und nur dann) ist auch eine weitgehend einheitliche Frist von drei Jahren sinnvoll. Dies entspricht auch der internationalen Entwicklung, die, berücksichtigt man die Neuregelungen und Reformvorschläge der vergangenen einhundert Jahre, im Wesentlichen durch drei Trends gekennzeichnet ist: Verkürzung der Fristen, Vereinheitlichung der Fristen und Aufstieg des Erkennbarkeitskriteriums für den Verjährungsbeginn.“ c) Diese Analyse stimmt im Wesentlichen mit den Feststellungen der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts überein, die in ihrem Bericht auf der Grundlage des Gutachtens von Peters/Zimmermann eine Abkehr von dem bisherigen Modell vorgeschlagen hatte. In der konkreten Ausgestaltung der Neuregelung hat sich der Gesetzgeber im Anschluss an die Kritik enger an Peters/Zimmermann angelehnt und die Vorschläge der Schuldrechtskommission nur teilw übernommen. Die Neuregelung durch das SchuldRModG folgt folgendem Modell: aa) Es gibt weiterhin eine regelmäßige Verjährungsfrist, die für alle Ansprüche gilt und von der in bestimmten Bereichen Abweichungen vorgesehen sind. Die von der Schuldrechtskommission vorgeschlagene Unterscheidung zw vertraglichen und nicht vertraglichen Ansprüchen wurde im Anschluss an die Kritik (zB Haug, Die Neuregelung des Verjährungsrechts, 1999, 32ff, 36f; Mansel in Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, 333, 403) nicht übernommen. bb) Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (§ 195). Die 30-jährige Frist wurde damit aber nur als regelmäßige Frist aufgegeben. In bestimmten Fällen (zB § 197) gilt sie nach wie vor. Zu diesen Ansprüchen gehörten nach § 197 I Nr 2 bis zum 31.12.2009 auch familien- und erbrechtliche Ansprüche. Diese Ausnahme ist mit dem ErbRÄndG v 24.9.2009 (BGBl I 3142) aufgegeben worden. Sie gilt nach § 197 I Nr 1 nur noch für die Ansprüche des Erben gegen den Erbschaftsbesitzer, des Nacherben gegen den Vorerben auf Herausgabe der Erbschaft und des Erben gegen den Besitzer auf Herausgabe eines unrichtigen Erbscheins an das Nachlassgericht und die der Durchsetzung des Erbschaftsanspruchs dienenden Auskunftsansprüche. cc) Der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist entspricht der früheren deliktischen Verjährung (§ 852 I aF). Sie beginnt nicht, wie von der Schuldrechtskommission vorgeschlagen, mit der Pflichtverletzung, sondern entspr dem Vorschlag von Peters/Zimmermann (Gutachten S 320 [§ 199]) mit Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Schuldners (§ 199 I Nr 2). Dies gleicht die Härten der deutlichen Verkürzung der Frist aus (Mansel aaO, 404; Haug aaO, 59ff; Eidenmüller JZ 2001, 283, 285). dd) Die Frist für Mängelansprüche beträgt im Grundsatz zwei Jahre und beginnt mit der Übergabe/Abnahme (§§ 438 II, 634a II). Dies betrifft nicht nur die verschuldensunabhängigen (so die Forderung von Eidenmüller JZ 562

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2001, 283, 285), sondern alle Mängelansprüche. Entspr einem Vorschlag der Schuldrechtskommission (§ 195 III BGB-KE) sehen §§ 438, 634a für Einbauteile, für Bauwerke und für Bauleistungen eine Frist von fünf Jahren vor. d) Erleichterungen und Erschwerungen der Verjährung, also der Verjährungsfrist und der Modalitäten ihrer Berechnung, unterliegen grds der Vertragsfreiheit. Das starre Verbot einer rechtsgeschäftlichen Verjährungserschwerung in § 225 aF hatte sich in der Praxis als wenig praktikabel erwiesen. Zwar liegt es nicht nur im Schuldnerinteresse, sondern auch im Interesse des Rechtsfriedens, die Verjährungsfristen nicht beliebig zu verlängern. Andererseits können vor allem bei kurzen Verjährungsfristen Vereinbarungen, die den Eintritt der Verjährung erschweren oder verlängern, durchaus im Interesse beider Parteien liegen. Dem hatte schon das frühere Recht durch eine Reihe von Ausnahmen Rechnung getragen (§§ 477, 638 aF; §§ 439 IV, 452b II, 463, 475a HGB aF). Angesichts der deutlichen Verkürzung der Verjährungsfristen besteht auch darüber hinaus ein Bedürfnis, Länge und Lauf der Verjährungsfristen vereinbaren zu können. Dem trägt das BGB in § 202 Rechnung. Solche Vereinbarungen sind nur noch untersagt, wenn sie zu einer Frist von effektiv mehr als 30 Jahren ab dem gesetzlichen Beginn führen (§ 202 II). Ausl Recht, das die Verjährung von Forderungen ausschließt, kann in diesen Grenzen nach wie vor dem dt Ordre public iSd Art 6 EGBGB widersprechen (RG 106, 82), jedoch wird dies heute nur noch selten der Fall sein. 4. Die Geltendmachung der Verjährung stellt ein Recht des Schuldners dar, das nicht aus seinem, sondern aus dem Verhalten des Gläubigers erwächst (Mot I S 296). Guter Glaube des Schuldners an das Nichtbestehen des Anspruchs ist deshalb nicht erforderlich. Für die Verjährung des Anspruchs kommt es auf die Verwirklichung des Verjährungstatbestands an; die subjektiven Vorstellungen der Parteien sind unerheblich (Düsseldorf OLGRp 2002, 259). Im Geschäftsleben wird es im Allg nicht als anständig angesehen, sich ggü begründeten Ansprüchen hinter der Verjährungseinrede zu verschanzen. Daraus folgt jedoch noch nicht, dass hierin schon ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, wenn die Berufung auf Verjährung nach § 242 unzulässig sein soll (Düsseldorf OLGRp 2002, 124 und 259; Köln IBR 1997, 499; iÜ § 214 Rn 11). 5. Von ähnlichen Rechtseinrichtungen grenzt sich die Verjährung wie folgt ab: a) Die Ausschlussfrist hat zur Folge, dass eine Handlung nur innerhalb einer bestimmten Frist vorgenommen werden kann. Der grds Unterschied liegt in der Wirkung des Zeitablaufs. Die Verjährung begründet nach § 214 ein Leistungsverweigerungsrecht, der Ablauf der Ausschlussfrist das Erlöschen des Rechts. Diese ist als Einwendung von Amts wegen, jene als Einrede nur zu beachten, wenn der Schuldner sich auf sie beruft (RG 128, 46). Bei einer Ausschlussfrist muss der Gläubiger die Wahrung der Frist, bei Verjährung der Schuldner den Zeitablauf beweisen. Es gibt strukturelle Unterscheidungsmerkmale, die aber in der Praxis an Schärfe verloren haben: Die Verjährung beruht auf Gesetz. Die Ausschlussfrist kann auf Gesetz, richterlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen. Ein unverjährbarer Anspruch (zB §§ 194 II, 902, 1632) kann vertraglich nicht zu einem verjährbaren gemacht werden. Eine Ausschlussfrist kann dagegen auch für Ansprüche vereinbart werden, für die sie im Gesetz nicht vorgesehen ist. Allerdings unterliegen nach § 194 I alle nicht ausdr unverjährbar gestellten Ansprüche der Verjährung. Die Verjährung bezieht sich nur auf Ansprüche, nicht auf Rechte, § 194. Hängt die Ausübung eines Gestaltungsrechts von einer Frist ab, so liegt grds eine Ausschlussfrist vor (zB §§ 121, 124, 218, 438 IV, 532, 634a IV, 1944). Wohl aber können Ausschlussfristen auch Ansprüche begrenzen. Gesetzliche Ausschlussfristen für Ansprüche gibt es bisher nur wenige (zB §§ 382, 562b II, 651g I, 801 I 2, 864 I, 977 S 2, 1002 I BGB, § 8 I VerkFlBerG). Mit der Modernisierung des Schuldrechts sind die zuvor als Ansprüche ausgestalteten Gläubigerrechtsbehelfe des Rücktritts und der Minderung zu Gestaltungsrechten geworden. Sie unterliegen nach §§ 218, 438 IV, 634a IV einer Ausschlussfrist, die aber inhaltlich an die Verjährung des zugrunde liegenden Anspruchs gekoppelt ist. Zweifel über den Charakter der Frist können nicht auftreten, da eine Verjährungsfrist nur vorliegt, wenn dies ausdr gesagt ist. Bei einer Ausschlussfrist gebraucht das Gesetz Wendungen, die eine Befristung klar ergeben (zB §§ 124, 864). Eine Ausschlussfrist war zB die für Versicherungsverträge früher geltende (heute nicht mehr bestehende) Klagefrist nach § 12 III VVG aF (BGH 43, 235; RG JW 1910, 244; RG 152, 340). Die Gründe, die den Lauf der Verjährung hemmen oder unterbrechen, gelten für gesetzliche Ausschlussfristen insoweit, wie dies ausdr bestimmt (BGH BGHRp 2006, 300; RG 158, 140; zB §§ 218, 438 IV, 634a IV) oder im Einzelfall sachgerecht ist (Dresden BtPrax 1999, 240). Man unterscheidet daher reine und gemischte Ausschlussfristen. Eine entspr Anwendung einzelner Verjährungsvorschriften sehen zB §§ 124 II, 802, 1002 II, 1997 vor. Die Wesensverschiedenheit von Ausschluss- und Verjährungsfrist schließt die entspr Anwendung einzelner für die Verjährung geltender Regelungen nicht grds aus. Die Frage der Anwendbarkeit lässt sich nicht aus dem Begriff der Ausschlussfrist, sondern nur von Fall zu Fall nach dem Sinn und Zweck der jew Einzelvorschrift entscheiden (BGH 43, 235, 237 für § 12 III VVG aF; 73, 99, 101 für § 89b IV 2 HGB). Auch bei vertraglichen Ausschlussfristen ist es eine Frage der Auslegung, welche Umstände dem Ablauf der Frist entgegenstehen sollen. Verjährungsvorschriften sind in mancher Hinsicht entspr anwendbar (RG 87, 283; 142, 285; RG JW 1937, 533 m Anm Prölß; vgl auch BSG NJW 1964, 124). Die Berufung auf eine Ausschlussfrist kann sich ebenso wie die Berufung auf Verjährung im Einzelfall als unzulässige Rechtsausübung darstellen. b) Die Verwirkung beruht auf dem Gedanken, dass unter besonderen Umständen einer verspäteten Geltendmachung von Ansprüchen die rechtliche Wirkung versagt werden muss, weil darin ein Verstoß gegen Treu und Schmidt-Räntsch

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Glauben liegt. Es handelt sich um einen Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Angesichts der deutlichen Verkürzung der Verjährungsfristen durch das SchuldRModG kommt der Verwirkung bei Ansprüchen deutlich geringere Bedeutung zu als früher. Rechtsgrundlage der Verwirkung ist § 242 (BGH MDR 2003, 207; WM 1963, 1029; RG 155, 148). Verwirkt werden können nicht nur Ansprüche, sondern auch Rechte (BGH ZIP 2002, 400; BGHRp 2001, 367), ausgenommen die Mitgliedschaft in einem Verein und dingliche Rechte. Während die Verjährung nach genau bestimmten Fristen eintritt, kommt es bei der Verwirkung nicht nur auf den Zeitablauf, das sog Zeitmoment (dazu BGH MDR 2003, 86), an. Hinzutreten müssen vielmehr noch Umstände, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen, das sog Umstandsmoment (BGH MDR 2003, 207; BGHRp 2003, 90; 2001, 367; Hamm, NJW-RR 2003, 81, 82; vgl iÜ § 242 Rn 123). Die Verwirkung wird von Amts wegen berücksichtigt (BGH NJW 1966, 345). Ggü der Verjährung gewinnt sie naturgemäß dann besondere Bedeutung, wenn deren Fristen sehr lang sind, wie zB nach §§ 196 oder 197. Auch unverjährbare Ansprüche können verwirkt werden (BGH 122, 308, 314; OGH 1, 282 für § 894). Geltung besitzt die Verwirkung nicht nur auf einzelnen Sonderrechtsgebieten, wie zB Arbeitsund Wettbewerbsrecht, sondern für das gesamte Recht (BGH MDR 1993, 26; RG 155, 148; 159, 99; OGH 1, 283, eingehend § 242 Rn 123ff). c) Die sog unvordenkliche Verjährung (dazu Piepenbrock aaO, 111ff) kennt das BGB nicht. Rechtlich handelt es sich nicht um Verjährung, sondern um eine widerlegbare Rechtsvermutung, die anders als die Ersitzung nicht zum originären Rechtserwerb führt, sondern den Rechtsnachweis entbehrlich macht (BGH 16, 234, 238, Stuttgart Justiz 1983, 14; Larenz NJW 1955, 1786). Wer sich darauf berufen konnte, dass der als Recht beanspruchte Zustand in einem Zeitraum von 40 Jahren als Recht besessen worden ist und dass weitere 40 Jahre vorher keine Erinnerung an einen anderen Zustand seit Menschengedenken bestanden hat, zu dessen Gunsten wurde vermutet, dass der Rechtserwerb oder Rechtsverlust rechtmäßig erfolgt ist (BGH 16, 234, 238). Die unvordenkliche Verjährung kann zur Begründung von Altrechten im öffentlichen Wegerecht, aber auch im Privatrecht, etwa zu beschränkten dinglichen Rechten an Grundstücken oder Fischereirechten führen (öffentliche Wege: Hamburg OLGRp 1997, 237; Dienstbarkeiten: BayObLG OLGRp 1997, 24; Frankfurt OLGRp 1992, 4; Fischereirecht: Stuttgart aaO). Das gilt aber nur in den Gebieten des früheren Gemeinen Rechts (Hamm MDR 1987, 234). 6. Übergangsvorschriften enthalten Art 169, 174 II EGBGB für Ansprüche aus der Zeit vor 1900, Art 231 § 6 EGBGB für Ansprüche aus der DDR-Zeit, Art 229 §§ 5, 6 EGBGB für die Zeit vor der Modernisierung des Schuldrechts, Art 229 § 12 EGBGB für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts von 2004 und Art 229 § 23 EGBGB für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts von 2009. Sie folgen alle einem im Wesentlichen gleichen Schema. Das jew neue Verjährungsrecht gilt immer auch für altrechtliche, noch unverjährte Ansprüche (Art 169 I, 231 § 6 I 1 und 229 § 6 I, § 12 I, § 23 I EGBGB). Die bisherigen Gesetze bleiben aber für den Beginn und etwaige Hemmungen oder Unterbrechungen bis zur Rechtsumstellung maßgeblich (Art 169 I 2, 231 § 6 I 2, 229 § 6 I 2, § 12 I, § 23 III EGBGB). Hatte die Verjährung vor der Rechtsumstellung begonnen und ist die neue Frist kürzer als die alte Frist, so wird die kürzere neue Frist von der Rechtsumstellung an gerechnet (Art 169 II 1, 231 § 6 II 1, 229 § 6 IV 1, § 12 I EGBGB). Ist die neue Frist länger als die alte Frist oder läuft eine längere Altfrist früher ab als die Neufrist, so ist für den Ablauf der Verjährungsfrist der Ablauf der kürzeren bisherigen Frist maßgebend (Art 169 II 2, 231 § 6 II 2, 229 § 6 III, IV 2, § 12 I, § 23 II EGBGB). Ein Sonderproblem ergab sich bei der Modernisierung des Schuldrechts durch die Umstellung der Unterbrechungstatbestände auf Hemmungstatbestände (dazu Art 229 § 6 I 3, II EGBGB). – Die Überleitungsvorschriften gelten auch für Ausschluss- und Ersitzungsfristen des früheren Rechts (Art 185, 231 § 6 III, 229 § 6 V EGBGB). 7. Im öffentlichen Recht fehlen vielfach Vorschriften über die Verjährung von Ansprüchen. Üblicherweise wird dann auf die Vorschriften des BGB zurückgegriffen. Bei der Modernisierung des Schuldrechts war zunächst daran gedacht, dies ausdr in einem § 194 III BGB-E zu regeln (Schmidt-Räntsch ZIP 2000, 1638, 1641; Dötsch DÖV 2004, 277, 278; Staud/Peters [2001] Vor §§ 194ff Rn 57). Um das Vorhaben nicht zu überfrachten, ist darauf verzichtet worden. Das bedeutet aber nicht, dass im öffentlichen Recht ein Rückgriff auf das Verjährungsrecht des BGB nicht mehr möglich oder nicht mehr gewollt ist. Das Gegenteil ist der Fall: Wie früher kann und soll im öffentlichen Recht auf das Verjährungsrecht des BGB zurückgegriffen werden, wo dies sachgerecht ist und soweit keine spezialgesetzlichen Vorschriften bestehen (BT-Drs. 15/3635, 10; BVerwG NJW 2002, 1968; 2006, 3225, 3226; NVwZ 2017, 56 Rn 35, 44; OVG Bautzen BauR 2006, 707 Rn 39f; VGH München 5.10.2005 – 4 ZB 05.740; VG Berlin 5.8.2004 – 5 A 111.01; VG Lüneburg 24.2.2004 – 4 A 162/02; Staud/Peters aaO; Dötsch DÖV 2004, 277, 278f). Dies hatte das BVerwG für öffentlich-rechtl Erstattungsansprüche öffentlicher Körperschaften untereinander, in casu einen Anspruch aus § 8 IV 2 VZOG, nicht gelten lassen und weiterhin § 195 aF anwenden wollen, weil eine Verjährung in kürzerer Frist dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung widerstreite (BVerwG 132, 324, 328f; ebenso NK/Mansel/Stürner § 194 Rn 22, 24). Diese Ausnahme ist angreifbar. Zwar sind die sachnächsten Verjährungsvorschriften heranzuziehen (BVerwG NVwZ 2017, 56 Rn 35). Das ist aber die Regelverjährungsfrist nach §§ 195, 199 nF, was das BVerwG jetzt auch so sieht und auf Ansprüche nach Art 104a II GG anwendet (BVerwG 154, 259 Rn. 38 ff., NVwZ 2017, 56 Rn 36ff). Entspr wendet das OLG Düsseldorf die regelmäßige Verjährungsfrist auf den öffentl-rechtl Anspruch auf Rückerstattung von Subventionen an (Düsseldorf 28.12.2016 – 6 U 126/16, juris Rn 42). Sondervorschriften über die Verjährung bestehen vor al564

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Übergangsrecht – Art 229 §§ 6, 12, 23 EGBGB

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lem im Steuerrecht. Für die Verjährung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gelten nicht §§ 194ff, sondern §§ 228–232 AO (BFH 5.4.2004 – VII S 3/04). Die Verjährungsfrist beträgt nach § 228 AO fünf Jahre. Auch im Sozialrecht bestehen weitgehend Sondervorschriften, die auf einer Verjährungsfrist von vier Jahren aufbauen (§ 45 SGB I), aber Lücken lassen (Rolfs NZS 2002, 169ff; Fischer NZS 2003, 301, 304). Auf die Verjährungsregelungen des BGB kann dann nur zur Lückenfüllung und nur insoweit zurückgegriffen werden, als sie dem öffentlichen Recht nicht widersprechen (Bsp: BSG SGb 2006, 56 Rn 14). Entspr gilt für kirchenrechtliche Ansprüche (VG Hamburg 16.5.2006 – 4 K 4989/04 – ev Pfarrerdienstverhältnis). Vgl iÜ § 195 Rn 20, 22.

Anhang zur Vorbemerkung vor § 194 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) Art 229 Weitere Überleitungsvorschriften § 6 Überleitungsvorschrift zum Verjährungsrecht nach dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (1) Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Verjährung in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung finden auf die an diesem Tag bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche Anwendung. Der Beginn, die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung bestimmen sich jedoch für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2002 nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung. Wenn nach Ablauf des 31. Dezember 2001 ein Umstand eintritt, bei dessen Vorliegen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der vor dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung eine vor dem 1. Januar 2002 eintretende Unterbrechung der Verjährung als nicht erfolgt oder als erfolgt gilt, so ist auch insoweit das Bürgerliche Gesetzbuch in der vor dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung anzuwenden. (2) Soweit die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung anstelle der Unterbrechung der Verjährung deren Hemmung vorsehen, so gilt eine Unterbrechung der Verjährung, die nach den anzuwendenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der vor dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung vor dem 1. Januar 2002 eintritt und mit Ablauf des 31. Dezember 2001 noch nicht beendigt ist, als mit dem Ablauf des 31. Dezember 2001 beendigt, und die neue Verjährung ist mit Beginn des 1. Januar 2002 gehemmt. (3) Ist die Verjährungsfrist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung länger als nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung, so ist die Verjährung mit dem Ablauf der im Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung bestimmten Frist vollendet. (4) Ist die Verjährungsfrist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung kürzer als nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung, so wird die kürzere Frist von dem 1. Januar 2002 an berechnet. Läuft jedoch die im Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung bestimmte längere Frist früher als die im Bürgerlichen Gesetzbuch in der seit diesem Tag geltenden Fassung bestimmten Frist ab, so ist die Verjährung mit dem Ablauf der im Bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung bestimmten Frist vollendet. (5) Die vorstehenden Absätze sind entsprechend auf Fristen anzuwenden, die für die Geltendmachung, den Erwerb oder den Verlust eines Rechts maßgebend sind. (6) Die vorstehenden Absätze gelten für die Fristen nach dem Handelsgesetzbuch und dem Umwandlungsgesetz entsprechend.

1. Art 229 § 6 wurde eingefügt durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v 26.11.2001 (BGBl I 1 3138). Nach Art 229 § 5 S 1 (Anh Einl § 241) würden die neuen Verjährungsvorschriften nicht für Schuldverhältnisse gelten, die vor dem 1.1.2002 entstanden sind. Dafür bliebe es beim alten Recht. Das soll für die in Art 229 § 6 geregelten Fragen des Verjährungsrechts nicht gelten. Für die in § 6 nicht angesprochenen Fragen des Verjährungsrechts bleibt es hingegen bei der Regelung in § 5. Das betrifft vor allem die Fragen nach der Gültigkeit von Vereinbarungen über die Verjährung und den Verzicht auf die Einrede der Verjährung (BGH NJW 2010, 602, 603; BAG 122, 304; BAG 19.1.2010 – 3 AZR 191/08). In Ansehung der in § 6 geregelten Aspekte soll dagegen das modernisierte Verjährungsrecht nach § 6 I 1 auch für bestimmte Altansprüche gelten. Diese Abweichung von dem Grundsatz „alte Verträge – altes Recht“ ist auf den ersten Blick überraschend. Gerade beim Verjährungsrecht würde man die Anwendung des Grundsatzes im Hinblick auf den Vertrauensschutz am ehesten erwarten. Dann aber würden die verjährungsrechtlich relevanten Tatbestände eine je nach dem betroffenen Anspruch unterschiedliche rechtliche Wertigkeit haben. Dies würde den Rechtsverkehr erheblich beeinträchtigen. Deshalb haben schon Art 169 bei Einführung des BGB am 1.1.1900 und Art 231 § 6 bei seiner Einführung in den neuen Ländern die Anwendung des neuen Verjährungsrechts auch für Altverträge bestimmt. Diesem Muster folgt Art 229 § 6. In § 6 I 1 bestimmt er den Grundsatz und in § 6 I 2, 3 und II–VI die im Hinblick auf den Vertrauensschutz erforderlichen Ausnahmen. Das neue Verjährungsrecht gilt danach auch für am 1.1.2002 nicht verjährte Altansprüche. Die Vorschrift erfasst aber auch am 1.1.2002 noch nicht entstandene Neuansprüche aus Altschuldverhältnissen. Sie würden zwar grds auch ohne die Anwendung von § 6 den neuen Regelungen unterfallen; es bedarf aber der Klarstellung, dass sich die maßgeblichen Fristen und die Fortwirkungen alter fristrelevanter Tatbestände ab dem 1.1.2002 nach neuem Recht richten (BGH 162, 30, 34f; BGH WM 2006, 345, 346; 2014, 1670 Rn 43; NJW-RR 2008, 459; Bamberg ZErb 2006, 179 Rn 16; Stuttgart WM 2010, 1330, 1332; missverständlich, aber dasselbe meinend: BGH FamRZ 2016, 39 Rn 16). Die Übergangsregelungen sind disposi-

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tiv. Die Parteien konnten etwas Anderes vereinbaren. Eine abw Regelung kann sich auch im Wege erg Vertragsauslegung ergeben (BGH NJW 2010, 1956, 1957 Rn 13, 15). 2. § 6 I 1 erfasst Ansprüche aller Art Er erfasst also nicht nur Ansprüche aus zivilrechtlichen Verträgen oder aus dem BGB. Das schließt Ansprüche aus dem Arbeitsrecht ein (LAG Köln 4.3.2005 – 4 Sa 1198/04). Erfasst werden vielmehr auch Ansprüche, die auf dem BGB aufbauen (zB Ansprüche gegen Steuerberater, dazu BGH MDR 2007, 835) oder auf die die Vorschriften des BGB über die Verjährung aufgrund pauschaler oder spezieller Verweisung Anwendung finden (BT-Drs 14/6040, 273). Zum Verjährungsrecht des BGB gehören nicht nur das materielle Verjährungsrecht im BGB selbst, sondern auch die Vorschriften, die seine intertemporale Geltung regeln. Entspr gilt, wenn Regeln des IPR oder Art 3 CISG-VertrG auf dt Verjährungsstatut verweisen (Zweibrücken IHR 2002, 67). Weil eine solche Verweisung bei den Fristen des HGB und des UmwG nicht vorhanden und auch nicht unter Anwendung von Art 2 EGHGB zu konstruieren ist, ist im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens dem § 6 der Abs VI angefügt worden (BT-Drs 14/7052, 207), der deshalb auch nur das HGB und das UmwG anspricht. Deshalb ist das Überleitungsrecht für die Verjährung von Ansprüchen außerhalb des BGB im EGBGB zu suchen, wenn dort eine Verweisung auf das Verjährungsrecht des BGB enthalten ist. Das ist zB auch bei § 17 KostO der Fall. Deshalb richtet sich das Überleitungsrecht nicht nach dem hierfür nicht bestimmten § 161 KostO (so aber MüKo/Grothe4 Vor § 194 Rn 45; Amann aaO, 338), sondern nach § 6. Art 229 § 6 I–IV gilt nach § 102 VwVfG entspr für die mit der Änderung von § 53 VwVfG bewirkten Änderungen (dazu BVerwG NVwZ 2017, 56 Rn 44). Sie ist, soweit im öffentlichen Recht auch auf die Verjährungsfristen des BGB zurückgegriffen wird (dazu Vor § 194 BGB Rn 17), ebenfalls anzuwenden (VG Bayreuth 27.10.2015 – B 5 K 14.242, juris Rn 37, 40; VG Berlin 9.10.2015 – 26 K 316.13, juris Rn 31; VG München 10.2.2015 – M 2 K 14.2914, juris Rn 49). Da die Regelungen in Art 169, 231 § 6 und Art 229 § 6 auf einheitlichen Grundprinzipien aufbauen, auf die der Gesetzgeber auch später angeknüpft hat (Art 229 §§ 12, 23, 31), können sie auch zur Lösung von Überleitungsfragen im Zusammenhang mit der übergangsregelungslosen Änderung von Verjährungsvorschriften herangezogen werden (Druckenbrodt NJW 2015, 37849 und Piekenbrock NJW 2016, 1350). Für Ansprüche, die am 1.1.2002 bereits verjährt waren, bleibt es bei dem Grundsatz des § 5 S 1 und damit bei der Anwendung des alten Verjährungsrechts (LG Aachen WM 1974, 208; Staud/Peters Rn 3). Für alle nach diesem Zeitpunkt entstehenden Ansprüche gilt das neue Verjährungsrecht im Umkehrschluss aus § 5 S 1 schon aufgrund seines Inkrafttretens. Dasselbe gilt für Ansprüche, die am 1.1.2002 noch nicht bestehen, etwa weil sie noch nicht fällig sind, aber auf ein Schuldverhältnis zurückgehen, das schon vorher entstanden war. Hier würde zwar § 5 S 1 seinem Wortlaut nach wieder eingreifen. Das entspricht aber ebenso wenig wie bei Art 231 § 6 dem Zweck des Gesetzes. Die Vorschrift ist teleologisch erweiternd auszulegen und auch auf solche Ansprüche anzuwenden (BGH 129, 282, 287; 162, 30, 35; BGHRp 2006, 277; Naumburg OLG-NL 1995, 151, 153; Dresden OLG-NL 2000, 179, 181; Koblenz NJW-RR 2010, 778; NK/Budzikiewicz Rn 13; MüKo/Grothe4 Vor § 194 Rn 36; Pal/Ellenberger Rn 3; Staud/Peters Rn 5; aA Gsell NJW 2002, 1297, 1302, 1303). Eine Einschränkung ergibt sich bei Dauerschuldverhältnissen aus Art 229 § 5 (vgl Anh Einl § 241 Rn 10a). 3. Nach § 6 I 1 findet das neue Verjährungsrecht einschl der Vorschriften über die Verjährbarkeit von Ansprüchen (RG 136, 427, 429; Brandenburg OLG-NL 1995, 132, 135; Staud/Kanzleiter/Hönle Art 169 Rn 5) auch auf die am 1.1.2002 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche Anwendung. Aus welchem Grund die Verjährung nicht eingetreten war, ist unerheblich. Maßgeblich ist die neue Frist (aM LG Potsdam BauR 2006, 721). Findet der altrechtliche Anspruch im neuen Recht keine unmittelbare Entsprechung, ist maßgebliche die Frist für den neurechtlichen Anspruch, der dem altrechtlichen funktionell entspricht (BGH MDR 2015, 641 Rn 6, 16: für Ansprüche aus §§ 440, 326 BGB aF ist das § 438 BGB). Die neue Frist ist auch maßgeblich, wenn das neue Recht neue Regelungen für die Modalitäten der Verjährung einführt, die für den Anspruch bisher nicht gegolten haben, zB die Hemmung durch Verhandlung nach § 203 BGB (BGH MDR 2007, 835; NK/Budzikiewicz Rn 34) oder § 497 III 3 BGB (BGH 189, 104, 109 Rn 17). Solche neuen Tatbestände können auch auf Sachverhalten aufbauen, die unter altem Recht entstanden sind und unter neuem Recht fortdauern (Staud/Rauscher13 Art 231 § 6 Rn 38). Bsp: Verhandlungen, die unter altem Recht begannen und nach dem 31.12.2001 andauern, begründen ab dem 1.1.2002 eine Hemmung nach § 203 BGB (Pal/Ellenberger Rn 7; Staud/Peters Rn 17), die Hemmung nach § 207 BGB aufgrund eines schon vor dem 1.1.2002 bestehenden familiären Verhältnisses oder der Wechsel von der einseitigen zur beidseitigen Ablaufhemmung in § 210 BGB (aM ohne Begr Celle OLGRp 2002, 248f: Anfechtungsfrist nach § 1600b BGB). Eine Verlängerung der gesetzlichen Verjährungsfrist war vor dem 1.1.2002 grds unzulässig (§ 225 BGB aF). Lief die gesetzliche Verjährungsfrist vor diesem Datum ab, bleibt es dabei. Läuft sie später ab, ist es im Grundsatz nicht anders, auch wenn solche Vereinbarungen jetzt zulässig sind, und zwar auch für Verjährungsfristen, die unter altem Recht begonnen haben. Denn eine wegen Verstoßes gegen eine Verbotsnorm nichtige Vereinbarung bleibt auch bei späterer Aufhebung des Verbotsgesetzes nichtig (BGH 11, 59, 60; MDR 1997, 571, 572; Düsseldorf OLGRp 1997, 22; BaRo/Wendtland § 134 BGB Rn 21; Pal/Ellenberger § 134 BGB Rn 12a; vgl auch BGH WM 2013, 533). Für die Aufhebung des Verlängerungsverbots des § 225 BGB aF ist nichts Anderes bestimmt (aA für den Fall, dass die Verjährung noch nicht eingetreten ist, NK/ Budzikiewicz Rn 50, 51). Anders ist es, wie auch sonst (BGH 11, 59, 60), wenn die Parteien eine solche Verlängerungsvereinbarung unter neuem Recht bestätigen (§ 141 BGB). Sie gilt dann für die Zukunft, aber eben nur, wenn der Bestätigungswille irgendwie deutlich wird.

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4. Nach § 6 I 2 bestimmen sich der Beginn, die Hemmung und der Neubeginn der Verjährung für den Zeitraum vor dem 1.1.2002 nach dem BGB in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung, wobei unter „Neubeginn“ nach der früheren Terminologie die Unterbrechung der Verjährung zu verstehen ist. Dies entspricht Art 169 I 2 und Art 231 § 6 I 2. Zu den Vorschriften über den Verjährungsbeginn gehört auch der frühere § 201 BGB aF. Das bereitet entgegen Gsell NJW 2002, 1297, 1301f auch bei Ansprüchen, die im Laufe des Jahres 2001 entstanden sind, keine Schwierigkeiten. Denn die Verjährung solcher Ansprüche begann mit dem Ablauf des Jahres 2001, also am 31.12.2001, 24:00 Uhr (Pal/Heinrichs61 § 201 Rn 1, allg M) und nicht erst mit Beginn des Jahres 2002. Im Rahmen von § 6 I gilt nichts Anderes (Köln OLGRp 2007, 61, 63). Diese Tatbestände müssen unter altem Recht verwirklicht worden sein. Verwirklichen sie sich erst unter neuem Recht, beurteilen sich auch die Wirkungen nach neuem Recht. § 167 ZPO gilt im Rahmen des § 6 I nicht (LG Bochum IBR 2005, 245). 5. § 6 I 2 könnte zu einem „Überschießen“ des Vertrauensschutzes führen (Schmidt-Räntsch, Das neue Schuldrecht Rn 1217). Die bisherigen Verjährungsvorschriften des BGB sehen vielfach vor, dass bei Vorliegen bestimmter Umstände die Unterbrechung der Verjährung als nicht erfolgt gilt. Die wichtigste Regelung ist die des § 212 I BGB aF. Danach gilt die Unterbrechung durch Klageerhebung als nicht erfolgt, wenn die Klage zurückgenommen oder durch ein nicht in der Sache selbst entscheidendes Urt rechtskräftig abgewiesen wird. Nach § 6 I 2 würde die Unterbrechung unter neuem Recht erhalten bleiben, während sie nach altem Recht entfallen wäre. Für eine solche Begünstigung gibt es keinen sachlichen Grund. Der Vertrauensschutz lässt sich hierfür jedenfalls nicht in Anspruch nehmen. Deshalb soll § 6 I 3 dies unterbinden (BT-Drs 14/7052, 207). Die Vorschrift bestimmt, dass eine aufgrund einer vor dem 1.1.2002 bewirkten Unterbrechung eingetretene Hemmung der Verjährung rückwirkend entfällt, wenn nach Ablauf des 31.12.2001 ein Umstand eintritt, der die Unterbrechungswirkung nach früherem Recht hätte entfallen lassen. Dabei sind die Tatbestände des früheren Rechts unverändert anzuwenden (BGH NJW 2007, 2034, 2035; NJW-RR 2006, 948, 949; Köln OLGRp 2007, 61, 63f). § 6 I 3 enthält eine ebensolche Klarstellung auch für den umgekehrten Fall, dass nämlich eine vor dem 1.1.2002 bewirkte Unterbrechung rückwirkend durch einen nach Ablauf des 31.12.2001 eintretenden Umstand als erfolgt gilt. Bsp hierfür ist § 212 II BGB aF: Wenn der Gläubiger nach Zurücknahme der Klage oder ihrer Abweisung durch Prozessurteil binnen sechs Monaten von neuem Klage erhebt, gilt die Verjährung als durch die Erhebung der ersten Klage unterbrochen. Auch insoweit ist das frühere Recht unverändert maßgeblich. Ein anderes Bsp ist der Fall, dass die Zustellung der vor dem 1.1.2002 erhobenen Klage iSd § 167 ZPO „demnächst“ nach diesem Zeitpunkt erfolgt (BGH BGHRp 2008, 713, 714). 6. § 6 II trägt dem Umstand Rechnung, dass das neue Verjährungsrecht nur noch den Neubeginn und die Hemmung, nicht aber die für bestimmte Zeit dauernde Unterbrechung kennt. Dies würde zu der Frage führen, ob eine Unterbrechung nach dem 31.12.2001 andauern kann und unter welchen Voraussetzungen sie ggf endet. Diese Frage beantwortet § 6 II in dem Sinne, dass die altrechtliche Unterbrechung als Hemmung andauert und unter den für den jew Hemmungstatbestand im neuen Recht bestimmten Voraussetzungen endet (BGH VersR 2006, 533; Düsseldorf BauR 2006, 996; KG KGRp 2006, 257). Dies erreicht Abs II in zwei Schritten (SchmidtRäntsch aaO): Im ersten Schritt wird die Unterbrechung alten Rechts mit dem Ablauf des 31.12.2001 kraft Gesetzes beendet, auch wenn sie nach altem Recht noch nicht beendet gewesen wäre. Das hat, wie sich aus Abs II Hs 2 ergibt, zur Folge, dass mit dem 1.1.2002 die Verjährung als Folge der beendeten Unterbrechung vollständig neu beginnt (Frankfurt MDR 2013, 393; aM Zimmermann NJW 2013, 1644, 1646). Gleichzeitig tritt kraft Gesetzes aufgrund des alten Unterbrechungstatbestandes eine Hemmung nach dem entspr Hemmungstatbestand des neuen Rechts ein. Die Wirkung dieser Hemmung richtet sich nach neuem Recht. Eine altrechtliche Unterbrechung durch Klage wird also durch Gesetz mit dem 31.12.2001 beendet, auch wenn das Verfahren noch andauert. Eben dieses Verfahren löst aber auch kraft Gesetzes ab dem 1.1.2002 eine Hemmung aus, wie sie § 204 BGB nF für die Klage vorsieht (BGH NJW 2007, 2034, 2035). Das gilt nicht, wenn die Unterbrechung alten Rechts gem § 6 I 3 als nicht eingetreten gilt (BGH NJW 2007, 2034, 2035). 7. § 6 III und IV bestimmt, welche Fristen in der Übergangsphase maßgeblich sein sollen. Die Regelungen bauen auf Art 169 und Art 231 § 6 auf (§ 6 IV), enthalten aber zusätzliche Bestimmungen, für die es in den genannten Überleitungsvorschriften kein Vorbild gibt (Schmidt-Räntsch aaO Rn 1219). Die Regelung dient dem Schutz des Schuldners und bestimmt, dass die Verjährung eines Anspruchs, für den nach bisherigem Recht eine kürzere Verjährungsfrist galt als jetzt, mit dem Ablauf der alten Frist vollendet ist. So verbleibt es, um den wichtigsten Anwendungsfall zu nennen, bei den am 1.1.2002 bestehenden und noch nicht verjährten kaufvertraglichen Gewährleistungsansprüchen bei der sechsmonatigen Verjährungsfrist nach § 477 I BGB aF. Das gilt auch, wenn der spätere Anspruch seine Grundlage in einem Vertrag hat, der vor dem 1.1.2002 entstanden ist. Ein solcher Anspruch unterliegt dem neuen Verjährungsrecht nicht als neurechtlicher Anspruch, sondern gem § 6 I 1 als altrechtlicher Anspruch (vgl Rn 3). Dann gilt aber auch die Ausnahme des § 6 III (BGH BGHRp 2006, 277, 278; MüKo/Grothe4 Vor § 194 Rn 41; Pal/Ellenberger Rn 5; PWW/Kesseler Rn 4; i Erg ebenso Amman in Amman/ Brambring/Hertel, Vertragspraxis nach neuem Schuldrecht2 2003, 431; Gsell NJW 2002, 1297, 1303; aM NK/ Budzikiewicz Rn 14f). Der umgekehrte Fall trat bei Einführung des BGB am 1.1.1900 und in den neuen Ländern am 3.10.1990 ebenfalls auf. Die Lösung dieses Falls in § 6 IV orientiert sich nahezu wörtlich an jenen Vorschriften (Art 169 II, Art 231 § 6 II). Ist die neue Frist für den Anspruch kürzer als die alte, wäre sie uU schon mit dem Inkrafttreten abgelaufen. Das wäre aber unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht vertretbar. Deshalb bestimmt § 6 IV 1 nach dem Vorbild von Art 169 II 1, Art 231 § 6 II 1, dass die kürzere Frist zwar gelten, aber erst Schmidt-Räntsch

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am 1.1.2002 zu laufen beginnen soll (PWW/Kesseler Rn 5). Bei dem Fristenvergleich sind bei der regelmäßigen Verjährungsfrist sowohl die objektiven als auch die subjektiven Elemente und auch die Höchstfristen des § 199 II– IV zu berücksichtigen (NK/Budzikiewicz Rn 61f; Pal/Ellenberger Rn 6; Gsell NJW 2002, 1297, 1298). Nach dem Wortlaut der Vorschrift würde die neue Frist unabhängig von dem Entstehen des Anspruchs und der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners zu laufen beginnen. Das würde aber dem Ziel der Vorschrift zuwiderlaufen, dem Schuldner zum Ausgleich der Verkürzung der Verjährungsfrist eine ausreichend lange Überlegungszeit zur Verfügung zu stellen. Deshalb kann die Vorschrift wörtlich nur angewandt werden, wenn diese beiden Umstände am 1.1.2002 gegeben waren. Lagen sie nicht vor, beginnt die Verjährungsfrist erst, wenn sie nach den neuen Vorschriften beginnen würde (BGH 171, 1, 8f m zust Anm Kesseler BGHRp 2007, 433f; NJW-RR 2008, 258, 260; WM 2009, 542, 545; BVerwG NVwZ 2017, 56 Rn 47; Celle ZGS 2007, 195; München NJW-RR 2007, 1097; Saarbrücken NJW-RR 2009, 128, 130; Pal/Ellenberger Rn 6; Gsell NJW 2002, 1297, 1298f; Hess NJW 2002, 253, 258; Schulte-Nölke/ Hawxwell NJW 2005, 2118, 2120; Schmidt NJW 2007, 2447, 2448; aM Celle OLGRp 2007, 24, 26; Assmann/Wagner ZfIR 2007, 562, 565f). Lag die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis am 1.1.2002 aber vor, dann gilt die neue Frist, auch wenn die alte Frist länger war oder zB wegen einer zwischenzeitlichen Hemmung später abgelaufen wäre (aM Piekenbrock wie vor [Rn 2]). Dafür genügt es nicht, dass die Kenntnis vor dem 1.1.2002 irgendwann einmal vorgelegen hat; sie muss vielmehr am 1.1.2002 noch vorgelegen haben (BGH MDR 2012, 595, 596 Rn 17f). Die sog Ultimo-Verjährung findet nur im zuerst genannten Fall, nicht aber dann Anwendung, wenn der Anspruch am 1.1.2002 entstanden war und der Gläubiger zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners hatte oder infolge grob fahrlässiger Unkenntnis nicht hatte (Köln OLGRp 2007, 61, 63f; Düsseldorf NJW-RR 2005, 1495f; NK/Budzikiewicz Rn 63; dies in Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, Das neue Schuldrecht, § 14 Rn 29; Hess NJW 2002, 253, 258; Schulte-Nölke/ Hawxwell NJW 2005, 2118; aM Staud/Peters [Bearb 2003] Art 229 § 6 EGBGB Rn 11; Kandelhard NJW 2005, 630). Die vorstehenden Überlegungen gelten sinngemäß, wenn der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist in Sondervorschriften hinausgeschoben ist. Bsp sind § 695 S 2 und § 696 S 3 BGB. 10 Läuft jedoch die nach den bisherigen Vorschriften bestimmte längere Frist früher als die Frist des neuen Verjährungsrechts des BGB ab, so bestimmt Abs IV S 2, dass die Verjährung mit dem Ablauf der längeren bisherigen Frist vollendet ist. Ein Bsp wäre ein Anspruch aus pVV, dessen bisherige Verjährungsfrist von 30 Jahren schon bis auf einen Rest von zwei Jahren abgelaufen ist. Hier bleibt es bei den zwei Jahren. Ein anderes Bsp wären Ansprüche auf Rückzahlung überzahlter Mieten, deren Verjährung nach § 197 BGB aF vor Erlangung der Kenntnis vom Überzahlungsgrund gem § 199 BGB ablief (BGH NJW 2011, 3573) oder Ansprüche wegen Zinsverlusten, die nach § 197 BGB aF verjährten (BGH WM 2014, 1670 Rn 43). Auch das entspricht den früheren Überleitungsvorschriften (Art 169 II 2, Art 231 § 6 II 2). 10a § 6 IV gilt nicht nur für die originären Verjährungsfristen, sondern auch für die Höchstverjährungsfristen nach § 199 II–IV BGB. Hier stellt sich das gleiche Problem. Vor allem die im Vergleich zur früheren regelmäßigen Verjährungsfrist von 30 Jahren deutlich kürzere Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren nach § 199 IV BGB kann schon vor Inkrafttreten der neuen Verjährungsregelung abgelaufen sein. Das muss durch einen hinausgeschobenen Verjährungsbeginn verhindert werden. 11 8. Nach Abs V sind die Abs I–III entspr auf Fristen anzuwenden, die für die Geltendmachung, den Erwerb oder den Verlust eines Anspruchs oder Rechts maßgebend sind. Zu den wichtigsten Anwendungsfällen gehören die Ausschlussfristen für die Anfechtung nach den alten und neuen §§ 121 und 124 BGB. Erfasst werden ferner die Ersitzungsfristen, die aber im sachlichen Ergebnis nicht geändert worden sind. Jedenfalls kraft Verweisung gehört zB auch die Anfechtungsfrist nach § 1600b BGB hierher (insoweit zutr Celle OLGRp 2002, 248). Auch das entspricht den früheren Überleitungsvorschriften: Art 185 iVm Art 169, Art 231 § 6 III). Entspr gilt nach Abs VI für Ausschlussfristen nach HGB (Ott MDR 2002, 1, 2). § 12 Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (1) Auf die Verjährungsfristen gemäß den durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3214) geänderten Vorschriften 1. im Arzneimittelgesetz, 2. im Lebensmittelspezialitätengesetz, 3. in der Bundesrechtsanwaltsordnung, 4. in der Insolvenzordnung, 5. im Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. im Gesetz zur Regelung der Wohnungsvermittlung, 7. im Handelsgesetzbuch, 8. im Umwandlungsgesetz, 9. im Aktiengesetz, 10. im Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 11. im Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, 12. in der Patentanwaltsordnung, 13. im Steuerberatungsgesetz, 14. in der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden, 15. in der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden, 16. in der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser,

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Übergangsrecht – Art 229 §§ 6, 12 23 EGBGB

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in der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme, im Rindfleischetikettierungsgesetz, in der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung und in der Verordnung über die Allgemeine Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie für den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen ist § 6 entsprechend anzuwenden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. An die Stelle des 1. Januar 2002 tritt der 15. Dezember 2004, an die Stelle des 31. Dezember 2001 der 14. Dezember 2004. (2) Noch nicht verjährte Ansprüche, deren Verjährung sich nach Maßgabe des bis zum 14. Dezember 2004 geltenden Rechts nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmt hat und für die durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts längere Verjährungsfristen bestimmt werden, verjähren nach den durch dieses Gesetz eingeführten Vorschriften. Der Zeitraum, der vor dem 15. Dezember 2004 abgelaufen ist, wird in die Verjährungsfrist eingerechnet.

Art 229 § 12 wurde durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v 9.12.2004 (BGBl I 3214) eingefügt. Damit sind die besonderen Verjährungsfristen in den in Art 229 § 12 I genannten Vorschriften weitgehend aufgehoben und durch die regelmäßige Verjährungsfrist ersetzt worden. Bei dieser Umstellung ergeben sich die gleichen Überleitungsfragen wie bei dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts. Deshalb wollte der Gesetzgeber hierfür so weit wie möglich auf das Regelungsmodell des § 6 zurückgreifen (Entwurfsbegründung in BT-Drs 15/3653, 16). Daher gelten nach Abs I auch die Überleitungsvorschriften des § 6 entspr. Sie betreffen, wie die Regelung des § 6, selbst nur die Verjährung von Ansprüchen, die vor dem Inkrafttreten der Änderung entstanden waren. Für nach dem 14.12.2004 entstandene Ansprüche aus einem Schuldverhältnis, das seinerseits vor dem 15.12.2004 begründet wurde, gilt allein das neue Recht (BGH ZIP 2014, 2043 Rn 9; 2017, 617 Rn 9; Stuttgart WM 2010, 1330, 1332). Die von der Änderung des Verjährungsrechts betroffenen Vorschriften werden einzeln aufgeführt. Das war bei § 6 nicht nötig, weil von der Grundänderung des Verjährungsrechts nur das Verjährungsrecht des BGB und dasjenige Verjährungsrecht betroffen war, das auf das BGB und damit auch auf die dazu gehörenden Überleitungsbestimmungen verwies. Bei der Anpassung des sonstigen Verjährungsrechts an das neue Verjährungsrecht war es nötig, diese Vorschriften selbst anzusprechen, weil sie gerade nicht auf das Verjährungsrecht des BGB verwiesen. Ist danach das frühere Verjährungsrecht anzuwenden, gilt das für alle Ansprüche alten Rechts. Ein Anwendungsfall sind Ansprüche aus Rechtsanwalts- oder Steuerberaterhaftung, die nach § 51b BRAO aF, § 68 StBerG aF kürzer als nach §§ 195, 199 BGB verjährte. Für sie gilt nach Abs I § 6 III mit der Folge, dass das alte Recht maßgeblich bleibt. Das gilt dann auch für Ansprüche aus der Sekundärhaftung (BGH NJW 2009, 1350, 1351; WM 2010, 372 Rn 7 [RA], 2050 Rn 37 [StB] und 2284 Rn 8 [StB]; ZIP 2017, 617 Rn 9; Köln 5.1.2015 – 15 U 162/14, juris Rn 13). Wie bei § 6 ist auch bei den 2004 auf das neue Verjährungsrecht umgestellten Verjährungsvorschriften die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Anpassungsgesetzes mit der Rechtslage danach zu vergleichen. Maßgeblicher Stichtag ist dabei nicht mehr das Inkrafttreten des SchuldRModG (1.1.2002), sondern dasjenige des Anpassungsgesetzes (15.12.2004). Die geltenden Vorschriften des BGB sind dabei zT mit den nachträglich angepassten Verjährungsvorschriften des BGB in ihrer bis dahin geltenden Fassung, überwiegend aber mit dem früheren Sonderverjährungsrecht außerhalb des BGB zu vergleichen. Das gilt nicht nur dann, wenn das Sonderverjährungsrecht geändert, sondern auch dann, wenn es aufgehoben wird und so der Anwendung der regelmäßigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB Raum gibt. Nicht alle der mit dem Anpassungsgesetz von 2004 angepassten Verjährungsvorschriften enthalten eine vollständige Regelung des Verjährungsrechts. Oft beschränken sie sich auf die Festlegung einer besonderen Verjährungsfrist. Wegen der weiteren Einzelheiten verweisen sie explizit oder stillschw auf das BGB. Diese Verweisungen sind schon durch § 6 mWv 1.1.2002 auf das neue Verjährungsrecht übergeleitet worden. Daran ändert § 12 nichts (Entwurfsbegr aaO). Das Anpassungsgesetz sieht im Handels- und Gesellschaftsrecht eine Ersetzung der regelmäßigen durch eine inhaltlich an § 199 IV BGB ausgerichtete Sonderverjährung vor, weil sich dort die Änderung der regelmäßigen Verjährung als unpraktikabel erwiesen hatte. Dies betrifft die Haftung für Einlagen. Hier bedurfte es einer neuen Überleitungsregelung, die § 6 nicht enthält. Sie ist in Abs II enthalten und bestimmt, dass sich entspr noch nicht abgelaufene Fristen kraft Gesetzes verlängern. Allerdings wird die bereits abgelaufene Verjährungsfrist auf die neue längere Frist angerechnet, Abs II S 2. Die Vorschrift ist zu weit gefasst. Die nach dem Wortlaut vorzunehmende uneingeschränkte Anrechnung ist bei noch nicht verjährten Einlageforderungen der GmbH in Altfällen verfassungskonform dahin auszulegen, dass in die ab 15.12.2004 laufende neue zehnjährige Verjährungsfrist des § 19 VI GmbHG lediglich die seit Inkrafttreten des SchuldRModG, mithin ab 1.1.2002 verstrichenen Zeiträume der zuvor geltenden dreijährigen Regelfrist des § 195 BGB nF einzurechnen sind (BGH BGHRp 2008, 646; NJWRR 2008, 1254, 1255). Die Vorschrift gilt der Sache nach auch für die Änderung der Einlagenverjährung im AktG. Da dort aber noch besondere Vertrauensschutzregelungen erforderlich waren und das AktG ein eigenes Einführungsgesetz hat, ist die Überleitungsregelung dort als § 26e EGAktG eingestellt. Diese Vorschrift lautet: § 26e EGAktG Übergangsregelung zum Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts § 327 Abs. 4 des Aktiengesetzes in der ab dem 15. Dezember 2004 geltenden Fassung ist auf vor diesem Datum entstandene Verbindlichkeiten anzuwenden, wenn 1. die Eintragung des Endes der Eingliederung in das Handelsregister nach § 10 des Handelsgesetzbuchs nach diesem Datum bekannt gemacht worden ist und

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2. die Verbindlichkeiten nicht später als vier Jahre nach dem Tag, an dem die Eintragung des Endes der Eingliederung in das Handelsregister nach § 10 des Handelsgesetzbuchs bekannt gemacht worden ist, fällig werden. Auf später fällig werdende Verbindlichkeiten im Sinne des Satzes 1 ist das bisher geltende Recht mit der Maßgabe anwendbar, dass die Verjährungsfrist ein Jahr beträgt.

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Im Vorgriff auf das Verjährungsanpassungsgesetz ist die den Regelungen der §§ 51a BRAO, 68 StBerG entspr Sonderverjährungsvorschrift für Wirtschaftsprüfer (§ 51a WPO) aufgehoben worden. Die Überleitungsregelungen hierfür enthält § 139b WPO. Die Vorschrift entspricht inhaltlich §§ 6, 12 und lautet: § 139b WPO Übergangsregelung für den bis zum 31. Dezember 2003 geltenden § 51a (1) Die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet auf die am 1. Januar 2004 bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche des Auftraggebers auf Schadensersatz aus dem zwischen ihm und dem Wirtschaftsprüfer bestehenden Vertragsverhältnis Anwendung. (2) Die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird vom 1. Januar 2004 an berechnet. Läuft jedoch die bis zu diesem Tag geltende Verjährungsfrist des § 51a früher als die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ab, so ist die Verjährung mit Ablauf der bis zu diesem Tag geltenden Verjährungsfrist des § 51a vollendet. § 23 Überleitungsvorschrift zum Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts (1) Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Verjährung in der seit dem 1. Januar 2010 geltenden Fassung sind auf die an diesem Tag bestehenden und nicht verjährten Ansprüche anzuwenden. Der Beginn der Verjährung und die Verjährungsfrist bestimmen sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der vor dem 1. Januar 2010 geltenden Fassung, wenn bei Anwendung dieser Vorschriften die Verjährung früher vollendet wird als bei Anwendung der entsprechenden Vorschriften nach Satz 1. (2) Bestimmen sich der Beginn und die Verjährungsfrist nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der seit dem 1. Januar 2010 geltenden Fassung, beginnt die Frist nicht vor dem 1. Januar 2010. Läuft die nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der vor dem 1. Januar 2010 geltenden Fassung bestimmte Verjährungsfrist früher ab als die Verjährungsfrist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch in der seit dem 1. Januar 2010 geltenden Fassung, ist die Verjährung mit Ablauf der Frist nach den vor dem 1. Januar 2010 geltenden Vorschriften vollendet. (3) Die Hemmung der Verjährung bestimmt sich für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2010 nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung. (4) (nicht abgedruckt)

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1. Art 229 § 23 wurde durch das Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts (ErbRÄndG) v 24.9.2009 (BGBl I 3142) eingefügt. Das ErbRÄndG löst in der Sache einen Überleitungsbedarf nur für die Verjährung der familien- und erbrechtlichen Ansprüche aus, für die die Verjährungsfrist von bisher 30 Jahren auf drei Jahre mit den in § 199 BGB und den verschiedenen erbrechtlichen Abweichungen hiervon reduziert wird. Bei der Ausgestaltung der Überleitungsvorschrift hat sich der Gesetzgeber aber (wie auch bei den anderen Änderungen im Verjährungsrecht) an den bisherigen Überleitungsvorschriften, insb an Art 229 § 6 orientiert. Die Folge dieser konstruktiven Grundentscheidung ist, dass § 23 keine Überleitungsregelung speziell für die familien- und erbrechtlichen Ansprüche vorsieht, sondern eine allg Überleitungsvorschrift für das Verjährungsrecht an sich. Es erfasst alle Altansprüche, unabhängig davon, ob sie vor dem 1.1.2002 (SchuldRModG), vor dem 15.12.2004 (VerjRÄndG 2004) oder vor dem 1.1.2010 (ErbRÄndG) entstanden sind. § 23 erfasst aber nur Ansprüche, deren Verjährungsfristen durch das ErbRÄndG geändert worden sind, also zB nicht die Verjährung von Ansprüchen eines Betreuers auf Vergütung oder Aufwendungsersatz (BGH NJW-RR 2012, 579, 581 Rn 25) oder die Verjährung des Anspruchs von Schwiegereltern auf Rückgewähr von Schenkungen (BGH FamRZ 2015, 393 Rn 32). Solche Ansprüche unterliegen nach § 23 I 1 dem durch das ErbRÄndG geänderten Verjährungsrecht, wenn sie entstanden, aber nicht verjährt waren (unzutreffend deshalb Karlsruhe ErbR 2013, 324, 327). Waren sie verjährt, bleibt es dabei (Zweibrücken FamRZ 2015, 1196, 1197). Die wesentliche Änderung ergibt sich dadurch für die familien- oder erbrechtlichen Altansprüche. Für sie gilt jetzt nicht mehr die frühere Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 197 I Nr 2 BGB aF, sondern die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren mit der besonderen Höchstverjährungsfrist von 30 Jahren nach § 199 IIIa BGB (Schleswig NJW-RR 2016, 73 Rn 22f: Auskunftsanspruch nach § 2314). Für einige dieser Ansprüche ist auch der Beginn abw von § 199 BGB geregelt (vgl §§ 1302, 1390 III 1, 2287 II, 2332 BGB). Alle diese Regelungen gelten auch für Altansprüche. Diese Änderungen haben für andere als familien- und erbrechtliche Ansprüche inhaltlich keine Bedeutung. Etwas anders liegt es bei der allerdings nicht sehr weit gehenden Änderung des § 207 BGB, der einen Hemmungstatbestand auch für andere als familien- und erbrechtliche Ansprüche begründet. Diese Änderung gilt auch für andere Altansprüche. 2. Abs I S 2 ist das geänderte Verjährungsrecht aber nur anzuwenden, wenn die Verjährung früher vollendet wird als bei Anwendung der geänderten Vorschriften. Damit will der Gesetzgeber den Schutz des Schuldners erreichen (BT-Drs 16/8954, 26). Dieses Ziel hatte der Gesetzgeber auch bei der Einführung des modernisierten Verjährungsrechts durch das SchuldRModG verfolgt. Er hat dazu in Art 229 § 6 III und IV eine Unterscheidung danach getroffen, ob das bisherige Recht eine kürzere Verjährungsfrist vorsah als das neue oder eine längere. Im ersten Fall gilt nach Art 229 § 6 III das alte Recht, im zweiten nach Art 229 § 6 IV 1 mit Modifikationen das neue. Dieses Regelungskonzept hat der Gesetzgeber mit § 23 I 2 und § 23 II in der Sache übernommen. Die bei Art 229 § 6 III und IV mögliche Unterscheidung war hier nur bei der Verkürzung der Verjährung für familien- und erbrechtliche Ansprüche denkbar. Ansonsten scheiterte sie daran, dass die Ansprüche alle der gleichen regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen, es also keine abstrakt kürze oder längere Frist gibt. Deshalb 570

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

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sieht § 23 I 2 zunächst einen konkreten Fristenvergleich vor. Ist danach die bisherige Frist kürzer, bleibt es dabei. Ansonsten gilt die neue Frist, aber mit den Modifikationen des § 23 II. Bei diesem Fristenvergleich ist die frühere Frist unter Berücksichtigung auch der einschlägigen Überleitungsregelungen, insb Art 229 §§ 6 und 12, zu berechnen. Sie ist mit der Verjährungsfrist zu vergleichen, wie sie sich unter unmittelbarer Anwendung des neuen Rechts ergäbe. Dabei wird sich außer bei familien- und erbrechtlichen Ansprüchen herausstellen, dass die Verjährungsfrist nach altem Recht kürzer ist. Dann ist dieses weiter anzuwenden. Es ändert sich für die Berechnung der Verjährungsfrist nichts. Wäre die Frist nach neuem Recht hingegen kürzer, was regelmäßig bei den familien- und erbrechtlichen Ansprüchen der Fall ist, dann gilt das neue Recht, bei familien- und erbrechtlichen Altansprüchen also §§ 195, 199 BGB und nicht der frühere § 197 I Nr 2 BGB aF (Schleswig NJHW-RR 2016, 73 Rn 23 für den Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB). 3. Für die Anwendung des geänderten Verjährungsrechts auf alte Ansprüche bestimmt § 23 II Sonderregelungen, die nahezu wörtlich Art 229 § 6 IV entsprechen und nicht anders auszulegen sind als diese Regelung. Sie verfolgen das gleiche Ziel und regeln das gleiche Problem, nämlich die Anwendung der stark verkürzten neuen Fristen auf in langer Frist verjährende Altansprüche. Die neue Frist beginnt nach § 23 II 1 nicht vor dem 1.1.2010 zu laufen. Mit dem 1.1.2010 beginnt zwar in jedem Fall die Höchstfrist von 30 Jahren (nach § 199 IIIa BGB) zu laufen (BT-Drs 16/8954, 269). Daneben läuft aber auch die regelmäßige Verjährungsfrist, wenn der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen hat oder diese Umstände grob fahrlässig nicht kennt. Es liegt hier nicht anders als bei Art 229 § 6 IV 1. Diese Vorschrift zum Schutz des Gläubigers soll den Schuldner aber nicht ggü dem alten Recht benachteiligen. Deshalb bestimmt § 23 II 2 wie Art 229 § 6 IV 2, dass der Anspruch spätestens mit dem Ablauf der bisherigen Frist verjährt. Erlangt der Gläubiger zB zu einem Zeitpunkt Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen, zu dem die Verjährungsfrist nach § 197 I Nr 2 BGB aF iVm § 200 BGB bereits abgelaufen ist, dann ist der Anspruch unabhängig von § 199 BGB verjährt. 4. Nach § 23 III bestimmt sich die Hemmung der Verjährungsfrist von Altansprüchen vor dem 1.1.2010 nach den bis dahin geltenden Vorschriften des BGB. Zweck der Regelung ist es, das Vertrauen des Gläubigers in bis dahin verwirklichte Hemmungstatbestände und den entspr längeren Lauf der Frist zu schützen. Zu berücksichtigen ist, dass die Regelung auch Uraltansprüche erfasst, die vor dem 1.1.2002 entstanden sind. Bei solchen Ansprüchen bleiben nicht nur Hemmungstatbestände erhalten, die zw dem 1.1.2002 und dem 31.12.2010 verwirklicht worden sind. Vielmehr bleiben auch vor dem 1.1.2002 verwirklichte Hemmungs- und Unterbrechungstatbestände erhalten. Das folgt daraus, dass zu den „Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs“ auch die Überleitungsvorschrift in Art 229 § 6 und § 12, insb Art 229 § 6 I 2 und § 12 I, gehören. Inhaltliche Änderungen bei der Hemmung der Verjährungsfrist ergeben sich im geänderten Verjährungsrecht durch die Änderung des § 207 BGB, der den Kreis der betroffenen Personen etwas anders fasst. Ansonsten stellt § 23 III klar, dass es für die Verwirklichung der Hemmungstatbestände nicht nur auf Tatbestände ankommt, die nach dem 1.1.2010 verwirklicht werden, sondern auch auf solche aus der Zeit davor.

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Gegenstand der Verjährung

(1) Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Anspruch), unterliegt der Verjährung. (2) Ansprüche aus einem familienrechtlichen Verhältnis unterliegen der Verjährung nicht, soweit sie auf die Herstellung des dem Verhältnis entsprechenden Zustandes für die Zukunft oder auf die Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der leiblichen Abstammung gerichtet sind. 1. Die Verjährung setzt dreierlei voraus: a) einen verjährbaren Anspruch (§ 194), b) den Beginn der Verjährung 1 (§§ 199–201), c) den Ablauf der Verjährungsfrist (§§ 195–197, 202–213). § 194 regelt die erste Voraussetzung, den Gegenstand der Verjährung. 2. Abs I enthält die Definition des Anspruchs im BGB. Nur Ansprüche können verjähren. „Anspruch“ ist das 2 Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Es gibt schuldrechtliche, dingliche, familienrechtliche und erbrechtliche Ansprüche. Jeder materiellrechtliche Anspruch beruht auf einem subjektiven Recht oder rechtlich geschützten Interesse. Dieses ist jedoch dem Anspruch nicht gleichzusetzen. Ein Anspruch entsteht erst, wenn dem Berechtigten ein anderer als Verpflichteter gegenübersteht. Rechte, die keine Ansprüche sind, wie zB absolute Rechte oder Gestaltungsrechte, verjähren nicht. An einem der Verjährung zugänglichen Anspruch fehlt es auch, wenn der Schuldner alle zur Erfüllung erforderlichen Leistungshandlungen vorgenommen hat (BGH MDR 2005, 382, 383). 3. Beim relativen Recht, insb einem Schuldverhältnis, ist ein Anspruchsgegner stets vorhanden. Das Schuldver- 3 hältnis als der zur „Erzeugung von Einzelrechten geeignete Organismus“ (Planck/Siber Vorb Allg Schuldverhältnis I, 1) ist von dem aus ihm fließenden Einzelanspruch zu unterscheiden. Der gegenseitige Vertrag ist ein Schuldverhältnis. Aus ihm ergeben sich die wechselseitigen Leistungsansprüche der Parteien. Erschöpft sich das Schuldverhältnis in dem Anspruch, so sind beide Begriffe inhaltlich gleichbedeutend (Staud/Weber10 Einl § 241 Bem C 9). Nichts Anderes gilt bei einseitigen Verträgen. Sie begründen zwar die Leistungspflicht nur einer Partei. Gleichwohl können sich aus einem solchen Schuldverhältnis auch andere Ansprüche ergeben, zB wegen VerSchmidt-Räntsch

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letzung von Pflichten bei oder nach Vertragsschluss (§§ 280 I, 241 II, 311 II, III). Dagegen stimmt der Begriff des Anspruchs mit dem der Forderung überein, wenn man unter ihr nicht das Schuldverhältnis als Gesamtheit aller rechtlichen Beziehungen, sondern das aus ihm entspringende Recht auf die Leistung versteht. Das Schuldverhältnis als solches verjährt nicht (PWW/Kesseler Rn 5). Dies gilt gerade auch für Dauerschuldverhältnisse (BGH NZM 2016, 640 Rn 35; NK/Mansel/Stürner Rn 3). Hier verjähren nur die aus ihm entstehenden Einzelansprüche (BGH LM Nr 51 zu § 138 [Bb]; NJW 2008, 2995, 2996). Dieser Unterschied wird im Hinblick auf § 202 II gerade bei Garantieverträgen bedeutsam (BGH wie vor; § 202 Rn 10). Bei Leibrenten und ähnlichen Verpflichtungen zu wiederkehrenden Leistungen unterliegen nach hM nicht nur die Einzelansprüche der Verjährung, sondern auch das sog Stammrecht (BGH NJW 1973, 1684; RG 136, 427, 430; MüKo/Grothe Rn 3; Pal/Ellenberger Rn 7; PWW/Kesseler Rn 5; aM NK/Mansel/Stürner Rn 4; Staud/Peters/Jacoby Rn 16; Eichel NJW 2015, 3265, 3269). 4. Beim absoluten Recht, zB dem Eigentum oder dem Namensrecht (§ 12), können Ansprüche erst entstehen, wenn sich eine bestimmte Person zu dem Recht in Widerspruch setzt, zB der Besitzer die Sache dem Eigentümer nicht herausgibt (§ 985) oder der unredliche Besitzer sie schuldhaft beschädigt (§§ 990, 989). Ähnlich liegt es bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen, deren Verjährung eine konkrete Zuwiderhandlung voraussetzt (BGH GRUR 1979, 121, 122; i Erg ebenso Köhler JZ 2005, 489, 490). Der Eigentumsherausgabeanspruch verjährt, soweit er nicht nach § 902 unverjährbar ist, nach dreißig Jahren (§ 197 I Nr 2), ohne dass dadurch das Eigentumsrecht hinfällig wird (dominium sine re – RG 138, 296, 300). Dieses kann sogar für den Eigentümer wieder einen Herausgabeanspruch erzeugen in dem seltenen Fall, dass der Dieb seinerseits bestohlen wird (Pal/Ellenberger Rn 4). Der Dieb kann und wird oft auch nach Treu und Glauben gehindert sein, sich auf die Verjährung zu berufen (Wendtland in Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland, Das neue Schuldrecht, 2002, Kap 2 Rn 41). Seines Eigentums selbst kann der bisherige Eigentümer aber im Wege der Ersitzung durch einen gutgläubigen Besitzer verlustig gehen. Dies hat in der Reformdiskussion zu dem Vorschlag geführt, den Eigentumsherausgabeanspruch nicht nur bei Grundstücken und eingetragenen dinglichen Rechten, sondern generell für unverjährbar zu erklären (Siehr ZRP 2001, 346; Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst JZ 2001, 684, 693). Dem ist der Gesetzgeber aus Gründen des Verkehrsschutzes nicht gefolgt (BT-Drs 14/7052, 179). Ausnahmsweise kann die Verjährung eines Anspruchs zum Erlöschen absoluter Rechte führen, nämlich die Verjährung des Rechtsverschaffungsanspruchs zum Erlöschen des zu Unrecht gelöschten Rechts (§ 901) und die Verjährung des Anspruchs auf Beseitigung einer die Dienstbarkeit störenden Anlage zum teilw Erlöschen der Dienstbarkeit (§ 1028 I). Wegen diese einschneidenden Wirkung unterliegt der Beseitigungsanspruch dann aber nicht der sonst maßgeblichen Regelverjährungsfrist der §§ 195, 199 (BGH WM 2011, 1950 Rn 12ff; vgl § 197 Rn 5), sondern entspr § 197 I Nr 2 einer Verjährungsfrist von 30 Jahren (BGH ZfIR 2015, 111 Rn 13, 29). Kein Anspruch ist auch das Recht zum Besitz; es kann nur durch Geltendmachung eines gesetzlichen oder vertraglichen Herausgabeanspruchs ggf iVm der Beendigung des dem Recht zum Besitz zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses beendet werden (RG 138, 296, 298; 144, 378, 381f; NK/Mansel/Stürner Rn 3; MüKo/Grothe Rn 5). 5. Auf rein dingliche, familien- und erbrechtliche Ansprüche können die allg Vorschriften über Schuldverhältnisse unmittelbar oder sinngemäß zur Anwendung kommen, soweit sich nicht aus der besonderen Natur des dinglichen Anspruchs oder aus den mit Rücksicht darauf gegebenen besonderen Vorschriften eine Abweichung ergibt. Anwendbar ist zB § 242 (RG 113, 19; 146, 385), nicht aber § 285 auf den Herausgabeanspruch gegen den redlichen Besitzer (BGH 75, 203, 208; RG 138, 45; 157, 40; Vor § 987 Rn 92; aM RG 105, 84) oder § 328 für Eigentumsübertragungen (RG 106, 1). Zu beachten ist, dass Ansprüche, die durch Verletzung eines dinglichen Rechts entstehen, trotz ihrer Regelung im Sachenrecht keine rein dinglichen, sondern schuldrechtlich geartete Ansprüche sind. Dies zeigt namentlich § 990 II. Auf Schadensersatzansprüche nach §§ 987ff sind deshalb §§ 249–255 anwendbar. 6. Auch unklagbare Ansprüche können verjähren, da es gerade der Zweck der Verjährung ist, ein Eingehen auf die Sache selbst zu erübrigen (vgl Staud/Peters/Jacoby Rn 15; Pal/Ellenberger Rn 2; anders noch Staud/Dilcher12 Rn 34). Gleiches gilt für klagbare, aber vollstreckungsunfähige Ansprüche (§ 888 II ZPO). Auch nicht (mehr) bestehende Ansprüche können verjähren (BGH MDR 2003, 583, 585 gegen KG KGRp 2002, 294). 7. Vom materiellrechtlichen Anspruch des § 194 zu unterscheiden ist der Anspruch im prozessualen Sinne. Der prozessuale Anspruch umfasst sämtliche materiellrechtlichen Ansprüche und Rechte, die sich aus dem durch den Klageantrag und den zu seiner Verfolgung vorgetragenen Tatsachen ergeben. Der prozessuale Anspruch umfasst deshalb meist einen materiellrechtlichen Anspruch; er kann aber auch mehrere materiellrechtlich Ansprüche umfassen. Gegenstand des prozessualen Anspruchs können aber auch ein Recht und die sich aus seiner Wahrnehmung ergebenden Rechtsfolgen sein, zB bei einer Gestaltungs- oder rechtsverneinenden Feststellungsklage. Vereinzelt verwendet die ZPO den Ausdruck „Anspruch“ wie das bürgerliche Recht, zB in §§ 325 III, 592, 688, 916. Der prozessuale Feststellungsanspruch als solcher ist kein Anspruch iSd § 194 I. Er entsteht mit dem Prozessrechtsverhältnis und unterliegt nicht der Verjährung (BGH MDR 2011, 122 m krit Bespr Grote NJW 2011, 1121, 1122; Koblenz NZI 2010, 308, 310). Allerdings kann das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse davon abhängen, ob der festzustellende Anspruch verjährt ist. Kein Anspruch iSd § 194 sind der Justizgewährungsanspruch des Einzelnen gegen den Staat (Zöller/Vollkommer Einl ZPO Rn 48), der früher diskutierte Rechtsschutzanspruch des Einzelnen gegen den Staat (Wach, Hdb I S 12ff; Einzelheiten bei Zöller/Voll572

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 194

kommer Einl ZPO Rn 49) oder das verfassungsmäßige Recht auf effektiven Rechtsschutz (dazu Zöller/Vollkommer Einl ZPO Rn 50 mwN), das heute als Teil des Justizgewährungsanspruchs verstanden wird. Sie sind Richtschnur für die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts und können nur im Rahmen des Verfahrensrechts oder mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. 8. Konkurrenz. Derselbe Sachverhalt kann mehrere materiellrechtliche Ansprüche zur Entstehung bringen, die auf die gleiche Leistung gehen, zB Herausgabeansprüche aus §§ 985, 1007 und 604; Surrogationsansprüche aus §§ 285, 687 II, 667 und 816 I; Schadensersatzansprüche aus Vertrag und unerlaubter Handlung und Bereicherungsansprüche. Bei einer solchen Anspruchskonkurrenz ist jeder Anspruch bzw Rechtsgrund nach seinen eigenen Vorschriften zu beurteilen (BGH BGHRp 2005, 1112, 1113; RG JW 1938, 2413). Das gilt auch für das Verjährungsrecht. Jeder Anspruch verjährt grds auch selbständig und unabhängig von konkurrierenden Ansprüchen (BGH 9, 301, 303; 66, 315, 319; 100, 190, 201; NJW-RR 1989, 1258). Eine Ausnahme ist nur da anzuerkennen, wo das Gesetz für einen Anspruch eine kurze Verjährungsfrist festsetzt, die ihren praktischen Zweck verlieren würde, wenn sie nicht auch die konkurrierenden Ansprüche umfasst (BGH BGHRp 2003, 84, 87). Diese Situation trat früher häufiger auf, weil die kurzen Verjährungsfristen des früheren Rechts die von der Rspr entwickelten Ansprüche aus pVV und aus cic nicht berücksichtigt hatten. Durch die Neuordnung des Verjährungsrechts sind solche Fälle selten geworden (vgl aber Budzikiewicz WM 2003, 265, 267ff). Die meisten Ansprüche unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist, die meist auch gleichläuft. Die Verjährungsfristen der §§ 438 I und 634a I erfassen teilw auch konkurrierende Ansprüche (dazu sogleich). Nach wie vor stellt sich etwa die Frage, ob die kurzen Verjährungsfristen für Ersatzansprüche des Vermieters und Verleihers nach §§ 548, 606 auch für konkurrierende Ansprüche aus unerlaubter Handlung gelten (bejahend BGH 47, 53; 55, 393, 396; 66, 315, 319; RG JW 1938, 2413). Der Unterschied zw der Verjährungsfrist für Ansprüche auf Entschädigung wegen Vorenthaltung der Mietsache aus § 546a I und Ansprüchen aus Verzug oder ungerechtfertigter Bereicherung (unter altem Recht für Anwendung der kurzen mietrechtlichen Verjährung BGH 68, 307, 310; anders für Ansprüche aus § 11 BKleingG BGH BGHRp 2002, 764, 765, für Ansprüche aus § 988 BGHRp 2003, 1188), ist dagegen mit der Neuordnung entfallen; es gilt in jedem Fall die regelmäßige Verjährung nach §§ 195, 199. Ebenso ergreift die Verjährung aus § 61 HGB auch einen Anspruch auf Unterlassung aus § 60 HGB sowie die aus dem gleichen Sachverhalt abgeleiteten Schadensersatzansprüche (RG JW 1937, 2654). Nach wie vor differenziert ist die Regelung im Kauf- und Werkvertragsrecht: Alle vertraglichen Ansprüche wegen Mängeln unterliegen der meist kürzeren kauf- oder werkvertraglichen Verjährung von zwei oder fünf Jahren (§§ 438 I, 634a I). Deliktische oder (vor-)vertragliche Ansprüche aus nicht mangelbedingter Pflichtverletzung unterliegen demgegenüber der regelmäßigen Verjährung. Auf sie ist, wie auch schon unter früherem Recht (BGH 55, 393; 66, 315, 319), die kurze Frist nicht anzuwenden, weil sich der Gesetzgeber für die Konkurrenz entschieden hat. Sollte die kauf- oder werkvertragliche Verjährung ausnahmsweise einmal länger sein als die regelmäßige Verjährung (§§ 438 III, 634a III), kann auf sie zurückgegriffen werden. Die Verjährung für vertragliche Ansprüche gegen den Frachtführer, Spediteur oder Lagerhalter wegen Verlustes oder Beschädigung des ihm anvertrauten Gutes (§§ 439 IV, 452b II, 463, 475a HGB) gilt nicht für konkurrierende deliktische Ansprüche (BGH 9, 301; 66, 315, 319). Bei Konkurrenz von Schadensersatzansprüchen aus § 823 und UWG geht die Verjährungsregelung des § 11 UWG der regelmäßigen Verjährung nach §§ 195, 199 vor (BGH 36, 252, 257; Köhler/Bornkamm, UWG35 § 11 UWG Rn 1.8 und 1.9; NJW-RR 2016, 73). 9. Hilfsansprüche. Hilfsansprüche wie Ansprüche auf Auskunft oder Einsicht in Bücher verjähren selbständig (BGH GRUR 2012, 1248 Rn 22). Sie erledigen sich aber, wenn der Hauptanspruch, dessen Durchsetzung sie dienen, verjährt ist (BGH IHR 2016, 124 Rn. 14; Schleswig NJW-RR 2016, 73 Rn 31; Zweibrücken ZUM 2016, 1065). 10. Keine Ansprüche iSd § 194 sind: a) Absolute Rechte, insb dingliche Rechte. Sie können nicht verjähren (München MDR 2015, 506). Verjährbar sind dagegen, soweit nichts Anderes bestimmt ist, dingliche und sonstige Ansprüche aus solchen Rechten. b) Gestaltungsrechte. Sie geben die Befugnis, durch einseitiges Rechtsgeschäft ein Recht zu begründen, zu ändern oder aufzuheben. Bsp: Kündigung, Anfechtung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung, Vertragsannahme, Rücktritt, Minderung, Vor- und Wiederkauf (BGH WM 2012, 1441, 1444 Rn 26), Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft, Pflichtteilsentziehung. Durch Ausübung eines Gestaltungsrechts können Ansprüche begründet werden, die verjährbar sind. Das Gestaltungsrecht selbst ist unverjährbar (Stuttgart OLGRp 2007, 314, 316; MüKo/Grothe Rn 4). Sind für seine Ausübung Fristen gesetzt, so handelt es sich um Ausschlussfristen (Vor § 194 Rn 9). Dem zivilrechtlichen Gestaltungsrecht vergleichbar ist in diesem Punkt die Befugnis einer Behörde zur Rücknahme eines Verwaltungsakts. Auch sie unterliegt nicht der Verjährung. Der Verjährung unterliegen die mit dem Bescheid festgestellten Ansprüche (BVerwG, NVwZ 2011, 949f Rn 16). Kein Gestaltungsrecht ist die Anfechtungsklage nach InsO und AnfG. Gegenstand dieser Klage ist nämlich der Rückgewähranspruch nach § 143 InsO bzw § 11 AnfG (BAG DZWIR 2004, 236; MüKo/Grothe Rn 2; Soergel/Niedenführ Rn 11). Dieser Anspruch kann auch einredeweise geltend gemacht werden (§ 146 II InsO, § 9 AnfG). Auch Klagerechte, die auf Rechtsgestaltung gerichtet sind, denen jedoch ein sachlich-rechtlicher Anspruch nicht zugrunde liegt, sind unverjährbar. Bsp: Gestaltungsklagen auf Herabsetzung einer unverhältnismäßig hohen Vertragsstrafe (§ 343), auf Aufhebung der Ehe (§ 1314), der ehelichen Gütergemeinschaft (§§ 1447, 1469) oder einer Lebenspartnerschaft (§ 15 LPartG), auf Erbunwürdigkeit (§ 2342), auf Auflösung einer OHG (§ 133 HGB), auf Löschung einer Marke (§§ 48ff MarkenG). Sie können befristet sein (zB § 1318). Schmidt-Räntsch

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c) Besitzrechte. Aus dem Besitztatbestand ergibt sich für den Besitzer eine geschützte Rechtsstellung, nicht aber das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Das Recht zum Besitz unterliegt nicht der Verjährung, auch nicht, wenn es auf einem Überlassungsanspruch beruht (Kauf) und dieser verjährt ist (BGH 90, 269; RG 138, 296). Ein Verpächter ist zum Besitz der dem Pächter gehörenden Einrichtungen auf Dauer berechtigt, wenn der Anspruch des Pächters auf Gestattung der Wegnahme verjährt ist (BGH WM 1981, 1060). Eine Besitzverletzung kann Ansprüche erzeugen, die verjährbar sind, zB einen Schadensersatzanspruch nach § 823 I (RG 170, 6). Für die Besitzschutzansprüche sind in § 864 Ausschlussfristen vorgesehen. d) Einreden (Leistungsverweigerungsrecht). Handelt es sich um selbständige Einreden, die nicht auf einem Leistungsanspruch beruhen, so ist eine Verjährung ausgeschlossen (PWW/Kesseler Rn 6). Sonst könnte die Verjährungseinrede (§ 214) selbst verjähren. Anders liegt es bei abgeleiteten Einreden, die auf einem Anspruch beruhen. Solche Einreden können nach Eintritt der Verjährung des ihnen zugrunde liegenden Anspruchs nicht mehr erhoben werden. Ausnahmen: §§ 438 IV 2, 634a IV, 821, 853; § 146 II InsO). Bei den Einreden aus §§ 273, 320 differenzierte die hM früher; während die Einrede aus § 320 unabhängig von der Verjährung des ihr zugrunde liegenden Anspruchs erhoben werden konnte (RG 149, 328; RG HRR 1930, 1434; aM – für Anwendung des § 215 – BGH 53, 122, 125), sollte dies bei der Einrede aus § 273 analog § 390 S 2 aF nur dann möglich sein, wenn der ihr zugrunde liegende Anspruch noch nicht verjährt war (BGH 48, 116, 117). § 215 behandelt jetzt beide Fälle gleich und begründet dies auch mit einem Rückgriff auf BGH 53, 122, 125, so dass heute auch die gleichen Bedingungen gelten (MüKo/Grothe Rn 6; Soergel/Niedenführ Rn 14; ähnlich BaRo/Henrich § 214 Rn 4: analoge Anwendung von § 215; aM Pal/Ellenberger Rn 6). Das dürfte dann auch für das Zurückbehaltungsrecht nach § 1000 gelten (Soergel/Niedenführ Rn 14). Einem am Vertrag nicht beteiligten Dritten steht die Einrede der Verjährung grds nicht zu (BGH VIZ 2003, 526, 528ff Aufrechnung). Etwas Anderes kann für Dritte gelten, die in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen sind, wie zB für Hilfspersonen des Mieters oder Entleihers, die vom Vertragspartner Freistellung verlangen können (BGH 49, 278). e) Obliegenheiten begründen keine Verpflichtung, die der andere Teil einfordern kann. Ihre Nichteinhaltung begründet lediglich rechtliche Nachteile, die durch Einhaltung der Obliegenheiten abgewendet werden können. Damit fehlt ihnen ein für Ansprüche wesentliches Merkmal. Sie können nicht verjähren (MüKo/Grothe Rn 6). f) Ein Angebot, das auf unbestimmte Zeit angenommen werden kann, unterliegt nicht der Verjährung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es durch eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit gesichert ist (München OLGRp 2000, 81). 11. Es gibt unverjährbare Ansprüche. IdR sind zwar alle Ansprüche verjährbar. Ausnahmen sind jedoch vorgesehen, wenn entweder eine Verdunklungsgefahr durch Zeitablauf nicht besteht oder wenn der Berechtigte zur Geltendmachung seines Anspruchs nicht gezwungen wird, der Anspruch vielmehr fortwährend neu entstehen soll. Im Einz kommen in Betracht: a) Ansprüche aus eingetragenen Grundstücksrechten (§ 902 I 1), zB aus Eigentum (§ 985). Doch verjähren nach § 902 I 2 Ansprüche aus solchen Rechten auf Rückstände wiederkehrender Leistungen (zB Zinsen, Einzelleistungen bei einer Reallast oder Rentenschuld, §§ 1105, 1199 I) und auf Schadensersatz. Ferner verjährt trotz Eintragung der Anspruch aus einer Grunddienstbarkeit oder beschränkten persönlichen Dienstbarkeit auf Beseitigung einer beeinträchtigenden Anlage (§§ 1028, 1090 II). Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 ist kein Anspruch aus einem eingetragenen Recht iSd § 902 I 1 (BGH 60, 235; Köln DWW 1994, 184). Bei Ansprüchen der Wohnungseigentümer aus dem Gemeinschaftsverhältnis ist zu differenzieren: Der Anspruch der Wohnungseigentümer auf ordnungsmäßige Verwaltung nach § 21 III und IV WEG ist als Daueranspruch unverjährbar (BGH MDR 2012, 834 Rn 10). Der Verjährung unterliegt dagegen der aus dem Gemeinschaftsverhältnis abgeleitete Anspruch auf Wohngeld (München NJW-RR 2007, 1097). Bei dem Anspruch des Dienstbarkeitsberechtigten aus §§ 1027, 1004 ist allerdings zu differenzieren: Soweit dieser Einzelstörungen seines Rechts abwehren will, gilt § 902 nicht. Geht es ihm indes um die dem Herausgabeanspruch aus § 985 BGB entspr Rechtsverwirklichung, gilt § 902 (BGH NJW 2011, 1068, 1069). Im Gegensatz zu den Ansprüchen aus Grundstücksrechten sind Ansprüche aus Fahrnisrechten stets verjährbar. b) Ansprüche aus Grundstücksrechten, die durch Widerspruch gesichert sind, § 902 II. c) Ansprüche auf Berichtigung des Grundbuchs, § 898, auch soweit sie in Spezialgesetzen begründet werden, wie zB in § 113 SachenRBerG (dazu Czub/Schmidt-Räntsch ZfIR 2007, 517, 518) oder des Schiffsregisters, § 20 SchiffsRG (BGBl III 403–4). Entspr gilt für den verfahrensrechtlichen Grundbuchberichtigungsanspruch nach § 22 GBO (München, MDR 2015, 506) d) Gewisse nachbarrechtliche Ansprüche, § 924. Die Ansprüche aus den Nachbarrechtsgesetzen der Länder unterliegen dagegen in aller Regel einer dort meist besonders geregelten Verjährungs- oder einer Ausschlussfrist. e) Ansprüche auf Aufhebung der Gemeinschaft, § 758, oder der Erbengemeinschaft, § 2042 II (dazu Piepenbrock aaO, 384ff). f) Ansprüche aus einem familienrechtlichen Verhältnis, soweit sie auf Herstellung eines dem Verhältnis entspr Zustands für die Zukunft gerichtet sind, II Hs 1. Es sind dies namentlich die aus dem persönlichen Verhältnis und aus dem Ehegüterrecht sich ergebenden Ansprüche der Ehegatten untereinander etwa in Bezug auf die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft oder der Haushaltsführung (NK/Mansel/Stürner Rn 30) oder gegen Dritte (§§ 1353, 1356, 1360ff, 1619), die Ansprüche des sorgeberechtigten Elternteils oder des Vormunds 574

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 195

auf Herausgabe des Kindes (§§ 1632, 1800), der Anspruch auf VersA als solcher (Karlsruhe OLGRp 2002, 426) und die Unterhaltsansprüche der Verwandten (§§ 1601ff) und der geschiedenen Ehegatten untereinander (§§ 1569ff). Auch diese familienrechtlichen Ansprüche unterliegen insoweit der Verjährung, wie sie nicht auf Herstellung eines künftigen Zustands gehen, so zB Unterhaltsansprüche für die Vergangenheit (§§ 1585b, 1613). Ferner verjähren die Ansprüche aus dem Verlöbnis (§ 1302). Auch vergleichbare Ansprüche aus dem LPartG gehören hierher (NK/Mansel/Stürner Rn 32; MüKo/Grothe Rn 8). Nach Abs II Hs 2 unterliegt auch der Einwilligungsanspruch nach § 1598a I nicht der Verjährung. Danach können zur Klärung der leiblichen Abstammung eines Kindes der Vater jew von Mutter und Kind, dessen Mutter jew von Vater und Kind und das Kind von seinen Eltern die Einwilligung in eine genetische Abstammungsuntersuchung und die Duldung der Entnahme einer für die Untersuchung geeigneten genetischen Probe verlangen. Es soll hier nicht anders liegen als bei den in Hs 1 angesprochenen familienrechtlichen Ansprüchen, vor allem, weil der Anspruch der Vorbereitung einer nicht der Verjährung unterliegenden Vaterschaftsanfechtung dienen und für die Klärung der Erb- und Pflichtteilsberechtigung bedeutsam sein kann (BT-Drs 16/6561, 12). g) In der Rspr sind auch Fälle anerkannt, in denen an sich verjährbare Ansprüche für die Dauer des Schuldver- 23a hältnisses aus dem sie erwachsen, gewissermaßen vorübergehend unverjährbar sind. Anerkannt ist das etwa für den Anspruch des Mieters auf Mangelbeseitigung während der Mietzeit (BGH 184, 253 Rn 17), für den Anspruch eines auf Grund eines Wegausbauvertrags Durchfahrtberechtigten auf Gestattung der Durchfahrt für die Dauer des Vertrags (BGH NZM 2016, 640 Rn 36), für den Anspruch auf Neuberechnung der Rückzahlungspflicht bei einem formmängelbehafteten Verbraucherdarlehensvertrag nach dem heutigen § 494 V (BGH WM 2009, 542 Rn 33) und für den Anspruch auf Gestattung der Wegenutzung aus einem schuldrechtlichen unbefristeten Gestattungsvertrag (BGH NZM 2016, 640 Rn 36). Der kann zwar sofort geltend gemacht werden. Sinn und Zweck der Regelung stehen aber einem sofortigen Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist entgegen. Entspr gilt für den Auskunftsanspruch aus § 666 Fall 2 (BGH 192, 1, 5f Rn 15) und für den Anspruch auf Stellung einer Sicherheit nach § 648a (unklar v Hayn-Habermann NJW-Spezial 2012, 300). Eichel (NJW 215, 3265, 3267f) möchte dieselben Ergebnisse verjährungsrechtlich erreichen (hinausgeschobener Beginn, Anwendung von § 215 usw), trifft damit aber das Problem nicht, nämlich, dass die Annahme der Verjährbarkeit sachwidrig ist. 12. Der Verjährung unterliegen alle zivilrechtlichen Ansprüche, soweit sie im BGB selbst geregelt sind oder 24 (arg aus § 311 I) in zivilrechtlichen Verträgen begründet werden. Auf außerhalb des BGB geregelte Ansprüche sind die Bestimmungen des Abschnitts 5 entspr anzuwenden, soweit dort ganz allg auf die Bestimmungen des BGB über die Verjährung oder auf bestimmte Vorschriften verwiesen wird. Eine Verweisung auf das BGB dürfte auch dann anzunehmen sein, wenn in den besonderen Vorschriften nur eine Verjährungsfrist geregelt wird. Denn eine solche Regelung setzt gedanklich die Bestimmungen des Abschnitts 5 voraus. Soweit die besonderen Vorschriften keine Regelungen zur Verjährung von Ansprüchen enthalten, sind die Vorschriften des Abschnitts 5 analog anzuwenden (i Erg ebenso NK/Mansel/Stürner Rn 11). Denn die Verjährung von zivilrechtlichen Ansprüchen entspricht einem allg Grundprinzip des Zivilrechts, so dass jedenfalls im Zivilrecht eine abw Vorstellung des Gesetzgebers ihren Ausdruck finden muss. Grds wird man auch davon ausgehen können, dass die Anwendung der Regelverjährung den Vorstellungen des Gesetzgebers entspricht. Dies gilt jedenfalls bei Gesetzen, die – wie das UKlaG – gleichzeitig mit den neuen Verjährungsvorschriften oder nach ihrer Verkündung erlassen worden sind. Denn das BGB enthält eine Grundregelung, die den Anspruch erhebt, auch außerhalb des BGB taugliche Grundlage der Anspruchsverjährung zu sein. Bei Vorschriften aus der Zeit vor dem 26.11.2001 kann sich die Frage stellen, ob die Anwendung der neuen Regelverjährung im Einzelfall angemessen ist (so NK/Mansel/Stürner Rn 13f). Im Zweifel wird man aber auch hier davon ausgehen können. Die entspr Anwendung der Verjährungsfrist des § 197 kommt jedenfalls nur in Betracht, wenn sich der fragliche Anspruch von anderen Ansprüchen so sehr unterscheidet, dass die Parallelwertung zu den dort genannten Ansprüchen gerechtfertigt ist. Das wird selten sein. Bei Ansprüchen aus intern Einheitsrecht kann auf das nationale Verjährungsrecht nur zurückgegriffen werden, soweit dies dem Zweck des Einheitsrechts entspricht (BGH NJW-RR 2006, 619, 620: für Ansprüche aus WA, jetzt MA, verneint; Zweibrücken VersR 2005, 97: für Ansprüche aus CMR bejaht). 13. Der Lauf der Verjährung wird durch eine Abtretung nicht beeinflusst, da der Anspruch derselbe bleibt (Köln 25 OLGRp 1994, 65).

§ 195

Regelmäßige Verjährungsfrist

Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre. 1. Bei der Neuordnung des Verjährungsrechts hat der Gesetzgeber das Konzept einer regelmäßigen Verjäh- 1 rungsfrist fortgeführt. Die Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts hatte demgegenüber in ihrem Bericht vorgeschlagen, dieses Konzept aufzugeben und an Stelle der regelmäßigen Verjährungsfrist unterschiedliche Fristen für vertragliche und gesetzliche sowie für Ansprüche aus unerlaubter Handlung vorzusehen (§§ 195, 198, 201 KE, dazu Bericht S 56, 66, 75). Diesem Konzept hat sich der Gesetzgeber nicht angeschlossen, weil es zusätzliche Abgrenzungsschwierigkeiten hervorgerufen und nicht zur angestrebten Vereinfachung geführt hätte (BT-Drs 14/6040, 102ff). Für die Beibehaltung des Konzepts einer einheitlichen regelmäßigen Verjährungsfrist hatten sich auch Peters/Zimmermann in ihrem Gutachten ausgesprochen (§ 195 I E, dazu Peters/Zimmermann Schmidt-Räntsch

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in BMJ, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd I, 1981, 290ff). Bei der Länge der Frist ist der Gesetzgeber weder dem Vorschlag von Peters/Zimmermann, eine regelmäßige Verjährungsfrist von zwei Jahren vorzusehen, noch dem Vorschlag der Schuldrechtskommission, eine Verjährungsfrist von drei Jahren für vertragliche und zehn Jahren für gesetzliche Ansprüche vorzusehen, gefolgt. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr der Hilfserwägung von Peters/Zimmermann (aaO, 297) angeschlossen und eine regelmäßige Verjährungsfrist vorgesehen, die der früheren Verjährungsfrist für Ansprüche aus unerlaubter Handlung entspricht. 2. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt nach § 195 drei Jahre. Eine Verjährungsfrist dieser Länge wird auch in anderen Vorschriften vorgesehen. Das ist aber nicht die regelmäßige Verjährungsfrist. Für solche Fristen gilt der besondere Verjährungsbeginn in § 199 nicht, der der regelmäßigen Verjährungsfrist ihr eigentliches Wertungsgepräge gibt. Für die Berechnung der regelmäßigen Verjährungsfrist sind §§ 187, 188 maßgebend (NK/ Mansel/Stürner Rn 3; Soergel/Niedenführ Rn 1). Auch § 193 ist sinngemäß anwendbar. Diese Vorschrift setzt keine Rechtspflicht zur Abgabe einer Willenserklärung voraus; es genügt, wenn man durch ihre Abgabe Rechtsnachteile abwenden kann, wie den Ablauf einer Ausschluss- oder Verjährungsfrist (BGH LM Nr 1 zu § 193 BGB; WM 1978, 461, 464; MDR 1990, 540; RG 151, 345, BaRo/Henrich § 193 Rn 7). Läuft die Verjährungsfrist an einem Sonntag ab, so kann der Gläubiger noch am nächstfolgenden Werktag die Verjährung wirksam zur Hemmung oder zum Neubeginn bringen. Nicht anwendbar ist dagegen § 191(BGH MDR 1962, 208; BaRo/Henrich § 191 Rn 2; Pal/Ellenberger § 191 Rn 1). 3. a) Die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 aF war der Form nach die normalerweise geltende Frist. Sie war aber wegen ihrer Länge von 30 Jahren für den Normalfall nicht geeignet. Deshalb waren in zahlreichen Fällen kürzere Verjährungsfristen vorgesehen. Der gesetzliche war deshalb nicht auch der tatsächliche Regelfall. In Wahrheit waren die kürzeren Verjährungsfristen die Regel. § 195 aF kam nur subsidiär für alle Ansprüche zur Anwendung, für die weder durch Gesetz noch durch Rechtsgeschäft (§ 225 aF) eine andere Frist bestimmt war. Das ist jetzt anders. Die neue regelmäßige Verjährungsfrist ist gerade auch wegen ihres Beginns so bemessen, dass sie idR tatsächlich angemessen ist. Dem hat der Gesetzgeber im SchuldRModG Rechnung getragen, indem er zahlreiche Sondervorschriften aufgehoben hat. Die Revision auch der immer noch zahlreichen sonstigen besonderen Verjährungsfristen, die sich der Gesetzgeber vorgenommen hatte (BT-Drs 14/6857, 42), ist durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts v 9.12.2004 (BGBl I 3214) erfolgt. Eine Revision auch der erbrechtlichen Verjährung ist mit dem Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts v 24.9.2009 (BGBl I 3142) erfolgt. Damit ist die heutige regelmäßige Verjährungsfrist nicht nur nach dem Gesetz, sondern auch in der Wirklichkeit die regelmäßige Frist. Sie gilt für zivilrechtliche Ansprüche aller Art, soweit für sie keine besondere Frist geregelt ist. Die maßgeblichen Sondervorschriften müssen dabei Ansprüche nicht völlig aus dem Anwendungsbereich der regelmäßigen Verjährungsfrist herausnahmen. Sie können sich – wie § 801 (dazu BGH ZIP 2016, 1017 Rn 9f) – auch auf Teilbereiche beschränken, mit der Folge, dass iÜ die regelmäßige Verjährungsfrist gilt. Der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen deshalb auch Hilfsansprüche, soweit für sie keine andere Verjährungsfrist bestimmt ist (BGH IHR 2016, 124 Rn 17). Sie erledigen sich aber mit der Verjährung des Hauptanspruchs, dem sie dienen (§ 194 Rn 9a). Eine Unterscheidung zw vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen gibt es ebenso wenig wie eine Unterscheidung nach der inhaltlichen Herkunft des Anspruchs (NK/Mansel/Stürner Rn 4). b) § 195 gilt für Ansprüche wegen der Verletzung von Schutzpflichten (§ 241 II) im Vertragsanbahnungsverhältnis (§ 311 II) und der Sachwalterhaftung (§ 311 III). Begründet die Verletzung der Schutzpflicht bei Zustandekommen des Vertrags einen Mangelanspruch, so verjährt der Anspruch nach §§ 438, 634a (BGH NJW 1985, 1769, 1772; Soergel/Niedenführ Rn 46). Ähnlich lag es früher bei Schadensersatzansprüchen aus der Verletzung von Schutzpflichten im Vorfeld eines Versicherungsvertrags. Auf solche Ansprüche war die Verjährungsfrist nach § 12 VVG aF anzuwenden, wenn sie wirtschaftlich auf einen vertraglichen Erfüllungsanspruch hinausliefen, also insb dazu führten, dass der Versicherungsnehmer verlangen konnte, so gestellt zu werden, wie wenn er einen wirksamen oder einen Vertrag mit einem bestimmten Inhalt abgeschlossen hätte (BGH MDR 2012, 711 Rn 29). Privilegiert waren Wertpapierhandelsunternehmen bei der Verletzung von Beratungs- und Informationsfehlern bei Wertpapierdienstleistungen. Hier betrug die Verjährungsfrist drei Jahre ab Entstehen, ohne Rücksicht auf die Kenntnis (§§ 37a, 37d IV WpHG aF). Diese Regelungen sind durch G v 16.7.2007 (BGBl I 1330, § 37d WpHG) und v 31.1.2009 (BGBl I 2512, § 37a WpHG) aufgehoben worden. c) aa) Von noch darzustellenden Ausnahmen abgesehen, gilt die regelmäßige Verjährungsfrist für alle vertraglichen Schuldverhältnisse. Ausgenommen sind nur Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und sexueller Selbstbestimmung, für die gem § 197 I Nr 1 eine Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt. Auf die Art des Vertragsverhältnisses kommt es nicht an. Gegenseitige Verträge werden ebenso erfasst wie nicht gegenseitige Verträge, zweiseitige Verträge ebenso wie einseitig verpflichtende Verträge. Erfasst werden auch einseitige Schuldverhältnisse wie zB die Auslobung und abstrakte Schuldverhältnisse wie das Schuldanerkenntnis. Erfasst werden die Erfüllungsansprüche. Das sind nicht nur die Ansprüche auf die jew Sachleistung (Übereignung, Herstellung des Werks, Überlassung der Sache usw). Anders als bisher unterliegen auch Vergütungsansprüche der regelmäßigen Verjährung. Allg Sondervorschriften wie die früheren §§ 196, 197 aF gibt es nicht mehr. Auch andere Ansprüche wie zB auf Rückzahlung eines Darlehens (BGH NJW-RR 21012, 502 Rn 10), Ansprüche auf Auszahlung von Guthaben aus Abrechnungen über Nebenkosten (LG Berlin GE 2005, 1354), Erteilung einer Rechnung mit MwSt oder der Auskehrung überzahlter Abschlagszahlungen (Düsseldorf IBR 2003, 65) unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist (BGH 120, 315, 317). Auch Ansprüche aus 576

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 195

einem Gemeinschaftsverhältnis unterliegen der Regelverjährung (Celle OLGRp 2002, 88). Entspr gilt, soweit nicht ausdr etwas Anderes bestimmt ist, auch für Ansprüche aus einem Gesellschaftsverhältnis (BGH MDR 2011, 866 Rn 16f für Anspruch aus § 739 gegen K. Schmidt DB 2010, 2093, 2095f und Habersack in GKHGB, § 159 Rn 13, die § 159 HGB analog anwenden wollen). Die regelmäßige Verjährungsfrist gilt wie bisher auch für die Forderung aus dem Saldo bei einem Kontokorrent (BGH 51, 346, 349; 49, 24, 26). In dem Saldo zu Unrecht nicht berücksichtigte Forderungen unterliegen zwar nach wie vor der für sie jew geltenden Verjährungsfrist (BGH 51, 346, 349). Da das aber meist auch die regelmäßige Verjährungsfrist ist, hat die früher erhebliche Unterscheidung heute ihr Gewicht verloren. Der regelmäßigen Verjährung unterliegen nach wie vor auch Ansprüche auf Herausgabe des Erlangten, etwa des Kommittenten gegen den Kommissionär aus § 384 II HGB (BGH 79, 89, 93). Auch dies ist heute kein Wertungsproblem mehr, da auch die Ansprüche auf Vergütung dieser Frist unterliegen. Auch bei Ansprüchen aus einem konstitutiven Schuldanerkenntnis (§ 781) hat sich das Wertungsproblem entschärft. Dieser Anspruch unterliegt wie bisher auch dann der regelmäßigen Verjährungsfrist, wenn der bisherige Anspruch in kürzerer Zeit verjährt (BGH NJW 1982, 1809; RG 75, 6; Schmid-Burgk/Ludwig DB 2003, 1046, 1047). Die früheren Ansprüche werden aber heute meist auch in der regelmäßigen Verjährungsfrist verjähren. Die regelmäßige Verjährungsfrist gilt, soweit nichts Anderes bestimmt ist, auch für Ansprüche aus Leistungsstörungen und für Nebenansprüche (BGH MDR 1999, 665). Bei Ansprüchen wegen Leistungsstörungen kommt es, soweit nicht (wie zB in §§ 438, 634a) etwas Anderes bestimmt ist, für den Beginn der Frist auf die Voraussetzungen dieses, nicht auf die des gestörten Anspruchs an (BGH 57, 191, 195; NJW 1983, 1494; WM 1978, 495; RG 111, 102; 116, 281; 128, 76; Staud/Peters/Jacoby § 199 Rn 17f). Der regelmäßigen Verjährung unterliegt auch der Anspruch aus dem erklärten Rücktritt (Koblenz OLGRp 2006, 479, 480; Pal/Ellenberger Rn 5). bb) Bei einigen wichtigen vertraglichen Schuldverhältnissen gilt die regelmäßige Verjährungsfrist nicht unein- 6 geschränkt. Beim Kauf gilt die regelmäßige Verjährungsfrist generell nicht für Mängelansprüche; insoweit wird die regelmäßige Verjährungsfrist durch die Sondervorschrift des § 438 verdrängt. Dies gilt aber nicht für andere Ansprüche, etwa solche aus erfolgtem Rücktritt wegen Mängeln (BGH 170, 31, 44 = NJW 2007, 674, 675; Koblenz OLGRp 2006, 479, 480), aus der Verletzung von Nebenpflichten, die nicht an die Beschaffenheit der Kaufsache anknüpfen (§ 438 Rn 3; aA Müller/Hempel AcP 205, 246, 256f) oder aus einer (selbständigen oder unselbständigen) Garantie (Einzelheiten Grützner/Schmidl NJW 2007, 3610, 3612f). Beim Kauf eines Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts gilt die regelmäßige Verjährungsfrist auch nicht für die Erfüllungsansprüche. Sie unterliegen der besonderen Verjährungsfrist des § 196. Diese besondere Frist gilt indessen nicht für die Verjährung eines Ankaufsrechts in der Form eines Kaufvorvertrags (BGH 47, 387, 392). Entspr gilt für Tauschverträge, die Rechte an einem Grundstück zum Gegenstand haben, sowie für Verträge, deren Gegenstand eine Verfügung über ein Recht an einem Grundstück oder grundstücksgleichen Recht ist. Beim Werkvertrag gilt die regelmäßige Verjährungsfrist zwar für die Erfüllungsansprüche (anders offenbar für Anspruch aus § 8 VOB/B: BGH 192, 190, 194f Rn 14–16; auf den Anspruch aus § 633 lässt sich das angesichts der eindeutigen Regelung in § 634a nicht übertragen; zum Verjährungsbeginn s § 199 Rn 18a), nicht aber für die Mängelansprüche. Insoweit gelten die Sonderverjährungsfristen des § 634a und der sonstigen Vorschriften des Sonderwerkvertragsrechts. Ähnlich liegt es beim Reisevertrag. Auch hier gilt die Sonderverjährungsregelung des § 651g für die Mängelansprüche. Ausnahmen gelten nach §§ 548, 591b für die Ersatzansprüche des Vermieters/Verpächters gegen den Mieter/Pächter und für die Aufwendungsersatzansprüche des Mieters/Pächters gegen den Vermieter/Verpächter (BaRo/Henrich Rn 11; Pal/Ellenberger Rn 18, Soergel/Niedenführ Rn 45). Der Anspruch des Vermieters/ Verpächters auf Rückgabe der Miet- oder Pachtsache einschl des Zubehörs unterliegt aber der regelmäßigen Verjährungsfrist (BGH 65, 86). Entspr gilt für den Anspruch des Vermieters auf Stellung einer Mietkaution (LG Duisburg ZMR 2006, 533), für den Schadensersatzanspruch des Mieters wegen endgültiger Verweigerung der Mietsache (KG ZfIR 2015, 429, 431) wegen Vergabe der und für Ansprüche nach § 24 II BBodSchG (BGH 178, 137, 145f). Eine Besonderheit gilt auch für Verträge, in denen sich der eine Teil verpflichtet, wettbewerbswidriges Verhalten zu unterlassen: Hier gilt die regelmäßige Verjährungsfrist für die meist ausbedungene Vertragsstrafe, jedoch die kurze Verjährungsfrist nach § 11 UWG für den Anspruch auf Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz wegen der einzelnen Zuwiderhandlung (BGH 130, 288, 291; Pal/Ellenberger Rn 18; MüKo/Grothe Rn 60; Soergel/Niedenführ Rn 48). cc) Für gemischttypische Verträge sind zwar im Allg die für den sie jew prägende Vertragstyp maßgeblichen 7 Vorschriften anzuwenden (BGH 72, 229, 232; BaRo/Henrich Rn 7; Soergel/Niedenführ Rn 6). Für die Bestimmung der Verjährungsfrist kommt es demgegenüber aber nicht auf die Qualifikation des Vertrags als ganzen, sondern auf die Qualifikation des fraglichen Anspruchs an (BGH 70, 356, 361; NK/Mansel/Stürner Rn 52; BaRo/Henrich Rn 7; MüKo/Grothe Rn 45; Pal/Ellenberger Rn 19; Soergel/Niedenführ Rn 6). Angesichts der weitgehenden verjährungsrechtlichen Gleichstellung vertraglicher Ansprüche wirkt sich dies bei Erfüllungsansprüchen kaum aus. Anders ist es dagegen bei Mängelansprüchen. Hier kann die Zuordnung eines Anspruchs zB zu Kauf- oder Mietvertrag durchaus bedeutsam sein. d) Die regelmäßige Verjährungsfrist gilt auch für gesetzliche Schuldverhältnisse. Dies sind insb Ansprüche aus 8 ungerechtfertigter Bereicherung, GoA, § 3 VermG (BGH BGHRp 2002, 581), § 6 VIa VermG (BGH ZfIR 2013, 591 Rn 14) und aus § 7 VermG (BGH ZOV 2006, 88, 90), aber auch die im Betreuungsrecht geregelten Vergütungs-, Aufwendungsersatz- bzw Aufwandsentschädigungsansprüche (BGH NJW-RR 2012, 579, 580 Rn 11), der Anspruch aus § 945 ZPO (Düsseldorf 28.12.2016 – 6 U 126/16, juris Rn 37) oder der eigenständige Ausgleichsanspruch des Gesamtschuldners nach § 426 I (Bremen NJW 2016, 1248 Rn 12). Ob der nach § 426 II Schmidt-Räntsch

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übergegangene Anspruch der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegt, hängt davon ab, um was für einen Anspruch es sich dabei handelt. Bei dem Anspruch auf Aufwendungsersatz wegen Tilgung fremder Schulden aus Geschäftsführung ohne Auftrag hängt die Verjährungsfrist nicht davon ab, welcher Verjährungsfrist die getilgte Schuld unterlag (BGH 47, 370; 32, 14, 16; RG 86, 96; Jena OLG-NL 1998, 2; Staud/Peters/Jacoby Rn 18). Das gilt heute anders als früher (BGH 31, 329) auch für die Erfüllung fremder Unterhaltsschulden, weil auch sie der regelmäßigen Verjährungsfrist unterfallen. Bei Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung wurde die gleiche Frage bisher gegenteilig beantwortet und die Verjährungsfrist des erfüllten Anspruchs analog angewandt, weil dem Schuldner eine Befreiung aufgedrängt werde (BGH 70, 389, 398; NJW 2000, 3492). Diese Frage spielt heute kaum noch eine Rolle, weil die erfüllte Forderung meist ebenso der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegt wie der Bereicherungsanspruch. Unterschiede können sich indes bei dem genauen Zeitpunkt des Beginns der Verjährung ergeben. Dann wäre sie im Grundsatz genauso zu beantworten wie bisher (Pal/Ellenberger Rn 5). Es wäre dann auch bei der Berechnung der Frist auf die Verjährungsfrist für den erfüllten Anspruch abzustellen. Zweifelhaft ist aber, ob das Abstellen auf den erfüllten Anspruch unter neuem Recht uneingeschränkt, also etwa auch dann richtig ist, wenn der erfüllte Anspruch länger verjährt als der Bereicherungsanspruch (so Pal/Ellenberger Rn 5; Lüneborg NJW 2012, 2145, 2147). Das ist zu verneinen. In einem solchen Fall wird der Schutzzweck der bisherigen Rspr verfehlt. Die bisherige Rspr stellt auf die Verjährung des erfüllten Anspruchs ab, um den Schuldner nicht gegen seinen Willen zu einem Verzicht auf die ihm sonst zustehende Einrede der Verjährung zu zwingen. In dem genannten Fall besteht diese Gefahr nicht; das Abstellen auf den erfüllten Anspruch führt zu einer sachlich nicht zu begründenden Besserstellung des Dritten. Ansprüche auf Ersatz des Vertrauensschadens (§§ 122 I, 179 II) verjähren in der regelmäßigen Verjährungsfrist (Pal/Ellenberger Rn 4). Das gilt auch dann, wenn für den Anspruch auf Erfüllung nach § 196 eine längere Frist laufen würde. Denn der Grund für die Anordnung einer längeren Frist in § 196 liegt bei diesem Anspruch nicht vor. Das würde an sich auch gelten, wenn der vertragliche Anspruch nach § 196 verjährte. Hier besteht aber die Besonderheit, dass § 196 auch Bereicherungsansprüche erfasst und sie damit einer besonderen Verjährung unterstellt. Die regelmäßige Verjährungsfrist gilt idR auch für Ansprüche aus unerlaubter Handlung (Düsseldorf OLGRp 2005, 626, 627), mit Ausnahmen von Ansprüchen wegen vorsätzlicher Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und sexueller Selbstbestimmung, für die gem § 197 I Nr 1 eine Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt. Die regelmäßige Verjährungsfrist gilt ferner für Ansprüche aus Gefährdungshaftung. Ansprüche aus unerlaubter Handlung und Gefährdungshaftung verjähren in den Grenzen des § 197 I Nr 1 auch dann in der regelmäßigen Verjährungsfrist, wenn sie mit dem kürzer verjährenden (§ 11 UWG) Anspruch aus UWG konkurrieren (BGH 36, 252; NJW 1985, 1023, 1024; 1995, 2788, 2789; Soergel/Niedenführ Rn 48). Die kurze Verjährung nach § 11 UWG ist nur anzuwenden, wenn der „Schwerpunkt des Unrechtsgehalts der verletzten Norm im Lauterkeitsrecht“ liegt (BGH 188, 326, 342f Rn 56f). Eine vergleichbare Fragestellung ergibt sich bei einem Anspruch aus § 823 II wegen Verletzung gesellschaftsrechtlicher Vorschriften. Hier kommt eine analoge Anwendung der Sonderverjährungsvorschriften für gesellschaftsrechtliche Ansprüche regelmäßig mangels Regelungslücke nicht in Betracht (BGH MDR 2011, 799). Ansprüche aus unerlaubter Handlung lösen einen Anspruch auf Herausgabe der aus der unerlaubten Handlung gezogenen Vorteile aus (§ 852). Dieser Anspruch unterliegt einer Verjährungsfrist von zehn Jahren (§ 852 S 2). Eine der regelmäßigen Verjährungsfrist sehr ähnliche Verjährungsfrist gilt nach § 12 ProdHaftG für Ansprüche aus Produkthaftung gem dem ProdHaftG. e) Die regelmäßige Verjährungsfrist gilt grds auch für sachenrechtliche Ansprüche. Allerdings gibt es hier weitreichende Ausnahmen. Unverjährbar sind nach §§ 902, 898, 924 Ansprüche, die auf im Grundbuch eingetragenen oder durch Widerspruch gesicherten Rechten beruhen, der Grundbuchberichtigungsanspruch und einige nachbarrechtliche Ansprüche des Bundesrechts. Verjährbar sind dagegen auch bei eingetragenen Rechten der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch (BT-Drs 14/6040, 104f; BGH 60, 235; NZM 2010, 365, 367), auch im Zusammenhang mit § 1028 (Hamm MDR 2012, 460 LS), der Entschädigungsanspruch nach § 906 II 2 auch, soweit er erweiternd ausgelegt wird (BGH MDR 1995, 573), die Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen (§§ 987, 988; BGH BGHRp 2003, 1188; ZOV 2007, 144, 145), auf Nutzungsentgelt nach Art 233 § 2a I 8 EGBGB (BGH AUR 2006, 105, 106) und auf Schadensersatz (§§ 989, 990, 992; BGH LM Nr 2 zu § 989). Verjährbar sind in aller Regel auch die Ansprüche nach Landesnachbarrecht. Sie unterliegen aber meist nicht der regelmäßigen, sondern der besonderen Verjährungsfrist nach dem jew Landesnachbarrechtsgesetz. Die dort bestimmte Verjährungsfrist erfasst die verjährbaren Ansprüche nach Bundesnachbarrecht nicht, weil Art 124 EGBGB dazu nicht ermächtigt (BGH NZM 2010, 365, 367). Bei beweglichen Sachen gibt es keine unverjährbaren Ansprüche. Allerdings unterliegen Herausgabeansprüche nicht der regelmäßigen Verjährungsfrist, sondern der besonderen Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 197 I Nr 1. Herausgabeansprüche können bei Fahrnis schon nach zehn Jahren erlöschen, wenn ein gutgläubiger Eigenbesitzer das Eigentum ersitzt (§ 937). Die Verjährung wird dadurch gegenstandslos. f) Familienrechtliche Ansprüche unterliegen nach § 194 II nicht der Verjährung, soweit sie auf Herstellung des dem beeinträchtigten familienrechtlichen Verhältnis entspr Zustands für die Zukunft oder auf die Einwilligung in eine genetische Untersuchung zur Klärung der leiblichen Abstammung gerichtet sind. IÜ unterliegen sie nach Maßgabe der Überleitungsregelung in Art 229 § 23 EGBGB seit dem 1.10.2010 der regelmäßigen Verjährung. Diese Änderung beruht auf der Erkenntnis des Gesetzgebers, dass die zunächst für diese Ansprüche beibehaltene Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 197 I Nr 2 aF sachlich nicht zu rechtfertigen ist und auch zu nicht erklärbaren Wertungswidersprüchen führt (BT-Drs 16/8954, 10f). Mit der Unterstellung der familienrechtlichen Ansprüche unter die regelmäßige Verjährungsfrist ist deren Abgrenzung von anderen Ansprüchen für die Bestim578

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mung der Verjährungsfrist nicht mehr von Bedeutung. Aufgehoben worden sind nicht nur die frühere allg Verjährungsfrist nach § 197 I Nr 2 aF, sondern auch die früheren besonderen Verjährungsfristen für einzelne familienrechtliche Ansprüche (zB § 1302 aF). Die Änderung betrifft Ansprüche, die in dem Verlöbnis, der Ehe, der Lebenspartnerschaft oder im Eltern-KindVerhältnis ihren Grund haben. Sie unterliegen jetzt einheitlich der regelmäßigen Verjährungsfrist. Es kommt nicht darauf an, auf welches Leistungsziel der Anspruch gerichtet ist, oder ob sie im Vierten Buch des BGB geregelt sind oder ob sie, wie zB der von der Rspr entwickelte Anspruch auf Ausgleich ehebedingter sog unbenannter Zuwendungen unter Ehegatten (dazu BGH 116, 167, 170; 127, 48, 51; 129, 259, 264; MDR 1998, 602), mit § 313 in einer Norm des allg Schuldrechts ihre Grundlage haben. Sie unterliegen jetzt der gleichen Verjährungsfrist wie Ausgleichsansprüche, die nicht in der Ehe selbst wurzeln, etwa Anspruch der Ehegatten aus einer Gesellschaft oder einer Schenkung oder Ausgleichsansprüche der Eltern eines Ehegatten aus einer unbenannten Zuwendung (Bsp BGH NJW 2003, 510) oder Schenkung (Bsp BGH 208, 210 Rn 15; NJW 1999, 1623; 2015, 1014 Rn 32, 34), die allerdings auch bei Vorliegen von deren Voraussetzungen einer Sonderverjährung unterliegen können (BGH 208, 210 Rn 17; NJW 2015, 1014 Rn 35: § 196). Die Abgrenzung der beiden Anspruchsarten ist für die Verjährungsfrist nicht mehr bedeutsam. Durch die einheitliche Anwendung der regelmäßigen Verjährungsfrist sind auch die Unterschiede zw den im Vierten Buch geregelten Ansprüchen, die nicht alle der früheren Sonderverjährungsfrist unterlagen, zB nicht Ansprüche aus dem Vormundschafts- oder Betreuungsverhältnis (BGH NJW-RR 2012, 579 Rn 11), entfallen. Weggefallen ist auch die verjährungsrechtliche Unterscheidung zw Ansprüchen aus einem ehelichen Gemeinschaftsverhältnis und Ansprüchen aus einer ne LG. Die regelmäßige Verjährungsfrist unterliegt bei familienrechtlichen Ansprüche zwei Besonderheiten: Zum einen gelten hier die besonderen Höchstfristen nach § 199 IIIa. Zum anderen beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist nicht bei allen familienrechtlichen Ansprüchen nach Maßgabe von § 199. Bei Ansprüchen aus einem Verlöbnis beginnt sie nach § 1302 mit dessen Auflösung. Bei den Ausgleichsansprüchen nach § 1378 I und nach § 1390 beginnt sie mit dem Ende des Güterstandes (§ 1378 III, § 1390 III 1). Auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis kommt es nicht an. g) Auch für erbrechtliche Ansprüche (dazu eingehend Franck, Die Verjährung erbrechtlicher Ansprüche nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, 2005) gilt seit dem 1.1.2010 die regelmäßige Verjährungsfrist. Ausgenommen hiervon sind nur die in § 197 I Nr 1 bezeichneten Herausgabeansprüche nach den §§ 2018, 2130 und 2362 und die Ansprüche, die der Geltendmachung dieser Ansprüche dienen. Damit trägt der Gesetzgeber auch der Kritik an der undifferenzierten Beibehaltung der früheren Verjährungsfrist von 30 Jahren für alle übrigen erbrechtlichen Ansprüche (krit Franck aaO, 20ff) Rechnung. Entfallen sind nicht nur die frühere allg Sonderverjährung nach § 197 I Nr 2, sondern auch spezielle Sonderregelungen für einzelne Ansprüche, etwa die §§ 2287 II aF und 2332 I aF. Damit unterliegen der regelmäßigen Verjährung insb der Vermächtnisanspruch, der Pflichtteilsanspruch und die Ansprüche in der Erbengemeinschaft (dazu Franck aaO, 89ff). Auch Ansprüche gegen den Testamentsvollstrecker unterliegen jetzt unabhängig davon der regelmäßigen Verjährungsfrist, ob sie im Erbrecht geregelt sind oder sich aus § 2218 iVm dem Auftragsrecht ergeben (dazu BGH MDR 2002, 1372; NJW 2007, 2174, 2175 gegen Karlsruhe OLGRp 2006, 58, 59). Auch die Erbfallschulden unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist. Ansprüche aus einem Erbschaftskauf unterliegen jetzt zwar grds auch der regelmäßigen Verjährungsfrist. Da der Erbschaftskauf auch ein Kaufvertrag ist, gilt auch für ihn die Sonderverjährung nach § 438. Keine Änderung ergibt sich bei der Haftung für eine Nachlassverbindlichkeit. Sie unterliegt der Verjährungsfrist, der sie ohne den Erbfall auch unterliegen würde. Denn Nachlassverbindlichkeiten gehen so, wie sie sind, auf den Erben über. Wie bei den familienrechtlichen Ansprüchen gelten bei der Anwendung der regelmäßigen Verjährungsfrist zwei Besonderheiten. Auch für sie gelten besondere Höchstfristen. Bei einigen erbrechtlichen Ansprüchen richtet sich der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist nicht nach § 199, sondern nach Sondervorschriften. Das sind die Ansprüche aus §§ 2287 I, 2329, bei denen die Verjährung mit dem Erbfall beginnt (§ 2287 II, 2332). Auf die Kenntnis oder Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände kommt es nicht an. 4. a) Die Verjährungsvorschriften des BGB gelten, soweit nichts Anderes bestimmt ist, auch für Ansprüche aus Handelsgeschäften und andere handelsrechtliche Ansprüche. Eine andere Verjährungsfrist ist in den jew Sondergesetzen für die Verjährungsfrist für Ansprüche auf Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung bestimmt; sie beträgt zehn Jahre. Für Ansprüche der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter und Organe wegen verbotener Rückzahlung des Stammkapitals gilt eine Sonderverjährungsfrist von fünf Jahren. b) In zivilrechtlichen Sondergesetzen, vor allem Gesetzen über gewerbliche Schutzrechte, aber auch § 117 II BBergG, wird meist pauschal auf die Vorschriften des Abschnitts 5 des Buchs 1 des BGB verwiesen. Solche Verweisungen beziehen sich auf die regelmäßige Verjährungsfrist (BaRo/Henrich Rn 16). Genauso liegt es, wenn zivilrechtliche Sondergesetze keine Vorschriften über die Verjährung enthalten (BaRo/Henrich Rn 16). Ein Bsp sind §§ 1, 2 UKlaG (BT-Drs 14/6040, 275). Anders liegt es, wenn solche Sondergesetze eine Verjährungsfrist festlegen und nur iÜ auf das Verjährungsrecht des BGB verweisen. Verweisen solche Vorschriften auf die Verjährungsfrist etwa für Ansprüche aus unerlaubter Handlung oder auf § 852 aF, ist diese Verweisung jetzt als Verweisung auf die regelmäßige Verjährungsfrist zu lesen (BaRo/Henrich Rn 16; MüKo/Grothe Rn 12; Soergel/Niedenführ Rn 9). § 195 gilt auch für zivilrechtliche Ansprüche aus EU-Verordnungsrecht, wenn dieses die Verjährung nicht selbst

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regelt und dt Recht nach IPR Sachrecht ist, zB Ansprüche aus der Fluggastrechte-VO (BGH MDR 2010, 614, 615). 5. Die Verjährungsfrist für Ansprüche, die der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen, ändert sich bei Veränderungen des Schuldverhältnisses nicht (NK/Mansel/Stürner Rn 61; BaRo/Henrich Rn 6; Pal/Ellenberger Rn 14; Soergel/Niedenführ Rn 51). Ohne Auswirkungen auf die Verjährungsfrist bleiben daher die Abtretung eines Anspruchs oder der Wechsel des Schuldners (BGH MDR 1988, 479; BAG DB 1984, 139; MüKo/Grothe Rn 43f; Pal/Ellenberger Rn 14). Genauso liegt es bei inhaltlichen Veränderungen des Schuldverhältnisses etwa durch einen Änderungsvertrag. Bei Abschluss eines Vergleichs oder der Abgabe eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses ändert sich zwar nicht die Verjährungsfrist (NK/Mansel/Stürner Rn 62f; Soergel/Niedenführ Rn 53). Sie beginnt aber nach § 212 von neuem zu laufen. Bei einer Novation oder der Abgabe eines abstrakten Schuldanerkenntnisses ändert sich zwar die Verjährungsfrist, weil eine neue Schuld begründet wird (NK/Mansel/Stürner Rn 65; MüKo/Grothe Rn 38; Soergel/Niedenführ Rn 52). Anders als früher macht das unter neuem Recht meist kaum einen Unterschied, weil es sich um die regelmäßige Verjährungsfrist handelt. Anders ist es dann, wenn das Anerkenntnis als Ersatz für eine Verurteilung zu verstehen ist. Dann nämlich liegt in dem Anerkenntnis eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre (BGH VersR 1998, 1387; NJW 2003, 1524, 1525; Pal/Ellenberger Rn 14; vgl aber BGH NJW 2002, 1791). 6. Nicht selten erfüllt ein Sachverhalt die Voraussetzungen mehrerer Ansprüche, die dann mit einander konkurrieren. Diese Ansprüche werden oft sämtlich der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen. Allerdings kann die Frist wegen eines unterschiedlichen Entstehenszeitpunkts oder wegen eines unterschiedlichen Zeitpunkts der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt beginnen. Größer sind die Unterschiede, wenn für die konkurrierenden Ansprüche unterschiedliche Verjährungsfristen gelten. In diesen Fällen gilt der Grundsatz, dass jeder Anspruch in der für ihn vorgesehenen Frist verjährt (BaRo/Henrich Rn 10; MüKo/Grothe Rn 46; Pal/Ellenberger Rn 17; PWW/Kesseler Rn 11; Soergel/Niedenführ Rn 42). Es gibt aber drei Fallgruppen, in denen Abweichungen gelten: a) Bei Miete, Pacht, Leihe und Nießbrauch gilt nach §§ 548, 591b, 1025, 1226 für Ansprüche auf Ersatz von Schäden und Ersatz von Aufwendungen eine besondere kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten, um dem Interesse an einer raschen Abwicklung dieser Verhältnisse Rechnung zu tragen. Neben den spezifisch miet-, pacht-, leihe- und nießbrauchsrechtlichen Ansprüchen können hier aber auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung, Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung gegeben sein. Der Zweck dieser kurzen Frist würde vereitelt, wenn die regelmäßige Verjährungsfrist auch in dieser Konkurrenzsituation auf diese Ansprüche Anwendung fände. Deshalb hat hier die kurze Spezialverjährung Vorrang und gilt auch für die konkurrierenden Ansprüche (BaRo/Henrich Rn 11; MüKo/Grothe Rn 47ff). Der Vorrang der kurzen Verjährung gilt aber nicht uneingeschränkt: Er gilt nicht für den Entschädigungsanspruch nach § 11 I 1 BKleingG, weil dieser Anspruch eine derartige Nähe zum öffentlich-rechtl Enteignungsentschädigungsanspruch hat, dass die für jene geltende regelmäßige Verjährungsfrist anzuwenden ist (BGH BGHRp 2002, 764). Ebenfalls nicht erfasst von § 548 werden der Anspruch des Vermieters gegen den Mieter auf Erstattung des nicht verbrauchten Vorschusses auf Mängelbeseitigungskosten (Celle MietRB 2010, 136) und der Ausgleichsanspruch des Gebäudeversicherers gegen den Haftpflichtversicherer des Mieters analog § 78 II 1 VVG (BGH MDR 2010, 571, 573). Nicht der kurzen Verjährung unterliegt auch der Anspruch auf Stellung einer Kaution (KG NJW-RR 2008, 1182). Ein vergleichbarer Vorrang kurzer Verjährungsfristen gilt bei § 61 II HGB (BAG NJW 2001, 172), bei § 11 UWG (Rn 8), bei § 117 BImSchG (BGH 76, 312, 314f) und bei § 439 HGB (BGH DB 2010, 1343 LS; TranspR 2009, 132 Rn 15f; Pal/Ellenberger Rn 18). b) Ansprüche gegen Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind meist werkvertraglicher Art und würden nach § 634a I Nr 3 auch als Ansprüche wegen Mängeln der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen. Für solche Ansprüche waren aber in §§ 51b, 59m II BRAO, 45b, 52m II PatAnwO, 68 StBerG und 51a WPO jew aF unterschiedliche, ggü den Ansprüchen aus Werk- oder Dienstverträgen kürzere (dazu NK/Mansel/ Stürner Rn 55f) Verjährungsfristen bestimmt. Diese Sondervorschriften sind inzw aufgehoben worden. Deshalb ist auch auf solche Ansprüche die regelmäßige Verjährung anzuwenden (BGH ZIP 2017, 236 Rn 8). Damit erübrigt (BGH BGHRp 2004, 1483) sich auch die früher notwendige Differenzierung, ob sich der Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer in seinem spezifischen Aufgabenbereich als Rechtsanwalt usw (dann Sonderverjährung) oder außerhalb dieses Bereichs (dann regelmäßige Verjährung) pflichtwidrig verhalten hat (dazu BGH BGHRp 2006, 1301; 2004, 1483; NK/Mansel/Stürner Rn 56f; Soergel/Niedenführ Rn 24). Die regelmäßige Verjährungsfrist gilt auch für die Gebührenansprüche der Rechtsanwälte (Köln JMBl 2006, 17) und Steuerberater (Saarbrücken GI 2007, 96, 99). Ansprüche aus Schutzpflichtverletzung unterfielen früher teilw der Sonderverjährung nach §§ 37a, 37d WpHG aF (BGH 100, 132, 136; Pal/Ellenberger Rn 11; Soergel/Niedenführ Rn 24; Meixner NJW 1998, 1896, 1899). Diese (unangemessen) kurze Fristen sind aufgehoben worden c) Eine besondere Konkurrenzsituation besteht im Bereich des Kauf- und Werkvertragsrechts. Hier gelten die speziellen Verjährungsvorschriften der §§ 438, 634a für alle Mängelansprüche. Diese Ansprüche können nach der Rspr des BGH zum sog Weiterfresserschaden (BGH 67, 3, 9) auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung auslösen. Diese Ansprüche bestehen nach der Rspr des BGH neben den vertraglichen Mängelansprüchen. Bei der Schaffung der §§ 438, 634a hat der Gesetzgeber dieses Problem auch erkannt. In der Vorbereitung des Regierungs- und Fraktionsentwurfs ist erörtert worden, in diese Verjährungsfrist auch die Ansprüche aus unerlaubter Handlung einzubeziehen. Davon ist aber abgesehen worden, weil eine solche Einbeziehung nur für Ansprüche 580

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 195

aus unerlaubter Handlung in den Weiterfresserschadensfällen sachlich gerechtfertigt gewesen wäre. Davon hat der Entwurf aber Abstand genommen, weil es nicht gelang, diese Ansprüche von anderen Ansprüchen aus unerlaubter Handlung abzugrenzen, die zwar aus Pflichtverletzung hervorgehen, sich aber sachlich nicht von der Beschädigung des Hab und Guts und der Person eines unbeteiligten Dritten unterscheiden. Bsp sind die Beschädigung des Hauses oder der Käuferin bei der Anlieferung einer neuen Waschmaschine oder der explodierende Toaster, der auch andere Sachen des Käufers oder diesen selbst beschädigt. Der Gesetzgeber hat die Verjährungsfrage auch nicht offengelassen, sondern eindeutig beschrieben, dass die kurze Verjährung ausschließlich für die vertraglichen in den §§ 437, 634 bezeichneten Mängelansprüche gelten soll. Er hat allerdings die Gerichte dezent aufgefordert, die Rspr zum Weiterfresserschaden zu überdenken, für die jetzt kein sachliches Bedürfnis mehr besteht (BT-Drs 14/6040, 229). Die von Mansel und Stürner vertretene These (NK/Mansel/Stürner Rn 71ff), dass auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung von der Verjährungsfrist der §§ 438, 634a erfasst würden, geht in der Sache zu weit und widerspricht gerade deshalb auch dem Willen des Gesetzgebers. Das zeigt sich auch darin, dass Mansel und Stürner ihre Lösung bei Ansprüchen wegen der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter nicht anwenden wollen (NK/Mansel/Stürner Rn 80). Vom Wortlaut der §§ 438, 634a her ist die Erstreckung auch auf deliktische Ansprüche jedenfalls nicht gedeckt. Diese Wertungen hat der Gesetzgeber durch die Angleichung der Verjährung auch auf den Reisevertrag übertragen (BT-Drs 14/6040, 268, 14/6857, 69), der inhaltlich schon früher so angelegt war wie der Werkvertrag jetzt. Die Bezugnahme auf §§ 651c bis 651f in § 651g II entspricht inhaltlich auch der Bezugnahme auf §§ 437, 634 in §§ 438, 634a. Deshalb gilt § 651g II auch für alle vertraglichen Mängelansprüche (Pal/Sprau § 651g Rn 1, 4; aM Soergel/Niedenführ Rn 42), nicht aber auch für deliktische Ansprüche (BGH 103, 298, 302; NJW 2004, 3777, 3778; Köln NJW-RR 1992, 1185; Pal/Sprau § 651g Rn 1, 4 und Soergel/Niedenführ Rn 42; MüKo/Grothe Rn 55; aM BaRo/Geib § 651g Rn 3). Die Sonderverjährung nach §§ 438, 634a gilt nur für die eigentlichen Mängelansprüche nach §§ 437, 634, einschl der Mangelansprüche auf Ersatz von Mangelfolgeschäden (Koblenz NJW-RR 2008, 501, 502). Sie gilt dagegen nicht für Folgeansprüche wie den Anspruch auf Rückzahlung eines nicht verbrauchten Vorschusses für die Beseitigung von Mängeln. Für solche Ansprüche gilt mangels Ausnahme in §§ 438, 634a die regelmäßige Verjährung (BGH NJW 2010, 1195, 1196). Zu berücksichtigen ist aber, dass Ansprüche aus selbständigem Garantievertrag (BGH WM 1977, 784; München NJW 1967, 1326) und Ansprüche wegen Verletzung einer Beratungspflicht (BGH 70, 356, 361; MDR 1999, 665) nach wie vor in der regelmäßigen Verjährungsfrist verjähren. Diese ist zwar jetzt der Verjährungsfrist für Mängelansprüche stark angenähert, aber in den meisten Fällen länger als diese. Deshalb kann die Frage nach wie vor Bedeutung haben, ob im Einzelfall eine selbständige Garantie oder ein Beratungsvertrag anzunehmen ist (Soergel/Niedenführ Rn 44; Grützner/Schmidt NJW 2007, 3610, 3612). 7. Die regelmäßige Verjährungsfrist gilt für eine ganze Reihe von Ansprüchen nicht. Im BGB selbst sind dies die Fälle der §§ 196, 197. Sie gehen als leges speciales der regelmäßigen Verjährungsfrist vor. 8. a) Die Verjährung von öffentlich-rechtl Ansprüchen ist oft nicht geregelt. In solchen Fällen hat man früher die Vorschriften des BGB analog angewandt. Dies hatte der Diskussionsentwurf mit einem § 194 III aufgreifen und ausdr regeln wollen. Er hat, um das Gesetzgebungsverfahren nicht zu überfrachten, davon Abstand genommen, hiermit aber nicht die Vorstellung verbunden, dass dies künftig nicht mehr möglich sein solle (MüKo/Grothe Rn 15f). Der Gesetzgeber ist vielmehr, ganz im Gegenteil, davon ausgegangen, dass sich die neue regelmäßige Verjährungsfrist auch für andere Rechtsgebiete als Modell empfiehlt (BT-Drs 14/6040, 104). Deshalb können die Vorschriften des BGB über die Verjährung im öffentlichen Recht weiterhin analog angewendet werden (MüKo/ Grothe Rn 18). Das gilt allerdings nur, soweit die Verjährung nicht besonders geregelt ist (Soergel/Niedenführ Rn 55). Dies ist bei steuerrechtlichen Ansprüchen in der AO und einigen Bereichen des Sozialrechts geschehen. Auch VwVfG und SGB I, X enthalten jetzt eine eigene, von der regelmäßigen Verjährungsfrist abw Verjährungsfrist von vier Jahren. Solche Fristen gehen der Anwendung des BGB vor. Dieses ist nur anzuwenden, soweit solche Vorschriften Lücken lassen oder hierauf Bezug nehmen (Rolfs NZS 2002, 169, 171f). b) Wie bei zivilrechtlichen Sondergesetzen wird auch im öffentlichen Recht idR die regelmäßige Verjährungsfrist heranzuziehen sein (BVerwG NJW 2002, 1968). Wenn aber für einen vergleichbaren Fall im BGB selbst eine andere Verjährungsfrist vorgesehen ist, dann gilt diese (MüKo/Grothe Rn 18 aE). Ein Bsp ist etwa die Verjährungsfrist für Herausgabeansprüche und Titel (§ 197 I Nr 1, 3–5), die auch im öffentlichen Recht gilt. Nicht angängig wäre es aber, eine solche Verjährungsfrist nur deshalb anzuwenden, weil sie länger ist. Die Anwendung der regelmäßigen Verjährung im öffentlichen Recht setzt allerdings voraus, dass der jew öffentlich-rechtl Anspruch den der regelmäßigen Verjährung unterliegenden Ansprüchen vergleichbar ist. Hier ist die Rspr der Verwaltungsgerichte noch uneinheitlich. Während die regelmäßige Verjährungsfrist zB auf den Besoldungsanspruch (VGH München 10.3.2010 – 14 BV 08.2444, Rn 28; OVG Magdeburg 18.6.2009 – 1 L 50/09), den Zinsanspruch nach § 49a III ThürVwVfG (VG Meiningen 20.5.2009 – 2 K 252/08; ebenso OVG Berlin 11.3.2010 – OVG 2 B 1.09 für § 49a IV 1 BBVwVfG), den Zinsanspruch nach § 81 VI GWB (Düsseldorf NZKart 2016, 377 Rn 26) oder auf den Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Versorgungsbezüge angewendet wird (VGH Kassel RiA 2008, 272; VG Stuttgart 25.9.2009 – 12 K 1925/09), soll sie auf den öffentlich-rechtl Erstattungsanspruch in anderen Fällen, zB bei § 8 IV VZOG, nicht anwendbar sein (BVerwG 132, 324, 327f; ähnlich OVG Lüneburg 19.1.2010 – 10 LC 148/09 für Rückforderung von EU-rechtswidrigen -Beihilfen). Stattdessen soll § 195 aF weiterhin anzuwenden sein. Entspr gilt für Ansprüche öffentlicher Stelle untereinander, weil eine Verjährung in kürzerer Frist dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung widerstreite (BVerwG 132, 324, 328f). Diese Rspr hat das BVerwG jetzt aufgegeSchmidt-Räntsch

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Verjährung

ben (NVwZ 2017, 56 Rn 35, 37). Es verweist zu Recht darauf, dass das geltende Verjährungsrecht auch dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung angemessen Rechnung trägt und Möglichkeiten bietet, die Verjährungsfrist zur Hemmung zu bringen, wenn Bedarf dafür besteht (BVerwG NVwZ 2017, 56 Rn 38f). Damit besteht normalerweise kein Grund, im öffentlichen Recht nicht auf das geltende Verjährungsrecht des BGB zurückzugreifen, wenn das öffentliche Recht keine Sondervorschrift vorsieht. c) Die regelmäßige Verjährungsfrist gilt auch für Ansprüche wegen Amtshaftung. Für sie galt bisher § 852 aF, der in § 195 aufgegangen ist. Diese Verjährungsfrist gilt jetzt auch für Ansprüche aus Enteignungsentschädigung und aus Aufopferung (BaRo/Henrich Rn 17; MüKo/Grothe Rn 16; Pal/Ellenberger Rn 20; Soergel/Niedenführ Rn 57; Dötsch DÖV 2004, 277, 279f; aM NK/Mansel/Stürner § 194 Rn 25). Eine entspr Anwendung dieser Verjährungsfrist auf Ansprüche aus Aufopferung (und Entschädigung) hatte der BGH allerdings seit seinem Grundsatzurteil v 9.4.1953 (BGH 9, 209, 213ff; vgl auch BGH 13, 88, 98) in st Rspr abgelehnt. Dem Betroffenen sollten die besseren Möglichkeiten der bisherigen regelmäßigen Verjährungsfrist, seinen Anspruch geltend zu machen, erhalten bleiben. Die Grundlagen dieser Entscheidung haben sich jedoch durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts verschoben: Damals war zw der Geltung der regelmäßigen Verjährungsfrist und der besonderen deliktischen Verjährungsfrist abzuwägen. Heute ist die deliktische Verjährungsfrist die regelmäßige. Sie gilt nicht nur für Ansprüche aus unerlaubter Handlung, sondern schlechthin. Die Verjährungsfrist von 30 Jahren ist nur für Ansprüche vorgesehen, die den Ansprüchen aus Aufopferung und Entschädigung nicht vergleichbar sind. Alle vergleichbaren Ansprüche, insb Ansprüche aus unerlaubter Handlung, Amtshaftung und Pflichtverletzung, unterliegen dagegen der neuen regelmäßigen Verjährungsfrist (ähnlich auch: MüKo/Grothe Rn 16; Dötsch DÖV 2004, 277, 280). Bei seiner Wertung hatte der Gesetzgeber das öffentliche Recht durchaus im Blick, wie § 194 III BGB-DiskE, aber auch die Vorschläge von Peters/Zimmermann (in BMJ [Hrsg] Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd I, 1981, 340ff) zeigen, die auch im öffentlichen Recht einen Verzicht auf besondere Regelungen und die Geltung der dort sogar noch kürzer angesetzten regelmäßigen Verjährungsfrist für angezeigt hielten. 9. Der regelmäßigen Verjährungsfrist unterfällt auch der prozessuale Kostenerstattungsanspruch der Beteiligten eines Rechtsstreits (Hamburg NJW 2016, 167 Rn 3). Er gehört zwar dem Prozessrecht an und ist deshalb öffentlich-rechtl Natur. Wie auch im öffentlichen Recht (iÜ) sind aber mangels abw Sondervorschriften die Regelung des Verjährungsrechts des BGB anzuwenden. Danach gilt die regelmäßige Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BB. Die Verjährungsfrist ändert sich mit der rechtskräftigen Kostengrundentscheidung. Es gilt dann die Titelverjährung nach § 197 I Nr 3. Wird die Entscheidung aber nicht rechtskräftig, bleibt es bei der regelmäßigen Verjährungsfrist (Hamburg NJW 2016, 167 Rn 3).

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Verjährungsfrist bei Rechten an einem Grundstück

Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück sowie auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung eines Rechts an einem Grundstück oder auf Änderung des Inhalts eines solchen Rechts sowie die Ansprüche auf die Gegenleistung verjähren in zehn Jahren. 1. Der Disk-E eines SchuldRModG v 4.8.2000 (Abdruck bei Ernst/Zimmermann, Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, 613) hatte für Ansprüche auf die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück oder auf Verfügungen über ein Recht an einem Grundstück keine besondere Verjährungsfrist vorgesehen (zust F. Peters JZ 2003, 838, 839). Mit Rücksicht auf im Vorfeld des Regierungs- und Fraktionsentwurfs vorgetragene Bedenken (dazu Amann DNotZ 2002, 94, 102) hatte dieser eine besondere Verjährungsfrist für Ansprüche auf die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück und auf Verfügungen über Rechte an einem Grundstück vorgesehen. Hiermit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Leistungserfolg, der zur Erfüllung führt, nicht ausschließlich von der Leistungshandlung des Schuldners abhängig ist, und zwar insb deshalb, weil Veränderungen von Rechten an Grundstücken der Eintragung ins Grundbuch bedürfen. Hier können erhebliche Zeitverzögerungen eintreten, die den Gläubiger nicht dazu zwingen sollen, voreilig gegen den Schuldner vorzugehen, der selbst leistungsbereit ist und auch alles zur Erfüllung Erforderliche getan hat. Die vom BR vorgeschlagene Verlängerung dieser Frist auf 30 Jahre (BT-Drs 14/6857, 6) hat der Gesetzgeber aber auf Vorschlag der BReg (BT-Drs 14/6857, 42) abgelehnt, weil die vorgesehenen zehn Jahre ausreichend lang seien (BT-Drs 14/7052, 179). Er hat allerdings auch die Ansprüche auf die Gegenleistung dieser Verjährungsfrist unterstellt, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (BT-Drs 14/7052, 179). Das Motiv der Regelung hat sich im Gesetzestext nicht niedergeschlagen. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob im Einzelfall wirklich die Verzögerungen vorliegen, derentwegen die Verjährungsfrist länger angelegt worden ist (BGH NJW-RR 2008, 824, 826; NVwZ 2010, 531, 536; MüKo/Grothe Rn 5). § 196 lässt speziellere Verjährungsregelungen sowie Regelungen über die Unverjährbarkeit von Ansprüchen, insb § 902, unberührt. 2. Ansprüche auf die Übertragung eines Grundstücks sind in erster Linie Ansprüche auf Auflassung aus Verträgen. Erfasst würden aber auch andere Ansprüche auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück. Diese können zwar ein anderes Anspruchsziel annehmen (Amann DNotZ 2002, 94, 102). Das ist aber auch bei Erfüllungsansprüchen so und ändert nichts an den ggf eintretenden Schwierigkeiten beim Grundbuchvollzug. Dies werden aber regelmäßig Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag oder unerlaubter Handlung sein. Hier läuft § 196 in der Sache leer, weil § 199 I, III zum selben Ergebnis führt. Kein Anspruch auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück ist die Übertragung des Anteils an einer 582

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 196

Grundstücksgesellschaft oder der Eintritt in eine Gesellschaft, die auch Eigentümerin von Grundstücken ist. Denn der Eigentumserwerb erfolgt nicht durch Verfügung über das Grundstück, sondern kraft Gesetzes (Pal/Ellenberger Rn 2), ein Rückgriff auf eine teleologische Reduktion (MüKo/Grothe Rn 5) ist dazu nicht notwendig. Ansprüche auf Verfügungen über Rechte an einem Grundstück sind in erster Linie die Ansprüche auf Über- 3 tragung oder auf Löschung einer Grundschuld aus der Sicherungsabrede im Zusammenhang mit Darlehen, die sog stehen gelassenen Grundschulden (Frankfurt/Main 7.6.2016 – 4 U 129/15, juris Rn 28). Ist zur Sicherung eines Darlehens zugunsten des Kreditinstituts eine Grundschuld eingetragen, wird mit der Tilgung des Darlehens idR der Rückgewähranspruch hins der Grundschuld aus dem Sicherungsvertrag fällig. Darlehensnehmer machen einen solchen Anspruch oft nicht geltend, weil sie nicht daran denken oder weil sie das Pfandrecht für einen erneuten Kreditbedarf verwenden und dann unmittelbar auf den neuen Kreditgeber übertragen wollen (Amann DNotZ 2002, 94, 121). Unberührt bleibt aber der unverjährbare Anspruch auf Verzicht aus §§ 1192 I, 1169 (Otte ZGS 2002, 57, 58; i Erg ebenso Budzikiewicz ZGS 2002, 276, 278), womit sich das Problem entschärft. Erfasst werden auch Ansprüche auf Begründung, Übertragung, Änderung oder Aufhebung anderer beschränkter dinglicher Rechte an Grundstücken. Bsp hierfür sind (Wohnungs-) Erbbaurechte, (Grund-)Dienstbarkeiten, Dauerwohnund -nutzungsrechte, Bergwerkseigentum (NK/Mansel/Stürner Rn 15; BaRo/Henrich Rn 7; Soergel/Niedenführ Rn 5) oder auch landesrechtliche dingliche Rechte. Das können auch die zur Sicherung der Rechte aus einem Altenteilsvertrag vorgesehenen dinglichen Rechte (MüKo/Grothe Rn 4; Pal/Ellenberger Rn 3) sein, nicht aber das Altenteil als solches, das kein dingliches Recht ist. § 196 befasst sich unmittelbar nur mit dem Eigentum und dinglichen Rechten an Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten. Die Vorschrift gilt kraft Verweisung in § 62 VwVfG entspr für Ansprüche aus öffentlich-rechtl Verträgen auf die Begründung oder Aufgabe von den genannten dinglichen Rechte vergleichbaren Rechtspositionen nach öffentlichem Recht (VGH München BayVBl 2010, 242). Das kann zB die Begründung einer Baulast oder einer Sonder(straßen)baulast sein (VGH München aaO). Auf zivilrechtliche Ansprüche auf die Begründung oder Aufgabe solcher dinglichen Rechte an Grundstücken vergleichbare Rechtspositionen nach öffentlichem Recht ist die Vorschrift entspr anwendbar. Denn hier bestehen, soweit die Ansprüche der Verjährung unterliegen, die gleichen Schwierigkeiten, die den Gesetzgeber zu der – an sich eng zu verstehenden – Sonderregelung bewogen haben (Bremen OLGRp 2009, 442f für bremische Grundlast). Außerdem ist der öffentlich-rechtl oder privatrechtliche Charakter solcher Rechtspositionen nicht immer eindeutig festzustellen (Bremen aaO). Der Rechtsgrund des Anspruchs ist gleichgültig. Das wird teilw anders gesehen. Mit Rücksicht auf die Motiva- 4 tion der Regelung, Schwierigkeiten beim Grundbuchvollzug Rechnung zu tragen (Entwurfsbegründung in BTDrs 14/6040, 105), wird die Ansicht vertreten, die Vorschrift sei auf vertragliche Ansprüche telelogisch zu reduzieren (LG Rottweil NJW-RR 2007, 452, 453; BaRo/Henrich Rn 3). Dem ist nicht beizutreten (so jetzt auch NK/Mansel/Stürner Rn 18). Schon in der Begründung wird als Grund für die Sonderverjährung nicht nur auf die Schwierigkeiten beim Grundbuchvollzug, sondern auch auf die stehen gelassenen Grundschulden verwiesen, Fälle also, in denen es nicht um die Schwierigkeiten beim Grundbuchvollzug, sondern um vermehrten Zeitbedarf bei der Geltendmachung von Ansprüchen geht. Diese allgemeinere Zielsetzung schlägt sich in einem bewusst allg gefassten Wortlaut nieder. Deshalb kommt es auf den Grund des Anspruchs nicht an (BGH NJW-RR 2008, 824, 825 ebenso Vorinstanz: Rostock ZGS 2007, 272, 273f). Entscheidend ist der Anspruchsinhalt (BGH NJW 2011, 218, 220 Rn 28; Pal/Ellenberger Rn 5; MüKo/Grothe Rn 5; aM Lüneborg NJW 2012, 2145, 2147). Auch gesetzliche Ansprüche etwa auf Einräumung einer Bauhandwerkersicherungshypothek nach § 648 werden erfasst (BaRo/Henrich Rn 5). Die Vorschrift gilt deshalb auch für gesetzliche Ansprüche aus der Rückabwicklung von (nichtigen) Verträgen (BGH NJW-RR 2008, 824, 825; NVwZ-RR 2009, 412). Nichts Anderes gilt für Ansprüche aus einer nichtigen Vereinbarung über die Rückabwicklung eines solchen Rechtsgeschäfts (BGH NJW 2010, 297). Beides gilt aber nur, wenn die nichtige oder rückabzuwickelnde Vereinbarung auf die Verpflichtung zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück, auf Rechte an einem Grundstück oder auf die Änderung des Inhalts solcher Rechte zielte. Fehlt es daran, ist § 196 nicht anwendbar, auch wenn die unzulässige und darum nichtige Vereinbarung in das Gewand eines (nicht vollzogenen) Grundstückskaufvertrags gekleidet ist (BGH NJW 2010, 297). Diese andere Zielsetzung steht der Anwendung von § 196 aber nicht entgegen, wenn es tatsächlich zu einem Leistungsaustausch kommt und nunmehr auch das Eigentum an einem Grundstück und die (formale) Gegenleistung dafür rückabzuwickeln ist. § 196 erfasst zwar auch die Gegenleistung für die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück oder die 5 Übertragung oder Änderung des Inhalts von dinglichen Rechten an einem Grundstück (dazu Rn 3). Das bedeutet aber nicht, dass die Vorschrift nur anwendbar wäre, wenn es um beide Leistungen geht. Dann liefe sie praktisch leer, weil die Verjährung nach § 194 für jeden Anspruch gesondert zu beurteilen ist. § 196 ist vielmehr auf jeden einzelnen Anspruch aus einem solchen Rechtsgeschäft oder seiner Rückabwicklung anwendbar, also zB auch dann, wenn ein nichtiger Vertrag nur einseitig erfüllt ist und nur die Gegenleistung zurückgefordert wird (BGH NJW-RR 2008, 824, 825; NVwZ 2010, 531, 536). Dann aber gibt es keinen Grund, Ansprüche auf Übertragung des Eigentums oder auf Verfügungen über beschränkte dingliche Rechte an Grundstücken nur deshalb aus dem Anwendungsbereich des § 196 herauszunehmen, weil es sich um Sekundäransprüche handelt (BGH NJW 2011, 218, 219; Rostock wie vor; MüKo/Grothe Rn 5; PWW/Kesseler Rn 3; Lüneborg NJW 2012, 2145, 2147; wohl auch Wassermann jurisPR-BGHZivilR 15/2010 Anm 2 unter C aE; aM NK/Mansel/Stürner Rn 29). Auch gesetzliche Ansprüche auf Bestellung von Erbbaurechten oder Dienstbarkeiten nach §§ 32, 116, 121 SachenRBerG gehören dazu (Czub/Schmidt-Räntsch, ZfIR 2007, 517, 518f). Die Vorschrift gilt entspr für das AnSchmidt-Räntsch

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Verjährung

kaufsrecht nach §§ 61, 121 SachenRBerG (BGH ZfIR 2015, 152 Rn. 22; Brandenburg ZOV 2013, 164; Rostock ZOV 2016, 100). Es ist zwar formal auf Annahme des Angebots auf Abschluss eines Grundstückkaufvertrags gerichtet, in der Sache aber auf Verschaffung des Eigentums am Grundstück (Czub/Schmidt-Räntsch wie vor; aM Maletz ZfIR 2007, 613). Nicht von § 196 erfasst werden die Restitutionsansprüche nach §§ 3, 6 VermG. Sie sind öffentlich-rechtl Ansprüche gegen den Staat auf Bescheidung des Restitutionsantrags. Der Staat ist hier nicht als Träger privater Rechte, sondern als Träger öffentlicher Entscheidungsgewalt angesprochen. Auch der Anspruch auf Einleitung eines Verfahrens nach § 64 LwAnpG unterliegt nicht der Verjährung nach § 196 (OVG Bautzen LKV 2017, 185, 186). 5a Str ist die Frage, welcher Verjährungsfrist Ansprüche auf Anpassung eines Vertrags nach § 313 unterliegen (Nachw bei BGH ZOV 2015, 134 Rn 22). ME unterliegen sie jedenfalls dann auch der Verjährungsfrist des § 196, wenn sie Ansprüche betreffen, die dieser Frist unterliegen. Denn diese Ansprüche können – in dem der geschuldeten Anpassung entsprechendem Umfang – auch ohne vorherige Änderung des Vertrags geltend gemacht werden (BGH 191, 139 Rn 34). Verjährten sie unterschiedlich, müsste innerhalb der Regelverjährung Klage auf Anpassung erhoben werden, obwohl der durchzusetzende Sachanspruch gem § 196 in zehn Jahren verjährt. Das ist nicht sachgerecht. Deshalb verjährt der Anspruch auf Anpassung ebenfalls in der Verjährungsfrist des § 196, wenn der anzupassende Anspruch nach dieser Vorschrift verjährt (BGH NJW 2015, 1014 Rn 35, 51). 6 3. Einer Verjährungsfrist von zehn Jahren unterliegt auch der Anspruch auf die Gegenleistung für den Anspruch auf Auflassung eines Grundstücks oder für Ansprüche auf Begründung, Übertragung oder Aufhebung eines beschränkten dinglichen Rechts an einem Grundstück. Das ist zunächst der Kaufpreis für ein Grundstück oder Erbbaurecht. Dieser muss nicht allein für das Grundstück oder beschränkte dingliche Rechte an einem Grundstück bestimmt sein. Deshalb gehört auch der Vergütungsanspruch des Bauträgers dazu (Brambring DNotZ 2001, 904; Pauly MDR 2004, 16, 17f; Pal/Ellenberger Rn 4; Staud/Peters/Jacoby Rn 11; aM München BauR 2015, 1194; Wagner ZfIR 2002, 260). Ansprüche auf die Gegenleistung sind auch ein Nachzahlungsanspruch, der dem (staatlichen) Verkäufer eines Grundstücks für den Fall zusteht, dass es nicht für den subventionierten Zweck verwendet wird (BGH NVwZ 2010, 531, 536), und der Anspruch des Käufers auf Rückzahlung eines Kaufpreisanteils, der den nach § 3 VII AusglLeistG zulässigen Preis übersteigt (BGH ZOV 2015, 134 Rn. 21). Erfasst wird auch die Gegenleistung für die Bestellung einer Dienstbarkeit oder dgl. Gegenleistung für die Bestellung eines Erbbaurechts ist nur der Erbbauzins als das reallastartige Stammrecht (BGH WM 1992, 705, 707), nicht die einzelnen Erbbauzinsraten (BGH ZGS 2009, 562). Auch der schuldrechtliche Erbbauzinsanspruch ist nicht die Gegenleistung, was der BGH aus dem systematischen Zusammenhang zu § 197 II ableitet (ZGS 2009, 562, 563). Es muss sich nicht unbedingt um einen Zahlungsanspruch handeln. Auch ein Anspruch auf eine Sachleistung wie zB beim Tausch ist möglich (MüKo/Grothe Rn 7; Soergel/Niedenführ Rn 7). Gegenleistung ist nur die Leistung, die um der Begründung, Übertragung, Änderung oder Aufhebung des Rechts willen ausbedungen worden ist, also im Synallagma steht (BGH NJW-RR 2008, 824 Rn 24ff; ZfIR 2014, 182 Rn 11). Eine nicht synallagmatische Leistung würde nicht ausreichen (BaRo/Henrich Rn 11; Amann DNotZ 2002, 94, 116f). Das Synallagma muss nicht durch eine rechtsgeschäftliche Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung begründet werden. Es genügt, wenn der Sache nach ein Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma iwS) besteht (BGH NVwZ 2010, 531, 536; ähnlich MüKo/Grothe Rn 7). Ein solches Synallagma iwS kann auch durch Gesetz hergestellt werden, zB in § 118 SachenRBerG (Czub/Schmidt-Räntsch, ZfIR 2007, 517, 520f). Gegenleistung ist auch der Ankaufsanspruch des Eigentümers nach §§ 61, 121 SachenRBerG (Czub/Schmidt-Räntsch ZfIR 2007, 517, 521). Ein Synallagma iwS kann sich auch aus dem Vorgang ergeben, der mit den gesetzlichen Ansprüchen bewältigt werden soll. Bsp hierfür sind die beiderseitigen Ansprüche aus der Rückabwicklung eines (nichtigen) Vertrags (BGH NJW-RR 2008, 824, 825; NJW 2010, 297; NVwZ 2010, 531, 536, ZOV 2015, 134 Rn. 18). Ansprüche aus § 3 III 4, § 6a VIa 3 und 4 VermG und § 16 InVorG unterliegen der regelmäßigen Verjährung gem § 195 (BGH NJW-RR 2013, 1236 Rn 15f; ZOV 2014, 158). § 196 gilt für die Ansprüche nicht. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass diese Ansprüche an die Stelle des an sich gegebenen Restitutionsanspruchs treten (aM Brandenburg ZOV 2013, 161). Zw diesen Ansprüchen und dem Restitutionsanspruch besteht kein Gegenseitigkeitsverhältnis. Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht mit § 213 begründen. Der Restitutionsanspruch verjährt nicht nach § 196, weil er ein öffentlich-rechtl Anspruch auf Bescheidung des Restitutionsantrags gegen den Staat und der Staat hier nicht als Träger privater Rechte angesprochen ist. 7 Die Anwendung des § 196 auf den Leistungsanspruch hängt nicht von dem Bestehen einer Gegenforderung ab. Auf ihn ist § 196 auch anzuwenden, wenn es keine Gegenleistung gibt (MüKo/Grothe Rn 7; Soergel/Niedenführ Rn 7), wie zB bei dem Löschungsanspruch aus einer Sicherungsabrede, wenn sie nicht erbracht ist (BGH NJWRR 2008, 824, 825; NJW 2010, 297) oder wenn sie bereits erfüllt ist (NK/Mansel/Stürner Rn 28; BaRo/Henrich Rn 12; Soergel/Niedenführ Rn 7). 8 4. Auf einen Vertrag über die Verschaffung anderer Rechte ist § 196 nicht anwendbar. Dies wäre nur im Wege der Analogie möglich. Der steht indessen grds der Wille des Gesetzgebers entgegen. Dieser hat Abweichungen von der regelmäßigen Verjährungsfrist bewusst auf das unabdingbare Minimum beschränkt. Deshalb ist § 196 nicht auf Ansprüche auf Besitzverschaffung anwendbar (NK/Mansel/Stürner Rn 20). Etwas Anderes gilt aber für den Anspruch auf Besitzverschaffung als Teil eines Anspruchs auf Verschaffung des Eigentums oder eines beschränkten dinglichen Rechts, das zum Besitz berechtigt. Die Nichtanwendung von § 196 würde den Gläubiger dazu zwingen, erst die Verschaffung des Eigentums oder dinglichen Rechts einzuklagen, um sich nach Vollstreckung dieses Anspruchs aus dem dinglichen Recht den Besitz zu verschaffen. Das entspricht nicht den Vorstel584

Schmidt-Räntsch

Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 197

lungen des Gesetzgebers, der zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch den Anspruch auf die Gegenleistung in die lange Verjährung des § 196 einbezogen hat. Dem entspricht es, § 196 auf den begleitenden Besitzverschaffungsanspruch anzuwenden (NK/Mansel/Stürner Rn 21; BaRo/Henrich Rn 9; MüKo/Grothe Rn 6; PWW/Kesseler Rn 5; aM Pal/Ellenberger Rn 6).

§ 197

Dreißigjährige Verjährungsfrist

(1) In 30 Jahren verjähren, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, 1. Schadensersatzansprüche, die auf der vorsätzlichen Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung beruhen, 2. Herausgabeansprüche aus Eigentum, anderen dinglichen Rechten, den §§ 2018, 2130 und 2362 sowie die Ansprüche, die der Geltendmachung der Herausgabeansprüche dienen, 3. rechtskräftig festgestellte Ansprüche, 4. Ansprüche aus vollstreckbaren Vergleichen oder vollstreckbaren Urkunden, 5. Ansprüche, die durch die im Insolvenzverfahren erfolgte Feststellung vollstreckbar geworden sind, und 6. Ansprüche auf Erstattung der Kosten der Zwangsvollstreckung. (2) Soweit Ansprüche nach Absatz 1 Nr. 3 bis 5 künftig fällig werdende regelmäßig wiederkehrende Leistungen zum Inhalt haben, tritt an die Stelle der Verjährungsfrist von 30 Jahren die regelmäßige Verjährungsfrist. Schrifttum: Althammer, Verjährungshemmung durch unzulässige Klage des Rechtsnachfolgers, NJW 2011, 2172; Franck, Die Verjährung erbrechtlicher Ansprüche nach dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz, 2005; Grunsky, Die Auswirkungen des „urteilsvertretenden Anerkenntnisses“ auf die Verjährung, NJW 2013, 1336; Gsell, Negative Feststellungsklage und Hemmung der Verjährung, FS Manfred Wolf, 2011, 393; Haas/Schulze, Urteilsvertretendes Anerkenntnis und Verjährung, Festschrift v Westphalen, 2010, 253; Lange, Wann verjährt der Anspruch aus § 2018 BGB?, JZ 2013, 5981.

1. Mit § 197 benennt der Gesetzgeber die Ansprüche, für welche weiterhin eine Verjährungsfrist von 30 Jahren 1 gelten soll. Die Regelung ist abschließend. Anders als der frühere § 218 (dazu Düsseldorf MDR 1995, 160) unterliegt die Verjährung auch nach § 197 I Nr 3–5 allen Vorschriften des Abschnitts 5. 2. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs v 26.6.2013 1a (BGBl I 1805) am 30.6.2013 gilt für Schadensersatzansprüche, die auf der vorsätzlichen Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung beruhen, nicht mehr die regelmäßige Verjährungsfrist, sondern die Verjährungsfrist von 30 Jahren (§ 197 I Nr 1). Der Gesetzgeber hat sich dabei an der schon bisher geltenden Höchstfrist nach § 199 III orientiert, die jetzt nur noch für Schadensersatzansprüche wegen fahrlässiger Verletzung bedeutsam ist. Mit der Verlängerung der Verjährungsfrist soll vor allem der besonderen Situation von Opfern sexueller Gewalt Rechnung getragen werden. Sie kennen ihre Peiniger nicht selten und müssten nach § 199 I dann in der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren gem § 195 tätig werden. Dazu sind sie aber oft aus Scham, Abhängigkeit von dem Peiniger oder der Institution, der er angehört, oder wegen der seelischen Folgen der Verletzung nicht in der Lage (Entwurfsbegr in BT-Drs 17/6261, 20). Deshalb soll gewissermaßen von vornherein die Höchstfrist nach § 199 III als reguläre Verjährungsfrist gelten. Auf die Voraussetzungen des § 199 kommt es nicht mehr an. Es kommt auch nicht darauf an, ob und warum der Verletzte seine Ansprüche erst nach dem Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist geltend macht. Sie gilt für ihn nicht mehr. Die Vorschrift gilt für jede vorsätzliche Verletzung der genannten Rechtsgüter. Zwar ist in erster Linie an den Schutz der Opfer sexueller Gewalt gedacht. Die Vorschrift stellt aber allein auf eine Verletzung eines der genannten Rechtsgüter ab. Ob ein Zusammenhang mit sexueller Gewalt besteht, ist unerheblich. Die Vorschrift greift vielmehr auch bei Verletzungen von Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit, die keinen Bezug zu sexueller Gewalt aufweisen. Die Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt nur für Schadensersatzansprüche, nicht für andere Ansprüche aus der 1b Verletzung der in § 197 I Nr 1 genannten höchstpersönlichen Rechtsgüter. Sie gilt auch nur für Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher Verletzung dieser Rechtsgüter. Vorsatz ist nicht gleichbedeutend mit absichtlich, wenngleich die absichtliche Verletzung natürlich auch erfasst wird. Es reicht, wenn der Schädiger die Verletzung billigend in Kauf nimmt (dolus eventualis). Nicht erfasst werden Schadensersatzansprüche wegen fahrlässiger Verletzung der Rechtsgüter. Das gilt auch für grobe Fahrlässigkeit. Auf welchem Rechtsgrund der Schadensersatzanspruch beruht, ist für die Verjährung unerheblich. Ansprüche aus unerlaubter Handlung werden ebenso erfasst wie Ansprüche wegen Pflichtverletzung aus Vertrag oder aus anderer gesetzlicher Haftung. Es kann sich um einen Tatbestand nach § 823 I oder auch um die Verletzung eines Schutzgesetzes handeln, was vor allem für die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bedeutsam werden kann. Geschützt sind die in dem Vorbild gebenden § 199 III genannten Schutzgüter Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit. Für deren Inhalt kann auf die Kommentierung von § 823 I zurückgegriffen werden. Darüber hinaus wird auch die sexuelle Selbstbestimmung erfasst, um deren Schutz willen die Verjährungsfrist gerade eingeführt worden ist. Sie wird in § 208 noch besonders angesprochen. Der Inhalt dieser Schutzguts wird als bekannt vorausgesetzt. Er erschließt sich aus den Straftatbeständen des 13. Abschnitts des StGB (§§ 174–184g StGB). Die Aufzählung der Schutzgüter in § 197 I Nr 1 ist abschließend. Die Vorschrift kann auf andere höchstpersönliche Rechte, insb auf das APR, nicht entspr angewendet werden. Schmidt-Räntsch

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Verjährung

Nach dem Willen des Gesetzgebers geht der Schutz des Opfers immer vor. Deshalb verjähren die in § 197 I Nr 1 genannten Schadenersatzansprüche auch dann in 30 Jahren, wenn für das Rechtsverhältnis oder für konkurrierende Ansprüche eine kürzere Verjährungsfrist vorgeschrieben ist. Für die Verjährungsfrist nach § 197 I Nr 1 gelten zwei spezielle Hemmungsvorschriften, § 207 und § 208. Der Gesetzgeber hatte § 208 zunächst streichen wollen (BT-Drs 17/6261, 20), dann aber davon abgesehen (BT-Drs 17/12735, 18). 3. In 30 Jahren verjähren Herausgabeansprüche aus dinglichen Rechten. Dies entspricht der Rechtslage vor dem 1.1.2002 (BGH LM Nr 2 zu § 989 BGB; RG Warn 1929 Nr 27; MüKo/Medicus4 § 985 Rn 24; Piepenbrock aaO, 394; Schoen NJW 2001, 537, 543). Im Gesetzgebungsverfahren waren im Anschluss an einen Beitrag von Siehr (ZRP 2001, 346) Zweifel daran aufgekommen. Es stellte sich aber heraus, dass diese Zweifel nicht berechtigt waren (BR-Drs 819/01 [Beschl]). Rechtspolitische Forderungen nach einer Aufgabe der Verjährbarkeit von Herausgabeansprüchen hat der Gesetzgeber mit Rücksicht auf den Verkehrsschutz nicht aufgegriffen (BT-Drs 14/7052, 179). Auch der Rückgabeanspruch nach § 6 KulturgüterrückgabeG (v 15.10.1998, BGBl I 3162) unterliegt nach § 10 I 3 KulturgüterrückgabeG grds einer Verjährung von 30 Jahren. Allerdings gelten hier zwei Ausnahmen: Die Verjährung beträgt bei Gegenständen aus öffentlichen oder kirchlichen Sammlungen 75 Jahre; der Anspruch ist unverjährbar, wenn und soweit er auch nach dem Recht des um die Rückgabe ersuchenden Mitgliedstaats keiner Verjährung und keinem durch Zeitablauf bedingten Erlöschen unterliegt (§ 10 II KulturgüterrückgabeG). Auch bei Verjährbarkeit des Herausgabeanspruchs kann dem Schuldner allerdings im Einzelfall auch nach Ablauf der Verjährungsfrist von 30 Jahren versagt sein, sich auf den Eintritt der Verjährung zu berufen (BaRo/Henrich Rn 9; Jayme FAZ v 16.1.2002). Nicht jeder Herausgabeanspruch verjährt in 30 Jahren, sondern nur ein Herausgabeanspruch aus dinglichen Rechten. Herausgabeansprüche aus anderen absoluten Rechten (NK/Mansel/Stürner Rn 34f; MüKo/Grothe Rn 8f) oder aus Vertrag (NK/Mansel/Stürner Rn 27; Soergel/Niedenführ Rn 5) werden nicht erfasst. Das gilt aber nicht für den Anspruch des Vermieters auf Herausgabe nach § 562b II 1. Es handelt sich hierbei um einen speziell ausgeformten Herausgabeanspruch aus seinem gesetzlichen Vermieterpfandrecht, der § 197 I Nr 2 unterfällt (NK/ Mansel/Stürner Rn 21). Dingliche Rechte sind das Eigentum und andere Ausschnitte aus dem Eigentum, die dem Inhaber ein Recht zum Besitz verschaffen. Denn andernfalls begründen sie keinen Herausgabeanspruch. Zu diesen Rechten gehören der Nießbrauch (§ 1036 I) und das Pfandrecht an beweglichen Sachen (§ 1227 iVm § 985). Ansprüche auf Herausgabe von Nutzungen fallen nicht unter § 197 I Nr 2, auch wenn sie auf die Herausgabe von Sachen gerichtet sind (NK/Mansel/Stürner Rn 24; Pal/Ellenberger Rn 3). Dieser Anspruch ist die gesetzliche Folge der Herausgabe, nicht ihr Gegenstand, was sich auch darin zeigt, dass der Anspruch auf Nutzungsherausgabe auch dann besteht, wenn die gezogene Nutzung nicht in Gestalt einer herausgabefähigen Sache zur Verfügung steht. Die Voraussetzungen des § 197 I Nr 2 würden auch bei Nießbrauchen und Dienstbarkeiten an Grundstücken, Erbbaurechten, beim Wohnungsrecht, bei Bergwerkseigentum, bei WE und beim Dauerwohn- und Dauernutzungsrecht nach WEG vorliegen. Diese Rechte unterliegen aber nach § 902 S 1, nach § 34 II WEG iVm § 902 BGB, § 11 I 1 ErbbauRG und nach § 9 I 1 Hs 2 BBergG iVm § 902 S 1 nicht der Verjährung (BaRo/H. W. Eckert § 902 Rn 4; aM KG KGRp 2003, 17, 18), so dass auch § 197 I Nr 2 keine Anwendung findet. Nach ganz hM (BGH 32, 194, 204; NK/Mansel/Stürner Rn 26; BaRo/Henrich Rn 5; Soergel/Niedenführ Rn 5) gehört der Besitz nicht zu den dinglichen Rechten. Er stellt nicht das im Eigentum oder in einem Ausschnitt hieraus wurzelnde Recht des Besitzers zur unmittelbaren Herrschaft über eine Sache, sondern nur die tatsächliche unmittelbare Herrschaft des Besitzers dar. Nicht erfasst werden andere als Herausgabeansprüche. Das sind vor allem Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche aus dinglichen Rechten nach § 1004 (BayObLG ZfIR 2001, 486; NK/Mansel/Stürner Rn 29–32; BaRo/ Henrich Rn 7; Soergel/Niedenführ Rn 6). Soweit diese verjähren (dazu § 902 Rn 5), unterliegen sie der regelmäßigen Verjährung. Der Gesetzgeber hat kein Bedürfnis gesehen, sie ebenfalls der Verjährung von 30 Jahren zu unterstellen (BT-Drs 14/6040, 105f). Der hinausgeschobene Verjährungsbeginn schütze den Gläubiger hinreichend. Das wird zT anders gesehen (etwa NK/Mansel/Stürner Rn 30f). Zu berücksichtigen ist aber, dass Unterlassungsansprüche bei jeder Zuwiderhandlung neu entstehen. Eine Einbeziehung von Beseitigungsansprüchen würde auch zu Verwerfungen mit den meist gleichzeitig gegebenen Ansprüchen aus unerlaubter Handlung führen. Eine Ausnahme gilt aber für den Anspruch auf Beseitigung einer Beeinträchtigung der Grunddienstbarkeit, die durch eine Anlage auf dem dienenden Grundstück verursacht wird. Die Verjährung eines solchen Anspruchs löst nämlich nicht nur die Einrede der Verjährung nach § 214 aus, sondern darüber hinaus auch das (teilw) Erlöschen der Dienstbarkeit. Damit wird die Rechtsverwirklichung in der gleichen Weise erschwert wie bei der Vorenthaltung des Besitzes ggü dem Eigentümer. Das rechtfertigt und erfordert die Anwendung der Verjährungsfrist von 30 Jahren analog § 197 I Nr 2 (BGH ZfIR 2015, 111 Rn 13, 29). 4. Ebenfalls einer Verjährungsfrist von 30 Jahren unterliegen die erbrechtlichen Herausgabeansprüche nach §§ 2018, 2130 und 2362. Als ersten nennt die Vorschrift den Herausgabeanspruch des Erben gegen den Erbschaftsbesitzer gem § 2018. Damit spricht die Vorschrift nicht den Erbschaftsanspruch als einheitlichen Gesamtanspruch (dazu BaRo/Müller-Christmann Rn 6) an. Vielmehr ist nur der dingliche Einzelanspruch aus § 2018 gemeint (BT-Drs 16/8954, 12f). Dazu gehört auch der Anspruch auf Herausgabe der Erbschaftssurrogate nach § 2018 iVm § 2019. Nicht dazu gehören aber die obligatorischen Ansprüche des Erben auf Herausgabe einer Bereicherung nach § 2021 iVm §§ 812ff, der Anspruch auf Ersatz von Verwendungen nach § 2011, der Schadensersatzanspruch nach §§ 2023–2025 und der Anspruch auf Herausgabe der Früchte nach § 2020. Als zweiten Anspruch nennt § 197 I Nr 2 den Herausgabeanspruch des Nacherben gegen den Vorerben nach § 2130 BGB. 586

Schmidt-Räntsch

Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 197

Gemeint sind auch nicht alle Ansprüche des Nacherben gegen den Vorerben, sondern nur der Herausgabeanspruch selbst. Hier wie bei dem Anspruch des Erben gegen den Erbschaftsbesitzer wird von der Verweisung auch der Anspruch auf Herausgabe von Erbschaftssurrogaten nach §§ 2130 iVm § 2111 erfasst. Erfasst wird auch die Einschränkung aus § 2137. Nicht erfasst werden dagegen wie beim Erbschaftsherausgabeanspruch die Ansprüche auf Schadensersatz, gleich auf welcher Grundlage, und Bereicherungsansprüche. Schließlich unterliegt auch der Anspruch des Erben gegen den Scheinerben auf Herausgabe eines unrichtigen Erbscheins nach § 2362 I einer Verjährungsfrist von 30 Jahren. Erfasst wird in erster Linie der Anspruch des Erben selbst. Die lange Verjährungsfrist gilt aber auch für den Nacherben und den Testamentsvollstrecker, denen der Anspruch aus § 2362 I ebenfalls zusteht (§§ 2363 II, 2364 II). Nicht anzuwenden ist die lange Verjährungsfrist auf Sekundäransprüche. Die Verjährung des Erbschaftsanspruchs begann unter Geltung des bis zum 31.12.2009 geltenden Verjährungsrechts einheitlich mit der Entstehung des Erbschaftsanspruchs. Und dieser entsteht – als Gesamtanspruch –, sobald der Erbe erstmals etwas aus der Erbschaft erlangt oder erstmals einen solchen Gegenstand als Erbe in Anspruch nimmt (BGH VIZ 2004, 342, 344; Lang JZ 2013, 598, 601). Diese Regelung galt nach § 2029 auch für konkurrierende Ansprüche etwa aus § 985. Ausgenommen waren nur Ansprüche aus § 2025, für welche die Verjährung nach § 852 und seit dem 1.1.2002 nach §§ 195, 199 galt. Die einheitliche Verjährung des Erbschaftsanspruchs hat der Gesetzgeber mit § 197 I Nr 2 aufgegeben. Vielmehr unterliegt der Erbschaftsanspruch je nach der Ausprägung, um die es geht, einer anderen Verjährungsfrist. Das hat zwingend zur Folge, dass auch an dem einheitlichen Beginn nicht mehr festgehalten werden kann. Deshalb beginnt die Verjährung des Erbschaftsanspruchs nach § 197 I Nr 2 nicht schon, wenn der Erbschafsbesitzer irgendetwas aus der Erbschaft erlangt oder als Erbe beansprucht, sondern erst mit der Erlangung des Gegenstands, dessen Herausgabe verlangt wird (Lange JZ 2013, 598, 602). 5. Die Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt auch für Ansprüche, die der Geltendmachung der Herausgabeansprüche dienen. Die Erstreckung von § 197 I Nr 2 auf solche Ansprüche ist zwar mit dem ErbRÄndG 2009 eingeführt worden. Sie erweist sich hier auch als notwendig. Gleichwohl gilt dieser Teil der Regelung gilt nicht nur für Ansprüche, die der Geltendmachung der erbrechtlichen Herausgabeansprüche dienen. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr ausdr dafür entschieden, diese Erstreckung auch für Ansprüche vorzunehmen, die der Geltendmachung der dinglichen Herausgabeansprüche dienen (BT-Drs 16/8954, 13 re Sp). Sie gilt auch nicht nur für dingliche Ansprüche, die mit erbrechtlichen Ansprüchen in Konkurrenz stehen, sondern auch für dingliche Ansprüche ohne Bezug zu einem erbrechtlichen Sachverhalt. Die Hilfsansprüche verjähren eigenständig (BGH 33, 373, 379). Gedacht ist dabei in erster Linie an Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung (BT-Drs 16/8954, 13). Solche sind für die erbrechtlichen Herausgabeansprüche speziell geregelt. Das sind insb die Auskunftsansprüche nach den §§ 260, 2027 und 2130 II, aber auch der Auskunftsanspruch nach § 2362 II, der ebenfalls der Durchsetzung des Herausgabeanspruchs nach § 2018 dient. Dazu gehören auch Ansprüche auf Auskunft oder Rechnungslegung nach den allg Vorschriften. Diese werden sich selten speziell auf die herauszugebende Sache beziehen. Sie werden sich meist auf Vorgänge im Zusammenhang mit einem Schuldverhältnis beziehen, in dessen Rahmen der Schuldner in den Besitz einer Sache gelangt sein kann, die (auch) einem dinglichen Herausgabeanspruch unterliegt. Bsp sind die Auskunftsansprüche nach §§ 666, 681 oder 713. Die Ansprüche aus solchen Verhältnissen unterliegen als solche nicht der Verjährung nach § 197 I Nr 2, sondern meist der regelmäßigen Verjährung. Das gilt grds auch für den Auskunftsanspruch. Etwas Anderes gilt aber nach § 197 I Nr 2, soweit die verlangte Auskunft der Geltendmachung eines dinglichen oder erbrechtlichen Herausgabeanspruchs dient. Von der Privilegierung sind nur Hilfsansprüche erfasst, die dem Gläubiger des Herausgabeanspruchs zustehen. Denn nur solche Ansprüche „dienen“ der Geltendmachung des Herausgabeanspruchs. Auskunfts- und Rechnungslegungspflichten ggü anderen Personen oder Stellen, zB die Auskunftspflicht des Vormunds ggü dem FamG gem § 1839, können zwar letztlich auch bei der Geltendmachung der Ansprüche nützlich sein. Der Gläubiger des Herausgabeanspruchs kann aber gerade nicht selbst die Unterrichtung verlangen. Dann aber dient der Anspruch der Geltendmachung des Herausgabeanspruchs nicht. Nicht jeder Anspruch, der dem Eigentümer zum Besitz seiner Sache verhilft, ist ein Hilfsanspruch. So ermöglicht zB das Verfolgungsrecht des Eigentümers nach §§ 867, 1005 das Aufsuchen der Sache, sie dienen aber nicht der Geltendmachung des Herausgabeanspruchs. Nicht von § 197 I Nr 2 erfasst werden dagegen Ansprüche, die an die Stelle des Herausgabeanspruchs treten. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung allein den Herausgabeanspruch aus dinglichen Rechten und die ihrer Geltendmachung dienenden Ansprüche privilegieren wollen. Das schließt es aus, diese Frist auf Ersatzansprüche anzuwenden (BaRo/Henrich Rn 7; Staud/Peters/Jacoby Rn 10; Lüneborg NJW 2012, 2145, 2147f; krit Ernst ZRP 2001, 1, 5). 6. a) Die 30-Jahres-Verjährung gilt nach § 197 I Nr 3 auch für rechtskräftig festgestellte Ansprüche. Das gilt auch für den prozessualen Kostenerstattungsanspruch, der erst durch die rechtskräftige Kostengrundentscheidung nach § 197 I Nr 3 verjährt, sonst nach §§ 195, 199 (vgl § 195 Rn 23). Eine solche rechtskräftige Feststellung kann durch Leistungsurteil, ein auch sehr allg gehaltenes Feststellungsurteil (BGH NJW-RR 1989, 215), eine Verurteilung zur Leistung von Vorschuss zB auf Mängelbeseitigungskosten (BGH MDR 2008, 1387, 1388), durch Vollstreckungsbescheid (§ 700 ZPO), durch Feststellungsbeschluss nach § 253 FamFG, durch Kostenfestsetzungsbeschluss (MüKo/Grothe Rn 17; vgl aber unten Rn 15), sowie durch Vorbehaltsurteil (BT-Drs 14/6040, 100; München OLGRp 1993, 23; NK/Mansel/Stürner Rn 54; MüKo/Grothe Rn 19) erfolgen, nicht jedoch durch ZwischenSchmidt-Räntsch

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Verjährung

urteil über einzelne Angriffsmittel (§ 303 ZPO) oder über den Grund (§ 304 ZPO), das nur vorbereitende Bedeutung für das Endurteil hat und daher den Rechtsstreit nicht beendet (BGH NJW 1985, 791f; RG 117, 423). Wird durch rechtskräftiges Urt eine negative Feststellungsklage, die sich auf einen der Höhe nach bestimmten Anspruch bezieht, aus sachlichen Gründen abgewiesen, so ist damit zugleich positiv über den gegnerischen Anspruch entschieden, so dass dieser der dreißigjährigen Frist des § 197 I Nr 3 unterliegt. Umfang und Tragweite der positiven Feststellung ergeben sich aus den Gründen des rechtskräftigen Urt (BGH NJW 1972, 1043; 1975, 1320; 1983, 954; 1986, 2508 m Anm Tiedtke JZ 1986, 1051; Schleswig NJW 1976, 970; aA Staud/Peters/Jacoby Rn 42f). Ein Zahlungsanspruch, in den ein rechtskräftig zuerkannter Freistellungsanspruch aus Prospekthaftung übergegangen ist, verjährt erst 30 Jahre nach Rechtskraft des Freistellungsurteils (BGH NJW 1991, 2014). Gleichgültig ist, in welcher Gerichtsbarkeit und durch welches Gericht die Entscheidung getroffen worden ist (NK/Mansel/Stürner Rn 46; BaRo/Henrich Rn 13). Soweit allerdings (in den öffentlich-rechtl Gerichtsbarkeiten) Zahlungsbescheide Gegenstand des Rechtstreits sind, geht die besondere Verjährungsregelung nach VwVfG, SGB X usw vor (Vor § 194 Rn 17). 11 § 197 I Nr 3 gilt nicht nur für Urt inl, sondern auch für Urt ausl Gerichte. Allerdings müssen sie entweder nach der VO (EU) Nr 1215/2012 („Brüssel Ia“-VO), nach Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen oder nach § 328 ZPO anerkennungsfähig sein. Grundlage der Verjährung ist dann das ausl oder das Schiedsurteil, nicht die Entscheidung, aufgrund derer dieses im Inland vollstreckt werden kann (NK/Mansel/Stürner Rn 47; MüKo/ Grothe Rn 18; Staud/Peters/Jacoby Rn 50 aE). § 197 I Nr 3 gilt nicht nur für staatliche Gerichte, sondern auch für Urt inl wie ausl Schiedsgerichte (NK/Mansel/Stürner Rn 48; PWW/Kesseler Rn 7). 11a Die iSd § 197 I Nr 3 rechtskräftige Feststellung eines Anspruchs kann auch durch eine andere Stelle erfolgen, die einem staatlichen Gericht vergleichbar ist (BGH ZfIR 2013, 591 Rn 19). Zu diesen Stellen gehören Verwaltungsbehörden nicht. Das ergibt sich daraus, dass der Gesetzgeber mit § 197 I Nr 3 die Vorschrift in § 218 aF inhaltlich unverändert übernommen hat (BT-Drs 14/6040, 106) und diese Vorschrift Verwaltungsbehörden nicht erfasste, wie sich aus § 220 aF ergibt. Auf die bestandskräftige Feststellung zivilrechtlicher Ansprüche von Bürgern durch Verwaltungsbehörden ist § 197 I Nr 3 aber analog anzuwenden. Dem Gesetzgeber ist nämlich entgangen, dass dies – im VermG – heute noch vorkommt und eine dem § 200 aF entspr Regelung notwendig war (BGH NJWRR 2013, 1236 Rn 24, 26). 11b Die analoge Anwendung von § 197 I Nr 3 auf eine Prozessbürgschaft, der eine titulierte Hauptforderung mit einer 30-jährigen Verjährung zugrunde liegt, ist dagegen nicht gerechtfertigt (BGH 203, 162 Rn 23 gegen Stuttgart 13.7.2006 – 13 U 226/05, juris Rn 15 für Bürgschaft nach § 720a III ZPO). Sie ist nämlich nicht darauf gerichtet, dem Gläubiger einen weiteren Schuldner für seinen Titel zu verschaffen, sondern soll im Fall der §§ 712, 720a III ZPO dem Gläubiger einen Ausgleich für den Aufschub der Vollstreckung und im Fall des § 709 ZPO dem Schuldner eine Sicherheit für seinen Schaden aus § 717 ZPO bieten (BGH 203, 162 Rn 26). Solche Ansprüche unterliegen wie Ansprüche aus anderen Bürgschaften der Regelverjährung nach §§ 195, 199. 12 Mit dem Eintritt der Rechtskraft beginnt für den Anspruch eine neue Verjährungsfrist. Es ist dafür unerheblich, welcher Verjährungsfrist der Titel vorher unterlegen hat. Auch auf die Art des Anspruchs kommt es nicht an (BGH NJW-RR 2013, 1236 Rn 20; ZOV 2014, 158; NK/Mansel/Stürner Rn 43; MüKo/Grothe Rn 20). Die Vollstreckungsverjährung gilt, soweit die rechtskräftige Feststellung erfolgt ist. Wird nur ein Teil des Anspruchs eingeklagt und ausgeurteilt, so gilt die Vollstreckungsverjährung auch nur für diesen Teil (MüKo/Grothe Rn 24; PWW/Kesseler Rn 7). Welcher materiellrechtliche Anspruch dieser neuen Verjährung unterliegt, bestimmt sich nach dem Streitgegenstand des zur Titulierungen führenden Mahnbescheid- oder Klageverfahrens (BGH 209, 168 Rn 25). Umfasste dieses auch einen Anspruch aus unerlaubter Handlung, dann kann zB im Blick auf § 850f II ZPO oder § 302 Nr 1 InsO festgestellt werden, dass der titulierte Anspruch ein Anspruch aus unerlaubter Handlung ist (weitergehend Koblenz NZI 2010, 308, 310). Die Feststellungswirkung des Urt erfasst auch den prozessualen Kostenerstattungsanspruch. Dieser wird durch die Kostengrundentscheidung des Urt rechtskräftig festgestellt. Er verjährt deshalb und nicht erst aufgrund seiner betragsmäßigen Festsetzung im Kostenfestsetzungsbeschluss in 30 Jahren (BGH BGHRp 2006, 941, 942; BVerwG Rpfleger 2005, 53, 54; München OLGRp 2006, 602; Köln OLGRp 2006, 743; Koblenz OLGRp 2006, 566; LG Zweibrücken NStZ-RR 2006, 128; Naumburg OLG-NL 2002, 69; MüKo/Grothe Rn 21). Ohne Kostengrundentscheidung verjährt der Kostenerstattungsanspruch in der regelmäßigen Verjährungsfrist (Schneider NJW-Spezial 2009, 187). 13 b) Die gleiche Wirkung wie eine rechtskräftige Feststellung haben nach § 197 I Nr 4 vollstreckbare Vergleiche (§ 794 I Nr 1 ZPO) und vollstreckbare Urkunden (§ 794 I Nr 5, §§ 800, 801 ZPO). Vollstreckbar ist nach § 794 I Nr 5 ZPO eine Urkunde, wenn sie vor einem dt Notar oder Gericht errichtet wurde, auf Zahlung von Geld oder auf Leistung anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere (dazu Wolfsteiner DNotZ 1999, 306ff) gerichtet ist und sich der Schuldner wirksam der Zwangsvollstreckung unterworfen hat. Ist die Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung nicht wirksam, so verjährt der Anspruch in der für den Anspruch gewöhnlich laufenden Verjährungsfrist (BGH NJW 1999, 51, 52; Zweibrücken BauR 2000, 1209; MüKo/Grothe Rn 25). Vollstreckbare Vergleiche sind gerichtliche Vergleiche, gem §§ 796b oder 796c ZPO durch Gericht oder Notar für vollstreckbar erklärte Anwaltsvergleiche (Soergel/Niedenführ Rn 33), ein durch das Gericht oder den Notar nach §§ 1053 IV, 1060 I ZPO für vollstreckbar erklärter Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut oder notarielle Vergleiche. Dem vollstreckbaren Vergleich steht der Schuldenbereinigungsplan nach § 308 I 1 InsO gleich, § 308 I 2 InsO. Dies gilt auch in verjährungsrechtlicher Hinsicht (MüKo/Grothe Rn 25). Vergleiche, die der Vollstreckbarerklärung bedürfen, werden teilw als Fälle von § 197 I Nr 3 angesehen (NK/Mansel/Stürner Rn 49, 56, 60; BaRo/Hen588

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

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rich Rn 17). Diese Frage kann Bedeutung nur für den Beginn der Verjährung haben. Insoweit besteht aber Einigkeit, dass ein für vollstreckbar zu erklärender Vergleich erst ab diesem Zeitpunkt die Vollstreckungsverjährung auslöst. Einem vollstreckbaren Vergleich wurden nach bisher hM (BGH BGHRp 2002, 583; NJW 2003, 1524, 1525; Karlsruhe VersR 2002, 729; MDR 2000, 1014; Hamm SP 2001, 53; Koblenz OLGRp 1999, 243; München AnwBl 1998, 609; BaRo/Henrich Rn 17; Staud/Peters § 218 aF Rn 16) ein außergerichtlicher Abfindungsvergleich und sog urteilsersetzende Anerkenntnisse (BGH NJW 1985, 791, 792; Koblenz NZV 2012, 233f) gleichgestellt, in denen ein Anspruch dem Grund nach anerkannt wurde. Diese Rspr ist angreifbar und nur vor dem Hintergrund des bisher bestehenden Verbots von Vereinbarungen über die Verjährung verständlich (Staud/Peters § 218 aF Rn 16). Zweck war es, dem Gläubiger eine Möglichkeit zu eröffnen, seinen von dem Schuldner nicht bestr Anspruch der Urteilverjährung zu unterstellen, ohne einen in der Sache unnötigen Feststellungsprozess zu führen (Haas/Schulze aaO, 254). Das ließ sich vor dem 1.1.2002 wegen des Verbots, die Verjährungsfrist zu verlängern, gem § 225 aF einerseits und der heute noch geltenden sog Schadenseinheitslehre (§ 199 Rn 4, 9) andererseits nur auf materiell-rechtlichem Weg über ein vertragliches Anerkenntnis mit dem Inhalt einer Gleichstellung der Forderung mit einer titulierten erreichen (Haas/Schulze aaO, 260–262; krit Grunsky NJW 2013, 1336, 1338f). Diese Konstruktion ist heute nicht mehr notwendig, weil das Verlängerungsverbot mit § 202 entfallen ist (i Erg ebenso Grunsky NJW 2013, 1336, 1340; aM Haas/Schulze aaO, 270) und der angestrebte Effekt auch durch eine Vereinbarung über die Verjährung erzielt werden kann. Freilich bleibt das urteilsersetzende Anerkenntnis auch heute noch möglich, wenn die Grenzen des § 202 II eingehalten werden (Köln MDR 2017, 54; Haas/Schulze aaO, 270; aM Grunsky NJW 2013, 1336, 1339). Die entscheidende praktische Frage wird sein, ob in Fallgestaltungen, in denen früher ein urteilsersetzendes Anerkenntnis angenommen wurde, auch unter geltendem Recht noch ein solches Anerkenntnis angenommen werden kann. Das ist – ähnlich wie bei einem Rechtsverzicht – nur noch möglich, wenn sich eindeutige Hinweise in dieser Richtung finden lassen (aM ohne Begr KG MDR 2009, 1269). Ist das nicht der Fall, liegt in dem Anerkenntnis „nur“ ein Anerkenntnis gem § 212 I Nr 1, das einen Neubeginn der Verjährung auslöst (insofern zutr KG MDR 2009, 1269, 1270), verbunden mit einem mehr oder weniger lang befristeten Verzicht auf die Einrede der Verjährung, einer Verlängerung der Verjährungsfrist (so NK/Mansel/Stürner Rn 51) oder Erklärungen über Tatsachen, von denen der gesetzliche Beginn der Verjährungsfrist abhängt. Wenn die Beteiligten die Wirkungen eines urteilsersetzenden Anerkenntnisses einfach und sicher erzielen wollen, sollten sie eine eindeutige Vereinbarung nach § 202 oder einen vollstreckbaren Vergleich schließen, was auch ohne einen Rechtsstreit etwa im Wege des Anwaltsvergleichs nach § 796a ZPO möglich ist. Als vollstreckbare Urkunde wird man nicht mehr die vollstreckbare Kostenrechnung des Notars nach § 155 KostO ansehen können. Der BGH hat diese bislang unterschiedlich beurteilte Frage (dafür: München DNotZ 1992, 114; Oldenburg DNotZ 1990, 330; Schleswig DNotZ 1983, 580; dafür bei bestätigter und unanfechtbarer Kostenrechnung: Zweibrücken JB 2001, 105; RenoR 2001, 33; Hamburg MittRhNotK 1996, 101; Soergel/Niedenführ Rn 35; Staud/Peters/Jacoby Rn 53; Ackermann DNotZ 1959, 327; dagegen: Celle OLGRp 1977, 118; Hamm MDR 1992, 715; KG RPfleger 1991, 83; NJW 1955, 633; Stuttgart DNotZ 1959, 325) inzw verneint (BGH BGHRp 2004, 1665, 1666; ebenso BaRo/Henrich Rn 19; MüKo/Grothe Rn 17). Wesentlich für das Vorliegen einer rechtskräftigen Feststellung sei, dass diese durch die Entscheidung eines staatlichen Gerichts oder einer vergleichbaren unabhängigen Stelle getroffen wurde. Daran fehle es bei der unangefochtenen Kostenrechnung. Sie sei auch nicht mit einer Vollstreckungsunterwerfung gem § 197 I Nr 5 zu vergleichen, weil sich das Verhalten des Schuldners in der Entgegennahme der Kostenrechnung erschöpfe. c) Der Verjährungsfrist von 30 Jahren unterliegt nach § 197 I Nr 5 auch ein durch Feststellung zur Insolvenztabelle (§§ 174ff, 179 III InsO) vollstreckbar gewordener Anspruch. Voraussetzung hierfür ist nicht nur, dass die Forderung im Prüftermin oder im Prüfverfahren nicht bestr worden ist. Die Feststellung muss auch vollstreckbar geworden sein. Das ist der Fall, wenn das Insolvenzverfahren aufgehoben oder eingestellt worden ist. d) Nach § 197 I Nr 6 verjährt auch der Anspruch auf Erstattung der Kosten der Zwangsvollstreckung in 30 Jahren. Sie werden durch das Urt bereits dem Grunde nach festgestellt (MüKo/Grothe Rn 21; zweifelnd Strunk ZVI 2003, 153). Zwar bestimmt § 788 ZPO nur, dass es eines besonderen Titels nicht bedarf. Dem liegt aber die Vorstellung zugrunde, dass die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten dem Grunde nach die notwendige Folge der rechtskräftigen Feststellung ist. Der Gläubiger hat deshalb gewöhnlich auch keine Möglichkeit, die Zwangsvollstreckungskosten gesondert rechtskräftig feststellen zu lassen. Für sie gilt die Verjährungsfrist von 30 Jahren. Um der Unsicherheit (vgl LG Dortmund ZVI 2003, 349; Meyer JurBüro 2005, 134) vorzubeugen, hat der Gesetzgeber diese Verjährungsfrist ausdr bestimmt. e) Für den Eintritt der Verjährung von 30 Jahren nach § 197 I Nr 3–5 kommt es, wie oben Rn 12 ausgeführt, nicht darauf an, welcher Art der eingeklagte Anspruch ist und welcher Verjährung er an sich unterläge. Das gilt allerdings nicht ohne Ausnahme. Die Ausnahme bestimmt § 197 II. Soweit (also zB nicht bei der Titulierung bereits fällig gewordener Unterhaltsrückstände, Dresden OLGRp 2006, 667; Bergjan/Wermes FamRZ 2004, 1087, 1089f) der titulierte Anspruch künftig fällig werdende regelmäßig wiederkehrende Leistungen zum Gegenstand hat, tritt an die Stelle der Verjährungsfrist von 30 Jahren die regelmäßige Verjährungsfrist (Naumburg MDR 2009, 393). Wird dagegen nur ein bestimmter Teil dieser Leistungen, zB ein bestimmter Betrag Wohngeld in der WEG (dazu BGH WuM 2005, 667) eingeklagt, dann hat der Titel keine wiederkehrenden Leistungen zum Gegenstand. Worauf die Leistung beruht, auf Gesetz oder Vertrag, ist unerheblich (Pal/Ellenberger Rn 10). Zu den regelmäßig wiederkehrenden Leistungen zählen etwa auch untitulierte (Düsseldorf OLGRp 1996, 176) Schmidt-Räntsch

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Zinsen einschl der Verzugszinsen (BGH 98, 174, 187; MDR 1993, 574; MüKo/Grothe Rn 32), außer wenn sie in einer Summe, etwa bei Rückzahlung eines Darlehens, zu entrichten sind (Ricken NJW 1999, 1146, 1147), Renten, etwa Leibrente (§ 759), Schadensersatzrente (§ 843), Überbaurente (§ 913) oder Notwegrente (§§ 917 II, 913), Leistungen aus Reallasten (§ 1105) oder Rentenschulden (§ 1199), Vereinsbeiträge (MüKo/Grothe Rn 33), Unterhaltsbeiträge, auch vertragliche Unterhaltsleistungen, wenn sie wiederkehrend sein sollen, Auszugsleistungen, Besoldungen, Ruhegehalte oder Jahresvergütungen. Dazu gehört auch ein Anspruch auf Lagervergütung nach § 467 II HGB, wenn das Lagergeld nach bestimmten Zeitabschnitten berechnet wird (BGH 89, 82, 87). Der Betrag braucht nicht gleich zu bleiben (RG 88, 42) und kann gelegentlich auch ausbleiben (BGH 80, 357f). Deshalb gehört auch ein Anspruch auf Gewinnanteilsansprüche aus einem Patentverwertungsvertrag dazu (BGH 28, 144, 148). Allerdings ist nicht jede in Raten erbrachte (BGH WM 1975, 1280) oder in Raten zu erfüllende Verbindlichkeit eine wiederkehrende Leistung (BGH MDR 2014, 1029 Rn 17). Wiederkehrend sind nur Leistungen, die von vornherein und ihrer Natur nach nicht einmal, sondern in regelmäßiger zeitlicher Wiederkehr zu erbringen sind (BGH NJW 1957, 1148; 2001, 1063, 1064; Danckelmann NJW 1955, 1953). Es muss sich um eine Verbindlichkeit handeln, die nur in den fortlaufenden Leistungen besteht und darin ihre charakteristische Erscheinung hat (BGH 28, 144, 148; NJW 2001, 1063, 1064). Daran fehlt es zB bei einem Anspruch auf Teilwertersatz für geleistete Unterhaltszahlungen. Dieser ist nicht seiner Natur nach auf wiederkehrende Leistungen gerichtet, sondern ein Teilrückforderungsanspruch (BGH NJW 2001, 1063, 1064). Entspr gilt für die Auskehrung eingenommener Nutzungen unter Gemeinschaftern (Celle OLGRp 2002, 88) und für die Nutzungsherausgabe nach § 988, mag diese auch anhand von Mietzins berechnet werden (BGHRp 2003, 1188). Ein in Rentenform zu erfüllender Schmerzensgeld- oder Aufopferungsanspruch ist ebenfalls kein Anspruch auf wiederkehrende Leistung (BGH NJW 1957, 1148), wohl aber die Verdienstausfallrente (BGHRp 2002, 583, 585). § 197 II gilt nach § 497 III 4 nicht für titulierte Zinsen aus einem Verbraucherdarlehensvertrag, es sei denn, dass die Zinsforderung die titulierte Hauptforderung ist, § 497 III 5. Mit Rücksicht auf die durch Abs II eingeschränkte Geltung der Sonderverjährungsfrist nach Abs I kann ein Interesse an der Feststellung des bereits anderweit titulierten Anspruchs bestehen (Oldenburg NJW-RR 2010, 79). f) Die Verjährungsfrist nach § 197 I Nr 3–5 bleibt bestehen, wenn der Anspruch abgetreten wird oder kraft Gesetzes auf einen anderen übergeht (München OLGRp 2009, 673; Soergel/Niedenführ Rn 30). Dies gilt, wenn der ursprüngliche Gläubiger eine Einziehungsermächtigung hat, auch dann, wenn der Anspruch schon vor Eintritt der Rechtskraft kraft Gesetzes auf einen anderen Gläubiger übergegangen war (BGH NJW 2002, 1877). Übernimmt nach Erwirkung des rechtskräftigen Urt (oder sonstigen Titels) gegen den ursprünglichen Schuldner ein Dritter die Schuld, so gilt auch ihm ggü die Titelverjährung nach § 197 I Nr 3–5 (BGH NJW 1987, 2863, 2864 für den früheren § 419 aF). § 425 II steht dem nicht entgegen, wenn die Titulierung vor der Übernahme erfolgt (BGH aaO). Auch der Bürge muss eine Titulierung der Hauptforderung und die dadurch bewirkte Vollstreckungsverjährung gegen sich gelten lassen (BaRo/Henrich Rn 15). Das gilt aber nur in den Grenzen des § 768 II. Deshalb greift die Vollstreckungsverjährung nur, wenn die Hauptforderung bei Klageerhebung noch nicht verjährt war (BGH NJW 1980, 1460, 1461). Die Verjährungsfrist des § 197 I Nr 3 wird nicht durch §§ 26, 160 HGB verdrängt. Der gegen den früheren Inhaber eines Handelsgeschäfts oder gegen den ausgeschiedenen Gesellschafter vor der Abgabe des Handelsgeschäfts bzw vor dem Ausscheiden rechtskräftig festgestellte Anspruch unterliegt weiterhin der Verjährung von 30 Jahren (MüKo/Grothe Rn 20; Staud/Peters/Jacoby Rn 47; Baumbach/Hopt37 § 26 HGB Rn 8; aM Erman/Hefermehl10 § 218 Rn 5). Denn „in einer in § 197 I Nr 3–5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bezeichneten Art festgestellt“, wie es in §§ 26 I 1, 160 I 1 HGB heißt, sind Ansprüche auch dann, wenn die Titulierung gegen den Inhaber oder ausscheidenden Gesellschafter schon vor seinem Ausscheiden erfolgt ist (MüKo/Grothe Rn 20). Bei einem solchermaßen titulierten Anspruch ergeben sich für den bisherigen Inhaber und den ausscheidenden Gesellschafter auch keine Unklarheiten über seine Haftung, so dass auch die Zielsetzung der Nachhaftungsbegrenzung keine kürzere Verjährungsfrist rechtfertigt. g) Eine dem § 197 I Nr 3, II nachgebildete Regelung enthält § 53 II VwVfG. I Erg wird also der unanfechtbare Verwaltungsakt behandelt wie ein rechtskräftiges Urt. Dies folgt aber nicht mehr aus einer Verweisung auf das BGB, sondern aus einer eigenständigen Regelung (MüKo/Grothe Rn 17; übersehen bei Soergel/Niedenführ Rn 32). Ähnlich liegt es bei Verwaltungsakten auf dem Gebiet des Sozialrechts. Hier enthält § 52 II SGB X eine dem § 197 I Nr 3 entspr eigenständige Regelung. Anders als in § 53 II 2 VwVfG fehlt aber die Parallelregelung zu § 197 II. Sie wird auch durch die allg Verjährungsregelung des § 45 I SGB I nicht kompensiert.

§ 198

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Verjährung bei Rechtsnachfolge

Gelangt eine Sache, hinsichtlich derer ein dinglicher Anspruch besteht, durch Rechtsnachfolge in den Besitz eines Dritten, so kommt die während des Besitzes des Rechtsvorgängers verstrichene Verjährungszeit dem Rechtsnachfolger zugute. 1. Bei einem persönlichen Anspruch hat der Wechsel in der Person des Berechtigten oder Verpflichteten keinen Einfluss auf den Lauf der Verjährung, da der Anspruch derselbe bleibt (BGH 60, 238, 240). Ähnlich liegt es beim Unterlassungsanspruch, wenn der Eigentümer wechselt (BGH aaO und NJW 1987, 187, 188). Bei einem dinglichen Anspruch, der sich gegen den Besitzer einer Sache richtet, entsteht dagegen grds ein neuer Anspruch, wenn die Sache in den Besitz einer anderen Person gelangt. Anders liegt es nur bei Gesamtrechtsnachfolge. Der 590

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 199

Erbe des ursprünglichen Besitzers (§ 857) rückt in die Besitzstellung des Erblassers und ggf auch in dessen Verpflichtung zur Herausgabe ein, so dass der Anspruch als solcher nicht berührt wird. Entsteht durch Besitzwechsel ein neuer Anspruch, so würde für ihn nach §§ 194, 200 eine neue Verjährung beginnen. § 198 enthält jedoch eine Ausnahme. Für den Fall, dass ein neuer Besitzer die Sache durch Rechtsnachfolge erlangt hat, kommt die während des Besitzes des Rechtsvorgängers verstrichene Verjährungszeit dem Rechtsnachfolger zugute. Dingliche Ansprüche sind der Anspruch aus § 985 und andere Herausgabeansprüche aus dinglichen Rechten (BaRo/Henrich Rn 2). § 198 gilt aber auch für den Anspruch aus § 1004, soweit Grundlage das Eigentum oder ein dingliches Recht ist, sowie für den Anspruch aus § 861 (NK/Mansel/Stürner Rn 5). 2. Rechtsnachfolge in den Besitz kann durch Gesamt- oder Einzelnachfolge eintreten (Staud/Peters/Jacoby Rn 6; Magnus/Wais NJW 2014, 1270, 1271). Gesamtrechtsnachfolge ist der Übergang des Besitzes auf den Erben nach § 857. Einzelnachfolge setzt entweder körperliche Übergabe mit Willen des bisherigen Besitzers (Tathandlung) oder Einigung gem § 854 II voraus. Sie setzt nicht zwingend voraus, dass der bisherige Besitzer den Besitz vollständig aufgibt (Rn 6). Unerheblich ist, ob der Besitzer zur Übertragung des Besitzes berechtigt war (MüKo/Grothe Rn 3). Auch auf eine Verpflichtung kommt es nicht an, wenn die Besitzübertragung ausbleibt (MüKo/Grothe aaO). Eine Rechtsnachfolge fehlt, wenn der neue Besitzer den Besitz nicht rechtsgeschäftlich, sondern originär (Fund, Okkupation) erwirbt (Pal/Ellenberger Rn 1; Staud/Peters/Jacoby Rn 6). Eine Rechtsnachfolge fehlt ferner, wenn die Nachfolge im Besitz durch verbotene Eigenmacht oder ohne den Willen des bisherigen Besitzers erfolgt (BaRo/ Henrich Rn. 4; Pal/Ellenberger Rn1; Staud/Peters/Jacoby Rn 6; aM Magnus/Wais NJW 2014, 1270, 1272). Ob der Besitz in diesem Sinne willentlich erfolgt ist, bestimmt sich nach den Grundsätzen des § 858, wonach es nicht auf den rechtsgeschäftlichen, sondern auf den natürlichen Willen ankommt (§ 858 Rn 6). Liegt abgeleiteter Besitzerwerb vor, so schadet Schlechtgläubigkeit des Besitzerwerbers nicht (BaRo/Henrich Rn 6; Pal/Ellenberger Rn 1; Soergel/Niedenführ Rn 4; Finkenauer JZ 2000, 241). Erhält der frühere Besitzer die Sache wieder zurück, etwa weil die Übertragung unwirksam war, so liegt ebenfalls Rechtsnachfolge iSd § 198 vor (Soergel/Niedenführ Rn 3). 3. Rechtsnachfolge ist möglich sowohl bei unmittelbarem als auch bei mittelbarem Besitz (BaRo/Henrich Rn 5). Rechtsnachfolge liegt auch vor, wenn der bisherige unmittelbare Besitzer mittelbaren Besitz begründet. In diesem Fall bleibt der bisherige Besitzer zwar Besitzer. Der neue unmittelbare Besitzer ist aber Rechtsnachfolger des bisherigen unmittelbaren Besitzers; ihm ist die Besitzzeit des bisherigen Besitzers anzurechnen (BaRo/Henrich Rn 5; MüKo/Grothe Rn 4; aM Erman/Hefermehl10 § 221 aF Rn 3; NK/Mansel/Stürner Rn 8 aE; Soergel/Niedenführ Rn 5). Keine Rechtsnachfolge liegt aber vor, wenn sich der mittelbare Besitzer durch Unterschlagung oÄ zum Eigenbesitzer macht. Denn dann liegt insoweit originärer Besitzerwerb und keine Rechtsnachfolge vor (i Erg genauso NK/Mansel/Stürner Rn 8 am Anfang). 4. Rechtsnachfolge ist mehrfach möglich. Die Besitzzeit aller Besitzvorgänger kommt dem letzten Besitzer zugute (NK/Mansel/Stürner Rn 7; BaRo/Henrich Rn 3; Staud/Peters/Jacoby Rn 5).

§ 199

Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen

(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem 1. der Anspruch entstanden ist und 2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. (2) Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, verjähren ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an. (3) Sonstige Schadensersatzansprüche verjähren 1. ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an und 2. ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an. Maßgeblich ist die früher endende Frist. (3a) Ansprüche, die auf einem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt, verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Entstehung des Anspruchs an. (4) Andere Ansprüche als die nach den Absätzen 2 bis 3a verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an. (5) Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, so tritt an die Stelle der Entstehung die Zuwiderhandlung.

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§ 199

Verjährung

I. Vorbemerkung. § 199 regelt den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist. Die Vorschrift gibt der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 ihr eigentliches Wertungsgepräge. Gerade in dem Beginn unterscheidet sich die Gesetz gewordene regelmäßige Verjährungsfrist von dem Vorschlag der Schuldrechtskommission, die in § 195 I BGB-KE für vertragliche Ansprüche ebenfalls eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorgeschlagen hatte. Diese Frist sollte aber nach § 196 I 1 BGB-KE mit der Fälligkeit des Anspruchs beginnen. Das hätte aber dazu geführt, dass die (vertraglichen) Ansprüche des Gläubigers gerade in den problematischen Fällen oft verjährt gewesen wären, bevor der Gläubiger solcher Ansprüche ihrer hätte gewahr werden können. Deshalb hat schon der Regierungs- und Fraktionsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts diesen Anknüpfungspunkt nicht übernommen und sich stattdessen für einen an den § 852 I aF angelehnten Verjährungsbeginn entschieden (BT-Drs 14/6040, 96, 102, 107). Wie die regelmäßige Verjährungsfrist gilt auch ihr Beginn ohne Unterschied für alle Ansprüche, die der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen. Die von der Schuldrechtskommission vorgeschlagene Festlegung eines unterschiedlichen Verjährungsbeginns für gesetzliche und vertragliche Ansprüche haben weder der Regierungs- und Fraktionsentwurf noch der Gesetzgeber übernommen. Das jetzt gefundene Modell entspricht den Vorschlägen der Lando-Kommission (Art 17:104, 105, 111). Fehlende Kenntnis führt dort aber zu einer Hemmung der Verjährung (Soergel/Niedenführ Rn 8). Dem ist der Gesetzgeber nicht gefolgt, weil es den Gläubiger gerade bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung ggü dem früheren Recht benachteiligt hätte (übersehen bei Derleder/Meyer KJ 2002, 325, 330f). 2 § 199 gilt für die Verjährung von Ansprüchen, die keiner besonderen Verjährungsfrist unterstellt sind und damit der regelmäßigen Frist unterliegen, und für Ansprüche, die ausdr der regelmäßigen Verjährungsfrist unterstellt sind. Er gilt dagegen nicht, wenn die Verjährungsfrist für einen Anspruch mit einem konkreten Zeitraum bestimmt wird, mag dieser auch genauso lang sein wie die regelmäßige Verjährungsfrist (Kirchhof WM 2002, 2037). Ist der Beginn einer solchen Frist nicht bestimmt, richtet er sich nicht nach § 199, sondern nach § 200 (Soergel/Niedenführ Rn 1). § 199 gilt auch nicht, wenn der Anspruch zwar der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegt, deren Beginn aber besonders geregelt ist. Bsp hierfür sind die Ansprüche auf Rückgabe aus Leihe und Verwahrung, die zwar in der Frist des § 195 verjähren, deren Beginn aber in §§ 604 V, 695 S 2 und 696 S 2 besonders geregelt ist. 2a Die Voraussetzungen des § 199 müssen für jeden Anspruch und für jeden Schuldner gesondert festgestellt werden (Otto aaO, 112ff). Lässt sich ein Schadensersatzanspruch auf mehrere selbst tragende Sachverhalte, zB mehrere Beratungsfehler, stützen, ist die Verjährungsfrist für jeden dieser Sachverhalte selbständig zu berechnen (BGH ZfIR 2008, 334 Rn 17; BKR 2009, 372 Rn 14; 2010, 118, 119; MDR 2011, 596; Maier ZfIR 2008, 753, 756f; WM 2014, 1109). Das gilt auch dann, wenn die verschiedenen Pflichtverletzungen nicht zu jew unterschiedlichen Schäden, sondern jew zum selben Schaden geführt haben (BGH MDR 2011, 596). Entspr gilt für Amtshaftungsfälle (BGH 17.9.2008 – III ZR 129/07, juris Rn 1; Schlick NJW 2009, 3487, 3494). Das gilt aber nicht für verschiedene Vermögensnachteile, die auf eine einheitliche Pflichtverletzung (zB eine arglistige Täuschung) zurückgehen; hier läuft nur eine einheitliche Verjährungsfrist (BGH MDR 2008, 907; Fellner MDR 2009, 670, 671). 3 II. Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist. 1. Entstehen des Anspruchs. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt nach Abs I Nr 1 nicht, bevor der Anspruch entstanden ist. Entstanden ist ein Anspruch in dem Zeitpunkt, in dem der Berechtigte den Anspruch erstmals geltend machen und notfalls Klage erheben kann, um die Hemmung der Verjährung zu erreichen (BGH 53, 222, 225; 55, 340, 341; 73, 363, 365; 79, 176, 177f; 100, 228, 231; 113, 188, 191; MDR 2000, 383, 384; 2010, 1425, 1426; Staud/Peters/Jacoby Rn 6; MüKo/Grothe Rn 4; Otto aaO, 124f). Gewöhnlich genügt die Möglichkeit, Feststellungsklage zu erheben (st Rspr). Die Höhe des Anspruchs braucht nicht festzustehen (BGH 79, 176, 178; BauR 1979, 62; BaRo/Henrich Rn 5). Es genügt aber nicht, wenn lediglich die Grundlagen für den Anspruch gelegt sind, er aber erst später durchgesetzt werden kann. Erforderlich ist vielmehr die Fälligkeit. Daran hat sich auch unter Geltung des neuen § 199 I Nr 1 nichts geändert. In dem Regierungs- und Fraktionsentwurf wurde zwar anstelle des im Gesetz jetzt wieder verwandten Begriffs des „Entstehens“ der Begriff „Fälligkeit“ verwandt (BT-Drs 14/6040, 3, 108). Damit hatte sich der Entwurf aber in diesem Punkt nicht von der Auslegung des insoweit maßgeblichen § 198 S 1 aF entfernen, sondern dessen Auslegung mit einer das Auslegungsergebnis deutlicher kennzeichnenden Formulierung übernehmen wollen (BT-Drs 14/6040, 108; NK/Mansel/Stürner Rn 16). Auf Empfehlung des Rechtsausschusses ist der Gesetzgeber zur alten Terminologie zurückgekehrt (BT-Drs 14/7052, 180). Der in § 198 S 1 aF verwandte Begriff der „Entstehung des Anspruchs“ ist zwar weitgehend gleichbedeutend mit der Fälligkeit des Anspruchs. Soweit indes künftig auch die deliktischen Ansprüche der regelmäßigen Verjährungsfrist unterfallen, waren aber Zweifel daran aufgetreten, ob bei der Wahl des sprachlich stringenteren Begriffs der „Fälligkeit“ die Rspr zum namentlich im Deliktsrecht angewandten Grundsatz der Schadenseinheit fortgesetzt werden könnte (NK/Mansel/Stürner Rn 25; nicht gesehen bei Otto aaO, 109f). An dieser Rspr wollten der Regierungs- und Fraktionsentwurf nichts ändern (BT-Drs 14/7052, 180). 4 Entstanden ist ein Anspruch also nur, aber auch schon, wenn alle Voraussetzungen eingetreten sind, von denen er abhängt. Deshalb beginnt die Verjährung des Anspruchs des Pfandgläubigers gegen den Verpflichteten auf Auszahlung der verpfändeten Forderung (in casu Termingeld) nach § 1282 schon mit der Fälligkeit des Auszahlungsanspruchs des Verpfänders gegen den Verpflichteten (BGH NJW-RR 2012, 502 Rn 8, 10). Etwas Anderes gälte nur, wenn vereinbart ist, dass der Verpflichtete den Auszahlungsbetrag weiterverwahren soll (BGH aaO, 502f Rn 11). Der Anspruch der WE-Gemeinschaft auf Vorschüsse auf das Wohngeld entspr dem Wirtschaftsplan entsteht, wenn sie durch den Verwalter gem § 28 II WEG abgerufen werden (BGH MDR 2012, 1023). Ein 1

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Schmidt-Räntsch

Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 199

Anspruch auf Rückzahlung von überhöhten Abschlagszahlungen entsteht mit der Abrechnung oder wenn der Gläubiger die fällige Abrechnung nicht erteilt (BGH MDR 2012, 828f; NJW 2013, 1077, 1080 Rn 44). Kann ein Anspruch wegen Unmöglichkeit vorübergehend nicht geltend gemacht werden, entsteht er erst, wenn die Geltendmachung möglich ist (BGH MDR 2010, 1425, 1426). Bei einem Gesamtschuldnerinnenausgleich nach § 426 I ist das nicht der Zeitpunkt der Zahlung des begünstigten Gesamtschuldners an den Gläubiger (so aber Rechtsauschuss zum SchuldRModG in BT-Drs 14/7052, 195), sondern schon das Entstehen des Gesamtschuldverhältnisses (BGH 114, 117, 122; 175, 221, 229; 181, 310, 313; NJW-RR 2008, 256, 257; MDR 2012, 1461 Rn 13; Bremen NJW 2016, 1248 Rn 12; NJW 2014, 2775 m Hinw zum taktischen Vorgehen). Dies gilt aber nicht für den Gesamtschuldnerinnenausgleich unter Bodenschutzverpflichteten nach § 24 II BBodSchG; insoweit kommt es auf die Beendigung der Bodenschutzmaßnahme an (BGH MDR 2012, 1461, 1462 Rn 15). Bei Ansprüchen aus Leistungsstörungen beginnt die Verjährung, wenn die Voraussetzungen des jew Rechtsbehelfs, zB die Unmöglichkeit der Leistung, eingetreten sind (BGH 70, 167, 170; NJW 1999, 2884, 2886). Dieser Zeitpunkt kann je nach der Art des Rechtsbehelfs verschieden sein. So beginnt die Verjährung eines Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung erst, wenn die erforderliche Frist zur Nacherfüllung vergeblich abgelaufen ist, ein Anspruch auf Ersatz nach § 280 I aber mit der Pflichtverletzung und dem Eintritt des Schadens. Dabei ist der Grundsatz der Schadenseinheit (näher Rn 9) zu beachten. Danach ist der aus einem bestimmten Ereignis erwachsene Schaden als ein einheitliches Ganzes aufzufassen. Für den Anspruch auf Ersatz dieses Schadens gilt eine einheitliche Verjährungsfrist, soweit schon beim Auftreten des ersten Schadens mit den später eingetretenen Schäden zu rechnen war (BGH 50, 21, 23f). Dann beginnt die Verjährungsfrist mit dem Auftreten des ersten Schadens, auch wenn der Schaden sich erst nach und nach verwirklicht (KG ZfIR 2015, 429, 431). Ansprüche, die sich durch Ausübung eines Rücktrittsrechts ergeben, entstehen erst mit der Rücktrittserklärung (§ 349). Etwas Anderes gilt, wenn das Gesetz für alle Ansprüche einen einheitlichen Beginn vorschreibt, etwa § 438 II für den Kaufvertrag oder § 634a II für den Werkvertrag. Dann beginnt die Frist auch für den Mängelbeseitigungsanspruch mit der Abnahme, ohne dass es auf die Beseitigungsaufforderung ankäme (Karlsruhe NJW 2014, 1308). Ist die Hauptforderung jedoch verjährt, bevor die Voraussetzungen für die Sekundäransprüche entstehen, verjähren auch sie. Andernfalls würde die Verjährung der Hauptforderung unterlaufen werden können (KG KGRp 2005, 736, 737 best durch BGH 14.4.2005 – V ZR 158/04). Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass der Sekundäranspruch dann verjährte, bevor er entsteht. Dies trifft auch in anderen Fällen zu, zB im Falle der §§ 438, 634a oder im Mietrecht (BGH WuM 2005, 126 Ansprüche aus Vor- und Wiederkauf gem §§ 456 I 1, 464 II entstehen – ähnlich wie Ansprüche aus einem Rücktritt – erst mit der Ausübung des Vor- oder Wiederkaufsrechts. Ist eine Gestaltung nach § 315 erforderlich, so beginnt die Verjährung erst, wenn diese Gestaltung durch das Ge- 4a richt erfolgt ist (BGH NJW 1996, 1054; offen BAG AP Nr 55 zu § 16 BetrAVG). Ist eine Genehmigung erforderlich, entsteht der Anspruch erst mit Erteilung der Genehmigung. Dass diese nach § 184 I Rückwirkung hat, ist verjährungsrechtlich unerheblich, weil der Anspruch vor Erteilung der Genehmigung nicht durchsetzbar war (RG 65, 245, 248; BaRo/Henrich Rn 4; MüKo/Grothe Rn 5; Soergel/Niedenführ Rn 13). Hängt der Anspruch von einer Kündigung oder Anfechtung ab, ist anders als bisher nicht der Zeitpunkt maßgeblich, in dem die Kündigung oder Anfechtung erstmals möglich war, sondern der Zeitpunkt, in dem die Kündigung oder Anfechtung erklärt wird (BGH MDR 2002, 1387; BT-Drs 14/6040, 99, 258; NK/Mansel/Stürner Rn 36f; BaRo/Henrich Rn 4; Pal/Ellenberger Rn 4; Soergel/Niedenführ Rn 13; Schmid-Burgk/Ludwig DB 2003, 1046, 1047). Entspr gilt für einen Bereicherungsanspruch, der von der Ausübung eines Verbraucherwiderrufsrechts abhängt (BGH WM 2015, 865 Rn 21, 23). Die Rückwirkung der Anfechtung nach § 142 I ist verjährungsrechtlich unerheblich (MüKo/ Grothe Rn 5). Entspr gilt für das rückwirkende Wiederaufleben von Forderungen gem § 144 I InsO. Entstanden ist die Forderung iSd § 199 I erst mit ihrem Wiederaufleben (München ZIP 2009, 1310, 1311). Von dem Eintritt einer aufschiebenden Bedingung oder eines Termins abhängige Ansprüche entstehen erst mit Eintritt der Bedingung oder des Termins, und zwar auch dann, wenn es sich um eine sog Potestativbedingung handelt (BGH 55, 340, 341; NJW 1987, 2745). Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass nicht die Entstehung des Anspruchs, sondern nur seine Geltendmachung hinausgeschoben sein soll. In diesem Fall entsteht der Anspruch gleich, seine Verjährung ist aber nach §§ 202, 205 gehemmt (BGH NJW 1977, 895). Hängt der Anspruch etwa auf eine Erbbauzinserhöhung von einer Einigung der Parteien und bei deren Scheitern von einer gerichtlichen Bestimmung analog § 315 III ab, so entsteht der Anspruch erst mit der Einigung resp der Rechtskraft der gerichtlichen Bestimmung (BGH MDR 1996, 355). Entspr gilt für Ansprüche, die von einer Festsetzung abhängen (BGH AnwBl 1978, 229). Eine vergleichbare Schwierigkeit entsteht bei Befreiungsansprüchen. Sie können vor der Forderung fällig werden, von der freigestellt werden soll. Es wäre wenig zweckmäßig, wenn der Gläubiger seinen Anspruch geltend machen müsste, bevor die andere Forderung fällig wird. Deshalb erscheint es sachgerecht, hier für das Entstehen des Anspruchs auf die Fälligkeit des Anspruchs abzustellen, von dem freigestellt werden soll (vgl BGH WM 2010, 72, 73f; ZIP 2010, 1295, 1297; Bremen NJW 2016, 1248 Rn 12; Karlsruhe WM 2009, 2076, 2078; Rohlfing MDR 2012, 257, 259f). Verhaltene Ansprüche, die jederzeit, aber nur auf Verlangen des Berechtigten zu erfüllen sind, sind nach bisheriger Ansicht (etwa BGH MDR 2000, 383, 384) nach Eintritt der sonstigen Voraussetzungen entstanden, auch wenn der Gläubiger das Erfüllungsverlangen nicht ausspricht. Das war bisher auch sachgerecht, da ein Abstellen auf die Geltendmachung zu einer beträchtlichen Verlängerung der ohnehin schon langen Verjährungsfrist geführt und es auch erlaubt hätte, das Verbot einer Erschwerung der Verjährung nach § 225 aF zu unterlaufen. Diese Bedingungen haben sich grundlegend verändert: Die Verjährungsfrist beträgt heute nur noch drei Jahre und würde den Gläubiger zwingen, zur Rechtswahrung ein Schuldverhältnis zu beenden, das er aber fortsetzen möchte. Außerdem besteht das Erschwerungsverbot nicht mehr. Der Schmidt-Räntsch

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§ 199

Verjährung

Gesetzgeber hat zwar davon abgesehen, das Entstehen des Anspruchs in solchen Fällen explizit anders zu regeln. Er hat aber bei den Hauptanwendungsfällen, Leihe und Verwahrung, durch Sondervorschriften bestimmt, dass die Verjährung mit der Geltendmachung des Anspruchs beginnen soll (§§ 604 V, 695 S 2, 696 S 2). Hieraus ist das allg Prinzip zu entnehmen, dass verhaltene Ansprüche generell erst mit der Geltendmachung entstehen (Hamm 5.4.2016 – 4 U 138/15, juris Rn 56; NK/Mansel/Stürner Rn 33f; BaRo/Henrich Rn 10; MüKo/Grothe Rn 7; Pal/Ellenberger Rn 8; Soergel/Niedenführ Rn 17). Das betrifft zB ein Auskunftsverlangen nach § 666 Fall 3 (LG Karlsruhe ZIP 2011, 611, 612; zu der Auskunft während des laufenden Vertrags BGH 192, 1, 5f Rn 15, dazu § 194 Rn 23a; ähnlich für Auskunftsanspruch gegen Erbengemeinschaft: Düsseldorf FamRZ 2016, 497, 499). Verhaltene Ansprüche können sich auch aus einer Vereinbarung der Parteien ergeben (BGH MDR 2000, 383). Sie würden ebenfalls erst mit dem Verlangen iSd § 199 I Nr 1 entstehen (Pal/Ellenberger Rn 8). Die Parteien könnten dies anders gestalten. Nicht zu den verhaltenen Ansprüchen gehört der Anspruch gegen den Bürgen. Er wird mit dem gesicherten Hauptanspruch fällig (BGH 175, 161, 169; 203, 162 Rn 21; Brandenburg NJW 29014, 3793, 3795; KG NJW-RR 2015, 793 Rn 14), und zwar auch bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern (BGH NJW-RR 2009, 378, 379). Das ergibt sich aus der Hemmungsregelung in § 771 S 2. Sie setzt gedanklich voraus, dass der Anspruch gegen den Bürgen gleichzeitig mit der Hauptforderung entsteht. Das war auch die Vorstellung des Gesetzgebers (Begr SchuldRModG in BT-Drs 14/7052, 206). Dafür spricht auch, dass der Bürgschaftsgläubiger nach Fälligkeit der Hauptforderung den Bürgen gleich in Anspruch nehmen kann, wenn die Einrede der Vorausklage abbedungen ist oder von vorherein nicht besteht (§ 349 S 1 HGB). 5 In aller Regel ist ein Anspruch entstanden, wenn er fällig ist (BGH MDR 2000, 383, 384; RG 120, 355, 362). Die Fälligkeit bestimmt sich nach Gesetz oder Vereinbarung. Nach § 271 tritt Fälligkeit im Zweifel sofort ein. Dann entsteht der Anspruch auch sofort. Ist der Anspruch auf wiederkehrende Leistungen gerichtet, entsteht der Anspruch für jede Teilleistung gesondert, nämlich dann, wenn sie verlangt werden kann (MüKo/Grothe Rn 8). Mit der Möglichkeit, die erste Teilleistung zu verlangen, entsteht auch ein den Teilleistungen zugrunde liegendes Stammrecht (RG 136, 427, 432; MüKo/Grothe Rn 8). Dieses frühere Entstehen des Stammrechts hat den Gesetzgeber dazu veranlasst, in einem Fall, nämlich bei betrieblichen Altersversorgungen, das Stammrecht aus der regelmäßigen Verjährungsfrist herauszunehmen und einer Verjährungsfrist von 30 Jahren zu unterstellen (§ 18a S 1 BetrAVG). Damit sollte nach der Beschlussempfehlung der Rspr des BAG zu der unterschiedlichen Verjährung des Stammrechts und der einzelnen Ansprüche Rechnung getragen werden (BT-Drs 14/7052, 213). In der Sache aber ging es darum, dass Betriebsrenten nach Eintritt des Rentenfalls oft übersehen werden, wenn sie aus früheren Beschäftigungsverhältnissen stammen, die der Berechtigte aus dem Blick verloren hat. Dann werden sie weder abgefordert noch erfüllt, so dass es anders als sonst auch nicht zu einem Anerkenntnis des Stammrechts durch Zahlung der Betriebsrente kommt. Solche Fälle können auch in anderen Rechtsverhältnissen auftreten. Der Gesetzgeber hat hierfür aber keine Ausnahmeregelungen geschaffen, weil die Instrumente des neuen Verjährungsrechts erlauben, den Eintritt der Verjährung zu verhindern. Ansprüche aus einer wiederholten Vertrags- oder Rechtsverletzung entstehen mit der jew Rechtsverletzung, also immer wieder neu (BGH MDR 2002, 1131; MüKo/Grothe Rn 13a). Anders liegt es dann, wenn es sich um ein Tun oder Unterlassen handelt, das vertragliche oder gesetzliche Pflichten ggü dem Gläubiger ununterbrochen verletzt oder seine Rechte ununterbrochen stört. Dann entsteht der Anspruch mit dem ersten Tun oder Unterlassen und nicht immer wieder neu. Ein Anspruch aus einer Handlung, die zu einer dauernden Beeinträchtigung führt, entsteht mit der Beeinträchtigung (MüKo/Grothe Rn 13). 6 Durch Gesetz oder Vereinbarung kann die Fälligkeit von einem Verhalten des Gläubigers, zB der Kündigung (Schmid-Burgk/Ludwig DB 2003, 1046, 1047) oder der Erteilung einer Rechnung, abhängig sein. Auch dann entsteht der Anspruch iSd § 199 I Nr 1 erst in dem Zeitpunkt, in dem der Gläubiger die von ihm verlangte Handlung vornimmt, dem Schuldner also zB kündigt oder ihm die erforderliche Rechnung zusendet (BGH MDR 1999, 221; LG München I VersR 2004, 1009; Hohmann WM 2004, 757). Dies konnte unter altem Recht bedenklich erscheinen, weil eine Nichtvornahme dieser Handlung i Erg eine nach § 225 aF an sich unzulässige Verlängerung der Verjährung bewirken konnte. Gleichwohl hat es die Rspr abgelehnt, in solchen Fällen ein Entstehen des Anspruchs zu einem naheliegenden früheren Zeitpunkt, nämlich dem Zeitpunkt anzunehmen, in dem der Gläubiger die Fälligkeit seines Anspruchs selbst herbeiführen kann (BGH 55, 340, 344; NJW 1971, 1455). Dabei bleibt es auch unter neuem Recht, weil sich der Gesetzgeber für eine Anknüpfung an das bisherige Begriffsverständnis entschieden und nach Aufgabe des Erschwerungsverbots des früheren § 225 aF durch den neuen § 202 auch keinen Grund mehr für ein solches einengendes Begriffsverständnis hätte. Der Gesetzgeber ist deshalb auch dem Vorschlag des BR nicht gefolgt, in solchen Fällen eine Ausschlussfrist zu bestimmen, zumal es auch kaum Kriterien für deren Bemessung gibt (BT-Drs 14/6857, 42, 43 gegen ebd S 6, 7). Die Ansprüche zB der Versorgungsunternehmen für die Versorgung mit Elektrizität, Gas, Fernwärme und Wasser entstehen nach wie vor gem § 17 I 1 StromGVV und GasGVV, § 23 I 1 NAV und NDAV, § 27 I AVBFernwärmeV und AVBWasserV zwei Wochen nach Zugang der End- oder Abschlagsrechnung. Dies gilt im Rahmen der Nachberechnungsbegrenzung von drei Jahren nach § 18 II StromGVV und GasGVV bzw zwei Jahren nach § 21 II AVBFernwärmeV und AVBWasserV auch, wenn die Ansprüche wegen eines früheren Ablesefehlers nachträglich berechnet werden (BGH MDR 1982, 222; 1987, 312). Die Ansprüche des Werkunternehmers setzen bei einem VOB-Vertrag die Erteilung einer prüffähigen Schlussrechnung voraus (BGH 83, 382; 105, 290). Ähnlich bei der HOAI: Schleswig BauR 2003, 1425, 1426. Wenn es der Gläubiger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unterlässt, die zur Herbeiführung der Fälligkeit erforderliche Rechnung zu erteilen, führt dies i Erg allerdings nicht zur Un594

Schmidt-Räntsch

Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 199

verjährbarkeit seiner Forderung (so Pal/Ellenberger Rn 6). Der Gläubiger muss sich bei Nichterteilung der Rechnung zwar nicht analog § 162 so behandeln lassen, als habe er die Rechnung zum gesetzlich vorgeschriebenen Zeitpunkt erteilt (BGH 113, 188, 195; MDR 1987, 312 gegen BGH MDR 1987, 133; 2000, 206; LG München I NJW-RR 2003, 311, 312). Allerdings kommt in solchen Fällen eine Verwirkung in Betracht (BGH 91, 62, 71; 113, 188, 196; 157, 118, 132; BT-Drs 14/6857, 43; NK/Mansel/Stürner Rn 37; Soergel/Niedenführ Rn 17; aM BaRo/Henrich Rn 8). Diese wird man annehmen können, wenn der Gläubiger mit der Erteilung der Rechnung grundlos wartet, bis drei Jahre nach dem Schluss des Jahres verstrichen sind, in dem die Rechnung hätte erteilt werden können (Pal/Ellenberger Rn 6). Etwas Anderes gilt, wenn der Gläubiger deutlich macht, dass er die Forderung geltend machen wird (Karlsruhe GesR 2002, 101). Hat der Gläubiger eine Rechnung erteilt, führt diese nur dann zur Fälligkeit der abgerechneten Forderungen, wenn die Rechnung (insgesamt) prüffähig (dazu BGH 157, 118, 131) ist. Wird die Prüffähigkeit nicht binnen angemessener Frist (berechtigterweise) gerügt, verliert der Schuldner den Einwand mangelnder Prüffähigkeit. Wird das für den Gläubiger erkennbar, beginnt die Verjährung seines Anspruchs (BGH 157, 118, 128; etwas pauschaler zwei Monate: Dresden BauR 2005, 1500; Bremen NJW-RR 2009, 1510, 1511). Ein Rückgriff auf diese Grundsätze ist unnötig, wenn der Schuldner die Rechnung wie nach § 14 Nr 4 VOB/B 2002 selbst erstellen oder wenn er auf Erteilung der Rechnung klagen kann (BGH 113, 188, 196; Nürnberg ArztR 2001, 249). Das Gesetz kann Ansprüche auch von dem Verhalten eines Dritten abhängig machen. Dann entsteht der An- 7 spruch erst, wenn der Dritte tätig wird. Ein Bsp hierfür ist der Anspruch gegen einen Vertreter ohne Vertretungsmacht aus § 179. Er setzt nach § 179 I voraus, dass der Vertretene die Genehmigung des Vertrags verweigert. Deshalb entsteht der Anspruch auch erst mit dieser Verweigerung (BGH 73, 266, 271). Einem erst nach Eintritt der Verjährung ermittelten vollmachtlosen Vertreter kann allerdings die Berufung auf die Verjährung uU nach § 242 versagt sein. Schadensersatzansprüche entstehen nicht schon mit der Vornahme der zum Schadensersatz verpflichtenden 8 Handlung oder mit dem Eintritt eines anderen Grundes für die Haftung auf Schadensersatz. Sie entstehen vielmehr erst, wenn ein Schaden eingetreten ist (BGH WM 1991, 1737, 1738; NJW 1993, 648, 650). Bei einer Pflichtverletzung von Steuerberatern ist das zB der Fall, wenn der aufgrund der Pflichtverletzung des Steuerberaters zu hoch ausgefallene Steuerbescheid bekanntgegeben wird (BGH 129, 386, 390; MDR 2008, 476; 2013, 88). Bei der Amts- und Staatshaftung kommt es demgegenüber (auch bei einem Vorbehalt der Nachprüfung) auf die Bestandskraft des Steuerbescheids an, weil die Einlegung von Rechtsbehelfen zu einer Hemmung der der Verjährung führt (BGH 189, 365, 371f Rn 39, 41). Auf den Schadenseintritt kommt es, soweit nicht gesetzliche Ausnahmen eingreifen, auch bei Schadensersatzansprüchen wegen Pflichtverletzung gem § 280 an. Auf solche Ansprüche wurde bisher zwar die kurze Verjährungsfrist im Kauf-, Werk- oder Mietvertrag angewandt (BGH 142, 36, 43; 107, 179, 182). In der Rspr wurde der gesetzliche Beginn dieser Verjährungsfrist aber nur bei Ansprüchen aus pVV zugrunde gelegt (BGH 77, 215, 222). Bei Ansprüchen aus § 326 aF stellte die Rspr demgegenüber auf den Zeitpunkt ab, ab dem Schadensersatz verlangt werden konnte (BGH 107, 179, 184; 142, 36, 44; RG 128, 76, 79). Dies hatte in der Literatur Kritik gefunden, die sich überwiegend für ein umgekehrtes Vorgehen aussprach (Reinicke/Tiedtke ZIP 1999, 1905). Diese Frage ist jetzt für den Kauf und den Werkvertrag weitgehend auf der Linie der Rspr gesetzlich geregelt: Die in §§ 438 I, 634a I bestimmten meist kürzeren Verjährungsfristen gelten für alle in § 437 Nr 1 und 3, § 634 Nr 1, 2 und 4 bestimmten Ansprüche, also auch für Nacherfüllungsund Schadensersatzansprüche (BT-Drs 14/6040, 228, 229). Diese Verjährungsfristen beginnen für alle Ansprüche gem § 438 II mit der Ablieferung, wenn nicht § 438 III gegeben ist (BT-Drs 14/6040, 229). IÜ aber bleibt es bei der regelmäßigen Verjährung und ihrem in § 199 bestimmten Beginn. Das bedeutet etwa für den Kauf: Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung wegen (Sach- oder Rechts-) Mängeln verjährt gem §§ 437 Nr 3 iVm 280, 281 nach § 438 I, II. Der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung wegen Verzögerung oder Nebenpflichtverletzung nach §§ 280, 281 bzw 282 verjährt hingegen nach §§ 195, 199. Beim Mietvertrag ist das Problem trotz einer entspr Anregung des BR (BT-Drs 14/6857, 35) keiner gesetzlichen Regelung zugeführt worden. Die Besonderheiten des Mietrechts (BT-Drs 14/6857, 66) mögen eine andere Verjährungsfrist erforderlich machen; sie nötigen aber nicht dazu, die bisherige Rspr zum Lauf der Frist aufzugeben. Sie entspricht insoweit der neuen gesetzlichen Regelung. Diese gibt allerdings keinen Ansatzpunkt, im Rahmen des § 199 das Entstehen des Anspruchs auf Schadensersatz statt der Leistung anders zu bestimmen (so aber Pal/Ellenberger Rn 15; wie hier Soergel/Niedenführ Rn 24; Staud/Peters/Jacoby Rn 23f). Der Schaden kann später als die pflichtwidrige Handlung oder Unterlassung eintreten; seine Höhe braucht je- 9 doch für den Beginn der Verjährung nicht festzustehen. Die Rspr nahm ursprünglich an, dass der gesamte Schaden, der aus einer unerlaubten Handlung stammt, eine Einheit darstellt, so dass der ganze Anspruch verjährt, sobald nur ein Teil des Schadens wirksam geworden ist. Dieser Standpunkt ist gemildert worden. Der Verjährungsbeginn erstreckt sich nur dann auf später eintretende Schadensfolgen, wenn sie sich nach den Anschauungen des Verkehrs voraussehen und erwarten lassen (st Rspr, BGH LM Nr 3 zu § 198, Nr 1 zu § 558; RG 83, 354, 360; 87, 306, 311; 153, 101, 107; BAG AP § 198 BGB Nr 8; Düsseldorf ZfIR 2010, 31, 35; BaRo/Spindler Rn 27f; MüKo/Grothe Rn 9–12). Dieser Gedanke ist unter Geltung des früheren § 852 I aF entwickelt worden. Der Gesetzgeber wollte diese Rspr unter Geltung des neuen § 199 bewusst aufrechterhalten (BT-Drs 14/7052, 180). Da diese Vorschrift aber nicht nur für deliktische Ansprüche, sondern schlechthin für alle Ansprüche gilt, die der regelmäßigen Verjährung unterfallen, gilt dieser Gedanke jetzt auch für andere Ansprüche auf Schadensersatz (Pal/Ellenberger Rn 14). Dies war auch dem früheren Recht nicht ganz fremd (BGH 50, 21, 24). Soweit Schmidt-Räntsch

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Verjährung

keine Schadenseinheit besteht, ist der Anspruch auf Ersatz des zu erwartenden Schadens nach § 199 I Nr 1 erst entstanden, wenn dieser tatsächlich eingetreten ist (BGH WM 1991, 1737, 1738). Hat das zum Schadensersatz verpflichtende Verhalten zunächst nur zu einem Schadensrisiko geführt, so tritt der Schaden erst bei der Verwirklichung des Risikos ein; erst dann entsteht der Anspruch (BGH 100, 228, 233; MDR 2000, 793; 2009, 1167, 1169; BaRo/Henrich Rn 14). Haftet ein Architekt für fehlerhafte Bauausführung nur im Fall des Unvermögens des Unternehmers, so beginnt die Verjährung des gegen ihn gerichteten Schadensersatzanspruchs nicht – wie vereinbart – schon mit der Abnahme des Bauwerks, sondern erst, wenn das Unvermögen des Unternehmers feststeht (BGH NJW 1987, 2743). Besteht der Schaden darin, dass Dritte Ansprüche geltend machen können, entsteht der für den Regressanspruch und damit für den Verjährungsbeginn maßgebende Schaden erst dann, wenn der Dritte seine Rechte gegen den Mandanten geltend macht (BGH NJW 1996, 2929; MDR 2000, 793). Bei einer schädigenden Dauerhandlung beginnt die Verjährung erst nach deren Beendigung. Dagegen beginnt für jede wiederholt zum Schadensersatz verpflichtende Handlung eine besondere Verjährung. Der strafrechtliche Begriff der fortgesetzten Handlung findet im Zivilrecht keine Anwendung (BGH LM Nr 3 zu § 21 UWG; RG 134, 335, 341). Das Entstehen eines vertraglichen Anspruchs kann sich auch aus dem Sinn und Zweck des Vertrags ergeben. Das ist etwa bei Ansprüchen aus einer vereinbarten Garantie anzunehmen, die eine Einstandspflicht für alle innerhalb der Garantiefrist aufgetretenen Mängel begründen soll. Nach dem Sinn und Zweck einer solchen Vereinbarung entstehen Ansprüche aus der Garantie erst mit dem Zeitpunkt der Entdeckung des Mangels (BGH 75, 75, 81; NJW 1979, 645). Ähnliches kann für gesetzliche Ansprüche gelten. So begann die Verjährungsfrist des Anspruchs auf Herausgabe nach dem VermG restituierten Grundvermögens als Surrogat nach § 281 aF (jetzt § 285) mit dem Inkrafttreten des VermG (BGH BGHRp 2005, 1112, 1113; DtZ 1996, 26). Weitere Bsp: Ein persönlicher Anspruch entsteht im Allg mit Entstehung des Schuldverhältnisses, ein dinglicher jedoch erst, wenn sich ein Dritter zu dem Recht in Widerspruch setzt. Eine Kaufpreisforderung entsteht nicht erst im Zeitpunkt der Lieferung, sondern idR mit Abschluss des Kaufvertrags, es sei denn, dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig wird (BGH 55, 340, 342). So macht die Klausel „Zahlung gegen Dokumente“ die Forderung erst bei Vorlage der Dokumente fällig (BGH aaO). Die Heizkostennachforderung eines Vermieters gegen den Wohnungsmieter entsteht mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Mieter die Abrechnung über die Heizkosten zugeht (BGH 113, 188, 194). Der Werklohnanspruch entsteht mit der Abnahme des Werks (§ 641 I 1), und zwar auch dann, wenn der Bauhandwerker noch keine Rechnung erteilt hat; vom Zeitpunkt der Abnahme an kann der Bauhandwerker mit einer Feststellungsklage die Vergütung geltend machen, gleichviel, ob die Vergütung schon bezifferbar ist (BGH 79, 176, 178; BauR 1979, 22; krit Dilcher JZ 1983, 825, 829). Der Anspruch auf Schlusszahlung des Werklohns nach VOB entsteht dagegen nach § 16 Nr 3 I 1 VOB/B 2002 erst nach Vorlage der Schlussrechnung (BGH NJW 1968, 1962; 1970, 938; 1971, 1455; Staud/Peters/Jacoby Rn 17ff; MüKo/Grothe Rn 19). Beendet der Auftraggeber die Prüfung der Schlussrechnung schon vor Ablauf der Prüfungsfrist von zwei Monaten, so wird der Anspruch auf die Schlusszahlung bereits mit der Mitteilung des Prüfungsergebnisses an den Auftragnehmer fällig (§ 16 Nr 3 I 1 VOB/B 2002; BGH 83, 382). Der Anspruch auf das Arzthonorar entsteht gem §§ 630b, 614 S 1 grds nach jeder einzelnen Konsultation, die allerdings auch mehrere Arztbesuche umfassen kann, auch wenn meist aus organisatorischen Gründen mehrere für einzelne Behandlungen angefallene Vergütungen in einer Rechnung zusammengefasst werden (LG Göttingen NJW 1980, 645). Der Anspruch wird nach § 12 I GOÄ erst nach Erteilung einer Rechnung fällig. Bei Kontokorrent beginnt die Verjährung mit der Saldierung. Die Einzelforderung kann nur maßgebend sein, wenn sie durch Bestreiten ihre rechtliche Selbständigkeit behält. Die Verjährungsfrist beim Anspruch der Staatskasse auf Rückzahlung einer überzahlten Sachverständigenentschädigung beginnt mit der Entstehung des Anspruchs bei Auszahlung der Entschädigung (Hamm OLGRp 2001, 268). Im öffentlichen Recht kann das Entstehen von Rückforderungsansprüchen von dem Erlass eines Rückforderungsbescheids abhängen (FG Hamburg 28.10.2005 – IV 28/04). In Sonderfällen erkennt die Rspr an, dass Ansprüche, die aus einem Schuldverhältnis entstehen, zwar sofort geltend gemacht werden können, aber nicht verjähren. Dann entsteht der Anspruch iSd § 199 I nicht schon mit der Möglichkeit seiner Geltendmachung, sondern erst mit der Beendigung des Schuldverhältnisses (§ 194 Rn 23a). 2. Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis von den Anspruchsgrundlagen. a) Kenntnis des Gläubigers. Nach § 199 I Nr 2 beginnt die regelmäßige Verjährung nicht schon mit dem Entstehen des Anspruchs, sondern erst, wenn der Gläubiger Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erlangt. Hierbei kommt es auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers an. Gläubiger ist der Inhaber des Anspruchs. Das ist bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung nicht nur der eigentlich Verletzte selbst, sondern auch der, der aufgrund von §§ 844f Ansprüche aus der Verletzung eines anderen ableiten kann. Im Fall der Drittschadensliquidation wird der Anspruch aber gerade nicht von dem formellen Inhaber des Anspruchs, sondern von dem geltend gemacht, in dessen Person der von dem Anspruch abgedeckte Schaden entstanden ist. Deshalb kann es für die Kenntnis sinnvollerweise auch nur auf diesen ankommen (BGH NJW 1967, 930). Besonderheiten ergeben sich auch bei Ansprüchen gegen den Insolvenzverwalter. Da Schadensersatzansprüche gegen ihn nur durch einen Sonderverwalter oder einen neu bestellten Verwalter verfolgt werden können, beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist für solche Ansprüche erst zu laufen, wenn dieser Verwalter von den maßgeblichen Umständen Kenntnis erlangt hat (BGH 113, 262, 280; 159, 25, 28f; BGHRp 2008, 994, 995).

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Schmidt-Räntsch

Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 199

Der Gläubiger muss allerdings in der Lage sein, rechtsgeschäftlich tätig zu werden. Andernfalls kann er seine etwaige (natürliche) Kenntnis nicht zur Verfolgung seiner Ansprüche einsetzen. Ist der Gläubiger minderjährig oder aus einem anderen Grund beschränkt oder nicht geschäftsfähig, kommt es auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des gesetzlichen Vertreters an (BGH NJW 1989, 2323; 1996, 2933, 2934; Schleswig OLGRp 2009, 467; Soergel/Niedenführ Rn 37). Sind die Eltern gesetzliche Vertreter, kommt es nicht immer auf die Kenntnis beider an. Hat der eine Elternteil dem anderen die Wahrnehmung der Kindesinteressen tatsächlich überlassen, muss er sich dessen Kenntnis zurechnen lassen (BGH NJW 1976, 2344). Bei jur Pers des Privat- wie des öffentlichen Rechts kommt es nach §§ 31, 89 grds auf die Kenntnis der Organe an. Das sind die Organe, die die Geschäfte der jur Pers führen, und, falls es um Ansprüche gerade gegen diese geht, die Organe, die eine Klage gegen diese veranlassen müssen (Naumburg OLGRp 2001, 238; MüKo/Grothe Rn 33; PWW/Kesseler Rn 12), bei Behörden deren Leitungen. Diese werden idR weder Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners haben, weil sie mit der Bearbeitung von Ansprüchen normalerweise nicht befasst sind und sich damit auch nicht befassen müssen. Käme es allein auf sie an, würden für Ansprüche jur Pers und des Staates nie die regelmäßige Verjährungsfrist, sondern immer nur die Höchstfristen nach § 199 III und IV laufen. Das wäre nicht sachgerecht. Deshalb ist anerkannt, dass es nicht allein auf das Wissen der Organe oder von Behördenleitungen ankommt, sondern auch auf das Wissen derjenigen Mitarbeiter, die mit der Bearbeitung des konkreten Anspruchs betraut sind (BGH 133, 129, 139; MDR 2000, 698; Köln OLGRp 2002, 197; Dresden OLGRp 2001, 508; Hamm 16.9.2016 – 9 U 163/15, juris Rn 39; vgl aber BGH BGHRp 2001, 567), nicht auch der Mitarbeiter von zu beteiligenden Kontrollinstanzen, zB Rechnungsprüfungsämtern (BGH NJW 2008, 2427, 2428). Daran hat sich auch unter neuem Verjährungsrecht nichts geändert (BGH 193, 67, 71f Rn 10; MDR 2012, 151 Rn 21). Grundlage hierfür kann eine förmliche Bevollmächtigung mit der Anspruchsbearbeitung sein, die dann zu einer Zurechnung von Wissen nach § 166 führt. Eine solche förmliche Bevollmächtigung wird selten sein. IdR folgt die Zurechnung des Wissens der Sachbearbeiter aus der arbeitsteiligen Wissensaufspaltung und der Organisationsverantwortung, die auch im rechtsgeschäftlichen Bereich die Grundlage für die Wissenszurechnung bildet (BGH 132, 30, 37). Sie betrifft die Teilnahme am Rechtsverkehr insgesamt, unabhängig davon, ob es sich um den Abschluss von Rechtsgeschäften oder die Bearbeitung von Ansprüchen handelt. Die erste Frage, die sich auf dieser Grundlage stellt, geht dahin, ob der jur Pers oder der Behörde nur das Wissen zugerechnet werden kann, das der Sachbearbeiter selbst aktuell hat oder ob beiden auch das Wissen aus den Anspruchsakten dieses Mitarbeiters zugerechnet werden kann. Diese Frage ist zu bejahen, und zwar unter zwei Gesichtspunkten: Erstens wäre es grob fahrlässig, vergewisserte sich der Sachbearbeiter nicht des Inhalts seiner aktuellen Akten. Zweitens entspräche auch nur ein solches Vorgehen den Anforderungen an eine sachgerechte Wissensorganisation, weil arbeitsteilig organisierte jur Pers und Behörden ihre Aufgaben ordnungsgemäß nur erfüllen können, wenn das Wissen bezüglich konkreter Vorgänge auch in Akten festgehalten wird (vgl BGH 132, 30, 38). Die zweite Frage geht dahin, wie weit die eigenen Akten des zuständigen Sachbearbeiters im Einzelfall zurückverfolgt werden müssen. Den Maßstab hierfür liefert das sog Gleichstellungsargument: Die jur Pers oder Behörde soll nicht besser, aber auch nicht schlechter stehen als die nat Pers in ihrer Lage. Deshalb muss auch der mit der Anspruchsbearbeitung befasste Sachbearbeiter nicht alle erdenklichen Akten seines Bestands unter Umständen über Jahre zurück durchsehen, sondern nur die, deren Durchsicht die Umstände nahelegen (BGH NJW 1999, 3777, 3778 für einen Verkaufsfall; NJW 1989, 2881). Diese beiden Fragen sind im Grunde nicht str. Str ist die dritte Frage danach, ob sich die jur Pers oder eine Behörde auch Wissen anderer Stellen als derjenigen zurechnen lassen muss, die mit der Sachbearbeitung betraut ist. Diese Frage wird von den mit unerlaubten Handlungen und Amtshaftung befassten Senaten des BGH verneint (BGH 193, 67, 73f Rn 12f; MDR 2011, 506, 596; 2012, 151, 152 Rn 12, 21; NJW 2012, 1789f Rn 11, 14). Dem ist insofern zu folgen, als nicht das Wissen jedweder anderen Stelle zugerechnet werden kann. Denn der Sinn einer arbeitsteiligen Aufgabenerledigung besteht ja gerade darin, dass nicht jeder über das gesamte Wissen verfügt. Zweifelhaft ist aber, ob eine Nichtzurechnung auch von Wissen solcher Stellen sachgerecht ist, das die sachbearbeitende Stelle nach den internen Anweisungen hätte abfordern müssen, oder von Wissen, dessen Übermittlung an die sachbearbeitende Stelle bei sachgerechter Organisation hätte sichergestellt werden müssen. Der für das Immobilienkaufrecht zuständige Senat des BGH bejaht hier eine Wissenszurechnung (BGH 10.12.2010 – V ZR 203/09, juris Rn 21). Dieser Ansatz erscheint verallgemeinerungsfähig und auf die Situation des § 199 I übertragbar. Auch dann ergibt sich eine Wissenszurechnung nur in Fällen, in denen eine grob fahrlässige Unkenntnis naheliegt (unterlassene vorgeschriebene Beteiligung) oder in denen ein Organisationsdefizit vorliegt. Organ- und Sachbearbeiterwissen ist nicht zurechenbar, wenn das Organ oder der Sachbearbeiter selbst der Schuldner ist (BGH 179, 344, 354f Rn 34; WM 2011, 794, 795 Rn 10). Auch in anderen Fällen kann dem Gläubiger nach § 166 I die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis anderer Personen zuzurechnen sein. Dafür reicht eine bloß tatsächliche Nähe allein nicht aus. Vielmehr muss (auch bei Ehegatten, Lebenspartnern usw) positiv festgestellt werden, dass derjenige, der tatsächliches Wissen haben soll, dies für den anderen feststellen sollte (BGH MDR 2013, 404 Rn 19f). Selbst bei einer förmlichen Bestellung zum Vertreter kann Wissen des Vertreters nicht ohne weiteres dem Vertretenen zugerechnet werden. Voraussetzung ist vielmehr, dass die Erlangung solcher Kenntnis auch zum Aufgabenkreis des Vertreters gehörte (NK/Mansel/Stürner Rn 76; Gaier NZM 2003, 90, 95, 96 für Zuordnung von Verwalterwissen ggü WEG). Hierbei wird man auch kaum zw rechtsgeschäftlichen und gesetzlichen Ansprüchen unterscheiden können (NK/ Schmidt-Räntsch

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Verjährung

Mansel/Stürner Rn 78). Denn die Vollmacht, einen bestimmten Vertrag abzuschließen, muss nicht unbedingt auch die Vollmacht zur Abwicklung dieses Vertrags umfassen. Deshalb wird man einem Gläubiger nicht ohne weiteres die Kenntnis seines Rechtsanwalts zurechnen können, sondern nur, wenn dieser gerade mit der Abwicklung der Angelegenheit und – bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung – auch Tatsachenermittlung beauftragt (BGH NJW 1968, 988) oder – ggf auch ohne förmlichen Auftrag – tatsächlich betraut ist (BGH 114, 104, 107). Entspr gilt für Treuhänder (Schmidt NJW 2007, 2447, 2448; Maier ZfIR 2008, 73, 755f; offengelassen von BGH 171, 1, 12f). Ist der Treuhandauftrag wegen Verstoßes gegen das RDG nichtig, entfällt eine Zurechnung (BGH 171, 12f; Fellner MDR 2009, 670). Diese Grundsätze gelten auch für den Bauleiter, der mit der Rechnungsprüfung beauftragt ist (BGH NJW 2008, 2427, 2428; Celle OLGRp 2009, 878), oder den Steuerberater, der seinen Mandanten im Unklaren darüber lässt, dass er das gebotene Rechtsmittel im Besteuerungsverfahren nicht eingelegt hat (Celle DB 2011, 524). Die Kenntnis des Verwalters einer WEG ist der WEG bei der Verfolgung originär gemeinschaftlicher Ansprüche (ZfIR 2014, 741 Rn 17f; WM 2014, 900 Rn 18; München NJW-RR 2007, 1097, 1098) und bei der Verfolgung vergemeinschafteter Ansprüche der WEer zuzurechnen, im zweiten Fall aber nur für Umstände, die nach der Vergemeinschaftung bekannt werden. Den WEern ist die Kenntnis des Verwalters dagegen bei der Verfolgung ihrer nicht vergemeinschafteten Ansprüche nicht zuzurechnen (BGH ZfIR 2014, 741 Rn 17f, 20). Eine Zurechnung des Verwalterwissens hat der BGH ferner in dem Sonderfall wechselseitiger Ansprüche zweier WEer gegeneinander angenommen, die durch denselben (ungetreuen) Verwalter vertreten wurden (WM 2014, 900 Rn 21). Grund der Zurechnung war das Handeln für beide WEG und die Befürchtung, der Verwalter werde nicht zu einer sachgerechten Anspruchsverfolgung beitragen. 16 Bei Gläubigermehrheit sind alle auf Gläubigerseite Beteiligten Gläubiger. Nach § 425 II, 429 III, 432 II wirkt die Verjährung nur für den unter ihnen, in dessen Person die Voraussetzungen hierfür eintreten. Das gilt auch für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis. Liegt sie nur bei einem der mehreren Gläubiger vor, besteht die Einrede der Verjährung nur diesem ggü, nicht auch ggü den anderen. Allerdings muss auch für eine Gläubigermehrheit gelten, was für Gesamtvertreter anerkannt ist (vgl Rn 13): Wenn die übrigen Gläubiger einem oder mehreren von ihnen die Wahrnehmung einer Angelegenheit überlassen haben, dann müssen sie sich auch die Kenntnis dieses oder dieser Gläubiger analog § 166 I zurechnen lassen. Bei Personengesellschaften müssen sich deshalb Gesellschaft wie Gesellschafter die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis eines geschäftsführenden Gesellschafters zurechnen lassen (BaRo/Spindler Rn 38). Wenn bei einem Vertrag auf einer oder beiden Seiten mehrere Personen beteiligt sind, wird man sie idR jew untereinander als „Kenntnisvertreter“ der anderen Personen dieser Vertragsseite ansehen und ihnen ihre Kenntnis in Ansehung von Ansprüchen im Zusammenhang mit diesem Vertrag zurechnen können (für § 123 Koblenz NJW-RR 2003, 119, 120; i Erg genauso, aber unter Hinw auf § 139 RG 65, 399, 405). Entspr gilt für Ansprüche in vertragsähnlichen Situationen wie zB der gemeinschaftlichen Geschäftsführung ohne Auftrag. 17 In den Fällen des Gläubigerwechsels ist zu unterscheiden: Hatte der Zedent vor dem Anspruchsübergang Kenntnis, ist sie dem Zessionar anzurechnen (BGH VersR 1961, 910; MDR 2014, 726 Rn 13). Hatte der Altgläubiger noch keine Kenntnis, kommt es allein auf die Kenntnis des neuen Gläubigers an (BGH NJW 1982, 1761; MDR 2014, 726 Rn 13). Nach §§ 404, 412 gilt dasselbe bei einem gesetzlichen Forderungsübergang (BGH 38, 385, 389 für § 67 VVG; Celle OLGRp 2000, 195). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Anspruch mit seiner Entstehung auf einen anderen übergeht, wie das zB bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung der Fall ist, die auf einen Sozialversicherungsträger übergehen (BGH 48, 181, 186; NJW 1983, 1912). 18 b) Kenntnis und grob fahrlässige Unkenntnis. Der Gläubiger muss von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erlangt haben. 18a aa) Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und von der Person des Schuldners hat der Gläubiger, wenn er sie selbst wahrgenommen hat. Welche Anforderungen an die Wahrnehmung zu stellen sind, bestimmt sich nach den Umständen und etwaigen besonderen gesetzlichen Regelungen. Bei einer Wohnflächenabweichung genügt zB nicht schon die bloße Besichtigung der Wohnung; erforderlich ist vielmehr ein Ausmessen (LG Krefeld NJW 2013, 401). Die Verjährung des Erfüllungsanspruchs des Bestellers beim Werkvertrag beginnt mit der Abnahme oder dem Eintritt von Umständen, unter denen eine Erfüllung nicht mehr in Betracht kommt (BGH 192, 190, 194 Rn 12 für § 8 VOB/B; MDR 2011, 478). Das ergibt sich letztlich daraus, dass der Gesetzgeber mit der Regelung über die Abnahme in § 640 die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der Abnahme konzentriert hat und, wenn nicht die erwähnten besonderen Umstände vorliegen, vorher typischerweise nicht von der Kenntnis (oder grob fahrlässigen Unkenntnis) des Bestellers von den Voraussetzungen für das Bestehen seines Erfüllungsanspruchs ausgegangen werden kann. Kenntnis von selbst wahrgenommenem Geschehen kann dem Gläubiger fehlen, wenn ihm zB infolge einer retrograden Amnesie die Erinnerung an die Vorgänge fehlt (BGH MDR 2013, 216 Rn 6; Nassall NJW 2014, 3681, 3682). Die erforderliche Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners hat der Gläubiger nicht erst dann, wenn der Anspruch bewiesen ist oder der Gläubiger selbst keinerlei Zweifel mehr hat. Kenntnis hat der Gläubiger vielmehr schon dann, wenn er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen den Anspruch, wenn auch nur im Wege der Feststellungsklage (BGH BGHRp 2006, 763, 764), mit hinreichender Aussicht auf Erfolg einklagen kann (BGH 48, 181, 183; 102, 246, 248; NJW 1990, 2208; 2008, 2576, 2578; NJW-RR 2008, 1495, 1497; WM 2008, 202, 203; MDR 2000, 793; BGHRp 2003, 557; BAG MDR 2013, 1108; MüKo/Grothe Rn 25). Es kommt darauf an, ob dem Gläubiger die Erhebung einer Klage zuzumuten ist (BGH NJW 1977, 198; 1984, 661; 1990, 245; 1993, 2303; 1994, 3092; BGHRp 2005, 829, 831). Dies bedeutet nicht, dass der Prozess für den Kläger risikolos erscheinen muss (BGH 598

Schmidt-Räntsch

Gegenstand und Dauer der Verjährung

§ 199

NJW 1963, 1103; BGH 169, 308; NJW 2008, 2576, 2578; WM 2008, 202, 203; Naumburg 28.4.2009 – 9 U 143/08; Hamm MDR 2013, 1173, 1174). Deshalb hindert der fehlende Abschluss eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens (BGH NJW 1994, 1150, 1151), eines Rechtsstreits (BGH WM 2015, 938 Rn 15) oder anderer Verfahren den Eintritt der Kenntnis, für sich genommen, nicht. Tritt aber zB eine unerkannt falsche Auskunft der Behörde hinzu, darf sich der Gläubiger eines Amtshaftungsanspruchs darauf verlassen und erst einmal den Anspruch durchsetzen, den er danach hat; er muss nicht parallel dazu einen Amtshaftungsanspruch einklagen, in dem er sich auf den gegenteiligen Standpunkt stellen müsste (BGH NVwZ 2016, 708 Rn 16). Der Umstand, dass die Rspr später Beweiserleichterungen entwickelt hat, ändert an der Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen nichts (BGH NJW 2008, 2576, 2578f; NJW-RR 2008, 1495, 1498f; Maier ZfIR 2008, 753, 755; Fellner MDR 2009, 670). Die Kenntnis hiervon fehlt auch nicht deshalb, weil der Gläubiger mögliche Einwände des Schuldners nicht kennt (BGH NJW 1993, 2614). Anders liegt es aber dann, wenn der Gläubiger mit Einwänden des Schuldners rechnen muss, deren Grundlage aber nicht kennt (BGH NJW 1993, 2614; GRUR 2009, 1186, 1188). Entscheidend ist die Kenntnis der Tatsachen, aus denen der Anspruch abzuleiten ist. Zu denen gehören bei einem Amts- und Notarhaftungsanspruch allerdings auch die Tatsachen, aus denen sich das Fehlen anderweitiger Ersatzmöglichkeiten ergibt (BGH 102, 246, 248f; 121, 65, 71). Bei einem Anspruch aus § 945 ZPO gehört dazu die Kenntnis von der rechtskräftigen Entscheidung in der Sache (BGH 5, 1, 6). Anders liegt es dagegen bei einem Anspruch aus § 717 II ZPO, weil es hier nur auf die Aufhebung des Ausgangsurteils, nicht dagegen auf den Eintritt seiner Rechtskraft ankommt (BGH 169, 308 = BGHRp 2007, 177, 178). Auf die rechtliche Würdigung der erkannten Tatsachen kommt es dagegen ebenso wenig an (BGH MDR 1996, 151; 2001, 506; 2013, 475 Rn 28; BGHRp 2008, 625, 626; NJW 2008, 2427, 2428; 2009, 984; Bamberg OLGRp 2006, 663, 664; Düsseldorf OLGRp 2002, 259; Naumburg OLGRp 2001, 238) wie darauf, ob der Gläubiger die tatsächlichen Voraussetzungen seines Anspruchs (zB Kausalität, Verschulden usw) zutreffend bewertet (BGH MDR 2013, 475 Rn 27). Deshalb stehen mangelnde Rechtskenntnisse der Kenntnis regelmäßig nicht entgegen (BGH VersR 1966, 632; RG 142, 348, 350). Anders ist es ausnahmsweise dann, wenn der Gläubiger wegen der verwickelten und zweifelhaften Rechtslage daran gehindert ist, Anspruch und Schuldner überhaupt zu erkennen (BGH 6, 195, 202; 203, 115 Rn 46; 204, 30 Rn 37; NJW 2009, 984; WM 2013, 1286 Rn 48; Stuttgart ZIP 2005, 2152, 2157; WM 2010, 1330, 1332; VGH München 10.3.2010 – 14 BV 08.2444; Otto aaO, 139), oder wenn das Vorliegen einer Anspruchsvoraussetzung aufgrund der bekannten Tatsachen rechtlich schwierig zu beantworten und die Rechtsfrage durch die Rspr noch nicht geklärt ist (BGH MDR 1999, 963; BGHRp 2005, 829, 831). Sie muss aber bestr sein, das bloße Fehlen einer die Frage bejahenden Rspr genügt nicht (BAG DB 2002, 218, 219; BaRo/Spindler Rn 21). Entscheidend ist, ob sich der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten Tatsachen erforderlichenfalls erfolgreich beraten lassen kann (BGH MDR 1999, 963; 208, 210 Rn 25f; Karlsruhe VersR 2017, 81, 82). Ist die unklare Rechtslage zB durch eine Entscheidung des BGH geklärt, steht die zuvor unklare Rechtslage dem Verjährungsbeginn nicht mehr entgegen (BGH 23. 9. 2008 – XI ZR 263/07, juris Rn 18). Dafür kommt es auf die Veröffentlichung der maßgeblichen Entscheidung an (BGH WRP 2016, 1517 Rn 43f) Auf die Kenntnis bzw grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Klärung der Rechtslage kommt es hierfür nicht an (BGH MDR 2008, 1405, 1406). Diese Überlegungen gelten nicht nur für die Notar- und Amtshaftung (so aber Bitter/Alles NJW 2011, 2081, 2083), sondern für alle Ansprüche. Sie mögen bei der Notar- und Amtshaftung eher relevant werden; eine unklare und verwickelte Rechtslage, die dem Gläubiger die Erkenntnis des Anspruchs verstellt, kann aber auch bei anderen Ansprüchen vorliegen. Entspr gilt auch für die Kenntnis von technischen Normen und anderen Standards, die für die Beurteilung des Schuldnerverhaltens herangezogen werden müssen. Hier wie dort kommt es deshalb im Grundsatz darauf an, ob der Gläubiger die Anknüpfungstatsachen kennt. Etwas Anderes gilt nur, wenn unklar ist, welche Anforderungen die Normen und Standards stellen (zu weit daher BaRo/ Spindler Rn 24, der generell die Kenntnis von Normen und Standards verlangt). Die Unsicherheit des Gläubigers darüber, ob sich der Schuldner auf entlastende Einwände gleich welcher Art berufen kann, schließt die Kenntnis iSd § 199 I Nr 1 nicht aus (BaRo/Spindler Rn 29; MüKo/Grothe Rn 25; zu weit daher Karlsruhe OLGRp 2002, 349). Unschädlich ist auch, dass der Schuldner seine Verpflichtung bestreitet (Hamm OLGRp 2002, 157; NK/ Mansel/Stürner Rn 63; BaRo/Spindler Rn 21). Anders ist es, wenn der Gläubiger Tatsachen nicht kennt, die die Verpflichtung gerade des in Aussicht genommenen Schuldners begründen (BGH NJW 1996, 117; 1999, 2734, 2735). Keine Kenntnis hat der Gläubiger, wenn ihm hinreichende Anhaltspunkte dafür fehlen, dass zB das Amtswalten einer Behörde unvertretbar ist (BGH NJW 1998, 2051, 2052; 1994, 3162, 3163). Ein Bsp ist eine umfangreiche Eintragungsmitteilung, die zwar Fehler des Notars erkennen lässt, aber nicht laienverständlich ist (BGH ZfIR 2015, 12 Rn 20f). Für die Kenntnis innerer Tatsachen kommt es auf die Kenntnis der Anknüpfungstatsachen an, aus denen die innere Tatsache abgeleitet werden kann (BGH NJW 1964, 493, 494; Otto aaO, 145; PWW/Kesseler Rn 14). Entspr würde gelten, wenn es um den Anspruch aus der Pflichtwidrigkeit des Handelns eines Schuldners aus einem vertraglichen oder sonstigen gesetzlichen Schuldverhältnis geht (BGH 87, 27, 37). Kennt der Gläubiger den unmittelbar Handelnden, kann er daraus noch nicht in jedem Fall die Kenntnis haben, wer rechtlich sein Schuldner ist, gegen den er nach §§ 831, 278 oder 31 vorgehen könnte (BGH NJW 1999, 433). Wann mittelbar Geschädigte (vgl BGH VersR 1983, 273), zB anspruchsberechtigte Sozialversicherungsträger (vgl BGH NJW 2004, 510) oder gesetzliche Vertreter von Geschädigten, die ihre Kenntnis auf keine unmittelbaren persönlichen Wahrnehmungen des Schädigungsvorganges stützen können, aus anderen Quellen hinreichend zuverlässige Aufschlüsse für eine Rechtsverfolgung gegen den Schädiger gewonnen haben, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (BGH MDR 2005, 211, 212). Die Grundsätze gelten auch für vertragliche Ansprüche, insb Erfüllungsansprüche. Hier wird die Kenntnis aber meist früher eintreten als bei Ansprüchen aus unSchmidt-Räntsch

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erlaubter Handlung oder gesetzlichen Ansprüchen, weil die Erfüllung vertraglicher Pflichten einfacher zu überblicken ist. Notwendig ist das aber nicht. So kann der Gläubiger in einem umfangreichen Vertragswerk ihm zustehende Nebenansprüche oder Einzelheiten seines Leistungsanspruchs nicht bemerkt haben (Bsp nach Otto aaO, 96f). Bei der Verletzung von Schutzpflichten kann die Erlangung der Kenntnis für den Gläubiger auf ähnliche tatsächliche Schwierigkeiten stoßen wie bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung. Ähnlich liegt es bei Garantien (Grützner/Schmidt NJW 2007, 2310, 3614f). bb) Grob fahrlässige Unkenntnis. Aus dem in § 162 enthaltenen Rechtsgedanken hatte die Rspr schon zum früheren § 852 I aF abgeleitet, dass es der positiven Kenntnis gleichstehe, wenn der Geschädigte eine sich ihm ohne weiteres anbietende, gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit, die weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht, nicht wahrnimmt (BGH 133, 192, 199; NJW-RR 1988, 411; NJW 1995, 776; 1999, 423, 425; 2000, 953; 2010, 1195, 1197; MDR 2001, 810; 2009, 40, 41; NStZ-RR 2011, 52, 53). Dies entsprach i Erg weitgehend der groben Fahrlässigkeit, auch wenn die Rspr eine Gleichstellung bis zuletzt verneint hat (BGH NJW 1999, 2734, 2735). Diese liegt nämlich vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt worden ist, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder beiseitegeschoben wurden und dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH 10, 14, 16; 89, 153, 161; NJW-RR 1994, 1469, 1471; NJW 1992, 3235, 3236; MDR 2010, 81; MDR 2012, 1405 Rn 16; Brandenburg BKR 2015, 343 Rn 44; Celle MDR 2016, 1031). Diese Auflockerungstendenzen haben Peters/Zimmermann in ihrem Gutachten zu dem Vorschlag bewogen, die grob fahrlässige Unkenntnis der Kenntnis gleichzustellen (in BMJ [Hrsg], Vorschläge und Gutachten zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd I, 1981, § 199 E – Hemmung durch Unkenntnis des Berechtigten, 316). In § 12 ProdHaftG hatte der Gesetzgeber diese Angleichung auch schon vollzogen. Die Einbeziehung der grob fahrlässigen Unkenntnis entspricht schließlich auch dem Rechtsgedanken des § 277, wonach grobe Fahrlässigkeit stets auch dann schadet, wenn man in eigenen Angelegenheiten handelt. Von der Existenz eines Anspruchs sowie der Person des Schuldners Kenntnis zu nehmen, ist eine eigene Angelegenheit des Gläubigers. Daher steht die grob fahrlässige Unkenntnis jetzt generell der Kenntnis gleich (BT-Drs 14/6040, 108). Grob fahrlässige Unkenntnis liegt bei „erweiterter Kenntnis“ iSd eingangs der vorigen Rn dargestellten Rspr zu § 852 aF also dann vor, wenn der Gläubiger Umstände nicht zur Kenntnis nimmt, die sich einem Gläubiger in seiner Lage aufdrängen, oder wenn er Erkenntnisquellen nicht nutzt, die ohne Mühe oder besondere Kosten zugänglich sind (Koblenz VersR 2016, 52, 53; Saarbrücken ZGS 2008, 433, 434; Schleswig MDR 2009, 985). Zur näheren Ausfüllung kann im Ansatz auf die Rspr zu § 852 aF zurückgegriffen werden. Zu beachten ist aber, dass der älteren Rspr Grenzen gesetzt waren, weil § 852 aF Kenntnis verlangt und grob fahrlässige Unkenntnis nicht ausreichen ließ. Diese Sperre hat der Gesetzgeber mit § 199 aufgegeben, was zu leicht verschärften Anforderungen an das führt, was der Gläubiger zur Kenntniserlangung unternehmen muss. Nach wie vor besteht keine Ermittlungspflicht des Gläubigers (BGH ZIP 2016, 1007 Rn 34; NK/Mansel/Stürner Rn 74; BaRo/Spindler Rn 19a; MüKo/Grothe Rn 28; Schmidt-Räntsch DRiZ 2001, 501, 504 Fn 18). Deshalb muss ein Patient nach wie vor nicht die Krankenhausunterlagen daraufhin durchsehen, ob sich aus ihnen Anhaltspunkte für ärztliche Behandlungsfehler ergeben (BGH NJW 1989, 2323, 2324; VersR 2012, 738 Rn 18f). Er muss sich nicht ärztliches Fachwissen aneignen (BGH BGHRp 2007, 59, 62). Entspr gilt für die Mitarbeiter der Leistungsabteilung des Versicherers des Patienten (BGH VersR 2012, 738 Rn 20). Ein Geschädigter muss auch nicht anhand der behördlichen Ermittlungsakten oder durch Einholung von Auskünften bei der Polizei feststellen, ob er einen anderen klageweise wegen eines Verkehrsunfalls in Anspruch nehmen kann (BGH NJW 1996, 2933, 2934). Ein Transportversicherer muss nicht bei anderen Unfallbeteiligten Nachforschungen anstellen, wenn seine Anfrage in einem später relevanten Punkt unbeantwortet bleibt (BGH MDR 2001, 810; aM für neues Recht NK/Mansel/Stürner Rn 71). Ein Geschädigter ist jedenfalls dann nicht verpflichtet, den Ausgang eines Strafverfahrens gegen seinen möglichen Schuldner im Hinblick auf etwaige Schadensersatzansprüche zu verfolgen, wenn ihm nur aufgrund eines Erhebungsbogens das Verfahren bekannt ist und sein Schuldner in den Akten auch nicht als Beschuldigter geführt wird (BGH MDR 1990, 708). Richtet es sich aber gegen den Schuldner, dann wird man von dem Gläubiger eine Erkundigung verlangen müssen (so Schleswig MDR 2009, 985; Pal/Ellenberger Rn 40). Ähnlich liegt es bei einem Anspruch wegen Insolvenzverschleppung. Hier ist eine Einsichtnahme in die Insolvenzakten erst dann angezeigt, wenn es konkrete Anhaltspunkte für eine Insolvenzverschleppung gibt (Saarbrücken ZGS 2008, 433, 435). Im Hinblick darauf, dass das Gesetz früher „Kenntnis“ verlangte, hat die Rspr allerdings in der Vergangenheit dem Schuldner zT in sehr weitgehendem Umfang zugestanden, die Tatsachenkenntnis gewissermaßen auf sich zukommen zu lassen. Das ist unter Geltung des § 199 I Nr 2 nicht mehr möglich (Otto aaO, 239f, 244). Zugrunde zu legen ist die strengere Rspr. Hat der Gläubiger etwa hinreichende Anhaltspunkte für einen Anspruch zB wegen ärztlichen Behandlungsfehlers, dann muss er sich auch nach dem Namen des behandelnden Arztes erkundigen und darf es nicht dem Zufall überlassen, ob er diesen Namen erfährt (BGH NJW 1989, 2323, 2324; MDR 2010, 81; zu weiteren Einzelheiten Martis/Winkhart-Martis MDR 2011, 709, 715). Wer Anhaltspunkte für das Mitverschulden eines Unfallbeteiligten hat, muss diesem Anhaltspunkt nachgehen, auch wenn er zunächst einen anderen für den Schadensersatzpflichtigen gehalten hat (BGH MDR 1990, 532). Auch darf der Geschädigte mit dem Amtshaftungsprozess zuwarten, bis geklärt ist, ob eine anderweitige Ersatzmöglichkeit ausscheidet (BGH 121, 65, 71). Entspr gilt bei der Notarhaftung (BGH NJW 1999, 2041). Anders als bisher (BGH MDR 2002, 1064) wird man von dem Gläubiger aber schon verlangen müssen, sich der Realisierbarkeit seines Anspruchs ggü dem vorrangig Haftpflichtigen zu vergewissern, wenn ihm dieser selbst Tatsachen mitteilt, nach de600

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

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nen das nicht der Fall ist. Wer erkennt, dass die Ursache für die Verstopfung eines Abwasserrohrs eine staatliche Baumaßnahme war, dem ist anders als bisher (BGH MDR 2000, 582) zuzumuten, sich bei der ihm bekannten zuständigen Behörde zu erkundigen, wer die Arbeiten ausgeführt hat (Pal/Ellenberger Rn 40). Es mag sein, dass sich dann Unklarheiten darüber ergeben, wer von den an der Ausführung Beteiligten haftet, und eine grob fahrlässige Unkenntnis aus diesem Grund zu verneinen sein (so in casu BGH aaO; dazu weiter Rn 28). Das bedeutet aber nicht, dass eine nähere Erkundigung ganz unterbleiben kann (Pal/Ellenberger Rn 40; anders aber nach früherem Recht BGH NJW 1989, 2323). Entspr gilt für eine Bank, die es versäumt, sich nach der Aktualität der Anschrift des Bürgen zu erkundigen (BGH MDR 2009, 40, 41), oder für Behörden, die konkrete Veranlassung haben, die Akten anderer Behörden anzufordern (Pal/Ellenberger Rn 40; Soergel/Niedenführ Rn 49 bei Fn 177 gegen BGH 133, 129, 141) oder beim Geschädigten nachzufragen (Hamm OLGRp 2002, 340). Es entlastet dann nicht, wenn die zust Mitarbeiter überlastet oder unzureichend auf ihre Aufgabe vorbereitet sind und die konkrete veranlassten Maßnahmen unterlassen (Schleswig NJW-RR 2012, 658, 660). Wer weiß, dass ein Dritter im Vorfeld eines Kabelunfalls beteiligt war, wird sich nach dem Unfall auch nach dessen Beteiligung erkundigen müssen (anders nach § 852 I aF: BGH NJW 2003, 288). Der Gläubiger eines Anspruchs aus Prospekthaftung oder wegen Beratungsfehlers muss den überreichten Prospekt nicht ohne Anlass daraufhin durchsehen, ob die mündlichen Äußerungen des Vertreters des Verkäufers mit diesem übereinstimmen (BGH MDR 2010, 1051 und 1183; NZG 2011, 68, 69; Celle OLGRp 2009, 121). Das gilt auch dann, wenn der Gläubiger den Prospekt schon länger in Händen hat, ihn nicht durchsieht und deshalb (auffällige) Abweichungen zw dem Prospekt und den mündlichen Erklärungen nicht bemerkt (BGH MDR 2011, 1349; NJW-RR 2012, 111 Rn 10; aM Celle OLGRp 2009, 121, 122 und Erman/ Schmidt-Räntsch13 an dieser Stelle). Sähe man es anders, liefe das auf die Obliegenheit des Gläubigers hinaus, die mündlichen Erläuterungen des Beraters auch ohne Anlass mit dem Prospekt abzugleichen oder ihn in der Widerrufsfrist durchzusehen (BGH NJW-RR 2012, 111 Rn 11); eine solche Pflicht statuiert § 199 I Nr 2 nicht. Die Anforderungen an den Gläubiger können nach Inhalt und Art des Schuldverhältnisses anders, in einem Vertragsverhältnis zB höher sein als bei einem gesetzlichen Anspruch (BaRo/Spindler Rn 36f Wissenszurechnung; MüKo/Grothe Rn 28 bei Fn 161; ähnlich Zimmermann/Leenen/Mansel/Ernst JZ 2001, 684, 687 bei Fn 47). Bei der Rückforderung überzahlten Werklohns zB genügt es, wenn der Gläubiger Leistungsverzeichnis, Aufmaße und Schlussrechnung kennt und anhand dieser Unterlagen die vertragswidrige Abrechnung und Masseermittlung ermitteln kann (BGH NJW 2008, 2427, 2428; ähnlich WM 2010, 1655, 1656). Allerdings dürfen auch hier die Anforderungen nicht überspannt werden (Gaier NZM 2003, 90, 93 für WEG-Mitglieder als Gläubiger). Maßgeblich sind die verständige Sicht des Gläubigers und die ihm im Einzelfall zu Gebote stehenden Erkenntnismöglichkeiten (BGH NJW 2010, 1195, 1197). Deshalb kann etwa dem Gläubiger einer Architektenleistung nicht grobfahrlässige Unkenntnis von einer Honorarüberzahlung vorgehalten werden, solange er keine konkreten Hinweise darauf hat, dass die von ihm geleisteten Zahlungen das angefallene Honorar übersteigen (BGH MDR 2012, 1405 Rn 16). Die Anforderungen an Unternehmer sind tendenziell strenger als an Verbraucher (Ellenberger BB 2001, 1414, 1418; Mansel NJW 2002, 89, 91; wohl auch BaRo/Spindler Rn 20; aM Otto aaO, 210f). Die Umstände, aus den sich die grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers ergibt, sind dem Schuldner nicht 20a selten unzugänglich. Das kann dazu führen, dass ihm Darlegungserleichterungen nach den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast zugutekommen (BGH 193, 67 Rn 23). c) Anspruchsbegründende Umstände. Der Gläubiger muss Kenntnis von den Umständen haben, die den An- 21 spruch begründen. Den Anspruch begründen in diesem Sinne nicht nur die eigentlichen Anspruchs-, sondern auch die Fälligkeitsvoraussetzungen (NK/Mansel/Stürner Rn 31). Denn vor Eintritt der Fälligkeit ist der Anspruch nicht durchsetzbar. Mit Umständen ist der Lebenssachverhalt gemeint, der die Grundlage des Anspruchs bildet. Bei einem Bereicherungsanspruch aus § 812 I 1 gehören dazu die Leistung und die Tatsachen, aus denen sich das Fehlen eines Rechtsgrunds ergibt (BGH 175, 161, 170; 179, 260, 276f; NJW 2011, 1278, 1279; MDR 2011, 909, 910; WM 2013, 1286 Rn 47; Bremen NJW 2014, 944, 945). Bei einem Unterlassungsanspruch wegen Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts kommt es auf die ehrverletzende Äußerung, nicht auf eine bestimmte Form der Veröffentlichung an (LG Hamburg 30.1.2015 – 324 O 61/14, juris Rn 26). Bei einem Gesamtschuldnerinnenausgleich gehören zu diesem Lebenssachverhalt nicht nur die Umstände, die das Gesamtschuldverhältnis begründen, obwohl mit dessen Begründung die Verjährung beginnt (oben Rn 4). Dazu gehören vielmehr auch die Umstände, die Ansprüche des Gläubigers gegen den rückgriffsberechtigten und den rückgriffsverpflichteten Gesamtschuldner begründen, und schließlich auch die Umstände, welche die Ausgleichspflicht zw den Gesamtschuldner begründen (BGH 181, 310, 316; Pfeiffer NJW 2010, 23, 25). Auf die Kenntnis oder Unkenntnis einzelner Details dieses Lebenssachverhalts kommt es nur an, wenn es sich um die entscheidenden, den Lebenssachverhalt im Hinblick auf den Anspruch prägenden Umstände handelt. Dazu gehört auch die Kenntnis von den wirtschaftlichen Zusammenhängen, wenn sich erst daraus zB die Pflicht zur Aufklärung ergibt (BGH ZIP 2003, 1782, 1783; ZfIR 2008, 334, 336; NJW-RR 2008, 1495, 1498; BKR 2009, 372, 373; 2010, 118, 120; MDR 2011, 601; Maier ZfIR 2008, 753, 758f). Wenn der Gläubiger allerdings die Zusammenhänge erfasst hat, liegt Kenntnis vor (LG Bonn MDR 2008, 1383, 1384). Auf die Kenntnis oder Unkenntnis anderer Einzelheiten kommt es dagegen nicht an (Hamburg OLGRp 2000, 441; Frankfurt NJW-RR 1999, 1474, 1475). Bei einem Anspruch aus Arzthaftung (sei es aus Vertrag oder aus Delikt) wäre es zB erforderlich, aber auch ausreichend, wenn der Patient die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennt, aus denen bei sachverständiger medizinischer und rechtlicher Würdigung auf einen schuldhaften Behandlungsfehler geschlossen werden kann (BGH NJW 1984, 661; 1991, 2350, 2351; VersR 2010, 214, 215; Karlsruhe OLGRp 2002, 169; Düsseldorf OLGRp 2001, 539). Schmidt-Räntsch

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Die Kenntnis des Patienten von der Nichtvornahme einer Untersuchung genügt andererseits aber nur, wenn der Patient das auch als Abweichen vom medizinischen Standard erkennt (BGH NJW 1991, 2350, 2351; Naumburg OLGRp 2002, 16). Ähnliches gilt für andere Pflichtverletzungen (Celle DB 2011, 524, 528 für Steuerberater), auch für die Haftung von Rechtsanwälten (BGH NJW 2014, 993 Rn 15). Der Mandant muss neben den Tatsachen auch Kenntnis davon haben, dass ein Pflichtenverstoß vorliegt (BGH 200, 172 Rn 15; ZIP 2014, 1030 Rn 8; 2017, 236 Rn 11). Kenntnis von der eine Wirtschaftsprüferhaftung begründenden falschen Rechtsanwendung hat der Mandant nicht schon, wenn er das falsche Testat kennt, sondern erst, wenn er weiß oder grob fahrlässig nicht weiß, dass die ihm zugrunde liegende Rechtsanwendung und mit ihr das Testat falsch ist (BGH MDR 2014, 653 Rn 26). Beruht der Anspruch auf dem Unterlassen einer Aufklärung, kennt der Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände erst, wenn er die Umstände kennt, aus denen sich die Offenbarungspflicht ergibt (BGH NJW 1990, 2808; MDR 2002, 995 und 1262; Soergel/Niedenführ Rn 43). Ähnlich liegt es bei einem Amtshaftungsanspruch, der aus dem amtspflichtwidrigen Untätigbleiben des Amtsträgers abgeleitet wird. Hier kommt es auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Umstände an, die auf eine Pflicht zum Handeln schließen lassen. Bei dem amtspflichtwidrigen Unterlassen einer Grundbucheintragung wäre diese Kenntnis etwa gegeben, wenn sich auch einem außenstehenden Dritten aufdrängen muss, dass die angemessene Bearbeitungszeit ganz erheblich überschritten ist (BGH 170, 260, 271). Wenn Zweifel an der Schuldfähigkeit bestehen, gehört zur erforderlichen Kenntnis auch die Kenntnis von den die Schuldfähigkeit begründenden Umständen (Köln OLGRp 2000, 418). Bei einer Klage auf Rückforderung des gezahlten Vorschusses zur Mängelbeseitigung gehören zu den anspruchsbegründenden Umständen auch diejenigen, die die Angemessenheit der dem Schuldner dazu zu setzenden (BGH NJW 2010, 1192, 1194) Frist bestimmen (BGH NJW 2010, 1195, 1196). Bei einem Anspruch auf Schadensersatz gehört zur Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen auch die Kenntnis vom Schaden. Die Kenntnis von der Gefahr oder dem Verdacht eines Schadens würde nicht genügen (Köln OLGRp 2002, 252; anders aber nach § 334 ZGB-DDR: Naumburg VIZ 2002, 62). Nicht erforderlich ist, dass alle Einzelheiten bekannt sind. Den aus der nicht termingerechten Erbringung von Zahlungen entstandenen Schaden kennt der Gläubiger zB regelmäßig schon dann, wenn er weiß, dass die Zahlung ausgeblieben ist (BGH NJW-RR 1989, 472; 1990, 388). Denn hieraus kann der Gläubiger den Schaden bereits erkennen. Bei dem durch den schlechteren Rang eines Grundpfandrechts bedingten Schaden tritt Kenntnis nicht mit der Eintragung des Rechts am schlechteren Rang, wohl aber mit der Kenntnis von der wirtschaftlichen Wertlosigkeit ein; dass diese sich möglicherweise nicht realisiert, ändert an der Kenntnis nichts (Hamburg OLGRp 2002, 290). Die Verletzung einer Schutzpflicht nach § 241 II ist aber zB nicht in gleicher Weise beredt. Deshalb müssen hier zusätzliche Umstände hinzukommen, aus denen der Gläubiger den Schaden und seine Verursachung durch die Pflichtverletzung erkennen kann. Der Gläubiger muss nicht stets das ganze Ausmaß seines Schadens kennen. Es genügt, wenn der Schaden wenigstens dem Grunde nach erwachsen ist. Seine Höhe muss nicht feststehen (BGH MDR 2013, 475 Rn 29). Es muss auch nicht feststehen, dass die eingetretene Vermögensverschlechterung endgültig ist (BGH 114, 150, 151; 119, 69, 71; WM 2009, 863, 864). Deshalb kann der Gläubiger, auch wenn er steuerliche Nachteile geltend machen will, nicht ohne weiteres den Eintritt der Bestandskraft des Steuerbescheids abwarten. Entscheidend ist, ob sich vorher bereits der Eintritt des Schadens hinreichend sicher abzeichnet (zu weit geht deshalb Saarbrücken NJW-RR 2009, 1520, 1521). Der aus einer Pflichtverletzung entstandene Schaden wird als Einheit begriffen, nicht als Summe einzelner und selbständiger Schäden (BGH 67, 372, 373; 100, 228, 231f; NJW 1988, 965; 1990, 2808; 1993, 648; RG 119, 204, 207f). Der Gläubiger hat deshalb im Rechtssinne Kenntnis auch von späten Schadensfolgen, wenn er die Richtung des Geschehens kennt (BGH NJW-RR 1992, 282). Es genügt, wenn solche Schadenselemente zur Zeit der Kenntnis von einem Schaden überhaupt irgendwie als möglich vorauszusehen waren (BGH NJW 1979, 268; VersR 1982, 703; Koblenz OLGRp 2001, 489). Die Rspr geht dabei zT sehr weit, etwa wenn alle komplikationsbedingten Schäden einer Knochenverletzung als vorhersehbar angesehen werden (BGH VersR 1982, 703). Der Gläubiger ist deshalb gezwungen, selbst bei einer verhältnismäßig geringen Wahrscheinlichkeit künftiger Schäden alsbald Feststellungsklage auch insoweit zu erheben (Jaeger ZGS 2003, 329, 332). Hiergegen erhobene rechtspolitische Einwände (Peters JZ 1983, 121ff; Moraht, Verjährungsrechtliche Probleme bei der Geltendmachung von Spätschäden im Deliktsrecht, 1996, 229ff, Otto aaO, 107f) hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen, sondern im Gegenteil § 199 I Nr 1 so formuliert, dass die Rspr weiterhin aufrecht erhalten werden kann (BT-Drs 14/7052, 180). Dem ist zustimmen. Die Funktion der Vorschrift, die Auseinandersetzung um den Anspruch zu konzentrieren und das Risiko des Schuldners zu begrenzen, spricht dafür, am Grundsatz der Schadenseinheit festzuhalten. Von der Einheit des Schadens werden allerdings nicht erfasst Schäden oder Schadensfolgen, die auf atypischen, unerwarteten oder unvorhersehbaren Umständen beruhen. In solchen Fällen hat der Gläubiger Kenntnis nur, wenn er die Schäden selbst und ihren Zusammenhang mit dem Anfangsschaden erkennt (BGH VersR 1967, 1092; NJW 1973, 702). Dies gilt auch dann, wenn ein Zusammenhang zw dem anspruchsbegründenden Verhalten und dem Schaden erst allmählich in Fachkreisen erkannt wird (BGH NJW 1997, 2448). Als eine solchermaßen unerwartete Schadensfolge wurde bisher auch die Entwertung einer Schadensersatzrente durch die Veränderung der Lohn- und Preisverhältnisse angesehen (BGH 33, 112). Diese Rspr geht aber auf die bisher sehr engen währungsrechtlichen Grenzen einer Indexierung zurück. Die Ablösung des § 3 WährG zunächst durch § 2 PaPkG und die zu seiner Durchführung erlassene Verordnung, sodann §§ 3, 4 PrKG v 29.7.2007 (BGBl I 2246), bieten aber seit dem 11.1.1999 hinreichende Möglichkeiten für eine Indexierung, zumindest aber für eine Anpassung solcher Renten (Schmidt-Räntsch NJW 1998, 3166, 3167). 602

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

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Von der Entstehung weiterer Folgen aus einer unerlaubten Handlung oder einer Pflichtverletzung ist die wiederholte Pflichtverletzung oder unerlaubte Handlung zu unterscheiden. Im zweiten Fall löst jede Einzelhandlung, auch wenn sie aufgrund eines einheitlichen Vorsatzes begangen wird, einen besonderen Schadensersatzanspruch aus, der einer eigenen Verjährung unterliegt (BGH 71, 86, 94; NJW 1985, 1023; 1993, 648; RG 134, 335, 341). Das gilt auch bei einer Haftung aus fehlerhafter Beratung; hier löst jeder Beratungsfehler einen eigenständigen Anspruch aus. Jeder dieser Ansprüche verjährt nur, wenn der Gläubiger von dem jew zugrunde liegenden Beratungsfehler Kenntnis hat (BGH ZfIR 2008, 334 Rn 17; BKR 2009, 372 Rn 14; BGHZ 206, 41 Rn 14; ZIP 2015, 1491 Rn 14f; 16.7.2015 – III ZR 239/14, juris Rn 15; vgl Rn 2a). Entspr gilt für die wiederholte Schädigung durch eine fortdauernde rechtswidrige Unterlassung (RG 106, 283). Die Kenntnis des Schadens genügt als Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen nicht, wenn der Anspruch auf Schadensersatz erst später entsteht. So liegt es im Allg bei dem Anspruch aus § 717 II ZPO (BGH NJW 1957, 1926) und dem Anspruch aus § 945 ZPO in der 2. Alt, dass der Arrest oder die einstw Vfg nach §§ 926 II oder 942 III ZPO aufgehoben wird. In den Fällen der 1. Alt des § 945 ZPO, nämlich dass sich die Maßnahme des einstw Rechtsschutzes von Anfang an als ungerechtfertigt erweist, könnte man es anders sehen. Die Rspr stellt diesen Fall aber heute gleich (BGH 75, 1; NJW 1992, 2297), so dass auch hier die Kenntnis erst mit der Kenntnis von der Aufhebung der einstw Vfg eintritt. Wird das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes überhaupt nicht förmlich abgeschlossen, aber ein Hauptsacheverfahren durchgeführt, tritt Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erst mit dessen Ende ein (BGH NJW 1992, 2297; 1993, 863). d) Der Gläubiger muss auch Kenntnis von der Person des Schuldners, bei Schuldnerwechsel Kenntnis vom neuen Schuldner (LG Berlin NJW-RR 2008, 822), haben. Das setzt gewöhnlich Kenntnis davon, wer überhaupt der Schuldner ist (Rostock MDR 2009, 1334) sowie Kenntnis von dessen Namen und ladungsfähiger (NK/ Mansel/Stürner Rn 50; zu den Anforderungen BGH MDR 2012, 1055 Rn 9) Anschrift (BGH NJW 1998, 988; 2009, 587; NStZ-RR 2011, 52, 53) voraus. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs (BGH ZIP 2008, 2167, 2168; Karlsruhe ZIP 2009, 1611, 1612; Peters NJW 2012, 2556, 2558). Es kommt deshalb, von dem Sonderfall des Art 229 § 6 EGBGB (dazu Anh Vor § 194 Art 229 § 6 EGBGB Rn 9) abgesehen, nicht darauf an, ob der Gläubiger auch einen späteren Wechsel der Anschrift des Schuldners kennt oder grob fahrlässig nicht kennt (BGH NStZ-RR 2011, 52, 53; Karlsruhe aaO; Peters aaO). Die Möglichkeit der öffentlichen Zustellung ersetzt die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der ladungsfähigen Anschrift des Schuldners nicht (BGH MDR 2012, 595, 596 Rn 21). Denn sie ist nach § 185 ZPO nur zulässig, wenn Nachforschungen den Aufenthalt nicht ergeben haben. Zu solchen Nachforschungen ist der Gläubiger aber nach § 199 I Nr 2 nicht gehalten (BGH aaO Rn 23). Wenn damit gerechnet werden kann, eine Zustellung durch Übergabe werde gelingen, reicht auch schon die Kenntnis der Arbeitsstätte des Schuldners (BGH MDR 2001, 164). Kennt der Gläubiger diese Angaben nicht, kann er diese Angaben aber in zumutbarer Weise ohne Mühe in Erfahrung bringen, liegt grob fahrlässige Unkenntnis vor, und zwar in dem Zeitpunkt, in dem der Gläubiger auf entspr Erkundigungen hin die Kenntnis erhalten hätte (BGH NJW 1973, 1496; BaRo/Spindler Rn 19a). Deshalb ist es auch nicht erforderlich, dass der Gläubiger bei Versterben seines Schuldners Kenntnis von der Person auch des Erben hat (Neustadt MDR 1963, 413; RGRK/Kreft § 852 Rn 61; MüKo/Grothe Rn 27; offen noch RG JW 1907, 302 Nr 5). Glaubt der Gläubiger, wenn auch zu Unrecht, ihm sei der Schuldner bereits bekannt, so muss er erg Erkundigungen nicht einziehen. Ihm ist dann die Person des Schuldners ohne grobe Fahrlässigkeit nicht bekannt (BGH VersR 1958, 519; 1999, 423). Die Kenntnis von der Person des Schuldners hat der Gläubiger aber nur, wenn er denjenigen, den er für den Schuldner hält, auch sinnvoll verklagen kann (BGH VersR 1964, 50; RG 124, 111, 114). Dazu müssen dem Gläubiger auch die Umstände bekannt sein, aus denen sich ergibt, dass die ihm bekannte Person auch sein Schuldner ist (BGH 75, 1, 4; NJW 1984, 661; 1998, 1051; WM 2008, 202, 203). Bei der Haftung nach §§ 836–838 gehört dazu die Kenntnis, dass der Einsturz des Gebäudes oder die Ablösung von Teilen desselben die Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung ist. Bei Erstattungsansprüchen eines WE gegen die übrigen wegen Erfüllung von Gemeinschaftsverbindlichkeiten muss er dazu aber nur wissen, dass es sich um Gemeinschaftsverbindlichkeiten handelt. Er kann sich nicht darauf berufen, dass er nicht damit habe rechnen können, dass die Rspr später die Teilrechtsfähigkeit der WEG anerkennen und diese die Passivlegitimation verlieren würden (Rostock NJW-RR 2010, 160). Ist die als Schuldner in Betracht kommende Person prozessunfähig, muss der Gläubiger auch die Person des gesetzlichen Vertreters kennen (RGRK/Kreft § 852 Rn 61). Kommen mehrere Schuldner in Betracht, muss der Gläubiger auch Kenntnis von Umständen haben, die eine Verpflichtung gerade auch des später in Anspruch genommenen in Betracht kommen lassen (BGH NJW 2008, 2576, 2579 für mögliche Haftung der finanzierenden Bank bei einem Aufklärungsfehler des Verkaufsvermittlers). Bei mehreren Ersatzpflichtigen tritt die Kenntnis von ihrer Person für jeden von ihnen selbständig ein (BGH VersR 1963, 285; NStZ-RR 2011, 52, 53; MüKo/Grothe Rn 27), und zwar auch dann, wenn die anderen Schuldner Organe und Mitarbeiter des mitverklagten Unternehmens sind (BGH MDR 2001, 506 gegen Frankfurt NJW-RR 1999, 1474, 1476). Kommen mehrere Personen alternativ als Schuldner in Frage, tritt Kenntnis von der Person des Schuldners erst ein, wenn begründete Zweifel daran, wer der richtige Schuldner ist, ausgeräumt worden sind (BGH VersR 1964, 927). Kommt bei einer fahrlässigen Amtspflichtverletzung eine anderweitige Ersatzmöglichkeit in Betracht, tritt Kenntnis bzw grob fahrlässige Unkenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen erst ein, wenn feststeht oder der Verletzte zumutbarerweise hatte feststellen können, dass die andere

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Ersatzmöglichkeit nicht gegeben ist (BGH 102, 246; 121, 65; NJW 1977, 198; 1979, 34; 1993, 933; VersR 1985, 642). Entspr gilt für die Subsidiarität des Anspruchs aus § 829 (RG 133, 1, 6). 29 Erforderlich ist nur Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von der Person des Schuldners. Nicht erforderlich ist auch Kenntnis von der Person des Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen (NK/Mansel/Stürner Rn 55f). Allerdings kann die fehlende Kenntnis von der Person des Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen dazu führen, dass der Gläubiger auch keine Kenntnis von der Person seines Schuldners hat. Das ist etwa dann der Fall, wenn er die handelnden Personen nicht kennt und deshalb seinem Schuldner nicht zuordnen kann. Ist ihm aber bekannt, wer sein Schuldner ist, kommt es auf die zusätzliche Kenntnis, wer für ihn gehandelt hat, nicht an. 30 3. Beginn mit dem Jahresschluss (Ultimo-Verjährung). Die regelmäßige Verjährung beginnt nach Abs I nicht unmittelbar in dem Zeitpunkt, in dem der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht erlangt. Sie beginnt vielmehr erst mit dem Ablauf des (Kalender-) Jahres, in dem diese Voraussetzungen eintreten. Das ist der Fall, wenn sie bis zum Ablauf des 31.12. des betreffenden Jahres eintreten (Stuttgart WM 2010, 1330, 1333). Treten die Voraussetzungen erst nach dem 31.12. ein, beginnt die Verjährung mit dem Ablauf des Folgejahres. Ein Beispiel ist der Anspruch aus Pflichtverletzung gegen einen Rechtsanwalt, der es versäumt, rechtzeitig vor Ablauf der Anspruchsverjährung mit dem 31.12. die Klage einzureichen. In diesem Fall entstehen der Schaden und damit der Schadensersatzanspruch erst am 1.1.; die Verjährung beginnt dann erst mit dem 1.1. des darauf folgenden Jahres (BGH MDR 2012, 255 Rn 13). Der Gesetzgeber kehrt damit im Gegensatz zu dem Entwurf (BT-Drs 14/6040, 99) zur sog Ultimo-Verjährung zurück. In der vor seinem Rechtsausschuss abgehaltenen Sachverständigenanhörung hat sich nämlich gezeigt, dass sie nicht unerhebliche praktische Erleichterungen bietet (Piepenbrock aaO, 421f). Ein solcher Verjährungsbeginn war früher nur für die bisher in zwei und in vier Jahren verjährenden Vergütungsansprüche vorgesehen. Diese Einschränkung übernimmt die Neuregelung nicht. Die Regelung gilt vielmehr für alle Ansprüche, die der regelmäßigen Verjährung unterliegen. Denn die Sachlage ist bei allen diesen Ansprüchen die gleiche. Die Regelung gilt aber nur für die regelmäßige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 I, nicht für die Höchstfristen (Rn 32). Die Ultimo-Regelung gilt auch nur für den erstmaligen Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist, und weder in dem Fall, dass sie nach Hemmung weiter läuft, noch in dem Fall, dass sie neu beginnt (BGH 93, 287, 294; BAG NJW 1997, 3461; RG 128, 76, 80; Pal/Ellenberger Rn 42; wohl auch: NK/Mansel/Stürner Rn 80). 31 III. „Verjährungshöchstfristen“. 1. Sinn der Verjährungshöchstfristen. Das Abstellen auf die Fälligkeit einerseits und dem von subjektiven Umständen abhängigen Verjährungsbeginn andererseits führen zu Unsicherheiten über den Lauf der Verjährungsfrist. Das ist im Interesse des Gläubigers notwendig. Der Schuldner andererseits muss aber zu einem bestimmten Zeitpunkt auch Gewissheit haben, ob er noch in Anspruch genommen werden kann oder nicht. Deshalb sieht § 199 in den Abs II–IV „Höchstfristen“ vor. Sie sollen bewirken, dass der Anspruch unabhängig von dem Lauf der regelmäßigen Verjährungsfrist im Einzelfall jedenfalls zu dem dort jew bestimmten Zeitpunkt verjährt. Die „Höchstfristen“ sind keine Ausschlussfristen, sondern echte Verjährungsfristen. Sie laufen neben der regelmäßigen Verjährungsfrist gewissermaßen „im Hintergrund“. Das hat zur Folge, dass für Ansprüche, die der regelmäßigen Verjährungsfrist und ihrem in § 199 geregelten Beginn unterliegen, mehrere Verjährungsfristen parallel gelten. Der Anspruch ist verjährt, sobald eine von ihnen abgelaufen ist. Dies wird meist die regelmäßige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 I sein. Verzögert sich deren Beginn, kann der Anspruch nach Maßgabe von § 199 II–IV verjährt sein, bevor sie zu laufen beginnt. Dieser Grundsatz wird in § 199 III 2 für die dort bestimmte doppelte Höchstfrist zum Ausdruck gebracht, weil diese doppelte Höchstfrist sonst nicht mehr verständlich wäre (BT-Drs 14/7052, 180). Er gilt aber generell für alle Höchstfristen. 32 Da die Verjährungshöchstfristen eigenständige Verjährungsfristen sind, gelten für sie auch die Bestimmungen des Abschnitts 5. Sie können gehemmt werden und neu beginnen (Fischinger VersR 2006, 1475, 1477f). Die Verjährungshöchstfristen sind kein Unterfall der regelmäßigen Verjährungsfrist. Für ihren Beginn gilt weder das Erfordernis der Kenntnis noch das des Schadenseintritts, was im Text jew auch ausdr bestimmt wird. Für sie gilt auch nicht die Ultimo-Regelung (NK/Mansel/Stürner Rn 80, 86; MüKo/Grothe Rn 45; Pal/Ellenberger Rn 42; PWW/Kesseler Rn 19). Dies folgt daraus, dass ihr Beginn eigenständig geregelt ist. 33 2. Verjährungshöchstfrist bei Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter. a) Rechtsgüter. Nach § 199 II beträgt die Höchstfrist für Ansprüche auf Schadensersatz wegen der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter 30 Jahre. Die Vorschrift hat mit § 197 I Nr 1 erheblich an Bedeutung eingebüßt. Nach § 197 I Nr 1 unterliegen Schadenersatzansprüche wegen einer vorsätzlichen Verletzung der in § 199 II genannten höchstpersönlichen Rechtsgüter nicht mehr der regelmäßigen Verjährungsfrist, sondern einer Verjährungsfrist von 30 Jahren. Für diese Ansprüche kommt dann naturgemäß auch die Höchstfrist gem § 199 II nicht mehr zur Anwendung. Die Vorschrift gilt nur noch für Schadensersatzansprüche wegen einer fahrlässigen Verletzung dieser Rechtsgüter. 33a b) Die Vorschrift spricht nicht von „höchstpersönlichen Rechtsgütern“. Das wäre ein im BGB neuer Rechtsgriff, der auch ausgefüllt werden müsste. § 199 II lehnt sich deshalb an § 823 I an und übernimmt die dort aufgeführten Rechtsgüter, soweit es sich hierbei um höchstpersönliche Rechtsgüter handelt. Das sind Leben, Körper, Gesundheit und Freiheit. Das APR und die in § 197 I Nr 1 neben den genannten Rechtsgütern aufgeführte Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung werden dort nicht erwähnt. Daraus zieht die hM den Schluss, dass insoweit die Höchstfrist nach § 199 III maßgeblich sei (NK/Mansel/Stürner Rn 94; MüKo/Grothe Rn 47; Pal/Ellenberger Rn 44; PWW/Kesseler Rn 20; Soergel/Niedenführ Rn 55; Mansel NJW 2002, 89, 93). Dieser Schluss würde 604

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aber voraussetzen, dass der Gesetzgeber die Aufzählung als abschließend angesehen hat. Das ist nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat die Einordnung der von der Rspr praeter legem entwickelten Rechtsgüter unter § 199 II oder III der Rspr überlassen. In der Sache gibt es keinen Grund, das APR anders zu behandeln als die Einzelrechtsgüter, die es überwölbt und auf denen es sich gründet (BaRo/Spindler Rn 42; Staud/Peters/Jacoby Rn 95; SchmidtRäntsch, Das neue Schuldrecht, Rn 91). Ginge man so vor, ergäben sich im Gegenteil Wertungswidersprüche, weil die Höchstfrist des § 199 II immer dann eingriffe, wenn auch eines der benannten Rechtsgüter verletzt ist, und § 199 III, wenn dies nicht der Fall ist. Das wollte der Gesetzgeber aber gerade vermeiden. Er konnte dies im Text nicht zum Ausdruck bringen, weil er in einer Verjährungsvorschrift nicht ein Rechtsgut erwähnen konnte, das im eigentlichen Haftungstatbestand, § 823 I, keine Erwähnung findet. § 823 I anzupassen hätte eine Diskussion darüber ausgelöst, welche der von der Rspr außer dem APR sonst entwickelten Rechtsgüter dort ebenfalls erwähnt werden müssten. Diese Diskussion konnte der Gesetzgeber nicht führen. Deshalb kann auch aus dem Nichtaufgreifen von Regelungsvorschlägen im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens kein Schluss gezogen werden (so aber NK/Mansel/Stürner Rn 95). Für die Anwendung der Vorschrift auf die sexuelle Selbstbestimmung, die ebenfalls nicht in § 823 I Erwähnung findet, spricht auch ihre ausdr Aufnahme in den Katalog des § 197 I Nr 1. Es wäre nicht zu erklären, weshalb die grob fahrlässige Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nicht einmal die Höchstfrist des § 199 II auslöst, die vorsätzliche aber zu einer Verjährungsfrist von 30 Jahren führt. c) Ansprüche. Die Verjährungshöchstfrist nach § 199 II gilt für alle Schadensersatzansprüche aus der Verletzung der höchstpersönlichen Rechtsgüter. Auf welchem Rechtsgrund sie beruhen, ist gleichgültig. Ansprüche aus unerlaubter Handlung werden ebenso erfasst wie Ansprüche aus Pflichtverletzung nach § 280 I, ggf iVm § 241 II (BaRo/Spindler Rn 43; Soergel/Niedenführ Rn 55). Für andere Ansprüche aus der Verletzung solcher Rechtsgüter gilt die Höchstfrist nach § 199 II nicht. Dies können zB Unterlassungsansprüche aus § 1004 sein. Für sie gilt die Höchstfrist nach § 199 IV d) Beginn der Verjährungshöchstfrist. Die Verjährungsfrist von 30 Jahren beginnt bei Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung mit der Begehung der Handlung, was dem bisherigen § 852 I entspricht. Handlung ist das Setzen der Schadensursache (BGH 117, 287, 292). Sie besteht normalerweise in einer punktuellen Handlung, die uU auch längere dauernde Wirkung haben kann. Maßgeblich ist der Zeitpunkt ihrer Vornahme. Bei Dauerhandlungen, wie zB einer Freiheitsberaubung, ist die Handlung in diesem Sinne aber erst vorgenommen, wenn sie beendet ist (Bremen OLGRp 2002, 167; NK/Mansel/Stürner Rn 103). Die Verjährungsfrist beginnt mit diesem Zeitpunkt „ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis“, weil die Verjährung auch bei sehr spät eintretenden Schäden 30 Jahre nach Setzung der Schadensursache (BGH 117, 287, 292) eintreten soll. Auf den Eintritt des Schadens kommt es deshalb nicht an (BGH aaO; NK/Mansel/ Stürner Rn 98; Pal/Ellenberger Rn 45). Bei einem Unterlassen kommt es darauf an, wann zu handeln gewesen wäre (MüKo/Grothe Rn 48). Bei Schadensersatzansprüchen aus Gefährdungshaftung beginnt die Verjährung mit der Verwirklichung der Gefahr. Der Regierungs- und Fraktionsentwurf hatte entspr dem Vorschlag der Schuldrechtskommission (vgl § 199 I BGB-KE) dies ausdr so bestimmt, um zu einer Vereinfachung zu gelangen. Dies greift das Gesetz nicht auf. Hierin liegt indessen keine Änderung in der Sache. Es gibt nämlich außer den im Entwurf genannten drei Anknüpfungspunkten noch weitere, zB bei Unterlassungsansprüchen den Zeitpunkt, in dem eine Handlung geboten gewesen wäre. Deshalb wird neben der Begehung der Handlung und der Pflichtverletzung das den Schaden auslösende Ereignis als Auffangtatbestand genannt. Bei Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung einer Pflicht aus einem vertraglichen oder vorvertraglichen (§ 311 II und III) Schuldverhältnis (§ 280) beginnt die Verjährungsfrist mit der Pflichtverletzung. Damit kann sich allerdings die Situation ergeben, dass zB aus derselben unerlaubten Handlung, etwa aus demselben Verkehrsunfall, resultierende Ansprüche je nach Art des verletzten Rechtsguts zu unterschiedlichen Zeitpunkten verjähren. Dieses Ergebnis muss aber hingenommen werden. Es hängt mit der dem Abs II zugrundeliegenden Wertung zusammen, die den dort genannten Rechtsgütern einen besonders hohen Stellenwert zumisst. 3. Verjährungshöchstfrist bei Verletzung anderer Rechtsgüter. a) Ansprüche. § 199 III regelt die Verjährung anderer Ansprüche auf Schadensersatz als solcher wegen der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit sowie diesen Rechtsgütern gleichzustellender höchstpersönlicher Rechtsgüter. Der Grund für diese Regelung liegt auch hier darin, dass die Anknüpfung des Beginns der Verjährung an das Entstehen des Anspruchs und die Kenntniserlangung oder grob fahrlässige Unkenntnis in Abs I Nr 2 dazu führen würde, dass sich der Eintritt der Verjährung bei Nichtvorliegen des Kenntnismerkmals auf unabsehbare Zeit hinausschieben könnte. Dem will das Gesetz auch bei den Sach- und Vermögensschäden entgegenwirken. Erfasst werden in erster Linie Schadensersatzansprüche wegen anderer in § 823 I genannten und diesen gleichgestellten praeter legem entwickelten Rechtsgüter. Das ist die Verletzung des Eigentums und des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs (MüKo/Grothe Rn 49). § 199 III gilt aber auch für Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden nach §§ 823 II, 826. Er gilt ferner für Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzung gem § 280, auch wenn die Pflichtverletzung nicht zu einer Verletzung auch deliktisch geschützter Rechtsgüter geführt hat. Wie bei § 199 II ist auch bei § 199 III die Grundlage des Schadensersatzanspruchs gleichgültig. Er gilt auch für Ansprüche wegen Amtspflichtverletzung, sofern sie nicht unter § 199 II fallen. Die Schuldrechtskommission hatte vorgeschlagen, für solche Ansprüche auch außerhalb von § 199 II eine Frist von 30 Jahren vorzusehen. Dem ist der Gesetzgeber aber nicht gefolgt, weil er eine Frist von iÜ zehn Jahren für ausreichend ansah. Dies gilt, wie die Ablehnung eines entspr Antrags der Opposition zeigt, auch, wenn es sich um Ansprüche wegen vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführter Vermögensschäden handelt (BT-Drs 14/7052, 172; NK/Mansel/Stürner Schmidt-Räntsch

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Rn 95). Ein im Gesetzgebungsverfahren diskutiertes Bsp sind Ansprüche aus Organisationsverschulden (dazu Acker/Bechtold NZBau 2002, 529, 531). 39 b) Doppeltes Fristenregime. Die Höchstfrist soll bei anderen Schadensersatzansprüchen kürzer sein als früher und zehn Jahre betragen. Das bestimmt § 199 III 1 Nr 1. Diese Verkürzung entspricht einem Vorschlag der Schuldrechtskommission (vgl §§ 198 und 199 BGB-KE). Sie findet auch in § 13 I ProdHaftG ein legislatives Vorbild. Diese Frist ist angemessen lang. Sie gilt allerdings auch dann, wenn der Anspruch auf einem arglistigen Verhalten beruht (Karlsruhe NJW 2014, 1308, 1309). Aber auch in solchen Fällen reicht die Zehn-Jahres-Frist aus, wie der intern Vergleich zeigt. Bei höchstpersönlichen Rechtsgütern ist eine längere Frist auch in erster Linie wegen des hier ggü Eigentums- und Vermögensschäden deutlich schwereren Nachw von Spätschäden und weniger wegen des Anspruchsgrundes vorgesehen worden. 40 Bei Schadensersatzansprüchen setzt der Beginn der Verjährung mit der Entstehung des Anspruchs auch den Eintritt des Schadens voraus, wenn nicht ausnahmsweise die Grundsätze der Schadenseinheit greifen. Der Schaden kann mitunter sehr spät eintreten. In diesem Fall würde auch die Höchstfrist nach § 199 III 1 Nr 1 nicht zu der angestrebten zeitlichen Begrenzung der Haftung führen. Deshalb bestimmt § 199 III 1 Nr 2 in Anlehnung an den früheren § 852 I aF eine zweite Höchstfrist. Sie beträgt 30 Jahre und beginnt mit der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen den Schaden auslösenden Ereignis. Auch hier kommt es auf den Eintritt des Schadens nicht an. 41 Diese beiden Höchstfristen laufen neben der regelmäßigen Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 I im Hintergrund. Für solche Ansprüche laufen also drei Verjährungsfristen parallel. Um deren Verhältnis zueinander deutlich zu machen, bestimmt § 199 III 2, dass die kürzere Frist maßgeblich ist. Diese Vorschrift gilt unmittelbar nur für das Verhältnis der beiden Höchstfristen zueinander. Für deren Verhältnis zur regelmäßigen Verjährungsfrist gilt nichts Anderes. Dies folgt daraus, dass die Höchstfrist unabhängig von der Kenntnis bzw dem Entstehen des Anspruchs gelten soll. 41a 4. Verjährungshöchstfrist bei „erbfallbezogenen“ Ansprüchen. Nach Abs IIIa beträgt die Verjährungshöchstfrist bei Ansprüchen, die auf einem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzen, 30 Jahre. Der Gesetzgeber will damit dem Umstand Rechnung tragen, dass der Erbe, ein Pflichtteilsberechtigter oder Vermächtnisnehmer oft erst sehr spät von dem Ableben des Erblassers und den Grundlagen seiner Anspruchsberechtigung erfährt (BT-Drs 16/8854, 14). Diesem Umstand trug bis zum 31.12.2009 die lange Verjährungsfrist von 30 Jahren Rechnung. Die durch ihren Fortfall sonst im Hinblick auf die Regelung in Abs IV entstehenden Härten soll die in Abs IIIa bestimmte besondere Verjährungshöchstfrist ausgleichen. Die Regelung ist in ihrem Anwendungsbereich nicht deckungsgleich mit dem früheren § 197 I Nr 2 aF. Sie gilt nur für Ansprüche, die der regelmäßigen Verjährung unterliegen, also zB nicht für die in § 197 I Nr 2 bestimmten Herausgabeansprüche. Sie gilt auch nicht schlechthin für erbrechtliche Ansprüche, sondern nur für solche, die, wie der Pflichtteilsanspruch (München ZErb 2011, 57), auf dem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt. Andererseits ist ihr Anwendungsbereich auch nicht auf erbrechtliche Ansprüche begrenzt. Sie ist auch auf nicht-erbrechtliche Ansprüche anwendbar, wenn sie auf dem Erbfall beruhen oder ihre Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt. Das kann etwa bei einem Bereicherungsanspruch des Erben oder einem Schadensersatzanspruch des Vermächtnisnehmers nach §§ 280, 281 der Fall sein. Mit Abs IIIa hat der Gesetzgeber eine eigenständige Sonderregelung für erbfallbezogene Ansprüche geschaffen. Sie ist allein nach ihrem Zweck, nämlich Härte durch die sonst geltende zu kurze Verjährungshöchstfrist nach Abs IV zu vermeiden, auszulegen. Ein Rückgriff auf die Auslegung der früheren Verjährungsregelung in § 197 I Nr 2 aF verbietet sich deshalb. Es wäre deshalb, was die Entwurfsbegr ausdr hervorhebt (BT-Drs 16/8954, 14), nicht gerechtfertigt, Abs IIIa in Anlehnung nach § 197 II aF einschränkend in dem Sinne auszulegen, dass für erbfallbedingte regelmäßig wiederkehrende Leistungen nicht die Verjährungshöchstfrist nach Abs IIIa, sondern diejenige nach Abs IV gilt. Keine Anwendung findet Abs IIIa hingegen auf Nachlassschulden und -forderungen (BT-Drs 16/8954, 14). Für sie sind die Verjährungshöchstfristen anzuwenden, die auch sonst gelten, je nach Art der Verbindlichkeit oder Forderung Abs II oder IV Zwar kann der Erbfall die Geltendmachung solcher Ansprüche erschweren. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers (aaO) rechtfertigt das aber keine Anwendung von Abs IIIa. Vielmehr reichen die Verjährungshemmung nach § 211 und die Möglichkeit der Bestellung eines Nachlasspflegers aus, um Nachteile zu vermeiden. 42 5. Verjährungshöchstfrist bei sonstigen Ansprüchen. Abs IV regelt die Höchstfrist für alle anderen Ansprüche. Sie beträgt 10 Jahre ab Entstehen. Sie gilt etwa für Ansprüche auf Erfüllung, aus ungerechtfertigter Bereicherung, aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder auf Unterlassung aus § 1004. 42a 6. Bereicherungsanspruch. Die Höchstfristen gelten nicht für den besonderen Bereicherungsanspruch nach § 852 S 1. Für seine Verjährung trifft § 852 S 2 eine inhaltlich § 199 II, III entspr Regelung. 43 IV. Unterlassungsansprüche. Soweit der Anspruch auf ein Unterlassen gerichtet ist, ist in § 199 I–IV statt auf das Entstehen des Anspruchs auf die Zuwiderhandlung abzustellen. Solange nicht zuwidergehandelt wird, wird der Anspruch auf Unterlassung nämlich befriedigt und kann deshalb sinnvollerweise nicht der Verjährung unterliegen (BGH 59, 73, 75; BB 1995, 1610; Soergel/Niedenführ Rn 61). Diese Überlegung trägt aber nur bei Ansprüchen auf dauerndes Unterlassen, nicht bei Ansprüchen, die auf ein einmaliges Unterlassen gerichtet sind. Ein einmaliges Unterlassen wird mit der Zuwiderhandlung unmöglich, so dass danach nur noch Schadensersatzansprüche bestehen können (§§ 280, 283). § 199 V betrifft deshalb nur Ansprüche auf dauernde Unter606

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lassung, etwa dingliche Unterlassungsansprüche (NK/Mansel/Stürner Rn 118; Pal/Ellenberger Rn 23). Ihre Verjährung beginnt mit der Zuwiderhandlung. Bei Ansprüchen auf dauernde Unterlassung beginnt mit jeder Zuwiderhandlung eine neue Verjährung (RG 80, 438; BGH ZfIR 2011, 757, 758 Rn 7; MDR 2015, 697 Rn 9; BT-Drs 14/6040, 105; NK/Mansel/Stürner Rn 119). Eine entspr Anwendung von § 199 V ist für Ansprüche geboten, die auf eine dauernde positive Leistung gerichtet sind, zB auf die Instandhaltung eines Weges oder auf Duldung der Ausbeute eines Bimsvorkommens. Die Verjährung beginnt auch bei solchen Ansprüchen erst, wenn die Leistungspflicht verletzt wird (BGH NJW 1995, 2548, 2549; Pal/Ellenberger Rn 23; Soergel/Niedenführ Rn 61; Enneccerus/Nipperdey § 232 Bem 3). Die Vorschrift gilt nicht für Ansprüche, die sich aus der Verletzung von Unterlassungspflichten ergeben, zB Ersatz von Kosten einer Abnahme für wettbewerbswidriges Verhalten. Denn für solche Ansprüche kann ohne weiteres auf das Entstehen abgestellt werden; die besonderen Schwierigkeiten von dauernden Unterlassungs- und Handlungspflichten treffen auf sie nicht zu (LG Frankfurt/M NJW-RR 2016, 424, 429f gegen AG Bielefeld NJW 2015, 1187, 1189). V. Beweislast. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsverjährung trägt der Schuldner 44 (BGH 171, 1, 11; 176, 128, 131; NJW 2008, 2576, 2578; ZIP 2015, 1303 Rn. 17; Fellner MDR 2009, 670, 672). Das gilt auch für die subjektiven Voraussetzungen. Es gelten die allg Regeln.

§ 200

Beginn anderer Verjährungsfristen

Die Verjährungsfrist von Ansprüchen, die nicht der regelmäßigen Verjährungsfrist unterliegen, beginnt mit der Entstehung des Anspruchs, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist. § 199 Abs. 5 findet entsprechende Anwendung. 1. Neben der regelmäßigen Verjährungsfrist gibt es besondere Verjährungsfristen. Für die Mehrzahl dieser be- 1 sonderen Fristen ist auch der Beginn der Verjährung besonders geregelt. Bsp sind §§ 201, 438, 479, 634a, 651g II, 548, 591b II, III, 801, 1057, 1226, § 93 II AktG (Stuttgart ZIP 2009, 2386, 2391) oder § 146 I InsO (Kirchhof WM 2002, 2037). In solchen Fällen gilt § 200 nach seinem Hs 2 nicht. Ein Bsp ist § 548 I 2, wonach die Verjährung von Ersatzansprüchen des Vermieters mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem er die Mietsache zurückerhält. Dieser Beginn ist, was § 200 S 1 Hs 2 ausdr zulässt, auch dann maßgeblich, wenn der Schadensersatzanspruch erst zu einem späteren Zeitpunkt entsteht (BGH 162, 30, 34; NJW 2006, 1588). Ein anderer Fall ist die spezialgesetzliche Verjährungsfrist gem § 43 IV GmbHG (BGH NJW 2009, 68, 70), deren Lauf nicht nach Maßgabe von § 199, sondern nach § 200 beginnt. 2. Wird der Beginn der Frist aber nicht bestimmt, wie das zB in §§ 196, 197 I Nr 1 und 2 der Fall ist, dann ist 2 § 200 anzuwenden. Er bestimmt, dass dann die Verjährung mit dem Entstehen des Anspruchs beginnt. Dieser Begriff ist deckungsgleich mit dem Begriff des Entstehens in § 199 I Nr 1. Auf die Erl dort wird Bezug genommen. 3. Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, beginnt die Verjährungsfrist nach S 2 iVm § 199 V mit der Zuwider- 3 handlung. Dies gilt auch dann, wenn der Beginn einer besonderen Verjährungsfrist besonders geregelt, diese Frage dort aber nicht behandelt wird. Wegen der Einzelheiten wird auf die Erl zu § 199 V verwiesen.

§ 201

Beginn der Verjährungsfrist von festgestellten Ansprüchen

Die Verjährung von Ansprüchen der in § 197 Abs. 1 Nr. 3 bis 6 bezeichneten Art beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung, der Errichtung des vollstreckbaren Titels oder der Feststellung im Insolvenzverfahren, nicht jedoch vor der Entstehung des Anspruchs. § 199 Abs. 5 findet entsprechende Anwendung. 1. § 201 bestimmt den Beginn der Verjährung für festgestellte Ansprüche. Sie unterliegen nach § 197 einer be- 1 sonderen Verjährung. Für deren Beginn kann aber nicht auf das Entstehen abgestellt werden, wie es § 200 als allg Regel bestimmt. Denn der liegt meist vor der Titulierung. 2. Bei Ansprüchen, die durch eine Entscheidung tituliert werden, beginnt die Verjährungsfrist mit der formellen 2 Rechtskraft der Entscheidung. Auf die Art der Entscheidung kommt es nicht an. Bei ausl Entscheidungen (vgl § 197 Rn 11) sind der Zeitpunkt der Rechtskraft und der diesem Zeitpunkt in der Rechtsordnung des anderen Staats funktionell entspr Zeitpunkt maßgeblich. Bei Schiedssprüchen entscheidet deren formell wirksamer Erlass. Obwohl in diesen Fällen die Vollstreckung erst durch eine Vollstreckbarkeitsentscheidung möglich ist, stellt § 201 allein auf die Rechtskraft ab (NK/Mansel/Stürner Rn 7; MüKo/Grothe Rn 2). 3. Die Verjährung von Ansprüchen, die durch vollstreckbaren Vergleich oder vollstreckbare Urkunden titu- 3 liert werden, beginnt mit der Errichtung des Titels. Gerichtliche Vgl werden mit der Feststellung im Sitzungsprotokoll nach § 160 III Nr 1 ZPO oder mit der Feststellung des Gerichts nach § 278 VI 2 ZPO errichtet. Notarielle Urkunden werden nach § 13 BeurkG durch Unterzeichnung der Niederschrift durch alle Beteiligten und den Urkundsnotar errichtet. Da die Urkunde eine Vollstreckungsunterwerfung enthalten muss und diese eine Prozesserklärung ist, muss noch ein Publikationsakt hinzutreten (NK/Mansel/Stürner Rn 9; Wieczorek/Schütze/ Paulus § 794 ZPO Rn 91). Dieser besteht idR in der Übersendung einer Ausfertigung der Urkunde an den Gläubiger (Paulus aaO). Hat der Gläubiger an der Errichtung mitgewirkt, ist ein zusätzlicher Publikationsakt nicht nötig, weil der Gläubiger dann einen eigenen Anspruch auf Erteilung einer Ausfertigung hat. Der Anwaltsvergleich wird zwar schon mit Niederlegung eines von den beteiligten Rechtsanwälten unterzeichneten SchriftSchmidt-Räntsch

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stücks errichtet (Zöller/Geimer § 796a ZPO Rn 13–18). Die Errichtung bewirkt aber nicht die Vollstreckbarkeit. Deshalb ist der Anwaltsvergleich vollstreckbar erst mit Vollstreckbarkeitsentscheidung des Gerichts (§ 796b II 2 ZPO) oder auch des Notars (§ 796c I ZPO) iSd § 201 errichtet (NK/Mansel/Stürner Rn 8; BaRo/Henrich Rn 2). Eine Zustellung des Vergleichs oder der Urkunde ist anders als bisher nicht erforderlich. Beim Schuldenbereinigungsplan, der nach § 308 I 2 InsO dem vollstreckbaren Vergleich gleichsteht, gehört zur Errichtung auch der Erlass des Gerichtsbeschlusses, der gem § 308 I 1 InsO feststellt, dass er angenommen worden ist (NK/Mansel/ Stürner Rn 10; BaRo/Henrich Rn 3; Soergel/Niedenführ Rn 3). 4. Bei Ansprüchen, die durch Aufnahme in die Insolvenztabelle festgestellt werden, beginnt die Verjährung mit der Feststellung im Insolvenzverfahren. Gemeint ist damit aber nicht der Prüftermin oder der Abschluss des schriftlichen Prüfverfahrens nach §§ 177, 178 InsO, sondern der Zeitpunkt, in dem die Feststellung zur Insolvenztabelle vollstreckbar wird. Das sind nach §§ 201 II, 215 II InsO die Bek der Aufhebung oder der Einstellung des Insolvenzverfahrens. Vorher wäre die Verjährung ohnehin nach § 204 I Nr 10 gehemmt. 5. Entsteht der festgestellte Anspruch erst nach der Feststellung, so beginnt die Verjährung erst mit dem Entstehen, S 1 Hs 2. Der Begriff des Entstehens entspricht dem in § 199 I Nr 1. Auf die Erl dort wird Bezug genommen. 6. Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, so kommt es nach S 2 iVm § 199 V auf den Zeitpunkt der Zuwiderhandlung an. Dies führt bei titulierten Unterlassungsansprüchen zu einer sehr beträchtlichen Verlängerung der Verjährungsfrist, uU auch weit über 30 Jahre hinaus.

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Unzulässigkeit von Vereinbarungen über die Verjährung

(1) Die Verjährung kann bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. (2) Die Verjährung kann durch Rechtsgeschäft nicht über eine Verjährungsfrist von 30 Jahren ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn hinaus erschwert werden. 1. Zur Dispositionsfreiheit der Parteien gehören nicht nur die Begründung und Ausgestaltung eines Anspruchs als solchen, sondern auch die Vereinbarung über die Frist, innerhalb derer er verjähren soll, und deren Lauf. Während das Gesetz bisher wie auch heute die Dispositionsfreiheit der Parteien in Ansehung seines Grundes und Inhalts anerkennt, erkannte es die Dispositionsfreiheit der Parteien in Ansehung der Verjährung nur zT an. Vereinbarungen über die sog Erleichterung, also die Verkürzung der Verjährung waren generell zulässig und sind nach wie vor nur im Rahmen von AGB nach Maßgabe der §§ 307ff beschränkt. Demgegenüber war die sog Erschwerung, also die Verlängerung der Verjährung generell untersagt. Derartige Vereinbarungen waren ex lege nichtig (BGH NJW 1984, 289, 290). Dies widersprach aber den Interessen der Beteiligten, weshalb Wege entwickelt worden sind, das Verbot in seinen Wirkungen zu lockern (Schlüter in Dauner-Lieb/Konzen/K. Schmidt [Hrsg], Das neue Schuldrecht in der Praxis, 90f). Den Bedürfnissen der Beteiligten entsprach und entspricht es, auch die Verjährung selbst vereinbaren zu können. Daran ist auch das jetzige Verjährungsrecht ausgerichtet. Die regelmäßige Verjährungsfrist ist jetzt so bemessen, dass sie im Normalfall zutrifft. Im Interesse einer übersichtlichen gesetzlichen Regelung verzichtet der Gesetzgeber darauf, jede Eventualität bei der Bemessung der Verjährungsfrist selbst gesetzlich auszuregeln. Stattdessen soll den Parteien die Möglichkeit gegeben werden, die Verjährungsfrist und die Modalitäten ihres Laufs so zu regeln, wie es ihnen richtig erscheint. 2. Diese eigentliche Aussage kommt in § 202 aber nur indirekt zum Ausdruck. Die Vorschrift regelt formal nur, welche Vereinbarungen die Parteien nicht treffen dürfen. Sie setzt gedanklich die grds nicht eingeschränkte Freiheit der Parteien voraus, die Verjährungsfrist und ihren Lauf nach Belieben zu regeln (BT-Drs 14/6857, 7, 43). Und diese Dispositionsfreiheit ist das eigentlich Neue, die Hauptaussage der Vorschrift. Sie kann bei einseitigen Verpflichtungsgeschäften (§§ 657, 661a, 2147) einseitig, sonst nur durch Vertrag wahrgenommen werden (BaRo/Henrich Rn 5; Pal/Ellenberger Rn 3; PWW/Kesseler Rn 4). Bei Pflichtteilsansprüchen ist aber die Zuwendung eines Verjährungsvorteils möglich (Keim ZEV 2004, 173, 174f). Zu Vereinbarungen über die Verjährung sind grds nur die Parteien des Schuldverhältnisses befugt. Vereinbarungen über die Verjährung können aber im Umfang ihrer Regelungskompetenz auch von den Parteien eines Tarifvertrags getroffen werden (BAG DB 2009, 1660 Rn 27; NZA 2010, 518, 521 Rn 30). 3. Eine Vereinbarung über die Verjährung bedarf keiner besonderen Form (NK/Mansel/Stürner Rn 9; BaRo/ Henrich Rn 8). Das gilt allerdings nur, soweit Sondervorschriften nichts Anderes bestimmen. So muss die Verjährung der Ansprüche im Transportrecht nach §§ 439 IV, 463, 475a HGB im Einz ausgehandelt werden, darf also nicht in AGB enthalten sein; AGB-Klauseln wären andernfalls nichtig (MüKo/Grothe Rn 5). Ob § 311b I 1 für die Begründung der Verpflichtungen zum Erwerb und zur Veräußerung des Eigentums an Grundstücken (und grundstücksgleichen Rechten) eine solche Sondervorschrift enthält, wird unterschiedlich beurteilt (dagegen: MüKo/Grothe Rn 5; dafür Staud/Peters/Jacoby Rn 6; Pal/Ellenberger Rn 5; PWW/Kesseler Rn 3). Hier wird man differenzieren müssen: Wollen die Parteien in einem Grundstückskaufvertrag eine Vereinbarung über die Verjährung treffen, muss sie, wie alles, was sonst zum Inhalt des Vertrags werden soll (BGH NJW-RR 2006, 1292f; Krüger ZfIR 2007, 175, 176), in den Vertragstext aufgenommen und gem § 311b I S 1 beurkundet werden. Eine andere Frage ist, ob eine solche Verjährungsregelung später geändert oder erst später getroffen werden kann. Das ist zu bejahen, wenn die Auflassung erklärt ist, weil die Formbedürftigkeit dann entfällt und eine Vereinbarung allein über die Verjährung der vertraglichen Ansprüche eine Verpflichtung zum Erwerb oder zur Ver608

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

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äußerung von Grundeigentum nicht begründet (vgl § 311b Rn 59). Auch vor der Erklärung der Auflassung ist eine Vereinbarung über die Verjährung oder die Änderung der im Grundstückskaufvertrag getroffenen Verjährungsregelung formlos möglich. Sie verändert die vereinbarten Pflichten nicht inhaltlich, sondern regelt nur eine Abwicklungsmodalität, was formfrei möglich ist (BGH 66, 270, 271; NJW 1986, 2759, 2760). Das wird insb durch die Nähe von Vereinbarungen nach § 202 zu den Tatbeständen der §§ 203, 205 deutlich, die ausdr Absprachen mit vergleichbaren Effekten erlauben. 4. Die Parteien dürfen Vereinbarungen über die Verjährung frei treffen. Solche Vereinbarungen können die Verjährungsfrist betreffen. Darauf beschränkt sich die Dispositionsfreiheit der Parteien aber nicht. Die Parteien dürfen auch Regelungen über den Lauf der Verjährung treffen (NK/Mansel/Stürner Rn 11; BaRo/Henrich Rn 3; Pal/Ellenberger Rn 4). Ein Teil der insoweit möglichen Regelungen ist gesetzlich besonders geregelt. Dies sind die Hemmung durch Verhandlungen in § 203 und die Hemmung durch Vereinbarung eines vorübergehenden Leistungsverweigerungsrechts nach § 205. Diese Vorschrift erfasst insb die Stundung und das Pactum de non petendo. Insoweit ist ein Rückgriff auf § 202 nicht geboten. Die Parteien haben aber das Recht, solche Tatbestände näher auszugestalten. Sie können zB das Ende der Verhandlungen, das § 203 offen gestaltet, formalisieren. Die Parteien dürfen auch neue Hemmungsgründe erfinden, zB (unter Abweichung von § 204 II 2) die weitere Hemmung durch ein nicht betriebenes Gerichtsverfahren oder das Recht des Schuldners, auf andere Schuldner zu verweisen (Köln NJW-RR 2011, 958, 959), frühere bestehende Hemmungstatbestände, zB die Hemmung durch Nachbesserung (§ 639 II aF), in ihrem Verhältnis zueinander wiederherstellen oder auch die Zahl der Hemmungsgründe einschränken (Soergel/Niedenführ Rn 6). Die Parteien dürfen sich auch auf Teilregelungen beschränken, zB nur die regelmäßige Verjährungsfrist verlängern, es aber iÜ bei § 199 belassen (BAG NZA 2010, 518, 521). Der Gesetzgeber hat keine Mindestverjährungsfristen vorgegeben (NK/Mansel/Stürner Rn 20). Dh aber nicht, dass die Parteien die Verjährung beliebig verkürzen dürften (NK/Mansel/Stürner Rn 21). Vereinbarungen über die Verjährung sind nicht an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden (Soergel/Niedenführ Rn 13; Schlüter aaO, 97). Die allg Vertragsfreiheit gestattet es, sowohl vor Entstehung des Anspruchs eine noch nicht laufende als auch nachträglich eine bereits laufende Verjährungsfrist zu verlängern, wenn die Parteien dies im konkreten Einzelfall für zweckmäßig halten (BaRo/Henrich Rn 3; Pal/Ellenberger Rn 4). Vereinbarungen über die Verjährung dürften deshalb etwa auch in dem Abnahmeprotokoll eines Werkvertrags getroffen werden (Hamm NJOZ 2013, 1378). 5. Vereinbaren die Parteien eine Erleichterung oder Erschwerung der Verjährung für einen Anspruch, so wird sich diese regelmäßig auch auf solche Ansprüche erstrecken, die hiermit konkurrieren oder alternativ an deren Stelle treten (NK/Mansel/Stürner Rn 12; BaRo/Henrich § 202 Rn 9; Schmidt-Räntsch, Das neue Schuldrecht, Rn 119). 6. Die Dispositionsfreiheit gilt nur für Ansprüche, die der Verjährung unterliegen. Für Ansprüche, die keiner Verjährung unterliegen, gilt weder § 202 noch das ihm zugrunde liegende Prinzip der Dispositionsfreiheit (BTDrs 14/6040, 111; BaRo/Henrich Rn 2; MüKo/Grothe Rn 6; Pal/Ellenberger Rn 10; Soergel/Niedenführ Rn 5; Schmidt-Räntsch aaO; Schlüter aaO, 92). Das sind vor allem die in §§ 194 II, 898, 902 bezeichneten Ansprüche. 7. Verjährungserleichternde Vereinbarungen, also Verkürzungen der Verjährungsfrist, sind nach § 202 I unzulässig, wenn sie die Haftung wegen Vorsatzes betreffen und im Voraus getroffen werden. Diese Regelung legt eine sich im Grunde schon aus § 276 III ergebende Schlussfolgerung ausdr fest. Nach § 276 III kann die Haftung wegen Vorsatzes im Voraus nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Eine Verkürzung der Verjährung würde dieses Verbot umgehen und wäre auch ohne besondere Regelung als Umgehung unzulässig. Der in dieser Form neue § 202 I zeichnet dies für die Verjährungsvereinbarung nach. Sein Schutzzweck verlangt die Anwendung der Vorschrift nicht nur auf Vereinbarungen über die Verjährung, sondern auch auf entspr Ausschlussfristen (BAG ZIP 2005, 1699; ArbG Stralsund DB 2004, 1368; aM LAG Hannover LAGRp 2005, 193, 197). Regelmäßig haben sie aber nicht den Zweck, gerade die Haftung wegen Vorsatzes auszuschließen, weshalb sie ggf nur teilnichtig und iÜ wirksam sind (BAG aaO gegen München NJW 2007, 227, 228). Angesprochen wird in § 202 I nur die Vereinbarung im Voraus. Weder § 276 III noch § 202 I wollen verhindern, dass später ein Vergleich über solche Ansprüche oder eine Verjährungsvereinbarung getroffen wird. Der inhaltliche Bezug zu § 276 III markiert zugleich aber auch die inhaltlichen Grenzen des Verbots. Diese kommen in der Vorschrift nicht ganz deutlich zum Ausdruck. § 276 III gilt nämlich nicht uneingeschränkt. Für die Haftung für vorsätzliches Verhalten von Erfüllungsgehilfen gilt die Vorschrift nach § 278 S 2 nicht. Ist aber die Beschränkung oder der Ausschluss einer Haftung insoweit zulässig, fehlt einem Verjährungsverbot seine inhaltliche Rechtfertigung. § 202 I ist deshalb teleologisch zu reduzieren. Er gilt nur, soweit das Verbot des § 276 III gilt, also nicht in den Fällen des § 278 S 2. Ein vergleichbares Verbot für die Haftung wegen Fahrlässigkeit gibt es nicht. Allerdings ist § 309 Nr 7 zu beachten, wonach eine Beschränkung der Haftung wegen der Verletzung von Körper und Gesundheit und bei grobem Verschulden in AGB unwirksam ist. Das gilt auch für die Verkürzung der Verjährungsfrist (BGH NJW-RR 2009, 1416, 1417f). 8. Verjährungserschwerende Vereinbarungen, also Verlängerungen der Verjährung, sind nach Abs II nur noch dann unzulässig, wenn sie zu einer 30 Jahre übersteigenden Verjährungsfrist ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn führen. Ansonsten, insb nach Ablauf der Verjährungsfrist, sind solche Vereinbarungen im Rahmen der allg Vertragsfreiheit grds zulässig. § 202 II betrifft nicht nur Abreden über die Verjährungsfrist. Er betrifft vielmehr sämtliche anderen Abreden, die die Parteien über die Verjährung treffen. Das sind Vereinbarungen über Schmidt-Räntsch

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die Hemmung oder den Neubeginn der Verjährung oder auch der Verzicht auf die Einrede der Verjährung. Alle Vereinbarungen dieser Art dürfen nicht zu einer Verjährungsfrist führen, die insgesamt länger ist als eine Verjährungsfrist von 30 Jahren ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn (BGH NJW-RR 1994, 1327, 1328; NJW 2008, 2995, 2996). Es kommt also nicht formal auf die Frist, sondern inhaltlich darauf an, wie lang die Frist effektiv ist oder werden kann (Pal/Ellenberger Rn 9). Von der Verlängerung der Verjährungsfrist ist das selbständige Garantieverhältnis zu unterscheiden. Hier ist die Garantiefrist nicht die Verlängerung der an sich bestehenden Verjährungsfrist, sondern die Bestimmung der Laufzeit des als Dauerschuldverhältnis angelegten Garantievertrags. Der Verjährung unterliegt nicht dieser Vertrag an sich, sondern die einzelnen aus ihm entstehenden Garantieansprüche (BGH NJW 2008, 2995, 2996). 11 9. Vereinbarungen, die gegen die Verbote in § 202 I oder II verstoßen, sind nach § 134 nichtig. Bei Vereinbarung in AGB gilt wie auch sonst § 306 II, wonach bei Nichtigkeit einer Klausel die gesetzlichen Regelungen gelten. Eine Ausnahme ist nur für den Fall anerkannt, dass sich die AGB-Klausel nach ihrem Wortlaut aus sich heraus verständlich und sinnvoll in einen inhaltlich zulässigen und einen unzulässigen Regelungsteil trennen lässt (BGH 145, 202, 212). Das wird bei unzulässigen Verjährungsregelungen meist daran scheitern, dass sie nur durch eine Ergänzung AGB-Recht-konform ausgestaltet werden können. Das ist nicht möglich (BGH 170, 31, 38; NJW 1009, 1486, 1487). Es gilt dann die gesetzliche Verjährungsregelung für den betreffenden Anspruch. Außerhalb von AGB gilt dieses Verbot der geltungserhaltenden Reduktion nicht. Hier ist zu fragen, welche Regelung die Parteien dann getroffen hätten. Erst wenn sich das nicht ermitteln lässt, gelten die gesetzlichen Regelungen (NK/Mansel/Stürner Rn 23, 39, 59; aM Schlüter aaO, 95: sofort). Das kann, muss aber nicht zur gesetzlichen Verjährungsregelung führen (NK/Mansel/Stürner Rn 39). Haben die Parteien zB eine Vereinbarung getroffen, die theoretisch zu einem über 30 Jahre hinausgehenden Verjährungsbeginn führen kann, wird es ihrem Willen am ehesten entsprechen, wenn diese Vereinbarung mit der Maßgabe gilt, dass die Verjährung spätestens 30 Jahre nach dem gesetzlichen Beginn eintritt (NK/Mansel/Stürner Rn 39; BaRo/Henrich Rn 11). Das Werben mit einer Verjährungsregelung, die § 202 II widerspricht, ist wettbewerbswidrig (Frankfurt GRUR 2006, 247; ebenso unter altem Recht: BGH GRUR 1994, 830 – Zielfernrohr). 12 10. Verjährungsvereinbarungen sind auch nicht möglich, wenn der Gesetzgeber partiell oder vollständig zwingende Verjährungsregelungen getroffen hat (LAG Schleswig NZA-RR 2005, 320 für § 18a BetrAVG). So dürfen die Verjährungsregelungen im Verbrauchsgüterkauf nach § 475 nur zugunsten des Verbraucherkäufers, nicht aber zu seinen Lasten verändert werden. Hier ist also nur eine Verjährungsverlängerung, nicht aber eine Verjährungsverkürzung erlaubt. Eine dagegen verstoßende Verjährungsregelung ist nichtig und kann nicht mit einem zulässigen Inhalt aufrechterhalten werden (Hamm MDR 2011, 1344). Nach § 478 IV 1 kann sich auf eine Verkürzung der Verjährung des Rückgriffsanspruchs nur berufen, wer einen gleichwertigen Ausgleich einräumt. Ähnliche Beschränkungen enthalten §§ 651m S 2, 651g I sowie §§ 439 IV, 463, 475a HGB. Grenzen ergeben sich aber auch aus allg Vorschriften. 13 Das sind vor allem die §§ 307–309 (BT-Drs 14/6040, 269; BGH NJW 2009, 1486, 1488), aber zB auch § 305c (Amann DNotZ 2002, 94, 123), für AGB und ggf noch §§ 242, 138. Bei der Überprüfung der Verjährungsvorschriften hat das Verjährungsrecht Leitbildfunktion. Diese ist ambivalent: Zum einen ist die gesetzliche Regelung als im Normalfall gerecht angelegt. Zum anderen sollen die Parteien ihren Sonderbedürfnissen Rechnung tragen und Änderungen vereinbaren können (NK/Mansel/Stürner Rn 25). In AGB ist dabei zunächst dem Transparenzgebot des § 307 I 2 Rechnung zu tragen; geschieht das nicht, ist die Verkürzung unwirksam (BGH ZIP 2015, 2030 Rn 11, 18f; Koch MDR 2016, 61, 62). Die Grenzen einer Verkürzung der Verjährungsfrist hat der Gesetzgeber in § 309 Nr 7 und § 309 Nr 8 lit b ff aufgezeigt. Nach der ersten Norm darf die Verjährungsfrist für Ansprüche wegen der Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit und wegen groben Verschuldens nicht reduziert werden (BGH 170, 31, 37 Rn 19; MDR 2013, 774 Rn 15f; ZIP 2015, 2414 Rn 16). Geschieht das dennoch, ist die Klausel insgesamt unwirksam (aaO, Rn 21). Dies gilt auch im Verhältnis von Unternehmern untereinander (BGH 174, 1, 5 Rn 14; Köln NJOZ 2011, 1056, 1058). Der Unwirksamkeit der Klausel kann der Verwender auch nicht durch den Vorbehalt anderweitiger gesetzlicher Regelung entgehen, weil er unklar ist (BGH ZIP 2015, 2414 Rn 19). Nach § 309 Nr 8 lit b ff kann die Verjährungsfrist für Mängelansprüche im Kauf- und im Werkvertrag (Ausnahme VOB/B) nicht unter ein Jahr verkürzt werden. Er hat zwar nicht mehr ausdr bestimmt, dass kürzere Verjährungsfristen nicht weiter verkürzt werden können. Dies ergibt sich aber in einem Erst-rechtSchluss aus der Jahresgrenze. Diese Wertung des Gesetzgebers gilt auch im Verhältnis von Unternehmern untereinander (zweifelnd NK/Mansel/Stürner Rn 35; aM Schlüter aaO, 102f: Verkürzung bis auf sechs Monate zulässig). Nicht verkürzt werden kann nach § 309 Nr 8 lit b ff auch die fünfjährige Verjährung nach §§ 438, 634a. Auch diese Wertung wird jedenfalls i Erg im Verhältnis von Unternehmern untereinander gelten müssen. Insb die Verjährungsfrist nach § 438 I Nr 2 lit b ist auf das Verhältnis von Unternehmern untereinander zugeschnitten (aM Schlüter aaO, 103: Verkürzung auf sechs Monate zulässig). Die langen Verjährungsfristen der §§ 196, 197 hat der Gesetzgeber vorgesehen, weil hier die regelmäßige Verjährungsfrist nicht ausreicht. Deshalb ist eine Verkürzung dieser Fristen im Zweifel unangemessen, auf jeden Fall aber dann, wenn eine kürzere als die regelmäßige Verjährungsfrist vorgesehen wird. Ähnlich liegt es bei der regelmäßigen Verjährungsfrist. Auch hier hat der Gesetzgeber kürzere Fristen vorgesehen, wo er sie für angebracht hielt. Deshalb ist eine Verkürzung im Zweifel unangemessen. Allerdings ist Mansel und Stürner (NK/Mansel/Stürner Rn 27f) darin zuzustimmen, dass eine Verkürzung der regelmäßigen Frist bei unverändertem subjektivem Verjährungsbeginn idR angemessen ist, wenn nicht eine zu kurze Überlegungsfrist eingeräumt wird. Insoweit könnte die Jahresfrist des § 309 Nr 8 610

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Gegenstand und Dauer der Verjährung

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lit b ff Orientierung sein (vgl aber Düsseldorf WM 2009, 1907, 1908f). Eine (verkürzte) Verjährungsfrist mit objektivem Beginn wird dagegen nur angemessen sein können, wenn der Gläubiger seinen Anspruch gewöhnlich dann noch wahren kann. Daran wird es bei Schadensersatzansprüchen regelmäßig fehlen (München NJW 2007, 227, 228; NK/Mansel/Stürner Rn 29). Allerdings kann die Länge der vorgesehenen Verjährungsfrist die Nachteile eines objektiven Beginns ausgleichen. So wird die Vereinbarung einer objektiven Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis (in Anlehnung an §§ 159, 160 HGB) für unangemessen angesehen, wenn sie kürzer als fünf Jahre ist (BGH WM 2012, 1298 Rn 16). Ausschlussfristen, die kürzer sind als drei Monate, sind auch im Arbeitsrecht nicht ausreichend (BAG BB 2006, 327, 330f; 2005, 2131, 2134). Die Verkürzung von Verjährungsfristen, die kürzer sind als die regelmäßige Verjährungsfrist, wird regelmäßig zu einer unangemessenen Benachteiligung des Gläubigers führen (BGH MDR 2013, 147f Rn 12 für Werklohnanspruch; Grunewald AnwBl 2002, 258, 260). Deshalb dürfte eine Verkürzung der Verjährungsfrist in AGB für Schadensersatzansprüche von Fondsanlegern aus Pflichtverletzung auf sechs Monate ab Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen bzw drei Jahren ab Beitritt nicht wirksam sein (aM Frankfurt MDR 2012, 1395f). Der kenntnisabhängige Beginn ist das prägende Merkmal der regelmäßigen Verjährung; die objektiven – zudem deutlich längeren – Höchstverjährungsfristen nach § 199 II–IV markieren nur die Grenzen der regelmäßigen Verjährung, ändern am Leitbildcharakter des subjektiven Fristbeginns nichts. In Individualvereinbarungen sind die Gestaltungsmöglichkeiten weiter. So könnte etwa beim Pferdekauf eine Verjährungsfrist von drei Monaten vereinbart werden (Hamm RdL 2009, 181). Aber auch hier muss dem Gläubiger eine angemessene Möglichkeit der Wahrung seiner Rechte verbleiben. Grenzen der Verlängerung von Verjährungsfristen zeigt das Gesetz in § 202 II nicht ausdr auf. Die Verjäh- 14 rungsfrist für Mängelansprüche in §§ 438 I Nr 3, 634a I Nr 1 kann verlängert werden. Je nach Interessenlage kann aber auch die Verlängerung der Verjährungsfrist zu einer unangemessenen Benachteiligung des Schuldners führen (Amann DNotZ 2002, 94, 123; Schmidt-Burgk/Ludwig DB 2003, 1046, 1048; Jungbauer JB 2002, 117, 120). Dabei können ähnlich wie bei der Verjährungsverkürzung die Nachteile einer Verlängerung der Verjährungsfrist durch einen vorgezogenen objektiven Fristbeginn ausgeglichen werden (vgl München MDR 2013, 261f). Der Gesetzgeber selbst hat eine Verlängerung auf drei Jahre für zulässig gehalten (BT-Drs 14/6040, 229). Dies würde auch der regelmäßigen Verjährungsfrist entsprechen, die der Gesetzgeber in §§ 438, 634a nicht vorschreiben, aber auch nicht ausschließen wollte. Die Bestimmung einer längeren Verjährungsfrist für Mängelansprüche bei Kauf- und Werkvertrag zeigt, dass eine solche Frist auch für Mängelansprüche aus anderen vergleichbaren Vertragsverhältnissen möglich ist (BGH WRP 2006, 243, 245). Zu denken wäre etwa an Miet- oder Leasingverträge. Eine weitergehende Verlängerung wird zwar regelmäßig unangemessen sein (BGH 164, 196, 201–203 = WRP 2006, 243, 249). Sie kann sich aber auf Grund einer umfassenden Interessenabwägung auch als unzulässig erweisen (BGH 205, 83 Rn 17: Verjährungsfristverlängerung für Bürgschaftsforderung von drei auf fünf Jahre zulässig). Verlängert werden kann auch die Verjährungsfrist nach § 196. Hiervon ist der Gesetzgeber selbst ausgegangen (BT-Drs 14/6857, 42). 11. Außer Vereinbarungen über die Verjährung ist auch ein einseitiger Verzicht auf die Einrede der Verjährung 15 möglich, und zwar, anders als bisher, vor wie nach Ablauf der Verjährung (BGH ZIP 2007, 2206, 2207; NJW 2009, 1598, 1600; Celle OLGRp 2006, 122, 123; Brandenburg OLGRp 2005, 547; Dresden NZI 2010, 102) NK/ Mansel/Stürner Rn 44f; Lakkis ZGS 2003, 423, 424; vgl auch § 214 Rn 4). Er kann auch konkludent erklärt werden. Ob eine Erklärung oder ein Verhalten einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung enthält, richtet sich nach dem objektiven Erklärungswert der Erklärung oder des Verhaltens des Schuldners (Hamburg SP 2001, 86; Lakkis aaO). Konkludentes Verhalten muss eindeutig auf einen Verzicht hindeuten (Celle OLGRp 2006, 122, 124; Dresden NZI 2010, 102; LG Bonn MMR 2009, 142). Die Rspr machte die Wirksamkeit früher davon abhängig, ob der Schuldner von dem Eintritt der Verjährung Kenntnis hatte, und zwar auch bei einem ausdr erklärten Verzicht (BGH 83, 382, 389). Dieser Rspr ist durch § 202 II die Grundlage entzogen (Pal/Ellenberger Rn 7; aM BaRo/Henrich Rn 7; Soergel/Niedenführ Rn 14). Ein vor Eintritt der Verjährung ausgesprochener Verzicht auf die Einrede der Verjährung konnte nämlich unter altem Recht als Umgehung des Erschwerungsverbots bewertet werden. Dieses ist aber ersatzlos entfallen. Damit kann die Kenntnis vom Eintritt der Verjährung für die Wirksamkeit eines Verzichts keine Bedeutung mehr haben (Pal/Ellenberger Rn 7). Der Verzicht auf die Einrede der Verjährung unterliegt der Einschränkung des § 202 II nicht (MüKo/Grothe Rn 11, 13 für nach Verjährung erklärten Verzicht; aM NK/Mansel/Stürner Rn 45) und macht den Anspruch nicht unverjährbar (BGH WM 2007, 2230, 2231 Rn 16; Brandenburg OLGRp 2005, 547; NK/Mansel/Stürner Rn 46; aM; Lakkis ZGS 2003, 423, 425). Er hat vielmehr den gleichen Effekt wie ein Anerkenntnis. Es läuft die Verjährungsfrist von neuem (Windorfer NJW 2015, 3329, 3330). Der BGH teilt diese Ansicht nicht und meint, der ohne Bestimmung eines Endzeitpunkts erklärte Verzicht sei regelmäßig dahin zu verstehen, dass er die Grenzen des § 202 II einhalte (WM 2007, 2230, 2231 Rn 16; ebenso Koblenz NJW-RR 2015, 950; BaRo/Henrich Rn 7; MüKo/Grothe Rn 13; Pal/Ellenberger Rn 7). Er räumt aber ein, dass die Parteien das auch anders verstehen können. ME liegt ein solches abw Verständnis nahe, weil eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf 30 Jahre regelmäßig nicht den Interessen der Beteiligten entsprechen wird. Allerdings zeigen die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten, dass es sich empfiehlt, den Verzicht klar zu formulieren.

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§ 203

Verjährung

Titel 2 Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung Schrifttum: Derleder/Kähler, Die Kombination von Hemmung und Neubeginn der Verjährung, NJW 14, 1617; Grothe, Verjährungshemmung durch Mahnbescheid bei mehreren Mängeln, NJW 2015, 17; May/Moeser, Anerkannte Gütestellen in der anwaltlichen Praxis, NJW 2015, 1637; Pioch, Die verjährungshemmende Wirkung des Mahnbescheids, MDR 2016, 863; Regenfus, Ungeschriebene Voraussetzungen der Verjährungshemmung durch Rechtsverfolgung, NJW 2016, 2977; Riehm, Alternative Streitbeilegung und Verjährungshemmung, NJW 2017, 113; Seibel, Führt eine Klageerhebung zum rückwirkenden Wegfall der Verjährungshemmung? MDR 2015, 491; Symosek, Verjährungshemmung, aber richtig, NJW 2016, 1142.

§ 203

Hemmung der Verjährung bei Verhandlungen

Schweben zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände, so ist die Verjährung gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Die Verjährung tritt frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung ein. 1 1. Ansprüche sind nicht immer eindeutig und erfordern vielfach Verhandlungen. Deshalb hatte der Gesetzgeber 1977 in § 852 aF einen Abs II eingefügt, der eine Hemmung von deliktischen Ansprüchen während der Dauer von Verhandlungen vorsah. Diese Vorschrift konkretisierte den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242; BGH 93, 64, 69). Ein Schuldner, der sich in Verhandlungen mit dem Gläubiger einlässt und diesen damit zunächst von der Klageerhebung abhält, darf nicht nachher die Erfüllung des Anspruchs unter Hinw auf die auch während der Verhandlungen verstrichene Zeit ablehnen. Mit § 852 II aF hatte der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die es dem Gläubiger erlaubte, sich auf Verhandlungen einzulassen. Diese Regelung war gerade deswegen in weitem Umfang analogiefähig, weil sie auf einem verallgemeinerungsfähigen Gesichtspunkt beruhte (F. Peters NJW 1982, 1857; zurückhaltend aber BGH NJW 1990, 326; 1996, 48; Saarbrücken OLGRp 2002, 215, 217; Werkvertrag abl; Düsseldorf OLGRp 2002, 332, 336: Steuerberatervertrag abl). Davon wurde aber nur zurückhaltend Gebrauch gemacht (für Ansprüche aus §§ 92, 92b BinSchG: BGH 81, 370, 373; für Ansprüche aus dem Mietverhältnis: BGH 93, 64; Bremen NZM 2002, 292; LG Fulda ZLW 2002, 313; aM, aber überholt: Koblenz VersR 2000, 64). Die Rspr hat über den Geltungsbereich des § 852 II aF hinaus die Einrede der Verjährung als treuwidrig (§ 242) nicht gelten lassen, wenn der Gläubiger durch Verhandlungen mit dem Schuldner – oder dessen Versicherung (BGH VersR 1971, 439f) – davon abgehalten worden war, rechtzeitig Klage zu erheben (BGH VersR 1977, 617ff, 619 für einen Anspruch aus Verletzung eines Anwaltsvertrags). Deshalb hat der Gesetzgeber nun § 203 zu einer allg Vorschrift umgestaltet, die generell für alle Verjährungsfristen gilt (BT-Drs 14/6040, 111). 2 2. Einen anderen Ansatz enthält § 439 III HGB beim Frachtgeschäft für die Ansprüche aus einer Beförderung. Danach wird die Verjährung nur durch eine schriftliche Erklärung des Berechtigten, mit der dieser Ersatzansprüche erhebt, dann aber so lange gehemmt, bis der Frachtführer die Erfüllung des Anspruchs schriftlich ablehnt. Eine vergleichbare Lösung gab es auch im Reiserecht (§ 651g II 3 aF). Danach war, wenn der Reisende Ansprüche geltend gemacht hat, die Verjährung gehemmt, bis der Veranstalter die Ansprüche schriftlich zurückweist. Dieses Modell war im Diskussionsentwurf favorisiert, es ist aber wegen der Kritik, dass sich Verhandlungen nicht in ein Schema von schriftlichen Erklärungen pressen ließen (Mansel in Ernst/Zimmermann, 333, 398) nicht weiterverfolgt worden. Der Gesetzgeber hat sich stattdessen dafür entschieden, die in § 852 II aF vorgesehene Hemmung der Verjährung durch Verhandlung als allg Regelung für alle Ansprüche einzuführen. Sie macht in der Sache formale Sicherungen von Ansprüchen, wie sie in § 651g II 3 aF vorgesehen waren, entbehrlich. Der Gesetzgeber hat solche Sicherungen im Reiserecht deshalb aufgehoben. Im Transportrecht hat er sich dazu nicht entschlossen. Das ändert aber nichts daran, dass auch die Verjährung transportrechtlicher Ansprüche, deren Erhaltung von einer Anzeige abhängt, durch Verhandlungen nach § 203 gehemmt wird (BGH MDR 2008, 1347). 2a 3. Einen besonderen Hemmungstatbestand sehen §§ 15 und 115 II 3 VVG im Versicherungsrecht vor. Danach ist die Verjährung, wenn ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag beim Versicherer angemeldet worden ist, bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht. Dieser Hemmungstatbestand war schon im früheren Versicherungsrecht vorgesehen (§ 12 VVG aF). Er hätte an sich nicht in das neue Versicherungsrecht übernommen werden müssen, weil § 203 einen gleichwertigen Hemmungstatbestand bereits vorsieht. Denn der Begriff der Verhandlungen ist weit auszulegen (Rn 5). Der Gesetzgeber hat an dem bisherigen besonderen Hemmungstatbestand festgehalten, ohne sich mit seinem Verhältnis zu § 203 auseinanderzusetzen (BT-Drs 16/3945, 64, 89). Inhaltlich bringt er ggü § 203 lediglich eine Klarstellung. Auch dient die Norm dem Schutz des Versicherungsnehmers (Muschner/Wendt MDR 2008, 609, 610f). Deshalb sind § 203 und §§ 15, 115 II 3 VVG ähnlich wie § 203 und § 439 III HGB (vgl BGH MDR 2008, 1347) nebeneinander anwendbar. 3 4. Der Begriff „Anspruch“ ist hier nicht im Sinne einer materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage, sondern weiter im Sinne eines aus einem Sachverhalt hergeleiteten Begehrens auf Befriedigung eines Interesses zu verstehen. § 203 gilt anders als der frühere § 852 II für alle Ansprüche, gleich aus welchem Grund. Er erfasst vertragliche Ansprüche genauso wie gesetzliche Ansprüche etwa aus unerlaubter Handlung, aus ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag oder familienrechtliche Ansprüche (überholt daher Hamm MDR 1999, 1328 612

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Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

§ 203

für Zugewinnausgleich). Er gilt auch für Ansprüche, die nicht im BGB geregelt sind, aber den Verjährungsregelungen des BGB unterliegen, also etwa Ansprüche gegen Angehörige der freien Berufe (Celle OLGRp 2005, 489, 490; überholt deshalb Hamm OLGRp 1998, 365 – Rechtsanwalt; Düsseldorf OLGRp 2002, 332 und Koblenz OLGRp 1999, 250 – Steuerberaterhaftung). IdR wird man auch unter Berücksichtigung von § 213 davon ausgehen können, dass bei Verhandlungen über einen vertraglichen Anspruch auch möglicherweise konkurrierend oder alternativ gegebene Ansprüche aus Delikt oder absolutem Recht erfasst werden. Dabei braucht das Begehren nicht besonders beziffert oder konkretisiert zu sein, wie ebenfalls aus der Formulierung „oder die den Anspruch begründenden Umstände“ folgt. Es muss aber erkennbar werden, um welchen Anspruch es eigentlich geht (BGH 189, 365, 376 Rn 51 aE). 5. Verhandlungen können zur Hemmung der Verjährung nur führen, wenn die Verjährungsfrist bereits begonnen hat (LG Ravensburg 7.7.2016 – 1 S 20/16, juris Rn 20). Über einen Anspruch im vorbeschriebenen Sinne können Verhandlungen nur erfolgen, wenn er bei Aufnahme der Verhandlung noch nicht verjährt war (Celle OLGRp 2005, 489, 490). Werden danach Verhandlungen aufgenommen, können sie auf die Verjährung nur im Rahmen von § 202 Einfluss haben. Es muss dann den Erklärungen oder dem Verhalten der Parteien zu entnehmen sein, dass der Schuldner sich auf die abgelaufene Verjährung nicht berufen will. 6. a) Beginn der Hemmung. Die Hemmung beginnt mit der Aufnahme von Verhandlungen. Auch wenn es für die Annahme von Verhandlungen auf die Reaktion des Schuldners ankommt, bleibt dann der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem der Gläubiger seinen Anspruch ggü dem Schuldner geltend gemacht hat (BGH NJ 2014, 212 Rn 3; Symosek NJW 2016, 1142f). b) Begriff der Verhandlung. Nach dem Sinn der Vorschrift des § 852 aF, an den § 203 anknüpft, war der Begriff der Verhandlung im Bereich des Deliktsrechts weit zu verstehen. Dieses Verständnis der Regelung ist auch nach der Erweiterung ihres Anwendungsbereichs und ihrer Erstreckung auf vertragliche und andere gesetzliche Ansprüche angezeigt. Das Regelungsziel ist dort das Gleiche. Zu berücksichtigen ist auch, dass § 203 im Bereich des Vertragsrechts den in dieser Form nicht mehr fortbestehenden Hemmungstatbestand des § 639 II aF ersetzt, die dort praktisch zum gleichen Ergebnis führte (Weyer NZBau 2002, 366, 369). Für die Annahme von Verhandlungen kommt es nicht auf die Bezeichnung an, die die Beteiligten ihrem Gespräch geben (Fischinger VersR 2005, 1641, 1643). Deshalb kann auch eine Mediation eine Verhandlung iSd § 203 darstellen (Begr zum Entwurf eines MediationsG in BT-Drs 17/5335 v 1.4.2011, 11; in der Sache ebenso Eidenmüller/Prause NJW 2008, 2737, 2741). Der Gläubiger muss zur Annahme von Verhandlungen lediglich klarstellen, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will. Geschieht das, genügt jeder Meinungsaustausch über den Schaden oder einen anderen Sachverhalt, der Gegenstand von Ansprüchen sein kann, sofern nicht jeder Anspruch sofort und eindeutig abgelehnt (BGH 182, 76; NJW 2004, 1654; 2008, 576, 577; MDR 2007, 835; NJW-RR 2011, 98, 99; IBR 2012, 177; WM 2015, 938 Rn. 20; Düsseldorf NJW-RR 2010, 528, 530f; Oldenburg BauR 2010, 810; Staud/Peters/ Jacoby Rn 7; Fischinger VersR 2005, 1641, 1643), zB erklärt wird, dass der Klageweg beschritten werden soll (LSG Potsdam B 18.1.2017 – L 1 KR 18/15, juris Rn 10). Allerdings muss der Schuldner an der Erörterung von Ansprüchen beteiligt werden. Es genügte also zB nicht, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft Ansprüche gegen ein abwesendes Mitglied diskutiert (Schmidt MDR 2009, 717, 718); das Mitglied muss beteiligt werden. Dem Schuldner muss zumindest im Kern mitgeteilt werden, welcher Anspruch geltend gemacht werden soll (München NJOZ 2005, 4610, 4612; Karlsruhe OLGRp 2009, 771). An dem Vorliegen von Verhandlungen ändert es nichts, wenn der Schuldner bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auf die Einrede der Verjährung verzichtet (BGH BGHRp 2004, 871, 872; Karlsruhe OLGRp 2009, 771). Wird eine Ablehnung des Anspruchs mit der Bereitschaft verbunden, ihn bei neuem Tatsachenvortrag erneut zu prüfen, ist darin noch keine Verweigerung weiterer Verhandlungen zu sehen (BGH NJW 1998, 2819). Erfolgsaussicht und Vergleichsbereitschaft sind für die Annahme von Verhandlungen nicht Voraussetzung (BGH 182, 76 = ZIP 2009, 1608, 1609; Düsseldorf NZBau 2010, 177, 180; Saarbrücken NJW-RR 2014, 917; Staud/Peters/Jacoby Rn 7f). Bei (Werk-)Mängeln kommen Verhandlungen schon dadurch zustande, dass der Gläub den Schuldner auf Mängelerscheinungen hinweist und sich der Schuldner auf eine Prüfung und Nachbesserung einlässt (BGH BGHRp 2007, 145, 146; 2006, 138, 140; Koblenz MDR 2013, 86, 87; Köln NJW-RR 2011, 958, 959; MüKo/Grothe Rn 6; Soergel/Niedenführ Rn 5; Fischinger VersR 2005, 1641, 1644; Weyer NZBau 2002, 366, 369). Es reicht aus, wenn der Gläubiger nach der Reaktion des Schuldners den Eindruck hat, dieser werde den Sachverhalt prüfen (BGH NJW 2008, 576, 577). Damit erübrigen sich Überlegungen, § 203 bei einem Nachbesserungsverlangen analog anzuwenden (Faber/Werner NJW 2008, 1910, 1913). Keine Verhandlungen liegen demgegenüber vor, wenn die Prüfung als Kulanz bezeichnet und Rechtsansprüche eindeutig abgelehnt werden (BGH BGHRp 2006, 138, 140; AG Hannover RRa 2001, 225; Staud/Peters/Jacoby Rn 8). Dann hat der Gläubiger zwar Aussicht, anderweitige Kompensation zu erlangen. Das ist aber keine Verhandlung über den Anspruch, der ja gerade abgelehnt wird (so i Erg auch BGH 122, 317, 325; NJW 1990, 245). Eine Verhandlung liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn ein Mangel lediglich besichtigt wird (BGH MDR 2002, 86), erst recht nicht, wenn dies im Rahmen von Verhandlungen zw den Parteien eines anderen Vertragsverhältnisses geschieht (BGH aaO). Auch die schlichte Entgegennahme eines gerichtlichen Vergleichsvorschlags ohne Äußerung (Schleswig OLGRp 2006, 766, 767) oder die Entgegennahme einer Anspruchsanmeldung nach Reiserecht (AG Baden-Baden RRa 2005, 30) stellen für sich genommen kein Verhandeln dar. Die sofortige Ablehnung eines Anspruchs wird auch nicht dadurch zum Beginn einer Verhandlung, dass sich der Schuldner die Mühe macht oder anbietet, seine Haltung zu erklären (PWW/Kesseler Rn 2). Dies wird zwar teilw aus BGH NJW 1997, 3447 abgeleitet (MüKo/Grothe Rn 5; Soergel/Niedenführ Rn 4), ist dort aber nicht entschieden worSchmidt-Räntsch

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Verjährung

den. Dort ging es um die Beendigung begonnener Verhandlungen. Kein Meinungsaustausch findet statt, wenn sich Parteien in einem Rechtsstreit über die Berechtigung eines Zurückbehaltungsrechts streiten (BGH WM 2015, 938 Rn 20) oder wenn der Eingang einer Mängelanzeige nach Reiserecht (Fischinger VersR 2005, 1641, 1645) oder einer Schadensanzeige oder, sofern keine Sonderregelung wie § 115 II VVG besteht, eine Mängelrüge bloß formularmäßig bestätigt wird (BGH VersR 1975, 440). Entspr gilt, wenn der Schuldner dem Gläubiger mitteilt, er habe seine Haftpflichtversicherung unterrichtet, gleichzeitig aber ablehnt, zu Grund und Höhe seiner Haftung irgendwelche Erklärungen abzugeben (BGH WM 2011, 796, 798 Rn 16). 5c Erst recht fehlt jedes Verhandlungselement, wenn es bei bloßen Aufforderungen des Berechtigten geblieben ist. Fragt der Schuldner aber nach, welche Ansprüche geltend gemacht werden, beginnen Verhandlungen (BGH NJW 2001, 1723; Soergel/Niedenführ Rn 4). Genauso liegt es, wenn der Schuldner sich nach anfänglicher Ablehnung wieder gesprächsbereit zeigt und das vom Gläubiger gesuchte Gespräch nicht unverzüglich beendet (BGH BGHRp 2002, 583, 585; NJW 2003, 1524, 1525; Frankfurt MDR 2010, 326). Als Verhandlung ist auch der Abschluss eines Vergleichs auf Widerruf anzusehen (BGH BGHRp 2005, 1165, 1167). Anders als unter bisherigem Recht wird man ein Verfahren vor den ärztlichen Schieds- und Gutachterstellen oder Innungsschlichtungsstellen nicht mehr ohne weiteres als Verhandlung (so noch BGH NJW 1983, 2075; Naumburg OLG-NL 2002, 241; Hamburg OLGRp 2001, 246; Zweibrücken OLGRp 2000, 483) qualifizieren können. Dies ist ein Verfahren vor einer sonstigen Gütestelle, das den Hemmungstatbestand des § 204 I Nr 4 erfüllt (MüKo/Grothe Rn 6). Gegenansprüche gegen den Antragsteller werden jedenfalls nur dann zum Gegenstand von Verhandlungen, wenn sie konkret und eindeutig in das Verfahren eingeführt werden und sich der Antragsteller auf eine Erörterung im oben beschriebenen Sinne einlässt (LAG Berlin 12.11.2009 – 5 Sa 29/09). 6 7. § 203 regelt auch das Ende der Verhandlungen nicht im Einz. Entspr Forderungen sind im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt worden, weil die Art und Weise, wie über str oder zweifelhafte Ansprüche verhandelt werden kann, so vielgestaltig seien, dass sie sich einer gesetzlichen Regelung entzögen (BT-Drs 14/6040, 112). Die Hemmung endet, wenn eine Seite die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert (BGH VersR 1985, 642; NJW 1998, 2819). Eine Verhandlungspause führt demgegenüber nicht zu einem Verhandlungsende (Fischinger VersR 2005, 1641, 1644). Dieses tritt vielmehr erst ein, wenn die Partei, die nach den Vereinbarungen die Verhandlungen aufgreifen muss, dies nicht tut (Fischinger VersR 2005, 1641, 1644). Lehnt der Schuldner aber Verhandlungen eindeutig ab, so sind die Verhandlungen jedenfalls beendet (NK/Budzikiewicz Rn 44). Anders liegt es dagegen, wenn der Schuldner den Eindruck vermittelt, es habe trotz der Berufung auf Verjährung Zweck, zunächst weitere Gespräche abzuwarten (BGH NJW 1997, 3447; Köln VersR 2007, 521). Schlafen die Verhandlungen ein, endet die Hemmung, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu dem eine Antwort auf die letzte Anfrage des Ersatzpflichtigen spätestens zu erwarten gewesen wäre, falls die Regulierungsverhandlungen mit verjährungshemmender Wirkung hätten fortgesetzt werden sollen (BGH NJW 1963, 492; VersR 1967, 502; 1986, 1337, 1338; NJW 2009, 1806, 1807; ZNotP 2014, 186 Rn 2, 17; VersR 2017, 165 Rn 16; Hamm NZV 1999, 334; Düsseldorf SP 2002, 284; aM Koblenz OLGRp 2006, 534; VersR 2016, 1004f: Fortdauer bis zu einer eindeutigen Ablehnung durch Schuldner; das zweite Urt ist durch BGH VersR 2017, 165 aufgehoben worden). Feste Fristen hierfür bestehen nicht (Jänig ZGS 2009, 350, 353). Der Gesetzgeber hat solche entgegen einem Vorschlag des BR (BT-Drs 14/6857, 7) auch nicht bestimmt, weil der Zeitraum, den man dem einen Teil zur Reaktion auf die Äußerung des anderen Teils einräumen muss, von dem Gegenstand der Verhandlung und der Verhandlungssituation abhängt (BT-Drs 14/6857, 43). Düsseldorf, VersR 1999, 68, hält in einem typischen Schadensfall eine Frist von einem Monat für angemessen. Nach Celle, EWiR 2002, 331, enden Verhandlungen zur Schadensbeseitigung spätestens ein Jahr, nachdem sich der Auftragnehmer zu Nachbesserungen bereitgefunden hat, wenn er danach keinerlei Nachbesserungsversuche unternommen hat. Ansonsten muss der Abbruch der Verhandlungen wegen der Bedeutung für die Durchsetzbarkeit der geltend gemachten Ansprüche durch klares und eindeutiges Verhalten der einen oder der anderen Partei zum Ausdruck gebracht werden (BGH 93, 64, 67, NJW-RR 2005, 1044, 1047; 1991, 796; MDR 2004, 1050; NJW 1998, 2819, 2820; Hamm NJW-RR 1998, 101). Neue Verhandlungen setzen eine neue Hemmung in Gang (Düsseldorf SP 2002, 284; Frankfurt MDR 2010, 326). Von neuen Verhandlungen kann aber nicht gesprochen werden, wenn der Schuldner den Anspruch unter Hinw auf die Vorkorrespondenz oder unter Hinw auf fehlende neue Gesichtspunkte erneut zurückweist (AG Bad Homburg RRa 2001, 207; aM Frankfurt MDR 2010, 326). Sonst könnte der Gläubiger eine Hemmung schon dadurch herbeiführen, dass er den Gläubiger anschreibt und auf seinem Anspruch beharrt (so im Fall Frankfurt MDR 2010, 326 Rn 12, 23). Auch die Wiederaufnahme eingeschlafener Verhandlungen begründet eine Hemmung nur ex nunc, nicht ex tunc (BGH ZIP 2017, 236 Rn 23). Das Einschlafen beendet die Hemmungswirkung der ursprünglichen Verhandlungen, die bei einem Wiederaufnehmen rechtlich nichts Anderes sind als neue Verhandlungen. Für die Wiederaufnahme reicht die einseitige Äußerung einer Partei allein nicht (LG Münster 13.1.2016 – 4 O 106/15, juris Rn 30). 7 8. Die Verhandlung hemmt die Verjährung für den Anspruch, der Gegenstand der Verhandlung ist. Gegenstand der Verhandlung sind alle Ansprüche, die sich aus dem Sachverhalt ergeben können, der dem anderen Teil zur Verhandlung vorgetragen worden ist. Auf die juristische Herleitung des Anspruchs kommt es nicht an, sondern darauf, ob dem anderen die dazu erforderlichen Tatsachen unterbreitet worden sind (München NJOZ 2005, 4610, 4612; Frankfurt NVwZ-RR 2007, 242, 244; MüKo/Grothe Rn 7; Staud/Peters/Jacoby Rn 14; Fischinger VersR 2005, 1641, 164). Deshalb ist es gleichgültig, wenn ein Anspruch wegen eines geschilderten Arzthaftungsfalles später nicht auf einen Behandlungs-, sondern auf einen Aufklärungsfehler gestützt wird. Der Lebenssachverhalt wird im Zweifel im Ganzen zum Gegenstand der Verhandlung gemacht, bei Verhandlungen über die Fortsetzung des Bau614

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Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

§ 204

vertrags nach Kündigung also auch der Anspruch aus § 649 S 2; Abweichendes muss eindeutig sein (BGH MDR 2014, 891 Rn. 12). Wird nur ein abtrennbarer Teil des Schadens zum Gegenstand der Verhandlung gemacht, tritt auch nur teilw Hemmung ein (BGH NJW 1998, 1142). Ob aber nur eine Teilgeltendmachung vorliegt, ist durch Auslegung des Vorbringens zu ermitteln (Düsseldorf 18.12.2009 – 23 U 187/08, Rn 80). Hat der Gläubiger nur Teile beziffert, aber den gesamten Anspruch gemeint, ist auch der gesamte Anspruch Gegenstand der Verhandlung, die Verjährung also auch insgesamt gehemmt (BGH 83, 162, 166f). Verhandlungen über die Mängelbeseitigung erfassen nicht ohne weiteres auch den Vergütungsanspruch (Stuttgart 26.3.2013 – 10 U 146/12, Rn 46). Entspr gilt, wenn die Verhandlungen Ansprüche des Gläubigers gegen mehrere Schuldner betreffen. Auch hier ist festzustellen, ob der Gläubiger Ansprüche gegen den einen oder anderen Schuldner aus den Verhandlungen herausnehmen will, was eher die Ausnahme ist (Rostock OLG-NL 2001, 172; Frankfurt VersR 1998, 1282). Auf die Hemmung der Verjährung des Hauptanspruchs durch Verhandlungen über seinen Bestand kann sich der Gläubiger auch ggü dem Bürgen berufen (BGH ZIP 2009, 1608, 1609; NJW-Spezial 2010, 173). § 768 II ist nur bei Scheinverhandlungen zum Nachteil des Bürgen entspr anwendbar, nicht bei ernsthaften Verhandlungen über den Bestand der Hauptforderung (BGH aaO). 9. Verhandlungen müssen durch den Gläubiger mit dem Schuldner geführt werden. Beide können durch Dritte 8 vertreten werden. Verhandelt etwa der Geschädigte mit dem Kfz-Halter oder dessen Versicherung, erstreckt sich die Hemmung auf den Anspruch gegen den Fahrer (BGH NJW 1990, 245). Gerade im Vertragsrecht wird der Geschäftspartner oft durch seine Angestellten vertreten werden. Man wird davon ausgehen können, dass die üblichen „Reklamationen“ zu den Verkaufsgeschäften gehören, zu denen Ladenangestellte nach § 56 HGB ermächtigt sind (Baumbach/Hopt37 § 56 HGB Rn 4). Allerdings kann der Prinzipal dies ändern, indem er die Reklamationen entspr zuweist. Eine solche Beschränkung wird anzunehmen sein, wenn es eine besondere Reklamationsstelle gibt. Dann kann eine Verhandlung erst angenommen werden, wenn ein Mitarbeiter dieser Reklamationsstelle Prüfung oder Reparatur zusagt. 10. Da das Ende der Verhandlungen für den Gläubiger überraschend eintreten kann, ist in S 2 eine besondere 9 Ablaufhemmung vorgesehen: Die Verjährung tritt frühestens drei Monate nach dem Ende der Verhandlungen ein. Hierbei handelt es sich anders als bei der Sechs-Monats-Frist des § 204 II 1 um eine Ablaufhemmung. Diese Frist tritt also nicht zu der Hemmung hinzu. Sie wird vielmehr nur bedeutsam, wenn der Verjährungsrest kürzer als drei Monate ist. Ist er länger, wirkt sich die Drei-Monats-Frist nicht aus.

§ 204

Hemmung der Verjährung durch Rechtsverfolgung

(1) Die Verjährung wird gehemmt durch 1. die Erhebung der Klage auf Leistung oder auf Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils, 2. die Zustellung des Antrags im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger, 3. die Zustellung des Mahnbescheids im Mahnverfahren oder des Europäischen Zahlungsbefehls im Europäischen Mahnverfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. EU Nr. L 399 S. 1). 4. die Veranlassung der Bekanntgabe eines Antrags, mit dem der Anspruch geltend gemacht wird, bei einer a) staatlichen oder staatlich anerkannten Streitbeilegungsstelle oder b) anderen Streitbeilegungsstelle, wenn das Verfahren im Einvernehmen mit dem Antragsgegner betrieben wird; die Verjährung wird schon durch den Eingang des Antrags bei der Streitbeilegungsstelle gehemmt, wenn der Antrag demnächst bekannt gegeben wird, 5. die Geltendmachung der Aufrechnung des Anspruchs im Prozess, 6. die Zustellung der Streitverkündung, 6a. die Zustellung der Anmeldung zu einem Musterverfahren für darin bezeichnete Ansprüche, soweit diesen der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen des Musterverfahrens und wenn innerhalb von drei Monaten nach dem rechtskräftigen Ende des Musterverfahrens die Klage auf Leistung oder Feststellung der in der Anmeldung bezeichneten Ansprüche erhoben wird, 7. die Zustellung des Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, 8. den Beginn eines vereinbarten Begutachtungsverfahrens, 9. die Zustellung des Antrags auf Erlass eines Arrests, einer einstweiligen Verfügung oder einer einstweiligen Anordnung, oder, wenn der Antrag nicht zugestellt wird, dessen Einreichung, wenn der Arrestbefehl, die einstweilige Verfügung oder die einstweilige Anordnung innerhalb eines Monats seit Verkündung oder Zustellung an den Gläubiger dem Schuldner zugestellt wird, 10. die Anmeldung des Anspruchs im Insolvenzverfahren oder im Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren, 11. den Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens, 12. die Einreichung des Antrags bei einer Behörde, wenn die Zulässigkeit der Klage von der Vorentscheidung dieser Behörde abhängt und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird; dies gilt entsprechend für bei einem Gericht oder bei einer in Nummer 4 bezeichneten

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Verjährung

Streitbeilegungsstelle zu stellende Anträge, deren Zulässigkeit von der Vorentscheidung einer Behörde abhängt, 13. die Einreichung des Antrags bei dem höheren Gericht, wenn dieses das zuständige Gericht zu bestimmen hat und innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben oder der Antrag, für den die Gerichtsstandsbestimmung zu erfolgen hat, gestellt wird, und 14. die Veranlassung der Bekanntgabe des erstmaligen Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe oder Verfahrenskostenhilfe; wird die Bekanntgabe demnächst nach der Einreichung des Antrags veranlasst, so tritt die Hemmung der Verjährung bereits mit der Einreichung ein. (2) Die Hemmung nach Absatz 1 endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens. Gerät das Verfahren dadurch in Stillstand, dass die Parteien es nicht betreiben, so tritt an die Stelle der Beendigung des Verfahrens die letzte Verfahrenshandlung der Parteien, des Gerichts oder der sonst mit dem Verfahren befassten Stelle. Die Hemmung beginnt erneut, wenn eine der Parteien das Verfahren weiter betreibt. (3) Auf die Frist nach Absatz 1 Nr. 6a, 9, 12 und 13 finden die §§ 206, 210 und 211 entsprechende Anwendung. I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die hemmenden Rechtsverfolgungsmaßnahmen (Abs I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1. Klageerhebung (Abs I Nr 1) . . . . . . . . . . . . 2 2. Vereinfachtes Unterhaltsverfahren (Abs I Nr 2) . . 12 3. Mahnbescheid (Abs I Nr 3) . . . . . . . . . . . . 13 4. Streitbeilegungsverfahren (Abs I Nr 4) . . . . . . 16 5. Prozessaufrechnung (Abs I Nr 5) . . . . . . . . . 18 6. Streitverkündung (Abs I Nr 6) . . . . . . . . . . . 19 6a. Musterverfahrensantrag (Abs I Nr 6a) . . . . . . . 20a 7. Selbständiges Beweisverfahren (Abs I Nr 7) . . . . 21 8. Vereinbartes Begutachtungsverfahren (Abs I Nr 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 9. Arrest und einstw Verfügung (Abs I Nr 9) . . . . . 23 10. Anmeldung im Insolvenzverfahren (Abs I Nr 10) . 26

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11. Schiedsrichterliches Verfahren (Abs I Nr 11) 12. Verwaltungsvorverfahren (Abs I Nr 12) . . . 13. Zuständigkeitsbestimmung durch höheres Gericht (Abs I Nr 13) . . . . . . . . . . . . 14. Prozess- oder Verfahrenskostenhilfeantrag (Abs I Nr 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Erschlichene Hemmung . . . . . . . . . . .

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III. Dauer der Hemmung (Abs II) . . . . . . . . . . 1. Beendigung der Hemmung (Abs II S 1) . . . . . 2. Nachlauffrist von sechs Monaten (Abs II S 1 aE) . 3. Stillstand des Verfahrens (Abs II S 2) . . . . . . . 4. Wiederaufnahme des Verfahrens (Abs II S 3) . . . 5. Hemmung der Vollziehungs- und Klagefrist (Abs III) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Vorbemerkung. Der Gläubiger muss die Möglichkeit haben, durch Maßnahmen der Rechtsverfolgung die Verjährung seines Anspruchs aufzuhalten. Das frühere Recht sah in solchen Fällen regelmäßig eine Unterbrechung der Verjährung vor, die den Neubeginn der Verjährung mit einer Hemmung verband. Peters und Zimmermann haben nachgewiesen (in BMJ [Hrsg], Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd I, 1981, 260ff, 308), dass dies den Schuldner unnötig belastete. In den Fällen, in denen die Klage zu einem rechtskräftigen Titel oder doch zur Abweisung der Klage in der Sache selbst führe, sei die nach Abschluss des Verfahrens (§ 211 I aF und § 217 Hs 2 aF) erneut laufende alte Verjährungsfrist nicht von Interesse, da entweder nun die lange Verjährungsfrist für titulierte Ansprüche laufe oder rechtskräftig feststehe, dass der Anspruch nicht gegeben sei. Bedeutsam sei die seinerzeit geltende Regelung, wenn der Prozess in Stillstand gerate. Hier sei aber nicht einzusehen, weshalb die Verjährung dann zwingend erneut beginne. Es könne gute Gründe (zB Vergleichsverhandlungen) dafür geben, die Sache einschl der Verjährung in der Schwebe zu halten. Bedeutsam sei die geltende Regelung ferner in den Fällen der Klagerücknahme oder der Abweisung der Klage durch Prozessurteil. Hier lasse das seinerzeit geltende Recht (§ 212 aF) die Unterbrechung rückwirkend entfallen und sie wieder eintreten, wenn der Gläubiger binnen sechs Monaten nach Rücknahme oder Klageabweisung erneut Klage erhebe. Der Sache nach sei das eine bloße Hemmung der Verjährung. Für die Unterbrechung der Verjährung durch Maßnahmen nach § 209 II aF seien weitgehend die gleichen Erwägungen anzustellen. Dort, wo die Unterbrechung praktische Wirkungen habe, wirke sie sich i Erg wie eine Hemmung aus. Peters/Zimmermann haben daher vorgeschlagen, die Unterbrechung durch Maßnahmen der Rechtsverfolgung durch eine Hemmung zu ersetzen (Gutachten S 307ff, 316f zu §§ 205ff des dortigen Entwurfs). Diese Überlegung hat sich der Gesetzgeber zu eigen gemacht (BT-Drs 14/6040, 112). Die früheren Unterbrechungstatbestände sind durch Hemmungstatbestände ersetzt und in einer Norm, dem neuen § 204, zusammengefasst worden. Hierbei hat der Gesetzgeber die früher bestehenden sachlich überholten Unterschiede bei der Ausgestaltung dieser Tatbestände aufgegeben. Mit Rücksicht auf die nunmehr weniger einschneidenden, nämlich nur noch hemmenden, Wirkungen hat er die Tatbestände teilw erweitert. II. Die hemmenden Rechtsverfolgungsmaßnahmen (Abs I). 1. Klageerhebung (Abs I Nr 1). a) Art der Klage. Die wichtigste Maßnahme der Rechtsverfolgung, die eine Hemmung auslöst, ist wie bisher die Erhebung der Klage. Die Klage muss auf Leistung (§§ 257ff ZPO), auf Feststellung (§ 256 ZPO; BGH BGHRp 2006, 763, 764), auf Erteilung der Vollstreckungsklausel (§ 731 ZPO) oder wegen nicht anders vollstreckbarer ausl Urt auf Erlass eines Vollstreckungsurteils (§ 722 ZPO), dem im Anwendungsbereich der VO (EU) Nr 1215/2012 (ABl EU Nr L 351/1) der Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung nach dem AVAG gleichsteht (MüKo/Grothe Rn 5), gerichtet sein. Die Leistungsklage muss auf die Durchsetzung des verjährenden Anspruchs gerichtet sein. Das ist nicht nur durch einfache Leistungsklage, sondern auch durch Klage auf künftige Leistung möglich. Mit 616

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Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

§ 204

dem Beginn der Verjährungsfrist tritt die Hemmungswirkung ein, wenn Klage schon erhoben ist (BGH 52, 47). Auch eine Feststellungsklage hemmt, desgleichen eine Inzidentfeststellungsklage (Soergel/Niedenführ Rn 45). Hat Verjährung begonnen, so schließt die Leistungsklage – sei es auch nur mit Antrag auf Unterlassung – idR eine Feststellungsklage aus (RG 140, 235); zulässig bleibt diese nur, wenn trotz Möglichkeit der Leistungsklage ein Feststellungsinteresse besteht, zB der Schaden sich noch nicht genau beziffern lässt. Auch eine Stufenklage führt zur Hemmung, weil sie auch auf die Durchsetzung gerichtet ist, mag dieser Antrag in der ersten Stufe auch noch nicht gestellt werden (BGH NJW 1975, 1409, 1410; 1999, 1101; MDR 2012, 847 Rn 18; Brandenburg OLGRp 2005, 547). Anders ist es aber dann, wenn sich das Klageziel in der Erteilung der Auskunft und ggf Rechnungslegung erschöpft. Eine solche hemmt die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung oder Herausgabe nicht, weil sie dessen Durchsetzung nur vorbereitet (RG JW 1937, 2101; RG 115, 27, MDR 2012, 847 Rn 17; MüKo/Grothe Rn 4, 11). Die Geltendmachung des verjährenden Anspruchs muss nicht das Hauptziel der Klage sein. Es genügt, wenn der Anspruch hilfsweise geltend gemacht wird (BGH NJW 1968, 692; Piepenbrock aaO, 428f). Auch die Widerklage hemmt. Sie ist zwar ein Verteidigungsmittel, unabhängig hiervon aber auch eine vollwertige Klage. Der substantiierte Antrag auf Abweisung einer negativen Feststellungs(wider)klage ist zwar Verteidigung, führt aber im Erfolgsfall zur rkr Feststellung des Anspruchs (§ 197 Rn 10). Das rechtfertigt abw von der hier in der 12. Aufl vertretenen Ansicht die Gleichstellung mit der Klage (jurisPK/Lakkis Rn 38; Gsell, GS Manfred Wolf, 2011, 393, 396ff; Hinz, Festgabe Lübtow, 1980, 735ff [analog]; Jauernig/Jauernig13 Rn 2; Macke NJW 1990, 1651; Piepenbrock aaO, 430f; anders hM, BGH 72, 23, 28; LM Nr 12 zu § 209; NJW 1983, 392; 1994, 3107, 3108; RG 60, 387, 391; 75, 302, 305; 153, 375, 380; MüKo/Grothe Rn 7; Pal/Ellenberger Rn 3; PWW/Kesseler Rn 2). Der BGH lehnt diese Meinung nach wie vor ab (MDR 2012, 1365, 1366). Der Klageerhebung steht gleich die Zustellung des Antrags in Familienstreitsachen gem §§ 113 I 2, 124 FamG. b) Fehlerhafte Klage. Eine Klage löst die Hemmung unabhängig davon aus, ob sie zulässig und begründet ist 3 (BGH 163, 259, 263; MDR 2011, 253; MDR 2012, 847; Düsseldorf 18.12.2009 – 23 U 187/08, Rn 74; NK/Mansel Rn 35; MüKo/Grothe Rn 25; Staud/Peters/Jacoby Rn 24). Deshalb hemmen auch eine Klage vor einem örtlich oder sachlich unzuständigen Gericht (BGH MDR 2011, 253; NJW 1978, 1058), eine Feststellungsklage, der das Feststellungsinteresse fehlt (BGH 103, 298, 302; MDR 2011, 253) eine unschlüssige Klage (BGH NJW 1967, 2210 und 2354; BAG EzA § 1 AEntG Nr 10; BSG SGb 2006, 733). Liegt eine materiellrechtlich wirksame Ermächtigung vor, fehlt jedoch das für die gewillkürte Prozessstandschaft erforderliche eigene Rechtsschutzinteresse, so hemmt die prozessual unzulässige Klage dennoch die Verjährung (BGH NJW 1980, 2461). Dasselbe gilt, wenn der Gläubiger seinen Anspruch während des (nicht weiterbetriebenen) Rechtsstreits abtritt und der Zessionar eine wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässige Zweitklage wegen dieses Anspruchs erhebt (BGH MDR 2011, 253). Es müssen auch noch nicht alle Anspruchsvoraussetzungen eingetreten sein (BGH MDR 2003, 764, 765; NJW 2014, 920 Rn 18). Deshalb hemmt eine gegen den früheren Geschäftsführer einer GmbH erhobene Schadensersatzklage die Verjährung auch dann, wenn der für die Begründetheit des Klagebegehrens erforderliche Beschl der Gesellschafterversammlung noch nicht gefasst ist (BGH NJW 1999, 2115). Ist die Klage aber unwirksam, zB weil ihr die erforderliche Unterschrift fehlt (MüKo/Grothe Rn 21f) oder weil sie durch einen Rechtsanwalt zu erheben war, aber nicht durch diesen erhoben worden ist (Naumburg FamRZ 2001, 1006; Braunschweig MDR 1957, 425, 426), so tritt Hemmung nicht ein. Form- und technische Erfordernisse, die nicht zwingend sind, stehen der Wirksamkeit der Klage und damit ihrer hemmenden Wirkung nicht entgegen (BAG AP Nr 3 zu § 211 BGB; MüKo/Grothe Rn 23f). c) Parteien des Rechtsstreits. Die Klage muss der Berechtigte gegen den Verpflichteten erheben (BGH 25, 4 256; LM Nr 8 zu § 185 BGB; MDR 2011, 253; München NJW-RR 2010, 824, 825). Eine Klage gegen den Staat muss gegen die vertretungsberechtigte Behörde gerichtet werden (BGH BGHRp 2004, 857). Ein sachlich Nichtberechtigter ist bei Prozessstandschaft zur Klageerhebung befugt und kann die Verjährungshemmung herbeiführen (BGH NJW 2010, 2270, 2271 Rn 38; MDR 2011, 253). Diese kann auch auf stillschw erteilter Ermächtigung beruhen (BGH NJW 1957, 1838; Düsseldorf OLGRp 1999, 323). Fehlt die Ermächtigung, so tritt keine Hemmung ein; auch eine nachträgliche Genehmigung der Prozessführung durch den Berechtigten kann nicht analog § 185 diesen Erfolg herbeiführen (BGH LM Nr 8 zu § 185 BGB; NJW 1956, 298; MüKo/Grothe Rn 19). Dasselbe gilt, wenn die Ermächtigung vorliegt, aber nicht rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist offengelegt oder offenkundig wird (BGH 78, 1, 6, 8, 94, 117, 122; NJW 1985, 1826, 1827; NJW-RR 1993, 669, 671; 2002, 20, 22; MDR 2003, 1172, 1173; VIZ 2004, 79, 80; ZOV 2013, 159 Rn 23; Jena MDR 1998, 1468, 1469; BaRo/Henrich Rn 9; Piepenbrock aaO, 436; die die Frage offenlassende Entscheidung BGH NJW 1999, 3707, 3708 ist überholt). Die Klage muss grds auf Leistung an den Ermächtigenden gerichtet werden. Bei abtretbaren Ansprüchen kann die Ermächtigung aber auch eine Klage auf Leistung an sich umfassen und wäre dann zur Hemmung der Verjährungsfrist ausreichend (BGH 94, 117, 121f). Die Klage des Erben hemmt nicht bei bestehender Nachlassverwaltung; auch hat die Aufhebung der Verwaltung keine Rückwirkung (BGH 46, 221). Die Klage gegen den Bürgen hemmt nicht die Verjährung der Hauptforderung (Düsseldorf OLGRp 2006, 261, 262). Etwas Anderes gilt nur, wenn der Hauptschuldner weggefallen ist und die Verjährung nicht mehr durch eine Klage gegen ihn gehemmt werden könnte; dann reicht eine Klage gegen den Bürgen aus (BGH 153, 337, 342f; ZIP 2009, 1608, 1609 Rn 14). Die Klage gegen den Hauptschuldner führt nach § 771 S 2 zu einer Hemmung der Verjährung des Anspruchs gegen den Bürgen, wenn dieser die Einrede der Vorausklage erhoben hat. Der Direktanspruch des Geschädigten gegen die Versicherung des Schädigers verjährt, wenn nur dieser den Vorfall, nicht

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aber der Geschädigte seine Ansprüche gem § 115 II 3 VVG anmeldet (AG Burgwedel ZfSch 2004, 366). Ist der Anspruch auf einen anderen übertragen oder übergegangen (zB nach § 116 SGB X), so kann idR nur der Erwerber die Hemmung herbeiführen (RG 85, 424; Karlsruhe NJW 1961, 1866). Hat ein Gläubiger dem Schuldner die Forderungsabtretung angezeigt, ist diese aber nicht erfolgt oder unwirksam und hat der Schuldner noch nicht an den Dritten gezahlt, so bleibt der Gläubiger auch dann zur Klageerhebung und damit zur Hemmung der Verjährung berechtigt, wenn er noch nicht vom Scheinzessionar die Zustimmung zur Rücknahme der Anzeige erlangt hat (BGH 64, 117; TranspR 2010, 200 Rn 38). Bei einer stillen Sicherungszession bleibt der Zedent gewöhnlich befugt, die abgetretene Forderung einzuziehen und Zahlung an sich zu verlangen, so dass durch Klageerhebung oder Zustellung eines Mahnbescheids die Verjährung gehemmt wird (§§ 167, 693 II ZPO; BGH NJW 1978, 698; MDR 1999, 884; Köln 21.4.2009 – 18 U 148/07, Rn 40). Die Klage des Gläubigers hemmt auch dann die Verjährung, wenn die Forderung vorher von einem Dritten gepfändet und diesem zur Einziehung überwiesen wurde (BGH NJW 1986, 423). Die Klage gegen eine Handelsgesellschaft hemmt die Verjährung ggü der Gesellschaft und dem Gesellschafter, der bei Klageerhebung der Gesellschaft angehört (arg § 129 HGB, BGH 73, 217; PWW/Kesseler Rn 3). Bei einer stillen Sicherungszession macht der Zedent die abgetretene Forderung grds als Berechtigter geltend, womit die Verjährung gehemmt wird, ohne dass es einer Offenlegung der Abtretung bedarf (BGH NJW 1999, 2110). Durch Klage gegen den nicht bloß falsch bezeichneten (NK/Mansel Rn 32), sondern falschen Schuldner wird die Verjährung nicht gehemmt (BGH 80, 222; Staud/Peters/Jacoby Rn 6, 12). Die Klage gegen einen Streitgenossen hemmt die Verjährung nur im Verhältnis zu diesem, und zwar auch, wenn er notwendiger Streitgenosse ist (BGH 131, 376, 380 = NJW 1996, 1060; Soergel/Niedenführ Rn 29). Dessen Klage bleibt begründet, auch wenn ggü den anderen Streitgenossen Verjährung eintritt (München OLGRp 2003, 48, insoweit veröffentlicht nur bei juris). Die Berechtigung zur Klageerhebung muss bei Erhebung der Klage, im Fall des § 167 ZPO bei Einreichung der Klage (BGH NJW 2013, 1730, 1731f Rn 26f) gegeben sein. Ihr späterer Verlust, zB infolge Abtretung ohne Umstellung auf Leistung an den Zessionar, bewirkt im Hinblick auf § 265 II ZPO keinen Wegfall der Hemmungswirkung, sondern kann nur zu ihrem schnelleren Ende führen (BGH MDR 1984, 287; 2011, 253; NJW 2013, 1730, 1732 Rn 27). In diesem Fall würde auch die eigenständige Klage des Zessionars zu einer dann doppelten Hemmung der Verjährung führen (BGH MDR 2011, 253; Althammer NJW 2011, 2172, 2173). Diese Doppelung der Hemmung ist hinzunehmen, weil sie durch die rasche Beendigung des einen oder des anderen Verfahrens schnell ihr Ende findet. d) Erhebung der Klage. Die Klageerhebung geschieht idR durch Zustellung der Klageschrift oder des Protokolls über die Erhebung der Klage zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 498 ZPO). Wird die Klage vor Ablauf der Verjährungsfrist eingereicht, ist die verspätete Zustellung unschädlich. Vor Ablauf der Verjährungsfrist eingereicht ist die Klage, wenn der Schriftsatz vor 00:00 Uhr des Folgeantrags in dem Nachtbriefkasten des Gerichts eingegangen oder die gesendeten Signale eines Faxes oder einer elektronischen Übermittlung noch vor 00:00 Uhr des Folgetags von dem Telefaxgerät oder der Empfangseinrichtung des Gerichts vollständig empfangen und gespeichert worden sind (BGH 167, 214 Rn 18; HFR 2012, 94 Rn 3; KG GE 2015, 1159). Die rechtzeitige Einreichung wirkt nach § 167 ZPO zurück, wenn sie „demnächst“ erfolgt (Rn 6). Das führt dazu, dass die Frist schon durch die Klageerhebung gewahrt wird (BGH MDR 2010, 646, 647). Die Klage muss den Erfordernissen des § 253 II Nr 2 ZPO entsprechen; die Heilung eines solchen Mangels kann eine Fristversäumnis nicht rückwirkend beseitigen (BGH 22, 257; 25, 76; MDR 2010, 646; Soergel/Niedenführ Rn 8). Das gilt etwa für die fehlende Parteifähigkeit (Nürnberg NZG 2002, 874, in casu überholt). Wird die Klage gegen eine aufgelöste jur Pers gerichtet, löst sie daher keine Hemmung aus (KG KGRp 2003, 34). Allerdings ist dem Rechtsnachfolger die Berufung auf die Verjährung versagt, wenn und solange er den Eindruck erweckt, die Zustellung sei gelungen (KG aaO). Mängel der Zustellung führen dazu, dass die Klage nicht erhoben ist und auch nicht als rechtzeitig erhoben gilt; ein Bsp ist die misslungene öffentliche Zustellung (BGH 149, 311, 324; ZIP 2016, 1283 Rn 34). Sie können in den Fällen des § 189 ZPO (fehlender Nachw oder Verstoß gegen zwingenden Vorschriften) durch tatsächlichen Zugang geheilt werden (BGH 188, 128 Rn 46f für Beweissicherungsantrag; BGH 204, 268 Rn 14ff für Zustellung an Prozessunfähigen; so schon BGH 25, 66, 75 für Klageerhebung; BGH NJW 1960, 1947, 1948 für Klageerweiterung;). Das muss aber in der Verjährungsfrist geschehen (BGH MDR 2010, 646f). Die unterbliebene rechtzeitige Heilung eines Zustellungsmangels führt grds dazu, dass die fristgerecht eingereichte Klage keine Hemmungswirkung auslöst. Anders ist es aber, wenn der Gläubiger für die wirksame Zustellung alles aus seiner Sicht Erforderliche getan hat, der Schuldner trotz unwirksamer Zustellung in unverjährter Zeit von der Klage (dem Erlass des Mahnbescheids) und ihrem (seinem) Inhalt Kenntnis erlangt und die Wirksamkeit der Zustellung ebenfalls in unverjährter Zeit in einem Rechtsstreit geprüft wird (BGH MDR 2010, 646, 647). Denn dann wird der Zweck des Zustellungserfordernisses erreicht: Der Gläubiger soll angemessene und unmissverständliche Schritte zur Durchsetzung des Anspruchs ergriffen (BT-Drs 14/6040, 111) und so der Schuldner soweit wie möglich davor gewarnt werden, dass von ihm vor Ablauf der Verjährungsfrist die Erfüllung eines Anspruchs verlangt wird (dazu Staud/Peters/Jacoby Rn 33). Die Klage ist wirksam erhoben, wenn sie zugestellt wird. Unerheblich ist, ob das Gericht auch andere Verfügungen vorgenommen hat, die an sich bei der Zustellung zu veranlassen sind, wie zB die Aufforderung an den Beklagten nach § 271 II ZPO (BGH 11, 175). Der Klageerhebung stehen die Klageerweiterung oder Klageänderung, Abgabe des Verfahrens nach Widerspruch gegen den Mahnbescheid, Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid und der Antrag auf Durchführung des str Verfahrens wegen Unterhalts; nach § 651 II ZPO gleich.

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Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

§ 204

Für die materiellrechtlichen Wirkungen nachgeholter Zustellung gilt § 167 ZPO. Danach wird die Verjährung 6 bereits mit der Einreichung der Klageschrift bei Gericht gehemmt, wenn die Zustellung demnächst nachgeholt wird (BGH NJW 1969, 928); dasselbe gilt bei entspr sonstiger Heilung des Mangels (BGH 25, 75). Wenn die Zustellung „demnächst“ erfolgt, genügt die vor Ablauf der Verjährungsfrist eingereichte Klage zur Hemmung (BGH NJW 1986, 1347f; KG KGRp 2001, 67). Die Zustellung einer Klage erfolgt „demnächst“, wenn sich eine der Partei zuzurechnenden Zustellungsverzögerung in einem Rahmen von bis zu 14 Tagen hält (BGH MDR 2015, 1196 Rn 15; NJW-RR 2016, 650 Rn 10). Dass die Verjährung bei Zustellung bereits eingetreten war, ist dann unerheblich. § 167 ZPO gilt auch dann, wenn die Verjährung zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten wäre (BGH BGHRp 2008, 713 Rn 12). Verzögerungen ergeben sich oft wegen Verzögerungen bei der Beantwortung von Anfrage des Gerichts wegen des Streitwerts oder wegen Verzögerungen bei der Einzahlung des Kostenvorschusses. Der Kläger darf die Anfrage des Gerichts wegen des Streitwerts (BGH NJW-RR 2016, 650 Rn 13) bzw die Anforderung des Kostenvorschusses abwarten (BGH NJW 1993, 2811; 2016, 568 Rn 13; BVerfG NJW 2001, 1125f). Zieht sich die Anforderung aber länger hin, muss er nachfragen (BGH NJW 2016, 568 Rn 13; Saarbrücken OLGRp 2002, 215, 216; aM Bremen OLGRp 2006, 60, 63f). Vor Ablauf von drei Wochen nach Einreichung der Klage besteht eine solche Veranlassung noch nicht (BGH NJW 2016, 568 Rn 13). Die Frist von zwei Wochen beginnt nicht mit dem Zugang der Streitwertanfrage oder der Anforderung des Kostenvorschusses, sondern erst nach Ablauf der für deren ordnungsgemäße Erledigung erforderlichen Frist (BGH WuM 2015, 645 Rn 6; NJWRR 2016, 650 Rn 12). Diese Frist verlängert sich um drei Werktage unter Ausklammerung des Eingangstages und von Wochenendtagen, wenn das Gericht den Kostenvorschuss abw von den im Land geltenden Regelungen nicht unmittelbar von dem Kläger anfordert, sondern von dem Rechtsanwalt, der ihn vertritt (BGH WuM 2015, 645 Rn 8). Bei der Frage, ob die Zustellung noch demnächst erfolgt, sind zugunsten des Klägers auch Verzögerungen zu berücksichtigen, die das Gericht selbst verursacht hat (BGH NJW-RR 2012, 527). Erweist sich die Klage als unzustellbar, kann eine Zustellung demnächst nur angenommen werden, wenn der Gläubiger die gebotenen Anstrengungen zur raschen Erforschung und Mitteilung einer neuen Zustellanschrift unternimmt (Dresden WM 2007, 297). Stehen mehrere Zustellungsmöglichkeiten zur Verfügung, so kann dem Gläubiger die Wahl einer langsameren Alternative schaden (Schleswig NJW 1988, 3104; Kuntze-Kaufhold/Beichel-Benedetti NJW 2003, 1998; vgl aber BGH MDR 2003, 1368, 1369). Wird der Anspruch im Laufe des Prozesses erhoben, so tritt Unterbrechung ebenfalls mit Eintritt der Rechtshängigkeit, nämlich durch Geltendmachung in der mündlichen Verhandlung oder durch Zustellung eines Schriftsatzes ein (§ 261 II ZPO). Klageerweiterung durch Anschlussberufung bewirkt Hemmung erst bei Zustellung der Anschlussberufungsschrift im Amtsbetrieb, §§ 521, 522a ZPO (RG 156, 291). Auch durch Klageerhebung vor einem örtlich oder sachlich unzuständigen Gericht wird die Verjährung gehemmt (BGH NJW 1978, 1058). Anders als früher (dazu RG 66, 365, 368; 115, 135, 140) entfällt die Hemmung auch in diesem Fall nicht bei Abweisung der Klage. Die Hemmung endet dann. Zur Vorbereitung und Erhebung der Klage bei dem zuständigen Gericht steht dem Gläubiger die Sechs-Monats-Frist nach Abs II S 1 zur Verfügung. e) Umfang der Hemmungswirkung. aa) Betroffene Ansprüche. Die Hemmung tritt nur für den Anspruch ein, 7 der gerichtlich geltend gemacht ist, also für den Streitgegenstand der erhobenen Klage (BGH NJW 1983, 388; 1999, 2110, 2111; 2005, 2004, 2005; WM 2007, 1241). Der den Streitgegenstand bildende prozessuale Leistungsanspruch umfasst hierbei alle materiellrechtlichen Ansprüche, die den Klageantrag begründen können (BGH NJW 1996, 1743; 1983, 2813; BGH 205, 151 Rn 17f; 206, 41 Rn 15; NJW 2015, 236 Rn 145; VersR 2016, 133 Rn 27; Staud/Peters/Jacoby Rn 14). Die Klage auf Zahlung von Rechtsanwaltsvergütung hemmt sowohl den Anspruch auf die gesetzlichen als auch den Anspruch auf die vereinbarten Gebühren (Hamm NJOZ 2012, 928, 930). Die Klage wegen Existenzvernichtung nach § 826 hemmt die Verjährung eines Anspruchs aus § 146 InsO nicht (BGH NJW-RR 2013, 1321 Rn 17f). Umgekehrt hemmt die Anfechtungsklage nach § 146 InsO auch die Verjährung eines Anspruchs aus Bereicherung oder sittenwidriger Schädigung, wenn der zur Begründung einer Anfechtungsklage vorgetragene Sachverhalt zugleich das Eingreifen weiterer Anspruchsgrundlagen rechtfertigt (BGH ZIP 2015, 2383 Rn 9). Eine Kündigungsschutzklage hemmt nicht die Verjährung von Zahlungsansprüchen des AN wegen Annahmeverzugs (BAGE 152, 75 Rn 16f, 23). Die rechtzeitige Stufenklage auf Auskunft und Zahlung von Zugewinnausgleich hemmt die Verjährung des Ausgleichsanspruchs auch, wenn in der ersten Stufe ein falscher Stichtag genannt wird, weil es sich um denselben Anspruch handelt (BGH MDR 2012, 847f Rn 22). Entspr gilt für weitere Stufen der Auskunft (Schleswig NJW-RR 2016, 73 Rn 26). Die Hemmungswirkung erfasst aber nur die im Stufenverhältnis geltend gemachten Ansprüche, vorbehaltlich des § 213 nicht auch solche, die nicht geltend gemacht werden. Bsp: der nicht geltend gemachte eigenständige (BGH 89, 24, 27f) Wertermittlungsanspruch aus § 2314 (München ErbR 2017, 357f). Nichts Anderes ergibt die von Grothe befürwortete stärker materiell-rechtliche Auslegung von § 204 I Nr 1 (MüKo/Grothe Rn 10). So hemmt die Klage aus dem Wechsel auch die Verjährung des Grundanspruchs (Köln OLGRp 2002, 18). Kann der Anspruch verschiedene technische Ausprägungen erfahren, werden sie alle erfasst. Deshalb hemmt Klage auf Schadensersatz wegen Belastung mit einer Verbindlichkeit auch den Freistellungsanspruch (BGH NJW 1985, 1152, 1154). Etwas Anderes gilt nur, wenn der Freistellungsanspruch zusätzlich zu dem Zahlungsanspruch geltend gemacht wird (BGH ZIP 2008, 412, 416). Dann ist er keine technische Ausprägung des Schadensersatzanspruchs, sondern der Schadensersatzanspruch in Wirklichkeit eine Teilklage, die zu einer nur teilw Hemmung führt (Rn 8). Die gegen denselben Schuldner erhobene Zahlungsklage aus § 2325 hemmt die Verjährung des Duldungsanspruchs aus § 2329 und umgekehrt (BGH NJW 1974, 1327). Entspr gilt für die Umstellung einer auf eine stille Zession geSchmidt-Räntsch

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stützten Klage auf Zahlung an den Zessionar nach Offenlegung der Zession (BGH NJW 1999, 2110, 2111) oder für eine zunächst auf Pfändung, später auf Abtretung gestützte Klage (BGH BGHRp 2007, 887, 888). Die Klage auf Herausgabe des Erlangten führt auch zur Hemmung der Verjährung des Anspruchs auf das Surrogat (BGH NJW-RR 2006, 736, 738). Die Klage auf Schadensersatz wegen eines Beratungs- oder Prospektfehlers hemmt die Klage für alle Beratungsfehler aus dem gleichen Beratungsgeschehen oder Prospekt (BGH 206, 1 Rn 145; BGH ZIP 29015, 1442 Rn 9), auch wenn diese einzelnen Ansprüche begründen und getrennt verjähren (dazu § 199 Rn 24). Der Streitgegenstand begrenzt zugleich auch die Hemmungswirkung: Ansprüche, die sich aus dem zum Gegenstand der Klage gemachten Prozessstoff nicht ableiten lassen, nehmen an der Hemmungswirkung der Klage auch nicht teil (BGH NJW 1996, 1743; Stuttgart OLGRp 2006, 556, 558). Deshalb führt eine Klage aus eigenem Recht nicht zur Hemmung der Verjährung des später eingeklagten abgetretenen Anspruchs (BGH NJW 2005, 2004, 2005; 2007, 2560, 2561). Die Hemmungswirkung einer auch auf eine gewillkürte Prozessstandschaft gestützte Klage tritt erst ein, wenn diese offengelegt oder offensichtlich wird (BGH VIZ 2004, 79, 80). Diese Grundsätze geltend auch für künftige Ansprüche des Gläubigers, deren Verjährung bei Anwendung der sog Schadenseinheitslehre bereits begonnen hat, weil der zum Prozessstoff gemachte Lebenssachverhalt solche Ansprüche erkennen ließ. Diese müssen rechtzeitig zum Gegenstand eines eigenen Feststellungsantrags gemacht werden, der dann Hemmungswirkung auch insoweit hat (BGH NJW 1988, 965, 966; 1995, 1614). Deren Umfang bestimmt sich nach der Interessenlage des Klägers (BGH VersR 2000, 1521; Lepa in ARGE Verkehrsrecht im DAV, Homburger Tage 2000, 7, 11). Bsp: Kündigungsschutzklage hemmt nicht auch die Verjährung der Gehaltsansprüche (BAG 9, 7 = SAE 60 Nr 35 m Anm Larenz; NJW 1961, 1787; AP Nr 31 zu § 4 TVG-Ausschlussfristen; MDR 2003, 939, 940; aM Lüke NJW 1960, 1333; Hueck zu AP § 209 BGB Nr 1; zur Problematik: Güntner BB 1962, 1044; Rewolle DB 1980, 1696; Becker/Bader BB 1981, 1709, 1713ff). Wird wegen Körperverletzung auf Zahlung einer Rente geklagt (§ 843), so wird dadurch zwar auch die Verjährung des Anspruchs auf Kapitalabfindung gehemmt (BGH NJW 1985, 1153, 1154; RG 77, 213, 216), nicht aber die Verjährung eines Schmerzensgeldanspruchs. Durch eine Klage auf Unterlassung einer geschäftsschädigenden Äußerung wird die Verjährung des Anspruchs auf ihren Widerruf nicht gehemmt (BGH NJW 1973, 2285). Die Klage auf Zahlung des „großen Pflichtteils“ (§ 2303 II iVm § 1371 I) hemmt nicht die Verjährung des Anspruchs auf Zugewinnausgleich nach § 1371 II, weil es sich um zwei verschieden ausgestaltete Ansprüche aus verschiedenen Rechtsbereichen handelt (BGH NJW 1983, 388f). Die Verjährung eines Anspruchs, für den der Kommanditist nach § 176 HGB unbeschränkt haftet, wird auch dann gehemmt, wenn der Gläubiger mit der Klage zunächst nur die beschränkte Haftung nach § 171 I HGB geltend macht (BGH NJW 1983, 2813). Die Verjährung eines aus abgetretenem Recht des Pächters stammenden Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung des Eigentums an den Erzeugnissen der Pachtsache wird nicht dadurch gehemmt, dass der Rechtsstreit zunächst der Schadensersatzanspruch auf eine Berechtigung der Miteigentümer der Pachtsache gestützt wird, und zwar auch dann nicht, wenn der Pächter zugleich Miteigentümer der Pachtsache war (BGH NJW 1996, 117). bb) Umfang des Anspruchs. Die Hemmungswirkung tritt nur insoweit ein, wie Klageerhebung erfolgt (Jena OLG-NL 2004, 245; NJW 2016, 1330 Rn 38). Eine unbezifferte Feststellungsklage hemmt grds die Verjährung für den str Anspruch im Ganzen (RG 75, 302). Das gilt auch dann, wenn der Anspruch beziffert, der Gegenstand der Klage aber weiter gefasst ist (MüKo/Grothe Rn 15). Das gilt zB für eine nicht bezifferte Schmerzensgeldklage, in der die tatsächlichen Bemessungsgrundlagen so genau wie möglich und für den Bekl übersehbar angegeben sind; sie hemmt die Verjährung für den ganzen Schadensersatzanspruch (BGH NJW 1974, 1551; 1996, 2425; 2002, 3769). Deshalb hemmt eine bezifferte Schadensersatzklage die Verjährung auch insoweit, als sich der Anspruch auf Geldersatz für einen entgangenen Grundstücksanteil später wegen einer Wertsteigerung des Grundstücks (BGH LM Nr 50 zu § 209 BGB aF) oder der Anspruch auf Ersatz von Vertiefungsschäden wegen Steigerung der Baukosten (BGH NJW 1982, 1809, 1810) erhöht. Entspr gilt für einen Anspruch wegen Beschädigung einer Mietsache, der später wegen gestiegener Beseitigungskosten erweitert wird (BGH WM 1979, 1263). Die hemmende Wirkung der Vorschussklage gegen den Werkunternehmer erfasst auch spätere Erhöhungen der Forderung, sofern sie denselben Mangel betreffen (BGH BGHRp 2005, 958, 959). Dazu müssen die angesprochenen Mängel hinreichend individualisiert werden (Jena NJW 2016, 1330 Rn 38). Werden Rentenansprüche während des Prozesses wegen einer wesentlichen Veränderung der Umstände, die der Schadensbemessung zugrunde liegen (Lohn-, Preisverhältnisse), erhöht, so ergreift die durch Klageerhebung eingetretene Hemmung auch die Verjährung des erweiterten Anspruchs (BGH NJW 1970, 1682). Allerdings muss sie in diesem Sinne als Teilklage noch erkennbar sein. Das ist bei Veränderungen der Forderungen, die auf einer Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse beruhen, der Fall, bei anderen dagegen nicht (BGH NJW 2002, 2169). Eine sog verdeckte Teilklage, bei der weder der Schuldner noch das Gericht (auch unter Berücksichtigung einer Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse) erkennen können, dass sie das Begehren nicht voll abdeckt, hemmt nur für den erkennbar gewordenen Teil (BGH MDR 1996, 932; NJW 2002, 2169 und 3769; KG KGRp 2004, 576, 578; Hamm VersR 2006, 1527). Die Möglichkeit, dass der Anspruch höher ausfällt, ist aber bei Schmerzensgeld immer erkennbar (BGH NJW 2002, 3769). Eine als Stufenklage erhobene Leistungsklage hemmt die Verjährung des Leistungsanspruchs auch dann, wenn zunächst nur der Auskunftsantrag gestellt wird (Brandenburg OLGRp 2005, 547; Naumburg OLGRp 2005, 950). Eine Stufenklage auf Zahlung von Schadensersatz wegen schuldhaft veranlasster Kündigung eines Vertragsverhältnisses hemmt die Verjährung auch hins eines zunächst nicht einbezogenen Zeitraums, wenn der gesamte Zeitraum Gegenstand des Rechtsstreits und dies für den Gegner erkennbar war (BGH MDR 1978, 467, 468). Wird ein Anspruchsteil rechtshängig gemacht, so hemmt eine solche Teilklage 620

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Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

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die Verjährung des Anspruchs nur für den eingeklagten Teil, nicht für den ganzen Anspruch (BGH 66, 142, 147; MDR 1998, 272; NJW 2009, 1950, 1951; RG 115, 27; 57, 372; Frankfurt OLGRp 2001, 85; Koblenz OLGRp 2009, 560; Zweibrücken ZEV 2010, 44, 45), auch nicht, wenn Geltendmachung des Restes vorbehalten ist und in der Klagebegründung der Anspruch seinem ganzen Umfang nach dargelegt wird (RG 77, 213). Eine spätere Klageerweiterung auf das Ganze kann dann die zuvor eingetretene Verjährung des Restanspruchs nicht mehr ausräumen (BGH 103, 298, 301). Eine Stufenklage hemmt die Verjährung eines zunächst noch unbestimmten Leistungsanspruchs nur in der Höhe, in der dieser Anspruch nach Erfüllung der seiner Vorbereitung dienenden Hilfsansprüche beziffert wird, sie hindert indessen die Verjährung weiterer, zunächst nicht geltend gemachter Anspruchsteile nicht (BGH NJW 1992, 2563). Die Reichweite der Hemmungswirkung in Bezug auf die Ansprüche bestimmt sich nach dem Streitgegenstand: 9 Eine Klage auf Erstattung eines Teiles von Mängelbeseitigungskosten (§ 637 I, VOB/B [2002] § 13 Nr 5 II) hindert nicht die Verjährung des Anspruchs auf Ersatz weiterer Kosten, die bei der Nachbesserung derselben Mängel entstanden sind (BGH 66, 142, 147). Die Minderungsklage hemmt nicht die Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs und die Unwirksamkeit des auf die Mangelhaftigkeit gestützten Rücktritts gem § 218 I 1 (BGH 205, 151 Rn 17f). Der Anspruch auf Ersatz von Mängelbeseitigungskosten ist ein endgültiger Anspruch, die Geltendmachung von Teilen hiervon ist Teilklage. Dagegen hemmt eine Klage auf Zahlung eines Vorschusses für die voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten nach § 637 III auch die Verjährung des späteren, mit Kostensteigerungen begründeten Anspruchs auf Zahlung eines höheren Vorschusses zur Behebung desselben Mangels, da Gegenstand der Klage der Vorschussanspruch ist, der nichts Endgültiges ist und später abgerechnet werden muss (BGH 66, 138, 141). Die Klage auf Schadensersatz wegen verzögerter Wiederherstellung der Mietsache hemmt nicht auch den Wiederherstellungsanspruch selbst, weil die Streitgegenstände verschieden sind (BGH 104, 6, 12). Liegt zunächst nur ein nicht aufgegliederter Antrag wegen verschiedener Teilansprüche vor, so wird die Verjährung für jeden Teilanspruch iHd Gesamtsumme gehemmt, nicht aber für den weiteren, die Gesamtsumme übersteigenden Teil der Einzelansprüche (BGH NJW 1959, 1819 m Anm Arens ZZP 69, 143; NJW-RR 1988, 692). Die Hemmungswirkung der nicht aufgegliederten Teilansprüche ist auflösend bedingt. Im Verlauf des Rechtsstreits muss eine Konkretisierung erfolgen; geschieht dies nicht, entfällt die Hemmungswirkung vollständig (BGH 11, 192, 195; NJW 1959, 1819; 1984, 2346, 2347; NJW-RR 1996, 885). Erfolgt sie, wirkt sie gewissermaßen zurück und sichert die Hemmungswirkung (BGH WM 2014, 1544 Rn 16; 2015, 1202 Rn 29). cc) Hemmung von Sekundäransprüchen. Eine Besonderheit gilt bei Amtshaftungs- und ähnlichen Ansprüchen 10 gegen den Staat. In einem Teil der Fälle ist hier ein Vorverfahren vorgeschrieben. Dann gilt für die Hemmung Abs I Nr 12. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist ein solches Verfahren aber nicht vorgeschrieben. In diesen Fällen muss zunächst die Rechtmäßigkeit der haftungsauslösenden hoheitlichen Maßnahme vor den Verwaltungs-, Sozial-, Finanz- oder auch EU-Gerichten (BGH WM 2004, 693) überprüft werden. Erst danach kann der davon abhängige sog Sekundäranspruch zweckmäßigerweise verfolgt werden. Streitgegenstand des Verfahrens vor den öffentlich-rechtl Gerichtsbarkeiten ist aber formal nicht dieser Sekundäranspruch, sondern die Maßnahme, an die er anknüpft. Die Rspr misst der rechtzeitig erhobenen Klage im sog Primärrechtsweg unterbrechende, jetzt hemmende Wirkung auch für Sekundäransprüche zu. Daran hat sich nichts geändert (MüKo/ Grothe Rn 12; Soergel/Niedenführ Rn 13). Dies ist anerkannt für die Verjährung des Entschädigungsanspruchs aus Amtshaftung und enteignungsgleichem Eingriff (BGH 95, 238, 242; 97, 97, 110; 122, 317, 323; 181, 199, 217; 188, 302, 314; NJW 1995, 2778, 2779; MDR 2011, 599, 600), und zwar auch unabhängig von den prozessualen Besonderheiten des Primärrechtsschutzes (BGH 188, 302, 316) und auch dann, wenn das amtspflichtwidrige Verhalten nicht in dem Erlass, sondern im Vollzug eines Verwaltungsakts gesehen wird (BGH 97, 97, 100; NJW 1995, 2778, 2779). Durch Geltendmachung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs mittels Klage vor den Sozialgerichten wird die Verjährung des Amtshaftungsanspruchs gehemmt, der auf dasselbe Fehlverhalten des Sozialverwaltungsträgers gestützt wird (BGH NJW 88, 1776; NVwZ-RR 2000, 746, 749; MDR 2011, 599, 600). Der Grundsatz des Vorrangs des Primärrechtsschutzes hat zur Folge, dass es anders als sonst (BGH WM 1988, 1030) ggü dem Staat nicht darauf ankommt, dass der Beklagte des Verwaltungsrechts-, Sozial- oder Finanzrechtsstreits die gleiche Körperschaft ist wie die, die später auf Schadensersatz verklagt wird (Brandenburg NVwZ 2001, 704, 707). Diese Grundsätze gelten nicht nur dann, wenn die Verwaltungsmaßnahme vor einem Gericht der Verwaltungs-, Sozial- oder Finanzgerichtsbarkeit zu überprüfen ist. Sie gelten in gleicher Weise, wenn eine solche Überprüfung anderen Gerichten vorbehalten ist, wie zB die Überprüfung von Sonderungsbescheiden nach dem BoSoG den ordentlichen Gerichten oder die Überprüfung von Umlegungsentscheidungen den Kammern für Baulandsachen oder Flurbereinigungsmaßnahmen den Flurbereinigungsgerichten. Diese Grundsätze gelten nicht für pachtrechtliche Ansprüche aus Anlass der Übertragung bzw Inanspruchnahme der Milchquote (BGH AgrarR 2001, 19, 20; Celle NdsRpfl 2003, 116; Rn 31). f) Gerichtsarten, Sonderfälle. Die Hemmung soll nach der Idee des Gesetzes durch die Erhebung der Klage vor 10a dem zuständigen ordentlichen Gericht eintreten. Sind für den Streitfall andere Gerichte zuständig, so tritt die Hemmung mit der Erhebung der Klage bei diesen Gerichten ein. Bsp hierfür sind etwa die Rhein-, Mosel- und sonstigen Schifffahrtsgerichte (§ 14 GVG) und die Arbeitsgerichte. Eine Zuständigkeit anderer Gerichte für die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche wird in aller Regel nicht gegeben sein. Da es aber nicht darauf ankommt, ob die Klage vor dem zuständigen Gericht erhoben wird, wird die Hemmungswirkung auch durch eine bei einem anderen Gericht erhobene Klage ausgelöst. Das lässt sich zwar heute nicht mehr mit § 212 aF begrün-

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den, folgt aber aus § 17b I 2 GVG (BGH 35, 374, 377, 378). Normalerweise wird die Anrufung unzuständiger Gerichte nicht sinnvoll sein. Bei den Fachgerichtsbarkeiten ist die Klage aber schon mit Eingang bei Gericht erhoben, nicht erst mit Zustellung. Das kann ein Vorteil sein, wenn die Zustellung schwierig ist. Das frühere Risiko des rückwirkenden Fortfalls der Unterbrechungswirkung besteht heute nicht mehr; nach heutigem Recht endet die Hemmungswirkung dann ggf schneller (§ 204 II). Die Klageerhebung vor einem ausl Gericht löst jedenfalls im Anwendungsbereich der VO (EU) Nr 1215/2012 die Hemmungswirkung aus wie die Klage vor einem inl Gericht (Frankfurt IHR 2016, 172, 174). Denn die Klage dort begründet nach Art 29 VO (EU) Nr 1215/2012 i Erg den Einwand der Rechtshängigkeit. Das gilt auch für die Klage vor einem unzuständigen ausl Gericht (Düsseldorf DB 1978, 584; Soergel/Niedenführ Rn 12). Außerhalb der VO (EU) Nr 1215/2012 und bi- oder multilateralen Anerkennungs- und Vollstreckungs-Übk wird man nach wie vor mit dem RG (129, 385, 389f; JW 1926, 374 Nr 6) Hemmungswirkung nur annehmen können, wenn das Urt anerkennungsfähig wäre (§ 328 ZPO; Einzelheiten bei RGRK/Johannsen § 209 Rn 29; NK/Mansel Rn 27f). Denn andernfalls wäre die Erhebung der Klage zur Rechtsverfolgung ungeeignet und könnte nicht als Klageerhebung iSd § 204 I Nr 1 angesehen werden (aM MüKo/Grothe Rn 9: Anerkennung schlechthin). Diese Frage hat aber nur untergeordnete praktische Bedeutung, da die Anerkennungsfähigkeit in den meisten Fällen außer Frage steht. Die Anrufung supranationaler Gerichte wie des EuG und des EuGH reicht zur Erhebung der Klage dagegen idR nicht aus, weil sie für Zivilklagen von Privatpersonen untereinander einen schlechthin wirkungslosen Versuch, Recht zu suchen, darstellt und deshalb zur Erhebung der Klage nicht ausreicht (dazu BGH 35, 374, 377; s aber BGH WM 2004, 693). Der Klageerhebung stehen gleich: der Antrag nach § 404 II StPO, durch den im Adhäsionsverfahren ein aus einer Straftat erwachsener vermögensrechtlicher Anspruch geltend gemacht wird (Rostock OLGRp 2000, 47; Jaeger ZGS 2003, 329, 330); nach § 11 VII RVG der Antrag auf Festsetzung der Anwaltsvergütung (dazu BGH 21, 199, 204) und der Antrag auf Festsetzung der Insolvenzverwaltervergütung (LG Stade ZInsO 2005, 367). Hemmung der Verjährung bewirkt nach §§ 52 I SGB X, 53 I VwVfG auch ein Verwaltungsakt, bevor er unanfechtbar geworden ist. Ein Beitragsbescheid (Verwaltungsakt) der Krankenkasse hemmt deshalb die Verjährung von Beitragsrückständen, da diese ihre Ansprüche durch Bescheid titulieren darf und es ihr deshalb für eine Klage am Rechtsschutzinteresse mangeln würde (so schon BGH NJW 1970, 1567). Das gilt aber nur für die öffentlichrechtl Forderungen, die durch Bescheid tituliert werden dürfen. Deshalb führt ein Haftungsbescheid nicht zur Hemmung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung (LG Dresden ZInsO 2004, 988, 989). 2. Vereinfachtes Unterhaltsverfahren (Abs I Nr 2). Nach Nr 2 hat der Antrag im vereinfachten Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger gem §§ 249ff FamFG hemmende Wirkung. Er ersetzt nämlich funktionell die Klage im Zivilprozess und den Antrag im str Verfahren nach §§ 124, 231 FamFG und muss deshalb die gleiche Wirkung haben. 3. Mahnbescheid (Abs I Nr 3). Die Zustellung eines Mahnbescheids im Mahnverfahren auch nach § 113 II FamFG führt wie die Erhebung der Klage und die Zustellung des Antrags in Familienstreitsachen nach §§ 113 I 2, 124 FamFG zur Hemmung. Für die Hemmungswirkung gelten die gleichen Grundsätze wie für die Klage. Es kommt deshalb – vorbehaltlich des Rechtsmissbrauchs (dazu Rn 37a) – nicht auf die Zulässigkeit, sondern allein auf die Wirksamkeit des auf den Mahnantrag hin erlassenen und zugestellten Mahnbescheides an (BGH NJW 2012, 995 Rn 8; Koblenz DWW 2016, 146). Wie bei der Klage kommt es auf die Zustellung an. Die Einreichung reicht allerdings, wenn die Zustellung demnächst (dazu Klose MDR 2010, 11f) erfolgt, § 167 ZPO. Formale Fehler des Mahnbescheids(-antrags) stehen der Hemmungswirkung nicht entgegen. Hemmungswirkung hat deshalb auch ein Mahnbescheid dem (zunächst) die Unterschrift fehlte. Für einen Verstoß § 688 II Nr 2 ZPO (kein Mahnbescheid bei Abhängigkeit der Forderung von einer Gegenleistung) wurde das früher auch so gesehen (Koblenz OLGRp 2005, 349, 350). Der BGH lässt das heute nur bei einem Ausfüllungsversehen zu; wird das Kreuz bewusst nicht gesetzt, ist die Erwirkung des Mahnbescheids unzulässig; die Hemmungswirkung tritt nicht ein (Rn 15a). Auch Mängel der Substantiierung, an die keine hohen Anforderungen zu stellen sind (BGH NJW 2000, 1420; MDR 1967, 993; Brandenburg 27.8.2009 – 12 U 1/09, Rn 34ff; Zhang aaO, 99ff), stehen der Hemmungswirkung nicht entgegen (BGH NJW 1967, 2354), ebenso wenig das Fehlen von Begründungsteilen (BGH MDR 2003, 764, 765) oder materiell-rechtliche Ungenauigkeiten (BGH BGHRp 2005, 357: Abtretung statt Einziehungsermächtigung genannt; ähnlich NJW 2009, 56, 57), wohl aber die fehlende Individualisierung (BGH 172, 42 Rn 39; MDR 2001, 346 m abl Anm Maniak 347; NJW 2009, 56, 57; Düsseldorf BauR 2001, 1911; Köln OLGRp 2006, 550, 551; 2001, 334; KG KGRp 2005, 481; MDR 2015, 1285, 1286, Dresden WM 209, 2371, 2372; LG Stendal ZIP 2006, 753, Klose MDR 2010, 11, 12). Der Gegner muss erkennen können, worum es geht (BGH NJW 2016, 1083 Rn 16). Dazu gehört bei einer Klage wegen Mängelrechten die Angabe, aus welchen Mängeln Ansprüche abgeleitet werden (Jena NJW 2016, 1330 Rn 38). Werden mit einem Mahnbescheid mehrere Einzelforderungen geltend gemacht, muss der Schuldner, nicht auch ein außenstehender Dritter (BGH 172, 42 Rn 46; BGH MDR 2010, 1097, 1098; 13.5.2011 – V ZR 49/10, Rn 9; NJW 2016, 1083 Rn 18) erkennen können, aus welchen Einzelforderungen sich der Klagebetrag ergibt (BGH MDR 2008, 1294; 2013, 1421 Rn 17; NJW 2016, 1083 Rn 17). Es muss auch deutlich werden, ob aus eigenem oder abgetretenem Recht vorgegangen wird (BGH BKR 2015, 216 Rn 3). Die Nachholung der Individualisierung wirkt nur ex nunc (BGH NJW 2001, 305, 307; 2009, 56 Rn. 7; MDR 2008, 1294, 1295; 2013, 1421 Rn 17; 2016, 1083 Rn 29; Celle NJW 2015, 90, 92; PWW/Kesseler Rn 9; Grothe, NJW 2015, 17, 19), und zwar auch dann, wenn der Mahnbescheid trotz fehlender Individualisierung erlassen worden ist (BGH WM 2008, 1935 Rn 16; 2009, 420 Rn 20; ZInsO 2016, 656 Rn 14; ZIP 2017, 617 Rn 16). Das gilt etwa für eine Forderung, die auf Ansprüche wegen verschiedener Mängel einer Kaufsache oder eines Werks gestützt 622

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Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

§ 204

ist. Die Mängel sind keine Rechnungsposten eines einheitlichen Anspruchs, sondern Gegenstand verschiedener aus demselben Vertrag abgeleiteter Einzelansprüche und müssen individualisiert werden, um die Hemmungswirkung zu erreichen (BGH 172, 42 Rn 45; Celle NJW 2015, 90, 92). Für diese Individualisierung reicht es bei einem Anspruch wegen Beratungsfehlern aber aus, wenn der fehlerhafte Prospekt oder der Beratungsvorgang benannt wird; einer Bezeichnung der konkreten Beratungsfehler bedarf es nicht (BGH 198, 294 Rn 17; 203, 1 Rn 146; ZIP 2015, 1442 Rn 9; Pioch MDR 216, 863f). Im Ansatz anders liegt es, wenn eine einheitliche Forderung aus mehreren Rechnungsposten besteht. Deren fehlende Nennung ändert an der Individualisierung der Forderung nichts und kann auch nach Ablauf der Verjährungsfrist noch nachgeholt werden (BGH MDR 2013, 1421 Rn 16). Die Einreichung bei einem unzuständigen Gericht genügt, vorausgesetzt, dass die Zustellung „demnächst“ erfolgt (BGH 86, 314, 322f; 150, 221). „Demnächst“ ist idR ein Zeitraum von vier Wochen (analog § 691 II ZPO, BGH 150, 221, 225f; NJW 2011, 842, 843), kann im Einzelfall aber auch länger sein (Hamm ZMR 2002, 912; Einzelheiten bei Pioch MDR 2016, 863, 864; aM Zhang aaO, 111f). Auf die „demnächstige“Abgabe an das Prozessgericht kommt es nicht an (BGH NJW 1996, 2152; Saarbrücken OLGRp 2006, 204, 205; Ebert NJW 2003, 732, 733). Die Hemmung nach Abs I Nr 3 gilt auch für vergleichbare ausl Anträge (BGH NJW-RR 2002, 937; MüKo/ Grothe Rn 33; überholt daher München OLGRp 2000, 237), die nach Art 5 RL 2000/35/EG (ABl EG Nr L 200/35) in den Mitgliedstaaten der EU einzuführen sind. Zur Hemmung führt auch der Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls nach Art 7, 12 der VO (EG) Nr 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl EU Nr L 399/1). Die vollmachtlose Beantragung eines Mahnbescheids hemmt, wenn der Gläubiger später genehmigt (BGH LM Nr 10 zu § 209 BGB Nr 10). Reicht ein Prozessstandschafter den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids ein, so tritt Unterbrechung der Verjährung nur ein, wenn schon im Mahnbescheid angegeben wird, dass ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend gemacht wird (BGH NJW 1972, 1580). Wird der Mahnbescheid erst nach Insolvenz des Verpflichteten zugestellt, so hemmt er die Verjährung ggü diesem nicht mehr (RG 129, 339). Die Verjährung eines Anspruchs wird auch durch Zustellung eines Mahnbescheids grds nur in der Gestalt und in dem Umfang gehemmt, wie er mit dem Mahnbescheid geltend gemacht wird. Der Mahnantrag hemmt die Verjährung nur für den Anspruch, der sich aus dem mitgeteilten Lebenssachverhalt ergibt. Die für einen Anspruch ausreichende Individualisierung führt nicht zu einer Hemmung der Verjährung auch für verjährungsrechtlich selbständige Ansprüche, die im Hinblick auf den relevanten Sachverhalt, die Anspruchsvoraussetzungen und die Rechtsfolgen wesensmäßig verschieden sind (BGH NJW 1992, 1111; NJW-RR 2009, 544). Soll der Anspruch auf mehrere Lebenssachverhalte gestützt werden, muss das aus dem Mahnbescheid hervorgehen, weil der Schuldner sonst den Umfang der Hemmung nicht erkennen könnte (BGH NJW 2001, 305, 306; WM 2006, 592, 594). Anders liegt es nur bei subsidiären Ansprüchen und Folgeansprüchen, wenn es sich nicht um wesensmäßig verschiedene Ansprüche handelt und sie dem gleichen Rechtsverfolgungsziel dienen (BGH NJW 1992, 111; NJW-RR 2009, 544, 545). Hemmung tritt daher ein, wenn der Anspruch auf Zahlung einer Geldschuld in ausl Währung geht und nur für das Mahnverfahren in inl Währung umgerechnet worden ist (BGH 104, 268ff). Die Bezeichnung eines Anspruchs als „Zugewinnausgleich“ rechtfertigt eine sichere Abgrenzung zu anderen materiellrechtlichen Ansprüchen, so dass die Verjährung für einen weiteren Teil des Ausgleichsanspruchs gehemmt wird (BGH NJW 1996, 2152). Dagegen sind ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung und ein Werklohnanspruch wesensmäßig verschieden, so dass eine Verjährungshemmung des einen Anspruchs keine Hemmungswirkungen für den anderen Anspruch auslösen kann (BGH 92, 494). Entspr gilt für einen Anspruch auf „Schadensersatz wegen Beratungsverschuldens“, der auch auf ungerechtfertigte Bereicherung wegen unwirksamer Vollmacht gestützt werden soll (BGH NJW-RR 2009, 544, 545). Dagegen erfasst die Hemmung eines Mahnbescheids wegen Anlageberatungsfehlern auch die Haftung wegen Beratungsfehlern, die in dem Mahnbescheid nicht konkret aufgeführt sind und zum Streitgegenstand gehören (BGH ZIP 2015, 1442 Rn 9; 16.7.2015 – III ZR 239/14, juris Rn 15). Die Berufung auf die durch die Zustellung eines Mahnbescheids bewirkte Hemmung ist rechtsmissbräuchlich und nach § 242 unzulässig, wenn die Zustellung des Mahnbescheids durch falsche Angaben ermöglicht wurde. Wird großer Schadensersatz, der nach § 281 V, § 348 nur Zug um Zug gegen Herausgabe des erlangten Vorteils verlangt und darum gem § 688 II Nr 2 ZPO im Mahnverfahren nicht geltend gemacht werden kann, dennoch unter falschen Angaben im Mahnverfahren geltend gemacht, führt die Zustellung des Mahnbescheids i Erg nicht zu einer Hemmung der Verjährung (BGH WM 2014, 1763 Rn 11; ZIP 2015, 1832 Rn 23 und 1590 Rn 24; 16.7.2015 – III ZR 239/14, juris Rn 18ff; dazu Regenfus NJW 2016, 2977, 2979). Der Missbrauch ist allerdings nicht immer leicht zu erkennen, weil er nicht vorliegen soll, wenn der Kläger nur seine Schadensberechnung, nicht aber den Lebenssachverhalt ändert, auf den er sich stützt (BGH ZIP 2014, 1985 Rn 11). Es wird Unzulässigkeit anzunehmen sein, wenn das Schadenersatzverlangen eine Rückgewähranspruch nach § 281 V auslöst. 4. Streitbeilegungsverfahren (Abs I Nr 4). Ein Streitbeilegungsantrag bei einer Streitbeilegungsstelle lässt ebenfalls eine Hemmung eintreten (krit Staudinger/Eidenmüller NJW 2004, 23, 25). Der Begriff der Streitbeilegungsstelle umfasst die in § 794 I Nr 1 ZPO genannten Gütestellen, geht aber darüber hinaus. Ein Streitbeilegungsantrag an eine Streitbeilegungsstelle erfasst wie die Klage (dazu Rn 7, 9) alle materiellrechtlichen Ansprüche, die sich im Rahmen des Rechtsschutzbegehrens aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen (BGH 206, 41 Rn 15). Auch für den Antrag an eine Streitbeilegungsstelle gilt das Individualisierungsgebot. Auch in einem Streitbeilegungsantrag muss das Begehren konkret erkennen lassen und hinreichend genau bezeichnen. Allerdings sind keine allzu strengen Anforderungen zu stellen (BGH 206, 41 Rn 23f; ZIP 2015, 2325 Schmidt-Räntsch

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Rn 15, 18; 2016, 436 Rn 16; VersR 2016, 907 Rn 16; Hamm NJOZ 2015, 1095 Rn 53; Karlsruhe MDR 2015, 265; KG MDR 2015, 975, 976; München 20.6.2016 – 21 U 3849/14, juris Rn 30). Der Schuldner muss dem Antrag aber schon entnehmen können, was der Gläubiger auf Grund welcher Vorgänge verlangt (Regenfus NJW 2016, 2977, 2978f), worum es geht (BGH 206, 41 Rn 18); die Streitbeilegungsstelle muss ihm den Gegenstand der beabsichtigten Schlichtung soweit entnehmen können, dass sie ihre Aufgabe wahrnehmen kann (BGHZ 206, 41 Rn 24). Dazu genügt bei einem Prospekt- oder Beratungsfehler die Bezeichnung des Prospekts oder des Beratungsgeschehens (BGH 203, 1 Rn 146; BGH ZIP 2015, 1442 Rn 12). Eine Bezifferung erscheint dafür nicht erforderlich (May/Moeser NJW 2015, 1637f). Eine Bezugnahme auf Unterlagen reicht nur, wenn diese dem Antrag beigefügt sind (BGH ZIP 2015, 2482 Rn 19; aM May/Moeser NJW 2015, 1637, 1639). Erfasst werden nicht nur von der Landesjustizverwaltung anerkannte Gütestellen, die das Gesetz früher bezeichnet, sondern auch andere staatliche oder staatlich anerkannte, also auch andere durch Bundesrecht eingerichtete Streitbeilegungsstellen (BGH GRUR 2014, 357 Rn 28; May/Moeser NJW 2015, 1637). Dies gilt, wie sich aus der jetzt offeneren Formulierung in § 204 I Nr 4 ergibt, nicht nur für die von den Landesjustizverwaltungen anerkannten Gütestellen iSd § 794 I Nr 1 ZPO, sondern auch auf die Verfahren vor einer „sonstigen Gütestelle, die Streitbeilegungen betreibt“ iSv § 15a III EGZPO (Hamm NJOZ 2015, 1095 Rn 45). Das können eine VOB-Schiedsstelle (ähnlich BGH NJW 2002, 1488, 1489) oder eine Einigungsstelle nach BPersVG und LPersVertrR (LAG Berlin 26.6.2002 – 15 Sa 467/02) sein. Zusätzliche Voraussetzung der Hemmungswirkung ist in Übereinstimmung mit § 15a III 1 EGZPO, dass der Einigungsversuch von den Parteien einvernehmlich unternommen wird, wobei dieses Einvernehmen nach § 15a III 2 EGZPO bei Verbraucherschlichtungsstellen (§ 2 VSBG), branchengebundenen Gütestellen oder den Gütestellen der Industrie- und Handelskammern, der Handwerkskammern oder der Innungen unwiderleglich vermutet wird. Diese Vermutung gilt auch im Rahmen von § 204 I Nr 4 (BGH MDR 2017, 395 Rn 13f). Die Anbringung muss unter Einhaltung der in der Verfahrensordnung der Streitbeilegungsstelle vorgeschriebenen Formalien (BGH 206, 41 Rn 21), insb in der für die jew Streitbeilegungsstelle vorgeschriebenen Form erfolgen. Verlangt diese Schriftform, genügt nur die Einreichung per Brief oder in analoger Anwendung von § 130 Nr 6 ZPO auch per Fax (BGH 22.2.2008 – V ZR 87/07, juris Rn 12), nicht aber eine Einreichung per E-Mail (BGH NJW 2008, 506f). Muss dem Antrag auch eine Vollmacht beigefügt werden, muss auch sie vor Ablauf der Verjährungsfrist schriftlich vorgelegt oder gefaxt werden; die Übermittlung einer Kopie genügt dann nicht (BGH 22.2.2008 aaO). Erforderlich ist außer Zahlung eines Gebührenvorschusses auch die alsbaldige Benachrichtigung des Gegners (Hamburg MDR 1965, 130; Schumacher MDR 1956, 590). Die Verjährung wird auch dann gehemmt, wenn der Antragsteller bei der Streitbeilegungsstelle keinen Gerichtsstand hat (BGH 123, 337, 342f zu § 209 aF). Auch auf vertragliche Güte- oder Streitbeilegungsklauseln, die eine Vereinbarung der Einholung eines Vergleichsvorschlags bei einem Dritten vorsehen, ist § 204 I Nr 4 anzuwenden. Der BGH hat dies unter altem Recht zwar abgelehnt (BGH MDR 1993, 421; vgl aber NJW 2002, 1488, 1498). Da es aber auch bei den sonstigen Streitbeilegungsstellen nicht auf die Anerkennung durch die Landesjustizverwaltung, sondern darauf ankommt, dass der Einigungsversuch einvernehmlich unternommen wird (BT-Drs 14/6040, 114), besteht – anders als bisher – ein sachlicher Grund für eine Differenzierung nicht mehr (MüKo/Grothe Rn 35). Analog § 15a III 2 EGZPO ist dies Einvernehmen bei Verbraucherschlichtungsstellen, branchengebundenen Gütestellen zu vermuten (BT-Drs 14/6040, 114; NK/Mansel Rn 74). Eine Verbraucherschlichtungsstelle oder sonstige Gütestelle kann, wenn die Parteien sie einvernehmlich anrufen, auch eine ausl Stelle sein. Denn auch solche Stellen unterscheiden sich nicht von den übrigen sonstigen Gütestellen (Friedrich NJW 2003, 1781, 1782 gegen BGH NJW-RR 1993, 1059, die aber überholt ist; offen NK/Mansel Rn 76). Die Berufung auf die durch die Bekanntgabe des Antrags bewirkte Hemmung ist treuwidrig und damit unzulässig, wenn die Anrufung der Streitbeilegungsstelle rechtsmissbräuchlich ist. Das ist nicht schon anzunehmen, wenn sie nur zur Verjährungshemmung erfolgt (BGH 123, 337 344f; ZIP 2015, 2426 Rn 33; VersR 2016, 907 Rn 17; München 19.1.2017 – 23 U 2839/16, juris Rn 100; Schleswig GI aktuell 2016, 173, 175), wohl aber dann, wenn schon vor der Einreichung des Streitbeilegungsantrags feststeht, dass der Antragsgegner nicht bereit ist, an einem Streitbeilegungsverfahren mitzuwirken und sich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen, und er dies dem Antragsteller schon im Vorfeld in eindeutiger Weise mitgeteilt hat (BGH ZIP 2015, 2426 Rn 34f; 17.2.2016 – IV ZR 374/14, juris Rn 12). Anders als früher löst nicht die Anbringung und auch nicht die Bekanntgabe des Streitbeilegungsantrags, sondern die Veranlassung der Bekanntgabe des Antrags die Hemmung aus. Die Bekanntgabe als Anknüpfungspunkt hat der Gesetzgeber aufgegeben, weil eine Bekanntgabe durch förmliche Zustellung von § 15a EGZPO nicht vorgeschrieben ist und so auch eine formlose Bekanntgabe, insb durch einfachen Brief, möglich ist. Der Gesetzgeber hatte Sorge, dass der Schuldner bestreitet, den Brief erhalten zu haben, was in der Praxis kaum zu widerlegen ist und die Hemmungsregelung untauglich werden ließe. Deshalb ist auf das aktenmäßig nachprüfbare Vorgehen der Streitbeilegungsstelle abzustellen. Wenn die Streitbeilegungsstelle die Bekanntgabe des Streitbeilegungsantrags veranlasst, also bspw den an den Schuldner adressierten Brief mit dem Antrag zur Post gibt, sollen die Voraussetzungen für die Hemmung erfüllt sein (BT-Drs 14/7052, 181). Erfolgt die Veranlassung der Bekanntgabe demnächst nach der Einreichung des Antrags, so tritt die Hemmung der Verjährung bereits mit der Einreichung ein. Anders als bisher kommt es also nicht auf die Mitteilung (Hamburg MDR 1965, 130), sondern darauf an, dass sie veranlasst wird. Für die Auslegung des Begriffs demnächst kann auf die Rspr zu § 167 ZPO (Rn 6) zurückgegriffen werden (BGH 182, 284 Rn 14). Auch hier gehen Versäumnisse der Streitbeilegungsstelle bei der Veranlassung der Bekanntgabe des Antrags an den Gegner nicht zu Lasten des Antragsstellers (BGH 182, 284 Rn 15). Allerdings sind auch hier Versäumnisse des Antragstellers und seines Prozessbevollmächtigten zu 624

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Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

§ 204

berücksichtigen (Hamm 26.11.2015 – 34 U 98/15, juris Rn 59: Herbeiführen der Überlastung durch 12.000 Anträge des Prozessbevollmächtigten). 5. Prozessaufrechnung (Abs I Nr 5). Die Verjährung wird auch durch die Aufrechnung im Prozess, wozu auch 18 das Verfahren nach dem FamFG gehört, gehemmt. Dazu muss die Aufrechnung im Prozess selbst erklärt oder vorgetragen werden, sie sei außerprozessual erklärt worden (Pal/Ellenberger Rn 20). Praktische Bedeutung kommt ihr als Hemmungsgrund zu, wenn die Aufrechnung erfolglos erklärt ist, sei es, dass der Klageanspruch schon aus anderen Gründen abgewiesen wird (Eventualaufrechnung), sei es, dass Aufrechnung nicht zulässig ist (BGH 160, 259, 263; Düsseldorf GI 1999, 301; Pal/Ellenberger Rn 20; MüKo/Grothe Rn 37). Die Hemmung erfordert ein prozessuales Tätigwerden des Gläubigers, für eine Eventualaufrechnung daher die Abgabe einer Aufrechnungserklärung (BGH BB 1965, 1372; RG HRR 1938, Nr 1041); sonst tritt keine Hemmung ein. Diese kann in einem Schriftsatz, aber auch durch mündliche Erklärung in der mündlichen Verhandlung erklärt werden. Die Verjährung eines Anspruchs wird durch die Geltendmachung der Aufrechnung im Prozess auch dann gehemmt, wenn die Aufrechnung aus prozessualen Gründen unzulässig ist (BGH 83, 260, 271; PWW/Kesseler Rn 12; Staud/Peters/ Jacoby Rn 67). Die Prozessaufrechnung wird regelmäßig vom Beklagten erklärt werden; denkbar ist aber auch die Prozessaufrechnung des Klägers (Koblenz OLGRp 2000, 470; BaRo/Henrich Rn 27; MüKo/Grothe Rn 37). Ein denkbarer Fall ist die Aufrechnung des Klägers gegen eine Widerklageforderung. Hemmungswirkung hat auch die mehrstufige Aufrechnung im Prozess, also der Fall, dass der Kläger gegen eine vom Beklagten zur Aufrechnung gestellte Forderung wiederum mit einer eigenen Forderung aufrechnet (BGH 176, 128, 131; NJW-RR 2009, 1169, 1171). Köln (NJW-RR 1989, 1079, 1080; dem folgend MüKo/Grothe Rn 37; Soergel/Niedenführ, § 209 Rn 24; jurisPK/Lakkis, § 204 Rn 52) hatte dies mit der Begründung abgelehnt, im Prozess müsse eine Entscheidung über die Aufrechnung möglich sein. Dafür lässt sich der Vorschrift nichts zu entnehmen. Die in ihr ausgesprochene Hemmungswirkung tritt auch nur ein, wenn es gerade nicht zu einer Entscheidung über die Aufrechnung kommt. Gehemmt wird die Verjährung für den Anspruch nur insoweit, wie Aufrechnung erklärt wird, also nicht über die Höhe des Klageanspruchs hinaus (BGH NJW-RR 2008, 521, 522; 2009, 1169, 1170; LM Nr 57 zu § 209 aF). Die Hemmungswirkung tritt nur ein, wenn die Aufrechnung im Prozess ggü dem richtigen Schuldner erfolgt (BGH 80, 222, 226). Die Aufrechnung führt nämlich deshalb zur Hemmung, weil der Gläubiger mit ihr ggü dem Schuldner seinen Rechtsverfolgungswillen genauso deutlich macht wie bei einer Klage und dieser ebenso wie bei der Klage damit rechnen muss, auch noch nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist in Anspruch genommen zu werden. Das kann nur bei der Klage und der Aufrechnung gegen den richtigen Schuldner gelingen (BGH aaO). Eine Ausnahme gilt bei der Aufrechnung gegen eine abgetretene Forderung im Prozess des Zessionars gegen den Schuldner. Hier darf der Schuldner nach Maßgabe von § 406 materiell-rechtlich mit Forderungen gegen den Zedenten aufrechnen. Diese Möglichkeit wird durch die Möglichkeit ergänzt, durch eine Aufrechnung im Prozess des Zessionars eine Verjährungshemmung ggü dem Zedenten zu erreichen (BGH 176, 128, 133f). Der früher noch anerkannten zweiten Ausnahme, im Prozess der Gesellschafter einer GbR mit einer Forderungen gegen einen der Gesellschafter aufzurechnen (BGH 80, 222, 226) ist dagegen durch die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR (BGH 146, 341, 344; NJW 2008, 1378, 1379) der Boden entzogen. Abs I Nr 5 gilt entspr für die (erfolglose) Aufrechnung im Schiedsverfahren, weil dies auch bisher schon so geregelt war und der Gesetzgeber das Schiedsverfahren nicht entwerten wollte (Köhne/Langner RIW 2003, 361, 365). Auf das Zurückbehaltungsrecht findet Abs I Nr 5 keine Anwendung. Die Vorschrift erfasst sie nicht; sie kann mangels planwidriger Lücke auch nicht entspr angewendet werden (BGH WM 2015, 938 Rn 18). Die Wirkungen der Aufrechnung und des Zurückbehaltungsrechts sind nämlich grundverschieden. Während der zur Aufrechnung gestellte Anspruch nach § 322 II ZPO rechtskräftig aberkannt werden kann, ist das bei der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nicht der Fall. 6. Streitverkündung (Abs I Nr 6). Die Streitverkündung führt nur zur Hemmung, wenn sie nach §§ 72ff ZPO 19 zulässig ist (BGH NJW 2002, 1414, 1416; BGH 175, 1, 4; BaRo/Henrich Rn 29; PWW/Kesseler Rn 13; Staud/Peters/Jacoby Rn 77; aM Zöller/Vollkommer § 74 ZPO Rn 9; Piepenbrock aaO, 444). Das frühere Erfordernis, dass die Streitverkündung in einem Prozess erklärt werden musste, von dessen Ausgang der Anspruch abhängt (BGH MDR 2002, 879, 881; RG 58, 76, 79; JW 1913, 32), hat der Gesetzgeber bewusst aufgegeben (BT-Drs 14/6040, 114, MüKo/Grothe Rn 40). Die Streitverkündung führt deshalb zur Hemmung der Verjährung immer dann, wenn sie prozessual zulässig ist, also die Voraussetzungen des § 72 ZPO vorliegen (BGH 36, 212, 214; 175, 1, 5; 179, 361, 366; VersR 2006, 533; MDR 2002, 879, 881). Eine zulässige und damit verjährungshemmende Streitverkündung liegt danach zunächst vor, wenn der Gläubiger dem Schuldner den Streit verkündet, weil er bei ungünstigem Verlauf des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen den Schuldner und Streitverkündungsgegner erheben zu können glaubt (BGH 36, 212, 214; 175, 1, 5; 179, 361, 366; LM Nr 14 § 209 aF m Anm Kreft). Es muss für den Streitverkündeten deutlich werden, welchen Anspruch der Streitverkündende im Blick hat (Hamm 18.11.2010 – 24 U 19/10). Es ist nicht erforderlich, dass die Entscheidung des Vorprozesses auch wirklich präjudizierend ist oder die tatsächlichen Feststellungen des Vorprozesses für den späteren Rechtsstreit wirklich maßgebend sind (RG 58, 76, 79f; BGH 36, 212, 214; 175, 1, 7 Rn 22; NK/Mansel Rn 90; aM Staud/Peters/ Jacoby Rn 78). Die Entscheidung des Vorprozesses muss sich aber aus der Sicht der streitverkündenden Partei auf den vermeintlichen Anspruch auswirken können (BGH 175, 1, 5; NJW 1989, 521, 522; 2009, 1488, 1489 Rn 18). Fehlt es daran, hemmt sie die Verjährung nicht (BGH 179, 361, 373 Rn 38; MDR 2012, 211 Rn 9). Die Streitverkündung kann auch dann verjährungshemmende Wirkung haben, wenn der Streitverkünder dem Dritten den Streit verkündet, weil er für den Fall des Verlustes des Rechtsstreits besorgt, dass dieser Ansprüche gegen ihn geltend macht (BGH 179, 361, 368ff). Das überrascht auf den ersten Blick, weil die Streitverkündung in dieser Schmidt-Räntsch

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Verjährung

Konstellation in erster Linie den Zweck hat, fremde Ansprüche, nämlich die des Streitverkündeten, abzuwenden, eine Verjährungshemmung aber die Verfolgung eigener Ansprüche voraussetzt. Eine solche Fallgestaltung kann aber auch bei der abwehrenden Streitverkündung nach § 72 I Fall 2 ZPO bestehen, nämlich, dann wenn der Streitverkünder befürchtet, dass eigene Ansprüche gegen den Streitverkündeten daran scheitern, dass dieser Gegensprüche oder Gegenrechte geltend macht, wenn der Streitverkünder den Vorprozess verliert (BGH 179, 361, 368). Entschieden ist das für den untervermietenden Mieter, der sich ggü seinen Vermieter mit Mietmängeln verteidigt und befürchtet, dieselben Mängel würden von dem Untermieter seinem eigenen Anspruch auf Untermietzins entgegengehalten. Das gilt auch in vergleichbaren Konstellationen. Vorliegen müssen auch die Formerfordernisse des § 73 ZPO; es muss also der Grund der Streitverkündung angegeben werden; andernfalls entfaltet sie keine hemmenden Wirkungen (BGH 175, 1, 10 Rn 28; MDR 2000, 1271; ZIP 2015, 1189 Rn. 29; MüKo/Grothe Rn 41; überholt daher Naumburg OLGRp 1999, 446). Ob die Streitverkündung die Verjährung hemmt, wird nicht in dem Rechtsstreit geprüft, in dem sie erfolgt, sondern in dem Folgeprozess des Streitverkündenden gegen den Streitverkündeten (BGH NJW 2009, 1488, 1489 Rn 18). 20 Die Hemmung der noch laufenden Verjährungsfrist kann so lange herbeigeführt werden, wie eine Streitverkündung prozessual möglich ist. Das ist nach § 72 I ZPO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits und deshalb zB auch noch im form- und fristgerecht eingeleiteten Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem BGH möglich (BGH MDR 2010, 323, 325). Auch die Streitverkündung führt zu einer Hemmung nur, wenn sie dem Schuldner zugestellt wird. Denn erst dann wird der Streitverkündete durch die Streitverkündung darauf hingewiesen, dass er mit der Geltendmachung von Ansprüchen gegen sich rechnen muss. Das hat zur Folge, dass die Hemmung grds auch erst eintritt, wenn die Zustellung erfolgt ist. Wie bei der Zustellung der Klage wirkt auch die Zustellung einer Streitverkündung nach § 167 ZPO zurück, wenn sie „demnächst“ nach Einreichung bei Gericht erfolgt (BGH NJW 2010, 856, 857). Für Mängel bei der Zustellung gelten die Ausführungen zu Mängeln der Zustellung der Klage entspr. Die Streitverkündung muss ggü dem Schuldner erfolgen, bei einer GbR also ggü dieser, nicht ggü einem Gesellschafter persönlich (KG KGRp 2009, 263). Die inhaltliche Wirkung der Streitverkündung wird dadurch begrenzt, dass in der Streitverkündungsschrift Rechtsverhältnis anzugeben ist, aus dem sich der Rückgriffsanspruch gegen den Streitverkündeten ergeben soll (BGH 175, 1, 11 Rn 31) und durch die Darlegung in der Streitverkündungsschrift hierzu (BGH MDR 2012, 211 Rn 11). In diesem Rahmen erfasst die Streitverkündung dann aber den gesamten Anspruch und beschränkt sich nicht auf den Ausspruch in dem Rechtsstreit, in dem sie erklärt wird (BGH MDR 2002, 879, 881); die Interventionswirkung erfasst den gesamten eingeklagten Anspruch; Ergänzungen der Streitverkündung sind nicht geboten (Frankfurt OLGRp 1999, 1). Auch eine Streitverkündung in einem selbständigen Beweisverfahren hat, wie das bisher auch schon anerkannt war (BGH NJW 1997, 859; ZfBR 1998, 28), hemmende Wirkung (BT-Drs 14/6040, 114; KG KGRp 2009, 263 = NJW-Spezial 2009, 301). War im Zeitpunkt der Streitverkündung ein Feststellungsprozess bereits rechtskräftig abgeschlossen, so kann zwar hins des Grundes der Ersatzverpflichtung keine Hemmung der Verjährung mehr eintreten, wohl aber hins der Höhe des Schadens und damit der Ersatzverpflichtung (BGH NJW 1979, 264, 265). Eine Streitverkündung in ausl Prozessen ist für das Inland erheblich, wenn sie die wesentlichen Voraussetzungen der deutschrechtlichen Streitverkündung in sich trägt (RG 61, 390, 393; MüKo/Grothe Rn 42; Staud/Peters/Jacoby Rn 85). Soweit eine Streitverkündung im Schiedsverfahren zulässig ist, hemmt auch sie. Die Beiladung im Verwaltungsverfahren steht der Streitverkündung nicht gleich, weil sie die Rechtsverfolgungsabsicht des Beigeladenen nicht voraussetzt und andere Wirkungen hat (BGH MDR 2003, 628; differenzierend SG Speyer 6.10.2016 – S 17 KR 770/15, juris Rn 72: doch, wenn qualitativ einer Streitverkündung vergleichbar). 20a 6a. Musterverfahrensantrag (Abs I Nr 6a). Klagen wegen der in § 1 I KapMuG bezeichneten Ansprüche auf Schadensersatz wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Verwendung einer solchen fehlerhaften Kapitalmarktinformation oder des Unterlassens der gebotenen Aufklärung über Fehler einer solchen Information sowie der Ansprüche auf Erfüllung eines Vertrags, der auf einem Angebot nach dem WpÜG beruht, hemmen die Verjährung nach § 204 I Nr 1. Im Unterschied zu anderen Klage können die mit solchen Klagen verfolgten Feststellungsziele (§ 2 I KapMuG) Gegenstand eines Musterverfahrens und eines Musterentscheids (§ 16 KapMuG) werden. Dazu muss ein Musterverfahrensantrag gestellt und im Klageregister bekannt gemacht werden (§§ 2 I, 4 I, 10 I KapMuG). Werden innerhalb von sechs Monaten mindestens neun weitere gleichgerichtete Musterverfahrensanträge bekannt gemacht, erlässt das zuerst befasst Prozessgericht einen Vorlagebeschluss an das OLG. Die Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags führt nach § 5 KapMuG zur Unterbrechung des Verfahrens, in dem er gestellt wird. Der Vorlagebeschluss zwingt das Prozessgericht nach § 8 I KapMuG, alle anhängigen und anhängig werdenden Klageverfahren auszuzusetzen. Weder die Unterbrechung noch die Aussetzung beenden die Hemmungswirkung der Klage nach § 204 I Nr 1. Zwar werden die Verfahren dann während der Dauer des Musterverfahrens nicht betrieben. Das ist aber kein Verfahrensstillstand iSd § 204 II 2 (s § 204 Rn 54). 20b Nach der Einleitung eines Musterverfahrens nach dem KapMuG könnten andere Interessierte eigene Klagen erheben, die nach Abs I Nr 1 die Verjährung hemmen, auch wenn sie sofort nach § 8 I KapMuG auszusetzen wären. Sie können ihre Ansprüche aber auch nach § 10 II 1 KapMuG innerhalb von sechs Monaten nach der Bek des Musterverfahrens gem § 10 I KapMuG bei dem mit dem Musterverfahren befassten OLG anmelden. Eine solche Anmeldung entspricht funktionell einer Klage. Deshalb führt sie nach Abs I Nr 6a wie diese zur Hemmung der Verjährung. Für die fehlerhafte Anmeldung gelten die gleichen Grundsätze wie für die Erhebung einer 626

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fehlerhaften Klage (§ 204 Rn 3). Das bedeutet auf der einen Seite, dass die Anmeldung von vornherein keine Hemmungswirkung erzeugt, wenn sie entgegen § 10 II 3 KapMuG nicht durch einen RA erfolgt oder wenn sie den zwingenden Anforderungen des § 10 III KapMuG nicht genügt. Auf der anderen Seite stellt es die Hemmungswirkung der Anmeldung nicht in Frage, wenn diese nach Ablauf der Frist des § 10 II 1 KapMuG oder eingereicht wird, obwohl bereits eine Klage anhängig ist (vgl § 10 II 2 KapMuG), wenn sie gem § 10 IV KapMuG dem Musterbeklagten zugestellt wird. Die Anmeldung führt zur Hemmung nur, soweit ihr der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den in dem Vorlagebeschlusse nach § 6 III KapMuG festzulegenden Feststellungzielen des Musterverfahrens. Das können nach § 2 I KapMuG die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens anspruchsbegründender oder -ausschließender Voraussetzungen oder die Klärung von Rechtsfragen sein. Dem in der Anmeldung Unterbreiteten liegt derselbe Lebenssachverhalt zugrunde wie den Feststellungszielen des Musterverfahrens, wenn eine Klage nach § 8 KapMuG auszusetzen wäre. Die Hemmung tritt auch nur soweit ein, als dies der Fall ist. Sie tritt nicht ein, soweit die Anmeldung hierüber hinausgeht. Die Verjährung von Ansprüchen, die auf dem idS überschießenden Lebenssachverhalt beruhen, wird durch die Anmeldung nicht gehemmt. Im Hinblick hierauf kann es sich empfehlen, statt der Anmeldung eine Klage zu erheben, auch wenn diese zunächst nach § 8 KapMuG ausgesetzt würde. Die Anmeldung nach § 10 II KapMuG löst die Hemmungswirkung nach Abs I Nr 6a nur aus, wenn sie dem Musterbeklagten nach § 10 IV KapMuG zugestellt wird. § 167 ZPO gilt entspr, weil die Anmeldung eine Klage funktionell ersetzt. Die Hemmungswirkung entfällt nach Abs I Nr 6a Hs 2, wenn nicht innerhalb von drei Monaten Klage auf Leistung oder Feststellung der in der Anmeldung bezeichneten Ansprüche erfolgt. Diese Frist ist den gleich langen Fristen in Abs I Nr 12, 13 nachempfunden (BT-Drs 17/10160, 28). Sie führt, wie dort (§ 204 Rn 33, 34), dazu, dass die Hemmung nicht eintritt, wenn es nicht zu einer rechtzeitigen Klageerhebung kommt. Auch insoweit ist § 167 ZPO anzuwenden. Der Eintritt und die Reichweite der Hemmungswirkung der Anmeldung werden nicht in dem Musterverfahren geprüft, in dem sie erfolgt, sondern in einem etwa nachfolgenden Rechtsstreit wegen der anmeldeten Ansprüche (BT-Drs 17/10160, 28). 7. Selbständiges Beweisverfahren (Abs I Nr 7). Das selbständige Beweisverfahren war nach früherem Recht nur beim Kauf- und beim Werkvertrag als Hemmungsgrund anerkannt. Einen sachlichen Grund, dies nicht auch in andern Fällen vorzusehen, gab es nicht. Deshalb hat der Gesetzgeber diesen Hemmungsgrund allg eingeführt (BT-Drs 14/6040, 114). Die Hemmung wird in erster Linie durch nach dem 31.12.2001 eingeleitete Beweisverfahren erreicht; die Vorschrift gilt entspr für vorher eingeleitete Verfahren (BGH MDR 2012, 1245). Der Antrag muss vom Berechtigten gestellt werden (BGH NJW 1983, 1916; MDR 2013, 1155 Rn 12). Das ist bei Errichtungsmängeln am WE aber der einzelne WE, nicht die Gemeinschaft (BGH 114, 383, 393), solange diese die Ansprüche nicht nach § 10 VI 3 WEG an sich gezogen hat (BGH MDR 2013, 1155 Rn 12). Der Antrag ist aber ggf auszulegen (BGH MDR 2013, 1155 Rn 12f). Der Antrag muss sich gegen den Schuldner richten; es genügt nicht, wenn er nur gegen unbekannt gerichtet wird (BGH NJW 1980, 1458; LG Berlin NJW-RR 1991, 1123, 1124). Das Verfahren hemmt nur wegen der Ansprüche, die sich aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Mängeln oder Mangelerscheinungen ergeben (BGH 66, 138, 140; 120, 329, 331; 175, 161 Rn 30; München, NJW-RR 2007, 657, 676). Ansprüche wegen anderer Mängel (Soergel/Niedenführ Rn 73; München NJW-RR 2007, 675, 676; dazu NJW-Spezial 2007, 264) oder wegen Ansprüchen, auf die sich die Sicherung des Beweises nicht bezieht (BGH 175, 161, 171f Rn 30 – Beweis von Baumängeln in Bezug auf Anspruch aus Bürgschaft; MDR 2012, 1245 Rn 10) werden nicht gehemmt. Je nach Art des zur Prüfung gestellten Mangels kann allerdings bei Benennung einzelner Mängel in der Sache auch das Werk an sich zur Prüfung stehen (München NJW-RR 2010, 824, 826). Die Hemmung gilt nur für Ansprüche gegen den Schuldner, nicht auch gegen andere Beteiligte (Köln VersR 1971, 378). Das Verfahren muss vom Gläubiger oder durch einen berechtigten Prozessstandschafter eingeleitet werden (BGH NJW 2009, 2449, 2450). Die Einleitung des Verfahrens durch den Schuldner, etwa zur Vorbereitung einer negativen Feststellungsklage, reicht nicht (NK/Mansel Rn 104; Staud/Peters/Jacoby Rn 89 aE). Allerdings könnte der Schuldner ein vom Gläubiger eingeleitetes Verfahren fortführen (zum früheren Recht BGH MDR 2001, 447, 448; aM Stuttgart IBR 2003, 123; Saarbrücken OLGRp 2005, 849, 851; Pal/Ellenberger Rn 22). Er könnte das Verfahren zur Verfolgung eigener Ansprüche auch selbst einleiten, wenn die zu ermittelnden Tatsachen für den Anspruch bedeutsam sein können (BGH 66, 138, 140). Das ist auch bei Ansprüchen des Verkäufers oder Unternehmers der Fall, wenn sie davon abhängen, ob die Sache mangelfrei ist (aM Saarbrücken NJW-RR 2006, 163, 164; BaRo/Heinrich Rn 30; MüKo/Grothe Rn 44;). Anerkannt ist das inzwischen für den Fall des § 640 I 3 (BGH MDR 2012, 458f; ebenso Hamm [Vorinstanz] MDR 2011, 1033, 1034). Die Hemmung hängt nicht davon ab, ob sich behauptete Mängel bestätigen; es genügt, wenn ein Sachverhalt zum Gegenstand gemacht wird, der auf Mängel hindeutet (BGH MDR 1998, 963). § 204 I Nr 7 gilt auch für ausl Beweissicherungsverfahren (MüKo/Grothe Rn 46; Staud/Peters/Jacoby Rn 85). Das sind Verfahren, die einem selbständigen Beweisverfahren funktionell vergleichbar sind. Die Hemmung beginnt mit Zustellung des Antrags, bei Zustellung demnächst auch schon mit Einreichung (§ 167 ZPO). Fehlt es an der Zustellung, greift § 204 I Nr 7 nicht (LG Darmstadt IBR 2005, 678 gegen LG Magdeburg BauR 2006, 1192). Unter Zustellung ist die förmliche Zustellung zu verstehen (BGH MDR 2010, 646; WM 2011, 903, 906 Rn 29f; aM Karlsruhe NJW-RR 2008, 402f). Diese kann aber geheilt werden. Unterbleibt die Zustellung des Antrags, wird die Verjährungsfrist grds nicht gehemmt (BGH WM 2011, 903, 906 Rn 30). Etwas Anderes gilt, wie bei der Zustellung des Mahnbescheids (dazu BGH MDR 2010, 646, 647), nur, Schmidt-Räntsch

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wenn der Sinn und Zweck der Zustellung des Antrags auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens auf andere Weise vollständig erreicht wird. Das ist bei einer anderweitigen Zuleitung des Antrags (BGH 188, 128144f Rn 47f; krit Eyink MDR 2011, 1389, 1394 aE) oder bei der Zustellung des Beweisbeschlusses der Fall, der auf den nicht zugestellten Antrag hin ergeht (Frankfurt NJW-RR 2010, 535). Scheitert eine Hemmung nach Abs I Nr 7, kommt eine Hemmung nach § 203 in Betracht, wenn sich der Schuldner an dem Verfahren beteiligt. 8. Vereinbartes Begutachtungsverfahren (Abs I Nr 8). Nach Abs I Nr 8 haben auch ein Verfahren nach § 641a und ein vereinbartes Begutachtungsverfahren hemmende Wirkung. Für die Hemmung soll es keinen Unterschied machen, ob der Gläubiger ein gerichtliches oder ein außergerichtliches Verfahren zur Klärung der tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs einleitet. Ein vereinbartes Begutachtungsverfahren ist jede Begutachtung einer Vertragsleistung durch die Parteien. Gegenstand der Begutachtung kann jede Leistung in einem Vertrag sein, die nicht in der Zahlung von Geld besteht. Oft wird es sich um Werkverträge handeln. Zwingend ist das nicht. Die Vereinbarung kann in dem eigentlichen Vertrag selbst enthalten sein. Sie kann aber auch später getroffen werden. Gegenstand der Vereinbarung darf nicht „nur“ die Streitschlichtung sein. Ein Schiedsvertrag würde deshalb nicht ausreichen. Gegenstand des Vertrags muss vielmehr die (sachverständige) Begutachtung der begutachtungsfähigen Vertragsleistung sein. Welche Wirkung diese Begutachtung hat, ist ohne Bedeutung. Typischer Fall ist die Schiedsgutachtervereinbarung. Die Vereinbarung kann der Begutachtung aber auch weniger weitgehende Wirkung beimessen. Wer das Verfahren einleitet, ist gleichgültig. Hemmend wirkt es aber nur für Ansprüche, zu deren Durchsetzung es auf die Begutachtung ankommt oder wenigstens ankommen kann. Auslösend ist der Beginn des Verfahrens. Worin dieser zu sehen ist, bestimmen die Parteien selbst. Er wird oft in der Beauftragung des Gutachters zu sehen sein. Denkbar wäre aber auch der Antrag auf Bestellung des Gutachters. Nach Abs I Nr 8 Fall 1 wird die Verjährung von Kostenansprüchen gehemmt, wenn zu ihrer Ermittlung ein informelles Wertermittlungsverfahren durchgeführt wird (Jena NJW-RR 1999, 1015). Auf die Hemmungswirkung einer Schiedsgutachterabrede kann sich der Gläubiger nicht berufen, wenn er an der Bestellung des Schiedsgutachters nicht mitwirkt und unmittelbar Klage erhebt (BGH NJW 1990, 1231; Düsseldorf OLGRp 2004, 246, 248). 9. Arrest und einstw Verfügung (Abs I Nr 9). Nach früherem Recht löste weder der Antrag auf Erlass noch die Vollziehung des Arrests oder der einstw Vfg eine Unterbrechung aus. Der Grund hierfür lag darin, dass diese Verfahren als Sicherungsverfahren begriffen wurden. Diesen Sicherungsmaßnahmen sollte nicht dieselbe weitreichende Wirkung einer Unterbrechung der Verjährung zukommen. Auch der Vollzug von Arrest und einstw Vfg löste unter dem Gesichtspunkt der Vollstreckungshandlung keine verjährungsbezogene Wirkung aus (BGH NJW 1979, 217; 1981, 1955; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht21 § 21 UWG Rn 1a; krit Soergel/Walter12 § 209 Rn 28; aM Hamm WRP 1977, 500 und 816; Hamburg WRP 1979, 317). Diese Rechtslage wurde aber nicht dem Umstand gerecht, dass in einigen schnelllebigen Rechtsgebieten kaum Hauptsacheverfahren geführt werden, sondern nur einstw Verfügungsverfahren. Dies sind die Fälle der sog Leistungsverfügung. Betroffen sind in erster Linie (wettbewerbsrechtliche) Unterlassungsansprüche. Soweit in diesen Fällen der Anspruch selbst im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstw Vfg geltend gemacht werden kann, wird in diesem Verfahren nicht nur über die Sicherung des Anspruchs, sondern über die vorläufige Befriedigung des Gläubigers entschieden. Der Gläubiger hat dann häufig kein Interesse mehr an dem Hauptsacheverfahren. Da jedoch die Unterlassungsansprüche nach § 11 I UWG einer sechsmonatigen Verjährungsfrist unterliegen, war der Gläubiger mitunter gezwungen, ein Hauptsacheverfahren allein zur Verjährungsunterbrechung anhängig zu machen, um zu verhindern, dass während eines sich hinziehenden Verfahrens auf Erlass einer einstw Vfg die Verjährung eintritt und er mit leeren Händen dasteht. Entspr galt für den presserechtlichen Gegendarstellungsanspruch, der innerhalb der in den Landespressegesetzen bestimmten Aktualitätsgrenze geltend gemacht sein muss. Arrest und einstw Vfg die Wirkungen der Klage beizumessen, war unter altem Recht nicht unproblematisch, weil die Klage zum Neubeginn führt. Diese Wirkung ging für ein nur vorläufiges oder ein Sicherungsverfahren wie Arrest und einstw Vfg sehr weit. Das jetzt geltende Recht gibt der Klage „nur noch“ hemmende Wirkung. Diese Wirkung kann ohne weiteres auch Arrest und einstw Vfg zugebilligt werden (BT-Drs 14/6040, 115). Hierfür ist es ohne Bedeutung, ob Arrest und vor allem einstw Vfg die Hauptsache vorwegnehmen oder sich auf die ihnen eigentlich nur zugedachte Sicherung von Ansprüchen beschränken (NK/Mansel Rn 115; enger Ellenberger BB 2001, 1417, 1421). Es ist auch gleichgültig, um was für einen Anspruch es geht. Entscheidend ist – wie bei der Klage – nur, dass der Gläubiger den Antrag stellt. Arrest und einstw Vfg lösen die Hemmung im gleichen Umfang aus wie eine Klage. Sie hemmen deshalb die Verjährung nur für den geltend gemachten – hinreichend individualisierten – Verfügungsanspruch Frankfurt 24.5.2016 – 6 U 171/14, juris Rn 49f), nicht zB auch für den später geltend gemachten Schadensersatzanspruch (Hamburg Magazindienst 2010, 55 Rn 50). IÜ wird auf die Ausführungen zur Klage Bezug genommen. Allerdings hemmen Arrest und einstw Vfg nur im Umfang des erlassenen Arrests bzw der erlassenen einstw Vfg, wenn sie ohne mündliche Verhandlung erlassen werden. Denn nur insoweit kann die wirkungserhaltende Zustellung erfolgen (Schabenberger WRP 2002, 293, 297). Die Hemmung beginnt grds mit der Zustellung des jew Antrags. Dies stellt sicher, dass die Hemmung nicht eintritt, ohne dass der Schuldner hiervon Kenntnis erlangt. Die Rückwirkung der Hemmungswirkung auf den Zeitpunkt der Einreichung des Antrags ergibt sich aus § 167 ZPO (aM Schabenberger WRP 2002, 293, 296). Vielfach wird jedoch über das Gesuch ohne mündliche Verhandlung entschieden und der Antrag daher nicht zugestellt. Für diesen Fall sieht Abs I Nr 9 vor, dass die Hemmungswirkung bereits mit der Einreichung des Antrags eintritt, jedoch unter der Bedingung steht, dass der Arrestbefehl, die einstw Vfg oder einstw Anordnung innerhalb eines Monats nach Erlass dem Antragsgegner zugestellt wird. Diese Frist entspricht der Vollziehungs628

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frist des § 929 II ZPO, die der Entwurf noch übersehen hatte (BT-Drs 14/7052, 181). Diese (auflösende) Bedingung vermeidet eine „heimliche“ Hemmung, die bspw zu besorgen wäre, wenn der Gläubiger von einem ohne Kenntnis des Schuldners ergangenen Sicherungsmittel keinen Gebrauch macht. Tritt die Bedingung nicht ein, weil das Gericht einen nicht zugestellten Antrag ablehnt und es daher überhaupt nicht zu einem Arrestbefehl usw kommt, der zugestellt werden könnte, tritt die Hemmung nicht ein. 10. Anmeldung im Insolvenzverfahren (Abs I Nr 10). (Überblick bei: Vallender ZInsO 2002, 110; Wenner BB 2006, 2649). Nach Abs I Nr 10 löst auch die Anmeldung von Ansprüchen im Insolvenzverfahren oder im schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren eine Hemmung aus, und zwar auch ggü einem Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft (BAG EzA § 4 TVG Nr 154). Gegenstand der Insolvenzanmeldung können nur Insolvenzforderungen (§ 174 I InsO) sein (Frankfurt 22.12.2015 – 6 U 120/15, juris Rn 7; Staud/Peters/Jacoby Rn 97; Vogel BauR 2004, 1365). Sie muss schriftlich erfolgen, § 174 I 1 InsO. Der Gläubiger muss den Anspruch nicht substantiieren, wohl aber den Anspruchsgrund „unterhalb der Stufe der Substantiierung individualisieren und dadurch der Streitgegenstand bestimmen“ (BGH MDR 2013, 550, 551 Rn 30f; vgl iÜ Wenner BB 2006, 2649, 2651; Vogel BauR 2004, 1365, 1366). Fehlt es daran, tritt die Hemmung nicht ein (BGH aaO; Wenner aaO, 2652). Daran änderte auch eine auf der Grundlage der unzureichend individualisierten Anmeldung erhobene Feststellungsklage nichts (BGH MDR 2013, 550, 551 Rn 31). Mangels Individualisierung kann die Hemmung zB hins künftiger Zinsforderungen entfallen (BGH BGHRp 2001, 897). Maßgeblich ist die Anmeldung als solche. Sie kann auch nachträglich erfolgen (Brandenburg 29.4.2009 – 4 U 130/08, Rn 43), hemmt aber auch erst von diesem Zeitpunkt an. Die Anmeldung als Masseschuld ist kein Hemmungsgrund (LG Wuppertal ZInsO 2010, 1281, 1282). Wie die Anmeldung im Insolvenzverfahren wirkt auch die Anmeldung des Anspruchs im Schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren verjährungshemmend. Auf das Verfahren findet die Schifffahrtsrechtliche Verteilungsordnung (SVertO) idF v 23.3.1999 (BGBl I 530, ber I 2000, 149) Anwendung. 11. Schiedsrichterliches Verfahren (Abs I Nr 11). Ein Schiedsurteil hat nach § 1055 ZPO zw den Parteien die Wirkungen eines rechtskräftigen Urt. Es ist Vollstreckungstitel, § 1060 I ZPO. Das Bestehen einer Schiedsabrede begründet eine den Prozess vor einem staatlichen Gericht hindernde Einrede, § 1032 I ZPO. Deshalb führt der Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens zur Hemmung der Verjährung. Hierfür kommt es zunächst darauf an, dass die Parteien überhaupt einen Schiedsvertrag abgeschlossen haben. Darauf, dass dieser Vertrag wirksam ist, kommt es für die Hemmung nicht an. Sie stellt auf den Beginn des Verfahrens ab, das nach § 1032 III ZPO auch während eines Streits über die Wirksamkeit des Schiedsvertrags weiterbetrieben werden kann. Demgegenüber hatte § 203 Nr 13 SchuldRModG-DiskE (Abdruck bei Ernst/Zimmermann [Hrsg], Zivilrechtswissenschaft und Schuldrechtsreform, 2001, 612ff) noch in Anlehnung an § 220 aF die zusätzliche Voraussetzung enthalten „wenn der Anspruch vor einem Schiedsgericht geltend zu machen ist“ und damit die Hemmung letztlich davon abhängig gemacht, ob der Schiedsvertrag wirksam ist. Diese Voraussetzung ist schon im Entwurf nicht (mehr) vorgesehen worden, weil sie § 1032 III ZPO widerspricht. Diese Änderung führt dazu, dass die Verjährung während der Dauer eines Streits über die Wirksamkeit des Schiedsvertrags und ggf der an das Streitende anschließenden sechs Monate gehemmt ist, wenn das Verfahren gleichwohl betrieben wird. Das ist aber auch vertretbar, weil die Parteien immerhin den Schiedsvertrag abgeschlossen haben und es akzeptieren müssen, wenn sich die eine Seite bis zur Klärung seiner Wirksamkeit daran hält. Die Hemmung als solche ist nicht abhängig davon, welches Schiedsgericht die Parteien vereinbart haben. Sie können also institutionelle wie gewissermaßen „freie“ inl Schiedsgerichte vereinbaren. Die Parteien können aber auch ausl und intern Schiedsgerichte wählen (RG SeuffA 67, 240; Junker KTS 1987, 37, 43ff). Um dies auch im Text auszudrücken, hat der Gesetzgeber bei der Formulierung des Hemmungstatbestands bewusst auf die Erwähnung des § 1044 ZPO über den Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens verzichtet (BT-Drs 14/7052, 181 ggü BT-Drs 14/6857, 45). Die Hemmung durch ein schiedsrichterliches Verfahren tritt weder mit der Erhebung der Klage vor dem Schiedsgericht (so § 220 aF) noch mit dem Empfang des Antrags, die Streitigkeit einem Schiedsgericht vorzulegen (so § 204 I Nr 11 SchuldRModG-RegE), sondern mit dem Beginn des schiedsrichterlichen Verfahrens ein. Wann das der Fall ist, richtet sich nach den Verfahrensregeln des vereinbarten Schiedsgerichts. Bei institutionellen Schiedsgerichten liegt der Beginn oft schon beim Eingang der Schiedsklage (zB Art 4 II der SchiedsO des Intern Schiedsgerichtshofs der IHK Paris). Bei nicht institutionellen Schiedsgerichten liegt der Beginn meist später. Wenn nichts (anderes) vereinbart ist, beginnt das Verfahren nach § 1044 S 1 ZPO mit dem Empfang des Antrags, die Streitigkeit einem Schiedsgericht vorzulegen (BGH ZNotP 2014, 186 Rn 20). Der Entwurf hatte diesen Zeitpunkt vorgegeben und sich damit von den Regelungen der Schiedsvereinbarungen unabhängig machen wollen (BT-Drs 14/6040, 115). Dies hat sich angesichts der Bedenken des BR (BT-Drs 14/6857, 8) nicht durchsetzen können. Wenn die Schiedsvereinbarung also einen anderen Beginn vorsieht, also zB den Eingang bei der Institution, ist dieser maßgeblich. Die Hemmung hängt aber nicht mehr davon ab, dass der Berechtigte alles sonst noch zur Erledigung der Sache seinerseits Erforderliche vornimmt. Das kann etwa die Benennung der Schiedsrichter oder die Mitwirkung daran sein. Auf solche Umstände hat der Berechtigte meist keinen Einfluss. Deshalb soll es hierauf auch nicht mehr ankommen (BT-Drs 14/6040, 115). Unter Abs I Nr 11 fallen nur Schiedsabreden, nicht jedoch Abreden, die keine Einrichtung eines Schiedsgerichts zum Gegenstand haben: Schiedsgutachtenabreden oder die Vereinbarung einer gütlichen Einigung vor einer Streitbeilegungsstelle. Sie fallen unter § 204 I Nr 8, § 205 oder § 202 (MüKo/Grothe Rn 52). Schmidt-Räntsch

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12. Verwaltungsvorverfahren (Abs I Nr 12). Die Vorschrift trägt Fällen Rechnung, in denen der Berechtigte die Klage erst erheben kann, wenn er zunächst ein Vorverfahren bei einer Verwaltungsbehörde zu durchlaufen hat (BAG 9, 7 = SAE 60 Nr 35). Ist die zivilrechtliche Klage dagegen vom Verwaltungsvorverfahren unabhängig, gilt Abs I Nr 12 nicht (Bsp Milchquote: BGH AgrarR 2001, 19, 20; Celle NdsRpfl 2003, 116f). Die Vorentscheidung einer Behörde setzen zB Art VII des NATO-Truppenstatuts, § 10 über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG), § 25 SchutzbereichsG oder §§ 49ff BLG voraus. Vergleichbare Vorschriften gibt es im Landesrecht. In Bayern ist zB vor einer Klage gegen den Landesfiskus ein Abhilfeverfahren durchzuführen (Art 2 AGZPO; §§ 16ff VertretungsVO). Solche Regelungen sind dem verwaltungsrechtlichen Vorverfahren nach §§ 68ff VwGO nachempfunden, auf das diese Regelung indessen nicht anzuwenden ist. Denn es geht dort nicht um die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche. Sie finden sich meist dort, wo der Staat angesichts der Gefährlichkeit der staatlichen Aufgabe mit dem Entstehen von meist dem Grunde nach unstr Schadensersatzansprüchen rechnet. In dem praktisch bedeutsamen Fall, dass staatliche Behörden aufgrund von fehlerhaftem Amtswalten zu Schadensersatz oder Entschädigung verpflichtet sind, ist ein solches Verfahren demgegenüber nicht vorgesehen. Auf solche Fälle ist Abs I Nr 12 nicht anwendbar. Dies gilt auch dann, wenn die Verjährung des Schadensersatzanspruchs durch Klage und Vorverfahren gegen die Verwaltungsmaßnahmen gehemmt wird. Keine Vorentscheidung iSv Abs I Nr 12 ist die Kostenfestsetzung durch den Urkundsbeamten, da die Zulässigkeit des Rechtsweges nicht notwendig von einer Zurückweisung des Festsetzungsantrags abhängig ist (BGH 21, 205; aM Werthauer JR 1955, 186; vgl auch KG JR 1955, 426). § 204 I Nr 12 ist auch nicht entspr anwendbar, wenn eine Klage auf Gehaltszahlung erst nach Erstreiten eines das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses feststellenden Urt erhoben wird, da hier die Leistungsklage von vornherein möglich war (BAG 9, 7 = SAE 60 Nr 35 m Anm Larenz). Auch der Antrag des Mieters auf Festsetzung der preisrechtlich zulässigen Miete hemmt nicht die Verjährung (LG Berlin GE 1975, 350). Anders liegt es im öffentlichen Recht. Das förmliche Widerspruchsverfahren, das der klageweisen Geltendmachung öffentlich-rechtl Ansprüche vorgeschaltet ist, hemmt die Verjährung entspr Abs I Nr 12 (VGH München 10.3.2010 – 14 BV 08.2444; OVG Lüneburg 7.1.2009 – 5 LA 98/06). Anders als früher hemmt der Antrag an die Behörde die Verjährung nur, wenn es innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs auch zur Erhebung der Klage kommt. Diese Frist ist der Frist für die Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO nachempfunden. Anders als § 75 VwGO sieht § 204 I Nr 12 die Frist nicht für die Bescheidung des Gesuchs, sondern für die Erhebung der Klage nach Erledigung des Gesuchs vor. Die Dauer des Vorverfahrens ist also verjährungsrechtlich unerheblich. Verstreicht die Frist, ohne dass die Klage erhoben wird, tritt die Hemmung nicht ein. Dies gilt entspr für bei einem Gericht oder bei einer in Nr 4 bezeichneten Streitbeilegungsstelle zu stellende Anträge, deren Zulässigkeit von der Vorentscheidung einer Behörde abhängt. 13. Zuständigkeitsbestimmung durch höheres Gericht (Abs I Nr 13). In den Fällen des § 36 ZPO kann die Klage nicht erhoben werden, ohne dass zuvor entschieden wird, bei welchem Gericht dies zu geschehen hat. Da dem Gläubiger in einem solchen Fall eine Rechtsverfolgung nicht möglich ist, genügt die Einreichung des Antrags auf Bestimmung des zuständigen Gerichts bei dem höheren Gericht. Eine Sachentscheidung oder ein Erfolg des Antrags sind für die Auslösung der Hemmungswirkung nicht erforderlich (BGH 160, 259, 262f). Um auch hier einer „heimlichen“ Hemmung vorzubeugen, wird aus dem früheren § 210 die Bedingung übernommen, dass innerhalb von drei Monaten nach Erledigung des Gesuchs die Klage erhoben wird. § 204 I Nr 13 stellt allg auf Anträge, für die die Gerichtsstandsbestimmung zu erfolgen hat, ab. Die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 ZPO ist nicht nur auf den Fall der Klageerhebung anzuwenden, sondern bspw auch für den Fall, dass das für einen Mahnantrag zuständige Gericht bestimmt werden soll. 14. Prozess- oder Verfahrenskostenhilfeantrag (Abs I Nr 14). Mit Nr 14 erkennt das Gesetz den Antrag auf Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe als Hemmungsgrund ausdr an. Früher sah man eine Partei als durch höhere Gewalt iSd § 203 aF an der Rechtsverfolgung gehindert an, wenn sie am Tage des Ablaufs der Verjährungsfrist infolge Armut keine Klage erheben konnte, aber spätestens in diesem Zeitpunkt das zur Behebung des Hindernisses notwendige Prozesskostenhilfeverfahren durch einen ordnungsgemäß begründeten Antrag eingeleitet hatte und darüber nicht vor Ablauf der Verjährungsfrist entschieden worden war (BGH 70, 235, 239). Auf diesen Umweg verzichtet § 204 I Nr 14. Der Antrag auf PKH/VKH löst die Hemmung immer aus. Anders als früher (BGH VersR 1977, 622; LM Nr 2 zu § 254 BGB [E]) kommt es nicht (mehr) darauf an, dass der Antrag ordnungsgemäß begründet (überholt daher Celle OLGRp 2001, 250), vollständig, von den erforderlichen Unterlagen begleitet und dass die Bedürftigkeit ordnungsgemäß dargelegt ist (BT-Drs 14/6040, 116; BGH ZInsO 2015, 2183 Rn 12; KG KGRp 2006, 257, 258; NK/Mansel Rn 135). § 204 I Nr 14 geht davon aus, dass die Gleichheit vor dem Gesetz verlangt, dass der armen Partei gleiche Chancen der Rechtsverfolgung, aber auch der Rechtswahrung gewährt werden. Deshalb soll das Prozess- bzw Verfahrenskostenhilfegesuch als solches zur Hemmung der Verjährungsfrist reichen (BT-Drs 14/6040, 116). Ob es Aussicht auf Erfolg hat, ist für die Hemmungswirkung unerheblich (BGH BGHRp 2008, 659 Rn 17). Das gilt sowohl für die Frage der Bedürftigkeit als auch für die Frage der sachlichen Erfolgsaussicht. Deshalb führt auch der PKH/VKH-Antrag eines bemittelten Gläubigers zur Hemmung (BaRo/Henrich Rn 45; Soergel/Niedenführ Rn 98; Staud/Peters/Jacoby Rn 114; aM Oldenburg FamRZ 2010, 1098; Pal/Ellenberger Rn 30; MüKo/Grothe Rn 65; allg zurückhaltend Seibel, MDDR 215, 491, 493; Regenfus, NJW 2016, 2977, 2981 f.), die durch zügige Zurückweisung rasch beendet werden kann. In jedem Fall muss der Antrag schon erkennen lassen, welcher Rechtsstreit geführt werden soll (Stuttgart FamRZ 2005, 526). Mehrere Anträge in unterschiedlichen Abschnitten des Verfahrens (zB Mahnverfahren, str Verfahren) führen 630

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Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

§ 204

mehrmals zur Hemmung (KG KGRp 2006, 257, 258). Eine die Verjährung hemmende Wirkung kommt der Einreichung des PKH-/VKH-Antrags auch zu, wenn der Schuldner in der Folgezeit auf die Einrede der Verjährung befristet verzichtet (BGH NJW 1981, 1550). Die Hemmung müsste eigentlich mit der Bekanntgabe des Antrags beginnen, wodurch sichergestellt ist, dass der Schuldner Kenntnis von der Hemmung erlangt. Um aber Streit über die erfolgte Bekanntgabe zu vermeiden, stellt das Gesetz auf die Veranlassung der Bekanntgabe ab. Auch sie gibt die Gewähr für den Zugang beim Gegner. Das setzt allerdings voraus, dass die Anschrift des Schuldners zutr angegeben wird, deren Angabe deshalb auch Voraussetzung der Hemmung ist (BGH ZInsO 2015, 2183 Rn 11f). An die Zustellung als die förmliche Art der Bekanntgabe anzuknüpfen, kommt nicht in Betracht, da sie zivilprozessual nicht vorgeschrieben ist. In Entsprechung zu § 167 ZPO, der mangels Zustellung keine Anwendung findet, wird bestimmt, dass die Hemmungswirkung auf die Einreichung des Antrags zurückwirkt, wenn die Bekanntgabe „demnächst“ nach der Einreichung erfolgt. Erfolgt sie später, tritt die Hemmung nicht ein (Schleswig OLGRp 2009, 393, 394). Ob die Zustellung demnächst erfolgt, ist – wie bei der Klage (oben Rn 6) – eine Frage der Wertung. Hierbei hindert es die Rechtzeitigkeit der Einreichung des PKH-Antrags nicht, wenn das Gericht sachlich nicht gerechtfertigte Anforderungen stellt und sich die Bekanntgabe deshalb verzögert (vgl Frankfurt NJW-RR 2011, 1178, 1179). Die Bekanntgabe muss allerdings erfolgen. Anträge, die vom Gericht dem Schuldner nicht bekannt gegeben werden, bewirken keine Hemmung (BGH BGHRp 2008, 659f; NK/Mansel Rn 133). Das ist auch unter dem Gesichtspunkt eines effektiven Rechtsschutzes nicht zu beanstanden. Das Gericht müsste dem Gegner den Antrag zwar nicht von Amts wegen zustellen oder sonst bekanntgeben, wenn es den Antrag für aussichtslos hält (MüKoZPO/Wache7 § 118 Rn 7). Der Antragsteller hat aber das Recht, die Zustellung auch eines aussichtslosen PKH/VKH-Antrags zu beantragen; einem solchen Antrag muss das Gericht entsprechen (BGH BGHRp 2008, 659f). Allerdings kann die Zustellung dennoch unterbleiben, weil dem Gericht Verfahrensfehler unterlaufen. Dem kann und muss das Prozessgericht bei der Frage Rechnung tragen, ob die Bekanntgabe „demnächst“ iSd § 204 I Nr 14 Hs 2 erfolgt. Dabei dürfen auch Versäumnisse des Antragstellers selbst berücksichtigt werden. Diese Regelung ist weder im Hinblick auf Art 19 IV GG (BVerfG NJW 2010, 3083 Rn 10, 16) noch im Hinblick auf Art 6 EMRK zu beanstanden (EGMR 30.6.2016 – 56778/10, juris Rn 41ff). Auch wenn die Hemmung nur bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Zurückweisung des Gesuchs dauert, würde ohne zusätzliche Vorkehrungen eine gewisse Missbrauchsgefahr bestehen. Die Abweisung würde nicht an der Stellung eines neuen Gesuchs hindern. Die Sechs-Monats-Frist würde es erlauben, eine Hemmung zu erreichen, ohne den Rechtsstreit zu führen. Um das zu verhindern, bestimmt § 204 I Nr 14, dass nur der erste Antrag die Hemmungswirkung einschl der Nachlauffrist auslöst. Wird er abgelehnt, löst ein Folgeantrag keine Hemmungswirkung (mehr) aus (BGH MDR 2009, 278; Celle Familienrecht kompakt 2007, 9). Der Antragsteller kann dann eine Hemmung nur noch durch Klage, Mahnbescheid oder auf anderem Wege herbeiführen. Diese Folge tritt nur ein, wenn beide PKH-Anträge denselben Anspruch und dasselbe Verfahren betreffen. Daran könnte es fehlen, wenn der Gläubiger nach gescheitertem PKH-Antrag im Mahnverfahren nunmehr PKH im Klageverfahren beantragt (Zhang aaO, 128f). Die damit mögliche Flucht in den PKH-Antrag für das Klageverfahren widerspricht aber erkennbar dem Zweck der Vorschrift und berücksichtigt auch nicht, dass der Mahnbescheid nur eine besondere Form der Einleitung des Verfahrens ist. Ist der Prozessgegenstand beider Verfahren derselbe, schließt die Zurückweisung des PKH-Antrags für das Mahnverfahren auch eine Hemmung der Verjährung mit einem erneuten PKH-Antrag für das Klageverfahren aus. Das gilt entspr für den Antrag in Familienstreitsachen mit vorausgegangenem Antrag auf Verfahrenskostenhilfe. 15. Erschlichene Hemmung. Die Berufung auf den Eintritt der Verjährungshemmung nach § 204 I kann eine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Dann muss sich der Gläubiger nach § 242 so behandeln lassen, als sei die Hemmung nicht eingetreten. dafür genügt es allerdings nicht, dass eines der nach § 204 I zur Hemmung führenden Verfahren allein dazu eingeleitet wird, die Hemmung herbeizuführen (BGH 123, 337, 344f). Anders kann es aber im Einzelfall liegen, wenn der Gläubiger zB die Zustellung eines Mahnbescheids durch bewusst unwahre Angaben erreicht (BGH MDR 2012, 363, 364; 16.7.2015 – III ZR 239/14, juris Rn 18ff; vgl oben Rn 15a). III. Dauer der Hemmung (Abs II). 1. Beendigung der Hemmung (Abs II S 1). a) Ende der Rechtsverfolgung. Die Hemmung dauert bis zu dem Zeitpunkt, in dem die gewählte Art der Rechtsverfolgung rechtskräftig abgeschlossen oder anderweitig erledigt ist. Im Falle einer Klage, die durch rechtskräftiges Sachurteil beschieden worden ist, stellt sich ein Bedürfnis für eine weitere Hemmung nicht mehr: Ist die Klage rechtskräftig abgewiesen worden, steht damit fest, dass der Anspruch nicht oder nicht mehr besteht. Die Verjährung braucht dann auch nicht mehr gehemmt zu werden. Hat die Klage ganz oder teilw Erfolg gehabt, läuft für den Anspruch im Umfang seiner rechtskräftigen Feststellung eine neue Verjährungsfrist von 30 Jahren, §§ 197 I Nr 3, 201, die nach jeder Vollstreckungshandlung gem § 212 I Nr 2 neu beginnt. Entspr gilt für die Hemmung durch Mahnbescheidsantrag, der zu einem Vollstreckungsbescheid führt. Nimmt der Gläubiger mehrere Schuldner in einem Rechtsstreit in Anspruch, muss das Ende der Rechtsverfolgung für jeden Schuldner gesondert festgestellt werden. Bei einfachen Streitgenossen (§ 61 ZPO) ergibt sich das schon daraus, dass die Prozesshandlungen des Gläubigers nur ggü dem Streitgenossen wirken, dem ggü sie vorgenommen werden (BGH ZIP 2010, 933, 934 Rn 22). Bei notwendigen Streitgenossen ist es aber nicht anders, weil das Gesetz eine entspr Wirkung nicht vorsieht (BGH 131, 376, 380 für Klageerhebung).

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In allen anderen Fällen kann sich an die zunächst herbeigeführte Hemmung durch eine Maßnahme der Rechtsverfolgung noch eine weitere anschließen. So endet zB die Hemmung durch den Antrag auf PKH mit der (positiven oder negativen) Entscheidung über das PKH-Gesuch. Daran wird sich eine weitere Hemmung durch die bewilligte Rechtsverfolgung durch Klage anschließen. An eine Hemmung durch Verwaltungsvorverfahren nach § 204 I Nr 12 wird sich die Hemmung durch Klage oder auch zunächst eine Hemmung durch Prozesskostenhilfegesuch und dann eine Hemmung durch Klage anschließen. Der Hemmung durch einstw Vfg kann eine Hemmung durch Hauptsacheklage nahtlos folgen. Anders als die frühere Unterbrechung fällt die einmal eingetretene Hemmung grds nicht rückwirkend wieder fort (BT-Drs 14/6040 S. 118; Seibel MDR 2015, 491, 492; falsch daher Hamm GI aktuell 2015, 139, juris Rn 136; missverständlich BGH WM 2004, 1501, 1503 in Anlehnung an München MDR 2001, 533, 534). Es stellt sich damit anders als bei der Unterbrechung auch nicht mehr das Bedürfnis, rückwirkend eine Wiederherstellung der früheren Unterbrechungswirkung erreichen zu können. So kann nach Zuerkennung des Hauptanspruchs im Vorprozess wegen des dort nur hilfsweise erhobenen Anspruchs eine neue Klage erhoben werden (schon früher BGH NJW 1968, 692; Celle NJW 1965, 1486; überholt dagegen Oehlers NJW 1970, 845). Endet die Hemmung durch einen Auslandsrechtsstreit ohne Sachurteil, so kann die Verjährung durch eine Inlandsklage erneut gehemmt werden. Die Nachlauffrist führt auch dazu, dass die Hemmungswirkung in den meisten Fällen nahtlos aufrechterhalten werden kann (zu diesem Anliegen Schlosser, FS Bosch, 1976, 859). Anders als früher (BGH 53, 43, 46; Düsseldorf NJW 1968, 2380; aM Hamm NJW 1965, 1535) kann die Hemmungswirkung eines selbständigen Beweisverfahrens ohne weiteres durch eine anschließende Klage, ggf auch durch PKH-Gesuch und anschließende Klage aufrechterhalten werden. 40 b) Klage. Das Klageverfahren muss rechtskräftig abgeschlossen oder anderweit erledigt sein. Rechtskräftig abgeschlossen wird es durch ein Endurteil, das auch ein Teil- oder Vorbehaltsurteil sein kann, das mit einem Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden kann. Zu den Rechtsmitteln gehört nicht die Anhörungsrüge, wird das Verfahren auf die Rüge aber gem § 321a V 1 ZPO fortgesetzt, ist die Verjährung von der Fortsetzung an gehemmt (BGH MDR 2012, 1184, 1185 Rn 13). Ein Grundurteil schließt den Rechtsstreit nicht rechtskräftig ab, weil der Betrag offen bleibt. Das Urt kann ein Sachurteil, aber auch ein Prozessurteil sein. Wird durch Teilurteil rechtskräftig entschieden, so endet nur für diesen Teil die Hemmung. Anderweit erledigt wird eine Klage durch einen gerichtlichen Vergleich, durch Erledigung in der Hauptsache oder durch Klägerwechsel (BGH NJW-RR 1989, 1269). Nichts Anderes gilt für Klagerücknahme oder Klageverzicht (RG 66, 14). Die Klagerücknahme führt zwar nach § 269 III ZPO dazu, dass der Rechtsstreit als nie anhängig anzusehen ist. Das ändert aber an der Verjährungshemmung nichts; diese setzt mit der Erhebung der Klage ein und ist von der An- oder Rechtshängigkeit dieser Klage im prozessualen Sinne unabhängig. Sie endet mit Klagerücknahme oder -verzicht. Denkbar ist auch eine teilw anderweitige Erledigung, etwa durch Teilrücknahme (RG JW 1928, 100). Keine anderweitige Erledigung ist die Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige Gericht. Denn das Verfahren wird dort fortgeführt. Rücknahme ist nicht anzunehmen, wenn ein Feststellungsantrag bei Erweiterung eines daneben gestellten Leistungsantrags weggelassen (nach RG 168, 56 wird der Anspruch hier nur „nicht weiter verfolgt“) oder bei Schadensfeststellung auf die nicht auf den Versicherungsträger übergegangenen Ansprüche beschränkt wird (BGH LM Nr 6 zu § 256 ZPO). Die Hemmung endet auch, wenn die Klage nur teilw zurückgenommen wird, es aber auf die Verjährung des zurückgenommenen Teiles ankommt (BAG JZ 1962, 357; krit dazu Henckel JZ 1962, 335). Bei einer Stufenklage kann die Hemmung enden, wenn der Anspruch nach Erfüllung der seiner Vorbereitung dienenden Hilfsansprüche nicht beziffert wird; sie dauert aber fort, solange aus einem Urt über einen Hilfsanspruch vollstreckt wird, weil die klagende Partei gerade auf diese Weise ihren Zahlungsanspruch weiterverfolgt (BGH BGHRp 2006, 988, 989f). 41 c) Vereinfachtes Unterhaltsverfahren. Die Hemmung der Verjährung durch einen Antrag auf Festsetzung des Unterhalts im vereinfachten Verfahren nach §§ 249ff FamFG endet mit der Zurückweisung des Antrags gem § 250 II FamFG. Da das Kind dann auf die Verfolgung seiner Ansprüche im ordentlichen Verfahren angewiesen ist, kann eine weitere Hemmung durch Zustellung eines Antrags nach §§ 113 I 2, 124, 231 FamFG oder durch Verfahrenskostenhilfegesuch gem §§ 76, 231 FamFG, 117 ZPO und anschließenden Antrag nach §§ 113 I 2, 124, 231 FamFG folgen. Wird der Unterhalt festgesetzt, endet die Hemmung mit der Rechtskraft des Beschl nach § 253 FamFG. Werden Einwendungen nach § 254 FamFG erhoben, endet die Hemmung nach § 204 I Nr 2 mit dem Eingang des Antrags auf Durchführung des str Verfahrens. Da nach dessen Eingang wie nach Eingang eines Antrags in einer Unterhaltssache zu verfahren ist, § 255 II FamFG, schließt sich durch ihn sofort eine Hemmung nach § 204 I Nr 1 an (MüKo/Grothe Rn 84). Wird Beschwerde nach § 256 FamFG erhoben, endet das Verfahren, wenn diese rechtskräftig erledigt ist. 42 d) Die Hemmung durch Mahnverfahren endet, wenn der Vollstreckungsbescheid rechtskräftig ist (§ 700 ZPO). Wird rechtzeitig Widerspruch erhoben und Termin beantragt oder der Rechtsstreit an das LG verwiesen (§ 696 ZPO) oder Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid erhoben (§ 700 ZPO), so endet die Hemmung nach § 204 I Nr 3 mit dem Eingang der Akten bei dem Gericht, bei dem die Hauptsache durchzuführen ist (BGH TranspR 2009, 132 Rn 20). Da nach Widerspruch gegen den Mahnbescheid wie nach Eingang einer Klage zu verfahren ist (§ 697 II S 1 ZPO) und der Vollstreckungsbescheid einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gleichsteht (§ 700 I ZPO), schließt sich in diesen Fällen mit der Abgabe an das Gericht, an das die Sache abgegeben wird, nahtlos eine Hemmung nach § 204 I Nr 1 an (BGH 55, 212, 215; MüKo/Grothe Rn 88). Allerdings kann dieses übergeleitete Klageverfahren zum Stillstand kommen, wenn auf die mit der Aufforderung 39

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Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

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zur Einzahlung eines Kostenvorschusses verbundene Mitteilung über den Eingang des Widerspruchs (LAG Koblenz 17.8.2016 – Sa 517/15, juris Rn 27) oder eine Aufforderung nach § 697 I 1 ZPO (BGH 137, 387, 291; BGH MDR 2010, 516; Hogenschurz MDR 2014, 1056, 1057; Pioch MDR 2016, 863, 865) nichts weiter geschieht. Wird Widerspruch nicht erhoben, aber nicht binnen sechs Monaten der Erlass eines Vollstreckungsbescheids beantragt, fällt nach § 701 S 1 ZPO die verjährungshemmende Wirkung des Mahnbescheids weg. Wird zunächst Widerspruch erhoben, später aber zurückgenommen, ist die Frist von sechs Monaten durch den zunächst eingelegten Widerspruch gehemmt und läuft erst von der wirksamen Rücknahme an (Nürnberg NJW-RR 2013, 1337, 1338). Gerät das Verfahren in Stillstand, kommt es entscheidend darauf an, ob es in der Frist des Abs II zu einer weiteren Hemmung nach Abs I Nr 1 oder Nr 14 kommt (BGH TranspR 2009, 132 Rn 21). e) Die Hemmung durch ein Streitbeilegungsverfahren endet, wenn die Parteien sich einigen, wenn der Streitbeilegungsantrag zurückgenommen wird, wenn eine Einigung erzielt wird oder wenn sich ergibt, dass eine Einigung nicht möglich ist (vgl zB § 5 III 4 SchlichtVerfVO) und die Unterrichtung der Beteiligten von der Streitbeilegungsstelle veranlasst worden ist ((BGH ZIP 2016, 270 Rn 30; 25.5.2016 – IV ZR 110/15, juris Rn 20), nicht erst, wenn die Mitteilung dem Gläubiger zugeht (so noch Celle ZGS 2007, 195). Haben die Parteien in dem Verfahren einen Widerrufsvergleich geschlossen, endet die Hemmung mit der Erklärung des Widerrufs (BGH WuM 2005, 381) und der Unterrichtung des anderen Teils hierüber. Die Einzelheiten bestimmen sich nach der Verfahrensordnung der Streitbeilegungsstelle (BGH MDR 2016, 1407 Rn 9). f) Die Hemmung durch Aufrechnung oder Streitverkündung dauert so lange wie die durch Klageerhebung. Sie endet erst, wenn der Prozess rechtskräftig entschieden oder anderweit erledigt ist. Das ist allerdings nicht schon bei einer Zwischenfeststellungsklage der Fall (Soergel/Niedenführ Rn 107). Anders als früher (dazu BGH 65, 127, 134; RG HRR 1935, Nr 670) gilt das auch im Falle der Klagerücknahme. Diese beseitigt nach § 204 II 1 wie bei der Klage nicht rückwirkend die Hemmung. Vielmehr endet die Hemmung mit dem Wirksamwerden der Rücknahme (MüKo/Grothe Rn 94). Eine anderweitige Beendigung der Hemmung durch Aufrechnung liegt im Fallenlassen des Vorbringens (MüKo/Grothe Rn 95; Soergel/Niedenführ Rn 107). g) Die Verjährungshemmung durch ein selbständiges Beweisverfahren endet mit der Beweisaufnahme nach § 492 I ZPO. Was dazu erforderlich ist, richtet sich nach den zu erhebenden Beweisen. Soll ein Zeuge vernommen werden, so endet die Hemmung, wenn dieser in einem Termin vernommen worden ist. Ist dagegen ein Sachverständigengutachten einzuholen, ist zu unterschieden. Wünscht keine Partei eine mündliche Erläuterung des Gutachtens und hält das Gericht eine solche Erläuterung oder eine Erörterung des Gutachtens nicht für erforderlich (§ 492 III ZPO), endet die Hemmung mit der Zustellung des schriftlichen Gutachtens (BGH 120, 329, 330 = MDR 1993, 979; BGH 150, 55, 59; MDR 2011, 185; München NJW-RR 2010, 824, 825). Soll das Gutachten mündlich erläutert werden (§ 411 III ZPO) oder hält das Gericht eine Erörterung für erforderlich (§ 492 III ZPO), so endet die Hemmung erst mit dem Abschluss dieser Erläuterung oder Erörterung (BGH 150, 55, 59; NJW 1973, 698, 699; NJW 2009, 1243; Düsseldorf OLGRp 2009, 486f). Zu dieser gehört aber nicht mehr die Übersendung des Protokolls über die Vernehmung des Sachverständigen (BGH 150, 55, 59; NJW-RR 2009, 1243, 1244). Wird das Verfahren auf Gegenantrag des Gegners fortgeführt, endet es erst mit Erledigung auch dessen Antrags (BGH MDR 2001, 447). Für das Ende der Hemmung ist ohne Bedeutung, ob das eingeholte Gutachten inhaltlich ausreichend ist; entscheidend ist allein der formale Verfahrensablauf (Düsseldorf OLGRp 2009, 486, 487). Die Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens durch Ablauf einer Frist nach § 411 IV 2 ZPO setzt eine formgerechte Fristsetzung und deren Zustellung gem § 329 II 2 ZPO voraus (Celle OLGRp 2005, 588, 589). Die Hemmung endet auch, wenn der Kostenvorschuss nicht eingezahlt (Frankfurt OLGRp 2004, 325, 326f), der Antrag zurückgenommen oder zurückgewiesen wird, wenn die Begutachtung nicht fortgesetzt werden kann und sich die Parteien trotz Aufforderung des Gerichts dazu nicht äußern (München NJW-RR 2010, 824, 826) oder wenn das Gericht Einwände gegen das Gutachten zurückweist und die Beteiligten keine weiteren Anträge stellen (BGH MDR 2011, 185, 186). Wird gegen die Zurückweisung sofortige Beschwerde (§ 567 I Nr 2 ZPO) erhoben, endet die Hemmung mit deren rechtskräftiger Erledigung. Sollen mehrere Gutachten eingeholt werden, kommt es darauf an, ob sie denselben Mangel betreffen oder mehrere Mängel. Betreffen sie denselben Mangel, endet die Verjährung mit der Zustellung und ggf. Erörterung des letzten Gutachtens (BGH 120, 329, 331). Betreffen sie verschiedene Mängel, endet die Hemmung für jeden Mängelanspruch gesondert mit der Zustellung und ggf Erörterung des ihn jew betreffenden Gutachtens; darauf, ob die Mängel in einem oder in getrennten Verfahren geprüft werden, kommt es nicht an (BGH 120, 329, 331; Hamm NJW-Spezial 2009, 205, 206). h) Vereinbarte Begutachtung. Bei dem vereinbarten Begutachtungsverfahren (Abs I Nr 8) richtet sich dessen Ende primär nach der Parteivereinbarung. IdR wird es enden, wenn die Begutachtung erfolgt ist. Zieht sich die Erledigung des Gutachtenauftrags länger hin, kann ein Stillstand nach Abs II S 2 eintreten. i) Die Hemmung durch den Antrag auf Arrest oder Erlass einer einstw Vfg endet grds mit der Zurückweisung des Antrags oder dem Erlass des Arrests oder der einstw Vfg. Die Vollziehung des Arrests oder der einstw Vfg gehört nicht mehr zum Verfahren. Der Gläubiger muss allerdings jedenfalls die Zustellung an den Schuldner bewirken, da die Hemmungswirkungen von Arrest und einstw Vfg nach § 204 I Nr 9 rückwirkend entfallen, wenn der Arrest oder die einstw Vfg nicht innerhalb eines Monats nach Verkündung oder Zustellung an den Gläubiger auch an den Schuldner zugestellt werden. Wird der Antrag zurückgewiesen, kann der Gläubiger gegen einen Beschl sofortige Beschwerde (§ 567 I Nr 2 ZPO) und gegen ein Urt Berufung einlegen. Die Hemmung dauert in diesem Fall bis zur Entscheidung über Beschwerde oder Berufung fort. Eine Revision gegen ein Arrest- oder VerSchmidt-Räntsch

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fügungsberufungsurteil ist kraft Gesetzes ausgeschlossen (§ 542 II 1 ZPO). Wird der Arrest oder die einstw Vfg erlassen, steht dem Schuldner der Widerspruch zu (§§ 924, 936 ZPO), über den durch Endurteil zu entscheiden ist. Die Hemmung dauert auch hier bis zur rechtskräftigen Erledigung fort. Wird dem Gläubiger nach §§ 926, 936 ZPO eine Frist zur Klageerhebung gesetzt, so ist die Klage kein Teil des Arrest- oder Verfügungsverfahren. Sie begründet vielmehr eine neue eigenständige Hemmung nach § 204 I Nr 1, die sich nahtlos an die Hemmung nach § 204 I Nr 9 anschließen wird. j) Anmeldung im insolvenz- oder schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren. Bei der Anmeldung einer Forderung im Insolvenzverfahren kommt es wie bisher auf die Beendigung des Insolvenzverfahrens an. Bleibt die Forderung im Prüftermin (§ 176 InsO) unbestritten, kann der Gläubiger seine Forderung erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens weiter durchsetzen. Wird die Forderung bestr, obliegt es nach § 179 I InsO dem Gläubiger, ihre Feststellung zu betreiben, was nach § 180 I 1 InsO durch Klage im ordentlichen Verfahren zu geschehen hat. Diese Klage kann auch schon während des Insolvenzverfahrens erhoben werden. Auch in einem solchen Fall besteht aber eine Hemmung nach § 204 I Nr 10 bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens fort (BGH MDR 2010, 319, 320; BaRo/Henrich Rn 66; Pal/Ellenberger Rn 42; Wenner BB 2006, 2649, 2653; aM Vogel BauR 2004, 1365, 1367). Mit der Anmeldung nimmt der Gläubiger am Insolvenzverfahren und nicht nur an dem Verfahrensausschnitt der Forderungsprüfung teil, mag er im Bestreitensfall auch schon während der Dauer des Insolvenzverfahrens Klage erheben können. Das Insolvenzverfahren endet mit der Bek des Aufhebungsbeschlusses nach § 200 InsO, die zwei Tage nach ihrer Veröffentlichung als bewirkt gilt. Das Insolvenzverfahren kann und wird in vielen Fällen auch durch Einstellung mangels Masse oder aus anderen Gründen enden (§§ 207, 212, 213 InsO). Dagegen ist nach § 216 InsO die sofortige Beschwerde gegeben. Diese hat zwar keine aufschiebende Wirkung (§ 4 InsO iVm § 570 ZPO), ist aber der formellen Rechtskraft fähig. Mit Grothe (MüKo/Grothe Rn 100) ist deshalb ein Ende der Hemmung in diesem Fall erst mit Eintritt der formellen Rechtskraft anzunehmen. Die Hemmung nach § 204 I Nr 10 endet auch mit der Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses und mit Rücknahme der Anmeldung (Brandenburg 29.4.2009 – 4 U 130/08, Rn 42; MüKo/Grothe Rn 101). Ist die angemeldete Forderung str geblieben, kann der Gläubiger im Klageweg die Feststellung betreiben. Diese Klage löst eine eigenständige neue Hemmung nach § 204 I Nr 1 aus (MüKo/Grothe Rn 102). Das gilt auch für den Fall, dass für diese Forderung Anteile der Masse bei der Verteilung zurückgehalten worden sind (BT-Drs 14/6040, 117). Ähnlich liegt es mit der Anmeldung von Ansprüchen im schifffahrtsrechtlichen Verteilungsverfahren. Auch die Hemmung durch die Anmeldung von Ansprüchen in einem solchen Verteilungsverfahren endet nicht schon mit dem Abschluss des Prüftermins nach § 18 SVertO, sondern mit der Aufhebung des Verteilungsverfahrens nach § 29 SVertO. Wird die Forderung bestr, obliegt es dem Gläubiger nach §§ 19 III SVertO, 180 I 1 InsO, die Feststellung der Forderung im Wege der Klage zu betreiben. Diese Klage ist auch im Verteilungsverfahren kein Teil der Anmeldung, sondern ein eigenständiger Hemmungsgrund nach § 204 I Nr 1, und zwar anders als früher auch dann, wenn Anteile an der Verteilungsmasse zur Befriedigung dieser Forderung zurückgehalten worden sind. Die Hemmung durch Anmeldung einer Forderung entfällt auch bei der Anmeldung im Verteilungsverfahren mit der Rücknahme der Anmeldung. Sie wirkt in beiden Fällen nur ex nunc, nicht ex tunc. k) Die Hemmung durch Schiedsverfahren endet gewöhnlich mit dem Schiedsspruch, der das Verfahren nach § 1056 I ZPO beendet. Dieser Schiedsspruch hat nach § 1055 ZPO zw den Parteien die Wirkungen eines rechtskräftigen Urt und setzt nach §§ 197 I Nr 3, 201 eine neue Verjährungsfrist von 30 Jahren in Gang, die bei Vollstreckungshandlungen neu beginnt (§ 212 I Nr 2). Das Schiedsverfahren kann aus den in § 1056 II bezeichneten Gründen ohne Schiedsspruch enden. Für die Feststellung, ob und vor allem wann das Schiedsverfahren und die durch dieses ausgelöste Hemmung endet, kommt es nicht auf den Eintritt des Grundes, sondern auf die förmliche Feststellung nach § 1056 ZPO an. Etwas Anderes gilt nur, wenn das Schiedsgericht den Beschl nach § 1056 II ZPO nicht fasst, obwohl die Gründe offensichtlich eingetreten sind. Ob sich an das beendete Schiedsverfahren in den Fällen des § 1056 II ZPO noch eine andere Hemmung durch Rechtsverfolgung anschließen kann, hängt von den Vereinbarungen der Parteien ab. Wenn diese lediglich von der Durchführung des Schiedsverfahrens abgesehen haben, ist das möglich. Haben sie weitergehende Vereinbarungen getroffen, ist das nicht möglich. Die Aufhebungsklage nach § 1059 ZPO ist eine eigenständige Klage mit Hemmungswirkung nach § 204 I Nr 1 und nicht Teil des Schiedsverfahrens (MüKo/Grothe Rn 102). Das Auslegungsverfahren nach § 1058 ZPO ist eigenständiges Verfahren mit Hemmungswirkung nach § 204 I Nr 11 (MüKo/Grothe Rn 103). l) Die Hemmung durch ein behördliches Vorverfahren endet mit der Entscheidung der Behörde. Sie kann auch schon vorher enden, wenn der Antrag zurückgenommen wird. Die Entscheidung der Behörde ist die Erledigung des Gesuchs, nach der innerhalb von drei Monaten Klage erhoben worden sein muss, soll die Hemmungswirkung erhalten bleiben. Deshalb wirkt es sich auch nicht zulasten des Gläubigers aus, wenn die Untätigkeitsfrist wie nach § 25 II SchutzberG nicht drei, sondern sechs Monate beträgt. m) Zuständigkeitsbestimmung. Das Verfahren endet mit der Bestimmung der Zuständigkeit. n) Prozess-/Verfahrenskostenhilfeantrag. Die Hemmung durch Stellung eines PHK/VKH-Antrags dauert bis zu dessen Erledigung. Dies geschieht durch Bewilligung oder Ablehnung des Antrags. Da die Bewilligung von Prozess-/Verfahrenskostenhilfe unanfechtbar ist, ist die Hemmung durch Stellung des Antrags damit beendet. Gegen die Ablehnung von PKH/VKH steht dem Antragsteller die Beschwerde, wenn zugelassen, auch eine Rechtsbeschwerde zu. Macht der Antragsteller von diesen Rechtsmitteln Gebrauch, dauert die Hemmung bis zu deren Erledigung fort (BGH NJW 2001, 2545). Entspr gilt, wenn die Staatskasse Beschwerde erheben kann, weil keine Raten festgesetzt wurden. 634

Schmidt-Räntsch

Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung

§ 204

2. Nachlauffrist von sechs Monaten (Abs II S 1 aE). Die Hemmung endet nicht unmittelbar mit der Beendigung des Verfahrens. Insb bei Verfahren, die nicht mit einer Sachentscheidung enden, muss dem Gläubiger noch eine Frist bleiben, in der er – verschont von dem Lauf der Verjährung – weitere Rechtsverfolgungsmaßnahmen einleiten kann. Dies ist bspw der Fall bei der Geltendmachung der Aufrechnung, wenn über die Aufrechnungsforderung nicht entschieden wurde, bei einem selbständigen Beweisverfahren oder bei einem Prozesskostenhilfeverfahren. Deshalb sieht § 204 II 1 vor, dass in jedem Fall die Hemmung noch sechs weitere Monate andauert, damit sich der Gläubiger einrichten kann. Das frühere Recht hatte ähnliche, aber unterschiedliche Fristen vorgesehen. Sie sind jetzt vereinheitlicht. Vom Gläubiger kann erwartet werden, dass er bei der Handlung, die hier die Hemmung auslöst, den Anspruch prüft und seine Verfolgung bedenkt, so dass es beim Ende der Hemmung keiner über sechs Monate hinausgehenden Überlegungs- und Vorbereitungsfrist mehr bedarf. Die Nachlauffrist gilt in allen Fällen des Abs I, auch im Fall des beendeten Güteverfahrens (BGH 182, 284 = ZGS 2009, 505, 508). Diese Frist ist abschließend. Sie kann nicht verlängert werden. Auf sie sind auch die §§ 203, 206, 210 und 211 nicht entspr anwendbar. Die Hemmung kann jederzeit durch weitere Rechtsverfolgung fortgesetzt werden (München NJW-RR 2010, 824, 826). Möglich ist allerdings, dass die Verjährungsfrist selbst zB durch höhere Gewalt gehemmt wird. Wenn die Parteien in der Nachlauffrist Verhandlungen aufnehmen (§ 203), wird nicht die Nachlauffrist gehemmt (so aber Piepenbrock aaO, 465), sondern die eigentliche Verjährungsfrist, die bis zum Ablauf der SechsMonats-Frist gehemmt ist. Entspr gilt für Vereinbarungen nach § 202 (aM Zhang aaO, 115). 3. Stillstand des Verfahrens (Abs II S 2). Eine Beendigung des Verfahrens stellt es nach 204 II 2 dar, wenn das Verfahren dadurch in Stillstand gerät, dass die Parteien es nicht betreiben. Für ein Betreiben muss mehr unternommen werden, als Anträge auf Fristverlängerung zu stellen (AG Hamburg 30.8.2006 – 46 C 86/05) oder um Mitteilung von Az und Hinw zum nötigen Vorgehen zu bitten (Karlsruhe OLGRp 2006, 643, 644). So muss in einem Mahnverfahren nach Widerspruch die Abgabe an das Prozessgericht oder bei Ausbleiben oder Rücknahme eines Widerspruchs der Erlass eines Vollstreckungsbescheids beantragt werden (Zhang aaO, 120f). Allerdings genügt es, wenn die Partei sich nach Kräften, wenn auch vergeblich, bemüht, die ladungsfähige Anschrift der anderen Partei herauszufinden (BGH BGHRp 2004, 1585, 1586). Dass das Gericht das Nichtbetreiben angeregt hatte, ist gleichgültig (Koblenz JB 2003, 278 LS). Es reicht also nicht jeder Stillstand aus. Gesetzliche Unterbrechungen des Verfahrens etwa wegen Insolvenz (BGH NJW 1963, 2019; 208, 227 Rn 35) nach §§ 239ff ZPO und Aussetzungen nach §§ 246ff ZPO beenden die Hemmung nicht, da der Prozessbetrieb nach § 249 ZPO für die Parteien nicht möglich ist (BGH 15, 80, 82; RG 145, 239; Rostock OLGRp 2006, 730, 731). Erst wenn das Verfahren wegen Wegfalls des Unterbrechungs- oder Aussetzungsgrundes weiterbetrieben werden kann, jedoch nicht weiterbetrieben wird, tritt Stillstand ein (BGH 208, 227 Rn 37; RG 72, 185; Rostock OLGRp 2006, 730, 731; Hamm WM 2006, 1477). Das Gleiche gilt für die Aussetzung nach § 148 ZPO (BGH 106, 295, 297), auch wegen eines Auslandsverfahrens (BGH MDR 1993, 521). Die Parteien müssen das Verfahren nicht unbedingt durch Anträge oder Schriftsatze fördern. Bei einer Stufenklage würde zB genügen, dass der Kläger die zur Bezifferung seines Leistungsanspruchs erforderlichen Hilfsansprüche in der Vollstreckung durchsetzt (BGH NJW 1992, 2563). Bei einem Widerrufsvergleich tritt Stillstand erst nach Ablauf der Widerrufsfrist ein (BGH NJW-RR 2006, 948, 950). Es kann auch sein, dass Stillstand nur für einen Teil des Anspruchs eintritt, etwa dadurch, dass nicht alle vorbereitenden Anträge verlesen werden (Soergel/Niedenführ Rn 125). Nach Abs II S 2 tritt ein Stillstand, der die Hemmung der Verjährung durch das Verfahren nach Maßgabe von Abs II S 1 beendet, nur ein, wenn die Parteien das Verfahren nicht betreiben. Daran fehlt es, solange die Verfahrensleitung beim Gericht liegt und das Gericht dafür verantwortlich ist, dass das Verfahren seinen Fortgang nimmt (BGH VersR 1976, 36; 1978, 1142, 1143; NJW 1983, 2496; 2000, 132, 133; ZGS 2009, 505, 507; MDR 2013, 615 Rn 16; Bremen OLGRp 2003, 44, 46; Hamm 11.10.2016 – 9 U 68/15, juris Rn 24; LG Heidelberg 5.10.2016 – 4 O 348/14, juris Rn 57; NK/Mansel Rn 157; MüKo/Grothe Rn 77f). Aus welchem Grund das Gericht dem Verfahren keinen Fortgang gibt, ob es zB überlastet ist oder den Eingang eines Sachverständigengutachtens abwarten möchte, ist unerheblich. Die Parteien sind nicht gehalten, das Verfahren bei Gericht in Erinnerung zu bringen oder um Vornahme von Maßnahmen zu dringen (BGH MDR 2013, 615 Rn 20). Sie dürfen deshalb nach Erlass eines Grundurteils die Terminsbestimmung durch das Gericht abwarten, auch wenn sich dieses damit sehr viel Zeit lässt (BGH MDR 2013, 615 Rn 20; NJW 1979, 2307: vier Jahre; gegen die Entscheidung Grunsky ZZP 80, 179f; zust Soergel/Niedenführ Rn 124). Auch die förmliche Anordnung des Ruhens des Verfahrens nach § 251 ZPO führt nicht ohne weiteres dazu, dass die Verantwortung für den Fortgang des Verfahrens von dem Gericht auf die Parteien übergeht. Die Verantwortung für den weiteren Fortgang des Verfahrens geht vielmehr erst dann auch die Parteien über, wenn das Gericht mit dem (ausdr oder konkludenten) Einverständnis des Klägers auf unbestimmte Zeit von einer Terminierung absieht (BGH MDR 1983, 747; 2005, 766, 767; 2013, 615). Nach herrschender Ansicht führt auch das Nichtbetreiben des Verfahrens durch die Parteien nicht in jedem Fall zu einem Stillstand des Verfahrens nach § 204 II 2. Vielmehr soll der Stillstand – wie vor dem 1.1.2002 (dazu BGH NJW 1987, 371; 2001, 218, 219f; NJW-RR 1988, 279; 4.5.2012 – V ZR 175/11, Rn 16; Frankfurt 21.4.2010 – 4 U 93/03) – nur eintreten, wenn die Parteien für das Nichtbetreiben des Verfahrens keinen triftigen Grund haben (BGH MDR 2009, 761; WM 2015, 1079 Rn 13; NK/Mansel Rn 163; MüKo/Grothe Rn 73; Pal/Ellenberger Rn 47; Soergel/Niedenführ Rn 119; Staud/Peters/Jacoby Rn 130; Ebert NJW 2003, 732, 733). Umgekehrt soll es wie bisher auch gleichgültig sein, ob das Nichtbetreiben des Verfahrens zur Anordnung des Ruhens des Verfahrens führt oder nur zu einem Liegenlassen der Akten (MüKo/Grothe Rn 72; Pal/Ellenberger Rn 48; zum alten Recht BGH NJW Schmidt-Räntsch

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§ 204

Verjährung

2001, 218). Dies liegt nahe, weil die BReg den Vorschlag des BR, dies im Gesetzestext festzuschreiben (BT-Drs 14/6857, 8f) nicht aus inhaltlichen, sondern aus redaktionellen Gründen abgelehnt hat (BT-Drs 14/6857, 45). Dem kann aber gleichwohl nicht gefolgt werden (Schmidt-Räntsch, ZJS 2012, 301, 302f). Das frühere Recht verbot den Parteien in § 225 aF Vereinbarungen, die zu einer Verlängerung der Verjährung führten. Um ein Unterlaufen dieses Verbots zu verhindern, sah § 211 II aF ein Entfallen der Unterbrechungswirkung bei Stillstand des Verfahrens vor (BGH NJW 1999, 3774, 3775; BAG AP Nr 3 zu § 211 BGB). Unter dem Gesichtspunkt einer Umgehung des Verlängerungsverbots konnte es auch nicht darauf ankommen, ob das Gericht auf Bitten der Parteien das Ruhen des Verfahrens förmlich anordnete oder die Parteien es selbst nicht betrieben. Um die sachlich gerechtfertigte Unterbrechung eines ruhenden Verfahrens zu ermöglichen, blieb bei der damaligen Ausgangslage keine andere Wahl, als einen Stillstand zu verneinen, obwohl das Verfahren nicht betrieben wurde, wenn es dafür triftige Gründe gab. Das geltende Verjährungsrecht kennt aber kein Verlängerungsverbot mehr (arg aus § 202). Es kann nicht mehr darum gehen, eine Umgehung dieses Verbots zu umgehen (MüKo/Grothe Rn 72; Zhang aaO, 125). Entscheidend ist vi